Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe [1 ed.] 9783428507917, 9783428107919

Über die Verbands- oder Unternehmensstrafe ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden. Die Autorin beschäftigt

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Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe [1 ed.]
 9783428507917, 9783428107919

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KATHARINA DROPE

Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

Schriften zum Strafrecht Heft 134

Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

Von

Katharina Drope

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Drope, Katharina: Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe I Katharina Drope. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Strafrecht ; H. 134) Zug!.: Hamburg, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10791-8

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-10791-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Die Frage, ob im deutschen Recht die Strafbarkeit von Verbänden vorgesehen werden sollte, ist in den vergangenen Jahren verbreitet diskutiert worden. Dabei wurde die prozessuale Problematik zumeist gar nicht oder nur ganz am Rande angesprochen. Die erste eingehende Auseinandersetzung mit diesem Thema ist die im Jahre 2000 erschienene Kieler Dissertation von Jan Schlüter "Die Strafbarkeit von Unternehmen in einer prozessualen Betrachtung". Als jene Arbeit veröffentlicht wurde, war die vorliegende Dissertation bereits abschließend konzipiert und in einigen Teilen schon ausgearbeitet, insbesondere in dem zentralen Abschnitt über den Nemo-tenetur-Grundsatz. Ich habe meine Konzeption beibehalten und mich mit den Ansätzen Schlüters dort, wo es geboten war, auseinandergesetzt Ich denke, daß ein Vergleich der beiden Arbeiten zeigt, daß die Frage der prozessualen Probleme einer Verbandsstrafe Raum für mehr als eine umfassende Betrachtung bietet. Diese Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Harnburg im Sommersemester 2001 als Dissertation vor. Das Manuskript wurde im März 2001 abgeschlossen. Bis Ende 2001 erschienene Literatur wurde, soweit möglich, im Fußnotentext berücksichtigt. An dieser Stelle danke ich herzlich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Gerhard Fezer für die Betreuung und Unterstützung dieser Arbeit. Ihm und dem Zweitgutachter Herrn Professor Dr. Rainer Keller schulde ich besonderen Dank dafür, daß ich das Promotionsverfahren zügig abschließen konnte. Weiterer Dank gebührt Herrn Professor Dr. Uwe Hansen für die angenehme Zeit an seinem Lehrstuhl. Außerdem möchte ich an dieser Stelle Frau Dr. Johanna Schulenburg und Herrn Dr. Gerhard Seher für ihr kollegiales Verhalten danken. Bei meiner Schwägerin Katja Drope bedanke ich mich für das Korrekturlesen. Gunnar Rietz danke ich nicht nur dafür, sondern auch für die häufigen Diskussionen und den liebevollen Rückhalt. Hamburg, im März 2002

Katharina Drope

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

1. Begriff des Verbandes, der juristischen Person und des Unternehmens . . . . . .

31

2. Begriff der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

1. Teil 35

Überblick über bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände 1. Abschnitt

35

Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Recht

A. Nichtrepressive Sanktionen im deutschen Recht .........

00

••

00

00

00

••••

00.00.

00.....

35

I. Verwaltungsrechtliche Vorschriften zur Auflösung und Tatigkeitsbeschränkung

36

II. Einziehung, Verfall und Mehrerlösabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

1. Verfall ...... .. .

00

•••••••••





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•••

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00

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.

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•••

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00









37

2. Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

3. Abführung des Mehrerlöses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

B. Die Geldbuße nach § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Entstehungsgeschichte und materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

II. Überblick über das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

8

Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt Die Geldbuße nach EU-Recht

41

A. Regelung der Geldbuße nach Art. 15 VO 17 I 62 und ihre materiellen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Überblick über das Verfahren zur Festsetzung der Geldbuße nach EU-Recht

43

3. Abschnitt Verbandssanktionen in Rechtsordnungen ausländischer Staaten

43

2. Teil Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

50

I. Abschnitt

Einleitung und Bedeutung für die vorliegende Arbeit

50

2. Abschnitt Die kriminalpolitischen Argumente für die Einführung einer Verbandsstrafe

53

A. Das Machtpotential von Verbänden, Veränderung der sozialen Wirklichkeit und die Folgen der Wirtschaftskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

B. Mangelnde Effektivität des geltenden Individualstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

I. Unzureichende Motivationskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

II. Vergeltungserwartung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

III. Unmöglichkeit der Einflußnahme auf das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

IV. Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

V. Probleme strafrechtlicher Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

C. Unzureichende bestehende Verbandssanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

I. Verwaltungsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Inhaltsverzeichnis II. Verfall, Einziehung und Abschöpfung des Mehrerlöses

9

64

111. Geldbuße nach § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

D. Fazit . . . .. . . .. .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

3. Abschnitt

Die dogmatischen Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe und die Lösungsvorschläge der Verbandsstrafenbefürworter

67

A. Die "klassischen" Einwände gegen eine Verbandsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

B. Argumente und Lösungsvorschläge der Verbandsstrafenbefürworter . . . . . . . . . . . . . . . .

70

I. Straffähigkeit von juristischen Personen und Gerechtigkeit der Verbandsstrafe .

71

1. Straffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Gerechtigkeit der Verbandsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

a) (Mit-)Bestrafung unschuldiger Verbandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

b) Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3. Zwischenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

II. Handlungsfähigkeit von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Handlungszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

2. "Eigene" Handlungsfähigkeit und Übergang zum Verzicht auf eine Handlung im engeren Sinne ... . ....... . .. . . . . ........... . ...... . . ... ... : . . . . . . . .

78

3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . .. . . . . . .. . . . . .. .. .

79

III. Schuldfähigkeit von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

1. Beibehaltung des Schuldprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

a) Ausschließliche Zurechnung der Schuld eines Einzeltäters . . . . . . . . . . . . .

81

b) Zurechnung der Schuld eines Einzeltäters und eigene Verbandsschuld . .

