Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen? [1 ed.] 9783428545797, 9783428145799

Unter Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht erlegen die Kirchen ihren Mitarbeitern ein Streikverbot auf. Di

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Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen? [1 ed.]
 9783428545797, 9783428145799

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 325

Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen? Von

Moritz Hilje

Duncker & Humblot · Berlin

MORITZ HILJE

Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen?

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 325

Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen?

Von

Moritz Hilje

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14579-9 (Print) ISBN 978-3-428-54579-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84579-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Sie wurde für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Das im Februar 2014 vom BVerwG ergangene Urteil zum Beamtenstreik (2 C 1.13) und das von der EKD erlassene ARGG-EKD konnten so noch berücksichtigt werden. Ich danke all jenen, die mich auf vielfältige Art und Weise bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Christof Kerwer. Schon während meines Studiums in Würzburg hat er mein Interesse für das Arbeitsrecht geweckt. Er gab mir auch die Anregung zur Bearbeitung dieses Themas. Die Entstehung der Arbeit hat er durch seine stete Gesprächsbereitschaft und seine wohlmeinenden Anmerkungen und Hinweise begleitet und gefördert. Herrn Professor Dr. Christoph Weber danke ich sehr herzlich für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich des Weiteren Herrn Verleger Dr. Florian R. Simon, LL.M., sowie den Herausgebern der Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“ für die Aufnahme meiner Arbeit in diese wissenschaftliche Reihe. Von Herzen danke ich meiner Familie. Meinen Eltern danke ich dafür, dass sie mir meine Ausbildung ermöglicht und mich in jeglicher Hinsicht dabei unterstützt haben. Ebenso wie mein Bruder haben sie das Entstehen der Untersuchung mit großem Interesse begleitet. Herzlich danken möchte ich schließlich meiner lieben Verlobten für ihr Verständnis und für ihre Geduld während des Entstehens der Arbeit. Dortmund, im November 2014

Moritz Hilje

Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Praxis der Kirchen bei der Regelung von Arbeitsbedingungen . . . . . . § 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlicher Schutzbereich: Selbstständige Regelung eigener Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 24 28 28 46 62 80 93

§ 3 Europäischer Kirchenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Rechtslage nach der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Auswirkungen auf das deutsche Staatskirchenrecht und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 § 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Genaue Reichweite des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen des Arbeitskampfrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis und in völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Die bestehenden Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 § 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 II. Rechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

8

Inhaltsübersicht

§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einordnung und Darstellung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relevanz und Aktualität des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ziel der Monographie und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Praxis der Kirchen bei der Regelung von Arbeitsbedingungen . . . . . . 1. Die Möglichkeiten zur Regelung von Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . a) Regelung im Rahmen des Ersten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelung im Rahmen des Zweiten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelung im Rahmen des Dritten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebrauch der dargestellten Möglichkeiten durch die Kirchen . . . . . . . . § 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis des Selbstbestimmungsrechts zu den Gewährleistungen der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herleitung eines Rechts auf Selbstbestimmung aus der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollektive Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Recht auf Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite dieses Rechts auf Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Einheit der Verfassung als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . (2) Keine sich vollständig überdeckenden Regelungsgegenstände von Art. 4 I, II GG und Art. 140 GG i.V. m. 137 III 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zum Argument der Schutzpflichtendimension . . . . . . . . . . . cc) Ermächtigungsgrundlage für das kirchliche Dienstrecht und den Streikausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Selbstbestimmungsrecht als Kollisionsnorm? . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Selbstbestimmungsrecht als Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Argumente für einen freiheitsrechtlichen Charakter des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 18 19 21 24 24 24 24 25 25 28 28 29 29 30 31 31 31 34 34

34 36 38 39 40 41 41

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Inhaltsverzeichnis bb) Das Selbstbestimmungsrecht als echtes Grundrecht? . . . . . . . . . cc) Bedenken gegen eine Einordnung als Grundrecht . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis zur Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . II. Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Originäre Träger des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchliche Einrichtungen als Träger des Selbstbestimmungsrechts? . . . a) Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Gesetzeswortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Gesetzeshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Sinn und Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Originäre oder abgeleitete Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzungen für eine Erstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Meinungen in der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Selbstverständnis der Kirchen als Ausgangspunkt für eine Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erforderlichkeit von Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ausmaß der erforderlichen Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlicher Schutzbereich: Selbstständige Regelung eigener Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . a) Ansätze in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darstellung der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmung kraft Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmung anhand des Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Meinungsstand in der heutigen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Für eine Bestimmung anhand des Selbstverständnisses sprechende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entgegenstehen des Gesetzeswortlauts und der Historie? . . . . . cc) Grenzen bei der Berücksichtigung des Selbstverständnisses . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschäftigung von Personal als eigene Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltung kirchlichen Rechts bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern a) Vorrang des staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 44 45 46 46 47 48 50 50 51 52 53 54 55 56 58 59 59 59 60 61 62 62 62 64 64 64 64 65 65 67 67 68 69 70 71

Inhaltsverzeichnis

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b) Vorrang des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Grundsatz der Dienstgemeinschaft als zentrales Merkmal des kirchlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen aus dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft . . . . . IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des für alle geltenden Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Für alle geltende Gesetze in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bereichslehre und Jedermann-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schranke als Abwägungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Meinungen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegen die Ansätze aus der Weimarer Republik sprechende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik an Bereichslehre und Jedermannformel . . . . . . . . . . . . . . cc) Schrankenregelung als Abwägungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausgestaltung der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitskampfrecht als Schranke des Selbstbestimmungsrechts? . . . . . . a) Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage? . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Grundrechtsbindung der Kirchen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Europäischer Kirchenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansätze vor dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtslage nach der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 9 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die neueren Urteile des EGMR mit Bezug zum Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen auf das deutsche Staatskirchenrecht und Zwischenergebnis

95 95 96 99 102 102

§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streik als Vorenthaltung der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 9 III 1 GG als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Anerkennung des Streiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzbereich: Von der Koalitionsfreiheit zum Arbeitskampf . . . . . c) Von der Kernbereichslehre zum Schutz aller koalitionsspezifischen Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Genaue Reichweite des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systemimmanente Grenzen des Streikrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionszusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . aa) Einwände in tariffunktionaler Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neues Verständnis von der Reichweite des Arbeitskampfrechts (1) Kritik der Rechtslehre an dem neuen Verständnis des BAG (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gegenüberstellung der methodischen Ansatzpunkte . . . (b) Das Arbeitskampfrecht als natürliche oder normgeprägte Freiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Notwendigkeit eines gesetzlichen Rahmens . . . . . . (d) Umfang der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigenständiges Grundrecht auf Streik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen des Arbeitskampfrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein ausdrücklicher Schrankenvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis und in völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bereichsausnahme des Art. 153 V AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 6 III EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 28 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ansichten in der Literatur zu dem Verweis auf mitgliedstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen der Rechtsprechung auf ein Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 6 Nr. 4 ESC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedenken gegen die ESC-Konformität des deutschen Arbeitskampfrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbindlichkeit der Empfehlungen des Ministerkomitees . . . . . . . . . 2. Übereinkommen im Rahmen der IAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 11 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 119 120 125 127 130 132 132 133 134 136 138 140 141 144 144 144 146 147 147 148 149 152 153 154 157 157 159 162 162 163 163 165 166 167

Inhaltsverzeichnis

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a) Der Wortlaut des Art. 11 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 11 I EMRK . . . . . . . . . . . . . c) Denkbare Folgen der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Praktische Auswirkungen auf das deutsche Streikrecht . . . . . . . bb) Folgerungen für den kirchlichen Streikausschluss . . . . . . . . . . . d) Einschränkbarkeit des Streikrechts nach Art. 11 II EMRK . . . . . . . . e) Pflicht zur Anpassung des deutschen Arbeitskampfrechts? . . . . . . . aa) Bindungswirkung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übertragbarkeit der Entscheidungen auf die deutsche Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung der Entscheidungen für den nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grenzen völkerrechtsfreundlicher Auslegung . . . . . . . . . . . (2) Anwendung dieser Grundsätze auf den Tarifbezug . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die bestehenden Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung zu Gunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . a) Absoluter Vorrang des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwägung zu Gunsten des Streikausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung zu Gunsten des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Absoluter Vorrang des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwägung zu Gunsten des Streikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung zu Gunsten eines eingeschränkten Streikrechts . . . . . . . . . . . . . a) Keine Erforderlichkeit eines Streikrechts bei Gleichwertigkeit von Drittem Weg und Tarifvertragssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung nach Kern- und Randbereich im Rahmen der Angemessenheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konfliktlösungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiedlicher Rang der kollidierenden Rechte? . . . . . . . . . . . . . aa) Vorrang des Streikrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts? . . . . . . . . . . b) Gleichrangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Ausgangslage der Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechtskollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 178 178 181 185 186 187 187 187 187 190 191 191 195 197 198 199 199 200 201 203 203 203 203 206 207 208 208

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Inhaltsverzeichnis b) Bedenken gegen eine Lösung anhand dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . 3. Prüfansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsunmittelbare Begrenzung der Koalitionsfreiheit . . . . . . . b) Grenze ist das für alle geltende Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung der Schrankenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abwägung der betroffenen Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwägungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Möglichkeit zum Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anforderungen an den Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichartigkeit von Drittem Weg und Tarifvertragssystem erforderlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gleichgewicht aufgrund der Kommissionsbesetzung im Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mechanismus zur Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verbindliche Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Schlichtungsverfahren unter Vorsitz einer neutralen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schlichtungsverfahren mit zwei Vorsitzenden . . . . . . . . (c) Kritik an einem verbindlichen Schlichtungsverfahren und Gegenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Letztentscheidungsrecht des Bischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verbindlichkeit der Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schwierigkeiten bei der Beteiligung von Gewerkschaften . . (2) Mitwirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften an der Regelungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sonstige Betätigungsmöglichkeiten der Gewerkschaften im kirchlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis zu den Anforderungen an den Dritten Weg . . d) Wertungsmäßige Korrektur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung der Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeit zum Systemwechsel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streik im Dritten Weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kollektive Maßnahmen im Dritten Weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Prüfansatz für die Beurteilung der Zulässigkeit derartiger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aktive Mittagspausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Demonstrationen und Protestmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . f) Völkerrechtskonformität eines Streikausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis eines Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 210 210 212 215 220 220 223 224 224 226 229 230 230 233 234 237 240 241 244 244 245 249 250 251 253 253 257 259 260 261 262 266 266

Inhaltsverzeichnis bb) Berücksichtigungspflicht der Entscheidungen zum Beamtenstreik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prüfdichte und Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten . . . dd) Konventionskonformität des Streikausschlusses . . . . . . . . . . . . . (1) Abwägungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Eingriff in den Kernbereich kirchlicher Selbstbestimmung durch ein Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unangemessene Benachteiligung durch Streikausschluss und Dritten Weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Kompensation für den Wegfall von Tarifautonomie und Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Beteiligung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Kein geteiltes Streikrecht und kein Streik im Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen eines unterstellten, vom EGMR festgestellten Konventionsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis zum Streikausschluss im Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zweite Weg der Nordelbischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zweite Weg der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Regelungen des ARGG-EKD zum Zweiten Weg . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übernahme des Tarifvertragssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abweichungen des Zweiten Wegs vom staatlichen Tarifvertragssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründe, die für eine Einordnung der Regelungswerke als Tarifverträge sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarung des Streikausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit einer Vereinbarung über die Friedenspflicht . . . . . . . . . b) Grenzen derartiger Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit des absoluten Streikausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlage des Streikausschlusses und Prüfungsansatz . . . . . . . . . . . b) Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeit zur Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeitskampfsurrogat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vergleich mit dem Dritten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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269 271 274 274 276 276 277 278 279 282 285 288 289 290 290 291 294 295 296 296 296 298 300 300 302 303 305 305 307 307 309 313

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Inhaltsverzeichnis d) Streikausschluss aufgrund der Parität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung und Inhalt des Paritätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . bb) Paritätsstörung durch Streiks? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ist die fehlende Aussperrungsmöglichkeit paritätsrelevant? (2) Führt ein Streikrecht zur Imparität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Aussitzen als Mittel zur Bewahrung der Parität? . . . . . (b) Einsatz von Arbeitnehmern nach dem AÜG . . . . . . . . . (3) Folgen der Imparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis zum Zweiten Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 314 316 316 317 319 321 324 325

§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bei Anwendung des Dritten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bei Anwendung des Zweiten Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

§ 1 Einleitung I. Problemstellung Das Verhältnis von Kirchen und Gewerkschaften zueinander hat sich seit Bestehen der Bundesrepublik verändert. Noch in frühen Jahren konnten beide Institutionen nicht erkennen, dass sie etwas miteinander gemein hätten und standen sich weitgehend ablehnend gegenüber1. Im Laufe der Zeit hat sich dieses Verhältnis etwas entspannt. In Teilen sieht man sich nunmehr als Verbündete, die sogar zusammen für gemeinsame Werte eintreten2. Auch momentan wird gezielt nach Verbindendem gesucht3. Und in der Tat ist auch Gemeinsames vorhanden4: Trotz der unterschiedlichen Wurzeln und Traditionen beider Institutionen, die sich freilich auf die Grundüberzeugungen von Kirchen und Gewerkschaften auswirken, verfolgen sie doch beide Werte und Ziele wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, bessere gesellschaftliche Teilhabe oder stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt5. Dieses mitunter kooperative Verhältnis könnte einer echten Belastungsprobe unterzogen werden. Die Kirchen und besonders die Gewerkschaft ver.di haben tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Rolle der Kirche als Arbeitgeber6. Stein des Anstoßes ist das sogenannte kirchliche Arbeitsrecht, eine Art Sonderarbeitsrecht, das die Kirchen für ihre Mitarbeiter zu Grunde legen. Dieses wollen die Gewerkschaften so nicht mehr akzeptieren. Gegen das kirchliche Arbeitsrecht hat es in der jüngsten Vergangenheit größere gewerkschaftliche

1 v. Nell-Breuning, Gewerkschaftliche Monatshefte 24 (1973), 421 (421); zu den möglichen Gründen des schwierigen Verhältnisses Hengsbach, Gewerkschaftliche Monatshefte 42 (1991), 283 (283–287) sowie Meyer, Gewerkschaftliche Monatshefte 42 (1991), 281 (281 f.). 2 Hierzu und zu gemeinsam durchgeführten Maßnahmen etwa Hengsbach, Gewerkschaftliche Monatshefte 42 (1991), 283 (291–294); Weiser, Gewerkschaftliche Monatshefte 42 (1991), 294 (298 f.). 3 So etwa auf der Tagung „Gewerkschaften und Kirche. Akteure im gesellschaftlichen Wandel“, Tagungsbericht abgedruckt in ZMV 2012, 21 f. 4 Präses Schneider und DGB-Bundesvorsitzender Sommer sehen mehr Gemeinsames als Trennendes, vgl. hierzu ZMV 2012, 21 (22). 5 Vgl. etwa den Tagungsbericht zur Tagung Gewerkschaften und Kirche. Akteure im gesellschaftlichen Wandel, ZMV 2012, 21 (21). 6 Vgl. hierzu auch den Beschluss des DGB-Bundesvorstandes, abrufbar unter http:// www.dgb.de/bw/themen/++co++a767b2fa-f399-11e1-8b78-00188b4dc422; abgerufen am 18.07.2013.

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§ 1 Einleitung

Protestmaßnahmen gegeben, weitere sollen folgen7. Angesichts der heftigen und in scharfem Tonfall geführten Auseinandersetzung erscheint es möglich, dass sich das Verhältnis zueinander ein Stück weit eintrüben könnte. So wird den Kirchen von gewerkschaftlicher Seite mitunter eine vordemokratische Praxis vorgeworfen8. Erklärtes Ziel der Gewerkschaft ver.di ist in diesem Zusammenhang nichts Geringeres als die Beseitigung der Sonderstellung der Kirche als Arbeitgeber, die sie gegenwärtig innehat9. 1. Einordnung und Darstellung des Problems Dass die Kirchen eigenständige Regelungen zur Ordnung der Arbeitsverhältnisse treffen dürfen, wird in der neueren rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum mehr bestritten; erhebliche Uneinigkeit besteht aber in Bezug auf die Reichweite ihrer Regelungsbefugnis10. Juristisch begründen die Kirchen die Befugnis zur Beschreitung ihres Sonderwegs mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, das sich aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV ergibt. Aus dem Recht der Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes die eigenen Angelegenheiten selbstverantwortlich zu regeln, ergibt sich für die Kirchen auch die Befugnis, die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse an die Besonderheiten anzupassen, die sich aus dem Bekenntnis und dem kirchlichen Auftrag ergeben. Dies führt unter anderem dazu, dass die Kirchen ihren Mitarbeitern Vorgaben hinsichtlich der Loyalität auferlegen oder eine private Lebensführung einfordern, die mit dem religiösen Bekenntnis im Einklang steht. Dies wird von der Kirche zur Sicherstellung ihrer Glaubwürdigkeit für notwendig erachtet. Diese kirchlichen Vorgaben sind teilweise recht strikt und schränken mitunter persönliche Freiheiten der Mitarbeiter nicht unerheblich ein: Sofern sich etwa ein von der Kirche beschäftigter Arzt in der Öffentlichkeit gegen kirchliche Auffassungen wendet, indem er beispielsweise das absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in Frage stellt, muss er damit rechnen, entlassen zu werden11. Gleichfalls droht geschiedenen Mitarbeitern der katholischen Kirche, die erneut heiraten, eine Kündigung. Dieses kirchliche Sonderarbeitsrecht findet auch in der medialen Berichterstattung mehr und mehr Beachtung und wird von Teilen der Öffentlichkeit zunehmend in Frage gestellt. Intensive und bundesweite Berichterstattung im Fern7

Vgl. etwa die Fallanalysen bei Lührs, Die Zukunft, S. 185–213. Bsirske, in: Bsirske/Paschke/Schukart-Witsch, Streiks in Gottes Häusern, S. 7 (7). 9 Bsirske, in: Bsirske/Paschke/Schukart-Witsch, Streiks in Gottes Häusern, S. 7 (8). 10 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 66. 11 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (172). 8

I. Problemstellung

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sehen erfolgte beispielsweise anlässlich der Entlassung der Leiterin eines von der katholischen Kirche in Königswinter getragenen Kindergartens12. Sie hatte nach der Trennung von ihrem Ehemann einen neuen Partner gefunden und war deswegen entlassen worden. Gegen diese Kündigung durch die katholische Kirche lief die Elternschaft Sturm. Zwar konnte sie nicht die Rücknahme der Kündigung erreichen. Stattdessen hat sie bewirkt, dass die Kommune, die der katholischen Kirche die Trägerschaft des Kindergartens übertragen hatte, den Vertrag mit der Kirche kündigte. Nunmehr wird der Kindergarten in evangelischer Trägerschaft betrieben und weiterhin von derselben Erzieherin geleitet. Auch Teile der Politik lehnen das kirchliche Sonderarbeitsrecht ab13. Das kirchliche Arbeitsrecht beschränkt sich allerdings nicht nur auf das Individualarbeitsrecht. Auch der kollektive Bereich ist Besonderheiten unterworfen. Aktuell von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage nach einem Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter, das die Kirchen für alle Beschäftigten ausschließen. Hierbei geht es nicht um Ordensleute oder Kirchenbeamte wie Geistliche, sondern um einen Ausschluss des Streikrechts derjenigen Mitarbeiter, die aufgrund eines Arbeitsvertrages angestellt sind, wie beispielsweise Verwaltungsmitarbeiter, Sekretärinnen oder Reinigungskräfte. Die Frage nach der Zulässigkeit des im kirchlichen Dienst bestehenden Streikverbotes ist wohl die umstrittenste Frage des kirchlichen Arbeitsrechts14. Während die Kirchen der Auffassung sind, dass ein Streik nicht zum Wesen des kirchlichen Dienstes passe, und ihn deshalb verbieten, berufen sich die Gewerkschaften auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Daraus leite sich das Recht her, Tarifverträge abzuschließen und diese notfalls auch mit Streiks zu erzwingen. Weil die Kirche tariffähig sei, gelte dies auch für sie. Der Konflikt um Tarifverträge und Streikrecht schwelt schon seit Jahren. Bereits im Jahre 2001 wurde ein Rechtsgutachten, das die Gewerkschaft ÖTV zu dieser Fragestellung in Auftrag gegeben hatte, veröffentlicht, das zu dem Ergebnis gelangt, dass Tarifverträge in kirchlichen Einrichtungen notfalls auch durch Streiks erzwungen werden können15. 2. Relevanz und Aktualität des Problems Die Frage nach der Zulässigkeit des Streikverbotes ist von hoher Aktualität. Nachdem die Kirchen seit Bestehen der Bundesrepublik nicht von Arbeitskämp12 Fernsehbeitrag abrufbar unter http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-do kumentation/die-story-im-ersten-gott-hat-hohe-nebenkosten?documentId=12580180; abgerufen am 03.06.2013; siehe hierzu ebenfalls http://www.kurzebeinekurzewege.de/kin dergarten-koenigswinter/; abgerufen am 03.06.2013. 13 Vgl. etwa den Antrag der Fraktion Die Linke „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“, BT-Drucks. 17/5523. 14 So Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167); Klumpp, KuR 2012, 176 (180). 15 Kühling, AuR 2001, 241–250.

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fen betroffen waren, hat im Jahr 2009 die Gewerkschaft ver.di zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Erstmalig mussten sich deswegen die Arbeitsgerichte mit dieser Frage befassen. Während es in der älteren Rechtslehre nahezu unbestritten war, dass das kirchliche Verbot als wirksam und zulässig anzusehen sei, kommt nunmehr Bewegung in diese Thematik16. In der juristischen Auseinandersetzung wird das absolute Streikverbot nicht mehr so strikt verteidigt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Stellungnahmen divergieren gewaltig und reichen von der prinzipiellen Anerkennung eines Streikrechts17 über Abwägungslösungen, die ein für Teile der Mitarbeiter18 oder ein unter bestimmten Voraussetzungen19 bestehendes Streikrecht annehmen, bis hin zu der auch weiterhin vertretenen Möglichkeit der Kirchen zum vollständigen Streikausschluss20. Zwei im Jahre 2012 erschienene monographische Untersuchungen zu diesem kirchlichen Sonderweg gelangen zu dem Ergebnis, dass der Streikausschluss nicht haltbar sei21. Die mit dieser Frage befassten Gerichte haben ebenfalls einen absoluten Streikausschluss abgelehnt. Während die Landesarbeitsgerichte das absolute Streikverbot für prinzipiell unzulässig hielten22, hat das BAG den kirchlichen Sonderweg jedenfalls im Grundsatz gebilligt und damit den Kirchen die Möglichkeit eröffnet, Streiks unter bestimmten Voraussetzungen vollumfänglich auszuschließen23. Halten die Kirchen diese Voraussetzungen nicht ein, bestehe allerdings ein Arbeitskampfrecht. Gegen diese Entscheidung hat ver.di nunmehr Verfassungsbeschwerde eingelegt24. Auch von kirchlicher Seite wurde auf die BAG-Entscheidungen reagiert: So hat etwa die Evangelische Kirche in Deutschland im Novem-

16 Vgl. auch Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (408); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (995). 17 So z. B. Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167); Däubler, RdA 2003, 204 (209); Kühling, AuR 2001, 241 (245). 18 Strake, Streikrecht, S. 141. 19 So etwa Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Joussen, ZMV, 2012, 2 (3 f.); Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55. 20 So z. B. Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 14 f.; Robbers, Streikrecht, S. 61; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 127. 21 Strake, Martin, Streikrecht in karitativen Einrichtungen der Katholischen und Evangelischen Kirche, Berlin 2012; Wiegelmann, Christian, Zulässigkeit und Grenzen von Arbeitskämpfen in kirchlichen Einrichtungen, Hamburg 2012. 22 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (193); LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 51 (juris). 23 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463); BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (440). 24 So die Pressemitteilung vom 15.04.2013, abrufbar unter http://www.verdi.de/ presse/pressemitteilungen/++co++f0c848ce-a5a0-11e2-b487-52540059119e; abgerufen am 21.07.2013.

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ber 2013 das Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz (ARGG-EKD)25 verabschiedet, das die vom BAG aufgestellten Vorgaben umsetzen soll26. Die Problematik eines Streikausschlusses im kirchlichen Dienst ist keineswegs eine Randfrage. Sie betrifft nach Schätzungen circa 1.400.000 Arbeitnehmer27. Diese enorme Zahl ergibt sich daraus, dass sich das Streikverbot nicht nur an die Mitarbeiter der Kirchen selbst richtet. Auch die in den Einrichtungen der Kirchen Tätigen unterliegen dem kirchlichen Arbeitsrecht und damit auch dem Streikausschluss, weil die Kirchen ihre Regelungsbefugnis auch auf die ihnen zugehörigen Einrichtungen erstrecken. Damit sind die kirchlichen Arbeitgeber zusammengenommen nach dem Öffentlichen Dienst der größte Arbeitgeber28. Auch Mitarbeiter in kirchlich getragenen Krankenhäusern, Pflegediensten, Kindergärten, Schulen und anderen Einrichtungen dürften demnach nicht die Arbeit niederlegen, um bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, sofern der kirchliche Standpunkt zutrifft und sich der Ausschluss als rechtens erweist. 3. Ziel der Monographie und Gang der Untersuchung Die hier vorliegende Abhandlung befasst sich mit der Wirksamkeit des umstrittenen kirchenarbeitsrechtlichen Streikverbots. Ziel dieser Untersuchung ist es, eine Lösung zu der Frage zu entwickeln, ob der Streikausschluss, den die Kirchen ihren Mitarbeitern auferlegen, rechtmäßig ist, oder ob und gegebenenfalls inwieweit ein Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter anzuerkennen ist. Eine sachgerechte Antwort auf diese Fragestellung setzt voraus, dass die hier betroffenen Vorschriften – kirchliches Selbstbestimmungsrecht auf der einen Seite und die Koalitionsfreiheit, aus der sich ein Streikrecht ergibt, auf der anderen Seite – unter Beachtung der diesen Vorschriften zugrundeliegenden Dogmatik sachgerecht ausgelegt werden. Bei den bisher bestehenden Lösungsvorschlägen werden allerdings teilweise bereits die dogmatischen Grundlagen der betroffenen Normen unterschiedlich beurteilt. Dies mag zu einem Teil an der „Spezialität“ der hier zu beantwortenden Fragestellung liegen29. Diese liegt im Schnittpunkt von Arbeitsrecht und Staatskirchenrecht. In der Lehre wird teilweise ein Mangel an „interdisziplinärer Verständigung“ beklagt30. Zu einem guten Teil liegen die Unterschiede hinsichtlich 25 Abrufbar unter http://www.ekd.de/download/s13_x_3_beschluss_argg_2013_end fassung_02_2014.pdf; abgerufen am 05.08.2014; näher zu diesem Gesetz auch unter § 2 III. 3. d) bb) sowie unter § 6 II. 4. c). 26 Vgl. die Einbringung zum Kirchengesetz, S. 1, abrufbar unter http://www.ekd.de/ download/s13_x_2_einbringung_kg_argg_ekd_winterhoff.pdf; abgerufen am 06.08.2014. 27 So etwa Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 8. 28 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 142. 29 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 51. 30 Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (355); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1001).

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der Einordnung aber sicher auch an grundlegend unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu diesem Thema. Die unterschiedlichen dogmatischen Ansichten zu den betroffenen Bestimmungen bleiben freilich nicht ohne Folge für die Auslegung der Normen und damit in letzter Konsequenz auch für das Ergebnis zu der hier zu untersuchenden Fragestellung selbst. So wird etwa die Frage unterschiedlich beurteilt, ob das Selbstbestimmungsrecht einen rein objektiven Charakter hat, oder ob es ein Freiheitsrecht ist. Die Einordnung ist wichtig, weil in letzterem Falle Eigenverständnisse bei der Auslegung zu berücksichtigen sind. Sofern ein freiheitsrechtlicher Charakter anzunehmen ist, ist es ferner umstritten, ob das Selbstbestimmungsrecht auch formell als Grundrecht zu verstehen ist. Von der Antwort auf diese Frage hängt allerdings ab, wie die Ausgleichsmethode mit kollidierenden Grundrechten auszugestalten ist31. Auch in Bezug auf das „Gegengewicht“ bestehen unterschiedliche Ansätze und Auffassungen. Strittig ist vor allem die Reichweite des Streikrechts32. Ist das Streikrecht streng funktional auf die Tarifautonomie bezogen oder darf innerhalb des gesamten Koalitionszwecks gestreikt werden? Oder besteht sogar ein eigenständiges Grundrecht auf Streik? Wäre etwa letzteres der Fall, so würden die Kirchen mit ihrem Streikverbot ein Grundrecht vollständig ausschließen. Dies wäre ein sehr intensiver Grundrechtseingriff. Ein weniger schwerwiegender Eingriff wäre hingegen anzunehmen, wenn nur ein Recht auf koalitionsspezifische Betätigung anerkannt wäre. Ein solches Recht ist weiter gefasst und beinhaltet mehrere Verhaltensweisen, zu denen ohnehin dann nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Streikrecht zu zählen ist. Wird der Streik ausgeschlossen, so hat dies noch keine Folgen für die sonstigen grundrechtlich geschützten Betätigungsmöglichkeiten. Diese Eingriffsintensität ist wiederum bedeutsam im Hinblick auf die Rechtfertigungsbedürftigkeit und -möglichkeit der kirchlichen Regelung. Diese Fragestellungen zeigen, dass hier zunächst die Dogmatik der betroffenen Vorschriften – soweit dies für die Frage nach dem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen von Relevanz ist – untersucht werden muss, um dann auf der Basis der gefundenen Ergebnisse Aussagen hinsichtlich der inhaltlichen Gewährleistungen der Normen treffen zu können. Anschließend kann das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander bestimmt und eine „Kollisionsregel“ entwickelt werden, anhand derer schließlich die Frage nach der Zulässigkeit des Streikausschlusses beantwortet werden kann. Immer wichtiger wird auch in diesem Zusammenhang die europäische Dimension. Denn auch von Seiten der internationalen Akteure kommen neue Impulse auf die deutsche Rechtsordnung zu. In diesem Zusammenhang kommt insbeson-

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Zu diesen Fragestellungen siehe § 2 I. und III. Zu alledem unter § 4 II.

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dere der EMRK Bedeutung zu. Der EGMR, der die EMRK verbindlich auslegt, hat einerseits ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen als von der EMRK erfasst angesehen, das im Prinzip auch die Befugnis zur Regelung eines kirchlichen Dienstrechts einschließt. Andererseits hat er aber auch eine von der katholischen Kirche in Deutschland ausgesprochene Kündigung wegen Ehebruchs für konventionswidrig erklärt33. Ferner hat der EGMR inzwischen ein konventionsrechtliches Streikrecht festgestellt und dieses dem Grunde nach auch auf Beamte erstreckt. Insofern ergeben sich möglicherweise aus der EMRK Gesichtspunkte, die bei der Beantwortung der Frage nach einem Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter zu berücksichtigen sind34. Aber auch das Unionsrecht kommt als Triebkraft für neue Entwicklungen in diesem Bereich in Betracht. So sind mit dem Vertrag von Lissabon auch die Grundrechte aus der Grundrechtecharta verbindliches Unionsrecht geworden, aus deren Art. 28 sich nunmehr ausdrücklich ein Streikrecht ergibt. Auch wird mit dem vollzogenen Beitritt der Union zur EMRK die Menschenrechtskonvention unionsrechtlich verbindlich. Denkbar ist insofern, dass der EuGH die entsprechende Rechtsprechung rezipieren könnte. Unionsrechtliche Entwicklungen sind rechtspraktisch vor allem deswegen so bedeutsam, weil Unionsrecht einen Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht einschließlich des Verfassungsrechts genießt35. Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Stellungnahmen beschränken sich zumeist auf die Untersuchung der rein innerstaatlichen Rechtslage. Auch das BAG stellt lediglich fest, dass sich ein Streikausschluss mit europarechtlichen oder völkerrechtlichen Vorgaben vereinbaren lasse36. Dies begründet es allerdings nicht mit einer ausführlichen inhaltlichen Untersuchung. Das BAG führt im Wesentlichen aus, dass Urteile des EGMR zum konventionsrechtlichen Streikrecht nicht eins zu eins auf den vorliegenden Fall übertragbar seien und die Methode zum Ausgleich konfligierender Konventionsrechte keine anderen Anforderungen stelle als die vom BAG vorgenommene Güterabwägung. Aufgrund der vorgenannten europäischen Entwicklungen erscheint es allerdings notwendig – neben der unbestreitbar erforderlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Rechtslage – auch inhaltlich zu untersuchen, ob sich aus den soeben angesprochenen Entwicklungen im Bereich der EMRK oder der EU Gesichtspunkte ergeben, die bei der Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit des kirchlichen Streikausschlusses zu berücksichtigen sind37. Auch dies herauszustellen, ist ein Ziel dieser Arbeit. 33

EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560-571 – Schüth/BRD. Zutreffend Reichold, NZA 2013, 585 (588). 35 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (301 f.). 36 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464 f.). 37 Hierzu auch Czycholl, Anm. zu EzA Nr. 148 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 78. 34

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§ 1 Einleitung

II. Die Praxis der Kirchen bei der Regelung von Arbeitsbedingungen Die Antwort auf die Frage nach dem Streikausschluss für kirchlich Beschäftigte hängt wesentlich davon ab, wie die Kirchen die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter festlegen38. Aus diesem Grund kann die Beurteilung der Zulässigkeit des kirchlichen Streikverbotes nicht isoliert erfolgen, sondern muss sich auf die jeweilige Art und Weise, wie die Arbeitsbedingungen geregelt werden, beziehen. 1. Die Möglichkeiten zur Regelung von Arbeitsbedingungen Um Arbeitsbedingungen der Beschäftigten festzulegen, bestehen drei Möglichkeiten, die den Kirchen im Prinzip zur Verfügung stehen. Man spricht insoweit von einer Regelung der Arbeitsbedingungen auf dem Ersten, Zweiten oder Dritten Weg. Diese drei Wege werden wie folgt unterschieden: a) Regelung im Rahmen des Ersten Weges Die Regelung von Arbeitsbedingungen durch das Verfahren des sogenannten Ersten Weges erfolgt typischerweise durch Kirchengesetz oder Rechtsverordnung39. Eine echte Mitbestimmung der Dienstnehmer findet hierbei nicht statt. Die Beschäftigungsbedingungen werden vielmehr durch den Dienstgeber vorgegeben40. Teilweise können die Dienstnehmer zwar in dem für die Festlegung der Bedingungen zuständigen Gremium mitwirken. Allerdings beschränken sich die Mitwirkungsrechte der Beschäftigten auf die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen41. Wird der Erste Weg beschritten, bestimmt damit die Kirchenleitung einseitig die Arbeitsbedingungen. Der Erste Weg ist dem Verfahren bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen von Beamten ähnlich. b) Regelung im Rahmen des Zweiten Weges Unter dem Zweiten Weg ist die Regelung der Arbeitsbedingungen im Rahmen des Tarifvertragssystems zu verstehen42. Regelungen hinsichtlich Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen werden also durch Tarifverträge im Sinne des TVG festgelegt. Diese handelt die Arbeitgeberseite mit den 38

Richtig auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 3. Zum sogenannten Ersten Weg etwa Schlaich, JZ 1980, 209 (210). 40 Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 11. 41 Siehe die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 4. 42 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel, Arbeits- und Tarifrecht, Zweiter Weg, Rn. 1 f. 39

II. Die Praxis der Kirchen bei der Regelung von Arbeitsbedingungen

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Gewerkschaften aus. Die Tarifverträge legen mit normativer Wirkung die Arbeitsbedingungen der tarifgebundenen Beschäftigten fest. Für alle anderen Beschäftigten wird in der Regel arbeitsvertraglich eine Inbezugnahme der einschlägigen Tarifverträge vereinbart, so dass die Tarifverträge auf diese Weise auch für nicht- oder andersorganisierte Arbeitnehmer gelten. c) Regelung im Rahmen des Dritten Weges Sofern die Regelung der Arbeitsbedingungen auf dem Dritten Weg erfolgt, bestimmen Arbeitsvertragsrichtlinien die Bedingungen, unter denen im kirchlichen Dienst gearbeitet wird. Hierzu handeln paritätisch mit Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern besetzte Kommissionen Regelungen in Bezug auf Inhalt, Abschluss und Beendigung von Dienstverhältnissen aus43. Sofern in den Verhandlungen keine Einigung über die Arbeitsbedingungen erzielt werden kann, kommt es nicht zu Arbeitskämpfen. Uneinigkeiten werden hier durch ein Schlichtungsverfahren ausgeräumt. In diesem Schlichtungsverfahren entscheidet ein Schlichtungsausschuss, der wiederum paritätisch besetzt ist und zusätzlich aus einem neutralen Vorsitzenden besteht, über die strittige Frage44. Dieser sogenannte Dritte Weg soll insbesondere mit dem Ausschluss von Arbeitskampfmaßnahmen den Besonderheiten des kirchlichen Dienstes Rechnung tragen und gleichzeitig den Arbeitnehmern echte Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumen. Der Dritte Weg ist der spezifisch kirchliche Modus zur Festlegung der Arbeitsbedingungen. 2. Gebrauch der dargestellten Möglichkeiten durch die Kirchen Der Erste Weg wird zur Regelung der Arbeitsbedingungen von beiden Kirchen nicht mehr angewendet45. Ob der Zweite oder Dritte Weg zur Anwendung kommt, ist in der evangelischen und der katholischen Kirche partiell unterschiedlich. Die Grundlage für die Arbeitsrechtsregelung der katholischen Kirche ist die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse46. Sie hält nach § 7 I GrO den Dritten Weg für die dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechende Regelungsmethode. Dahinter steht die Vorstellung, dass jede Arbeitsleistung zugleich einen Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrages darstellt, den alle in der Kirche Tätigen gemeinsam verwirk43 Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 4. 44 Siehe hierzu etwa Schlaich, JZ 1980, 209 (211). 45 Hierzu auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 1. 46 Abrufbar unter http://www.caritas.de/cms/contents/caritasde/medien/dokumente/ dcv-zentrale/arbeits-undtarifrech/grundordnungdeskirch/grundordnung%20des%20kirch lichen%20dienstes.pdf; abgerufen am 05.08.2014.

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§ 1 Einleitung

lichen47. Nach § 7 II GrO widerspricht demgegenüber der Abschluss von Tarifverträgen mit Gewerkschaften den Eigenarten des kirchlichen Dienstes, ebenso die Austragung von Arbeitskämpfen. Die katholische Kirche beschreitet bereits seit Dezember 1977 den Dritten Weg48. Er ist nach § 2 I GrO nicht nur für die Regelung der Arbeitsverhältnisse in den Diözesen, Gemeinden und Gemeindeverbänden der verbindliche Modus. Der Dritte Weg wird auch für die Regelung der Arbeitsverhältnisse in den Einrichtungen der katholischen Kirche zugrunde gelegt, nämlich für Diözesancaritasverbände und deren Gliederungen, soweit sie öffentliche juristische Personen des kanonischen Rechts sind, für die sonstigen dem Diözesanbischof unterstellten öffentlichen juristischen Personen des kanonischen Rechts sowie für die sonstigen kirchlichen Rechtsträger, die der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt unterliegen und deren Einrichtungen. Die Verfahrensvorschriften zur Regelung der Arbeitsbedingungen, also diejenigen Normen, die die konkrete Ausgestaltung des Dritten Weges betreffen, sind allerdings nicht für die gesamte katholische Kirche einheitlich geregelt. Das eigentliche Arbeitsrechtssetzungsverfahren findet auf Grundlage der Vorschriften über die Kommissionen zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts (KODA), die entweder für einzelne Bistümer oder bistumsübergreifend gelten, statt49. Einen einheitlichen Dritten Weg gibt es mithin nicht. Etwas weniger einheitlich sind die Regelungsmodi der evangelischen Kirchen. Bereits im Jahr 1959 hat sich eine theologische Kommission der EKD gegen den Ersten Weg, also gegen die einseitige Festlegung der Arbeitsbedingungen, gewandt50. Die EKD hält diesen Regelungsmodus für nicht vereinbar mit der Stellung der Mitarbeiter der Kirchen51. Der Rat der EKD hat im Jahre 1976 einen Musterentwurf eines Arbeitsrechtsregelungsgesetzes (ARRG) zur Regelung der Arbeitsverhältnisse kirchlich Bediensteter auf dem Dritten Weg vorgelegt und den Mitgliedskirchen empfohlen, für die Regelung der Beschäftigungsbedingungen den Dritten Weg zugrunde zu legen52. Auch dieser Entscheidung liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die Mitarbeit im kirchlichen Dienst Dienstcharakter hat, der auf die Erfüllung des kirchlichen Auftrages gerichtet ist. Hiermit würden sich jedoch der Abschluss von Tarifverträgen und deren kampfweise Durchsetzung nicht vertragen53. 47

Zutreffend Joussen, in: EssGespr. 2012, 53 (74); hierzu näher auch unten, § 2 III.

3. d). 48

Vgl. hierzu van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 5 f. Zum Ganzen van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 10–16. 50 Schlaich, JZ 1980, 209 (211). 51 Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 4. 52 Vgl. hierzu van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 17 f. 53 Hierzu auch die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 13; Schlaich, JZ 1980, 209 (211). 49

II. Die Praxis der Kirchen bei der Regelung von Arbeitsbedingungen

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Die meisten Landeskirchen sind dieser Empfehlung gefolgt und wenden den Dritten Weg zur Regelung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter und die der Mitarbeiter der Einrichtungen der evangelischen Kirche an. Sie haben hierzu jeweils eigene Arbeitsrechtsregelungsgesetze erlassen, die sich partiell unterscheiden. Damit gibt es auch im Bereich der evangelischen Kirche nicht „den einen“ Dritten Weg. Zwei Landeskirchen sind der Empfehlung des Rates der EKD nicht gefolgt und wenden dem Grunde nach das Tarifsystem an. Die ehemalige Nordelbische Kirche, jetzt Nordkirche, sowie die Evangelische Kirche-Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz regeln die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter auf dem Zweiten Weg, also durch Tarifverträge, die sie mit den Gewerkschaften abschließen. Dabei findet jedoch das staatliche System nicht in Reinform Anwendung. Denn auch diese Landeskirchen legen die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes zu Grunde, mit denen sich ein Arbeitskampf nicht verträgt. Deshalb ist auch hier ein Streik ausgeschlossen und durch ein Schlichtungsverfahren ersetzt worden54. Insofern geht es hier um ein kirchengemäß modifiziertes Tarifsystem. Im Mai 2013 haben darüber hinaus ver.di, Marburger Bund und die Diakonie in Niedersachsen vereinbart, künftig miteinander Tarifverträge zu schließen55. Die Synode der EKD hat am 13.11.2013 das ARGG-EKD56 beschlossen. Durch dieses Kirchengesetz wurden der Dritte Weg und der kirchengemäße Zweite Weg als gleichwertige Regelungsmodi nebeneinandergestellt57. Damit muss untersucht werden, ob durch den kirchentypischen Dritten Weg ein Streikausschluss zulässig ist. Danach ist zu klären, was bei Zugrundelegung des Zweiten Weges gilt. Zuvor müssen jedoch die betroffenen Rechtsgrundlagen in dem oben dargelegten Sinne untersucht werden.

54

Hierzu näher unter § 7. Siehe hierzu auch die Mitteilung von ver.di unter http://www.verdi.de/themen/ nachrichten/++co++3b89eb88-c379-11e2-aa37-52540059119e; abgerufen am 21.07.2013. 56 Näher zum ARGG-EKD unter § 2 III. 3. d) bb). 57 Vgl. die Einbringung zum Kirchengesetz, S. 2, 4. 55

§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV Das Grundgesetz garantiert das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ausdrücklich durch Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV. Art. 140 GG verweist auf die Kirchenartikel aus der Weimarer Reichsverfassung und erklärt sie zu Bestandteilen des Grundgesetzes. Die Kirchenartikel sind damit inkorporiertes Verfassungsrecht. Aus dieser ungewöhnlichen Gesetzgebungstechnik, die das Ergebnis eines Kompromisses des verfassungsgebenden Parlamentarischen Rates darstellt1, ergibt sich jedoch nicht, dass die Kirchenrechtsartikel einen niedrigeren Rang haben als die übrigen grundgesetzlichen Bestimmungen; sie sind vielmehr vollwertiges Verfassungsrecht2. Als Bestandteil des Grundgesetzes bilden sie mit diesem ein „organisches Ganzes“ 3.

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts Gemäß Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV haben Religionsgesellschaften das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Was dies genau bedeutet, ist im Detail strittig. Bevor das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Hinblick darauf ausgelegt werden kann, ob es den Kirchen die Befugnis einräumt, ein Streikrecht ihrer Mitarbeiter auszuschließen, muss das Verhältnis des Selbstbestimmungsrechts zu den Gewährleistungen der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I und II GG näher untersucht werden. Dies ist deswegen notwendig, weil prinzipiell auch die Glaubensfreiheit als Ermächtigungsgrundlage für das Streikverbot, das die Kirchen ihren Mitarbeitern auferlegen, in Betracht kommt. In der Lehre wird teilweise angenommen, dass die von Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV erfassten Gewährleistungen voll-

1 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG v. Doemming/Füsslein/Matz, JÖR 1951, 1 (899–907); ferner Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 522; Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, S. 11; Zippelius, Staat und Kirche, S. 176. 2 St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvR 413/60, BVerfGE 19, 206 (219), vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/ 84, BVerfGE 70, 138 (167). 3 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06. 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167).

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts

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umfänglich durch Art. 4 I und II GG geschützt seien4. Sofern dies zuträfe und Art. 4 GG vorrangig anzuwenden wäre, wäre Art. 4 I, II GG die zu untersuchende Ermächtigungsnorm. In diesem Falle würde allerdings eine umfassende Auslegung des Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV obsolet5. Welche Norm als Ermächtigung für den Erlass des Streikausschlusses in Betracht kommt, könnte sich möglicherweise auch auf das Ergebnis der Untersuchung auswirken. Das Selbstbestimmungsrecht und die Glaubensfreiheit sehen nämlich unterschiedliche Beschränkungsmöglichkeiten vor. Die Verhältnisbestimmung von Art. 4 I, II GG zu Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV dient folglich der Ermittlung der Ermächtigungsrundlage, die für den von den Kirchen festgelegten Streikausschluss in Betracht kommt. 1. Verhältnis des Selbstbestimmungsrechts zu den Gewährleistungen der Glaubensfreiheit a) Herleitung eines Rechts auf Selbstbestimmung aus der Glaubensfreiheit Die Glaubensfreiheit ergibt sich aus Art. 4 I und II GG, die als einheitliches Grundrecht verstanden werden6. Sie hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und erweist sich als eine besondere Ausprägung derselben; hieraus ergibt ein besonderer Stellenwert der Glaubensfreiheit7. Die Glaubensfreiheit gewährt die individuelle Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, die Freiheit, den Glauben zu bekennen und zu verbreiten, sowie die Freiheit, sein gesamtes Verhalten nach der Glaubenslehre auszurichten8. Eine für jeden Glauben und jedes religiöse Bekenntnis zentrale Gewährleistung ist die Freiheit der Glaubens- bzw. Religionsausübung9. Dieser Begriff ist weit auszulegen und dessen Inhalt ist maßgeblich anhand des Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers zu bestimmen10. In erster Linie ist die Glaubensfreiheit ein Abwehrrecht gegen staatliche Beeinträchtigungen und damit ein subjektives Recht. Die sich ebenfalls aus Art. 4 I, II GG

4 Vgl. Hahn, Mitbestimmung, S. 39; Listl, Religionsfreiheit, S. 369, 372–374; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 45; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 152. 5 Vgl. auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 181 f. 6 BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (245 f.). 7 Hierzu BVerfG, Beschl. v. 19.10.1971 – 1 BvR 387/65, BVerfGE 32, 98 (106); BVerfG, Beschl. v. 11.04.1972 – 2 BvR 75/71, BVerfGE 33, 23 (28); vgl. auch BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282 (305); hierzu auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 4; Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 21, 112; v. Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit, S. 224. 8 Vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968, 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (245); BVerfG 19.10.1971, 1 BvR 387/65, BVerfGE 32, 98 (116). 9 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (246). 10 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (246–248).

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

ergebende staatliche Neutralität ist hingegen als institutionelle Garantie anzusehen11. Mithin ist auch eine objektiv-rechtliche Ausrichtung von Art. 4 GG anerkannt12. aa) Kollektive Glaubensfreiheit Zwar weisen die Gewährleistungen des Art. 4 GG als Grundrecht einen „personalen Grundbezug“ auf13. Geschützt wird durch Art. 4 GG aber auch eine kollektive Freiheit14. Die Einbeziehung der religiösen Vereinigungen ergibt sich aus der Freiheit der Religionsausübung15. So sind beispielsweise das gemeinsame Abendmahl oder das Feiern eines Gottesdienstes wichtige Bestandteile der Religionsausübung im christlichen Bekenntnis. Daher gewährt die kollektive Glaubensfreiheit den Vereinigungen ein Bestands- und Betätigungsrecht16. Inhaber des Rechts der kollektiven Glaubensfreiheit sind die Religionsgemeinschaften sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch deren Einrichtungen17. Das Recht der kollektiven Glaubensfreiheit schützt damit das Recht zum organisatorischen Zusammenschluss „zum Zwecke des gemeinsamen öffentlichen Bekenntnisses, insbesondere die Freiheit der Kirchen in ihrer historisch gewordenen Gestalt zum Bekenntnis gemäß ihrem Auftrag.“ 18 Geschützt werden insofern letztlich alle Verhaltensweisen der Vereinigung, soweit sie unter die Glaubensfreiheit subsumiert werden können19. Was nach der Glaubenslehre der kollektiven Religionsausübung zugehörig ist, bestimmt sich maßgeblich anhand des Selbstverständnisses der Korporation20. Insbesondere ist der Dienst am Mitmenschen, also karitatives bzw. diakonisches Wirken, eine wichtige Ausprägung der Ausübung des christlichen Glaubens, so dass diese Tätigkeiten unter den Schutz der Glaubensfreiheit fallen21.

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Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 524; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 161. Vgl. Couzinet/Weiss, ZevKR 54 (2009), 34 (47); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 4; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 145–154. 13 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 117; vgl. auch Oswald, Streikrecht, S. 91. 14 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (322 f.). 15 Vgl. Oswald, Streikrecht, S. 91; so auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 7. 16 Vgl. Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (421); Oswald, Streikrecht, S. 91 f.; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 7. 17 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (246 f.). 18 BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (323). 19 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 14. 20 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (247 f.); vgl. auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 113; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 48. 21 Mückl, in: HStR VII, § 160, Rn. 51. 12

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts

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bb) Recht auf Selbstbestimmung Damit ist fraglich, wie weit das Recht der korporativen Religionsfreiheit genau reicht. Zur Effektivierung der grundrechtlich geschützten kollektiven Religionsfreiheit erscheint es konstruktiv möglich, aus dem Betätigungsrecht ein weitreichendes Selbstbestimmungsrecht der Glaubensvereinigungen herzuleiten, das die Freiheit beinhaltet, die eigenen Angelegenheiten selbstständig und nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten regeln zu können. Diese extensive Interpretation der Glaubensfreiheit ist keinesfalls fernliegend. Sie entspricht beispielsweise der Herleitung eines Selbstbestimmungsrechts aus der Glaubensfreiheit nach Art. 9 EMRK durch den EGMR22. Daher stellt sich die Frage, ob ein derart weitreichendes Selbstbestimmungsrecht, das sich bereits ausdrücklich aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV ergibt, aus der Glaubensfreiheit hergeleitet werden kann. Dies wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt: b) Reichweite dieses Rechts auf Selbstbestimmung aa) Der Meinungsstand Vor allem von Listl wurde die Auffassung vertreten, dass das Grundrecht der Religionsfreiheit auch die Materien umfasse, die durch das Selbstbestimmungsrecht geschützt seien23. Art. 137 III 1 WRV sei nur eine Ausprägung „des zu voller Tragweite aktualisierten Grundrechts der Religionsfreiheit“ 24. Denn die Religionsfreiheit sei nur umfassend, wenn neben der kollektiven Religionsausübung auch das Recht der Religionsgesellschaften gewährt sei, die eigene Organisation, Normsetzung und Verwaltung frei von staatlicher Einflussnahme durchzuführen25. Art. 4 I und II GG seien ferner gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 III 1 WRV spezieller. Insofern habe Art. 137 III WRV nur eine deklaratorische Bedeutung26. Ebenfalls in diese Richtung gehend wird teilweise eine Schutzbereichsüberdeckung von Art. 140 GG i.V. m. 137 III WRV und Art. 4 I, II GG angenommen27. Die Religionsfreiheit erfasse also die Belange, die über Art. 137 III 1 WRV geschützt seien, tatbestandlich auch. Dies wird teilweise mit der Schutz22

Hierzu ausführlich unter § 3 II. Listl, Religionsfreiheit, S. 369, 372–374; ebenso Hahn, Mitbestimmung, S. 39. 24 Listl, Religionsfreiheit, S. 369. 25 Hahn, Mitbestimmung, S. 39. 26 Listl, Religionsfreiheit, S. 369. 27 Lücke, EuGRZ 1995, 651 (653 f.); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 109; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 45; Schlief, in: FS Geiger 1989, S. 704 (719); Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 152. 23

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

pflichtendimension des Art. 4 I und II GG begründet28: Die Glaubensfreiheit verpflichte den Staat dazu, die Möglichkeit der Religionsausübung zu gewährleisten. Hierzu gehöre auch, dass sich die Korporationen selbst organisieren können, und umfasse daher auch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften29. Allerdings wird nach dieser Ansicht das Verhältnis von Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV anders als von Listl beurteilt: Sofern das Selbstbestimmungsrecht tatbestandlich betroffen sei, kämen die spezielleren Schranken des Art. 137 III 1 WRV zur Anwendung30. Indem die besonderen Schranken des Art. 137 III 1 WRV für den Bereich des Ordnens und Verwaltens eigener Angelegenheiten zur Anwendung kämen, sei eine Schrankenspezialität anzunehmen, so dass Art. 137 III 1 WRV eine eigenständige Bedeutung habe und nicht nur deklaratorischer Natur sei31. Die Anwendung dieser Schranken sei deshalb angezeigt, weil es hier nicht mehr um die religiöse Betätigung des Einzelnen gehe, sondern um organisatorische Tätigkeiten der Gemeinschaften32. Diese könnten stärker als die individuellen, religiösen Betätigungen eingeschränkt werden, da es bei diesen Handlungen nicht mehr unmittelbar um die Ausübung von Religionsfreiheit durch das Individuum gehe33. Teilweise wird die Annahme einer vollständigen Überdeckung der Schutzbereiche als zu weitgehend abgelehnt. Zwar bestehe ein besonderes Näheverhältnis zwischen Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht und beide Gewährleistungen würden sich gegenseitig ergänzen; gleichwohl seien sie nicht deckungsgleich34. Art. 4 GG schütze wegen der gebotenen weiten Auslegung der Glaubensfreiheit auch die Korporationen selbst35. Der Schutz kirchlicher Selbstbestimmung sei aber nur im Kernbereich von der Religionsfreiheit erfasst, so dass auch nur insoweit Überschneidungen von Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht gegeben seien36. Für die Abgrenzung, ob eine Handlung zur Reli28

Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 4 Rn. 104 f., § 6 Rn. 152. Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 4 Rn. 104, § 6 Rn. 152. 30 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 109 f.; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 45; Schlief, in: FS Geiger 1989, S. 704 (719); ähnlich Lücke, EuGRZ 1995, 651 (654), der die Schranken des Art. 137 III 1 WRV nur auf den Randbereich kirchlichen Wirkens anwenden will. 31 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 109; Schlief, in: FS Geiger 1989, S. 704 (719); Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 152 sieht Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV insgesamt als spezieller und vorrangig an. 32 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 110; zustimmend auch Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 152. 33 Vgl. auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 110. 34 So etwa Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (481); Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 171; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 526; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9, Rn. 174–176; Jurina, Rechtsstatus, S. 56; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 9; Waldhoff, in: GS Heinze, S. 994 (1002). 35 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100. 29

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts

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gionsfreiheit oder zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gehöre, sei maßgeblich, ob sie zum religiösen Kern gehöre. Diesen „geistlichen Kern der Selbstbestimmung der Kirchen und Religionsgemeinschaften“ erfasse die Glaubensfreiheit37. Art. 4 I, II GG schütze mit anderen Worten die Religionsausübung der Religionsgesellschaften38. Das, was „sichtbarer Vollzug des Glaubens“ sei und in Erfüllung des Auftrags der Kirchen erfolge, sei mithin vom Schutz des Art. 4 GG erfasst39. Das Selbstbestimmungsrecht komplettiere hingegen diese „Sicherung religiöser Freiheit als notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung“ hinzufüge.40 Tätigkeiten, die die kollektive Religionsausübung lediglich vorbereiteten und unterstützten, also auch solche, die Organisation und Verwaltung beträfen, unterfielen demnach Art. 137 III 1 WRV und seien nur durch das Selbstbestimmungsrecht geschützt41. Das BVerfG hat bisher nicht ausdrücklich Stellung genommen zu dem Verhältnis von Art. 137 WRV zu Art. 4 GG42. Mehrfach hat es ausgeführt, das Selbstbestimmungsrecht diene der Sicherung religiöser Freiheit als „notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt.“ 43 Das Wort „hinzufügt“ könnte dafür sprechen, dass das BVerfG eine eigenständige Regelung mit eigenständigem Schutzgegenstand in Art. 137 III 1 WRV sieht44. Andererseits führt 36 Vgl. Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 176; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 182 f. 37 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525; so auch Scheuner, in: HdbStKirchR I, 1974, S. 79. 38 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; Isak, Selbstverständnis, S. 203; so auch v. Campenhausen, in: HStR VII, §157, Rn. 125. 39 Vgl. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; Isak, Selbstverständnis, S. 202; so auch Winter, Staatskirchenrecht, S. 170. 40 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525 f. unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (289) m.w. N.; so auch Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 80; Winter, Staatskirchenrecht, S. 170. 41 Vgl. Isak, Selbstverständnis, S. 202; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 176; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 42 Vgl. Isensee, in: HdbStKirchR II, S. 725. 43 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401); BVerfG, Beschl. v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (244); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (20); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (289). 44 So auch Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 80; vgl. auch v. Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn. 125.

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

das Gericht an anderer Stelle aus, Art. 137 III 1 WRV sei funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung der Religionsfreiheit angelegt45. Dies wird teilweise als Anhaltspunkt dafür angesehen, dass das BVerfG von einer Schutzbereichsüberdeckung ausgehen könnte46. bb) Stellungnahme und Ergebnis (1) Die Einheit der Verfassung als Ausgangspunkt „Vornehmstes Interpretationsprinzip“ bei der Auslegung von Verfassungsnormen ist der Grundsatz der Einheit der Verfassung47. Verfassungsnormen sind nach diesem Grundsatz möglichst so zu interpretieren, dass jede Norm eine eigenständige Bedeutung hat48. Hieraus ergeben sich allerdings Bedenken gegen den Ansatz Listls, nach dem Art. 137 III 1 WRV nur eine deklaratorische Bedeutung habe. Insoweit kann nicht angenommen werden, dass der Garantiebereich von Art. 137 III 1 WRV vollumfänglich von Art. 4 GG abgedeckt ist, wenn nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung die Möglichkeit besteht, in beiden Vorschriften eigenständige Gewährleistungen zu sehen49. Richtig ist aber, dass die Rechte in einem sehr engen Zusammenhang zueinander stehen, weil das Selbstbestimmungsrecht funktional auf Inanspruchnahme der Glaubensfreiheit angelegt ist. Das Selbstbestimmungsrecht soll die Kirchen in die Lage versetzen, dass diese als organisatorische Einheit die Religionsfreiheit ausüben können50. Damit geht es bei der Abgrenzung um ein „Problem der sachlichen Reichweite beider Garantien“ 51. Zu bestimmen ist nun, wie die Grenzziehung ausgestaltet ist. (2) Keine sich vollständig überdeckenden Regelungsgegenstände von Art. 4 I, II GG und Art. 140 GG i.V. m. 137 III 1 WRV Gegen eine Zuordnung einer Handlung zu Art. 4 GG oder Art. 137 III WRV, je nachdem, ob der Kern- oder Randbereich der Selbstbestimmung betroffen ist, spricht zwar, dass diese Abgrenzung nicht trennscharf ist. Dies wird auch von den Vertretern einer solchen Grenzziehung zugestanden52. Eine genaue Bestimmung, welche Handlungen gerade noch zum Kern zu zählen sind und welche 45 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (322); BVerfG, Urt. v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (387). 46 So wohl Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn.152. 47 BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvR 413/60, BVerfGE 19, 206 (220). 48 Vgl. nur Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525. 49 Richtig Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525. 50 Hierzu ausführlich solgleich unter § 2 I. 2. 51 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525. 52 Vgl. Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 526; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 182.

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts

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Tätigkeiten nur unterstützenden Zwecken dienen und deshalb schon zum Randbereich gehören, kann im Einzelfall problematisch sein. Allerdings kann nicht allein deswegen, weil eine Abgrenzung im Einzelfall praktische Schwierigkeiten bereiten mag, von einer Schutzbereichsüberdeckung der Gewährleistungen ausgegangen werden53. Der Schutzbereich des Art. 137 III WRV muss tatsächlich von dem des Art. 4 GG erfasst sein, wenn eine Schutzbereichsüberdeckung angenommen werden soll. Auch muss die Abgrenzung ohnehin vorgenommen werden, sofern nur eine Schutzbereichsüberdeckung angenommen wird und die spezielle Schrankenbestimmung des Art. 137 III 1 WRV angewendet werden soll. Gegen die Annahme einer Schutzbereichsüberdeckung spricht allerdings zunächst der Wortlaut beider Vorschriften54. Während es bei Art. 4 GG um Glaubens-, Bekenntnis- und Kultusfreiheit geht, legt Art. 137 III WRV die Kompetenz der Kirchen fest, ihre Angelegenheiten anhand eigener Maßstäbe legislativ und administrativ erledigen zu können55. Hiervon ausgehend erscheint es naheliegend, dass zunächst nur diejenigen kollektiven Tätigkeiten, die unmittelbare Glaubensausübung, also „sichtbarer Vollzug des Glaubens“ sind, durch Art. 4 GG geschützt sind56. Weil ein Selbstbestimmungsrecht für die Religionsausübung notwendig und unerlässlich ist57, kann es jedenfalls im Kern als durch Art. 4 GG mitgeschützt angesehen werden, so dass insoweit Überschneidungen beider Normen vorliegen58. Tätigkeiten wie Organisation, Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten weisen allerdings nur einen mittelbaren Bezug zur Religionsausübung auf59. So wird die kirchliche Buchhaltung oder die Verwaltung eines Grundstücks auch nach dem natürlichen Sprachempfinden nur schwerlich dem Glaubensbekenntnis oder der Glaubensausübung zugerechnet werden können. Derartige Wirkungsbereiche der Kirchen schützt ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 III WRV. Die Vorschrift deckt mit der Garantie der freien Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung die „organisatorische Seite“ der kirchlichen Tätigkeiten ab60. Nicht übersehen werden 53 So auch v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 526; Huber, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 155 (171). 54 So auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 182. 55 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 523; Mückl, HStR VII, § 159 Rn. 124. 56 Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 57 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401). 58 So auch v. Campenhausen, HStR VII, § 125 Rn. 125; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525. 59 Vgl. etwa v. Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn.125; Huber, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 155 (171); Isak, Selbstverständnis, S. 202; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; Strake, Streikrecht, S. 11 f. 60 Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183.

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

darf, dass der Schutz dieser organisatorischen Seite kein Selbstzweck ist. Durch die Garantie der freien Ordnung und Verwaltung wird sichergestellt, dass die Kirchen die Aufgaben, die sich aus dem religiösen Bekenntnis ergeben, sachgerecht erfüllen können61. Damit erfüllt das Selbstbestimmungsrecht eine dienende Funktion für die Glaubensfreiheit62. Doch wird aufgrund dieser dienenden Funktion nicht die kirchliche Buchhaltung oder Grundstücksverwaltung selbst zur Glaubensausübung. Daher geht das Selbstbestimmungsrecht in seinem sachlichen Schutz über den der Glaubensfreiheit hinaus63. Insofern erscheint eine Deutung sachgerecht, wonach Art. 4 GG und Art. 137 III WRV zwei unterschiedliche Bereiche des kirchlichen Wirkens garantieren, die sich zwar gegenseitig ergänzen, jedoch nicht identisch sind64. Die Vorschriften stehen in einem engen Bezug zueinander und setzen sich gegenseitig voraus. Welche dieser beiden Rechtsgrundlagen für eine kirchliche Verhaltensweise einschlägig ist, bestimmt sich insofern nach der Nähe der Tätigkeit zum geistlichen Kern und lässt sich Art. 4 GG zuordnen, wenn sie sichtbarer Glaubensvollzug ist65. (3) Zum Argument der Schutzpflichtendimension An dem hier gefundenen Ergebnis ändert auch die Schutzpflichtendimension nichts. Anerkannt ist zwar, dass die Grundrechte nicht nur eine Abwehrfunktion gegen staatliche Eingriffe haben, sondern auch objektiv-rechtliche Wertentscheidungen der Verfassung darstellen, aus denen sich die Pflicht des Staates ergibt, die Grundrechte zu schützen66. Hiernach besteht im Falle der Glaubensfreiheit für den Gesetzgeber die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Religionsfreiheit zu stellen, sie vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren und Raum für die Ausbildung und Bekenntnis eines Glaubens sowie für religiöse Betätigung zu schaffen67. Fraglich erscheint aber, ob die staatliche Schutzpflicht

61 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401); vgl. auch Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 28. 62 So auch v. Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn. 125; Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 63 Richtig etwa Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525 f.; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 64 v. Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn. 125. 65 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 526; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 66 BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (205); BVerfG, Urt. v. 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72, BVerfGE 35, 79 (114); BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 (141 f.); BVerfG, Urt. v. 26.07.2005, 1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96, BVerfGE 114, 1 (33 f.). 67 So Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 4 Rn. 104, unter Bezugnahme auf BVerfG, Urt. v. 25.02.1975 – 1 BvF 1/74, 1 BvF 2/74, 1 BvF 3/74, 1 BvF 4/74, 1 BvF 5/74, 1 BvF 6/74, BVerfGE 39, 1 (42); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68,

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gegenüber der Religionsfreiheit tatsächlich so weitreichend ist, dass sich ein umfassendes Recht auf Selbstbestimmung der Religionsgesellschaften daraus ableiten ließe. Denn zunächst unterliegt die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten im Allgemeinen einem weiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers, der prinzipiell auch einen Ausgleich mit gegenläufigen Interessen vorzunehmen hat68. Die Annahme einer konkreten Schutzpflicht ist also restriktiv zu handhaben69. Auch zielt die Schutzpflichtendimension klassischerweise auf Dreieckskonstellationen ab, in denen die Grundrechtsausübung von Dritten eingeschränkt wird und der Staat die Ausübung der Freiheit schützen soll70. Um eine solche Situation geht es aber vorliegend nicht. Die Schutzpflichtendimension könnte allerdings eine andere Auslegung gebieten, wenn ansonsten Rechtsschutzlücken drohten. Diese sind allerdings wegen der ausdrücklichen Verfassungsgarantie der kirchlichen Selbstbestimmung nicht erkennbar. Auch ist gerichtlicher Rechtsschutz der Religionsgesellschaften sichergestellt, der insbesondere das Recht umfasst, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Zwar ist Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV gemäß Art. 93 I Nr. 4 a GG nicht unmittelbar beschwerdefähig. Das Selbstbestimmungsrecht ist aber eine „notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt.“ 71 Weil das Selbstbestimmungsrecht der Glaubensfreiheit dient, ist eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts mittelbar immer auch eine Beschränkung der Religionsfreiheit der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft72. Aus diesem Grunde kann die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts auch als Verletzung des Art. 4 GG durch die Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden73. Hesse spricht in diesem Zusammenhang anschaulich davon, Art. 4 GG sei der Schlüssel, der dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen für eine zulässige Verfassungsbeschwerde die Tür BVerfGE 41, 29 (49); BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/ 92, BVerfGE 88, 203 (251); vgl. auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 169. 68 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.); vgl. auch Dreier, GG, Vorb. Rn. 103. 69 Vgl. Couzinet/Weiss, ZevKR 54 (2009), 34 (49); Hassemer/Hömig, EuGRZ 1995, 525 (528). 70 Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 204; Stern, DÖV 2010, 241 (246). 71 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401); BVerfG, Beschl. v. 17.02.1981, 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (244); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (20); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, 72, 278 (289). 72 Vgl. Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904), zu dem engen Zusammenhang von Glaubensfreiheit und Selbstbestimmungsrecht siehe auch oben § 2 I. 1. 73 So etwa Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 23; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 184; v. Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn. 126; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 9; Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904).

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öffne74. Zudem ist das BVerfG bei einer auf Art. 4 GG gestützten (zulässigen) Verfassungsbeschwerde nicht auf die Prüfung der als verletzt gerügten Vorschrift beschränkt, sondern kann die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit unter jedem in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt prüfen75. Es bleibt dabei: Vorzugswürdig erscheint es, trotz des engen Zusammenhangs von Art. 137 III WRV zu Art. 4 I und II GG, davon auszugehen, dass Art. 137 III WRV selbstständige, über die Garantien der Glaubensfreiheit hinausgehende Gewährleistungen enthält. Dies verwirklicht den Grundsatz der Einheit der Verfassung optimal76. cc) Ermächtigungsgrundlage für das kirchliche Dienstrecht und den Streikausschluss Zu klären ist nun, welche der beiden Ermächtigungsnormen für den kirchlichen Streikausschluss in Betracht kommt. Dies beurteilt sich nach dem vorhin Gesagten anhand der Nähe der Materie zum geistlichen Kern77. Nur Tätigkeiten, die unmittelbarer und sichtbarer Glaubensvollzug sind, unterfallen hiernach Art. 4 GG. Tätigkeiten, die die Glaubensausübung unterstützen sollen, unterfallen hingegen Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV. Das kirchliche Dienstrecht gestaltet die Rechtsverhältnisse der Kirchen mit ihren Beschäftigten. Durch diese Regelungen soll bei der Mitarbeit im kirchlichen Dienst den Besonderheiten, die sich aus dem religiösen Bekenntnis der Kirchen ergeben, Rechnung getragen werden. Diesem Ziel dient auch das von den Kirchen festgelegte Streikverbot. Insofern ist bei dem gesamten kirchlichen Dienstrecht und damit auch bei dem Streikausschluss eine Verknüpfung mit dem Bekenntnis vorhanden78. Jedoch kann keine unmittelbare Konnexität zum religiösen Bekenntnis festgestellt werden79. Die kirchliche Ausgestaltung der Beschäfti74

Vgl. Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 524 in Fn. 8. BVerfG, Urt. v. 27.07.1971 – 2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68, BVerfGE 31, 314 (333); BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (325 f.); vgl. auch Strake, Streikrecht, S. 12. Diese umfassende Prüfung führt in der Praxis allerdings nur der Zweite Senat durch. Der Erste Senat beschränkt sich darauf, die Verletzung der als verletzt gerügten Vorschriften zu prüfen. Vgl. hierzu Görisch/Hartmann, NVwZ 2007, 1007 (1009); Scherzberg, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im öffentlichen Recht, § 13 Rn. 118; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 72. 76 Vgl. Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 176; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 77 Wie hier auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 11. 78 Weitergehend Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 24 f. 79 So auch Huber, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 155 (173); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 11; a. A. Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 24. 75

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gungsverhältnisse erscheint nicht als „sichtbarer Vollzug des Glaubens“ 80. Sie soll lediglich unterstützen, dass die Glaubensausübung ungehindert möglich ist. Die bekenntnisspezifische Ausgestaltung der Dienstverhältnisse mit dem Streikausschluss ist aber nicht selbst Glaubensausübung. Damit ist das kirchliche Dienstrecht und damit auch der Streikausschluss kein unmittelbarer, sondern nur mittelbarer Ausdruck des Glaubens. Insoweit ergibt sich die Kompetenz, Recht für die Beschäftigung von Personal zu setzen, jedenfalls nicht unmittelbar aus der Glaubensfreiheit. Die Kompetenzgrundlage kann damit das Selbstbestimmungsrecht sein. Ob sich aus dieser Bestimmung die Befugnis ergibt, in kirchlichen Einrichtungen Streiks auszuschließen, ist im Folgenden herauszuarbeiten. Damit sich die Kirchen auf diese Norm überhaupt berufen können, muss ein „doppelter Bezug“ gegeben sein81: Erstens muss der persönliche Schutzbereich eröffnet sein und zweitens muss es sich bei der in Frage stehenden Materie um eine eigene Angelegenheit der Religionsgesellschaften handeln. Ob der Streikausschluss tatbestandlich überhaupt auf das Selbstbestimmungsrecht gestützt werden kann, muss daher durch Auslegung des Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 140 GG i.V. m. 137 III 1 WRV geklärt werden. 2. Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts Eine sachgerechte Auslegung des Selbstbestimmungsrechts setzt allerdings voraus, dass die Rechtsnatur der Vorschrift richtig erfasst wird. Zu der Frage nach der Rechtsnatur gehen die wissenschaftlichen Meinungen weit auseinander. Während einerseits im Selbstbestimmungsrecht ausschließlich eine objektivrechtliche Kollisionsnorm gesehen wird82, wird andererseits vertreten, dass das Selbstbestimmungsrecht ein Grundrecht darstelle83. Vermittelnd wird angenommen, dass einerseits freiheitliche Gewährleistungen und andererseits objektiv-institutionelle Garantien vorhanden seien. Das Selbstbestimmungsrecht sei aber kein Grundrecht84. Diese unterschiedlichen dogmatischen Einordnungen haben weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Auslegung der Bestimmung. Wird in dem Selbstbestimmungsrecht lediglich eine Kollisionsnorm gesehen, so kann der Inhalt der 80

Vgl. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; Isak, Selbstverständnis, S. 202. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 184, Kästner, ZevKR 34 (1989), 260 (268). 82 So Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 156; Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345). 83 Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 186; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 109 m.w. N.; Isensee, in: HdbStKirchR II, S. 725; Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140GG/137 WRV Rn. 4. 84 Statt vieler Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (216); Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005). 81

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Gewährleistung objektiv bestimmt werden85. Sofern man annimmt, auch freiheitsrechtliche Garantien seien im Selbstbestimmungsrecht verankert, muss die Auslegung auch diesem Umstand Rechnung tragen, so dass sich der Inhalt und die Reichweite kirchlicher Selbstbestimmung nicht rein objektiv erfassen lassen. Der Unterschied, ob das Selbstbestimmungsrecht ein Grundrecht ist oder nicht, wirkt sich aus, wenn Kollisionen mit anderen Verfassungsgütern aufgelöst werden müssen. Dies ergibt sich daraus, dass Grundrechtskollisionen anhand anderer Kriterien aufgelöst werden als Kollisionen von Grundrechten mit nichtgrundrechtlichen Verfassungsverbürgungen86. Insoweit haben die gewonnenen Erkenntnisse für die Interpretation des Selbstbestimmungsrechts grundlegende Bedeutung. a) Das Selbstbestimmungsrecht als Kollisionsnorm? Teilweise wird angenommen, dass der Charakter von Glaubensfreiheit und Selbstbestimmungsrecht fundamental unterschiedlich sei87: Während die Glaubensfreiheit individuelle Freiheiten gewähre, sei Art. 137 III WRV eine Art Kollisionsnorm, die objektivrechtlich zu verstehen sei. Die Vorschrift bezeichne eine „strikt zu beachtende objektivrechtliche Grenze zweier Gewalten“ 88. Danach soll Art. 137 III WRV den Bereich der staatlichen Rechtsetzungskompetenz von dem Bereich abgrenzen, innerhalb dessen die Kirchen eigenständig tätig werden können89. Die Festlegung, welche Angelegenheit die Kirchen selbstständig regeln dürfen, habe daher objektiv zu erfolgen90. Dieser Gegenstand des Selbstbestimmungsrechts ergebe sich unmittelbar aus der Verfassung91. Insoweit bestimme der Staat den Bereich. Der Abschluss von Arbeitsverträgen gehöre nicht zu den vom Selbstbestimmungsrecht geschützten Angelegenheiten, weil die Kirchen den eigenen Rechtskreis verließen, indem sie sich staatlicher rechtlicher Gestaltungsformen bedienten92.

85 So Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345); zustimmend Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 156. 86 Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1002); zustimmend Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65). 87 Hierzu Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (327). 88 Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (327). 89 Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (327); vgl. auch Wieland, DB 1987, 1633 (1636). 90 Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345); Wieland, DB 1987, 1633 (1636). 91 Wieland, DB 1987, 1633 (1636). 92 Wieland, DB 1987, 1633 (1635).

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b) Das Selbstbestimmungsrecht als Freiheitsrecht aa) Argumente für einen freiheitsrechtlichen Charakter des Selbstbestimmungsrechts Demgegenüber wird mit Recht von der weit überwiegenden Meinung auch ein freiheitsrechtlicher Charakter im Selbstbestimmungsrecht gesehen93. Ein solcher war bereits in der Weimarer Republik anerkannt94. So vertrat Ebers in einem Kommentar zur WRV, das Selbstbestimmungsrecht gewähre den Religionsgesellschaften „wirkliche Freiheit, völlige Selbständigkeit gegenüber jedem Eingriff des Staates in die inneren Angelegenheiten“ 95. Damit war es bereits in der Weimarer Republik nicht nur eine Norm zur Abgrenzung von Kompetenzen96. Allerdings muss die Norm nunmehr in das System des Grundgesetzes eingepasst werden. Dass das Selbstbestimmungsrecht nicht lediglich Kollisionsnorm ist, sondern auch freiheitsrechtliche Gewährleistungen aufweist, legt schon die äußere Gestalt der Vorschrift nahe. Es wird eine Form der Betätigung garantiert, nämlich das Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten97. Dies schließt auch einen Freiraum vor staatlicher Einflussnahme ein98. Dieses Recht beinhaltet dann aber auch ein Abwehrrecht gegen unzulässige staatliche Eingriffe in die Kirchenhoheit und enthält damit bereits nach der äußeren Form freiheitliche Gewährleistungen99. Diesen Befund stützt auch ein Vergleich mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 II 1 GG100. Es sind hier deutliche Parallelen in der Normstruktur zu Art. 137 III 1 WRV gegeben101. Während es bei Art. 137 III 1 WRV um das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften geht, garantiert Art. 28 II 1 GG den Gemeinden ein Selbstverwaltungsrecht. Danach haben Kommunen das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln, und zwar im Rahmen der Gesetze. Insoweit kennen sowohl Art. 137 III 1 WRV als auch 93 Vgl. statt aller v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 524; Isensee, in: HdbStKirchR II, S. 724 f.; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 44; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 187; Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 80; Robbers, in: HdbStKirchR, S. 321; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 152. 94 Vgl. hierzu Ebers, Staat und Kirche, S. 254; Anschütz, WRV, Art. 137 Anm. 4. 95 Vgl. Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte II, S. 388. 96 So auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 190; a. A. Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (327 f.) (344). 97 Zutreffend Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (195). 98 Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (202). 99 So auch Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (195). 100 Vgl. auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 187; Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 101 So auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 187.

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Art. 28 II 1 GG einen Rechtsträger, der eigene Angelegenheiten in eigener Verantwortung im Rahmen des geltenden Rechts wahrnehmen kann. Im Bereich des Kommunalrechts ist es anerkannt, dass Art. 28 II 1 GG nicht lediglich die Kompetenzen der Gemeinden von denen des Staates abgrenzen soll, sondern den Gemeinden auch ein subjektives Recht zuerkennt, das sie vor einer ungerechtfertigten Einmischung bewahrt102. Zwar sind die Kommunen ein Teil des Staates, wohingegen die Religionsgesellschaften vom Staat getrennt sind103. Wenn der Staat aber sogar die Kommunen, die Teil des Staates sind, als Selbstverwaltungsträger mit subjektiven Abwehrrechten gegen unzulässige Eingriffe in die Gemeindehoheit ausstattet, muss dies erst recht für Religionsgesellschaften gelten, die nicht Teil des Staates, sondern von ihm getrennt sind. Diese haben wegen der Trennung vom Staat viel eher ein natürliches Schutzbedürfnis gegen ungerechtfertigte staatliche Einmischung. Insofern spricht dieser Vergleich dagegen, das Selbstbestimmungsrecht lediglich als Kollisionsnorm anzusehen. Entscheidend kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Eine ausschließlich kollisionsrechtliche Lesart würde den engen inhaltlichen Zusammenhang des Selbstbestimmungsrechts zu der Glaubensfreiheit außer Acht lassen. Denn die Kompetenz der Religionsgesellschaften, eigene Angelegenheiten eigenständig zu erledigen, ist kein Selbstzweck. Vielmehr gewährleistet Art. 137 III WRV die zur Ausübung der durch Art. 4 GG geschützten Glaubensfreiheit erforderliche Eigenständigkeit der Korporationen hinsichtlich Organisation, Normsetzung und Verwaltung104. Funktional ist Art. 137 III WRV also auf die „Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der kollektiven Bekenntnis- und Kultfreiheit (Art. 4 GG) angelegt“ 105. Durch das Selbstbestimmungsrecht ist damit gesichert, dass die Religionsgemeinschaften als organisatorische Einheiten die Religionsfreiheit ausüben können106. Insofern dient das Selbstbestimmungsrecht der kollektiven Glaubensausübung. In diesem Sinne stehen Art. 4 GG und Art. 137 III WRV in einer besonderen Nähebeziehung zueinander und sind eng miteinander verzahnt107. Mittelbar prägt die Glaubensfreiheit also die durch Art. 137 III WRV 102 BVerwG, Urt. v. 04.08.1983 – 7 C 2/81, BVerwGE 67, 321 (323); in der Rechtslehre z. B. Bleckmann, Staatsrecht II, § 9 Rn. 54; Dreier, GG, Art. 28 Rn. 103; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 187; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28 Rn. 11. 103 Vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 17.02.1965 – 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385 (386); BVerfG, Beschl. v. 31.03.1971 – 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415 (428); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, BVerfGE 66, 1 (19); BVerfG, Beschl. v. 04.06. 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165); vgl. Robbers, Streikrecht in der Kirche, S. 26. 104 BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (289). 105 BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (322). 106 So auch Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Augsberg, SAE 2012, 11 (12). 107 Statt aller Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (421), v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Couzinet/Weiß, ZevKR 54 (2009), 34 (56); Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 525 f.; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 176; Korioth, in:

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geregelte staatskirchenrechtliche Ordnung108. Insoweit ist das Selbstbestimmungsrecht grundrechtlich unterfüttert und findet „normativen Halt“ in der Religionsfreiheit109. Aus dieser der kollektiven Glaubensfreiheit dienenden Funktion ergibt sich auch der freiheitliche Charakter des Selbstbestimmungsrechts. Wäre demgegenüber die These richtig, Art. 137 III WRV sei lediglich Kollisionsnorm und sein Regelungsgegenstand ergebe sich daher objektiv aus der Verfassung, wäre es die Aufgabe des Staates, festzulegen, was zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen gehört. Der Staat könnte dann bestimmen, was zu der kollektiven Religionsausübung gehört und was ihr dient110. Hiermit würde allerdings der Staat Einfluss auf die religiösen Bekenntnisse nehmen111. Denn könnte der Staat bestimmen, dass etwa der Betrieb eines Kindergartens nicht zu den eigenen Angelegenheiten gehört, würde er damit verbindlich festlegen, dass dies nicht der Glaubensausübung dient oder keinen Ausdruck des religiösen Bekenntnisses darstellt. Dies wäre ein recht massiver Eingriff in die Religionsfreiheit. Art. 137 III 1 WRV ist damit auch in seiner heutigen Bedeutung nicht lediglich als Kollisionsregel, die staatliche von kirchlicher Regelungsbefugnis abgrenzt, zu begreifen, sondern beinhaltet auch ein subjektives Freiheitsrecht, das den Kirchen ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in ihre Regelungsautonomie gewährt112. bb) Das Selbstbestimmungsrecht als echtes Grundrecht? Weitergehend wird teilweise vertreten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ein echtes Grundrecht darstelle113. Denn materiell gewähre die Vorschrift ohnehin ein subjektives Recht der Religionsgesellschaften auf Selbstverwaltung114. Zudem sei Art. 137 III WRV in der Weimarer Republik nach seiner systematischen Stellung ein Grundrecht gewesen. Daher, so wird argumentiert,

FS Badura, S. 727 (740); Mückl, in: HStR VII, § 159; Rn. 80; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 9; Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904). 108 Vgl. Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (422). 109 Vgl. Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (421); v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 100; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 526; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 174; Korioth, in: FS Badura, S. 727 (738). 110 Vgl. auch Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 541; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184. 111 Zutreffend Oswald, Streikrecht, S. 75. 112 So auch Heckel, VVDStRL 26 (1968), 1 (40 f.); Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (202); Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 524; Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (195). 113 Vgl. Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 186; Isensee, in: HdbStKirchR II, S. 725; sowie jetzt auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 109 m.w. N. 114 Vgl. hierzu Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 186 m.w. N.; Isensee, in: HdbStKirchR II, S. 724 f.

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sei durch die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel auch die Grundrechtsqualität in das Grundgesetz übertragen worden115. cc) Bedenken gegen eine Einordnung als Grundrecht Diese Argumentation erscheint jedoch nicht zwingend. Die Bestimmungen der WRV sind nunmehr als Element des Grundgesetzes auszulegen, mit dem sie ein organisches Ganzes bilden116. Die Gesetzesauslegung ist damit nicht an den Stand der Auslegung zur Zeit der Weimarer Republik gebunden; die Regelungen sind also nicht zwangsläufig so zu verstehen wie unter Geltung der WRV117. Der neue Zusammenhang der Bestimmungen mit dem Grundgesetz sowie veränderte tatsächliche Umstände können damit zu einem Bedeutungswandel der inkorporierten Weimarer Kirchenartikel geführt haben118. Die systematische Stellung der Norm außerhalb des Grundrechtskataloges spricht gegen eine Einordnung als Grundrecht, für die letztlich auch der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhalt bietet. Auch ist Art. 140 GG nicht in den Katalog der grundrechtsgleichen Rechte in Art. 93 I Nr. 4a GG aufgenommen worden. Insofern ist hier nicht von einem redaktionellen Versehen auszugehen. Aber auch inhaltlich erscheint eine Einordnung des Selbstbestimmungsrechts als Grundrecht nicht passgenau. In dieser Vorschrift geht es nicht nur um die für ein Grundrecht charakteristische Freiheit vor staatlicher Beeinträchtigung grundrechtlich geschützten Handelns. Durch die Einräumung der Befugnis, eigene Angelegenheiten selbstständig regeln zu dürfen, wird über die Freiheitsgewährleistungen hinausgehend auch die Eigenständigkeit und die Regelungsautonomie einer Institution festgelegt119. Für den Bereich der eigenen Angelegenheiten wird insofern eine eigenständige Rechtsmacht der Kirchen staatlicherseits akzeptiert120. Diese sind in gewissen Grenzen zur selbstständigen Regelung zuständig und berechtigt. Den Kirchen wird damit ein Freiraum garantiert, innerhalb dessen sie nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten anhand des eigenen Selbstverständ115

Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 31. Siehe etwa BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvL 31/62, BVerfGE 19, 226 (236); BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167); BVerfG, Urt. v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (387). 117 Vgl. BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvL 31/62, BVerfGE 19, 226 (236). 118 So auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 30; vgl. auch Strake, Streikrecht, S. 14. 119 Vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404); zutreffend Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (216); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 13; Thüsing, RdA 2003, 210 (211). 120 Wie hier auch Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005); zustimmend Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65). 116

I. Systematik und Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts

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nisses Regelungen herbeiführen können. Diese Befugnisse werden allerdings nicht vom Staat verliehen, sondern der Staat erkennt ein bestehendes Recht an. Er akzeptiert eine Institution mit ihrer Herrschafts- und Rechtsmacht, die schon vor ihm bestand und die nicht nach staatlichen, sondern eigenen Regeln handelt121. Auch das BVerfG ist der Auffassung, dass Art. 137 III 1 WRV Ausdruck einer materiellen Wertentscheidung der Verfassung sei, nicht nur den ohnehin staatlicherseits unantastbaren Freiheitsbereich der Kirchen und ihrer Einrichtungen, sondern darüber hinaus auch eine besondere Eigenständigkeit dieser Institution gegenüber dem Staat anzuerkennen122. Damit garantiert Art. 137 III WRV zwar Freiheiten, grenzt aber darüber hinaus staatliche und kirchliche Befugnisse voneinander ab123. Das Selbstbestimmungsrecht hat also auch – und insoweit ist der erstgenannten Ansicht zuzustimmen – den Charakter einer Kollisionsnorm. Das Selbstbestimmungsrecht gewährt zwar Freiheiten, aber nicht in einem grundrechtlichen Sinne, sondern gewährleistet die Freiheit und Regelungsbefugnis einer Institution124. Dies alles erinnert trotz des freiheitsrechtlichen Einschlags aber eher an eine institutionelle Garantie als an ein Grundrecht125. dd) Ergebnis zur Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts Aufgrund dieser Erwägungen erscheint es vorzugswürdig, das Selbstbestimmungsrecht als eine nichtgrundrechtliche Verfassungsbestimmung anzusehen, die aber auch freiheitsrechtliche Gewährleistungen zu Gunsten der Rechtsträger beinhaltet126. In dem Selbstbestimmungsrecht einerseits eine (objektive) Einrichtungsgarantie zu sehen, die aber andererseits auch freiheitsrechtliche Gewährleistungen beinhaltet, stellt keinen Widerspruch dar127. Schon früh hat das BVerfG festgestellt, dass Verfassungsnormen mehrere Funktionen innehaben können, die miteinander verbunden sind und ineinander übergehen128. Es bleibt also festzuhalten, dass der Staat das Selbstbestimmungsrecht nicht nur beachten muss, sondern dass die Kirchen aus dieser Vorschrift heraus ein Abwehrrecht gegen unzulässige staatliche Bevormundung haben. Aufgrund dieses 121 Zutreffend Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (97); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1004); so auch schon Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte II, S. 388. 122 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 123 Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (216 f.). 124 Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (216). 125 So auch Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (905 f.). 126 So auch Korioth, in: FS Badura, S. 727 (741); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 994 (1002); ferner auch Hassemer/Hömig, EuGRC 1999, 525 (531); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (904); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65). 127 Zutreffend Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 524. 128 Vgl. bereits BVerfG, Beschl. v. 17.01.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (72).

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

freiheitsrechtlichen Aspekts mag man zwar das Selbstbestimmungsrecht materiell als Freiheitsrecht bezeichnen und dort, wo es um Freiheiten geht, auch so behandeln und die Norm nach Schutzbereich und Eingriff strukturieren129, es ist aber eine nichtgrundrechtliche Verfassungsbestimmung und kein echtes Grundrecht130. Nachdem das Verhältnis des Selbstbestimmungsrechts zu der Glaubensfreiheit bestimmt und festgestellt worden ist, dass das Selbstbestimmungsrecht als Ermächtigungsgrundlage für das kirchliche Dienstrecht in Betracht kommt, und nachdem die Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts untersucht worden ist, kann es im Folgenden ausgelegt werden, soweit dies in Bezug auf die Frage nach der Zulässigkeit des Streikausschlusses erforderlich ist.

II. Persönlicher Schutzbereich Zunächst stellt sich die Frage, wer sich in persönlicher Hinsicht auf das Selbstbestimmungsrecht berufen kann. Schwierigkeiten ergeben sich hinsichtlich der Frage, auch die kirchlichen Einrichtungen vom Schutz des Selbstbestimmungsrechts erfasst sind. Wie bereits festgestellt, erstrecken die Kirchen ihr Sonderarbeitsrecht mit dem Streikausschluss auch auf ihre rechtlich selbstständigen Einrichtungen. Zu untersuchen ist daher, ob das Selbstbestimmungsrecht auch die Einrichtungen in den Schutz einbezieht. 1. Originäre Träger des Selbstbestimmungsrechts Der Wortlaut des Art. 137 III 1 WRV gewährt den Religionsgesellschaften das Recht, die eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten. Religionsgesellschaften sind also originäre Träger des Selbstbestimmungsrechts131. Eine Religionsgesellschaft wird üblicherweise als ein die „Angehörigen eines und desselben Glaubensbekenntnisses für ein Gebiet zusammenfassender Verband zur allseitigen Erfüllung der durch das Bekenntnis gestellten Aufgaben“ definiert132. Den Religionsgesellschaften stehen darüber hinaus gemäß Art. 137 VII WRV die Weltanschauungsgemeinschaften gleich. Dies sind Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer (nichtreligiösen) Weltanschauung zur Aufgabe machen. Beispielsweise sehen sich der Humanistische Verband Deutschland (HVD) sowie der Bund für Geistesfreiheit Bayern (BFG) als Weltanschauungsgemeinschaften an, die sich dem „weltlichen Humanismus“ verpflichtet fühlen133. 129

Vgl. etwa Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 44. Vgl. zu dieser Janusköpfigkeit des Selbstbestimmungsrechts auch Grzeszick, AöR 2004, 168 (216 f.). 131 Vgl. Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 81. 132 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 534 m.w. N. in Fn. 36. 130

II. Persönlicher Schutzbereich

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2. Kirchliche Einrichtungen als Träger des Selbstbestimmungsrechts? Von außerordentlicher Bedeutung ist die Antwort auf die Frage, ob sich dieser Schutz auch auf rechtlich selbstständige Einrichtungen der Kirchen, die teilweise auch als Umfeldorganisationen134 oder Trabanten135 bezeichnet werden, erstreckt. Zu derartigen Einrichtungen der Kirche zählen beispielsweise kirchlich getragene Kindergärten, Krankenhäuser oder Schulen sowie diakonische oder karitative Einrichtungen der Wohlfahrtspflege136. Für die Kirchen sind diese Einrichtungen so bedeutsam, weil sie einen Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags leisten. Dieser erfordert auch die Bewältigung von mildtätigen Aufgaben. Der kirchliche Auftrag beschränkt sich nicht auf die Glaubenslehre, Predigt oder Spendung von Sakramenten; es liegt ein wesentlicher Aufgabenbereich im Heilsdienst an der Welt137. Der Dienst am Nächsten stützt sich unmittelbar auf das Neue Testament138. Um diesen Heilsdienst zu verwirklichen, bestehen die kirchlichen Einrichtungen. Sie existieren üblicherweise in Rechtsformen des staatlichen Rechts139. Kirchliche Einrichtungen sind in der Regel Rechtssubjekte des Privatrechts und gehören einem landeskirchlichen diakonischen Werk oder einem Diözesan-Caritasverband an140. Die Einrichtungen müssen keine bestimmte Rechtsform haben141. Sie können beispielsweise als eingetragene Vereine oder als Stiftung organisiert sein, denkbar ist etwa auch eine gGmbH142. Im Gegensatz zu den Religionsgesellschaften, die sich der ganzheitlichen Erfüllung der religiösen Aufgaben widmen, sind diese Organisationen also nur für einen Teilbereich des gesamten religiösen Auftrags zuständig143. Ihnen fehlt im Vergleich zu Religionsgesellschaften das Merkmal der allseitigen Erfüllung. 133 Vgl. § 1 der Satzung des HVD, abrufbar unter http://www.humanismus.de/sites/ humanismus.de/files/Satzung%20HVD%20Bundesverband%202011.pdf; für den BFG http://www.bfg-bayern.de/dragonfly/Content/pid=50.html, beide abgerufen am 16.10. 2013. 134 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Art. Art. 137 WRV Rn. 52. 135 Diesen Begriff verwendet z. B. Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 81. 136 Vgl. Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 535. 137 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (334); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 3 Rn. 4. 138 Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Diakonie, weist auf das Samaritergleichnis in Lk. 10, 30 hin. 139 Vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 3 Rn. 4. 140 Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 173. 141 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (162). 142 Vgl. Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 26, die darauf hinweist, dass die Diakonischen Werke i. d. R. in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins bestehen. 143 Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 173.

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Kirchliche Einrichtungen sind nach der Rechtsprechung des BVerfG Organisationen, die nach dem „Selbstverständnis der Kirche ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend dazu berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen“ 144. Ob auch die kirchlichen Einrichtungen dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts unterfallen, wird unterschiedlich beurteilt145. Wäre eine Einbeziehung kirchlicher Einrichtungen abzulehnen, käme für die in den Einrichtungen tätigen Mitarbeiter von vornherein das allgemeine Arbeitsrecht und damit unter anderem auch das Tarif- und Arbeitskampfrecht zur Anwendung. Daraus würde folgen, dass Erzwingungsstreiks in kirchlichen Einrichtungen zulässig wären. Insoweit kommt der Frage, ob die kirchlichen Einrichtungen am Schutz des Selbstbestimmungsrechts teilhaben, maßgebende Bedeutung zu. Die Analyse des Meinungsstandes zu dieser Problemlage ergibt folgendes Bild: a) Der Meinungsstand Teile des Schrifttums lehnen eine Schutzbereichserstreckung auf kirchliche Einrichtungen ab. Zur Begründung wird vor allem ein Vergleich zu Art. 138 II WRV gezogen. Diese Vorschrift handle einerseits von Religionsgesellschaften und andererseits von ihren für religiöse Zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen. Dadurch gebe der Gesetzgeber zu erkennen, dass er zwischen Religionsgesellschaften und deren Einrichtungen unterscheiden wolle146. Die Einrichtungen seien auch nicht vom Begriff der Religionsgesellschaften umfasst147. Weil der Gesetzgeber in Art. 137 III WRV nur die Religionsgesellschaften benannt habe, seien auch nur diese vom Schutz durch Art. 137 III WRV umfasst148. Dieses Ergebnis wird durch eine historische Analyse des Begriffes Religionsgesellschaft abgestützt. Unter Geltung der WRV habe man den Begriff eng verstanden und Einrichtungen nicht unter den Begriff Religionsge-

144 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (162). 145 Gegen eine Einbeziehung siehe Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 185; Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 154–156; Oswald, Streikrecht, S. 62; Wieland, Der Staat, 25 (1986), 321 (343); Wieland, DB 1987, 1633 (1637). 146 Vgl. Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (343); Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 154–156; Oswald, Streikrecht, S. 62. 147 Vgl. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten S. 154–156 unter Berufung auf Wieland, Der Staat 25 (1686), 321 (343). 148 Vgl. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 154–156; Oswald, Streikrecht, S. 62; Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (343); Wieland, DB 1987, 1633 (1637); vgl. hierzu auch Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 185.

II. Persönlicher Schutzbereich

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sellschaft subsumiert149. Zudem wird angeführt, dass das Selbstbestimmungsrecht in der Entstehungsgeschichte kein Freiheitsrecht sei, sondern eine Kollisionsregel150. Demnach müsse eine restriktive Auslegung erfolgen. Das BVerfG ist anderer Auffassung. Nach Art. 137 III 1 WRV sind nach Ansicht des BVerfG nicht nur „die organisierte Kirche und die rechtlich selbständigen Teile dieser Organisation, sondern alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform Objekte, bei deren Ordnung und Verwaltung die Kirche grundsätzlich frei ist, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen“ 151. Dies begründet das BVerfG mit der Gesetzessystematik. Den Ausgangspunkt bildet die These, dass der Begriff der Religionsgesellschaft in Art. 137 III 1 WRV mit dem Begriff der Religionsgesellschaft in Art. 138 II WRV inhaltlich deckungsgleich sein müsse152. Aus Art. 138 II WRV ergebe sich eindeutig, dass zu den Religionsgesellschaften auch die Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen gehörten153. Dies gelte insoweit auch für die Auslegung des Begriffes der Religionsgesellschaft in Art. 137 III WRV. Auf diese Weise werden die Einrichtungen als Subjekte des Selbstbestimmungsrechts angesehen154. Nach Ansicht des BVerfG sind also auch kirchliche Einrichtungen Träger des Selbstbestimmungsrechts. Ein anderer Ansatz gelangt ebenfalls dazu, die kirchlichen Einrichtungen in den Schutz einzubeziehen. Er stützt sich vor allem darauf, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ein Freiheitsrecht sei und demnach auch wie ein Freiheitsrecht ausgelegt werden müsse155. Dies habe zur Folge, dass nach dem Grundsatz der grundrechtseffektivierenden Auslegung eine Erstreckung des Schutzbereiches auf die Einrichtungen angezeigt sei156. Dieser Grundsatz, der auch als in dubio pro libertate bezeichnet wird, enthalte das Gebot, bei Zweifeln in der Auslegung von Verfassungsnormen, insbesondere bei Grundrechten, diejenige heranzuziehen, die „die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am

149 Oswald, Streikrecht, S. 62; Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (342 f.); Wieland, DB 1987, 1633 (1637). 150 Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (327 f.), (344). 151 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 152 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 153 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 154 Vgl. hierzu Hofmann, ZevKR 12 (1966/67), 313 (325); Isak, Selbstverständnis, S. 48; kritisch Wieland, DB 1987, 1633 (1637). 155 Hierzu Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (195); Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 44. 156 Vgl. Morlok, Selbstverständnis, S. 391.

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stärksten entfaltet.“ 157 Dies begründe eine Einbeziehung der Eirichtungen in den Schutz. Auch seien die Schutzbereiche von Freiheitsrechten nach vorzugswürdiger Auffassung tendenziell weit auszulegen158. Diese weite Auslegung führe dazu, dass das Selbstbestimmungsrecht auch das Recht gewähre, die Art und Weise, wie die geschützte Betätigung ausgeübt wird, selbst bestimmen zu dürfen. Hieraus ergebe sich eine umfassende Organisationsfreiheit der Rechtsträger159. Daher könnten die Kirchen für bestimmte Zwecke Spezialorganisationen bilden, die sie dann auch organisatorisch auslagern dürften160. Dem müsse das Selbstbestimmungsrecht insoweit gerecht werden, als auch diese Spezialorganisationen in den persönlichen Schutzbereich fielen. b) Stellungnahme Soweit Ausführungen in Bezug auf den freiheitsrechtlichen Charakter des Selbstbestimmungsrechts und sich daraus ergebende Konsequenzen hinsichtlich der Auslegung gemacht wurden, erscheinen diese zwar methodisch und auch inhaltlich schlüssig. Gleichwohl ist es nicht überzeugend, sich lediglich auf die freiheitsrechtliche Argumentation zu stützen. Denn das Selbstbestimmungsrecht beinhaltet über ein Freiheitsrecht hinausgehend vor allem eine institutionelle Garantie. Deswegen muss sich die Einbeziehung der Einrichtungen auch aus anderen Gründen ergeben. Die Frage, ob auch die kirchlichen Einrichtungen Träger des Selbstbestimmungsrechts sein können, richtet sich nach den allgemein bekannten Auslegungskriterien. aa) Der Gesetzeswortlaut Der Wortlaut spricht nur die Religionsgesellschaften selbst und nicht die ihr zugehörigen Einrichtungen an. Dies könnte den Schluss nahe legen, dass auch nur die Religionsgesellschaften am Schutz des Art. 137 III 1 WRV teilhaben. Andererseits schließt es der Gesetzeswortlaut aber auch nicht aus, dass auch Einrichtungen am Schutz teilnehmen. Insoweit ist der Wortlaut nicht eindeutig.

157 BVerfG, Beschl. v. 17.01.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (72); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971 – 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54 (71); BVerfG, Beschl. v. 03.04.1979 – 1 BvR 994/76, BVerfGE 51, 97 (110); vgl. auch Bleckmann, Staatsrecht II, § 8 Rn. 38. 158 Zu der umstrittenen Frage, ob ein enges oder weites Schutzbereichsverständnis zu Grunde zu legen ist, vgl. etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 278–299; Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 18 f.; Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn. 259. 159 Vgl. Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (425 f.); Morlok, Selbstverständnis, S. 391, Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (196), Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 52; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 193. 160 Vgl. etwa Morlok, Selbstverständnis, S. 391.

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bb) Die Gesetzessystematik Daher liegt es nahe, in einem nächsten Schritt zu untersuchen, was aus der Gesetzessystematik gefolgert werden kann. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet Art. 138 II WRV. Nach dieser Vorschrift werden das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen gewährleistet. Die Vertreter der Auffassung, die Einrichtungen seien nicht von dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts erfasst, gehen, wie bereits dargestellt, davon aus, dass der Gesetzgeber in Art. 138 II WRV zwischen den Religionsgesellschaften einerseits und ihren für religiöse Zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen, zu denen die Einrichtungen zu zählen sind, andererseits unterscheide. Diese Unterscheidung sei auch bei der Auslegung des Art. 137 III 1 WRV zu beachten, so dass die Einrichtungen mangels Auflistung in der Vorschrift auch nicht geschützt seien161. Um festzustellen, ob dieser Auffassung gefolgt werden kann, ist zunächst der Inhalt des Art. 138 II WRV in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen: Es geht unter anderem um die Gewährleistung der Vermögensrechte der Religionsgesellschaften an ihren für religiöse Zwecke bestimmten Einrichtungen162. Demnach wird hier insofern eine Unterscheidung vorgenommen, als die Religionsgesellschaft als Rechtsinhaber163 und die Einrichtung als Schutzgut164 zueinander in Verbindung gebracht werden165. Dies bedeutet zunächst, dass Einrichtungen und Religionsgesellschaften nicht das Gleiche sind. Es ergibt sich aufgrund der Zuordnung der Einrichtungen zu den Religionsgesellschaften zudem, dass die Einrichtungen selbst keine Religionsgesellschaften sind. Fraglich ist aber, ob sich aus dieser Unterscheidung der weitergehende Schluss ziehen lässt, dass Religionsgesellschaften und Einrichtungen in dem Sinne voneinander zu unterscheiden sind, dass von dem Begriff Religionsgesellschaft keine Einrichtungen umfasst sind. Diese Aussage würde jedenfalls Zustimmung verdienen, wenn Art. 138 II WRV die Religionsgesellschaften einerseits und die Einrichtungen andererseits als Inhaber bestimmter Rechte bezeichnen würde. In Art. 138 II WRV geht es aber nach dem eindeutigen Wortlaut nicht um bestimmte Vermögensrechte der Religionsgesellschaften und Einrichtungen, son161

Vgl. Wieland, DB 1987, 1633 (1637). Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 138 WRV Rn. 29 f.; zu dem nach heutigen Maßstäben unglücklichen Wortlaut der Vorschrift vgl. Hofmann, ZevKR 12 (1966/67), 313 (315). 163 Vgl. z. B. Hofmann, ZevKR 12 (1966/67), 313 (325); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 138 WRV Rn. 34. 164 Vgl. Hofmann, ZevKR 12 (1966/67), 313 (316). 165 So auch Wieland, DB 1987, 1633 (1637). 162

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

dern um die Rechte der Religionsgesellschaften an ihren Einrichtungen166. Damit sind in diesem Zusammenhang nicht beide Organisationen Träger bestimmter Rechte, sondern nur die Religionsgesellschaften; die Einrichtungen sind hier das Schutzgut. Aus diesem Grund ist die von Wieland vorgeschlagene und von Kleine und Oswald zustimmend in Bezug genommene Unterscheidung nicht zwingend. Aus dem in Art. 138 II WRV verwandten Possessivpronomen „ihren“ ergibt sich vielmehr, dass die Einrichtungen zu den Religionsgesellschaften gehören167. Die Religionsgesellschaften schließen also die Einrichtungen mit ein. Damit ist der Begriff der Religionsgesellschaft als Oberbegriff zu verstehen168. Weil in Art. 137 III 1 WRV und Art. 138 II WRV der Begriff der Religionsgesellschaft gleich sein muss169, ist dies dann auch für das Selbstbestimmungsrecht zu beachten. Damit spricht die Systematik dafür, die Einrichtungen in den Schutzbereich des Art. 137 III 1 WRV einzubeziehen. cc) Die Gesetzeshistorie Die gegen diese Lesart vorgebrachten historischen Bedenken vermögen nicht zu überzeugen: So wird der erweiternden Auslegung entgegengehalten, der Begriff Religionsgesellschaft sei unter Geltung der WRV eng ausgelegt worden. Es sei undenkbar gewesen, die Einrichtungen einzubeziehen170. Insoweit sei der Begriff „geschichtlich vorgeprägt“ und daher auch heute eng zu verstehen171. Hierauf ist allerdings zu erwidern, dass die Kirchenrechtsartikel nunmehr ein Bestandteil des Grundgesetzes sind und mit diesem ein organisches Ganzes bilden172. Daher muss sich die Auslegung der Kirchenrechtsartikel der WRV nach den Wertungen des GG richten173. Und in der Tat haben sich die tatsächlichen 166 Anders Oswald, Streikrecht, S. 63 f., der ausführt, das Gesetz spreche von „Religionsgesellschaften ,und‘ Anstalten“. 167 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (86). 168 Diese Möglichkeit zieht auch Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 155, in Fn. 154, in Betracht; vgl. auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 40 f. 169 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (86); so auch Oswald, Streikrecht, S. 63. 170 So Wieland, DB 1987, 1633 (1637). 171 Vgl. Oswald, Streikrecht, S. 62–64. 172 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167); BVerfG, Urt. v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (387). 173 BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvR 413/60, 1 BvR 31/62, BVerfGE 19, 226 (236); BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Urt. v. 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370 (386 f.).

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und normativen Umstände verändert. Denn trotz der Übernahme der Kirchenartikel aus der WRV besteht in der Bundesrepublik Deutschland ein ganz anderes Verhältnis des Staates zu den Bürgern und zu den Kirchen als noch unter der WRV. Dies zeigt sich beispielsweise an der individualrechtlichen Orientierung des Grundgesetzes, das, anders als die WRV, mit den Grundrechten der Bürger beginnt und erst danach die staatsorganisatorischen Vorschriften beinhaltet174. Auch das Verhältnis des Staates zu den Kirchen hat sich im Laufe der Zeit geändert. Dies wird deutlich, wenn die historischen Vorläufer des Art. 137 III 1 WRV in die Überlegungen einbezogen werden. Textlich ist Art. 137 III 1 WRV eng an § 147 der Paulskirchenverfassung von 1848 sowie an Art. 12 der Preußischen Verfassung von 1850 angelehnt175. Anders als die Bundesrepublik Deutschland wäre das deutsche Kaiserreich nach der Frankfurter Reichsverfassung bzw. ist das Königreich Preußen allerdings kein religiös neutraler Staat gewesen176. Daher erscheint es sachgerecht, Art. 137 III WRV unter Berücksichtigung dieses gewandelten Verhältnisses auszulegen und ihn nicht zwangsläufig so zu verstehen wie in der Weimarer Republik177. Dies berücksichtigt eine ausschließlich historische Sicht nicht. dd) Der Sinn und Zweck der Norm Auch der Sinn und Zweck des Selbstbestimmungsrechts spricht für eine Einbeziehung der Einrichtungen in den Schutzbereich. Das Selbstbestimmungsrecht ist – dies ist schon herausgearbeitet worden – eine der Glaubensfreiheit dienende Freiheit, die auch die besondere Eigenständigkeit der Kirchen gegenüber dem Staat anerkennt178. Aus dieser besonderen Eigenständigkeit ergibt sich auch die Befugnis, die eigene organisatorische Form selbst festlegen zu können179. Deswegen erfasst das Selbstbestimmungsrecht auch die Freiheit, rechtlich selbstständige Einrichtungen schaffen zu können, die nur für einen Teil der Verwirklichung des kirchlichen Auftrags zuständig sein sollen180. Die Wahl der Rechtsform dieser Organisationen gehört ebenfalls zu der durch das Selbstbestimmungsrecht der

174 Vgl. auch Dreier, GG, Vorb. Rn. 18; Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 185 (192); Stern, Staatsrecht, III/1, S. 146, 163. 175 Vgl. hierzu Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht?, S. 185 (185). 176 Vgl. auch Isak, Selbstverständnis, S. 203 f. 177 Vgl. auch Isak, Selbstverständnis, S. 204; Korioth, in: FS Badura, S. 727 (737); Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (196 f.); Strake, Streikrecht, S. 14. 178 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 179 Vgl. Morlok, Selbstverständnis, S. 391; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 30, 52. 180 Morlok, Selbstverständnis, S. 391; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 193; Muckel, in: HdbStKirchR I, S. 833; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164 f.).

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Religionsgesellschaften gewährleisteten Freiheit und obliegt damit den Religionsgesellschaften181. Die Kirchen üben also ihr Recht auf Selbstbestimmung aus, wenn sie Einrichtungen schaffen, die für einen Teilbereich des kirchlichen Auftrages zuständig sein sollen. Dass durch die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung dieses Recht wieder entfallen soll, erscheint allerdings nicht konsequent. Denn die Einrichtungen verwirklichen einen Teil des kirchlichen Auftrags und gehören damit zur Kirche, auch wenn sie organisatorisch eigenständig sind. Daher muss auch für die Einrichtungen das Selbstbestimmungsrecht bestehen bleiben. Durch die Einbeziehung der Einrichtungen in den Schutz des Selbstbestimmungsrechts wird schließlich auch nicht der Begriff der Religionsgesellschaft verändert182. Die Einrichtungen werden nicht als Religionsgesellschaften angesehen183. Sie können aber Teile einer Religionsgesellschaft sein, wie auch der Wortlaut des Art. 138 II WRV nahe legt. Damit erscheint die erweiternde Auslegung184 des BVerfG sowie der wohl herrschenden Lehre zutreffend. Kirchliche Einrichtungen sind damit als von dem Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV erfasst anzusehen und können dessen Subjekte sein. c) Originäre oder abgeleitete Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts Die vorstehend entwickelte Herleitung, aufgrund derer sich der Schutz grundsätzlich auch auf kirchliche Einrichtungen erstreckt, lässt erkennen, dass die Einrichtungen nicht aus eigenem Recht am Schutz des Selbstbestimmungsrechts teilnehmen185. Vielmehr vermitteln die Kirchen als originäre Träger ihren Einrichtungen die Befugnis, sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen zu können186. Kirchliche Einrichtungen sind also abgeleitete Träger des Selbstbestimmungsrechts. Die Einbeziehung in den Schutz des Selbstbestimmungsrechts rechtfertigt sich daraus, dass die Einrichtungen einen Teil des kirchlichen Auftrags erfüllen. Deshalb sind kirchliche Einrichtungen nicht in dem Sinne Träger des Selbstbestimmungsrechts, dass sie selbst eine eigenständige Regelungsautonomie inne181 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164 f.). 182 So aber der Einwand von Oswald, Streikrecht, S. 64. 183 Dies kritisiert Oswald, Streikrecht, S. 64. 184 Mückl, HStR VII, § 159 Rn. 81. 185 Morlok, in: Dreier GG, Art. 137 WRV Rn. 49; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 193, Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 81. 186 Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 173; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 52; Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 81; Winter, Staatskirchenrecht, S. 179.

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haben. Die Einrichtungen sind also nicht befugt, selbst Sonderregelungen zu treffen. Vielmehr gelten die Regeln, die die Kirchen aufgestellt haben, auch in den kirchlichen Einrichtungen187. Insofern erstreckt sich die kirchliche Regelungsautonomie auch auf rechtlich selbstständige Einrichtungen der Kirche. Darüber hinaus können sich die Einrichtungen selbst auf das Selbstbestimmungsrecht berufen und bei Verletzungen die Unterlassung von Beeinträchtigungen verlangen, etwa dann, wenn eine Einrichtung bestreikt werden soll und dies gegen das Selbstbestimmungsrecht verstößt188. Nicht erforderlich ist, dass die Kirche diese Rechte für die Einrichtung geltend macht. Durch die Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche können insofern die Kirchen darüber befinden, inwieweit sie ihre Einrichtungen an dem Schutz teilhaben lassen möchten189. Sofern die Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche gegeben ist, kann die Kirche ihr Sonderarbeitsrecht und damit auch – soweit ein solcher zulässig ist – den Streikausschluss auf die Einrichtung erstrecken. Die Erstreckung der kirchlichen Sonderregelungen auf die Einrichtungen „steht und fällt“ mit der Zugehörigkeit der Einrichtung zur Religionsgesellschaft. Damit stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Zuordnung besteht, ohne die der Schutz aus Art. 140 GG i.V. m. Art .137 III 1 WRV nicht gegeben ist. d) Voraussetzungen für eine Erstreckbarkeit Das BVerfG sieht die kirchlichen Einrichtungen dann als geschützt an, wenn sie „nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche in dieser Welt zu erfüllen“ 190. Strittig ist, wann eine derartige Zuordnung besteht. Es geht vor allem um die Frage, ob eine organisatorische oder institutionelle Verbindung zwischen Grundverband und Trabant bestehen muss, oder ob die Verfolgung eines kirchlichen Zweckes ausreicht191. Die Frage ist so alt wie das kirchliche Arbeitsrecht selbst und wurde bisher nicht abschließend geklärt192. Derartige Zuordnungsfragen werden im Zusammenhang mit der Problematik, wann kirchliche Einrichtungen gemäß § 118 II BetrVG vom Anwendungsbereich 187

Vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 3 Rn. 9 f. So geschehen in BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (448). Hier war etwa die Klägerin zu 1 die Evangelische Krankenhaus Bielefeld gGmbH. 189 Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 173; Isensee, in: HdbStKirchR II, 727 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 153; Winter, Staatskirchenrecht, 179. 190 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 191 Muckel, Religiöse Freiheit, S. 193 f. 192 Joussen, ZTR 2010, 54 (57). 188

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des BetrVG auszunehmen sind, diskutiert. In dieser Diskussion werden jedoch grundsätzliche Aussagen zu der Fragestellung, wann eine Einrichtung dem Grundverband zuzuordnen ist, getroffen. Diese sind daher auch für die hier zu behandelnde Thematik von maßgeblicher Relevanz. aa) Die Rechtsprechung In der Rechtsprechung hat sich zu dieser Problemstellung insgesamt keine einheitliche Linie ergeben: Das BAG ging zunächst davon aus, dass eine Einrichtung nur dann zu der Amtskirche gehören könne, wenn eine ausreichende organisatorische Verbindung zur Kirche bestehe193. Die Kirche müsse einen entscheidenden Einfluss auf die Einrichtung haben194. Soweit die Einrichtung eine private Stiftung sei, müsse sie unter der „Aufsicht kirchlicher Organe“ stehen195. Diese Entscheidung hat das BVerfG aufgehoben196. Insgesamt stellt es weniger strenge Anforderungen als das BAG197. Das BVerfG sieht alle „der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform“ als geschützt an198. Bei der Ordnung und Verwaltung ihrer Einrichtungen sei die Kirche grundsätzlich frei199. Voraussetzung sei, dass die Einrichtungen „nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.“ 200 Daher sind nach der Rechtsprechung des BVerfG die Einrichtungen geschützt, wenn diese einen kirchlichen Zweck verfolgen201. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn eine organisatorische oder institutionelle Verbindung zur Kirche besteht, wie z. B. bei Orden202. Diese Verbindung sei aber keine konstitutive Voraussetzung für die Anerkennung einer Einrichtung als kirchlich. Vielmehr seien auch selbstständige Vereinigungen geschützt, „wenn und soweit ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder“ sei203. Ob diese Voraussetzung gegeben sei, könne sich anhand des „Ausmaß[es] der institutionellen Verbindung mit 193

BAG, Beschl. v. 21.11.1975 – 1 ABR 12/75, NJW 1976, 1165 (1166). BAG, Beschl. v. 21.11.1975 – 1 ABR 12/75, NJW 1976, 1165 (1167). 195 BAG, Beschl. v. 21.11.1975 – 1 ABR 12/75, NJW 1976, 1165 (1167). 196 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73–96. 197 Vgl. auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (119). 198 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 199 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 200 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (85). 201 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (86). 202 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (246 f.); BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (86 f.). 203 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (86 f.). 194

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einer Religionsgemeinschaft oder [der] Art der mit der Vereinigung verfolgten Ziele bestimmen.“ 204 Fraglich ist, ob diese Kriterien alternativ oder kumulativ vorliegen müssen. Die Formulierung „oder“ könnte zwar für ein Alternativitätsverhältnis sprechen205. Andererseits hat das BVerfG bereits mehrfach den Einfluss der Kirche auf die Organisation und die bekenntnismäßige Zugehörigkeit der Einrichtung zur Kirche kumulativ geprüft206. Insoweit wird nicht hinreichend deutlich, ob nach Ansicht des BVerfG alternativ eine organisatorische oder bekenntnismäßige Zugehörigkeit ausreichend ist207 oder ob beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen208. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG hat das BAG seine Rechtsprechung angepasst. Als entscheidend für eine Zuordnung der Einrichtung zur Kirche erachtet es nicht mehr, ob die Kirche durch ihre „Organe einen rechtlich abgesicherten maßgebenden Einfluss auf die Einrichtung ausüben“ könne209. Eine institutionelle oder organisatorische Verbindung sei nicht erforderlich. Stattdessen komme es darauf an, ob die Einrichtung nach dem kirchlichen Selbstverständnis eine Wesens- und Lebensäußerung der Kirche ist210. Insoweit wird hier entscheidend auf den Zweck der Einrichtung abgestellt. Hiernach ist bereits eine kirchliche Einrichtung anzunehmen, wenn die Kirche die Einrichtung als eigene ansieht. Das BAG hat mittlerweile seine Rechtsprechung weiter modifiziert und stellt wieder etwas strengere Anforderungen an die Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche211. Der kirchliche Zweck einer Einrichtung allein reiche nicht aus; stattdessen müsse die Kirche auch ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung haben212. Dieser müsse aber nicht beherrschend und auch nicht satzungsmäßig abgesichert sein. Der Einfluss müsse aber sicherstellen, dass die Kirche in der Lage sei, einen etwaigen Dissens zwischen ihr und der Einrichtung in religiösen Fragen zu unterbinden213. Insoweit muss sich hiernach die Kirche in religiösen Fragen gegen die Einrichtung durchsetzen können214. Diese Anforde204 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 2 BvR 209/76, BVerfGE 46, 73 (87) unter Berufung auf BVerfG, Beschl. v. 16.10.1968 – 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236 (246 f.). 205 So auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (119). 206 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (242). 207 So z. B. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 194. 208 So versteht z. B. Isak, Selbstverständnis, S. 68 die Entscheidung des BVerfG; ebenso Weth/Wern, NZA 1998, 118 (119); Thüsing, ZTR 2002, 56 (57). 209 BAG, Beschl. v. 06.12.1977 – 1 ABR 28/77, BAGE 29, 405 (410). 210 BAG, Beschl. v. 06.12.1977 – 1 ABR 28/77, BAGE 29, 405 (410). 211 Vgl. dazu Weth/Wern, NZA 1998, 118 (120). 212 BAG, Beschl. v. 14.04.1988 – 6 ABR 36/86, BAGE 58, 92 (102). 213 BAG, Beschl. v. 14.04.1988 – 6 ABR 36/86, BAGE 58, 92 (103). 214 BAG, Beschl. v. 14.04.1988 – 6 ABR 36/86, BAGE 58, 92 (103); BAG, Beschl. v. 05.12.2007 – 7 ABR 72/06, BAGE 125, 100 (112).