81

c) Ausschließliche eigene Schuld des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

2. Lösung vom Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. .

88

10

Inhaltsverzeichnis 4. Abschnitt Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

89

A. Die Grundmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

I. Akzessorisches Verbandsstrafenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

li. Eigenständige oder originäre Begründung der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

B. Vorschläge zum Verhältnis der Strafbarkeit der juristischen Person zur Strafbarkeit des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

I. Möglichkeit kumulativer Strafbarkeit von Individuum und Verband . . . . . . . . . . . .

92

1. Akzessorisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

2. Eigenständige oder originäre Begründung der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

li. Ausschließlich alternative strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuum und Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

C. Überblick über die sonstige Ausgestaltung der Verbandsstraftatbestände

96

I. Vorschläge zum systematischen Standort der Verbandsstraftatbestände . . . . . . . . .

96

li. Vorschläge zur Bestimmung des Sanktionsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

IJI. Vorschläge zu den Sanktionsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3. Teil Prozessuale Probleme

102

1. Abschnitt Einleitung und Prämissen

102

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 02 B. Prämissen für ein Verbandsstrafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

Inhaltsverzeichnis

11

I. Geltendes Strafverfahrensrecht und rechtsgebietsübergreifende Verfahrensregeln als Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Ziel des Verbandsstrafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 III. Überblick über die übertragbaren Prozeßmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Anklagegrundsatz, Offizial- und Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Öffentlichkeits-, Unmittelbarkeits- und Mündlichkeilsgrundsatz sowie Konzentrationsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Grundsätze über den strafverfahrensrechtlichen Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Verfassungsrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Zusammenfassung... .. ...... . .. . ....... . . . .. .... ..... . .. ... . .. . . ... . .... .. . . . . 112 2. Abschnitt

Organisatorische Probleme

112

A. Folgerungen aus den Vorschlägen für das Verhältnis von Verbands- und Individualstraftat für mögliche Verfahrenskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. "Isoliertes" Verfahren gegen den Verband

113

1. Subsidiäre Strafbarkeit des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. "Isoliertes" Verfahren trotz grundsätzlich möglicher kumulativer Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Akzessorische Verantwortlichkeit und mangelnde Verfolgbarkeil des Individualtäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) "Konkurrierende" eigenständige bzw. originäre Strafbarkeilsbegründung und Fehlen einer gleichzeitig vorliegenden Individualtat . . . . . . . . . . 115 II. Parallele oder verbundene Verfahren gegen Verband und Individualtäter . . . . . . . 115

1. Grundfall bei akzessorischer Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. "Konkurrierende" eigenständige bzw. originäre Strafbarkeilsbegründung und gleichzeitig vorliegende Individualtat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Verbindung der Verfahren gegen Verband und Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

12

Inhaltsverzeichnis

C. Vertretung des Verbandes im Prozeß und Rollenverteilung

120

I. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereini-

gungen sowie Rolle des Vertreters in anderen Prozeßordnungen. . . . . ... . . .. . . . . 121 I. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereinigungen sowie Rolle des Vertreters in Strafverfahren ausländischer Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d) Austraben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 f) Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

2. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereinigungen sowie Rolle des Vertreters in anderen Verfahrensordnungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Vertretung im Zivilprozeß.. . . . ......... . ..... . .. . . . ........ . . ... .. . . . .. 125 b) Vertretung im Verwaltungsgerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Vertretung im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Die Vertretung in einem künftigen Strafverfahren gegen Verbände . . . . . . . . . . . . . 128 I. Grundsätzliche Probleme einer Vertretung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 129

2. Individualtäter als Vertreter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Mögliche Interessenkonflikte bei Zugrundelegung des akzessorischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Mögliche Interessenkonflikte bei Zugrundelegung des nichtakzessorischen, eigenständigen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Folgerung für die Vertretung durch den Individualtäter . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Vertretung durch Vertretungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Stellung des Vertreters im Verbandsstrafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Abgrenzung zur Rolle des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Abgrenzung zur Zeugenrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Inhaltsverzeichnis aa) Allgemeine Abgrenzung von Zeugen- zur Beschuldigtenrolle

13 139

bb) Vertreter "als Beschuldigter"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Formale Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Schweigerecht als Argument für die Rollenzuschreibung . . . . . 140 (3) Rollenzuschreibung auf Grundlage der Organfunktion . . . . . . . 141 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Stellung der übrigen Verbandsmitglieder im Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 111. Zusammenfassung......... . ... . .. .. ................. . . . ..................... .. 145 3. Abschnitt

Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

146

A. Der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem Strafverfahren gegen juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Strafverfahren

148

II. Anwendbarkeit auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Geltung und Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Verfahren gegen Verbände ............................. . ..................... . .. . ....................... 150 I. Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 l. Die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im geltenden in- und ausländi-

schen Recht sowie im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht . . . . . 152 a) Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang von juristischen Personen und Unternehmen in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Rechtsordnungen ausländischer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Vereinigte Staaten von Amerika . .. . .. .. .. .. .. . .. . .. . . .. .. . .. . 154 (a) Rechtsprechung des Supreme Courts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (b) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (4) England . . .. .. .. .. . .. . .. . . .. .. .. .. . .. . . . .. .. . .. .. .. . .. . . . . .. . 160 (5) Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (6) Zusammenfassung .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . . .. .. . .. . 161

14

Inhaltsverzeichnis bb) Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang bei Gefahr der Festsetzung einer Geldbuße nach europäischem Kartellordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Fehlen einer Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes . . . . . . . . . . . . . 163 (3) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Die Lage im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht und im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Ausdrückliche Regelung für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gemäߧ 30 OWiG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Anwendbarkeit der Regelung in § 59 Abs. 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Unmittelbare Anwendung des Nemo-tenetur-Satzes auf juristische Personen bei Gefahr der Selbstbelastung im Hinblick auf die Geldbuße gemäß § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Geltung des Nemo-tenetur-Prinzips in einem künftigen Strafverfahren gegen juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Volkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ...... . .. . ..................... . ................. . ... . .. . . 177 bb) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgpR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) Der Nemo-tenetur-Grundsatz als Teil der Unschuldsvermutung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Verwurzdung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Anwendbarkeit auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Art. 19 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Grundidee von Art. 19 Abs. 3 GG.. . ... .. ... . .... .... . ...... . 189

(2) Kriterien für die Anwendbarkeit von Grundrechten . . . . . . . . . . . 190

Inhaltsverzeichnis

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(a) Menschenwürdegehalt als Hindernis für die Übertragbarkeit auf juristische Personen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (b) "Testfragen" für die Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Konsequenzen aus der Verbandsstrafenbegründung . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Kriterien für die Einschränkbarkeit der Einlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Ausgangspunkt: Grundsätzlicher Schutz vor Selbstbelastung . . . . . . 202 bb) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (l) Verfolgter Zweck und Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

(2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 ee) Vereinbarkeit von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten mit anderen Prozeßmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (1) Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (2) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz "in dubio pro reo" . . . . . . . . . 211 (3) Vereinbarkeit mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 212 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Auswirkungen und Folgeprobleme der Einlassungsfreiheit von juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Persönliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

2. Zusammentreffen mit der eigenen Einlassungsfreiheit des Vertreters . . . . . . . . 214 a) Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für das Vertretungsorgan . . . . . . . 215 b) Auswirkungen des Zusammentreffens der Einlassungsfreiheit der juristischen Person und der des Vertretungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Aussageverweigerung im Interesse der juristischen Person . . . . . . . . 216 bb) Aussageverweigerung nicht im Interesse der juristischen Person . . . 218 c) Exkurs: Situation bei ausnahmsweiser Auskunftspflicht der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Sachliche Reichweite und Ausstrahlungswirkung der Einlassungsfreiheit der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

16

Inhaltsverzeichnis aa) Juristische Person als Beschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 ( 1) Ausgangspunkt: Isoliertes Strafverfahren gegen die juristische Person ............................. . ............. . .. . . . .... . . 222 (2) Verbundene Verfahren und Verfahren gegen andere Personen . 223 (a) Individualstrafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (b) Übertragung auf ein Verbandsstrafverfahrensrecht . . . . . . . 225 bb) Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes, wenn die juristische Person nicht Beschuldigte ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Andere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte der übrigen Verbandsmitglieder? ..................... . .. . ................. . ... . ................ .. . ... . . . 231 a) Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte nach den geltenden Regeln .. . . . .. ............ . ....... . ......... . ............. . ...... . . .. . ... . 232 aa) Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 53, 53 a StPO . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Auskunftsverweigerungsrecht gemäߧ 55 Abs. I StPO . . . . . . . . . . . 233 b) Auskunftsverweigerungsrecht wegen Selbstbelastungsgefahr bei Belastung des Verbandes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts wegen Zugehörigkeit zum Personenverband? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Zeugnisverweigerungsrecht in Anlehnung an § 53 StPO . . . . . . . . . . . 235 bb) Zeugnisverweigerungsrecht in Anlehnung an§ 52 StPO . . . . . . . . . . . 236 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 111. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

C. Probleme der anwaltliehen Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Allgemeines: Recht auf Verteidigerbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Das Recht auf Verteidigerbeistand in anderen Rechtsordnungen und im Ver-

fahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Europäisches Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen . . 241

2. Das Recht auf Verteidigerbeistand in einem künftigen Strafverfahren . . . . . . . 241 a) Verfassungsrechtliche Herleitung des Rechts auf Verteidigerbeistand der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Inhaltsverzeichnis

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aa) Herleitung eines Rechts auf Verteidigerbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Übertragbarkeit auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen . 242 (I) Der Grundsatz des fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

(2) Anwendung auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Subjektstellung und Abkehr vom Inquisitionsprozeß . . . . 245 (b) Vergleich mit Art. 103 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (c) Gefährdete Grundrechte der juristischen Person . . . . . . . . . 246 (d) Strafanspruch und materielle Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (e) Insbesondere: Recht auf Verteidigerbeistand . . . . . . . . . . . . 247 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Einfachgesetzliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Notwendige Verteidigung und Pflichtverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Rechte des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Il. Vertraulichkeit des Verkehrs zwischen Verteidiger und juristischer Person . . . . . 255 I. Andere Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

a) Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Europäisches Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Einfachgesetzliche Vorschriften zum Schutz des Vertrauensverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Notwendigkeit des Schutzes des Vertrauensverhältnisses im Strafverfahren gegen juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 III. Gemeinsame Verteidigung von Individuum und Verband? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen . . . . . . 260 3. Zukünftiges Strafverfahrensrecht für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Mögliche Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Verbot der Mehrfachverteidigung wegen möglicher Interessenkon-

flikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

2 Drope

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Inhaltsverzeichnis 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . 266

D. Belehrung über die bestehenden Rechte ... .. .. . .. 00 .. .. . 00 00 00 00 . 00 ... 00. 00. 00 00 00 . 266 I. Notwendigkeit von Belehrungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 II. Adressat und Umfang der Belehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 E. Zwangsmaßnahmen gegenjuristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Nicht übertragbare Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Untersuchungshaft im Strafverfahren gegenjuristische Personen? . .. .. . . ... 270

a) Die Lage bei der Zwangsvollstreckung gemäߧ 890 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Übertragbarkeit auf die Untersuchungshaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Ziel der Untersuchungshaft ... 00 .... .. .. . ............... 00 . .. . ... . 273 bb) Untersuchungshaftbefehl gegen diejuristische Person .... .. .. . ... . 274 cc) Untersuchungshaftbefehl gegen den nicht verdächtigen Organschaftlichen Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 dd) Zwischenbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Körperliche Untersuchung ... . .... 00 ....... 00 .... . ............... 00 ... . ... . 278 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Übertragbare Zwangsmaßnahmen und ihre verfassungsrechtlichen Schranken . 278 I. Durchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

a) Probleme bei der Durchsuchung von Unternehmen de lege lata . . . . . . . . . 279 b) Grenzen der Durchsuchung beijuristischen Personen ......... .. .. . .. .. 281 2. Beschlagnahme . . . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Überwachung des Fernmeldeverkehrs und andere "heimliche" Eingriffe . . . . 285 4. Vorläufiges Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Neue Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Verbandskaution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. .. . . . .. . . . . . . . .. .. . . .. .. . . . . . 286

Inhaltsverzeichnis

19

2. Auflösungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 F. Anwesenheitsrechte und -pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

I. Rechtslage in anderen Verfahrensordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 I. Anwesenheitsrechte und -pflichten von juristischen Personen und Personenvereinigungen in Strafverfahren ausländischer Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . 288 a) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Anwesenheitsrechte und -pflichten von juristischen Personen und Personenvereinigungen in anderen Verfahrensordnungen im deutschen Recht . . . . . . . . 289 a) Zivilprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Verwaltungsgerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 c) Anwesenheitsrechte und -pflichten von juristischen Personen im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Anwesenheitsrechte und -pflichten in einem künftigen Strafverfahren gegen juristische Personen und Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren gegen natürliche Personen ........... . ........ ... ....... . ... . ... ... . .. . . . . ........ .. ....... .. . .. .. 292 a) Anwesenheit des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung......... . . . . ... 293 aa) Anwesenheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Anwesenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Folgerungen für das Verfahren gegen juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) "Anwesenheitsgrundsatz" als Hindernis für ein Verfahren gegen juristische Personen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Übernahme der einfachgesetzlichen Regelungen in ein Strafverfahrensrecht für juristische Personen und Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Anwesenheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Anwesenheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (l) Anwesenheitspflicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung . . . 299

(a) Persönlicher Eindruck vom Angeklagten? . . . . . . . . . . . . . . . 299

20

Inhaltsverzeichnis (b) Vertreter als Objekt für die Augenscheineinnahme?

300

(c) Anwesenheitspflichten bei Auskunftspflichten . . . . . . . . . . 300 (2) Anwesenheitspflicht zum Schutze des Anspruchs auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 G. Zusammenfassung ............................ . . . ....... .. ....... .. .. .. ......... .. .. 304 4. Abschnitt

"Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen juristische Personen?