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rung, dass ein Mindestmaß an Einfluss bestehen muss, hat das BAG inzwischen mehrfach wiederholt215, so dass dies als gefestigte Rechtsprechung bezeichnet werden kann. bb) Die Meinungen in der Rechtslehre In der Lehre geht das Meinungsspektrum ähnlich weit auseinander wie in der Rechtsprechung. Folgende Ansichten werden deutlich: Es wird zunächst vertreten, dass alle Einrichtungen, die „nach kirchlichem Selbstverständnis eine Wesens- und Lebensäußerung der Kirche sind“, durch das Selbstbestimmungsrecht geschützt seien216. Ausreichend wäre demnach, dass die Einrichtung nach kirchlichem Selbstverständnis an der Verwirklichung des kirchlichen Auftrags teilhat, und dass die Kirche die Einrichtung als ihr zugehörig ansieht. Eine organisatorische Anbindung wird demnach nicht verlangt. Allerdings müsse gesichert sein, dass die Einrichtung mit dem Glaubensbekenntnis der Kirche übereinstimme217. Demgegenüber wird überwiegend das Vorliegen eines organisatorischen Einflusses verlangt. Wie dieser aber konkret aussehen soll, ist wiederum strittig: Während teilweise, wie auch in den neueren Entscheidungen des BAG, lediglich ein Einfluss verlangt wird, der einen Gleichlauf der Einrichtung mit der Kirche in religiösen Angelegenheiten garantiert218, fordert eine andere Ansicht einen maßgeblichen Einfluss, der die Einrichtung beherrscht219. Teilweise wird auch eine eigentümerähnliche Stellung als Voraussetzung für eine Zuordnung angesehen220.

215 BAG, Beschl. v. 24.07.1991 – 7 ABR 34/90, BAGE 68, 170; BAG, Beschl. v. 31.07.2002, 7 ABR 12/01, BAGE 102, 74 (79); vgl. auch BAG, Beschl. v. 05.12.2007 – 7 ABR 72/06, BAGE 125, 100 (111). 216 Vgl. Mayer-Maly, BB 1977, 249 (250); Richardi, ZevKR 15 (1970), 219 (223), (236 f.); Richardi, ZevKR 19 (1974), 275 (305); Richardi, ZevKR 23 (1978), 367 (396); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 3 Rn. 8; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (450); Richardi, Anm. zu AP Nr. 6 zu § 118 BetrVG 1972, Bl. 189 f.; etwas anders akzentuiert jetzt Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (191). 217 So Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 3 Rn. 9. 218 Beckers, ZTR 2000, 63 (66); Fitting, BetrVG, § 118 Rn. 60; Hünlein, ZTR 2002, 524 (525); Löwisch, AuR 1979 Sonderheft, 33 (35); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 28; Thüsing in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 200; Thüsing, ZTR 2002, 56 (57 f.); Weber, in: GK BetrVG § 118 Rn. 224; so wohl auch Reichold, NZA 2009, 1377 (1378 f.); in diese Richtung gehend auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (120 f.), die aber keine Einflussmöglichkeit der Kirchen im Sinne einer letztverbindlichen Entscheidung in religiösen Fragen verlangen. 219 Vgl. Wedde, in: Däubler u. a., BetrVG, § 118 Rn. 126; Herschel, AuR 1978 172 (178); Otto, AuR 1980, 289 (298). 220 Vgl. Kluge, Arbeitsrechtliche Probleme, S. 308.

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cc) Stellungnahme (1) Das Selbstverständnis der Kirchen als Ausgangspunkt für eine Zuordnung Richtigerweise kann es auf die bloße Zwecksetzung der Einrichtung nicht ankommen. Wie bereits festgestellt wurde, leiten die Einrichtungen ihre Möglichkeit, sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen zu können, von den Kirchen ab. Die Einrichtungen sind nicht originäre Träger des Selbstbestimmungsrechts. Aus diesem Grund kann es für die Zuordnung der Einrichtung zu der Kirche nicht allein entscheidend sein, dass sich die Einrichtung mit den Zielen der Kirche identifiziert221. Vielmehr muss umgekehrt der Grundverband, also die Religionsgemeinschaft, zunächst der Meinung sein, dass die fragliche Einrichtung zur Erfüllung des Auftrags der Religionsgemeinschaft beiträgt222. Die Einrichtung muss nach dem „Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft zu deren Wesens- und Lebensäußerung gehören“ 223. Insoweit bestimmt sich nach kirchlichem Selbstverständnis, „wer zur Kirche gehört und damit auch, wer sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen kann.“ 224 (2) Erforderlichkeit von Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung Fraglich ist aber, ob das Selbstverständnis der Kirchen für die Zuordnung das alleinentscheidende Kriterium sein kann. Wäre das Selbstverständnis allein ausreichend, um eine Zuordnung zu begründen, bräuchte die Kirche keine rechtlich abgesicherten Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung zu haben. Zwar könnte man dahin argumentieren, dass die Kirche auch ohne eine abgesicherte Einflussmöglichkeit in der Lage sei, faktisch auf die Einrichtung und ihre Entscheidungen einwirken zu können. Denn die Kirche kann die Zugehörigkeit der Einrichtung zur Institution Kirche einseitig aufheben, wenn sie alleine über die Zuordnung bestimmt225. Auf diese Weise wäre möglicherweise in praxi gesichert, dass eine kirchliche Einrichtung gegen den Willen der Kirche keine Entscheidungen trifft, die mit den elementaren Glaubenssätzen unvereinbar sind. Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, dass die Möglichkeit einer Einrichtung, sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen zu können, eine sehr weitgehende Privilegierung gegenüber den anderen am Rechtsverkehr teilnehmenden Rechtssubjekten bedeutet, weil sich hieraus eine teilweise Freistellung vom staatlichen

221

So auch Muckel, in: HdbStKirchR I, S. 834. Richtig Glawatz-Wellert, ZevKR 51 (2006); 352 (360). 223 Weber, in: GK-BetrVG § 118 Rn. 230 m.w. N.; vgl. van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 35. 224 Isak, Selbstverständnis, S. 48. 225 Darauf weisen Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121) mit Recht hin. 222

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Recht ergibt. Von diesem Standpunkt aus sollte zumindest auch institutionell gesichert sein, dass die Kirche de iure und nicht nur de facto über ausreichend Einfluss auf „ihre“ Einrichtung verfügt. So kann sichergestellt werden, dass die grundlegenden Werte und Glaubensgrundsätze auch von der Einrichtung mitgetragen und verfolgt werden. Schließlich ist das Selbstbestimmungsrecht eine der Glaubensfreiheit dienende Freiheit. (3) Ausmaß der erforderlichen Einflussmöglichkeit Insoweit erscheint es sachgerecht, eine organisatorische Verbindung zu verlangen, die einen Mindesteinfluss gewährleistet226. Die Verbindung muss sicherstellen, dass die Kirchen in der Lage sind, einen „etwaigen Dissens in religiösen Fragen zwischen ihr und der Einrichtung zu unterbinden“ 227. Kann die Kirche in Fragen, die das religiöse Bekenntnis betreffen, einen Gleichlauf der Einrichtung nicht erreichen, liegt keine hinreichende Zugehörigkeit vor. Es erschiene widersprüchlich, wenn beispielsweise ein kirchlich getragenes Krankenhaus gegen den ausdrücklichen Willen der Kirche Behandlungsmethoden anwenden könnte, die nicht im Einklang mit der Glaubenslehre stehen, und dieses Krankenhaus trotzdem am von den Kirchen vermittelten Selbstbestimmungsrecht teilhätte. Ebenso widersprüchlich wäre es, wenn ein kirchlicher Kindergarten Werte vermitteln könnte, die nicht mit den Glaubensdogmen übereinstimmen, ohne dass die Kirche die abgesicherte Möglichkeit hat, hierauf Einfluss zu nehmen. Daraus ergäbe sich nämlich die Konsequenz, dass die Mitarbeiter in der betreffenden Einrichtung Mitglieder einer Dienstgemeinschaft wären, bei der jede Arbeitsleistung auf die Erfüllung des kirchlichen Auftrages gerichtet ist228, gleichzeitig jedoch dienstlich veranlasste Handlungen vornehmen, die gerade nicht mit dem Wesen und dem Auftrag der Kirche in Einklang stehen. Eine satzungsmäßige Verbürgung dieser Einflussmöglichkeiten oder ein bestimmender Einfluss derart, dass die Kirche die Einrichtung beherrscht oder gar eine Eigentümerstellung innehat, ist andererseits nicht zu fordern229. Denn wegen der Organisationshoheit können die Kirchen die Art der Verbindung zu ihren Einrichtungen selbst definieren230. Damit muss nur das „Ob“ des Einflusses objektiv 226

Richtig Weber, in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 231 m.w. N. Zutreffend BAG, Beschl. v. 14.04.1988 – 6 ABR 36/86 – BAGE 58, 92 (102); Thüsing, in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 200. 228 Näher zum Grundsatz der Dienstgemeinschaft § 2 III. 3. d). 229 Wie hier auch van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 35; Richardi, ZevKR 23 (1978), 367 (397 f.); Weber, in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 231; ähnlich auch Joussen, in: EssGespr. 2012, S. 53 (78); anders Oswald, Streikrecht, S. 80; Wedde, in: Däubler u. a., BetrVG, § 118 Rn. 126 f. 230 So auch Hünlein, ZTR 2002, 524 (527 f.); Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 26; Thüsing, in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 200; Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 227

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vorliegen; das „Wie“ des Einflusses können die Kirchen selbst festlegen231. Die Kirche kann ihren Einfluss durch eine Eigentümerstellung oder die Satzung der Einrichtung bestimmen, aber beispielsweise auch durch personelle Übereinstimmungen in Kirchen- und Einrichtungsleitung oder durch vertragliche Vereinbarungen232. Ausreichen dürfte auch die verbindliche Unterwerfung der Einrichtung unter den Einfluss der Kirche allgemein oder im Besonderen, etwa unter die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse233. Entscheidend ist, dass die Kirche einen Gleichlauf in religiösen Angelegenheiten notfalls auch durchsetzen kann234. Dies reicht aus, um eine Kontrolle und Anbindung der Einrichtung an die Kirche sicherzustellen. Daher müssen über die Frage, wie diese Anbindung stattzufinden hat, keine verbindlichen Vorgaben aufgestellt werden. Wie die Kirche diesen Einfluss sicherstellt, liegt damit in ihrer alleinigen Verantwortung. Auch die Beantwortung der vom BAG verneinten Frage, ob die Mitgliedschaft im diakonischen Werk allein ausreichend ist235, bestimmt sich nach dem dargelegten Maßstab der Einflussmöglichkeit. Dieser Lesart steht auch der Wortlaut des Art. 137 III WRV nicht entgegen, nach dem die Kirchen das Recht haben, ihre Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten. Es gehört zum Verwalten der Einrichtungen zwangsläufig und sprachlogisch dazu, dass auch Einflussmöglichkeiten bestehen, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder korrigieren zu können236. (4) Ergebnis Festzuhalten ist, dass eine Einrichtung dann am Schutz des Selbstbestimmungsrechts teilhat, wenn sie nach dem Selbstverständnis der Kirchen dazu berufen ist, einen Teil des kirchlichen Auftrags zu verwirklichen, und wenn die Kirche ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung hat. Die Kirche muss in der Lage sein, Einfluss auf die Einrichtung hinsichtlich Angelegenheiten, die das kirchliche Bekenntnis betreffen, geltend zu machen. Unter diesen Voraussetzungen können sich die kirchlichen Regelungen und damit auch prinzipiell der Streikausschluss auf die Einrichtung erstrecken. Die Einrichtung kann allerdings nicht selbst Regelungen unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht treffen. 231

So auch Thüsing, in: Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 200. Zu diesen Kriterien auch Weth/Wern, NZA 1998 118 (120 f.). 233 § 2 II GrO, abrufbar unter http://www.caritas.de/cms/contents/caritasde/medien/ dokumente/dcv-zentrale/arbeits-undtarifrech/grundordnungdeskirch/grundordnung%20 des%20kirchlichen %20dienstes.pdf, abgerufen am 05.08.2014; vgl. hierzu auch Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (78). 234 Richtig Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 28. 235 BAG, Beschl. v. 05.12.2007 – 7 ABR 72/06, BAGE 125, 100–121. 236 So mit Recht auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 232

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

III. Sachlicher Schutzbereich: Selbstständige Regelung eigener Angelegenheiten Nachdem soeben erörtert wurde, wer sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen kann, muss im Anschluss geklärt werden, auf welche Gegenstände sich das Selbstbestimmungsrecht sachlich bezieht. Die Religionsgesellschaften dürfen nach Art. 137 III WRV die eigenen Angelegenheiten selbstständig ordnen und verwalten. Ordnen meint in diesem Zusammenhang die Befugnis, eigenes Recht zu setzen, dessen Geltung nicht unter einem Genehmigungsvorbehalt des Staates steht237. Verwalten ist als das freie Tätigwerden der kirchlichen Organe „zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben“ zu verstehen238. Hierzu zählt der Vollzug des eigenen Rechts sowie auch der Erlass von Bestimmungen über Organisation und Leitung der Kirche, ferner die Befugnis, eine eigenständige Kirchengerichtsbarkeit einzurichten und ein Verfahrensrecht zu schaffen239. Bezugspunkt des Selbstbestimmungsrechts sind eigene Angelegenheiten der Religionsgesellschaften. Insoweit ist im Folgenden zu klären, wie die eigenen Angelegenheiten zu bestimmen sind, um anschließend die Frage beantworten zu können, ob die Beschäftigung von Mitarbeitern hierzu zählt. 1. Bestimmung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten a) Ansätze in der Weimarer Republik Weil sich das Selbstbestimmungsrecht aus der Inkorporation des Art. 137 III 1 WRV ergibt, der seinerseits eine Vorläufernorm hat, soll kurz untersucht werden, wie der Begriff der eigenen Angelegenheiten ursprünglich verstanden worden ist. Anschütz hat in Bezug auf die preußische Verfassung vom 31.01.1850 die These vertreten, dass der Staat bestimme, was zu den eigenen Angelegenheiten zähle. Begründet hat er diese Auffassung damit, dass die Kirchen dem Staat untergeordnet seien240. Hierfür spreche außerdem die praktische Erwägung, dass die Religionsgesellschaften zu unterschiedliche Auffassungen hätten, um zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen241.

237 Vgl. etwa Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 30; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 535; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 179; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 155. 238 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 101; Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 30. 239 Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 156. 240 Vgl. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 307. 241 Hierzu Oswald, Streikrecht, S. 69.

III. Sachlicher Schutzbereich

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In Bezug auf Art. 137 III WRV wurde in dem von Anschütz herausgegebenen Kommentar zur WRV ebenfalls angenommen, dass die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten vom Staat ausgehen müsse. Die Verfassung normiere selbst, was kirchliche Angelegenheiten seien. Der genaue Inhalt sei im Streitfalle im Wege der Auslegung durch den Richter zu ermitteln242. Unstreitig zu den eigenen Angelegenheiten sollen hiernach aber die Glaubenslehre, die Kultusordnung, die Verfassung und Verwaltung der Religionsgesellschaften und ihrer Gemeinden, die Rechtsverhältnisse zu den Geistlichen und das kirchliche Finanzwesen gehören243. Ein anderer Ansatz geht auf Ebers zurück. Ebers ging davon aus, dass die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten nicht in das subjektive Ermessen des Staates oder der Kirchen gestellt sei244. Damit seien eigene Angelegenheiten nicht solche, die der Staat formell den Kirchen zuweise oder die die Kirchen als eigene Angelegenheiten betrachteten. Vielmehr sei der Kreis der eigenen Angelegenheiten objektiv zu bestimmen. Eigene Angelegenheiten seien daher nur solche, die materiell den kirchlichen Bereich tangieren245. Diejenigen Angelegenheiten, die der „Natur der Sache, [der] Zweckbeziehung oder Zweckbestimmung der jeweiligen Angelegenheit“ nach zu den kirchlichen Angelegenheiten gehören, seien eigene Angelegenheiten der Kirchen und unterfielen damit dem Schutz aus Art. 137 III WRV246. Als eigene Angelegenheiten werden von Ebers und Anschütz im Wesentlichen die gleichen Materien angesehen247. Diese bleiben auch dann eigene Angelegenheiten, wenn durch die Ordnung und Verwaltung dieser Angelegenheiten als Reflex das staatliche Recht betroffen werde248. Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass nach der Anschützschen Interpretation der Staat den Umfang der eigenen Angelegenheiten festlegt. Ebers war hingegen der Ansicht, dass nicht die Verfassung selbst oder die Kirchen den Gegenstand der eigenen Angelegenheiten festlegen können. Vielmehr wird nach Auffassung Ebers der Inhalt der eigenen Angelegenheiten von der Verfassung „vorausgesetzt und in diesem Umfang gewährleistet“ 249.

242

Anschütz, Verfassung, Art. 137 Anm. 4. Anschütz, Verfassung, Art. 137 Anm. 4. 244 Ebers, Staat und Kirche, S. 258. 245 Ebers, Staat und Kirche, S. 258. 246 Vgl. Ebers, Staat und Kirche, S. 258; Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte II, S. 389. 247 Vgl. Ebers, Staat und Kirche, S. 258 ff.; vgl. hierzu auch Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 539. 248 Ebers, Staat und Kirche, S. 259. 249 So Hesse, HdbStKirchR I, S. 538 f. 243

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

b) Darstellung der Rechtsprechung des BVerfG aa) Bestimmung kraft Natur der Sache In einer früheren Entscheidung ist das BVerfG zunächst der Sache nach der Lehre von Ebers gefolgt. Soweit eine Vereinbarung zwischen Staat und Kirche nicht bestehe, würden die eigenen Angelegenheiten danach bestimmt, was „materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen“ sei250. bb) Bestimmung anhand des Selbstverständnisses Später ist das BVerfG von dieser Rechtsprechung abgerückt. Der Gegenstand der eigenen Angelegenheiten sei ausgehend vom Selbstverständnis der Kirchen zu bestimmen251. Es sei hiernach die Aufgabe der Kirchen, festzulegen, was spezifische Aufgaben der Kirche seien, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordere, welche die zentralen Grundsätze der Glaubensund Sittenlehre seien und wie schwer ein Verstoß gegen diese wiege252. Diese eigenen Angelegenheiten sollen nach Ansicht des BVerfG nach den „spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten, d. h. auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses“, rechtlich gestaltet werden können253. Auch seien Veränderungen des Selbstverständnisses von staatlicher Seite zu respektieren254. Der Grund für den Rechtsprechungswandel könnte in dem bereits herausgestellten engen Zusammenhang zwischen der weit zu verstehenden Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht liegen. In Übereinstimmung mit dem BVerfG geht auch das BAG davon aus, dass nur die Religionsgesellschaften selbst authentisch festlegen können, was die eigenen Angelegenheiten sind255. c) Der Meinungsstand in der heutigen Rechtslehre In der Lehre wird ein breites Meinungsspektrum zu der Frage vertreten, wie sich der Gegenstand der eigenen Angelegenheiten bestimmt256. Überwiegend 250

BVerfG, Beschl. v. 17.02.1965 – 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385 (387). Hierzu BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvR 1718/83, BVerfGE 66, 1 (19); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 252 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168). 253 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 254 BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (344). 255 BAG, Beschl. v. 06.12.1977 – 1 ABR 28/77, BAGE 29, 405 (410). 256 Eine ausführliche Analyse des Meinungsstandes der Lehre unter Geltung des Grundgesetzes ist zu finden bei Isak, Selbstverständnis, S. 102–139. 251

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wird der Konzeption des BVerfG zugestimmt, nach der die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten gemäß dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften erfolgt257. Zum Teil wird allerdings auch angenommen, dass die Verfassung objektiv vorgebe, was die eigenen Angelegenheiten seien258. Anderenfalls verliere der Staat im Verhältnis zu den Religionsgesellschaften die Kompetenz-Kompetenz, so dass das staatliche Recht und dessen Reichweite vom kirchlichen Selbstverständnis abhängig werde259. Auch soll sich eine objektive Bestimmung der eigenen Angelegenheiten aus der Geschichte der Auslegung des Art. 137 III WRV ergeben, nach der die Norm Kompetenzen abgrenze und kein Freiheitsrecht sei260. Ferner wird der Wortlaut als Argument herangezogen, der belegen soll, dass die eigenen Angelegenheiten objektiv zu bestimmen seien261. d) Stellungnahme aa) Für eine Bestimmung anhand des Selbstverständnisses sprechende Gründe Für eine selbstverständnisorientierte Auslegung spricht zunächst die Systematik, namentlich der Zusammenhang zu Art. 4 I, II GG. Art. 137 III WRV ist, wie bereits herausgestellt, funktional auf die Verwirklichung der Glaubensfreiheit gerichtet. Das Selbstbestimmungsrecht stellt also sicher, dass die Kirchen die Glaubensfreiheit ausüben können. Dies erfolgt dadurch, dass die Religionsgesellschaften die eigenen Angelegenheiten, also diejenigen, die der Glaubensausübung dienen, selbstständig und nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten regeln können. Könnte nun der Staat bestimmen, welche Tätigkeiten zu den eigenen Angelegenheiten zählen, würde er hiermit festlegen, welche Handlungen der Glaubensausübung dienen. Damit ginge eine erhebliche Beschränkung der Glaubensfreiheit einher262. Der Staat würde hierdurch die Religionsgesellschaften in ihrer durch 257 Vgl. statt vieler: Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, § 11 Rn. 184; Hahn, Mitbestimmung, S. 26 f.; Heckel, VVDStRL 26 (1968), 5 (41); Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 540–542; Isak, Selbstverständnis, S. 285, 320 f.; Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 28 f.; Morlok, Selbstverständnis, S. 433; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 48; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 192; Oswald, Streikrecht, S. 77; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 80–82; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 26; Robbers, in: Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der EU, S. 61 (67); Wißmann, VerwArch 2010, 584 (592). Eine im Ausgangspunkt objektive Bestimmung der eigenen Angelegenheiten befürwortet Reichold, NZA 2009, 1377 (1378), der aber bei der Auslegung der eigenen Angelegenheiten das Selbstverständnis berücksichtigen will; so auch Ehlers, ZevKR 32 (1987), 158 (161 f.); Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 6; in diese Richtung gehend auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 258 So etwa Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345 f.). 259 Vgl. Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (332), (345). 260 Vgl. Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345). 261 Vgl. Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345). 262 So richtig auch Oswald, Streikrecht, S. 75.

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Art. 4 I, II GG geschützten Eigenständigkeit einschränken263. Die Verfassung würde mit anderen Worten über Art. 4 GG Freiheiten geben und diese über Art. 140 i.V. m. 137 III 1 WRV wieder nehmen. Dies wäre widersprüchlich264. Auch aus der religiösen Neutralität des Staates ergibt sich die Notwendigkeit einer selbstverständnisorientierten Auslegung265: Weil sich der neutrale Staat nicht zum Inhalt des religiösen Bekenntnisses und den daraus folgenden Aufgaben äußern darf, kann er auch nicht festlegen, welche Tätigkeiten der Glaubensausübung dienen oder sie unterstützen und demnach eigene Angelegenheiten der Kirchen im Sinne von Art. 137 III WRV sind266. Auch ist der religiös neutrale Staat überhaupt nicht in der Lage zu bestimmen, was zum Wesen und Auftrag der Religionsgesellschaften zu rechnen ist267. Das liegt daran, dass er den religiösen Auftrag der Kirchen nicht kennt268. Ihm fehlen die Maßstäbe, anhand derer er diesen bestimmen könnte269. Nur ein Staat, der sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlt, hat die Kenntnis, die notwendig ist, um einen Aufgabenkatalog für seine Kirche erstellen zu können270. Das Problem, keine ausreichenden Maßstäbe zu haben, vervielfältigt sich noch durch die enorme Vielzahl der Religionen und Glaubensgemeinschaften. Daher kann sich nur die Religionsgesellschaft selbst authentisch dazu äußern, was ihre eigenen Angelegenheiten sind271. Daher muss die Festlegung der eigenen Angelegenheiten, die der Ausübung der Glaubensfreiheit dienen, durch die Organisationen selbst erfolgen können272. Es muss also die Aufgabe der Kirchen sein, festzulegen, welche Handlungen religiöser Betätigung dienen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche erfordert, welche die spezifisch kirchlichen Aufgaben der Kirche sind und wie sich die Nähe zu ihnen bemisst273. 263 Vgl. auch Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (430); Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 541; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184. 264 Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 541; zustimmend Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184. 265 So zutreffend auch Augsberg, SAE 2012, 11 (13). 266 Augsberg, SAE 2012, 11 (13); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (430) Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 541. 267 Vgl. Hahn, Mitbestimmung, S. 27; Isak, Selbstverständnis, S. 204, 219; Joussen, RdA 2009, 65 (69); Muckel, Religiöse Freiheit, S. 192; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 5. 268 Vgl. Isak, Selbstverständnis, S. 204. 269 Vgl. auch Isak, Selbstverständnis, S. 219 f.; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 192. 270 Vgl. Isak, Selbstverständnis, S. 217 unter Bezugnahme auf Heckel, in: HdbStKirchR I, (1974), S. 506. 271 Vgl. BAG, Beschl. v. 06.12.1977 – 1 ABR 28/77, BAGE 29, 405 (410). 272 Augsberg, SAE 2012, 11 (12). 273 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168).

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bb) Entgegenstehen des Gesetzeswortlauts und der Historie? Hiergegen wird zum Teil vorgebracht, der Wortlaut des Art. 137 III 1 WRV stehe einer das Selbstverständnis berücksichtigenden Lesart entgegen: Dort sei festgelegt, dass die Kirchen ihre eigenen Angelegenheiten regelten und nicht solche, die sie für ihre eigenen hielten274. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass die hier bevorzugte Interpretation durchaus dem Gesetzeswortlaut standhält: Die Angelegenheiten, die die Kirchen ihrem Selbstverständnis nach für eigene halten, sind nach dieser Konzeption jedenfalls im Grundsatz tatsächlich ihre eigenen275. Auch wird gegen eine das Selbstverständnis berücksichtigende Interpretation eingewendet, dass sie ahistorisch sei. Art. 137 III WRV habe keinerlei freiheitlichen Charakter, sondern sei seit jeher ausschließlich eine Kompetenzabgrenzungsnorm, deren Inhalt objektiv zu bestimmen sei276. Dass diese Sicht nicht zu überzeugen vermag, wurde bereits eingehend herausgearbeitet277. Insofern ist es vorzugswürdig, die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten anhand des Selbstverständnisses der Kirchen vorzunehmen. Hierbei sind jedoch einige Gesichtspunkte zu berücksichtigen. cc) Grenzen bei der Berücksichtigung des Selbstverständnisses Es reicht nicht aus, dass lediglich behauptet wird, ein bestimmtes Verhalten sei nach eigenem Selbstverständnis eine eigene Angelegenheit. Anderenfalls wäre auch einer missbräuchlichen Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht Tür und Tor geöffnet. Vielmehr ist das Bestehen dieses Selbstverständnisses eine beweisbedürftige Tatsache, die nach den allgemeinen (staatlichen) Prozessregeln darzulegen und auch zu beweisen ist278. Derjenige, der sich auf das Selbstverständnis zu seinen Gunsten beruft, muss dessen Vorliegen auch beweisen und trägt das Risiko eines non liquet279. Dies führt dazu, dass die Kirche, die behauptet, der Arbeitskampf widerspreche ihrem Selbstverständnis, dies darlegen und beweisen muss. Der Beweis soll vor allem anhand kirchlicher Rechtssätze, kirchenamtlicher Verlautbarungen oder durch Nachfrage bei der zuständigen kirchlichen Stelle geführt werden280. In diese Richtung scheint auch das BVerfG zu gehen, 274

Wieland, Der Staat 25 (1986), 321 (345). Ähnlich auch Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (430). 276 Wieland, DB 1987, 1633 (1636). 277 Unter § 2 I. 2. b) aa). 278 Vgl. statt vieler Augsberg, SAE 2012, 11 (13); Isak, Selbstverständnis, S. 151 f., 168, 228; vgl. auch Hahn, Mitbestimmung, S. 27; Hesse, in: HdbStKirchR, S. 543 in Fn. 73; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184. 279 Vgl. Isak, Selbstverständnis, S. 164. 280 Isak, Selbstverständnis, S. 152. 275

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wenn es im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Religionsgemeinschaft vorliegt, ausführt, dass die bloße Behauptung eines Verbandes, eine solche zu sein, nicht ausreiche281. Stattdessen müsse es sich auch „tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrundezulegen haben“ 282. Dies gilt auch entsprechend für die Frage, ob eine eigene Angelegenheit vorliegt283. Das Selbstbestimmungsrecht kann inhaltlich nicht so weit gehen, den Religionsgesellschaften die Kompetenz einzuräumen, letztverbindlich festlegen zu können, wie weit der Schutz sachlich reicht284. Sonst könnten sich Religionsgemeinschaften von der Geltung des staatlichen Rechts selbst freistellen285. Immerhin ist das Selbstbestimmungsrecht eine Regelung der staatlichen Rechtsordnung286. Eine uferlose Auslegung des Selbstbestimmungsrechts betrifft letztlich auch das Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Bürger287. Der Staat muss die Möglichkeit haben, Regelungen zu treffen, um den Bürger schützen zu können288. Aus diesem Grunde muss die Letztentscheidungsmöglichkeit beim Staat verbleiben. Ausreichend dürfte hierbei allerdings sein, dass die Kompetenz-Kompetenz bei dem Staat dadurch verbleibt, dass er Schrankenregelungen treffen kann, die dem Schutz der kollidierenden Rechtsgüter dienen. dd) Ergebnis Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten beschreibt also das Recht der Kirchen, „alle eigenen Angelegenheiten gemäß den spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten, d.h. auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständ-

281 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.02.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (353), zustimmend auch Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184; Oswald, Streikrecht, S. 77. 282 BVerfG, Beschl. v. 05.02.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (353). 283 Zutreffend Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 184. 284 So auch Oswald, Streikrecht, S. 76; vgl. auch Reichold, NZA 2009, 1377 (1378); Schlief, in: FS Geiger 1989, S. 704 (719); so auch Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 285 Vgl. Weth/Wern, NZA 1998, 118 (121). 286 Vgl. Oswald, Streikrecht, S. 76; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 05.02.1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341 (353) in Bezug auf Art. 4 I GG. 287 Oswald, Streikrecht, S. 76. 288 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 147–150; Isak, Selbstverständnis, S. 76 f.; Muckel, Religiöse Freiheit, S. 34, 37; Oswald, Streikrecht, S. 76.

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nisses, rechtlich gestalten zu können“ 289. Ob diese kirchlichen Regelungen im Einzelfall Geltung erlangen oder ob das allgemeine staatliche Recht gilt, ist dann eine Frage der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Nunmehr stellt sich die Frage, ob die Beschäftigung von Personal sich unter Zugrundelegung der soeben entwickelten Kriterien als eine eigene Angelegenheit erweist. Nur dann wären die Kirchen befugt, die Dienstverhältnisse selbstständig rechtlich auszugestalten. 2. Beschäftigung von Personal als eigene Angelegenheit Dass die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse der Beschäftigten eine eigene Angelegenheit darstellt, ist weitestgehend anerkannt290. Die Zugehörigkeit ergibt sich aus dem Selbstverständnis der Kirchen: Ihr danach bestehender Sendungsauftrag verbietet es, die „rechtliche äußere Ordnung vom Bekenntnis zu trennen.“ 291 Die Kirchen müssen also Sorge dafür tragen, dass kein Widerspruch zwischen der Ordnung der Kirche und dem Verhalten der Beschäftigten, von denen jeder zu der Verwirklichung des Auftrags beiträgt, besteht292. Dies erfordert auch die Glaubwürdigkeit der Kirche293. Insofern ist die Möglichkeit der Einflussnahme auf Beschäftigungsverhältnisse notwendig, um zu gewährleisten, dass der kirchliche Auftrag glaubwürdig erfüllt wird. Auch die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse muss dem kirchlichen Auftrag gerecht werden. Es stellt sich damit die Frage, welche rechtlichen Gestaltungsformen den Kirchen bei der Ausgestaltung ihrer Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung stehen294: Für das kirchliche Ämterwesen bestimmt Art. 137 III 2 WRV, dass die Kirche ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde verleiht. Sofern eine Religionsgesellschaft gemäß Art.137 V WRV eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, können Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlich,

289 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 290 Vgl. statt aller BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164 f.) sowie v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 105 f., 177; v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 78; Classen, Religionsrecht, Rn. 420–422, 429; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 529; Oswald, Streikrecht, S. 80 f.; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 96; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 1; Richardi, in: HdbStKirchR II, S. 927; Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 878; Strake, Streikrecht, S. 19 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 189; a. A. v. Nell-Breuning, AuR 1979, 1 (4); Preuß, in: AK-GG, Art. 140 Rn. 48, nach dem nur das Amtsrecht eigene Angelegenheit sei. 291 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 78. 292 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 78, 84. 293 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (166). 294 Vgl. zu den Gestaltungsformen Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 1.

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etwa durch die Ernennung von Kirchenbeamten, begründet werden. Darüber hinaus können die Kirchen eigene Formen zur rechtlichen Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse entwerfen. Die Kirchen haben allerdings auch die Möglichkeit, ihre Dienstverhältnisse unter Anwendung des Privatrechts auszugestalten295. Davon machen sie Gebrauch, wenn sie Arbeitsverträge schließen. Welcher Form sich die Kirchen bedienen, können sie selbst bestimmen. Die Frage, wie weit die Gestaltungsfreiheit der Kirchen reicht und ob diese die Befugnis umfasst, ein eigenes kirchengesetzliches Arbeitsrecht, das unmittelbar und unabhängig vom staatlichen Recht gilt, schaffen zu dürfen, wird unterschiedlich beantwortet296. Dies kann jedoch insoweit dahinstehen, als die Kirchen eine eigene private Vollrechtsordnung nicht erlassen haben und dies auch nicht anstreben297. Ebenso ist fraglich, ob die kirchlichen Regelungen, wie die Grundordnung der katholischen Kirche, die Arbeitsrechtsregelungssysteme oder die Regelungen des Dritten Weges kraft normativer Wirkung gelten und insoweit autonomes Recht der Kirchen sind298 oder ob diese Regelungen erst durch eine einzelvertragliche Inbezugnahme im jeweiligen Arbeitsverhältnis Wirkung entfalten299. Bei dieser Diskussion geht es darum, ob Art. 137 III WRV die Kompetenz beinhaltet, mit verbindlicher Wirkung für das weltliche Recht eigenes Recht zu setzen300. Die Problematik der Wirksamkeit des kirchlichen Rechts im weltlichen Rechtssystem muss hier jedoch nicht erörtert werden, da in der Praxis ohnehin eine dynamische Bezugnahmeklausel verwendet wird301. 3. Geltung kirchlichen Rechts bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern Fest steht, dass die Kirchen mit ihren Mitarbeitern Arbeitsverträge nach staatlichem Recht schließen dürfen. Fraglich ist aber, welche Konsequenzen sich für die Kirchen daraus ergeben. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob in diesem Falle das staatliche Arbeitsrecht uneingeschränkt gilt oder ob, und gegebenen295 Siehe auch BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164 f.). 296 Gegen eine solche Befugnis vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 137 WRV Rn. 78; Classen, Religionsrecht, § 12 Rn. 423; Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 878 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 189; dafür: Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 265; Ehlers, ZevKR 32 (1987), 158 (163); Geiger, ZevKR 26 (1981), 156 (164). 297 Vgl. Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 879, 881. 298 Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 238; siehe jüngst auch Robbers, Streikrecht in der Kirche, S. 23; ferner Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (440). 299 So Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18, Rn. 77; Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 881. 300 Ablehnend Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 878 f.; Pirson, RdA 1979, 65 (67). 301 Vgl. Rüfner, in: HdbStKirchR II, S. 887.

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falls inwieweit die Kirchen das staatliche Arbeitsrecht modifizieren dürfen. Die hier zu untersuchende Frage nach der Wirksamkeit des Streikausschlusses betrifft nämlich eine Modifikation des staatlichen Arbeitsrechts, weil sich aus Art. 9 III GG ein Streikrecht für Arbeitnehmer ergibt. Wäre das staatliche Arbeitsrecht uneingeschränkt anwendbar, würde sich auch die Zulässigkeit von Streiks nach den allgemeinen staatlichen Regeln richten. Dürften die Kirchen hingegen eigene Regelungen treffen, die vom staatlichen Arbeitsrecht abweichen, käme es auf die Reichweite dieser Befugnis an, um feststellen zu können, ob die Kirchen ein Streikrecht ausschließen dürfen. An dieser Stelle geht es nur um die Frage, ob es überhaupt eine eigene Angelegenheit der Kirchen darstellt, Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts vorzunehmen. Es geht also darum, ob die Kirchen prinzipiell die Möglichkeit dazu haben. Inwieweit derartige Regelungen dann im Einzelfall zulässig sind, richtet sich nach den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. a) Vorrang des staatlichen Rechts Grundsätzlich ist mit der Verwendung von Arbeitsverträgen auch die Geltung des staatlichen Rechts verknüpft. Wie das BVerfG festgestellt hat, ist dies die „schlichte Folge der Rechtswahl“ 302. Aufgrund dessen wird zum Teil vertreten, das staatliches Recht uneingeschränkt gelten müsse, so dass die Kirchen ihre Regelungskompetenz aus dem Selbstbestimmungsrecht verlieren, wenn sie in der Gestaltungsform des Privatrechts handeln303. Der Abschluss von privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen sei keine eigene Angelegenheit der Kirchen mehr304. Die Beschäftigung von Arbeitnehmern sei damit nicht mehr vom Selbstbestimmungsrecht erfasst305. Insoweit könnten die Kirchen kein eigenständiges Dienstrecht für die Mitarbeiter schaffen, mit denen sie Arbeitsverträge geschlossen haben306. Es sei nicht konsequent, Arbeitsverträge zu schließen, bestimmte sich daraus ergebende kollektivrechtliche Folgen aber unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht auszuschließen307. Wenn die Kirchen Arbeitsverträge schlössen, müssten sie auch die rechtlichen Folgen, die Arbeitsverhältnisse mit sich 302 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 303 So noch Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Auflage 1987, Rn. 506; Herschel, AuR 1978, 172 (176); v. Nell-Breuning, Stimmen der Zeit 195 (1977), 705 (709). 304 Wieland, DB 1987, 1633 (1636); in diese Richtung gehend auch Kocher/Krüger/ Sudhof, NZA 2014, 880 (882), wonach der Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einem Beschäftigten, der nicht verkündigungsnah tätig ist, keine eigene Angelegenheit mehr darstelle. 305 Birk, AuR 1979 Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 9 (11). 306 So noch Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. 1987, Rn. 506; Herschel, AuR 1978, 172 (176); v. Nell-Breuning, Stimmen der Zeit 195 (1977), 705 (709). 307 v. Nell-Breuning, Stimmen der Zeit 195 (1977), 705 (709); zustimmend Herschel, AuR 1978, 172 (176).

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bringen, akzeptieren; die Kirchen seien zu behandeln wie weltliche Arbeitgeber308. b) Vorrang des Kirchenrechts Demgegenüber wurde teilweise vor allem in der älteren Literatur angenommen, dass das gesamte kirchliche Dienstrecht weder staatliches Arbeitsrecht noch öffentliches Recht, sondern Kirchenrecht sei309. Die Schaffung eines vollständig eigenständigen Dienstrechts sei eine eigene Angelegenheit der Kirchen, weil nach kirchlichem Selbstverständnis alle Mitarbeiter an der Erfüllung des kirchlichen Auftrages mitwirken310. Staatliches Recht gelte hiernach nur subsidiär, wenn die Kirchen von ihrer Befugnis, Recht zu setzen, keinen Gebrauch gemacht hätten, keine staatliche Vorschrift wie § 118 II BetrVG bestehe, die das staatliche Recht für unanwendbar erkläre, und das staatliche Recht sich mit der besonderen Eigenart des kirchlichen Dienstes vertrage311. Soweit die Kirchen Regelungen erlassen hätten, seien auch nur diese anzuwenden312. Lediglich dann, wenn diese Regelungen gegen die elementaren Grundsätze des staatlichen Rechts verstießen, seien diese als Schranke des für alle geltenden Gesetzes zu sehen313. c) Stellungnahme und Ergebnis Ein Vorrang des kirchlichen Rechts wird in der neueren Literatur zu Recht nicht mehr vertreten. Die Annahme eines derartigen Vorrangs berücksichtigt nicht, dass die Grundlage für die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Abschluss eines Arbeitsvertrags nach dem allgemeinen Zivilrecht liegt314. Insoweit muss auch das staatliche Arbeitsrecht im Grundsatz gelten. Dies ist schlichte Folge der Rechtswahl315. Es entspricht aber auch dem Selbstverständnis der Kirchen, dass das staatliche Vertragsrecht dem Grunde nach auf Verträge angewendet werden muss, die die Kirche nach staatlichen Regeln schließt316. Den Gel308 v. Nell-Breuning, Stimmen der Zeit 195 (1977), 705 (709); darauf Bezug nehmend Herschel, AuR 1978, 172 (176). 309 Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), 24 (32). 310 Vgl. Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), 24 (32). 311 Mayer-Maly, BB Beilage 3/1977, 1 (5). 312 Mayer-Maly, BB Beilage 3/1977, 1 (6). 313 Mayer-Maly, BB Beilage 3/1977, 1 (6 f.). 314 So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 77; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 7. 315 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 316 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 80; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (435), vgl. auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 18, der darauf hinweist, dass sich dies aus can. 1290 CIC ergibt; für die evangelischen Kirchen liege nach deren Selbstverständnis die Zuständigkeit in weltlichen Dingen beim Staat.

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tungsgrund der Beschäftigungsverhältnisse durch einen privatrechtlichen Vertragsschluss im staatlichen Recht zu sehen, die Konkretisierung der Verträge hingegen vorrangig nach kirchlichem Recht und nur subsidiär nach staatlichen Regelungen zu beurteilen, erscheint nicht konsequent und liefe auf eine Rosinentheorie hinaus, der das BVerfG aber gerade eine Absage erteilt hat317. Wenn staatliche Gestaltungsformen gewählt werden, gilt dem Grundsatz nach auch staatliches Recht. Die These vom Vorrang des staatlichen Rechts geht insofern zutreffend davon aus, dass bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen auch das allgemeine Arbeitsrecht Anwendung findet. Das ist „schlichte Folge der Rechtswahl“ 318 und insoweit nur konsequent. Wenn weitergehend jedoch vertreten wird, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern nicht mehr als eigene Angelegenheit zu werten sei, ist dem zu widersprechen: Für die Beurteilung, wann ein Tatbestand zu den eigenen Angelegenheiten gehört, ist das Selbstverständnis maßgeblich. Die Beschäftigung von Mitarbeitern, die zur Erfüllung des kirchlichen Auftrages beitragen, gehört zu den eigenen Angelegenheiten319. Welche rechtliche Gestaltungsform die Kirche bei der Beschäftigung von Mitarbeitern zugrunde legt, ist ebenfalls eine eigene Angelegenheit der Kirche und damit Teil der durch das Selbstbestimmungsrecht geschützten Freiheit320. Die Wahl einer bestimmten Rechtsform hebt indessen nicht diese Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten auf321. Schließen die Kirchen Arbeitsverträge im Sinne des staatlichen Rechts, nehmen sie also nicht nur an der allgemeinen Vertragsfreiheit teil, sondern sind zudem Träger des Selbstbestimmungsrechts322. Insoweit darf auch bei der Beschäftigung in Form von Arbeitsverhältnissen die „verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium“ nicht in Frage stehen323. Nur die Kirche selbst kann bestimmen, was die Glaubwürdigkeit ihres Wirkens erfordert, was spezifisch kirchliche Aufgaben sind, wann Nähe zu diesen gegeben ist, welche die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sit317 „Schlichte Folge der Rechtswahl“, BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/ 83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 318 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 319 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164). 320 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (164 f.). 321 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165); vgl. auch Heinig, ZevKR 58 (2013), 177 (181); Jurina, in: FS Broermann, S. 797 (809); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 26; Wißmann, VerwArch 2010, 584 (589). 322 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165); Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (185). 323 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165).

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

tenlehre sind und wann ein Verstoß gegen diese gegeben ist324. Die Kirchen sind daher dazu berufen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und spezifische Anforderungen an ihre Mitarbeiter zu formulieren325. Die Kirchen können also auch bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern Regelungen treffen, die die Wahrung des Selbstverständnisses und die glaubwürdige Erfüllung des kirchlichen Auftrags ermöglichen326. Damit schließt der Abschluss von Arbeitsverträgen nicht aus, dass sich kirchliche Regelungen, die die durch das Selbstbestimmungsrecht geschützten Interessen der Religionsgesellschaften wahren, im Einzelfall gegen die Anwendung bestimmter staatlicher Rechtsnormen durchsetzen327. Somit ist ein genereller Vorrang des staatlichen Rechts nicht anzunehmen. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Wenn die Kirchen bzw. deren Einrichtungen Arbeitsverträge schließen, gilt grundsätzlich das staatliche Arbeitsrecht. Die Kirchen nehmen aber nicht nur an der Vertragsfreiheit teil, sondern sind zudem Träger des Selbstbestimmungsrechts328. Der Abschluss von Arbeitsverträgen hebt die Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten nicht auf. Daher gilt staatliches Arbeitsrecht nicht uneingeschränkt. Vielmehr können die Kirchen Dienstordnungen erlassen, um den Besonderheiten des kirchlichen Dienstes Rechnung zu tragen329. Festzulegen, worin diese Besonderheiten liegen, ist die eigene Angelegenheit der Kirchen330. In diesem Sinne kann das staatliche Arbeitsrecht durch Dienstordnungen und erforderlichenfalls durch deren Inbezugnahme modifiziert werden. d) Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts Von der Möglichkeit, das staatliche Arbeitsrecht im Rahmen der für alle geltenden Gesetze so zu modifizieren, dass es den kirchenspezifischen Besonderheiten Rechnung trägt, haben die Kirchen Gebrauch gemacht.

324 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (138), (165 f.). 325 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 326 So auch v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 78; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (436); vgl. auch schon Richardi, ZevKR 15 (1970), 219 (224 f.); jüngst Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (191). 327 Zutreffend Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 80; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 109. 328 Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (185). 329 So auch v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 82; Mückl, in: HStR VII, § 160, Rn. 36; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (436). 330 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 26.

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aa) Der Grundsatz der Dienstgemeinschaft als zentrales Merkmal des kirchlichen Dienstes Zentrales Merkmal für die Mitarbeit im kirchlichen Dienst ist der Grundsatz der Dienstgemeinschaft. An der Dienstgemeinschaft ist der gesamte kirchliche Dienst ausgerichtet. Sie ist eine Art kirchliches Unternehmensleitbild331. In Art. 1 S. 1 GrOkathK332 hat die katholische Kirche eine Legaldefinition geschaffen. Danach tragen alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf deren arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann. Auch die evangelische Kirche hat eine entsprechende Regelung in § 2 der sog. Loyalitätsrichtlinie 333 vom 01.07.2005 getroffen, nach der der kirchliche Dienst durch den Auftrag bestimmt ist, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen, woran alle Mitarbeiter unabhängig von der konkreten beruflichen Funktion in der Kirche mitwirken. Trotz der unterschiedlichen Auffassungen der evangelischen und der katholischen Kirche im theologischen Amtsverständnis sind Inhalt und theologische Begründung der Dienstgemeinschaft im Wesentlichen gleich334. Die Dienstgemeinschaft stützt sich theologisch auf den Sendungsauftrag der Kirche335. Der Auftrag besteht darin, der „Berufung aller Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu dienen“ 336. Der Auftrag der Kirche ist damit die Verwirklichung des Willens Christi auf Erden337. Dies soll durch die Erfüllung der sogenannten Grunddienste, nämlich durch die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst und den Dienst am Mitmenschen, erreicht werden338. Die Erfüllung des 331

Overbeck, in: EssGespr 46 (2012), S. 7 (15) m.w. N. Grundordnung des katholischen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, abrufbar unter http://www.caritas.de/cms/contents/caritasde/medien/dokumente/ dcv-zentrale/arbeits-undtarifrech/grundordnungdeskirch/grundordnung%20des%20kirch lichen%20dienstes.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 333 Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der EKD und des Diakonischen Werkes der EKD, abrufbar unter http://www.ekd.de/ download/loyalitaetsrichtlinie.pdf, abgerufen am 05.08.2014. 334 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 85; Richardi, in: FS Rüfner, S. 727 (729); näher zu dem unterschiedlichen Amtsverständnis Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 39–51 sowie Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche § 4 Rn. 10–17. 335 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 85; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 40; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 10. 336 Präambel der Erklärung der deutschen Bischöfe zur GrOkathK, abrufbar unter http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/VDD/db051_11_auflage.pdf; abgerufen am 05.08.2014; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 40 weist zu Recht auf den Missionsbefehl nach Mt. 28, 18–20 hin. 337 Joussen, RdA 2007, 328 (333). 338 So bereits Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), 24 (31); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 10; vgl. auch die Präambel zur GrOkathK. 332

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

kirchlichen Auftrags ist stets das vordringliche Ziel kirchlichen Wirkens; hieran ist alles ausgerichtet. Der Sendungsauftrag verbindet dabei alle „Glieder im Volk Gottes“ 339. Insofern gründet sich die Dienstgemeinschaft auch auf das „gemeinsame Priestertum aller Gläubigen“ 340. Jeder, der im kirchlichen Dienst oder in zur Erfüllung dieser Dienste gebildeten Einrichtungen tätig wird, trägt damit durch seine Arbeit dazu bei, dass die Kirche bzw. die Einrichtung ihren Teil am kirchlichen Auftrag erfüllen kann und somit an der Erfüllung des Heilswerks Jesu Christi teilhat341. Jede Arbeitsleistung ist zugleich ein Beitrag zur Wahrnehmung und Verwirklichung des Auftrags der Kirche, so dass es hier keine „tendenzfreien Räume“ gibt342. Weil damit alle Dienste und somit auch jede Mitarbeit auf die Erfüllung des Auftrages gerichtet sind343, müssen nach Auffassung der Kirche alle Formen des kirchlichen Dienstes und damit auch alle arbeitsrechtlichen Beziehungen dem religiösen Charakter des Sendungsauftrags entsprechen344. Allerdings ist dieser „Auftrag Jesu Christi, ihm im Geist der Versöhnung zu folgen, nicht auf eine dienende Nachfolge des Einzelnen“ beschränkt, sondern er erfordert darüber hinaus ein Zusammenstehen in einer Gemeinschaft345. Deswegen sind alle im kirchlichen Dienst Tätigen zu einer Gemeinschaft des Dienstes346 verbunden. Auch dem Dienstgeber geht es hauptsächlich und vordringlich um die Erfüllung des Auftrages347. Er erbringt insofern auch seinen Dienst als Beitrag zur Erfüllung des Sendungsauftrags und dient damit der Verwirklichung des Willens Jesu Christi348. Er ist daher zusammen mit allen Dienstnehmern Teil der Dienstgemeinschaft349. Alle im kirchlichen Dienst Mitwirkenden, egal ob Dienstnehmer oder Dienstgeber und egal in welcher Stellung sie tätig sind, tra-

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Präambel der Erklärung der deutschen Bischöfe zur GrOkathK. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 42; Richardi, in: FS Rüfner, S. 727 (730). 341 Joussen, RdA 2007, 328 (333). 342 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 89; Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), 24 (31); Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 163. 343 Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Dienstgemeinschaft Rn. 1; Pompey, in: Feldhoff/Dünner (Hrsg.), Die verbandliche Caritas, S. 81 (81). 344 So z. B. die Präambel der Erklärung der deutschen Bischöfe zur zur GrOkathK. 345 Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Dienstgemeinschaft Rn. 1; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 10. 346 Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), 24 (31); auf die biblische Gemeinschaft des Dienstes nach 2. Kor. 8, 4 nach der revidierten Fassung der Übersetzung Martin Luthers von 1984, weist Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 10 hin. 347 Joussen, RdA 2007, 328 (333). 348 Joussen, RdA 2007, 328 (333). 349 So auch Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Dienstgemeinschaft Rn. 1. 340

III. Sachlicher Schutzbereich

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gen final zur Erfüllung des kirchlichen Auftrages bei und bilden gemeinsam eine Dienstgemeinschaft350. Der Ordnungsgrundsatz der Dienstgemeinschaft beinhaltet also zwei Aspekte, nämlich eine externe und eine interne Komponente351: Durch den Begriff Dienstgemeinschaft wird einerseits umschrieben, dass jeder Mitarbeiter dem kirchlichen Auftrag verpflichtet ist352. Jeder Mitarbeiter trägt durch seine Mitarbeit sein Scherflein dazu bei, dass die Kirche das „große Ganze“, nämlich ihren Auftrag, erfüllen kann. Auf der anderen Seite schließt die Dienstgemeinschaft alle im kirchlichen Dienst Tätigen, Dienstnehmer wie Dienstgeber, zu einer Gemeinschaft zusammen. Weil in diese Gemeinschaft alle Tätigen und damit auch die Dienstgeber einbezogen sind, besteht hier jedenfalls keine Aufspaltung in Arbeitgeber und Arbeitnehmer wie in einem weltlichen Arbeitsverhältnis, sondern eine Einheit, wenngleich auch im kirchlichen Dienst Interessengegensätze bestehen353. Egal, ob der Betreffende Dienstnehmer oder Dienstgeber, Geistlicher oder Laie, Arbeiter oder Angestellter ist und gleichgültig, welche Funktionen er genau ausführt, erfüllt er seine Aufgaben als Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags und bildet mit allen anderen im kirchlichen Dienst Stehenden die Dienstgemeinschaft. Das BVerfG hat es verfassungsrechtlich gebilligt, dass die Kirche ihren gesamten Dienst am Grundsatz der Dienstgemeinschaft ausrichtet354. bb) Folgerungen aus dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft Wenn alle Mitarbeiter der Dienstgemeinschaft den kirchlichen Auftrag verwirklichen, kann es im kirchlichen Dienst, anders als bei Tendenzbetrieben, nach dem kirchlichen Verständnis keine Abstufung der Tätigkeiten nach Verkündigungsnähe geben. Dies liegt daran, dass nach dieser Konzeption jede Tätigkeit für die Erfüllung des Auftrages wichtig ist. Auch diesen Aspekt der Dienstgemeinschaft hat das BVerfG verfassungsrechtlich für unbedenklich erklärt, indem es klargestellt hat: „Es bleibt danach grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert, was spezifisch kirchliche Aufgaben sind, was Nähe zu ihnen bedeutet, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sitten350

So zu Recht Joussen, RdA 2007, 328 (333). Zutreffend Joussen, RdA 2007, 328 (333); Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (74); zustimmend auch Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207). 352 Vgl. z. B. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 84; Mückl, in: HStR VII, Rn. 37. 353 Zutreffend auch Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207). 354 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 351

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

lehre sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit“ 355. Hiermit ist freilich noch keine Aussage darüber getroffen, ob die kirchliche Regelung einer staatlichen widersprechenden Regelung automatisch vorgeht, weil dies eine Frage der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ist. Hier geht es nur darum, dass die Kirche in den Schranken derartige Regelungen treffen kann. Aus dem Leitbild der Dienstgemeinschaft ergibt sich für die Kirchen ferner die Notwendigkeit, das kollektive Arbeitsrecht an die bekenntnisspezifischen Besonderheiten anzupassen. Auch dies ist in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes eine eigene Angelegenheit der Kirchen356. Das staatliche System mit Tarifvertrag und der damit verbundenen konfrontativen Konfliktlösung durch den Arbeitskampf passt nach kirchlichem Selbstverständnis nicht zur Dienstgemeinschaft und der damit verbundenen Einheit des Dienstes, also insbesondere dem Grundkonsens zwischen dem Dienstgeber und den Dienstnehmern357. Die Kirchen können zudem nach ihrem Selbstverständnis den Auftrag in Verkündigung und Dienst am Nächsten nicht aufschieben, um einen Arbeitskampf zu führen358. Der sich aus dem Auftrag der Kirchen ergebende Dienst am Mitmenschen müsse ungehindert aufrechterhalten werden können; dies sei bei Arbeitskämpfen aber nicht möglich359. Auch erfordert das kirchliche Selbstverständnis einen friedlichen Weg zur Austragung von Interessenkonflikten zwischen Dienstgeber und Dienstnehmern, weil eine kampfweise Auseinandersetzung dem Willen Jesu Christi widerspreche, Konflikte friedlich auszutragen360. Deswegen widerspricht ein Arbeitskampf nach dem Selbstverständnis der Kirchen dem Leitgedanken der Dienstgemeinschaft. Wegen der Einheit des Dienstes kann es nach kirchlichem Verständnis auch hier keine Abstufung nach Nähe zur Verkündigung geben, sondern die Regelungen müssen für alle Mitarbeiter gelten. 355 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168). 356 Vgl. Richardi, in: HdbStKirchR II, 928 m.w. N. in Fn. 5. 357 Vgl. Art. 7 der GrOkathK; hierzu auch Richardi, in: HdbStKirchR II, S. 933; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448); ebenso Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45. 358 Vgl. die Präambel der GrOkathK; Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Richardi, in: HdbStKirchR II, S. 933; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (447). 359 Hahn, Mitbestimmung, S. 140; vgl. auch Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf Rn. 16; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 18. 360 So etwa Grethlein, NZA-Beil. 1/1986, 18 (19); Grethlein/Spengler, BB 10/1980, 1 (13); Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Müller, RdA 1979, 71 (77 f.); MüllerVolbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (541); Rauscher, Die Eigenart, S. 89; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 20; Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 14; Richardi, ZfA 1984, 109 (132); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207).

III. Sachlicher Schutzbereich

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Daher schließen die Kirchen einen Arbeitskampf aus. Für die katholische Kirche ergibt sich dieser Ausschluss aus Art. 7 II GrOkathK. Etwas uneinheitlicher ist die Rechtslage bei den evangelischen Kirchen. Deren Streikausschluss ergab sich bisher zumeist aus dem Selbstverständnis, auch wenn eine ausdrückliche Spezialregelung fehlte361. Am 13.11.2013 hat die 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 6. Tagung das „Kirchengesetz über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie (Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz – ARGG-EKD) und zur Änderung des Kirchengerichtsgesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland“ 362 beschlossen. Art. 1 dieses Gesetzes enthält das sogenannte Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz363. Dessen § 3 schließt nun ausdrücklich den Arbeitskampf als Instrument zur Lösung von Konflikten aus. Allerdings ist das ARGG-EKD kein unmittelbar für alle evangelischen Anstellungsträger geltendes Kirchengesetz. Es tritt gemäß Art. 3 § 2 I des Kirchengesetzes unmittelbar nur für die EKD und das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung in Kraft. Die einzelnen Gliedkirchen müssen dem ARGG-EKD erst zustimmen, damit es für sie in Kraft treten kann, wie sich aus Art. 3 § 2 II des Kirchengesetzes ergibt. Auch können sie das Gesetz nach Art. 3 § 2 III des Kirchengesetzes für ihren Bereich wieder außer Kraft setzen. Ob das ARGG-EKD für die einzelnen Gliedkirchen gilt, entscheiden diese also selbst. Diejenigen Anstellungsträger, für die das Gesetz in Kraft getreten ist, müssen gemäß § 1 II ARGG-EKD ihre eigenen Rechtsordnungen an die Grundsätze des ARGG-EKD anpassen364. Damit ist das ARGG-EKD ein Rahmengesetz365. Soweit das ARGG-EKD in Kraft gesetzt wurde, besteht also ein ausdrückliches kirchengesetzliches Verbot von Arbeitskämpfen. Diejenigen Anstellungsträger, die 361 Vgl. Oswald, Streikrecht, S. 133; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 12 m.w. N.; siehe auch § 1 S. 3 ARRG der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz, der schon seit Längerem ein Streikverbot enthält; abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/173; abgerufen am 05.08.2014. 362 Abrufbar unter http://www.ekd.de/download/s13_x_3_beschluss_argg_2013_end fassung_02_2014.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 363 Im Folgenden ARGG-EKD. 364 So bereits die die Evangelische Kirche im Rheinland, deren ARRG abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekir.de/showdocument/id/2666#s81000028; ebenso die Evangelische Kirche von Westfalen, deren ARRG abrufbar unter http://www.kirchenrechtwestfalen.de/showdocument/id/6080; ferner die Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Diakonischen Werkes der EKD, abrufbar unter: http://www.diakonie.de/ media/Ordnung-ARK-Oktober-2013.pdf; ebenso die Evangelische Kirche in Baden, deren Zustimmungs- und Ausführungsgesetz abrufbar unter http://www.kirchenrechtekiba.de/showdocument/id/29963; alle abgerufen am 06.08.2014. 365 So auch die Einbringung zu dem Kirchengesetz, S. 2; abrufbar unter http://www. ekd.de/download/s13_x_2_einbringung_kg_argg_ekd_winterhoff.pdf; abgerufen am 06.08.2014.

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

dem ARGG-EKD nicht zugestimmt und nicht ausdrücklich einen Streikausschluss geregelt haben, können sich weiterhin auf ihr Selbstverständnis berufen. Prinzipiell gehört damit auch die Regelung des Streikausschlusses zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche. Ob dieser Ausschluss rechtmäßig ist, richtet sich danach, ob er in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes erfolgt.

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts Nunmehr steht fest, dass die Beschäftigung von Mitarbeitern eine eigene Angelegenheit der Kirchen ist und dass die Kirchen deshalb Regelungen zur Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse treffen dürfen. Die Regelungsautonomie der Kirchen umfasst im Prinzip auch der Ausschluss eines Streikrechts. Dies gilt selbst dann, wenn die Kirchen Arbeitsverträge schließen. Damit ist es für die Kirchen „tatbestandlich“ möglich, einen Streikausschluss vorzunehmen. Das Selbstbestimmungsrecht ist indessen nicht schrankenlos gewährleistet. In der Vorschrift ist ein ausdrücklicher Schrankenvorbehalt angelegt; das Recht der Religionsgemeinschaften zur Ordnung und zur Verwaltung der eigenen Angelegenheiten besteht nur im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes. Insofern ist nunmehr die Frage zu beantworten, was unter den für alle geltenden Gesetzen zu verstehen ist, damit anschließend erörtert werden kann, ob das Streikrecht eine derartige Beschränkung darstellen kann. 1. Begriff des für alle geltenden Gesetzes a) Für alle geltende Gesetze in der Weimarer Republik Zunächst wurde die Schrankenbestimmung recht wörtlich ausgelegt. Demgemäß konnten für alle geltende Gesetze sämtliche Gesetze sein, die schlechthin für jeden gelten366. Lediglich Sondergesetze, die ausschließlich die Kirchen betreffen, wären hiernach ausgeschlossen. Gegen Ende der Weimarer Republik hat sich ein weiterer Ansatz herausgebildet, der auf Heckel zurückgeht. Ausgehend davon, dass Staat und Kirche trotz der sich unterscheidenden Aufgaben zwei Gemeinwesen seien, die gleichrangig nebeneinander stehen, sei das Selbstbestimmungsrecht nicht lediglich eine bürgerliche Freiheit, so dass die Auslegung der Schrankenklausel im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehaltes abzulehnen sei367. Stattdessen liege ein Schrankengesetz im Sinne des Art. 137 III WRV nur vor, wenn das beschränkende Gesetz „trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der

366 367

Anschütz, Verfassung Art. 137 WRV Anm. 5. Heckel, VerwArch 1932, 280 (284).

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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Gesamtnation als notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muß“ 368. Daher sei „jedes für die Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches“ ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 III WRV.369 b) Rechtsprechung des BVerfG Der BGH hat zunächst versucht, Heckels Formel so zu modifizieren, dass sie sich in das durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsstrukturprinzip eines sozialen Rechtsstaats, einpasst370. Danach sind nur staatliche Normen, die sich als Ausprägungen und Regelungen grundsätzlicher, für den sozialen Rechtsstaat unabdingbarer Gebote darstellen, Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Das BVerfG ist nach einer anderen Methode vorgegangen. aa) Bereichslehre und Jedermann-Formel Zunächst hat das BVerfG im Bereich der eigenen Angelegenheiten eine Unterscheidung derart vorgenommen, dass diejenigen Angelegenheiten, die rein innerkirchliche Vorgänge betreffen, von denjenigen zu trennen seien, die einen unmittelbaren Bezug zur staatlichen Rechtsordnung haben. Während die erste Gruppe gar keiner Einschränkungsmöglichkeit durch staatliche Regelungen unterworfen sei, könne die zweite Gruppe durch ein für alle geltendes Gesetz beschränkt werden371. Dies sei ein solches Gesetz, das für die Kirche dieselbe Bedeutung habe wie für jeden anderen. Sofern die Regelung die Kirche „nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten“ treffe, liege kein für alle geltendes Gesetz vor372. Ob die Kirchen in ihrer Besonderheit als Kirche härter getroffen sind, bestimme sich nach ihrem Selbstverständnis. Damit wird die Frage, ob ein für alle geltendes Gesetz überhaupt vorliegt, anhand des Selbstverständnisses der Kirchen beantwortet373.

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Heckel, VerwArch 1932, 280 (284). Heckel, VerwArch 1932, 280 (284). 370 Vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1956 – III ZR 89/55, BGHZ 22, 383 (387 f.); vgl. hierzu Isak, Selbstverständnis, S. 233. 371 Vgl. BVerfG, Beschl. v . 07.02.1965 – 1 BvR 732/64, BVerfGE 18, 385 (387 f.); BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (334); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (20); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (289). 372 BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312 (334). 373 So verstehen auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 182; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 62 diese Abgrenzung durch das BVerfG. 369

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

bb) Schranke als Abwägungsprogramm Nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG wird ein anders ausgestalteter Ansatz verfolgt. Danach gilt der Gesetzesvorbehalt grundsätzlich für alle eigenen Angelegenheiten374. Insoweit erfolgt die Schrankenbestimmung des Selbstbestimmungsrechts anhand einer Abwägung der betroffenen Rechtspositionen375. Maßgeblich für diesen neuen Ansatz dürfte noch immer die Leitentscheidung vom 04.06.1985 sein376, von der das BVerfG bisher nicht abgerückt ist377. Nach dieser Entscheidung ist zunächst die sich aus dem Selbstverständnis ergebende kirchliche Regelung verbindlich. Sofern diese mit dem staatlichen Recht kollidiere, könne allerdings die staatliche Norm potentiell ein für alle geltendes Gesetz und damit eine Schranke sein. Dies bedeute jedoch nicht, dass diese immer gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht vorrangig sei378. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gewähre aufgrund des Erfordernisses eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Staat und Kirche sowohl das Recht auf Selbstbestimmung der Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer bedeutsamer Rechtsgüter379. Demnach sei die Aufgabe der Schranke, der Wechselwirkung von Schrankenzweck und Kirchenfreiheit Rechnung zu tragen; dies geschehe durch eine Abwägung380. Bei dieser Abwägung sei dem „Eigenverständnis der Kirchen“ ein besonderes Gewicht beizumessen381. Soweit die kirchliche Regel nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung wie dem ordre-pub-

374 Dazu auch v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV, Rn. 46; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WR Rn. 63. 375 Hierzu Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 154. 376 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 ff. 377 Sofern es seine Rechtsprechung inzwischen grundlegend hätte ändern wollen, hätte es dies kenntlich gemacht; darauf weisen auch Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (98) hin. 378 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167). 379 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167 f.); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (289). 380 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167). 381 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168).

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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lic-Vorbehalt, den guten Sitten oder dem allgemeinen Willkürverbot stehe, sei sie auch für die staatlichen Gerichte bindend382. c) Die Meinungen aus der Literatur Die Meinungen aus der Rechtslehre sind vielfältig und lassen eine herrschende Meinung nicht erkennen383. Vor allem in der neueren Literatur wird jedoch überwiegend der Konzeption des BVerfG insoweit gefolgt, als die Schranke als Abwägungsprogramm zu sehen ist384. Einige Autoren vertreten ebenfalls eine Abwägungslösung, gestalten diese jedoch wie eine Abwägung von widerstreitenden Freiheitsbereichen, also letztlich wie eine Grundrechtskollision, aus385. Dabei geht es dann um die Rechtfertigung von Eingriffen in widerstreitende Rechte durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Teilweise wird aber auch eine objektive Schrankenziehung anstelle der Abwägung favorisiert, weil das Selbstbestimmungsrecht nicht als Freiheitsrecht gesehen wird386. Auch wird die Schrankenbestimmung zum Teil ähnlich wie in der Weimarer Republik als ein Verbot von Sondergesetzen gegen die Kirchen verstanden387. Damit wäre die Formulierung der Schrankenbestimmung des für alle geltenden Gesetzes wie das allgemeine Gesetz im Sinne von Art. 5 II GG zu verstehen. d) Stellungnahme aa) Gegen die Ansätze aus der Weimarer Republik sprechende Gründe Die Ansätze, die zur Zeit der Weimarer Republik vertreten worden sind, vermögen nicht zu überzeugen: Wird der Schrankenvorbehalt als allgemeiner Gesetzesvorbehalt im Sinne von Art. 5 II GG verstanden, der lediglich Sondergesetze 382 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168). 383 Vgl. Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 549. 384 So auch die Einschätzung von Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 173. Für eine Abwägung statt vieler: Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 185; v. Campenhausen/Unruh in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 46; Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 34 f.; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 63; Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 554–556, Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 208; Isak, Selbstverständnis der Kirchen, S. 245; Morlok, Selbstverständnis, S. 435, 437 f.; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 34 f.; Strake, Streikrecht, S. 25; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 173; so wohl auch Hahn, Mitbestimmung, S. 32 f.; in diese Richtung gehend auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 279, der eine Abwägung anhand abstrakter, an Fallgruppen orientierter Kriterien vornimmt, so dass es nicht auf den Einzelfall ankommen soll. 385 So insbesondere Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (438); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 63; Oswald, Streikrecht, S. 142 bzw. 150. 386 Vgl. vor allem Wieland, Der Staat, 25 (1986), 321 (346 f.). 387 Kleine, institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, 158 f.; ähnlich auch Preuß, in: AK-GG, Art. 140 GG Rn. 27 f.; Schubert, AuK 2011, 74 (74).

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

verbietet, so führt dies zu weitgehenden Einschränkungsmöglichkeiten der Regelungsspielräume der Kirchen. Es bliebe den Kirchen nur ein sehr begrenzter Regelungsspielraum, innerhalb dessen sie ihre Angelegenheiten nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten regeln könnten. Insoweit wird diese Auslegung daher dem Zweck des Selbstbestimmungsrechts nicht gerecht, den Kirchen einen geschützten Freiraum zu sichern388. Auch die Formel von Heckel ist abzulehnen. Einerseits ist sie kaum handhabbar. Das Abgrenzungskriterium, dass nur ein für die Gesamtnation unentbehrliches Gesetz die kirchliche Selbstbestimmung begrenzen kann, ist sehr unbestimmt389. Insofern führt diese Schrankenbestimmung zu einer sehr freien Interpretation, die sich nicht zwingend an der Verfassung orientieren muss390. Andererseits würden in der Sache keine akzeptablen Ergebnisse erzielt: Denn auch hinsichtlich einer nicht für die Gesamtnation unentbehrlichen Vorschrift muss die Kirche staatlichen Regelungen unterworfen werden können, wie beispielsweise im Straßenverkehr oder im Baurecht; umgekehrt darf selbst aufgrund einer aus Sicht des Staates unentbehrlichen Regelung beispielsweise nicht in die kirchliche Glaubenslehre eingegriffen werden391. bb) Kritik an Bereichslehre und Jedermannformel Bereichslehre und Jedermannformel überzeugen ebenfalls nicht. Eine Unterscheidung in innere und äußere Bereiche der eigenen Angelegenheiten ist von dem Verfassungstext nicht vorgesehen. Vielmehr ist der Schrankenvorbehalt nach dem Gesetzeswortlaut auf alle eigenen Angelegenheiten anzuwenden392. Des Weiteren spricht gegen diese Methode der Schrankenbestimmung, dass den Kirchen faktisch ein Letztentscheidungsrecht zugestanden würde, wenn es vom Selbstverständnis der Kirchen abhinge, ob ein ihre Rechtsmacht beschränkendes für alle geltenden Gesetz vorliegt. Denn die Kirchen könnten dann dadurch, dass sie nach ihrem Selbstverständnis härter als ein Jedermann von einer Norm betroffen sind, die Geltung einer staatlichen Regelung verhindern393. Im Zweifel wird 388

Vgl. Isak, Selbstverständnis, S. 231. Richtig Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 171. 390 Vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 44; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV Rn. 59. 391 v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 109; Jurina, Rechtsstatus, S. 44; Mikat, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, IV/1, S. 111 ff.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 171. 392 So zutreffend auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 181; v. Campenhausen/ Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 45; v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 110; Isak, Selbstverständnis, S. 234; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 202; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 172. 393 Vgl. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 182; Morlok, Selbstverständnis, S. 434. 389

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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die Kirche auch nachweisen können, dass sie aufgrund ihres Selbstverständnisses in ihrer Besonderheit als Kirche von der fraglichen Norm stärker betroffen ist als der normale Adressat394. Ferner berücksichtigt diese Formel nicht die Interessen, aufgrund derer die Schrankenziehung erfolgt, sondern nur die Interessen der Religionsgesellschaft395. Die entgegenstehenden Rechte, aufgrund derer die Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts erfolgt, können ebenfalls verfassungsrechtliche Rechtspositionen sein. Trotzdem könnten sie nicht einmal im Grundsatz das Selbstbestimmungsrecht beschränken. Dies ist aufgrund des Grundsatzes der Einheit der Verfassung abzulehnen396. cc) Schrankenregelung als Abwägungsprogramm Die Interpretation der Schrankenformel als Abwägungsprogramm durch das BVerfG trägt der Kritik an den vorgenannten Theorien Rechnung und erscheint als taugliche Interpretation der Schrankenbestimmung397. Zunächst ermöglicht die Vornahme einer Abwägung sachgerechte Einzelfallentscheidungen und die Vermeidung von „Alles-oder-Nichts-Lösungen“ 398. Hiernach können Gesetze erst nach einer Abwägung der Kirchenfreiheit mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung eine Schranke bilden, so dass dies zu einer modifizierten Bindung führt. Erst wenn die Belange des Staates als gewichtiger einzustufen sind, setzen sie sich gegen die Kirchenfreiheit durch399. dd) Ausgestaltung der Abwägung Damit stellt sich die Frage, wie die Abwägung auszugestalten ist. Dies ergibt sich aus der Funktion der Abwägung. Sie dient dem friedlichen Miteinander von Staat und Kirche400. Aufgabe der Schranke ist es, der „Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck“ Rechnung zu tragen und so eine Koordinierung staatlicher und kirchlicher Aufgaben herbeizuführen401. Ziel der Abwägung ist es damit, festzustellen, ob die kirchliche Regelung gilt oder ob die staatliche Regelung anzuwenden ist, weil sie ein für alle geltendes Gesetz ist. Aus dieser Funktion ergibt sich zum einen, dass das für alle geltende Gesetz nicht formalistisch als Gesetz im formellen Sinne zu verstehen ist, sondern die Schranken394

Morlok, Selbstverständnis, S. 434. Morlok, Selbstverständnis, S. 434; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 62; in diese Richtung gehend wohl auch Hesse, in: HdbStKirchR I, S. 550 f. 396 Morlok, Selbstverständnis, S. 434. 397 So auch zutreffend Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 271. 398 Zutreffend auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 185. 399 Vgl. auch Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 73–75. 400 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400). 401 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401). 395

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

formel insgesamt bei Berührungspunkten staatlicher und kirchlicher Ordnung anzuwenden ist402. Zum anderen ergibt sich aus dieser besonderen Funktion der Abwägung auch, dass sie anders ausgestaltet ist als etwa eine Abwägung bei widerstreitenden Freiheitsbereichen. Eine „normale“ Abwägung im Sinne der Koordinierung widerstreitender Freiheitsrechte würde demgegenüber auch nicht die besondere dogmatische Einordnung des Selbstbestimmungsrechts als institutionelle Garantie, die einer Institution Freiheiten gewährleistet, berücksichtigen403. Käme eine „normale“ Abwägung zur Anwendung, würde das Selbstbestimmungsrecht zu einem Grundrechts- oder Tendenzschutz umgewandelt404. Dies entspricht aber nicht dem Wesen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, das gerade kein echtes Grundrecht ist, sondern über die Freiheitsgewährleistung hinaus auch eine Abgrenzung von Befugnissen enthält. Die Kirchen haben zum Staat ein qualitativ anderes Verhältnis als irgendeine andere gesellschaftliche Großgruppe405. Das Selbstbestimmungsrecht ist damit mehr als Tendenzschutz. Dies drückt sich auch in Form der Schrankenbestimmung aus. Insofern muss hierbei im Rahmen der Abwägung dem Selbstverständnis ein besonderes Gewicht zukommen406. Das ergibt sich aus der objektiven Wertentscheidung der Verfassung, durch die Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts den Kirchen eine besondere Eigenständigkeit gegenüber dem Staat einzuräumen407. Diese Abwägungsmethode ist für den Bereich des Selbstbestimmungsrechts entwickelt worden und erscheint überdies spezieller als die allgemeingültigen Abwägungsmodelle, die generell bei Normkollisionen Anwendung finden. Der Schrankenbestimmung durch das BVerfG ist damit zuzustimmen. Wie sich das besondere Gewicht ausdrückt, das dem kirchlichen Selbstverständnis im Rahmen der Abwägung zukommt, wird in der Leitentscheidung des BVerfG nicht anhand konkreter Kriterien festgelegt. Allerdings ist ein grober Umriss erkennbar408. Zunächst gibt das Selbstverständnis Aufschluss darüber, welchen Stellenwert die kirchliche Regelung nach dem Eigenverständnis für die Kirche hat409. Dies ist wichtig, damit die Abwägung sachgerecht stattfinden 402

Zutreffend auch BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366

(404). 403 Richtig auch Grzeszick, AöR 129 (2004), 168 (214); vgl. auch Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 286. 404 Zutreffend auch Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96 f.); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206). 405 BVerfG, Beschl. v. 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 32, 312 (333). 406 A. A. Oswald, Streikrecht, S. 150. 407 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 408 Hierzu auch noch § 6 II. 3. c). 409 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 63; Morlok, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (206); Oswald, Streikrecht, S. 142.

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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kann. Denn der Staat hat wegen seiner Neutralität keine Kenntnis davon, wie wichtig einzelne kirchliche Regelungen für deren Bekenntnis sind. Daher muss zur Ermittlung dieses Gewichts auf das Selbstverständnis zurückgegriffen werden. Darin erschöpft sich die Bedeutung dieses Selbstverständnisses nicht. Das besondere Gewicht wirkt sich auch auf den Stellenwert der kirchlichen Position im Rahmen der Güterabwägung aus. In mehreren Entscheidungen des BVerfG ist folgende Formulierung vorzufinden: Erst wenn aus zwingenden Gründen eine Schrankenziehung geboten sei oder eine Beschränkung der kirchlichen Freiheit zur Erfüllung staatlicher Aufgaben mit Blick auf das Gemeinwohl unumgänglich sei, liege im Ergebnis ein schrankenziehendes Gesetz vor410. Daraus ergibt sich ein größerer Freiraum der Kirchen gegenüber „normalen“ Abwägungen, der nur aus den genannten Gründen eingeschränkt werden kann. Im Rahmen dieser Abwägung bilden die Grundprinzipien der Rechtsordnung nur einen ersten Anhalt411. Die Abwägung ist vielmehr mit kollidierenden Normen der gesamten Rechtsordnung bzw. dem dahinterstehenden Zweck vorzunehmen. In diesem Sinne erfolgt die Konkretisierung der Schrankenformel im Einzelfall anhand einer Abwägung mit den kollidierenden Rechtsgütern412. Was bedeuten diese Ausführungen nun konkret? Wenn die Kirche ihren Mitarbeitern beispielsweise besondere Loyalitätspflichten auferlegt und dabei auch von ihren Mitarbeitern eine besondere, dem Bekenntnis entsprechende Art und Weise der privaten Lebensführung verlangt, so ist dies zunächst eine dem Selbstbestimmungsrecht unterliegende eigene Angelegenheit413. Hierzu könnte etwa zählen, dass Mitarbeiter nicht öffentlich Glaubenslehren anzweifeln dürfen, indem beispielsweise ein Arzt in einem kirchlichen Krankenhaus das kirchliche absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in Zeitungsartikeln kritisiert414. Weiter ist es auch eine eigene Angelegenheit, wenn die Kirche bei Nichtbeachtung dieser Anforderungen den Arbeitsvertrag mit den betreffenden Mitarbeitern kündigt, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter sich an die elementaren Grundsätze des Bekenntnisses halten, damit so die Glaubwürdigkeit der Kirche sichergestellt ist415. 410 So schon BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (405 f.); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (294); BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 411 Vgl. hierzu auch v. Campenhausen, AöR 112 (1987), 623 (635). 412 Vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 46. 413 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165 f.). 414 Hierzu BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167 f.), (170). 415 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168).

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Diese kirchlichen Verhaltensregeln, die von den staatlichen Gesetzen abweichen, sind soweit zulässig, wie sie sich im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes bewegen. Dabei ist dem Grunde nach jedes staatliche Gesetz, das mit der kirchlichen Regelung kollidiert, ein potentiell schrankenziehendes für alle geltendes Gesetz. Um zu bestimmen, ob dieses Gesetz tatsächlich das Selbstbestimmungsrecht einschränkt, ist eine Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck vorzunehmen, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Das Selbstverständnis gibt zunächst in Bezug auf die Frage Auskunft, wie wichtig für die Kirche die Einhaltung der betroffenen Regel ist. Denn dies kann nur die Kirche verbindlich festlegen. Der Staat kann dies nicht bestimmen, weil er das Bekenntnis nicht kennt. Damit bestimmt die Kirche die Schwere und Tragweite des festgestellten Loyalitätsverstoßes selbst416. In dem Beispiel, dass sich ein Mitarbeiter öffentlich gegen das absolute Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen wendet, ist festzustellen, dass nach „kirchlichem Recht [. . .] die Tötung eines Ungeborenen als Tötung eines unschuldigen Menschen anzusehen [ist]; sie stellt ein schweres Verbrechen dar, für das der von selbst eintretende Kirchenbann, d. h. die Ausstoßung eines Kirchengliedes aus der Gemeinschaft der Gläubigen angedroht ist“ 417. Damit nimmt ein Mitarbeiter, der öffentlich gegen das von der Kirche vertretene absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruches Stellung bezieht, gegen Grundpositionen des kirchlichen Verständnisses von der Unantastbarkeit menschlichen Lebens Stellung. Hiermit stellt er sich, gemessen an kirchlichen Normen, außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft418. Dies ist ein extrem schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht. Auch bei der Durchführung der Abwägung ist dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht zuzumessen419. Die kirchliche Regel darf nicht gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung verstoßen420. Solange eine staatliche Regelung zur Begrenzung der kirchlichen Befugnisse nicht zwingend geboten bzw. unumgänglich ist, gilt die kirchliche Regel421. Unzulässig wären damit Loyalitätsanforderungen, die zu einer „Klerikalisierung des Laienstandes“ führten und die insoweit den ganzen Menschen einnähmen422. Er-

416 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (171). 417 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (170). 418 Hierzu BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (171 f.). 419 Hierzu noch ausführlich unter § 6 II.; vgl. auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19 f. 420 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168). 421 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 422 Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (98). Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (166).

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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forderlich für eine Unwirksamkeit der kirchlichen Regel ist damit letztlich, dass sie untragbar ist. Dies bedeutet insoweit ein etwas grobmaschigeres Prüfraster als bei Grundrechtsabwägungen und damit einen größeren Freiraum der Kirchen423. Ist die kirchliche Regel demgegenüber nicht untragbar, gilt sie. Im Beispielsfall wiegt nach alledem der soziale Schutzgedanke des Kündigungsschutzrechts den Loyalitätsverstoß nicht auf424. Vor diesem Hintergrund geht die Abwägung zu Gunsten der kirchlichen Regelung aus. 2. Arbeitskampfrecht als Schranke des Selbstbestimmungsrechts? Im Folgenden ist daher zu klären, ob das Arbeitskampfrecht potentiell eine Schranke des Selbstbestimmungsrechts bilden kann. Sofern dies der Fall ist, ergibt sich daraus allerdings nicht, dass das Arbeitskampfrecht automatisch vorrangig ist. Ob das Arbeitskampfrecht tatsächlich eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bildet, wäre nach dem hier vertretenen methodischen Ansatz anhand der Abwägung zwischen Schrankenzweck und Kirchenfreiheit zu bestimmen, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist425. a) Erfordernis einer formell-gesetzlichen Grundlage? Ob das Arbeitskampfrecht potentiell ein das Selbstbestimmungsrecht begrenzendes, für alle geltendes Gesetz sein kann, wird unterschiedlich beurteilt426. Soweit dies abgelehnt wird, wird vor allem damit argumentiert, dass das Arbeitskampfrecht keine formell-gesetzliche Grundlage habe, sondern lediglich Richterrecht sei427. Ein schrankenziehendes für alle geltendes Gesetz müsse aber, wie sich aus dem Wortlaut der Schrankenregelung ergebe, ein Gesetz im formellen Sinne sein. Hiergegen bestehen allerdings Zweifel: Sofern man tatsächlich das Vorliegen einer formell-gesetzlichen Grundlage verlangen wollte, so könnte diese in der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 III GG gesehen werden. Denn aus der Koalitions-

423

Zu Recht Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 20. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (170 f.). 425 Zu dieser Abwägung § 6 II. 4.; § 7 II. 426 Dagegen Oswald, Streikrecht, S. 86; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 10; so auch Robbers, Streikrecht in der Kirche, S. 55; dafür, dass das Streikrecht für alle geltendes Gesetz sein kann vgl. Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1004). 427 Vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 42, § 10 Rn. 10; zustimmend Robbers, Streikrecht in der Kirche, S. 55; Oswald, Streikrecht, S. 86; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206). 424

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

freiheit wird das Arbeitskampfrecht hergeleitet428. Insofern ist das Arbeitskampfrecht zumindest auf ein Gesetz im formellen Sinne rückführbar. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob ein für alle geltendes Gesetz tatsächlich nur ein formelles Gesetz sein kann. Dem steht nämlich der Sinn und Zweck der Schrankenregel des Art. 137 III WRV entgegen. Dieser besteht darin, eine Koordinierung staatlicher und kirchlicher Ordnung herbeizuführen429. Damit erscheint es sachgerecht, die Schrankenregel generell bei Berührungspunkten beider Ordnungen anzuwenden430. Insofern kann bei Berührungen von staatlicher und kirchlicher Ordnung jede staatliche Regel potentiell eine Schranke des Selbstbestimmungsrechts bilden. Ob sie tatsächlich eine Schranke darstellt, ist eine Frage der Abwägung. Insoweit erscheint es nicht sachgerecht, für eine Schranke eine formell-gesetzliche Grundlage zu verlangen. Dies spricht dafür, den Schutzinhalt der Koalitionsfreiheit einschließlich des Arbeitskampfrechts in seinen Grundzügen als potentielle Schranke des Selbstbestimmungsrechts anzusehen ist431. b) Keine Grundrechtsbindung der Kirchen? Dagegen, dass das Arbeitskampfrecht eine Schranke im Sinne des Art. 137 III WRV darstellt, könnte sprechen, dass die Koalitionsfreiheit ein Grundrecht ist. Teilweise wird angenommen, dass die Kirchen nicht grundrechtsgebunden seien. Grundrechte seien Abwehrrechte gegen staatliches Handeln, die Kirchen üben jedoch keine Staatsgewalt aus432. Der pauschale Einwand, Grundrechte könnten keine für alle geltenden Gesetze sein, greift indessen nicht durch. Die Frage der Bindung an Grundrechte ist vielmehr differenziert zu beantworten433: Im rein internen Bereich der Kirchen wird eine Grundrechtsbindung richtigerweise abgelehnt434. Anderenfalls könnten Mitglieder einer Glaubensvereinigung unter Bezug auf die Religionsfreiheit die zentralen Glaubenslehren in Frage stellen435. Etwas anderes gilt, wenn die Kirchen 428

Zu der genauen Herleitung vgl. § 4 I. 2. BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400 f.). 430 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1004). 431 So auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Strake, Streikrecht, S. 27 f.; Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1004); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 184. 432 So v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 114; v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 47; vgl. auch Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (113). 433 Vgl. auch Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 212; Stern, Staatsrecht, III/1, S. 1220; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 175. 434 Vgl. etwa Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 213; Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 175; Stern, Staatsrecht, III/1, S. 1221 f.; Weber, in: HdbStKirchR I, S. 579. 435 Vgl. Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 175; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 66. 429

IV. Schranken des Selbstbestimmungsrechts

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Aufgaben, die der Staat übertragen hat, quasi als Beliehene ausführen, wie etwa die Verwaltung öffentlicher Friedhöfe436. Dann sollen sie im Grundsatz so wie der Staat auch an Grundrechte gebunden sein437. Denn in diesem Bereich wird öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 1 III GG ausgeübt438. Von diesen Bereichen des kirchlichen Tätigwerdens ist wiederum der sogenannte autonome Bereich zu unterscheiden. Hiermit sind die eigenen Angelegenheiten gemeint, deren Erledigung in ihrer Wirkung den rein innerkirchlichen Bereich verlässt und in die weltliche Sphäre hineinragt439. Hierzu zählt prinzipiell auch das kirchliche Arbeitsrecht. Eine vollständige Freistellung von der Bindung an Grundrechte ginge hier zu weit. Denn im Bereich der autonomen Angelegenheiten erzeugen die Kirchen Wirkungen in den weltlichen Bereich hinein. Die Wirkungen können auch den einzelnen Bürger betreffen. Diesem gegenüber ist der Staat in der Pflicht, Schutz vor Grundrechtsverletzungen zu leisten440. Dennoch kann eine Grundrechtsbindung der Kirchen nicht in dem Umfang akzeptiert werden, in dem der Staat grundrechtsgebunden ist. Die Kirchen sind gerade keine Träger staatlicher Gewalt, sondern vom Staat getrennt und nehmen bei der Regelung eigener Angelegenheiten ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch. Das richtige Maß liegt damit zwischen einer vollen und gar keiner Bindung. Teilweise wird in diesem Sinne eine mittelbare Grundrechtsbindung wie bei Privaten, also vor allem über die Generalklauseln der Rechtsordnung angenommen441. Andere wollen ausgehend von der Schrankenbestimmung des BVerfG, nach der die kirchliche Regelung nicht gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung verstoßen darf, eine Bindung an Grundrechte annehmen, weil Grundrechte nach Art. 6 S. 2 EGBGB Bestandteil des ordre public sind442. Ähnlich werden teilweise Grundrechte als für alle geltende Gesetze angesehen, so dass sich hieraus eine Bindung ergebe443. Die Unterschiede dürften sich aber nur in der Begründung und nicht im Ergebnis auswirken. Weitgehende Einigkeit besteht nämlich insoweit, dass die Bindung keine unangemessene Belastung der Kirchen zur Folge haben darf444.

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Vgl. Kästner, JuS 1977, 715 (721); Weber, in: HdbStKirchR I, S. 578 f. Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 115; v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 137 WRV Rn. 48; Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 214; Stern, Staatsrecht, III/1, S. 1221 Unruh, Religionsverfassungsrecht, § 6 Rn. 176; Weber, in: HdbStKirchR I, S. 579. 438 Vgl. Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 214. 439 Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 180. 440 Kästner, in: Mikat, Kirche und Staat, S. 474 (492). 441 So etwa Kästner, JuS 1977, 715 (721); Oswald, Streikrecht, S. 88; Weber, ZevKR 17 (1972), 386 (404). 442 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19 f. 443 Stern, Staatsrecht, III/1, S. 1223 f. 444 Hesse, in: FS W. Weber, S. 447 (457); Kästner, in: Mikat, Kirche und Staat, S. 474 (491 f.); Rüfner, in: Mikat, Kirche und Staat, S. 174 (191); Stern, Staatsrecht, 437

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Für den Fall, dass kirchliche Regelungen mit Grundrechten kollidieren, soll damit im Sinne der Ausführungen des BVerfG eine Abwägung vorzunehmen sein, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist445. Daraus ergäbe sich eine modifizierte Bindung der Kirchen und keine so strikte Grundrechtsbindung wie bei Trägern der staatlichen Gewalt. Ob, auf welche Weise und in welchem Umfang eine Grundrechtsbindung der Kirchen anzunehmen ist, muss hier jedoch nicht abschließend entschieden werden. Für die Frage nach der Bindung an die Koalitionsfreiheit besteht die Besonderheit, dass die Koalitionsfreiheit ein Grundrecht mit Drittwirkung darstellt und damit auch unter Privaten gilt. Werden die Kirchen wie Private tätig, und schließen sie Arbeitsverträge, ist deshalb auch prinzipiell eine Bindung wie unter Privaten angezeigt446. Auch dies ist „schlichte Folge der Rechtswahl“ 447. Demnach kann die Koalitionsfreiheit aufgrund ihrer Drittwirkung potentiell eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sein448. Ob die Koalitionsfreiheit tatsächlich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränkt, beurteilt sich nach dem zutreffenden Ansatz des BVerfG anhand einer Güterabwägung, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Auch wenn man der Auffassung ist, dass das Arbeitskampfrecht kein für alle geltendes Gesetz sein kann, kann das Arbeitskampfrecht trotzdem eine Schranke des Selbstbestimmungsrechts sein: Wie fast jede Verfassungsnorm kann das Selbstbestimmungsrecht auch durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden449. Der Grundsatz der Einheit der Verfassung erfordert es, dass kollidierende Grundrechte Dritter oder andere Rechte mit Verfassungsrang zu einer Einschränkbarkeit eines Verfassungsgutes führen können450. Weil das Arbeitskampfrecht, das sich aus Art. 9 III GG ergibt, Verfassungsrang hat, kann es eine verfassungsimmanente Schranke des Selbstbestimmungsrechts sein451. UnIII/1, S. 1223 f.; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19 f.; Weber, in: HdbStKirchR I, S. 581. 445 Stern, Staatsrecht, III/1, S. 1223 f. 446 Vgl. Weber, in: HdbStKirchR I, S. 581; Weber, ZevKR 17 (1972), 386 (404); ähnlich Jeand’Heur/Korioth, Staatskirchenrecht, § 9 Rn. 214. 447 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 448 So ausdrücklich auch Weber, in: HdbStKirchR I, S. 582 f.; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 66–70; vgl. auch Hesse, in: FS W. Weber, S. 447 (457); Kästner, in: Mikat, Kirche und Staat, S. 474 (491 f.); Rüfner, in: Mikat, Kirche und Staat, S. 174 (191). 449 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 58. 450 Vgl. die st. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 1 BvR 83/69, 1 BvR 244/ 69, 1 BvR 345/69, BVerfGE 28, 243 (261); sowie aus jüngerer Zeit z. B. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228). 451 Diesen Ansatz bevorzugt Oswald, Streikrecht, S. 88; vgl. auch Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (485).

V. Zwischenergebnis

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terschiede zu der hier favorisierten Lösung, nach der das Arbeitskampfrecht eine potentielle Schranke des Selbstbestimmungsrechts darstellt, dürften bei der Auflösung der Kollision bestehen. Diese erfolgt nach unterschiedlichen Methoden. Nur wenn das Arbeitskampfrecht als Schranke des für alle geltenden Gesetzes angesehen wird, erfolgt die Auflösung der Kollision nach der Schrankenbestimmung aus Art. 137 III WRV.

V. Zwischenergebnis Die Befugnis der Kirchen, Streiks ihrer Mitarbeiter auszuschließen, ergibt sich nicht aus der kollektiven Glaubensfreiheit. Allerdings kommt das Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV als Ermächtigungsnorm in Betracht. Diese Bestimmung garantiert den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes ihre eigenen Angelegenheiten selbstständig zu verwalten und zu ordnen. Das Selbstbestimmungsrecht ist zwar Freiheitsrecht, es ist aber kein Grundrecht im materiellen Sinne. Es erkennt über die Freiheitsgewährleistungen hinausgehend die besondere Eigenständigkeit der Kirchen gegenüber dem Staat an und ist damit auch eine Art Kollisionsnorm. Auf das Selbstbestimmungsrecht kann sich nicht nur die verfasste Kirche berufen, sondern auch die kirchlichen Einrichtungen. Ihnen wird dieses Recht von den Kirchen vermittelt. Voraussetzung ist allerdings, dass die betreffende Einrichtung ein Stück des kirchlichen Auftrags verwirklicht, und dass die Kirche ein Mindestmaß an Einfluss auf ihre Einrichtung hat. In sachlicher Hinsicht schützt das Selbstbestimmungsrecht die Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten der Kirche. Welche Angelegenheiten hierunter fallen, bestimmt sich aufgrund des engen Bezuges des Selbstbestimmungsrechts zu der Glaubensfreiheit nach dem kirchlichen Selbstverständnis. Es ist demnach eine eigene Angelegenheit der Kirche, wenn sie die Ausgestaltung der Dienstverhältnisse an die Besonderheiten anpasst, die sich aus dem kirchlichen Bekenntnis ergeben. Dies gilt auch für den Fall, dass die Kirche Arbeitsverträge schließt. Zentrales Merkmal für die Mitarbeit im kirchlichen Dienst ist der Grundsatz der Dienstgemeinschaft, nach dem jede Arbeitsleistung auf die Erfüllung des kirchlichen Auftrags gerichtet ist. Mit diesem Grundsatz würde sich nach kirchlichem Verständnis ein Streik ihrer Mitarbeiter nicht vertragen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Streikausschluss, den die Kirchen ihren Mitarbeitern auferlegen, tatbestandlich eine dem Selbstbestimmungsrecht unterfallende eigene Angelegenheit. Gleichwohl gilt die Regelungsbefugnis der Kirche nicht unbegrenzt, sondern in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese Schrankenformel dient der Koordinierung staatlicher und kirchlicher Aufgaben. Staatliche Normen, die mit einer kirchlichen Regelung kollidieren, sind potentiell ein für alle geltendes

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§ 2 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Gesetz. Ob sie tatsächlich eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden, beurteilt sich nach einer Güterabwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Das Arbeitskampfrecht, das sich aus Art. 9 III GG ergibt, kann potentiell ein für alle geltendes Gesetz sein.

§ 3 Europäischer Kirchenstatus Im vorherigen Abschnitt ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, so wie es sich aus den grundgesetzlichen Bestimmungen ergibt, ausgelegt worden. Bevor das Streikrecht, das in dieser Untersuchung das „Gegengewicht“ darstellt, näher untersucht werden kann, muss allerdings der Blick auf europäische Regelungen gerichtet werden. Sowohl das Unionsrecht als auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) befassen sich thematisch mit einem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Daher muss untersucht werden, inwieweit sich aus diesen Normen Vorgaben für das nationale Staatskirchenrecht ergeben können, die dann gegebenenfalls für die Lösung der hier zu untersuchenden Frage zu berücksichtigen sind. Deswegen werden die europäischen Vorschriften zum Staatskirchenrecht, soweit dies für die Untersuchung der Frage nach der Zulässigkeit des Streikausschlusses relevant ist, zunächst inhaltlich untersucht. Anschließend muss geklärt werden, welche Auswirkungen diese Normen auf das deutsche Staatskirchenrecht haben.

I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften Zuerst soll das Unionsrecht daraufhin untersucht werden, ob es einen Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen enthält. Hinsichtlich der Regelungsbereiche Religion und Kirche liegt für die Union nach wie vor keine Ermächtigung zur Rechtsetzung vor. Aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 I 1, II EUV, nach dem die Union nur in den entsprechend zugewiesenen Tätigkeitsfeldern agieren darf, ist damit eine zielgerichtete Harmonisierung oder die Schaffung eines eigenständigen Staatskirchenrechts ausgeschlossen1. Insoweit verbleibt die alleinige Kompetenz zur Regelung der staatskirchenrechtlichen Angelegenheiten bei den Mitgliedstaaten2. Angesichts der Vielfalt der historisch gewachsenen, unterschiedlichen Staatskirchenrechtssysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten erscheint dieses Fehlen einer entsprechenden Kompetenz folgerichtig3: Während in Frankreich, Irland und den Niederlanden eine strikte Trennung von Staat und Kirche besteht, gibt es in Dänemark, Finnland, Großbritannien und Schweden Staatskir1

Vgl. Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 48; Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (292). Vgl. Link, ZevKR 42 (1997), 130 (134); Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 47. 3 Muckel, DÖV 2005, 191 (196 f.); Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 47; Triebel, Una sancta 1999, S. 59 (61 f.); Waldhoff, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 251 (267). 2

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§ 3 Europäischer Kirchenstatus

chen, wohingegen in Belgien, Deutschland, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien und Österreich in unterschiedlichen Ausprägungen Kooperationsmodelle bestehen, bei denen zwar grundsätzlich staatliche Neutralität besteht, den Kirchen aber dennoch ein besonderer Status zugestanden wird4. Jedes der nationalen Systeme hat weiterhin seine Eigenheiten5. Diese Systeme sollten nicht vereinheitlicht werden, sondern als Ausdruck der kulturellen Vielfalt der europäischen Nationen bestehen bleiben6. Aus der fehlenden Regelungskompetenz ergibt sich jedoch nicht, dass keinerlei Berührungspunkte von deutschem Staatskirchenrecht und Unionsrecht gegeben wären. Eine vollständige Bereichsausnahme hinsichtlich sämtlicher die Religionsgemeinschaften betreffenden Materien besteht nicht7. Soweit die Union demnach von den ihr zugewiesenen Kompetenzen Gebrauch macht und Regelungen erlässt, können diese in der Folge auch die Kirchen betreffen. Dies liegt daran, dass die Rechtsetzung der Union nicht bezogen auf betroffene Rechtssubjekte erfolgt, sondern bezogen auf die Tätigkeiten, die von ihnen ausgeübt werden8. Sofern die ausgeübte Tätigkeit somit in der Harmonisierungskompetenz der Union liegt und diese Regelungen erlässt, können sich diese in der Folge auch auf die Kirchen auswirken. So bestehen beispielsweise Kompetenzen zur Harmonisierung im Bereich des Arbeitsrechts. Werden die Kirchen wie Arbeitgeber tätig, beanspruchen die europarechtlichen Regelungen demnach im Grundsatz auch für die Kirchen Geltung, soweit keine Ausnahmen vorgesehen sind. Insoweit liegt faktisch eine „mittelbare Sachkompetenz der Union im Bereich des Staatskirchenrechts“ vor9. Aus diesem Grunde ist zunächst zu erörtern, welcher Status den Kirchen im Bereich der europäischen Union zukommt, und ob auch auf europäischer Ebene ein Recht auf Selbstbestimmung anerkannt ist. 1. Ansätze vor dem Vertrag von Lissabon Ausdrückliche Regelungen, die ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auf europäischer Ebene ergeben, sind nicht vorhanden. Der Schutz eines Selbstbe4 Vgl. Robbers, ZevKR 42 (1997), 122 (123–125); Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV, Art. 17 AEUV Rn. 3; Waldhoff, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 251 (267); für eine ausführliche Darstellung der Situation in den einzelnen Unionsmitgliedsländern siehe Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union. 5 Robbers, ZevKR 42 (1997), 122 (125). 6 Vgl. etwa Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10, Rn. 47 f.; vgl. auch Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (291 f.). 7 Herbolsheimer, KuR 2012, 81 (93); Link, ZevKR 42 (1997), 130 (134). 8 Vgl. Mückl, in: HStR VII, § 159, Rn. 48; vgl. zu dieser Thematik auch Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (292); Herbolsheimer, KuR 2012, 81 (93); Lecheler, in: FS Leisner, S. 39 (44) sowie Link, ZevKR 42 (1997), 130 (135). 9 Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 48.

I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften

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stimmungsrechts ist aber aufgrund der Auslegung von verschiedenen Vertragsnormen angenommen worden. Ein solcher ergibt sich zunächst aus dem Gebot zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, das mit dem Maastrichter Vertrag eingeführt wurde10. Das Gebot, die nationale Identität zu achten, steht inhaltlich in engem Zusammenhang mit der Förderung der Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt11 sowie Art. 6 der Präambel zum EUV, der die Achtung der Geschichte, Kultur und Traditionen der Völker gebietet. Das Ziel dieser Regelungen ist es, Ängsten vor einem Verlust nationalstaatlicher Individualität Rechnung zu tragen12. Die Union soll vielmehr in diesem Sinne eine „multikulturelle Gesellschaft“ sein, die nicht die Kultur und Tradition der Mitgliedstaaten vereinheitlicht, sondern die jeweiligen Besonderheiten bewahrt13. Der Inhalt der nationalen Identität eines Mitgliedstaates ergibt sich aus dem Selbstverständnis des jeweiligen Staates, das er aufgrund seiner politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung hat14. Rechtlich konkretisiert wird dies insbesondere durch diejenigen Verfassungsbestimmungen, die grundlegende politische und verfassungsmäßige Strukturen des jeweiligen Mitgliedstaates normieren15. Insoweit werden die Grundprinzipien der Staatsorganisation sowie die Grundwerte des Staates von der Vorschrift geschützt16. Zu der nationalen Identität zählen damit im Besonderen auch die historisch gewachsenen Besonderheiten17, soweit sie von grundlegender Bedeutung für das Gemeinwesen sind. Das deutsche Verhältnis von Staat und Kirche ist ohne Zweifel ein historisch gewachsenes. Die maßgeblichen Bestimmungen der WRV sind durch die Inkorporation das älteste in Deutschland geltende Verfassungsrecht18. Auch legt das Staatskirchenrecht grundlegende Strukturen fest, indem das Staat-Kirche-Verhältnis determiniert wird19. Insoweit kann das Staatskirchenrecht und als dessen Bestandteil auch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, als Teil der nationalen Identität Deutsch10 Nunmehr ergibt sich das Gebot zur Achtung der nationalen Identität aus Art. 4 II EUV. 11 Ehemals Art. 151 EGV, jetzt Art. 167 AEUV. 12 Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 11. 13 Bleckmann, JZ 1999, 265 (269). 14 Bleckmann, JZ 1997, 265 (266), (268); Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/ AEUV, Art. 4 EUV Rn. 3; ausführlich zu dem Begriff der nationalen Identität Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 148 f. 15 Bleckmann, JZ 1997, 265 (269); Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 3; Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 14; Triebel, Una sancta 1999, S. 59 (62). 16 Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV, Rn. 14. 17 Triebel, Una sancta 1999, S. 59 (62). 18 Korioth, in: FS Badura, S. 727 (732 f.). 19 So auch Robbers, in: HdbStKirchR I, S. 323.

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§ 3 Europäischer Kirchenstatus

lands angesehen werden20. Dieses darf bei dem Erlass von Regelungen der Union nicht verletzt werden und ist insoweit von den Organen der Union zu achten. Auch aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt sich die grundsätzliche Anerkennung kirchlicher Selbstbestimmung. Der EuGH hat aus diesen sowie aus den Grundrechten der EMRK allgemeine Rechtsgrundsätze entwickelt, die einen europäischen Grundrechtsschutz sicherstellen21. Eine umfassende vergleichende Betrachtung der Verfassungen der europäischen Nachbarn im Hinblick auf ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht hat Bleckmann durchgeführt22. Danach ist in den europäischen Staaten trotz der sich deutlich unterscheidenden Modelle des Staat-Kirche-Verhältnisses23 ein Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften zur Regelung der inneren Angelegenheiten durchaus anerkannt24. Dies erfolgt auf unterschiedlichen Wegen. Während einige Verfassungen ein Selbstbestimmungsrecht direkt anerkennen25, ist in anderen europäischen Verfassungen nur die Religionsfreiheit ausdrücklich garantiert, aus der aber in den jeweiligen Staaten ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hergeleitet wird26. Dies beruht wohl auf der Erkenntnis, dass die individuelle Religionsfreiheit leicht einschränkbar wäre, sofern nicht auch ein Selbstbestimmungsrecht der Korporationen in gewissem Umfang anerkannt wäre27. Trotz der unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Systeme ist ein Recht der Kirchen auf Selbstbestimmung also kein deutsches Unikum, sondern in den Ver20 Zutreffend Bleckmann, JZ 1997 265, (269); Mückl, in: HStR VII, § 159 Rn. 56; Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 98; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 35; Robbers, in: HdbStKirchR I, S. 323; Schliemann, in: FS Richardi, S. 959 (966); Weber, in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 35; so wohl auch Marauhn, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? S. 283 (286); kritisch hierzu Oswald, Streikrecht, S. 110; Reichold, ZTR 2000, 57 (59). 21 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 12.11.1969 – 29/69, Slg. 1969, 419, Rn. 7 – Stauder; EuGH, Urt. v. 14.05.1974 – 4/73, Slg. 1974, 491, Rn. 13 – Nold. Die Rechtsquellen haben seit dem Amsterdamer Vertrag in Art. 6 II EUV a. F. Eingang in den EU-Vertrag gefunden und sind nunmehr in Art. 6 III EUV n. F. niedergelegt. 22 Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, München 1995. 23 Dies gilt nach wie vor trotz der Konvergenz-These von Robbers, ZevKR 42 (1997), 122 (127), nach der sich die unterschiedlichen Modelle langsam annähern. 24 Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 33–40; zustimmend auch Muckel, in: Tettinger/ Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 45; Muckel, DÖV 2005, 191 (195 f.); ebenso Triebel, Una sancta 1999, S. 59 (62) Waldhoff, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 251 (269). 25 So beispielsweise Art. 8 der Italienischen Verfassung, nach dem die von der katholischen Konfession abweichenden Bekenntnisse das Recht haben, sich nach ihren Statuten zu organisieren, soweit diese nicht im Widerspruch zur italienischen Rechtsordnung stehen, siehe hierzu auch Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 38. 26 Beispielhaft sei Art. 16 der Spanischen Verfassung genannt, vgl. hierzu Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 37 f. 27 Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 40.

I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften

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fassungen der Unionsmitgliedstaaten angelegt28, wenngleich die Reichweite dieses Rechts in den einzelnen Mitgliedstaaten divergiert. Folglich ergibt sich auch aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ein Recht der Kirchen auf Selbstbestimmung29. An dieser Stelle ist nicht ausführlich die konkrete Reichweite des sich aus den Verfassungsüberlieferungen ergebenden europäischen Selbstbestimmungsrechts zu entwickeln. Die Frage, ob der höchstmögliche (deutsche) Standard30 oder nur ein Mindestschutzstandard31 gewährleistet wird, bedarf in vorliegender Untersuchung keiner abschließenden Klärung, wenn sich jedenfalls aus einem der übrigen Ansätze ein Schutz des deutschen Staatskirchenrechtssystems herleiten lässt. Schließlich hat sich die Union durch eine Erklärung zum Amsterdamer Vertrag32 verpflichtet, den Status der Kirchen, den sie nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates innehaben, zu achten. Auch wenn die hierarchische Einordnung und rechtliche Verbindlichkeit dieser Erklärung umstritten war33, ist sie doch wenigstens als Auslegungshilfe zu beachten gewesen34. Insoweit kann auch hieraus ein gewisser Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen gefolgert werden35. 2. Rechtslage nach dem Vertrag von Lissabon Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde insgesamt der Status der Kirchen gestärkt. Das unionsrechtliche Religionsrecht besteht nun aus vier Pfeilern36: Zuerst ist Art. 17 AEUV zu beachten. Diese Norm überführt die Amsterdamer Erklärung in das Primärrecht und ergänzt sie in Art. 17 III AEUV um einen institutionellen Dialog. Den zweiten Pfeiler bilden die religionsrechtlichen Diskriminierungsverbote (Art. 10, 19 AEUV und Art. 21 GRCh). Zum Dritten ergibt sich aus Art. 10 GRCh eine Garantie der Religionsfreiheit. Schließlich bietet der in Art. 4 II EUV übernommene Schutz der nationalen Identität der Mitgliedstaaten Schutz. Zudem ist der Grundrechtsschutz nach Art. 6 EUV zu beachten: Art. 6 I EUV erklärt die Grundrechtecharta durch einen Verweis für 28 Vgl. Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 33–40; vgl. auch Muckel, in: Tettinger/ Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 45 m.w. N. 29 Zutreffend Muckel, DÖV 2005, 191 (196); Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 45. 30 So Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 50 f.; Robbers, in: HdbStKirchR I, S. 320. 31 So wohl Oswald, Streikrecht, S. 118 f. 32 ABl. 1997 Nr. C 340/133; BGBl. 1998 II, S. 386 (438). 33 Hierzu siehe etwa Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (287–291); Schliemann, in: FS Richardi, S. 959 (964 f.); Waldhoff, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht S. 251 (274 f.). 34 Vgl. auch Fischermeier, in: FS Richardi, S. 875 (886 f.); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 34; Weber, in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 35. 35 So auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 34. 36 Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV, Art. 17 AEUV Rn. 2.

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§ 3 Europäischer Kirchenstatus

verbindlich, gemäß Art. 6 II EUV wird ein Beitritt der Union zur EMRK angestrebt und Art. 6 III EUV ordnet an, dass die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen sowie die EMRK weiterhin allgemeine Rechtsgrundsätze der EU bleiben. Was bedeuten diese Änderungen im Einzelnen? Eine wichtige Änderung in Bezug auf den Schutz des Selbstbestimmungsrechts besteht erstens darin, dass die Amsterdamer Erklärung nunmehr in Art. 17 AEUV übernommen worden ist. Die Frage des Ranges dieser Erklärung ist nunmehr obsolet. Damit stellt die Achtung des Status der Kirchen nach dem Recht der Mitgliedstaaten nun eine primärrechtliche Gewährleistung dar. Die einzelne Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche ist hiernach und wegen des Fehlens einer ausdrücklichen Kompetenz der Union Angelegenheit der Mitgliedstaaten37. Aus Art. 17 AEUV ergibt sich einerseits ein Achtungsgebot und andererseits ein sich daraus ergebendes Beeinträchtigungsverbot38. Die Union hat bei ihren Tätigkeiten zum einen darauf zu achten, dass der Status der Kirchen, zu dem das gesamte staatskirchenrechtliche Gefüge zählt, also auch das in Deutschland bestehende Selbstbestimmungsrecht, nicht in der Substanz verletzt wird39. Zum anderen ist garantiert, dass unverhältnismäßige Beeinträchtigungen unterbleiben. Dies bedeutet zwar nicht, dass jede Einwirkung auf kirchliche Sachverhalte ausgeschlossen ist, da für diesen Bereich keine Bereichsausnahme gegeben ist40. Aufgrund des Achtungsgebotes muss aber sichergestellt werden, dass kirchliche Belange bei Tätigkeiten der EU besonders beachtet werden, und dass eine Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz stattzufinden hat, sofern die kirchlichen Belange mit den Zielen der Union kollidieren41. Die Union muss in diesem Sinne bei ihrer Tätigkeit auch das Selbstbestimmungsrecht deutscher Prägung beachten42. Der Schutz aufgrund des Art. 17 AEUV wird den deutschen Besonderheiten des Staatskirchenrechts gerecht43. Art. 17 AEUV ist allerdings als institutionelle Garantie zu verstehen und beinhaltet demnach kein subjektives Recht der Kirchen44. 37 Vgl. Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 48; Weber, in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 32. 38 Streinz, EUV/AEUV, Art. 17 AEUV Rn. 3; vgl. auch Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 48; zum Begriff des Achtungsgebots ausführlich Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 160–162. 39 Vgl. Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 158; Muckel, DÖV 2005, 191 (199); Streinz, EUV/AEUV, Art. 17 AEUV, Rn. 9; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 17 AEUV Rn. 12 f. 40 Streinz, EUV/AEUV, Art. 17 AEUV Rn. 10; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 17 AEUV Rn. 13. 41 Richtig Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 161; Streinz, EUV/AEUV, Art. 17 AEUV Rn. 1. 42 Vgl. auch Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 159; Muckel, DÖV 2005, 191 (199). 43 Schliemann, in: FS Richardi, S. 959 (969 f.). 44 Folz, in: Vedder/Heintschel-v. Heinegg, EUV, Art. 17 AEUV Rn. 2.