305

A. Vorschläge zu einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen Verbände . . . . . . . . 306

B. Zulässigkeit einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Die "Beweislast" und Zulässigkeit einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Begriff der "Beweislast" .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. 311

a) Allgemeine Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Übertragbarkeit des Begriffs auf das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Begriff der "Beweislastumkehr" im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Zulässigkeil einer Beweislastumkehr im Individualstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Zusammenhang zwischen Instruktionsmaxime und objektiver Beweislast .. .. .... . . ..... . ... . . .......... . . .. .. . .. . ... . .......... .. . . . .. . .. . . . 317 b) Zulässigkeil der Umkehr der objektiven Beweislast .............. . ... . . 319 aa) Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten einer Umkehr der objektiven Beweislast ...... .. .... ... ... .... ....... .. ........... .. ... 319 bb) Geltungsgrund des Grundsatzes "in dubio pro reo" . . . . . . . . . . . . . . . . 320 ( 1) Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (2) Konsolidierung der Herleitung aus der Unschuldsvermutung . 322 (a) Unterschied zwischen Strafe und Gefahrenabwehr . . . . . . 322 (b) Legitimation der Inanspruchhahme von Unschuldigen . . . 323 cc) Der Nemo-tenetur-Grundsatz als Grenze einer Beweislastumkehr . 326 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Inhaltsverzeichnis c) Zulässigkeit einer Beweisführungslast des Angeklagten

21

326

d) Abgrenzung der Beweislastumkehr zu Beweiserleichterungen durch Verzicht auf bestimmte Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Zulässigkeit einer Beweislastverteilung zu Lasten der beschuldigten juristi330 schen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deutung der dargestellten Vorschläge Heines und Nijboers . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Zulässigkeit einer Zweifelsregel zu Lasten der beschuldigten juristischen Person ........ ... ........................... . ... . .. . . . .... . .. .. ...... . .. .. . 332 a) Mangelnde ldentifizierbarkeit des Individualtäters als Argument für eine Zweifelsregel "contra reum"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Prospektive Ausrichtung der Verbandsstrafe als Argument für eine Zweifelsregel "contra reum"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 c) Unzulässigkeit einer Zweifelsregel "contra reum" wegen des Wesens der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 d) Der Nemo-tenetur-Grundsatz und Zweifelsregeln "contra reum" . . . . . . . 334 3. Zulässigkeit einer Beweisführungslast zu Lasten der beschuldigten juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 5. Abschnitt

Neue Prozeßhindernisse: Außösung, Wechsel der Rechtsform sowie Verschmelzung des Verbandes und die Auswirkungen auf das Verfahren

337

A. Auflösung des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 I. Andere Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 I. Strafverfahren in ausländischen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

a) Vereinigte Staaten von Amerika .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. 338 b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 c) Niederlande .. ...... . .................... .. .. .. .......... .. ...... .... . .. 339 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Voraussetzungen und prozessuale Folgen der Auflösung im geltenden deutschen Recht . .. .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. . .. . .. . . . 340 I. Voraussetzungen und Phasen der Auflösung . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . . .. .. . . . 340

22

Inhaltsverzeichnis 2. Rechtslage im Zivilprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Rechtslage im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

111. Zukünftiges Strafverfahrensrecht für juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 I. Wirkung der Vollbeendigung auf das Strafverfahren und Zulässigkeit einer Fortbestehensfiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

a) Vollstreckbarkeit der Strafe trotz Vollbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Auswirkung der Vollbeendigung auf Straf- und Verfahrenszwecke.. . ... 347 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Einführung eines Auflösungs- bzw. Vollbeendigungsverbots für die Dauer des Strafverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 B. Wechsel der Rechtsform des Verbandes und Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Rechtslage in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 351 I. Strafverfahren in ausländischen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

2. Europäisches Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . .. . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . 351

II. Prozessuale Folgen der Umwandlung im geltenden deutschen Recht . . . . . . . . . . . 352

I. Rechtslage im Zivilprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Rechtslage im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

111. Folgerungen für ein Strafverfahren gegen Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I. Überblick über den Meinungsstand und Ablehnung einer Übernahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge . . . 355 2. Identität als Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . 356

a) Abhängigkeit der Identitätsfrage von der Bestimmung des Sanktionsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b) Folgerungen für die einzelnen gesellschaftsrechtlichen Umwandlungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Inhaltsverzeichnis

23

Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

Abkürzungsverzeichnis a.A.

andere(r) Ansicht

a. a. 0 . a. E. a. F. Abi. Abs. Abschn.

am angegebenen Ort

AK

Alternativkommentar

am Ende alte Fassung Amtsblatt (hier nur Amtsblatt der EG) Absatz Abschnitt

AktG

Aktiengesetz

allg. Anh. AöR

allgemein Anhang Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Auf!. AWG

Auflage Außenwirtschaftsgesetz

BayObLGSt

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Der Betriebs-Berater

BB Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGH BGHSt

Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundes-Immissionsschutzgesetz

BimSchG BR

Bundesrat

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BT BVerfG BVerfGE

Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

bzw.

beziehungsweise

C.C.C.

Canadian Criminal Cases

CLR Cr App Rep d. h.

Criminal Law Reports Criminal Appeal Reports das heißt

D. L. R.

Dominion Law Reports

Abkürzungsverzeichnis DAWR

Deutsche Außenwirtschafts-Rundschau

dens.

denselben

ders. dies.

derselbe

DJT

Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung

DÖV DRiZ EG EGMR EGOWiG

25

dieselbe

Deutsche Richterzeitung Europäische Gemeinschaft (Entscheidungen des) Europäischer In Menschengerichtshof I es für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

EinI. EMRK

Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

etc. EU EuGH

et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuR EWS f., ff.

Europarecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgend (Seite)

Fn. GA

Fußnote Goltdammer's Archiv Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften

GenG Ge wO GG GmbH GmbHG

Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWB Hand wO

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handwerksordnung

HGB i.E.

Handelsgesetzbuch im Ergebnis

i. e. S.

im engeren Sinne im Sinne des I der im übrigen in Verbindung mit

i. S. d. i. ü. i.V.m. IPbürgpR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

JA

Juristische Arbeitsblätter

JR

Juristische Rundschau Juristische Schulung

JuS JW JZ

Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

26

Abkürzungsverzeichnis

KG

Kommanditgesellschaft

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KOME

Kommissionsentscheidung (der Kommission der Europäischen Gemeinschaften)

KreditwesenG

Gesetz über das Kreditwesen

LR

Löwe-Rosenberg

Ltd.

Limited

m.E.

meines Erachtens

m.N.

mit Nachweisen

m. w.N.

mit weiteren Nachweisen

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MRK

(Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

N.B.R.

New Brunswick Reports

n. F.

neue Fassung

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NuR

Natur und Recht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungs-Report

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PHI

Produkthaftung international

Prov. Ct.

Provincial Court

ROSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

Rn.

Randnummer

S.

Satz, Seite

s.

siehe

s. 0. SK Slg.

Systematischer Kommentar

siehe oben Sammlung (der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften)

StOB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StV

Strafverteidiger

Tz.

Textzahl

u. a.

unter anderem

u. ä.

und ähnliche(s)

Abkürzungsverzeichnis U.S. U. S.C. Übers. UmwG USA UWG VereinsG vgl.

vo

VwGO

w. w. R. WiStG wistra WuW WuW/E

z. B. zit. ZPO ZRP ZStrR ZStW

27

United States/ Amtliche Entscheidungssammlung des Supreme Court of the United States United States Code Übersicht Umwandlungsgesetz United States of America Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Vereinsgesetz vergleiche Verordnung Verwaltungsgerichtsordnung Western Weekly Reports Wirtschaftstrafgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zum Beispiel zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung I. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit Die Diskussion über die Einführung einer Kriminalstrafe für Verbände, Unternehmen oder juristische Personen 1, die zunächst in den fünfziger Jahren mit dem 40. Deutschen Juristentag ein vorläufiges Ende gefunden hatte, ist in den vergangenen Jahren wieder aufgelebt. Die Diskussion wird inzwischen nicht nur in der Wissenschaft geführt, sondern hat bereits die Justizministerien und Parlamente erreicht. 2 Im Vordergrund steht dabei, ob die Bestrafung von Verbänden notwendig ist und wie sie materiell-rechtlich begrundet werden kann. Mit unterschiedlichen Modellen versuchen die Befürworter der Verbandsstrafe, die schon auf dem 40. Deutschen Juristentag geäußerten dogmatischen Bedenken zu entkräften. Mit der wachsenden Konkretisierung dieser materiell-rechtlichen Überlegungen gewinnt die Frage ihrer prozessualen Umsetzbarkeil an Bedeutung. Wie ein Strafverfahren zu gestalten wäre, wurde bis vor kurzem nur vereinzelt erörtert. 3 Meist blieb es bei dem Hinweis, daß auch das Verfahrensrecht im Falle der Einführung einer Strafe für juristische Personen und Personenvereinigungen geändert werden müßte. 4 Ob sich die Zielsetzungen mancher Befürworter der Verbandsstrafe mit Zur Begriffsbestimmung s. sogleich. Vgl. hierzu den Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten von August 1997 (teilweiser Abdruck bei Wegner, ZRP 1999, 187) und den- später von der neuen Landesregierung zurückgezogenen (vgl. FAZ vom 25. 6. 1999)Antrag der Hessischen Landesregierung auf Entschließung des Bundesrates, SR-Drucksache 690198; die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 1319682 und die Antwort der Bundesregierung, BT-Drucksache 13 I 11425; vgl. auch die Stellungnahmen zur Rechtspolitik von Däubler-Gmelin, ZRP 1999, 83; Geis, ZRP 1999, 92. Im Abschlußbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (März 2000) wird die Einführung einer Unternehmenssanktion ins klassische Kriminalstrafrecht zwar abgelehnt (Punkt 12.2.1), doch wird dies im Hinblick auf die- beispielsweise noch im Februar 2000 auf dem "Marburger Strafrechtsgespräch" (bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 892 ff.) geführte - lebhafte Diskussion keinen endgültigen Schlußpunkt bilden, was sich auch an den nach Abschluß der vorliegenden Arbeit erschienenen Aufsätzen von Dannecker, GA 2001, 101 ff., und Peglau, JA 2001, 606 ff. und ZRP 2001, 406 ff., zeigt. 3 Vgl. jetzt zu der Thematik auch die im Jahre 2000 veröffentlichte Dissertation von Schlüter, Die Strafbarkeit von Unternehmen in einer prozessualen Betrachtung. 4 Diese Frage wird hin und wieder aufgeworfen: So in Frage Nr. 23 der Großen Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13 19682, S. 10; Entschließungsantrag, SR-Drucksache 690 I 98, Anlage S. l; Alwart, ZStW 105 (1993), 770 (mit den "mehr verfahrenstechnischen Rahmenbedingungen" brauche man sich noch nicht zu belasten); Volk, JZ 1993, 435; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 241; Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 26; t

2

30

Einleitung

strafprozessualen Grundsätzen und Garantien vereinbaren lassen, ist bislang jedoch kaum Gegenstand eingehender wissenschaftlicher Erörterungen gewesen. Die vorliegende Arbeit soll sich den hiermit verbundenen Problemen widmen und dazu beitragen, die bislang materiell-rechtlich geprägte Diskussion um die prozessualen Aspekte zu erweitern. Die Untersuchung geht dabei von den bisherigen Konzepten für eine Verbandsstrafe aus, ohne daß eine Entscheidung für ein bestimmtes Modell zu treffen ist. Die sich aus der Einführung einer Verbandsstrafe ergebenden prozessualen Konsequenzen sollen ermittelt und kritisch gewürdigt werden. Der Blick richtet sich dabei nicht nur auf die materiell-rechtlichen Fragen einer Verbandsstrafe, sondern gerade auch auf das geltende Strafverfahrensrecht, das nach wie vor darauf ausgerichtet ist, daß ein Mensch im Mittelpunkt des Verfahrens steht, sei es als Beschuldigter, als Angeklagter oder als Verurteilter. Die Anwendung auf juristische Personen ohne weitere Modifikationen wird daher auf Schwierigkeiten stoßen. Diese betreffen nicht nur notwendige "technische" Anpassungen (wie z. B. die Nichtgeltung von Vorschriften wie §§ 81 ff., 112 ff. StPO), sondern vor allem die zentrale Frage, ob und inwieweit der juristischen Person Beschuldigtenrechte zustehen und ob diese im seihen oder in geringerem Umfang als herkömmlicherweise bei einem beschuldigten Menschen zu gelten haben. Falls diese Schutzrechte - zumindest teilweise - auch juristischen Personen zugute kommen sollten, wäre zu untersuchen, ob mit der Einführung einer Verbandsstrafe im Hinblick auf die erwünschte Beweiserleichterung überhaupt etwas "zu gewinnen" wäre. Im Vordergrund der Untersuchung soll deshalb stehen, welche Schutzgarantien und Verfahrensgrundsätze - wie beispielsweise der Nemo-tenetur-Grundsatz - unverfügbar sind und daher auch für Verbände gelten müßten und somit nicht der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers überlassen wären. Weiterhin sollen bei der Untersuchung Erkenntnisse aus anderen Verfahrensordnungen, wie z. B. aus Regelungen zur Durchführung des Verfahrens zur Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG oder der Geldbuße im EG-Recht, aus allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen und aus Verfahrensregeln ausländischer Rechtsordnungen, in denen eine Verbandsstrafe bereits vorgesehen ist, einfließen. Um die Grundlage hierfür zu schaffen, wird die vorliegende Untersuchung eingeleitet von einer Darstellung des Diskussionsstandes zur Verbandsstrafe, wobei vorweg im 1. Teil die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten gegen juristische Personen im In- und Ausland dargestellt werden. Darauf folgen im 2. Teil die kriminalpolitischen Argumente, die für die Einführung einer Verbandsstrafe genannt werden, und anschließend eine Darstellung der dogmatischen Probleme mit den Goetzeler, Die rationalen Grundlagen, S. 230 f.; Dannecker, GA 2001, 129 f.; teilweise finden sich auch- stets sehr kurze- Lösungsvorschläge, z. B. bei Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 126 f.; Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217 f.; Jescheck, DÖV 1953, 544; Abschlußbericht der Kornmission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, Punkt 12.2.1.; Jähnke, Maiwald bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 896; vgl. auch Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 135 ff.