I. Unionsrechtlicher Status der Religionsgesellschaften

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Zudem ist mit dem Vertrag von Lissabon die Grundrechtecharta der Union durch einen entsprechenden Verweis in Art. 6 I EUV verbindlich geworden. Sie steht im Rang des Primärrechts. Deren Art. 10 sieht eine Regelung vor, die unter anderem die Religionsfreiheit garantiert. Anders als bei Art. 17 AEUV handelt es sich bei Art. 10 GRCh nicht um eine Garantie der Achtung der nationalen Besonderheiten, sondern um einen einheitlichen Mindeststandard, der in allen Mitgliedstaaten eingehalten werden muss45. Ausdrücklich garantiert sind die individuelle und die kollektive Freiheit. Nicht bezeichnet ist hingegen die korporative Religionsfreiheit, die die Religionsgesellschaften schützt und ihnen Grundrechtsträgerschaft verschafft. Jedoch hat der EuGH bereits in anderen Entscheidungen juristische Personen als Träger von Gemeinschaftsgrundrechten anerkannt46. Art. 10 GRCh ist textlich nahezu übereinstimmend mit Art. 9 EMRK, der ebenfalls mit seinem Wortlaut in der „Tradition“ völkerrechtlicher Garantien der Religionsfreiheit steht47. Die bewusste enge Anlehnung von Art. 10 an die entsprechende Vorschrift der EMRK48 verdeutlicht, dass diese für die Auslegung eine besondere Bedeutung hat49. Bereits seit Längerem sind konventionsrechtlich die Religionsgesellschaften als Grundrechtsträger des Art. 9 EMRK anerkannt, so dass diese Vorschrift auch einen korporativen Schutz beinhaltet50. Zwar ist der EuGH bei der Auslegung des Art. 10 GRCh nicht an die Auslegung des EGMR zu Art. 9 EMRK gebunden51. Es ist aber kaum zu erwarten, dass der Schutz des Art. 10 GRCh hinter dem des Art. 9 EMRK zurückbleibt52. Insoweit ist davon auszugehen, dass auch in Art. 10 GRCh die korporative Dimension geschützt ist, zu der auch ein Selbstbestimmungsrecht gehört53, zumal gemäß Art. 17 AEUV ohnehin der Status der Kirchen geschützt werden muss54. Wegen dieser Nähe des Art. 10 GRCh zu Art. 9 EMRK und wegen des gemäß Art. 6 II EUV vorgesehenen Beitritts der EU zur EMRK ist Art. 9 EMRK und dessen Auslegung unionsrechtlich von erheblicher Bedeutung. Bis zu dem erfolg45

Vgl. Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 48. Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – C-11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rn. 15 – Internationale Handelsgesellschaft. 47 Vgl. Muckel, DÖV 2005, 191 (192). 48 Amtsblatt der Europäischen Union, ABl. 2004 Nr. C 310/425, S.457. 49 Vgl. Jarass, EU-Grundrechte § 15 Rn. 2; Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 132. 50 Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (274 f.) unter Bezugnahme auf die Entscheidung der EKMR, Ent. v. 05.05.1979 – 7805/77, D.R. No. 16, 68 – X and Church of Scientology/Schweden; siehe im Einzelnen unten. 51 Vgl. auch Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 65. 52 Muckel, DÖV 2005, 191 (194); Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 44. 53 Bernsdorff, in: Meyer, GRC, Art. 10 GRCh Rn. 13; vgl. auch Jarass, GRCh, Art. 10 Rn. 9, 15; Muckel, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 10 Rn. 29. 54 Zutreffend Jarass, GRCh, Art. 10 Rn. 15; Streinz EUV/AEUV, Art. 10 GR-Charta Rn. 7. 46

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ten Beitritt gilt nach Art. 6 III EUV die EMRK als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch für das Unionsrecht und hat somit bereits Relevanz für das Recht der EU. Ohnehin spielt die EMRK freilich auch für die mitgliedstaatliche Rechtslage eine immer wichtiger werdende Rolle.

II. Rechtslage nach der EMRK Nunmehr ist zu untersuchen, inwieweit die EMRK ein Selbstbestimmungsrecht gewährt, und ob sich aus dieser Konvention Gesichtspunkte ergeben, die für die Auslegung des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen bedeutsam sind. 1. Art. 9 EMRK Art. 9 EMRK garantiert die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Die Vorschrift ist individualrechtlich ausgerichtet55 und beinhaltet eine individuelle und eine kollektive Freiheit. Konventionsrechtlich ist aber auch eine korporative Dimension geschützt, so dass sich auch die Glaubensvereinigungen selbst auf Art. 9 EMRK berufen können56, da eine Unterscheidung zwischen Kirche als Vereinigung und den einzelnen Gläubigen unnatürlich sei; die Kirche repräsentiere ihre Mitglieder. Diese Rechtsprechung zum Inhalt der korporativen Dimension hat der EGMR weiter präzisiert und zu einem Selbstorganisationsrecht erweitert. Ob bereits durch die Rechtssache Rommelfanger57 ein solches kirchliches Selbstbestimmungsrecht anerkannt worden ist58, ist umstritten. Zwar hat der EGMR eine Kündigung wegen Verletzung der Loyalitätspflichten, die die Kirchen unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht ausgesprochen hatten, nicht als Verletzung der Konventionsrechte des Arbeitnehmers gewertet. Allerdings hat der EGMR zur Begründung auf das Recht der Meinungsäußerung der Kirche als Arbeitgeber nach Art. 10 EMRK und nicht auf Art. 9 EMRK Bezug genommen. Mittlerweile hat der EGMR allerdings wiederholt eine Verletzung des Art. 9 EMRK angenommen, wenn der Staat in innere Angelegenheiten der Kirchen ein-

55 Vgl. Hollerbach, ZevKR 35 (1990), 250 (258); Marauhn, in: Heinig/Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 283 (288). 56 Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (274 f.) unter Bezugnahme auf die Entscheidung der EKMR, Ent. v. 05.05.1979 – 7805/77, D.R. No. 16, 68 (70) – X and Church of Scientology/Schweden; siehe auch Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 133 f. 57 EKMR, Ent. v. 06.09.1989 – 12242/86, D.R. No. 62, 151 (160 f.) – Rommelfanger/BRD. 58 So etwa Robbers, in: HdbStKirchR I, S. 317; so wohl auch Hollerbach, ZevKR 35 (1990), 250 (259); kritisch hingegen Oswald, Streikrecht, S. 115.

II. Rechtslage nach der EMRK

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greift59. Der EGMR legt dabei Art. 9 EMRK im Lichte der Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK aus60. Sofern der Staat in die Organisation der Religionsgesellschaften eingreifen könnte, wäre er auf diese Weise in der Lage, die Religionsfreiheit zu beschränken oder sogar Einfluss auf das Bekenntnis zu nehmen. Insoweit wäre die Religionsfreiheit der Einzelnen höchst angreifbar, wenn kein Recht auf Selbstorganisation bestünde. Aus diesem Grunde sei die „autonome Existenz der Religionsgemeinschaften unentbehrlich“ 61. Daher leitet der EGMR aus Art. 9 EMRK ein „weitgehendes Recht zur Selbstorganisation“ her62. Jedenfalls für den internen Bereich der Religionsgesellschaften ist folglich ein Recht auf Selbstbestimmung in Art. 9 EMRK angelegt63. Wie weit dieses Selbstbestimmungsrecht genau reicht, ist in der Vergangenheit strittig diskutiert worden: Teilweise wird die Bestimmung des inneren Bereiches – wie auch im deutschen staatskirchenrechtlichen System – anhand des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften vorgenommen64. Entscheidend sei, dass die Regelung der Angelegenheit im weiteren Sinne aufgrund des Glaubens erforderlich sei65. Dies hätte zur Folge, dass der autonome Bereich der Religionsgemeinschaften sehr weit würde und sich auch auf die Regelung arbeitsrechtlicher Fragen erstrecken könnte66. Überwiegend wird von der Literatur jedoch ein nur eng begrenzter innerer Bereich, innerhalb dessen die Kirchen Autonomie genießen, als von Art. 9 EMRK geschützt angesehen.67. Dieser soll lediglich den Bereich der religiösen Aufgaben erfassen und für deren Ausübung eine Autonomie vor staatlicher Bevormundung sichern68. Hauptsächlich wird dahingehend argumentiert, dass die EMRK nur einen Mindeststandard sichern solle. Die unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Systeme in den Mitgliedsländern hätten durch die EMRK nicht

59 Etwa EGMR (Große Kammer), Urt. v. 26.10.2000 – 30985/96, ECHR 2000-XI, S. 117, Nr. 62 – Hasan and Chauch/Bulgarien; EGMR, Urt. v. 13.12.2001 – 45701/99, ECHR 2001-XII, S. 81, Nr. 105 – Metropolitan Church of Bessarabia/Moldavien. 60 Vgl. hierzu auch Marauhn, in: Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 283 (292); Ottenberg, Schutz der Religionsfreiheit, S. 109, 116. 61 Muckel, DÖV 2005, 191 (195); vgl. auch bereits Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 40. 62 Ottenberg, Schutz der Religionsfreiheit, S. 118, vgl. auch Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (276). 63 Richtig Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 134. 64 Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 47–49. 65 Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 48. 66 Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 48. 67 So Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 135–137; Muckel, DÖV 2005, 191 (195); Oswald, Streikrecht, S. 116 f.; Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 72 f.; Schäfer, Das kirchliche Arbeitsrecht, S. 5; Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), S. 129 (150); Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (276). 68 Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), S. 129 (150); Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (276); vgl. auch Weber, ZevKR 47 (2002), 265 (276).

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angetastet werden sollen69. Insoweit könne nicht aus Art. 9 EMRK ein Selbstbestimmungsrecht deutscher Prägung angenommen werden70. Die Frage, wie weit das Recht auf Selbstbestimmung nach Art. 9 EMRK im Allgemeinen garantiert ist, ist vorliegend jedoch nicht zu entscheiden. Denn letztlich geht es in dieser Untersuchung nicht um das Selbstbestimmungsrecht an sich, sondern um die spezifische Befugnis, kirchliche Arbeitsrechtsregelungen zu erlassen. Hiermit hat sich der EGMR in jüngerer Zeit mehrfach befasst. In den einschlägigen Urteilen geht es zwar um Loyalitätsanforderungen an kirchliche Mitarbeiter. Allerdings handelt es sich bei dieser Problematik auch grundsätzlich um die Frage nach der Möglichkeit, kirchliches Arbeitsrecht zu setzen. Insoweit sind die Urteile nun daraufhin zu überprüfen, ob der EGMR aus Art. 9 EMRK das Recht ableitet, Kirchenarbeitsrecht zu schaffen. 2. Die neueren Urteile des EGMR mit Bezug zum Selbstbestimmungsrecht Die hier zu untersuchenden Urteile des EGMR betreffen Kündigungen von Mitarbeitern einer Religionsgesellschaft aufgrund eines außerdienstlichen Verhaltens, das gegen die Anforderungen verstößt, die die Religionsgemeinschaften an ihre Mitglieder stellen. Zur besseren Orientierung sollen die einschlägigen Fälle nachfolgend kurz skizziert werden: Im Fall Obst71 ging es um einen Gebietsdirektor Öffentlichkeitsarbeit der Mormonen, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund eines außerehelichen Verhältnisses gekündigt wurde. Diese Kündigung hat der EGMR letztlich bestätigt. Im Fall Schüth72 wurde ein Organist und Chorleiter der katholischen Kirche entlassen, da er nach der Trennung von seiner Ehefrau eine neue Partnerin hatte, mit der er gemeinsam ein Kind erwartete. Hierin sah die Kirche nicht nur Ehebruch, sondern auch Bigamie. Diese Kündigung wurde jedoch als Verstoß gegen die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens von Herrn Schüth angesehen. In denselben Zusammenhang gehört der Fall Siebenhaar73. Frau Siebenhaar war die Leiterin eines evangelischen Kindergartens und wurde wegen der aktiven Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft Universelle Kirche/Bruderschaft der Menschheit entlassen. In dieser Entlassung sah der EGMR keinen Verstoß gegen die Konventionsrechte der Beschwerdeführerin. In den genannten Urteilen bestätigt der EGMR zunächst seine Rechtsprechung in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften: Er führt 69 70 71 72 73

Vgl. auch Weber, ZevKR 45 (2000), 109 (149). Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), S. 129 (150). EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571–577 – Obst/BRD. EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560–571 – Schüth/BRD. EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199–202 – Siebenhaar/BRD.

II. Rechtslage nach der EMRK

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aus, dass „Religionsgemeinschaften traditionell und weltweit in Form organisierter Strukturen existieren“ 74. Soweit es um die Organisation dieser Gemeinschaften gehe, sei Art. 9 EMRK im Lichte des Art. 11 EMRK auszulegen, der die Vereinigungsfreiheit vor jedem ungerechtfertigten staatlichen Eingriff schütze75. Weiter betont der EGMR, dass die selbstbestimmte Existenz dieser Religionsgemeinschaften unverzichtbar für den Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft sei. Deswegen stehe diese autonome Existenz im Kernbereich des durch Art. 9 EMRK gewährleisteten Schutzes76. Der Staat dürfe aufgrund Art. 9 EMRK nur in Extremfällen eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des religiösen Bekenntnisses oder der Art und Weise, in der dieses zum Ausdruck gebracht werde, vornehmen77. Der EGMR erstreckt das Selbstbestimmungsrecht ohne weiteres auch auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse78, indem er im Anschluss an die Herleitung des Selbstbestimmungsrechts nahtlos und ohne ausdrücklich die Frage der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts zu problematisieren, die aufgrund des Selbstbestimmungsrechts ergangenen kirchlichen arbeitsrechtlichen Regelungen rechtlich würdigt79. Insoweit können die Kirchen auch nach den Vorgaben des EGMR Regelungen erlassen, die den Besonderheiten des kirchlichen Auftrags gerecht werden sollen. Das Recht, den Arbeitsverhältnissen eine bekenntnisgemäße Prägung zu geben, hat der EGMR in jeder der hier untersuchten Entscheidungen zugestanden. Auch wird das Selbstverständnis der Kirchen berücksichtigt, indem der EGMR es für mit der EMRK vereinbar hält, wenn die Frage, ob eine schwere Verfehlung des Arbeitnehmers gegeben ist, maßgeblich anhand des Standpunktes des kirchlichen Arbeitgebers beurteilt wird80. Insofern ist es auch konventions-

74 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 41 – Siebenhaar/BRD. 75 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 41 – Siebenhaar/BRD. 76 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 –18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 41 – Siebenhaar/BRD. 77 So etwa EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/ BRD. 78 Dieser Befund wird von der Lehre nicht bestritten: Vgl. Fahrig/Stenslik, EuZA 2012, 184 (193); Hammer, AuR 2011, 278 (283); Joussen, RdA 2111, 173 (175); Plum, NZA 2011, 1194 (1197); Reichold, EuZA 2011, 320 (326); Reufels/Molle, KSzW 2012, 3 (5 f.); Sperber, EuZA 2011, 407 (411). 79 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 45–51 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 59–68 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 42–46 – Siebenhaar/BRD; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (62). 80 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 68 – Schüth/BRD.

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rechtlich zulässig, wenn die Kirche selbst festlegt, was zur Erfüllung des Auftrags und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit erforderlich ist81. Damit kann die Kirche im Prinzip auch selbst bestimmen, ob sie eine Abstufung der Loyalitätspflichten vornehmen will82. Aus diesem Grund bestehen auch hinsichtlich der Konzeption der Dienstgemeinschaft keine generellen konventionsrechtlichen Bedenken. Insofern kann man in den Urteilen des EGMR eine konventionsrechtliche Bestätigung der bundesverfassungsgerichtlichen Leitentscheidung zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vom 04.06.1985 erkennen83. Vor diesem Hintergrund ist der unterschiedliche Ausgang der Verfahren jedenfalls nicht die Folge einer prinzipiellen Negierung der Kompetenz der Religionsgesellschaften zur Regelung eines eigenen Dienstrechts; vielmehr stellen sich die unterschiedlichen Ergebnisse jeweils als Resultat eines Abwägungsprozesses dar84. Diesen hat der EGMR im Fall Schüth als unzureichend betrachtet. Der EGMR stellt in diesem Zusammenhang weitergehend klar, dass die kirchlichen Regelungen nicht zur Folge haben dürfen, dass ein kirchlicher Mitarbeiter durch den Eintritt in sein Beschäftigungsverhältnis seine Grundrechte verliere. Diese müsse der Staat vielmehr in jedem Einzelfall schützen. Dieser Schutzpflicht komme er in der Regel nach, wenn er die Möglichkeit gewähre, staatlichen Rechtsschutz zu erlangen85. Die Gerichte haben sodann zu prüfen, ob die kirchlichen Regelungen eine unannehmbare Verpflichtung der Arbeitnehmer darstellen86. Insoweit müsse im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle eine umfassende Abwägung des kirchlichen Rechts auf Selbstbestimmung mit den Grundrechten der Arbeitnehmer stattfinden87. Diese gibt der EGMR nicht vor, sondern prüft nur, ob die nationalen Gerichte zu einem angemessenen Ergebnis gelangt sind, das alle Belange einbezieht88. Bei dieser Abwägung wird das nach mitglied81 EGMR, Urt. v. 23.09.2010, Nr. 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58, 68 – Schüth/ BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/BRD. 82 Zutreffend Jüngst, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 63 (68). 83 Ebenso Grabenwarter, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 9 (23–25); Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (230); Reichold, EuZA 2012, 320 (326); in diese Richtung gehend auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (66); Joussen, RdA 2011, 173 (176); Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), 129 (159); Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (243). 84 So auch Joussen, RdA 2011, 173 (175); Reichold, EuZA 2011, 320 (326); Reufels/ Molle, KSzW 2012, 3 (5 f.); vgl. auch Nußberger, RdA 2012, 270 (275). 85 Ebenso Plum, NZA 2011, 1194 (1197). 86 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 43 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 –1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 57 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 40 – Siebenhaar/BRD; vgl. auch Plum, NZA 2011, 1194 (1197). 87 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – Nr. 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 50 – Obst/BRD. 88 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – Nr. 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 49 f. – Obst/ BRD.

II. Rechtslage nach der EMRK

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staatlichem Recht bestehende Gewicht der kirchlichen Position nicht angetastet89, weil der EGMR ein Abstellen auf das Selbstverständnis der Kirchen für unbedenklich erklärt hat90. Die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob die deutsche Rechtsprechung in Bezug auf die Loyalitätsanforderungen kirchlicher Bediensteter mit der des EGMR in Einklang steht, oder ob und inwieweit Anpassungsbedarf besteht, fokussiert sich demnach nicht auf die auch von der Lehre als unbestritten angenommenen Tatsache, dass der EGMR den Religionsgesellschaften ein Recht zur Regelung von Arbeitsbedingungen zugesteht91, sondern auf die Frage nach der konkreten Abwägung. Insoweit ist diese Diskussion, verbunden mit der Frage der Bindungswirkung der EGMR-Entscheidungen, an dieser Stelle nicht zu führen. Schließlich ist anzumerken, dass der EGMR in den hier zu behandelnden Urteilen mehrfach das besondere Gewicht der nationalen Akteure betont92: So habe der nationale Gesetzgeber im Allgemeinen einen weiten Ermessensspielraum, sofern „innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens über die Bedeutung der in Rede stehenden Interessen oder über die besten Mittel zu ihrem Schutz“ bestehe93. Auch sei Spielraum gegeben, wenn der Staat einen Ausgleich zwischen „konkurrierenden privaten und öffentlichen Interessen oder verschiedenen konventionsrechtlich geschützten Rechten herbeizuführen“ habe94. Ausdrücklich betont der EGMR diesen Spielraum für die Thematik des Staat-KircheVerhältnisses95. Daher werden die Abwägungsentscheidungen der nationalen Gerichte nur auf ihre Angemessenheit und daraufhin, ob die kirchlichen Regelungen unannehmbare Verpflichtungen begründen, überprüft96. Angesichts der Tatsache, dass einerseits in den Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen bestehen, die historisch gewachsen sind und dass andererseits mit der Ratifikation der Konvention durch die Mitgliedstaa89

Wie hier auch Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), 129 (159). EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 68 – Schüth/BRD. 91 Vgl. Fahrig/Stenslik, EuZA 2012, 184 (193); Hammer, AuR 2011, 278 (283); Joussen, RdA 2111, 173 (175); Plum, NZA 2011, 1194 (1197); Reichold, EuZA 2011, 320 (326); Reufels/Molle, KSzW 2012, 3 (5 f.); Sperber, EuZA 2011, 407 (411). 92 Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (67 f.) kritisieren demgegenüber eine hohe Kontrolldichte des EGMR. 93 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 42 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 –18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 39 – Siebenhaar/BRD; zustimmend Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 (231). 94 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 42 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 39 – Siebenhaar/BRD; zustimmend Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 (230). 95 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 42 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 –1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 55 – Schüth/BRD. 96 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 50 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 –18136/02, NZA 2012, 199, Rn. 46 – Siebenhaar/BRD. 90

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§ 3 Europäischer Kirchenstatus

ten kein bestimmtes staatskirchenrechtliches Modell implementiert werden sollte97, erscheint dies konsequent. Insoweit könnte dies einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass der EGMR seine Kontrolldichte auch aufgrund der nationalen Unterschiede etwas zurückführen wird. Dies wäre letztlich auch aufgrund des Charakters der Konvention als Mindeststandard aller Mitgliedstaaten gerechtfertigt.

III. Auswirkungen auf das deutsche Staatskirchenrecht und Zwischenergebnis Zunächst ist festzuhalten, dass der EGMR aus dem Recht der Religionsfreiheit ein weitgehendes Recht auf Selbstbestimmung herleitet. Dieses Selbstbestimmungsrecht aus der Religionsfreiheit abgeleitet. Nach deutschem Verständnis besteht zwar enge eine Verbindung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit; das Selbstbestimmungsrecht ergibt sich aber nicht aus der Religionsfreiheit, sondern ist eigenständig geschützt. Nach nun mehrfach bestätigter Rechtsprechung umfasst das sich aus Art. 9 EMRK ergebende Recht auf Selbstbestimmung auch die Befugnis der Religionsgemeinschaften, eigene Modifikationen des Arbeitsrechts herbeizuführen, um den bekenntnisspezifischen Besonderheiten des kirchlichen Dienstes Rechnung tragen zu können. Aufgrund dieser nun ausdrücklichen Anerkennung wird man davon ausgehen können, dass die Position der Kirchen im europäischen Kontext gestärkt worden ist98. Zur Verwirklichung kollidierender Rechte Dritter fordert der EGMR, eine sorgfältige Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der Arbeitnehmer und der Kirchenfreiheit durchzuführen. Der Arbeitnehmer verliere durch den Eintritt in ein Beschäftigungsverhältnis bei der Kirche nicht seine Grundrechte. Allerdings wird dem nationalen Gesetzgeber bei der konkreten Herbeiführung des Ausgleiches ein Spielraum zugebilligt. Die vom EGMR geforderte Vornahme einer Abwägungsentscheidung bei kollidierenden Rechten Dritter ist im Ergebnis ähnlich zu der Auslegung der Schrankenbestimmung des Art. 137 III WRV, die vom BVerfG zutreffend auch als Abwägungsprogramm verstanden wird. Das BVerfG stellt somit auch durch eine Abwägung sicher, dass den Dienstnehmern keine unannehmbaren Verpflichtungen aufgebürdet werden, und schützt auf diese Weise Arbeitnehmerrechte, wenn sie mit dem Selbstbestimmungsrecht kollidieren99. Insgesamt kann man den vorliegenden Urteilen des EGMR durchaus eine Bestätigung der bundesverfassungsgerichtlichen Grundentscheidungen in Bezug auf 97

Vgl. Goerlich, NJW 2001, 2862 (2862); Hollerbach, ZevKR 35 (1990), 250 (258). So auch Fahrig/Stenslik, EuZA 2012, 184 (193). 99 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168); vgl. auch v. Campenhausen, AöR 112 (1987), 623 (651); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206). 98

III. Auswirkungen auf das deutsche Staatskirchenrecht und Zwischenergebnis 109

das kirchliche Selbstbestimmungsrecht entnehmen100, nach der die Kirchen in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes nach ihrem Selbstverständnis die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes durch eigenständige Regelungen festlegen können101. In Bezug auf das Unionsrecht lässt sich folgendes feststellen: Auch aufgrund des engen Bezugs des Art. 9 EMRK zu Art. 10 GRCh ist anzunehmen, dass dessen Gewährleistungen nicht hinter der Rechtsprechung des EGMR zurückbleiben werden. Hierfür spricht auch, dass die Grundrechte der EMRK allgemeine Grundsätze des Unionsrechts sind, Art. 6 III EUV. Letztlich ist aber abzuwarten, wie der EuGH die Auslegung vornehmen wird. Daneben ist auf Unionsebene das Selbstbestimmungsrecht in deutscher Ausprägung ebenfalls durch Art. 17 AEUV geschützt. Die Reichweite dieser Rechtsstellung der Kirchen ist, wie im deutschen Recht auch, nicht schrankenlos. Insoweit ergeben sich für die Anerkennung der Befugnis, arbeitsrechtliche Sonderregelungen zu treffen, und die Begrenzung dieser Befugnis aus dem Europarecht im weiteren Sinne keine wesentlich anderen Gesichtspunkte, als sie nach nationalem Recht zuvor herausgestellt worden sind. Überdies verbleiben der nationalen Rechtsprechung Ermessensspielräume.

100 So z. B. auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (66); Reichold, EuZA 2011, 320 (326); Reufels/Molle, KSzW 2012, 3 (5). 101 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165).

§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln Dogmatik und Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sowohl aus Sicht des Grundgesetzes als auch in Bezug auf europa- und völkerrechtliche Rechtsgrundlagen untersucht worden sind, muss die Perspektive gewechselt werden. Nunmehr geht es um dasjenige Rechtsgut, das durch die kirchliche Regelung ausgeschlossen werden soll: Das Streikrecht. Mangels ausdrücklicher Regelung eines Streikrechts muss dieses zunächst hergeleitet und dessen Reichweite bestimmt werden. Sodann kann festgestellt werden, ob und inwieweit ein Streikrecht mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht kollidiert.

I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG 1. Streik als Vorenthaltung der Arbeitsleistung Traditionell sind Arbeitskämpfe Konflikte der Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern um die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse, die durch Nichterfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten ausgetragen werden1. Bereits in der Antike sollen Arbeitsniederlegungen von Arbeitern oder Sklaven stattgefunden haben2. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung fanden Arbeitskämpfe auch unabhängig vom Vorliegen gesetzlicher Verbote statt3. Insoweit sind Arbeitskämpfe auch geschichtliche und gesellschaftliche Erscheinungen4. Hier interessiert freilich die juristische Bewertung von Arbeitskämpfen. Der Begriff des Arbeitskampfes ist, wie das gesamte Arbeitskampfrecht, nicht spezialgesetzlich geregelt5. Auch die Rechtsprechung hat den Begriff Arbeitskampf bislang nicht definiert6. In der heutigen Literatur werden unterschiedliche Ansätze vertreten. Nach einer weiten Definition wird unter einem Arbeitskampf die Ausübung von kollektivem Druck von Seiten der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber durch die Zufügung von Nachteilen oder deren Abwehr verstanden7. Üblicherweise geschieht dies zwar in Form der Verweigerung der Arbeitsleistung oder 1 2 3 4 5 6 7

Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 3. Germelmann, Theorie und Geschichte des Streikrechts, S. 10. Ricken, in: MünchArbR II, § 196 Rn. 1. Ricken, in: MünchArbR II, § 196 Rn. 1. Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 94. Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 94. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 2.

I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG

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der Vorenthaltung von Lohn und Beschäftigung8. Ob dieser kollektive Druck aber notwendigerweise durch eine Störung der Arbeitsbeziehungen erfolgen muss, damit von einem Arbeitskampf gesprochen werden kann, wird unterschiedlich beurteilt9. Ebenso besteht Uneinigkeit darüber, ob ein Arbeitskampf begriffsnotwendig nur einen Regelungsstreit, also die Regelung zukünftiger kollektiver Arbeitsbedingungen, zum Inhalt haben kann oder ob z. B. auch eine Druckausübung für politische Ziele als Arbeitskampf angesehen werden kann10. Die rechtliche Bedeutung der unterschiedlichen Definitionsansätze ist jedoch nicht zu überschätzen. Denn Einigkeit besteht darin, dass der Begriff Arbeitskampf keine juristische Einordnung zur Folge hat, sondern nur ein soziales Phänomen beschreiben soll, so dass sich daraus, dass ein Geschehen als Arbeitskampf angesehen wird, noch keine Rechtsfolgen ergeben; vielmehr soll lediglich ein Verhalten beschrieben werden, für das eine besondere Beurteilung prinzipiell in Betracht kommen kann11. Aus diesem Grund kann eine Beantwortung der exakten begrifflichen Definition der Erscheinung Arbeitskampf an dieser Stelle dahinstehen. Für die Austragung von Arbeitskämpfen bedienen sich die kampfführenden Parteien unterschiedlicher Instrumentarien. Für das Arbeitnehmerlager ist das klassische und historisch überkommene Arbeitskampfmittel der Streik. Die genauen Modalitäten eines Streiks haben sich in der geschichtlichen Entwicklung verändert12. Auch heute sind sie noch vielfältig13. Bei einem Streik wird gemeinsam und planmäßig von einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern die Arbeit eingestellt14. Durch diese Arbeitseinstellung soll Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt werden, in der Regel mit dem Zweck, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Dieser Druck wird durch die schädigende Wirkung des Streiks erzeugt: Der Arbeitgeber kann die Arbeitskraft seiner Beschäftigten nicht mehr nutzen, hierdurch wird die Betriebsfortführung gestört oder sogar verhindert mit der Folge, dass ihm wirtschaftliche Schäden entstehen15. Er hat somit 8

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 911. Dafür: Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 17; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 14, Rn. 14; dagegen etwa Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 94: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 3. 10 So etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 926; dagegen Otto, Arbeitskampfrecht, § 1 Rn. 7. 11 Vgl. etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 912; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 15 Rn. 4; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 1; Ricken, in: MünchArbR II, § 193 Rn. 2. 12 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 3–8. 13 Siehe etwa die Unterscheidungen bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 912–914. 14 Statt aller Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 912; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht II, § 14 Rn. 24. 15 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 2. 9

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

durch einen Streik nutzlose Aufwendungen, ihm entgeht Gewinn und bei einem lange andauernden Stillstand seines Betriebes kann er Marktanteile verlieren16. Mit der Beschreibung dieser historischen und sozialen Erscheinung ist freilich noch keine Aussage hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit getroffen. Der Streik bewegt sich allerdings nicht im rechtsfreien Raum, sondern muss in den Grenzen der allgemeinen Rechtsordnung stattfinden, so dass Zulässigkeit und Grenze von Arbeitskämpfen nach der gesamten Rechtsordnung zu beurteilen sind17. Jede Handlung, die im Rahmen eines Streiks ausgeführt wird, und die in bestehende Rechte eingreift, bedarf damit eines Rechtfertigungsgrundes zur Legitimation des Eingriffs, damit der Streik nicht rechtswidrig ist18. Nach einer rein bürgerlich-individualrechtlichen Betrachtung ist der Streik eine gezielte Vertragsverletzung19. Das Vorenthalten der geschuldeten Arbeitsleistung stellt die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Hauptpflicht dar. Hierbei entstehen teilweise recht massive Schäden, bei deren Beurteilung nach individualrechtlichen Maßstäben auch deliktische Tatbestände in Betracht kommen können. Aufgrund des mit dem Streik verbundenen Zwecks, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen, ist auch eine strafrechtliche Beurteilung denkbar: Wird jemand durch Gewalt zu einer Handlung veranlasst, kann eine Nötigung vorliegen. Oftmals entstehen auch Schäden durch Fernwirkungen bei am Kampfgeschehen unbeteiligten Dritten20. Der Arbeitskampf ist also eine scharfe Waffe21. Er greift in die Rechtssphäre anderer ein, verursacht erhebliche Schäden und kann den sozialen Frieden stören22. Insofern ist er auch ein Angriff auf die Rechtsordnung und Rechtsgüter des Einzelnen23. Nach alledem ist das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes erforderlich, der Streiks mit ihren Eingriffen in die Rechtsgüter anderer legitimiert24. 2. Art. 9 III 1 GG als Rechtfertigungsgrund a) Notwendigkeit der Anerkennung des Streiks Dass ein solcher Rechtfertigungsgrund und damit die grundsätzliche Anerkennung des Streikrechts sachlich notwendig ist, ist eng verbunden mit dem in der 16

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 928 f. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 16 Rn. 1. 18 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 16 Rn. 1. 19 Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn. 698; vgl. auch Ricken, in: MünchARbR II, § 196 Rn. 1; Schwarze, JuS 1994, 643 (646 f.). 20 Vgl. hierzu ausführlich Kissel, Arbeitskampfrecht, § 16 Rn. 2–4. 21 BAG, Urt. v. 20.12.1963 – 1 AZR 428/62, BAGE 15, 174 (194). 22 BAG, Beschl. v. 28.01.1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (300); vgl. auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 1; Scholz, in: FS Buchner, S. 827 (832). 23 Ricken, in: MünchArbR II, § 196 Rn. 1. 24 Vgl. auch Schwarze, JuS 1994, 653 (657). 17

I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG

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deutschen Rechtsordnung bestehenden System zur Findung und Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Dies geschieht im Wesentlichen im Rahmen der Tarifautonomie. Hierbei werden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. deren Verbänden Tarifverträge geschlossen. Diese setzen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung u. a. die Lohn- und Arbeitsbedingungen der tarifgebundenen Beschäftigten fest25. Die Tarifverträge werden selbstständig von den Tarifvertragsparteien geschlossen, ohne dass der Staat daran mitwirkt26. Die autonome Regelung der Arbeitsbedingungen ohne staatliche Intervention beruht auf der Erkenntnis, dass die Vertragsparteien aufgrund ihrer Sachnähe selbst am besten die Modalitäten des Beschäftigungsverhältnisses regeln können, und ist Ausdruck der Privatautonomie27. Dem einzelnen Arbeitnehmer wäre es im Regelfall allerdings nicht möglich, selbst angemessene Beschäftigungsbedingungen mit dem Arbeitgeber auszuhandeln28. Denn um gerechte Arbeitsbedingungen zu erzielen, ist ein ungefähres Kräftegleichgewicht der verhandelnden Vertragsparteien erforderlich. Dies ist aber im Regelfall nicht gegeben, sondern der abhängig Beschäftigte, der seinen Arbeitsplatz zur Sicherung seiner Existenz benötigt, befindet sich strukturell in einer deutlich schwächeren Position als der Arbeitgeber29. Die Gewerkschaften bündeln die Macht der einzelnen Arbeitnehmer und können somit eher für ein Gleichgewicht der Kräfte sorgen30. Daher handeln die Gewerkschaften gemeinsam mit den Arbeitgebern bzw. deren Verbänden die Beschäftigungsbedingungen durch Tarifverträge aus. Dies soll die Disparitäten zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen Beschäftigten ausgleichen31. Die Tarifautonomie ist insofern im Bereich der Regelung der materiellen Beschäftigungsbedingungen das letzte Kettenglied der Vertragsfreiheit32. Gewerkschaften und Arbeitgeber verfolgen freilich unterschiedliche Zielsetzungen, so dass die Tarifverträge das Ergebnis eines Interessenkonfliktes beider Parteien darstellen. Daraus ergibt sich, dass auch Mittel zur Lösung des Konflik-

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Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 482, 791. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (340 f.); BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (246). 27 BVerfG, Beschl. v. 27.02.1973 – 2 BvL 27/69, BVerfGE 34, 307 (317 f.), vgl. auch Picker, ZfA 2010, 499 (517 f.); Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 128. 28 BVerfG, Beschl. v. 27.02.1973 – 2 BvL 27/69, BVerfGE 34, 307 (317 f.); vgl. auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 29 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); siehe auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 30 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); Picker, ZfA 2010, 499 (516). 31 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229). 32 Picker, ZfA 2010, 499 (517 f.); vgl. auch Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 128. 26

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

tes bereitstehen müssen, wenn durch Verhandlungen keine Einigung erzielt werden kann33. Auch könnte sonst ein Arbeitgeber allein durch die Verweigerung, über Tarifverträge zu verhandeln, den Abschluss verhindern. Das Mittel zur Lösung dieses Interessenkonflikts ist der Arbeitskampf, mit dem Druck auf den sozialen Gegenspieler ausgeübt wird. Unter dem Eindruck dieses ausgeübten Drucks soll eine Bereitschaft zur (erneuten) Verhandlung und zur Einigung über die strittigen Punkte entstehen. Daher muss es notwendigerweise eine Anerkennung und einen Schutz von Kampfmaßnahmen geben, durch die ein Tarifvertrag erreicht werden kann. Eine spezialgesetzliche Regelung, die die Voraussetzungen für eine Zulässigkeit und die Durchführung von Arbeitskämpfen festlegt, besteht in der deutschen Rechtsordnung nicht. Gleichwohl besteht, wie soeben festgestellt, sachlich die Notwendigkeit, Arbeitskämpfe austragen zu können. Auch das BAG hat bereits sehr früh festgestellt, dass Arbeitskämpfe nicht grundsätzlich unzulässig seien34. Zu klären ist daher, welche Rechtsnorm die Rechtfertigung für Arbeitskämpfe darstellt und welche materiellen Gewährleistungen sich ihr entnehmen lassen. Als Rechtfertigungsgrund könnte zunächst Art. 9 III 3 GG in Betracht kommen. Nur in dieser Bestimmung der Verfassung ist der Arbeitskampf genannt. Sachlich wird in dieser Vorschrift geregelt, dass sich Notstandsmaßnahmen nicht gegen einen Arbeitskampf richten dürfen. Ob hierdurch die verfassungsrechtliche Anerkennung des Arbeitskampfes erfolgt ist, ist fraglich. Einerseits kann zwar dahingehend argumentiert werden, dass es keinen Sinn ergebe, den Arbeitskampf im Staatsnotstand, bei dem bürgerliche Rechte weitgehend eingeschränkt werden können, zu erlauben und im „normalen“ Zustand abzulehnen, so dass mittels eines Erst-Recht-Schlusses eine Anerkennung anzunehmen sei35. Andererseits sollte mit der Einfügung des Satz 3 aber keine Änderung der verfassungsrechtlichen Lage erfolgen, sondern nur gewährleistet werden, dass durch den Staat nicht unter dem „Deckmantel des Notstandes in legitime Tarifkämpfe“ eingegriffen werden kann36. Satz 3 setzt demnach zwar die grundsätzliche Zulässigkeit von Arbeitskämpfen voraus, diese müssten aber nicht Verfassungsrang haben, damit ein Schutz vor Notstandsmaßnahmen einen Sinn ergibt37.

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Vgl. Stahlhacke, Zulässigkeit neuer Kampfmittel im Arbeitskampf, S. 3. BAG, Beschl. v. 28.01.1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (300). 35 Vgl. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 19; Wank, RdA 2009, 1 (3); Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1228 f.); differenzierend Oswald, Streikrecht, S. 35, der einen zwar einen Schutz über S. 3, aber nur für Arbeitskämpfe i. R. d. Tarifautonomie wegen des sachlogischen Zusammenhangs zu Art. 9 III 1 GG sieht. 36 BAG, Urt. v. 26.04.1988 – 1 AZR 399/86, BAGE 58, 138 (147); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 935. 37 So BAG, Urt. v. 26.04.1988 – 1 AZR 399/86, BAGE 58, 138 (147); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 2. 34

I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG

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Letztlich muss die Frage, ob sich aus Art. 9 III 3 GG die verfassungsrechtliche Anerkennung eines Streiks ergibt, hier nicht abschließend beantwortet werden. Denn jedenfalls enthält Art. 9 III 3 GG ausweislich des Wortlauts hinsichtlich Inhalt und Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts keine eigene Konkretisierung, sondern die Norm ist lediglich Schranken-Schranke gegen mögliche Maßnahmen im Notstand38. Insofern wird durch Satz 3 die Bewertung, die das Grundgesetz hinsichtlich Streik und Aussperrung trifft, nicht verändert. Somit ändert Satz 3 auch nicht die Beurteilung der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen, sondern sichert lediglich den bisherigen Rechtszustand für den Fall des Notstandes39. Den normativen Ausgangspunkt für eine Rechtfertigung von Arbeitskämpfen bildet nach allgemeiner Meinung Art. 9 III 1 GG. b) Schutzbereich: Von der Koalitionsfreiheit zum Arbeitskampf Art. 9 III 1 GG, ein Grundrecht mit unmittelbarer Drittwirkung, gewährt nach seinem Wortlaut dem Einzelnen das Recht, Koalitionen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden. Gewährleistet ist hiernach die Freiheit zum Zusammenschluss zu einer solchen Koalition. Wie auch bei der allgemeinen Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 I GG, von der sich die Koalitionsfreiheit durch die Einbeziehung des besonderen Koalitionszwecks in den Grundrechtsschutz unterscheidet40, ist darüber hinaus auch das Recht, einer bestehenden Koalition beizutreten und in dieser zu bleiben, geschützt41. Ebenso ist spiegelbildlich auch eine negative Koalitionsfreiheit umfasst, also die Freiheit, einer Koalition fernzubleiben und aus einer solchen auszutreten42. Das Recht, Koalitionen zu gründen, wäre allerdings nicht effektiv, wenn der Staat die Koalitionen nach Belieben wieder auflösen könnte. Aus der individuellen Koalitionsfreiheit hat das BVerfG daher auch eine Existenzgarantie der Vereinigungen entnommen, so dass Bildung und Bestand der Koalitionen verfassungsrechtlich geschützt sind43. Die Koalitionen können sich selbst auf den Schutz aus 38 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 126, 193; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Vorbem. vor §§ 611 ff., Rn. 824 m.w. N.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 62; Strake, Streikrecht, S. 29. 39 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 96; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 824; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 38 f. 40 Vgl. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Rn. 81; Merten, in: HStR VII, § 165 Rn. 68. 41 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE, 84, 212 (224). 42 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 81 m.w. N. 43 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.10.1961 – 1 BvR 730/57, BVerfGE 13, 174 (175) in Bezug auf Art. 9 I GG; BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (367) m.w. N.; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (246); BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224).

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

der Koalitionsfreiheit berufen, so dass Art. 9 III 1 GG nach herrschender Meinung ein Doppelgrundrecht ist44. Das Recht, Koalitionen zu bilden, hat aber weitergehend nur dann einen Sinn, wenn auch die Betätigung der Koalitionen geschützt ist45. Denn immerhin ist der Koalitionszweck Bestandteil des Grundrechtsschutzes46. Aus diesem Grund wird aus der Koalitionsfreiheit auch eine koalitionsmäßige Betätigungsgarantie hergeleitet. Neben der Gewährleistung der autonomen internen Betätigung wie Organisation, Willensbildung und ähnlichem47 ist in Art. 9 III 1 GG auch eine externe Betätigungsgarantie im Rahmen des Koalitionszwecks, also der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, angelegt48. Zu derartigen Betätigungen zählt insbesondere der Abschluss von Tarifverträgen49. Denn hierdurch erfolgt im Besonderen die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen50. Ohne die Möglichkeit, Tarifverträge zu schließen, die sich normativ auch auf das einzelne Arbeitsverhältnis erstrecken, könnte der Koalitionszweck nicht erfüllt werden51. Damit werden Tarifautonomie und Tarifvertragssystem dem Schutz der Koalitionsfreiheit unterstellt, geschützt sind sie allerdings nicht in ihrem gegenwärtigen Bestand, sondern nur allgemein mit einem weiten Spielraum für den Gesetzgeber zur Ausgestaltung52.

44 St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (101 f.); vgl. in der Rechtslehre Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 82; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 36, 41; a. A. insbesondere: Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 136; Scholz, in: HStR VIII, § 175, Rn. 83–86, der die kollektiven Belange über Art. 19 III GG in den Schutz einbezieht, so dass sich keine praktischen Unterschiede zur h. M. ergeben; ähnlich Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 184 f. 45 BVerfG, Beschl. v. 14.04.1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (333). 46 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106). 47 Näher hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 212 f. 48 So etwa BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/ 78, BVerfG, Beschl. v. 19.02.1975 – 1 BvR 418/71, BVerfGE 38, 386 (393); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 212/78, BVerfGE 50, 290 (367); BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (246); BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 49 Vgl. BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (106); BVerfG, Beschl. vom 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317); BVerfG, Beschl. v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 (340 f.); BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233 (246); BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 50 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9, Rn. 83; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9, Rn. 125. 51 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317) m.w. N.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 263; vgl. auch Kemper, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 125. 52 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317).

I. Herleitung aus Art. 9 III 1 GG

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Um den Koalitionszweck zu erreichen und angemessene Tarifverträge zu schließen, ist es erforderlich, dass zwischen den vertragsschließenden Parteien ein ungefähres Gleichgewicht besteht. Ansonsten wären diejenigen, die eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fordern, relativ machtlos53. Denn der soziale Gegenspieler könnte durch eine bloße Verweigerungshaltung verhindern, dass tarifliche Regelungen getroffen werden54. Für eine funktionierende Tarifautonomie ist also ein Kräftegleichgewicht bei den Verhandlungen erforderlich. Insoweit muss, wie bereits dargelegt, auch ein Druckmittel bestehen, das den Tarifpartner zu einer Einigung veranlasst. Hätten die Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, einen Einigungsdruck zu erzeugen, wären Tarifverhandlungen nicht viel mehr als „kollektives Betteln“ 55. Eine Zwangsschlichtung ist ausgeschlossen, denn ein Zwang zur Unterwerfung unter den Schlichterspruch würde gerade die Freiheit zum Abschluss von Vereinbarungen stark beschränken56. Insoweit kann eine Schlichtung nur freiwillig erfolgen. Es muss aber ersichtlich die Möglichkeit geben, die Gegenseite wieder an den Verhandlungstisch zurückzubringen, damit auf diese Weise ein Tarifvertrag zustande kommen kann. Anderenfalls könnte die Seite, die keine Vereinbarung erreichen will, die Verhandlungen verweigern57. Das Druckmittel der Arbeitnehmer ist der Streik. Dieser soll ein Gleichgewicht der Kräfte sicherstellen und durch seine schädigende Wirkung Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber hinsichtlich der gewerkschaftlichen Forderungen erzeugen, so dass gerechte Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Das Recht, Kampfmaßnahmen zur Erreichung eines Tarifvertrags durchzuführen, ist deswegen „notwendiger Bestandteil des Tarifvertragssystems“ 58. Aufgrund dieser Erwägung geht nach der Rechtsprechung des BVerfG der Schutz der Koalitionsfreiheit noch einen Schritt weiter: Ein wesentlicher Zweck der Koalitionen sei der Abschluss von Tarifverträgen59. Darin sollen die Vertragsparteien frei sein, so dass Art. 9 III GG den Koalitionen die Wahl der Mittel überlasse, die sie für geeignet halten, um den Zweck zu erreichen60. Soweit die Erreichung dieses Zwecks vom Einsatz bestimmter Mittel abhänge, seien daher

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Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 157. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 55 BAG, Urt. v. 12.09.1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (346). 56 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 911 f.; Kemper, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 148 m.w. N.; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 128; ähnlich Scholz/Konzen, Die Aussperrung, S. 182, die aber in extremen Ausnahmefällen eine Zwangsschlichtung für denkbar halten. 57 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 58 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127 m.w. N.; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 827. 59 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 60 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 54

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auch diese von Art. 9 III 1 GG geschützt61. Zu den geschützten Mitteln zählen demnach auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sind62. Sie werden jedenfalls erfasst, soweit sie zur Sicherstellung einer funktionierenden Tarifautonomie allgemein erforderlich seien63. Bereits mehrfach hat das BVerfG diese Aussagen bestätigt und ausdrücklich auf tarifbezogene Streiks angewandt64. Weil Art. 9 III GG nach seinem Wortlaut die Koalitionsfreiheit für jedermann und für alle Berufe gewährleistet, gilt dies grundsätzlich auch für die Beschäftigten von Kirchen65. c) Von der Kernbereichslehre zum Schutz aller koalitionsspezifischen Verhaltensweisen Zu untersuchen ist ferner die Reichweite bzw. die Intensität des Schutzes der Koalitionsfreiheit. Nach älterer Rechtsprechung des BVerfG war die sogenannte Kernbereichslehre maßgeblich, nach der nur der Kernbereich der koalitionsmäßigen Betätigung geschützt war. Wann ein Verhalten zum Kernbereich zählte, bestimmte das BVerfG entweder anhand der sogenannten Unerlässlichkeitsformel oder anhand einer Abwägungsformel66. Nach der Unerlässlichkeitsformel wurde davon ausgegangen, dass nur diejenigen Betätigungen, die für die Erhaltung und Sicherung der Existenz und des Zwecks der Koalitionen unerlässlich waren, vor Beschränkungen geschützt wurden67. Daher kam es bei der Beurteilung, ob ein Kampfmittel zulässig war, nach der strengeren Unerlässlichkeitsformel68 darauf an, ob das koalitionsmäßige Verhalten unerlässlich für eine funktionierende Tarifautonomie war. Nach der Abwägungsformel wurde davon ausgegangen, dass dem Betätigungsrecht der Koalitionen nur diejenigen Beschränkungen auferlegt werden konnten, die zum Schutz von anderen Rechtsgütern sachlich geboten waren69. Regelun61

BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224 f.). 63 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (225). 64 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88 103 (114); BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (393 f.). 65 Richtig auch Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (114). 66 Vgl. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 5. 67 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (304); BVerfG, Beschl. v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (246). 68 So auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 5. 69 BVerfG, Urt. v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (27); BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (322); BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 62

II. Genaue Reichweite des Streikrechts

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gen, die nicht der Sache nach zum Schutz anderer Rechtsgüter geboten waren, griffen somit in den geschützten Kernbereich ein. Demnach räumte Art. 9 III GG keinen verfassungsrechtlich unbegrenzten Handlungsspielraum für die Koalitionen ein, vielmehr konnte der Gesetzgeber insoweit die Reichweite der Koalitionsfreiheit bestimmen, als dass er die „Befugnisse der Koalitionen im Einzelnen gestaltet und näher regelt“ 70. Von dieser engen Auslegung des Schutzbereiches der Betätigungsfreiheit hat sich das BVerfG gelöst71. Die bisherige Verfassungsrechtsprechung zur Kernbereichslehre hätte bei den Fachgerichten und in der Wissenschaft zu Missverständnissen geführt72: Ausgangspunkt der Kernbereichsformel sei die Feststellung, dass die Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet sei. Mit dem Kernbereich sei jedoch nur die Grenze für die gesetzgeberische Ausgestaltung gemeint. Diese sei für Beschränkungen im Bereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit folglich erreicht, wenn Regelungen zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her nicht geboten seien. Der grundrechtliche Schutzbereich der Betätigungsfreiheit der Koalitionen sei jedoch nicht auf einen Kernbereich beschränkt73. Geschützt seien vielmehr alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen74. Neben Handlungen im Bereich der Bestandsgarantie sind somit auch solche im Bereich der Betätigungsgarantie nicht mehr nur im Kernbereich geschützt.

II. Genaue Reichweite des Streikrechts Nachdem nunmehr festgestellt worden ist, welche Rechtsgrundlage für ein Streikrecht heranzuziehen ist, soll nachfolgend der Umfang des Streikrechts mit Blick auf die Frage nach der Zulässigkeit von Streiks im kirchlichen Dienst näher thematisiert werden. 1. Systemimmanente Grenzen des Streikrechts? Dabei muss die Frage, inwieweit bereits die Rechtsgrundlage des Streikrechts selbst Grenzen hinsichtlich der Zulässigkeit von Maßnahmen zieht, näher in den Blick genommen werden. Soweit diesbezüglich Vorgaben aufgestellt werden, steht und fällt die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen mit der Einhaltung dieser 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (306); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (368 f.). 70 BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (306); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (368). 71 Seit BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (359). 72 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (358–360). 73 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (359). 74 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (358).

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Vorgaben. Diese sind dann schutzbereichseröffnend. In diesem Zusammenhang interessiert insbesondere, ob das Arbeitskampfrecht von vornherein auf das Tarifsystem beschränkt ist. Denn alle Diözesen und die Mehrzahl der evangelischen Landeskirchen wenden das Tarifsystem nicht an, sondern den kircheneigenen Dritten Weg. Wäre der Streik nur streng funktional bezogen auf das Tarifsystem zulässig, hätte dies Auswirkungen auf die Frage nach der Zulässigkeit von Streiks im Dritten Weg. a) Funktionszusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf Zu untersuchen ist zunächst, ob das Arbeitskampfrecht in einem unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang zu dem Tarifvertragssystem steht. Die Herleitung des Arbeitskampfrechts aus Art. 9 III GG legt dies zwar nahe, unumstritten ist diese Frage gleichwohl nicht. Teilweise wird das Bestehen eines derartigen Zusammenhangs abgelehnt75. Zur Begründung wird zum Teil auf die Entscheidung des BVerfG76 verwiesen, nach der eine Wahlfreiheit bezüglich derjenigen Koalitionsmittel bestehe, die der Erfüllung des Koalitionszweckes diene. Dieser Zweck bestehe in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und beschränke sich somit nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen77. Der Abschluss von Tarifverträgen sei nur „ein wesentlicher Zweck der Koalitionen“ 78. Deswegen lasse sich dieser Entscheidung ein untrennbarer Zusammenhang des Arbeitskampfes zum Tarifvertragssystem nicht entnehmen79. Sofern Arbeitskämpfe der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienten, seien sie als Teil der Betätigungsgarantie auch unabhängig vom Tarifvertragssystem von Art. 9 III GG zur Erreichung des Koalitionszwecks garantiert80. Dies könne unter anderem dazu führen, dass für die Erzwingung einer Regelung im Rahmen des Dritten Weges Streiks zulässig seien, weil auch hier Streiks den Einigungsdruck erhöhten und damit die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen förderten81.

75 Däubler, Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 8; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 229; Höfling, in: Sachs GG, Art. 9 Rn. 104; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 91 f. 76 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 77 Däubler, Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 8; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 104; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 91 f. 78 Däubler, Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 8; ähnlich Kittner/Schiek, in: AK-GG, Art. 9 III, Rn. 143. 79 Däubler, Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 8; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 166 f.; ähnlich auch Kittner/Schiek, in: AK-GG, Art. 9 III, Rn. 143. 80 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 92, 167; vgl. ferner Däubler, Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 8; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 10; so wohl auch Kreft, BBSpecial 4/2008, 11 (12). 81 Dies bejaht Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 169, 186.

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Daher kommt der Frage, ob der Tarifbezug eine unverzichtbare Voraussetzung für das Streikrecht bildet, nicht nur für die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen allgemein, entscheidende Bedeutung zu. Ob der Tarifbezug von vornherein die Zulässigkeit von Streiks bestimmt, ist auch für die Frage, ob ein Streikrecht gemäß Art. 9 III GG im Dritten Weg überhaupt denkbar ist, von fundamentaler Bedeutung. Allerdings erscheint es fraglich, ob eine weite, den Tarifbezug ausklammernde Sicht zutreffend ist, und ob sich diese Auffassung mit der in Bezug genommenen Entscheidung des BVerfG begründen lässt. Richtig ist, dass der Koalitionszweck nicht nur im Abschluss von Tarifverträgen besteht. Zutreffend ist auch, dass das BVerfG den Koalitionen grundsätzlich eine Wahlfreiheit der Koalitionsmittel im Rahmen des Koalitionszweckes zugesprochen hat82. Allerdings bezieht sich die Wahlfreiheit nur auf zulässige Mittel. Zu diesen geschützten Mitteln zählen indes nur tarifbezogene Streiks. Dies ergibt sich aus der dogmatischen Herleitung des Streikrechts. Das BVerfG hat ein Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen aus dem ursprünglichen Individualgrundrecht zur Gründung von Koalitionen entwickelt. Aus dem Recht, Koalitionen zu gründen, ergibt sich eine Bestandsgarantie der Koalitionen sowie das Recht der Vereinigungen und der Mitglieder, zur Verwirklichung des Koalitionszwecks tätig werden zu können. In der Entscheidung, die sich auf die verfassungsrechtliche Anerkennung von Arbeitskampfmaßnahmen bezieht, leitet das BVerfG die Garantie von Kampfmaßnahmen allerdings nicht unmittelbar aus der Wahlfreiheit der Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks ab. Stattdessen führt es aus, dass der Koalitionszweck zu einem wichtigen Teil im Abschluss von Tarifverträgen liege83. Um diesen Zweck, also den Abschluss von Tarifverträgen, zu erreichen, können die Koalitionen gemäß der in Bezug genommenen Entscheidung die Mittel prinzipiell frei wählen84. Folglich sieht das BVerfG auch Arbeitskampfmaßnahmen, die „auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind“, als von der Koalitionsfreiheit geschützte Mittel an85. Arbeitskampfmittel sind hiernach jedenfalls von Art. 9 III GG geschützt, soweit sie allgemein erforderlich für eine funktionierende Tarifautonomie sind86. Hierzu zählt das BVerfG unter ausdrücklicher Berufung auf den Beschluss vom 26.06.1991 insbesondere Streiks87. Hieraus ergibt sich recht eindeutig, dass das BVerfG von dem Erforder-

82 Etwa BVerfG, Urt. v. 04.04.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/ 87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (393). 83 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 84 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224). 85 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (225). 86 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (225). 87 BVerfG, Beschl. v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (114) unter Bezugnahme auf BVerfGE 84, 212 (225).

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nis eines Tarifbezugs in dem Sinne ausgeht, dass Arbeitskampfmaßnahmen dann vom Schutz der Koalitionsfreiheit erfasst sind, wenn sie auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Mehr noch: Nicht alle auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichteten Kampfmaßnahmen sind stets zulässig, jedenfalls aber solche, die allgemein erforderlich sind, um eine Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sicherzustellen. Aus der Garantie der freien Wahl der Koalitionsmittel eine grundsätzliche Anerkennung des Streiks unabhängig von einem Bezug zum Tarifsystem herzuleiten, erscheint damit zu weitgehend und lässt sich aus der in Bezug genommenen Entscheidung des BVerfG nicht herleiten. Insofern ist zu unterscheiden, ob es um eine koalitionsspezifische Betätigung im Allgemeinen geht oder um eine Betätigung durch Streik88: Im Hinblick auf allgemeine Betätigungen ist es zutreffend, dass diese im Rahmen der Wahrung und Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen zulässig sind. Das Streikrecht ergibt sich aber aus der freien Wahl der Mittel zur Erreichung von Tarifverträgen und damit direkt aus der Hilfsfunktion für die Tarifautonomie89. Diese Funktion begrenzt dann aber denknotwendig von vornherein auch die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen90. Daher sind grundsätzlich nur tarifbezogene Streiks zulässig. Dem kann nicht entgegengehalten werden, das Erfordernis eines Tarifbezugs ergebe sich aus einem abzulehnenden engen Schutzbereichsverständnis91. Unabhängig davon, ob ein weites Schutzbereichsverständnis überhaupt grundsätzlich vorzugswürdig ist92, erscheint diese Begrenzung auf tarifbezogene Streiks nicht als eine enge Tatbestandstheorie93, sondern vielmehr als zwingende Folge aus der Herleitung des Arbeitskampfrechts. Entscheidendes Kriterium für eine Zulässigkeit von Streiks ist nach alledem das Bestehen eines Zusammenhangs zum Tarifvertragssystem94. Der Streik ist nicht um seiner selbst willen erlaubt, sondern nur, soweit er als Instrument zur Regelung von Arbeitsbedingungen im Rahmen der Tarifautonomie erforderlich ist95. Das Erfordernis eines Tarifbezugs erscheint auch in der Sache richtig. Ein Streik greift massiv in die Rechtspositionen Anderer ein und bedarf einer Rechtfertigung. Die Notwendigkeit der Anerkennung von Arbeitskämpfen beruht auf der fehlenden Funktionsfähigkeit der einfachen Marktgesetze im Arbeitsverhält88 Vgl. zu diesem Punkt Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1021 R, 1022. 89 Wie hier auch Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 826 f. 90 Zutreffend Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1022 R. 91 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 228. 92 Ablehnend etwa Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 18 f. 93 So aber Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 228 f. 94 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 95 Vgl. etwa Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 114; Richardi, in: FS Säcker, S. 285 (292).

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nis96. Der einzelne Arbeitnehmer ist typischerweise in einer zu schwachen Position, um gerechte Arbeitsbedingungen aushandeln zu können. Diese Schwäche soll die Tarifautonomie ausgleichen, indem die Gewerkschaften Tarifverträge über die Lohn- und Arbeitsbedingungen mit den Arbeitgebern abschließen. Hierfür ist es notwendig, dass ein Druckmittel besteht, um den Sozialpartner zu Tarifverhandlungen und zu einer Einigung zu bewegen, der andernfalls Verhandlungen verweigern könnte. Deswegen ist das Recht, durch Streiks Tarifverhandlungen zu erzwingen, ein „notwendiger Bestandteil des Tarifvertragssystems“ 97. Durch die Zulässigkeit von Streiks soll sichergestellt werden, dass die Tarifautonomie funktioniert, so dass das Streikrecht eine dienende Funktion erfüllt98. Weitergehend greift der Rechtfertigungsgrund aus Art. 9 III GG demnach nicht ein. Wegen der erheblichen Schädigungswirkung von Arbeitskämpfen ist es sachgerecht, den Streik nur zu rechtfertigen, soweit er sein Ziel, Tarifverträge zu erkämpfen, auch tatsächlich verfolgt und in diesem Sinne notwendig ist. Die Möglichkeit, für alle koalitionsspezifischen Betätigungen zu Streiks aufrufen zu können, würde Arbeitgeber und sonstige Dritte unangemessen belasten99. Daher ist von dem Bestehen eines Funktionszusammenhangs zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf auszugehen, der auch von der überwiegenden Auffassung anerkannt wird100. An diesem Funktionszusammenhang von Tarifvertragssystem und Arbeitskampfrecht hat auch die Aufgabe der Kernbereichslehre101 nichts geändert. Diese Entscheidung des BVerfG hat ersichtlich nicht dazu geführt, dass der Arbeitskampf aus seiner Hilfsfunktion für eine funktionierende Tarifautonomie gelöst worden wäre102. Zunächst betraf der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt die gewerkschaftliche Werbung im Betrieb, so dass sich daraus zumindest nicht unmittelbar Rückschlüsse auf den Zusammenhang von Tarifautonomie und Arbeitskampf ziehen lassen103. Unabhängig davon sieht das BVerfG

96 Hierzu Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9, Rn. 127; so auch Säcker/Mohr, JZ 2010, 440 (443). 97 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9, Rn. 127 m.w. N. 98 Vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 84; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127; vgl. auch Schubert, AöR 137 (2012), 92 (95 f.). 99 So auch Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 436. 100 BVerfG, Beschl. v. 10.09.2004 – 1BvR 1191/03, NZA 2004, 1338 (1339); v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (506); Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127 m.w. N.; Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, 61 (67) m.w. N.; Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (610); Pieroth, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 293 (300). 101 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (358 f.). 102 So zutreffend Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (43); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); Rieble, BB 2008, 1506 (1508); Schlochauer, in: FS Buchner, S. 810 (814 f.). 103 Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (43); Schlochauer, in: FS Buchner, S. 810 (814 f.).

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auch nach Aufgabe der Kernbereichsformel Arbeitskämpfe ausdrücklich als von der Koalitionsfreiheit umfasst an, soweit sie für die Sicherstellung einer funktionierenden Tarifautonomie erforderlich sind104. Dabei beruft es sich ausdrücklich auf seine bisherige Rechtsprechung hinsichtlich des Tarifbezugs. Deutlicher hätte das BVerfG kaum zum Ausdruck bringen können, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Tarifbezug als Grenze der Arbeitskampffreiheit festhält. Aus diesem Grund ist auch weiterhin davon auszugehen, dass Arbeitskämpfe wegen ihrer Hilfsfunktion für die Tarifautonomie in den Schutzbereich der Betätigungsfreiheit fallen und damit geschützt sind, wenn sie allgemein erforderlich für das Funktionieren der Tarifautonomie sind105. Insoweit hat sich unter dem Gesichtspunkt der Aufgabe der Kernbereichslehre für den klassischen Arbeitskampf keine Änderung ergeben106. Aus der Aufgabe der Kernbereichslehre ergibt sich also Folgendes107: Im Allgemeinen ist bei Betätigungsrechten nicht mehr entscheidend, ob sie unerlässlich sind, sondern ob sie koalitionsspezifisch sind. Das Streikrecht ergibt sich allerdings weiterhin aus dem Betätigungsrecht, Tarifverträge abzuschließen. Der Funktionszusammenhang wurde mithin nicht aufgegeben. Deswegen sind nicht alle koalitionsspezifischen Streiks vom Schutz erfasst, sondern nur solche, die auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sind. Aus dem zu fordernden Tarifbezug ergibt sich auch, dass nur ein gewerkschaftsgetragener Streik anzuerkennen ist108. Wenn nur Gewerkschaften Tarifverträge abschließen können, dürfen auch nur sie zu dem Streik aufrufen, um den Abschluss eines Tarifvertrags zu erreichen. Der Tarifbezug beinhaltet daneben eine weitere wichtige systemimmanente Einschränkung hinsichtlich der Mittel: Der Arbeitskampf ist geschützt, weil er ein Funktionieren der Tarifautonomie gewährleisten soll. Das Tarifvertragssystem ist darauf ausgerichtet, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Beide Parteien müssen damit die Chance haben, den Vertragsinhalt mitgestalten zu können109. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie nur, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht besteht110. Wäre eine Koalitionspartei übermächtig, könnte sie der anderen Partei ihre Bedingungen auf104 Siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 10.09.2004 – 1 BvR 1191/03, NZA 2004, 1338 (1339) m.w. N. 105 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (225). 106 So auch Rieble, BB 2008, 1506 (1508). 107 Hierzu auch Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1021 R. 1022. 108 Pieroth, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 293 (300). 109 Richardi, in: FS Säcker S. 285 (292); Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1239). 110 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229).

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zwingen111. Dieses Gleichgewicht der Kräfte, Parität genannt, muss daher nicht nur am Verhandlungstisch, sondern auch im Arbeitskampf bestehen. Hätte eine Partei so scharfe Waffen, dass die andere Seite dem nichts entgegensetzen könnte, wäre sie auf ein Durchhalten angewiesen. Dies darf nicht sein, weil dann die Gefahr besteht, dass eine Seite die Bedingungen diktiert hat und der Tarifabschluss nicht aufgrund freier Verhandlungen erfolgt ist112. Für eine funktionierende Tarifautonomie ist daher ein annäherndes Kräftegleichgewicht, sozusagen Waffengleichheit, auch im Arbeitskampf zwingend erforderlich113. Diese Überlegung drückt sich im Paritätsprinzip aus, an dem sich jedes Kampfmittel messen lassen muss. Konkret verbietet es das Paritätsprinzip, Kampfmittel, die zu einem Übergewicht bei den Tarifverhandlungen führen, einzusetzen114. Unvereinbar mit Art. 9 III GG ist der Einsatz von Kampfmitteln dann, wenn er dazu führt, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bleibt115. Damit bestimmt das Paritätsprinzip „das Arsenal zulässiger Kampfmittel“ 116. Die Geltung des Paritätsgrundsatzes ist in diesem Sinne durch Art. 9 III GG verfassungsrechtlich vorgegeben117. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Eine Arbeitskampfmaßnahme muss tarifbezogen sein. Anderenfalls ist sie von vornherein nicht vom Schutz des Art. 9 III GG umfasst. Ebenso ergibt sich aus der Hilfsfunktion des Arbeitskampfes für die Tarifautonomie, dass im Arbeitskampf eine Waffengleichheit bestehen muss. Dies ist eine zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Tarifautonomie. b) Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung des BAG Fraglich ist allerdings, wie streng das Erfordernis eines Tarifbezuges zu handhaben ist. Es hat den Anschein, dass dieser Funktionszusammenhang in neueren Entscheidungen des BAG etwas großzügiger als bisher gehandhabt wird. So werden nunmehr Unterstützungsstreiks118 vom BAG als im Regelfall zulässig ange111

Vgl. Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 195. BAG, Beschl. v. 21.04.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (308). 113 Vgl. BVerfG, Urt. v. 04. 07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (395); Erbguth, Parität, S. 212; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968, 970. 114 Vgl. Stahlhacke, Zulässigkeit neuer Kampfmittel im Arbeitskampf, S. 10. 115 BVerfG, Urt. v. 04. 07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (395). 116 BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (164). 117 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); Erbguth, Parität, S. 212; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968 m.w. N.; Maeßen, Auswirkungen, S. 217; Schwarze, JuS 1994, 653 (659); Wank, in: FS Kissel, S. 1225 (1239). 118 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134–152. 112

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

sehen. Unterstützungsstreiks verfolgen kein eigenes tariflich regelbares Kampfziel, sondern sollen einen Hauptarbeitskampf „in einem fremden Betrieb mit einem fremden Kampfziel unterstützen“ 119. Direkt richtet sich der Unterstützungsstreik damit nicht auf ein tariflich regelbares Ziel, sondern darauf, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erreichen und den Hauptkampf zu unterstützen120. Mittelbar wird allerdings versucht, auf diese Weise Einfluss auf die Arbeitgeberseite des Hauptarbeitskampfes auszuüben, so dass zumindest indirekt ein Bezug zu einem zu erkämpfenden Tarifvertrag angenommen werden kann. Weil sich der Hauptstreik gegen einen anderen Arbeitgeber richtet, unterstützen die Streikenden ein Ziel, dessen Erfüllung nicht in der Macht des bestreikten Arbeitgebers liegt121. Auffällig ist bei den neueren arbeitskampfrechtlichen BAG-Entscheidungen, dass das BAG die Kampffreiheit nunmehr weiter ausgelegt und offensichtlich ein geändertes Verständnis von der Reichweite der Koalitionsfreiheit hat122. Ausgangspunkt der neuen BAG-Rechtsprechung ist die Feststellung des BVerfG, dass die Koalitionsfreiheit alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erfasst. Ob eine Verhaltensweise koalitionsspezifisch und damit von Art. 9 III GG erfasst sei, richte sich allein nach dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck und nicht nach dem konkret eingesetzten Mittel, da es keinen numerus clausus zulässiger Koalitionsmittel gebe123. Hinsichtlich des Einsatzes der koalitionsspezifischen Mittel bestehe eine Wahlfreiheit124. Ein Unterstützungsstreik sei koalitionsspezifisch, denn er sei auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet und diene damit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen125. Insofern sei wegen der freien Kampfmittelwahl ein Schutz derartiger Maßnahmen im Prinzip anzunehmen. Bei der Ausgestaltung der Kampffreiheit sei zu berücksichtigen, dass jede Reglementierung des Arbeitskampfrechts zugleich eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit darstelle, die verfassungsrechtlicher Rechtfertigung bedürfe126. Daher komme bei der Reglementierung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entscheidende Bedeutung zu, hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit bestehe aber eine Einschätzungsprärogative127. Das Paritäts119 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 913; Schlochauer, in: FS Buchner, S. 810 (811). 120 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1137. 121 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1137. 122 Giesen, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 97 (97); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); vgl. auch Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (604). 123 Vgl. BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (136 f.); deutlicher BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (150). 124 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (136). 125 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (137). 126 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (140); vgl. auch BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (151 f.). 127 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (141–143); vgl. auch BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (153).

II. Genaue Reichweite des Streikrechts

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prinzip sei wegen seiner Abstraktionshöhe nicht zur Bestimmung der Zulässigkeit von Kampfmaßnahmen geeignet128. Diese nun weiterreichende Kampffreiheit wird mit der Aufgabe der Kernbereichslehre durch das BVerfG begründet129, nach der die koalitionsspezifische Betätigung nicht nur in einem Kernbereich geschützt sei, sondern sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erstrecke130. Daran müsse das BAG seine Rechtsprechung nunmehr anpassen und den Unterstützungsstreik innerhalb des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit ansiedeln131. Durch die Freigabe von Unterstützungsstreiks wurde das Erfordernis, dass eine Kampfmaßnahme tarifbezogen sein muss, durch das BAG insofern eingeschränkt, als nun nicht mehr ein unmittelbarer Tarifbezug gegeben sein muss. Wäre dieser Lockerung des Tarifbezugs zuzustimmen, und müsste eine Arbeitskampfmaßnahme daher nicht unmittelbar auf die Erreichung einer tariflichen Regelung gerichtet sein, hätte dies möglicherweise Folgen für die Beurteilung der Frage, ob ein Streikrecht im Dritten Weg durch Art. 9 III GG gerechtfertigt sein kann. Damit ist die Frage, inwieweit der neuen BAG-Rechtsprechung zur Reichweite der Kampffreiheit zuzustimmen ist, nicht nur grundsätzlich für das Arbeitskampfrecht von Wichtigkeit, sondern gerade auch für die Frage nach der Zulässigkeit eines Streiks im Dritten Weg. aa) Einwände in tariffunktionaler Hinsicht Die Koalitionsfreiheit räumt den Berechtigten keinen unbegrenzten Handlungsspielraum ein132. Gemäß Art. 9 III GG besteht damit keine Kampfmittelfreiheit in dem Sinne, dass die Koalitionen selbst über die Zulässigkeit von Kampfmitteln entscheiden können133. Aufgrund des Funktionszusammenhangs zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf dürfen nur zur Erreichung von Tarifverträgen Arbeitskämpfe ausgetragen werden, so dass von vornherein auch nur in diesem Rahmen eine Kampfmittelfreiheit besteht. Insofern ist es zu weitgehend, alle koalitionsspezifischen Kampfmittel unter den Schutz der Koalitionsfreiheit zu subsumieren. Stattdessen unterfallen nur solche Kampfmittel, die auf den Ab128 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (141); vgl. auch BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (152). 129 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (137 f.). 130 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (358). 131 So Kreft, BB-Special 4.2008, 11 (12). 132 BVerfG, Beschl. v. 19.02.1975 – 1 BvR 418/71, BVerfGE 38, 386 (393); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (368). 133 So zu Recht Buchner, BB 2008, 106 (106); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); Rüthers/Höpfner, JZ 2010, 261 (261); Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1022 R.

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

schluss von Tarifverträgen gerichtet sind, dem Schutz134. Daher muss in Bezug auf zulässige Arbeitskampfmittel nicht untersucht werden, ob sie koalitionsspezifisch sind, also nach der äußeren Erscheinung einen Bezug zu Tarifautonomie und ihrer Funktion haben, sondern ob die Kampfmittel erforderlich für eine funktionierende Tarifautonomie sind135. Weil demnach der Tarifbezug, wie bereits herausgearbeitet, die Grenze des Arbeitskampfrechts ist, muss das Ziel des Arbeitskampfes der Abschluss eines Tarifvertrags sein. Diesem Ziel dient der Unterstützungsstreik aber nicht unmittelbar, weil er sich nicht auf einen Abschluss eines Tarifvertrags zwischen dem streikenden Verband und dem bestreikten Arbeitgeber richtet, sondern einen anderen Arbeitskampf unterstützen soll136. Fraglich kann allerdings sein, ob der mittelbare Bezug zur Tarifautonomie, der insoweit gegeben ist, als ein Unterstützungsstreik den Abschluss eines fremden Tarifvertrags unterstützen soll, ausreichend sein kann137. Dagegen spricht jedoch, dass der von einem Unterstützungsstreik betroffene Arbeitgeber in aller Regel gar nicht in der Lage ist, die Forderungen zu erfüllen, weil er nicht derjenige ist, mit dem der Tarifvertrag abgeschlossen werden soll138. Er kann lediglich versuchen, den Arbeitgeber aus dem Hauptarbeitskampf zu einer Einigung zu bewegen. Es ist aber illusorisch anzunehmen, dass der Arbeitgeber des Hauptarbeitskampfes nachgibt, nur weil ihn ein anderer Arbeitgeber darum bittet139. Gelingt die Einflussnahme nicht, wird der bestreikte Arbeitgeber gleichwohl nicht aus der „Geiselhaft“ entlassen, obwohl er alles ihm Mögliche getan hat140. Der von einem Unterstützungsstreik betroffene Arbeitgeber hat mithin gar nicht die Möglichkeit, den Arbeitskampf durch „Nachgeben [zu] vermeiden oder zwischen Kampf und Nachgeben [zu] wählen“ 141. Er hat auch nicht die Möglichkeit, selbst den Kampf zu beenden, sondern ist auf die Parteien des Hauptarbeitskampfes angewiesen. Allerdings besteht die Funktion 134

Zutreffend Pieroth, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 293 (300). So zu Recht auch Otto, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 15 (22); vgl. auch Rühers/Höpfner, JZ 2010, 261 (262). 136 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1137; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 9 Rn. 169. 137 Hierauf weist auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 39 hin; das Ausreichen eines mittelbaren Zusammenhangs prinzipiell ablehnend Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 26. 138 Zutreffend BAG, Urt. v. 05.03.1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (170); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 39 m.w. N.; Picker, ZfA 2010, 499 (524). 139 Deutlicher in der Wortwahl Rieble, BB 2008, 1506 (1511). 140 Kerwer, EuZA 2008, 335 (344); Kissel, Arbeitskampfrecht § 24 Rn. 27; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 39; Rieble, BB 2008, 1506 (1511). 141 Mit Recht noch BAG, Urt. v. 05.03.1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (170); zutreffend etwa auch Picker, ZfA 2010, 499 (524). 135

II. Genaue Reichweite des Streikrechts

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eines Streiks doch gerade darin, den bestreikten Arbeitgeber durch die schädigende Wirkung des Streiks unter Druck zu setzen und ihn so zu einem Nachgeben und zu einem Tarifabschluss zu bewegen. Dies funktioniert bei Unterstützungsstreiks jedoch wegen des personellen Auseinanderfallens von Streikgegner und potentiellem Tarifpartner ersichtlich nicht. Daher liegt bei einem Unterstützungsstreik kein ausreichender Zusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampfrecht vor. Aus dem erforderlichen Tarifbezug einer Kampfmaßnahme ergibt sich deshalb, dass der Kampfgegner in der Lage sein muss, die Kampfforderung zu erfüllen. Daher muss sich aus tariffunktionalen Gründen der Streik gegen denjenigen richten, der der Tarifpartner des umkämpften Tarifvertrags werden soll142. Weil dies bei Unterstützungsstreiks nicht der Fall ist, fehlt hier der erforderliche Funktionszusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf. Eine Herausnahme des Arbeitskampfrechts aus dem Tarifbezug ist nach den obigen Ausführungen allerdings abzulehnen. Soweit sich das BAG hierfür auf die Aufgabe der Kernbereichslehre beruft, ist dem zu widersprechen. Richtig ist, dass der Schutzbereich nicht nur unerlässliche, sondern alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erfasst. Das ändert aber nichts an dem Funktionszusammenhang von Arbeitskampf und Tarifautonomie143. Dieser bildet nach wie vor eine Grenze des Arbeitskampfrechts. Dies ergibt sich daraus, dass das BVerfG, wie bereits dargelegt, das Erfordernis eines Tarifbezugs auch weiterhin aufrechterhält. Daher kommt es auch weiterhin darauf an, ob ein Kampfmittel erforderlich für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ist. Dass Unterstützungsstreiks nunmehr, anders als früher, allgemein erforderlich sein sollen, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sicherzustellen, ist ferner nicht ersichtlich und wird auch vom BAG nicht ausgeführt144. Insofern kann dieser Rechtsprechungsänderung nicht zugestimmt werden. Wird demnach der Schutz der Kampffreiheit grundsätzlich auf einen Schutz von Unterstützungsstreiks ausgeweitet, wird damit der Streik ein Stück weit emanzipiert und aus seiner Hilfsfunktion herausgetrennt145. Dies lässt sich insoweit nicht mit der Herleitung aus Art. 9 III GG begründen146. 142 So zu Recht BAG, Urt. v. 05.03.1985 – 1 AZR 468/83, BAGE 48, 160 (169 f.); Hohenstatt/Schramm, NZA 2007, 1034 (1035); v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (506); Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 169; Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 26; Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1022 R; Wank, RdA 2009, 1 (3); a. A. Kreft, BB-Special 4/2008, 11 (12). 143 Mit Recht auch Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (43); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343); Rieble, BB 2008, 1506 (1508); Schlochauer, in: FS Buchner, S. 810 (814 f.). 144 So auch Rieble, BB 2008, 1506 (1508); Schlochauer, in: FS Buchner, S. 810 (814). 145 Zutreffend Benecke, in: FS Buchner, S. 96 (104 f.); Brocker, in: FS Bauer, S. 205 (209); Junker, JZ 2008, 102 (103); Kerwer, EuZA 2008, 335 (344). 146 Kerwer, EuZA 2008, 335 (344).

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Eine Lockerung des Tarifbezuges lässt sich aus der bisherigen Konzeption der Arbeitskampffreiheit nicht überzeugend entnehmen. Ein Streik muss sich hiernach unmittelbar auf den Abschluss eines Tarifvertrags richten. Insofern liegt es bei Zugrundelegung der anerkannten Dogmatik der Arbeitskampffreiheit nahe, einen Streik im Dritten Weg als nicht systemkonform zu betrachten. bb) Neues Verständnis von der Reichweite des Arbeitskampfrechts Etwas anderes könnte allerdings gelten, wenn die neue Gesamtkonzeption, die das BAG seinen Entscheidungen zugrunde legt, überzeugend wäre. In den Entscheidungen wurden ja auch bislang anerkannte Grundsätze des Arbeitskampfrechts aufgegeben und insoweit wurde das Arbeitskampfrecht tiefgreifend verändert147. Daher kann man durchaus von einem „neuen Arbeitskampfrecht“ sprechen148. In diesen neueren Entscheidungen wird nicht nur der Schutzbereich ausgeweitet, sondern das BAG hat offenbar andere Vorstellungen von der Reichweite der Arbeitskampffreiheit insgesamt als bisher. Zu dem weiten Schutzbereich der Kampffreiheit, der alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erfassen soll und nicht nur Maßnahmen, die für eine funktionierende Tarifautonomie erforderlich sind149, kommt ein Weiteres in Bezug auf die Einschränkbarkeit der Freiheit hinzu: Bei der Ausgestaltung der Kampffreiheit sei zu berücksichtigen, dass jede Beschränkung der Streikfreiheit zugleich einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle, der der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfe150. Daher komme bei der Einschränkbarkeit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die entscheidende Bedeutung zu, wobei jedoch eine Einschätzungsprärogative der Koalitionen zu beachten sei151. Demnach seien Kampfmaßnahmen nur rechtswidrig, wenn sie offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder tatsächlich unangemessen seien. Das Prinzip der Parität sei aufgrund seiner Abstraktionshöhe hingegen kein allein tauglicher Maßstab, um die Zulässigkeit von Kampfmitteln zu beurteilen152. Damit betont das BAG nun stärker die Freiheit zum Arbeitskampf und geht folglich nun methodisch anders vor als bislang.

147 Junker, JZ 2008, 102 (104); Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, S. 1; Kerwer, EuZA 2008, 335 (353); Otto, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 15 (17); Säcker/Mohr, JZ 2010, 440 (440). 148 So Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, S. 1; vgl. auch Aufsatztitel von Rieble, Das neue Arbeitskampfrecht des BAG, BB 2008, 1506–1515. 149 Zutreffend Otto, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 15 (22). 150 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (140); BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (151 f.). 151 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (142 f.); BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (153).

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Dass das BAG an diesem dogmatischen Verständnis wohl festhalten wird, zeigt auch die Entscheidung zur Zulässigkeit von streikbegleitenden Flash-Mob-Aktionen153. Dadurch wird nach Auffassung des BAG ein neues Kampfmittel legitimiert, das über die Vorenthaltung der Arbeitsleistung hinausgeht und Dritte in die Durchführung von Kampfhandlungen miteinbezieht. Nach Ansicht des BAG ist auch eine solche atypische Kampfhandlung koalitionsspezifisch154 und nicht in jedem Falle unverhältnismäßig155. Daraus ergebe sich die prinzipielle Zulässigkeit. Dabei geht das BAG in seiner Begründung wie beim Unterstützungsstreik vor. Insofern ist nunmehr zu untersuchen, ob diesem methodischen Vorgehen zugestimmt werden kann, das zu einem weiten Verständnis von der Kampffreiheit insgesamt und damit auch zu einer Lockerung des Tarifbezugs führt. Diese Fragestellung ist nicht nur allgemein für die Reichweite der Arbeitskampffreiheit von Interesse. Sie betrifft auch die Frage nach der Zulässigkeit eines Streiks im Dritten Weg. Folgt man der bisherigen Konzeption der Arbeitskampffreiheit, liegt es nahe, ein Streikrecht im Dritten Weg wegen des fehlenden unmittelbaren Tarifbezugs von vornherein zu verneinen. Denn der Dritte Weg ist ja gerade nicht dem Tarifsystem zuzuordnen. Folgt man hingegen der neuen, weiten Konzeption des BAG, nach der für eine Arbeitskampfmaßnahme ein unmittelbarer Tarifbezug nicht erforderlich ist, sondern ein mittelbarer Bezug und damit eine gewisse Nähe zum Tarifsystem ausreicht, erscheint ein Streik im Dritten Weg zumindest nicht mehr von vornherein ausgeschlossen. Auf jeden Fall wäre ein Streik für die Erreichung von Regelungen im Dritten Weg koalitionsspezifisch, da er durch die Druckausübung auf den Arbeitgeber eine Einigungsbereitschaft zwischen dem kirchlichen Arbeitgeber und seinem Verhandlungspartner fördert und insoweit der Förderung und Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dient156. Ein Weiteres kommt hinzu: Auch wenn die auf dem Dritten Weg ausgehandelten Regelungen keine Tarifverträge sind, so sind sie doch kollektive Vereinbarungen zur Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen der kirchlichen Arbeitnehmer. Auch hier soll die Schwäche des Einzelnen bei der Aushandlung gerechter Arbeitsbedingungen kompensiert werden. Insofern ist der Zweck von Tarifautonomie und Drittem Weg derselbe. Diese vergleichbare Interessenlage könnte eventuell nach dem neuen methodischen Konzept als mittelbarer Bezug ausreichen. Bevor untersucht wird, ob ein Streik im Dritten Weg in einem mittelbaren Bezug zum Tarifsystem steht, muss allerdings geklärt werden, ob die neue Methode des BAG überhaupt überzeugend ist. 152 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (141); vgl. auch BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (152). 153 BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140–161. 154 BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (150). 155 BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (155). 156 So Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 169, 186.

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(1) Kritik der Rechtslehre an dem neuen Verständnis des BAG Neben der Kritik in tariffunktionaler Hinsicht ist das neue Verständnis von der Reichweite der Kampffreiheit insgesamt von Teilen der Rechtslehre kritisiert worden. Anstatt wie bisher die Notwendigkeit zur Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts zu betonen und Streiks nur, soweit sie für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie notwendig seien, zuzulassen, werde nunmehr die Freiheit zum Arbeitskampf in den Vordergrund gerückt, indem das BAG ausführe, dass jede Reglementierung des Arbeitskampfes einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle, der der Rechtfertigung bedürfe157. Wenn das BAG vertrete, dass alle Verhaltensweisen, die (irgend)einen Bezug zum Koalitionszweck aufweisen, dem Schutz der Koalitionsfreiheit unterfielen, hätten die kampfführenden Parteien faktisch die Möglichkeit, über die Zulässigkeit der von ihnen eingesetzten Mittel selbst zu befinden158. Denn so werde von einem tatsächlichen Handeln auf eine koalitionsspezifische Betätigung geschlossen und dadurch auf die Rechtfertigung der Maßnahme159. Allerdings dürfe nicht die Kampfmittelfreiheit über die Zulässigkeit von Kampfmitteln entscheiden. Umgekehrt müsse die Zulässigkeit der Kampfmittel die Kampfmittelfreiheit begrenzen160. Auch das BVerfG habe stets nur Arbeitskämpfe zugelassen, soweit sie erforderlich für eine funktionierende Tarifautonomie gewesen sind; insoweit bedürfe das Arbeitskampfrecht der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung. Auch wird kritisiert, dass der Grundsatz der Parität nicht mehr hinreichende Berücksichtigung finde161. Das BVerfG habe diesen Grundsatz und dessen Anwendung nie beanstandet162. Insoweit sei es verwunderlich, wenn nun nur noch die Verhältnismäßigkeit eine Schranke des Arbeitskampfes bilde. (2) Stellungnahme Die neue Arbeitskampfrechtsprechung, bei der das Regel-/Ausnahmeverhältnis von Unterstützungsstreiks umgekehrt wurde und nach der auch neuartige Kampfmittel, die über das Vorenthalten der geschuldeten Arbeitsleistung hinausgehen, zulässig sind, hat, wie Teile der Rechtslehre zu Recht anmerken, die Grundkoordinaten des Streikrechts nachhaltig verschoben163. 157

Vgl. Buchner, BB 2008, 106 (106); Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (604). Vgl. Buchner, BB 2008, 106 (106). 159 Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (43). 160 Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (615). 161 Brocker, in: FS Bauer, S. 205 (209 f.); Hohenstatt/Schramm, NZA 2008, 1034 (1036). 162 Hohenstatt/Schramm, NZA 2008, 1034 (1036). 163 So Junker, JZ 2008, 102 (104); Kerwer, EuZA 2008, 335 (353); Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, S. 1; Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (604); ähnlich auch Buchner, in: 158

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(a) Gegenüberstellung der methodischen Ansatzpunkte Zwar erkennt das BAG grundsätzlich eine Befugnis zur Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit an. Für den Prüfansatz soll allerdings nunmehr wesentlich sein, dass jedwede Reglementierung des Arbeitskampfrechts einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle, der verfassungsrechtlicher Rechtfertigung bedürfe164. Der weite Schutzbereich, der alle Maßnahmen erfasst, die einen Bezug zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen haben, kann damit nach Ansicht des BAG im Wesentlichen nur noch unter dem Gesichtspunkt der modifizierten Verhältnismäßigkeit zum Schutze kollidierender Rechte Dritter mit Verfassungsrang eingeschränkt werden165. Hierbei besteht hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme ein Einschätzungsspielraum der Koalitionen; angemessen ist eine Kampfmaßnahme der Arbeitnehmer bereits dann, wenn der Arbeitgeber sich zur Wehr setzen kann166. Insoweit wird nach dieser Konzeption in der Tat die Freiheit zum Arbeitskampf deutlich stärker als bisher betont, weil Kampfmaßnahmen nur noch unter erhöhten Voraussetzungen begrenzt werden können167. Demgegenüber waren Arbeitskämpfe bisher auch nach Meinung des BAG nur zulässig, soweit sie zur Durchsetzung von Tarifverträgen erforderlich waren. Insoweit wurde bislang die Notwendigkeit der Ausgestaltung der Arbeitskampffreiheit sowie die Möglichkeit zur Beschränkung zum Schutze anderer Verfassungsgüter betont, um auf diese Weise einen Ausgleich der kollidierenden Positionen zu erreichen168. Damit stehen sich hier letztlich zwei unterschiedliche Konzeptionen der Kampffreiheit gegenüber, bei denen unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Reichweite bestehen169. Insofern muss untersucht werden, welcher Ansatz der Dogmatik der Arbeitskampffreiheit am ehesten gerecht wird. Hierbei kommt der Frage, ob die Arbeitskampffreiheit als eine natürliche Freiheit anzusehen ist, besondere Bedeutung zu. Natürliche Freiheiten, wie etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, setzen, im Gegensatz zu den normgeprägFS Hromadka, S. 39 (42 f.); Otto, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 15 (17); Picker, ZfA 2010, 499 (536); Säcker/Mohr, JZ 2010, 440 (440). 164 Vgl. BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 134, 140 (151 f.); dies merken zu Recht auch Buchner, BB 2008, 106 (106); Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (604); Rüthers/Höpfner, JZ 2010, 261 (262) an. 165 Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 61 (64); Brocker, in: FS Bauer, S. 205 (209). 166 BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 134, 140 (154); dies merkt auch Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 61 (64 f.) an. 167 Zutreffend Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (604); Picker, ZfA 2010, 499 (536); Wank, Anm. zu Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1021 R. 168 Otto, RdA 2010, 135 (139); Rieble, BB 2008, 1506 (1508). 169 Vgl. auch Giesen, in: Rieble, Junker, Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 95 (97); Kerwer, EuZA 2008, 335 (343).

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ten Freiheiten, keinen einfachgesetzlichen Rahmen voraus, damit sie ausgeübt werden können170. Natürliche Freiheiten garantieren einen natürlicherweise existierenden Freiheitsbereich und kommen deshalb ohne eine weitere Ausgestaltung aus. Sie können daher nur eingeschränkt, nicht aber ausgestaltet werden. (b) Das Arbeitskampfrecht als natürliche oder normgeprägte Freiheit? Sofern die Arbeitskampffreiheit eine natürliche Freiheit wäre, läge es nahe, wie das BAG vorzugehen, die Freiheitsausübung zu betonen und jede Beschränkung auf ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung hin zu untersuchen. Daraus ergäbe sich dann eine weitreichende Freiheit zum Arbeitskampf, die nur ausnahmsweise eingeschränkt werden kann. Hierbei wäre in der Tat, wie im Allgemeinen bei der Auflösung von Grundrechtskollisionen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zentraler Maßstab171. Fraglich ist aber, ob die Arbeitskampffreiheit als natürliche Freiheit anzusehen ist. Teilweise wird dies angenommen. Begründet wird diese Ansicht damit, dass das Arbeitskampfrecht Bestandteil der Betätigungsfreiheit der Koalitionen sei und damit einen Teilbereich grundrechtlicher Freiheit darstelle172. Die Koalitionsfreiheit sei ein „normales Grundrecht“ 173. Das Arbeitskampfrecht als Teil der Koalitionsfreiheit nehme in grundrechtsdogmatischer Hinsicht keine Sonderrolle ein und sei deshalb in erster Linie Freiheitsrecht174. Mit dem liberalen Grundrechtsverständnis, nach dem Grundrechte Rechte des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen darstellen und damit der Freiheit vor dem Staat dienen175, sei es unvereinbar, für den Arbeitskampf Regeln aufzustellen, die die Ausübung der Freiheit erst ermöglichten; die Freiheitsausübung sei nicht vom Bestehen derartiger Regelungen abhängig176. Insoweit sei das Streikrecht als Teil der Koalitionsfreiheit auch eine natürliche Freiheit. Auch wird darauf verwiesen, dass Arbeitskämpfe bereits vor der Regelung eines Arbeitskampfrechts stattgefunden haben177. Insoweit setzten sie gerade keinen gesetzlichen Rahmen für die Ausübung der Freiheit voraus. 170 Vgl. zu dem Begriffspaar normgeprägte und natürliche Freiheit Poscher, Grundrechte, S. 116–118. 171 So Scholz, in: FS Buchner, S. 827 (833). 172 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 261 f. 173 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 262 f. 174 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 262 u. a. unter Berufung auf BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (367). 175 Zu diesem Grundrechtsverständnis etwa Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 218. 176 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 262. 177 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 262 unter Bezug auf Rüthers, Streikrecht und Verfassung, S. 6 ff.

II. Genaue Reichweite des Streikrechts

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Diese Argumentation begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Das Streikrecht besteht in Deutschland nicht isoliert, sondern ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit. Diese ist allerdings gerade keine natürliche, sondern eine normgeprägte Freiheit178. Die Koalitionsfreiheit ist, anders als das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht, seine Meinung zu äußern oder das Recht, seinen Aufenthalt selbst zu bestimmen, auf eine Ausgestaltung, also auf das Bestehen eines einfachgesetzlichen Rahmens angewiesen, damit sie ausgeübt werden kann179. Dies gilt in besonderem Maße für die in der Koalitionsfreiheit angelegte Gewährleistung einer funktionsfähigen Tarifautonomie als Bestandteil der Betätigungsfreiheit180. Thüsing formuliert anschaulich, es gebe keine naturrechtliche Freiheit der Gewerkschaften, Tarifverträge zu schließen181. Es müssen beispielsweise Normkomplexe bestehen, die allgemein die Vertragsfreiheit ausgestalten, denn Verträge können erst geschlossen werden, wenn die Rechtsordnung bestimmte Instrumentarien in Bezug auf Abschluss und Durchsetzung der Verträge zur Verfügung stellt182. Auch müssen Regelungen bereitstehen, die die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems gewährleisten, diese hat der Gesetzgeber mit dem TVG geschaffen183. Weil die Tarifautonomie derart auf andere Rechtsnormen angewiesen ist, ist die Tarifautonomie eine normgeprägte Freiheit184. Gleiches gilt auch für die Arbeitskampffreiheit. Arbeitskämpfe sind, jedenfalls nach klassischem deutschen Verständnis, ein notwendiges Hilfsmittel der Tarifautonomie und damit gerade nur als Mittel zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie anerkannt. Die Zulässigkeit von Streiks ergibt sich aus der Hilfsfunktion für die Tarifautonomie185. Die Arbeitskampffreiheit ist also auf die Tarifautonomie angewiesen. Auch die Arbeitskampffreiheit setzt das Bestehen eines einfachgesetzlichen Rahmens voraus, innerhalb dessen die Freiheit ausgeübt werden kann186.

178 Zutreffend Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 56; Pieroth, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 293 (306). 179 Vgl. BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/ 87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394); BVerfG, Beschl. v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (284); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 144. 180 BVerfG, Urt. v. 10.01.1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342, 348/90, BVerfGE 92, 26 (41); so auch Engels, JZ 2008, 490 (491). 181 Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 144. 182 Otto, RdA 2010, 135 (138); Poscher, Grundrechte, S. 118; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96). 183 Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 46 f. 184 So für die Tarifautonomie ausdrücklich Engels, JZ 2008, 490 (491). 185 Vgl. auch Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1022. 186 Wie hier Maeßen, Auswirkungen, S. 216; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); ähnlich Höfling, in: FS Friauf, S. 377 (384), (386).

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Diese Annahme widerspricht der Grundrechtsdogmatik nicht. Zwar passt die Erforderlichkeit, durch Ausgestaltung einen Rahmen für die Freiheitsausübung zu schaffen, nicht recht zum liberalen Grundrechtsverständnis, nach dem Grundrechte Abwehrrechte darstellen. Allerdings ist diese Abwehrfunktion nicht die einzige Grundrechtsfunktion. Anerkannt ist gerade auch eine leistungs- und schutzrechtliche Dimension der Grundrechte, nach der der Gesetzgeber Verfahren und Institutionen bereitstellen muss, die das Ausüben der gewährleisteten Freiheit ermöglichen187. (c) Die Notwendigkeit eines gesetzlichen Rahmens Dass für die Ausübung der Kampffreiheit ein Rahmen erforderlich ist, ergibt sich auch daraus, dass Arbeitskämpfe im Gegensatz zu der Ausübung anderer Freiheiten immer zielgerichtet in die Rechtsposition des Kampfgegners eingreifen und schützenswerte Rechte oder Interessen Dritter oder der Allgemeinheit beeinträchtigen188. Der Streik ist einer der schwerwiegendsten Eingriffe im Wirtschaftsleben189. Insoweit hat die Koalitionsfreiheit nicht nur die Freiheit der Grundrechtsausübung vor staatlichen Eingriffen zum Schutzgegenstand, sondern auch das Verhältnis zu den Trägern widerstreitender Interessen190. Das Arbeitskampfrecht ist damit nicht nur Freiheits- sondern auch Eingriffsrecht191. Was für die Arbeitnehmer das Streikrecht ist, bedeutet für Dritte die Verletzung von ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechten. Dem Kampfgegner entstehen durch den Vertragsbruch in Form von Arbeitsniederlegungen vielfältige und unter Umständen erhebliche wirtschaftliche Schäden. Diese Schädigungswirkung ist sogar gewollt, um Druck auf Verhandlungen ausüben zu können192. Ferner beschränken sich die Schäden nicht nur auf den Tarifpartner. Ebenso sind die Allgemeinheit oder Dritte durch Arbeitskämpfe betroffen. Man denke nur Streiks in der Daseinsvorsorge oder an Fernwirkungen von Streiks in Zuliefererbetrieben, die dazu führen können, dass der Abnehmer seine Produktion einstellen muss, weil er keine Bauteile mehr bekommt. Allgemein anerkannt ist doch, dass ein Eingriff in Rechte Dritter der Rechtfertigung bedarf. Damit ist der Arbeitskampf auf einen Rechtfertigungsgrund angewiesen, den Art. 9 III GG bildet. Der Ausgangspunkt, dass Arbeitskämpfe unter einem Rechtfertigungsvorbehalt stehen, würde jedoch auf den Kopf 187

Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. zu Art. 1 Rn. 34. So auch v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505 (506); Klumpp, in: Rieble/Junker/ Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht? S. 131 (131); Konzen, in: FS Reuter, S. 603 (611); Otto, RdA 2010, 135 (138). 189 So noch BAG, Urt. v. 20.12.1963 – 1 AZR 428/62, BAGE 15, 174 (196). 190 BVerfG, Beschl. v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (115). 191 Fischinger, RdA 2007, 99 (100); Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Vorb. zu §§ 611 ff. Rn. 911; Picker, ZfA 2010, 499 (527); Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG, Bl. 1021 R – Arbeitskampf m.w. N. 192 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 166. 188

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gestellt, ginge man grundsätzlich von einer Freiheit zum Arbeitskampf aus, die nur unter besonderer Rechtfertigung eingeschränkt werden könnte193. Weil Rechtsverletzung und Schädigungswirkung Arbeitskämpfen zwangsläufig immanent sind und damit Arbeitskämpfe eine scharfe Waffe sind, ist es vielmehr grundsätzlich notwendig, dass die Rechtsordnung von vornherein Regeln vorhält, innerhalb derer Arbeitskämpfe ausgetragen werden können. Insoweit besteht in dieser Hinsicht ein Unterschied zu einem natürlichen Freiheitsrecht wie der Meinungsoder Religionsfreiheit, der eine weitergehende Möglichkeit zur Ausgestaltung rechtfertigt. Die Arbeitskampffreiheit ist damit keine natürliche Freiheit. Dieses Konzept, nach dem die Koalitionsfreiheit insgesamt von vornherein der Ausgestaltung bedarf und insoweit keine natürliche Freiheit darstellt, wird in der Wissenschaft auch weit überwiegend vertreten194. Auf dieser Linie scheint auch das BVerfG zu sein, denn auch dieses betont für die Koalitionsfreiheit insgesamt eine Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers, und, soweit dieser untätig bleibt, des BAG als Ersatzgesetzgebers195. Diese Befugnis besteht demnach sogar in größerem Maße als bei anderen Freiheitsrechten196. Sie betrifft nicht nur die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Freiheitsausübung, sondern auch die „Regelung von Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts“ 197, wenn das „Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander“ 198 berührt wird oder wenn die „Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen“ 199 betroffen sind. Diese Rahmenbedingungen müssen einerseits sichern, dass der Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit nicht ausgehöhlt wird, andererseits muss die Ausübung der Koalitionsrechte aber in die verfassungsrechtliche Ordnung eingebettet werden200. Es geht dem BVerfG bei der Ausgestaltung inso193

Otto, RdA 2010, 135 (140). So etwa Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (40); Degenhart, in: HGR III, § 61 Rn. 25; Höfling, in: FS Friauf, S. 377 (386); Jarass, in: HGR II; § 38 Rn. 59; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9, Rn. 46 f.; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); Rieble, BB 2008, 1506 (1508); Rieble, RdA 2005, 200 (205); Schmidt, in: FS Richardi, S. 765 (767 f.); a. A. Hillgruber, HStR IX, Rn. 65–67, der generell eine Ausgestaltungsbefugnis nur für Art. 14 GG anerkennt; eine Ausgestaltungsbefugnis ablehnend ferner Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 8, 9 i.V. m. Rn. 84. 195 Vgl. BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/ 87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394); BVerfG, Beschl. v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (284). 196 Vgl. BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/ 87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394); BVerfG, Beschl. v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (284); Degenhart, in: HGR III, § 61 Rn. 25; zustimmend wohl auch Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 59. 197 BVerfG 25.10.1994 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342/90, 1 BvR 348/90, BVerfGE 92, 26 (41). 198 BVerfG 24.04.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (284). 199 BVerfG 04.04.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/ 87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394). 200 BVerfG, Beschl. v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (115). 194

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fern um „systemkonforme Entfaltung“ 201. Daneben lässt das BVerfG auch Einschränkungen der Freiheit aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts zu202. (d) Umfang der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis Der Gesetzgeber kann nach alledem bei der Ausgestaltung der Streikfreiheit auch Regelungen treffen, die im Einzelfall die Ausübung der Freiheit eingrenzen, um auf diese Weise einen Ausgleich zwischen der Streikfreiheit und den damit kollidierenden Rechten und Interessen Dritter herbeiführen zu können, soweit dies im Hinblick auf die Funktion der Koalitionsfreiheit sachgerecht ist und die Beeinträchtigung zumutbar ist203. Damit kann der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung die Grenzen bestimmen, innerhalb derer das grundgesetzlich garantierte Streikrecht ausgeübt werden kann204. Die Grenze für die Ausgestaltung ist erreicht, wenn die effektive Möglichkeit zur Freiheitsausübung verunmöglicht ist, wenn also der Kernbereich der koalitionsmäßigen Betätigung betroffen ist, der nicht angetastet werden darf205. Wegen der Annexfunktion liegt die Grenze der Ausgestaltung in der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie206. Weil die Ausgestaltung erst die Voraussetzungen für die Ausübung einer Freiheit regelt, ist sie kein Eingriff in die grundrechtliche Freiheit207, obgleich eine Ausgestaltung im Einzelfall für einzelne Grundrechtsträger von Nachteil sein kann208. Hierbei kann der Gesetzgeber auch aus Gründen, die unterhalb der Verfassung liegen, eine Ausgestaltung vornehmen und Zweckmäßigkeitserwägungen sowie Gemeinwohlbelange berücksichtigen209. Auch gelten für die Ausgestaltung im Einzelnen andere Zulässigkeitsvoraussetzungen und es besteht ein größerer Ermessensspielraum als bei einem Eingriff 210. Damit überzeugt die Aussage des BAG, dass

201

Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96). BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228) m.w. N. 203 Vgl. auch Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 58 f. 204 Vgl. auch Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96). 205 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (359); Engels, JZ 2008, 490 (494); Höfling, in: FS Friauf, S. 377 (383); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 24; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 88 f. 206 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 127. 207 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228); Pieroth/ Schlink, Staatsrecht II, Rn. 225; Poscher, Grundrechte, S. 133; Reinemann/SchulzHenze, JA 1995, 811 (813). 208 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228); Poscher, Grundrechte, S. 133; Reinemann/Schulz-Henze, JA 1995, 811 (813). 209 Löwisch/Rieble, in: MünchArbR II, § 155 Rn. 77; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 24; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); Rieble, RdA 2005, 200 (205). 210 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. zu Art. 1 Rn. 35; Rieble, RdA 2005, 200 (205) m.w. N.; Schmidt, in: FS Richardi, S. 765 (768). 202

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jede Reglementierung des Arbeitskampfes in verfassungsrechtlicher Weise rechtfertigungsbedürftig ist, im Hinblick auf die Ausgestaltungsbefugnis inhaltlich nicht211. Sofern ein engeres Verständnis der Ausgestaltung zugrunde gelegt wird, wonach eine Ausgestaltung keine beschränkende Wirkung haben darf212 und eine Ausgestaltungsbefugnis in dem hier dargelegten Sinne nicht akzeptiert wird213, wird dennoch überwiegend die Notwendigkeit der Begrenzung des Streikrechts gesehen, um es mit kollidierenden Interessen auszugleichen214. Diese erforderliche Begrenzung erfolgt dann aufgrund eines Eingriffs zum Schutze kollidierender Grundrechte oder sonstigen Verfassungsrechts. Festgehalten werden kann aber damit, dass die Koalitionsfreiheit und damit auch die Arbeitskampffreiheit nach zutreffender Ansicht, die auch das BVerfG teilt, einen Rahmen erfordert, innerhalb dessen sie ausgeübt werden kann, um die gegenläufigen Rechtspositionen schützen und sie in einen angemessenen Ausgleich mit der Koalitionsfreiheit bringen zu können. Der Unterschied, ob diese Begrenzung dogmatisch als Ausgestaltung oder als Eingriff angesehen wird, wird vor allem bedeutsam, wenn Einschränkungen vorgenommen werden sollen, die nicht aufgrund eines Verfassungsguts erfolgen215. Auf eine exakte Grenzziehung zwischen Eingriff und Ausgestaltung kommt es aber, jedenfalls in Bezug auf die hier zu untersuchende Fragestellung nach der Zulässigkeit des kirchlichen Streikausschlusses, nicht an. Hierbei kommen Begrenzungen des Arbeitskampfrechts aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Betracht, das unbestreitbar Verfassungsrang hat. Insofern muss diese Abgrenzung von Eingriff und Ausgestaltung hier nicht abschließend vorgenommen werden. Zwar ist zuzugeben, dass einer Ausgestaltungs- bzw. Einschränkungsbefugnis nicht eine grundsätzliche, in weitem Umfang bestehende Pflicht hierzu entnommen werden kann. Gleichwohl dient die Möglichkeit zur Ausgestaltung bzw. Begrenzung, die ja in der Norm selbst angelegt ist, einem vernünftigen Ausgleich der betroffenen konfligierenden Positionen216. Immerhin hat der Arbeitskampf ein enormes Schädigungspotential und greift zielgerichtet in fremde Rechtspositionen ein. Insofern erscheint es geboten, einen Rahmen unter diesem Gesichtspunkt wie bisher auch tatsächlich festzulegen. Mehr noch: Mit dem BVerfG ist davon auszugehen, dass Art. 9 III GG einen Verfassungsauftrag zur Ausge-

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So auch Buchner in: FS Hromadka, S. 39 (42). So Engels, JZ 2008, 490 (492); Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 63–65; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 8. 213 So etwa Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Rn. 8. 214 Pieroth, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 293 (306 f.). 215 Zutreffend Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 146. 216 Vgl. auch Rieble, BB 2008, 1506 (1508); so auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 312. 212

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staltung beinhaltet217. Wohl in diesem Sinne sind auch die Ausführungen des BVerfG zu verstehen, dass die Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung bedürfe218. Sofern demgegenüber die Freiheitsausübung betont, die Ausgestaltung weit zurückgenommen und eine Beschränkung der Kampffreiheit nur anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgenommen wird, wird der Ausgestaltungsauftrag nicht hinreichend berücksichtigt219. Dieser Befund verstärkt sich dadurch, dass die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Kampfmaßnahme ohnehin im Regelfalle durch die kampfführende Koalition selbst bestimmt werden soll und damit eine Kampfmaßnahme nur unverhältnismäßig ist, wenn sich der Kampfgegner nicht zur Wehr setzen kann220. (e) Ergebnis Konsequent und dogmatisch vorzugswürdig wäre es daher, anstelle der Betonung einer Freiheit zum Arbeitskampf wie auch bisher die Möglichkeit zu dessen Ausgestaltung bzw. Begrenzung in den Vordergrund zu rücken, um so einen angemessenen Ausgleich mit kollidierenden Rechtsgütern herbeizuführen. Dieser methodische Ansatzpunkt wurde, wie soeben dargelegt, im Übrigen über Jahre hinweg von der Verfassungsrechtsprechung zu Grunde gelegt. Daran, dass dieses Konzept vorzugswürdig ist, hat auch die Abkehr von der Kernbereichslehre nichts geändert. Zwar werden nunmehr alle koalitionsspezifischen Betätigungen von dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit erfasst. Die Befugnis und den Auftrag zur Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit hat das BVerfG auch nach der Aufgabe der Kernbereichslehre betont221. Insofern hat sich auch in diesem Zusammenhang keine Änderung ergeben. Dass diese Aufgabe der Kernbereichslehre ferner keinerlei Bedeutung für das nach wie vor bestehende Erfordernis des Tarifbezugs einer Kampfmaßnahme hat, ist bereits eingehend thematisiert worden. Insoweit hat sich durch die Aufgabe der Kernbereichslehre für den klassischen Arbeitskampf keine Änderung ergeben222. Daher ist es in der Tat verwunderlich, dass das BAG nun seine Ausweitung der Arbeitskampffreiheit mit der Aufgabe 217 BVerfG, Beschl. v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78, BVerfGE 57, 220 (248); zustimmend Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 23; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 312. 218 Die Koalitionsfreiheit „bedarf der Ausgestaltung“; so etwa BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228); BVerfG, Beschl. v. 10.09.2004, 1 BvR 1191/03, NZA 1338 (1339). 219 So auch Otto, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, S. 17 (23); Rieble, BB 2008, 1506 (1508). 220 BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 (142 f.); vgl. hierzu Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht, 61 (64 f.). 221 BVerfG, Beschl. v. 10.09.2004 – 1 BvR 1191/03, NZA 2004, 1338 (1339) unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88 103 (115); BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394). 222 So auch Rieble, BB 2008, 1506 (1508).

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der Kernbereichslehre begründet223. Die besseren Gründe sprechen dafür, die bisherige Dogmatik beizubehalten. Insoweit erscheint die von der Lehre geäußerte Kritik auch hinsichtlich der Methode des BAG inhaltlich zutreffend. Damit bleibt es nach vorzugswürdiger Ansicht bei dem bisherigen strengen Tarifbezug, dem ein Streik im Dritten Weg widerspräche. Damit ist allerdings die Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen insgesamt nicht beantwortet. Fest steht lediglich, dass ein Streikrecht zur Erreichung von Regelungen auf dem Dritten Weg nicht auf Art. 9 III GG gestützt werden kann. Davon unberührt bleibt die Frage, die kirchlichen Beschäftigten einen Tarifvertrag erkämpfen und somit einen Systemwechsel bewirken können. Auch ist zu untersuchen, ob für die Begründung eines Streikrechts im Dritten Weg eine andere Rechtsgrundlage als Art. 9 III GG herangezogen werden kann. Daneben stellt sich ohnehin die Frage, ob ein Streikrecht derjenigen kirchlichen Beschäftigten anzuerkennen ist, deren Arbeitsbedingungen auf den Zweiten Weg geregelt werden. 2. Eigenständiges Grundrecht auf Streik? Ferner stellt sich die Frage, ob – wie von gewerkschaftlicher Seite mitunter behauptet224 – ein eigenständiges Grundrecht auf Streik anerkannt ist. Diese Frage ist deswegen bedeutsam, weil die Kirchen mit dem Streikausschluss, sofern ein eigenständiges Grundrecht auf Streik bestünde, die Ausübung eines gesamten Grundrechts ausschließen würden. Dies wäre ein sehr massiver Grundrechtseingriff. Hieraus ergäbe sich eine entsprechend hohe Rechtfertigungslast der Kirchen für solche Eingriffe auswirken. Wäre demgegenüber kein eigenständiges Grundrecht auf Streik anzuerkennen, sondern etwa nur ein Recht auf koalitionsspezifische Betätigung, beträfe der Streikausschluss nicht den gesamten Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts, sondern nur einen Teilbereich. Insofern wäre der kirchliche Eingriff weniger schwerwiegend. Auch dies wäre im Rahmen eines etwa vorzunehmenden Interessenausgleichs zwischen den beiden Rechtspositionen zu berücksichtigen. Es wurde bereits festgestellt, dass ein Arbeitskampfrecht im Allgemeinen und ein Streikrecht im Besonderen nach Art. 9 III 1 GG nur soweit anzuerkennen ist, wie es für ein Funktionieren der Tarifautonomie erforderlich ist. Soweit die Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge geregelt werden, ist auch der Streik gewährleistet. Rechtsdogmatisch ist bei dieser Konstruktion der Arbeitskampf ein Ausdruck der Verfahrensgarantie für die Tarifautonomie225. Denn wie soeben 223

A. A.: Kreft, BB-Special 4.2008, 11 (12). So etwa Schubert/Wolter, AuR 2013, 285 (287); vgl. hierzu auch Reichold, ZTR 2012, 315 (318). 225 Vgl. Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 20; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 332; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 826 f.; vgl. auch Schwarze, JuS 1994, 653 (656 f.). 224

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

dargelegt, genießt die Tarifautonomie grundrechtlichen Schutz. Dann muss der Staat im Rahmen der Schutzpflichtendimension der Grundrechte auch ein Verfahren bereitstellen, damit die grundgesetzlich geschützten Rechte auch verwirklicht werden können. Dieses Verfahren ist der Streik. Gleichwohl ist das Streikrecht mehr als nur institutionelle Garantie. Schon die systematische Stellung des Art. 9 III GG, aus dem sich das Streikrecht ergibt, innerhalb des Grundrechtskataloges spricht für einen freiheitsrechtlichen Charakter des Streikrechts. Außerdem ist das Streikrecht Gegenstand der Betätigungsgarantie der Koalitionsfreiheit. Diese stellt unstreitig ein Freiheitsrecht dar226. Insoweit muss das Arbeitskampfrecht ein Freiheitsrecht sein227. Anderenfalls könnten sich die Koalitionsparteien auch gar nicht effektiv gegen Beeinträchtigungen der Freiheit durchsetzen228. Weil das Streikrecht jedoch nur ein Mittel der Tarifautonomie ist, wäre es zu weitgehend, ein eigenständiges Grundrecht auf Streik anzuerkennen229. Hieran hat auch die Einfügung von Art. 9 III 3 GG nichts geändert, der nur eine Schranken-Schranke darstellt und durch den nicht der bestehende Rechtszustand verändert worden ist230. Von der Tarifautonomie kann das Streikrecht nicht abgetrennt werden. Soweit das Streikrecht geschützt ist, liegt dies an dem Funktionszusammenhang mit der Tarifautonomie231. In dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ist eine Betätigungsgarantie angelegt, als deren Bestandteil die Tarifautonomie mit dem Annex Streikrecht besteht. Diese Betätigungsgarantie ist folglich viel weiter. Sie umfasst koalitionsspezifische Verhaltensweisen und damit z. B. Werbemaßnahmen, Informationsmaßnahmen, innere Selbstbestimmung des Verbandes, bestimmte Mitwirkungsrechte und daneben auch und vor allem das Recht, Tarifverträge mit normativer Wirkung zu schließen und unter bestimmten Voraussetzungen auch für den Abschluss solcher Verträge zu streiken232. Auch die Deutung der Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht233 steht der Anerkennung eines eigenständigen individuellen Grundrechts auf Streik entgegen: 226 Vgl. BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/ 87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (393). 227 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 33; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 87. 228 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 33. 229 Van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 50; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 939; Preis, Kollektivarbeitsrecht, S. 332; Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (67); Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 187; vgl. auch Strake, Streikrecht, S. 29; a. A. Bischoff/Hammer AuR 1995, 161 (167). 230 Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 824 m.w. N. 231 Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 830. 232 Zu den Einzelfällen der Betätigungsgarantie Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 9 Rn. 125 ff. 233 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, BVerfGE 4, 96 (101 f.); BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE

II. Genaue Reichweite des Streikrechts

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Weil der Streik als Hilfsinstrument der Tarifautonomie ein Bestandteil der koalitionsspezifischen Betätigung ist, ist er zunächst ein Recht der Koalitionen, also ein kollektives Recht234. Daneben besteht ein zwar individuelles Recht auf Teilnahme an diesen Maßnahmen. Dieses ist demnach aber abhängig von der Tarifauseinandersetzung, die durch die Koalition geführt wird235. Das Streikrecht des Einzelnen kann nicht von der koalitionsgetragenen Durchführung der tariflichen Regelungsfindung und dem Streikaufruf abgetrennt werden. Daher gibt es kein von der Tarifauseinandersetzung der Koalition und dem Arbeitskampf des Verbandes unabhängiges eigenständiges Grundrecht auf Streik236. Allenfalls kann man von einem individuellen Recht unter kollektivem Vorbehalt sprechen237. Insoweit ist auch die Annahme eines eigenständigen Grundrechts auf Streik zu weitgehend; höchstens kann von einem Grundrecht auf koalitionsspezifische Betätigung und damit von einem Grundrecht auf individuelle Teilnahme an den Koalitionsbetätigungen ausgegangen werden238. Ein individuelles Grundrecht auf Streik ergibt sich auch nicht aus anderen grundgesetzlichen Bestimmungen. Teilweise wird vertreten, dass sich ein solches Grundrecht auf kampfweise Betätigung aus Art. 2 I GG ergebe239. Während Art. 9 III GG die kollektive Dimension der Kampffreiheit schütze, leite sich der individuelle Schutz aus Art. 2 I GG her, der insoweit durch die Koalitionsfreiheit geprägt sei240. Daher kämen die Absicherungen aus Art. 9 III GG auch dem Individualrecht nach Art. 2 I GG zu Gute241. Einer derartigen Annahme steht allerdings zunächst der Subsidiaritätsgedanke entgegen, nach dem Art. 2 I GG subsidiär ist, wenn bereits der Schutzbereich eines anderen Grundrechts eröffnet ist242. Zudem erscheint es dogmatisch nicht überzeugend, die individuelle Dimension in Art. 2 I GG zu verorten, denn nach seinem Wortlaut ist Art. 9 III GG auch ein 50, 290 (367); BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (224); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 181–185; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 13–17; Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 41; a. A. Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 828; Scholz, in: HStR VIII, § 175, Rn. 83–86. 234 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 13. 235 Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 41; vgl. auch Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 831. 236 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 17; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 144; a. A. jüngst etwa Däubler, AuR 2011, 388 (389). 237 So beschreibt es Otto, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 41–43; insoweit zustimmend auch Däubler, Arbeitskampfrecht, § 12 Rn. 34. 238 So zutreffend Robbers, Streikrecht, S. 62; jüngst auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (67); Richardi/Thüsing, AuR 2002 94 (95). 239 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 92. 240 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 92. 241 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 92. 242 Allgemein hierzu BVerfG, Urt. v. 24.01.1962 – 1 BvL 32/57, BVerfGE 13, 290 (296); Kloepfer, Staatsrecht II, § 56 Rn. 5; im hiesigen Zusammenhang mit Recht Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 313.

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

Individualrecht243. Damit kann das Erfordernis eines Rückgriffs auf Art. 2 I GG für die individuelle Rechtsstellung im Arbeitskampf nicht recht überzeugen. Ferner dürfte die Konstruktion über Art. 2 I GG inhaltlich keine weiterreichenden Rechte des Einzelnen im Verhältnis zu der herkömmlichen Herleitung aus Art. 9 III GG bedeuten. Dies ergibt sich auch daraus, dass das Grundrecht auf kampfweise Betätigung nach Art. 2 I GG nach dieser Ansicht durch Art. 9 III GG mitgeprägt sein soll. Demnach kann das Recht aus Art. 2 I GG nicht weiter gehen als das Recht aus Art. 9 III GG. Damit besteht trotz der getrennten Rechtsgrundlagen kein individuelles, von der kollektiven Garantie losgelöstes Grundrecht auf Streik.

III. Grenzen des Arbeitskampfrechts Nunmehr stellt sich die Frage nach den Grenzen des Arbeitskampfrechts. Fraglich ist, inwieweit es einschränkbar ist, und ob das kirchliche Selbstbestimmungsrecht prinzipiell eine taugliche Rechtsgrundlage darstellt, um dem Arbeitskampfrecht Grenzen zu ziehen. 1. Kein ausdrücklicher Schrankenvorbehalt In Art. 9 III 1 GG ist eine Beschränkungsmöglichkeit nicht ausdrücklich vorgesehen. Allerdings muss auch die Koalitionsfreiheit wie alle vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte wegen des Grundsatzes der Einheit der Verfassung und der von ihr geschützten gesamten Rechtsordnung ausnahmsweise Beschränkungen zugänglich sein244. Auch vorbehaltlose Grundrechte sind nicht schrankenlos gewährleistet245. 2. Kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke Ob die Schranken aus Art. 9 II GG auch für die Koalitionsfreiheit herangezogen werden können, ist umstritten246. Auch werden teilweise die Schranken aus Art. 5 II GG für anwendbar erklärt247. Doch unabhängig davon, ob eine solche Übertragung der Schranken statthaft ist, besteht Einigkeit darüber, dass die Koalitionsfreiheit einschränkbar sein muss. 243 Richtig Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorb. zu §§ 611 ff. BGB Rn. 829; ähnlich auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 40. 244 St. Rspr, seit BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 1 BvR 83/69, 1 BvR 244/69, 1 BvR 345/69, BVerfGE 28, 243 (261); BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228). 245 Dreier, GG, Vorb. Rn. 141 m.w. N. 246 Vgl. dazu nur Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 93 m.w. N. 247 Scholz, in: HStR VII, § 175 Rn. 138.

III. Grenzen des Arbeitskampfrechts

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Insbesondere wegen der „Bedeutung und Vielzahl der von der Tätigkeit der Koalitionen berührten Belange namentlich im Bereich der Wirtschaftsordnung und Sozialordnung“ sind Regelungen notwendig, die der Koalitionsfreiheit Schranken ziehen248. Hier muss die Koalitionsfreiheit mehr als andere Freiheitsrechte der Modifikation und Fortentwicklung zugänglich sein249. Die Schrankenziehung erfolgt über verfassungsimmanente Schranken250. Eingriffe in die Koalitionsfreiheit durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte gerechtfertigt sein251. Einschränkungen der Koalitionsfreiheit sind also möglich, wenn sich die Schranken ebenfalls aus der Verfassung ergeben252. Eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit kommt damit zunächst in Betracht, um die Koalitionsfreiheit Anderer zu schützen253. Ebenso bilden andere kollidierende Grundrechte und sonstige Rechtsgüter Dritter, jedenfalls soweit diese Verfassungsrang haben, oder andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang eine Schranke der Koalitionsfreiheit254. Mit diesen konkurrierenden Rechten muss ein verhältnismäßiger Ausgleich stattfinden. Hierbei ist als Schranken-Schranke insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten255. Nur Schranken, die zum Schutz anderer Rechtsgüter geboten sind, werden für rechtmäßig befunden256. Eine weitere Grenze der Einschränkbarkeit liegt zudem in Art. 9 III 3 GG, nach der im Falle eines Notstands dem Grunde nach rechtmäßige Arbeitskämpfe nicht beschränkt werden dürfen. Aus dieser Schrankensystematik ergibt sich für die Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen Folgendes: Im Ausgangspunkt gelten die Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit und damit auch die Garantie von Tarifautonomie und Arbeitskampf auch für kirchliche Arbeitnehmer257. Art. 9 III GG gewährt ausweislich seines Wortlautes die Koalitionsfreiheit für jedermann und für alle Berufe. Dies schließt folglich auch die Mitarbeiter der Kirchen bzw. die Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen ein. An die Koalitionsfreiheit sind die Kirchen auch direkt wegen der Drittwirkungsklausel nach Art. 9 III 2 GG gebunden. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Kirchen hier aufgrund des Selbst248 So BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (368). 249 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (368). 250 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 94. 251 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (228). 252 Vgl. Dreier, GG, Vorb. Rn. 139. 253 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 50. 254 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 99 f. 255 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 51. 256 BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (306); vgl. auch Scholz, in: HStR VII, § 175 Rn. 138. 257 Vgl. auch Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (880).

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§ 4 Das Streikrecht aus nationaler Sicht

bestimmungsrechts Modifikationen treffen dürfen. Eine Beschränkung des Streikrechts ist jedenfalls zum Schutz verfassungsmäßiger Rechte Dritter oder zum Schutz von Rechtsgütern mit Verfassungsrang möglich, sofern dieser Eingriff verhältnismäßig ist. Die Kirchen stützen sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV, um ein Streikrecht auszuschließen. Das Selbstbestimmungsrecht hat Verfassungsrang und ermöglicht damit grundsätzlich einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Ob der von den Kirchen begehrte Streikausschluss im Rahmen der zulässigen Beschränkungen liegt, muss daher untersucht werden.

IV. Zwischenergebnis Das Streikrecht ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 III 1 GG. Danach besteht das Recht, zur Erreichung einer tariflichen Regelung zu streiken. Dieser Tarifbezug ist eine systemimmanente Grenze des Arbeitskampfrechts. Nur tarifbezogene Streiks sind daher vom Schutz des Art. 9 III GG erfasst. Damit kann sich ein Streik, der sich auf die Erreichung einer bestimmten Regelung im Dritten Weg bezieht, jedenfalls nicht auf Art. 9 III GG stützen. Das Streikrecht ist eine normgeprägte Freiheit und bedarf in weit größerem Maße als andere Freiheiten der Ausgestaltung. Ein eigenständiges Grundrecht auf Streik besteht nicht, sondern nur ein Recht auf koalitionsspezifische Betätigung, als dessen Bestandteil der tarifbezogene Streik garantiert ist. Das Streikrecht kann wegen des fehlenden Schrankenvorbehalts in Art. 9 III GG nur durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden. Weil das kirchliche Selbstbestimmungsrecht Verfassungsrang hat, kann es dem Streikrecht prinzipiell Grenzen ziehen. Bevor untersucht werden kann, ob das Selbstbestimmungsrecht die Koalitionsfreiheit tatsächlich derart einschränkt, dass die Kirchen ein Streikrecht ihrer Mitarbeiter ausschließen können, ist auf die europäische Dimension des Arbeitskampfrechts einzugehen. Einige europäische Regelungen sehen ebenfalls ein Streikrecht vor. So hat der EuGH ein Streikrecht als allgemeinen Rechtsgrundsatz für den unionsrechtlichen Rechtskreis anerkannt. Auch die nunmehr verbindlich geltende Europäische Grundrechtecharta (GRC) gewährleistet in Art. 28 ein Streikrecht. Außerhalb des Unionsrechts bestehen ebenfalls Streikrechtsgewährleistungen: Sowohl Art. 11 EMRK als auch andere völkerrechtliche Verträge garantieren ein Streikrecht. Daher sind nunmehr diese Regelungen zum Streikrecht zu untersuchen, soweit es für die Frage nach dem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen von Interesse ist.

§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis und in völkerrechtlichen Verträgen Fraglich ist damit, inwiefern die europäischen und völkerrechtlichen Regelungen ein Streikrecht garantieren. Zu untersuchen ist insbesondere, ob der Umfang der einzelnen Gewährleistungen weiter geht als derjenige des Art. 9 III GG. Für den Fall, dass Abweichungen im Garantiegehalt festgestellt würden, müsste der Frage nachgegangen werden, welche Folgen sich hieraus für das deutsche Arbeitskampfrecht ergeben. Insbesondere im Bereich des Unionsrechts wären die Auswirkungen gravierend, weil das EU-Recht Anwendungsvorrang vor dem gesamten mitgliedstaatlichen Recht und damit im Prinzip auch vor dem Verfassungsrecht genießt1. Sofern die unionsrechtlichen Vorgaben weiter gingen als Art. 9 III GG, gälte im Anwendungsbereich des EU-Rechts der unionsrechtliche Umfang des Streikrechts. Dies hätte wiederum möglicherweise Auswirkungen auf die Frage, ob ein Streikrecht der kirchlichen Mitarbeiter anzuerkennen ist. Die völkerrechtlichen Verträge, die ein Streikrecht garantieren, sehen einen Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zwar nicht vor. Gleichwohl wäre zu untersuchen, ob bei unterschiedlichen Gewährleistungsumfängen von Art. 9 III GG und der jeweiligen völkerrechtlichen Norm im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ein Anpassungsbedarf der deutschen Rechtslage an die völkerrechtliche Regelung besteht. Ob dies der Fall ist, ist insbesondere in Bezug auf den nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug strittig. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, steht der Umfang der Gewährleistung des Streikrechts fest. Dann ist das „Rohmaterial“ vorhanden, um die Frage nach der Zulässigkeit des Streikausschlusses für kirchliche Mitarbeiter beantworten zu können.

I. Unionsrechtliche Vorgaben Zu klären ist zuerst, inwieweit das Unionsrecht in Bezug auf das Arbeitskampfrecht Regelungen enthält. Das Unionsrecht hat mehrere Bezugspunkte zum Arbeitskampfrecht. Für die Frage nach einem europäischen Grundrechtsschutz ist zunächst Art. 6 III EUV von Bedeutung, nach dem Grundrechte ein Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze der EU sind. Hieraus kann sich ein Schutz des Streikrechts ergeben. Mit dem Vertrag von Lissabon ist ferner die Grundrechtecharta verbindliches Unionsrecht geworden, deren Art. 28 ein Streikrecht aus1

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (301 f.).

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

drücklich garantiert. Zudem ist der nach Art. 6 II EUV vorgesehene Beitritt der EU zur EMRK von Bedeutung. Aus deren Art. 11 leitet der für die Auslegung der EMRK zuständige EGMR ebenfalls ein Streikrecht her. Im Jahre 2007, also vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, hat der EuGH ferner Stellung zu einem unionsrechtlichen Streikrecht bezogen. Bevor die einschlägigen Rechtsgrundlagen und die soeben angesprochene EuGH-Judikatur im Hinblick auf den Umfang dieser Garantien untersucht werden, soll kurz darauf eingegangen werden, inwieweit die Union selbst Regelungen zu einem Streikrecht treffen darf. 1. Bereichsausnahme des Art. 153 V AEUV Für ein Tätigwerden der Unionsorgane ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 I 1, II EUV zu beachten. Hiernach darf die Union nur auf Tätigkeitsfeldern agieren, für die der Union durch eine entsprechende primärrechtliche Kompetenznorm eine Regelungszuständigkeit zugewiesen worden ist. Die Union hat mithin keine Kompetenz-Kompetenz. Sie darf nicht selbst ihre Zuständigkeit festlegen. Insoweit müsste eine ausdrückliche Kompetenz bestehen, das Streikrecht zu harmonisieren oder ein eigenständiges Streikrecht zu schaffen, damit die Union in dieser Materie tätig werden darf. Im Rahmen der Sozialpolitik besteht nach Art. 4 II b AEUV für die in diesem Vertrag genannten Aspekte eine geteilte Zuständigkeit von Union und Mitgliedstaaten. Durch den Verweis auf die im Vertrag genannten Aspekte wird deutlich, dass Art. 4 II b AEUV noch keine Befugnisnorm darstellt, sondern eine solche für Tätigkeiten der EU erforderlich ist. Für den arbeitsrechtlichen Bereich sind insbesondere in Art. 151 ff. AEUV die einschlägigen Kompetenznormen der Union niedergelegt. Hiernach kann die Union gemäß Art. 153 I f AEUV auf dem Gebiet der Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, tätig werden. Diese Kompetenz gilt jedoch vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 153 V AEUV. Dort ist eine Bereichsausnahme vorgesehen, die bestimmte Rechtsgebiete von der Unionskompetenz ausklammert. Die Bereichsausnahme betrifft unter anderem das Streikrecht. Damit darf grundsätzlich keine direkte Regelung im Bereich des Arbeitskampfes auf Unionsebene erfolgen2. Der europäische Gesetzgeber ist mithin nicht befugt, nationales Arbeitskampfrecht kraft europäischer Regelung zu harmonisieren3. Die Kompetenz zur Regelung des Arbeitskampfrechts verbleibt 2 So auch Fuchs, in: Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 373; Kocher, AuR 2009, 332 (333); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 51; Thüsing/ Traut, RdA 2012, 65, (67), (73); zum Streikrecht der EU-Bediensteten, das sich nun aus Art. 28 GRCh ergibt, vgl. Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG, Rn. 109. 3 Fuchs, in: Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 373; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 10.

I. Unionsrechtliche Vorgaben

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insoweit ausschließlich bei den einzelnen Mitgliedsländern und damit bei den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern4. Die Gewährleistungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten sind sehr unterschiedlich5, nicht zuletzt, weil sie in einem engen Zusammenhang zu den jeweiligen gesellschaftspolitischen Strukturen stehen6. Insofern ist das Streikrecht ein sehr sensibler Bereich, der aufgrund der sehr unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Gegebenheiten einer Rechtsangleichung nicht zugänglich sein soll7. Freilich ist eine mittelbare Beeinflussung des nationalen Streikrechts durch Unionsrecht nicht ausgeschlossen. So muss das nationale Streikrecht etwa im Einklang stehen mit den primärrechtlich niedergelegten europäischen Grundfreiheiten8. Insoweit bezieht sich die Bereichsausnahme auf die Schaffung und Ausgestaltung eines eigenen Arbeitskampfrechts, nicht aber auf eine Einschränkung des nationalen Streikrechts9. Die Bereichsausnahme führt indessen nicht dazu, dass auf primärrechtlicher Ebene eine Verankerung des Streikrechts ausgeschlossen ist10. Denn Art. 153 V AEUV untersagt lediglich den Erlass von Harmonisierungsvorschriften durch Sekundärrechtsakte. Insofern stellt sich die Frage, ob und ein Streikrecht primärrechtlich anerkannt ist. Sofern dies der Fall wäre, müsste untersucht werden, ob dieses Streikrecht inhaltlich weiter geht als das Streikrecht gemäß Art. 9 III GG und ob sich auf die Frage nach der Zulässigkeit von Streiks im kirchlichen Dienst auswirkt. 2. Art. 6 III EUV Für das Bestehen eines Streikrechts auf primärrechtlicher Ebene Art. 6 III EUV einen Anhalt bilden. Danach erkennt die Union die Rechte aus der EMRK und die Grundrechte, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Rechtsgrundsätze an. Aus diesen Rechtserkenntnisquellen ergibt sich ein Europäischer Grundrechtsschutz. Die Bestimmung des Art. 6 III EUV ist mit dem Vertrag von Maastricht in den EU-Vertrag eingeführt worden. Mit dieser Regelung wurde die jahrzehntelange Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Grundrechtsschutz nun primärrechtlich verankert: Der EuGH hatte mangels ausdrücklicher Normierung von

4 Henssler, Arbeitsrecht der EU, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Rn. 86a; Maeßen, Auswirkungen, S. 24; Thüsing, RdA 2007, 307 (308). 5 Vgl. Maeßen, Auswirkungen, S. 24. 6 Vgl. Maeßen, Auswirkungen, S. 24; Weth/Kerwer, JuS 2000, 425 (430). 7 Vgl. Maeßen, Auswirkungen, S. 24; Weth/Kerwer, JuS 2000, 425 (430). 8 Henssler, ZfA 2010, 397 (398); Kerwer, EuZA 2008, 335 (353); Ricken, in: MünchArbR II, § 197 Rn. 1. 9 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 10. 10 Zutreffend Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (465); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (235).

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

Unionsgrundrechten einen europäischen Grundrechtsschutz aus den genannten Rechtsquellen als Richterrecht entwickelt11. Die Gewährleistung der EMRK im Hinblick auf ein Streikrecht wird im Folgenden noch ausführlich untersucht12. An dieser Stelle bedarf es daher lediglich einer Untersuchung der Frage, ob sich auch aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ein Streikrecht als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ergeben kann und welchen Umfang dieses hat13. Sofern etwa das unionsrechtliche Streikrecht weiter ginge als die Gewährleistung aus Art. 9 III GG, wäre im Anwendungsbereich des Unionsrechts der Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Regelung zu beachten14. Insofern ist die Frage, ob und mit welchem Umfang sich aus Art. 6 III EUV ein Streikrecht herleiten lässt, hier bedeutsam. Um zu bestimmen, ob und in welchem Umfang ein Streikrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz der EU anzuerkennen ist, ist ein Vergleich der mitgliedstaatlichen Verfassungen vorzunehmen. Diese sind selbst zwar keine Rechtsquelle der Union, wohl aber Rechtserkenntnisquelle15. Methodisch wird zur Ermittlung dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze mit Recht ein wertender Vergleich der Verfassungstraditionen in den jeweiligen Mitgliedstaaten vorgenommen16. Eine bloße Orientierung an der minimalen oder maximalen mitgliedstaatlichen Gewährleistung eines Rechts kommt demgegenüber nicht in Betracht. Diese Vorgehensweise würde außer Acht lassen, dass die Unionsgrundrechte eigenständige und eben nicht abgeleitete Grundrechtsverbürgungen darstellen17. Die maximale Verbürgung zum Maßstab zu erheben, hat, neben der praktisch schwierig zu beantwortenden Frage, welche Regelung den Minimal- oder Maximalstandard festlegt, außerdem den Nachteil, dass dabei nur diejenigen Mitgliedstaaten und deren Rechtstraditionen, die diesen Standard gewährleisten, durch die europäische Regelung repräsentiert würden18. Den Mindeststandard zugrunde zu legen, führte demgegenüber zu einer Minimierung des Schutzes19. Aus diesem Grund kommt es für die konkrete Ermittlung der Unionsgrundrechte auch darauf an, dass sich die Grundrechte in Struktur und Ziele der Union einfügen20. Damit aus den Ver11

Hierzu Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 6 EUV Rn. 16. Hierzu unter § 5 II. 3. 13 Die Verfassungen der Mitgliedstaaten sind abrufbar unter http://www.verfassun gen.eu/eu/index.htm; abgerufen am 03.07.2013. 14 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (301 f.). 15 Vgl. Ehlers, Europäische Grundrechte, § 14 Rn. 8; Jarass, EU-Grundrechte, § 2 Rn. 11. 16 Vgl. Ehlers, Europäische Grundrechte, § 14 Rn. 8. 17 Zutreffend Maeßen, Auswirkungen, S. 48. 18 Zutreffend Maeßen, Auswirkungen, S. 46 f.; ausführlich hierzu vgl. Müller-Volbehr, Europa und Arbeitsrecht, S. 75–87; vgl. auch Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 6 EUV Rn. 18. 19 So auch Maeßen, Auswirkungen, S. 47. 12

I. Unionsrechtliche Vorgaben

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fassungsüberlieferungen ein europäisches Grundrecht hergeleitet werden kann, muss dieses nicht in allen mitgliedstaatlichen Verfassungen garantiert sein, eine überwiegende Anerkennung in den Mitgliedstaaten auch durch die Rechtspraxis reicht aus21. Ein Vergleich der mitgliedstaatlichen Verfassungen im Hinblick auf das Streikrecht ist in der Vergangenheit im Schrifttum bereits ausführlich vorgenommen worden22. Aus diesem Grund muss er hier nicht vertieft erfolgen. Ein Vergleich der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, dass in allen Mitgliedstaaten im Grundsatz ein Streikrecht anerkannt wird, wenn auch teilweise nicht mit Verfassungsrang23. Jedenfalls sind hiernach Streiks zur Erreichung eines kollektiven Vertrags zulässig24. Schrankenlos ist ein Streik in keinem Mitgliedstaat anerkannt25. Der jeweilige mitgliedstaatlich für zulässig befundene Umfang von Streiks unterscheidet sich jedoch angesichts der jeweiligen Tradition und aufgrund der differierenden sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten stark26. Dies führt insbesondere bei wilden Streiks, politischen Streiks, Sympathiearbeitskämpfen oder auch in Bezug auf atypische Kampfformen wie Blockaden zu erheblichen Unterschieden hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Beurteilung der Zulässigkeit27. Im Hinblick auf den konkreten Umfang der Streikgewährleistung lassen sich insoweit keine einheitlichen Kriterien finden, anhand derer die Zulässigkeit beurteilt werden könnte. Damit liegt diesbezüglich keine gemeinsame Verfassungstradition vor, so dass sich aufgrund der Verfassungsüberlieferungen auch kein Schutz einzelner Maßnahmen als allgemeiner Rechtsgrundsatz der EU feststellen lässt28. Jedenfalls ein gewerkschaftsgetragener Streik zur Erreichung kollektiver Beschäftigungsbedingungen ist damit in den Mitgliedstaaten anerkannt. Aus diesem Grund wird man eine grundsätzliche Anerkennung des Streikrechts zwar als allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkennen dürfen. Die genaue 20 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – C-11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rn. 4 – Internationale Handelsgesellschaft; vgl. hierzu auch Ehlers, Europäische Grundrechte, § 14 Rn. 8. 21 Jarass, EU-Grundrechte, § 2 Rn. 28; vgl. auch Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (237). 22 Monographisch hierzu Maeßen, Auswirkungen, S. 46–64; vgl. im Übrigen etwa Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (474 f.). 23 Hierzu Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (474); Maeßen, Auswirkungen, S. 61. 24 Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (474); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (244). 25 Maeßen, Auswirkungen, S. 62. 26 Maeßen, Auswirkungen, S. 62; zur Rechtslage in den anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf den nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug vgl. Rebhahn, NZA 2001, 763 (769). 27 Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (244); Kocher, AuR 2009, 332 (334 f.); Maeßen, Auswirkungen, S. 62. 28 Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (244); Maeßen, Auswirkungen, S. 62.

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Reichweite der Streikgarantie ist aufgrund der erheblichen Unterschiede der mitgliedstaatlichen Regelungen aber nicht Inhalt dieses Rechtsgrundsatzes. Insoweit fehlt diesbezüglich die zur Bildung allgemeiner Rechtsgrundsätze erforderliche gemeinsame Verfassungstradition. Die Frage, ob sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ein Streikrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz der EU ergibt, ist also zu bejahen. Der genaue Umfang, also das „Wie“, ist allerdings nicht Bestandteil dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes, da sich aus den Verfassungstraditionen keine gemeinsamen Kriterien herleiten lassen. Dieses Ergebnis fügt sich in die Struktur und Ziele der Union ein. Denn für den Bereich des Arbeitskampfes besteht keine Regelungszuständigkeit der Union. Daher erscheint es folgerichtig, nur in grundsätzlicher Hinsicht das Streikrecht als gewährleistet anzusehen. Damit folgt aus Art. 6 III EUV kein Streikrecht, das weiter geht als die Gewährleistung aus Art. 9 III GG. Insofern ergeben sich also für die Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen keine aus Art. 6 III EUV zu berücksichtigenden Gesichtspunkt. 3. Art. 28 GRC Fraglich ist, ob Art. 28 GRC weitergehende Garantien enthält. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist gemäß Art. 6 I EUV die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) für die EU verbindlich. Sie steht im Rang des Primärrechts. Nach Art. 51 I 1 GRC gilt die Charta für die Unionsorgane sowie für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht. Art. 28 GRC gewährleistet Arbeitnehmern, Arbeitgebern und deren jeweiligen Vereinigungen die Möglichkeit, Tarifverträge aushandeln und abschließen zu können. Ferner wird garantiert, dass bei Interessenkonflikten zwischen beiden Parteien kollektive Maßnahmen zur Interessenvertretung durchgeführt werden können. Zu diesen geschützten Maßnahmen zählen ausdrücklich Streiks. Fraglich ist damit, in welchem Umfang Art. 28 GRC ein Streikrecht garantiert. Der sich aus dieser Vorschrift ergebende Schutz geht dem Schutz, der sich gemäß Art. 6 III EUV aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Union ergibt, nach dem Grundsatz der Spezialität vor29. Art. 28 GRC gewährt nach seinem Wortlaut den Arbeitskampf nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Fraglich ist, wie dieser Verweis auf die mitgliedstaatlichen Regelungen zu verstehen ist. Überwiegend, wenngleich nicht unumstritten, wird ein Ausgestaltungsund Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten angenommen30. Fraglich ist aber, ob Art. 28 GRC ein eigenständiger Regelungsgegenstand zuzuerkennen ist, der 29

Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 6 EUV Rn. 17. Vgl. etwa Jarass, GRCh, Art. 28 Rn. 15; Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655); Rixen, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 28 Rn. 14. 30

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die Ausgestaltungsbefugnis begrenzt, und der insoweit Mindestvorgaben setzt. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. a) Die Ansichten in der Literatur zu dem Verweis auf mitgliedstaatliches Recht Einerseits wird angenommen, dass sich das Ausmaß der Gewährleistung des Art. 28 GRC ausschließlich nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates richte31. Insoweit gestaltet hiernach der nationale Gesetzgeber verbindlich den Schutzbereich aus. Ein anderer Ansatzpunkt besteht darin, in Art. 28 GRC die Gewährleistung eines eigenständigen europäischen Streikrechts zu erkennen, und eine Ausgestaltungsbefugnis der nationalen Gesetzgeber generell abzulehnen32. Inhaltlich orientiere sich Art. 28 GRC am Maßstab des Art. 6 Nr. 4 ESC und an dessen Auslegung durch das Ministerkomitee33. Auch sei der Verweis auf Unions- und einzelstaatliches Recht nicht als besondere Schrankenregelung zu verstehen, da lediglich die allgemein geltenden Schranken des Art. 52 I GRC anzuwenden seien34. Stattdessen habe der Verweis nur eine deklaratorische Bedeutung; er sei lediglich als Hinweis auf die bestehende Kompetenzverteilung zu verstehen35. Anderenfalls könnte der eigene Regelungsgehalt unterlaufen werden, wenn er zur Disposition durch die mitgliedstaatliche Gesetzgebung gestellt würde36. Zwischen diesen Positionen liegen zwei vermittelnde Ansichten: Teilweise wird angenommen, dass der Verweis auf das mitgliedstaatliche Recht als eine in weitem Umfang bestehende Ausgestaltungsbefugnis zu verstehen sei37. Damit hätte der Mitgliedstaat im Prinzip die Möglichkeit, den Schutzbereich von Art. 28 GRC zu bestimmen. Allerdings weise Art. 28 GRC einen eigenständigen Gewährleistungsgehalt auf, der bei der Ausgestaltung nicht beeinträchtigt werden dürfe. Dieser begrenze insoweit die Ausgestaltungsbefugnis. Die Grenze der zulässigen Ausgestaltung liege nicht im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Ausgestaltung sei in weiterem Umfang zulässig. Lediglich ein voll-

31 Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 28 GRC Rn. 4; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 2 Rn. 39. 32 Heuschmid, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 56. 33 Vgl. Däubler, AuR 2001, 380 (383). 34 Zimmer, AuR 2012, 114 (116). 35 Heuschmid, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 56 m.w. N. 36 Heuschmid, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 55; Zimmer, AuR 2012, 114 (116). 37 So Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655); Rixen, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 28 Rn. 14.

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ständiges Beseitigen des durch Art. 28 GRC geschützten Streikrechts für bessere Arbeitsbedingungen sei unzulässig38. Andererseits wird es abgelehnt, dass mitgliedstaatliche Regelungen den Schutzbereich des Art. 28 GRC verbindlich begrenzen können39. Der Verweis auf die einzelstaatlichen Regelungen sei vielmehr als Schrankenbestimmung anzusehen. Eine andere Sicht verkenne, dass die GRC begrifflich unabhängig sei40. Insoweit könnten die Mitgliedstaaten nicht über die Reichweite des Schutzbereichs bestimmen, sondern nur durch Einschränkungen eine Begrenzung der Rechte aus Art. 28 GRC vornehmen. Eine Beschränkung des Art. 28 GRC sei demnach prinzipiell nur unter den Voraussetzungen des Art. 52 GRC zulässig41. Insoweit gelte insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit42. Die Beschränkung müsse demnach einem legitimen Ziel dienen, zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sein, und unter Abwägung mit den kollidierenden Interessen angemessen sein. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung bestehe aber ein weiter Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers43. b) Stellungnahme In Art. 28 GRC eine eigenständige europäische Garantie des Streikrechts zu sehen und dem Verweis auf mitgliedstaatliche und unionsrechtliche Regelungen keine Bedeutung beizumessen, erscheint nicht überzeugend. Hiergegen spricht der insoweit eindeutige Wortlaut, nach dem die in Art. 28 GRC bezeichneten Rechte nur nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Regelungen garantiert sind44. Damit ist vom Bestehen der Möglichkeit, den Umfang der gewährleisteten Rechte näher auszugestalten bzw. zu begrenzen, auszugehen. Dieser Auffassung scheint auch der EuGH zu sein45. Dem in Art. 28 GRC angelegten Verweis auf die unionsrechtlichen bzw. einzelstaatlichen Regelungen muss eine eigenständige Bedeutung zukommen. Sofern der Ansicht gefolgt würde, die diesen Verweis als Schrankenregelung versteht, wäre der Verweis allerdings obsolet. Denn Art. 52 I GRC sieht bereits vor, dass Einschränkungen der Rechte aus der GRC unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig sind. Einer in Art. 28 GRC vorgesehenen Möglichkeit zur Einschränkung der Rechte bedarf es damit nicht. Aufgrund dieses 38

Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (654 f.). Maeßen, Auswirkungen, S. 32; so wohl auch Jarass, GRCh, Art. 28 Rn. 14. 40 Maeßen, Auswirkungen, S. 32; so wohl auch Jarass, GRCh, Art. 28 Rn. 14. 41 Maeßen, Auswirkungen, S. 33. 42 Jarass, GRCh, Art. 28 Rn. 16. 43 Jarass, GRCh, Art. 28 Rn. 16. 44 Zutreffend Maeßen, Auswirkungen, S. 32. 45 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 44 – Viking Line; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 91 – Laval. 39

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systematischen Zusammenhangs ist davon auszugehen, dass der unionsrechtliche bzw. mitgliedstaatliche Spielraum, der aufgrund des Verweises besteht, größer als bei Einschränkungen ist46. Damit erscheint es nicht erforderlich, dass die mitgliedstaatliche Regelung zur Erreichung eines Ziels im Sinne des Art. 52 I GRC geeignet, notwendig und angemessen ist. Insoweit ist die Deutung des Verweises als Ausgestaltungsvorbehalt sachgerecht. Der Gesetzgeber darf angesichts der ausdrücklichen Garantie des Streikrechts zwar nicht das Streikrecht an sich beseitigen, er kann aber beispielsweise die Möglichkeit von Kollektivverhandlungen auf das Tarifvertragssystem beschränken und Regeln für die Durchführung von Kampfmaßnahmen erlassen47. Diese Kompetenz steht den Mitgliedstaaten und der Union zu. In den Bereichen, in denen der Union keine Regelungskompetenz zugewiesen wurde, kann sie allerdings nicht regelnd eingreifen. Dies belegt auch Art. 51 II GRC48: Durch die Grundrechtecharta sollen weder neue Kompetenzen für die EU begründet werden, noch soll die Charta eine Änderung der bisherigen Zuständigkeiten herbeiführen. Im Bereich des Arbeitskampfes ist hier die Bereichsausnahme des Art. 153 V AEUV einschlägig, nach der die EU keine Regelungen in Bezug auf das Arbeitskampfrecht treffen darf. Weil die EU selbst nicht tätig werden darf, ist zunächst die Regelung durch das jeweilige nationale Recht konstitutiv für den Gewährleistungsumfang. Da die Charta keine Änderung der bisherigen Zuständigkeiten und keine Begründung neuer Kompetenzen für die EU herbeiführen soll, liegt es zudem nahe, dass die GRC im Hinblick auf die fehlende Kompetenz der EU in Arbeitskampfangelegenheiten auch keine eigenständigen Garantien enthält, die über eine allgemeine Absicherung des Streikrechts hinausgehen49. Lediglich ein Verbot von Streiks schlechthin wäre mit Art. 28 GRC unvereinbar50. Es wäre nicht recht einleuchtend, wenn die EU, die keine Kompetenzen im Bereich des Arbeitskampfrechts hat, durch ihre Grundrechtecharta Vorgaben hinsichtlich nationaler Arbeitskampfgewährleistungen bei der Durchführung von Unionsrecht aufstellen könnte. Dieser Zusammenhang spricht dagegen, in Art. 28 GRC einen autonomen Garantiebereich zu sehen und den Verweis als Schrankenvorbehalt zu verstehen51. Auch 46

So auch Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (654). Zu Recht auch Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655); vgl. auch Krebber in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 28 GRC Rn. 3. 48 So auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (353); jüngst auch BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (622) m.w. N. 49 Everling, in: GS Heinze, S. 157 (173 f.); Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (67). 50 Vgl. auch Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655); Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 8; ähnlich auch Birk, in: FS 50 Jahre BAG, S. 1165 (1177). 51 Vgl. auch Rixen, in: Tettinger/Stern, GRCh, Art. 28 Rn. 14; ein Spannungsverhältnis zu Art. 153 V AEUV erkennt auch Maeßen, Auswirkungen, S. 32 f., die deswegen das Vorliegen einer vorbehaltlosen Schrankenbestimmung annimmt. 47

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der eigenständige Gewährleistungsgehalt und die begriffliche Unabhängigkeit der GRC werden durch die Kompetenzverteilung begrenzt, so wie es auch Art. 51 II GRC nahelegt52. Auch dies spricht dafür, im Verweis auf die mitgliedstaatlichen Regelungen eine Ausgestaltungsbefugnis, also die Möglichkeit den Schutzbereich zu umreißen, zu erblicken. Der Schutzbereich des Art. 28 GRC konkretisiert sich also wegen Art. 51 II GRC i.V. m. Art. 153 V AEUV jedenfalls in Bezug auf das Arbeitskampfrecht derzeit verbindlich durch das jeweilige mitgliedstaatliche Recht53. Die Funktion des Art. 28 GRC besteht darin, als „Scharnier“ zu wirken54: Der nach dem nationalen Recht rechtmäßige Arbeitskampf wird europarechtlich insofern beachtlich, als dessen Rechtmäßigkeit zu beachten ist und das Recht zum Arbeitskampf mit konfligierenden europäischen Rechtspositionen wie beispielsweise den Grundfreiheiten abgewogen werden muss55. Insofern ist Art. 28 GRC in der Tat eine Vorschrift, die derzeit eine geringe eigenständige Bedeutung innehat56. Jedenfalls im Hinblick auf das Arbeitskampfrecht enthält Art. 28 GRC damit keine bei der Ausgestaltung zu berücksichtigenden eigenen Voraussetzungen, abgesehen von der nunmehr ausgeschlossenen vollständigen Abschaffung eines Streikrechts. Dem hier gefundenen Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, es widerspreche dem Sinn des europäischen Grundrechtsschutzes, eine Einheitlichkeit des Schutzstandards herzustellen und den Vorrang des Unionsrechts zu sichern57. So wünschenswert diese Einheitlichkeit durch die fortschreitende Europäische Integration auch sein mag: Die Europäische Integration ist an die Kompetenzen aus den Verträgen gebunden. Diese begrenzen letztlich die Möglichkeit, Europarecht zu schaffen. Wenn Art. 153 V AEUV die Rechtsetzungskompetenz in Arbeitskampfangelegenheiten für die Union ausnimmt, steht dahinter die bewusste Wertentscheidung der Vertragsparteien, dass das Arbeitskampfrecht ausschließlich durch die Mitgliedstaaten geregelt werden soll. Dies erscheint aufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Systeme folgerichtig.

52 So etwa auch Everling, in: GS Heinze, S. 157 (174); Herdegen, in: HStR X, § 211 Rn. 25; Lindner, DÖV 2011, 305 (309); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 2 Rn. 39; Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (70). 53 Everling, in: GS Heinze, S. 157 (174); Rebhahn, in: GS Heinze, S. 649 (655); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 2 Rn. 39; Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (70); so wohl auch BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (622). 54 Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (70). 55 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 6. 56 Everling, in: GS Heinze, S. 157 (174); Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 14; Pache, EuR 2001, 475 (481); Rixen, in: Tettinger/Stern, Art. 28 GRC Rn. 22; weitergehend Krebber in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 28 GRC Rn. 3 f. 57 Wie hier auch Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (70); a. A.: Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (475); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (234).

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Bei dem derzeitigen Stand der Europäischen Integration ergibt sich demnach aus Art. 28 GRC keine inhaltliche Vorgabe in Bezug auf den Umfang des vom Mitgliedstaat zu gewährenden Streikrechts. Insofern ergeben sich aus Art. 28 GRC keine neuen Gesichtspunkte, die für die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen zu berücksichtigen sind. 4. Die Rechtsprechung des EuGH Auch der Europäische Gerichtshof hat in der Vergangenheit Stellung zu einem europäischen Streikrecht nehmen müssen. Diese Rechtsprechung ist für die hier zu untersuchende Frage aus zwei Gründen von Interesse: Zunächst werden vom EuGH grundsätzliche Ausführungen zu einer unionsrechtlichen Anerkennung eines Streikrechts gemacht. Insofern ergeben sich aus diesen Ausführungen zur Garantie und Reichweite eines unionsrechtlichen Streikrechts gegebenenfalls Gesichtspunkte, die bei der Beantwortung der Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen zu berücksichtigen sind. Daneben trifft der EuGH hier Aussagen für den Fall, dass das unionsrechtliche Streikrecht mit einer anderen primärrechtlichen Bestimmung kollidiert. Um eine solche Kollision geht es auch in der hier zu untersuchenden Frage. Aus dem Primärrecht ergibt sich, wie bereits festgestellt, ebenfalls ein Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts58. Insofern dürfte die „Kollisionsregel“ des EuGH für den Fall, dass ein Streikecht mit einer anderen primärrechtlichen Garantie zusammentrifft, auch auf die in dieser Arbeit zu untersuchende Frage übertragbar sein. a) Inhalt der Rechtsprechung Inhaltlich ging es in den Fällen Viking Line und Laval um die Frage, ob Arbeitskampfmaßnahmen gegen die Grundfreiheiten des Arbeitgebers verstoßen: In beiden Fällen wollten sich die Arbeitgeber das in der EU bestehende Lohngefälle zu Nutze machen. Fraglich war im Falle Viking Line59, ob ein Streik gegen eine grenzüberschreitende Standortverlagerung gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Eine finnische Reederei, die an finnische Tarifverträge gebunden war, wollte ein Fährschiff unter estnischer Flagge weiterbetreiben, um auf diese Weise die in Estland bestehenden (für die Reederei günstigeren) Arbeitsbedingungen anzuwenden. Im Falle Laval 60 stand ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit durch Blockademaßnahmen im Raum. Hier hatte eine lettische Bauunternehmung in 58 59 60

§ 3 I. 2. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779 – Viking Line. EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767 – Laval.

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Schweden einen Auftrag mit eigenen, zu einer schwedischen Tochtergesellschaft entsandten Arbeitnehmern zu den in Lettland üblichen Arbeitsbedingungen abwickeln wollen. Daraufhin hatte die schwedische Gewerkschaft versucht, mit Blockaden der Baustellen einen Beitritt des Arbeitgebers zu dem schwedischen Tarifvertrag zu erzwingen. Diese Fälle waren vom EuGH zu entscheiden, bevor der Vertrag von Lissabon mit seinem Art. 6 I EUV, der die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta und deren Gleichrangigkeit mit dem Primärrecht festlegt, in Kraft trat. Insoweit war ein direkter Rückgriff auf Art. 28 GRC nicht möglich. Gleichwohl leitete der EuGH aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein Unionsgrundrecht her, das auf die Durchführung von kollektiven Maßnahmen gerichtet ist61. Hierbei nahm er auf die einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen und ausdrücklich auch auf Art. 28 GRC Bezug. Anschließend führte er aus, dass er selbst für die Überwachung der Beachtung dieses Unionsgrundrechts zwar zuständig sei, die Mitgliedstaaten aber zulässigerweise Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung dieser Kontrolle auferlegt hätten62. Dies begründete der EuGH mit dem Verweis auf die mitgliedstaatlichen Regelungen in Art. 28 GRC. Aus diesem Grunde entwickelte er keinen eigenständigen Schutzbereich des Unionsgrundrechts, sondern hielt die Feststellung, ob die Kampfmaßnahme nach dem mitgliedstaatlichen Recht zulässig war, für entscheidend. Nachdem der EuGH die Existenz eines Unionsgrundrechts auf die Durchführung kollektiver Maßnahmen anerkannte, stellte er unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung fest, dass der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse darstelle, das grundsätzlich geeignet sei, eine Beschränkung der Grundfreiheiten zu rechtfertigen63. Aus diesem Grunde prüfte der EuGH, ob eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Kampfmaßnahmen vorlag. Diese Frage bejahte er aufgrund der gefestigten Kasuistik zu den Grundfreiheiten, die er nicht nur als Diskriminierungsverbote, sondern auch als Beschränkungsverbote auslegt64. Im Folgenden prüfte der EuGH, ob die Kampfmaßnahmen, die eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bzw. der Niederlassungsfreiheit zur Folge hatten, gerechtfertigt werden konnten. Eine Rechtfertigung konnte sich aus dem Grundrechtsschutz ergeben65. Grundsätzlich erkannte der EuGH die Grundfreiheit und 61 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 44 – Viking Line; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 91 – Laval. 62 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 44 – Viking Line; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 91 – Laval. 63 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 45 – Viking Line. 64 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 68 f. – Viking Line; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 101 – Laval. 65 EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 93 – Laval.

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das Grundrecht als gleichrangig an, weshalb keiner Rechtsposition der absolute Vorrang eingeräumt wurde. Vielmehr erfolgte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, indem die Grundfreiheit mit dem Unionsgrundrecht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme abgewogen wurde66. Eine verhältnismäßige Maßnahme hätte damit die Beschränkung der Grundfreiheit rechtfertigen können. Dies war jedoch in der Rechtssache Laval nach Auffassung des EuGH nicht der Fall 67. In der Rechtssache Viking Line wurde eine kollektive Maßnahme als ungerechtfertigt angesehen und bezüglich einer anderen Maßnahme überantwortete der EuGH die Abwägung dem vorlegenden Gericht68. b) Auswirkungen der Rechtsprechung auf ein Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter Diese beiden Fälle sind in der Rechtslehre bereits eingehend und kontrovers ausgewertet worden. Im Folgenden soll lediglich auf die zentralen Aussagen des Gerichts hinsichtlich der Existenz und Reichweite eines unionsrechtlichen Streikrechts näher eingegangen werden, damit festgestellt werden kann, ob sich aus dem unionsrechtlichen Streikrecht Gesichtspunkte ergeben, die bei der Beurteilung der Frage nach der Zulässigkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen zu berücksichtigen sind. Es erscheint zunächst folgerichtig, dass der EuGH aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ein Unionsgrundrecht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen entwickelt hat. Dies entspricht der bereits dargelegten Methode zur Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze. Auch lässt sich hierin kein Verstoß gegen die Kompetenzordnung, insbesondere gegen ex-Art. 137 V EGV, jetzt Art. 153 V AEUV, erblicken. In Bezug auf die inhaltliche Konturierung bzw. Reichweite der Gewährleistung scheint die Rechtsprechung des EuGH eine Bestätigung der soeben gefundenen Ergebnisse zu sein: Zwar ist dem Grunde nach ein unionsrechtliches Streikrecht gegeben; dessen Inhalt ist aber wegen der mitgliedstaatlichen Kompetenzen auf diesem Gebiet Sache des nationalen Rechts69. Damit hebt der EuGH den nach nationalem Recht zulässigen Arbeitskampf auf die Stufe des Europarechts und überprüft sodann, ob die mit dem Arbeitskampf verbundenen Eingriffe in europäisches Recht gerechtfertigt sind70. Dass der EuGH selbst an dieser Stelle keine 66 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 75 – Viking Line; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 101 – Laval. 67 EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 108–111 – Laval. 68 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 87–90 – Viking Line. 69 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 85 – Viking Line. 70 So auch Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, § 10 Rn. 6.

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nähere Ausgestaltung vornimmt, erscheint vor allem im Hinblick auf Art. 153 V AEUV und der damit verbundenen rechtspolitischen Aussage, dass die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts ausschließlich den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben soll, konsequent und inhaltlich stimmig71. Insgesamt lässt sich das Ergebnis des EuGH als ausgewogen charakterisieren72: Das Gericht verdeutlicht, dass keine Rechtsposition per se vorrangig sei, da beide Rechtsgüter normhierarchisch gleichrangig seien. Daher kommt es auf eine Abwägung im Einzelfall an. Diese Methode ist im Übrigen dem deutschen Recht ähnlich73. Hier werden zwei widerstreitende Grundrechtspositionen im Sinne praktischer Konkordanz derart in Einklang gebracht, dass sich beide Positionen bestmöglich verwirklichen lassen. Methodisch dürfte daher auch bei einer Kollision von Streikrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht auf unionsrechtlicher Ebene die Vornahme einer umfassenden Abwägung das maßgebliche Modell zur Auflösung der Kollision sein. Allerdings ist festzustellen, dass der EuGH bei der konkreten Güterabwägung andere Akzente setzt, als dies in der deutschen Rechtspraxis üblich ist74. Die entsprechende Abwägung wird nach dem deutschen Recht im Rahmen der Überprüfung, ob die Kampfmaßnahme verhältnismäßig ist, vorgenommen. Dabei geht es um eine Abwägung zwischen Koalitionsfreiheit auf der einen Seite und den jeweiligen Interessen und Rechtsgütern der Kampfbetroffenen auf der anderen Seite75. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit hat das BAG seine Kontrolle weit zurückgefahren, indem es nur noch offensichtlich ungeeignete oder nicht erforderliche Kampfmaßnahmen untersagt und nur die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne tatsächlich prüft. Hierbei wird zudem Art. 9 III GG, etwa im Rahmen der Abwägung mit der Unternehmerfreiheit nach Art. 12 GG, oftmals der Vorrang eingeräumt76. Argumentativ wird darauf gestützt, dass ein Streik immer einen Eingriff in die Unternehmerfreiheit beinhalte77. Insoweit müssten sich besondere Umstände ergeben, damit die Unternehmerfreiheit überwiege. Dies zeigt, dass in der deutschen Rechtspraxis Art. 9 III GG einen besonderen Rang ge71 Wie hier: Ricken, in: MünchArbR II, § 197, Rn. 18 f.; Thüsing/Traut, RdA 2012, 65 (66 f.); vgl. auch Thüsing, RdA 2007, 307 (308); a. A. Konzen, in: FS Buchner, S. 461 (463, 470 f.); Konzen, in: FS Säcker, S. 229 (234, 244 f.). 72 So auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (353); a. A. etwa Dieterich, in: ErfK, Art. 9 Rn. 110. 73 Henssler, ZfA 2010, 397 (404 f.). 74 In diese Richtung gehend auch Ricken, in: MünchArbR II, § 197, Rn. 20; deutlicher Henssler, Arbeitsrecht in der EU, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Rn. 86 b. 75 Vgl. Fischinger, RdA 2007, 99 (102). 76 Vgl. etwa Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 37; kritisch hierzu Henssler, ZfA 2010, 397 (405). 77 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 35 Rn. 37.

I. Unionsrechtliche Vorgaben

161

nießt78. Demgegenüber misst der EuGH den Grundfreiheiten traditionell einen besonderen Rang bei, die er als fundamentale Grundsätze der Union ansieht79 und die er nicht nur als Diskriminierungsverbote, sondern auch als Beschränkungsverbote auslegt. Vor diesem Hintergrund verlangt der EuGH, dass die Kampfmaßnahmen die Grundfreiheiten nicht unangemessen beschränken. Insoweit ist die Kampfmaßnahme hier von vornherein in jedem konkreten Fall unter einem Rechtfertigungszwang80. Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass der EuGH die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen tendenziell strenger beurteilt als dies im deutschen Recht Praxis ist. Daher erscheint es unionsrechtlich nicht erforderlich, das deutsche Arbeitskampfrecht auszuweiten. In Bezug auf die Zulässigkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen ergeben sich insofern keine Besonderheiten aus dem unionsrechtlichen Streikrecht. Abschließend stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Urteile auch nach heutiger Rechtslage inhaltlich gleich vom EuGH getroffen werden könnten. Denn der zeitlich nach den Entscheidungen Viking Line und Laval unterzeichnete Vertrag von Lissabon hat im Bereich des Grundrechtsschutzes zu den beschriebenen Änderungen des Primärrechts geführt. Bekanntlich ist nunmehr durch Art. 6 I EUV die Grundrechtecharta im Rang des Primärrechts verbindlich geworden, die ausdrücklich ein europäisches Grundrecht auf kollektive Maßnahmen in Art. 28 GRC beinhaltet. Insoweit ergibt sich der Rechtfertigungsgrund für Streikmaßnahmen nun nicht mehr aus den insoweit subsidiären Rechtsgrundsätzen, sondern aus Art. 6 I EUV i.V. m. Art. 28 GRC. Gleichwohl hat der EuGH in der Herleitung des Unionsgrundrechts mehrfach auf den zu der Zeit noch unverbindlichen Art. 28 GRC Bezug genommen. Insbesondere hat er Art. 28 GRC im Hinblick auf dessen Ausgestaltungsvorbehalt durch nationales Recht in seine Überlegungen einbezogen. Vor diesem Hintergrund wäre es überraschend, wenn der EuGH im Hinblick auf den nunmehr verbindlichen Art. 28 GRC seine Rechtsprechung ändern würde. Denkbar wäre auch ein Änderungsbedarf der EuGH-Rechtsprechung im Hinblick auf den durch den Vertrag von Lissabon vorgesehenen Beitritt der EU zur EMRK. Deren Art. 11 sieht nach der Auslegung des EGMR ein weitgehendes Streikrecht vor. Auch garantiert die Grundrechtecharta gemäß Art. 52 III GRC inhaltlich den Standard der EMRK als Mindestniveau81. Aus diesen Gründen ist es fraglich, ob der EuGH seine Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung der 78

Vgl. auch Henssler, ZfA 2010, 397 (405 f.). Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 101 m.w. N. – Laval. 80 So auch Henssler, ZfA 2010, 397 (406). 81 Aufgrund dieser Vorschrift sieht Fütterer, EuZA 2011, 505 (515 f.) Änderungsbedarf hinsichtlich der Auslegung von Art. 28 GRC. 79

162

§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

Unionsgrundrechte an die EMRK in der Interpretation durch den EGMR anpassen könnte. Zwar stützt sich der EuGH bereits seit Langem bei der Entwicklung von Unionsgrundrechten auf die Rechtsprechung des EGMR82. Gleichwohl ist auch hier die bestehende Kompetenzordnung der Union zu beachten. Durch die Grundrechtecharta hat sich gemäß Art. 51 II GRC keine kompetentielle Änderung ergeben. Auch Art. 52 III GRC kann insoweit nur im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten gelten. Damit können die Unionsgrundrechte einschließlich derer, die sich aus der GRC ergeben, weder eigenständige Gewährleistungen noch Mindeststandards hinsichtlich der Materien, für die die Union nicht zuständig ist, beinhalten. Nach Art. 153 V AEUV ist die Union unzuständig für das Streikrecht. Dieser Gesichtspunkt spricht gegen einen zwingenden Anpassungsbedarf der EuGH-Rechtsprechung83.

II. Völkerrechtliche Vorgaben Die Bundesrepublik Deutschland ist an mehrere völkerrechtliche Vereinbarungen gebunden, die einen Bezug zum Streikrecht haben. In diesem Zusammenhang sind Art. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta (ESC), das Abkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sowie Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von Interesse. Auf diese Regelungen muss nunmehr der Blick gerichtet werden. Zu untersuchen ist, inwieweit sich hieraus ein Streikrecht ergibt, und ob es in seinem Umfang weiter geht als Art. 9 III GG. Dies ist nicht nur allgemein, sondern auch hinsichtlich der hier zu untersuchenden Frage nach einem Streikrecht kirchlicher Mitarbeiter von Interesse. So wird der nach deutschem Recht erforderliche Tarifbezug eines Streiks teilweise für unvereinbar mit den internationalen Streikgarantien gehalten. Eine Unvereinbarkeit des Tarifbezuges mit den völkerrechtlichen Vereinbarungen hätte möglicherweise Folgen in Bezug auf die Frage, ob ein Streik im Dritten Weg denkbar ist. Insofern ist zu klären, ob die Kritik am deutschen Arbeitskampfrecht zutreffend ist. Wäre dies der Fall, müssten gegebenenfalls Anpassungen des deutschen Arbeitskampfrechts erfolgen, denn immerhin ist die Bundesrepublik völkerrechtlich zur Einhaltung der Vereinbarungen verpflichtet. Zu untersuchen wäre dann auch, ob diese Anpassungen durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung vorgenommen werden könnten oder ob Gesetzesänderungen notwendig wären. 1. Art. 6 Nr. 4 ESC Die Europäische Sozialcharta (ESC) ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Staaten des Europarates, der die Mitglieder zur Gewährung näher bezeichne82 83

Vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.1979 – 44/79, Slg. 1979, S. 3727, Rn. 15 – Hauer. A. A. Fütterer, EuZA 2011, 505 (519).

II. Völkerrechtliche Vorgaben

163

ter sozialer Rechte verpflichtet. Von Belang ist in diesem Zusammenhang Art. 6 Nr. 4 ESC, der ausdrücklich ein Streikrecht gewährleistet. Danach verpflichten sich die Vertragsparteien, die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen dadurch zu gewährleisten, dass sie das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen, anerkennen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zumindest völkerrechtlich an diesen Vertrag gebunden84. Insofern stellt sich die Frage, wie weit dieses Streikrecht reicht und ob das deutsche Arbeitskampfrecht mit Art. 6 Nr. 4 ESC vereinbar ist. a) Bedenken gegen die ESC-Konformität des deutschen Arbeitskampfrechts Hinsichtlich der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit Art. 6 Nr. 4 ESC bestehen Bedenken von Seiten des Ministerkomitees des Europarats. Dieses hat bereits im Jahre 1998 auf Grundlage eines Berichtes des vorgeschalteten Ausschusses eine individuelle Empfehlung an die Bundesregierung gerichtet, die Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu berücksichtigen. Danach schränke das deutsche Recht in zwei Punkten die Sozialcharta unzulässig ein85: Einerseits sei der Tarifbezug als Zulässigkeitsvoraussetzung für Streiks nicht mit der ESC vereinbar. Auch politische Streiks müssten demnach zulässig sein. Andererseits sei auch das gewerkschaftliche Streikmonopol nicht mit Art. 6 Nr. 4 ESC in Einklang zu bringen. Aus diesem Grund hat der Ministerrat die Empfehlung an die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen, das Streikrecht entsprechend anzupassen86. b) Stellungnahme Diese Einschätzung ist indessen umstritten und erscheint tatsächlich unzutreffend. Zunächst sprechen gewichtige Erwägungen aus Gründen des Gesetzeswortlautes und der Systematik gegen die Auslegung des Ministerkomitees: Dies liegt zunächst daran, dass aufgrund des Wortlautes des Einleitungssatzes in Art. 6 ESC Streikmaßnahmen nur anerkannt sind, „um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten“. Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass sich aus Art. 6 Nr. 4 ESC kein politisches Streik84 Vgl. statt aller BAG, Urt. v. 12.09.1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (350); Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (106); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 958; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20, Rn. 19 ff.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 55; weitergehend und subjektive Rechte aus Art. 6 Nr. 4 ESC herleitend Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 136. 85 Deutsche nichtamtliche Übersetzung AuR 1998, 154 Rn. 82. 86 Empfehlung des Ministerrates, Rn. 90.

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

recht herleiten lässt, sondern nur das Recht, Streiks zur Erreichung von kollektiven Regelungen durchzuführen87. Fraglich erscheint zudem, ob sich die Zulässigkeit sogenannter „wilder Streiks“, d.h. nicht gewerkschaftlich getragener Streiks, aus Art. 6 Nr. 4 ESC tatsächlich zwingend ergibt88: Zwar garantiert der Wortlaut den Arbeitnehmern und nicht ihren Organisationen das Streikrecht. Trotzdem gewährleistet Art. 6 Nr. 4 ESC kein individuelles Grundrecht auf Streik, das völlig losgelöst von dem erstrebten Kollektivvertrag existiert, weil das Streikrecht nur zur Unterstützung von Kollektivverhandlungen besteht. Diese Kollektivverhandlungen muss aber eine (wie auch immer zusammengesetzte) Interessenvertretung führen89. Aufgrund dieses Zusammenhanges erscheint die Zulässigkeit wilder Streiks zumindest nicht zwingend geboten. Selbst dann, wenn man wie der Sachverständigenausschuss einen derart weitreichenden Schutzbereich herleiten will, ist dennoch die mitgliedstaatliche Möglichkeit einer Einschränkung des Streikrechts nach Art. 31 ESC zu beachten. Hiernach sind Einschränkungen zugelassen, wenn diese „gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer [. . .] notwendig sind“. Diese Befugnis aufgrund des Wortlautes „gesetzlich vorgeschrieben“ lediglich dem formellen Gesetzgeber zuzusprechen erscheint nicht sachgerecht, da die deutschen Gerichte aufgrund des insoweit untätigen Gesetzgebers diesen als Ersatzgesetzgeber vertreten90. Zudem wendet die gesetzesvertretende Rechtsprechung die ESC ausdrücklich als Rechtsquelle an. Auch der EGMR legt eine entsprechende Formulierung in der Konvention nicht als Erfordernis eines formellen Gesetzes aus, sondern lässt Richterrecht grundsätzlich genügen91. Im Übrigen ergeben sich die Einschränkungen des Streikrechts hinsichtlich des Tarifbezugs und des gewerkschaftlichen Streikmonopols unmittelbar aus dem Funktionszusammenhang von Tarifautonomie und Arbeitskampf und werden insoweit direkt aus Art. 9 III GG entwickelt. Damit ließe sich sogar das Vorliegen einer formellgesetzlichen Regelung vertreten. Die Restriktionen im Bereich des deutschen Arbeitskampfrechts beruhen im Wesentlichen auf Erwägungen zum Schutze der Rechte und Interessen Dritter, so dass die Anforderungen an das Ziel erfüllt sind. „In einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ im Sinne von Art. 31 Nr. 1 ESC sind diese Regelungen, wenn sie verhältnismäßig und damit insbesondere angemessen sind. Eine Verhältnismäßigkeit ist gegeben, wenn die Beschränkung 87

Zutreffend Rieble, RdA 2005, 200 (205). Deutlicher und weitergehend Rieble, RdA 2005, 200 (205). 89 Hierzu zutreffend Rieble, RdA 2005, 200 (205). 90 Vgl. auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 137 f. 91 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 10.11.2005 – 44774/98, NVwZ 2006, 1389, Nr. 88 – Leyla Sahin/Türkei. 88

II. Völkerrechtliche Vorgaben

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des Rechts nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck steht. Dies wird man im Ergebnis annehmen können, wenn die Arbeitnehmer auf andere Art und Weise ihre Beteiligungsrechte durchsetzen können92. Für das im internationalen Verhältnis restriktive deutsche Arbeitskampfrecht ist zu berücksichtigen, dass die Sicherung der Arbeitnehmerrechte bzw. die Interessenvertretung der Beschäftigten im deutschen System des kollektiven Arbeitsrechts nicht nur durch das Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht verwirklicht wird, sondern dass Mitbestimmungsrechte im Bereich der Unternehmensmitbestimmung sowie der betrieblichen Mitbestimmung bestehen, die erheblich weiter als in anderen Rechtsordnungen reichen93. Soweit im Rahmen der Mitbestimmung keine Einigung erzielt werden kann, stehen den Parteien andere interessengerechte und funktionierende kooperative Konfliktlösungsmechanismen als Streikmaßnahmen wie beispielsweise Schlichtungen zur Verfügung. Insoweit sind hier gar keine (wilden) Streiks erforderlich, damit die Arbeitnehmer ihre Interessen vertreten und durchsetzen können94. In den Mitgliedstaaten, in denen sog. wilde Streiks zulässig sind, bestehen derart weitreichende Mitbestimmungsrechte wie in Deutschland nicht. Insofern hat die Zulassung wilder Streiks und Streiks ohne Tarifbezug nicht dieselbe Bedeutung wie in anderen Mitgliedstaaten95. Der pauschale Vorwurf des Ministerkomitees ist insofern zu einseitig und inhaltlich nicht zutreffend. Damit sind die Einschränkungen jedenfalls nach Art. 31 ESC gerechtfertigt. Insofern kann das deutsche Recht als mit Art. 6 Nr. 4 ESC vereinbar angesehen werden, so dass sich aus dieser Regelung nicht die Notwendigkeit ergibt, einen Streik im Dritten Weg zuzulassen. c) Verbindlichkeit der Empfehlungen des Ministerkomitees Doch unabhängig davon, ob man vorstehende Überlegungen teilt, sind die eingangs beschriebenen Empfehlungen des Ministerkomitees nach überwiegender und zutreffender Auffassung rechtlich nicht bindend96. Das Ministerkomitee ist nicht zur authentischen Interpretation der ESC berufen. Schon der Wortlaut „Empfehlung“ drückt aus, dass es gerade keine strikte Pflicht zur Befolgung und inhaltlichen Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber geben soll. Das Recht des Ministerkomitees, Empfehlungen auszusprechen, ist, auch verglichen mit den

92

Zutreffend Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (112). Darauf weist mit Recht Kerwer, EuZA 2008, 335 (351 f.) hin. 94 Vgl. Kerwer, EuZA 2008, 335 (351 f.) sowie die Aussagen auch des deutschen Regierungsvertreters im Regierungsausschuss, AuR 1998, 154 (156). 95 So auch der deutsche Regierungsvertreter im Regierungsausschuss, abgedruckt in AuR 1998, 154 (156). 96 Vgl. statt vieler: Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (107); Däubler, AuR 1998, 141 (147); Franzen, EuZA 2010, 453 (454); Kerwer, EuZA 2008, 335 (351); Konzen, in: FS Buchner, S. 462 (472); Rieble, RdA 2005, 200 (204). 93

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

gemäß Art. 46 I EMRK bestehenden Folgepflichten der Vertragsparteien gegenüber den Urteilen des EGMR, eine schwächere Form der Überwachung der Einhaltung der ESC97. Zwar muss den Empfehlungen eine gewisse Autorität zugestanden werden98. Insoweit sind diese Empfehlungen nicht unbeachtlich. Der nationale Gesetzgeber kann sie damit nicht übergehen, sondern muss sie berücksichtigen. Er muss sie daher sorgfältig prüfen und feststellen, ob er Handlungsbedarf sieht, es sei denn höherrangiges Recht steht den Empfehlungen entgegen99. Gleichwohl ist damit kein Interpretationsmonopol verbunden100. Auch ist zu beachten, dass die revidierte Fassung der ESC, die den Sachverständigenausschuss zu einer „allgemeinen Rechtsauslegungsinstanz umgestaltet“ und ihm insoweit gewisse Überwachungsrechte zugesteht, von der BRD nicht ratifiziert worden ist101. Mit dieser Erkenntnis und aufgrund der angestellten inhaltlichen Überlegungen ist das deutsche Recht insbesondere im Hinblick auf den Tarifbezug als mit Art. 6 Nr. 4 ESC konform zu betrachten. Damit ergeben sich für die Möglichkeit eines Streiks im Dritten Weg aus der ESC keine zu berücksichtigenden Besonderheiten. 2. Übereinkommen im Rahmen der IAO Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die soziale Gerechtigkeit, Menschen- und Arbeitsrechte fördert102. Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied in dieser Organisation103. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Abkommen getroffen. Mit dem IAO-Übereinkommen Nr. 87 ist ein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen worden, der sich auf den Schutz der Vereinigungsfreiheit bezieht und in Deutschland seit der Ratifikation gemäß Art. 59 II GG im Rang eines einfachen Bundesgesetzes steht104. Inwieweit diese Übereinkunft ein Streikrecht beinhaltet, ist nicht abschließend geklärt. Im Wortlaut des Übereinkommens ist ein Streikrecht nicht ausdrücklich angelegt. Die zuständigen Überwachungsorgane sind der Sachverständigenausschuss und der Ausschuss für die Vereinigungsfreiheit105. Diese leiten aus Art. 3 und 10 ein sehr weitreichendes Streikrecht her, nach dem der

97

In diese Richtung gehend auch Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (107). So zutreffend Rieble, RdA 2005, 200 (204); weitergehend Fütterer, EuZA 2011, 505 (513). 99 So auch Bepler, in: FS Wißmann, S. 97 (107). 100 Vgl. auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (351); Konzen, in: FS Buchner, S. 462 (472). 101 Rieble, RdA 2005, 200 (204); vgl. die Ausführungen der Bundesregierung, BTDrucks. 13/11415, S. 9 f., 17 f. 102 Ricken, in: MünchArbR II, § 197 Rn. 22. 103 Ipsen, in: HStR X, § 220 Rn. 7. 104 Ricken, in: MünchArbR II, § 197 Rn. 22. 105 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 43. 98

II. Völkerrechtliche Vorgaben

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Tarifbezug eines Streiks keine Zulässigkeitsvoraussetzung ist106. Deren Empfehlungen sind indessen – ebenso wie diejenigen des Ministerkomitees der ESC – nicht bindend107. Eine verbindliche Auslegung der IAO-Übereinkommen erfolgt gemäß Art. 37 der Verfassung der IAO durch den Internationalen Gerichtshof (IGH), der bislang noch nicht Stellung genommen hat108. Aus diesem Grunde ist für die Auslegung bisher allein der Wortlaut der Übereinkunft maßgeblich. Dieser weist hinsichtlich eines Streikrechts keinen über die nationale Gewährleistung des Art. 9 III GG hinausgehenden Inhalt auf. Lediglich kann angenommen werden, dass eine ganz allgemein gehaltene Gewährleistung des Streikrechts von dem IAO-Übereinkommen Nr. 87 erfasst ist109. 3. Art. 11 EMRK Im Folgenden muss der Frage nachgegangen werden, ob und gegebenenfalls mit welchem Umfang sich aus der EMRK ein Streikrecht herleiten lässt. Diese ist zwar wie die ESC ein völkerrechtlicher Vertrag. Gleichwohl kann sich der Einzelne auf die Rechte aus der EMRK unmittelbar berufen und diese gerichtlich geltend machen. Insoweit kommt diesem völkerrechtlichen Vertrag eine besondere Bedeutung zu. Die über die Einhaltung dieses Vertragswerks wachende Gerichtsbarkeit wird durch den EGMR ausgeübt. Dieser überprüft, ob das nationale Recht im Einklang mit den Konventionsrechten steht und legt die Konvention authentisch aus. a) Der Wortlaut des Art. 11 EMRK Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 11 EMRK die Freiheit, zur Wahrnehmung der eigenen Interessen Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, als einen Unterfall der Versammlungs- und der allgemeinen Vereinigungsfreiheit. Damit ist in dieser Vorschrift ein Streikrecht – im Unterschied etwa zu Art. 6 Nr. 4 ESC – nicht ausdrücklich angelegt. Gewisse textliche Ähnlichkeiten lassen sich insoweit zu Art. 9 III GG feststellen, der einerseits die Freiheit gewährt, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen, und der nach seinem Wortlaut ebenfalls ein Streikrecht nicht ausdrücklich garantiert.

106 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 46; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 57. 107 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 47; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 57; Ricken in: MünchArbR II, § 197 Rn. 23. 108 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 47; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 57. 109 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 20 Rn. 46; Ricken, in: MünchArbR II, § 197 Rn. 23.

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

b) Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 11 I EMRK Ursprünglich hat der EGMR angenommen, dass Art. 11 I EMRK den Schutz von Arbeitskampfmaßnahmen nicht umfasse110. Art. 11 I EMRK erfasse zwar auch die Freiheit, die beruflichen Interessen der Mitglieder einer Gewerkschaft durch kollektive Maßnahmen zu vertreten. Allerdings überlasse Art. 11 EMRK den Mitgliedstaaten die Wahl der Mittel, die sie zu diesem Zweck garantieren wollen. Auch wenn das Streikrecht das bedeutendste Mittel zur kollektiven Interessenvertretung sei, sei es nicht das einzige. Das Streikrecht sei auch nicht ausdrücklich in Art. 11 I EMRK verankert und könne deshalb durch das innerstaatliche Recht eingeschränkt werden. Art. 11 EMRK verlange lediglich, dass Gewerkschaftler mit Hilfe ihrer Organisationen für die Verteidigung ihrer beruflichen Interessen kämpfen können. Von dieser Auslegung hat der Gerichtshof mittlerweile Abstand genommen. Der EGMR hat erstmals in der Entscheidung Demir und Baykara111 aus Art. 11 EMRK ein Recht auf Kollektivverhandlungen hergeleitet und einen allumfassenden Ausschluss von Beamten aus dem Anwendungsbereich verneint. Mit dem Rechtsprechungswandel will der EGMR auf Entwicklungen in den nationalen Rechtsordnungen sowie im Bereich der internationalen Verträge reagieren. Der EGMR sieht die Menschenrechtskonvention als lebendes Vertragswerk an, das im Hinblick auf die aktuellen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgelegt werden müsse112. Dies habe zur Folge, dass sich aufgrund der Entwicklungen der Schutzumfang verändern könne. Auch sind die Rechte aus der EMRK nach Auffassung des Gerichthofes so auszulegen, dass sie effektiv sind113. Methodisch stützt der EGMR seine Rechtsprechungsänderung auf die These, dass er bei der Auslegung der EMRK auch die entsprechenden Bestimmungen anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen zu berücksichtigen habe114. Daher seien die einschlägigen Bestimmungen der ESC oder der IAO-Abkommen und deren Auslegung durch die jeweils zuständigen Organe wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung der EMRK. Auch habe der EGMR zu berücksichtigen, wie die fragliche Materie in der Mehrheit der Mitgliedstaaten geregelt sei. Soweit es 110 Siehe hierzu etwa EGMR, Urt. v. 06.02.1976 – Nr. 5589/72, EGMR-E 1, 172, Nr. 36 – Schmidt und Dahlström/Schweden. 111 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269–274 – Demir und Baykara/Türkei. 112 Vgl. bereits EGMR, Urt. v. 25.04.1978 – 5856/72, EGMR-E 1, 268, Nr. 31 – Tyrer/Vereinigtes Königreich; EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 68 – Demir und Baykara/Türkei; vgl. hierzu auch Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 32. 113 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 65 – Demir und Baykara/Türkei. 114 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 85 – Demir und Baykara/Türkei.

II. Völkerrechtliche Vorgaben

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Übereinstimmungen gebe zwischen der Auslegung der völkerrechtlichen Vereinbarungen durch die zuständigen Organe und der Praxis in der Mehrheit der Mitgliedstaaten, sei dies eine wichtige Rechtserkenntnisquelle für den EGMR. Es komme ihm darauf an, dass ein gemeinsames Verständnis der Mitgliedstaaten bestehe115. Ob der konkrete Staat, dessen Recht der EGMR auf Vereinbarkeit mit der EMRK überprüft, die einschlägigen völkerrechtlichen Vereinbarungen ratifiziert habe, sei demgegenüber unerheblich116. Diesen Ansatz zugrunde legend, führt der EGMR aus, dass in den internationalen Bestimmungen bzw. deren Auslegung durch die zuständigen Überwachungsgremien ein Recht auf Kollektivverhandlungen anerkannt sei, das auch für Mitglieder des öffentlichen Dienstes gelte. Ein solches sei auch in der Mehrheit der Mitgliedstaaten anerkannt. Demnach bestehe auch nach Art. 11 I EMRK ein Recht auf Kollektivverhandlungen, und dies gelte auch für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Jede Beschränkung dieses Rechts müsse sich an Art. 11 II EMRK messen lassen117. Der EGMR hat diesen Ansatz weiterentwickelt und auch ein Streikrecht aus Art. 11 EMRK als Bestandteil der koalitionsspezifischen Betätigung hergeleitet118. Dabei hat der EGMR die Konvention auf der Grundlage der soeben dargestellten Methodik ausgelegt. Er hat im Hinblick auf den Umfang und die Einschränkungsmöglichkeiten auf die bezeichneten internationalen Vertragswerke und Mehrheit der mitgliedstaatlichen Regelungen abgestellt. Das hiernach festgestellte Streikrecht gelte dem Grunde nach auch für Beamte. Zwar könne es für Beamte, die hoheitliche Funktionen ausüben, ausgeschlossen werden, jedoch nicht für alle Beamten119. Diese Rechtsprechung, mit der der EGMR einen Paradigmenwechsel vollzogen hat120, ist Gegenstand zahlreicher kritischer Anmerkungen aus der Literatur geworden121. Teilweise hat die Rechtsprechung aber auch Zustimmung erfahren122. Unabhängig von den geltend gemachten Einwänden stellen die Entscheidungen

115 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 86 – Demir und Baykara/Türkei. 116 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 86 – Demir und Baykara/Türkei. 117 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 108, Nr. 154 – Demir und Baykara/Türkei. 118 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274, Nr. 24 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 119 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274, Nr. 32 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 120 Fütterer, EuZA 2011, 505 (511); vgl. auch Franzen, EuZA 2010, 453 (455). 121 Vgl. z. B. Battis, ZBR 2011, 397 ff.; Götz, Kirchenklauseln, S. 189 f.; Schubert, AöR 137 (2012), 92 (100–102); Seifert, KritV 2009, 357 ff.; Weiß, EuZA 2010, 457 ff. 122 So etwa Fütterer, EuZA 2011, 505 ff.; Lörcher, AuR 2009, 88 ff.

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des EGMR jedoch authentische Interpretationen der EMRK dar. Insoweit sind sie zu beachten und zu berücksichtigen. c) Denkbare Folgen der Entscheidungen Daher ist zu untersuchen, welche Bedeutung diesen Entscheidungen für das deutsche Arbeitskampfrecht und für die Zulässigkeit des kirchlichen Streikausschluss zukommt. Als Ausgangspunkt kann festgehalten werden, dass der Schutzbereich von Art. 11 I EMRK nach Auffassung des EGMR ein Streikrecht enthält. Dieses gilt dem Grunde nach auch für Beamte. Einschränkungen nach Art. 11 II EMRK sind prinzipiell möglich, in dem konkret vom EGMR zu entscheidenden Fall führte die Einschränkungsmöglichkeit allerdings nicht zu einem vollständigen Ausschluss der Beamten vom Streikrecht, sondern nur dazu, einen Ausschluss derjenigen Beamten, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, vornehmen zu können123. aa) Praktische Auswirkungen auf das deutsche Streikrecht Die praktischen Auswirkungen der EGMR-Entscheidungen auf das deutsche Streikrecht sind jedenfalls beträchtlich. Deutsche Verwaltungsgerichte haben als Reaktion darauf teilweise das statusbezogene Streikverbot für Beamte in Frage gestellt, zum Teil wird es allerdings auch aufrechterhalten: Während das VG Kassel 124 aufgrund der EGMR-Entscheidungen Art. 33 V GG derart auslegt, dass nur Beamte, die hoheitliche Funktionen wahrnehmen, einem Streikverbot unterfallen, betont das VG Düsseldorf 125 den Vorrang des grundgesetzlich verankerten Streikverbotes, hält aber die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen der EGMR-Entscheidungen für unzulässig. Das VG Osnabrück126 kommt zu dem Ergebnis, dass ein funktionsbezogenes Streikrecht gegen Art. 33 V GG verstoßen würde und hält daher nach wie vor an der Unzulässigkeit eines Beamtenstreiks fest. In der zweiten Instanz127 ist das Streikverbot für Beamte bestätigt worden. Mittlerweile hat sich auch das BVerwG mit dem Beamtenstreikverbot befasst. Das Gericht führt aus, dass das an den Beamtenstatus anknüpfende Streikverbot ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums sei128. Daher ergebe sich 123 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274 Nr. 32 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 124 VG Kassel, Urt. v. 27.07.2011 – 28 K 574/10.KS.D, ZBR 2011, 386 (387 f.). 125 VG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2010 – 31 K 3904/10.O, ZBR 2011, 177 (178). 126 VG Osnabrück, Urt. v. 19.08.2011 – 9 A 2/11, ZBR 2011, 389 (390 f.); ebenso VG Bremen, Urt. v. 03.07.2012 – D K 20/11. 127 OVG Lüneburg, Urt. v. 12.06.2012 – 20 BD 8/11, ZBR 2013, 57 (58); OVG Münster, Urt. v. 07.03.2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (895). 128 BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (618).

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das Beamtenstreikverbot aus Art. 33 V GG129. Dieses Streikverbot sei allerdings mit Art. 11 EMRK unvereinbar, weil der EGMR einen generellen Ausschluss des Streikrechts nur für solche Beamte akzeptiere, die Aufgaben der hoheitlichen Staatsverwaltung erfüllen130. Der Widerspruch zwischen dem in Art. 33 V GG enthaltenen statusbezogenen Streikverbot und Art. 11 EMRK könne nicht durch eine konventionskonforme Auslegung des Art. 33 V GG aufgelöst werden131. Vielmehr müsse der Bundesgesetzgeber Regelungen zum Statusrecht der Beamten treffen, um eine Vereinbarkeit der deutschen Rechtslage mit Art. 11 EMRK herbeizuführen132. Bis entsprechende Regelungen verabschiedet worden seien, sei das sich aus Art. 33 V GG ergebende Streikverbot für Beamte weiterhin geltendes Recht133. Auch in der Literatur ist eine Diskussion hinsichtlich der Zulässigkeit von Beamtenstreiks entbrannt. Während teilweise vertreten wird, dass das statusbezogene Beamtenstreikverbot im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung beseitigt werden könne bzw. müsse134, wird von anderen zwar eine Konventionswidrigkeit des deutschen Beamtenstreikverbots angenommen, der aber nur durch eine Verfassungsänderung abgeholfen werden könne135. Nach anderer Ansicht sei das statusbezogene Streikverbot aus Art. 33 V GG mit der EMRK jedenfalls vereinbar, wenn das Berufsbeamtentum auf die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse beschränkt werde; Bedienstete, die keine hoheitliche Tätigkeit ausüben, müssten künftig im Angestelltenverhältnis beschäftigt werden136. Für „Bestandbeamte“, die nichthoheitliche Aufgaben wahrnehmen, müsse als Übergangsregelung ein „beamtenähnliches Dienstverhältnis eigener Art“ geschaffen werden, bei dem das Alimentationsprinzip durch Tarifautonomie und Arbeitskampf ersetzt werde137. Wieder andere wollen das Berufsbeamtentum nicht auf hoheitliche Tätigkeit beschränken, sondern meinen, das deutsche statusbezogene Streikverbot sei konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, sofern die Betätigungsrechte der Beamtenverbände bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen gestärkt werden und somit eine „effektive Geltendmachung der Beschäftigteninteressen auch ohne Streik“ möglich sei138. Andere sehen die derzeitige deutsche Rechtslage als mit 129

BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (618). BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (619 f.). 131 BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (621). 132 BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (617, 620 f.). 133 BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (617). 134 So etwa Gooren, ZBR 2011, 400 (406); Lörcher, AuR 2009, 229 (242); Strake, Streikrecht, S. 38; etwas zurückhaltender Battis, ZBR 2011, 397 (399). 135 So etwa Seifert, KritV 2009, 357 (377); Widmaier/Alber, ZEuS 2012, 387 (414 f.). 136 Traulsen, JZ 2013, 65 (69 f.). 137 Traulsen, JZ 2013, 65 (72). 138 So Schubert, AöR 137 (2012), 92 (107); in diese Richtung gehend auch Greiner, DÖV 2013, 622 (622 f.; 626), der den Dritten Weg der Kirchen als Vorbild ansieht. 130

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den EMRK-Bestimmungen im Einklang stehend an139, insbesondere weil im Unterschied zu dem öffentlichen Dienst der Türkei das Streikverbot hier nur Beamte betrifft und nicht schlechthin alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten140. Insoweit sei die Rechtslage eine ganz andere, so dass keine Übertragbarkeit der Entscheidungen eins zu eins auf die deutsche Rechtslage möglich sei. Problematisch könnte auch ein weiterer Punkt des deutschen Streikrechts sein: Es erscheint fraglich, ob der EGMR das deutsche Arbeitskampfrecht im Hinblick auf den Tarifbezug akzeptieren würde141. So hat der EGMR die Streikteilnahme von Beamten an einem gewerkschaftlichen nationalen Aktionstag zugelassen, der als Protest gegen den Gesetzesentwurf zur Organisation des öffentlichen Dienstes ausgerichtet wurde142. Damit hat der Gerichtshof zumindest in diesem Zusammenhang auch politischen Protest als ein zulässiges Streikziel anerkannt, so dass es möglich erscheint, dass nach Auffassung des EGMR auch politische Streiks vom Schutz des Art. 11 EMRK erfasst sind143. Insofern hat es den Anschein, dass der EGMR das Streikrecht nicht streng funktional bezogen auf den erstrebten Tarifvertrag konzipiert, sondern autonom und damit in der Tendenz offener als Art. 9 III GG144. Bedenken gegen den nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug von Arbeitskampfmaßnahmen könnten sich auch im Hinblick auf die den deutschen Tarifbezug ablehnende Empfehlung des Ministerkomitees ergeben, da die ESC nunmehr Auslegungshilfe des EGMR ist145. bb) Folgerungen für den kirchlichen Streikausschluss Damit stellt sich die Frage, was diese Entscheidungen für den kirchlichen Streikausschluss bedeuten könnten. Der EGMR hat in seiner gegen die Türkei ergangenen Entscheidung zum Beamtenstreik verdeutlicht, dass ein Ausschluss aller Beamten vom Streikrecht konventionsrechtlich nicht haltbar war. Dies kann so zu verstehen sein, dass nach Auffassung des EGMR keine Beschäftigtengruppe von vornherein vom Streikrecht ausgeschlossen sein soll. Eine Differenzierung, die zu einem Streikausschluss für diejenigen Beamten führt, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, sei allerdings denkbar. Dieser Gedanke ist möglicherweise auf die kirchlichen Ar139 Bitsch, ZTR 2012, 78 (81); Di Fabio, Streikverbot, S. 28 f.; Lindner, DÖV 2011, 305 (308); so auch OVG Münster, Urt. v. 07.03.2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (897). 140 Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, 34 f.; so auch OVG Münster, Urt. v. 07.03. 2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (897). 141 Gooren, ZBR 2011, 400 (404); Seifert, EuZA 2013, 205 (220). 142 EGMR, Urt. v. 27.03.2007 – 6615/03, AuR 2011, 303, Nr. 30 – Karaçay/Türkei. 143 Seifert, EuZA 2013, 205 (216). 144 So auch Walter, ZevKR 2012, 233 (258). 145 So auch Gooren, ZBR 2011, 400 (404).

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beitsverhältnisse übertragbar146. Es könnte angenommen werden, dass konventionsrechtlich auch hier eine Differenzierung erforderlich würde. Denjenigen Mitarbeitern, die im Bereich der Verkündigung arbeiten, könnte ein Streik verboten werden, verkündigungsfernen Mitarbeitern aber nicht. Als problematisch für den kirchlichen Streikausschluss könnte es sich ebenfalls erweisen, wenn der EGMR den Tarifbezug eines Streiks nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Streik ansieht. Sofern sich der Tarifbezug, der zu Einschränkungen der Streikbefugnisse führt, als konventionsrechtlich nicht haltbar erweisen sollte, könnte dies Folgen in Bezug auf die Frage haben, ob ein Streik im Dritten Weg prinzipiell denkbar ist. Art. 9 III GG legt es nahe, diese Frage zu verneinen. Fraglich ist aber, ob die Zulässigkeit eines solchen Streiks wegen Art. 11 EMRK geboten wäre. d) Einschränkbarkeit des Streikrechts nach Art. 11 II EMRK Die soeben angestellten Überlegungen betreffen in erster Linie den Schutzbereich des Art. 11 I EMRK. Dieser und damit auch das Streikrecht kann allerdings unter den Voraussetzungen des Art. 11 II EMRK eingeschränkt werden. Auch der EGMR sieht das Streikrecht nicht als schrankenlos gewährleistet an147. Damit stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Einschränkung möglich ist. Nach Art. 11 II 1 EMRK kann die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, und damit auch das Streikrecht, eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, notwendig ist. Zudem sieht Absatz 2 Satz 2 besondere Modalitäten vor, soweit es um Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung geht. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Einschränkungen ist zunächst, dass diese gesetzlich vorgesehen sind. Dies könnte im Hinblick darauf, dass das deutsche Arbeitskampfrecht keine formellgesetzliche Grundlage hat, sondern Richterrecht ist, problematisch sein. Ein derart enges Verständnis dieser Voraussetzung wird vom EGMR jedoch zu Recht nicht vertreten. Ob eine Einschränkung gesetzlich vorgesehen sei, setze vielmehr zunächst voraus, dass die Beschränkung selbst eine Rechtsgrundlage im staatlichen Recht habe148. Auch müsse diese Grundlage öffentlich zugänglich und derart bestimmt sein, dass Folgen eines 146

Zu dieser Frage ausführlich unter § 6 II. 4. f). EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274 Nr. 32 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 148 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 10.11.2005 – 44774/98, NVwZ 2006, 1389 Nr. 84 – Leyla Sahin/Türkei. 147

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möglichen Verhaltens vorhersehbar seien, so dass das eigene Verhalten danach eingerichtet werden könne149. Gesetzlich vorgesehen sei im materiellen Sinne zu verstehen und umfasse sowohl formelles Recht sowie untergesetzliche Normen und Regelungen, die Selbstverwaltungsträger aufgrund ihrer Satzungsautonomie vorgenommen haben, aber auch ungeschriebenes Recht und Richterrecht150. Ein Gesetz sei mithin die geltende Vorschrift, wie sie die zuständigen Gerichte ausgelegt haben151. Werden diese Kriterien zugrunde gelegt, lässt sich das deutsche Arbeitskampfrecht unproblematisch den Gesetzen zuordnen, denn letztlich geht es um die Auslegung des Art. 9 III GG durch die zuständigen Gerichte. Diese ist veröffentlicht und derart bestimmt, dass der Einzelne notfalls unter Zuhilfenahme eines Sachkundigen sein Verhalten hieran ausrichten kann. Auch wird man nicht zu weit gehen, wenn die kirchlichen Regeln, die diese in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts treffen, als Gesetze im Sinne des Art. 11 II EMRK angesehen werden. Denn die Kirchen werden hierbei ähnlich wie Selbstverwaltungsträger tätig, die von ihrer Satzungsautonomie Gebrauch machen. Des Weiteren muss die Einschränkung einem in Art. 11 II EMRK genannten Zweck dienen. Für das Arbeitskampfrecht kommt in erster Linie der Schutz der Rechtsgüter Dritter als Zweck in Betracht. In besonders harten Arbeitskämpfen oder bei Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge sind Einschränkungen auch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Gesundheit denkbar. Die Einschränkungen des Streikrechts, die die Kirchen vornehmen, erfolgen zum Schutze des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen, das nach Art. 9 EMRK ebenfalls anerkannt ist. Damit dient der kirchliche Streikausschluss dem Schutz der Rechtsgüter Dritter und ist damit im Prinzip möglich. Schließlich muss die Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Dies soll nur der Fall sein, wenn die Einschränkung einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck steht152. An dieser Stelle ist folglich eine Abwägung zwischen den geschützten Rechtsgütern und der Beeinträchtigung der Streikfreiheit vorzunehmen153. Dies verdeutlicht der Wortlaut des Art. 11 II EMRK dadurch, dass die Beschränkung der Freiheit „notwendig“ sein muss. Hinsichtlich der Ein149 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 10.11.2005 – 44774/98, NVwZ 2006, 1389 Nr. 84 – Leyla Sahin/Türkei. 150 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 10.11.2005 – 44774/98, NVwZ 2006, 1389 Nr. 88 – Leyla Sahin/Türkei. 151 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 10.11.2005 – 44774/98, NVwZ 2006, 1389 Nr. 88 – Leyla Sahin/Türkei. 152 Vgl. Arndt/Schubert, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 11 Rn. 55 i.V. m. Rn. 35 i.V. m. Rn. 15. 153 Vgl. Arndt/Schubert, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 11 Rn. 55 i.V. m. Rn. 35 i.V. m. Rn. 16.

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schränkbarkeit nach Satz 2 hat der EGMR einen vollständigen Ausschluss des Streikrechts aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes als nicht notwendig erachtet154. Insoweit wendet der EGMR offenkundig das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch für Satz 2 an155. Der Gerichtshof lässt Beschränkungen nur zu, soweit überzeugende und zwingende Gründe vorliegen; insgesamt verdeutlicht der EGMR damit, dass er nur im engen Rahmen Einschränkungen zulassen will156. Insoweit ist fraglich, ob das verhältnismäßig restriktive deutsche Arbeitskampfrecht mit seinem Tarifbezug diesen Anforderungen standhält. e) Pflicht zur Anpassung des deutschen Arbeitskampfrechts? Damit stellt sich die Frage, ob hinsichtlich der deutschen Rechtslage Anpassungsbedarf besteht und wie sich dies auf die Zulässigkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen auswirken könnte. Welche Auswirkungen die bisherige EGMR-Rechtsprechung zum Arbeitskampfrecht hat, richtet sich danach, inwieweit eine Bindung an die bereits ergangenen Urteile anzuerkennen ist, in welchen Grenzen sie besteht und welchen Rang die EMRK innerstaatlich hat. Von Bedeutung ist auch, ob angesichts der unterschiedlichen Rechtsordnungen eine „schematische“ Übertragung überhaupt vorzunehmen ist. aa) Bindungswirkung der Entscheidungen Die Entscheidungen zum Recht auf Kollektivverhandlungen und zum Beamtenstreikrecht sind gegen die Türkei ergangen157. In Bezug auf die Bindung an Urteile des EGMR ist zunächst Art. 46 EMRK zu beachten. Dieser ordnet eine inter partes-Wirkung an, so dass unmittelbar nur der Staat, der verurteilt worden ist, an die Entscheidung des EGMR gebunden ist. Der EGMR selbst kann die betreffende mitgliedstaatliche Norm oder das Urteil nicht aufheben, sondern lediglich die Konventionswidrigkeit feststellen158. Vielmehr muss der verurteilte Staat Abhilfe schaffen und nach den Regeln des Völkerrechts den Völkerrechtsverstoß beseitigen159. Der Mitgliedstaat ist insbesondere verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Rechtsverletzung eingestellt wird, und er muss notfalls durch Gesetzesänderungen sicherstellen, dass sich der Konventionsverstoß nicht wie154 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274 Nr. 32 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 155 Vgl. hierzu auch Frowein, in: Frowein/Peuckert, EMRK, Art. 11 Rn. 21. 156 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 119 – Demir und Baykara/Türkei. 157 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269 ff. – Demir und Baykara/Türkei; EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274 ff. – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 158 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (320). 159 Weiß, EuZA 2010, 457 (465).

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derholen kann. Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus Art. 42 und 44 EMRK, nach denen die Urteile des EGMR endgültig sind, sowie aus Art. 46 EMRK, mit dem sich die Vertragsparteien zur Befolgung der gegen sie ergangenen Urteile verpflichtet haben160. Die Rechtsfolgen treffen den jeweils verurteilten Staat nicht nur als Völkerrechtssubjekt, sondern alle staatlichen Organe in Verwaltung und Rechtsprechung161. Die übrigen Mitgliedstaaten, die nicht Partei des Verfahrens sind, sind nicht unmittelbar verpflichtet, Anpassungen ihrer Rechtsordnung aufgrund eines Urteils gegen einen anderen Mitgliedstaat zu veranlassen. Gleichwohl kann es nicht ausreichen, dass die Mitgliedstaaten nur bei einem durch den EGMR festgestellten Konventionsverstoß ihre Rechtsordnung mit der EMRK in Einklang bringen162. Immerhin haben sich die Mitgliedstaaten gemäß Art. 1 EMRK zur Gewährung der Konventionsrechte verpflichtet, und die EMRK steht im Rang eines Bundesgesetzes. Aus diesem Grund ist die EMRK in der Auslegung durch den EGMR bei staatlichem Handeln zu beachten. Insoweit kommt den Urteilen des EGMR faktisch eine Orientierungs- und Leitfunktion zu, die die Mitgliedstaaten zu beachten haben163. Diese Bindung gilt für alle staatlichen Organe und damit auch für die Rechtsprechung164. Neben einer legislativen Anpassung des mitgliedstaatlichen Rechts an die Entscheidungen des EGMR kann der EMRK auch durch die völkerrechtsfreundliche Auslegung Rechnung getragen werden. Daher ist aufgrund der Orientierungs- und Leitfunktion zunächst zu überprüfen, ob ein Anpassungsbedarf an die Entscheidungen besteht. Sofern dies der Fall ist, ist eine völkerrechtsfreundliche Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren geboten. Kann der EMRK durch völkerrechtsfreundliche Auslegung der nationalen Normen nicht Rechnung getragen werden, muss der Gesetzgeber die Rechtslage anpassen. bb) Übertragbarkeit der Entscheidungen auf die deutsche Rechtslage Ob ein Anpassungsbedarf besteht, hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Urteile zum Beamtenstreik, die sich mit der Rechtslage in der Türkei befasst haben, übertragbar sind auf die deutsche Rechtslage. Die Frage, ob das sich bislang aus Art. 33 V GG ergebende umfassende Streikverbot für Beamte einen 160

BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (320). Weiß, EuZA 2010, 457 (466). 162 Grabenwarter, in: HGR IV/2, § 169 Rn. 45; Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 11; so auch Seifert, KritV 2009, 357 (371). 163 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (320); BVerfG, Urt. vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (368); so auch Grabenwarter, in: HGR IV/ 2, § 169 Rn. 45; Nußberger, RdA 2012, 270 (273); Widmaier/Alber, ZEuS 2012, 387 (392) m.w. N. 164 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317 f.). 161

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Verstoß gegen Art. 11 EMRK darstellt165, muss hier nicht näher untersucht werden, da diese Frage nicht die kirchlichen Arbeitnehmer betrifft. Von Bedeutung für die Beurteilung der Zulässigkeit des kirchlichen Streikausschluss ist allerdings die Frage nach dem Tarifbezug. Während Art. 9 III GG von vornherein den Streik begrenzt und nur tarifliche Regelungen für erstreikbar hält, scheint die Konzeption des EGMR an dieser Stelle offener zu sein. Müsste nun der Tarifbezug im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung entfallen, hätte dies Auswirkungen auf das Kirchenarbeitsrecht. Entfiele der Tarifbezug als Zulässigkeitsvoraussetzung, wäre ein Streik im Dritten Weg nicht von vornherein ausgeschlossen. Insofern stellt sich die Frage, ob sich die Aussagen zum Tarifbezug, die durch die EGMR-Entscheidung zum Beamtenstreik getroffen wurden, auf die deutsche Rechtslage übertragen lassen. Dass der nach deutschem Recht erforderliche Tarifbezug möglicherweise keinen Verstoß gegen Art. 11 EMRK darstellt, könnte sich aus dem Umstand ergeben, dass die durch Art. 11 EMRK geschützte Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in Deutschland nicht nur durch Tarifautonomie und Streikrecht wahrgenommen wird, sondern auch durch Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im betrieblichen Bereich und im Bereich der unternehmerischen Entscheidungen. Diese Mitbestimmungsrechte reichen sehr viel weiter als in anderen Mitgliedstaaten166. Insofern bedarf es hier in vielen Fällen gar keines Streikrechts, weil die Interessen der Mitarbeiter auch durch die Mitbestimmungsmöglichkeiten gewahrt werden. Bei Uneinigkeiten von Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretung stehen in vielen Fällen Schlichtungsverfahren mit bindenden Ergebnissen bereit, um zu einer einvernehmlichen und interessengerechten Lösung zu gelangen. Beispielhaft sei hier das Einigungsstellenverfahren nach § 76 BetrVG genannt, das bei vielen Mitbestimmungstatbeständen zur Anwendung kommt. Durch das Nebeneinander von betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung und Tarifautonomie mit Streikrecht werden die Interessen der Arbeitnehmer in einer angemessenen Weise gewahrt167. Wird das kollektive Arbeitsrecht und die hierdurch mögliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer insgesamt beurteilt, spricht viel dafür, dass dies konventionsrechtlich ausreicht. Auch der vom EGMR akzeptierte Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Koordinierung widerstreitender Interessen168 und die Anerkennung nationaler Besonderheiten169 könnten dafür sprechen, dass das deutsche kollektive Arbeitsrecht insgesamt als konventionskonform angesehen werden kann170. 165

So etwa BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (620). Siehe hierzu auch § 5 II. 1. b). 167 Vgl. hierzu Kerwer, EuZA 2008, 335 (352). 168 So etwa EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 42 – Obst/ BRD; EGMR Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 39 – Siebenhaar/ BRD. 169 EGMR, Urt. v. 18.03.2011 – 30814/06, NVwZ 2011, 737 Nr. 68 – Lautsi/Italien. 166

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Wird das Streikrecht allerdings isoliert untersucht, könnte es in der Tat sein, dass es dem EGMR zu eng erscheinen würde. Damit ist es offen, ob das deutsche Arbeitskampfrecht konventionskonform ist. Allerdings könnte die Rechtsprechung des EGMR das deutsche Streikrecht völlig umkrempeln, wenn er tragende Pfeiler wie das Beamtenstreikverbot oder den erforderlichen Tarifbezug für mit der Konvention unvereinbar hielte. cc) Bedeutung der Entscheidungen für den nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug Ob der Tarifbezug einen Verstoß gegen Art. 11 EMRK in der Auslegung des EGMR darstellt, ist derzeit nicht verlässlich feststellbar. Im Folgenden soll wegen der soeben herausgestellten Relevanz dieser Problemstellung für die hier zu behandelnde Frage nach der Zulässigkeit des Streikausschlusses im kirchlichen Dienst, untersucht werden, welche Auswirkungen ein unterstellter Konventionsverstoß hätte. (1) Grenzen völkerrechtsfreundlicher Auslegung Läge in dem nach deutschem Recht erforderlichen Tarifbezug von Streikmaßnahmen ein Konventionsverstoß, stellt sich zunächst die Frage, ob diese im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung beseitigt werden könnte. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung ordnet das Grundgesetz nach Ansicht des BVerfG selbst an; der normative Ausgangspunkt der völkerrechtsfreundlichen Auslegung liegt im Zusammenspiel der Art. 1 II, 24 bis 26 und 59 II GG171. Nach dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ist die EMRK in der Auslegung durch den EGMR bei der Interpretation des gesamten deutschen Rechts heranzuziehen172. Somit ist die EMRK auch bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der nationalen Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes eine Auslegungshilfe. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung ist gleichwohl nicht schrankenlos möglich. Das BVerfG hat einige Be- und Einschränkungen aufgezeigt, die der völkerrechtsfreundlichen Auslegung Grenzen setzen: Zunächst befreit die völkerrechtsfreundliche Auslegung nicht von der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 III GG. Der Vorrang des Gesetzes, nach dem staatliches Handeln nicht gegen geltendes Recht verstoßen darf, gilt auch hierbei 170

So in anderem Zusammenhang Battis, ZBR 2011, 397 (400). BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323). 172 BVerfG, Beschl. v. 26.03.1987 – 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358 (370); BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317); vgl. auch Gooren, ZBR 2011, 400 (402); Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rn. 33; Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 11. 171

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und bezieht die EMRK in der Auslegung des EGMR in diesen Vorrang ein173. Insoweit ist die völkerrechtsfreundliche Auslegung nur im Rahmen des methodisch Vertretbaren zulässig174. Eine die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigende Auslegung muss also im Rahmen der Anwendung des Kanons der anerkannten Auslegungsmethoden möglich sein. Soweit dies möglich ist, sind Bundesgesetze so auszulegen, dass sie im Einklang mit der EMRK stehen175. Der Wortlaut allein ist bei der Auslegung keine unüberwindbare Grenze176; sonst wäre beispielsweise eine unbestritten zulässige methodisch einwandfreie verfassungskonforme Rechtsfortbildung unzulässig177. Die Auslegung darf hingegen nicht den „eindeutigen Gehalt“ einer Norm übergehen178. Eine Grenze der Auslegung ist damit erreicht, wenn die Auslegung dem gesetzgeberischen Willen zuwiderläuft und der Wortlaut der Norm dem Auslegungsergebnis entgegensteht179. In diesem Sinne formuliert das BVerfG: „Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen“ 180. Ist eine konventionskonforme Auslegung hiernach nicht möglich, muss folgerichtig ein formelles Bundesgesetz trotz Konventionswidrigkeit angewendet werden, solange der Gesetzgeber nicht die Norm verwirft181. Unter Bezug auf ein EGMR-Urteil kann sich der Rechtsanwender demnach nicht von der Bindung an formelle Bundesgesetze freizeichnen182. Auch ist wegen Art. 20 III GG die Normenhierarchie und im Besonderen der Vorrang der Verfassung zu beachten183. Aufgrund des Ranges der EMRK als 173

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (325 f.). Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317); BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (620); so auch Bernhardt, in: FS Steinberger, S. 391 (397). 175 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 26.03.1987 – 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358 (370). 176 So schon BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958 – 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210 (221). 177 Auf diesen Gesichtspunkt weist Kerwer, Das europäische Gemeinschaftsrecht, S. 359 f. m.w. N. hin. 178 So in Bezug auf die richtlinienkonforme Auslegung Kerwer, Das europäische Gemeinschaftsrecht, S. 368. 179 So bereits BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958 – 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210 (221); BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (620); vgl. auch Di Fabio, Streikverbot, 22 f.; Kerwer, Das europäische Gemeinschaftsrecht, S. 364, in Bezug auf die richtlinienkonforme Auslegung. 180 BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193 (210). 181 So auch BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (621); Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 76. 182 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323). 183 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 253. 174

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

Bundesgesetz darf die Auslegung nicht zu einem Verstoß gegen insoweit höherrangige grundgesetzliche Bestimmungen führen184. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung zur Umsetzung von EGMR-Entscheidungen darf damit insbesondere nicht zur Folge haben, dass der Grundrechtsschutz abgesenkt wird. Dies ist vor allem in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, in denen ein Mehr an Freiheit für die eine Seite zugleich ein Weniger an Freiheit für die andere Seite bedeutet, relevant185. Zwar wird auch das Verfassungsrecht, sofern dies methodisch vertretbar ist, konventionskonform, also möglichst widerspruchsfrei zur EMRK ausgelegt186. Die Auflösung von Kollisionen zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht muss aufgrund der Souveränität des Staates ihren Ausgangspunkt im Verfassungsrecht haben187. Ferner darf eine Umsetzung von EGMR-Entscheidungen, auch wenn sie methodisch vertretbar wäre, nicht dazu führen, dass zentrale Grundpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung angetastet werden188. Damit behält sich das BVerfG ein Letztentscheidungsrecht vor189. Eine Grenze zieht das BVerfG zudem insofern, als es eine schematische Übernahme der EGMR-Rechtsprechung für unzulässig ansieht190. Der Rechtsanwender muss berücksichtigen, welche Folgen sich aus der Übertragung in die nationale Rechtsordnung ergeben191. Dieses Erfordernis ist insbesondere in Fällen, in denen es nicht um das Verhältnis Bürger–Staat geht, sondern in denen sich zwei gleichgeordnete Grundrechtsträger gegenüberstehen, relevant. Denn hier bedeutet ein Mehr an Rechten für die eine Partei zugleich ein Weniger von Rechten der anderen Seite. Auch liegt in diesen Fällen bereits ein ausbalanciertes Teilsystem des deutschen Rechts vor, in dem der nationale Gesetzgeber seine Abwägungsentscheidung getroffen hat192. Damit muss der staatliche Rechtsanwender die 184 Magen, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 41 (53 f.); Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 76. 185 BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (371). 186 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317); Di Fabio, Streikverbot, S. 23; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 254, 260; Sommermann, AöR 1989, 391 (418) m.w. N. 187 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); OVG Münster, Urt. v. 07.03.2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (898). 188 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (319); BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (371); siehe auch BVerwG, Urt. v. 27.02.2014 – 2 C 1.13, NZA 2014, 616 (621). 189 Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 13; so auch OVG Münster, Urt. v. 07.03.2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (898). 190 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323 f.). 191 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (327). 192 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (324), (327).

II. Völkerrechtliche Vorgaben

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EGMR-Entscheidungen beachten und prüfen, ob er sie übertragen kann. Insoweit ist hier eine wertende Berücksichtigung vorzunehmen193. Auch wird eine Grenze der Berücksichtigungspflicht dahingehend vertreten, dass der EGMR einer ultra-vires-Kontrolle unterliege: Der EGMR als Gericht zur Überwachung einer völkerrechtlichen Übereinkunft sei an Grenze und Auftrag der übertragenen Tätigkeiten gebunden194. Soweit der EGMR nicht im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung, sondern durch eine freie und nicht am Wortlaut orientierte Rechtsfortbildung die Konvention auslege, könne keine Folgepflicht akzeptiert werden195. (2) Anwendung dieser Grundsätze auf den Tarifbezug Aus diesen Grundsätzen ergibt sich hinsichtlich des Tarifbezugs Folgendes: Sofern ein Anpassungsbedarf der deutschen Rechtslage an die Auslegung der EMRK durch den EGMR besteht, hat eine völkerrechtskonforme Auslegung zu erfolgen. Ist dies methodisch nicht vertretbar, so ist Art. 20 III GG zu beachten. Bei einem unterstellten Verstoß des deutschen Arbeitskampfrechtssystems mit der Konvention ist daher auch die Normenhierarchie maßgeblich. Nach der Rangordnung der Rechtsquellen sind die grundgesetzlichen Bestimmungen vorrangig anzuwenden196. Der Tarifbezug ergibt sich unmittelbar aus Art. 9 III GG und hat damit Verfassungsrang. Soweit er der EMRK entgegensteht, wäre das deutsche Recht demnach konventionswidrig; gleichwohl könnte eine Anpassung an die EMRK nicht mittels Auslegung erfolgen. Vielmehr müsste der verfassungsgebende Gesetzgeber tätig werden und eine konventionsgemäße Regelung schaffen. Bis dahin ist aber das bisherige Verfassungsrecht vorrangig anzuwenden. Damit muss nunmehr untersucht werden, ob der Tarifbezug durch eine konventionskonforme Auslegung beseitigt werden könnte. Wäre dies der Fall, müsste dieser Gesichtspunkt bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Streiks im Dritten Weg, der nicht dem Tarifsystem zuzurechnen ist, berücksichtigt werden. Nach allgemeiner Meinung ergibt sich das Streikrecht aus der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 III 1 GG. Problematisch erscheint, dass sich eine weite, den Tarifbezug ausblendende Konzeption eines Streikrechts nicht mit der Herleitung des Arbeitskampfrechts aus der Koalitionsfreiheit in Einklang bringen lässt197. Hiernach besteht das Streikrecht, weil die Tarifautonomie ohne die Möglichkeit zu streiken in aller Regel nicht funktionieren würde. Daher ist der Streik nur als 193 194 195 196 197

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (328). Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 13. Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 13. Vgl. hierzu auch Bitsch, ZTR 2012, 78 (80 f.). Siehe auch oben, § 4 II. 1. a); vgl. auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (344).

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

Annex, nur als Mittel der Tarifautonomie und nicht eigenständig geschützt. Nach dieser Konzeption ist die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie damit zugleich Rechtfertigung wie Grenze des Arbeitskampfrechts198. Der Tarifbezug gehört denknotwendig zum Arbeitskampfrecht, wenn es wie aus Art. 9 III 1 GG als Mittel zur Erreichung von Tarifverträgen hergeleitet wird199. Wird der Tarifbezug beseitigt, wird auch das Gesamtgefüge des Arbeitskampfrechts insgesamt in seiner derzeitigen Ausprägung angetastet und insoweit das deutsche System des Arbeitskampfrechts in Frage gestellt200. Insofern sprechen Sinn und Zweck des grundgesetzlichen Streikkonzepts wie auch die normative Herleitung eher gegen die Möglichkeit, im Wege der Auslegung ein tarifbezugloses Streikrecht konzipieren zu können. Zwar könnte dahin argumentiert werden, dass eine Aufhebung des Tarifbezugs keinen Verstoß gegen Art. 9 III 1 GG darstelle, weil sich daraus im Vergleich zu der bisherigen Auslegung ein Mehr an Freiheit ergebe201. Allerdings ist zu beachten, dass der Tarifbezug auch der Koordinierung des Streikrechts mit den Rechtsgütern Dritter dient. Ein Mehr an Streikrecht bedeutet zugleich ein Weniger an Rechten des Arbeitgebers oder Dritter, weil dann in größerem Umfange Streiks hinzunehmen wären. Insofern ist das Arbeitskampfrecht ein ausbalanciertes Teilsystem des deutschen Rechts, das verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen soll202. Damit erscheint eine schematische Umsetzung einer anderen Konzeption des Arbeitskampfrechts nicht geboten203. Ein andersartiges Arbeitskampfrecht muss mit den Rechten Dritter vereinbar sein, insbesondere auch, weil Art. 53 EMRK verlangt, dass der Grundrechtsschutz nicht durch eine Anwendung der EMRK-Bestimmungen vermindert werden darf 204. Zu berücksichtigen wäre ferner, dass dem deutschen Arbeitskampfrecht dann eine völlig andersartige Streikrechtskonzeption „übergestülpt“ würde. Hierbei stellt sich die Frage, ob diese Konzeption noch mit dem Willen des Verfassungsgebers im Einklang steht205. Dieser hatte ursprünglich im Rahmen der Beratun198

Zutreffend BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (152). Zutreffend auch Wank, Anm. zu AP Nr. 173 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 1022, 1022 R. 200 So auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 26. 201 In diese Richtung gehen (in Bezug auf den Beamtenstreik zu Recht) Battis, ZBR 2011, 397 (399); Gooren, ZBR 2011, 400 (404). 202 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (327); zutreffend im hiesigen Zusammenhang Gooren, ZBR 2011, 400 (404). 203 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323 f.). 204 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317) m.w. N. 205 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 9 III GG vgl. Doemming/Füsslein/Matz, JÖR 1951, 1 (116–125); Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 174–176; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 22–26; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 36. 199

II. Völkerrechtliche Vorgaben

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gen im Parlamentarischen Rat vorgesehen, einen Absatz 4 zu erlassen, nach dem ein Streikrecht in den Schranken der allgemeinen Gesetze garantiert sein sollte206. Der Parlamentarische Rat war sich zwar mit großer Mehrheit einig, dass grundsätzlich ein Streikrecht zur Förderung der Arbeitsbedingungen anzuerkennen sei207. Einig war sich der Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates insbesondere aber auch darin, dass nur die überkommenen Streikformen geschützt werden sollten, politische Streiks und Beamtenstreiks aber nicht208. In den Beratungen konnte jedoch keine Einigung hinsichtlich der Regelung von Detailfragen erzielt werden, so dass der Absatz verworfen wurde und somit das Streikrecht keine ausdrückliche Regelung in der Koalitionsfreiheit gefunden hat209. Damit liegt das Fehlen einer ausdrücklichen Garantie eines Streikrechts nicht an einer prinzipiellen Ablehnung eines Streikrechts durch den Verfassungsgeber210. Insofern läuft das Streikrecht in der anerkannten Form nicht dem erklärten Willen der verfassungsgebenden Gesetzgebers zuwider und hindert damit im Grundsatz nicht, im Art. 9 III GG auch über den Wortlaut hinaus, das Streikrecht in der anerkannten Konzeption als mitgarantiert anzusehen211. Eine solche Streikrechtskonzeption war jedenfalls der Mindestkonsens. Aber ein weitreichendes Grundrecht auf Streik unter Ausblendung des Tarifbezugs wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes angesichts der allgemeinen Ablehnung von politischen Streiks und Beamtenstreiks gerade nicht implementieren 212. Der Verfassungsgeber hat sich letztlich auch bewusst gegen Art. 9 IV GG und die sich daraus ergebende allgemeine Garantie des Streikrechts entschieden. Angesichts dessen erscheint es zweifelhaft, ob ein weitreichendes Arbeitskampfrecht unter Ausblendung des Tarifbezugs mit dem Willen der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates in Einklang gebracht werden kann. Nach alledem bestehen Bedenken, ob es im Rahmen des methodisch Vertretbaren wäre, den Tarifbezug als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Streiks aufzuheben, jedenfalls soweit Art. 9 III GG weiterhin die Rechtsgrundlage für Streiks bildet. Selbst wenn eine derartige Auslegung möglich wäre, so ist zu beachten, dass nach der Ansicht des BVerfG auch ein Rezeptionshemmnis anzuneh-

206

Kissel, Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 3; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Vorb. zu § 611 ff. BGB Rn. 824. 207 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 176; Rüthers, Streik und Verfassung, S. 22. 208 So die Erklärung des Abgeordneten Dr. v. Mangoldt, zit. nach v. Doemming/Füsslein/Matz, JÖR 1951, 1 (122 f.). 209 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 10; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, I, S. 937 f.; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 175. 210 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 24. 211 Zutreffend auch Rüthers, Streik und Verfassung, S. 26. 212 Rüthers, Streik und Verfassung, S. 23 f.; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 87 f.