Einleitung

31

Lösungsvorschlägen der Verbandsstrafenbefürworter. Dabei soll im Rahmen des hier zur Aufgabe gemachten prozessualen Themas nicht eine Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Lösungsmöglichkeit oder gar ein eigener Vorschlag entwickelt werden, sondern lediglich eine Grundlage für ein- auch- an jenen Vorschlägen ausgerichtetes Verfahrensrecht bereitet werden. Im 3. Teil folgt sodann der Schwerpunkt der Arbeit mit der Untersuchung der bei der Einführung einer Verbandsstrafe auftretenden prozessualen Probleme. Die Folgerungen aus diesen Problemen werden daran anschließend zusammengefaßt.

II. Begriffsbestimmung 1. Begriff des Verbandes, der juristischen Person und des Unternehmens

An dieser Stelle soll zunächst nur eine vorläufige Begriffsbestimmung hinsichtlich der möglichen Adressaten einer Verbandsstrafe erfolgen. Dazu sei folgendes vorausgeschickt: Das Schrifttum, das sich bisher mit der Frage befaßt hat, ob neben Menschen auch andere, überindividuelle "Gebilde" Adressaten von (im weiteren Sinne) strafrechtlichen Normen sein können, d. h. ob diese Personengesamtheiten auch bestraft werden können, verwendet die Begriffe ,juristische Person", "Personenvereinigung", "Unternehmen", "Betrieb" und (Personen-)"Verband" bzw. "Korporation" oder "Körperschaft" nicht einheitlich und auch nicht durchgehend in der Form, wie es etwa im zivil- bzw. gesellschaftsrechtlichen Schrifttum der Fall ist. Dort werden Unternehmen überwiegend als organisierte Wirtschaftseinheiten umschrieben, die mit einem Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln am Markt auftreten. 5 Ein (privatrechtlicher) Verband ist eine durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung verfaßte, auf Mitgliedschaft beruhende und gegenüber den Mitgliedern verselbständigte und einem Verbandszweck dienende Organisation, ohne daß Rechtsfähigkeit vorausgesetzt würde. 6 Inwieweit dieser Begriff mit dem der "Körperschaft" zusammenfällt, wird unterschiedlich beantwortet. 7 Unter einer juristischen Person versteht man hingegen eine Zusammenfassung von Personen oder Sachen, der die Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen hat und die dadurch als Trägerirr eigener Rechte und Pflichten verselbständigt ist. 8 Davon unterscheidet sich die Verwendung der Begriffe in der Literatur zur Einführung einer Verbandsstrafe. Vor allem im älteren Schrifttum zur Strafbarkeit von Personengesamtheiten wird meistens von "Verbänden"9 bzw. "Personenverbän-

5 So Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 2 a (S. 66); ähnlich auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 311: Eine "durch einheitliche Leitung und ökonomische Zweckrichtung abgegrenzte Wirtschaftsorganisation". 6 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I I, 2 (S. 176 f.). 7 Vgl. die Nachweise bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I 2 (S. 176 f .). 8 Vgl. Palandt/ Heinrichs, BGB, Ein!. v. § 21 Rn. 1.

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Einleitung

den" 10 gesprochen, wobei diese Begriffe oftmals nicht näher definiert werden. Teilweise werden sie als Synonyme für "juristische Personen" 11 oder für "juristische Personen und andere Personenvereinigungen" 12 verwendet. Es finden sich aber auch genauere Definitionen für den "Verband": So gibt z. B. Jescheck dem Begriff "Personenverband" in einem Klammerzusatz die Bedeutung: ,juristische Personen, Personalgesellschaften, nicht rechtsfähige Vereine" 13 . Teilweise wird wiederum der Begriff der "juristischen Person" so gefaßt, daß neben juristischen Personen im engeren Sinne andere Personenvereinigungen, d. h. vor allem die handelsrechtliehen Gesellschaften darunter gefaßt werden. 14 Neuere Auseinandersetzungen mit dem Thema verwenden weitaus häufiger den Begriff des "Unternehmens". Er wird verhältnismäßig selten bewußt zur Bezeichnung des möglichen Strafrechtsnormadressaten herangezogen. 15 Häufiger ist seine synonyme Verwendung mit den Termini "Verband" 16 und I oder "juristische Per9 So bei Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, mit genauerer Begriffsbestimmung aufS. 43 ff. ; Jescheck, ZStrR 70 (1955), 243 ff.; ders., ZStW 65 (1953), 210 ff.; ders., DÖV 1953, 539 ff.; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, passim. 10 Lange, JZ 1952, 261 ff. II So z. B. Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 f. in Fn. 21; von Weber, GA 1954, 237 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, S. 187 Rn. 8; Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, S. 208 ff. Rn. 58 ff. 12 Vgl. Otto, Jura 1998, 415 (der gleichbedeutend auch den Begriff "Unternehmen" gebraucht); Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 16 ff., 28. 13 Jescheck, ZStW 65 (1953), 210; ders., DÖV 1953, 541; ganz ähnlich auch Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 195, der neben juristischen Personen "Personen-Gesellschaften des Handelsrechts oder ... nichteingetragene Vereine" nennt (anzumerken ist hierbei bloß, daß Rotberg sich bei der Frage der Handlungsfähigkeit auf juristische Personen konzentriert, S. 197 ff.). 14 Willmanns I Urbach, BB 1953, 102; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 20 f., dabei werden von Ackermann auch noch die Gewerkschaften unter einen weiten Begriff der juristischen Person gefaßt, auch wenn sie beispielsweise als nichtrechtsfähige Vereine organisiert sind, S. 21. 15 So jedoch- schon im Titel seiner Monographie ersichtlich- Schroth, Unternehmen als Normadressaten, insb. S. 20 ff. zur Begriffsbestimmung, s. auch seinen Entwurf eines Straftatbestandes, S. 223, der die Überschrift "Verantwortlichkeit von Unternehmen" trägt; auf Schroth beruft sich auch Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 260 in Fn. 52, der als Normadressaten in seinem "Muster eines Straftatbestandes" (a. a. 0., S. 316) Unternehmen vorsieht; vgl. auch schon zuvor Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 235 f.: von der von ihm vorgeschlagenen Verbandssanktion sollen als Unternehmen -nach seiner Begriffsbestimmung Wirtschaftsunternehmen in Form der organisatorischen Einheit, a. a. 0., S. 6- auch die eines Einzelkaufmanns erfaßt sein; ähnlich auch die Begründung zum Entwurf des Arbeitskreises "Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit Strafrecht", in: Deutsche Wiedervereinigung Band 111, S. 172 f.; vgl. schließlich auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 221 ff., die sich mit der Frage der Normadressateneigenschaft von Unternehmen auseinandersetzt, sie letztlich aber ablehnt, S. 229; im Ergebnis ähnlich auch Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 19 ff., der mit dem Begriff "Unternehmen" den Rechtsträger einer wirtschaftlich tätigen Organisationseinheit und mithin juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften meint.

Einleitung

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son" 17 bzw. "juristische Personen und andere Personenvereinigungen" 18 • Auch findet sich die Gleichsetzung von "Unternehmen" und "Betrieb" in der Literatur. 19 Zum Teil wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Begriffe "Unternehmen", "Gesellschaft", "Betrieb" oder "Verband" als Synonyme für die juristische Person - im formaljuristischen Sinne - gebraucht werden. 20 Wenn von der "Körperschaft" die Rede ist, wird dieser Begriff meist als gleichbedeutend mit "Verband" oder "Verbandsperson" verwendet. 21 Hinzuweisen ist schließlich noch auf die Formulierung im "Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union": Im dortigen Art. 14 Abs. 1 ist die Rede von der Strafbarkeit von "juristischen Personen und solchen Vereinigungen . . . , die nach dem Gesetz Rechtssubjekt und Inhaber eigener Vermögenswerte sein können"22. Entsprechend der Verwendung in der bisherigen Diskussion über die "Verbandsstrafe" werden in der vorliegenden Arbeit insbesondere bei der Darstellung der materiellrechtlichen Probleme die Begriffe "Verband", "juristische Person", "Personenvereinigung", "Betrieb" und "Unternehmen"23 weitgehend synonym verwendet. Damit sind Zusammenschlüsse von Personen gemeint, vor allem in der Form der juristischen Person. Dies soll zunächst genügen, um die Unterscheidung zu Einzelpersonen oder Individuen zu umschreiben. Später soll mit Blick auf die Lösung prozessualer Probleme eine weitere Eingrenzung auf juristische Personen und Personenvereinigungen begründet werden. 24

2. Begriff der Strafe

Strafe soll hier als jeder staatliche Eingriff in Rechtsgüter einer Person, der mit der Intention der Übelszufügung aufgrund eines vergangenen Verhaltens vorge16 Vgl. z. B. Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 298; Vogel, JZ 1995, 340 f.; Volk, JZ 1993, 429 ff. 17 So Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 265: "Verbandsstrafrecht (verstanden im weitesten Sinne als die Regelung repressiver Sanktionen gegenüber juristischen Personen und Wirtschaftsunternehmen)" und passim; vgl. auch dens., in: Taiwan/ROC Chapter, S. 433 ff., 448; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 30 ff., beispielsweise S. 47 oder 53. 18 So bei Otto, Jura 1998, 409 ff., 415; ders., Strafbarkeit von Unternehmen, S. 5 (mit der Definition: "Unternehmen oder Verbände, d. h. juristische Personen oder andere rechtsfähige Personenvereinigungen"); Eidam, Straftäter Unternehmen, z. B. S. 130. 19 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 261, 280 f. 20 Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 2. 21 So z. B. Maurach!Zipf, Strafrecht AT I, S. 186 f. Rn. 4 ff. 22 Siehe bei Otto, Jura 2000, 105. 23 Vgl. zur synonymen Verwendung von Unternehmen und Betrieben entsprechend der Terminologie im Wirtschaftsstrafrecht z. B. Achenbach, in: Coimbra-Symposium, S. 283. 24 2. Teil 4. Abschnitt C. II., wo noch einmal etwas detaillierter auf die Vorschläge zur Bestimmung der Sanktionsadressaten in der Diskussion einzugehen sein wird.

3 Drope

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Einleitung

nommen wird25 , verstanden werden. In einem engeren Sinn ist Strafe vorliegend außerdem als Kriminalstrafe in Abgrenzung zu Geldbußen26 zu verstehen, denn es geht - wie noch zu zeigen ist - den Befürwortem einer Verbandsstrafe gerade um die Einführung von Sanktionen, die über die Festsetzung einer Geldbuße hinausgehen27.

25 Vgl. hierzu Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 16 (für das Individualstrafrecht). 26 Vgl. dazu§ 30 OWiG und unten, 1. Teil 1. Abschnitt B. 27 Vgl. dazu unten 2. Teil 2. Abschnitt C. III.

1. Teil

Überblick über bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände Ein Strafverfahren gegen juristische Personen mit dem Ziel der Verurteilung nach einem Verbandsstraftatbestand im deutschen Recht wäre neu. Nicht neu sind hingegen Sanktionsmöglichkeiten für den Unternehmens- und Verbandsbereich außerhalb des Kernstrafrechts im deutschen Recht und auf der Ebene des Rechts der Europäischen Union (EU). Im Ausland existieren darüber hinaus in einer Anzahl von Ländern echte Strafen gegen juristische Personen. An dieser Stelle soll aus zwei Griinden näher auf diese bestehenden Sanktions- und Strafmöglichkeiten eingegangen und ein kurzer Überblick darüber verschafft werden. Zum einen läßt sich erst vor dem Hintergrund der jetzigen Möglichkeiten das von den Verbandsstrafenbefürwortern bejahte kriminalpolitische Bedürfnis einer "echten" Strafbarkeit juristischer Personen darstellen und verstehen. Zum anderen wird die nachfolgende Untersuchung der prozessualen Probleme die Problemstellungen, Erfahrungen und Lösungsansätze anderer Verfahrens- und Rechtsordnungen zu beriicksichtigen haben.

1. Abschnitt

Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Recht Auch wenn es keine "echte Kriminalstrafe" für juristische Personen und andere Personenvereinigungen im deutschen Recht gibt, so bestehen doch eine Reihe anderer Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände, die eingreifen, wenn im Zusammenhang mit der Tätigkeit von juristischen Personen oder Unternehmen gegen Gesetze verstoßen wird.