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

men ist, wenn tragende Grundpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung dadurch angetastet würden213. Der Tarifbezug ist für das Streikrecht in der bisher herrschenden Konzeption allerdings ein fundamentaler Grundsatz und damit ein Grundpfeiler des gesamten Arbeitskampfrechts. Die Aufhebung dieses Grundprinzips des Arbeitskampfrechts würde zu einem völlig andersartigen Arbeitskampfrecht und einer enormen Ausweitung der Kampfbefugnisse führen. Insofern erscheint es fraglich, ob der Tarifbezug im Wege der Auslegung überhaupt aufgehoben werden kann. Jedenfalls würde ein politisches Streikrecht nach überwiegender Meinung nicht mit den Grundvorstellungen der hiesigen parlamentarischen Demokratie im Einklang stehen und damit letztlich die Grundpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung antasten214. Gemäß Art. 20 II 1 GG geht die gesamte Staatsgewalt vom Volke aus, die allerdings nur in den durch Art. 20 II 2 GG vorgesehenen Ausdrucksformen, also durch Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der drei Gewalten ausgeübt wird215. Das Organ, in dem sich die Staatsgewalt des Volkes direkt entfaltet, ist das durch das Volk gewählte Parlament216. Im bundesrepublikanischen Modell der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ist das Parlament die Institution, die die politische Willensbildung des Volkes vermittelt und zur selbstverantwortlichen Entscheidung über Gesetze zuständig ist217. In seiner Entscheidung über den Erlass von Gesetzen soll das Parlament frei sein, so wie es auch das freie Mandat aus Art. 38 I 2 GG nahelegt. Hierzu passt es in der Tat nicht, wenn das Parlament durch die Ausübung von öffentlichem Zwang oder Druck beeinflusst wird und auf diese Weise versucht wird, eine Regelung zu erkämpfen218. Das schließt freilich die Partizipation des Volkes an demokratischen Entscheidungen nicht aus. Die Willensbildung des Volkes vollzieht sich aber in den vom Grundgesetz vorgesehenen Ausdrucksformen, beispielsweise durch die Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Demonstrationsrechte oder ein Petitionsrecht219. Dies sind aber durchweg friedliche Ausdrucksformen und keine Maßnahmen, die final in die Rechte Dritter eingreifen. Der Wille, politischen Protest auszudrücken oder für den Erlass einer bestimmten Re213

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (319). Jüngst auch Bitsch ZTR 2012, 78 (85); siehe auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1100 f. mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 224; deutlicher Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 54. 215 Badura, in: HStR II, § 25 Rn. 34; Brenner, in: HStR III, § 44 Rn. 45. 216 Badura, in: HStR II, § 25 Rn. 34; Brenner, in: HStR III, § 44 Rn. 45. 217 Badura, in: HStR II, § 25 Rn. 34; Brenner, in: HStR III, § 44 Rn. 45; so auch schon Forsthoff, in: Forsthoff/Hueck, Die politischen Streikaktionen, S. 7 (25). 218 So schon Forsthoff, in: Forsthoff/Hueck, Die politischen Streikaktionen, S. 7 (27); vgl. auch Bitsch, ZTR 2012, 78 (85); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 39, 43; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 87. 219 Ausführlich zu den Möglichkeiten der Willensbildung des Volkes Schmitt-Glaeser, in: HStR III, § 38 Rn. 11–27. 214

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gelung zu kämpfen, rechtfertigt keinen Arbeitsvertragsbruch. Ein derartiges Recht ergibt sich auch nicht aus der Meinungs- oder Versammlungsfreiheit220. Es ist den Teilnehmern derartiger Veranstaltungen durchaus zumutbar, außerhalb der Dienstzeit friedlich für ihr Ziel zu demonstrieren221. Auch den Vorstellungen des Parlamentarischen Rates entspricht eine Ablehnung des politischen Streikrechts222. Damit ergäbe sich hieraus ein Rezeptionshemmnis223. Ein politisches Streikrecht wäre ausschließlich im Rahmen des Art. 20 IV GG denkbar224. Sofern eine ultra-vires-Kontrolle hinsichtlich der Entscheidungen des EGMR derart vorgenommen wird, dass die Entscheidungen in am Wortlaut orientierter und methodisch vertretbarer Weise und nicht in freier Rechtsfortbildung zustande gekommen sein müssen225, könnten ebenfalls Bedenken hinsichtlich einer Umsetzungspflicht oder Orientierungsfunktion bestehen. Denn Art. 11 EMRK garantiert nach seinem Wortlaut das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenschließen zu können. Hieraus in einer am Wortlaut orientierten Auslegung ein politisches Streikrecht herzuleiten, ist in der Tat schwierig226. Allerdings stellt das BVerfG hinsichtlich der Annahme eines ultra-vires-Aktes zumindest im Bereich des Unionsrechts strenge Voraussetzungen, nach denen nur erhebliche und drastische Kompetenzüberschreitungen in Betracht kommen227. Ob diese hohen Anforderungen hier erfüllt sind, erscheint fraglich und wird, soweit ersichtlich, auch seitens der Wissenschaft nicht angenommen228. f) Ergebnis Insgesamt lässt sich Folgendes festhalten: Wegen Art. 46 EMRK besteht keine strikte konventionsrechtliche Rechtspflicht, das deutsche Recht an die Entscheidungen, die gegen die Türkei ergangen sind, anzupassen229. Es besteht aber eine Orientierungsfunktion dieser Urteile. Eingedenk der Zweifel, ob das deutsche Ar220

Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 42. So auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 42 f. 222 Darauf weisen mit Recht Gamillscheg, Kollektivs Arbeitsrecht I, S. 1101 und Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, § 4 Rn. 87 hin; siehe i. Ü. auch oben. 223 Bitsch, ZTR 2012, 78 (85). 224 Zu Recht auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 38; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 375. 225 So Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 13. 226 So auch Sagan, DB 2012, Standp. 11 (13): „geradezu tollkühne Interpretation“. 227 BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (304). 228 Seifert, KritV 2009, 357 (366 f.); Widmaier/Alber, ZEuS 2012, 387 (408–410) sehen zwar Verstöße gegen die Auslegungsregeln, nehmen aber gleichwohl eine Berücksichtigungspflicht an; offengelassen Götz, Kirchenklauseln, S. 193, der aufgrund der Methode des EGMR einen Eingriff in elementare Grundrechte sieht, aber nicht darlegt, ob dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann oder ob sich hieraus für eine Übertragung auf die deutsche Rechtslage Hemmnisse ergeben. 229 Vgl. Grabenwarter, in: HGR IV/2, § 169 Rn. 45. 221

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§ 5 Das Streikrecht im europäischen Verständnis

beitskampfrecht überhaupt konventionswidrig ist und in Ansehung der Bedenken, ob dieser hypothetische Konventionsverstoß im Wege völkerrechtsfreundlicher Auslegung beseitigt werden kann, erscheint es angezeigt, das Arbeitskampfrecht weiterhin anhand der hergebrachten Grundsätze auszulegen. Damit ist für den weiteren Verlauf der hier zu untersuchenden Fragestellung in jedem Falle weiterhin der Tarifbezug als Zulässigkeitsvoraussetzung von Streiks zu beachten, mit der Folge, dass dieser auch hinsichtlich eines Streiks im Dritten Weg zu beachten ist.

III. Zwischenergebnis Auch europa- und völkerrechtlich besteht ein Schutz des Streikrechts. Der EuGH hat das Streikrecht als allgemeinen Rechtsgrundsatz anerkannt, dessen Umfang sich aber nach dem mitgliedstaatlichen Recht richtet. Dies gilt wegen der fehlenden Kompetenz der EU auf dem Gebiet des Arbeitskampfrechts auch für den inzwischen verbindlichen Art. 28 GRC, der ein Streikrecht ausdrücklich enthält. Die EU will der EMRK beitreten, so dass bei einem Beitritt auch der Schutz der Menschenrechtskonvention auf EU-Ebene gilt. Die EMRK beinhaltet nun auch ein Streikrecht, das der EGMR aus Art. 11 EMRK herleitet. Dessen Schutzbereich hat der EGMR auch auf Beamte und auf politische Streiks erstreckt. Der hier nicht erforderliche Tarifbezug könnte auf den ersten Blick zwar dafür sprechen, dass ein Streik im Dritten Weg nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Fraglich ist indessen, ob die vom EGMR gegen die Türkei ergangenen Entscheidungen auf das deutsche Arbeitskampfrecht unmittelbar Auswirkungen haben. Darüber hinaus bestehen Bedenken, ob im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Art. 9 III GG eine Aufhebung des Tarifbezugs methodisch vertretbar wäre oder ob nicht eine Verfassungsänderung erforderlich würde, sofern diese Handlungsformen ebenfalls geschützt sein müssten. Weil ein Verstoß des deutschen Rechts mit der EMRK zumindest zweifelhaft erscheint und ein solcher vom EGMR bislang nicht festgestellt worden ist, bleibt es vorerst beim Tarifbezug als Grenze des Arbeitskampfrechts. Das deutsche Arbeitskampfrecht steht darüber hinaus nach überzeugender Auffassung mit Art. 6 Nr. 4 ESC und dem Übereinkommen Nr. 87 der IAO im Einklang. Alle für die Beantwortung der Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen relevanten Vorschriften sind in diesem Abschnitt und den vorhergehenden Kapiteln untersucht worden. Insofern ist jetzt das Rohmaterial erarbeitet, das für die Beantwortung der Frage nach einem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen erforderlich ist. Nunmehr ist die Klärung dieser Frage vorzunehmen. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden und getrennt voneinander rechtlich zu beurteilen. Zunächst geht es um die Frage, ob der Streik durch den Dritten Weg ausgeschlossen werden kann. Sodann kann die Frage nach einem Streikrecht im Zweiten Weg beantwortet werden.

§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg I. Die bestehenden Lösungsansätze Hinsichtlich der Frage, ob ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen anzuerkennen ist, bestehen etliche und sehr unterschiedliche Lösungsmodelle. Eine Zusammenschau der vertretenen Meinungen ergibt folgendes Bild: 1. Lösung zu Gunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Das Spannungsverhältnis zwischen Streikrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht wird teilweise zu Gunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aufgelöst1. Nach dieser Ansicht können die Kirchen wirksam einen Streik bei sich selbst und in ihren Einrichtungen ausschließen. Über Jahre hinweg war dieses Ergebnis in der Rechtslehre nahezu unbestritten. a) Absoluter Vorrang des Selbstbestimmungsrechts Teilweise wird ein absoluter Vorrang des Selbstbestimmungsrechts angenommen, so dass es auf eine Abwägung der betroffenen Güter insoweit nicht ankomme. Zunächst wird geltend gemacht, ein Streik passe nicht zum Wesen des 1 So Augsberg, SAE 2012, 11 (14 f.); Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 132; v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (587–589); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 87; Dietz, RdA 1979, 79 (83); Eder, Tarifpartnerin katholische Kirche?, S. 97; van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Frank, RdA 1979, 86 (93); Grethlein, NZA-Beil. 1/1986, 18 (19 f.); Grethlein, ZevKR 33 (1988), 257 (259–261); Grethlein/Spengler, BB Beil. 10/ 1980, 1 (13); Hahn, Mitbestimmung, S. 140; Hanau, ZevKR 25 (1980), 61 (69); v. Hoyningen-Huene, in: FS Richardi, S. 909 (920 f.); Janssen, Streikrecht, S. 38; Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 200; Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Müller, RdA 1979, 71 (77 f.); Müller-Volbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (540 f.); Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 163; Rauscher, Die Eigenart, S. 89; Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (115); Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (72); Reichold, ZTR 2012, 315 (317); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15–21; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448 f.); Richardi, in: HdbStKirchR II, S. 933; Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 14 f.; Richardi, NZA 2002, 929 (932–934); Richardi, ZfA 1984, 109 (131 f.); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (99); Robbers, Streikrecht, S. 61; Schlaich, JZ 1980, 209 (216); Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 127; Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (913); Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457 f.); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1211).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

kirchlichen Dienstes2. Um dies zu begründen, wird auf die kirchliche Argumentation, die den Streikausschluss theologisch stützen soll, rekurriert. Danach wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass Arbeitskämpfe nicht mit dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft vereinbar seien. Sie würden nicht zu der Einheit des kirchlichen Dienstes passen, da sie zu einer Aufspaltung in ein Arbeitnehmerund Arbeitgeberlager führten, die aber mit der Einheit des Dienstes unvereinbar sei3. Auch widerspreche die kampfweise Auseinandersetzung dem Selbstverständnis der Kirchen, Konflikte friedlich zu lösen4. Ferner müsse die Kirche ihren Dienst zu jeder Zeit erfüllen, und weil jede Mitarbeit zur Erfüllung des Austrags beitrage, würden Arbeitskämpfe die Erfüllung des kirchlichen Auftrags suspendieren5. Zudem seien im kirchlichen Dienst die Funktionsvoraussetzungen der Tarifautonomie nicht gegeben6. Diese gehe von einem Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Gegensatz aus, der im kirchlichen Dienst aber wegen der Dienstgemeinschaft und der sich daraus ergebenden Einheit abgemildert sei7. Ziel der Dienstgeber sei nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Erfüllung des kirchlichen Auftrags, wodurch der Gegensatz von Kapital und Arbeit zumindest aufgeweicht werde8. Dies zeige sich im Übrigen auch daran, dass die Kirche den sich aus dem Neuen Testament ergebenden Grundsatz der Lohngerechtigkeit9 zu beachten habe und demnach auskömmliche Löhne zahlen müsse10. Dieser Grundsatz sei für die ka2 Dietz, RdA 1979, 79 (83); Janssen, Streikrecht, S. 20; Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Müller-Volbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (540). 3 Vgl. Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 135; Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Richardi, HdbStKirchR II, S. 933; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448). 4 Grethlein, NZA-Beil. 1/1986, 18 (19); Grethlein/Spengler, BB Beil. 10/1980, 1 (13); Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Müller, RdA 1979, 71 (77 f.); Müller-Volbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (541); Rauscher, Die Eigenart, S. 89; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 20; Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 14; Willemsen/ Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 20 Richardi, ZfA 1984, 109 (132). 5 Hahn, Mitbestimmung, S. 140; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 18; vgl. auch Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf Rn. 16. 6 v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (587); v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 140/137, Rn. 87; Richardi, in: HdbStKirchR II, S. 933; Richardi, NZA 2002, 929 (934). 7 v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (587); Janssen, Streikrecht, S. 18; Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Rauscher, Die Eigenart, S. 86 f.; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448); Richardi, MünchArbR II, § 329 Rn. 14; Robbers, Streikrecht, S. 65. 8 v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (587); Janssen, Streikrecht, 18; Richardi/ Thüsing, AuR 2002, 94 (94 f.). 9 Nach Lk 10, 7 hat derjenige, der arbeitet, ein Recht auf seinen Lohn. 10 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 135; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15; Robbers, Streikrecht, S. 69 f.

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tholische Kirche auch in can. 231 § 2 CIC kirchengesetzlich festgelegt. Im Übrigen gehe das Tarifvertragssystem davon aus, dass ein Arbeitgeber zur Wahrung seiner Vermögensinteressen selbst Gegendruck auf den sozialen Gegenspieler durch Aussperrungen vornehme, um so ein Kräftegleichgewicht wiederherzustellen11. Die Kirche als Dienstgeber sei aber nicht in der Lage, die Erfüllung ihres Auftrags aufzuschieben, um Arbeitskämpfe zu führen12. Soweit trotzdem das Arbeitskampfrecht Anwendung finde, führe die fehlende Möglichkeit zur Aussperrung zu einer Imparität zu Lasten der Kirchen, die dann auf ein Durchstehen des Arbeitskampfes angewiesen wären13. Der Abschluss wäre nicht freiwillig und die Richtigkeitsgewähr fehle. Damit sei das Tarifvertragssystem für den kirchlichen Dienst untauglich14. Aus diesen Gründen hätten die Kirchen ein eigenes kollektives Arbeitsrechtsregelungssystem unter Zugrundelegung des Grundsatzes der Dienstgemeinschaft entwickelt, das den bekenntnisspezifischen Besonderheiten der Mitarbeit im kirchlichen Dienst Rechnung trage. Hierzu sei die Kirche aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts befugt15. Daher begrenze das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Koalitionsfreiheit und schließe damit einen Arbeitskampf aus16. Die Kirchen hätten mit dem Ausschluss des Streikrechts die in den Grundprinzipen der Rechtsordnung liegenden Grenzen des Selbstbestimmungsrechts nicht überschritten17. Ferner fehle es an einer gesetzlichen Regelung des Arbeitskampfes und somit liege bereits formell gar kein dem Selbstbestimmungsrecht schrankenziehendes für alle geltendes Gesetz vor18. Die Rechtsprechung des BAG und BVerfG zum Arbeitskampfrecht reiche nicht aus, es bedürfe einer formellgesetz-

11

Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 163. Van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 50; v. Hoyningen-Huene, in: FS Richardi, S. 909 (920); Frank, RdA 1979, 86 (93); Grethlein, NZA-Beil. 1/1986, 18 (19); Hahn, Mitbestimmung, S. 140; Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448); Richardi, NZA 2002, 929 (932); Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (61). 13 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 133; van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 50 f.; Frank, RdA 1979, 86 (93); Grethlein, ZevKR 33 (1988), 257 (261); Hahn, Mitbestimmung, S. 140; Janssen, Streikrecht, S. 18; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448); Robbers, Streikrecht, S. 68; Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (60). 14 Robbers, Streikrecht, S. 68. 15 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 135; van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (913). 16 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 200; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 127. 17 Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96); Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (913). 18 Augsberg, SAE 2012, 11 (14 f.); Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 15; Robbers, Streikrecht, S. 61. 12

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lichen Grundlage zur Annahme des Vorliegens eines für alle geltenden Gesetzes19. Auch ein Erst-Recht-Schluss aus § 118 II BetrVG spreche dafür, dass die Koalitionsfreiheit hier keine Schranke des Selbstbestimmungsrechts sei und dass daher die Möglichkeit der Kirchen zu einem generellen Streikausschluss bestehe. § 118 II BetrVG bestimmt, dass das BetrVG keine Anwendung auf die Religionsgesellschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen findet. Wenn der Gesetzgeber schon das kooperative Modell der Betriebsverfassung, das den Grundsätzen der Dienstgemeinschaft nicht grundlegend widerspreche, von der Anwendung ausschließe, müsse dieser Ausschluss erst recht für das konfrontative Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht gelten20. Ferner wird ein Streikausschluss auch als gewohnheitsrechtlich anerkannt betrachtet, oder es wird eine Parallele zum Beamtenstreikverbot gezogen, die belegen soll, dass es ohnehin streikfreie Bereiche gebe und ein Streikverbot in der Kirche sich demnach in das System der Arbeitsverfassung einpasse21. b) Abwägung zu Gunsten des Streikausschlusses Neben diesen Erwägungen, die einen absoluten Vorrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts begründen sollen, wird auch ein anderer Ansatz verfolgt, nach dem eine Abwägung vorgenommen wird. Diese soll aber zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts ausgehen. Wegen des Aufeinandertreffens eines Freiheitsrechts und einer nichtgrundrechtlichen Verfassungsgarantie liege eine „asymmetrische“ Kollisionslage vor22. Die Koalitionsfreiheit sei ausgestaltungsbedürftig und die Ausgestaltungsbefugnis hierfür liege daher auch bei den Kirchen, soweit sie sich auf Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV berufen könnten23. Insoweit sei hier abzuwägen, ob der Streikausschluss die Koalitionsfreiheit unangemessen beeinträchtige 24. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung zwischen der Koalitionsfreiheit und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht sei dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen25. Die 19

Grethlein, ZevKR 33 (1988), 257 (261). Grethlein, NZA Beil. 1/1986, 18 (19); Hanau, ZevKR 25 (1980), 61 (69); MüllerVolbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (540); Reichold, KuR 2011, 199 (206 f.); Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (114); Reichold, ZTR 2012, 315 (317); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448 f.). 21 Rauscher, Die Eigenart, S. 86. 22 Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1003); so auch Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (64–66); Reichold, ZTR 2012, 315 (317); Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (113 f.); vgl. auch Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (98); Thüsing, RdA 2003, 210 (211). 23 Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005 f.). 24 Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1006). 25 Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (911); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007). 20

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kirchliche Regelung sei im Rahmen der Abwägung daraufhin zu überprüfen, ob sie die sich aus Art. 9 III GG ergebende „Mindestausstattung“ sozialer Rechte noch gewähre26. Dies sei aber bei Anwendung des Dritten Weges jedenfalls aufgrund der paritätisch besetzten Kommissionen der Fall27. Der in der Vergangenheit nahezu unbestrittene Vorrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist aber heute keineswegs unumstritten28. Es bestehen mittlerweile mehrere Gegenentwürfe. Teilweise wird gar keine Kollision von Selbstbestimmungsrecht und Streikrecht gesehen, sondern angenommen, dass ein Streikrecht das Selbstbestimmungsrecht gar nicht berühre. Teilweise wird zwar ein Spannungsverhältnis gesehen, dieses sei aber zu Gunsten des Streikrechts aufzulösen. Andere Stimmen treten für eine differenzierende Lösung ein, nach der unter bestimmten Voraussetzungen das Streikrecht vorrangig sei und unter bestimmten Voraussetzungen das Selbstbestimmungsrecht. Dieser differenzierende Ansatz wird wiederum in mehreren Nuancen vertreten. 2. Lösung zu Gunsten des Streikrechts a) Absoluter Vorrang des Streikrechts Teilweise wird gar keine Kollision von Streikrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht gesehen. Das Streikrecht greife demnach von vornherein gar nicht in den Schutzumfang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ein. Schlössen die Kirchen Arbeitsverträge, ergäbe sich aus dem Selbstbestimmungsrecht von vornherein nicht die Befugnis, einen Streikausschluss zu regeln29. Andere sehen eine Kollisionslage, die aber zu Gunsten eines Streikrechts aufgelöst werden soll30. Teilweise wird die Argumentation, die zur Begründung des Streikausschlusses herangezogen wird, als nicht überzeugend angesehen. Dabei wird zunächst bestritten, dass die von den Kirchen behaupteten Besonderheiten

26 Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65) (72 f.); so wohl auch Klumpp, ZAT 2013, 120 (125); vgl. auch Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (911); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007). 27 Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (228); Rehm, NZA 2011, 1211 (1213); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (72 f.). 28 Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (995). 29 Schubert/Wolter, AuR 2011, 420 (422); Schubert/Wolter, AuR 2013, 285 (286 f.); Wahsner, in: Paech/Stuby, Wider die herrschende Meinung, S. 78 (95). 30 So etwa Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167); Däubler, RdA 2003, 204 (209); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 140; Gamillscheg, in: FS Zeuner, S. 39 (49 f.); Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 303; Kühling, AuR 2001, 241 (250); Kreß, ZRP 2012, 103 (104 f.); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (368); v. Nell-Breuning, AuR 1979, 1 (8); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 100; „hilfsweise“ auch Schubert/Wolter, AuR 2011, 420 (422); Wahsner, in: Paech/Stuby, Wider die herrschende Meinung, S. 78 (94).

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des kirchlichen Dienstes, die den Streikausschluss theologisch begründen sollen, bestehen. Zwar bestehe im kirchlichen Dienst kein Klassenunterschied von Kapital und Arbeit, dennoch leisteten die kirchlichen Arbeitnehmer abhängig Dienst gegen Entgelt wie in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis auch31. Die Kirche trete den Mitarbeitern auch wie ein weltlicher Arbeitgeber gegenüber, da sie die Verfügungsgewalt über die Arbeitsplätze und die finanziellen Mittel habe und damit über Arbeits-, Berufs- und Einkommensverhältnisse und insoweit über gesamte Lebensperspektiven entscheide32. Insgesamt sei die Kirche als Dienstgeber damit in einer deutlich stärkeren Position als die Dienstnehmer, so wie im weltlichen Beschäftigungsverhältnis der Arbeitgeber. Der Zweck der Ablehnung des Tarifvertragssystems und des Streikausschlusses sei nicht religiös begründet, sondern diene einer gesteigerten finanziellen Beweglichkeit, wie sich aus einem Vergleich der Gehälter von Angestellten weltlicher Arbeitnehmer mit den erheblich niedrigeren Gehältern kirchlich Bediensteter ergebe33. Es bestünden insofern auch im kirchlichen Dienst Interessengegensätze von Dienstgeber und Dienstnehmern34. Auch dadurch, dass die Kirchen als Arbeitgeber nach ihrem Selbstverständnis nicht die Möglichkeit hätten, Aussperrungen als Reaktion auf Streiks vorzunehmen, ergebe sich nichts anderes. Zunächst wird bestritten, dass es eine religiöse Grundlage für das Aussperrungsverbot gibt35. Es führe im Übrigen nicht zu einer Imparität zu Lasten der Kirchen, wenn den Dienstnehmern ein Streikrecht zur Verfügung stehe36. Denn die Möglichkeit zu streiken schaffe gerade erst Parität am Verhandlungstisch37. Aus dem Grundsatz der Lohngerechtigkeit, der kirchengesetzlich in CIC Can. 231 § 2 Niederschlag gefunden hat, könne ein Streikausschluss ebenfalls nicht hergeleitet werden. Zwar habe hiernach jeder bedienstete Laie Anspruch auf ein auskömmliches Arbeitsentgelt, das der Stellung des Bediensteten gerecht werde. Diese Regelung sei aber nicht geeignet, einen Streikausschluss zu begründen. Dieser Grundsatz sei viel zu unbestimmt und von seiner Durchsetzungskraft 31 Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 267; Strake, Streikrecht, S. 62; Wahsner, in: Paech/Stuby, Wider die herrschende Meinung, S. 78 (91); Vogt, Der Dritte Weg, S. 107; so auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 186; in diese Richtung gehend auch Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (884). 32 Wahsner, in: Paech/Stuby, Wider die herrschende Meinung, S. 78 (91); ähnlich Strake, Streikrecht, S. 63. 33 Schubert/Wolter, AuR 2011, 420 (422). 34 Kreß, ZPR 2012, 103 (104). 35 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (191). 36 So etwa Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (885); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 180. 37 Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (885); Oswald, Streikrecht, S. 148; vgl. insoweit auch Strake, Streikrecht, S. 133.

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nicht mit der im Rahmen der Koalitionsfreiheit möglichen Druckausübung vergleichbar38. Ferner sei es nicht möglich, im Wege einer Analogie zu oder eines Erst-RechtSchlusses aus § 118 II BetrVG einen Streikausschluss zu begründen39. Zwar nehme § 118 II BetrVG die Kirchen aus dem Anwendungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz aus. Gleichwohl sei keine Vergleichbarkeit zum Arbeitskampf gegeben, sondern es bestehe ein struktureller Unterschied zwischen der betrieblichen Mitbestimmung und dem Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem40. Denn das BetrVG regle die Mitbestimmung bei Arbeitsabläufen, während ein Streikrecht der Durchsetzung eigener Rechte diene41. Dem Streik, der auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet ist, liege demnach eine andere Thematik zu Grunde. Denn bei Tarifverträgen gehe es auch um die Verteilung des gemeinsam erarbeiteten Vermögens42. Daher gehe es hier um grundlegend und strukturell andere Rechte, so dass ein Erst-Recht-Schluss bzw. eine Analogie nicht angezeigt sei43. Gewohnheitsrechtlich lasse sich ebenfalls kein Streikausschluss begründen. Hierfür sei eine allgemeine Rechtsüberzeugung notwendig. Diese sei aber angesichts der Kritiker des Streikverbotes nicht vorhanden44. Auch sei die gezogene Parallele zum Beamtenstreikverbot schief. Denn auch die Kirchen könnten Beamte ernennen, hier gehe es aber um die Rechte der durch einen Arbeitsvertrag Beschäftigten45. Wenn überhaupt, seien kirchliche Arbeitnehmer mit Angestellten des öffentlichen Dienstes vergleichbar, die aber streiken dürften46. Dies sei bei staatlichen Bediensteten genauso, der Staat könne von Angestellten bestreikt werden, von Beamten nicht47. Außerdem sei auch inhaltlich fraglich, ob ein Beamtenstreikverbot noch hingenommen werden könne, denn immerhin habe der EGMR einem vollständigen Beamtenstreikverbot eine Absage erteilt48. Insoweit könne man sich jedenfalls nicht mehr auf eine Paral38 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 303; Oswald, Streikrecht, S. 159; Strake, Streikrecht, S. 44. 39 Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (360); Oswald, Streikrecht, S. 156; Strake, Streikrecht, S. 53; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 173. 40 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (192); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 173. 41 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (192); Strake, Streikrecht, S. 53. 42 Strake, Streikrecht, S. 53. 43 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 173. 44 Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (367); Oswald, Streikrecht, S. 135; Strake, Streikrecht, S. 67; Vogt, Der Dritte Weg, S. 106. 45 Oswald, Streikrecht, S. 138; Strake, Streikrecht, S. 39. 46 Oswald, Streikrecht, S. 138 f.; Strake, Streikrecht, S. 40. 47 Oswald, Streikrecht, S. 146. 48 Strake, Streikrecht, S. 38 f.; so auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (258).

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lele zum Beamtenstreikverbot berufen, um ein Streikverbot der kirchlichen Mitarbeiter zu begründen. Vielmehr sei die Anwendung des Arbeitsrechts und damit auch des Streikrechts nur die Konsequenz aus dem Abschluss von Arbeitsverträgen. Wenn die Kirche Arbeitsverträge nach dem staatlichen bürgerlichen Recht geschlossen habe, finde in der Konsequenz auch das staatliche Recht Anwendung. Dies sei, wie auch das BVerfG festgestellt habe, „schlichte Folge der Rechtswahl“ 49. Deswegen sei es zulässig, Tarifverträge mit kirchlichen Arbeitgebern zu schließen und diese auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes zu erzwingen, weil die Tarifautonomie ohne das Streikrecht nicht funktioniere50. Wenn die Kirchen Streiks ihrer Mitarbeiter ausschließen wollten, müssten sie sich anderer rechtlicher Gestaltungsformen des kirchlichen Dienstes bedienen und dürften keine Arbeitsverträge schließen51. Damit hätten es die Kirchen ohne inhaltliche Modifikation des staatlichen Rechtes in der Hand, Streiks auszuschließen. Die Kirche sei trotz mangelnden Tarifwillens und fehlender Kampfbereitschaft tariffähig und damit ein Tarifpartner der Gewerkschaften52. Diese hätten nach Art. 9 III GG die Möglichkeit, Tarifverträge zu schließen und durch das mitgarantierte Mittel des Streiks die Möglichkeit, den Abschluss eines Tarifvertrags zu erzwingen, weil dies zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit zähle53. Die Koalitionsfreiheit sei verfassungsrechtlich garantiert und darüber hinaus ein Grundprinzip der Rechtsordnung, da sie die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer ausgleiche54. An den Grundprinzipien der Rechtsordnung ende das kirchliche Selbstbestimmungsrecht55. Diese seien gewichtiger als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die daraus abgeleitete Befugnis, ein eigenes Dienstrecht zu schaffen56. Weil der kirchliche Ausschluss des Streikrechts die Koalitionsfreiheit verletze, verstoße er gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung und sei damit unzulässig, ohne dass es auf das Gewicht der kirchlichen Rechtfertigung ankäme57. Folglich könne der Dritte Weg und der damit in Zusammenhang stehende Streikausschluss nicht das Tarifvertragssystem verdrängen, zu dem funk-

49 So etwa Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 303; Oswald, Streikrecht, S. 146 unter Berufung auf BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 50 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 303; Oswald, Streikrecht, S. 146. 51 Oswald, Streikrecht, S. 146; vgl. auch Vogt, Der Dritte Weg, S. 116. 52 Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 88 f. 53 Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (367). 54 Kühling, AuR 2001, 241 (243); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 93. 55 Kühling, AuR 2001, 241 (242 f.); vgl. auch Däubler, RdA 2003, 204 (206). 56 Kühling, AuR 2001, 241 (243); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 90–92. 57 Kühling, AuR 2001, 241 (243), (245).

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tionsnotwendig das Streikrecht gehöre, damit auf gleicher Augenhöhe verhandelt werden könne58. Teilweise wird allerdings auch angenommen, dass der Dritte Weg dann keinen Verstoß gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung darstelle, wenn er der Tarifautonomie gleichwertig sei59. Dies sei aber nicht der Fall60. b) Abwägung zu Gunsten des Streikrechts Unabhängig davon ergebe sich die Unwirksamkeit des kirchlichen Streikausschlusses aber auch, soweit materiell eine Abwägung der kirchlichen Regelung mit den kollidierenden staatlichen Belangen vorgenommen werde, weil die staatlichen Belange im Ergebnis schutzwürdiger seien als die kirchliche Position61. Teilweise wird angenommen, die Abwägung ergebe die Höherwertigkeit der Koalitionsfreiheit im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, weil Art. 137 III 1 WRV, im Gegensatz zu der nach dem Wortlaut schrankenlosen Koalitionsfreiheit, einen Schrankenvorbehalt habe62. Durch die Einfügung von Schrankenvorbehalten habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass diese Rechtsgüter eher Beschränkungen zugänglich seien als schrankenlos gewährleistete Grundrechte. Schrankenlose Grundrechte seien insofern „gewichtiger“ und könnten sich im Kollisionsfalle im Zweifel gegen ein Verfassungsgut mit Schrankenvorbehalt durchsetzen. Auch wird im Rahmen der Abwägung nicht isoliert die Zulässigkeit von Streiks im kirchlichen Dienst untersucht, sondern die von Art. 9 III GG garantierte Tarifautonomie in die Überlegungen miteinbezogen. Die Abwägung ergebe, dass die Tarifautonomie und damit das Streikrecht schutzwürdiger seien als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Ein Überwiegen des Streikrechts ergebe sich daraus, dass der Streikausschluss Art. 9 III GG verhältnismäßig schwerwiegender verletze als ein Streikrecht umgekehrt in den Schutz aus Art. 140 GG i.V. m. 137 III WRV eingreife63: Streiks würden den kirchlichen Auftrag nur beeinträchtigten, ihn wegen der zeitlichen Begrenztheit und der ohnehin bestehenden Einschränkungen des Streikrechts aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrund58 Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167); Däubler, RdA 2003, 204 (209); Kühling, AuR 2001, 241 (250); v. Nell-Breuning, AuR 1979, 1 (8); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 83, 100. 59 Kühling, AuR 2001, 241 (243). 60 Siehe zu den Gründen näher unter § 7 I. 2. b) aa) (3). 61 Kühling, AuR 2001, 241 (245); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 78, 82. 62 Gamillscheg, in: FS Zeuner, S. 39 (46), (50); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (361); ähnlich auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 140; Vogt, Der Dritte Weg, S. 58. 63 So etwa Kühling, AuR 2001, 241 (250); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (368); so wohl auch Schubert/Wolter, AuR 2013, 285 (288).

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satzes gerade im Bereich der Daseinsvorsorge aber nicht vollständig aushebeln64. Zudem sei die Verkündigung von Wort und Tat Jesu Christi durch die dem staatlichen Arbeitsrecht nicht unterstellten Geistlichen auch während eines Streiks sichergestellt65. Auch lasse sich ein Streik mit den christlichen Prinzipien wie Versöhnung und Nächstenliebe, die oft gegen ein Streikrecht in Stellung gebracht würden, vereinbaren, denn auch ein Arbeitskampf sei in der Konsequenz auf eine Versöhnung gerichtet, die durch den Abschluss eines Tarifvertrags vollzogen werde66. Insofern sei ein Streikrecht der Beschäftigten ein verhältnismäßig erträglicher Eingriff in die kirchliche Autonomie. Demgegenüber werde aber bei einem Streikausschluss in den Kern der durch Art. 9 III GG geschützten Tarifautonomie eingegriffen. Diese gelte auch für die Kirchen und könne nicht durch den Dritten Weg ausgeschlossen werden67. Durch den Ausschluss des Streikrechts würden Konfliktlösungsmechanismus und schärfste Waffe der Tarifautonomie beseitigt68. Die Tarifautonomie könne wegen des fehlenden Verhandlungsgleichgewichts nicht systemgerecht ohne ein Streikrecht funktionieren69. Die Arbeitnehmer hätten daher bei einem Streikausschluss nicht die Möglichkeit, ihre Arbeitsbedingungen selbst mitgestalten zu können, so wie Art. 9 III GG dies garantiere70. Damit sei im Ergebnis die Tarifautonomie durch einen Streikausschluss im Kern betroffen, das Selbstbestimmungsrecht sei jedoch weit weniger gravierend durch ein Streikrecht beeinträchtigt71. Das Streikrecht sei ein Grundrecht, das auch die Kirchen zu respektieren hätten72. Das Überwiegen des Streikrechts ergebe sich schließlich auch aus dem europäischen Recht, namentlich aus Art. 6 Nr. 4 ESC. Diese Vorschrift, die ein Streikrecht garantiere, sei wegen des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung beachtlich, zudem unterliege dieses Streikrecht derzeit mangels Vorliegens einer formellgesetzlichen Regelung gemäß Art. 31 ESC keinen Einschränkungen73.

64 Däubler, RdA 2003, 204 (209); Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 268; vgl. auch Kühling, AuR 2001, 241 (250); Oswald, Streikrecht, S. 144 f. 65 Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 268. 66 Kühling, AuR 2001, 241 (248); vgl. auch Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (885). 67 Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 83. 68 Kühling, AuR 2001, 241 (250); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (367). 69 Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167); Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 269; Oswald, Streikrecht, S. 146. 70 Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 269; Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 82. 71 Däubler, RdA 2003, 204 (209); Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 269; Kühling, AuR 2001, 241 (250); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (368). 72 Bischoff/Hammer, AuR 1995, 161 (167). 73 Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 98.

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3. Lösung zu Gunsten eines eingeschränkten Streikrechts Nach einem anderen Ansatz kann die Kollision zwischen Selbstbestimmungsrecht und Koalitionsfreiheit nicht generell zu Gunsten eines der Rechtsgüter aufgelöst werden74. Der Grundsatz der Einheit der Verfassung liefe leer, wenn die Koalitionsfreiheit oder das Selbstbestimmungsrecht generell zurücktreten müssten. Insofern könne die Frage nach der Zulässigkeit eines Streikausschlusses im kirchlichen Dienst nicht einheitlich beantwortet werden. Stattdessen wird die Kollision von Selbstbestimmungsrecht und Koalitionsfreiheit von den Vertretern eines „Mittelweges“ durch eine Güterabwägung im Sinne praktischer Konkordanz aufgelöst75. Hierbei gehe es um eine Harmonisierung der Rechtsgüter, bei der beide Positionen in einen schonenden Ausgleich zu bringen seien. Beiden Rechtsgütern solle Raum zur Entfaltung bleiben, keine Position dürfe sich vollständig auf Kosten der anderen durchsetzen und keine Position dürfe vollständig zu Gunsten der andern aufgegeben werden76. Ein Streikrecht könne demnach weder von vornherein grundsätzlich ausgeschlossen noch grundsätzlich anerkannt werden77. Ein absoluter Ausschluss des Streikrechts sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Umgekehrt beschränke ein vollumfängliches Streikrecht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht unangemessen und verstoße damit gegen die Garantie des Selbstbestimmungsrechts. Methodisch soll der Ausgleich der beiden Rechtspositionen hierbei anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verwirklicht werden78. Dieser Grundsatz, anhand dessen sich vor allem die Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in Grundrechtspositionen beurteile, sei auch anwendbar, wenn die Ausübung einer Freiheit in die Positionen Dritter eingreife. Eine rücksichtslose Ausübung von Freiheiten werde von der Rechtsordnung nicht anerkannt79. Deswegen stünden Arbeitskämpfe unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit80. Insofern wird hier untersucht, ob ein durch die Freiheitsausübung entstehender Eingriff in geschützte Rechtsgüter Dritter durch den Grundsatz der Verhältnis74 Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (438); Birk, AuR 1979, Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 9 (19); Joussen, RdA 2011, 173 (177); Joussen, ZMV 2012, 340 (340); Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55. 75 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463); Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (490); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Joussen, RdA 2011, 173 (177); Joussen, ZMV 2012, 2 (3); Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 50 und 55. 76 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (485 f.); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (438 f.); Vogt, Der Dritte Weg, S. 114. 77 Vogt, Der Dritte Weg, S. 114, 118. 78 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (486); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15. 79 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (486); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (439). 80 Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (439).

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mäßigkeit gerechtfertigt ist. Ein Streikrecht greife zwar in den Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ein. Fraglich sei aber, ob dies durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden könne. Der Ausgangspunkt der Prüfung ist damit, ob ein Streik in kirchlichen Einrichtungen ein verhältnismäßiger Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist. Unter welchen Voraussetzungen ein Streikrecht verhältnismäßig ist, wird hierbei wiederum unterschiedlich beantwortet: a) Keine Erforderlichkeit eines Streikrechts bei Gleichwertigkeit von Drittem Weg und Tarifvertragssystem Teilweise wird bereits die Eignung eines Streiks im kirchlichen Dienst bestritten81. Denn dieser sei nur zulässig zur Erreichung eines Tarifvertrags. Sofern die Kirchen ein adäquates Modell zur Regelung ihrer Arbeitsbeziehungen anwendeten, könnten sie nicht in das Tarifsystem gezwungen werden82. Dann sei ein Streik nicht geeignet, um eine tarifliche Regelung zu erreichen83. Problematisiert wird daneben – notfalls hilfsweise84 – die Erforderlichkeit von Streiks in kirchlichen Einrichtungen. Streiks seien nicht erforderlich, wenn ein gleich effektives, aber weniger in die Rechte des Gegenübers eingreifendes Verhalten möglich sei. Insoweit sei ein Streikrecht mangels Erforderlichkeit zu verneinen, wenn der Zweck des Streiks, die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers auszugleichen und insoweit Parität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herzustellen, auch auf anderem Wege möglich und dieses Verfahren schonender für die Kirchen sei85. Grundsätzlich bestehe demnach zwar ein Streikrecht auch in kirchlichen Einrichtungen, bei Anwendung eines den Zweck der Koalitionsfreiheit gleichwertig verwirklichenden Verfahrens fehle es aber an der Erforderlichkeit, so dass ein Streik dann grundsätzlich unzulässig sei86. Folglich komme es darauf an, ob der kircheneigene Dritte Weg ein verglichen mit der Tarifautonomie gleichwertiges Instrument im Hinblick auf gleichgewichtige Ver-

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Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (94). Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (94). 83 Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (94 f.). 84 So Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (95). 85 Vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463); Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (487); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (441); Joussen, in: Fey/ Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (95); Joussen, ZMV 2012, 2 (3 f.); Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55. 86 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (487); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Joussen, ZMV 2012, 2 (4). 82

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handlungsmöglichkeit sei87. Wann der Dritte Weg gleichwertig ist, wird unterschiedlich beurteilt. aa) Gleichwertigkeit Einerseits wird er bereits in der gegenwärtigen Ausgestaltung als gleichwertig angesehen88: Dies ergebe sich daraus, dass die Kommissionen paritätisch besetzt seien. Hierdurch könne die Kirche als Dienstgeber nicht einseitig die Bedingungen diktieren. Die Arbeitnehmervertreter seien unabhängig, wie sich aus den Regelungen zu der Weisungsfreiheit, zum Sonderkündigungsschutz und zur Arbeitsbefreiung der Dienstnehmervertreter ergebe. Bei Pattsituationen entscheide der Schlichtungsausschuss, so dass die Arbeitgeberseite eine Lösung des Konflikts nicht verhindern könne89. Dies sichere den Arbeitnehmern ausreichende und dem Tarifvertragssystem ebenbürtige Einflussmöglichkeiten. Bei Zugrundelegung dieses Dritten Weges wird damit ein Streik zwar nicht von vornherein und vollständig, wohl aber aufgrund der fehlenden Erforderlichkeit für ausgeschlossen gehalten. bb) Entscheidung des BAG Das BAG hat in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit des Dritten Weges festgestellt, dass der Dritte Weg grundsätzlich in der Lage sei, das Tarifvertragssystem mit Arbeitskampfrecht zu ersetzen, und damit den kirchlichen Weg im Prinzip als zulässig anerkannt90. Dabei hat es das Kommissionssystem und die Zwangsschlichtung, ähnlich wie die von einer bestehenden Gleichwertigkeit ausgehende Ansicht, grundsätzlich gebilligt91. Damit der Dritte Weg das Tarifvertragssystem ersetzen kann, hat das BAG allerdings gewisse Voraussetzungen aufgestellt, die die Kirchen mit ihrem Dritten Weg erfüllen müssten. Erstens müssten die Gewerkschaften in geeigneter Weise in das Rechtsetzungsverfahren einbezogen werden92 und zweitens müsse gesichert werden, dass die Kommissionsbeschlüsse verbindlich umgesetzt werden93. Unter diesen Voraussetzungen kann also der Streik im kirchlichen Dienst nach der Ansicht des BAG wirksam ausgeschlossen werden. 87 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (487); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Joussen, ZMV, 2012, 2 (3 f.); Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55. 88 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (488); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Joussen, ZMV 2012, 2 (4); Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (228). 89 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (485 f.); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 32. 90 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463). 91 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463 f.). 92 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464). 93 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464).

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cc) Keine Gleichwertigkeit Teilweise wird der Dritte Weg in seiner gegenwärtigen Ausprägung allerdings auch nicht für gleichwertig gehalten94. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass die Kommissionsmitglieder nicht in einer mit dem Schutz nach weltlichem Recht vergleichbaren Weise unabhängig seien, sowie zum anderen aus dem Letztentscheidungsrecht des Bischofs bei Uneinigkeit der Kommission, der auf diese Weise faktisch die Arbeitsbedingungen einseitig festlegen könne95. Auch die Besetzung der Kommissionen mit haupt- oder nebenamtlichen Mitarbeitern der Kirche und nicht mit Gewerkschaftsfunktionären sei letztlich nicht vergleichbar mit der Verhandlungsführerschaft und Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften im Tarifvertragssystem und verstoße damit gegen die Rechte der Gewerkschaften auf koalitionsspezifische Betätigung, so dass der Dritte Weg nicht mit Art. 9 III GG zu vereinbaren sei96. Überdies sei die bei Pattsituationen teilweise vorgesehene Schlichtung als Konfliktlösungsmechanismus ein unzulässiger Verstoß gegen Art. 9 III GG97. Damit seien bei dem derzeitigen Stand der Entwicklung des Dritten Weges Streiks zulässig, die auf den Abschluss eines Tarifvertrags zielen98. Insoweit könnte nach dieser Ansicht ein Systemwechsel erzwungen werden. Soweit ein der Tarifautonomie gleichwertiges Verfahren der Kirchen geschaffen werde, wird die Befugnis, für Tarifverträge und damit für einen Systemwechsel zu streiken, jedoch teilweise wieder aberkannt99. Insoweit könne dann dieser modifizierte Dritte Weg das Tarifvertragssystem ersetzen. Diskutiert wird weitergehend, ob Streiks im Rahmen dieses modifizierten Dritten Weges zulässig wären. Teilweise wird hier ein Streik für zulässig gehalten,

94 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (195 f.); Hartung, Überbetriebliche Mitwirkung, S. 269; vgl. auch Kühling, AuR 2001, 241 (250); Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 83; Oswald, Streikrecht, S. 225; Strake, Streikrecht, S. 126 f. 95 Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 83; Oswald, Streikrecht, S. 193; im Ergebnis auch Strake, Streikrecht, S. 126 f., der zwar die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter gewahrt sieht, der aber das Letztentscheidungsrecht als Verstoß gegen die Parität ansieht, hierzu insb. S. 125 f.; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 209. 96 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (196); Czycholl, Anm. zu EzA Nr. 148 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 76; Kühling, AuR 2001, 241 (250); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 143, 147, 209; vgl. aber auch Strake, Streikrecht, S. 115 f.; zurückhaltender Oswald, Streikrecht, S. 189 f., 209. 97 Kühling, AuR 2001, 241 (250 i.V. m. 245); Strake, Streikrecht, S. 122 f.; ähnlich Czycholl, Anm. zu EzA Nr. 148 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 75. 98 Oswald, Streikrecht, S. 234 f.; Strake, Streikrecht, S. 126 f.; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 201. 99 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 201; so wohl auch Strake, Streikrecht, S. 88–126.

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um eine Regelung im Rahmen des Dritten Weges erkämpfen zu können100. Der Arbeitskampf sei nicht untrennbar mit der Tarifautonomie verbunden, sondern diene allgemein der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen101. Die Interessenlage der Arbeitnehmer sei gleich, egal ob das Tarifvertragssystem Anwendung finde oder der Dritte Weg. Ein Arbeitskampf sei auch im Rahmen des Dritten Weges geeignet, den Einigungsdruck zu erhöhen, um den Abschluss einer Vereinbarung im Rahmen dieses Kommissionsmodells zu erreichen102. Zudem seien die Arbeitnehmer auch hier in der strukturell unterlegenen Position. So könne ein Dritter Weg beschritten werden, der dem Tarifvertragssystem ebenbürtig sei und der mithin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre103. b) Differenzierung nach Kern- und Randbereich im Rahmen der Angemessenheitsprüfung Soweit die Erforderlichkeit eines Streiks bejaht wird, werden dem Streikrecht teilweise im Rahmen der Angemessenheitsprüfung, also der eigentlichen Güterabwägung, Einschränkungen im Einzelfall auferlegt. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Güterabwägung seien Einschränkungen des Streiks möglich, wenn im Einzelfall das kirchliche Selbstbestimmungsrecht überwiegt. Nach diesem Ansatz wäre also ein Streik im Grundsatz zulässig, in besonderen Konstellationen wären aber Einschränkungen möglich. Demgegenüber führt die Annahme einer fehlenden Erforderlichkeit zu einem grundsätzlichen und umfassenden Streikausschluss. Teilweise wird vertreten, dass im Rahmen der Angemessenheit eine Differenzierung nach der Art der konkret ausgeübten Tätigkeit vorgenommen werden müsse. Zunächst seien Streiks in Bereichen möglich, die kommerziellen Zwecken dienen, wie in Klosterbrauereien oder kirchlichen Banken, weil dann der kirchliche Arbeitgeber nicht härter als ein weltlicher Arbeitgeber getroffen werde104. Aber auch im diakonischen Dienst müssten die einzelnen Arbeitsbereiche unterschieden werden. Je intensiver die Religionsfreiheit durch einen Streik tangiert

100 So Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, 169; nicht eindeutig Oswald, Streikrecht, der auf S. 140 f. ein Streikrecht außerhalb der Tarifautonomie für systemwidrig hält. Auf S. 150 wird vertreten, Streiks seien trotz ihrer Hilfsfunktion für die Tarifautonomie nicht nur auf das Tarifvertragssystem beschränkt. 101 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 91 f. 102 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 167. 103 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 186. 104 Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (490); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442 f.).

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werde, desto eher gehe Abwägung zu Gunsten der Kirchen aus105. Nicht alle Mitarbeiter erledigten jedoch Tätigkeiten, die dem religiös motivierten Dienst am Nächsten zugerechnet werden können106. Insoweit sei die Nähe der Tätigkeit zum kirchlichen Auftrag entscheidend. Für die Frage nach einem Streikrecht sei danach zu differenzieren, ob die Mitarbeiter ihren Dienst im Rand- oder im Kernbereich karitativer Tätigkeit leisten107. Bei der konkreten Zuordnung von Tätigkeiten zum Kern- oder Randbereich sei maßgeblich, ob der religiöse Auftrag der Einrichtung durch einen Arbeitskampf konkret gefährdet werde108. Eine Gefährdung des kirchlichen Auftrags sei bei Streiks von Personen, die im Randbereich tätig seien, nicht zu befürchten. So werde die Erfüllung des kirchlichen Auftrags nicht in Frage gestellt, wenn Reinigungspersonal, Küchenbedienstete oder Mitarbeiter in bestimmten Verwaltungszweigen streiken dürften109. Insoweit sei eine Erstreckung des Streikrechts auf diese Mitarbeitergruppen ein vergleichsweise schwacher Eingriff in die kirchliche Selbstbestimmung110. In verkündigungsnahen Tätigkeiten, also im Kernbereich, dürfe demnach nicht gestreikt werden, weil anderenfalls die Erfüllung des kirchlichen Auftrages gefährdet würde111. Auf diese Weise könne sichergestellt werden, dass der kirchliche Auftrag nicht in Frage gestellt und jederzeit verwirklicht werden könne. Auf der anderen Seite verbleibe auch noch Raum für die Koalitionsfreiheit112. Dieses Ergebnis wird mit einer Parallele zu der Rechtsprechung im Bereich des Kündigungsrechts wegen Verstoßes gegen Loyalitätspflichten begründet113. Auch hier gebe es gestufte Loyalitätspflichten, so dass Personen, die nah am Kern des kirchlichen Auftrages wirkten, höhere Anforderungen an ihr Verhalten hinzunehmen hätten114. 105

Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (488); Belling, ZevKR 48 (2003), 407

(442). 106

LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194). LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 195 (194); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 31; Vogt, Der Dritte Weg, S. 115; so könnte auch Birk, AuR 1979 Sonderheft Kirche und Arbeitsrecht, 9 (19) zu verstehen sein. 108 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 31; Strake, Streikrecht, S. 141; Vogt, Der Dritte Weg, S. 115. 109 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 31; Strake, Streikrecht, S. 140–142; Vogt, Der Dritte Weg, S. 116; vgl. auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 39–41 in Bezug auf eine Anwendung des Zweiten Wegs. 110 Vogt, Der Dritte Weg, S. 117. 111 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Vogt, Der Dritte Weg, S. 116 f. 112 Strake, Streikrecht, S. 140 f. 113 Strake, Streikrecht, S. 141; ferner Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 39 bei Nichtanwendung des Dritten Weges. 114 Strake, Streikrecht, S. 141. 107

II. Eigener Ansatz

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II. Eigener Ansatz Dass eine Kollision vorliegt, ist zu Recht weitgehend unbestritten. Es ist in den vorhergehenden Kapiteln festgestellt worden, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Prinzip auch die Befugnis beinhaltet, ein Streikrecht auszuschließen115. Ferner ist herausgearbeitet worden, dass das Streikrecht, das sich aus der Koalitionsfreiheit ergibt, aufgrund der unmittelbaren Drittwirkung der Vorschrift im Prinzip auch von den Kirchen zu beachten ist116. Insofern kollidieren die Regelungsbereiche von Selbstbestimmungsrecht und Streikrecht. Damit steht aber nicht fest, wie die Kollision aufzulösen ist. Uneinigkeit besteht nicht nur in der Sache, sondern bereits in der Art und Weise, wie die Kollision aufzulösen ist. Insofern ist zuerst zu untersuchen, anhand welcher Kriterien die Auflösung der Kollision zu erfolgen hat. 1. Konfliktlösungsmechanismus a) Unterschiedlicher Rang der kollidierenden Rechte? Einfach wäre die Lösung des Konfliktes, wenn eines der Rechtsgüter abstrakt höherwertig und damit per se vorrangig wäre. Auf europäischer Ebene sind Streikrecht und Selbstbestimmungsrecht in gleichrangiger Weise garantiert, nämlich für den Bereich des Unionsrechts im Rang des Primärrechts und im völkerrechtlichen Bereich auf der Ebene der EMRK. Insoweit ergibt sich europarechtlich kein per se-Vorrang eines Rechtsguts. aa) Vorrang des Streikrechts? Teilweise wird auf der Ebene der nationalen Gewährleistungen ein Vorrang des Streikrechts vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vertreten. Die Höherwertigkeit des Streikrechts im Vergleich zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ergebe sich daraus, dass das Streikrecht im Gegensatz zum Selbstbestimmungsrecht, das einen Schrankenvorbehalt habe, dem Wortlaut nach schrankenlos gewährleistet sei117. Diese Argumentation vermag indessen nicht zu überzeugen. Die Unterschiedlichkeit der Schrankenvorbehalte ist grundsätzlich kein taugliches Kriterium zur Bestimmung des hierarchischen Ranges einer grundgesetzlichen Verbürgung118. Richtig ist, dass in Art. 9 III GG kein ausdrücklicher Schrankenvorbehalt ange115

Vgl. § 2 III. 3. d). Vgl. § 4 III. 2. 117 Vgl. Gamillscheg, in: FS Zeuner, S. 39 (46); zurückhaltender Naendrup, AuR 1979 Sonderheft, 37 (41). 118 Dreier, GG, Vorb. Rn. 141; Rüfner, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 453 (462 f.). 116

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legt ist. Gleichwohl gilt Art. 9 III GG nicht unbeschränkt, sondern in den Grenzen, die bereits herausgearbeitet worden sind. Insoweit genügt an dieser Stelle der Hinweis, dass das Streikrecht ausgestaltungsbedürftig und aufgrund anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang beschränkbar ist. Damit ergibt sich aus der Vorbehaltlosigkeit lediglich, dass nur Rechtsgüter mit Verfassungsrang die Koalitionsfreiheit beschränken können119. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist ein Rechtsgut mit Verfassungsrang. Damit ist es prinzipiell in der Lage, dem Streikrecht Schranken zu ziehen. Daher geht die Annahme eines per se-Vorrangs aufgrund unterschiedlicher Schrankenbestimmungen fehl120. Teilweise wird auch eine Höherrangigkeit des Streikrechts insofern angenommen, als es als Grundprinzip der Rechtsordnung angesehen wird, das die kirchliche Befugnis begrenze. Einerseits wird auch hier auf den fehlenden Schrankenvorbehalt und die Drittwirkung der Koalitionsfreiheit Bezug genommen, die die exponierte Stellung der Koalitionsfreiheit innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes belegen sollen121. Zudem stehe die Koalitionsfreiheit in einem engen Zusammenhang zu der Menschenwürde, da die Koalitionsfreiheit Schutz vor Fremdbestimmung und Ausbeutung biete und somit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit beitrage122. Hieraus ergebe sich, dass die Koalitionsfreiheit ein Grundprinzip der Rechtsordnung sei. Weil das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen die Koalitionsfreiheit verletze, sei es per se unzulässig, ohne dass es auf eine Untersuchung der Beweggründe und eine sachgerechte Abwägung ankomme123. Auch diese Auffassung erscheint indessen unzutreffend: Dem Argument liegt erkennbar die aus den bereits thematisierten Gründen abzulehnende Annahme eines Grundrechts auf Streik zu Grunde124. Das hinter dem Streikrecht stehende Grundrecht ist aber vielmehr die Koalitionsfreiheit. Der Streik ist nur ein im Rahmen der Tarifautonomie mitgarantiertes Mittel. Tarifautonomie und Streik sind nicht die einzigen koalitionsspezifischen Betätigungen. Damit ergibt sich aus dem Ausschluss des Streikrechts für Kirchenbedienstete nicht in jedem Fall ein unerträglicher Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung im Sinne des Art. 6 EGBGB125, genauso wenig wie etwa der Ausschluss der Beamten vom Streikrecht den anerkannten Grundprinzipien der Rechtsordnung widerspricht.

119

So auch Dreier, GG, Vorb. Rn. 139. So auch Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, 156; vgl. auch Walhdoff, in: GS Heinze, S. 995 (1001). 121 Kühling, AuR 2001, 241 (243); Naendrup, BlStSozArbR 1979, 353 (367). 122 Kühling, AuR 2001, 241 (243). 123 Kühling, AuR 2001, 241 (243–245). 124 So auch Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (95). 125 Hierzu näher unter § 6 II. 3. c). 120

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Zweifelhaft erscheint im Übrigen, ob die These, das Streikrecht sei eine besondere Konkretisierung der Menschenwürde, inhaltlich aufrechterhalten werden kann126. Aus diesem besonderen Bezug des Streikrechts zu der unabwägbaren Menschenwürde würde sich eine Überhöhung des Streikrechts zu einem „Supergrundrecht“ ergeben. Abgesehen von der unzutreffenden Annahme eines Grundrechts auf Streik, müsste diese besonders herausgehobene Stellung des Streikrechts in der Konsequenz dazu führen, dass in weitaus mehr als den bisher anerkannten Bereichen und in weitaus größerem Umfang gestreikt werden könnte, weil ein Streik aufgrund der abstrakten Höherwertigkeit im Verhältnis zu anderen Rechtsgütern eher verhältnismäßig wäre bzw. überhaupt nur sehr eingeschränkt einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegen würde. Dies ist aber keinesfalls Verfassungslage. Streiks sind nach dem durch das Grundgesetz vorgesehenen „friedlichen“ Modell zur Regelung der Arbeitsbeziehungen aufgrund des Funktionszusammenhangs zur Tarifautonomie begrenzt und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig127. Auch verglichen mit den Streikgewährleistungen in anderen Staaten stellt der Streik im gegenwärtigen deutschen Rechtssystem eine Ausnahmesituation dar128. Zudem lässt die These die in Art. 9 III GG angelegte erhebliche Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit außer Acht. Eine abstrakte Höherwertigkeit des Streikrechts ergibt sich damit nicht. Fraglich kann an dieser Stelle noch sein, ob Tarifsystem und Streikrecht eine zwingende Folge aus dem Abschluss von Arbeitsverträgen sind. Die zur Begründung dieser Auffassung in Bezug genommene BVerfG-Entscheidung129 vermag indessen diesen Schluss nicht zu bestätigen. Zwar ist die Konsequenz aus dem Abschluss von Arbeitsverträgen, dass das staatliche Arbeitsrecht gilt. Dies hebt jedoch, wie das BVerfG in derselben Entscheidung festgestellt hat, die Zugehörigkeit der Beschäftigung von Personal zu den eigenen Angelegenheiten gerade nicht auf130. Deshalb dürfen die Kirchen, auch sofern sie Arbeitnehmer beschäftigen, weiterhin Regelungen zur Modifikation des staatlichen Arbeitsrechts treffen, um so den bekenntnisspezifischen Anforderungen der Mitarbeit im kirchlichen Dienst Rechnung tragen zu können131. Dazu gehört auch, wie das BVerfG weiter ausführt, dass die Kirchen ihren Dienst am Grundsatz der Dienstgemein-

126 So auch Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (438); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1000 f.). 127 Siehe ausführlich unter § 4 II. 128 Vgl. etwa Kerwer, EuZA 2008, 335 (351 f.). 129 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 130 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 131 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165).

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schaft ausrichten dürfen132, zu der nach kirchlichem Verständnis ein Arbeitskampf nicht passt. Daher ist das Streikrecht keineswegs schlichte Folge der Rechtswahl. bb) Vorrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts? Teilweise wird auch umgekehrt vertreten, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht von vornherein ein Streikrecht ausschließen könne. Dies wird einerseits damit begründet, dass hinsichtlich des Streikrechts formell gar kein für alle geltendes Gesetz vorliege, sondern nur Richterrecht. Auch dies kann, wie bereits dargelegt, nicht überzeugen: Dies liegt zum einen daran, dass die Koalitionsfreiheit, aus der sich das Streikrecht ergibt, eine gesetzliche Grundlage hat, und zum anderen daran, dass der Schrankenvorbehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach der hier vertretenen Auffassung generell bei Berührungspunkten von staatlicher und kirchlicher Ordnung anzuwenden ist. Nicht zu überzeugen vermag auch der Versuch, das Streikrecht von vornherein als Schranke der kirchlichen Selbstbestimmung auszuschließen, weil das Streikrecht nicht als wesentliche und einzige Betätigung der Koalitionsfreiheit angesehen wird133. Denn alle Versuche, den Vorrang des einen oder anderen Rechtsguts derart zu begründen, dass eine Begrenzung durch das jeweils andere Rechtsgut von vornherein ausgeschlossen ist, berücksichtigen einen entscheidenden Gesichtspunkt nicht: Die Rechtspositionen sind formell normhierarchisch gleichrangig, und beide ergeben sich aus dem Grundgesetz. Damit treffen hier zwei Verfassungsnormen aufeinander. Weil das Wesen der Verfassung darin besteht, dem politischen und gesellschaftlichen Leben der staatlichen Gemeinschaft eine einheitliche Ordnung zu geben134, ist bei der Auflösung einer Kollision von Verfassungsnormen das vornehmste Prinzip die Einheit der Verfassung135. Dies führt dazu, die Grundgesetzbestimmungen soweit möglich widerspruchsfrei zueinander auszulegen. Kollidierende Verfassungsbestimmungen sind demnach miteinander in einen angemessenen Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen, so dass sich die Positionen relativ optimal entfalten136. Hieraus ergibt sich, dass ein 132 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 133 So aber Robbers, Streikrecht, S. 81. 134 BVerfG, Urt. v. 14.12.1965 – 1 BvR 413/60, BVerfGE 19, 206 (220). 135 Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (300) m.w. N.; vgl. hierzu auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Einl. Rn. 10; Roellecke, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 22 (32 f.) m.w. N. 136 So bereits BVerfG, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68, BVerfGE 41, 29 (51); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72; Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 20.

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Rechtsgut nicht vollständig zu Gunsten eines anderen „geopfert“ werden darf 137. Der Kernbereich einer Regelung muss demnach unangetastet bleiben. Daraus folgt auch, dass in aller Regel die Bestimmungen des Grundgesetzes im gleichen Rang stehen müssen und sich nur in Ausnahmefällen in unterschiedlichem Rang befinden138. Damit verträgt sich ein „Vorab-Vorrang“ des Streikrechts oder des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts allerdings nicht. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung der hier kollidierenden Positionen vermag es nicht zu überzeugen, den Vorrang des einen oder anderen Rechtsguts aufgrund eines Vergleichs mit einfachgesetzlichen Normen zu begründen. Damit kann es letztlich dahinstehen, ob eine Analogie zu § 118 II BetrVG oder ein Erst-Recht-Schluss aus dieser Vorschrift geeignet sind, einen Streikausschluss zu begründen. Die Kollision muss vielmehr auf dem Boden der Verfassung aufgelöst werden. Dies schließt es freilich vom Ergebnis her nicht aus, dass die Kirchen vollumfänglich ein Streikrecht ausschließen dürfen oder dass ein Streikrecht der kirchlichen Beschäftigten in vollem Umfang anzuerkennen ist. Ein derartiges Ergebnis muss sich aber aus der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen ergeben, und insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit der Verfassung haltbar sein. b) Gleichrangigkeit Nach dem Gesagten läuft alles auf eine Gleichrangigkeit des Streikrechts und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts hinaus, die sich beide unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben139. Ein absoluter Vorrang eines der Rechtsgüter kann demgegenüber nicht angenommen werden140. Einige der in der Wissenschaft vorgetragenen Lösungsansätze können somit bereits von vornherein nicht überzeugen. Wenn damit kein per se-Vorrang eines Rechtsgutes anzunehmen ist, muss der Konflikt auf eine andere Weise aufgelöst werden. Vorzuziehen erscheint damit eine Lösung, die einen Ausgleich der betroffenen Positionen anhand einer Güterabwägung vornimmt. Für die Vornahme dieser Abwägung kommen zwei verschiedene Modelle in Betracht. Einerseits ist es denkbar, eine Abwägung wie bei einer Grundrechtskollision vorzunehmen; andererseits ist es auch möglich, den Ansatz zugrundezulegen, der von einer asymmetrischen Kollisionslage ausgeht. Zu klären ist damit im Folgenden, welches Ausgleichsmodell der Kollision von Selbstbestimmungsrecht und Koalitionsfreiheit am besten gerecht wird.

137 138 139 140

Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (437). So etwa Art. 1 I GG; vgl. hierzu Rüfner, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 453 (462). Zutreffend Bepler, ZAT 2013, 85 (86); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1000). Richtig auch Heinig, ZevKR 58 (2013) 177 (183 f.).

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2. Dogmatische Ausgangslage der Kollision a) Grundrechtskollision Fraglich ist zunächst, ob die Methode zur Auflösung von Grundrechtskollisionen hier sachgerecht ist. Eine Grundrechtskollision liegt vor, wenn die Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander kollidieren141. Damit ist die Ausübung der grundrechtlichen Freiheit des einen Rechtsinhabers nicht mit der Ausübung der grundrechtlichen Freiheit des anderen Rechtsinhabers vereinbar142. In diesen Fällen soll ein Ausgleich derart vorgenommen werden, dass Verfassungsgüter nicht vorschnell zu Gunsten eines anderen relativiert werden. Vielmehr sind die widerstreitenden Grundrechte miteinander in einen schonenden Ausgleich zu bringen, so dass die Gewährleistungen beider Rechtspositionen optimiert werden143. Hierbei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zentrale Bedeutung zu144. Diese Methode zu Grunde gelegt, müsste der Prüfungsansatz danach fragen, ob der Streikausschluss der Kirchen verhältnismäßig ist, oder ob die Koalitionsfreiheit hierdurch unangemessen beschränkt wird145. Es ginge bei dieser Güterabwägung um die Rechtfertigung eines Eingriffs durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierbei wäre das Recht auf Selbstbestimmung mit dem Streikrecht so abzuwägen, dass beide Rechtspositionen relativ optimal verwirklicht werden146. Die Positionen müssten sich bildlich gesprochen aufeinander zu bewegen. Das legt zumindest auf den ersten Blick eine Lösung der Kollision im Rahmen der Güterabwägung über einen vermittelnden Weg nahe, der zu einem „bisschen Streik“ 147 führen könnte, bei dessen Zulässigkeit etwa nach der Nähe der jeweils ausgeübten Tätigkeit zum kirchlichen Auftrag der Mitarbeiter differenziert werden könnte148. Andererseits wird zum Teil auch das Vorliegen eines Streikrechts mangels Erforderlichkeit grundsätzlicher verneint, wenn der Dritte Weg gleichwertig mit Tarifvertragssystem und Streikrecht ist149. 141

Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 629. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 48. 143 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72; Rüfner, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 453 (466). 144 So für die hier vorliegende Kollision Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (439). 145 Dies ist insb. der Ansatz von Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (439); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (250 f.), (258 f.). 146 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Einleitung Rn. 10. 147 Diese Formulierung verwenden etwa Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (91); Manterfeld, KuR 2011, 86 (86). 148 So LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); vgl. aber auch Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (444); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 39; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 31; Strake, Streikrecht, 140–142; Vogt, Der Dritte Weg, 115. 142

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b) Bedenken gegen eine Lösung anhand dieses Ansatzes Die hier aufzulösende Kollision grundgesetzlicher Bestimmungen geht jedoch über das bloße Abschichten und gegenseitige Abwägen von Freiheiten hinaus150. Zwar garantiert das Selbstbestimmungsrecht den Kirchen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV die Freiheit zur eigenverantwortlichen Regelung eigener Angelegenheiten, aus der sich die Befugnis ergibt, die kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse an die religiös bedingten Besonderheiten sachgerecht anpassen zu dürfen. Damit beinhaltet es ohne Zweifel freiheitsrechtliche Gewährleistungen. Aber darüber hinausgehend ist das Selbstbestimmungsrecht, wie am Anfang der Untersuchung festgestellt wurde151, auch und vor allem eine institutionelle Garantie, die den Kirchen als Institutionen Schutz vor unzulässiger staatlicher Einmischung bietet und die die Regelungsautonomie der Institution Kirche anerkennt. Art. 137 III WRV ist Ausdruck einer materiellen Wertentscheidung der Verfassung, nicht nur den ohnehin staatlicherseits unantastbaren Freiheitsbereich der Kirchen und der Einrichtungen, sondern darüber hinaus auch die besondere Eigenständigkeit dieser Institution gegenüber dem Staat anzuerkennen152. Folglich handelt die hier aufzulösende Kollision nicht nur von einer Überschneidung der Freiheiten mehrerer Grundrechtsträger, sondern es geht darüber hinaus auch um die Frage nach der Reichweite der Anerkennung kirchlicher Autonomie in dem konkreten Fall und damit letztlich auch um das Verhältnis von staatlichen und kirchlichen Befugnissen insgesamt153. Insoweit geht es hier um ein Problem, bei dem sich nicht nur Grundrechtsträger, sondern im Prinzip mehrere Rechtsordnungen, nämlich der weltliche Art. 9 III GG und die entsprechenden und teilweise konträr laufenden kirchlichen Regelungen, gegenüberstehen154. Dieser besonderen verfassungsrechtlichen Kollisionslage muss die Methode, nach der ein Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen angestrebt wird, gerecht werden. Die Methode zur Auflösung von Grundrechtskonflikten würde dem Selbstbestimmungsrecht nur das Gewicht eines Grundrechts- oder Tendenzschutzes zuordnen155 und ist demnach hier nicht passgenau156. 149 So etwa Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (439); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15. 150 So auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1002 f.); zurückhaltender jetzt Reichold, NZA 2013, 585 (588). Diesen Gesichtspunkt berücksichtigen Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (438) sowie Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (250), (258) nicht. 151 § 2 I. 1. 152 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 153 Zutreffend Augsberg, SAE 2012, 11 (12); a. A. Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (251). 154 So auch Augsberg, SAE 2012, 11 (12). 155 So auch Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (97); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206).

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3. Prüfansatz a) Verfassungsunmittelbare Begrenzung der Koalitionsfreiheit Kollisionen von Grundrechten mit nichtgrundrechtlichen Verfassungsgarantien können im Allgemeinen anders aufgelöst werden als Kollisionen von Grundrechten157. Die institutionellen Verfassungsgewährleistungen können den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts bereits verfassungsunmittelbar begrenzen158. Der Inhalt der Gewährleistung des Grundrechts ergibt sich dann erst aus der Zusammenschau von Grundrecht und Begrenzungsnorm159. Anerkannt ist beispielsweise, dass das Streikrecht keine Verletzung des Eigentums rechtfertigt160. Damit begrenzt diese institutionelle Garantie161 die grundrechtlich geschützte Freiheit verfassungsunmittelbar. Gleiches gilt verfassungssystematisch auch hinsichtlich des Beamtenstreikverbotes. Art. 33 V GG begrenzt, zumindest in seiner derzeitigen Ausprägung, ebenfalls verfassungsunmittelbar die Koalitionsfreiheit162. An dieser Systematik, dass objektive Garantien Grundrechte verfassungsunmittelbar begrenzen können, ändert insofern auch die EGMR-Rechtsprechung zum Beamtenstreik nichts, selbst wenn sie zu inhaltlichen Anpassungen führen sollte. Insoweit ist zu klären, ob sich verfassungsimmanent ebenfalls Beschränkungen des Streikrechts aufgrund der institutionellen Garantie des Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV ergeben. Auf der einen Seite steht hier das Streikrecht, das als Mittel koalitionsspezifischer Betätigung zur Erreichung von Tarifverträgen von Art. 9 III GG geschützt ist. Dieses Freiheitsrecht ist allerdings, wie bereits dargelegt, in weit größerem

156 So im Allgemeinen auch Grzeszick, AöR 2004, 168 (214); speziell zu dieser Kollision insoweit zutreffend Augsberg, SAE 2012, 11 (12); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (98); Thüsing, RdA 2003, 210 (211); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1002 f.). 157 Schneider, Die Güterabwägung, S. 114; Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1002). 158 Zum Ganzen Rüfner, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 453 (455–461); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 310–312; ferner Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1002 f.); die Frage, ob die verfassungsimmanenten Begrenzungen bereits den Schutzbereich beschränken oder ob sie einen verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellen, ist umstritten, bedarf aber hier keiner Klärung, vgl. dazu Dreier, GG, Vorb. Rn. 142; anders Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 19. 159 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 311. 160 Vgl. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 166; Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 61 (68 f.); Rieble, NZA 2008, 796 (798); Willemsen/Mehrens, Anm. zu AP Nr. 174 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, Bl. 875 R. 161 BVerfG, Urt. v. 18.12.1968 – 1 BvR 638/64, 1 BvR 673/64, 1 BvR 200/65, 1 BvR 238/65, 1 BvR 249/65, BVerfGE 24, 267 (389); BVerfG, Beschl. v. 15.07.1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300 (339); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 4. 162 Statt aller Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1003).

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Maße als andere Freiheiten von vornherein der Ausgestaltung zugänglich163. Hierdurch können auch die Grenzen definiert werden, innerhalb derer die Freiheit gewährleistet ist164, um auf diese Weise einen Ausgleich zwischen der Koalitionsfreiheit und den damit kollidierenden Rechten und Interessen Dritter herbeiführen zu können. Die Grenze der Ausgestaltung ist erreicht, wenn die effektive Möglichkeit zur Freiheitsausübung unmöglich ist, wenn also der Kernbereich der koalitionsmäßigen Betätigung betroffen ist, der nicht angetastet werden darf 165. Zudem ist die Koalitionsfreiheit wie jedes Freiheitsrecht ohne Gesetzesvorbehalt auch Beschränkungen durch andere Verfassungsverbürgungen zugänglich. Dies zeigt deutlich, dass die Koalitionsfreiheit allgemein und das Streikrecht im Besonderen auch für Begrenzungen offen sind und verfassungsimmanenten Schranken unterliegen. Die Koalitionsfreiheit und damit das Streikrecht sind kein absolut geschütztes Menschenrecht166. Auf der anderen Seite hat der Staat durch die institutionelle Garantie aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV einen Autonomiebereich der Kirchen verfassungsrechtlich anerkannt167. Der Staat akzeptiert damit eine Institution, die schon bei seiner Gründung bestand und die nicht nach staatlichen, sondern nach eigenen Regeln handelt168. Die Kirchen sind demnach befugt, ihre eigenen Angelegenheiten selbstverantwortlich und nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten zu regeln. Das Selbstbestimmungsrecht erlaubt es den Kirchen damit, in staatlich anerkannter Weise im Bereich der eigenen Zuständigkeit Rechtsetzungsbefugnisse auszuüben169. Zu dem Bereich, den die Kirchen selbst ordnen können, zählt auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern. Auf diese Weise können die Kirchen das Arbeitsrecht den religiösen Besonderheiten sachgerecht anpassen. Insofern sind die Kirchen prinzipiell auch befugt, ein System zur Regelung der kollektiven Arbeitsbedingungen zu schaffen. Hier trifft also die einer Ausgestaltung grundsätzlich offene Koalitionsfreiheit auf eine weitgehend autonome Institution mit staatlich anerkannter Eigenrechts163 Näher hierzu unter § 4 II. 1. b) bb); vgl. des Weiteren statt aller BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365 (394); BVerfG, Beschl. v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86, BVerfGE 94, 268 (284); Buchner, in: FS Hromadka, S. 39 (40); Degenhart, in: HGR III, § 61 Rn. 25; Höfling, in: FS Friauf, S. 377 (386); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 46 f.; Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96). 164 Zutreffend Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (913). 165 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (359); Engels, JZ 2008, 490 (494); Höfling, in: FS Friauf, S. 377 (383); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 24; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 88 f. 166 Vgl. auch Reichold ZTR 2012, 315 (317). 167 Vgl. hierzu ausführlich § 2 I. 1. 168 Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (97). 169 Vgl. zutreffend Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005 f.).

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macht. Diese Rechtsmacht reicht prinzipiell auch in den Bereich des kollektiven Arbeitsrechts und damit auch in die Koalitionsfreiheit hinein. Die Kirchen können damit aufgrund ihrer Rechtsmacht eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit für den Bereich ihrer Zuständigkeit herbeiführen170. Dieser Ausgestaltungsmöglichkeit ist die Koalitionsfreiheit also von vornherein verfassungsunmittelbar offen. Damit kann die institutionelle Garantie des Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV den Schutzumfang der Koalitionsfreiheit verfassungsunmittelbar beschränken171. Die Koalitionsfreiheit steht insofern unter dem Vorbehalt zulässiger Ausgestaltung, auch durch die Kirchen. In der Konsequenz hieße dies, dass die kirchliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit die Betätigungsmöglichkeiten der Koalition im Zuständigkeitsbereich der Kirchen bestimmen kann172. b) Grenze ist das für alle geltende Gesetz Fraglich ist, wie weit sich die Koalitionsfreiheit und damit auch das Streikrecht der kirchlichen Regelungsmacht öffnet. Denn die Kirchen haben keine Kompetenz-Kompetenz, sondern dürfen nur im Rahmen der für alle geltenden Gesetze Regelungen ihrer eigenen Angelegenheiten treffen. Dieser in Art. 137 III 1 WRV normierte Schrankenvorbehalt dient dem friedlichen Miteinander von Staat und Kirche und sichert dem Staat das unabdingbare Letztentscheidungsrecht 173. Der Staat ist somit kompetent, Beschränkungen der Kirchenfreiheit herbeizuführen, um für das Gemeinwesen bedeutsame Rechtsgüter, zu denen auch Grundrechte zählen, schützen zu können174. Deswegen ergibt sich aus dem Schrankenvorbehalt aber kein zwangsläufiger Vorrang der staatlichen vor der kirchlichen Regelung, vielmehr ist eine Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck durchzuführen175. Bei dieser Abwägung ist dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht zuzurechnen, da das Selbstbestimmungsrecht Ausdruck einer objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes ist176. 170 Richtig Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 129; Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1006) m.w. N. 171 So auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 200; Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); vgl. auch Rixen, in: Stern/Becker, Grundrechtekommentar, Art. 9 Rn. 91; Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 127; Waldhoff, in: GS Heinze S. 995 (1003); vgl. auch Rüfner, in: Mikat, Staat und Kirche, S. 174 (192). 172 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 200; Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 161; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 127; Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005). 173 Vgl. Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005). 174 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167). 175 So etwa BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (167 f.).

II. Eigener Ansatz

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Diese Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck unterscheidet sich erkennbar von der Abwägung, die im Rahmen von Grundrechtskollisionen durchgeführt wird177: Bei jener Methode geht es um den Schutz von Grundrechtspositionen durch einen Eingriff in die andere Grundrechtsposition und damit um die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Zwar sollen auch hier gegenläufige Rechtspositionen in einen Ausgleich gebracht werden. Die hier vorzunehmende Abwägung dient aber weitergehend der Koordinierung staatlicher und kirchlicher Befugnisse. Anhand der Abwägung wird die genaue kirchliche Ausgestaltungsbefugnis festgestellt und somit der Zuständigkeitsbereich der Kirchen in die staatliche Ordnung eingepasst178. Insoweit wird hierbei festgelegt, ob die kirchliche oder die staatliche Regelung anzuwenden ist. Es geht bei dieser Güterabwägung also letztendlich um die Bestimmung der Reichweite kirchlicher Selbstbestimmung179. Damit hat der Schrankenvorbehalt auch den Charakter einer Kollisionsnorm180. Aber auch inhaltlich ist die hier vorzunehmende Abwägung anders ausgestaltet als eine Abwägung widerstreitender Freiheitsbereiche. Dies ergibt sich einerseits aus der Kollisionslage, und andererseits macht das im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende besondere Gewicht der Kirchen deutlich, dass die Abwägung hier nicht symmetrisch verlaufen kann181. Weil hier die Koalitionsfreiheit, aus der sich das Streikrecht ergibt, und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zusammentreffen, ist zu klären, ob die Koalitionsfreiheit potentiell ein solches schrankenziehendes, für alle geltendes Gesetz darstellt. Dies wird teilweise mit nicht überzeugender Argumentation, vor allem aufgrund des Fehlens eines formellen Arbeitskampfrechts, verneint182. Die Schranke des für alle geltenden Gesetzes gilt für alle eigenen Angelegenheiten der Kirche183. Weil der Schrankenvorbehalt dem Zweck nach eine Abgrenzung staatlicher und kirchlicher Ordnungen ist, erscheint es zunächst nicht sinn176 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (400); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/ 84, BVerfGE 70, 138 (167). 177 Hierzu ausführlich oben unter § 2 IV. 1.; vgl. auch Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1008). 178 Zutreffend Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1006). 179 Mit Recht auch Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1006). 180 So jüngst auch Augsberg, SAE 2012, 11 (12). 181 Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1003), (1007); Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (64–66); Reichold, ZTR 2012, 315 (317); Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (113 f.); vgl. auch Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (98); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (911); Thüsing, RdA 2003, 210 (211). 182 Siehe auch unter § 2 IV. 2. m.w. N. 183 Vgl. v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 46; Morlok, in: Dreier, GG, 137 WRV Rn. 57.

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voll, formalistisch nur Gesetze als Schranken anzusehen, sondern die Formel ist vielmehr generell bei Berührungspunkten staatlicher und kirchlicher Normen anzuwenden184. Die Koalitionsfreiheit, ein Grundrecht mit Drittwirkung, nicht als ein potentiell für alle geltendes Gesetz anzuerkennen185, würde auch bedeuten, dass zwar die Kirchenfreiheit Schranke der Koalitionsfreiheit ist, nicht aber umgekehrt die Koalitionsfreiheit die Kirchenfreiheit begrenzen kann186. Es wäre jedoch eine sehr einseitige, den Rechten und berechtigten Interessen der Arbeitnehmerschaft nicht gerecht werdende Lösung des Konflikts, wenn den Kirchen die fast grenzenlose Befugnis zur Ausgestaltung des Streikrechts zuerkannt würde, ohne dass eine Abwägung der aufeinandertreffenden Positionen vorzunehmen ist. Die pauschale Geltung kirchlichen Rechts unter Ausblendung der damit kollidierenden Rechte würde mithin nicht die Anforderungen an einen schonenden Ausgleich der aufeinandertreffenden Rechtspositionen erfüllen. Die Vornahme der Abwägung im dargestellten Sinne verwirklicht damit die Anforderungen an einen angemessenen Ausgleich, die die Verfassung bei der Auflösung kollidierender Verfassungsgüter stellt. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, die Koalitionsfreiheit als eine potentielle Schranke anzusehen, so dass es hier auf die erwähnte Abwägung ankommt, um die Geltung staatlichen oder kirchlichen Rechts zu bestimmen187. Diese Abwägung hat eine „modifizierte Bindung“ an Art. 9 III GG zur Folge188. Die Annahme, dass die Koalitionsfreiheit ein prinzipiell schrankenziehendes Gesetz ist, verbunden mit der Folge, eine Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck durchzuführen, erscheint auch im Hinblick auf unions- und völkerrechtliche Entwicklungen geboten. So hat der EGMR in den Urteilen zu den Loyalitätspflichten verdeutlicht, dass die kirchlichen Vorgaben keine für die Mitarbeiter unannehmbaren Verpflichtungen begründen dürfen, und damit eine umfassende Abwägung gefordert189. Damit kann durch die Vornahme der Güterabwägung der Rechtsprechung des EGMR, die in Bezug auf kirchenarbeitsrechtliche Regelungen ergangen ist, Rechnung getragen werden. Es erscheint zweifelhaft, ob der EGMR eine nahezu schrankenlose Befugnis der Kirchen im Hinblick auf Streiks konventionsrechtlich zulassen würde. Auch der EuGH nimmt für den Ausgleich widerstreitender Interessen Abwägungen vor. Dies zeigt sich insbesondere auch an der Rechtsprechung in den Rechtssachen Viking Line und Laval 184 Siehe hierzu auch § 2 IV. 1. d) und 2.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 185 So etwa Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 10; zustimmend Robbers, Streikrecht S. 55; Oswald, Streikrecht, S. 86; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 200; Scholz, in: HStR VIII, § 175, Rn. 127. 186 So zutreffend Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1004). 187 Vgl. auch Hesse, in: Mikat, Staat und Kirche, S. 287 (299); Kästner, in: Mikat, Staat und Kirche, S. 474 (491 f.). 188 So zu Recht auch Reichold, ZevKR 57 (2012) 57 (65). 189 Siehe im Einzelnen unter § 3 II. 2.

II. Eigener Ansatz

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zum europäischen Arbeitskampfrecht, in denen der EuGH ebenfalls eine umfangreiche Abwägung vorgenommen hat190. Insoweit besteht auch aufgrund der völkerrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben die Notwendigkeit, eine Abwägung vorzunehmen und nicht einseitig eine nahezu schrankenlose Befugnis der Kirchen zur Normsetzung in Bezug auf das Arbeitskampfrecht anzunehmen. Insgesamt ergibt sich Folgendes: Das Streikrecht bedarf der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Durch die Einräumung von Autonomie üben die Kirchen in staatlich anerkannter Weise Hoheitsbefugnisse aus und sind insoweit in der Lage, die Koalitionsfreiheit für ihren Zuständigkeitsbereich selbst auszugestalten191. Diese Ausgestaltung darf jedoch gewisse Grenzen nicht überschreiten, insbesondere ist der Schrankenvorbehalt des für alle geltenden Gesetzes zu beachten, der auch hier gilt. Danach ist die Kirchenfreiheit mit dem Zweck der Koalitionsfreiheit abzuwägen und somit in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Bei der Abwägung sind, soweit möglich, die europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Fraglich ist nach alledem, ob die Kirchen mit dem vollständigen Ausschluss des Streikrechts die sich aus dem Selbstbestimmungsrecht ergebenden Grenzen der zulässigen Ausgestaltung überschritten haben. Dies ist durch die Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck zu bestimmen. c) Konkretisierung der Schrankenbestimmung Bei der hier vorzunehmenden Abwägung ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des BVerfG dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen. Anderenfalls würde das Selbstbestimmungsrecht zu einem bloßen Tendenzschutz verkürzt192. Konkrete Maßstäbe, anhand derer sich dieses besondere Gewicht ausdrückt, legt das BVerfG in dem genannten Beschluss zwar nicht dar, dennoch lassen folgende Entscheidungen eine gewisse Richtung erkennen. Aus dem dem Selbstverständnis zuzumessenden besonderen Gewicht ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass eine Regelung der Kirchen verbindlich ist, sofern sie nicht zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot, den guten Sitten und dem ordre-public-Vorbehalt ihren Niederschlag gefunden haben, im Widerspruch steht193. 190 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C 438/05, Slg. 2007, I-10779, Rn. 75 – Viking Line; EuGH, Urt.v. 18.12.2007 – C-341/05, Slg. 2007, I-11767, Rn. 101 – Laval; vgl. näher hierzu unter § 5 I. 4. 191 So zutreffend auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005 f.). 192 Zutreffend auch Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (910); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206). 193 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168).

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Der ordre-public-Vorbehalt in Art. 6 S. 1 EGBGB sieht vor, dass eine Regelung einer ausländischen Rechtsordnung nicht angewendet werden darf, wenn dies zu einem Ergebnis führen würde, das offensichtlich mit tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung unvereinbar wäre. Zu diesen Fundamentalprinzipien der deutschen Rechtsordnung gehören nach Art. 6 S. 2 EGBGB auch die Grundrechte. Wegen des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift kommt nur ein offensichtlicher Verstoß gegen tragende Prinzipien in Betracht, also letztlich ein hinreichend qualifizierter Verstoß. Ein solcher ist erst anzunehmen, wenn durch die Anwendung der Norm eine „schwerwiegende, untragbare und tiefgreifende Abweichung“ von den tragenden Grundsätzen herbeiführt würde194. Entsprechend erfolgt bei einer Kollision mit Grundrechten keine Abwägung nach normalem Muster195. Nicht jede Regelung, die bei einem Inlandsfall grundrechtswidrig wäre, soll nach der Auffassung des Gesetzgebers gegen Art. 6 EGBGB verstoßen und deshalb unanwendbar bleiben196. Erforderlich ist damit eine differenzierte Anwendung der Grundrechte197. Zugrunde gelegt wird demnach auch hier ein gröberes Raster. Diese Grenze gilt insofern auch für kirchliche Regelungen. Führt die Anwendung einer kirchlichen Regelung demnach zu einem Ergebnis, das einen offensichtlichen Verstoß gegen tragende Prinzipien der Rechtsordnung darstellt, bilden diese tatsächlich eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts198. Sofern eine kirchliche Regelung in Grundrechte eingreift, führt dies demnach nicht unmittelbar und zwangsläufig zur Unanwendbarkeit der kirchlichen Regelung. Im Verhältnis zu staatlichen Regelungen besteht hier ein größerer Freiraum zu Gunsten der Kirchen. Die Schrankenregelung ist hiernach als ein vergröberter Prüffilter zu verstehen, nach dem nicht jeder Verstoß gegen staatliche Regelungen zu einer Unwirksamkeit der kirchlichen Regelung führt, sondern nur ein qualifizierter Verstoß gegen tragende Prinzipien199. Hierin drückt sich insofern das vom BVerfG vorgegebene besondere Gewicht im Rahmen der Abwägung aus.

194 Volz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB Rn. 136 m.w. N.; ähnlich auch Thorn, in: Palandt, BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 4 f. 195 Richtig auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19. 196 BT-Drucks. 10/504, S. 44; zutreffend auch Thorn, in: Palandt, BGB, Art. 6 EGBGB Rn. 7; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19; Volz, in: Staudinger, Art. 6 EGBGB Rn. 141. 197 BT-Drucks. 10/504, S. 44; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.05.1971 – 1 BvR 636/ 68, BVerfGE 31, 58 (77). 198 Vgl. auch v. Campenhausen, AöR 1987, 623 (651); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206). 199 Zutreffend Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (97); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 20; Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (911); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1206).

II. Eigener Ansatz

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Wohl auch in diesem Sinne zu verstehen ist eine häufig und auch jüngst vom BVerfG verwendete Formel zur Schrankenbestimmung200. Danach kann das kirchliche Selbstbestimmungsrecht erst dann durch ein staatliches Gesetz beschränkt werden, wenn dies aus zwingenden Gründen geboten ist201 oder wenn die staatliche Regelung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und mit Blick auf das Gemeinwohl unumgänglich ist202. Die Formulierungen „aus zwingenden Gründen geboten“ oder „unumgänglich“ legen bereits nach dem Sprachempfinden eine sehr hohe Rechtfertigungsschwelle für begrenzende Gesetze nahe. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen demnach in keinem Falle aus, um das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einschränken zu können203. Vielmehr muss eine Begrenzung aus handfesten Gründen zwingend notwendig sein. Das Vorliegen zwingender Gründe bezieht sich auf die Gefährdung eines hinreichend gewichtigen Rechtsgutes der Allgemeinheit und damit letztlich auf die „Qualität des Gegengewichtes“ des Selbstbestimmungsrechts. Nur besonders wichtige Rechtsgüter des Gemeinwesens wie dringende Gründe des öffentlichen Wohls kommen nach dieser Formulierung als Grund für eine Begrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Betracht204. Eine Regelung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben ist nach der einschlägigen Rechtsprechung unumgänglich, wenn ohne sie das angestrebte Ziel nicht erreichbar wäre205. Wenn das Ziel ohne die Regelung nicht erreichbar wäre, bedeutet dies, dass eine Regelung dann unumgänglich ist, wenn der Staat diese zur Erfüllung seiner Aufgaben treffen muss. Zu dessen Aufgaben kann es grundsätzlich auch gehören, dass der Staat die Wahrung der Grundrechte sicherstellt206. Handeln muss der Staat im Hinblick auf mit dem Selbstbestimmungsrecht kollidierende Grundrechtspositionen Dritter jedenfalls, wenn ein Nichthandeln des Staates die Verletzung einer bestehenden grundrechtlichen Schutzpflicht bedeuten würde207. Das Vorliegen einer konkreten staatlichen Schutzpflicht kann allgemein aufgrund des weiten Einschätzungs-, Gestaltungs- und Bewertungsspielrau200 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404 f.); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84 , BVerfGE 72, 278 (294); BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 201 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (405 f.); BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 14.05.1986 – 2 BvL 19/84, BVerfGE 72, 278 (294); BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 202 BVerfG, Beschl. v. 13.12.1983 – 2 BvL 13/82, 2 BvL 14/82, 2 BvL 15/82, BVerfGE 66, 1 (22); so jüngst auch BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007, 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 203 So auch BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (404). 204 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (407). 205 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (402). 206 BVerfG, Beschl. v. 12.10.2007 – 2 BvR 1095/05, DVBl 2007, 1555 (1562). 207 Zu den staatlichen Schutzpflichten auch Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 5, 6.

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mes des Gesetzgebers bei der Koordinierung unterschiedlicher und unter Umständen kollidierender Rechtspositionen allerdings erst angenommen werden, wenn in Bezug auf die gegenläufige Grundrechtsposition ein „Mindeststandard an Grundrechtsschutz“ nicht sichergestellt ist208. Dieser Mindestschutz darf folglich nicht vorenthalten werden und begrenzt insoweit das staatliche Ermessen209. Diese sich aus der Schutzpflicht ergebende Grenze wird als Untermaßverbot bezeichnet210. Sofern demnach ein Mindestmaß an grundrechtlichem Schutz nicht gewährleistet ist, muss der Staat eine Regelung treffen. In diesen Fällen wäre also eine staatliche Regelung zum Schutz gegenläufiger Grundrechte unumgänglich und damit eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Anderenfalls würden durch den Staat Schutzpflichten verletzt. Diese Pflichten verletzt der Staat jedenfalls, wenn er zur Sicherstellung des Grundrechtsschutzes gar keine oder offensichtlich unzulängliche Maßnahmen ergreift211. Aus vorstehender Überlegung ergibt sich insgesamt ein relativ großer Freiraum für die Kirchen. Er entspricht allerdings in seiner Reichweite etwa dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung und Koordinierung grundgesetzlicher Freiheiten und ist damit grundrechtsdogmatisch nicht ungewöhnlich: Dem Gesetzgeber stehen insbesondere bei der Koordinierung widerstreitender Freiheiten in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, in denen ein Mehr an Schutz für die eine Seite zugleich ein Weniger an Schutz für die andere Seite bedeutet, grundsätzlich derartige Spielräume zur Verfügung212. In diesen Dreiecksrechtsverhältnissen wird zwar die Freiheit des Einen durch die Pflicht des Staates zum Schutz der gegenläufigen Freiheit des Anderen begrenzt213. Hierbei bildet aber aufgrund der großen Gestaltungsfreiheit erst das Untermaßverbot die Grenze dieses Spielraums214. Es verhindert, dass der Kern einer Grundrechtsposition bei der Ausgestaltung der Freiheiten vorenthalten wird215. Diesem Spielraum 208 So auch Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; Isensee, in: HStR V, 1992, § 111 Rn. 165; Klein, JuS 2006, 960 (961); siehe auch BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987 – 2 BvR 624/83, 2 BvR 1080/83, 2 BvR 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.). 209 Isensee, in: HStR V, 1992, § 111 Rn. 165. 210 Isensee, in: HStR V, 1992, § 111 Rn. 165; Klein, JuS 2006, 960 (961). 211 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1987 – 2 BvR 624/83, 2 BvR 1080/83, 2 BvR 2029/83, BVerfGE 77, 170 (214 f.); vgl. auch die etwas höhere Kontrolldichte in BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, BVerfGE 88, 203 (254), nach der der Schutz angemessen und wirksam sein muss; differenzierend auch Klein, JuS 2006, 960 (964). 212 Der Spielraum besteht insofern, als die Koordinierung widerstreitender Freiheiten wegen der Gewaltenteilung nur sehr eingeschränkt verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt; vgl. hierzu Klein, JuS 2006, 960 (964). 213 Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556 f.). 214 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; Isensee, in: HStR V 1992, § 111 Rn. 165. 215 Hierzu allgemein BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/ 92, BVerfGE 88, 203 (254); im hiesigen Zusammenhang Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65).

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entspricht insofern derjenige der Kirchen, die im Rahmen der nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV bestehenden eigenen Zuständigkeit eine staatlich anerkannte Rechtsmacht ausüben216. In diesem Sinne spricht Reichold zutreffend davon, es sei eine Abwägung anhand des Untermaßverbots vorzunehmen217. Erst wenn die kirchliche Regelung gegen den Mindestschutz der kollidierenden staatlichen Norm verstößt, ist sie unzulässig218. In dem Falle muss die staatliche Regelung das Selbstbestimmungsrecht begrenzen, um die Schutzpflicht in Bezug auf die entgegenstehenden Rechtsgüter zu erfüllen. In diesem Sinne ist die Abwägung folglich „asymmetrisch“ 219. Insofern ist insgesamt von einer Abwägung auszugehen, die nicht nach normalem Muster verläuft, sondern anhand eines gröberen Filters. Erst bei qualifizierten Verstößen gegen wichtige staatliche Normen wird der kirchlichen Regelung eine Beschränkung zuzuführen sein. Daraus ergibt sich, dass eine kirchliche Regelung nicht den Kernbestand einer Grundrechtsposition verletzen darf, weil dies eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde. Nicht jeder kirchliche Eingriff zur Regelung der eigenen Angelegenheiten in für das Gemeinwesen bedeutsamer und deswegen unter den Schutz des Staates gestellter Rechtsgüter ist damit von vornherein rechtswidrig. Wenn ein Eingriff jedoch so massiv ist, dass er den Kern der Schutzvorschrift berührt, ist er unzumutbar220. Damit kann eine kirchliche Regelung, die den Schrankenzweck derart aushöhlt, dass der Mindestbestand an Schutz unterschritten wird, nicht durch das Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt werden221. Insofern drücken auch die Formulierungen „aus zwingenden Gründen geboten“ bzw. „unumgänglich“ aus, dass erst bei schwerwiegenden Eingriffen in hochrangige Rechtsgüter eine staatliche Regelung Schranken bildet. Was bedeutet dies alles für die konkrete Lösung der hier in Frage stehenden Kollision? Die Kirchen müssen bei der Regelung der Arbeitsbeziehungen im Allgemeinen die wesentlichen, grundlegenden Regelungen und Wertentscheidungen des staatlichen Rechts im Bereich des Arbeitnehmerschutzes beachten. Dahinter steht letztlich auch das Sozialstaatsprinzip222. Für die Frage nach der Zulässigkeit des kirchlichen Ausschlusses des Arbeitskampfes bedeutet dies konkret, dass die 216 So auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005 f.). 217 Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); zustimmend Klumpp, ZAT 2013, 120 (125); zum Untermaßverbot Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; Isensee, in: HStR V, 1992, § 111 Rn. 165. 218 BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, BVerfGE 88, 203 (254); Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65). 219 Vgl. Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1003). 220 Vgl. Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (910); allgemein auch Klein, JuS 2006, 960 (964). 221 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (170). 222 Vgl. auch Zacher, in: HStR II, § 28 Rn. 17.

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kirchliche Regelung den wesentlichen Anforderungen, die insbesondere Art. 9 III GG an den sozialen Ausgleich stellt, noch gerecht werden muss223. Anderenfalls wäre auch die Grenze der zulässigen Ausgestaltung von Art. 9 III GG überschritten. Insofern darf das beeinträchtigte Rechtsgut nicht im Kern angetastet werden. Dies führt im Ergebnis zu einer modifizierten Bindung der Kirchen an Art. 9 III GG224. Ferner ist zu prüfen, ob der Streikausschluss gegen andere tragende Rechtsgrundsätze verstößt. Sofern ein Verstoß nicht vorliegt, wäre ein vollständiger Streikausschluss im Sinne des Untermaßverbots angemessen. Dies muss im Folgenden erörtert werden. 4. Abwägung der betroffenen Güter Nachdem nunmehr feststeht, dass eine Abwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck vorgenommen werden muss, welchem Zweck sie dient und wie sie auszugestalten ist, muss sie im Folgenden materiell vorgenommen werden. a) Abwägungsansatz Die Kirchen haben ein eigenes kollektives Arbeitsrechtsregelungssystem geschaffen, das den kirchlichen Besonderheiten gerecht werden soll, zu denen ein Streikrecht nicht passt. Ohne Zweifel gehört die Regelung der kollektiven Arbeitsbeziehungen zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen225. Dabei legen sie in zulässiger Weise das dem Selbstverständnis der Kirchen entsprechende Ordnungsprinzip der Dienstgemeinschaft226 zu Grunde, das von Friedlichkeit und Kooperation geprägt ist227. Die Kirchen lehnen das antagonistische und konfrontative Tarifvertragssystem ab, weil nach kirchlichem Selbstverständnis alle Mitarbeiter, egal ob Dienstgeber oder Dienstnehmer, gemeinsam an der Erfüllung des Auftrages mitwirken228. Jeder trägt durch seine Arbeitsleistung sein Scherflein dazu bei, dass die Kirche ihren Auftrag erfüllen kann. Zu dieser Einheit passt dann gemäß dem Eigenverständnis die Aufspaltung der Beteiligten in Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht229. Die Austragung von Arbeitskämpfen 223 Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65); ähnlich auch schon Mayer-Maly, BB 1979, 632 (624); vgl. allgemein auch Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 20. 224 So ausdrücklich auch Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65). 225 Statt aller Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 135; van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Thüsing, RdA 2003, 210 (213); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (913); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1005). 226 Hierzu im Einzelnen § 2 III. 3. d). 227 So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 135. 228 Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207). 229 Mückl, in: HStR VII, § 160 Rn. 45; Rauscher, Die Eigenart, S. 86; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15; Richardi, in: FS 25 Jahre BAG, S. 429 (448); Richardi, in: MünchArbR II, § 329 Rn. 14; Robbers, Streikrecht, S. 65.

II. Eigener Ansatz

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wäre auch nicht mit dem Selbstverständnis der Kirchen vereinbar, Konflikte auf friedlichem Wege beizulegen, und würde die Glaubwürdigkeit der Kirche beschädigen230. Auch könnte die Kirche ihren Sendungsauftrag nicht erfüllen, wenn ihre Einrichtungen bestreikt würden231. Der kirchliche Dienst muss aber zu jeder Zeit erfüllt werden232. Bei Zugrundelegung des staatlichen Regelungsmodells wäre demnach die Kirche im Kern ihres Selbstverständnisses betroffen und ihre Glaubwürdigkeit wäre gravierend beschädigt. Dieses Selbstverständnis darf die Kirche als verbindlich zu Grunde legen233. Insofern folgerichtig haben die Kirchen ein Streikrecht ihrer Mitarbeiter ausgeschlossen234. Den sich aus dem religiösen Bekenntnis ergebenden Besonderheiten hinsichtlich der Mitarbeit im kirchlichen Dienst und dem Bedürfnis der Dienstnehmer nach Mitbestimmung soll durch den sogenannten Dritten Weg Rechnung getragen werden235: Hiernach werden die Arbeitsbedingungen in paritätischen Kommissionen friedlich und partnerschaftlich ausgehandelt, für Pattsituationen bestehen Regelungen, die die Handlungsfähigkeit sicherstellen sollen. Ziel des Dritten Weges ist damit eine Ordnung der kirchlichen Dienstverhältnisse, die es den Kirchen erlaubt, ihren sich aus dem Selbstverständnis ergebenden Auftrag vollumfänglich erfüllen zu können. Diese Regelungen sind demnach nicht willkürlich oder aufgrund haushaltsmäßiger Beweglichkeit ergangen, sondern Ausdruck des religiösen Selbstverständnisses236. Deswegen sind sie auch nicht sittenwidrig. Dieser Dritte Weg mit dem Streikausschluss muss mit der Koalitionsfreiheit, die für alle Berufe und damit grundsätzlich auch für kirchliche Mitarbeiter gilt, in Einklang stehen, damit er zulässig ist. Allerdings wird der Gewährleistungsumfang der Koalitionsfreiheit durch den Dritten Weg insoweit verkürzt, als aus

230 So auch Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Müller-Volbehr, in: FS Ernst Wolf, S. 535 (541); Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1207); siehe auch die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 13. 231 Zutreffend Eder, Tarifpartnerin katholische Kirche, S. 97; Frank, RdA 1979, 86 (93); Grethlein, NZA Beil. 1/1986, 18 (19); v. Hoyningen-Huene, in: FS Richardi, S. 909 (920); Janssen, Streikrecht, S. 20; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Richardi, NZA 2002, 929 (932). 232 Hahn, Mitbestimmung, S. 140; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 163; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16, 18; Richardi, ZfA 1984, 109 (131 f.). 233 Siehe nur BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165), (168). 234 Siehe hierzu § 2 III. 3 d). 235 Siehe die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 13. 236 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (170).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

der Koalitionsfreiheit ein Streikrecht abgeleitet wird, das hier aber ausgeschlossen ist237. Die Koalitionsfreiheit ist damit potentiell eine Schranke der kirchlichen Selbstbestimmung. Das Streikrecht, so wie es sich aus Art. 9 III GG ergibt, besteht allerdings nicht isoliert, sondern nur als Hilfsinstrument der Tarifautonomie. Nur zur Durchsetzung tariflicher Forderungen ist das Streikrecht von Art. 9 GG geschützt. Dies bedeutet zweierlei: Erstens verletzt der Ausschluss des Streikrechts keinesfalls ein Grundrecht auf Streik. Ein eigenständiges Grundrecht auf Streik ist in der gegenwärtigen Ordnung nicht anerkannt, sondern nur das weiter gefasste Recht auf koalitionsspezifische Betätigung238. Koalitionsspezifische Betätigung ist allerdings mehr als Tarifautonomie und Arbeitskampf. Damit wird durch den Streikausschluss an sich kein Grundrecht vorenthalten239. Ein vollständiger Ausschluss des Streiks verletzt damit noch nicht per se den Kernbereich aus Art. 9 III GG240. Zweitens bedeutet dieser Funktionszusammenhang, dass die Untersuchung, ob ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen besteht, ein Stück weit grundsätzlicher ansetzen muss: Wenn ein Streikrecht nur zur Durchsetzung tariflicher Forderungen anzuerkennen ist und die Kirchen einen eigenen Weg beschreiten, der nicht dem Tarifvertragssystem zuzuordnen und in dem das Streikrecht ausgeschlossen ist, geht es um die Frage, ob die Kirchen diesen Weg weiterführen dürfen oder ob dieser Weg von einem Einverständnis des sozialen Gegenspielers abhängt und die Kirchen mithin zu einem Systemwechsel gezwungen werden können241. Letzteres wäre der Fall, wenn die Koalitionsfreiheit in diesem Zusammenhang tatsächlich eine Schranke bilden könnte. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich anhand des Schrankenvorbehalts aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV nach der zutreffenden Auslegung durch das BVerfG. Art. 9 III GG darf hiernach nicht in seinem Kern verletzt werden, weil er eine staatliche Schutzpflicht beinhaltet und dann eine staatliche Regelung zwingend geboten bzw. unumgänglich ist242. Die Frage ist damit, ob Tarifautonomie und Streik so wesentliche Ausprägungen der Koalitionsfreiheit sind, dass ein Dritter Weg wegen Eingriffs in den Kernbereich des Art. 9 III GG inakzeptabel ist, weil anderenfalls der Staat seine bestehende Schutzpflicht verletzen würde243.

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Näher § 4 I. 2. Hierzu § 4 II. 2. 239 So aber Kühling, AuR 2002, 241 (244), so wohl auch Schubert/Wolter, AuR 2013, 285 (287). 240 So wohl Schubert/Wolter, AuR 2011, 420 (421). 241 Zutreffend Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (69). 242 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 18; Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (66). 243 So ist auch der Ansatzpunkt von Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (66), (69). 238

II. Eigener Ansatz

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b) Grundsätzliche Möglichkeit zum Dritten Weg Zunächst ist fraglich, ob der Dritte Weg, der das Tarifvertragssystem verdrängen soll, an sich bereits gegen Art. 9 III GG verstößt. Immerhin garantiert Art. 9 III GG die Tarifautonomie als Institution. Wenn ein die Tarifautonomie vollständig ersetzendes und damit im Kern anderes Verfahren anwendet wird, könnte dies folglich in Bezug auf diese institutionelle Garantie ein Problem darstellen. Indessen ist dies nicht der Fall. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die objektive Garantie des Tarifvertragssystems ganz allgemein gehalten ist244. Aus dem Vorliegen dieser objektiven Garantie zu folgern, die Tarifautonomie wäre in ihrer konkreten Ausprägung geschützt, ginge damit zu weit245. Entscheidend kommt hinzu, dass das Tarifsystem nicht die einzige Form zur Erreichung des Koalitionszwecks ist, der in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegt246. Hierunter ist die Gesamtheit der Umstände zu verstehen, unter denen „abhängige Arbeit geleistet und eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens ermöglicht wird“ 247. Das Ziel der Koalitionsfreiheit besteht insofern darin, eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens herbeizuführen. Dies kann aber auf verschiedenen Wegen erfolgen248. Die Tarifautonomie, die durch die Elemente der Interessengegensätzlichkeit, Konflikt und Kampf geprägt ist, als ausschließliche Form der Erreichung dieses Zieles anzusehen, wäre möglicherweise sogar ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit249. Auch ein Konzept, bei dem Einigung und Zusammenwirken in den Vordergrund rückt, wird dem Zweck des Art. 9 III GG im Grundsatz gerecht250.

244 Vgl. BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (369). 245 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); so auch Manterfeld, KuR 2011, 896 (100). 246 So BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); zutreffend auch v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (585); Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Schlaich, JZ 1980, 209 (216); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 9 Rn. 3; Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208). 247 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG, Rn. 23. 248 So auch BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/ 78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); v. Campenhausen, in: FS Geiger, S. 580 (585); Grethlein, NZA Beil. 1/1986, 18 (19 f.); Grethlein/Spengler, BB Beil. 10/1980, 1 (13 f.); Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (72); Schlaich, JZ 1980, 209 (216); Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (59); Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208). 249 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); Manterfeld, KuR 2011, 86 (100). 250 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); zutreffend auch Götz, Kirchenklauseln, S. 186; Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (72); Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (59).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

Nach alledem ist nicht davon auszugehen, dass Art. 9 III GG andere Formen einer sinnvollen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens ausschließen will251. Art. 9 III GG gibt also nur das Ziel vor, den Weg dorthin nicht. Wenn der Zweck des Art. 9 III GG demnach im Prinzip auch auf anderem Wege erreicht werden kann, bietet Art. 9 III GG dem Grunde nach Platz für den Dritten Weg252. Damit liegt in der Anwendung des Dritten Weg an sich kein Verstoß gegen Art. 9 III GG. Nur weil die Kirchen nicht das Tarifvertragssystem anwenden, sondern einen eigenen Weg beschreiten, kann ein Systemwechsel nicht erzwungen werden. c) Anforderungen an den Dritten Weg aa) Gleichartigkeit von Drittem Weg und Tarifvertragssystem erforderlich? Fraglich ist allerdings, wie dieses Alternativmodell ausgestaltet sein muss. Teilweise wird verlangt, dass es dem Tarifsystem absolut gleichwertig sein müsse253. Dies erscheint hingegen unzutreffend, zumindest wenn Gleichwertigkeit im Sinne von Gleichartigkeit verstanden wird254: Neben der praktischen Schwierigkeit, die Gleichwertigkeit zweier völlig unterschiedlicher Regelungsmodelle zu bestimmen, verlangt Art. 9 III GG nicht die absolute Gleichwertigkeit eines Alternativmodells. Denn eine Gleichsetzung von Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit ist in Art. 9 III GG nicht angelegt255. Auch wenn die Betätigungen im Rahmen der Tarifautonomie wichtige koalitionsspezifische Betätigungen darstellen, so sind es dennoch nicht die einzigen. Daher ist das Tarifvertragssystem kein pars pro toto, an dem sich andere Modelle messen lassen müssen256. Auch die Zulässigkeit beamtenrechtlicher Regelungen bestimmt sich nicht danach, ob sie der Tarifautonomie absolut gleichwertig sind. Dies spricht gegen ein 251 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (372). 252 Dies berücksichtigen Schubert/Wolter, AuR 2013, 285 (287) nicht, wenn sie behaupten, die Beurteilung der Zulässigkeit des Dritten Weges habe nichts mit Art. 9 III GG zu tun, sondern nur mit dem Sozialstaatsprinzip. 253 Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 82 f.; Oswald, Streikrecht, S. 163; Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55; Strake, Streikrecht, S.114, 116; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 201; etwas weniger strikt Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (487); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (441); Joussen, in: Fey/Joussen/ Steuernagel, Arbeits- und Tarifrecht (Hrsg.), Arbeitskampf, Rn. 15; Joussen, ZMV 2012, 2 (3 f.). 254 So auch Klumpp, KuR 2012, 176 (184, 187); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (73); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208). 255 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (99); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208). 256 Klumpp, KuR 2012, 176 (184); Reichold, ZevKR 2012, 57 (71); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208); a. A. Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 197.

II. Eigener Ansatz

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striktes Gleichwertigkeitserfordernis. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang auch die bereits festgestellte asymmetrische Kollisionslage und die daraus folgende Abwägung anhand des Untermaßverbots. Hiernach kann sich eine staatliche Norm gegen die kirchliche Regelung erst durchsetzen, wenn sie unumgänglich bzw. zwingend geboten ist. Erst wenn das Mindestmaß an Schutz vorenthalten wird, bilden staatliche Regelungen eine Grenze des Selbstbestimmungsrechts. Dies spricht dafür, dass der Dritte Weg lediglich gewisse Mindestbedingungen, die Art. 9 III GG an den sozialen Ausgleich stellt, erfüllen muss257. Erst bei einem sozialstaatswidrigen Unterschreiten dieser Voraussetzungen, also einer Missachtung der Mindestbedingungen, kann von einem zwingenden Regelungsbedürfnis die Rede sein. Damit schadet es prinzipiell nicht, wenn die Gewerkschaften im Dritten Weg eine andere Stellung als im Tarifsystem haben oder dass hier gerade kein Streikrecht zur Durchsetzung der Interessen besteht258. Die sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Anforderungen beziehen sich damit auf den Zweck der kirchlichen Regelung. Das kirchliche Arbeitsrechtsregelungssystem muss zu einer sinnvollen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens führen. In diesem Zusammenhang ist die Tarifautonomie allerdings nicht ohne Bedeutung für die Ausgestaltung des Dritten Weges. Die Tarifautonomie ist als eine mögliche Form zur Erreichung des Koalitionszweckes bereits anerkannt und im Kern geschützt. Dieses System zeigt insofern auf, wie der Koalitionszweck verwirklicht werden kann und hat diesbezüglich eine gewisse Orientierungsfunktion. Weil die Tarifautonomie aber kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck ist, gilt diese Orientierungsfunktion nicht im Sinne des abzulehnenden Gleichwertigkeitserfordernisses. Vielmehr ergeben sich aus dem Tarifsystem Hinweise, wie ein Modell, das zu einer sinnvollen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens führt, ausgestaltet sein muss. Mit anderen Worten: Jedenfalls, wenn der Dritte Weg eine der Tarifautonomie ähnlich sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens herbeiführt, erfüllt auch er den Koalitionszweck und ist damit zulässig. Was bedeutet dies im Einzelnen? Die Tarifautonomie sorgt für eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens, indem sie die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer ausgleicht und ein etwa gleichgewichtiges Aushandeln der Arbeitsbedingungen ermöglicht259. Dies soll gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen garantieren260. Auch beinhaltet die Tarifautonomie eine 257

Zutreffend Reichold, KuR 2011, 199 (206 f.); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57

(65). 258 Wie hier Klumpp, KuR 2012, 176 (184); a. A. LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (196); Kühling, AuR 2001, 241 (250); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 143, 147, 209; vgl. aber auch Strake, Streikrecht, S. 115 f. 259 BVerfG, Beschl. v. 26.061991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); Franzen, in: ErfK, § 2 TVG, Rn. 1; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 13; richtig insoweit auch Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (883). 260 Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 4.

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

Schutzfunktion, nach der die durch den Tarifvertrag ausgehandelten Bedingungen unabdingbare Mindestvoraussetzungen darstellen261. Dies wird unter anderem durch die normative Wirkung der Tarifverträge zwischen den Tarifgebundenen sichergestellt, §§ 4 I, III TVG. Daraus ergibt sich, dass die sich aus Art. 9 III GG ergebenden Anforderungen jedenfalls als erfüllt zu betrachten sind und der Dritte Weg eine der Tarifautonomie ähnlich sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens herbeiführt, wenn die strukturelle Schwäche der Arbeitnehmer auch durch den Dritten Weg derart ausgeglichen wird, dass die Möglichkeit besteht, auf gleicher Augenhöhe verhandeln und somit eine Regelung der Arbeitsbedingungen herbeiführen zu können262. Dann besteht die Chance auf „richtige“, also gerechte Arbeitsbedingungen. Ferner muss eine gewisse Verbindlichkeit der Regelungen gegeben sein, damit der Dritte Weg der Schutzfunktion gerecht wird. Auch müssen die Gewerkschaften aufgrund ihres umfassenden Betätigungsrechtes an diesem Weg in noch zu bezeichnendem Umfange beteiligt werden. Der Dritte Weg der Kirchen ist dann als aliud zulässig. Insgesamt wird ein in sich geschlossenes und funktionierendes System, das den Arbeitnehmern Mitgestaltungsmöglichkeiten einräumt, verlangt263. Ob der Dritte Weg ein solches System darstellt, ist im Folgenden zu untersuchen. Wichtig ist demnach zunächst, dass die Dienstnehmer über ihre Arbeitsbedingungen mitentscheiden können, damit institutionell abgesichert ist, dass die Chance auf gerechte Arbeitsbedingungen besteht. bb) Gleichgewicht aufgrund der Kommissionsbesetzung im Dritten Weg Ein einseitiges Festlegen der Arbeitsbedingungen ohne Beteiligungsmöglichkeit der Beschäftigten würde den Mindestanforderungen an eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens nicht standhalten. Deswegen haben die Kirchen den Dritten Weg entwickelt. In den Details unterscheiden sich die Dritten Wege voneinander, die die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen anwenden264. Gemein ist allen Ausgestaltungen, dass im Verfahren des Dritten Wegs Kommissionen, die paritätisch aus Kirchenvertretern und gewählten Vertretern der Dienstnehmer besetzt sind, Regelungen in Bezug auf Inhalt, Abschluss und Beendigung von Dienstverhältnissen treffen und insofern die kollektiven Arbeitsbe261

Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 496. So mit Recht auch Schlaich, JZ 1980, 209 (217); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208); ähnlich auch Götz, Kirchenklauseln, S. 186 f.; wie hier im Ergebnis auch Richardi, RdA 2011, 119 (122). 263 Vgl. auch Joussen, RdA 2011, 173 (177); Oswald, Streikrecht, S. 198; Thüsing/ Thieken, ZTR 2010, 450 (457). 264 Zutreffend Ebert, ArbRB 2012, 312 (313); Oswald, Streikrecht, S. 164; siehe auch unter § 1 II. 2. 262

II. Eigener Ansatz

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dingungen der Beschäftigten regeln265. Unterschiede bestehen vor allem im Besetzungsverfahren der Kommissionen sowie in dem Konfliktlösungsmodell, das für den Fall einer Nichteinigung in der Kommission zum Tragen kommt266. Werden die Kommissionen paritätisch besetzt, besteht formell ein Gleichgewicht, so dass deswegen und wegen der Mehrheitserfordernisse bei Abstimmungen keine Seite einseitig Bedingungen durchsetzen kann, sondern auf einen Konsens angewiesen ist267. Diese formell bestehende Parität wird teilweise als unzureichend angesehen. Als unzulässig wird es mitunter beanstandet, dass die Arbeitnehmervertreter zumindest zu einem Großteil Mitarbeiter sind: In die evangelischen Kommissionen können zwar teilweise quotiert neben Mitarbeitern auch Gewerkschaftsfunktionäre gewählt werden, in der katholischen Kirche können hingegen nur Mitarbeiter des kirchlichen Dienstes in die Kommission entsandt werden268. Wenn die Besetzung der Kommission mit abhängig Beschäftigten vorgesehen sei, führe dies zu einem Ungleichgewicht, weil abhängig Beschäftigte, anders als unabhängige Gewerkschaftsfunktionäre unerfahren im Aushandeln von Lohnbedingungen und nicht vergleichbar geschult seien269. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die paritätische Besetzung verhindert, dass die Dienstnehmer überstimmt werden können und somit die Dienstgeber einseitig Beschäftigungsbedingungen festlegen können. Richtig ist, dass diese formelle Parität für sich genommen nicht ausreicht, um gleichwertig mitbestimmen zu können und so eine „richtige“ Regelung zu erreichen270. Deswegen erschöpfen sich die kirchlichen Regelungen auch nicht in der formell paritätischen Besetzung, sondern gehen weiter. Die Besetzung mit hauptamtlichen Mitarbeitern der Kirchen führt jedenfalls materiell nicht zu einem Ungleichgewicht, wenn hierbei sichergestellt ist, dass tatsächlich die Chance auf Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe besteht. Das ist dann anzunehmen, wenn die Dienstnehmervertreter eine Stellung innehaben, die es ihnen ermöglicht, in unabhängiger Weise die Interessen der Dienstnehmer 265 Etwa § 7 ARGG-EKD, abrufbar unter http://www.ekd.de/download/s13_x_3_be schluss_argg_2013_endfassung_02_2014.pdf; abgerufen am 05.08.2014, ferner § 1 I 1 der Rahmen-KODA, abrufbar unter: http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_ downloads/VDD/Rahmen-KODA-Ordnung_VV_19-11-2012.pdf; abgerufen am 05.08. 2014. 266 So auch Ebert, ArbRB 2012, 312 (313). 267 BAG, Urt. v. 06.11.1996 – 5 AZR 334/95, BAGE 84, 282 (290); zutreffend Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 128. 268 Vgl. hierzu ausführlich Strake, Streikrecht, S. 114 f.; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 139 f. 269 Strake, Streikrecht, S. 121; Schlaich, JZ 1980, 209 (211); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 147 f.; vgl. auch Schubert, AuK 2011, 74 (760). 270 Richtig Klumpp, KuR 2012, 176 (185).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

in den Verhandlungen zu vertreten271. Die Kommissionsmitglieder sind durch verschiedene Regelungen, die Benachteiligungsverbote konstituieren, in ihrer Unabhängigkeit geschützt. Dies drückt sich zunächst in einem besonderen Kündigungsschutz aus. Daneben ist eine Weisungsfreiheit der Kommissionsmitglieder festgelegt. Ebenso haben die Dienstnehmervertreter ein Recht auf Freistellung vom Dienst ohne Minderung des Entgeltes oder des Urlaubsanspruchs zur Ausführung der Aufgaben als Dienstnehmervertreter272. Auch haben Kommissionsmitglieder die Möglichkeit, sich von der Arbeitspflicht freistellen zu lassen, um an Schulungen teilzunehmen, die die für die Arbeit in den Kommissionen erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln273. Sie sind damit in ähnlicher Weise unabhängig wie Betriebsratsmitglieder 274. Demnach sind die Dienstnehmervertreter, auch wenn sie hauptamtlich Kirchenbedienstete sind, bezogen auf erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lage, die ihnen anvertrauten Interessen sachgerecht zu vertreten. Die Dienstnehmervertreter sind aufgrund ihrer Unabhängigkeit auch keine willfährigen Handlanger der Dienstgeber. Die Gefahr, dass die Dienstgeber möglicherweise versuchen könnten, die Dienstnehmervertreter zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen, ist auch insofern abgemildert, als die Kommissionen nicht für Gemeinden oder einzelne Einrichtungen die Arbeitsbedingungen mitbestimmen, sondern für Bistümer oder Landeskirchen. Damit wird in den Kommissionen nicht über Regelungen mit dem eigenen Arbeitgeber verhandelt, sondern auf höherer Ebene. Insgesamt ist daher anzunehmen, dass auch tatsächlich die Chance auf gleichgewichtige Verhandlungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer besteht. Ein Ungleichgewicht ist mithin nicht erkennbar. Insofern ist nicht ersichtlich, warum nur Gewerkschaftsfunktionäre Garant für ein Machtgleichgewicht sein sollen275. Dass die Verhandlungsführerschaft der Gewerkschaften im Rahmen der Tarifautonomie zur Wahrung von Parität erforderlich ist, lässt nicht den Schluss zu, dass dies auch in vollständig anderen Regelungsverfahren wie im Dritten Weg der Fall ist276. Dienstnehmervertreter, die hauptamtlich kirchlich beschäftigt sind, haben einerseits einen nicht zu unter271

Klumpp, KuR 2012, 176 (185). Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Klumpp, KuR 2012, 176 (185 f.); so wohl auch Götz, Kirchenklauseln, S. 174; siehe beispielsweise auch § 11 ARGG-EKD; § 9 der Ordnung für die Arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werkes der EKD, im Folgenden als ARK DW bezeichnet, abrufbar unter: http://www.diakonie.de/media/ Ordnung-ARK-Oktober-2013.pdf, abgerufen am 06.08.2014. 273 So etwa § 9 IV ARK DW. 274 Die Unabhängigkeit sieht auch Strake, Streikrecht, S. 120, als gleichwertig mit der Stellung eines Betriebsrates an; zutreffend auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 129. 275 Zutreffend Klumpp, KuR 2012, 176 (186 f.); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205, (1209). 276 Richtig Klumpp, KuR 2012, 176 (187). 272

II. Eigener Ansatz

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schätzenden „Heimvorteil“. Sie kennen sich im kirchlichen Dienst aus und haben teilweise in der besonderen Materie der kollektiven Interessenwahrnehmung im kirchlichen Dienst Erfahrungen gesammelt277. Sie sind andererseits, wie bereits dargelegt, unabhängig und können an Schulungen teilnehmen, die ihnen die für ihre Arbeit in den Kommissionen benötigten Kenntnisse vermitteln. Damit sind sie, was die Möglichkeit betrifft, mit den Dienstgebern gleichgewichtig zu verhandeln, genauso geeignet wie Funktionäre. Die individuelle Zugehörigkeit des einzelnen Dienstnehmervertreters zu einer Gewerkschaft ist ohnehin unproblematisch. Genauso wie Betriebsratsmitglieder, die keine Funktionäre sind und die nicht gewerkschaftlich organisiert sein müssen, aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihrer Kenntnisse prinzipiell in der Lage sind, eine gute Interessenvertretung im Rahmen ihrer Zuständigkeit wahrzunehmen, ist dies auch den Dienstnehmervertretern in den Kommissionen, die nach obigen Ausführungen eine vergleichbare Stellung innehaben, zuzugestehen278. Selbst wenn man also annimmt, dass der Dritte Weg der Tarifautonomie vollständig gleichwertig279 sein müsse, ist dies im Hinblick auf das Bestehen gleicher Verhandlungschancen aufgrund der Kommissionsbesetzung der Fall. Denn auch im als „Benchmark“ in Bezug genommenen Tarifvertragssystem bietet der Grundsatz der Parität lediglich gleichwertige Verhandlungschancen und keine Erfolgsgarantie280. Auch im Tarifvertragssystem ist es entscheidend, dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, in etwa gleichgewichtig über die Arbeitsbedingungen verhandeln zu können. Ein Gleichgewicht im Sinne einer real bestehenden Chance, auf Augenhöhe mit dem Dienstgeber zu verhandeln, ist nach dem Gesagten auch in der gegenwärtigen Ausgestaltung des Dritten Weges gegeben. Damit erfüllt der Dritte Weg nicht nur die von Art. 9 III GG festgesetzten Mindestanforderungen, sondern ist der Tarifautonomie im Hinblick auf diesen Bereich ebenbürtig. cc) Mechanismus zur Konfliktlösung Diese Besetzungsregelungen und Regelungen zur Rechtsstellung der Mitglieder der Kommissionen reichen allerdings noch nicht aus, um eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens annehmen zu können. Dies ergibt sich daraus, dass allein

277

So auch Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205, (1209). Ähnlich auch Klumpp, KuR 2012, 176 (187). 279 So Nitsche, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 18 Rn. 82 f.; Oswald, Streikrecht, S. 163; Strake, Streikrecht, S. 114, 116; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 201. 280 Vgl. BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (162); BAG, Urt. v. 10.09.1985, 1 AZR 262/84, BAGE 49, 303 (314); Kissel, Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 1; so auch Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 128. 278

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durch diese Regelungen noch nicht gesichert ist, dass Regelungen getroffen werden. (1) Verbindliche Schlichtung Aufgrund des Stimmengleichgewichtes in den Kommissionen kann es zu Pattsituationen kommen. Insofern muss für den Fall, dass eine Einigung in der Kommission nicht zustande kommt, ein geeigneter Konfliktlösungsmechanismus bestehen. Sofern es bei Pattsituationen bei der bisherigen Regelung bliebe, könnte eine Seite das Entstehen einer Regelung faktisch verhindern. So liefe der Dritte Weg letztlich leer, weil die kampfweise Lösung von Uneinigkeiten nicht vorgesehen ist281. Es wäre im Hinblick auf die Parität inakzeptabel, wenn einseitig Regelungen dadurch verhindert werden könnten, dass Pattsituationen entstehen. Die Dienstnehmerseite, die typischerweise eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fordern wird, wäre faktisch machtlos, wenn sie ohne den guten Willen und die Zustimmung der Dienstgeber keine Regelung erreichen könnte. Dann wäre der Dritte Weg aber nicht viel mehr als kollektives Betteln282 und keine der Tarifautonomie ähnlich sinnvolle Ordnung. Daher muss es für den Fall einer Pattsituation einen Mechanismus geben, mit dessen Hilfe die zu regelnde Materie einem interessengerechten Ergebnis zugeführt wird. Worin dieser Konfliktlösungsmechanismus besteht, ist grundsätzlich den Kirchen überlassen283. Entscheidend ist, dass er funktionsfähig ist284. Das gänzliche Fehlen einer entsprechenden Regel wäre nach dem Gesagten verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen285. (a) Schlichtungsverfahren unter Vorsitz einer neutralen Person In etlichen Arbeitsrechtlichen Kommissionen besteht der Lösungsmechanismus in einem Schlichtungsverfahren, das mit einem bindenden Schlichterspruch endet286. Seit dem Beschluss vom 19.11.2012 sieht auch die katholische Rahmenordnung für die Kommission zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts (Rahmen-KODA-Ordnung) ein verbindliches Schlichtungsverfahren vor287. Das Schlichtungsverfahren läuft im Regelfalle wie folgt ab: Sofern in den Kom281 Joussen, ZTR 2010, 54 (59); Joussen, RdA 2010, 182 (186); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205, (1209). 282 Vgl. BAG, Urt. v. 12.09.1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (346). 283 Zutreffend Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457). 284 So auch Joussen, RdA 2011, 173 (177). 285 Thüsing/Thieken, ZTR 2010, 450 (457 f.). 286 Beispielhaft die Regelungen in §§ 11, 14 ARK DW. 287 § 21 der Rahmen-KODA, abrufbar unter http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/ diverse_downloads/VDD/Rahmen-KODA-Ordnung_VV_19-11-2012.pdf; abgerufen am 05.08.2014.

II. Eigener Ansatz

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missionen keine Einigung zustande kommt, kann einseitig ein Schlichtungsausschuss angerufen werden. Der Ausschuss ist paritätisch mit Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern besetzt und besteht zusätzlich aus einem einstimmig von der Kommission gewählten neutralen Vorsitzenden, der nicht im kirchlichen Dienst tätig ist und der oftmals die Befähigung zum Richteramt haben muss288. Dieser Ausschuss führt das Schlichtungsverfahren durch. Dazu hört er die Parteien an und entscheidet danach unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen289. In einer ersten Stufe des Schlichtungsverfahrens kann dem Schlichterspruch innerhalb einer bestimmten Frist oftmals noch widersprochen werden290. Sofern ein Einspruch erfolgt, tritt die zweite Stufe in Kraft. In diesem Fall entscheidet der Schlichtungsausschluss mit Stimmenmehrheit durch einen Schlichtungsspruch, der die Beschlussfassung der Arbeitsrechtlichen Kommission ersetzt291. Damit ergeht als Endergebnis des Schlichtungsverfahrens ein verbindlicher Schlichterspruch. In den Fällen, in denen eine Einigung nicht zustande kommt, wird also letztlich eine Schlichtung ähnlich wie bei der Einigungsstelle nach §§ 76 f. BetrVG durchgeführt. Dieses Verfahren ist freilich nur die ultima ratio, wenn eine Verständigung nicht mehr möglich ist. Dass die Schlichtung eine Ausnahmesituation bleiben soll, hat ihren Grund in dem Selbstverständnis der Kirchen, Probleme friedlich und im Einvernehmen lösen zu können. Deswegen kann der Schlichtungsausschluss zum Teil erst angerufen werden, wenn ein Antrag keine Mehrheit erreicht hat und nach erneuten Beratungen in der Kommission noch immer kein Beschluss zustande kommt. In diesen Fällen können die Kommissionsmitglieder mit einfacher Stimmenmehrheit ihrer Seite den Ausschuss anrufen292. Auch kann eine Schlichtung jederzeit ausgesetzt werden. Denkbar ist aber auch, dass „automatisch“ eine Schlichtung einsetzt, wenn innerhalb einer bestimmten Frist keine Einigung in der Kommission erfolgt293. Dass der Schlichtervorschlag zuerst angreifbar ist und dass bis zuletzt versucht werden kann, eine Einigung in der Kommission zu erreichen und somit das Schlichtungsverfahren auszusetzen294, folgt ebenso aus dem Gedanken der Dienstgemeinschaft und dem Willen der Kirchen, Konflikte einvernehmlich zu lösen. Durch ein Schlichtungsergebnis, das aber als ultima ratio verbindlich ist, bietet dieses Verfahren die Gewähr, dass der Dritte Weg auch bei Nichteinigkeit der Arbeitsrechtlichen Kommission funktionsfähig ist295. 288 289 290 291 292 293 294 295

So etwa § 14 ARK DW; vgl. auch in § 10 ARGG-EKD. Vgl. § 14 VI ARK DW. § 14 VI ARK DW; § 10 IV ARGG-EKD. Dies sieht § 14 VI, VIII ARK DW vor. So ist die Regelung in § 11 II ARK DW. So Joussen, RdA 2010, 182 (186). Vgl. § 14 VI ARK DW. Joussen, ZTR 2010, 54 (59); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209).

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Es ist naheliegend, dass in diesem Schlichtungsverfahren der Vorsitzende des Ausschusses die entscheidende Person ist296. Deswegen kommt es darauf an, wie er ausgewählt wird. Zunächst wird darauf geachtet, dass der Vorsitzende hinreichend qualifiziert ist. So muss er oftmals die Befähigung zum Richteramt haben und darf nicht im kirchlichen Dienst stehen. Dass er neutral ist und damit weitgehend sichergestellt ist, dass angemessene und gerechte Ergebnisse erzielt werden, wird dadurch garantiert, dass der Vorsitzende einvernehmlich bestimmt werden muss. Zu beachten ist allerdings, dass es auch eine Lösung für den Fall geben muss, dass keine Einigung hinsichtlich der Person des Vorsitzenden erzielt werden kann. In der Literatur wird teilweise befürwortet, beide Seiten mit einem Vorschlagsrecht zu versehen und im Falle der Nichteinigung durch Los entscheiden zu lassen297. Dies wahre die Parität und führe angesichts des ungewissen Ausganges des Losverfahrens dazu, dass der Einigungsdruck in der Kommission hinsichtlich der Sachfrage steige298. In Bezug auf die Effektivität ist dieser Vorschlag sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Sofern der Ausschussvorsitzende durch Los bestimmt wird, besteht allerdings die naheliegende Gefahr, dass beide Seiten eine Person auswählen, die ihnen besonders nahe steht. Das wäre in Bezug auf die Neutralität des Vorsitzenden, die erforderlich ist, um in der Sache ein angemessenes Ergebnis zu erreichen, nicht unproblematisch. Allerdings ist dieses Losverfahren kein Instrumentarium, das einseitig zu Lasten der Dienstnehmer besteht, und damit geeignet, ein annäherndes Gleichgewicht herzustellen. Insofern dürfte diese Ausgestaltung mit Art. 9 III GG vereinbar sein. Weil das Schlichtungsverfahren dem Einigungsstellenverfahren nach § 76 BetrVG ohnehin sehr ähnlich ist, erscheint es demgegenüber vorzugswürdig, ähnlich wie in § 76 II BetrVG bei Uneinigkeiten über die Person des Vorsitzenden ein Gericht entscheiden zu lassen299. Dies stellt die erforderliche Neutralität und Kompetenz des Vorsitzenden sicher. Das Gericht, das den Ausschussvorsitzenden bestimmt, kann ein staatliches sein. Dass ein kirchliches Gericht den Ausschussvorsitzenden bestimmt, ist nicht zu beanstanden, soweit auch die Unabhängigkeit der kirchlichen Richter gewahrt ist. In diesem Sinne unabhängig sind z. B. die 296

Richtig Joussen, NZA 2007, 730 (733). Joussen, NZA 2007, 730 (733 f.); vgl. etwa auch § 20 I 3 der Rahmen-KODA. 298 Joussen, NZA 2007, 730 (734). 299 So etwa § 10 III ARGG-EKD, wonach der Präsident des Kirchengerichtshofs den Vorsitzenden bestimmt; ähnlich § 16 III ARRG der Evangelischen Kirche im Rheinland, hiernach bestimmt der Vorsitzende des Richterkollegiums des Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche im Rheinland den Vorsitzenden, abrufbar unter http://www. kirchenrecht-ekir.de/showdocument/id/2666#s81000028; ferner § 12 III ARRG-EKD, nach dem bei Uneinigkeit der Präsident des Verfassungsgerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland den Vorsitzenden bestimmt, abrufbar unter http://www. kirchenrecht-ekd.de/showdocument/id/3830#s4.1200024, alle Regelungen abgerufen am 05.08.2014. 297

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Richter des Verfassungsgerichtshofs der EKD, dessen Präsident im Zweifelsfalle gemäß § 12 III ARRG-EKD den Ausschussvorsitzenden bestimmt. Diese Unabhängigkeit ergibt sich aus § 32a I der Grundordnung der evangelischen Kirche300. Hiernach sind die Richter der Kirchengerichte der EKD an die Heilige Schrift und an ihr Bekenntnis sowie an das in der Kirche geltende Recht gebunden und üben in diesem Rahmen ihr Amt unparteiisch und in richterlicher Unabhängigkeit aus. Insofern kann der Richter de iure nicht von der Kirchenleitung unter Druck gesetzt werden, damit er eine ihr nahestehende Person auswählt301. Dies reicht aus, um zu garantieren, dass ein neutraler Schlichtungsvorsitzender bestimmt wird. (b) Schlichtungsverfahren mit zwei Vorsitzenden Praktiziert wird auch eine andere Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens. Hierbei besteht die Besonderheit, dass der Vorsitz im Vermittlungsausschuss durch eine Doppelspitze geführt wird. So sieht etwa § 16 II Rahmen-KODA vor, dass dem Vermittlungsausschuss zwei Personen vorsitzen, von denen jeweils eine durch das Dienstgeber- und das Dienstnehmerlager bestimmt wird. Diese Vorsitzenden müssen dann nach § 20 II Rahmen-KODA zunächst gemeinsam und im Einvernehmen einen Vermittlungsvorschlag erarbeiten, über den der Vermittlungsausschuss dann einen verbindlichen Annahme- oder Ablehnungsbeschluss herbeizuführen hat. Im Rahmen dieser Abstimmung haben die beiden Vorsitzenden zusammen nur eine Stimme. Bei dieser Ausgestaltung des Verfahrens müssen allerdings Regelungen für den Fall bestehen, dass ein einvernehmlicher Vermittlungsvorschlag durch die beiden Vorsitzenden nicht erreicht werden kann. Es ist ersichtlich, dass es im Falle der Nichteinigung nicht zu einer Blockade des Regelungsverfahrens kommen darf 302. Teilweise wird vorgeschlagen, dass bei einer Nichteinigung der Vorsitzenden ein Losentscheid durchzuführen sei, um festzulegen, wessen Schlichtungsvorschlag der Schlichtungskommission zur Entscheidung unterbreitet werde, verbunden mit der Festlegung, dass bei der nächsten Nichteinigung der andere Vorsitzende die Entscheidung hinsichtlich des Schlichtungsvorschlags treffe303. Auch ein so ausgestaltetes Losverfahren ist wegen des unberechenbaren Ausgangs geeignet, hinsichtlich der Einigungsbereitschaft in der Arbeitsrechtlichen Kommission einen gewissen Druck zu erzeugen. Auch ist festzustellen, dass dieses Losverfahren das Verhandlungsgleichgewicht 300 Abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekd.de/showdocument/id/3435; abgerufen am 05.08.2014. 301 Diese Unabhängigkeit der Richter berücksichtigt Czycholl, Anm. zu EzA Nr. 148 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 74, nicht, wenn er behauptet, die kirchliche Gerichtsbarkeit sei als Institution der Kirchen eher auf der Arbeitgeberseite. 302 Vgl. aber § 20 II 5 Rahmen-KODA, wonach bei Nichteinigung das Vermittlungsverfahren beendet ist; wie hier auch Bepler, ZAT 2013, 85 (90). 303 Bepler, ZAT 2013, 85 (90).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

nicht beeinträchtigt und insofern keine einseitig zu Gunsten der Dienstgeber bestehende Regelung darstellt. Insofern dürfte eine derartige Regelung zulässig sein. Gleichwohl erscheint ein Schlichtungsverfahren mit einem neutralen Vorsitzenden in Anlehnung an die Regelungen des Einigungsstellenverfahrens nach § 76 BetrVG der vorzugswürdige Weg, um sicherzustellen, dass auch in der Sache gerechte Ergebnisse erzielt werden können304. (c) Kritik an einem verbindlichen Schlichtungsverfahren und Gegenkritik Gegen das Schlichtungsverfahren als Konfliktlösungsmechanismus wird zum Teil vorgebracht, eine Zwangsschlichtung sei im Hinblick auf die Parität abzulehnen, weil der Vorsitzende der Schlichtungskommission den Ausschlag zu einem Ergebnis geben könne, das die Dienstnehmer gerade nicht erreichen wollten305. Deswegen bestehe die Möglichkeit, dass sich die Arbeitgeberseite durchsetzen könne, ohne Einschränkungen vornehmen zu müssen306. Dem ist aber zu widersprechen. Weil der Vorsitzende in dem paritätisch besetzten Schlichtungsgremium, der letztlich ausschlaggebend ist, neutral und unabhängig ist, kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sich zwingend die Dienstgeber mit ihren Vorstellungen durchsetzen307. Genauso möglich ist es, dass sich die Position der Dienstnehmer vollumfänglich im Schlichterspruch niederschlägt. Welche Position im Spruch verwirklicht wird, ist aufgrund der Zusammensetzung des Schlichtungsausschusses letztlich eine Frage der besseren Argumente und nicht eine Frage, welche Partei eine Übermacht innehat. Damit ist eine strukturelle Unterlegenheit der Dienstnehmer hier nicht erkennbar. Auch können die Schlichtungsausschussmitglieder eine eigene Kompromisslösung entwickeln und beschließen. Dies wird wohl aufgrund des Erfordernisses, beide Interessen angemessen zu berücksichtigen, nach der kirchengesetzgeberischen Konzeption der Regelfall sein. Vorstellbar und zulässig ist ferner, dass der Vorsitzende die Entscheidung wie ein Schlichter in Anlehnung an § 317 BGB alleine trifft308. Damit könnte er auch von den vorgetragenen Positionen abweichen und einen eigenen, zwischen den bestehenden Positionen vermittelnden Beschluss herbeiführen. Dieser ungewisse Ausgang des Schlichtungsverfahrens fördert auch die Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten309. Insgesamt ist festzustel304

Richtig Bepler, ZAT 2013, 85 (90). So BAG, Urt. v. 25.03.2009 – 7 AZR 710/07, BAGE 130, 146 (163); zustimmend Strake, Streikrecht, S. 123; so auch Czycholl, Anm. zu EzA Nr. 148 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 74 f.; Schubert, AuK 2011, 74 (77). 306 So BAG, Urt. v. 25.03.2009 – 7 AZR 710/07, BAGE 130, 146 (163); zustimmend Strake, Streikrecht, S. 123. 307 So zutreffend Joussen, RdA 2010, 182 (186). 308 Dies schlägt mit Recht Joussen, ZTR 2010, 54 (59) vor. 309 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464). 305

II. Eigener Ansatz

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len, dass eine Schlichtung kein einseitig zu Gunsten der Dienstgeber bestehendes Instrument darstellt. Auch wird die Parität dadurch gesichert, dass faktisch jede Seite den Schlichtungsausschuss anrufen kann, ohne auf die Mitwirkung der anderen Seite angewiesen zu sein310. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass über jeden Gegenstand der Verhandlungen auch tatsächlich entschieden wird. Damit greifen die Befürchtungen, eine Schlichtung gefährde die Parität, nicht durch. Sofern demnach paritätisch besetzte Kommissionen Entscheidungen treffen und die Schlichtungskommission bei Uneinigkeit unter Vorsitz der neutralen Person eine Regelung herbeiführt, ist es ausgeschlossen, dass die Dienstgeber einseitig Festlegungen treffen können311. Sie können die Dienstnehmer auch im Ausschuss nicht überstimmen, und bei Pattsituationen entscheidet letztlich der neutrale Vorsitzende und verhindert so, dass es zwingend beim status quo bleibt. Im Ergebnis ermöglicht die Zwangsschlichtung, dass eine gerechte und sinnvolle Lösung auf den Weg gebracht wird. Auch kann auf diese Weise jeder Interessenkonflikt zum Gegenstand einer verbindlichen Schlichtung werden312. Denn die Gegenseite kann durch ein Nichtverhandeln über eine Forderung das Entstehen einer Regelung nicht verhindern, wenn immer als ultima ratio einseitig der verbindlich beschließende Schlichtungsausschuss angerufen werden kann. Damit geht der Dritte Weg sogar über die Beteiligungsmöglichkeiten im Tarifvertragssystem hinaus313: Wenn ein weltlicher Arbeitgeber über gewerkschaftliche Forderungen nicht verhandeln will, muss er dies nicht tun, weil keine Verhandlungspflicht besteht. Ob eine Gewerkschaft den Eintritt in Verhandlungen über eine tarifliche Forderung und ihre Forderung selbst durchsetzen kann, hängt letztlich von ihrer Durchsetzungsfähigkeit ab und von der Möglichkeit, durch Streiks ausreichenden Verhandlungsdruck aufzubauen. Dies liegt wiederum an der sozialen Mächtigkeit der Gewerkschaft, die auch von vielen internen Faktoren abhängt. Damit ist im Tarifsystem nicht gesichert, dass über jede Forderung verhandelt, geschweige denn entschieden wird. Das ist im Dritten Weg anders, weil notfalls der Schlichtungsausschuss einseitig angerufen werden kann, der dann eine Entscheidung über die fragliche Materie treffen muss. Daher besteht die Möglichkeit, dass rechtssicher jede Forderung beschieden wird. Was bedeutet es aber, dass über jede beliebige Forderung entschieden werden kann? Könnte die Forderung, über die der Schlichtungsausschuss verbindlich zu entscheiden hätte, lauten, dass Tarifsystem und Arbeitskampf eingeführt werden sollen oder dass

310

BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464). Richtig Schliemann, ZTR 2013, 414 (416). 312 Zutreffend Richardi, RdA 2011, 119 (122). 313 Zu diesem nicht unerheblichen Gesichtspunkt zutreffend auch Richardi, RdA 2011, 119 (122). 311

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

ein Streikrecht im Dritten Weg anzuerkennen ist? Wäre dies möglich, so könnte zumindest theoretisch ein Streikrecht durch die Hintertür beschlossen werden. Allerdings ist zu beachten, dass die Arbeitsrechtlichen Kommissionen nur Regelungen hinsichtlich Abschluss, Inhalt und Beendigung der Dienstverhältnisse treffen können314. Es geht also um die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. Weil nur für diese Regelungsgegenstände eine Zuständigkeit der Kommissionen besteht, können auch nur in diesem Bereich Forderungen an die Kommissionen gestellt werden. Die Forderung nach einem Systemwechsel oder nach einer Einführung eines Streikrechts betrifft allerdings nicht die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. Insofern liegt hinsichtlich dieser Fragestellungen keine Zuständigkeit der Kommissionen vor. Hinzu kommt für die katholischen Kommissionen, dass diese nach Art. 7 I GrO an die Grundordnung gebunden sind, die in Art. 7 II GrO das Streikrecht ausdrücklich ausschließt. Soweit in dem verbindlichen Schlichterspruch ein Verstoß gegen das Verbot einer Zwangsschlichtung315 gesehen wird, ist dem ebenfalls zu widersprechen: Eine staatlich angeordnete Zwangsschlichtung berührt zwar Grundlagen der Verfassung316, dies bezieht sich aber auf das Tarifvertragssystem. Dies ergibt sich daraus, dass die Tarifautonomie bei einer staatlich angeordneten Zwangsschlichtung schwerwiegend beschränkt würde. Die Tarifautonomie umfasst die Freiheit zur Verhandlungsführung und auch die Freiheit des Auseinandersetzungsverfahrens. Eine Zwangsschlichtung würde dieses Verfahren allerdings beenden und durch eine staatlich angeordnete Regelung ersetzen317. Bei der Schlichtung im Dritten Weg geht es aber gerade nicht um eine Findung der Arbeitsbedingungen im Wege der Tarifautonomie, sondern um ein eigenständiges Verfahren, so dass die Ausführungen, die ein Verbot der Zwangsschlichtung im Rahmen der Tarifautonomie begründen, nicht auf den Dritten Weg übertragbar sind318. Auch findet hier keine staatlich angeordnete Schlichtung statt, sondern die Schlichtung erfolgt durch die paritätisch besetzte Schlichtungskommission unter Vorsitz des gemeinsam gewählten Kommissionsvorsitzenden319. Wichtig erscheint indessen gerade, dass der Schlichterspruch verbindlich ist320. Ob die Verbindlichkeit sofort oder erst in einer zweiten Stufe eintritt, ist

314

So z. B. § 1 I 1 Rahmen-KODA. Schubert, AuK 2011, 74 (77); Strake, Streikrecht, S. 122 f. 316 So auch Strake, Streikrecht, S. 112; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 151; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209) jeweils m.w. N. 317 Hierzu auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 148 m.w. N. 318 So zu Recht auch, Klumpp, KuR 2012, 176 (188); Oswald, Streikrecht, S. 193; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209). 319 Richtig Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 151. 320 Zutreffend Joussen, ZTR 2010, 54 (59); Joussen, RdA 2010, 182 (186); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209). 315

II. Eigener Ansatz

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letztlich unerheblich. Teilweise321 hat der Schlichterspruch allerdings nur Vorschlagscharakter und die zu die zu regelnde Materie wird zusammen mit dem Vermittlungsvorschlag zurück in die Kommission zur Entscheidung verwiesen. Kommt dort erneut keine Mehrheit zustande, bleibt es beim status quo322. Insofern wird hierbei das eigentliche Problem, nämlich der Dissens zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, nicht gelöst. Diese Pattsituation könnte den Dritten Weg letztlich funktionsunfähig machen323. Wenn eine Seite das Entstehen der Regelung abwenden will, kann sie ihre Zustimmung zum Vermittlungsvorsachlag verweigern und damit die Verabschiedung der betreffenden Regelung einseitig verhindern324. In diesem Falle bestehen keine reellen Verhandlungschancen. Daher müssen hier geeignete Regeln getroffen werden, die die Funktionsfähigkeit sicherstellen und die verhindern, dass gar keine Entscheidungen mehr getroffen werden325. (2) Letztentscheidungsrecht des Bischofs Fraglich kann in diesem Zusammenhang sein, ob der Bischof in besonderen unabweisbaren Notfällen selbst eine Regelung treffen kann, wenn trotz eines unverbindlichen Schlichterspruches erneut keine Einigung erzielt wird. Dies war in einigen Ordnungen vorgesehen326. Teilweise wird es als Verstoß gegen die Parität gesehen, wenn der Bischof ein Letztentscheidungsrecht hat und einseitig Bedingungen festlegen kann327. Zu berücksichtigen ist aber die Stellung des Bischofs als oberster Hirte im Bistum. Er vertritt mithin in Ausübung des Letztentscheidungsrechts die gesamte Gemeinschaft und nicht nur die Interessen des Dienstgebers328. Auch er ist Teil der Dienstgemeinschaft. Damit trifft er nicht einseitig zu 321 Z. B. § 14 der Bayerischen Regional-KODA-Ordnung, abrufbar unter http://www. onlineabd.de/dcms/sites/bistum/extern/abd/sdindex.html?f_action=show&f_element_id =27864; abgerufen am 06.08.2014; so auch noch § 15 I, VI Regional-KODA NW a. F., nunmehr sieht § 21 der Regional-KODA NW n. F. ein verbindliches Schlichtungsverfahren mit zwei Vorsitzenden vor, abrufbar unter: http://www.regional-koda-nw.de/regio nal-koda-nw/index.php?ber_id=4440; abgerufen am 06.08.2014. 322 Das gilt auch für modifizierte Formen der freiwilligen Schlichtung, hierzu ausführlich Joussen, NZA 2007, 730 (733). 323 So zu Recht auch Joussen, NZA 2007, 730 (733). 324 Wie hier Melms/Wiegelmann, DB 2013, 2504 (2508); anders Klumpp, KuR 2012, 176 (189), der ausführt, beide Seiten müssten den Vorschlag ablehnen, damit er nicht zustande komme. Weil der Vermittlungsvorschlag aber eine Mehrheit braucht, kann wegen der paritätischen Besetzung der Kommission eine Seite die Beschlussfassung verhindern. 325 So auch Joussen, RdA 2010, 182 (186). 326 So etwa in § 15 VI Regional-KODA NW a. F. 327 Oswald, Streikrecht, S. 193; Strake, Streikrecht, S. 126; Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 209. 328 Zutreffend Bepler, KuR 2004, 139 (146 f.); Götz, Kirchenklauseln, S. 180 f.; Klumpp, KuR 2012, 176 (190 f.); Oswald, Streikrecht, S. 189; siehe auch Richardi, RdA

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

Lasten der Dienstnehmer Entscheidungen. Auch hat er den in can. 231 § 2 CIC festgelegten Grundsatz der Lohngerechtigkeit zu beachten329. Insofern führt dieses Letztentscheidungsrecht nicht unmittelbar zu einer Imparität330. Es löst aber nicht das grundsätzliche Problem, dass bei einer Nichteinigung der status quo weitergilt. Denn die bischöfliche Kompetenz ist auf Notfälle beschränkt und stellt damit eine Ausnahme dar331. Mithin kann sie nicht das systemische Problem lösen, sondern nur in Notfällen Abhilfe schaffen. Insofern ist dies insgesamt ein unzureichendes Mittel, um die Funktionsfähigkeit des Dritten Weges bei Konflikten zu gewährleisten. In diesem Sinne hat etwa die Novellierung der KODA-Rahmenordnung die Notfallkompetenz des Bischofs beseitigt. Eine Ausweitung des Regelungsrechts des Bischofs derart, dass er immer bei Uneinigkeit der Kommission ein Letztentscheidungsrecht innehat, kommt allerdings auch nicht in Betracht332. Zwar hätte er als Vertreter der gesamten Dienstgemeinschaft auch die Belange der Dienstnehmer in angemessener Form zu berücksichtigen. Gleichwohl liefe letztlich die Mitbestimmungsmöglichkeit der Dienstnehmer leer, wenn bei Uneinigkeiten in der Kommission der Bischof allein entscheiden könnte. Dies käme in der Sache einer einseitigen Festlegung der Arbeitsbedingungen ähnlich wie im Rahmen des Ersten Weges zumindest sehr nahe333. Ferner wäre es mit Art. 9 III GG unvereinbar, wenn sich der Bischof grundsätzlich über die Kommissionsbeschlüsse bzw. über Beschlüsse des Schlichtungsausschusses hinwegsetzen könnte334. Richtig ist, dass der Bischof nach can. 381 § 1 CIC der Inhaber der Leitungsgewalt über das Bistum ist. Er hat gemäß can. 391 § 1 CIC auch die Gesetzgebungsbefugnis. Nur er kann also die Vereinbarungen in Kraft setzen. Dass ihm hierbei, ähnlich wie dem Bundespräsidenten335, ein Prüfungsrecht zusteht, ist nicht zu beanstanden, solange es nur bei evidenten Verstößen des Kommissionsbeschlusses gegen kirchliche Regelungen zu einer Ver2011, 119 (123); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 129 f.; Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (65). 329 Darauf weisen mit Recht Klumpp, KuR 2012, 176 (191); Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (65) sowie Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1210) hin. 330 Wie hier Götz, Kirchenklauseln, S. 180 f.; Klumpp, KuR 2012, 176 (191); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1210); Strake, Streikrecht, S. 126, zweifelt hingegen an der tatsächlichen Unabhängigkeit des Bischofs. 331 Zutreffend Bepler, KuR 2004, 139 (147); Götz, Kirchenklauseln, S. 180; Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (65). 332 So mit Recht auch Richardi, RdA 2011, 119 (123). 333 Deutlicher Oswald, Streikrecht, S. 187; Strake, Streikrecht, S. 125. 334 Zutreffend Reichold, KuR 2011, 199 (208); teilweise anders Richardi, RdA 2011, 119 (123), der es nur für unzulässig hält, wenn tatsächlich eine Regelung durch die Kirchenleitung getroffen wird; dies sei bei bloßer Kassation einer Regel nicht der Fall. 335 Ähnlich Götz, Kirchenklauseln, S. 183; Oswald, Streikrecht, S. 190 f.; Strake, Streikrecht, S. 124; Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1210).

II. Eigener Ansatz

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hinderung der Inkraftsetzung kommen kann336. Dem Bischof kann nicht zugemutet werden, sehenden Auges durch die Umsetzung von Kommissionsbeschlüssen gegen kirchliche Grundsätze zu verstoßen. Er kann nicht gezwungen werden, Beschlüsse, die im Widerspruch zu den kirchlichen Dogmen stehen, umzusetzen. Es ist gerade die Aufgabe eines Bischofs als Nachfolger der Apostel, das von Jesus Christus anvertraute Glaubensgut zu bewahren und zu verkündigen337. Dazu gehört auch, diese Aufgabe in Übereinstimmung mit den Normen der Kirche wahrzunehmen338. Könnte der Bischof demnach nicht in die Arbeitsrechtssetzung eingreifen, um die kirchliche Ordnung und den kirchlichen Auftrag zu wahren, widerspräche dies der Stellung des Bischofs und würde deshalb das Selbstverständnis der Kirchen und somit das Selbstbestimmungsrecht verletzen339. Deswegen sehen die Ordnungen auch nur ein Vetorecht des Bischofs vor, sofern er nicht in der Lage ist, die Beschlüsse in Kraft zu setzen340. Diese etwas schwammige Formulierung wurde im Sinne der vorstehenden Überlegungen etwa in der Rahmenordnung der katholischen Kirche durch Beschluss vom 19.11.2012 dahingehend konkretisiert, dass der Bischof die Umsetzung verweigern kann, wenn sie „offensichtlich gegen kirchenrechtliche Normen oder Vorgaben der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ verstoßen“ 341. Darüber hinaus ist ein Letztentscheidungsrecht jedoch nicht anzuerkennen. In der Wissenschaft wird teilweise zwischen einem unzulässigen echten Letztentscheidungsrecht und einem bloßen Veto unterschieden. Eine Kassationsbefugnis verändere nicht die Rechtslage und sei daher anzuerkennen342. Dem muss nach hiesiger Auffassung allerdings widersprochen werden. Auch ein generelles Kassationsrecht ist nicht anzuerkennen. Zwar wird der Bischof auch hier als Vertreter der gesamten Gemeinschaft tätig, so dass die Kassation keine Blockade der Dienstgeberseite darstellt und sich damit nicht unbedingt eine Gefahr für die Parität ergibt343. Allerdings würde ein Vetorecht die Mitwirkungsmöglichkeiten der Dienstnehmer weitgehend aushebeln, wenn der Bischof einen mühsam errunge336 In diese Richtung gehend auch Richardi, RdA 2011, 119 (123) m.w. N., der allerdings weitergehend eine generelle Kassationsmöglichkeit für unbedenklich hält. 337 Verkündigt die kirchliche Soziallehre!, Ansprache von Papst Johannes Paul II an die Bischöfe Venezuelas und Caracas während einer Pastoralreise nach Lateinamerika, in: Der Apostolische Stuhl, 1985, S. 286 (290); siehe auch Mt. 28, 20. 338 Verkündigt die kirchliche Soziallehre!, Ansprache von Papst Johannes Paul II an die Bischöfe Venezuelas und Caracas während einer Pastoralreise nach Lateinamerika, in: Der Apostolische Stuhl, 1985, S. 286 (290). 339 Richtig Götz, Kirchenklauseln, S. 183; Klumpp, KuR 2012, 176 (191) m.w. N. 340 So etwa § 12 IV BayRKO, abrufbar unter http://www.onlineabd.de/dcms/sites/ bistum/extern/abd/sdindex.html?f_action=show&f_element_id=27861; abgerufen am 06.08.2014. 341 So § 15 IV, VII Rahmen-KODA; ebenso § 15 IV, VII Regional-KODA NW. 342 Klumpp, KuR 2012, 176 (191); Richardi, RdA 2011, 119 (123). 343 Insoweit zutreffend Klumpp, KuR 2012, 176 (191); Richardi, RdA 2011, 119 (123).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

nen Kompromiss zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber, der dem kirchlichen Auftrag nicht widerspricht, einseitig aufheben und die Sache zurück in die Kommission verweisen könnte. Dies könnte er solange praktizieren, bis eine ihm genehme Lösung in den Kommissionen erfolgt. Dies wäre allerdings der Erste Weg auf Umwegen. dd) Funktionsfähigkeit Man wird von den Kirchen verlangen können, dass sie den selbst entworfenen Weg ernst nehmen. Dazu gehört es, ihn so auszugestalten, dass er funktionsfähig ist. Anderenfalls wäre er aber auch keine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens. Auch zeigt die jüngste Vergangenheit im Bereich der Regelungsfindung, dass die Akzeptanz dieses Modells wesentlich mit der Funktionsfähigkeit zusammenhängt344. Damit müssen Regelungen bestehen, die verhindern, dass Blockaden des Dritten Weges entstehen, die ihn leerlaufen ließen345. Blockadesituationen sind zunächst für den bereits angesprochenen Fall denkbar, dass ein Schlichterspruch unverbindlich bleibt, die Angelegenheit zurück in die Kommission verwiesen wird und erneut eine Einigung scheitert und damit die alte Regelung weiterhin gilt. In diesen Situationen sind die eine Änderung Fordernden strukturell machtlos. Dieses Problem kann, wie bereits dargelegt, durch eine Verbindlichkeit des Schlichterspruches befriedigend beseitigt werden. Andererseits können Blockaden auch absichtlich herbeigeführt werden. In einigen Kommissionen ist es in der Vergangenheit zu einem Stillstand gekommen, weil eine Seite die Verhandlungen für gescheitert erklärt hat und nicht mehr zu den Sitzungen erschienen ist346. Dies kann zu einem Stillstand führen, weil die Kommissionen teilweise erst beschlussfähig sind, wenn die Hälfte oder sogar zwei Drittel der Mitglieder von jeder Seite anwesend sind347. Auf diese Weise wäre es beispielsweise für die Dienstgeberseite möglich, durch bloßes Nichterscheinen eine Beschlussunfähigkeit der Kommission herbeizuführen und so zu verhindern, dass eine Regelung verabschiedet wird. Gleichfalls könnten auch die Dienstnehmer durch ein Fernbleiben von den Sitzungen die Entstehung von nicht gewollten Regelungen blockieren348. Diese „Politik der leeren Stühle“ 349 ermöglicht letztlich ein Aushebeln des Dritten Weges, der dann leerläuft. Diejenigen, 344 Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1008); vgl. zu den Konflikten innerhalb der Kommissionen die Fallanalysen von Lührs, Die Zukunft, S. 185–213. 345 So mit Recht auch Joussen, RdA 2010, 182 (186). 346 Darauf weisen auch Joussen ZTR 2010, 54 (58); und Reichold, ZTR 2012, 315 (319) hin; vgl. zu Blockaden in der Vergangenheit auch Lührs, Die Zukunft, S. 202 f., 209. 347 So z. B. § 11 I 1 ARK DW, vgl. zu diesem Problem auch Joussen, ZTR 2010, 54 (58). 348 Vgl. hierzu die Fallstudien bei Lührs, Die Zukunft, S. 202 f., 209. 349 Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (118); Reichold, ZTR 2012, 315 (319).

II. Eigener Ansatz

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die eine Veränderung des status quo herbeiführen wollen, haben in diesem Fall keine Chance, diese zu erreichen, sondern wären auf den guten Willen der anderen Seite angewiesen. Deswegen müssen auch hier Regelungen getroffen werden, die eine Funktionsfähigkeit herstellen. Denkbar sind verschiedene Ansätze. Zunächst könnte vorgesehen werden, dass auch bei Beschlussunfähigkeit obligatorisch ein Schlichtungsverfahren mit verbindlichem Schlichterspruch durchzuführen ist350. Denkbar ist auch eine Regelung wie in § 10 VI ARGG-EKD: Ist die Arbeitsrechtliche Kommission nicht beschlussfähig, kann sie die Angelegenheit mit Zustimmung von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder dem Schlichtungsausschuss zur Entscheidung vorlegen. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Regelungen zur Beschlussfähigkeit so zu ändern, dass eine Politik des leeren Stuhls nicht mehr funktioniert. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn bereits bei der Anwesenheit der einfachen Mehrheit der Kommissionsmitglieder eine Beschlussfähigkeit gegeben ist. Zielführend ist auch eine Regelung dahingehend, dass die einfache Mehrheit der Stimmen der zur Sitzung erschienenen Mitglieder für ein Zustandekommen der Regelung ausreichend ist. Diese Regelung erscheint besonders effektiv, weil diejenigen, die eine Blockade betreiben und so den Dritten Weg aushebeln wollen, Gefahr laufen, dass genau die Regel verabschiedet wird, die sie eigentlich verhindern wollen. Insgesamt ist anzunehmen, dass bei einem funktionsfähigen Konfliktlösungsmechanismus, der in einer verbindlichen Schlichtung liegen kann sowie bei dem Vorliegen geeigneter Regelungen, die Blockadesituationen verhindern, der Dritte Weg insgesamt ein funktionierendes, in sich geschlossenes System ist, das in dieser Hinsicht die von Art. 9 III GG gestellten Anforderungen an eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens erfüllt. Insoweit ist dann der Dritte Weg mit der Tarifautonomie in Bezug auf die Funktionsfähigkeit gleichwertig351. ee) Verbindlichkeit der Beschlüsse Auch bietet eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens eine gewisse Rechtssicherheit. Müsste sich ein Arbeitgeber nicht an die getroffenen Vereinbarungen halten, wären sie im Zweifel nicht viel wert. Im Rahmen des Tarifvertragssystems stellt diese Sicherheit die Schutzfunktion der Tarifautonomie sicher, die zu einer sinnvollen Ordnung der Arbeitsbedingungen beiträgt. Deshalb legen Tarifverträge nach § 4 I, III TVG mit normativer Wirkung die Mindestarbeitsbedingungen fest. Eine der Tarifautonomie ähnliche, sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens muss insofern auch zu einer rechtssicheren Regelung der Arbeitsbe350 351

So auch Joussen, ZTR 2010, 54 (59). Zutreffend Joussen, RdA 2010, 182 (187).

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dingungen führen. Zwar wirken die Regelungswerke der Kommissionen in der Regel nicht normativ352. Diese Wirkung haben Tarifverträge allerdings im Regelfalle auch nur in Bezug auf die beiderseitig Tarifgebundenen; deswegen entfaltet sich im Normalfall die Wirkung auf Außenseiter durch eine einzelvertragliche Inbezugnahme353. Dies ist hinsichtlich der Regelungen des Dritten Weges ausreichend, aber gleichzeitig auch notwendig. Zu verlangen ist damit, dass die ausgehandelten Vertragswerke von den jeweiligen Dienstgebern angewandt werden müssen354. Gleichwohl sehen derzeit die Satzungen einzelner Diakonischer Werke vor, dass die Mitglieder des diakonischen Werkes in Ausnahmefällen das Arbeitsrecht der Diakonie und damit auch die jeweiligen auf dem Dritten Weg ergangenen Regelungswerke nicht übernehmen müssen355. Müsste der einzelne Dienstgeber die Beschlüsse der Kommissionen nicht umsetzen, sondern hätte er durch kirchengesetzliche Öffnungsklauseln die Wahl zwischen verschiedenen bereits bestehenden, unter Umständen älteren (und für ihn günstigeren) Arbeitsvertragsrichtlinien, oder bestünde sogar die Möglichkeit, eine eigene Ordnung zu schaffen356, würde das Ziel, Rechtssicherheit durch die Vereinbarungen des Dritten Weges herzustellen, verfehlt. Eine Auswahlmöglichkeit unter mehreren Vertragswerken hätte ebenfalls zur Folge, dass de facto doch der Dienstgeber die Arbeitsbedingungen bestimmen könnte357. Ein unter Umständen mühsam errungener Kompromiss könnte „in der Schublade verschwinden“, wenn der einzelne Dienstgeber zwischen verschiedenen Vertragswerken optieren oder sogar eigene Regelungen treffen könnte. Dies würde die Mitwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten bei der Regelung ihrer Arbeitsbedingungen gravierend einschränken358. Problematisch sind derartige Öffnungsklauseln aber auch bezüglich des kirchlichen Selbstverständnisses. Die Kirche will aufgrund des Grundsatzes der Dienstgemeinschaft, an dem die gesamte Mitarbeit im kirchlichen Dienst ausgerichtet ist, einheitliche Beschäftigungsbedingungen erreichen und insbesondere den glei352 Eine normative Wirkung ordnen § 3 I 1 a. E. ARRG-Westfalen; § 3 I 1 a. E. ARRG-Rheinland an. 353 Klumpp, KuR 2012, 176 (185). 354 So auch Meurer, npoR 2013, 6 (8); eine derartige Regelung trifft § 4 ARGGEKD, dem folgend § 3 I ARRG-Westfalen und § 3 I 1 a. E. ARRG-Rheinland. 355 So etwa § 7 IV Nr. 6 i.V. m. § 14 I Nr. 18 der Satzung des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e. V. vom 18.10.2010, abrufbar unter http:// www.diakonie-portal.de/downloads/copy_of_verbandsdownloads/satzung-dwbo-2012/ view; so auch § 5 VI, IV a der Satzung des Diakonischen Werks Baden vom 31.01. 2011; abrufbar unter http://www.diakonie-baden.de/fileadmin/documentpool/Diako nie_Baden/satzung_2011.pdf; beide Satzungen abgerufen am 05.08.2014. 356 Hierzu Schliemann, NZA 2011, 1189 (1193); Schubert, AuK 2011, 74 (77); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 142 f. 357 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464); vgl. auch Reichold, NZA 2013, 585 (589). 358 So wohl auch Joussen, in: EssGespr 46 (2012), S. 53 (79).

II. Eigener Ansatz

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chen Lohn für gleiche Arbeit sicherstellen359. Dieses Ziel wird allerdings durch Möglichkeiten zur Abweichung verfehlt. Auch kann nicht recht einleuchten, warum Dispensmöglichkeiten erforderlich sind. Wenn die Kirchen vortragen, dass der Dritte Weg aus Gründen, die sich aus dem kirchlichen Auftrag ergeben, erforderlich sei, passt es hierzu nicht recht, Abweichungen und damit ein Ausbrechen aus dem Dritten Weg zuzulassen360. Diese Wahlmöglichkeiten müssten sich mit den bekenntnisspezifischen Besonderheiten des kirchlichen Dienstes begründen lassen, damit sie akzeptiert werden können, der Wunsch nach finanzieller Beinfreiheit reicht nicht aus361. Eine Möglichkeit der einzelnen Mitgliedseinrichtungen, von den auf dem Dritten Weg ergangenen Arbeitsrechtsregelungen abzuweichen, war von den Schöpfern des Dritten Weges wohl auch gar nicht vorgesehen. Die EKD hält es für eine der wichtigsten Anforderungen an ein interessengerechtes Mitarbeitervertretungsrecht, dass die Kommissionsbeschlüsse Inhalt aller Arbeitsverträge werden müssen und dass keine einseitige Aufhebung der geltenden Bedingungen erfolgen kann362. Damit hatten die Schöpfer des Dritten Weges Rechtssicherheit und damit gerade eine Verbindlichkeit der Verabredungen im Blick. Dies zeigt, dass die in manchen Satzungen vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten Fehlentwicklungen sind, die mit dem Gedanken des Dritten Weges eigentlich nicht vereinbar sind, und die deswegen zu korrigieren sind. Nach alledem muss verlangt werden, dass die Kommissionsbeschlüsse verbindlich umzusetzen sind. Einige diakonische Werke haben in diesem Sinne ihre Satzungen bereits angepasst und Abweichungsmöglichkeiten entfernt, so dass dort nunmehr die auf dem Dritten Weg ergangenen Beschlüsse verbindlich von allen Mitgliedseinrichtungen anzuwenden sind363. Teilweise besteht insofern noch Anpassungsbedarf. 359

So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 183; Schubert, RdA 2011, 270

(271). 360 Richtig Schliemann, NZA 2011, 1189 (1193); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 142 f.; in diese Richtung gehend auch Meurer, npoR 2013, 6 (8); hierzu auch Glawatz-Wellert, ZevKR 51 (2006), 352 (371 f.). 361 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (170); zutreffend auch Schliemann, NZA 2011, 1189 (1193); Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 142 f. 362 Siehe die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 4, 10 f. 363 Vgl. § 4 ARGG-EKD; siehe z. B. auch § 9 II der Satzung des Diakonischen Werkes Hessen und Nassau vom 04.07.2013, der Abweichungsmöglichkeiten von den auf dem Dritten Weg erlassenen Regelungen nicht mehr vorsieht; abrufbar unter http:// www.diakonie-hessen.de/fileadmin/Dateien/AAA_DiakonieHessen/Files/Ueber_uns/ Organisationsstruktur/satzung_dh_2013-07-04.pdf; gleiches gilt für das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland, in dessen Satzung vom 05.06.2013 gemäß § 5 I keine Abweichungsmöglichkeit von den beschlossenen Arbeitsrechtsregelungen gegeben ist, abrufbar unter http://www.diakonie-rwl.de/dw-rheinland/pdf/Sat zung_DW_Rheinland.pdf; beide Satzungen abgerufen am 05.08.2014; vgl. zur alten Rechtslage Joussen, in: EssGespr. 2012, 53 (75).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Regelungen des Dritten Weges selbst Abweichungen zulassen, sofern diese in der betreffenden Einrichtung unter Einbeziehung der jeweiligen Mitarbeitervertretung beschlossen werden364. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass der Dritte Weg insgesamt an Substanz verliert, so dass dieser Dispens nur in Ausnahmen denkbar ist. In diesem Falle wird die Regelungsbefugnis, etwa in Notlagen der jeweiligen Einrichtung, „eine Ebene tiefer“ gereicht. Diese Möglichkeit wäre im Ergebnis vergleichbar mit den bereits bekannten betrieblichen Bündnissen für Arbeit. Die Frage nach der Verbindlichkeit dürfte demgegenüber die Regelungswerke der katholischen Kirche nicht vor größere Probleme stellen365. In Art. 2 II GrO ist nämlich festgelegt, dass kirchliche Einrichtungen nur solche sind, die sich der Grundordnung unterwerfen. Hieraus ergibt sich, dass die Einrichtungen auch die auf Grundlage des Art. 7 I GrO und der jeweiligen KODA auf dem Dritten Weg ergangenen Regelungen anwenden müssen. Anderenfalls sind sie der Kirche nicht als kirchlich zugeordnet und nehmen demnach nicht mehr am Schutz des Selbstbestimmungsrechts teil. ff) Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften (1) Schwierigkeiten bei der Beteiligung von Gewerkschaften Problematisch für die Kirchen sind auch Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften. Die Kirchen verfolgen ein durch das Selbstbestimmungsrecht geschütztes Interesse, interne Angelegenheiten auch intern und ohne direkten Einfluss von anderen gesellschaftlichen Gruppen regeln zu können366. Weil eine interne Lösung angestrebt wird, müssten die Regelungen nach kirchlichem Verständnis von der Dienstgemeinschaft selbst erlassen werden. Dieser Gemeinschaft gehören die Gewerkschaften, die ja keinen direkten Bezug zu der Gemeinschaft haben, aber nicht an, so dass sie demnach auch nicht Arbeitsbedingungen mitfestlegen sollen367. Auf der anderen Seite garantiert Art. 9 III GG den Verbänden ein umfassendes Betätigungsrecht. Im Rahmen der Tarifautonomie sind die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände die maßgeblichen Akteure. Die Gewerkschaften sind es, die mit der Arbeitgeberseite verhandeln und die notfalls zu Kämpfen aufrufen. Das Recht auf individuelle Teilnahme steht ja unter dem Vorbehalt der kollektiven Geltendmachung durch den Verband. Im Prinzip gilt die Betätigungsgarantie der 364

Hierzu Bepler, ZAT 2013, 85 (91). So auch Bepler, ZAT 2013, 85 (89). 366 So auch Janssen, Streikrecht, S. 17. 367 So auch Janssen, Streikrecht, S. 17; wie hier auch Klumpp, ZAT 2013, 120 (125); diesen Gesichtspunkt berücksichtigt BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464) allerdings nicht. 365

II. Eigener Ansatz

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Gewerkschaften auch im kirchlichen Dienst. Aus diesem Grunde sind auch im Hinblick auf die Betätigungsrechte der Gewerkschaften Regelungen im Rahmen des Dritten Weges zu treffen, durch die sichergestellt ist, dass die Gewerkschaftsinteressen angemessen berücksichtigt werden. Insofern muss auch hier ein Ausgleich gefunden werden. Wie auch in der übrigen Prüfung geht es hier aus den genannten verfassungsdogmatischen Gründen nur um die Mindestbedingungen, die Art. 9 III GG vorsieht. Diese darf der Dritte Weg nicht unterschreiten. Eine Stellung der Gewerkschaften, die exakt derjenigen entspricht, die die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifautonomie innehaben, ist im Dritten Weg mithin nicht erforderlich368. Die Gewerkschaften dürfen aber nicht im Rahmen der Regelungsfindung völlig außen vor gelassen werden. Dann wäre eine staatliche Regelung zur Herstellung der Gewerkschaftsrechte unumgänglich. Auf die Frage, ob es einen besonderen kirchlichen Gewerkschaftsbegriff gibt, dürfte es bei dieser Abwägung nicht entscheidend ankommen. Teilweise wird zwar angenommen, dass die Mitarbeitervertretungen in den Kommissionen als kirchliche Gewerkschaften anerkannt werden könnten, so dass im Hinblick darauf eine ausreichende gewerkschaftliche Beteiligung am Dritten Weg bejaht wird369. Inhaber des Betätigungsrechts aus Art. 9 III GG, mit dem das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hier abgewogen werden muss, sind indessen alle Gewerkschaften. Insofern können die Kirchen nicht festlegen, dass sie nur eine bestimmte Koalition anerkennen und dass nur diese Koalition an der Regelungsfindung mitwirken darf. Weil die kirchlichen Regelungen damit keine Koalition von vornherein von der Mitwirkung ausschließen dürfen, hat die Frage, ob die Dienstnehmervertretungen eine kirchliche Gewerkschaft darstellen, keine Auswirkung auf die Beteiligungsrechte der anderen Koalitionen, mit denen hier ein Ausgleich gefunden werden muss370. (2) Mitwirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften an der Regelungsfindung Im Rahmen des Dritten Weges bestehen unterschiedliche Mitwirkungsmöglichkeiten der Gewerkschaften. In einigen evangelischen Kommissionen können die Dienstnehmervertreter zu einer bestimmten Quote Funktionäre sein371. Damit 368

So im Grundsatz auch Strake, Streikrecht, S. 115. So Reichold, ZAT 2013, 116 (119 f.). 370 Wie hier Klumpp, ZAT 2013, 120 (123 f.) 371 Nach § 8 III ARGG-EKD müssen mehr als die Hälfte Mitarbeitervertreter beruflich im kirchlichen oder diakonischen Dienst stehen; dem folgend etwa § 5 III ARRGWestfalen, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-westfalen.de/showdocument/id/ 6080; ebenso § 5 III ARRG-Rheinland, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-rhein land.de/showdocument/id/2666; § 6 II ARRG-Bayern sieht hingegen vor, dass mindestens zwei Drittel vor der Mitarbeitervertreter im kirchlichen oder diakonischen Dienst 369

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

ist in jedem Falle dem Betätigungsrecht der Gewerkschaften Rechnung getragen. So können sie direkt Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen nehmen. Mit dieser Regelung sind die Kirchen in Bezug auf die Besetzung der Kommissionen den gewerkschaftlichen Positionen weit entgegengekommen. Fraglich ist aber, ob diese Beteiligung der Verbände durch die Mitarbeit in den Kommissionen zwingend von den Kirchen verlangt werden kann. Neben dem Interesse der Kirchen, die eigenen Angelegenheiten frei von äußeren Gruppen zu regeln, wäre eine zwingend vorgeschriebene Mitarbeit von Gewerkschaftsfunktionären problematisch im Hinblick auf die sich aus der Dienstgemeinschaft ergebende Einheit des Dienstes. Dienstnehmervertreter, die Teil der Dienstgemeinschaft sind, verfolgen immer die Interessen der gesamten Gemeinschaft. Werden hauptamtliche Mitarbeiter als Dienstnehmervertreter entsandt, so verfolgen sie überdies neben den Dienstnehmerinteressen auch das Ziel, die Erfüllung des kirchlichen Auftrags voranzutreiben. Diesen Auftrag haben sie im Rahmen ihrer Kommissionsarbeit immer in ihrem Bewusstsein. Dies ist anders bei einer gewerkschaftlichen Vertretung in der Kommission. Die Gewerkschaften sind nicht Teil der Dienstgemeinschaft und damit auch nicht dem Auftrag der Kirche verpflichtet. Insoweit erscheint es naheliegend, dass die Gewerkschaften nicht das Ziel verfolgen, den kirchlichen Auftrag zu erfüllen, sondern zumindest vornehmlich die eigenen Interessen bzw. die der Mitglieder zu vertreten. Damit verfolgen sie aber nicht die Interessen der gesamten Dienstgemeinschaft, sondern nur die Interessen ihrer Mitglieder. Dies ist durchaus legitim. Gewerkschaften müssen eine gute Interessenvertretung bieten, um attraktiv für kirchlich Beschäftigte zu sein. Allerdings widerspricht die Vertretung der Interessen Einzelner der Dienstgemeinschaft, insbesondere der Einheit des Dienstes und kann daher von den Kirchen nicht akzeptiert werden372. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Einbeziehung der Gewerkschaften in die Kommissionen die Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung des Dritten Weges beinhaltet. Eine quotierte Berücksichtigung der Gewerkschaften führt zu einer Aufspaltung der Dienstnehmervertreter in hauptamtliche Mitarbeiter und Funktionäre373. Diese verfolgen wie bereits gesehen, unterschiedliche Interessen. Die Aufspaltung verschärft sich weiter, wenn neben der für die Branche zuständigen Gewerkschaft auch mehrere Spartengewerkschaften in den Kommissionen vertretätig sein müssen, abrufbar unter http://www.ark-bayern.der Mitarbeiterverbänden zusammengeschlossenen kirchlichen Mitarbeiter.e/sites/ark-bayern.de/files/Zusammenge fasstes_ARRG.pdf, alle abgerufen am 05.08.2014; siehe auch die Information der Arbeitsrechtlichen Kommission des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: EKD (Hrsg.), Der Dritte Weg, S. 4, dort ist generell die Rede von gewerkschaftlicher Mitarbeitervertretung, soweit die Vereinigungen einen bestimmten Organisationsgrad haben. 372 Richtig Klumpp, ZAT 2013, 120 (126). 373 Vgl. auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 145.

II. Eigener Ansatz

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ten sein wollen. So ergäbe sich ein weiteres Auseinanderdividieren der Dienstnehmervertreter in den Kommissionen, von denen sich jede Gruppe den Belangen der durch sie vertretenen Dienstnehmer verpflichtet fühlen wird. Unter Umständen streben die Gewerkschaften jeweils eigene Regelungswerke an, vergleichbar mit Spartentarifverträgen. Die Kirchen können aber wegen der Einheit des Dienstes nur einheitliche Regelungen, die für alle Beschäftigten gelten, akzeptieren. Sie können nicht eine Vielzahl von Regelungswerken im Rahmen des Dritten Weges parallel in Geltung setzen, die nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenzieren. Anderenfalls wäre die Dienstgemeinschaft in ihrer Existenz bedroht. Wenn die Kirchen demnach nur ein Regelungswerk in Kraft setzen können, benötigen sie einen einheitlichen Verhandlungspartner. Bei einer Aufspaltung der Vertreter der Dienstnehmer in mehrere Gruppen, nämlich die hauptamtlich Beschäftigten und die Funktionäre mehrerer Gewerkschaften, die allesamt unterschiedliche Berufsgruppen vertreten und damit partiell andere Interessen verfolgen, ist demnach die Funktionsfähigkeit des Dritten Weges angesichts des Erfordernisses, dass Beschlüsse in der Regel eine Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen benötigen, akut bedroht. Zwar bestünde auch hier die Möglichkeit einer Zwangsschlichtung bei Uneinigkeit. Diese soll jedoch nur das letzte Mittel sein und nicht zum Regelinstrumentarium der Beschlussfassung werden. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass eine Aufspaltung der Dienstnehmervertreter auch nicht den Interessen der Dienstnehmer dient. Sofern die Gruppierungen unterschiedliche Positionen vertreten, steht den Dienstgebervertretern keine geschlossene Dienstnehmervertretung gegenüber374. Das wirkt sich freilich auch auf die Verhandlungsstärke aus375. Eingedenk dieser Schwierigkeiten und im Hinblick auf die asymmetrische Kollisionslage wird man eine zwingend vorgeschriebene direkte Beteiligung der Gewerkschaften in den Kommissionen nicht von den Kirchen verlangen können376. Dennoch dürfen die Gewerkschaften nicht völlig außen vor gelassen werden. Das nach Art. 9 III GG bestehende Recht der Koalition auf koalitionsspezifische Betätigung kann allerdings auf anderem Wege angemessen berücksichtigt werden. In die katholischen Kommissionen sind nur hauptamtliche Kirchenmitar-

374

So auch zutreffend Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 145. Zutreffend insoweit auch Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 145. 376 Unklar, ob dem BAG eine indirekte Beteiligung in Form von Werbe- und Unterstützungsmöglichkeiten ausreicht, da es lediglich davon spricht, dass Gewerkschaften am Verfahren zu beteiligen seien, vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (464); vgl. hierzu auch Melms/Wiegelmann, DB 2013, 2504 (2507); wie hier Bepler, ZAT 2013, 85 (91), Klumpp, ZAT 2013, 23, (125); diese indirekte Beteiligung halten hingegen Greiner, DÖV 2013, 623 (626); Schliemann, ZTR 2013, 414 (418); Schubert, JbArbR 50 (2013), S. 101 (123), nicht für ausreichend. 375

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beiter wählbar. Das gewerkschaftliche Betätigungsrecht besteht hier insofern, als die Gewerkschaft bestimmte Kandidaten aktiv unterstützen kann, etwa aufgrund der Möglichkeit der Gewerkschaften, Wahlvorschläge für die Dienstnehmervertreter auszusprechen377. Eine derartige Werbemöglichkeit reicht nach Ansicht des BVerfG jedenfalls aus, um den Kernbereich der sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Betätigungsrechte der Gewerkschaften bei der Personalratswahl zu wahren, die auf diese Weise Einfluss nehmen können378. Zwar ist der Schutz der Koalitionsfreiheit nicht auf einen Kernbereich beschränkt, sondern der Kernbereich beschreibt die Grenze der zulässigen Ausgestaltung379. Diese Grenze ist überschritten, wenn die Einschränkung nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache geboten ist. Wie soeben festgestellt, kann für die Kirchen sachlich das Bedürfnis bestehen, eine direkte Beteiligung der Gewerkschaften am Verfahren des Dritten Weges auszuschließen und die Mitarbeit der Gewerkschaften auf Werbe- und Unterstützungstätigkeiten einzuschränken. Im Hinblick auf die hier vorliegende asymmetrische Kollisionslage kann angenommen werden, dass die von der Kirche eingeräumten Werbe- und Unterstützungsrechte die Mindestbedingungen aus Art. 9 III GG erfüllt. Denkbar wäre alternativ die Einführung einer Listenwahl mit einer „Gewerkschaftsliste“ 380. Die Wahlberechtigten wissen dann, welcher Kandidat bestimmte gewerkschaftsnahe Positionen aktiv unterstützt, und können ihn in die Kommissionen wählen. Die Gewerkschaft kann die Kommissionsmitglieder auch aktiv durch Beratung und Schulungen in ihrer Kommissionsarbeit unterstützen oder Forderungen durch die Dienstnehmervertreter in die Kommission einführen. Insofern hat die Gewerkschaft zumindest mittelbar einen Einfluss auf die Besetzung der Kommissionen und die Kommissionsarbeit381. Auch kann ein Dienstnehmervertreter in einer Kommission gleichzeitig Gewerkschaftsmitglied sein; ausgeschlossen ist nur, dass hauptamtliche Funktionäre in die Kommissionen gewählt werden können. Damit besteht auch mittelbar ein Einfluss der Gewerkschaft in den Kommissionen. Auch die Regelung der katholischen Kommissionen ermöglicht es insofern den Gewerkschaften, sich im Rahmen des Koalitionszweckes betätigen zu können, und zumindest indirekt ist ein Einfluss der Gewerkschaften im Rahmen des Dritten Weges gegeben382.

377 Zutreffend Bepler, KuR 2004, 139 (147); Klumpp, KuR 2012, 176 (187); Klumpp, ZAT 2013, 120 (126); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (99); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209); ähnlich wohl auch Reichold/Hartmeyer, ZMV 2013, 122 (127). 378 So bereits BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, BVerfGE 19, 303 (319– 323); BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (305); zustimmend Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 131. 379 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, BVerfGE 93, 352 (359). 380 So Bepler, ZAT 2013, 85 (91). 381 So auch Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1209). 382 So auch Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (99).

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(3) Sonstige Betätigungsmöglichkeiten der Gewerkschaften im kirchlichen Bereich Weitere gewerkschaftliche koalitionsspezifische Betätigungen, die nicht den spezifischen Eigenheiten des kirchlichen Dienstes widersprechen, wie die Veranstaltung und Durchführung von Schulungen oder Werbemaßnahmen, und Informationsveranstaltungen bleiben ohnehin unberührt. Insofern können sich die Gewerkschaften grundsätzlich im Betrieb betätigen383. Dies geschieht vor allem durch Werbe- und Informationstätigkeiten384. In diesem Bereich ist die Betätigungsmöglichkeit ähnlich wie bei einem weltlichen Arbeitgeber ausgestaltet. Für die Verwendung von Arbeitgebereigentum gelten etwa keine Besonderheiten gegenüber einem weltlichen Arbeitgeber385. Auch ein gewerkschaftliches Zutrittsrecht zu diakonischen Einrichtungen ist zwischenzeitlich anerkannt worden386. Damit kann keine Rede davon sein, dass den Gewerkschaften der Kern koalitionsspezifischer Betätigung vorenthalten würde, weil Koalitionsfreiheit nicht das gleiche ist wie Tarifautonomie und Arbeitskampf387. Damit stehen der Gewerkschaft nach beiden Modellen Möglichkeiten, sich koalitionsspezifisch zu betätigen, zur Verfügung. Damit kann insgesamt nicht von einem Unterschreiten des Mindestschutzes der kollektiven Koalitionsfreiheit die Rede sein. Der Ausschluss der Gewerkschaften aus der direkten Mitarbeit an der Regelungsfindung im Rahmen des Dritten Weges ist sicherlich eine Beeinträchtigung der Betätigungsmöglichkeiten und ein Weniger im Vergleich zur Betätigungsmöglichkeit im Rahmen der Tarifautonomie388. Allerdings ist der Dritte Weg ein eigenständiges Regelungssystem, das sich nicht an der Tarifautonomie messen lassen und nicht vollständig gleichwertig sein muss. In dem Dritten Weg der katholischen Kommissionen ist wegen des indirekten Einflusses auf die Kommissionsarbeit sowie durch die Betätigungsrechte im Betrieb sichergestellt, dass sich die Gewerkschaften im Rahmen des Koalitionszweckes, also der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, betätigen können. Damit wird der Kernbereich aus Art. 9 III GG durch den Dritten Weg nicht angetastet. 383 So schon Jurina, in: FS Broermann, S. 797 (824); richtig auch Joussen, in: Fey/ Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Koalitionsfreiheit und Koalitionsbetätigung, Rn. 9; jetzt auch § 5 ARGG-EKD. 384 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Koalitionsfreiheit und Koalitionsbetätigung, Rn. 8, einzelne Betätigungsmittel siehe Rn. 12–17; zu den einzelnen Mitteln der gewerkschaftlichen Betätigung siehe auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 11 Rn. 45–56. 385 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Koalitionsfreiheit und Koalitionsbetätigung, Rn. 15–17; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 11 Rn. 47, 51. 386 Vgl. hierzu die Mitteilung in AuR 2013, 55 (55). 387 Wie hier Thüsing, RdA 2003, 210 (213); anders Kühling, AuR 2001, 241 (250). 388 Zutreffend Oswald, Streikrecht, S. 197; Strake, Streikrecht, S. 114 f.

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Zu berücksichtigen wäre ferner, dass die aus Art. 9 III GG entnommene kollektive Betätigungsgarantie der Gewerkschaften letztlich auch dem Zweck der Koalitionsfreiheit, eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens herbeizuführen, dient389. Es geht also um die Erreichung gerechter Arbeitsbedingungen durch ein ungefähres Machtgleichgewicht. Die Betätigungsrechte sind insoweit kein Selbstzweck. Die Kirchen haben mit dem Dritten Weg allerdings ein Modell entwickelt, bei dem aufgrund der paritätisch besetzten Gremien und wegen eines funktionierenden Konfliktlösungsmechanismus’ ein ungefähres Machtgleichgewicht besteht, bei dem keine Seite der anderen die Bedingungen diktieren kann und das deswegen eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens fördern kann. Insofern erscheint es nicht erforderlich, dass den Kirchen Vorschriften hinsichtlich der Kommissionsbesetzung auferlegt werden. Auch aus diesem Grunde ist hier ein Betätigungsrecht der Gewerkschaften, das schwächer als im Tarifsystem ausgestaltetes ist, akzeptabel. gg) Zwischenergebnis zu den Anforderungen an den Dritten Weg Erfüllt der Dritte Weg die hier erarbeiteten Mindestbedingungen, ist er mit der Koalitionsfreiheit vereinbar. Bei manchen Ordnungen besteht in einzelnen Punkten noch Anpassungsbedarf. Andere erfüllen bereits jetzt die Mindestbedingungen. Dies ist beispielsweise bei dem ARGG-EKD der Fall. Das hier gefundene Ergebnis ist insbesondere auch im Hinblick auf das Auslegungsgebot der Einheit der Verfassung haltbar. Trotz des Ausschlusses von Tarifautonomie und Arbeitskampf verbleibt für Art. 9 III GG ein Anwendungsbereich. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Koalitionsfreiheit nicht mit Tarifautonomie und Arbeitskampf gleichzusetzen ist390. Damit bestehen auch abseits dieser Modelle koalitionsspezifische Betätigungsmöglichkeiten. Der hinter Art. 9 III GG stehende Zweck, gerechte Arbeitsbedingungen festzulegen, wird durch den Dritten Weg, wie soeben festgestellt, gefördert und verwirklicht. Die Gewerkschaften können sich in den Dritten Weg einbringen391. Damit kann keine Rede davon sein, Art. 9 III GG werde durch eine Alles-oder-Nichts-Lösung vollständig überlagert392.

389

Ähnlich Oswald, Streikrecht, S. 197 f. So auch BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/ 78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (371); Manterfeld, KuR 2011, 86 (100); Richardi/ Thüsing, AuR 2002, 94 (99); Willemsen/Mehrens, NZA 2011, 1205 (1208); diesen Gesichtspunkt lassen Kocher/Krüger/Sudhof, NZA 2014, 880 (884) außer Acht, wenn sie zu dem Ergebnis gelangen, der Dritte Weg verstoße gegen den Wesensgehalt der Koalitionsfreiheit. 391 Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (914); Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (99). 392 Vgl. hierzu Strake, Streikrecht, S. 140 f.; ähnlich auch Kühling, AuR 2001, 241 (250). 390

II. Eigener Ansatz

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d) Wertungsmäßige Korrektur? Die hier vorgenommene Güterabwägung geht zu Gunsten eines vollständigen Ausschluss des Streikrechts aus. Damit kommt es, anders als teilweise vertreten, aufgrund der Abwägung nicht zu einem geteilten Streikrecht, bei dem hinsichtlich der Beurteilung der Zulässigkeit eines Streiks auf die Nähe der betroffenen Tätigkeit zum Kern- oder Randbereich zu unterscheiden ist393. Zu überprüfen wäre, ob sich aus dem hier gefundenen Ergebnis Wertungswidersprüche ergeben. Dies wird teilweise unter Bezug auf das Kündigungsrecht angenommen. Im Zusammenhang mit einer verhaltensbedingten Kündigung wegen eines Verstoßes gegen Loyalitätspflichten sei es bedeutsam, ob der betroffene Mitarbeiter im Kern oder am Rand der Verkündigung tätig sei394. Auch bei dem Kündigungsrecht finde staatliches Recht Anwendung395. Die Kirchen dürften zwar die Schwere der Loyalitätspflichtverletzung feststellen. Gleichwohl sei zu untersuchen, ob das betroffene Arbeitsverhältnis in besonderem Bezug zum kirchlichen Auftrag stehe und somit im Kern- oder Randbereich karitativer Tätigkeit liege396. Daher wird teilweise aufgrund einer Parallelwertung zum Kündigungsschutz auch im Bereich des Arbeitskampfes nach Kern- und Randbereich unterschieden397. Mitarbeitern im Randbereich könne ein Streik nicht untersagt werden, während Mitarbeiter, die im Kernbereich kirchlicher Aufgaben tätig seien, ein Streikverbot hinzunehmen hätten398. Maßgeblich für die Zuordnung zum Kern- oder Randbereich sei, ob der Auftrag der Einrichtung bei einem Streik der betreffenden Personengruppen gefährdet werde399. Daher muss nun untersucht werden, ob eine wertungsmäßige Korrektur angezeigt ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein geteiltes Streikrecht dem kirchlichen Selbstverständnis widerspräche400. Aufgrund der Ausrichtung des kirchlichen Dienstes an der Dienstgemeinschaft besteht eine Einheit des Dienstes. Danach geht die Kirche nach ihrem Selbstverständnis zulässigerweise davon aus, dass alle Mitarbeiter unabhängig von deren Funktion an der Erfüllung des Auftrages teilnehmen. Nur die Kirche darf verbindlich festle393 So aber LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Strake, Streikrecht, S. 140 f.; Vogt, Der Dritte Weg, S. 115 f.; vgl. in diese Richtung gehend auch Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 31. 394 So etwa Strake, Streikrecht, S. 141. 395 Strake, Streikrecht, S. 141. 396 Strake, Streikrecht, S. 141. 397 Strake, Streikrecht, S. 141. 398 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Strake, Streikrecht, S. 142; Vogt, Der Dritte Weg, S. 115 f. 399 LAG Hamm, Urt. v. 13.01.2011 – 8 Sa 788/10, NZA-RR 2011, 185 (194); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 31; Strake, Streikrecht, S. 141 f.; Vogt, Der Dritte Weg, S. 115. 400 Vgl. auch Groeger/v. Tiling, KuR 2012, 259 (261).

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gen, wer im Kern- oder Randbereich tätig ist und wer damit an der Erfüllung des kirchlichen Auftrags teilhat401. Der Staat kann hingegen nicht bestimmen, welche Dienste für die Erfüllung des Auftrages wichtig sind402. Daher kann keine Aufspaltung der Tätigkeiten in Kern- und Randbereich gegen den Willen der Kirchen erfolgen. Allein schon aus diesem Grunde ist ein „geteiltes Streikrecht“ abzulehnen403. Aber auch inhaltlich überzeugt die Vornahme einer Parallelwertung nicht. Zunächst ist zweifelhaft, ob hier überhaupt eine Vergleichbarkeit gegeben ist. Denn bei dem Dritten Weg geht es um ein die Tarifautonomie vollständig ersetzendes, geschlossenes System. Bei der Kündigung aufgrund von Loyalitätspflichtverletzungen geht es hingegen um Modifikationen des staatlichen Kündigungsrechts. Denn die Kündigung richtet sich vom Ausgangspunkt nach den staatlichen Gesetzen. Hier legt zwar die Kirche die Schwere des Loyalitätsverstoßes selbst fest und muss damit gerade keine gestuften Loyalitätspflichten akzeptieren. Damit steht aber erst fest, ob ein Loyalitätsverstoß und damit der Kündigungsgrund „an sich“ gegeben ist404. Ob dieser Grund die Kündigung sachlich rechtfertigt, richtet sich nach dem staatlichen Recht, also insbesondere nach § 1 KSchG, § 626 BGB405. Hierbei wird dann eine Güterabwägung vorgenommen, bei der aber auch wieder dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist, weil sonst das Recht der Kirchen, auf der „ersten Stufe“ den Loyalitätsverstoß festlegen zu dürfen, wertlos wäre406. In diesem Rahmen soll dann bei der Interessenabwägung der Kündigung die Nähe der Tätigkeit zur Verkündigung eine Rolle spielen407. Damit ist die Nähe zum Auftrag ein Kriterium zur Bestimmung der Schwere des Gegengewichtes im Rahmen der Abwägung. Im Bereich des Kündigungsschutzes wird das staatliche KSchG insgesamt aufgrund des Selbstbestimmungsrechts kirchengemäß modifiziert, bei der Anwendung des Dritten Weges wird das Tarifsystem hingegen ersetzt. Mithin geht es hier um unterschiedliche Sachverhalte, die inhaltlich nicht vergleichbar sind. 401 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168); van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Joussen, ZMV 2012, 2 (5); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 38; Manterfeld, KuR 2011, 86 (95); Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (231); Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007). 402 Zutreffend Joussen, ZMV 2012, 2 (5). 403 So mit Recht auch Joussen, ZMV 2012, 2 (5). 404 So auch EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 68 – Schüth/BRD; vgl. hierzu auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (240). 405 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (168 f.); vgl. hierzu auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (240 f.). 406 Zutreffend Magen, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 41 (44). 407 EGMR Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 51 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 66 – Schüth/BRD.

II. Eigener Ansatz

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Zudem ist eine Abstufung bei den Loyalitätspflichten nach Nähe der Tätigkeit zum kirchlichen Auftrag ein bei Weitem nicht so schwerwiegender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht wie eine entsprechende Abstufung im Bereich des kollektiven Rechts. Denn eine Differenzierung im Bereich der Loyalitätspflichten führt in der Regel nicht zu einer vollständigen Aufspaltung der Dienstgemeinschaft. Bei einem geteilten Streikrecht würden hingegen für die Mitarbeiter in ein und derselben kirchlichen Einrichtung zwei völlig unterschiedliche Regelungsmodelle gelten. Die Folge wäre damit ein zweigeteiltes kollektives Arbeitsrecht mit Tarifsystem für kirchenferne Mitarbeiter und dem Dritten Weg für im Kernbereich tätige Mitarbeiter. Die Krankenhausköche wären dem Tarif- und Arbeitskampfsystem zugeordnet, die Krankenschwestern hingegen dem Dritten Weg. Die Reinigungskraft eines Kindergartens wäre tariflich beschäftigt, für die Erzieherin gälte das kirchliche Arbeitsrecht. Zwei unterschiedliche Modelle in einem Betrieb anzuwenden, ist offenkundig unzweckmäßig408. Entscheidend kommt hinzu, dass durch diese Aufspaltung die Dienstgemeinschaft mit der Einheit des Dienstes faktisch vollständig außer Kraft gesetzt würde. Insgesamt lässt sich also der Vergleich des Kündigungsrechts mit dem Dritten Weg nicht aufrechterhalten. Damit kann dem vollständigen Verdrängen des Tarifvertragssystems durch den Dritten Weg mangels Vergleichbarkeit nicht entgegengehalten werden, dass eine Abstufung der Loyalitätspflichten nach Nähe zum kirchlichen Auftrage auch im Bereich des Kündigungsschutzes vorgenommen werde409 und dies übertragbar auf die Regelung der kollektiven Arbeitsbeziehungen sei. Eine wertungsmäßige Korrektur ist insoweit in Ermangelung eines Wertungswiderspruchs nicht angezeigt. e) Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung der Vorgaben Festgestellt worden ist, dass der Dritte Weg das Tarifvertragssystem ersetzen kann, sofern er funktionsfähig ist. Dies ist in einigen Ausgestaltungen des Dritten Weges bereits der Fall; andere Ordnungen müssen noch angepasst werden, beispielsweise muss in einzelnen Satzungen eine Abschaffung der Abweichungsmöglichkeiten der einzelnen Einrichtungen vom Dritten Weg erfolgen410. Erfüllt der Dritte Weg die Anforderungen, kann ein Systemwechsel nicht erzwungen werden und Streiks sind unzulässig. aa) Möglichkeit zum Systemwechsel? Fraglich kann aber sein, welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn dieser Dritte Weg die Mindestanforderungen nicht erfüllt, beispielsweise weil das Schlich408 409 410

Ebenso Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (69). So aber Strake, Streikrecht, S. 141. Hierzu § 6 II. 4. c) dd).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

tungsergebnis unverbindlich bleibt, weil keine oder unzureichende Regelungen bestehen, die Blockadesituationen vermeiden, oder weil bestimmte bestehende Regelungen missachtet werden. Es könnte angenommen werden, dass der Dritte Weg das Tarifvertragssystem nur dann verdrängt, wenn er die gestellten Anforderungen erfüllt. Dies hätte zur Folge, dass bei einer Ausgestaltung des Dritten Weges, die einen Verstoß gegen die Mindestanforderungen aus Art. 9 III GG darstellt, grundsätzlich das Tarifsystem mit Streikrecht gilt411. Dann könnte der Abschluss eines Tarifvertrags erzwungen werden. An dieser Stelle wirkt es sich aus, welcher Prüfansatz zugrunde gelegt wird. Nimmt man an, es kollidierten zwei Grundrechte, geht es in der Tat um die Herstellung praktischer Konkordanz durch ein Abschichten grundrechtlicher Freiheiten. Geklärt werden müsste dann, wer welche Freiheit unter welchen Voraussetzungen ausüben kann und welche Garantien unter welchen Voraussetzungen zurücktreten müssen. Dies spräche in der Tat dafür anzunehmen, dass der Dritte Weg die Tarifautonomie nur verdrängen kann, wenn er die Anforderungen aus Art. 9 III GG erfüllt und deshalb mit der Koalitionsfreiheit vereinbar ist. Dann könnte ein Systemwechsel erzwungen werden, wenn die Kirchen die Mindestanforderungen der Koalitionsfreiheit an den sozialen Ausgleich durch ihren Dritten Weg nicht beachten. Hier geht es allerdings, wie bereits an anderer Stelle untersucht, nicht um eine Grundrechtskollision, sondern es muss ermittelt werden, inwieweit die Kirchen Regelungen treffen dürfen und wann eine staatliche Regelung, die die kirchlichen Regelungen begrenzt, unumgänglich ist. Es geht hier also um die Frage der Reichweite kirchlicher Selbstbestimmung, also um die Grenzen kirchlicher Rechtsmacht. Daher erscheint es zweifelhaft, die Kirchen bei Nichteinhaltung der Vorgaben aus Art. 9 III GG zu einem Systemwechsel zwingen zu können412. Es ist für diese Einschätzung die Entscheidung des BVerfG maßgeblich, dass die Regelung der Beschäftigungsbedingungen auch dann eine eigene Angelegenheit der Kirche bleibt, sofern sie staatliches Recht anwendet und Arbeitsverträge schließt413. Die 411 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (463); Joussen, ZMV 2012, 2 (3 f.); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15; Oswald, Streikrecht, S. 160; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 9 Rn. 29; Melms/Wiegelmann, DB 2013, 2504 (2508); Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 209; Strake, Streikrecht, S. 126; Schmidt, in: ErfK, Art. 4 GG Rn. 55. 412 Zutreffend van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Reichold, ZTR 2012, 315 (317); in diese Richtung gehend wohl auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 40; a. A. grundsätzlich Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 296. 413 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165).

II. Eigener Ansatz

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„verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium“ darf nicht durch eine Anwendung des staatlichen Rechts in Frage gestellt werden414. Deswegen kann die Kirche den Dienst dem eigenen Selbstverständnis entsprechend ausgestalten. Das Recht der Kirchen zur Regelung eines verfassungsgemäßen eigenen Weges bleibt bestehen und hebt sich nicht dadurch auf, dass innerhalb des kircheneigenen Systems einzelne, mit der Koalitionsfreiheit unvereinbare Regelungen getroffen worden sind. Auch in diesem Fall bleibt die Regelung eines kollektiven Arbeitsrechtsregelungssystems eigene Angelegenheit der Kirchen. Sie sind dafür zuständig, weil es eine eigene Angelegenheit ist. Haben sich die Kirchen demnach gegen das Tarifvertragssystem und für einen Dritten Weg entschieden, weil das Tarifsystem nach dem Selbstverständnis der Kirchen den Eigenheiten des kirchlichen Dienstes widerspricht, ist diese Entscheidung folglich bindend. Die Zuständigkeit der Kirchen endet freilich, wenn eine staatliche Regelung unumgänglich ist. Deswegen haben die Kirchen bei der Ausgestaltung des Dritten Weges die soeben erarbeiteten, sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Mindestanforderungen zu beachten. Werden diese missachtet, wird eine staatliche Regelung unumgänglich. Zwingend geboten ist aber nur, dass die sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Mitwirkungsrechte gewahrt werden. Ein Systemwechsel ist hingegen nicht unumgänglich. Die Kirche kann daher zwar, wenn sie sich für den Dritten Weg entscheidet, zur Einhaltung der Mindestvorgaben gezwungen werden, nicht aber zu einem Systemwechsel. Damit kann ein Systemwechsel auch dann nicht erkämpft werden, wenn die Kirchen den Dritten Weg nicht sachgerecht ausgestalten oder anwenden. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem Beamtenrecht: Auch sofern einzelne beamtenrechtliche Regelungen rechtswidrig oder verfassungswidrig sind und gegen Grundrechte der Beamten verstoßen, so führt dies nicht zu einer Unwirksamkeit und Aufhebung des gesamten Beamtenrechts, sondern nur zur Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit der betreffenden Vorschriften. Der Gesetzgeber muss dann nachbessern und die Verfassungswidrigkeit beseitigen. Bis dies erfolgt ist, gilt aber nicht anstelle des Beamtenrechts das Tarifvertragssystem. Genauso ist es im kirchlichen Bereich. Wie aber kann sichergestellt werden, dass die Ausgestaltungen des Dritten Weges die sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Voraussetzungen auch beachten und einhalten? Erfüllt der Dritte Weg nicht die Anforderungen, die die Koalitionsfreiheit an eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens stellt, etwa wegen eines zu weitreichenden Letztentscheidungsrechts oder weil der Mechanismus zur Auflösung von Verhandlungsblockaden untauglich ist, so

414 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

sind die entsprechenden Regelungen grundrechtswidrig. Sie verstoßen gegen die Koalitionsfreiheit, weil sie diese unzulässig einschränken. Die Rechtsfolge derartiger Verstöße regelt Art. 9 III 2 GG. Nach dieser Vorschrift sind Abreden, die die Koalitionsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Damit schützt diese sogenannte Drittwirkungsklausel die Koalitionsfreiheit umfassend, und zwar nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern auch vor Eingriffen Privater415. Weil die Regelungen einseitig durch den Kirchengesetzgeber erfolgen, stellen sie keine Abreden, sondern Maßnahmen dar. Strittig ist, ob Art. 9 III 2 GG verlangt, dass die Maßnahmen auf eine Beeinträchtigung oder Behinderung abzielen, also final auf eine Beschränkung gerichtet sein müssen. In diesem Falle wäre die Rechtsfolge von Abreden und Maßnahmen von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Dies wird teilweise unter Bezug auf die Formulierung „hierauf gerichtete“ angenommen416. Andere verlangen eine Finalität nicht. Denn müsste derjenige, der sich auf Art. 9 III 2 GG beruft, beweisen, dass es bei dieser Maßnahme darum ging, die Koalitionsfreiheit einzuschränken oder zu behindern, wäre die Drittwirkungsklausel nicht effektiv417. Daher wird zum Teil angenommen, dass „hierauf gerichtete Maßnahmen“ solche sind, die die Koalitionsfreiheit objektiv einschränken oder subjektiv das Ziel haben, sie zu behindern418. Doch unabhängig davon, ob Finalität vorausgesetzt wird oder ob eine tatsächliche Einschränkung ausreicht, stellen die kirchlichen Regelungen, die gegen die Mindestbedingungen verstoßen, einen finalen Eingriff in die Koalitionsfreiheit dar. Denn diese Regelungen können gerade nur auf Kosten der Koalitionsfreiheit bestehen419. Damit wäre die Behinderung aber nicht lediglich als Reflex, sondern unmittelbar gegeben. Damit greift die Rechtswidrigkeitsfolge des Art. 9 III 2 GG bezüglich derartiger Regelungen ein. Diese Drittwirkungsklausel stellt ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB zugunsten einzelner Arbeitnehmer wie auch der Koalitionen dar420. Dies hat zur Folge, dass ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 I BGB geltend gemacht und die Unterlassung und Beseitigung der 415

Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 333. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 193; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 9 Rn. 187; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 44. 417 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2094. 418 Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 88; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2094 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 47 a; Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 90; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 333. 419 Zum finalen Grundrechtseingriff allgemein Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 42–45. 420 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2092; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 45. 416

II. Eigener Ansatz

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Beeinträchtigung notfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann. Allgemein anerkannt ist, dass § 1004 I BGB in entsprechender Anwendung auch bei einer drohenden oder gegenwärtigen Beeinträchtigung aller absolut und deliktisch geschützten Rechtsgüter einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gewährt421. Auf diese Weise können zunächst die Gewerkschaften ihr Recht auf Beteiligung am Verfahren des Dritten Weges durchsetzen. Hinsichtlich einzelner Verfahrensregeln des Dritten Weges, die gegen die sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Vorgaben verstoßen, wie etwa ein zu weitreichendes Letztentscheidungsrecht, kann ebenfalls durch § 1004 I BGB Beseitigung und Unterlassung verlangt werden. Denn diese Regelungen werden dem Zweck der Koalitionsfreiheit, eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens herbeizuführen, nicht gerecht und beeinträchtigen damit die Koalitionsfreiheit. Insofern können auch die Dienstnehmer, die durch zu weitrechende Einschränkungen in ihren Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten eingeschränkt werden, Beseitigung derartiger Regeln verlangen. Ob darüber hinaus die Verletzung der Koalitionsfreiheit ein geschütztes Recht im Sinne des § 823 I BGB darstellt, muss im hiesigen Zusammenhang nicht entschieden werden, weil sich keine Unterschiede hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs ergeben422. Ein Beseitigungsanspruch führt dazu, dass die Abstellung der Beeinträchtigung für die Zukunft erfolgen muss423. Der Anspruch richtet sich damit auf die Beseitigung der Vorschriften, die zu einem Unterschreiten des aus Art. 9 III GG garantierten Schutzes führen, sowie auf Regelung eines mit Art. 9 III GG zu vereinbarenden Verfahrens bzw. die Duldung der Betätigung. Auf diese Weise können die Koalitionen und Dienstnehmer erreichen, dass Art. 9 III GG durch den Dritten Weg nicht verletzt wird. Dies stellt einen adäquaten Schutz sicher. Im Falle eines Verstoßes der konkreten Ausgestaltung des Dritten Weges gegen die Koalitionsfreiheit wäre demnach der Kirchengesetzgeber verpflichtet, eine mit der Koalitionsfreiheit konforme Ausgestaltung des Dritten Weges vorzunehmen. Dieser Rechtsschutz ist der letzte Mosaikstein für ein Funktionieren des Dritten Weges. bb) Streik im Dritten Weg? Teilweise wird für den Fall, dass die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des Dritten Weges nicht erfüllt sind und es so zu Stillständen in den Kommissionen kommen kann, ein Arbeitskampfrecht eingeräumt, das sich allerdings 421 Statt aller Bassenge, in: Palandt, BGB, § 1004 Rn. 2; Gursky, in: Staudinger, BGB, § 1004 Rn. 15 f. 422 Zutreffend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 207; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Vorb. zu §§ 611 ff. Rn. 630. 423 Bassenge, in: Palandt, BGB, § 1004 Rn. 28.

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nicht auf die Überwindung des Dritten Weges und einen Systemwechsel hin zum Tarifvertragssystem richte; vielmehr beziehe es sich auf die Erreichung einer Regelung im Verfahren des Dritten Weges und diene somit dessen Stabilisierung424. Teilweise wird weitergehend ein Streikrecht im Dritten Weg sogar prinzipiell anerkannt, weil es einen Einigungsdruck schaffe und damit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen diene425. Es soll insofern zulässig sein, für Regelungen auf dem Dritten Weg streiken zu können. Hiergegen bestehen indes erhebliche Bedenken: Sofern argumentiert wird, auch im Dritten Weg könne ein Streikrecht den Einigungsdruck erhöhen, bleibt außer Betracht, dass Tarifbeschäftigte und „Dritter-Weg-Beschäftigte“ im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen nicht in der gleichen Position sind. Ein Streik soll sicherstellen, dass die Tarifautonomie funktioniert, indem er durch seine schädigende Wirkung Verhandlungs- und Einigungsdruck auf die Gegenseite ausübt. Diese strukturelle Unterlegenheit der Dienstnehmer ist bei einer Regelung der Arbeitsbedingungen auf dem Dritten Weg allerdings so nicht gegeben, weil der Dritte Weg bei richtiger Ausgestaltung ein Verfahren ist, in dem Dienstnehmer und Dienstgeber in etwa gleichgewichtig verhandeln können. Es bedarf keines Druckmittels, um die Gegenseite zu Verhandlungen zu zwingen, weil bei Nichtverhandlung ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden kann. Damit ist ein Streik nicht notwendig, um einen Einigungsdruck aufzubauen. Darüber hinaus ist ein Rechtfertigungsgrund für Streikmaßnahmen erforderlich, da ein Streik in Rechtspositionen Anderer eingreift. Im Allgemeinen ergibt sich der Rechtfertigungsgrund aus Art. 9 III 1 GG. Diese Vorschrift schützt Streiks aber wegen des Funktionszusammenhanges von Tarifvertrag und Arbeitskampf nur als Mittel zur Erreichung eines Tarifvertrags426. Wenn demnach für bestimmte Regelungen im Rahmen des Dritten Weges gestreikt wird, liegt kein tariflich regelbares Kampfziel vor. Damit scheidet eine Rechtfertigung eines Streiks zur Erreichung von Regelungen im Dritten Weg durch Art. 9 III GG von vornherein zwingend aus427. Sofern geltend gemacht wird, aufgrund in der Vergangenheit bereits stattgefundener Protestaktionen428 bestehe ein kirchengewohnheitsrechtliches Druckausübungsrecht429, kann dem nicht gefolgt werden. 424 So wohl Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (118 f.); Reichold, ZTR 2012, 315 (319); ähnlich Melms/Wiegelmann, DB 2013, 2504 (2508), die ein Streikrecht annehmen, das sich auf die Einhaltung der Voraussetzungen, die der Dritte Weg erfüllen muss, richtet. 425 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 91, 168 f. 426 A. A. insbes. Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 91 f. 427 Vgl. van Endern, Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, S. 49; Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht, S. 84; Lührs, Die Zukunft, S. 238; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 40; a. A. Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 169. 428 Hierzu näher sogleich. 429 Reichold ZTR 2012, 315 (319).

II. Eigener Ansatz

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Auch kirchengewohnheitsrechtlich lässt sich kein Recht, Kampfmaßnahmen durchzuführen, herleiten. Weil Arbeitskampfmaßnahmen im Allgemeinen und Streiks im Besonderen dem kirchlichen Selbstverständnis widersprechen, lehnen die Kirchen offenkundig ein Arbeitskampfrecht ihrer Bediensteten ab, so dass hier nicht von einer einheitlichen Rechtsüberzeugung zu Gunsten eines Streikrechts die Rede sein kann. Dies drückt sich auch in den kirchengesetzlich niedergelegten Streikverboten aus430. Die Kirchen haben den Dritten Weg doch gerade geschaffen, um Konflikte friedlich und ohne Arbeitskämpfe zu lösen, um so den bekenntnisspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen zu können. Damit scheidet ein Arbeitskampf, in welcher Form auch immer, aus. Mithin ist es auch nicht zulässig, für Regelungen, die im Rahmen des Dritten Weges erreicht werden sollen, zu kämpfen. Das gilt auch, wenn der Dritte Weg fehlerhaft ausgestaltet ist, so dass die Verhandlungen „festgefahren“ sind oder der Dritte Weg blockiert ist. Die Frage, ob Streiks im Dritten Weg ein zulässiges Mittel zur Systemstabilisierung431 sind, muss folglich verneint werden. In diesen Fällen bleibt es bei dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch. cc) Kollektive Maßnahmen im Dritten Weg? Schließlich stellt sich die Frage, ob andere kollektive Verhaltensweisen, die in ihrer Druckwirkung unterhalb von Arbeitskampfmaßnahmen einzustufen sind, anzuerkennen sind. Denkbar wären Protestaktionen, Demonstrationen, Unterschriftenlisten oder Ähnliches. Diese Handlungsformen können als koalitionsspezifische Betätigungen ebenfalls dem Schutz des Art. 9 III GG unterfallen. Denn sofern solche kollektiven Maßnahmen ergriffen werden, um eine bestimmte kirchenarbeitsrechtliche Regelung zu erreichen, dienen sie der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Sie stehen auch nicht wie Arbeitskampfmittel in einem untrennbaren Funktionszusammenhang zur Tarifautonomie. Damit könnten diese Verhaltensweisen grundsätzlich auch für den Dritten Weg systemkonform sein. Denkbar wäre, dass Gewerkschaften hierzu aufrufen432. Andererseits wird darauf hingewiesen, dass auch eine verbandsfreie Koalition wie die Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertreter in den Kommissionen in Betracht komme, weil Art. 9 III GG auch ad-hoc-Koalitionen schütze433. Erforderlich sei, dass ein Gremium gebildet werden könne, das den Gesamtwillen artikuliere. So wird in der Wissenschaft teilweise über einen kirchengerechten Modus der Druckausübung

430

So etwa in Art. 7 II GrOkathK; § 3ARGG-EKD. Vgl. den Aufsatztitel von Reichold, Streiks zur Systemüberwindung oder Systemstabilisierung?, ZTR 2012, 315–319. 432 Vgl. Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 295. 433 Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (118); Reichold, ZTR 2012, 315 (319). 431

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nachgedacht. Soweit aufgrund einer fehlerhaften Ausgestaltung des Dritten Weges beispielsweise die Verhandlungen durch Pattsituationen festgefahren seien, der Dritte Weg durch Blockaden funktionsunfähig gemacht werde oder auch die Modalitäten des Dritten Weges nicht eingehalten werden, wird den Arbeitnehmern in diesem Sinne ein „kirchengemäßes Widerstandsrecht“ zugestanden434. In der Vergangenheit haben derartige Aktionen bereits stattgefunden. So haben groß angelegte öffentlichkeitswirksame Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden435. Beispielsweise haben etwa 4500 Mitarbeiter vor den Gebäuden der Synode oder der Bischofskonferenz ihren Unmut über die Arbeitsrechtsregelungen durch Proteste, über die in der Öffentlichkeit ausführlich berichtet wurde, ausgedrückt436. Auch haben andere Aktionen wie etwa sog. aktive Mittagspausen, in denen sich die Mitarbeiter zu Versammlungen getroffen haben oder Unterschriftenaktionen, durch die die Mitarbeiter bestimmte Forderungen an die Dienstgeber artikulieren, stattgefunden437. Hammer schlägt gleich einen ganzen Katalog an möglichen Kollektivmaßnahmen vor438. Diese Frage stellt sich indessen nicht nur in dem Fall, dass der Dritte Weg im Einzelfall nicht funktioniert, sondern grundsätzlich. Denkbar wäre auch, dass derartige Maßnahmen verhandlungsbegleitend durchgeführt werden können. (1) Prüfansatz für die Beurteilung der Zulässigkeit derartiger Maßnahmen Um die Zulässigkeit kollektiver Maßnahmen sachgerecht beurteilen zu können, ist zunächst die verfassungsrechtliche Ausgangslage in Erinnerung zu rufen. Hier gilt das bereits zum Streik Festgestellte: Grundsätzlich gilt die Koalitionsfreiheit und damit die Betätigungsfreiheit der Koalitionen auch im kirchlichen Dienst. Allerdings können die Kirchen wegen ihres Selbstbestimmungsrechts auch die sonstigen koalitionsspezifischen Betätigungen den sich aus der Mitarbeit im kirchlichen Dienst ergebenden Besonderheiten in den Grenzen der für alle geltenden Gesetze anpassen439. Insoweit muss das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mit dem Koalitionsbetätigungsrecht nach den dargelegten Grundsätzen und damit anhand des Untermaßverbots abgewogen werden440. In diesem Sinne ist auch das BAG der Auffassung, dass die Kirchenautonomie und die sich 434

Reichold, ZTR 2012, 315 (319). Reichold, ZTR 2012, 315 (319). 436 Lührs, Die Zukunft, S. 191. 437 Lührs, Die Zukunft, S. 191, 203. 438 Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 305 f. 439 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Koalitionsfreiheit und Koalitionsbetätigung, Rn. 9; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 11 Rn. 42. 440 Vgl. Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Koalitionsfreiheit und Koalitionsbetätigung, Rn. 9. 435

II. Eigener Ansatz

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daraus ergebenden Folgerungen bei der Koalitionsbetätigung nicht beeinträchtigt und nicht in Abrede gestellt werden dürfen441. Wenn demnach bei der Koalitionsbetätigung das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die sich daraus zulässigerweise ergebenden Besonderheiten des kirchlichen Dienstes nicht beeinträchtigt werden dürfen, dann ergibt sich im Ausgangspunkt daraus, dass die Koalitionsbetätigung insbesondere den Grundsatz der Dienstgemeinschaft nicht verletzen darf442. Kommt es demnach auch hier entscheidend auf die Eigenheiten des kirchlichen Dienstes an, so kann die ratio legis des aufgrund des kirchlichen Selbstverständnisses ergangenen Streikausschlusses wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der Zulässigkeit kollektiver Maßnahmen liefern443. Der kirchliche Streikausschluss ist ja kein Selbstzweck. Erstens können die Kirchen Streiks nicht akzeptieren, weil sie den Dienst am Nächsten und damit den kirchlichen Auftrag nicht aussetzen können. An der Erfüllung dieses Auftrags nehmen wegen des Ordnungsprinzips der Dienstgemeinschaft alle Mitarbeiter teil. Zweitens müssen der Kirche – und auch dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft – nach ihrem Selbstverständnis friedliche Instrumente zur Lösung von Konflikten zur Verfügung stehen. Hiermit verträgt sich eine kampfweise Auseinandersetzung nicht. Bei der kollektiven Koalitionsbetätigung muss damit zunächst berücksichtigt werden, dass die Dienstnehmer wegen des Grundsatzes der Dienstgemeinschaft ihre Arbeit als Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags leisten444. Daher dürfen kollektive Maßnahmen nicht die Erfüllung des kirchlichen Auftrages gefährden. Zudem müssen diese Maßnahmen von ihrem Charakter her zu dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft passen. Diese gebietet, dass Konflikte zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern in gegenseitigem Respekt voreinander und fair ausgetragen und gelöst werden445. Es muss sich mithin um friedliche Maßnahmen handeln. Hierzu passt etwa die kampfweise Auseinandersetzung der Sozialpartner in einem Arbeitskampf nicht. Werden diese Maßstäbe zu Grunde gelegt, so ergibt sich Folgendes: (2) Aktive Mittagspausen Mitarbeiterversammlungen in sogenannten aktiven Mittagspausen oder auch Unterschriftensammlungen sollen dazu dienen, einen einheitlichen Willen der 441

BAG, Urt. v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77, BAGE 30, 122 (134). Vgl. auch Klumpp, ZAT 2013, 120 (125). 443 Hierzu bereits § 2 III. 3. d). 444 Wie hier BAG, Urt. v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77, BAGE 30, 122 (134); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 11 Rn. 42. 445 Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel, Arbeits- und Tarifrecht, Dienstgemeinschaft, Rn. 1. 442

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Dienstnehmer zu einer bestimmten Fragestellung festzulegen und zu artikulieren. Es kann in der Tat eine nicht zu unterschätzende Argumentationshilfe für die Dienstnehmervertreter in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen sein, wenn sie anhand von Unterschriftenlisten darlegen können, dass die Belegschaft geschlossen hinter den Forderungen ihrer Vertreter steht. Dies kann einen sanften Einigungsdruck erzeugen. Überdies können derartige kollektive Handlungen, die verhandlungsbegleitend einen einheitlichen Willen der Dienstnehmer ausdrücken, neue Impulse für ins Stocken geratene Verhandlungen setzen, die dann nicht in einer Schlichtung enden müssen. Werden in Mittagspausen kleinere Versammlungen durchgeführt oder Unterschriftenlisten ausgelegt, beeinträchtigt dies keine Arbeitsabläufe, so dass die Erfüllung des kirchlichen Auftrags sichergestellt bleibt. Auch wird man in diesen Handlungen keine kämpferischen Maßnahmen erblicken können. Es geht, anders als bei Arbeitskampfmaßnahmen, nicht um eine gezielte Nachteilszufügung, sondern um eine Festlegung einer einheitlichen Position. Die Dienstgemeinschaft wird also nicht durch diese Handlungen beeinträchtigt. Insofern sind dies Maßnahmen, die den Dienstgeber respektvoll und fair behandeln. Auch ist nicht ersichtlich, warum Versammlungen oder Unterschriftensammlungen, die einen einheitlichen Willen der Dienstnehmer manifestieren oder dokumentieren sollen, aus anderen Gründen unzulässig sein sollen. Die Loyalitätspflichten der kirchlich Beschäftigten werden nicht verletzt. Wenn sich auf diese Weise alle Dienstnehmer in die Regelung der Arbeitsbeziehungen einbringen können, trägt dies überdies zu einer Stärkung der Einheit des Dienstes bei. Damit geht dann eine breitere Akzeptanz des Dritten Weges einher. Dies trägt auch zur Funktionsfähigkeit bei. Die Festlegung und Artikulation der Positionen der Dienstnehmer müsste grundsätzlich möglich sein. (3) Demonstrationen und Protestmaßnahmen Fraglich ist, wie bei Zugrundelegung der Kriterien Demonstrationen für eigene Forderungen und öffentlich wahrnehmbare Protestaktionen gegen die Dienstgeberpolitik rechtlich einzuordnen sind. Hier stellt sich zunächst die Frage, welches Grundrecht betroffen ist. Neben der Koalitionsfreiheit kommt hier auch die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit nach Art. 5 I bzw. Art. 8 GG in Betracht. Allerdings erscheint es bei Kundgebungen und Versammlungen, die das Ziel in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Demonstranten zum Ziel haben, sachnäher, diese dem Schutz der Koalitionsfreiheit zuzuordnen. Hinzu kommt, dass die Koalitionsfreiheit bei Koalitionsbetätigungen lex specialis zu anderen Grundrechten ist446. Auch wenn demnach Verhaltensweisen von anderen Grundrechten wie der Meinungs- oder Versammlungsfreiheit tatbe446 Löwisch/Rieble, in: MünchArbR II, § 155 Rn. 13 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl.v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65, BVerfGE 28, 295 (310).

II. Eigener Ansatz

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standlich erfasst sind, können sich die Koalitionen oder ihre Mitglieder allein auf Art. 9 III GG berufen447. Maßstab ist demnach hier allein die Koalitionsfreiheit. Denkbar wäre zunächst, hinsichtlich der juristischen Beurteilung der Zulässigkeit die Rechtslage bei Demonstrationen und Protesten, die Beamte gegen die Dienstherrenpolitik durchführen, zu Grunde zu legen. Denn auch Beamte dürfen nicht streiken448. Gleichwohl dürfen sie sich koalitionsspezifisch betätigen449. Dies ist bei den Kirchen nicht anders. Ähnlich ist auch, dass sowohl im kirchlichen Dienst wie auch beamtenrechtlich besondere Treue- und Fürsorgepflichten bestehen. Dennoch kann das den Beamten zustehende Recht, gegen den Dienstherrn zu protestieren, nicht eins zu eins auf die Kirchen übertragen werden. Dies liegt daran, dass die Kirche aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts in gewissen Grenzen Regelungen treffen darf, um die Mitarbeit im kirchlichen Dienst an die Besonderheiten anzupassen, die sich aus dem Selbstverständnis der Kirchen ergeben. Diese Besonderheiten drücken sich vor allem in dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft aus. Aus diesem Grunde müssen kollektive Maßnahmen mit dem Selbstverständnis der Kirchen und mit dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft in Einklang gebracht werden. Insoweit gelten hier andere Maßstäbe als bei staatlichen Beamten und es ist eine eigenständige Beurteilung angezeigt. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass anders als bei einem Streik, bei dem die Hauptleistungspflicht, also die Arbeitspflicht suspendiert wird, eine Demonstration nicht unmittelbar in das Arbeitsverhältnis eingreift, sondern nach Dienstschluss stattfindet. Daraus ergibt sich, dass die Teilnahme an einer derartigen Demonstration nicht die Erfüllung des kirchlichen Auftrags gefährdet oder in Frage stellt. Fraglich ist damit, ob Demonstrationen mit dem Wesen des kirchlichen Dienstes vereinbar sind. Grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass Demonstrationen, die den Willen der Dienstnehmer öffentlich zum Ausdruck bringen sollen, die Dienstgemeinschaft nicht zwangsläufig beschädigen. Es geht bei diesen Veranstaltungen nicht darum, dem Dienstgeber wie bei Arbeitskampfmaßnahmen gezielt Nachteile zuzufügen, sondern um eine öffentliche Artikulation der eigenen Position. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die mit diesen Protesten beabsichtigte Öffentlichkeitswirkung erheblichen Druck auf den Dienstgeber ausüben kann. Es stellt einen erheblichen Machtfaktor dar, die öffentliche Meinung hinter sich zu wissen450. Dennoch wird man in dem Einsatz der öffentlichen Meinung an sich noch keine Kampfmaßnahmen sehen können451. Auch nach dem kirchlichen Eigenverständnis ist ein Appell an die Öffent447

Löwisch/Rieble, in: MünchArbR II, § 155 Rn. 13. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1109; Lecheler, in: HStR V, § 110 Rn. 43. 449 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1112. 450 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 45. 451 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1061. 448

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lichkeit kein Kampfmittel452. Damit widerspricht eine Demonstration nicht grundsätzlich den Prinzipien der Dienstgemeinschaft. Allerdings ergeben sich aus den Eigenheiten des kirchlichen Dienstes und dem Grundsatzes der Dienstgemeinschaft Verhaltensanforderungen an die Teilnehmer von Demonstrationen. Zunächst erfordert der Grundsatz der Dienstgemeinschaft, dass Konflikte mit Respekt vor dem Anderen und fair ausgetragen werden453. Die Dienstgemeinschaft darf nicht beschädigt werden. Mit der Dienstgemeinschaft würde es sich daher nicht vertragen, wenn während der Proteste der Dienstgeber gezielt schlecht öffentlich dargestellt wird. Zweck darf nicht ein Bloßstellen der Dienstgeber sein, sondern die Artikulation der Dienstnehmerposition und der eigenen Forderungen. „Großangelegte Propagandaveranstaltungen“ 454 ließen sich nicht mit der Dienstgemeinschaft vereinbaren. Ein rauer Ton mag in Tarifverhandlungen mitunter Gang und Gäbe sein, im kirchlichen Dienst gelten wegen der Einheit des Dienstes andere Maßstäbe, mit denen es sich nicht verträgt, wenn Dienstnehmer und Dienstgeber aufgespalten werden oder sich gegeneinander in Stellung bringen. Auch würde es mit einer friedlichen Konfliktlösung nicht im Einklang stehen, wenn großangelegte Demonstrationen beispielsweise durch die Anzahl der Teilnehmer und die Wahl des Ortes zu Blockaden von Gebäuden oder Einrichtungen der Dienstgeber führten („Umzingelung des Gebäudes des Oberkirchenrates“)455. Zutreffend dürfte darüber hinaus die Annahme sein, dass öffentlich wahrnehmbare Kollektivmaßnahmen wie Proteste gegen die Dienstgeberpolitik nur ein allerletztes Mittel darstellen. Sie dürften damit nur zulässig sein, wenn sämtliche anderen Verständigungsmöglichkeiten scheitern und somit anderweitig keine Einigung erzielt werden kann456. Auch dies ergibt sich aus der Dienstgemeinschaft, nach der die Gemeinschaft intern eine Lösung finden soll, ohne dass von außen darauf Einfluss genommen wird457. Dies ist allerdings bei öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen akut gefährdet, weil die öffentliche Meinung einen erheblichen Einigungsdruck erzeugen kann458. Daher ist ein Scheitern sämtlicher anderweitiger Verständigungsmöglichkeiten vorauszusetzen, damit diese öffentlichen Aktionen zulässig sind. Hierzu gehört, dass die Koalition dem Dienstgeber vor der Durchführung von Demonstrationen Gelegenheit einräumt, intern eine ein-

452 Vgl. etwa die Protokollnotiz zur Präambel der SV TV-EKBO; abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/6591; abgerufen am 05.08.2014. 453 Fey, in: Fey/Joussen/Steuernagel, Arbeits- und Tarifrecht, Dienstgemeinschaft, Rn. 1. 454 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1061 m.w. N. 455 Vgl. das Fallbeispiel bei Lührs, Die Zukunft, S. 191. 456 So etwa Reichold, ZTR 2012, 315 (319). 457 Richtig Janssen, Streikrecht, S. 17. 458 Reichold, ZTR 2012, 315 (319).

II. Eigener Ansatz

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vernehmliche Lösung herbeizuführen, sei es durch eine gütliche Einigung oder durch eine Schlichtung. Damit müsste die Koalition zunächst ihre Forderung an die Dienstgeber weiterleiten und ihnen die Chance einräumen, einzulenken459. Erst wenn dann noch immer keine Regelung der Materie erfolgt, könnte zu Protesten aufgerufen werden460. Bei einer korrekten Ausgestaltung des Dritten Weges kann es allerdings, wie bereits festgestellt, nicht zu dieser Situation kommen. Ein Dritter Weg, der die Voraussetzungen, die die Koalitionsfreiheit an den sozialen Ausgleich stellt, erfüllt, sieht doch gerade Regelungen vor, die einen Stillstand und ein Scheitern von Verhandlungen verhindern und die dazu führen, dass über jede erhobene Forderung verbindlich entschieden werden kann. Beispielhaft seien hier das verbindliche Schlichtungsverfahren und die Regelungen zur Beschlussfähigkeit bei Blockadeversuchen durch eine Politik der leeren Stühle genannt. Daraus ergibt sich, dass öffentliche Proteste und Demonstrationen nur zulässig sein dürften, wenn der Dritte Weg in seiner konkreten landeskirchlichen Ausgestaltung die Voraussetzungen aus Art. 9 III GG nicht erfüllt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Schlichtungsergebnis unverbindlich bleibt und die Kommission das Schlichtungsergebnis nicht annimmt, Schlichtersprüche nicht umgesetzt werden oder anderweitige Möglichkeiten bestehen, den Dritten Weg zu blockieren oder auszuhebeln. Damit hat die Kirche es durch eine richtige, also mit Art. 9 III GG zu vereinbarende Ausgestaltung des Dritten Weges selbst in der Hand, Proteste und Demonstrationen zu vermeiden461. Insofern ist anzunehmen, dass öffentliche kollektive Maßnahmen nur Randerscheinungen bleiben werden. Dies ist jedoch sachgerecht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Dritte Weg in den Fällen, in denen Demonstrationen und Proteste ausgeschlossen sind, aus sich heraus funktioniert. Dann ist insbesondere sichergestellt, dass über jede Forderung verhandelt wird, und dass im Notfall ein verbindlicher Schlichterspruch, der die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt, ergeht. Insoweit besteht durch den Dritten Weg eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens. Deswegen wird hier kein Mindestmaß an Grundrechtsschutz vorenthalten, und damit werden die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts eingehalten462. Daher besteht kein Bedürfnis zu darüberhinausgehenden Protesten gegen die Position der Dienstgeber, die durch die Öffentlichkeitswirkung das Image der Kirchen beschädigen können.

459

Zutreffend Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (119); Reichold, ZTR 2012, 315

(319). 460

So auch Reichold, ZTR 2012, 315 (319). Ähnlich Meurer, npoR 2013, 6 (8); Reichold, in: FS Grädler, S. 109 (118). 462 Vgl. zum Untermaßverbot allgemein Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 1992, § 111 Rn. 165. 461

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

f) Völkerrechtskonformität eines Streikausschlusses Eine Rechtswidrigkeit des Streikausschlusses der Kirchen kann sich jedoch auch aus anderen Gründen als aus Art. 9 III GG ergeben. Tragendes Prinzip der deutschen Rechtsordnung ist auch der Grundsatz der Völkerrechts- bzw. Europarechtsfreundlichkeit. Das Grundgesetz setzt hiernach die Einbindung Deutschlands in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft der europäischen Integration voraus463. Dies ergibt sich einerseits bereits aus der Präambel des Grundgesetzes, die als Ziel bezeichnet, dass Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dient. Ferner ergibt sich die Völker- und Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes aus den Bestimmungen der Art. 23–26, 59 II GG, die die Einbindung Deutschlands in die Union bzw. in die Völkerrechtsordnung regeln464. Insofern kann diese Ordnung auch die Kirchenfreiheit begrenzen. Damit ist zu prüfen, ob der Streikausschluss europa- und völkerrechtlich haltbar ist. Insbesondere ist in dieser Hinsicht der Schutz aus der EMRK von Bedeutung. Dieser beinhaltet sowohl ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht als auch ein Streikrecht. Der EGMR könnte damit eine Triebfeder für eine Rechtsvereinheitlichung sein465. Aufgrund der fehlenden Kompetenz der Union auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts, der Amsterdamer Kirchenklausel (Art. 17 AEUV), die den mitgliedstaatlichen Kirchenstatus auf die europäische Ebene hebt466 sowie aufgrund der Bereichsausnahme für Arbeitskampffragen ist es derzeit zweifelhaft, dass die Europäische Union als Motor für eine europäische Integration auf diesem Gebiet agieren wird. Zwar wird sie möglicherweise den Schutz der EMRK nach einem Beitritt inhaltlich übernehmen, es ist aber angesichts der fehlenden Zuständigkeit der EU nicht davon auszugehen, dass der EuGH selbst gestaltend tätig wird und eine Vorreiterrolle einnimmt. Insofern ist im Folgenden zu untersuchen, welche Vorgaben sich aus der EMRK hinsichtlich des Streikausschlusses in kirchlichen Einrichtungen ergeben. aa) Erfordernis eines Ausgleichs Zunächst muss ermittelt werden, ob es auf Ebene der EMRK überhaupt zu einer Kollision zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem Streikrecht kommt. 463 BVerfG, Beschl. v. 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (370); BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318). 464 BVerfG, Beschl. v. 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (370); BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); siehe auch Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 6. 465 So auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (262). 466 Hierzu § 3 I.

II. Eigener Ansatz

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Grundsätzlich bejaht der EGMR, wie bereits festgestellt, aus Art. 9 EMRK i.V. m. Art. 11 EMRK ein Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das die Befugnis enthält, den Arbeitsverhältnissen eine religiöse Prägung zu geben, um damit den bekenntnisspezifischen Besonderheiten der Mitarbeit im kirchlichen Dienst Rechnung tragen zu können467. Damit dürfen die Kirchen im Grundsatz ein eigenes Arbeitsrecht schaffen bzw. staatliches Arbeitsrecht modifizieren, soweit dies aus religiösen Gründen erforderlich ist468. Insoweit können auch besondere Verhaltensanforderungen an die Mitarbeiter gestellt werden469. Dass hierbei bis auf extreme Ausnahmefälle allein die Kirchen bestimmen, was zur Erfüllung ihres Auftrages und ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich ist, ist nach dem EGMR kein Verstoß gegen die Konvention470. Insofern hat der EGMR prinzipiell die Leitentscheidung des BVerfG zum Staat-Kirche-Verhältnis vom 04.06.1985 als mit der Konvention vereinbar bestätigt471. Der EGMR hat in concreto anerkannt, dass die Kirchen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechtes aus Art. 9 EMRK auch Begrenzungen der Konventionsgrundrechte ihrer Beschäftigten vornehmen können, um so den religionsspezifischen Anforderungen an den kirchlichen Dienst Rechnung tragen zu können472. Damit besteht auch nach der EMRK die Möglichkeit, aufgrund der Dienstgemeinschaft eine Einheit des Dienstes zugrunde legen zu können, mit der sich eine Aufspaltung in Dienstnehmer und Dienstgeber ebenso wie die kampfweise Austragung von Konflikten nicht vertragen. Insofern ist zunächst die kirchliche Argumentation beachtlich, die zu einem Streikausschluss führt. Ferner ergibt sich hieraus, dass die Unteilbarkeit der Dienstgemeinschaft auch konventionsrechtlich zu berücksichtigen ist, so dass die Kirchen über eine Einteilung in verkündigungsferne und verkündigungsnahe Mitarbeiter entscheiden können473. Dies führt indessen nicht dazu, dass die kirchlichen Beschäftigten durch den Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis ihre Grundrechte verlieren. Diese muss der Staat schützen474. Aus diesem Grunde ist eine umfassende Abwägung des 467

Etwa EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 46 f. – Obst/

BRD. 468

So auch bereits Grabenwarter, in: FS Rüfner, S. 147 (155). Reichold, EuZA 2012, 320 (326). 470 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.09.2010, Nr. 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58, 68 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/ BRD; hierzu auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (61 f.); Reichold, EuZA 2012, 320 (326). 471 So auch Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (230); Reichold, EuZA 2012, 320 (326); in diese Richtung gehend auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (66); Joussen, RdA 2011, 173 (176); Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (243). 472 So auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (258 f.). 473 Zutreffend Jüngst, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 63 (68). 474 So etwa EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 57 – Schüth/BRD; dazu auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (63). 469

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kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit den kollidierenden Konventionsgrundrechten erforderlich475. Damit ist fraglich, wie sich das Selbstbestimmungsrecht zu den Koalitionsrechten aus Art. 11 EMRK verhält. Insgesamt lassen die Entscheidungen des EGMR zum Beamtenstreik eine gewisse Tendenz erkennen, wie er das Streikrecht aus Art. 11 EMRK versteht. Offenbar geht der EGMR von einem sehr weiten Schutzbereich aus. Einerseits bezieht er in persönlicher Hinsicht auch Beamte in den Schutz ein und hält andererseits in sachlicher Hinsicht auch politische Streiks für geschützt476. Dies könnte, wie bereits an anderer Stelle festgestellt, ein Indiz dafür sein, dass der Tarifbezug von Streiks im Gegensatz zu dem Streikrecht aus Art. 9 III GG nicht schutzbereichskonstituierend ist und dass der EGMR damit nicht einer funktionalen, sondern tendenziell einer offeneren, autonomen Konzeption des Streikrechts zuneigt477. Wenn auch Beamte in den Schutzbereich des Streikrechts nach Art. 11 EMRK einbezogen werden, ist dies wohl dahingehend zu verstehen, dass nach Auffassung des EGMR keine Beschäftigtengruppe von vornherein vom Streikrecht ausgeschlossen sein soll. Ein Ausschluss bestimmter Personengruppen vom Streikrecht soll insofern nicht bereits auf Schutzbereichsebene, also schlechthin vorgenommen werden. Möglich sollen nur Einschränkungen des Streikrechts gemäß Art. 11 II EMRK sein, bei deren Zulässigkeit es dann auf eine Güterabwägung ankommt. Damit kann festgehalten werden, dass sich der Ausschluss der Kirchenbediensteten von einem Streikrecht konventionsrechtlich jedenfalls nicht damit begründet werden kann, dass der Schutzbereich aus Art. 11 EMRK diese Personengruppen von vornherein nicht erfasse478. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Schutzbereich des Art. 11 EMRK in der Auslegung des EGMR im Prinzip auch ein Recht auf Kollektivverhandlungen und ein Streikrecht für Kirchenbedienstete umfasst479. Nach alledem muss eine Güterabwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 11 EKRK vorgenommen werden, weil der aufgrund des Selbstbestimmungsrechts ergangene kirchliche Streikausschluss den Gewährleistungsgehalt der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 11 EMRK in der maßgeblichen Auslegung durch den EGMR verkürzt480. Ob und in 475 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 67 – Schüth/ BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 50 – Obst/BRD; vgl. etwa auch Joussen, RdA 2011, 173 (175); Reichold, EuZA 2011, 320 (328); allgemein auch Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 62. 476 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274, Nr. 24 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei; EGMR, Urt. v. 27.03.2007 – 6615/03, AuR 2011, 303, Nr. 30 – Karaçay/ Türkei. 477 Vgl. Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (258); vgl. zu dem Begriffspaar funktionale und autonome Grundrechtskonzeption v. Ungern-Sternberg, EuGRZ 2011, 199 (199 f.). 478 Zutreffend Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (262). 479 Richtig auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (258). 480 Richtig Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (125 f.).

II. Eigener Ansatz

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welchem Umfang diese Rechte für Kirchenmitarbeiter eingeschränkt werden können, muss im Folgenden geklärt werden. bb) Berücksichtigungspflicht der Entscheidungen zum Beamtenstreik? Fraglich ist zunächst, ob sich aus der Rechtsprechung zum Beamtenstreik für die vorliegende Kollision verbindlich zu berücksichtigende inhaltliche Ausführungen ergeben. Immerhin leitet der EGMR aus Art. 11 EMRK ein Betätigungsrecht der Koalitionen her, als dessen integrale Bestandteile er das Recht, Tarifverträge abzuschließen und das Recht, zu streiken, ansieht. Auch hat der EGMR verdeutlicht, dass Einschränkungen des Streikrechts nur unter engen Voraussetzungen zulässig seien. Zudem sieht der EGMR einen vollständigen Ausschluss aller öffentlich Bediensteten vom Streikrecht als konventionswidrig an. Insofern könnte es zumindest auf den ersten Blick nahe liegen, aus den Urteilen den Schluss zu ziehen, dass auch ein Ausschluss des Streikrechts aller Kirchenbediensteten konventionsrechtlich unhaltbar ist481. Bei den Staatsbediensteten hat der EGMR danach unterschieden, ob die Beamten hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Damit hat er letztlich in einen Kern- und einen Randbereich staatlicher Tätigkeit eingeteilt. Dies könnte auf den ersten Blick dafür sprechen, dass auch der kirchliche Dienst konventionsrechtlich in Kern- und Randbereich einzuteilen ist, so dass ein geteiltes Streikrecht anzunehmen wäre. Für das Bestehen eines Streikrechts käme es auf die Nähe der durch den jeweiligen Mitarbeiter ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag an. Insofern stellt sich die Frage, ob sich aus den Urteilen derartige Vorgaben für die Lösung des hier in Rede stehenden Konfliktes ergeben. Zu erinnern ist zunächst an die Bindungswirkung der EGMR-Urteile gemäß Art. 46 EMRK, die nur inter partes besteht. Nur für den verurteilten Staat ist aus Sicht der Konvention eine Folgepflicht gegeben. Dies war in den Beamtenstreikfällen die Türkei. Unmittelbar lassen sich daher für die deutsche Rechtsordnung keine Folgepflichten feststellen. Darüber hinaus besteht allerdings die Pflicht der übrigen Mitgliedstaaten, ihre Rechtsordnung konventionskonform zu gestalten. Hierzu gehört nach Auffassung des BVerfG, dass nationale Bestimmungen, soweit es methodisch möglich ist, durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung so zu interpretieren sind, dass sie mit den Vorgaben der EMRK in der Auslegung durch den EGMR im Einklang stehen482. Fraglich erscheint aber, ob sich die Aussagen zum Beamtenstreikrecht auf den hier vorliegenden Fall überhaupt übertragen lassen. Denn die von EGMR entschiedenen Fälle betreffen das Streikrecht Staatsbediensteter und nicht ein Streik481 482

So wohl Götz, Kirchenklauseln, S. 201; Reichold, ZTR 2012, 315 (319). BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (329).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

recht kirchlicher Mitarbeiter. Dieser Unterschied ist insoweit bedeutsam, als der Staat im Gegensatz zu den Kirchen nicht grundrechtsberechtigt, sondern grundrechtsverpflichtet ist483. Die Kirchen können sich dagegen auf das sich aus der Religionsfreiheit ergebende und weitreichende kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 9 i.V. m. 11 EMRK berufen. Ihre Rechte müssen somit in der Lösung ebenfalls angemessen berücksichtigt werden. Damit besteht hier ein Gegengewicht, das in den vorgenannten Entscheidungen zum Beamtenrecht nicht zu berücksichtigen war484. Ziel der hier vorzunehmenden Abwägung ist insofern ein Ausgleich gegenläufiger Konventionsgrundrechte verschiedener Berechtigter. Auf einen solchen Ausgleich kam es aber bei den Entscheidungen zum Beamtenstreik nicht an, weil nur auf der Seite der Beschäftigten Grundrechte im Raum standen. Damit erscheint eine Übertragbarkeit der Aussagen zum Beamtenstreikrecht in Reinform nicht möglich. Eine zwingende Unterscheidung des kirchlichen Dienstes in Kern- und Randbereich auch für den kirchlichen Dienst ergibt sich aus der Rechtsprechung mithin nicht. Ferner dürfte die Differenzierung nach dem Kern- und Randbereich kirchlicher Tätigkeit im Hinblick auf die einschlägige EGMR-Rechtsprechung zur Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in einem gewissen Kontrast stehen. Auch wenn der EGMR in den Fällen zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht entscheiden hat, dass im Rahmen der Abwägung kollidierender Konventionsrechte auch die konkrete Stellung des Mitarbeiters und dessen Nähe zum Verkündigungsauftrag zu berücksichtigen ist, führt er aus, dass allein die Kirche bestimmen kann, was ihre Glaubwürdigkeit erfordert, und der Staat dies nicht verbindlich festlegen darf485. Damit kann die Kirche dem Grunde nach eine Einheit des Dienstes vorgeben, wenn diese religiös begründet ist. Das spricht folglich gegen eine Aufteilung der Tätigkeiten in Kern- und Randbereich gegen den Willen der Kirchen486. Auch aus Sicht des Verfassungsrechts ist eine eins zu eins-Übernahme nicht angezeigt: Das BVerfG verbietet eine „schematische Vollstreckung“ der Rechtsprechung des EGMR487. Dies ist insbesondere bedeutsam in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen488. In diesen Fällen trifft die Entscheidung des EGMR 483

Auf diesen Unterschied weist zu Recht auch Greiner, DÖV 2013, 623 (626 f.)

hin. 484 So mit Recht auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (465); Manterfeld, KuR 2011, 86 (106). 485 EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58, 68 – Schüth/ BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44, 50 – Obst/BRD. 486 So auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (66); Joussen, RdA 2011, 173 (176); Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (230); Reichold, EuZA 2012, 320 (326). 487 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323 f.); so auch Papier, ZSR 2005, 113 (124). 488 So auch Papier, EuGRZ 2006, 1 (3).

II. Eigener Ansatz

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auf ein „ausbalanciertes Teilsystem des innerstaatlichen Rechts“, das einen Ausgleich verschiedener gegenläufiger Grundrechtspositionen herstellen soll489. Diese komplexe Gemengelage widerstreitender Freiheitsbereiche spiegeln die Verfahren vor dem EGMR nicht immer vollständig wider, weil sie als Individualbeschwerden nach Art. 34 EMRK ablaufen und damit letztlich das Verhältnis Staat-Bürger betreffen490. Dritte sind hingegen nicht Prozesspartei, so dass deren gegenläufige Interessen nicht immer angemessen berücksichtigt werden können491. In diesen Fällen könnte eine schematische „Vollstreckung“ dann zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz führen492. Nach alledem lassen sich konkrete Maßstäbe aus der Rechtsprechung zum Beamtenstreik für den hier vorliegenden Fall nicht entnehmen493. Damit muss hier eine eigenständige Abwägung der konventionsrechtlichen Güter erfolgen. cc) Prüfdichte und Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten Zuvor muss für diese Abwägung die Prüfdichte bestimmt werden, denn nicht nur der Gewährleistungsgehalt der Konventionsrechte, sondern auch die Prüfdichte des EGMR und damit der mitgliedstaatliche Ausgestaltungsspielraum bestimmen die Konfliktträchtigkeit der nationalen Gewährleistungen mit der EMRK494. Der EGMR erkennt in verschiedenen Konstellationen einen Beurteilungsspielraum495 der Mitgliedstaaten an. Kürzlich hat der EGMR darauf hingewiesen, dass sich die Mitgliedstaaten historisch unterschiedlich entwickelt hätten und dass diese historischen Besonderheiten auch im Rahmen der Auslegung der Konvention zu berücksichtigen seien496. Das deutsche Staatskirchenrecht, das sich aus inkorporierten Artikeln aus der Weimarer Reichsverfassung ergibt, ist historisch gewachsen und das älteste geltende deutsche Verfassungsrecht497. Allein dies

489 Papier, ZSR 2005, 113 (124); siehe hierzu auch BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (327 f.). 490 Papier, EuGRZ 2006, 1 (3). 491 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (327 f.); Papier, ZSR 2005, 113 (124). 492 Papier, ZSR 2005, 113 (124). 493 So im Ergebnis auch Götz, Kirchenklauseln, S. 204. 494 So auch Badenhop, Normtheoretische Grundlagen, S. 89. 495 Sog. margin of appreciation; vgl. hierzu auch die Untersuchung der Kriterien des Beurteilungsspielraums bei Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 237–245; ferner die Darstellung der Anwendungsbereiche von Grabenwarter, in: FS Tomuschat, S. 193 (200); Nußberger, RdA 2012, 270 (275); Pellonpää, EuGRZ 2006, 483 (483–486). 496 So etwa EGMR, Urt. v. 18.03.2011 – 30814/06, NVwZ 2011, 737 Nr. 68 – Lautsi/Italien. 497 Vgl. hierzu Korioth, in: FS Badura, S. 727 (732 f.).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

spricht schon für gewisse Spielräume der nationalen Akteure in diesem Rechtsbereich. Von Relevanz in diesem Zusammenhang ist ferner, dass der Gerichtshof dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bzw. der rechtsprechenden Gewalt einen weiten Spielraum einräumt, wenn widerstreitende Konventionsrechte in einen Ausgleich gebracht werden sollen oder wenn es innerhalb der Konventionsmitgliedstaaten keinen Konsens über die Reichweite der fraglichen Positionen gibt498. Beides ist in Bezug auf die hier zu untersuchende Thematik der Fall. Es geht um den Ausgleich widerstreitender Freiheiten der Konvention, auf der einen Seite das Selbstbestimmungsrecht, auf der anderen Seite ein Streikrecht. Damit liegt hier ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis vor. Auch ist die Thematik des Staatskirchenrechts in Europa historisch begründet höchst uneinheitlich geregelt, ebenso das Arbeitskampfrecht499. Schließlich hat der EGMR grundsätzlich einen besonderen Spielraum der mitgliedstaatlichen Entscheidungsträger bei der Thematik des Staatskirchenrechts anerkannt500. Die Anerkennung von Entscheidungsspielräumen ist nicht als Selbstbeschränkung des EGMR hinsichtlich seiner Kontrollmöglichkeit zu verstehen, sondern sie ist konventionsrechtlich geboten und beschränkt somit die Zuständigkeit des Gerichtshofs501. Dahinter steht letztlich der Subsidiaritätsgedanke der EMRK, nach dem der Menschenrechtsschutz in erster Linie Aufgabe der Mitgliedstaaten ist und die EMRK subsidiär zu dem nationalen Grundrechtsschutz ist502. Nach alledem ist bei der hier aufzulösenden Kollision von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Koalitionsfreiheit davon auszugehen, dass dem Mitgliedstaat ein großer Beurteilungsspielraum zusteht. Damit erfolgt die Kontrolle des EGMR insofern grobmaschiger, als er ein vertretbares und interessengerechtes Abwägungsergebnis verlangt503. Mithin sucht der EGMR nicht nach der einzigen konventionsrechtlich zulässigen Lösung, sondern lediglich ein ausgewogenes und

498 So bereits EGMR, Urt. v. 07.03.2006 – Nr. 6339/05, EuGRZ 2006, 389, Nr, 68 – Evans/Vereinigtes Königreich; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 42 – Obst/BRD; EGMR, Urt. v. 03.02.2011 – 18136/02, NZA 2012, 199, Nr. 39 – Siebenhaar/BRD; zustimmend Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 (231); EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 56 – Schüth/BRD. 499 Vgl. hierzu die Ausführungen in § 3 I. 500 So EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58 – Schüth/ BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/BRD. 501 Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 239. 502 Vgl. EGMR, Urt. v. 07.12.1976 – 5493/72, EuGRZ 1977, 38 Nr. 48 – Handyside/ Vereinigtes Königreich; zutreffend auch Grabenwarter, in: FS Tomuschat, S. 193 (204); Pellonpää, EuGRZ 2006, 483 (483) m.w. N.; Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 239. 503 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 50 – Obst/BRD. Dort prüft der Gerichtshof, ob die Entscheidung des nationalen Gerichts angemessen ist. Dies zeigt, dass ein Spielraum besteht.

II. Eigener Ansatz

273

konventionsrechtlich akzeptables Ergebnis504. Damit ist bei der Auflösung mehrpoliger Rechtsverhältnisse von einer sogenannten Korridorlösung auszugehen505. Hiernach besteht ein Korridor konventionsrechtlich gleichermaßen „richtiger“ Abwägungen506. Innerhalb dieses Korridors gibt es folglich verschiedene Möglichkeiten, mehrpolige Rechtsverhältnisse einer vertretbaren und damit gleichermaßen konventionsrechtlich zulässigen Lösung zuzuführen507. Hierbei ist das sich aus der Schutzpflicht von Grundrechten ergebende Untermaßverbot als Grenze zu beachten508. Soweit sich die mitgliedstaatliche Entscheidung in diesem Korridor befindet, ist sie konventionsrechtlich nicht zu beanstanden509. Für das Bestehen eines erheblichen Entscheidungsspielraumes spricht ferner die Entscheidung der Großen Kammer des EGMR vom 09.07.2013 in der Rechtssache Sindicatul Pastorul cel Bun510. In diesem Fall ging es darum, dass eine Gewerkschaft, die zur Interessenvertretung der kirchlichen Mitarbeiter gegründet werden sollte, keine Rechtspersönlichkeit erlangen konnte, weil der Erzbischof die hierzu erforderliche Registrierung verweigerte511. Vor den rumänischen Gerichten konnte die Kirche ihre Auffassung erfolgreich mit ihrem Selbstbestimmungsrecht verteidigen. Der EGMR sah hierin ursprünglich eine Verletzung der Koalitionsfreiheit, die anschließend mit der Sache befasste Große Kammer hat sich dieser Rechtsauffassung jedoch nicht angeschlossen512. Im Wesentlichen wird dies mit dem weiten Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Koordinierung widerstreitender Freiheiten begründet, der in diesem Falle besonders groß sei, da es hinsichtlich des Staat-Kirche-Verhältnisses keinen mitgliedstaatlichen Konsens gebe513. Infolgedessen liege die Verweigerung der Anerken504

Vgl. auch Nußberger, RdA 2012, 270 (276); Sauer, EuGRZ 2011, 195 (198). Dies befürworten auch Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 (230); Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (496 f.); Klein, NVwZ 2010, 221 (223); Mayer, EuGRZ 2011, 234 (236); Nußberger, in: HStR X, § 209 Rn. 16; Nußberger, RdA 2012, 270 (276); Pellonpää, EuGRZ 2006, 483 (484 f.); Sauer, EuGRZ 2011, 195 (198 f.); a. A. Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 245 unter Bezug auf die erforderliche Einheitlichkeit der Auslegung der EMRK. 506 Sauer, EuGRZ 2011, 195 (198 f.). 507 Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (497); Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 (230); Sauer, EuGRZ 2011, 195 (198). 508 Klein, NVwZ 2010, 221 (223); zum Ganzen allgemein Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 29–33. 509 Zutreffend Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (497); Klein, NVwZ 2010, 221 (223); vgl. auch Pellonpää, EuGRZ 2006, 483 (484). 510 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 09.07.2013 – 2330/09, abrufbar unter http://hu doc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-122763; abgerufen am 09.07.2013. 511 Hinsichtlich des Sachverhalts siehe auch Walter, ZevKR 2012, 233 (233). 512 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 09.07.2013 – 2330/09, Nr. 167 f. – Sindicatul Pastorul cel Bun/Rumänien. 513 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 09.07.2013 – 2330/09, Nr. 171 – Sindicatul Pastorul cel Bun/Rumänien. 505

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

nung der Gewerkschaft innerhalb des mitgliedstaatlichen Beurteilungsspielraumes, so dass eine Verletzung nach Art. 11 EMRK nicht gegeben ist514. Damit ist zu überprüfen, ob die anhand der Auslegung des Grundgesetzes gefundene Lösung im Korridor der konventionsrechtlich vertretbaren Lösungen liegt515. Weil der EGMR bei dem Ausgleich von Konventionsrechten eine umfassende Güterabwägung verlangt, muss die Lösung auch im Hinblick auf die Vorgaben der EMRK zunächst alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte berücksichtigen und diese zutreffend gewichten. Im Hinblick auf diese Gewichtung müssen die Schutzgüter darüber hinaus angemessen gegeneinander abgewogen werden516. Soweit dies der Fall ist, befindet sich die Abwägung auch im Korridor der nach der EMRK vertretbaren Lösungen. Aufgrund des Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten ist die Lösung in diesem Falle konventionsrechtlich nicht zu beanstanden. In diesem Sinne ist eine „nachvollziehende Kontrolle“ der anhand der grundgesetzlichen Bestimmungen vorgenommenen Abwägung angezeigt517. Liegt das Ergebnis hingegen nicht im Korridor, muss untersucht werden, inwieweit eine Anpassung der Rechtslage durch Auslegung erfolgen kann. dd) Konventionskonformität des Streikausschlusses (1) Abwägungsmethode Zu überprüfen ist zunächst, ob die hier angewendete Methode der Abwägung konventionsrechtlich haltbar ist. Mehrfach ist bereits darauf hingewiesen worden, die hier vorzunehmende Abwägung sei asymmetrisch und im Rahmen der Abwägung sei dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ein besonderes Gewicht zuzumessen. Insbesondere die Entscheidungen des EGMR, die im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts ergangen sind und die die Wirksamkeit von Kündigungen wegen Loyalitätsverstößen zum Inhalt hatten, könnten dafür sprechen, dass eine derartige asymmetrische Kollisionslage auf der Ebene der Menschenrechtskonvention nicht anzunehmen ist. Der EGMR sieht in diesen Entscheidungen die Kirchen als Grundrechtsträger aus Art. 9 EMRK an. Eine staatskirchenrechtliche Bestimmung wie Art. 137 III WRV ist in der EMRK nicht angelegt, so dass der EGMR die Existenz eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus der kollektiven Glaubensfreiheit gemäß Art. 9 EMRK i.V. m. Art. 11 EMRK herleitet518. Die Glau514 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 09.07.2013 – 2330/09, Nr. 172 f. – Sindicatul Pastorul cel Bun/Rumänien. 515 So auch Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (497). 516 Vgl. Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (495). 517 Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (497). 518 Siehe hierzu auch Grabenwarter, in: FS Rüfner, S. 147 (153); Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (60 f.); Walter, ZevKR, 57 (2012), 233 (251).

II. Eigener Ansatz

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bensfreiheit und damit auch das sich daraus ergebende kirchliche Selbstbestimmungsrecht sind nach Art. 9 II EMRK nicht schrankenlos gewährleistet. Daher muss das Selbstbestimmungsrecht mit kollidierenden Grundrechten Dritter in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Vom EGMR wird also im Falle von Kollisionen eine umfassende Güterabwägung gefordert519. Im Rahmen dieser Abwägung stehen sich zwei Grundrechtsträger gegenüber520. Damit ist konventionsrechtlich eine Abwägung von Freiheiten, also eine „normale“, symmetrische Abwägung, die folgerichtige Methode521. Dies bedeutet indes noch nicht, dass die Abwägung anhand des Untermaßverbots zwingend einen Konventionsverstoß darstellt. Es könnte dahingehend argumentiert werden, dass die Zugrundelegung der hier favorisierten Methode an sich noch keinen Konventionsverstoß darstellt, solange in der Sache eine umfassende Güterabwägung erfolgt, bei der alle Belange berücksichtigt werden und insofern ein vertretbares und interessengerechtes Ergebnis gefunden wird. Denn auch dann findet ein angemessener Ausgleich gegenläufiger Positionen statt. Ein absolutes „Vorab-Überwiegen“ der kirchlichen Regelungen scheidet damit konventionsrechtlich aus522. Die vorstehenden Ausführungen im Hinblick auf die Abwägung des Selbstbestimmungsrechts mit Art. 9 III GG haben allerdings verdeutlicht, dass auch bei einer Beurteilung der asymmetrischen Kollisionslage eine umfassende Güterabwägung erforderlich ist, um den Dritten Weg mit dem Ausschluss des Streikrechts zu rechtfertigen. Damit ist auch nach den Vorgaben des Grundgesetzes kein absoluter Vorrang anzunehmen, sondern die Zulässigkeit des Streikausschlusses stellt das Ergebnis einer sorgfältig mit Art. 9 III GG abgewogenen Freiheit der Kirchen dar. Zu berücksichtigen wäre ferner der weite Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten, von dem bei der hier in Rede stehenden Kollision auszugehen ist. Dieser Spielraum könnte insoweit auch hinsichtlich der Methode der Ausgleichsfindung angenommen werden, sofern das Abwägungsergebnis im Korridor der konventionskonformen Lösungen liegt. Auch die durch den EGMR erfolgte Billigung des bundesverfassungsgerichtlichen Ansatzes, dass kirchliche Regelungen gerechtfertigt sein können, wenn sie keine unannehmbaren Verpflichtungen begründen, spricht für einen relativ großen Freiraum der Kirchen, der es erlaubt, Grundrechtseinschränkungen vorzunehmen523. Dies könnte dafür sprechen, dass die Abwägung anhand des Untermaßverbotes524 auch konventionsrechtlich zulässig 519 520 521

Vgl. auch Joussen, RdA 2011, 173 (178); Plum, NZA 2011, 1194 (1197). Richtig auch Nußberger, RdA 2012, 270 (275). So auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (251); vgl. auch Reichold, NZA 2013, 585

(588). 522 Zutreffend auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (465); Joussen, RdA 2011, 173 (177); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (66). 523 Vgl. auch Joussen, RdA 2011, 173 (178). 524 Reichold, KuR 2011, 199 (207); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (65).

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

wäre, so dass dann das Untermaßverbot die Grenze des Korridors der konventionsrechtlich vertretbaren Lösungen darstellen würde525. Allerdings müssen alle für die Abwägung relevanten Belange dabei berücksichtigt werden526. Letztlich muss die Frage, ob die Abwägungsmethode an sich bereits einen Konventionsverstoß darstellt, als nicht abschließend geklärt gelten. Den Aussagen des EGMR ist dies bislang nicht zu entnehmen. Praktisch wäre diese Frage ohnehin von untergeordneter Bedeutung, wenn auch eine Auslegung im Rahmen einer Grundrechtsabwägung einen vollständigen Streikausschluss rechtfertigen könnte. (2) Güterabwägung Die Entscheidung der Großen Kammer in der Rechtssache Sindicatul Pastorul cel Bun, in der es für mit der Konvention vereinbar erklärt wird, dass die Kirchen die Entstehung von kirchlichen Gewerkschaften verhindern können, deutet einen weiten Korridor zulässiger Ergebnisse an. Dies könnte dafür sprechen, dass auch der Dritte Weg der Kirchen konventionsrechtlich möglich ist. Gleichwohl ist dieses Urteil in Bezug auf die rumänische Rechtslage ergangen, so dass sich eine Übertragung eins zu eins hier verbietet. Insofern muss trotzdem untersucht werden, ob der Dritte Weg konventionsrechtlich zulässig ist. (a) Eingriff in den Kernbereich kirchlicher Selbstbestimmung durch ein Streikrecht Bei der Güterabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Kirchen bei einem Streik im Kern ihres Selbstbestimmungsrechts getroffen wären. Nach dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft nehmen alle im kirchlichen Dienst Tätigen Anteil an der Erfüllung des Heilsauftrags. Diese Erfüllung des Auftrags ist bei Arbeitskämpfen konkret gefährdet. Er muss nach kirchlichem Eigenverständnis aber zu jeder Zeit erfüllt werden. Auch wäre die Kirche in ihrer Glaubwürdigkeit stark beschädigt, wenn sie einerseits den Einsatz friedlicher Konfliktlösungen anmahnt, aber kampfweise für Vermögensinteressen eintritt. Ferner passt eine kampfweise Auseinandersetzung mit den Dienstnehmern nicht zur Einheit aller im kirchlichen Dienst Tätigen. Um dem zu entgehen, haben die Kirchen den Dritten Weg entwickelt, der ein friedliches und konsensuales System zur Regelung der Arbeitsbedingungen darstellt, und der damit dem Eigenverständnis der Kirchen Rechnung trägt. Dieser Dritte Weg kann das Tarifvertragssystem und den Arbeitskampf nach Auslegung des Grundgesetzes ersetzen. Nach den obigen 525

Klein, NVwZ 2010, 221 (223). In diese Richtung gehend wohl Pellonpää, EuGRZ 2006, 483 (484); kritisch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (251). 526

II. Eigener Ansatz

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Ausführungen ist auch das sich aus der EMRK ergebende Selbstbestimmungsrecht derart weitreichend, dass die Kirchen ein eigenes Dienstrecht schaffen können, um so den Besonderheiten, die sich aus der Mitarbeit im kirchlichen Dienst ergeben, Rechnung tragen zu können. Dieses Recht umfasst also im Prinzip auch die Regelung eines eigenen kollektiven Dienstrechts und damit im Grundsatz die Befugnis, den Dritten Weg zugrunde zu legen. (b) Unangemessene Benachteiligung durch Streikausschluss und Dritten Weg? Fraglich ist aber, ob der Dritte Weg mit dem Streikausschluss die Rechte aus Art. 11 EMRK unangemessen beeinträchtigt. Der Wortlaut des Art. 11 EMRK garantiert zunächst nur das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und diesen beizutreten. Diese Rechte werden durch den Dritten Weg offenkundig gar nicht beeinträchtigt. Jeder kirchliche Dienstnehmer darf Gewerkschaftsmitglied sein. Allerdings hat der EGMR aus der Formulierung „zum Schutz seiner Interessen“ weitergehend ein Betätigungsrecht der Gewerkschaften entwickelt, das auch die Durchführung kollektiver Maßnahmen beinhalte, um so die beruflichen Interessen der Mitglieder wahrnehmen zu können527. Auch ein Betätigungsrecht wird nicht grundsätzlich vom Dritten Weg ausgeschlossen. Die Gewerkschaften können Werbe-, Informations- und Schulungsmaßnahmen durchführen und haben auch ein betriebliches Zutrittsrecht. Allerdings hat der EGMR bekanntlich das Recht, Tarifverträge zu schließen und zu Streiks aufzurufen, inzwischen als zentrales Betätigungsrecht aus Art. 11 EMRK angesehen528. Dennoch ist weiterhin die Rechtsprechung des EGMR maßgeblich, dass der Zweck der Koalitionen, nämlich den Schutz der Mitgliederinteressen zu gewährleisten, auch auf anderem Wege als durch Tarifverträge und Streiks erreicht werden kann529. Die neue Rechtsprechung erkennt „lediglich“ das Betätigungsmittel Streik als Mittel zur Wahrnehmung der Mitgliederinteressen im Sinne des Art. 11 EMRK ausdrücklich an. Ersichtlich sollten Streik und Tarifsystem hierdurch nicht zu der einzig denkbaren Betätigung nach Art. 11 EMRK werden530. So 527 EGMR, Urt. v. 27.10.1975 – 4464/70, EGMR-E 1, 158, Nr. 39 – Nationale Belgische Polizeigewerkschaft/Belgien; siehe auch EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11. 2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 140 – Demir und Baykara/Türkei; dem zustimmend Frowein, in: Frowein/Peukert, EGMR, Art. 11 Rn. 16; distanzierter Ricken, in: MünchArbR II, § 197 Rn. 6. 528 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – Nr. 34503/97, AuR 2009, 269 Nr. 154 – Demir und Baykara/Türkei; EGMR, Urt. v. 21.04.2009, Nr. 68959/01, AuR 2009, 274, Nr. 24 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 529 EGMR, Urt. v. 06.02.1976 – 5589/72, EGMR-E 1, 172, Nr. 36 – Schmidt und Dahlstöm/Schweden; EGMR, Ent. v. 10.01.2002 – 53574/99, ECHR 2002-I, S. 491 (503) – Unison/Vereinigtes Königreich. 530 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 145 – Demir und Baykara/Türkei.

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sieht der EGMR das Recht, Kollektivverhandlungen aufzunehmen, als einen und damit nicht den einzigen Bestandteil der Betätigungsfreiheit an531. Wenn demnach zur Interessenvertretung auch noch andere Betätigungsmöglichkeiten vorgesehen sind, und insofern das Betätigungsrecht der Gewerkschaften nicht mit Tarifsystem und Streik gleichzusetzen ist, ist damit im Prinzip auch nach Art. 11 EMRK in der Auslegung des EGMR weiterhin ein Regelungsmodell abseits von Tarifsystem und Streik möglich532. Dies ergibt sich letztlich auch aus den Urteilen zum Beamtenstreikrecht, bei denen nicht insgesamt das Beamtenrecht für konventionswidrig erklärt wurde, sondern nur das Streikverbot von bestimmten Beamten, die keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen. Abgesehen davon verdeutlicht auch der Wortlaut des Art. 11 II EMRK, dass das Streikrecht nicht absolut gelten kann, sondern dass Einschränkungen zum Schutze gegenläufiger Konventionsrechte grundsätzlich zulässig sind. Auch der EGMR geht prinzipiell von einer Einschränkbarkeit des Streikrechts aus533. (c) Kompensation für den Wegfall von Tarifautonomie und Streikrecht Freilich verlangt eine faire und angemessene Abwägung nach Kompensation für das demnach grundsätzlich auch im kirchlichen Dienst bestehende Recht, Tarifverträge zu schließen und zu streiken. Nicht im Korridor der nach der EMRK zulässigen Abwägungslösungen wäre damit eine kirchliche Regelung, die den Zweck und die Rechte aus der Koalitionsfreiheit gar nicht beachtet. Wegen des weiten Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten und damit des Korridors gleichwertiger Lösungen ist als maßgebliche Grenze auch hier das Untermaßverbot zu beachten534. Weil der EGMR die weitgehenden Betätigungsrechte, zu denen neuerdings auch ein Streikrecht gehört, an dem Passus „zum Schutz seiner Interessen“ festmacht, besteht der Zweck dieser Betätigungsrechte in der Verteidigung und Vertretung der Interessen der Gewerkschaftsmitglieder535. Daher liegt eine Kompensation für den Wegfall von Tarifsystem und Arbeitskampf vor, wenn eine angemessene Interessenvertretung auch im Rahmen des Dritten Weges möglich ist536.

531 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 154 – Demir und Baykara/Türkei. 532 So auch Greiner, DÖV 2013, 623 (626). 533 EGMR, Urt. v. 21.04.2009 – 68959/01, AuR 2009, 274 Nr. 32 – Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei. 534 Klein, NVwZ 2010, 221 (223). 535 EGMR, Urt. v. 27.10.1975 – 4464/70, EGMR-E 1, 158, Nr. 39 – Nationale Belgische Polizeigewerkschaft/Belgien. 536 Zutreffend Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (260 f.); in diese Richtung gehend Klumpp, KuR 2012, 176 (182); vgl. auch Schubert, AöR 137 (2012), 92 (107).

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Die Möglichkeit zur angemessenen Interessenvertretung kann jedenfalls angenommen werden, sofern der Dritte Weg im Hinblick auf die Interessenvertretung und -durchsetzung mit dem Tarif- und Arbeitskampfsystem gleichwertig ist. Mit dem Dritten Weg stellen die Kirchen ein funktionsfähiges System zur Verfügung, innerhalb dessen Dienstgeber- und Dienstnehmerseite auf im Wesentlichen gleicher Augenhöhe über die Beschäftigungsbedingungen verhandeln können. Dass die Dienstnehmer im Dritten Weg gleichwertig mit den Dienstgebern in Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen treten können, ist bereits herausgearbeitet worden. Einerseits liegt die Möglichkeit, auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können, an der paritätischen Besetzung der Gremien und an der Unabhängigkeit der Mitglieder. Keine Seite kann die andere überstimmen und so gegen ihren Willen Beschlüsse fassen. Andererseits ist bei einer richtigen Ausgestaltung des Dritten Weges institutionell gesichert, dass bei Pattsituationen ein neutraler und unabhängiger Schlichter eine gerechte Lösung herbeiführen kann. Ferner bestehen Regelungen, die eine Blockade verhindern. So wird über jedwede Forderung in Form eines verbindlichen Beschlusses entschieden. Damit sind die Dienstnehmer in der Lage, die Interessen der gesamten Belegschaft angemessen zu vertreten und diese in einer dem Tarifsystem gleichwertigen Weise durchzusetzen. Mithin ist der Dritte Weg mit dem Tarifsystem gleichwertig537. Er ist funktionierender und gerechter Ersatz. (d) Beteiligung der Gewerkschaften Fraglich kann allerdings sein, inwieweit die Gewerkschaften an diesem Dritten Weg zu beteiligen sind538. Nach der Abwägung der grundgesetzlichen Positionen ist ein mittelbarer Einfluss der Gewerkschaften ausreichend, der sich darin ausdrückt, dass sie Kandidaten bei der Wahl unterstützen können und über die sie gewerkschaftliche Positionen in die Kommissionsarbeit einbringen können. Andere koalitionsspezifische Betätigungen wie etwa ein gewerkschaftlicher Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen sind unabhängig davon zulässig539. Insofern haben die Gewerkschaften einen Bereich, innerhalb dessen sie die Mitgliederinteressen auch in kirchlichen Einrichtungen vertreten können. Weil der EGMR die Beteiligungsrechte konzipiert hat, damit die Gewerkschaften die Interessenvertretung für ihre Mitglieder wahrnehmen können, sind diese Gewerkschaftsmittel ausreichend, wenn eine angemessene Interessenvertretung auch im Dritten Weg sichergestellt ist. Dass dies der Fall ist, kann allerdings im Prinzip angenommen werden. Denn einerseits bestehen grundsätzlich Betäti537 BAG, Urt. v. 22.07.2010 – 6 AZR 847/07, BAGE 135, 163 (176); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (442); Joussen, RdA 2010, 182 (186); Richardi, RdA 2011, 119 (122); v. Tiling, ZTR 2009, 458 (464). 538 Vgl. hierzu Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (260 f.). 539 Siehe § 6 II. 4. c) ee).

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gungsmöglichkeiten, so dass kein vollständiger Ausschluss der Gewerkschaften aus dem Prozess besteht. Andererseits sind die Dienstnehmer aufgrund der Parität in den Kommissionen selbst in der Lage, die Rechte und Interessen der gesamten Belegschaft vertreten zu können540. Die Dienstnehmer können gleichberechtigt über die Arbeitsbedingungen mitbestimmen. Dass im Dritten Weg eine gleichwertige Mitwirkung besteht, die zu einer angemessenen Interessenvertretung der Belegschaft insgesamt führt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Verdienstmöglichkeiten kirchlich Beschäftigter nicht grundsätzlich schlechter sind als die Gehälter, die ein öffentlicher Arbeitgeber in vergleichbaren Arbeitsverhältnissen bezahlt541. Damit wird der Zweck der Gewerkschaftsbetätigung, den Schutz der Mitgliederinteressen wahrzunehmen, im Dritten Weg auch ohne eine direkte Beteiligung der Koalitionen erreicht, und es besteht kein weitergehendes Bedürfnis nach Betätigung, weil dies die Kirchen in ihrer Freiheit nachteilig beträfe. Kern und Zweck von Art. 11 EMRK werden durch die kirchlichen Regelungen also nicht vorenthalten. Wenn aufgrund des weiten Spielraums des Gesetzgebers bei der Auflösung dieser Kollisionslage und des damit einhergehenden breiten Korridors an vertretbaren Ergebnissen auch hier das Untermaßverbot die Grenze zulässiger Lösungen bildet, spricht dies dafür, dass die gewerkschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten auch konventionsrechtlich ausreichen. Auf der anderen Seite darf allerdings nicht übersehen werden, dass die neueren Urteile des EGMR zum Streikrecht auch eine erhebliche Stärkung der Gewerkschaftsrechte an sich zur Folge haben542. Dass der EGMR diese stärken und fördern will, drückt sich nicht zuletzt in dessen Wortwahl aus: Der EGMR spricht im Zusammenhang mit den Betätigungsrechten der Gewerkschaften von „Gewerkschaftsfreiheit“ 543. Dies legt insoweit das Bestehen einer eigenständigen, auf Beteiligung gerichteten Rechtsposition der Gewerkschaften nahe, die auch ausgleichend zu berücksichtigen ist. Fraglich kann vor diesem Hintergrund sein, ob dem EGMR dieser mittelbare Einfluss auf das Regelungsverfahren im Dritten Weg ausreichen würde. Schon seit Langem leitet der EGMR aus Art. 11 EMRK als wesentlichen Bestandteil des Rechts, für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten, ein Recht der Gewerkschaften, vom Arbeitgeber angehört zu werden, her544. Auf welche Weise dieses Recht auf Gehör verwirklicht wird, überlässt die Konvention grundsätzlich den Mitgliedstaaten. Die Gewerkschaften müssten aber 540

Vgl. auch Bleckmann, Religionsfreiheit, S. 65. Dies belegen die Tabellenwerte bei Robbers, Streikrecht, S. 77. 542 So auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (261). 543 EGMR, Urt. v. 27.10.1975 – 4464/70, EGMR-E 1, 158, Nr. 38 – Nationale Belgische Polizeigewerkschaft/Belgien; siehe auch EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11. 2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 144 – Demir und Baykara/Türkei. 544 EGMR, Urt. v. 27.10.1975 – 4464/70, EGMR-E 1, 158, Nr. 39 – Nationale Belgische Polizeigewerkschaft/Belgien; EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 145 – Demir und Baykara/Türkei; vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 11 Rn. 24; vgl. auch Schubert, AöR 137 (2012), 92 (107). 541

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die Möglichkeit haben, ihre Position darzulegen und den Arbeitgeber von dieser überzeugen zu können545. Insofern stellt sich die Frage, ob und wie diese Gewerkschaftsrechte im Dritten Weg verwirklicht werden können. Naheliegend ist hier zunächst ein Anhörungsrecht im eigentlichen Wortsinne. Zwar hat die Kirche ein rechtlich geschütztes Interesse, ihre eigenen Angelegenheiten autonom regeln zu können. Ein Anhörungsrecht wäre jedoch ein vergleichsweise leichter Eingriff in die kirchliche Autonomie546. Denn die eigentliche Entscheidung wird in der Kommission getroffen, an der die Gewerkschaften nicht zwingend beteiligt sind. Damit erfolgt die Beschlussfassung, also die tatsächliche Regelung der Arbeitsbedingungen, frei von äußeren Einflüssen. Dies spricht dafür, dass ein Anhörungsrecht der Gewerkschaften mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft vereinbart werden könnte. Die Gewerkschaft hätte hierdurch die Möglichkeit, ihre Position vorzutragen und beratend tätig zu werden. Es bestünde insofern die Chance, durch eine eigene Argumentation die beschlussfassenden Mitglieder der Kommission von der gewerkschaftlichen Position zu überzeugen. Auf diese Weise hätte die Gewerkschaft mithin eine Möglichkeit, direkt am Dritten Weg mitzuwirken, und die gewerkschaftliche Position im Rahmen des Dritten Weges könnte durch diesen verhältnismäßig milden Eingriff in die kirchliche Autonomie gestärkt werden. Konkret wäre vorstellbar, dass im Rahmen der Beratungen der Kommissionen über eine zu treffende Regelung den Gewerkschaften die Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Position gegenüber der gesamten Kommission vor der Beschlussfassung darzulegen. Ein entsprechendes Vortragsrecht könnte zusätzlich auch im Rahmen des Schlichtungsverfahrens zugestanden werden. Diese Gewerkschaftsbeteiligung wäre dann ähnlich ausgestaltet wie die Mitwirkung der Gewerkschaften an beamtenrechtlichen Regelungen. Hierbei besteht für die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften nach § 53 BeamtStG bzw. § 118 BBG ein Beteiligungsrecht, also gerade keine Mitentscheidungsbefugnis. Nimmt man ein solches Recht an, wäre im Rahmen des Verfahrens des Dritten Weges die Gewerkschaft zu konsultieren und die gewerkschaftliche Position anzuhören. Sollte ein derartiges Recht verlangt werden, wäre dies wohl umsetzbar. Zwingend erforderlich erscheint ein solches Anhörungsrecht allerdings nicht: Der Zweck der Betätigungsrechte, eine angemessene Interessenvertretung sicherzustellen, wird bei einem richtig ausgestalteten Dritten Weg547, auch ohne ein solches Anhörungsrecht gewährleistet. Denn in diesem Falle sind die Dienstnehmer aufgrund der Parität selbst in der Lage, ihre Interessen zu vertreten. Ferner bestehen, wie bereits festgestellt, für die Gewerkschaften Betätigungsmöglichkei545 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, AuR 2009, 269, Nr. 145 – Demir und Baykara/Türkei. 546 Vgl. auch die Ausführungen zur Eingriffsintensität einzelner Beteiligungsrechte bei Jatho, Die Stellung der Tendenzunternehmen, S. 50–54. 547 Zu den Anforderungen an den Dritten Weg § 6 II. 4. c).

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ten, durch die die Gewerkschaften ihr Konventionsrecht auf Gehör verwirklichen können. Dies erscheint angesichts des weiten Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts ausreichend. Weitergehend erscheint es jedenfalls nicht geboten, den Kirchen eine unmittelbare Beteiligung von Gewerkschaftsfunktionären als mitbeschließende Mitglieder in den Kommissionen zwingend vorzuschreiben, insbesondere weil dies – wie bereits dargelegt – neben dem geschützten Interesse, intern Regelungen zu finden, eine ernsthafte Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Dritten Weges darstellen würde548. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass eine Aufspaltung der Dienstnehmervertreter in Funktionäre und Beschäftigte aufgrund der partiell unterschiedlichen Interessenlage eine Entscheidungsfindung unter Hinblick auf die für eine Beschlussfassung erforderlichen Mehrheitsverhältnisse empfindlich erschweren kann. Auch wäre eine zwingend vorgeschriebene Beteiligung ein nicht unerheblicher Eingriff in die kirchliche Autonomie, weil die Kirchen ein geschütztes Interesse haben, ihre Angelegenheiten autonom regeln zu können. Der Ausschluss der Gewerkschaften erfolgt insgesamt nicht aus Bequemlichkeit oder monetären Interessen, sondern ist letztlich theologisch begründet. Bei anderer Ausgestaltung würde der Dritte Weg als Ausdruck des religiösen Selbstverständnisses geschwächt. Zu berücksichtigen ist auch, dass Betätigungsmöglichkeiten der Gewerkschaften im Rahmen des Dritten Weges insofern bestehen, als sie bestimmte Kandidaten, die gewerkschaftsnahe Positionen vertreten und die auch Mitglieder der Gewerkschaft sein können, bei der Wahl in die Kommissionen unterstützen können und über sie gewerkschaftliche Positionen in die Verhandlungen der Kommission einbringen können. Damit und mit dem möglichen Anhörungsrecht haben Gewerkschaften Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Auch beinhaltet die hier gefundene Lösung eine signifikant geringere Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit als im Fall Sindicatul Pastorul cel Bun549. Dort konnte die Kirche sogar die Entstehung von Gewerkschaften verhindern, während es hier nur um eine Modifikation einzelner Betätigungsrechte geht. Dies könnte auch als ein Indiz für die konventionsrechtliche Zulässigkeit des Dritten Weges gesehen werden. Denn hier wird die Koalitionsfreiheit nur eingeschränkt, nicht aber ausgeschlossen, und sogar ein Ausschluss kann konventionsrechtlich Bestand haben. (e) Kein geteiltes Streikrecht und kein Streik im Dritten Weg Demnach erscheint es nicht erforderlich anzunehmen, dass ein fairer Ausgleich der Konventionsrechte die Annahme eines geteilten Streikrechts verlangt. 548 549

Hierzu § 6 II. 4. c) ee). Siehe hierzu oben § 7 II. 4. e) bb) (2).

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Auf den ersten Blick mag eine solche Lösung zwar verlockend klingen, weil sich hier beide Positionen sichtbar aufeinander zubewegen550. Zu bedenken ist aber, dass ein geteiltes Streikrecht zur Folge hätte, dass unter Umständen in einer Einrichtung zwei völlig unterschiedliche Regelungssysteme gleichzeitig gelten würden. Für die Buchhalterin im Krankenhaus wäre das Tarifvertragssystem maßgeblich, für einen leitenden Arzt der Dritte Weg. Eine Einteilung in verkündigungsnahe und verkündigungsferne Mitarbeiter würde allerdings die Dienstgemeinschaft faktisch spalten. Auch verträgt sich das Streikrecht der im Randbereich Beschäftigten nicht mit dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft und dem Selbstverständnis der Kirchen, friedliche Mechanismen zur Lösung von Konflikten einzusetzen. Die Dienstgemeinschaft ist aber eine Grundannahme des kirchlichen Dienstes, so dass schwerwiegend in das kirchliche Recht auf Selbstbestimmung eingegriffen würde. Auch die Glaubwürdigkeit der Kirche wäre beschädigt. Der EGMR hat, das ist mehrfach herausgearbeitet worden, in den Entscheidungen zu den Loyalitätspflichten kirchlicher Bediensteter bekräftigt, dass es keinen Konventionsverstoß darstellt, wenn allein die Kirche bestimmen kann, was zur Erfüllung ihres Auftrages und Erhaltung ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich ist551. Damit ist im Prinzip die Entscheidung des BVerfG552 konventionsrechtlich akzeptiert worden, die den Grundsatz der Dienstgemeinschaft billigt mit der Folge, dass allein die Kirchen bestimmen können, wer kirchennahe Aufgaben erledigt553. Insofern ist auch der Grundsatz der Dienstgemeinschaft konventionsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit kann es auch nach Auffassung des EGMR nicht gegen den Willen der Kirche zu einer Aufspaltung der Dienstgemeinschaft kommen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine Einteilung in Kern- und Randbereich für den Staat unlösbare Abgrenzungsfragen aufwirft. Ist eine Krankenschwester in einem kirchlichen Krankenhaus, die ja ohne Zweifel diakonische Aufgaben wahrnimmt, in einem verkündigungsnahen Bereich tätig oder ist ihre Arbeit verkündigungsfern, weil es auf die tätige christliche Nächstenliebe für die Verrichtung der Tätigkeit einer Krankenschwester nicht zwingend ankommt? Ist dies bei

550

So auch Waldhoff, in: GS Heinze, S. 995 (1007). Vgl. EGMR, Urt. v. 23.09.2010, Nr. 1620/03, EuGRZ 2010, 560, Nr. 58, 68 – Schüth/BRD; EGMR, Urt. v. 23.09.2010 – 425/03, EuGRZ 2010, 571, Nr. 44 – Obst/ BRD. 552 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70,138 (165). 553 Ebenso Grabenwarter, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 9 (24 f.); Melot de Beauregard, NZA-RR 2012, 225 (230); Reichold, EuZA 2012, 320 (326); in diese Richtung gehend auch Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55 (66); Joussen, RdA 2011, 173 (176); Thüsing, in: EssGespr 46 (2012), S. 129 (159); Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (243). 551

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der Oberschwester anders, weil sie Leitungs- und damit Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt oder vielleicht erst bei der Pflegedienst- oder sogar der Krankenhausleitung? Der Staat hat wegen seiner Neutralität jedenfalls keine Kenntnis davon, was zum Auftrag der Religion zählt554. Damit hat er auch keine Kriterien, anhand derer er feststellen kann, welcher Mitarbeiter konkret verkündigungsnahe Tätigkeiten ausübt. Dies können nur die Kirchen sachgerecht entscheiden, die wegen des Grundsatzes der Dienstgemeinschaft berechtigter Weise davon ausgehen, dass jeder Mitarbeiter wichtig für die Verkündigung ist555. Es gibt danach keine tendenzfreien Bereiche556. Ein Streikrecht innerhalb des Dritten Weges ist ebenfalls abzulehnen557. Der EGMR sieht allem Anschein nach den Funktionszusammenhang zwischen Tarifvertragssystem und Streikrecht nicht so streng wie Art. 9 III GG. Damit wäre es konventionsrechtlich denkbar, für andere Ziele als die Erreichung einer tariflichen Regelung zu streiken. Insofern wäre im Prinzip ein Streik zur Erreichung bestimmter Regelungen im Rahmen des Dritten Weges konventionsrechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen. Ein Streikrecht würde allerdings, wie bereits erwähnt, nach kirchlichem Selbstverständnis die Glaubwürdigkeit der Kirche stark beschädigen und die Erfüllung des kirchlichen Auftrags schwerwiegend beeinträchtigen. Und die Kirche darf, wie soeben ausgeführt, auch konventionsrechtlich selbst entscheiden, was zu der Erhaltung ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich ist. Damit wäre die Kirche im Kern ihrer Aufgabenerfüllung betroffen, wenn Arbeitskämpfe zulässig wären. Insofern wäre es unverhältnismäßig, einen Streik zuzulassen, auch weil andere gleich wirksame Methoden für eine angemessene Vertretung der Belegschaftsinteressen zur Verfügung stehen, die für die Kirchen weniger einschneidend sind558. Insgesamt erscheint es naheliegend, anzunehmen, dass der Dritte Weg mit seiner verdrängenden Wirkung von Tarifsystem und Arbeitskampf im Korridor der nach der EMRK vertretbaren Abwägungsergebnisse liegt559. Der paritätische Dritte Weg, der als Konfliktlösung eine Zwangsschlichtung unter Vorsitz einer neutralen Person vorhält, begründet keine unannehmbare Verpflichtung für die Mitarbeiter im kirchlichen Dienst. Er verletzt nicht das Untermaß an gebotenem 554 Richtig auch Muckel, Religiöse Freiheit, S. 192; Isak, Selbstverständnis, S. 204, 219; Hahn, Mitbestimmung, S. 27; Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 15; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 5. 555 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165), (168). 556 v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 89. 557 Zweifelnd Reichold, ZTR 2012, 315 (319). 558 Vgl. auch Belling, in: FS 50 Jahre BAG, S. 477 (487); Belling, ZevKR 48 (2003), 407 (441); Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitskampf, Rn. 15. 559 So auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448 (465).

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Schutz hinsichtlich der Koalitionsrechte. Insofern ist der Dritte Weg mit dem dazugehörigen Streikausschluss auch konventionsrechtlich haltbar. ee) Folgen eines unterstellten, vom EGMR festgestellten Konventionsverstoßes Es stellt sich abschließend die Frage, welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn der EGMR dies anders sehen sollte. Wegen des unberechenbaren und ungewissen Ausganges von Abwägungen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Dritte Weg nicht oder nur eingeschränkt vom EGMR bestätigt würde. Für diesen Fall sollen die Folgen eines vom EGMR festgestellten Konventionsverstoßes herausgestellt werden. Gemäß Art. 46 EMRK muss der verurteilte Staat den Konventionsverstoß beseitigen. Fraglich ist aber, ob dies hier durch eine andere Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen möglich wäre. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf die Umsetzung von Entscheidungen des EGMR nicht dazu führen, dass der sich aus dem Grundgesetz ergebende Grundrechtsschutz abgesenkt wird560. Zwar ist das Selbstbestimmungsrecht kein Grundrecht, sondern auch eine Abgrenzung von staatlicher und kirchlicher Gewalt. Aber die konkrete Grenzziehung bestimmt doch gerade die Reichweite, innerhalb derer die Kirchen ihre eigenen Angelegenheiten ordnen und verwalten dürfen. Ferner dient das Selbstbestimmungsrecht der Religionsfreiheit, so dass sie jedenfalls mittelbar betroffen wäre561. Insoweit wäre es ein Umsetzungshindernis, wenn der nach dem Grundgesetz bestehende Schutz unterschritten würde. Ob sich ein solches Hemmnis auch aus Art. 53 EMRK ergibt, ist fraglich. Nach Art. 53 EMRK dürfen die Verpflichtungen aus der EMRK nicht zu einem Absenken des mitgliedstaatlichen Grundrechtsstandards führen562. Probleme bereitet diese Vorschrift in mehrpoligen Rechtsverhältnissen wie dem hier zu untersuchenden. Denn ein Mehr an Schutz für die eine Seite bedeutet zwangsläufig ein Weniger an Schutz für die andere Seite563. Die Freiheit der Koalitionen kann sich hier nur auf Kosten der Freiheit der Kirchen entfalten und umgekehrt. Würde deshalb jede von der mitgliedstaatlichen Abwägung abweichende Ent560 BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (368) m.w. N. 561 Ähnlich auch Magen, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 41 (53 f.). 562 So auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18 Rn. 22; Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499); Papier, EuGRZ 2006, 1 (3). 563 BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (371) m.w. N.; vgl. ferner Klein, NVwZ 2010, 221 (223); Mückl, Der Staat 44 (2005), 403 (409); Thienel, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 53 Rn. 5 m.w. N.

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§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

scheidung des EGMR in mehrpoligen Rechtsverhältnissen einen Verstoß gegen Art. 53 EMRK darstellen, hätte dieser in mehrpoligen Rechtsverhältnissen gar keinen eigenen Entscheidungsspielraum. Insofern wäre Art. 53 EMRK eine Schranke für die Tätigkeit des EGMR564. Die Vorschrift soll aber lediglich zum Ausdruck bringen, dass die EMRK nur einen Mindeststandard festlegen will565. Deshalb wird teilweise vertreten, dass in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen Art. 53 EMRK nicht weiterführend sei566. Andererseits kann Art. 53 EMRK auch derart ausgelegt werden, dass nicht jede Schlechterstellung durch eine Entscheidung des EGMR im Verhältnis zur mitgliedstaatlichen Rechtslage einen Verstoß gegen den mitgliedstaatlichen Grundrechtsschutzstandard darstellt567. Dies ergibt sich daraus, dass der staatliche Entscheidungsträger bei der Ausgestaltung von Grundrechten und dem Ausgleich widerstreitender Freiheiten einen Entscheidungsspielraum hat, innerhalb dessen er eine Zuordnung treffen kann, ohne dass sie einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff bedeutet. In diesem Sinne wäre eine EGMR-Entscheidung erst dann ein Verstoß gegen den mitgliedstaatlichen Grundrechtsschutz, wenn sie nicht mehr im Korridor der nach mitgliedstaatlicher Rechtslage vertretbaren Abwägungen liegt568. Doch unabhängig davon, ob Art. 53 EMRK gar nicht oder in der die Besonderheiten mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse berücksichtigenden Auslegung angewendet wird, ergibt sich eine Grenze der Befolgungspflicht von Entscheidungen des EGMR, wie bereits angedeutet, aus der Verfassung selbst569. Die Befolgung von EGMR-Urteilen entbindet den staatlichen Entscheidungsträger nicht von der Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 III GG570. Damit ist auch die Rangordnung der Rechtsquellen, insbesondere der Vorrang der Verfassung, zu beachten. Weil die EMRK (in der Auslegung des EGMR) den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat, gehen ihr Verfassungsnormen hierarchisch vor. Im Kollisionsfall ist also das Grundgesetz vorrangig571. Ferner endet die völkerrechtskonforme Auslegung, wenn sie nicht 564 Klein, NVwZ 2010, 221 (223); Thienel, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 53 Rn. 5. 565 Klein, NVwZ 2010, 221 (223). 566 Breuer, NVwZ 2005, 412 (414); Klein, NVwZ 2010, 221 (223); Mückl, Der Staat 44 (2005), 403 (409); Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz, S. 245; Thienel, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 53 Rn. 5. 567 Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499). 568 So etwa Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499); ähnlich auch Grabenwarter, in: HGR IV/2, § 169 Rn. 28. 569 BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326 (371); siehe genauer auch oben § 5 II. 3. d). 570 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (323). 571 So auch Magen, in: Kämper/Puttler, Straßburg und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 41 (53 f.).

II. Eigener Ansatz

287

mehr methodisch vertretbar ist572. Auch wenn es aus Sicht des Völkerrechts bedenklich sein mag, dass die EMRK innerstaatlich nur unter dem Vorbehalt gilt, dass sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt573, ist die Normenhierarchie innerstaatlich wegen Art. 20 III GG zu beachten574. Die Kollision zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht muss aufgrund der Souveränität des Staates auf der Grundlage des Verfassungsrechts erfolgen575. Daraus ergibt sich, dass eine Entscheidung des EGMR, die gegen grundgesetzliche Bestimmungen verstößt, nicht befolgt werden kann. Sofern also eine Entscheidung des EGMR zu einer Minderung des Schutzes aus Art. 9 III GG oder Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III GG führt, wäre das Grundgesetz zwar konventionswidrig, eine konventionsgemäße Rechtslage könnte aber nicht durch Beachtung der Urteile durch die nationalen Gerichte hergestellt werden, sondern nur durch eine Verfassungsänderung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen eine Anrufung des EGMR sinnlos wäre, weil die EMRK sich nie gegen die grundgesetzlichen Positionen durchsetzen könnte. Zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber einen Ausgestaltungsspielraum bei der Zuordnung mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse hat. Sofern eine vom EGMR vorgenommene Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das nicht der Zuordnung entspricht, die der deutsche Gesetzgeber vorgenommen hat, die aber gleichwohl auch vom deutschen Gesetzgeber in vertretbarer Weise hätte vorgenommen werden können, führt dies nicht zu einer Minderung des Grundrechtsschutzes. Damit liegt in den Fällen, in denen die Lösung des EGMR sich im Korridor des nach dem Grundgesetz Vertretbaren befindet, kein Verstoß gegen das Grundgesetz vor576. Daraus ergibt sich Folgendes: Eine Unzulässigkeit von Drittem Weg und Streikausschluss an sich würde das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV erheblich beeinträchtigen. Würde der EGMR demnach ein Streikrecht bei den Kirchen anerkennen, wäre dies ein schwerwiegender Eingriff in die kirchliche Autonomie nach Art. 140 GG i.V. m. 137 III WRV. Der Staat ist verpflichtet, den Kirchen die Möglichkeit zu einem eigenen Weg, fernab von Tarifsystem und Streik offenzuhalten, damit sie die zur Erfüllung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über die Organisation, Normsetzung und Verwaltung ausüben können577. Nur so kann die Glaubwürdigkeit der Kirche sichergestellt 572

Bernhardt, in: FS Steinberger, S. 391 (397). So Wildhaber, EuGRZ 2005, 743 (744). 574 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318). 575 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); OVG Münster, Urt. v. 07.03.2012 – 3d A 317/11.O, NVwZ 2012, 890 (898). 576 Zutreffend Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (499). 577 BVerfG, Beschl. v. 25.03.1980 – 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366 (401); BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165); Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (188). 573

288

§ 6 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Dritten Weg

werden578. Das Vorenthalten eines eigenen Weges wäre nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht zu vereinbaren. Eine derartige Entscheidung wäre also nicht im Korridor der nach dem Grundgesetz vertretbaren Lösungen und könnte nicht unmittelbar beachtet werden. Eine durch den Staat vorzunehmende Differenzierung in Kern- und Randbereich, verbunden mit der Annahme eines geteilten Streikrechts würde die Dienstgemeinschaft spalten und wäre damit ein schwerwiegender Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Das BVerfG hat doch gerade gebilligt, dass Kirchen den Grundsatz der Dienstgemeinschaft als Ordnungsprinzip des gesamten kirchlichen Dienstes zu Grunde legen dürfen579. Dies spricht dafür, dass auch eine derartige Lösung nicht im Korridor der nach dem Grundgesetz vertretbaren Abwägungen wäre. Zudem würde eine solche Entscheidung die Grundpfeiler des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts antasten. Auf diese Weise würde das Selbstbestimmungsrecht zu einem Tendenzschutz verkürzt, das Selbstbestimmungsrecht beruht aber in der Rechtsprechung des BVerfG auf grundlegend anderen Grundfesten580. Wird das Staat-Kirche-Verhältnis angetastet, wären wohl auch die Grundpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung berührt. Derartig weitreichende Änderungen stehen aber nicht zur Disposition der EMRK, sondern müssen von der Verfassung bzw. dem Verfassungsgeber ausgehen, so dass sich auch hier ein Hemmnis zur unmittelbaren Befolgung eines EGMR-Urteils ergäbe581. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Annahme eines Streiks im Rahmen des Dritten Weg, weil die Kirchen einen Streik nicht mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren können und weil ein Streik außerhalb der Tarifautonomie vom Grundgesetz bislang nicht anerkannt worden ist. Sofern der Dritte Weg an sich konventionsrechtlich Bestand hätte, dieser aber nach Ansicht des EGMR durch verstärkte Beteiligung der Gewerkschaften verändert werden müsste, wäre dies wohl erst dann außerhalb des Korridors, wenn durch die Beteiligung der Dritte Weg insgesamt gefährdet wäre. Anderenfalls wäre ein Mehr an gewerkschaftlicher Beteiligung, etwa in Form des vorhin angesprochenen Anhörungsrechtes, vertretbar und demnach „umsetzbar“. Zwingend geboten erscheinen diese Beteiligungsrechte indessen nicht. ff) Ergebnis Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Verdrängung von Tarifsystem und Streikrecht durch den Dritten Weg konventionsrechtlich im Korridor der ver578

Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (188). BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 580 Vgl. hierzu Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (96 f.); Thüsing, in: FS Rüfner, S. 901 (905 f.). 581 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (319); siehe hierzu auch § 5 II. 3. d). 579

II. Eigener Ansatz

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tretbaren Ergebnisse liegt. Sofern der EGMR dennoch Modifikationen im Rahmen des Dritten Wegs hinsichtlich einer stärkeren Beteiligung der Gewerkschaften verlangen würde, wäre dies grundgesetzlich möglich, solange dies den Dritten Weg nicht gefährdet. Verfassungsrechtlich zulässig wäre insbesondere ein gewerkschaftliches Anhörungsrecht, das allerdings nicht zwingend geboten erscheint. Weitergehende Modifikationen oder die Gewährung eines Streikrechts wären jedenfalls mit Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV und gegebenenfalls auch mit Art. 53 EMRK in der soeben dargelegten Lesart unvereinbar. Dies könnte innerstaatlich nicht ohne eine Grundgesetzänderung befolgt werden. 5. Ergebnis zum Streikausschluss im Dritten Weg Die Kirchen können in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts Streiks ausschließen und den sogenannten Dritten Weg beschreiten. Dieser ersetzt Tarifautonomie und Arbeitskampf. Der Dritte Weg ist mit der Koalitionsfreiheit vereinbar, wenn paritätisch mit unabhängigen Dienstnehmervertretern und Dienstgebervertretern besetzte Kommissionen die kollektiven Arbeitsbedingungen aushandeln. Sofern eine Einigung nicht zustande kommt, muss ein Mechanismus die Pattsituation auflösen. Dies kann durch eine verbindliche Schlichtung geschehen. Ferner muss sichergestellt sein, dass der Dritte Weg funktioniert und die Ergebnisse verbindlich sind. Eine indirekte Gewerkschaftsbeteiligung ist ausreichend. Auch konventionsrechtlich ist der Dritte Weg nicht zu beanstanden und liegt im Korridor der vertretbaren Abwägungslösungen. Weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten der Gewerkschaften, etwa ein Anhörungsrecht, sind konventionsrechtlich nicht zwingend geboten, könnten aber umgesetzt werden.

§ 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg Nachdem nunmehr die Zulässigkeit des Streikausschlusses im Rahmen des Dritten Weges bejaht worden ist, muss nun die Beurteilung der Frage nach der Zulässigkeit des Streikverbotes im Zweiten Weg erfolgen.

I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges Unter dem Zweiten Weg ist die Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu verstehen. Dass dieser Regelungsmodus problematisch in Bezug auf das Selbstverständnis der Kirchen ist, wurde bereits erörtert. Eingedenk dieser Schwierigkeiten ist es nicht verwunderlich, dass die Kirchen normalerweise ihre Arbeitsbedingungen nicht auf dem Zweiten Weg regeln. Zwei evangelische Landeskirchen sehen gleichwohl eine Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge vor, weil sie das Tarifvertragssystem im Grundsatz für mit ihrem Selbstverständnis vereinbar halten. Dennoch ist auch der Dienst in diesen Kirchen an dem Grundsatz der Dienstgemeinschaft ausgerichtet1. Deshalb wird auch das weltliche Tarifvertragssystem nicht in Reinform angewendet2. Vielmehr wurden beachtliche Modifikationen vorgenommen, die einer kirchengemäßen Anpassung dienen. Offensichtliche Merkmale des kirchlichen Zweiten Wegs sind ein Streikausschluss einerseits und eine verbindliche Schlichtung bei Regelungsstreitigkeiten andererseits. Für einen derartigen Zweiten Weg hat sich die ehemalige Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche entschieden. Diese hat am 27. Mai 2012 mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg und der Pommerschen Evangelischen Kirche zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) fusioniert3. Die Überleitungsbestimmungen des Einführungsgesetzes zur Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland4 se1 Siehe etwa § 1 ARRG der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/173/ orga_id/EKBO/search/arrg; abgerufen am 05.08.2014; ferner die Präambel zum Grundlagentarifvertrag der Nordelbischen Kirche, abrufbar unter http://www.vkda-nord elbien.de/fix/files/doc/TVGrundlagen.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 2 So auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 13. 3 http://www.nordkirche.de/nordkirche.html; abgerufen am 05.08.2014; siehe auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (439). 4 Abrufbar unter http://www.kirche-im-norden.de/fileadmin/Download/Einfuehrungs gesetz_BeschlussVerfassunggebSynode.pdf; abgerufen am 05.08.2014.

I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges

291

hen in § 56 I vor, dass die in den ehemaligen Landeskirchen bisher angewendeten Verfahren zur Arbeitsrechtssetzung bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Arbeitsrechtsregelungsgesetzes fortgelten. Dies bedeutet für den Bereich der ehemaligen Nordelbischen Kirche nach § 56 II des Einführungsgesetzes, dass die Arbeitsrechtssetzung weiterhin auf der Grundlage der Regelungen des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes und des Grundlagentarifvertrags erfolgt. Auch gelten gemäß vorgenannter Vorschrift die abgeschlossenen Tarifverträge fort. Für die diakonischen Einrichtungen gelten nach § 56 VI des Einführungsgesetzes ebenfalls die zum Zeitpunkt der Fusion bestehenden Regelungen hinsichtlich der Arbeitsrechtssetzung weiter. Erst für 2018 ist gemäß § 56 IV des Einführungsgesetzes eine Vereinheitlichung der Arbeitsrechtssetzung vorgesehen. Wie diese inhaltlich ausgestaltet werden soll, ist derzeit nicht absehbar5. Insoweit sind die Regelungen der ehemaligen Nordelbischen Kirche zum Zweiten Weg noch immer maßgeblich. Auch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz nimmt eine Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen anhand des Zweiten Weges vor. Beide Modelle unterscheiden sich in ihrer konkreten Ausformung partiell. 1. Der Zweite Weg der Nordelbischen Kirche Die Ausgestaltung des Zweiten Weges ist durch das Arbeitsrechtsregelungsgesetz (ARRG-NEK), das ein Kirchengesetz darstellt, sowie durch Grundlagenvereinbarungen normiert. § 1 S. 1 ARRG-NEK6 bestimmt, dass die Arbeitsbedingungen der arbeitsvertraglich beschäftigten Mitarbeiter der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, ihrer Kirchenkreise, Kirchengemeinden und deren Verbände einschließlich ihrer rechtlich unselbstständigen Dienste, Werke und Einrichtungen durch Tarifverträge, die zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien (VKDA-NEK) und den Gewerkschaften geschlossen werden, zu regeln sind. Damit ist arbeitgeberseitig nur der VKDA-NEK als Tarifvertragspartei tarifzuständig und es wird verhindert, dass weitere tarifzuständige Arbeitgeberverbände innerhalb der Nordelbischen Kirche entstehen können7. Der VKDA-NEK verhandelt ferner nur über einen Tarifvertrag unter Beteiligung aller Gewerkschaften8. Es sollen also keine Tarifverträge unterschiedlichen Inhalts mit einzelnen Gewerkschaften parallel in Kraft gesetzt 5 Jessen, Nordelbische Stimmen Februar 2012, 28 (28 f.); abrufbar unter http:// www.kda-nordelbien.de/phoca-sef/phoca-cat-wirtschaftsethik.html?download=899%3An est_jessen; abgerufen am 05.08.2014. 6 Abrufbar unter http://www.kirchenrecht-nordkirche.de/showdocument/id/26716; abgerufen am 05.08.2014. 7 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 183; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 15. 8 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 17; Schubert, RdA 2011, 270 (271); Strake, Streikrecht, S. 74.

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§ 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg

werden9. Angestrebtes Ziel ist insoweit der Abschluss eines einheitlichen Flächentarifvertrags unter Einbeziehung aller Tarifpartner10. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von abgeschlossenen Tarifverträgen auf die Beschäftigtenverhältnisse ist nach § 1 S. 2 ARRG allerdings, dass die betreffenden Kirchenkreise, Gemeinden, deren Verbände oder Einrichtungen selbst Mitglied im Arbeitgeberverband VKDA-NEK sind. Damit können die Anstellungsträger formell zwar für oder gegen eine Regelung der Arbeitsbedingungen durch die vom Arbeitgeberverband mit den Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge optieren. Mithin könnten die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber demnach Regelungen auf dem Dritten Weg treffen. Allerdings müssen die Tarifverträge auch von nicht tarifgebundenen Anstellungsträgern angewendet werden, wenn die Kirchenleitung die Verträge nach § 3 II ARRG für allgemeinverbindlich erklärt. Die bereits bestehenden Tarifverträge sind nach § 56 II des Einführungsgesetzes zur Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland allgemeinverbindlich. Weiterhin wird ein Differenzierungsverbot normiert, nach dem die Tarifverträge gemäß § 2 ARRG auf alle Beschäftigten, unabhängig von einer individuellen Gewerkschaftsmitgliedschaft, anzuwenden sind. Auch dürfen Anstellungsträger mit oder ohne Tarifbindung nach § 3 I ARRG keine allgemein geltenden Arbeitsbedingungen anwenden, die für die Dienstnehmer günstiger als die tarifvertraglich geregelten Bedingungen sind. Aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit des VKDA-NEK auf Arbeitgeberseite, der Möglichkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung und der Beschränkungen im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Abweichens vom Tarifvertrag gewährleisten die Regelungen des ARRG-NEK insgesamt einen weitgehenden Gleichlauf aller kollektiven Arbeitsbedingungen im Bereich der Nordelbischen Kirche. Diese erwünschte Einheitlichkeit hat ihren Grund in der Konzeption der Dienstgemeinschaft11. Auf der Grundlage der Regelungen des ARRG-NEK zum Zweiten Weg wurden mit den zuständigen Gewerkschaften ein Grundlagentarifvertrag, eine Schlichtungsvereinbarung und eine Vereinbarung über Regelungen in finanziellen Notlagen geschlossen. Diese Vereinbarungen beinhalten keine inhaltlichen Regelungen zu den Beschäftigungsbedingungen, vielmehr stellen sie ein „Verfahrensgerüst“ für den Zweiten Weg bereit12. Insoweit müssen auf diese grundlegenden Vereinbarungen erst noch Tarifverträge folgen, die die Arbeitsbedingungen inhaltlich bestimmen13. 9

So auch Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 17. Schubert, RdA 2011, 270 (271); Strake, Streikrecht, S. 74. 11 So auch Schubert, RdA 2011, 270 (271). 12 Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 15; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 11; Schubert, RdA 2011, 270 (271). 13 Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 15. 10

I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges

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In dem Grundlagentarifvertrag, dem „Tarifvertrag zur Regelung der Grundlagen einer kirchengemäßen Tarifpartnerschaft“ 14, ist in § 1 eine absolute Friedenspflicht vereinbart worden. Dieser Tarifvertrag hat nach § 2 II eine Laufzeit von fünf Jahren, die sich immer um weitere fünf Jahre verlängert, sofern der Vertrag nicht gekündigt wird. Die getroffene Schlichtungsvereinbarung15 regelt das Verfahren zur Lösung von Konflikten in Tarifverhandlungen. Für den Fall, dass im Wege von Tarifverhandlungen keine Einigung erzielt wird oder eine Seite Verhandlungen ablehnt, ist gemäß § 1 II ein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Die hierfür zuständige Kommission besteht nach § 2 I aus einem neutralen Vorsitzenden und ist im Übrigen paritätisch besetzt. Sofern eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht erreicht werden kann, bestimmt ihn gemäß § 3 II der Präsident des Landgerichts in Kiel. Das Schlichtungsverfahren ist zweistufig. Auf der ersten Stufe kann der Schlichterspruch von den Tarifparteien nach §§ 6, 7 angefochten werden. Dann haben die Tarifparteien die Möglichkeit, zu einer Einigung zu gelangen. Einigen sie sich nicht, findet erneut eine Schlichtung statt. Auf dieser zweiten Stufe hat der Schlichterspruch nach § 8 III in jedem Falle die materielle Wirkung eines Tarifvertrags und ist damit verbindlich16. Kommt die für diesen Schlichterspruch erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande, bleibt es bei dem Schlichterspruch der ersten Stufe, der dann verbindlich wird17. Von der Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht und eines verbindlichen Schlichtungsverfahrens macht der VDKA-NEK den Eintritt in Tarifverhandlungen mit der betreffenden Gewerkschaft abhängig. Auch werden im Falle einer Kündigung des Grundlagentarifvertrags nach dessen § 2 II 3 alle anderen bereits getroffenen Vereinbarungen ungültig. Damit ist der Grundlagentarifvertrag „Geschäftsgrundlage für das gesamte Tarifvertragssystem“ 18. Auf dieser Grundlage sind aktuell geltende Tarifverträge abgeschlossen worden, und zwar ein Tarifvertrag für die Beschäftigten der verfassten Kirche19 sowie ein eigenständiger Tarifvertrag für die Mitarbeiter der diakonischen Einrichtungen20.

14 Abrufbar unter http://www.vkda-nordelbien.de/fix/files/doc/TVGrundlagen.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 15 Abrufbar unter http://www.vkda-nordelbien.de/fix/files/doc/Schlichtungsvereinba rung.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 16 Zutreffend Strake, Streikrecht, S. 75. 17 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444 f.). 18 Rothländer, RdA 1980, 260 (261). 19 Kirchlicher Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag (KAT), abrufbar unter http://www. vkda-nordkirche.de/fix/files/vkdakat/01.%20%20%20KAT%2008.08.2013%20incl.%2 0%C4TV%207.pdf; abgerufen am 05.08.2014. 20 Kirchlicher Tarifvertrag Diakonie (KTD) abrufbar unter http://www.vkda-nordkir che.de/fix/files/vkdaktd/01.%20%20KTD%2018.09.13%20%C4TV%2011.pdf; abgerufen am 05.08.2014.

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§ 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg

In der ehemaligen Nordelbischen Kirche ergibt sich also der Streikausschluss aus dem Grundlagentarifvertrag. Sofern in Verhandlungen über einen Tarifvertrag hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen keine Einigung erzielt werden kann, gilt aufgrund der im Grundlagentarifvertrag normierten absoluten Friedenspflicht ein Streikverbot. Die Regelungsstreitigkeit wird dann – wie im Dritten Weg auch – mittels eines Schlichtungsverfahrens gelöst. 2. Der Zweite Weg der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz regelt in Art. 70 II ihrer Grundordnung (GO)21, dass die Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern durch Tarifvertrag geregelt werden können, soweit dies durch Kirchengesetz vorgesehen wird. Dabei muss gesichert sein, dass das Selbstverständnis der Kirche gewährt bleibt, Arbeitskämpfe ausgeschlossen sind und Notlagenvereinbarungen getroffen werden. Das auf dieser Grundlage erlassene Arbeitsrechtsregelungsgesetz (ARRG)22 nimmt in § 1 Bezug auf den Grundsatz der Dienstgemeinschaft, nach dem jede Mitarbeit im kirchlichen Dienst zugleich Vollzug des Glaubens ist und verdeutlicht, dass dies eine partnerschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit voraussetzt. Deswegen schließt § 1 S. 3 ARRG Arbeitskampfmaßnahmen ausdrücklich aus. Damit ergibt sich das Streikverbot in der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz, anders als in der ehemals Nordelbischen Kirche zunächst aus einem Kirchengesetz. § 3 I 1 ARRG sieht vor, dass die Arbeitsbedingungen von Angestellten mit der Ausnahme der angestellten Geistlichen im Sinne des § 3 I 3 ARRG im Wege eines Tarifvertrages geregelt werden können. Der Arbeitgebervertreter ist nach § 3 II 1 ARRG kein Verband; die Tarifverträge werden auf Arbeitgeberseite durch die Kirchenleitung geschlossen. Auf Grundlage des § 3 I 1 ARRG ist zwischen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und den zuständigen Gewerkschaften ein einheitlicher Tarifvertrag (TV-EKBO)23 für die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Beschäftigten geschlossen worden. Auch ist mit dem Abschluss des Tarifvertrages eine Schlichtungsvereinbarung (SV TVEKBO)24 zwischen der Kirche und den Gewerkschaften getroffen worden. Nach 21 Abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/361#s100001 16; abgerufen am 05.08.2014. 22 Abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/173/orga_id/ EKBO/search/arrg; abgerufen am 05.08.2014. 23 TV-EKBO, abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/64 01; abgerufen am 05.08.2014. 24 Schlichtungsvereinbarung vom 09.07.2008, abrufbar unter http://www.kirchen recht-ekbo.de/showdocument/id/6591; abgerufen am 05.08.2014.

I. Begriff und Ausgestaltung des Zweiten Weges

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§ 1 II der Schlichtungsvereinbarung findet eine Schlichtung statt, wenn die Tarifparteien in Verhandlungen nicht zu einer Einigung gelangen oder eine Tarifpartei den Eintritt in Verhandlungen verweigert. Die Schlichtungskommission ist nach § 2 I SV TV-EKBO paritätisch besetzt und besteht zusätzlich aus einem neutralen Vorsitzenden. Dieser wird gemeinsam bestimmt. Kommt über die Person des Vorsitzenden keine Einigung zustande, bestimmen nach § 3 III 3 der Präsident des LAG Berlin Brandenburg und der Vorsitzende des Verwaltungsgerichts der EKBO gemeinsam den Vorsitzenden. Die Schlichtungsstelle entscheidet gemäß § 6 I der Schlichtungsvereinbarung mit Stimmenmehrheit. Auch dieses Schlichtungsverfahren ist wie dasjenige der Nordelbischen Kirche zweistufig. Der Schlichterspruch kann zunächst von den Tarifparteien angefochten werden. Die Parteien haben dann die Möglichkeit, selbst eine Einigung herbeiführen. Gelingt dies nicht, tritt die zweite Stufe des Schlichtungsverfahrens ein. Auf der zweiten Stufe ist das Schlichtungsergebnis nach § 8 I 2 SV TV-EKBO endgültig und hat nach Absatz 3 die materielle Wirkung eines Tarifvertrages. Allerdings ist die Kirchenleitung kirchengesetzlich nicht verpflichtet, die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten durch Tarifverträge zu regeln. Die Arbeitsbedingungen der kirchlichen Angestellten können auf Beschluss der Kirchenleitung gemäß § 4 ARRG in einer gemeinsamen Arbeitsrechtlichen Kommission mit dem Diakonischen Werk im Rahmen des Dritten Weges geregelt werden. Sofern weder ein Tarifvertrag noch eine Arbeitsrechtsregelung nach dem Dritten Weg erfolgt ist, kann die Kirchenleitung nach § 5 ARRG durch Verordnung die Beschäftigungsbedingungen bestimmen. Für Beschäftigte der Diakonie gilt ausschließlich das Beteiligungsverfahren des Dritten Wegs nach §§ 6–10 ARRG. Für diese Beschäftigten kann also im Gegensatz zu den Beschäftigten der Kirche nicht zwischen Zweitem und Drittem Weg optiert werden. Der Dritte Weg sieht für den Fall, dass in der Kommission keine Einigung zustande kommt, ein Schlichtungsverfahren gemäß § 10 ARRG und § 16 III, VII ARRO DWBO25 vor, bei dem der Schlichtungsausschuss mit Stimmenmehrheit bindend entscheidet. 3. Die Regelungen des ARGG-EKD zum Zweiten Weg Das ARGG-EKD bestimmt im vierten Abschnitt einen allgemeinen Rahmen für einen kirchengemäßen Zweiten Weg. Gemäß § 13 I ARGG-EKD können kirchliche Anstellungsträger die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter durch Tarifverträge regeln. Die Vorschrift stellt allerdings klar, dass auch in diesem Falle die in §§ 2–5 ARGG-EKD geregelten Grundsätze gelten. Damit ist insbesondere das in § 3 ARRG-EKD niedergelegte Arbeitskampfverbot zu beachten. Wie auch 25 Abrufbar unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/171/search/ schlichtungsausschuss/exact/#s38800029; abgerufen am 05.08.2014.

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§ 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg

bei der Nordelbischen Kirche setzt der Abschluss von Tarifverträgen voraus, dass die Tarifpartner zuvor eine uneingeschränkte Friedenspflicht vereinbart haben. Dies ergibt sich aus § 13 II ARGG-EKD. Den Mechanismus zur Lösung von Konflikten in den Tarifverhandlungen bestimmt § 14 ARGG-EKD. Sofern die Tarifpartner keine Einigung in den Tarifverhandlungen erzielen können, kann gemäß § 14 I ARGG-EKD jeder von ihnen die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verlangen. Die Einzelheiten dieses Schlichtungsverfahrens müssen durch Vereinbarung der Tarifpartner geregelt werden. Dabei sind allerdings die für den Dritten Weg aufgestellten Grundsätze des § 10 ARGG-EKD entsprechend zu beachten. Hiernach muss insbesondere die Schlichtungskommission paritätisch besetzt sein und zusätzlich aus einem neutralen Vorsitzenden bestehen. Diese Kommission entscheidet mit Stimmenmehrheit. Gemäß § 14 II ARGGEKD müssen die abschließenden Entscheidungen der Schlichtungskommission verbindlich sein und die Wirkung von Tarifverträgen haben. Zu untersuchen ist nunmehr, ob sich aus den Modellen zum Zweiten Weg ein vollständiger Streikausschluss rechtlich begründen lässt.

II. Rechtliche Beurteilung 1. Übernahme des Tarifvertragssystems? Bereits festgestellt worden ist, dass Arbeitskampfmittel nur zulässig sind, soweit sie als Hilfsinstrument für die Tarifautonomie eingesetzt werden. Sie sind nur ein Mittel, um den Abschluss eines Tarifvertrags zu erreichen. Die Regelungen des Zweiten Weges werden als Tarifverträge bezeichnet. Dies könnte zur Folge haben, dass diese Regelungen auch materiell als Tarifverträge anzusehen sind. Dann würde im Grundsatz auch das Arbeitskampfrecht als Annex gelten und es müsste untersucht werden, ob die Kirchen berechtigt sind, den Arbeitskampf auszuschließen. Zuvor muss allerdings geprüft werden, ob der Zweite Weg der Kirchen tatsächlich ein Verfahren ist, mit dem die Tarifautonomie verwirklicht wird. Sofern die Regelungen materiell nicht als Tarifverträge einzuordnen wären, fehlte es hier von vornherein an dem Funktionszusammenhang von Tarifautonomie und Arbeitskampf, so dass Arbeitskämpfe an sich unzulässig wären, um auf diesem Zweiten Weg Regelungen zu erkämpfen26. a) Abweichungen des Zweiten Wegs vom staatlichen Tarifvertragssystem Angesichts der Ausgestaltung des kirchlichen Zweiten Weges wird teilweise bestritten, dass die Tarifabschlüsse der Nordelbischen Kirche bzw. der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Tarifwerke im Sinne 26

So auch Schubert, RdA 2011, 270 (274).

II. Rechtliche Beurteilung

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des TVG sind27. Zutreffend wird hierbei herausgestellt, dass das Verfahren der Kirchen in seinen Grundlagen vom TVG abweicht28. Die in diesem Zusammenhang erlassenen Regelungen zum Zweiten Weg zielen auf einheitliche Bedingungen für alle Beschäftigten ab29: Einerseits wird zu diesem Zweck der Koalitionspluralismus eingeschränkt30. Nach § 3 ARRG der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist ausschließlich die Kirchenleitung als einheitlicher Arbeitgebervertreter tarifzuständig. Für die Nordelbische Kirche liegt die Zuständigkeit für die Arbeitgeber nach § 1 ARRG-NEK allein beim VDKA-NEK. Auch soll nur ein einheitlicher Tarifvertrag unter Beteiligung aller tarifzuständigen Gewerkschaften abgeschlossen werden. Damit kann es von vornherein nicht zur Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität kommen, die aber in der Koalitionsfreiheit gerade angelegt sind31. Eine weitergehende Einheitlichkeit der Beschäftigungsbedingungen stellt bei der Nordelbischen Kirche andererseits die Möglichkeit sicher, den Tarifvertrag nach § 3 III ARRG-NEK für allgemeinverbindlich zu erklären und dessen Geltung somit auch auf nicht tarifgebundene Anstellungsträger zu erstrecken. Diese Regelung ist für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz letztlich obsolet, weil die Kirchenleitung die Tarifverträge nach §§ 3 I, 2 I ARRG für alle kirchlichen Anstellungsträger der Landeskirche schließt und somit ohnehin eine umfassende Tarifbindung besteht. Dem Ziel größtmöglicher Einheitlichkeit dient auch eine Abweichung vom in § 4 I TVG normierten Günstigkeitsprinzip32. Dieses sieht vor, dass die Tarifverträge nur Mindestbedingungen normieren sollen33. § 3 I ARRG-NEK schließt aber aus, dass bei den einzelnen Anstellungsträgern günstigere Bedingungen vereinbart werden, als sie im Tarifvertrag festgelegt sind. Schließlich wird von dem Grundsatz, dass nach §§ 3 I, 4 I TVG nur die tarifgebundenen Parteien an die Inhalte des Tarifvertrags normativ gebunden sind, kirchengesetzlich abgewichen. § 2 I ARRG-NEK normiert ein Differenzierungsverbot. Die Norm schreibt vor, dass die Tarifverträge auf alle 27 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 193; Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 21. 28 Monographisch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 180–197; zustimmend Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17); ferner Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 13–21; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 146. 29 So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 183; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 22; Schubert, RdA 2011, 270 (271). 30 Zum Ganzen Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 182–186; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 146. 31 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 182 f.; vgl. allgemein auch BAG, Beschl. v. 27.1.2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645 (654). 32 So auch Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 146. 33 Löwisch/Rieble, TVG, Grundl. Rn. 19.

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Beschäftigten unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit anzuwenden sind, und führt damit faktisch zu einer Ausweitung der Tarifgebundenheit34. Angesichts dieser erheblichen Abweichungen vom TVG wird teilweise vertreten, dass die kirchlichen Tarifabschlüsse materiell keine Tarifverträge im Sinne des TVG seien35. Der Modus der Regelungsfindung weiche so weit von den staatlichen Regelungen des Tarifvertragssystems ab, dass die kirchlichen Regelungen nicht im Wege der Tarifautonomie erfolgten36. Vielmehr stelle der Zweite Weg der Kirchen ein eigenständiges kirchenspezifisches Betätigungsmodell dar37. Der kirchliche Zweite Weg sei eine Variante des Dritten Weges38. b) Gründe, die für eine Einordnung der Regelungswerke als Tarifverträge sprechen In der Tat ist zu konstatieren, dass die Kirchen beachtliche Modifikationen der staatlichen Regelungen vorgenommen haben, um das Tarifsystem kirchengemäß anzupassen. In wichtigen Bereichen wie der Ausschließlichkeit des Vertretungsanspruches des VDKA-NEK, dem Günstigkeitsprinzip, der Herstellung einer Tarifeinheit oder dem Differenzierungsverbot weichen die kirchlichen Regelungen des Zweiten Wegs vom staatlichen Tarifvertragssystem, so wie es das TVG konkretisiert, signifikant ab39. Ebenso ist der Konfliktlösungsmechanismus vollkommen anders und ist mit dem des Dritten Weges identisch. Das „normale“, weltliche Tarifsystem passt nicht zu den kirchlichen Erfordernissen an die Ausgestaltung eines Beteiligungsmodells und wäre keine Alternative zum Dritten Weg. Durch diese Modifikationen bleibt vom Tarifsystem im Sinne des TVG auf den Ersten Blick tatsächlich nicht mehr viel übrig. Dennoch sprechen gute Gründe dafür, die kirchlichen Regelungen, die im Verfahrenswege des Zweiten Wegs entstanden sind, als Tarifverträge anzusehen. Zunächst ist zu beachten, dass das TVG zwar die in Art. 9 III GG angelegte Tarifautonomie näher ausgestaltet, es aber keineswegs die einzig mögliche Konkretisierung der Tarifautonomie darstellt40. Das BVerfG geht zutreffend davon aus, dass die Tarifautonomie nur allgemein, keinesfalls jedoch in ihrer konkreten Aus34

Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 187. Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 193; Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17); Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 184; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 21. 36 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 193; Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17). 37 Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 193; Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 184; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 21. 38 Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17 f.). 39 So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 197; zustimmend Grethlein, ZevKR 37 (1992), 1 (17); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 13–21. 40 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 2 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317). 35

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gestaltung durch Art. 9 III GG geschützt ist41. Damit können die kirchlichen Regelungen, die das staatliche Recht kirchengemäß anpassen, im Grundsatz durchaus als eine Ausgestaltung der Tarifautonomie für den Bereich der eigenen Zuständigkeit angesehen werden. Wie bereits festgestellt wurde, gibt das Selbstbestimmungsrecht den Kirchen im Grundsatz die Befugnis, eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit als eigene Angelegenheit vorzunehmen42. Ferner setzen die kirchlichen Modifikationen Teile des staatlichen Tarifrechts voraus und beziehen sich auf diese43. So sind Abschluss, Beendigung und Inhalt von Tarifverträgen nicht eigenständig geregelt. In dieser Hinsicht setzen die kirchlichen Regelungen das TVG sogar voraus44. Ebendies gilt auch für den Gewerkschaftsbegriff und die normative Wirkung der kirchlichen Tarifverträge45. Der Zweck der kirchlichen Regelungen, die vom TVG abweichen, besteht damit darin, durch die Herstellung von weitestgehend einheitlichen Beschäftigungsbedingungen das staatliche Tarifvertragsrecht so zu modifizieren, dass es den Eigenheiten des kirchlichen Dienstes gerecht wird. Damit stehen die kirchlichen Regelungen aber nicht grundsätzlich außerhalb des staatlichen Tarifsystems, sondern passen es nur an. Ein Weiteres kommt hinzu. Auch nach dem äußeren Anschein handelt es sich um Tarifverträge im Sinne des TVG und nicht um kirchliche Tarifverträge sui generis: Die den Zweiten Weg verfolgenden Kirchen haben sich ausdrücklich für eine Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge entschieden46. Insofern ist nicht davon auszugehen, dass hier ein kircheneigenes Regelungssystem Anwendung finden sollte, sondern im Grundsatz das Tarifvertragssystem. Auch sind die hier handelnden Tarifparteien tariffähig. Diese haben Tarifverträge abgeschlossen, die inhaltlich insgesamt durchaus im Rahmen dessen liegen, was üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt wird. Insbesondere ist die Vereinbarung einer Friedenspflicht nicht so ungewöhnlich, dass sie abseits des Tarifsystems einzuordnen ist, wenngleich die absolute Friedenspflicht weiter geht als dies allgemein üblich ist47. Die eigentlichen tarifvertraglichen Regelungen beinhalten ferner Bestimmungen wie gewöhnliche Tarifverträge, also solche im Sinne des § 1 TVG. Es geht in kirchlichen wie weltlichen Tarifverträgen um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen.

41

BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 2 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312 (317). § 6 II. 3. a). 43 So auch Schubert, RdA 2011, 270 (274). 44 Zutreffend Schubert, RdA 2011, 270 (274). 45 So mit Recht Schubert, RdA 2011, 270 (274). 46 So § 2 I S. 2 der Satzung des VDKA-NEK, abrufbar unter http://www.vkda-nord elbien.de/fix/files/kg.0000000000/Neufassung%20Satzung%20nach%20MV%202012. pdf; abgerufen am 05.08.2014; hierzu auch Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Zweiter Weg, Rn. 9; so auch Strake, Streikrecht, S. 81. 47 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Zweiter Weg, Rn. 9; Reim/Ahrend, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 1224. 42

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Auch bleibt die Zielrichtung des Tarifsystems durch die kirchlichen Modifikationen unangetastet. Es geht bei der Tarifautonomie darum, durch eine annähernd gleiche Verhandlungsstärke „richtige“ Arbeitsbedingungen auszuhandeln48. Dies ist gleichfalls im kirchlichen Zweiten Weg das Ziel. Auch wenn hier die Tarifkonflikte anders ausgetragen werden als im weltlichen Tarifsystem, stellt die verbindliche Schlichtung unter Vorsitz einer neutralen Person sicher, dass keine Seite ein Übergewicht erlangt49. Dies alles spricht dafür, dass die Verträge zwischen der Kirche bzw. dem VDKA-NEK und den Gewerkschaften auch tatsächlich „echte“ Tarifverträge darstellen. Damit erscheint eine Deutung des kirchlichen Zweiten Weges als innerhalb der Tarifautonomie liegend vorzugswürdig. Insofern sind die kirchlichen Tarifverträge auch Tarifverträge im Sinne des staatlichen Rechts. Verbunden hiermit besteht grundsätzlich der Funktionszusammenhang von Tarifsystem und Arbeitskampf. Gleichwohl haben die Kirchen Regelungen zu einem Ausschluss des Streiks getroffen, die im Folgenden hinsichtlich Zulässigkeit und Rechtsfolgen zu untersuchen sind. 2. Vereinbarung des Streikausschlusses Der Streikausschluss der Evangelischen Kirche-Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ergibt sich aus einem Kirchengesetz. Inwieweit dies zulässig ist, wird im Folgenden zu untersuchen sein. Zuvor soll jedoch die Besonderheit der ehemals Nordelbischen Kirche thematisiert werden. Hier ergibt sich ein Streikausschluss zunächst ausdrücklich aus dem Grundlagentarifvertrag, der eine absolute Friedenspflicht vorsieht. Insofern wird hier ein umfänglicher Streikausschluss tarifvertraglich vereinbart. Gleichfalls setzt § 13 II ARGG-EKD die Vereinbarung einer uneingeschränkten Friedenspflicht voraus. Fraglich ist allerdings, ob und inwieweit ein vereinbarter Verzicht auf Arbeitskampfmaßnahmen überhaupt zulässig ist. a) Zulässigkeit einer Vereinbarung über die Friedenspflicht Die Vereinbarung einer Friedenspflicht scheitert nicht schon an Art. 9 III 2 GG. Diese Vorschrift ordnet an, dass Abreden, die die Koalitionsfreiheit behindern oder einschränken sollen nichtig und hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig sind. Diese Drittwirkung bietet umfassenden Schutz der Koalitionsfreiheit auch auf horizontaler Ebene. Zwar ist hiernach jedes rechtlich relevante Handeln, das objektiv eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit hervorruft oder subjektiv eine solche herbeiführen soll, unzulässig50. Auch ist festzustellen, dass die Ver48 49 50

Dazu allgemein Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 246 m.w. N. Vgl. Müller, RdA 1979, 71 (78). Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 333.

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einbarung einer Friedenspflicht durchaus eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit darstellt, weil die Koalitionen auf einen Teil ihrer Betätigung verzichten. Dennoch ist die Vereinbarung einer über die ohnehin dem Tarifvertrag immanente relative Friedenspflicht hinausgehende Friedenspflicht nach richtiger Auffassung kein Anwendungsfall des Art. 9 III 2 GG51. Zwar beeinträchtigt eine Friedenspflicht zugleich die Koalitionsbetätigungsfreiheit 52. Gleichwohl ist diese Beeinträchtigung nicht nach Satz 2 unzulässig. Das ergibt sich daraus, dass die Vereinbarung einer Friedenspflicht zu den koalitionsspezifischen Verhaltensweisen gehört und damit dem Schutz des Art. 9 III 1 GG unterfällt. Es wäre widersprüchlich, wenn Art. 9 III 1 GG Verhaltensweisen im Rahmen der Koalitionsfreiheit schützen würde, diese Betätigungen aber zugleich nach Satz 2 wegen einer beeinträchtigenden Wirkung generell unzulässig wären53. Eine derartige Auslegung des Behinderungsverbotes würde im Übrigen zu einem weitreichenden Verbot koalitionsspezifischer Verhaltensweisen und damit zu einer erheblichen Einschränkung der kollektiven Koalitionsfreiheit führen. Ein Streik ist beispielsweise notwendigerweise darauf gerichtet, den sozialen Gegenspieler zu einem Tarifabschluss zu veranlassen, den er gar nicht will54. Damit ist der Streik aber zugleich eine Maßnahme, die die Koalitionsfreiheit des sozialen Gegenspielers einschränkt, die bei einer Anwendbarkeit des Satzes 2 grundsätzlich rechtswidrig wäre. Auch wären interne Regelungen der Koalitionen, die die Freiheit der Mitglieder beeinträchtigen wie z. B. ein Verbot der Doppelmitgliedschaft oder die Vereinbarung von Kündigungsfristen bei der Kündigung der Koalitionsmitgliedschaft, nach Art. 9 III 2 GG rechtswidrig55. Dies kann ersichtlich kein sinnvolles Ergebnis der Auslegung des Behinderungsverbotes sein. Um diese Widersprüchlichkeit zu vermeiden, darf das Behinderungsverbot aus Satz 2 nicht gegen die Betätigungsfreiheit nach Satz 1 „ausgespielt werden“ 56. Soweit also der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit gerade Freiheiten gewährt, 51 BAG, Urt. v. 31.10.1958 – 1 AZR 632/57, BAGE 6, 321 (358 f.); Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2098; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125 b; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (268 f.); Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 185 f.; anders Lenz, in: Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Rn. 11, hiernach sei die Vereinbarung einer Friedenspflicht nur ausnahmsweise zulässig; ähnlich auch Hamann, Gewerkschaften und Sozialstaatsprinzip, S. 69; Ridder, Gewerkschaften, S. 36 f. 52 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 185. 53 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2098; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125 a; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (272); Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 9 Rn. 185; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn.10; vgl. auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 333 in Fn. 3: „logisch evidenter Fehlschluss“. 54 Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (269); so auch Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 4. Auflage 1999, Art. 9 Rn. 281. 55 Dietz, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/1, S. 417 (450); Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 185. 56 So Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Auflage 1999, Art. 9 Rn. 281; zustimmend Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (269).

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wie etwa das Recht zum Abschluss von Verträgen mit dem sozialen Gegenspieler, oder garantiert, dass die Koalitionen interne Regelungen treffen können, die die Koalitionsfreiheit des Einzelnen beschränken, erklärt Satz 2 die Ausübung dieser Freiheit gerade nicht für unzulässig57. Die Ausübung einer grundrechtlichen Freiheit kann nicht grundsätzlich rechtswidrig sein58. Dies ergibt sich auch aus der „Natur der Sache“ 59. Ob das Behinderungsverbot darüber hinausgehend grundsätzlich auf die gesamte kollektive Koalitionsfreiheit unanwendbar ist, ist umstritten60. Teilweise wird eine derartige Unanwendbarkeit neben den soeben herausgearbeiteten teleologischen Erwägungen61 mit einer grammatikalischen Auslegung62 des Behinderungsverbotes sowie mit dessen Entstehungsgeschichte begründet, nach der die Verfassungsgeber nur einen Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit im Blick gehabt hätten63. Dieser Meinungsstreit bedarf an dieser Stelle wegen der mangelnden Entscheidungserheblichkeit für die hier zu untersuchende Fragestellung keiner tiefergehenden Erörterung. b) Grenzen derartiger Vereinbarungen Nach alledem ist die Vereinbarung einer Friedenspflicht, die über die einem Tarifvertrag ohnehin innewohnende relative Friedenspflicht hinausgeht, im Grundsatz nicht zu beanstanden und damit zulässig64. Allerdings stellt sich die Frage, ob Vereinbarungen hinsichtlich der Friedenspflicht unbegrenzt möglich sind. Im kirchlichen Bereich haben die Gewerkschaften eine absolute Friedenspflicht vereinbart, die mithin Arbeitskämpfe generell ausschließt. Damit verzich57

Zutreffend Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 186. Richtig Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 186. 59 Vgl. Dietz, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/1, S. 417 (450); darauf Bezug nehmend Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 in Fn. 525. 60 Dafür Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125 a; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (273); Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 106; dagegen Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2098; Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 186. Eine umfassende Anwendbarkeit des Art. 9 III 2 GG auch auf die kollektive Koalitionsfreiheit nehmen ohne eingehende Begründung hingegen BAG, Beschl. v. 20.04.1999 – 1 ABR 72/98, BAGE 91, 210 (224); BAG, Urt. v. 28.02.2006 – 1 AZR 460/04, BAGE 117, 137 (145); Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 88; Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 43; Konzen, in: FS Kissel, S. 571 (579); Scholz, in: HStR VIII, § 175 Rn. 90, an. 61 Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (272). 62 Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (270); Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 106. 63 Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 125 a; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, 263 (271 f.); Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 106. 64 Vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1076, 1078; für eine weitgehende Verzichtsmöglichkeit Kissel, Arbeitskampfrecht, § 39 Rn. 21. 58

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ten die Gewerkschaften auf einen erheblichen Teil ihrer Betätigungsmöglichkeiten im Rahmen der Tarifautonomie. Im Grundsatz ist die Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht möglich65. Ein Grundrechtsverzicht ist im Rahmen der Koalitionsfreiheit allerdings nicht zulässig66. Damit darf die Vereinbarung nicht zu einem Verzicht auf das nach Art. 9 III 1 GG garantierte Streikrecht führen67. Die Grenze einer zulässigen Friedenspflicht wäre folglich bei einer Selbstentmachtung überschritten68. Ein solcher Verzicht, der nicht nur eine Erschwernis der Koalitionsfreiheit darstellt, wird allerdings erst angenommen, wenn eine unkündbare Friedenspflicht vereinbart wird oder wenn die Friedenspflicht zumindest länger als fünf Jahre bindet69. Eine derartig weitreichende Vereinbarung ist hier allerdings nicht getroffen worden. Der Grundlagentarifvertrag hat eine Laufzeit von fünf Jahren und verlängert sich automatisch, wenn er vor Ablauf nicht gekündigt wird. Damit liegt in dieser Vereinbarung kein vollständiger Streikverzicht. Sie ist damit bereits nach dem staatlichen Recht gerade noch zulässig. Es kommt folglich an dieser Stelle gar nicht darauf an, ob die Kirchen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts hier eigene Regelungen schaffen könnten. Im Übrigen haben die Gewerkschaften gerade durch den Abschluss der Grundlagenvereinbarung mit der absoluten Friedenspflicht erst die Möglichkeit, an der Gestaltung der Beschäftigungsbedingungen gleichberechtigt teilnehmen zu können. Die Zwangsschlichtung unter Vorsitz einer neutralen Person garantiert ferner, dass keine Seite ein Übergewicht innehat. Damit kann hier auch im Übrigen nicht von einer Selbstentmachtung die Rede sein. c) Folgen der Friedenspflicht Nachdem nunmehr feststeht, dass die Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht zulässig ist, muss im Folgenden geklärt werden, welche Rechtsfolgen sich aus einer derartigen Vereinbarung ergeben. Weil die Friedenspflicht hier absolut ist, darf während der Laufzeit des Grundlagentarifvertrags, in dem die Friedens-

65 So auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1078; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 39 Rn. 21; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 1076; Reim/Ahrend, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 1135; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 906; anders Lenz, in: Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Rn. 11; Ridder, Gewerkschaften, S. 37, die derartige Vereinbarungen nur für ausnahmsweise zulässig halten. 66 So auch Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 1077; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 3 Rn. 13. 67 Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 1077; Reim/Ahrend, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 1136; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 3 Rn. 13. 68 Lenz, in: Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Rn. 11; Ridder, Gewerkschaften, S. 37. 69 Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 1077; Reim/Ahrend, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 1136; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 3 Rn. 13.

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pflicht normiert ist, gar kein Streik stattfinden70. Auch für Bedingungen, die tarifvertraglich nicht geregelt sind, darf in diesem Falle – anders als bei einer relativen Friedenspflicht71 – also nicht gestreikt werden72. Von Bedeutung ist ferner, dass die Friedenspflicht in einem eigenständigen Tarifvertrag geschlossen wurde. Diese gilt damit unabhängig davon, ob der „eigentliche“ Tarifvertrag, also derjenige, der eine materielle Regelung der Arbeitsbedingungen beinhaltet, noch läuft. Maßgeblich für die Geltung der Friedenspflicht ist insofern allein, ob der Grundlagentarifvertrag, der eine automatische Prolongation beinhaltet, gekündigt wurde. In dieser Hinsicht ist das Streikverbot umfassend. Aus der Vereinbarung sind allerdings nur die vertragsschließenden Parteien, also die beiden Verbände, verpflichtet73. Der einzelne Arbeitnehmer ist nicht Vertragspartei und kann folglich die Friedenspflicht auch nicht verletzen74. Sofern er hingegen Mitglied derjenigen Gewerkschaft ist, die die Friedenspflicht vereinbart hat, darf er im Ergebnis nicht gegen das Arbeitskampfverbot verstoßen75. Er ist zwar nach überwiegender Ansicht nicht unmittelbar aus der Friedenspflicht gebunden, da er sie nicht selbst vereinbart hat76. Allerdings ist der Arbeitnehmer gegenüber seiner Gewerkschaft zur Unterlassung von Kampfmaßnahmen und damit indirekt zur Einhaltung der von der Gewerkschaft vereinbarten Friedenspflicht verpflichtet77. Diese sich aus der Mitgliedschaft ergebende Pflicht, die Vereinbarungen der eigenen Gewerkschaft zu akzeptieren und einzuhalten, besteht gegenüber der Koalition und nicht gegenüber dem Arbeitgeber78. Daraus, dass nur die vertragsschließenden Parteien die Friedensplicht einzuhalten haben, ergibt sich darüber hinaus, dass sich diejenigen kirchlichen Anstellungsträger, die nicht Mitglied im vertragsschließenden Verband sind79, nicht auf die Friedenspflicht berufen können80. Ferner ist zu beachten, dass diejenigen Gewerkschaften, die nicht am Abschluss der Friedenspflicht beteiligt sind, auch

70 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1078; Pfohl, Friedenspflicht, S. 32; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 906. 71 BAG, Urt. v. 21.12.1982 – 1 AZR 411/80, BAGE 41, 209 (220). 72 Pfohl, Friedenspflicht, 32 f. 73 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1080; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 48, Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 873. 74 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1080 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 49; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 873. 75 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1080 f.; Pfohl, Friedenspflicht, S. 34. 76 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1080; Pfohl, Friedenspflicht, S. 33 m.w. N. 77 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1081 m.w. N.; ähnlich auch Strake, Streikrecht, S. 80. 78 Pfohl, Friedenspflicht, S. 34 f.; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 871. 79 Vgl. § 1 S. 2 ARRG-NEK. 80 So auch Oswald, Streikrecht, S. 129; Strake, Streikrecht, S. 80.

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nicht auf diese Vereinbarung verpflichtet sind81. Dies bedeutet, dass etwa Spartengewerkschaften, die mit dem kirchlichen Arbeitgeber ein eigenständiges Tarifwerk erarbeiten wollen, nicht unter Bezug auf die Friedenspflicht zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen gezwungen werden können. Die Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht ist mithin ein mögliches und rechtlich zulässiges Gestaltungsmodell. Allerdings führt sie allein nicht zu einem vollständigen Streikausschluss bei kirchlichen Anstellungsträgern, die die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten auf dem Zweiten Weg regeln82. Deswegen müssen hier weitere Elemente hinzutreten, um einen absoluten Streikausschluss zu erreichen. 3. Zulässigkeit des absoluten Streikausschlusses a) Grundlage des Streikausschlusses und Prüfungsansatz In der Nordelbischen Kirche führt die Vereinbarung über die absolute Friedenspflicht allein aus den thematisierten Gründen nicht automatisch zu dem von der Kirche begehrten Streikausschluss. Allerdings macht die Kirche den Eintritt in Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften davon abhängig, dass zuvor die Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht in einer Grundlagenvereinbarung getroffen wurde. Sofern eine Gewerkschaft eine derartige Vereinbarung nicht treffen will, verhandelt die Kirche mit ihr nicht über Tarifverträge. Die Kirchen beteiligen diese Gewerkschaften dann unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht nicht am Zweiten Weg. Ob die Gewerkschaften dies hinnehmen müssen oder ob die Gewerkschaften, die nicht Partei des Grundlagentarifvertrags sind, tarifliche Regelungen notfalls auch erkämpfen können, richtet sich danach, ob die Koalitionsfreiheit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht insoweit beschränken kann. Die Gewerkschaften könnten Regelungen erkämpfen, wenn das sich aus der Koalitionsfreiheit ergebende Streikrecht hier ein für alle geltendes Gesetz wäre. In der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ergibt sich der absolute Streikausschluss aus einem Kirchengesetz, nämlich aus § 1 S. 3 ARRG. Gleichfalls sieht § 3 ARGG-EKD einen absoluten Streikausschluss vor. Ob diese Regelungen zulässig sind, richtet sich nach den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Daher ist auch hier festzustellen, ob das sich aus Art. 9 III GG ergebende Streikrecht ein für alle geltendes Gesetz ist, das die sich aus 81 So zu Recht auch Oswald, Streikrecht, S. 134; Schubert, RdA 2011, 270 (271); Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (117); Strake, Streikrecht, S. 80. 82 Zutreffend Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (117); Strake, Streikrecht, S. 81; wohl aus diesem Grunde verweist § 13 I ARGG-EKD auf den in § 3 geregelten Streikausschluss, obwohl in § 13 II eine uneingeschränkte Friedenspflicht vorausgesetzt wird.

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dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ergebende Normsetzungsbefugnis einschränkt. Der Prüfansatz ist damit der gleiche. Dass das Recht zum Arbeitskampf ein für alle geltendes Gesetz darstellt und damit einen vollständigen Streikausschluss im kirchlichen Zweiten Weg nicht zulässt, wird zum Teil mit dem Funktionszusammenhang von Arbeitskampf und Tarifautonomie begründet83: Die Kirchen hätten sich zur Regelung der Arbeitsbedingungen bewusst gegen den Dritten Weg und für das Tarifvertragssystem entschieden. Zu dem Tarifvertragssystem gehöre als Konfliktlösungsmechanismus das Arbeitskampfrecht hinzu. Deshalb habe die Anwendung des Tarifsystems zur Folge, dass Arbeitskämpfe hinzunehmen seien. Dem ist jedoch entgegenzutreten: Zwar haben sich die Kirchen, die dem Zweiten Weg folgen wollen, für eine Regelung der Arbeitsbedingungen im Tarifvertragssystem und damit für eine Regelung auf dem Boden des staatlichen Rechts entschieden. Insofern gilt im Grundsatz das staatliche Recht, insbesondere das TVG. Dies hat indessen nicht zur Folge, dass die uneingeschränkte Zulässigkeit von Arbeitskämpfen eine schlichte Folge der Rechtswahl ist84. Die Kirche nimmt nicht nur am allgemeinen Rechtsverkehr teil, sondern ist weiterhin Trägerin des Selbstbestimmungsrechts85. Auch wenn das staatliche Recht Anwendung findet, bleibt die Beschäftigung von Mitarbeitern folglich eine eigene Angelegenheit der Kirche86. Sie kann daher im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts weiterhin eigene Regelungen treffen. Deswegen darf sie auch hier den Grundsatz der Dienstgemeinschaft als den maßgeblichen Ordnungsgrundsatz zugrunde legen. Damit darf die Kirche weiterhin Regelungen treffen, um dem Selbstverständnis Rechnung tragen zu können. Sie ist in diesem Sinne prinzipiell befugt, Streiks ausschließen. Aufgrund dieser Überlegungen kann eine pauschale Geltung des Arbeitskampfrechts hier nicht angenommen werden. Die Frage, ob die Koalitionsfreiheit das Selbstbestimmungsrecht dahingehend beschränkt, dass auf dem Zweiten Weg ein Streikausschluss unzulässig ist, ist anhand der bekannten Formel zur Ermittlung der das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränkenden für alle geltenden Gesetze zu beantworten: Nicht jedes mit dem Selbstbestimmungsrecht kollidierende staatliche Gesetz kann danach das Selbstbestimmungsrecht einschränken. Ob ein kollidierendes und damit potentiell schrankenziehendes Gesetz dem Selbstbestimmungsrecht tatsächlich eine Schranke zieht, beurteilt sich grundsätzlich anhand einer Güterabwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck. 83

So LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 72–74 (juris). Zutreffend BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). 85 Richardi, ZevKR 52 (2007), 182 (185). 86 BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, BVerfGE 70, 138 (165). 84

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Damit ist hier eine Abwägung zwischen der Koalitionsfreiheit und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorzunehmen, um zu bestimmen, ob die kirchlichen Regelungen hinsichtlich des Streikausschlusses zulässig sind oder ob die Koalitionsfreiheit in diesem Falle tatsächlich eine Schranke bildet. Im Rahmen der Abwägung ist dem kirchlichen Selbstverständnis nach der zutreffenden Auffassung des BVerfG ein besonderes Gewicht beizumessen. Mithin ist entscheidend, ob durch den Streikausschluss ein Mindestmaß an Schutz, den Art. 9 III GG hinsichtlich des sozialen Ausgleichs gewährt, verletzt ist. b) Güterabwägung Diesen Schutz aus Art. 9 III GG würde eine kirchliche Regelung verletzen, wenn sie die Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit nicht beachten würde oder sie soweit verkürzen würde, dass die Koalitionsfreiheit nicht mehr effektiv ausgeübt werden könnte. aa) Möglichkeit zur Mitwirkung Mit dem Zweiten Weg beschreiten die Kirchen einen Weg, der den Gewerkschaften einen weiten Bereich koalitionsspezifischer Betätigung sichert87. Sie sind der unmittelbare Gesprächspartner der Dienstgebervertreter bei der Gestaltung der kollektiven Beschäftigungsbedingungen. Auch haben die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverhandlungen einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis. Sie sind nicht lediglich beratend tätig, sondern Vertragspartei. Gegen ihren Willen können damit keine Tarifabschlüsse erfolgen. Somit ist ausgeschlossen, dass der Dienstgeber die Bedingungen diktieren kann. Mit der Mitgestaltung der Beschäftigungsbedingungen haben die Gewerkschaften Raum zur Betätigung auf einem ihrer zentralen Arbeitsfelder88. Auf diese Weise können die Gewerkschaften auch im kirchlichen Dienst attraktiv für die Beschäftigten sein89. Die Gewerkschaften sind damit – anders als im Dritten Weg – direkt und in mitverantwortlicher Position an der Regelung der kollektiven Arbeitsbedingungen beteiligt. Sie sind für die Kirche „hoffähig“ geworden90. In dieser Form der Beteiligung an der tarifautonomen Arbeitsrechtssetzung liegt qualitativ ein deutliches Mehr an Beteiligung im Vergleich zum Rechtssetzungsverfahren des Dritten Wegs91. Gleichwohl ist die Mitwirkungsmöglichkeit im Verhältnis zum weltlichen Tarifvertragssystem eingeschränkt: Die Kirche muss wegen des an der Dienstge87 88 89 90 91

Zutreffend BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). Dietz, BB 1980, 1107 (1109). BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11 NZA 2013, 437 (444).

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meinschaft ausgerichteten kirchlichen Dienstes einheitliche Beschäftigungsbedingungen, insbesondere den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sicherstellen92. Vor diesem Hintergrund kann sie keine Tarifpluralität zulassen, bei der je nach Gewerkschaftszugehörigkeit für dieselbe Tätigkeit unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten93. Sonst wäre sie im Kern ihres Selbstverständnisses getroffen. Das Ziel einheitlicher Beschäftigungsbedingungen wollen die Kirchen nicht durch Auflösung einer bestehenden Tarifpluralität aufgrund des Grundsatzes der Tarifeinheit erreichen. Sofern mehrere Tarifverträge durch eine Überschneidung der Anwendungsbereiche in einem Betrieb kollidieren, würde hiernach der allgemeinere Tarifvertrag von dem spezielleren verdrängt, so dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt94. Ein solches Vorgehen wäre jedoch ein schwerwiegender Eingriff in die Koalitionsfreiheit, weil die Gewerkschaftsmitglieder, deren Tarifvertrag zurücktreten muss, ihres Schutzes durch den Tarifvertrag beraubt würden95: Ihr eigener Tarifvertrag tritt zurück und der vorrangige Tarifvertrag ist aufgrund der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit nicht anwendbar. Deswegen hat das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben96. Die Kirchen haben sich für einen weitaus weniger einschneidenden Weg entschieden. Sie schließen nur einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Beschäftigten unter Beteiligung aller tarifzuständigen Gewerkschaften ab. Wenn alle Gewerkschaften an der Vereinbarung eines einheitlichen Tarifvertrags mitwirken, kann es von vornherein nicht zu einer Tarifpluralität bzw. Tarifkonkurrenz kommen. So kann zunächst sichergestellt werden, dass kein Gewerkschaftsmitglied seines tariflichen Schutzes verlustig wird. Dass nur ein einheitliches Regelungswerk verabschiedet wird, bedeutet allerdings, dass Spartengewerkschaften zwar mitverhandeln und den einheitlichen Tarifvertrag mitabschließen, aber keinen eigenständigen Tarifvertrag schließen können. Diese Einschränkung ist allerdings insoweit vergleichsweise leicht, als erstens alle zuständigen Gewerkschaften an der Erarbeitung des Tarifvertrags mitarbeiten können. Es wird keine Gewerkschaft von vornherein von den Mitwirkungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Damit bestehen Betätigungsmöglichkeiten für alle Gewerkschaften. Zweitens schließt es die Verabschiedung eines einheitlichen Tarifwerks nicht aus, dass die Spartengewerkschaften in dem Tarifwerk eigene Bestimmungen für die Mitarbeiter ihrer Branche durchsetzen können. Denkbar wäre zum Beispiel, dass eine Ärztegewerkschaft für Ärzte eigenständige Lohngruppen, Arbeits- und Bereitschaftszeitregelungen etc. vereinbart. Die 92 So auch Briza, Tarifvertrag und Dritter Weg, S. 183; Schubert, RdA 2011, 270 (271). 93 Zutreffend Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 22. 94 Hierzu Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 755 f. 95 So auch Kerwer, EuZA 2008, 335 (339) m.w. N. 96 BAG, Beschl. v. 27.01.2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645 (654).

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Einheit des Dienstes verlangt aber, dass diese Bestimmungen für alle Mitarbeiter der Branche gelten und nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Ärztegewerkschaft. Insofern bestehen für alle Gewerkschaften weitreichende Mitgestaltungsmöglichkeiten. Damit sind die Mindestbedingungen, die Art. 9 III GG an den sozialen Ausgleich stellt, erfüllt. Insoweit muss das dem Grunde nach bestehende koalitionsspezifische Recht, eigene Tarifwerke schließen zu können, dahinter zurücktreten. bb) Arbeitskampfsurrogat Allein die Möglichkeit, an den Verhandlungen teilzunehmen und die Entstehung ungünstiger Regelungen verhindern zu können, hinsichtlich eigener Forderungen jedoch als Bittsteller auftreten zu müssen, reicht im Hinblick auf die Gewährleistungen aus Art. 9 III GG nicht aus97. Der mit der Tarifautonomie verfolgte Zweck liegt ja nicht nur in dem Abschluss von Tarifverträgen, sondern im Abschluss richtiger Tarifverträge. Diese Richtigkeitsgewähr erfordert eine in etwa gleichgewichtige Position in den Tarifverhandlungen98. Anderenfalls wären diese Verhandlungen nicht mehr als „kollektives Betteln“ 99. Deshalb muss auch ein Mittel zur Verfügung stehen, um bei Uneinigkeiten in den Tarifverhandlungen doch noch zu einem richtigen Tarifergebnis zu gelangen. Diejenigen, die eine Veränderung der Bedingungen erreichen wollen – und das sind im Regelfalle die Arbeitnehmervertreter – wären machtlos, wenn die andere Seite durch ein Nichtverhandeln die Entstehung einer neuen Regelung blockieren könnte. Dann läge trotz des formell bestehenden Kräftegleichgewichts materiell ein Ungleichgewicht vor. Das Mittel, das dieses Gleichgewicht verschafft, ist im staatlichen Tarifsystem der Arbeitskampf 100. Diesen können die Kirchen wegen ihres Selbstverständnisses nicht akzeptieren und schließen ihn deshalb aus. Der Ausschluss des Arbeitskampfrechts führt allerdings dazu, dass der Einigungsdruck schwindet und dass bei Patt- und Blockadesituationen eine Unfähigkeit zur Regelungsfindung besteht. Darum muss auch im kirchlichen Zweiten Weg ein Instrumentarium bestehen, mit dessen Hilfe eine Einigung erzielt werden kann, die auch als richtig gilt101. Ein derartiges Instrumentarium könnte in der vereinbarten verbindlichen Schlichtung liegen. Sofern auf dem Verhandlungswege keine Einigung erzielt 97

BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11 NZA 2013, 437 (444). Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 284 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 1; hierzu auch Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 246 m.w. N. 99 BAG, Urt. v. 12.09.1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (346). 100 Joussen, in: Fey/Joussen/Steuernagel (Hrsg.), Arbeits- und Tarifrecht, Zweiter Weg, Rn. 8. 101 Zutreffend auch Schubert, RdA 2011, 270 (277 f.). 98

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werden kann, wird ein Schlichtungsverfahren durchgeführt. Hierbei ersetzt der Schlichterspruch den Tarifvertrag. Bedenken gegen diese Form der Schlichtung können sich wegen des allgemein anerkannten Verbots einer Zwangsschlichtung ergeben102. Dies gilt jedoch nur, soweit sie staatlich angeordnet wird. Die Tarifvertragsparteien sind nicht daran gehindert, in Ausübung der Tarifautonomie eine Schlichtungsvereinbarung zu treffen, nach der der Spruch der Schlichtungsstelle die tarifvertragliche Einigung ersetzt103. Dies ist in beiden Landeskirchen auch geschehen. Die Schlichtung beruht hier auf einer Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien. Aber auch kirchengesetzlich dürfte eine einseitige Anordnung der Schlichtung zulässig sein104. Zu beachten ist, dass die Kirchen dann in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts eine Schlichtung vorschreiben, um so den bekenntnisspezifischen Besonderheiten des kirchlichen Dienstes Rechnung tragen zu können. Es ist etwas grundlegend anderes, ob der Staat eine derartige Regelung trifft oder die Kirchen als Träger des Selbstbestimmungsrechts. Insoweit ist das gemeinhin angenommene Verbot der Zwangsschlichtung jedenfalls nicht übertragbar. Selbstverständlich muss die Schlichtung gewisse Mindestanforderungen im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit erfüllen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schlichtung vereinbart oder kirchengesetzlich angeordnet wird. Die Schlichtungsverfahren der beiden Landeskirchen sind sehr ähnlich. Hierbei ist die Schlichtungskommission jeweils paritätisch besetzt und besteht zusätzlich aus einem neutralen, nicht im kirchlichen Dienst stehenden Vorsitzenden. Dieser Vorsitzende, dem eine entscheidende Bedeutung zukommt, muss von den Dienstgebervertretern und Gewerkschaften gemeinsam ausgewählt werden, gelingt dies nicht, wird er von einer neutralen Stelle bestimmt105. Der Schlichtungsausschuss entscheidet in einem zweistufigen Verfahren mit Stimmenmehrheit106. Ergeht ein Schlichtungsspruch, hat dieser die Interessen beider Seiten, die der Dienstgeber und Dienstnehmer, in einer angemessenen Weise zu berücksichtigen und einem vertretbaren Ergebnis zuzuführen107. Dafür muss die Kommission beide Seiten anhören und den Sachverhalt aufklären108. Der Schlichtungsspruch wird also im Regelfalle in einem Kompromiss bestehen109.

102 BVerfG, Urt. v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62, BVerfGE 18, 18 (30); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1304 m.w. N. in Fn. 33. 103 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444); Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 286. 104 So auch Schubert, RdA 2011, 270 (278). 105 Siehe auch die Regelungen zur Bestellung des Vorsitzenden bei Uneinigkeit in § 2 III SV TV-EKBO; sowie § 3 II der Schlichtungsvereinbarung; vgl. auch § 8 I. 106 §§ 6 I, 8 II der Schilichtungsvereinbarung bzw. §§ 6 I, 8 II SV TV-EKBO. 107 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). 108 § 4 IV der Schlichtungsvereinbarung bzw. § 4 IV SV TV-EKBO. 109 Insoweit zutreffend Strake, Streikrecht, S. 83.

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Insgesamt kann angenommen werden, dass das Schlichtungsverfahren den Arbeitskampf ersetzen kann, wenn es so ausgestaltet ist, dass keine Seite ein Übergewicht in dem Verfahren innehat und das Verfahren so ausgestaltet ist, dass der Eintritt in die Schlichtung nicht einseitig verhindert werden kann110. Dann besteht die Chance auf einen „richtigen“ Schlichterspruch. Damit stellt sich die Frage, ob dieses Verfahren ein angemessener Ersatz für das Streikrecht im Hinblick auf eine gleichgewichtige Machtposition ist. Hiergegen wird mitunter eingewendet, dass der Schlichterspruch zu einem verbindlichen Ergebnis führen könne, mit dem die Arbeitnehmerseite unzufrieden sei111. Dies erscheint indessen nicht überzeugend: Ein Schlichtungsverfahren, dessen Ergebnis bindend ist, kann durchaus dazu führen, dass ein Verhandlungsgleichgewicht entsteht112. Dies liegt zunächst daran, dass der ungewisse Ausgang des Schlichtungsverfahrens und die Verlagerung der Entscheidung einen Einigungsdruck erzeugen kann, sofern das Schlichtungsverfahren paritätisch ausgestaltet ist113. Gelingt eine Einigung nicht und erfolgt eine Schlichtung, so ist es sicherlich vorstellbar, dass eine Seite mit dem Schlichterspruch nicht einverstanden ist. Dass eine Seite am Ende unzufrieden ist und die Regelungen für einseitig hält, ist jedoch kein Spezifikum des kirchlichen Schlichtungsverfahrens. Auch wenn ein Tarifvertrag nach der Durchführung von Arbeitskämpfen geschlossen wird, kann er subjektiv von den Arbeitnehmern als zu einseitig empfunden werden114. Daher gewährt die Parität immer nur gleichwertige Verhandlungschancen115. Entscheidend ist, dass das Ergebnis der Schlichtung, auch wenn es arbeitnehmerseitig als ungerecht empfunden wird, keine Folge fehlender Parität ist116. Dies liegt zunächst an der paritätischen Besetzung des Ausschusses. Keine Seite kann die andere überstimmen und damit können keine Regelungen einseitig erlassen werden. Der Vorsitzende, der das „Zünglein an der Waage“ sein kann117, ist unabhängig und neutral. Dies führt damit gerade nicht dazu, dass eine Seite eine Übermacht bekommt. Wichtig ist deswegen, wie der Vorsitzende bestimmt wird, wenn über seine Person keine Einigung erzielt werden kann. Hierzu haben die beiden Landeskirchen aber abgewogene Entscheidungen getroffen, nach denen gesichert ist, 110 Vgl. auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444); richtig auch Schubert, in: JbArbR 50 (2013), S. 101 (116). 111 Dies kritisiert Strake, Streikrecht, S. 83. 112 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444). 113 Zutreffend BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11 NZA 2013, 437 (444); a. A. Strake, Streikrecht, S. 83, der nur einen Einigungsdruck bei der Möglichkeit zum Arbeitskampf sieht. 114 Zutreffend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 285 f. 115 Vgl. BAG, Beschl. v. 21.04.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (308); BAG, Urt. v. 10.09.1985 – 1 AZR 262/84, BAGE 49, 303 (314). 116 So aber Strake, Streikrecht, S. 83 f. 117 Strake, Streikrecht, S. 83.

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dass der Vorsitzende unabhängig ist: Entweder wird er vom Präsidenten des Landgerichts Kiel118 bestimmt oder von dem Präsidenten des LAG Berlin-Brandenburg und dem Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts der EKBO in gemeinsamer Entscheidung119. Insofern hat jede Seite dieselbe Chance, ihre Forderung durchzusetzen. Deshalb ist das Schlichtungsergebnis keine Frage der Parität. Zu berücksichtigen ist ferner, dass jede Seite den Schlichtungsausschuss anrufen kann120. Auch dies sorgt für Parität, weil keine Seite darauf angewiesen ist, dass die andere Seite einer Schlichtung zustimmt. Damit können sich etwa die Dienstgeber einer bestimmten Forderung nicht von vornherein verweigern. Ein Aussitzen durch Nichtverhandeln funktioniert – wie im Dritten Weg auch – nicht, weil die andere Seite immer eine Schlichtung einleiten kann121. Wegen der Verbindlichkeit des Schlichterspruchs ist dabei gesichert, dass am Ende des Verfahrens in jedem Fall ein bindendes Ergebnis steht. Dass das Schlichtungsverfahren zweistufig aufgebaut ist und auf eine Einigung der Tarifparteien hinwirken soll122, ist Ausdruck des Grundsatzes der Dienstgemeinschaft, nach der eine gütliche und einvernehmliche Lösung angestrebt wird. Dies ist nicht zu beanstanden, weil in letzter Konsequenz das Schlichtungsergebnis bindend wird. Fraglich ist, ob das Schlichtungsverfahren der Nordkirche, das für eine Entscheidung auf der zweiten Stufe gemäß § 8 II der Schlichtungsvereinbarung eine Zweidrittelmehrheit verlangt, ein Verstoß gegen die Parität ist. Denn auf der zweiten Stufe ist demnach möglich, dass einseitig das Entstehen eines Schlichtungsspruchs verhindert wird. Allerdings ist für den Fall, dass hier keine Einigung zustande kommt, das Schlichtungsergebnis der ersten Stufe, bei der die einfache Mehrheit ausreicht, bindend123. Damit ist gesichert, dass keine Seite die andere blockieren und das Entstehen einer Regelung verhindern kann. Am Ende des Verfahrens steht also auf jeden Fall eine Regelung124. Es bleibt daher nicht zwingend beim status quo. Insgesamt können die Schlichtungsverfahren der beiden Landeskirchen den Arbeitskampf ersetzen. Sie erfüllen die Mindestbedingungen, die Art. 9 III GG an den sozialen Ausgleich stellt. Die Kirchen können den Arbeitskampf dann entweder kirchengesetzlich in zulässiger Weise ausschließen oder von den Gewerkschaften verlangen, dass sie eine streikausschließende Schlichtungsvereinbarung treffen.

118 119 120 121 122 123 124

§ 3 II Schlichtungsvereinbarung. § 2 III 3 SV-TV-EKBO. § 3 III, IV der Schlichtungsvereinbarung bzw. § 3 II, III SV TV-EKBO. Vgl. auch Richardi, RdA 2011, 119 (122) für den Dritten Weg. § 5 I 1 der Schlichtungsvereinbarung bzw. § 5 I 1 SV TV-EKBO. BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (444 f.). BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 (445).

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c) Vergleich mit dem Dritten Weg Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick überraschen, weil es einerseits entgegen dem bekannten Funktionszusammenhang von Tarifsystem und Arbeitskampf auch isoliert den Abschluss von Tarifverträgen zulässt. Andererseits kann die Kirche eine Zwangsschlichtung anordnen bzw. die Zustimmung zu einer solchen verlangen. Bezieht man jedoch in eine wertende Betrachtung die Ergebnisse zum Dritten Weg mit ein, wird deutlich, dass das hier gefundene Ergebnis das Richtige ist. Der Dritte Weg ist ein völlig eigenständiges kirchliches Verfahren zur Beteiligung der Dienstnehmer an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Dieses Verfahren ist in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung zulässig. Die Eckpunkte liegen darin, dass in paritätisch besetzten Kommissionen über die Arbeitsregelungen verhandelt wird. Kommt eine Einigung nicht zustande, wird eine verbindliche Schlichtung durchgeführt. In dieser Hinsicht ist der Dritte Weg dem Tarifsystem gleichwertig. Nicht gleichartig ist der Dritte Weg mit dem Tarifsystem allerdings bezüglich der Einbeziehung der Gewerkschaften in das Rechtssetzungsverfahren. Während im Tarifsystem die Gewerkschaften eine zentrale Funktion ausüben, sind sie im Dritten Weg oftmals nur mittelbar in das Verfahren einbezogen. Damit ist die Beteiligung hier schwächer ausgeprägt ist als im Tarifsystem. Der Zweite Weg bietet – was die Einbeziehung der Gewerkschaften betrifft – ein deutliches Mehr an Beteiligung, weil hier die Gewerkschaften direkt die Bedingungen gemeinsam mit den Dienstgebervertretern aushandeln. Wenn schon der Dritte Weg mit einer nur indirekten Gewerkschaftsbeteiligung zulässig ist, muss erst recht der Zweite Weg im Hinblick auf die Beteiligung der Verbände möglich sein. Auch das verbindliche Schlichtungsverfahren stellt im Dritten Weg kein Problem dar. Eine solche Schlichtung ist geeignet, ein Gleichgewicht herzustellen. Anhaltspunkte, warum hier eine andere Beurteilung angezeigt wäre, durch die dieses im Dritten Weg bereits zulässige Modell hier unzulässig sein sollte, fehlen. Die Schlichtung ist hier wie dort ein Konfliktlösungsmechanismus, der es den Kirchen erlaubt, nach eigenem Selbstverständnis Konflikte friedlich austragen zu können und den kirchlichen Dienst zu jeder Zeit erfüllen zu können. Der für die Schlichtung zuständige Schlichtungsausschuss ist paritätisch besetzt, so dass keine Seite die Arbeitsbedingungen diktieren kann. Deshalb ist auch für den Zweiten Weg davon auszugehen, dass der von den Kirchen unterbreitete Konfliktlösungsmodus zulässig ist. Insgesamt ist der kirchliche Zweite Weg mit seinem Streikausschluss für die Gewerkschaften ein schonenderes Verfahren, gegen dessen Zulässigkeit keine Bedenken bestehen. Auch zeigt dieser Vergleich, dass der Zweite Weg im Hinblick auf die Vorgaben aus der EMRK keine Probleme bereiten dürfte. In der Konvention besteht zunächst ohnehin kein strikter Funktionszusammenhang von Tarifvertrag und Arbeitskampf. Eine Schwäche des Dritten Weges scheint konventionsrechtlich auch

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in der vergleichsweise schwach ausgeprägten Möglichkeit der Gewerkschaften zur Mitwirkung zu liegen. Diesbezügliche Bedenken sind mit dem kirchlichen Zweiten Weg nun weitgehend ausgeräumt. Dort bestehen echte und direkte Mitwirkungsmöglichkeiten. Dies dient dem Schutz der Interessen der Dienstnehmer und garantiert, dass eine echte Chance auf gerechte Arbeitsbedingungen besteht. Insofern dürften keine Gesichtspunkte gegen den von den Kirchen verfolgten Zweiten Weg aus der Sicht der EMRK sprechen125. d) Streikausschluss aufgrund der Parität? aa) Herleitung und Inhalt des Paritätsgrundsatzes Sofern man vorstehende Überlegungen nicht teilt und somit aufgrund der Güterabwägung zwischen Schrankenzweck und Kirchenfreiheit nicht zu einem Streikausschluss gelangt, ist die Antwort auf die Frage bedeutsam, ob sich aus allgemeinen arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen ein solcher ergeben kann. Insbesondere ist zu untersuchen, ob sich ein vollumfängliches Streikverbot aus Paritätsüberlegungen herleiten lässt. Der Grundsatz der Parität verlangt, dass die Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht haben. Die Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge ist nur dann gegeben, wenn die Verhandlungspartner in etwa gleich stark sind126. Wäre demgegenüber eine Partei übermächtig, könnte sie der anderen Partei die Vertragsbedingungen aufzwingen127. Dann bestünde die Gefahr, dass die „Regelung der Arbeitsbeziehungen nicht mehr auf einem System freier Vereinbarungen beruht, das Voraussetzung für ein Funktionieren und innerer Grund des Tarifvertragssystems ist“ 128. Für eine funktionierende Tarifautonomie ist also ein Kräftegleichgewicht zwingend erforderlich129. Dieses Kräftegleichgewicht bezieht sich nicht nur auf die Tarifverhandlungen, sondern setzt sich auch im Arbeitskampf fort130. Hätte eine Kampfpartei derart scharfe Waffen, dass die andere Seite hierauf nicht reagieren und keine Abwehrmaßnahmen ergreifen könnte, wäre sie auf ein Durchstehen des Kampfes angewiesen, verbunden mit der Folge, dass die andere Partei die Bedingungen des Tarifvertrags vorgeben kann131. Daher verbietet es das Paritätsprinzip, Kampfmittel einzusetzen, die zu einem Übergewicht bei den Tarifverhandlungen führen132. 125

So auch BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11 NZA 2013, 437 (445 f.). Zutreffend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 1. 127 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 2; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 195. 128 BAG, Beschl. v. 21.04.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 292 (308). 129 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 968. 130 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 2. 131 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 2 f.; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 195 f. 126

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Damit ist nunmehr zu untersuchen, wie das Vorliegen einer Parität ermittelt werden kann. Nach richtiger und weit überwiegender Ansicht wird die Parität materiell-abstrakt bestimmt133. Hierbei finden zwar die tatsächlich bestehenden Kräfteverhältnisse Berücksichtigung134. Dabei wird aber nicht auf jedes Kriterium eingegangen; stattdessen muss nach einer längerfristigen und typisierenden Betrachtung tatsächlich ein ungefähres Gleichgewicht gegeben sein135. Die Parität wird also anhand genereller Maßstäbe ermittelt, so dass die konkreten Einzelfallumstände wie Organisationsgrad, Kampfziel oder die wirtschaftliche Lage nicht miteinfließen, auch wenn diese die realen Kräfteverhältnisse faktisch berühren136. Alle diese Faktoren des konkreten Einzelfalls unberücksichtigt zu lassen und nicht eine Gesamtparität zu fordern137, ist aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, denn die Bestimmung der Parität würde sonst nahezu unmöglich und unvorhersehbar138. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Parität formell zu bestimmen. Streik und Aussperrung sind nach dieser Ansicht zwei gleichartige Waffen, für die folglich die gleichen Grundsätze gelten müssen139. Lediglich eine ungleiche Behandlung der Kampfmittel der Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die öffentliche Gewalt verböte sich daher aufgrund des Paritätsprinzips140. Auf ein tatsächliches Gleichgewicht der Kräfte käme es also nicht an, Streik und Aussperrung als solche stünden sich gleichberechtigt gegenüber141. Diese Ansicht ist aber abzulehnen, vor allem weil es hiernach gar nicht auf die tatsächlichen Kräfteverhältnisse ankommt. Dies führt dazu, dass durch die Zugrundelegung eines formellen Paritätsverständnisses ein ausgewogenes Tarifergebnis überhaupt nicht sichergestellt wird142. Damit wird das Ziel der Parität aber verfehlt.

132 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 969; Stahlhacke, Zulässigkeit neuer Kampfmittel, S. 10. 133 So auch BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (164); Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 23 m.w. N. in Fn. 64. 134 Vgl. BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (164). 135 Vgl. BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (164); zustimmend Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (61). 136 Vgl. die Darstellung der Rechtsprechung von Holle, Inhalt und Begründung, S. 10 f. 137 So aber Däubler, JuS 1972, 642 (644 f.); weitere Nachweise bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 973 in Fn. 364. 138 So auch BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (165); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 973 f.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 12. 139 So noch BAG, Beschl. v. 28.01.1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (308). 140 BAG, Beschl. v. 28.01.1955 – GS 1/54, BAGE 1, 291 (308). 141 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 7. 142 Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 7.

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bb) Paritätsstörung durch Streiks? Zum Teil wird in der Tat angenommen, dass eine Paritätsstörung entstehe, wenn den kirchlichen Arbeitnehmern die Möglichkeit zu streiken zur Verfügung stünde143. Diese Störung ergebe sich daraus, dass die Kirche selbst keine Kampfmaßnahmen ergreifen könne. Es sei ihr nicht möglich, den Dienst am Nächsten zu suspendieren, um Arbeitskämpfe zu führen; zudem widerspreche die Vornahme von Aussperrungen dem Selbstverständnis der Kirchen144. Damit könnte allein die Arbeitnehmerseite das Kampfgeschehen bestimmen und die Kirche müsste Arbeitskämpfe durchstehen. Damit bestehe die Gefahr, dass die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht mehr auf freien Verhandlungen beruhe, die aber Voraussetzung für eine funktionierende Tarifautonomie seien145. Dies sei nicht mit dem Grundsatz der Parität zu vereinbaren. Dem wird mitunter mit verschiedenen Argumenten aber auch widersprochen. (1) Ist die fehlende Aussperrungsmöglichkeit paritätsrelevant? Um die Frage, ob im hiesigen Zusammenhang ein Streikausschluss aufgrund von Paritätsüberlegungen anzunehmen ist, sachgerecht beantworten zu können, muss zunächst bestimmt werden, ob das Fehlen der Aussperrungsmöglichkeit überhaupt relevant für die Ermittlung der Parität ist. Teilweise findet dieser Umstand keine Berücksichtigung in der Paritätsermittlung. Dem liegt wohl die Erwägung zu Grunde, dass die fehlende Aussperrungsmöglichkeit letztlich ein verbandsinterner, bei der Bestimmung der Parität nicht zu berücksichtigender Faktor sei. So wird teilweise argumentiert, die Kirche könne nicht durch einen Verzicht auf Arbeitskampfmittel ihrerseits Arbeitskämpfe insgesamt ausschließen146. Sofern sie nicht von Streiks betroffen werden wolle, müsse sie sich anderer rechtlicher Gestaltungsformen ihrer Arbeitsverhältnisse bedienen; insoweit sei der Streik eine Folge der Rechtswahl147. Diese Argumente vermögen indes nicht zu überzeugen. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob die fehlende Kampfbereitschaft der Kirchen in die Bestimmung der Parität einzubeziehen ist, ist nicht, dass die Kirchen rechtlich gesehen die Möglichkeit hätten, Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Entscheidend 143 Janssen, Streikrecht, S. 18; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16; Richardi, NZA 2002, 929 (932); Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (60). 144 Vgl. Grethlein, ZevKR 33 (1988), 257 (261); Janssen, Streikrecht, S. 18; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16. 145 Vgl. Grethlein, ZevKR 33 (1988), 257 (261); Janssen, Streikrecht, S. 18; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 16 unter Bezug auf BAG, Beschl. v. 21.04. 1971 – GS 1/68, BAGE 32, 292 (308). 146 So Oswald, Streikrecht, S. 148; Vogt, Der Dritte Weg, S. 110; in diese Richtung gehend wohl auch Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (259). 147 Oswald, Streikrecht, S. 148 f.

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ist nach dem abstrakt-materiellen Paritätsverständnis, dass sie diese Möglichkeit wegen des entgegenstehenden Selbstverständnisses tatsächlich nicht haben, weil es bei der Paritätsbestimmung um ein tatsächliches Gleichgewicht geht148. Zwar hat die fehlende Möglichkeit, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, ihren Grund allein auf der Arbeitgeberseite. Die fehlende Kampfmöglichkeit ergibt sich hingegen aus den Besonderheiten des an der Dienstgemeinschaft ausgerichteten kirchlichen Dienstes und beruht nicht auf internen Schwächen der Koalition wie mangelnder Mobilisierungskraft, schlechtem Organisationsgrad, etc.149. Der Arbeitskampfverzicht erfolgt aus religiösen Motiven. Deswegen fehlt die Möglichkeit, Arbeitskämpfe zu führen, dann auch generell bei allen kirchlichen Anstellungsträgern. Damit handelt es sich nicht lediglich um situationsbezogene Umstände, sondern die fehlende Möglichkeit zum Arbeitskampf ist, im Gegensatz zu einem einzelnen Arbeitgeber, der die Aussperrung aus Gewissensgründen ablehnt150, strukturell bedingt. Würden diese Besonderheiten des kirchlichen Dienstes nicht bei der Bestimmung des Kräfteverhältnisses Berücksichtigung finden, käme man inhaltlich zu keiner sachgerechten Lösung von arbeitskampfrechtlichen Fragestellungen. Anderenfalls wäre wohl auch die Funktionsfähigkeit der kirchlichen Koalition in Frage gestellt151. Auch würde es einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen darstellen, wenn sie zwar die Dienstgemeinschaft als Ordnungsgrundsatz zu Grunde legen dürften, die sich hieraus ergebenden Besonderheiten hinsichtlich der Stärke der Koalition aber unberücksichtigt blieben152. Zu der These, Streiks seien eine schlichte Folge der Rechtswahl, ist bereits an anderer Stelle alles Notwendige gesagt worden. In die Bestimmung des Kräftegleichgewichts muss der Umstand, dass die Kirchen selbst keine Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen können, einbezogen werden. (2) Führt ein Streikrecht zur Imparität? Weiterhin wird gegen einen Streikausschluss aufgrund fehlender Parität geltend gemacht, dass es gar nicht zu einer Imparität führe, wenn den Dienstnehmern ein Streikrecht zur Verfügung stehe. Denn die Möglichkeit zu streiken, stelle gerade erst das Kräftegleichgewicht her153. Aussperrungen als Reaktion auf Arbeitsniederlegungen seien daher erst zulässig, wenn die Machtverteilung zu Gunsten der Arbeitnehmer zu kippen drohe154. Auch ein weltlicher Arbeitge148

Zutreffend Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (60 f.). Zutreffend Robbers, Streikrecht, S. 68. 150 Deshalb ist der Vergleich von Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (259) nicht passgenau. 151 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn. 80. 152 Vgl. auch Robbers, Streikrecht, S. 68 f. 153 LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris); Oswald, Streikrecht, S. 148; Schubert, RdA 2011, 270 (280); Strake, Streikrecht, S. 131. 154 LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris). 149

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ber sei daher nicht in jedem Streik befugt, Aussperrungen als Reaktion hierauf vorzunehmen, so dass sich nicht in jedem Falle ein Nachteil der Kirchen gegenüber dem weltlichen Arbeitgeber ergebe155. Auch diese Argumentation erscheint hingegen nicht durchgreifend. Im Ausgangspunkt wird zutreffend festgestellt, dass einem Arbeitgeber das Arbeitskampfmittel der Aussperrung nach Ansicht des BAG nicht in jedem Fall zur Verfügung steht: Wegen des Grundsatzes der Arbeitskampfparität seien Aussperrungen nur zulässig, wenn sich die angreifende Gewerkschaft auf einen Teilstreik beschränkt habe und die dadurch erreichte Begrenzung des Kampfrahmens das Kräftegleichgewicht zu Gunsten der Arbeitnehmer verschieben würde156. Sofern hieraus der Schluss gezogen wird, dass Aussperrungen nur dann zulässig sind, wenn aufgrund eines übermäßigen Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitnehmerseite das Kräftegleichgewicht zugunsten der Arbeitnehmer zu kippen droht157, muss berücksichtigt werden, dass die Machtverteilung im kirchlichen Dienst von vornherein anders ausgeprägt ist als in einem weltlichen Arbeitsverhältnis. So mildert der Grundsatz der Dienstgemeinschaft den Arbeitnehmer-ArbeitgeberGegensatz und damit auch das Machtgefälle ab158. In der Kirche herrscht aufgrund der Dienstgemeinschaft eine Mitarbeiterkultur, die auf ein Miteinander anstatt auf Konfrontation setzt159. Deswegen bestehen weitreichende Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiter. Faktisch besteht in Bezug auf tarifrechtliche Fragestellungen insofern eine Verhandlungspflicht der Dienstgeber, als bei einer Weigerung, in Verhandlungen einzutreten, der Schlichtungsausschuss angerufen werden kann. Auf diese Weise kann über jede Forderung verhandelt und notfalls im Schlichtungsausschuss entschieden werden. Dieser Schlichtungsausschuss ist, ähnlich wie die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG paritätisch mit Dienstgeberund Gewerkschaftsvertretern und zusätzlich einem neutralen Vorsitzenden besetzt und entscheidet mit Stimmenmehrheit. Damit bestimmt der kirchliche Dienstgeber von vornherein nicht allein die Arbeitsbedingungen160. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Kirche, anders als die meisten weltlichen Arbeitgeber, nicht die Gewinnmaximierung zum Ziel hat, sondern die Erfüllung des kirchlichen Auftrags161. Wenn insoweit Kostendeckung angestrebt wird, besteht kein großes Interesse, die Löhne künstlich niedrig zu halten, um sich auf Kosten der Dienst155 So etwa Kühling, AuR 2001, 241 (249); Kreß, ZRP 2012, 103 (104); vgl. auch Vogt, Der Dritte Weg, S. 110; Walter, ZevKR 57 (2012), 233 (259). 156 BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (167); kritisch zu dieser Rechtsprechung Erbguth, Parität, S. 140–146. 157 So LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris). 158 Noch weitergehend Robbers, Streikrecht, S. 67; wie hier Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15. 159 Vgl. etwa Dietz, BB 1980, 1107 (1111); Reichold, ZevKR 57 (2012), 57 (69). 160 So aber LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris). 161 Richardi/Thüsing, AuR 2002, 94 (94).

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nehmer zu bereichern. Dies wird auch durch den Grundsatz der Lohngerechtigkeit unterstrichen, nach dem die Mitarbeiter Anspruch auf einen ihrer Dienststellung angemessenen und auskömmlichen Lohn haben. Insgesamt liegt mithin im kirchlichen Dienst von vornherein ein weitaus schwächer ausgeprägtes Machtgefälle vor, die Tarifpartner sind annähernd gleich stark162. Daraus ergibt sich aber zwangsläufig, dass ein kirchlicher Arbeitgeber von Streiks typischerweise erheblich stärker betroffen ist als ein weltlicher Arbeitgeber und dass sich dies sofort auf das Kräfteverhältnis nachteilig für die Kirchen auswirkt. Insofern droht die Parität bei einem Streik zu Gunsten der Arbeitnehmer zu kippen. Damit trifft die Ansicht, ein Streik stelle gerade erst Parität her, auf den kirchlichen Dienst nur sehr bedingt zu. Gleichwohl könnte sich aus Paritätsgesichtspunkten nur dann ein Streikverbot ergeben, wenn die Kirchen den drohenden Paritätsverlust nicht ausgleichen könnten und somit einem Streik schutzlos ausgeliefert wären. Teilweise wird angeführt, die Kirche könne den Streik einfach aussitzen, weil auch dies finanziellen Druck auf den Gegner ausübe, oder sie könne Leiharbeiter als „Streikbrecher“ einsetzen163. (a) Aussitzen als Mittel zur Bewahrung der Parität? Hinsichtlich der Möglichkeit, Streiks auszusitzen, ist richtig, dass ein Streik die kampfführende Gewerkschaft Geld kostet. Zutreffend ist auch, dass es im Arbeitskampf ein Mittel der Arbeitgeber darstellen kann, einen Streik auszusitzen, eine sogenannte Taktik der offenen Tür zu fahren und zu versuchen, den Betrieb so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Allerdings ist diese Strategie mit erheblichen Schwierigkeiten für den Arbeitgeber verbunden. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Taktik der offenen Tür für den Arbeitgeber Unwägbarkeiten hinsichtlich der Organisation und der Personalplanung birgt164: Er weiß vorher nicht, welcher Arbeitnehmer wann und wie lange streiken wird, da der Umfang der Streikteilnahme eine freie Entscheidung des Arbeitnehmers ist. Insoweit stößt diese Strategie schnell an ihre Grenzen. Deswegen stehen einem weltlichen Arbeitgeber andere Abwehrstrategien zur Verfügung, die er einsetzen kann, wenn die Strategie der offenen Tür versagt165. So kann ein Arbeitgeber die Stilllegung eines Betriebs oder eines Betriebsteils durchführen, da er nicht verpflichtet ist, Widerstand zu leisten und den Betrieb aufrecht zu erhalten166. Dies kann der kirchliche Dienstgeber nicht, weil er dann 162

Robbers, Streikrecht, S. 67; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 10 Rn. 15. LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011, 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris); Schubert, RdA 2011, 270 (280); Strake, Streikrecht, S. 131 f. 164 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 214. 165 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 213. 166 Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 217. 163

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die Erfüllung des kirchlichen Auftrags einstellen müsste. Die Erfüllung des Auftrags ist doch der eigentliche Grund, aus dem die Kirche den Betrieb überhaupt unterhält. Ohnehin steht den Kirchen die dem weltlichen Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen zur Verfügung stehende Aussperrung wegen ihres Selbstverständnisses nicht offen. Auch andere Kampfmaßnahmen lassen sich mit dem kirchlichen Eigenverständnis nicht vereinbaren und können deswegen nicht eingesetzt werden. Die Kirchen hätten damit gar keine Möglichkeit, ihre Taktik frei auszuwählen, sondern wären auf die Strategie der offenen Tür mit ihren dargelegten Schwächen angewiesen, wenn man Streiks zuließe. Damit greift die These, die fehlende Aussperrungsmöglichkeit führe nicht zur Imparität, zu kurz: Es geht hier nicht bloß um die fehlende Möglichkeit zur Aussperrung, die auch nicht in jedem mit einem weltlichen Arbeitgeber ausgetragenen Arbeitskampf besteht. Der Kirche fehlt aber nicht nur die Möglichkeit auszusperren, sondern sie kann gar keine Kampfmaßnahmen ergreifen. Die Austragung von Arbeitskämpfen widerspräche dem kirchlichen Selbstverständnis und hätte zur Folge, dass die Kirche ihren Auftrag einstellen müsste. Deswegen wäre etwa auch die bloße Drohung mit Betriebsstilllegungen oder Standortverlagerungen, die in normalen Arbeitskämpfen teilweise schon einen Gegendruck erzeugen kann, wirkungslos. Damit verbleibt einem kirchlichen Dienstgeber gar keine Möglichkeit, auf Streiks mit einem Gegendruck zu reagieren. Während ein weltlicher Arbeitgeber die Taktik der offenen Tür frei wählen kann, sofern sie ihm als die für ihn beste Abwehrmöglichkeit erscheint, muss die Kirche den Streik aussitzen, wenn sie nicht nachgeben will, weil dies die einzige ihr verbleibende Möglichkeit ist. Würde man dies von den kirchlichen Dienstgebern verlangen, bedeutete dies auch eine signifikante Schlechterstellung gegenüber weltlichen Arbeitgebern. Zu dem im kirchlichen Dienst weniger ausgeprägten Machtungleichgewicht, das zur Folge hat, dass die Kirche durch Streiks schwerer betroffen ist als ein weltlicher Arbeitgeber, käme dann eine Einschränkung der Abwehrmöglichkeiten im Vergleich mit den Möglichkeiten eines weltlichen Arbeitgebers hinzu. Die Kirche stünde also gleich zwei Mal schlechter als ein weltlicher Arbeitgeber und wäre hiermit verbunden in einer deutlich schlechteren Machtposition als ein weltlicher Arbeitgeber und auch gegenüber der Gewerkschaft. Weil die Kirchen selbst gerade keinen Arbeitskampf führen können, liegt hier keine gleichwertige Ausgestaltung der Arbeitskampfmittel von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor, die der Grundsatz der Parität aber fordert167. Das den Kirchen unterbreitete Abwehrmittel der Strategie der offenen Tür ist folglich schon deshalb kein gleichwertiger Ersatz für eigene Arbeitskampfmittel und nicht geeignet, das Entstehen einer Disparität zu verhindern. Weil ein kirchlicher Arbeitgeber nach alledem nicht die Möglichkeit hat, einen Gegendruck zu erzeugen,

167

Zutreffend Thüsing, ZevKR 41 (1996), 52 (60).

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würde die andere Koalition zwangsläufig das Kampfgeschehen bestimmen, wenn ein Streik zulässig wäre. Der Grundsatz der Parität verlangt aber gerade, dass der Kampfgegner effektive Abwehrmaßnahmen gegen diese Druckwirkung ergreifen können muss168. Der vom Kampf Betroffene muss also in der Lage sein, sich auch unter Zuhilfenahme eigener Kampfmittel effektiv zur Wehr setzen zu können, er muss also auf die Druckausübung reagieren können. Eine Reaktion ist aber mehr als ein passives Abwarten und Aussitzen. Auch hat das BAG in seiner Rechtsprechung zur Parität doch gerade bekräftigt und das BVerfG verfassungsrechtlich gebilligt, dass die bloße Möglichkeit zum Durchhalten eines Arbeitskampfes unter Paritätsgesichtspunkten nicht ausreichend ist, weil dann die Gefahr besteht, dass der Tarifvertrag nicht durch freie Verhandlungen zustande gekommen ist, sondern eine Seite die Bedingungen vorgegeben hat169. (b) Einsatz von Arbeitnehmern nach dem AÜG Teilweise wird vertreten, der Einsatz sogenannter Leiharbeitnehmer170 sei für die Kirchen ein effektives Verteidigungsmittel gegen Streiks171. Diese sollen eingesetzt werden, um die Aufgaben der streikenden Belegschaft zu übernehmen und somit deren Arbeitsausfall zu kompensieren. Die Möglichkeit zum Einsatz dieser Mitarbeiter führe dazu, dass die Kirchen Streiks nicht durchstehen müssten und somit Streiks nicht paritätsstörend seien. Zutreffend ist, dass der Einsatz von Zeitarbeitnehmern dem kirchlichen Selbstverständnis nicht grundsätzlich widerspricht. Die Beschäftigung von Zeitarbeitern ist kein eigentliches Arbeitskampfmittel172. Das ergibt sich schon daraus, dass ein Einsatz von Zeitarbeitnehmern im Grundsatz zulässig ist. Maßnahmen, die die Arbeitgeber unabhängig von Arbeitskämpfen ergreifen dürfen, können nicht zugleich Arbeitskampfmaßnahmen sein, weil diese ja gerade auf eine arbeitskampfrechtliche Rechtfertigung angewiesen sind, um zulässig zu sein. Auch richtet sich der Einsatz von Zeitarbeitern nicht primär auf eine Druckausübung durch die Zufügung wirtschaftlicher Nachteile; bezweckt wird vielmehr eine Kompensation der durch den Streik verursachten Schäden. 168 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); BAG, Urt. v. 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, BAGE 132, 140 (152); vgl. auch Kissel, Arbeitskampfrecht, § 61 Rn. 126. 169 BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (229); BAG, Beschl. v. 21.04.1971 – GS 1/68, BAGE 23, 291 (308). 170 Zu diesem unglücklichen Begriff Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1199 in Fn. 126. 171 LAG Hamburg, Urt. v. 23.03.2011 – 2 Sa 83/10, Rn. 66 (juris); Schubert, RdA 2011, 270 (280); Strake, Streikrecht, S. 131 f. 172 Siehe dazu auch die Übersicht über die Kampfmittel der Arbeitgeber bei Dieterich, in: ErfK, Art. 9 Rn. 213–221; Kissel, Arbeitskampfrecht; a. A. wohl Schubert, RdA 2011, 270 (280).

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Allerdings ist der Einsatz von Zeitarbeitnehmern kein „Allheilmittel“. Zu berücksichtigen ist, dass nicht in jedem Falle ein Einsatz überhaupt möglich ist. Insbesondere bei einem Streik hochspezialisierter Fachkräfte wie etwa bei einem Ärztestreik wird ein Zeitarbeitereinsatz nicht gelingen. Auch ist hinsichtlich der Effektivität eines Einsatzes von Zeitarbeitnehmern anzumerken, dass die entsandten Arbeitnehmer eingewiesen und eventuell angelernt werden müssen. Dies kann mitunter zeitaufwändig sein und steht einer tatsächlichen und effektiven Kompensation von Streikwirkungen entgegen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, das im Bereich der Daseinsvorsorge – und dies ist der Bereich, in dem die kirchlichen Einrichtungen typischerweise tätig sind – ohnehin nur zeitlich eng begrenze Arbeitskämpfe zulässig sind, um die Versorgung nicht zu gefährden. Ferner ist zu beachten, dass die Zeitarbeitnehmer das Recht haben, Streikarbeit nach § 11 V AÜG zu verweigern. Sofern sie ihr Leistungsverweigerungsrecht geltend machen, erlischt ihre Arbeitspflicht in dem entleihenden Unternehmen und der Verleiher kann den Zeitarbeitnehmer anderweitig einsetzen173. Ob Zeitarbeiter als Ersatz für die streikende Stammbelegschaft eingesetzt werden können, hängt also zusätzlich entscheidend davon ab, ob die Zeitarbeiter von ihrem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen. Damit einher geht für den bestreikten Arbeitgeber eine erhebliche Planungsunsicherheit174. Zwar wird hiergegen eingewendet, dass Zeitarbeiter nicht unmittelbar vom Tarifabschluss profitieren und deshalb schwieriger als die Stammbelegschaft zu überzeugen sein werden, die Arbeit zu verweigern175. Andererseits ist es nicht utopisch, anzunehmen, dass die Überzeugungsarbeit gelingt. Eine solidarische Arbeitsverweigerung, also eine solche, die nicht der Verbesserung eigener tariflicher Regelungen dient, sondern Unterstützung signalisieren soll, ist nicht ungewöhnlich und kommt in der Praxis durchaus vor176. Dies zeigt nicht zuletzt das Vorhandensein der Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Unterstützungsstreiks177. Außerdem können Zeitarbeitnehmer über das equal-pay-Gebot, das in den §§ 3 I Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 IV AÜG zum Ausdruck kommt, zumindest mittelbar von dem Tarifabschluss profitieren178. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Übernahme von Streikarbeit bzw. deren Verweigerung in der alleinigen Entscheidung der Zeitarbeitnehmer liegt. Ebenso wie die Stammbelegschaft nicht gezwungen ist, einem Streikaufruf zu folgen und insoweit, in Anlehnung an den Begriff negative Koalitionsfreiheit, auch eine ne173 174 175 176 177 178

Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, § 11 Rn. 125, 127. Vgl. Dieterich, in: ErfK, Art. 9 GG Rn. 214. Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, S. 452. Vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1135. Hierzu § 4 II. 1. b). Wank, in: ErfK, § 11 AÜG Rn. 20

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gative Streikfreiheit179 hat, besteht für die Zeitarbeiter das Verweigerungsrecht nach § 11 V AÜG. Sie können nach § 11 V AÜG frei darüber entscheiden, ob sie sich mit der Stammbelegschaft solidarisch zeigen und die Übernahme von Streikarbeit verweigern. Zeitarbeitnehmer können sich aber auch entschließen, dies nicht zu tun und die Streikausfälle durch ihren Arbeitseinsatz zu kompensieren. In ihrer Entscheidung sind sie insbesondere in finanzieller Hinsicht freier als die Stammbelegschaft. Anders als streikende Beschäftigte behalten Zeitarbeiter im Falle der Verweigerung gemäß §§ 611, 615 S. 3, 1 BGB i.V. m. § 11 IV S. 2 AÜG und den Grundsätzen über die Verteilung des arbeitskampfbedingten Lohnrisikos ihren Vergütungsanspruch180. Es ist Bestandteil des gesetzlich zugewiesenen Wirtschaftsrisikos, dass die Pflicht zur Entgeltzahlung unabhängig davon besteht, ob der Verleiher den Zeitarbeitnehmer im Falle einer Weigerung des Zeitarbeitnehmers, in einem bestreikten Betrieb zu arbeiten, anderweitig beschäftigen kann181. Damit erfolgt aber die Entscheidung, ob ein Zeitarbeiter die Streikenden durch eine Verweigerung von Streikarbeit unterstützt, weitgehend frei von äußeren Faktoren und ist letztlich eine Gewissensfrage182. Entschließt sich ein Zeitarbeiter dazu, Streikarbeit zu übernehmen, liegt dies deshalb an fehlender Mobilisierungskraft des Verbandes oder an mangelnder Solidarität. Diese herzustellen ist allerdings Aufgabe der Gewerkschaft183. Wenn demnach Zeitarbeitnehmer alleine und frei entscheiden können, ob sie sich mit der streikenden Belegschaft solidarisch zeigen und die Übernahme von Streikarbeit verweigern, ist dem Mittel, Zeitarbeiter zur Kompensation von Streikfolgen einzusetzen, allerdings viel von seiner Durchschlagskraft genommen, zumal es nicht in jedem Fall überhaupt möglich ist, diese Arbeitskräfte einzusetzen. Dies bedeutet allerdings, dass der Einsatz von Zeitarbeitnehmern allein kein strukturell effektives Mittel ist, um einem Arbeitskampf zu begegnen. Im Einzelfall können auf diese Weise sicherlich Streikfolgen kompensiert werden. Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern kann allerdings keine eigenen Kampfmaßnahmen ersetzen, sondern diese nur flankieren. Damit ist die Möglichkeit der kirchlichen Arbeitgeber, Zeitarbeitnehmer in einem Arbeitskampf einzusetzen, nicht derart effektiv, dass das drohende Machtungleichgewicht zu Lasten der Kirchen strukturell beseitigt wird. Könnte die Gewerkschaft trotzdem zu Streiks aufrufen, käme dies nach alledem einer Erfolgsgarantie gleich, die allerdings nicht anzuerkennen ist184.

179

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 946. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, § 11 Rn. 125 und 128 f., jeweils m.w. N. 181 Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, § 11 Rn. 125 und 128. 182 Rieble, NZA 2008, 796 (797). 183 Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32, Rn. 79 f. 184 Vgl. BAG, Urt. v. 10.06.1980 – 1 AZR 822/79, BAGE 33, 140 (164); BAG, Urt. v. 10.09.1985 – 1 AZR 262/84, BAGE 49, 303 (314); BAG, Urt. v. 13.07.1993 – 1 AZR 180

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Dies würde eine Gefahr für ein gleichwertiges Aushandeln der Arbeitsbedingungen und damit für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bergen. Wie man es auch dreht und wendet: Aus alledem ergibt sich, dass die Kirchen keine geeigneten Möglichkeiten zur Abwehr eines Streiks haben. Sie haben keine Möglichkeit, effektiv zu reagieren und so ein Machtgleichgewicht wiederherzustellen. Einem Streik können sie nichts Adäquates entgegensetzen. Damit wären sie auf ein Durchstehen der Kämpfe angewiesen, und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wäre in Gefahr. Dies verhindert indessen der Grundsatz der Parität. Fraglich ist schließlich, welche Folgen sich aus dieser Imparität ergeben. (3) Folgen der Imparität Im Allgemeinen wird der Grundsatz der Parität als Grenze des Arbeitskampfrechts angesehen185. Teilweise wird allerdings die Annahme abgelehnt, dass ein Paritätsverlust hier zu einem Ausschluss des Arbeitskampfes führe186. Dies wird mit einer Parallele zu Streiks von Spartengewerkschaften im Zusammenhang mit dem Wegfall des Grundsatzes der Tarifeinheit begründet187. Sofern Spartengewerkschaften, die nur eine geringe Anzahl an Arbeitnehmern in einem Betrieb vertreten, zu Streiks aufrufen, könne zwar der gesamte Betrieb zum Erliegen kommen, ein Arbeitgeber könne darauf aber nicht mit einer Aussperrung aller Arbeitnehmer reagieren188: Die nicht dieser Sparte angehörigen Arbeitnehmer könnten nicht ausgesperrt werden, da sie nicht vom Streik profitierten, und anders organisierte Arbeitnehmer könne der Arbeitgeber nicht aussperren, da dies einen Verstoß gegen die Friedenspflicht darstellte189. Deswegen müsse der Arbeitgeber unter Umständen den Betrieb einstellen und trotzdem den überwiegenden Teil des Lohnrisikos tragen190. Wegen dieser Situation sei in der Lehre die Ansicht verbreitet, dass die Anforderungen an die Zulässigkeit von Streiks in dem Sinne zu erhöhen seien, dass zuvor ein Schlichtungsverfahren mit einem nicht bindenden Schlichterspruch durchzuführen sei191 und Streiks vorher angekündigt werden müssten192. Dies zeige, dass bei fehlender Möglichkeit zur Aussperrung und den dadurch entstehenden Gefahren für die Kampfparität das Ar676/92, BAGE 73, 320 (329); Stahlhacke, Zulässigkeit neuer Kampfmittel, S. 10; Wesch, Neue Arbeitskampfmittel, S. 199; ähnlich auch Rieble, NZA 2008, 796 (797). 185 BAG, Urt. v. 12.09.1984 – 1 AZR 342/83, BAGE 46, 322 (353); Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 969. 186 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 175; ähnlich wohl auch Oswald, Streikrecht, S. 148. 187 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 176. 188 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 176. 189 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 176. 190 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 176 f. 191 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 177 m.w. N. 192 Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 179 m.w. N.

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beitskampfrecht der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen, sondern nur eingeschränkt werde193. Diese Gedanken seien auf die Kirchen übertragbar; zusätzlich zu den Voraussetzungen, dass vor Streiks ein Schlichtungsverfahren durchzuführen sei und dass Streiks angekündigt werden müssten, sei eine zahlenmäßige Begrenzung der streikenden Beschäftigten vorzunehmen, damit die Kirchen ihren Auftrag nicht suspendieren müssen194. Ergebnis dieser Auffassung wäre allerdings, dass die Kirchen darauf verwiesen würden, einen Arbeitskampf durchzustehen, weil sie keine effektiven Mittel zur Abwehr einsetzen können. Das führt zu der Gefahr, dass die dann geschlossenen Tarifverträge nicht auf einem freien Aushandeln beruhen195. Dabei fehlt aber die Richtigkeitsgewähr, die eine Funktionsvoraussetzung der Tarifautonomie ist. Dies verhindert allerdings der Grundsatz der Parität, der das „Arsenal zulässiger Kampfmaßnahmen“ bestimmt196. Deswegen führt der Paritätsverlust hier zu einem generellen Streikausschluss. Die Rechtsprechung zur Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit lässt sich auch nicht eins zu eins auf die hier vorliegende Situation übertragen, weil hierbei die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes und die Rechtsstellung der Kirchen als Träger des Selbstbestimmungsrechts keine Berücksichtigung finden. Insbesondere hat ein weltlicher Arbeitgeber andere Mittel zur Verfügung, um die Parität wiederherzustellen. Er kann beispielsweise neben einer Aussperrung auch den Betrieb verlagern, stilllegen, Bereiche ausgliedern oder Streikbruchprämien zahlen. Dies alles kann die Kirche nicht, weil es ihrem Selbstverständnis widerspricht und darüber hinaus die Erfüllung des kirchlichen Auftrages verhindert. Aus diesem Grunde kann die These, ein Verlust von Parität führe in diesem Fall nicht zu einer Unzulässigkeit von Arbeitskämpfen, hier nicht überzeugen. Insofern ist nach alledem davon auszugehen, dass die fehlende Möglichkeit der Kirchen, selbst Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, zu einem Paritätsverlust zu Lasten der Kirchen führt, sofern die Dienstnehmer ein Streikrecht hätten. Weil dies die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bedroht, führt die Imparität zu einem Streikausschluss. e) Ergebnis zum Zweiten Weg Auch im kirchlichen Zweiten Weg können die Kirchen einen Arbeitskampf kraft ihres Selbstbestimmungsrechts ausschließen. Der Streikausschluss ist mit der Koalitionsfreiheit vereinbar, wenn die Kirchen einen anderen tauglichen Mechanismus zur Lösung von Interessenkonflikten im Zweiten Weg installieren. 193 194 195 196

Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 180. Wiegelmann, Zulässigkeit und Grenzen, S. 178–180. BAG, Beschl. v . 21.04.1971 – GS 1/68, BAGE 32, 292 (308). BAG, Urt. v. 10.09.1985 – 1 AZR 262/84, BAGE 49, 303 (314).

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§ 7 Konfliktlösungsvorschläge für den sog. Zweiten Weg

Dies haben sie durch die Einführung eines verbindlichen Schlichtungsverfahrens getan, weil eine verbindliche Schlichtung ebenfalls zur Parität führen kann. Wäre der Streikausschluss unwirksam, wären kirchliche Arbeitgeber auf ein Durchstehen des Arbeitskampfes angewiesen. Dies hätte zur Folge, dass die Tarifverträge nicht aufgrund freier Verhandlungen zustande gekommen sind, sondern dass eine Seite die Bedingungen diktiert hat. In diesem Falle fehlt allerdings die Richtigkeitsgewähr. Damit ergibt sich auch aus den allgemeinen arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen ein Streikausschluss.

§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse I. Das Selbstbestimmungsrecht 1. Die Grundlage für den Streikausschluss ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV. Diese Vorschrift räumt den Kirchen die Befugnis ein, die eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten. Sie steht im engen Bezug zur Glaubensfreiheit und ergänzt sie derart, dass sie die zur Erfüllung der kirchlichen Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über die Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt. Damit akzeptiert der Staat eine kirchliche Rechtsetzungsbefugnis für den Bereich der eigenen Angelegenheiten. Den Kirchen wird ein Freiraum garantiert, innerhalb dessen sie nach eigenen Ordnungsgesichtspunkten und dem eigenen Selbstverständnis Regelungen herbeiführen können, um die sich aus dem kirchlichen Auftrag ergebenden Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können. Das Selbstbestimmungsrecht ist zwar ein Freiheitsrecht, jedoch nicht in einem grundrechtlichen Sinne. Weil es die Regelungsautonomie einer Institution festschreibt, dient es vielmehr der Abgrenzung zwischen zwei Gewalten und ist damit auch Kollisionsnorm. 2. Auf dieses Selbstbestimmungsrecht können sich auch die Einrichtungen der Kirchen berufen. Voraussetzung ist, dass sie nach kirchlichem Selbstverständnis dazu berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche zu erfüllen und dass die Kirche ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten auf die Einrichtung hat. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, nimmt die Einrichtung teil am Schutz durch das Selbstbestimmungsrecht und kann sich deshalb auf die kirchlichen Regelungen berufen. 3. Bezugspunkt des Selbstbestimmungsrechts sind die eigenen Angelegenheiten der Kirche. Welche Betätigungen hierzu im Einzelnen zählen, bestimmt sich aufgrund des engen Bezugs des Selbstbestimmungsrechts zur Glaubensfreiheit nach dem kirchlichen Selbstverständnis. Zu diesen eigenen Angelegenheiten gehört es auch, dass die Kirche die Beschäftigungsverhältnisse an die Besonderheiten, die sich aus dem religiösen Bekenntnis ergeben, anpassen kann. Wenn die Kirche Arbeitsverhältnisse schließt, gilt als Folge daraus das staatliche Arbeitsrecht. Gleichwohl hebt dies die Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten nicht auf. Daher kann die Kirche auch dann, wenn sie Arbeitnehmer einstellt, mit Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis Modifikationen des staatlichen Arbeitsrechts vornehmen. Dies hat die Kirche getan. Zentraler Grundsatz für die Ordnung des kirchlichen Dienstes ist die Vorstellung von einer Dienstgemeinschaft.

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§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse

Danach erfüllt jeder Mitarbeiter seine Arbeitspflicht als Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags. Zudem bilden alle im kirchlichen Dienst Tätigen, egal ob sie Dienstgeber oder Dienstnehmer sind, eine Gemeinschaft. Mit diesem Ordnungsgrundsatz verträgt sich nach kirchlicher Auffassung ein Streikrecht nicht, das die Kirchen deswegen ausgeschlossen haben. Ein Streik würde nach kirchlichem Verständnis dazu führen, dass der kirchliche Auftrag nicht mehr erfüllt werden könnte, und er würde die Dienstgemeinschaft in ein Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlager aufspalten. Zudem passen nach kirchlichem Selbstverständnis eine kampfweise Auseinandersetzung und der von Jesus Christus vorgegebene Auftrag, Konflikte friedlich zu lösen, nicht zusammen. Deswegen haben die Kirchen den Streik ausgeschlossen. 4. Die kirchliche Regelungsbefugnis gilt indessen nicht unbegrenzt, sondern in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese Schrankenformel dient der Koordinierung staatlicher und kirchlicher Aufgaben und damit einem friedlichen Miteinander von Staat und Kirche. Hiernach sind mit einer kirchlichen Regelung kollidierende staatliche Normen potentiell für alle geltende Gesetze. Ob sie tatsächlich eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden, beurteilt sich anhand einer Güterabwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck, bei der dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht beizumessen ist. 5. Im völkerrechtlichen Bereich hat sich vor allem der EGMR mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht auseinandergesetzt. Er leitet ein solches aus der kollektiven Glaubensfreiheit her. Eine dem deutschen Selbstbestimmungsrecht vergleichbare Norm gibt es in der Konvention nicht. Der EGMR hat auch für den Bereich des Arbeitsrechts eine Regelungsbefugnis der Kirchen anerkannt. Hierbei hat er bekräftigt, dass es keinen Verstoß gegen die Konvention darstellt, wenn allein die Kirche bestimmt, was ihre Aufgaben sind und was eine glaubwürdige Erfüllung dieser Aufgaben erfordert. Damit bestehen gegen den Grundsatz der Dienstgemeinschaft und die Einheit des Dienstes konventionsrechtlich keine Bedenken. Die kirchlichen Regelungen dürfen allerdings im Einzelfall keine unannehmbare Verpflichtung der Arbeitnehmer darstellen. Insoweit muss eine umfassende Abwägung des kirchlichen Rechts auf Selbstbestimmung mit den Grundrechten der Arbeitnehmer stattfinden. Im Prinzip hat der EGMR das deutsche Staatskirchenrecht konventionsrechtlich bestätigt, auch wenn er im Einzelfall zu anderen Abwägungsergebnissen gelangt als deutsche Gerichte. 6. Auf EU-Ebene ist der nationale Kirchenstatus garantiert. Damit muss die Union bei ihrer Tätigkeit auch das Selbstbestimmungsrecht deutscher Prägung beachten und darf es nicht beeinträchtigen. Ferner besteht keine direkte Kompetenz der EU im Bereich das Staatskirchenrechts, so dass eine zielgerichtete Rechtssetzungstätigkeit unionsrechtlich nicht zulässig wäre. Damit ist auch europarechtlich ein Stück Selbstbestimmung der Kirchen gewährleistet.

II. Das Streikrecht

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II. Das Streikrecht 1. Weil bei Kollisionen von kirchlichen und staatlichen Normen die staatliche Norm immer eine potentielle Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts darstellt, liegt es nahe, eine solche Bestimmung in der verfassungsrechtlichen Garantie des Streikrechts zu sehen, das die Kirchen ausschließen wollen. Das Streikrecht ergibt sich aus Art. 9 III GG. Aus dem Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Koalitionen zu bilden, sind auch die Koalitionen hinsichtlich Bildung und Bestand geschützt. Weitergehend muss aber auch ein Schutz in Bezug auf ihre Betätigung gegeben sein, weil anderenfalls Bildung und Bestand nur eine leere Hülse wären. Zu den geschützten Betätigungen zählt der Abschluss von Tarifverträgen, die mit normativer Wirkung die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten festlegen. Hierdurch soll die strukturelle Schwäche der einzelnen Arbeitnehmer bei der Aushandlung gerechter Arbeitsbedingungen ausgeglichen werden. Um Tarifverträge zu erreichen, muss es ein Druckmittel geben, weil anderenfalls die Arbeitgeber durch die bloße Verweigerung den Abschluss derartiger Vereinbarungen verhindern könnten. Dieses Druckmittel ist der Streik, der durch Vorenthalten der geschuldeten Arbeitsleistung ausgeübt wird. Ohne ihn würde die Tarifautonomie nicht funktionieren. Daher ist der auf den Abschluss von Tarifverträgen zielende Streik grundrechtlich garantiert. Das Streikrecht ist damit als Mittel des Koalitionsverfahrens zur Erreichung von Tarifverträgen geschützt. Aus diesem Tarifbezug ergibt sich also die Rechtfertigung und zugleich die Grenze des Streikrechts. 2. Mehr noch als andere Freiheitsrechte bedarf die Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung. Sie ist – anders als natürliche Freiheiten wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit – auf einen gesetzlichen Rahmen angewiesen, innerhalb dessen sie ausgeübt werden kann. Das gilt insoweit auch für das Streikrecht. Diese Ausgestaltung dient auch einem Ausgleich mit kollidierenden Positionen, denn ein Streik greift zielgerichtet in Rechtspositionen anderer ein und unterscheidet sich insofern von natürlichen Freiheiten. Daneben kann das Streikrecht Einschränkungen unterworfen werden. Das Streikrecht ist zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Schranken ergeben sich aus kollidierendem Verfassungsrecht. 3. Europa- und völkerrechtlich besteht ebenfalls ein Schutz des Streikrechts. Nach richtiger Ansicht steht das deutsche Arbeitskampfrecht mit Art. 6 Nr. 4 ESC im Einklang. Unionsrechtlich ist das Streikrecht vom EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt worden; der Umfang der Gewährleistung richtet sich aber nach nationalem Recht. Der nunmehr verbindliche Art. 28 GRC beinhaltet den Schutz eines Streikrechts, hat jedoch im Hinblick auf die fehlende Kompetenz der Union auf dem Gebiet des Arbeitskampfrechts nur geringe eigenständige Bedeutung. Die EU will der EMRK beitreten, so dass bei einem Beitritt auch der Schutz der Menschenrechtskonvention auf EU-Ebene gilt. Die Men-

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§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse

schenrechtskonvention beinhaltet nunmehr auch ein Streikrecht, das der EGMR aus Art. 11 EMRK herleitet. Im Prinzip hat der EGMR den Schutzbereich auch auf Beamte und auf politische Streiks erstreckt. Diese Formen sind traditionell von Art. 9 III GG gar nicht umfasst. Fraglich erscheint, ob aufgrund der Herleitung aus der Koalitionsfreiheit eine Ausweitung des Art. 9 III GG zur Umsetzung dieser Rechtsprechung des EGMR methodisch vertretbar wäre oder ob nicht eine Verfassungsänderung erforderlich würde, sofern diese Handlungsformen ebenfalls geschützt sein müssten. Dringender Handlungsbedarf besteht aber derzeit nicht, da ein Verstoß des deutschen Rechts gegen die EMRK zumindest zweifelhaft erscheint und ein solcher vom EGMR bislang nicht festgestellt worden ist. Damit bleibt es vorerst beim Tarifbezug als Grenze des Arbeitskampfrechts.

III. Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen 1. Bei Anwendung des Dritten Weges a) Dass das sich aus der Koalitionsfreiheit ergebende Streikrecht eine potentielle Schranke ist, heißt noch nicht, dass es gegenüber der kirchlichen Regelung automatisch vorrangig ist. Um zu bestimmen, ob die kirchliche oder die staatliche Regelung gilt, muss eine Güterabwägung vorgenommen werden. Die hier vorzunehmende Güterabwägung unterscheidet sich von Abwägungen, die bei widerstreitenden Grundrechten vorgenommen werden. Dies ist deswegen angezeigt, weil das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auch eine Kollisionsnorm und gerade kein Grundrecht ist. Daher ist im Rahmen der Abwägung dem kirchlichen Selbstverständnis ein besonderes Gewicht zuzumessen. Erst wenn eine staatliche Regelung unumgänglich oder zwingend geboten ist, vermag sie das Selbstbestimmungsrecht zu beschränken. Daher ist hier eine Abwägung anhand des Untermaßverbots vorzunehmen: Erst wenn eine staatliche Regelung zum Schutz der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, kann sie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beschränken. Insofern ist die kirchliche Regelung zulässig, wenn sie das durch die Koalitionsfreiheit vorgesehene Mindestmaß an sozialem Schutz gewährt. b) Die Kirchen schließen allerdings nicht nur den Streik aus, sondern wenden ein eigenständiges Verfahren zur Regelung der Arbeitsbedingungen an. Im Rahmen dieses sogenannten Dritten Weges werden die Arbeitsbedingungen durch paritätisch besetzte Kommissionen bestimmt. Sofern keine Einigung erzielt werden kann, entscheidet ein Schlichtungsausschuss über die strittige Frage. Weil das Streikrecht aber nur zur Durchsetzung tariflicher Forderungen anerkannt ist und die Kirchen den Dritten Weg verfolgen, ist die Frage nach dem Streikausschluss ein Stück weit grundsätzlicher: Es geht darum, ob die Kirchen ihren eigenen Weg mit dem Streikausschluss beschreiten dürfen oder ob sie zu einem Systemwechsel gezwungen werden können.

III. Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen

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c) Zwar schützt die Koalitionsfreiheit auch die Tarifautonomie als Institution. Jedoch ist die Tarifautonomie nicht die ausschließliche Form zur Erreichung des Koalitionszwecks. Damit ist der Dritte Weg im Prinzip möglich, er muss aber auch eine der Tarifautonomie ähnliche, sinnvolle Ordnung herbeiführen. Eine strikte Gleichwertigkeit ist nicht erforderlich, weil Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit nicht miteinander identisch sind. d) Der Zweck der Tarifautonomie besteht darin, dass ein etwa gleichgewichtiges Aushandeln verbindlicher Mindestarbeitsbedingungen stattfindet, damit die Chance auf gerechte Arbeitsbedingungen besteht. Daher führt auch der Dritte Weg zu einer Erreichung des Koalitionszwecks und ist damit ähnliche sinnvoll wie die Tarifautonomie, sofern auch in diesem Verfahren auf gleicher Augenhöhe über die Arbeitsbedingungen verhandelt werden kann. e) Weil im Dritten Weg paritätisch besetzte Kommissionen über die Arbeitsbedingungen verhandeln und die Dienstnehmervertreter durch Schulungen und wegen Regelungen, die ihre Unabhängigkeit sicherstellen, fachlich in der Lage sind, die ihnen anvertrauten Interessen sachgerecht zu vertreten, kann weder einseitig eine Regelung getroffen werden, noch besteht die Gefahr, dass es zu ungerechten Lösungen kommt. f) Dies allein reicht jedoch nicht aus. Wegen der Parität kann es zu Pattsituationen bei Abstimmungen kommen. Für diesen Fall muss ein Mechanismus bestehen, der das Abstimmungspatt überwindet. Die Konfliktlösung liegt regelmäßig in der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. Dieses erfolgt im Schlichtungsausschuss, der paritätisch besetzt ist und im Regelfall zusätzlich aus einem neutralen und unabhängigen Vorsitzenden besteht. Jede Seite kann den Ausschuss anrufen. Auch in diesem Verfahren ist institutionell gesichert, dass keine Seite die Bedingungen vorgeben kann, sondern dass ein beide Seiten angemessen berücksichtigendes Ergebnis gefunden wird. Wichtig ist, dass die Schlichtungsergebnisse bindend sind und nicht nur Vorschlagscharakter haben. Dann ist gesichert, dass über jede beliebige Forderung in Bezug auf Abschluss, Inhalt und Beendigung von Dienstverhältnissen verhandelt und verbindlich entschieden wird. Weil einseitig der Schlichtungsausschuss angerufen werden kann, kann sich eine Seite nicht der Forderung durch ein Nichtverhandeln entziehen, so dass in diesem Sinne faktisch eine Verhandlungspflicht besteht. Dies ist sogar ein Mehr im Verhältnis zum Tarifsystem. Dieses Schlichtungsverfahren widerspricht nicht dem Verbot der Zwangsschlichtung, das sich auf die Tarifautonomie bezieht und nicht auf den Dritten Weg übertragbar ist. g) Ferner widerspräche es dem Zweck der Koalitionsfreiheit, eine sinnvolle Regelung der Arbeitsbedingungen durch annähernd gleichgewichtige Partner zu erreichen, wenn sich der Bischof prinzipiell über Beschlüsse oder Schlichtungsergebnisse hinwegsetzen könnte. Zwar setzt er die Beschlüsse kirchengesetzlich um. Dabei steht ihm ein Prüfungsrecht derart zu, dass er die Umsetzung verwei-

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§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse

gern kann, wenn die Beschlüsse evident gegen die kirchliche Ordnung verstoßen. Darüber hinaus ist aber kein Letztentscheidungsrecht anzuerkennen. h) Auch ist erforderlich, dass die auf dem Dritten Weg beschlossenen Regelungen verbindlich sind. Müsste sich eine Seite nicht an die Vereinbarungen halten, wären sie im Zweifel nicht viel wert. Eine kirchengesetzliche Möglichkeit für die einzelnen Dienstgeber, von den Beschlüssen einseitig abweichen zu können, lässt sich nicht mit dem Ziel vereinbaren, durch gleichberechtigtes Aushandeln der Arbeitsbedingungen eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens zu gestalten. i) Die Gewerkschaften sind des Weiteren wegen ihres Betätigungsrechts in das Verfahren einzubinden. Ausreichend ist aber, dass ein mittelbarer Einfluss gesichert ist. Dieser kann etwa darin bestehen, dass die Gewerkschaften Wahlempfehlungen oder Wahlvorschläge artikulieren können. Eine direkte Mitarbeit in den Kommissionen ist nicht zwingend erforderlich, weil dies zu einer Aufspaltung des Dienstnehmerlagers und damit zu einer Schwächung des Dritten Weges führen kann. Andere koalitionsspezifische Betätigungen werden durch den Dritten Weg ohnehin nicht tangiert. j) Erfüllt der Dritte Weg in seiner konkreten Ausgestaltung nicht die soeben dargestellten Voraussetzungen, die sich aus Art. 9 III GG ergeben, so besteht ein Beseitigungsanspruch der Dienstnehmer und der Gewerkschaften, mit dem die Vorenthaltung der sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Rechte geltend gemacht werden kann. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Dritte Weg funktioniert und die sich aus der Koalitionsfreiheit ergebenden Anforderungen erfüllt. Ein Streikrecht besteht auch in einem solchen Falle nicht. k) Ein Systemwechsel kann damit nicht erzwungen werden, da die Entscheidung der Kirche für den Dritten Weg und gegen das Tarifvertragssystem zu beachten ist. Auch ein Streikrecht innerhalb des Dritten Weges ist wegen des fehlenden Tarifbezugs abzulehnen. Andere Kollektivmaßnahmen dürfen die Eigenheiten des kirchlichen Dienstes nicht verletzen. l) Dieses Abwägungsergebnis ist auch in Bezug auf die EMRK haltbar. Weil es innerhalb der Mitgliedstaaten keinen Konsens hinsichtlich des Staat-Kirche-Verhältnisses gibt und weil ein Ausgleich zwischen widerstreitenden Konventionsrechten erfolgen muss, räumt der EGMR den Mitgliedstaaten einen sehr weiten Spielraum bei der Koordinierung dieser Freiheiten ein. Demnach ist die Kontrolldichte des EGMR weit zurückgefahren und es ist lediglich ein konventionsrechtlich vertretbares Ergebnis zu verlangen. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung ist zu berücksichtigen, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Kern getroffen wäre, wenn Streiks zulässig wären. Denn vom Ausschluss des Streikrechts und dem Beschreiten des kirchengemäßen Dritten Weges hängt auch die Glaubwürdigkeit der Kirche ab. Dieser Streiklausschluss stellt keine unangemessene Beschränkung der Rechte der Dienstnehmer aus Art. 11 EMRK dar. Zwar

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hat der EGMR aus dieser Vorschrift Betätigungsrechte der Gewerkschaften hergeleitet, zu denen er auch ein Streikrecht zählt, um für eine Interessenvertretung der Mitglieder zu sorgen. Allerdings können die Dienstnehmer sich durch die paritätische Gestaltung des Dritten Weges, der dem Tarifsystem gleichwertig ist, angemessen einbringen und ihre Interessen vertreten. Eines Streikrechts bedarf es damit zur Durchsetzung der Rechte nicht. Sofern weitergehende Beteiligungsrechte der Gewerkschaften anzunehmen wären, könnte dies soweit umgesetzt werden, wie es nicht zu einer Schwächung des Dritten Weges führt. Denkbar wäre ein Anhörungsrecht. 2. Bei Anwendung des Zweiten Weges a) Derzeit wenden die Evangelische Kirche-Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und die ehemalige Nordelbische Kirche Tarifverträge an. Vereinbart wurde zudem, dass die Diakonie in Niedersachsen zukünftig Tarifverträge schließt. Sofern die Kirchen den Zweiten Weg anwenden und Tarifverträge schließen, nehmen sie Modifikationen des staatlichen Tarifsystems vor, um den bekenntnisspezifischen Besonderheiten des kirchlichen Dienstes Rechnung zu tragen. Auffälligste Abweichung vom Tarifsystem ist der Streikausschluss. Dieser ergibt sich entweder kirchengesetzlich oder dadurch, dass die Kirche es zur Bedingung für die Aufnahme von Tarifverhandlungen macht, dass in einem Grundlagentarifvertrag eine absolute Friedenspflicht vereinbart wird. Eine derartige Vereinbarung ist zulässig und stellt keinen Verstoß gegen Art. 9 III 2 GG dar. Trotz der Modifikationen ist dieser kirchengemäße Zweite Weg dem Tarifsystem im Sinne des TVG zuzuordnen, da er an vielen Stellen das TVG voraussetzt. Damit sind die kirchlichen Tarifverträge solche im Sinne des TVG. b) Der Streikausschluss stellt keinen Verstoß gegen Art. 9 III GG dar, wenn die Kirchen ein adäquates Surrogat zur Verfügung stellen. Dieses liegt in einem verbindlichen Schlichtungsverfahren. Hinsichtlich dieses Schlichtungsverfahrens ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber der Schlichtung im Dritten Weg. Jede Seite kann den Ausschuss anrufen und keine Seite hat im Schlichtungsverfahren ein strukturelles Übergewicht. Auf diese Weise wird über jede Forderung verbindlich entschieden. Damit besteht die Chance auf einen „richtigen“ Schlichterspruch. c) Regeln die Kirchen ihre Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge, die in diesem modifizierten Tarifsystem zustande gekommen sind, besteht für die Gewerkschaften ein großer Bereich, innerhalb dessen sie sich koalitionsspezifisch betätigen können. Insofern bietet der Zweite Weg ein deutliches Mehr an Betätigung im Verhältnis zum Dritten Weg. d) Aus der EMRK ergeben sich keine Bedenken gegen diesen Zweiten Weg. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Gewerkschaften organisatorisch in den Zweiten Weg eingebunden sind und sich insoweit betätigen können, um für

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§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse

die Interessen ihrer Mitglieder eintreten zu können. Diese Betätigungsmöglichkeit und das Streiksurrogat ermöglichen es den Kirchen, Streiks auszuschließen. e) Zudem ergibt sich ein Streikausschluss aus allgemeinen arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen, namentlich aus dem Grundsatz der Parität. Ein Streik verschiebt das Machtgleichgewicht stärker als bei einem weltlichen Arbeitskampf, da das Machtungleichgewicht im kirchlichen Dienst wesentlich abgemildert ist. Die Kirchen hätten ferner bei einem Streik keine Möglichkeit, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. So können sie nach ihrem Selbstverständnis keine Aussperrungen vornehmen. Darüber hinaus haben die Kirchen keine Möglichkeit, andere Maßnahmen zur Gegenwehr zu ergreifen. Betriebsstilllegungen kommen nicht in Betracht, da dies zu einer Suspendierung des kirchlichen Auftrages führen würde. Andere Arbeitskampfmaßnahmen können die Kirchen ebenfalls nicht einsetzen, weil es dem kirchlichen Selbstverständnis widerspricht, Arbeitskämpfe auszutragen. Daher wären sie auf ein Durchstehen der Streiks angewiesen. Dies verhindert indessen der Grundsatz der Parität, weil anderenfalls nicht sichergestellt ist, dass der umkämpfte Tarifvertrag aufgrund freier Verhandlungen entstanden ist, sondern die Möglichkeit besteht, dass eine Seite die Bedingungen diktiert hat. Dann fehlt allerdings die Richtigkeitsgewähr.

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Sachwortverzeichnis Abstufung der Loyalitätspflichten 77 f., 105 f., 251–253 Abwägung siehe Güterabwägung Abwehrrecht 29, 41–43, 45, 90, 134, 136 Achtung der nationalen Identität 97 f., 99 Achtung des Privat- und Familienlebens 104 Allgemeiner Rechtsgrundsatz 98, 100, 101 f., 146, 147, 149–152, 158 f., 161, 186, 329 Allgemeines Gesetz siehe Sondergesetz Amsterdamer Erklärung, 99 f., 266 – Achtungsgebot 100 – Beeinträchtigungsverbot 100 Amsterdamer Kirchenklausel siehe Amsterdamer Erklärung Anwendungsvorrang 23, 147, 150 Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Gegensatz 76 f., 188, 192, 318 f., 328, 334 Arbeitskampfrecht – Annex siehe Hilfsfunktion für die Tarifautonomie – Ausgestaltung 116, 119, 130–140, 210 f. – Ausgestaltung durch Kirchen 211 f., 218–220 – Ausgestaltungsauftrag 139 f. – Begriff des Arbeitskampfes 110 f. – Bereichsausnahme 148 f., 155 f. – formell-gesetzliche Grundlage 89 f., 110, 173 f., 189 f., 206, 213 f. – Funktionszusammenhang siehe Hilfsfunktion für die Tarifautonomie – Hilfsfunktion für die Tarifautonomie 117 f., 120–125, 127–130, 135, 141– 143, 177, 181 f., 284, 296, 306, 313 – Kernbereichslehre siehe dort

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natürliche Freiheit 133–138 normgeprägte Freiheit 133–138 Parität siehe dort siehe auch Streik Tarifbezug als Grenze 120–125, 127– 130, 163 f., 167, 172, 177 f., 181–185, 222, 258 Arbeitsrechtliche Kommission siehe Kommission Asymmetrische Abwägung 190 f., 207, 219, 225, 247, 274 f. Auftrag, kirchlicher siehe unter kirchlicher Auftrag Ausgestaltung – Abgrenzung zum Eingriff 138 f. – freiheitseinschränkende Wirkung 138 – Funktion 134 f. – Grenze 138 – siehe auch Normgeprägte Freiheit Ausgestaltungsspielraum siehe Beurteilungsspielraum Auslegung – Gesetzeshistorie 44, 48 f., 52 f., 182 f. – Gesetzessystematik 43 f., 49, 51 f., 65, 142, 154 f., 163 f. – Gesetzeswortlaut 35, 50, 61, 67, 84, 89, 150, 154, 163, 179, 181, 185, 278, 302 – Grenze 178–180 – Sinn und Zweck der Norm 53 f., 68, 90, 137, 179, 181 f., 261 – völkerrechtsfreundliche siehe unter völkerrechtsfreundliche Auslegung Aussperrung 111, 115, 189, 192, 316– 318, 319, 324 f., 334 Beamtenstreik – Diskussion über Zulässigkeit 171 f.

Sachwortverzeichnis – Folgen der EGMR-Entscheidungen für den kirchlichen Streikausschluss 172 f., 269–271 – Neue EGMR-Entscheidungen 168–170 – Neue Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte 170 f. Bereichsausnahme 96, 100, 148 f., 155 f., 266 Bereichslehre 81, 84 f. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 55, 256 f., 259 Beurteilungsspielraum 107 f., 177, 218, 271–274, 275, 278, 282, 287 Bindungswirkung von EGMR-Entscheidungen 175 f., 178–181, 269 Bischof – Letztentscheidungsrecht 237–240 – Notfallkompetenz 237 f. – Stellung 237 f. – Teil der Dienstgemeinschaft 76 f., 237 f. – Vetorecht 239 f. Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) – Anwendungsbereich 152 – kirchliches Selbstbestimmungsrecht 101 – neue Kompetenzen der EU 155 f., 162 – Religionsfreiheit 101 – Streikrecht 152 f. – EMRK als Mindestniveau 161 f. – Verweis auf mitgliedsstaatliches Recht 153–157 Dienstgemeinschaft – Abmilderung des Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Gegensatzes 77, 188, 192, 258, 318 f. – Arbeitsrechtliche Konsequenzen 77– 79, 220 f., 276 – Begriff und theologische Begründung 25 f., 75–77, 220 f., 276, 327 f. – Bischof als Teil 237 f., 239

359

– Einheitliche Beschäftigungsbedingungen 242 f., 247, 291 f., 294, 297 f., 307–309 – EMRK 105 f., 267, 270, 283 – gestufte Loyalitätspflichten 76, 77 f., 105 f., 202, 251–253, 270, 282–284 – geteiltes Streikrecht 182 f., 201 f., 251–253, 269 f., 282–284, 288 – Gewerkschaften 244–250, 279–282, 288, 307–309, 313 – Koalitionsbetätigung 244–249, 259– 266, 278–282, 307–309, 313 f. – Modifikation des Tarifsystems 290, 291 f., 294 f., 296–300, 306 – Unvereinbarkeit mit Arbeitskämpfen 78 f., 188 f., 196, 205 f., 220 f., 294, 316 – Verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit 77, 205 f., 288 – zentraler Ordnungsgrundsatz 75, 93, 220, 251 f., 261, 290, 306 – Zweistufigkeit der Schlichtung 231, 312 Diskriminierungsverbot – Grundfreiheiten 158, 161 – religionsrechtliches 99 Dritter Weg – Anhörungsrecht der Gewerkschaften 281 f., 288, 289 – Ausgestaltung durch Landeskirchen bzw. Bistümer 26, 27, 226 f. – Begriff 25 – Blockade 240 f., 254–257, 264 f., 279 – Demonstrationen 262–265 – Drittwirkungsklausel siehe unter Koalitionsfreiheit – Gebrauch 25–27 – geteiltes Streikrecht 201 f., 251–253, 269 f., 282–284, 288 – Gewerkschaftsbeteiligung 199, 244– 250, 259, 279–282, 288 – Gleichwertigkeit mit Tarifsystem 198– 201, 224–266, 229, 249, 279 – Kommission siehe dort

360

Sachwortverzeichnis

– Konfliktlösungsmechanismus siehe Schlichtungsausschuss – Letztentscheidungsrecht 200, 237– 240, 331 f. – Mitarbeiterversammlungen 261 f. – Öffnungsklauseln 242–244 – Schlichtungsausschuss siehe dort – Streikausschluss 25–27, 78–80, 120, 141, 172 f., 177, 186, 220–222, 251– 253, 254–257, 257–259, 277–279 – Streikrecht 191–196, 200 f., 201 f., 257–259 – theologische Begründung 75–77, 220 f., 243 – Verdrängung des Tarifvertragssystems 141, 199, 221 f., 253–255 – Verhandlungspflicht 235, 279 Eigene Angelegenheiten der Kirchen – Abschluss von Arbeitsverträgen 70– 74, 220 – Begriff 62–69 – Beschäftigung von Personal 69 f. – Bestimmung anhand des Selbstverständnisses 64, 65–68, 220 f. – Beweislast 67 f., 105 f. – Modifikation des staatlichen Arbeitsrechts 74–80 – objektive Bestimmung 62–64, 65 – Streikausschluss 78–80, 221 Einheit der Verfassung 34, 38, 85, 92, 144, 197, 206, 250 Einheit des Dienstes 76 f., 188, 220, 246 f., 251 f., 262, 264, 267, 270, 276, 308 f., 328 Einheitliche Beschäftigungsbedingungen 247, 291 f., 294, 297 f., 308 f. Einigungsstelle 177, 231, 232 f., 234, 318 Erst-Recht-Schluss 114, 190, 193, 207 Erzwingbarer Systemwechsel siehe Systemwechsel ESC siehe Europäische Sozialcharta

EU-Grundrechtecharta siehe Charta der Grundrechte der Europäischen Union Europäische Grundfreiheiten siehe Grundfreiheiten, europäische Europäische Integration 156 f., 266 Europäische Sozialcharta (ESC) – Empfehlungen des Ministerkomitees 163, 165 f. – Konformität des deutschen Arbeitskampfrechts 163–166 – völkerrechtliche Verbindlichkeit 163 Europäischer Grundrechtsschutz 99 f., 101 f., 147 f., 149 f., 158 f., 161 Europäischer Schutz der Religionsgesellschaften siehe Unionsrechtlicher Schutz der Religionsgesellschaften Europäisches Streikrecht siehe unionsrechtliches Streikrecht Flash-Mob-Aktionen 131 Folge der Rechtswahl 71, 73 f., 92, 194, 205 f., 306 Folgepflicht 165 f., 175 f., 178–181, 269 Friedenspflicht, absolute – Folgen der Vereinbarung 303–305 – Grenzen der Vereinbarung 302 f. – Vereinbarung 293, 296, 299 – Zulässigkeit 300–302 Friedliche Konfliktlösung 78, 188, 220 f., 231, 259, 261, 263 f., 276, 283, 313, 328 für alle geltendes Gesetz – Abwägung 82 f., 85–89, 90, 212–220 – Bedeutung des kirchlichen Selbstverständnisses 82, 86, 88 f., 92, 94, 190, 212, 215–220, 252, 274–276, 307, 328, 330 – Bereichslehre 81, 84 f. – friedliches Miteinander 82, 85, 212 f., 328 – Heckel’sche Formel 80 f., 84 – Jedermann-Formel 81, 84 f. – Objektive Bestimmung 83

Sachwortverzeichnis – unumgängliches bzw. zwingend gebotenes Gesetz 87, 88, 217–220, 222, 225, 245, 247, 254 f., 281 – Verbot von Sondergesetzen 80, 83 f. Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen 98 f., 149–152, 168 f. Gewerkschaften – Akteure im Tarifvertragssystem 113 f., 200, 244 f., 249, 307–309, 313 – Anhörungsrecht im Dritten Weg 281 f., 288, 289 – besonderer kirchlicher Gewerkschaftsbegriff 245 – Bestandsgarantie 115 f. – Betätigung im Zweiten Weg 307–309, 313 – Betätigungsrechte 116–119, 122, 124, 142, 226, 244 f., 277 f., 279–282, 307– 309 – Gewerkschaftsbeteiligung im Dritten Weg siehe unter Dritter Weg – Mitarbeit der Gewerkschaften in den Kommissionen siehe unter Kommission – Spartengewerkschaften siehe dort – Verhältnis zu den Kirchen 17 – zur Interessenvertretung kirchlicher Mitarbeiter 273 f. Gewohnheitsrecht 190, 193, 258 f. Glaubensfreiheit – Abwehrrecht 29 – Institutionelle Garantie 29 f. – kollektive Religionsfreiheit 30 – korporative Religionsfreiheit 30 f., 102–105 – Menschenwürde 29 – Reichweite und Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht 31–38, 108, 274 f. Glaubwürdigkeit der Kirche 64, 66, 69, 73 f., 77 f., 87, 105 f., 220 f., 267, 270, 276, 283, 284, 287 f., 328, 332 GRC siehe Charta der Grundrechte der Europäischen Union

361

Grundfreiheiten, europäische 149, 157– 159, 161 Grundprinzipien der Rechtsordnung 82 f., 87, 88, 91, 97, 189, 194, 204, 215 f. Grundrechtsbindung der Kirchen 90–93, 194, 196, 216, 218 f. Grundrechtsfunktion – Abwehrfunktion 29, 90 – Schutzpflichtendimension 31 f., 36– 38, 141 f., 217–220, 273, 275 f., 278, 287 Grundrechtskollision siehe unter Abwägung Grundsatz der Lohngerechtigkeit 188 f., 192 f., 238, 319 Güterabwägung – Asymmetrie siehe Asymmetrische Abwägung – Grundrechtskollision 40, 83, 86, 134, 208 f., 212 f., 254, 274 f. – kollidierende Konventionsrechte 106, 108, 174, 214, 266–275, 276–285 – kollidierende Unionsrechte 100, 157– 159, 160, 214 f. – kollidierendes Verfassungsrecht siehe dort – Praktische Konkordanz siehe dort – Untermaßverbot siehe dort – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe dort Harmonisierung 95, 149, 266 IAO siehe Internationale Arbeitsorganisation Imparität 124 f., 189, 192, 234–237, 238, 314, 317, 320, 324 f. In dubio pro libertate 49 f. Inkorporiertes Verfassungsrecht 28, 97 Institutionelle Garantie 30, 39, 40, 44 f., 50, 86, 100, 142, 209–211, 223 Internationale Arbeitsorganisation (IAO) – Internationaler Gerichtshof (IGH) 167

362

Sachwortverzeichnis

– Streikrecht 166 f. – Verbindlichkeit der Stellungnahmen des Sachverständigenausschusses 167 Jedermann-Formel 81, 84 Kernbereichslehre 118 f., 123 f., 127, 129, 140 Kirchenartikel der WRV 28 Kirchliche Einrichtung – Abweichen vom Dritten Weg 242–244 – abgeleitete Träger des Selbstbestimmungsrechts 54 f. – Aufgaben 47 f. – Begriff 48 – Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags 47 f., 53 f., 56–59 – Dienstgemeinschaft siehe dort – Erstreckung des Kirchenarbeitsrechts auf Einrichtungen 21, 26 f., 47, 48–55, 75, 76 – gewerkschaftliches Zutrittsrecht 249, 279 – Rechtsform 47, 53 f. – religiöser Auftrag 47, 201, 220 f. – Tarifsystem siehe Zweiter Weg – Zuordnung zur Kirche siehe unter Zuordnung von Einrichtungen zur Kirche Kirchlicher Auftrag – Diakonie 47, 75 – Dienstgemeinschaft siehe dort – Gefährdung bei Arbeitskämpfen 78, 188, 189, 195 f., 221, 261, 276, 284, 319 f. – Grunddienste 75 – Inhalt 47, 75–77 – jederzeitige Erfüllung 78, 188, 189, 221, 276, 319 f. – Kenntnis des Staates siehe unter Neutralität – Kollektive Koalitionsbetätigung 249, 259–265, 279–282 – Mitarbeit im kirchlichen Dienst 25 f., 60, 69, 75 f., 220 f., 251 f., 261, 267

– Nähe der Mitarbeiter zum kirchlichen Auftrag 76, 77 f., 201 f., 208, 220 f., 251–253, 269 f., 276, 283 f. – Suspendierung 78, 188, 195 f., 220 f., 261, 276, 319 f., 325, 334 Kirchlicher Streikausschluss – Aufgrund des Paritätsgrundsatzes 189, 192, 314–325 – Begründung 19, 78 f., 188 f., 205 f., 220 f., 316 f. – für eine Unwirksamkeit angeführte Gründe 191–196, 200–202, 306 – kirchliche Rechtsgrundlage 26, 79 f., 294, 295, 305 f. Kirchliches Selbstverständnis – Berücksichtigung bei Paritätsbestimmung 316 – besonderes Gewicht 82, 86–89, 92, 190, 212 f., 215–220, 252, 274, 307, 328, 330 – Dienstgemeinschaft siehe dort – eigenes Dienstrecht 69 f., 71–80 – Friedliche Konfliktlösung siehe dort – Grenzen der Berücksichtigung 67 f., 88 f., 215–220 – konventionsrechtliche Beachtlichkeit 104–107, 108 f., 267, 270, 276 f., 283 f. – Maßgeblichkeit bei Bestimmung der eigenen Angelegenheiten 64, 65–67, 73 f. – Streikausschluss 78 f., 187 f., 196, 220 f., 254 f., 258 f., 276, 290, 294 – Zuordnung von Einrichtungen 55–61 Koalitionsfreiheit – Ausgestaltung 116, 119, 126, 132, 133, 135–140, 204, 210 f., 215, 218– 220, 288 f. – Bestandsgarantie 115 f. – Betätigungsgarantie 116–119, 122, 124, 143, 168 f., 210 f., 221 f., 226, 244–250, 257, 269, 277–282 – Doppelgrundrecht 116, 142 f. – Drittwirkungsklausel 256, 300–303

Sachwortverzeichnis – Entstehungsgeschichte 182 f. – Existenzgarantie der Vereinigungen 115 f. – freie Wahl der Mittel 117 f., 126 f. – Grenze der Ausgestaltung 138 f., 216– 220 – individuelle Koalitionsfreiheit 115, 167, 185, 277 – Kernbereichslehre siehe dort – Menschenwürde 204 f. – normgeprägte Freiheit 134–136 Kollidierende Konventionsrechte 106, 214, 267 f., 270, 272, 275 Kollidierendes Verfassungsrecht 92, 133, 138, 139, 144 f., 146, 190, 191, 195, 197, 203, 206 f., 208f., 214, 218 f., 306 f. Kollisionsnorm 39–46, 49, 65, 67, 85, 93, 213, 327 Kommission – Blockademöglichkeit 240 f., 254, 279 – Letztentscheidungsrecht 200, 237– 240, 255, 331 f. – Mitarbeit der Gewerkschaften 244– 249, 279–282 – Paritätische Besetzung 226–229 – Schlichtungsausschuss siehe dort – Schlichtungsverfahren siehe dort – Unabhängigkeit der Dienstnehmervertreter 228 – Verbindlichkeit der Kommissionsbeschlüsse 241–244 – Verhandlungspflicht 235, 279, 331 – Vorsitzender des Schlichtungsausschusses siehe dort – Zuständigkeit 226 f., 236 Konventionsgrundrechte 102–109, 167– 170, 226–229 Konventionsrechtliches Selbstbestimmungsrecht – Abwägung mit kollidierenden Konventionsgrundrechten 106 f., 267 f., 275, 276–282

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– Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten 107, 271–274, 275 f., 284 f. – Dienstgemeinschaft 106, 267, 270 – geteiltes Streikrecht 270, 282 f., 288 – Herleitung 31, 102–105, 267, 274 f. – kirchliches Arbeitsrecht 105 f. – Kollision mit Streikrecht 267–269 – Loyalitätspflichten 104–106, 107, 270, 283 – Streik im Dritten Weg 284, 287 Konventionsrechtliches Streikrecht – Auswirkungen auf das deutsche Streikrecht 170–172, 178–185, 269 – Einschränkbarkeit 173–175, 278 – gewerkschaftliches Betätigungsrecht 168, 277–282 – Kollision mit Selbstbestimmungsrecht 267 f., 276 f. – Neue Rechtsprechung des EGMR 168–170 – Schutzbereich 167 f., 172, 268 – siehe auch Beamtenstreik – Tarifbezug 177 f., 268, 284 Korridorlösung 272–274, 278, 280, 284– 289 Lebensführung, private 18, 87–89, 104, 267 Letztentscheidungsrecht – des Bischofs siehe unter Dritter Weg – des Staates 68, 84, 180, 212 Loyalitätspflichten 18, 77 f., 87–89, 104–107, 202, 214, 251–253, 262, 274, 283 Loyalitätsverstoß siehe Loyalitätspflichten Mehrpoliges Grundrechtsverhältnis 180, 218, 272–274, 285 f. Menschenwürde 17, 29, 204 f. Modifizierte Bindung 85, 87, 92, 190 f., 214, 220 Natürliche Freiheit 133–136

364

Sachwortverzeichnis

Neutralität – des Schlichtungsausschussvorsitzenden siehe unter Vorsitzender des Schlichtungsausschusses – Religiöse Neutralität des Staates 30, 66, 87, 95 f., 283 f. Normgeprägte Freiheit 133–136 Ordre-public-Vorbehalt siehe Grundprinzipien der Rechtsordnung Organisationsfreiheit 50, 53 f., 60 Paritätsprinzip – Abstraktionshöhe 126 f., 130 – abstrakt-materielle Parität 315, 317 – Arsenal zulässiger Kampfmittel 125 – Aussitzen des Arbeitskampfes siehe Taktik der offenen Tür – Durchstehen des Arbeitskampfes 125, 189, 314, 321, 325, 334 – Einsatz von „Leiharbeit“ 321–324 – fehlende Möglichkeit zur Aussperrung 189, 192, 316 f. – Folgen einer Imparität 125, 314, 324 f. – formelle Parität 315 – Funktion 113 f., 117, 124 f., 314 – Gesamtparität 315 – Machtgleichgewicht im kirchlichen Dienst 188 f., 192, 226, 229, 235, 237 f., 250, 258, 279, 318 f. – siehe auch Imparität – Taktik der offenen Tür 319–321 Paulskirchenverfassung 53 Praktische Konkordanz 83, 86, 100, 106, 108, 145, 160, 197 f., 208 f., 254, 274 f. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 95, 148 Rechtsangleichung siehe Harmonisierung Rechtserkenntnisquelle 149, 150, 169 Religiöse Neutralität des Staates siehe unter Neutralität

Richtigkeitsgewähr 113, 117, 124, 189, 226, 309, 314, 326, 334 Schlichtungsausschuss – Anrufung 231, 235 f., 258, 279, 312 – Erfordernis einer Schlichtung 230, 309 – mit einem Vorsitzenden 230–233, 293, 295, 296, 310 – mit zwei Vorsitzenden 233 f. – Paritätische Besetzung 231, 293, 295, 296, 310 Schlichtungsausschussvorsitzender siehe Vorsitzender des Schlichtungsausschusses Schlichtungsverfahren – Ablauf 230 f., 233, 293, 295, 296, 310, 312 – Anrufung des Ausschusses 231, 235 f., 258, 279, 312 – Blockade 233 – Ersatz für Arbeitskampf 240 f., 309– 312 – Letztentscheidungsrecht des Bischofs siehe unter Dritter Weg – Parität 234–236, 311 f. – siehe auch Vorsitzender des Schlichtungsausschusses – ultima ratio 231, 247, 312 – ungewisser Ausgang 234, 311 – Verbindlichkeit der Beschlüsse 230– 237, 241–244, 293, 295, 296, 309–312 – Verbot der Zwangsschlichtung 236, 310 – Vorschlagscharakter der Beschlüsse 237 – Zweistufigkeit 231, 236, 293, 295, 310, 312 Schranken des Selbstbestimmungsrechts siehe Für alle geltendes Gesetz Schrankenspezialität 32 Schutzbereichsüberdeckung 31, 32, 35 Schutzpflicht siehe Grundrechtsfunktion Selbstverständnis, kirchliches siehe unter kirchliches Selbstverständnis

Sachwortverzeichnis Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden 41 f. Sendungsauftrag 69, 75, 77, siehe auch unter kirchlicher Auftrag Sondergesetz 80, 83 f. Spartengewerkschaften 246 f., 291 f., 294, 297 f., 304 f., 308 f., 324 Streik – als allgemeiner Rechtsgrundsatz 149– 152, 158 f. – Beamtenstreik siehe dort – Begriff 110 f. – Funktion 112 f., 117, 121–124, 127– 130, 135, 141–143, 177, 181 f., 222, 258, 284, 296, 306, 313 – Funktionszusammenhang mit dem Tarifsystem siehe unter Funktion – gewerkschaftsgetragener Streik 124, 143, 163 f. – Grundrecht auf Streik 141–144 – im Dritten Weg 120, 131, 141, 172 f., 200 f., 222, 257–259, 284, 288 – konventionsrechtlicher Schutz siehe konventionsrechtliches Streikrecht – Schranken 144–146, 158 f., 173–175, 278 – siehe auch Arbeitskampfrecht – siehe auch Paritätsprinzip – Solidaritätsstreit siehe unter Unterstützungsstreik – Sympathiestreik siehe unter Unterstützungsstreik – unionsrechtliches Streikrecht siehe dort – Unterstützungsstreik 125–130 – völkerrechtsfreundliche Auslegung 170 f., 176, 178–185, 266 – zur Herstellung von Parität 117, 192, 317–319 Streikausschluss, kirchlicher siehe unter kirchlicher Streikausschluss Strukturelle Unterlegenheit – des Arbeitnehmers 113, 124, 192, 225 f., 314, 317 f.

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– kirchlich Bediensteter 77, 188 f., 192, 198, 201, 225 f., 234, 250, 258, 259, 318 f. Systemwechsel 141, 194, 200, 222, 223 f., 235 f., 254–257, 330, 332 Tarifautonomie – Ausgestaltung 116, 135–140, 210 f., 223, 298 f. – Freie Mittelwahl 117 f., 120–124, 126–128 – Funktionsfähigkeit 117, 124 f., 138, 314 – Garantie 113, 116, 223, 331 – Kräftegleichgewicht 113 f., 117, 225, 314 – Zweck der Tarifautonomie 113 f., 124, 225 f. Tarifvertragssystem – Günstigkeitsprinzip 297, 298 – Mindestarbeitsbedingungen 226, 241, 297, 331 – normative Wirkung 113, 226, 241, 297, 329 – Schutzfunktion siehe unter Mindestarbeitsbedingungen – Tarifeinheit 298, 308, 324 – Tarifgebundenheit 113, 226, 242, 292, 309 – unionsrechtliche Garantie 151, 152 – Verhandlungsführerschaft durch Gewerkschaften 113, 116, 194, 200, 225, 228, 245, 249, 307–309, 313 Tendenzschutz 86, 209, 215, 288 Ultra-vires-Kontrolle 181, 185 Unionsgrundrechte – Kollision 157, 160, 214 f. – siehe auch Europäischer Grundrechtsschutz Unionsrechtlicher Schutz der Religionsgesellschaften – Achtung nationaler Identität 97 f. – Amsterdamer Erklärung 99, 100

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Sachwortverzeichnis

– gemeinsame Verfassungsüberlieferungen 98 f. – Grundrechtecharta 101 f. Unionsrechtliches Streikrecht – als allgemeiner Rechtsgrundsatz 149– 152, 158 – Grundrechtecharta 152–157, 158 – Kollision mit Grundfreiheiten 158 f. – Rechtssachen Viking Line und Laval 157–161 Unterlassungsanspruch siehe Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch Untermaßverbot 218–220, 225, 245, 260, 273, 274–276, 278, 280, 284 f., 330 Unterstützungsstreik siehe unter Streik Verfassung von 1850 53, 62 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 83, 86, 126, 130, 133 f., 140, 145, 154, 155, 159–161, 164 f., 195, 197 f., 205, 208, 213, 274 f. Verkündigungsnahe Tätigkeit 76, 77, 105 f., 172 f., 201 f., 208, 220, 251– 253, 269–271, 282–284 Vertrag von Amsterdam siehe Amsterdamer Erklärung Vertrag von Lissabon 23, 99 f., 147 f., 152, 158, 161 f. Völkerrechtsfreundliche Auslegung 147, 162, 171, 176, 178–181, 186, 196, 214 f., 266–282, 285–288 Völkerrechtsfreundlichkeit des GG 178, 266 Vorrang – absoluter 71–74, 82, 89, 158 f., 160, 187–190, 191–195, 203–207, 212, 214, 275, 330 – der Verfassung 170 f., 179 f., 181, 286 f. – siehe auch unter Anwendungsvorrang Vorsitzender des Schlichtungsausschusses – Bestellung durch gerichtliche Entscheidung 232 f., 293, 295, 312 – Einstimmige Bestellung 231, 232, 310, 311

– Losentscheid 232, 233 – Neutralität 230–235, 279, 284, 293, 295, 300, 303, 310, 311 f., 318, 331 – Parität 231, 234–236, 293, 295, 296, 310, 311 – Unabhängigkeit 231, 234, 279, 310, 311 f. Waffengleichheit siehe Paritätsprinzip Wechselwirkung von Schrankenzweck und Kirchenfreiheit 82, 85, 212, 328 Weltanschauungsgemeinschaft 46 Wesen des kirchlichen Dienstes 74–79, 187 f., 220 f., 261, 276, 318 f. Widerstreitende Freiheiten 83, 86, 106, 108, 136, 145, 158 f., 160, 177, 197, 208 f., 213, 218, 254, 271, 272, 274, 286, 330 Zuordnung von Einrichtungen zur Kirche – beherrschender Einfluss der Kirche 56, 57, 58, 60 f. – Gleichlauf in religiösen Angelegenheiten 57, 60, 61 – Mindestmaß an Einflussmöglichkeit der Kirche auf die Einrichtung 57 f., 60, 61 – organisatorische Verbindung zur Kirche 56, 58, 60 – satzungsmäßig abgesicherter Einfluss der Kirche 57, 60 f. – Selbstverständnis 58, 59 Zweiter Weg – Abschluss von Grundlagenvereinbarungen als Voraussetzung 292 f., 295, 296, 305 – Abweichung vom TVG siehe Modifikation des Tarifsystems – Dienstgemeinschaft 290, 292, 294, 306, 307–309, 312, 317, 318 f. – Einbeziehung von Spartengewerkschaften 291, 294, 308 f. – einheitliches Tarifwerk 291 f., 294, 297 f., 308 f.

Sachwortverzeichnis – Einheitlichkeit der Beschäftigungsbedingungen siehe unter einheitliches Tarifwerk – Friedenspflicht, absolute siehe unter Friedenspflicht – Gewerkschaftsbeteiligung am Zweiten Weg 307–309, 313 – Gleichberechtigung neben Drittem Weg 27 – Grundsatz der Tarifeinheit 308 – kirchlicher Streikausschluss 293 f., 294, 295, 305 f. – koalitionsspezifische Betätigung siehe unter Gewerkschaften

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– Konventionskonformität 313 f. – Modifikationen des Tarifsystems 296– 298 – Parität siehe unter Paritätsgrundsatz – Schlichtungsausschuss siehe dort – Schlichtungsvereinbarung 293, 294 f., 296, 309 f. – Schlichtungsverfahren siehe dort – Tarifverträge im Sinne des TVG 298– 300 – Vergleich mit Drittem Weg 313 f. – Vorsitzender des Schlichtungsausschusses siehe dort