A. Nichtrepressive Sanktionen im deutschen Recht Das deutsche Recht sieht verschiedene nichtrepressive Sanktionen vor, die sich gegen Verbände richten können. 3*

I. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

36

I. Verwaltungsrechtliche Vorschriften zur Auflösung und Tätigkeitsbeschränkung

Im Verwaltungsrecht werden den Behörden verschiedene Instrumente gegen Verbände zur Verfügung gestellt. 1 Das wohl weitreichendste ist die Auflösung von Verbänden. 2 Praktisch kommt diesem Mittel nur wenig Bedeutung zu, da die Folgen einer Auflösung in sozialer, arbeitsrechtlicher oder auch wirtschaftspolitischer Hinsicht kaum absehbar sind und sie an hohe Anforderungen geknüpft ist. 3 Größere praktische Bedeutung haben Anordnungen der Tätigkeitsbeschränkung wie die Untersagung des Betriebes eines Gewerbes bzw. einer Anlage4 , die sich auch an juristische Personen richten können. Ebenso ist der Widerruf oder die Rücknahme von Konzessionen, Erlaubnissen und Genehmigungen gegenüber Verbänden möglich; unter das erforderliche Merkmal der "Unzuverlässigkeit" des Gewerbetreibenden werden beispielsweise gewerbebezogene Straftaten der gesetzlichen Vertreter subsumiert. 5 Grundsätzlich, d. h. mit Ausnahme der Auflösung nach § 396 Aktiengesetz 6 , sind für die Anordnung dieser Instrumentarien die Verwaltungsbehörden zuständig. Dabei sind neben besonderen Verfahrensvorschriften 7 die Verwaltungsverfahrensgesetze anwendbar. 8 Für die gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahmen sind die Verwaltungsgerichte zuständig. II. Einziehung, Verfall und Mehrerlösabschöpfung

Darüber hinaus sehen das Straf- und das Ordnungswidrigkeitenrecht Möglichkeiten vor, Vorteile, die durch Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten erlangt wurden, abzuschöpfen. Diese Sanktionen können auch gegen juristische Personen und Personenvereinigungen angewendet werden. Einen Überblick bietet z. B. die Darstellung bei Schall/Schreibauer, NuR 1996,447 f. Vgl. § 396 AktG, § 62 GmbHG, § 17 Abs. I i. V. m. § 3 VereinsG, (Art. 18 GG i. V. m.) § 39 Abs. 2 (S. 2) BVerfGG i. V. m. § 13 Nr. I BVerfGG, § 43 BOB, § 38 Abs. I S. I und 2 i. V. m. § 35 Abs. 2 KreditwesenG; § 81 GenG. 3 Vgl. KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 111 m. w. N.; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 13 m. w. N.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 87; von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 36; Tiedemann in: Freiburger Begegnungen, S. 38. 4 Vgl. insbesondere§ 35 GewO, daneben etwa§ 15 i. V. m. § 4 Abs. I Nr. I,§ 31 Gaststättengesetz, § 15 Abs. 2 GewO, § 16 Abs. 3 HandwO, §§ 20,25 BimSchG und§ 51 GewO. s Siehe Karte, Juristische Person, S. 20 f. m. Nachweisen. 6 Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird auch für eine "Systemwidrigkeit" im öffentlichen Recht gehalten, vgl. Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbH-Gesetz, § 62 Rn. 8. 1 Vgl. § 4 VereinsG. s Vgl. nur§ 62 Abs. 2 GmbHG, § 81 Abs. 2 GenG. I

2

I. Abschnitt: Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Recht

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1. Verfall

Für den Verfall im StGB (§§ 73-73 e StGB) ergibt sich dies aus § 73 Abs. 3 StGB, denn "ein anderer" im Sinne dieser Vorschrift kann auch eine juristische Person bzw. Personenvereinigung sein. 9 Für Ordnungswidrigkeiten sieht das OWiG die Verfallsanordnung zur Abschöpfung von Vermögensvorteilen 10 - auch gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen - in § 29 a vor. 11 Gegenüber der Geldbuße nach § 30 OWiG ist sowohl der Verfall nach §§ 73, 73 a StGB als auch der nach § 29 a OWiG subsidiär, § 30 Abs. 5 OWiG. Verfahrensrechtlich sind für den Verfall im Strafverfahren nach § 442 StPO die Vorschriften über die Einziehung gemäß §§ 430 bis 441 StPO anwendbar. Zuständig ist für die Anordnung des Verfalls im Sinne des StGB das Gericht. Im Bußgeldverfahren gilt nach der Verweisung in § 87 Abs. 6 OWiG ein Teil der Verfahrensvorschriften über die Einziehung. Im übrigen gilt über § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschrift des § 442 StPO einschließlich der soeben genannten Verweisung auch hier. Sowohl im Straf-, als auch im Bußgeldverfahren ist die Verfallsanordnung nicht nur im subjektiven, sondern auch im objektiven, d. h. selbständigen Verfahren möglich. 12

2. Einziehung

Weiterhin kann sich auch die Einziehung von Tatprodukten und -mitteln 13 gemäß §§ 74-74 f StGB gegen juristische Personen und andere Personenvereinigungen richten, denn § 75 StGB eröffnet die Möglichkeit, die in den Einziehungstatbeständen genannten Handlungen eines Organs oder eines anderen Verbandsvertreters dem Verband zuzurechnen. 14 Die Einziehungsvorschriften der§§ 22 ff. OWiG 9 Zu§ 73 StGB: Lackneri Kühl, StGB, § 73 Rn. 9, dort auch m. w. N. zu den weiteren Erfordernissen, z. B. der Bereicherung des "anderen" und dem darauf gerichteten Willen des Täters und zu der Streitfrage, ob der Täter auch im Einflußbereich des "anderen" stehen muß; zur Rechtsnatur - zumindest in Fällen, in denen er über die bloße Gewinnabschöpfung hinausgeht - habe der Verfall Strafcharakter, vgl. Schönke I Sehröder I Eser, StGB, vor § 73 Rn. 19; Trändie I Fischer, StGB, § 73 Rn. 3 m. w. N. hinsichtlich verfassungsrechtlicher Bedenken. 10 Zu einer entsprechenden Auslegung des Begriffs "etwas" in § 29 a OWiG: Göhler, OWiG, § 29 a Rn. 4 ff. II Göhler, OWiG, § 29 a Rn. 7 m. w. N. 12 Vgl. Kleinknechti Meyer-Goßner, StPO, Vor § 430 Rn. 4 f.; Göhler, OWiG, § 87 Rn. 59 b, c. 13 Und- falls dies gesetzlich besonders vorgesehen ist, vgl. § 74 Abs. 4 StGB -auch von sog. Beziehungsgegenständen, das heißt solchen Gegenständen, auf die sich die Tat bezieht, vgl. beispielsweise § 330 c Nr. 2 StGB. 14 Zur Rechtsnatur des § 74 Abs. 2 Nr. I StGB: Trändie I Fischer, StGB, § 74 Rn. 2; Schönke I Sehröder I Eser, StGB, vor § 73 Rn. 14; Jescheck I Weigend, Strafrecht AT, S. 796 f. (Strafe); bzw. Lacknerl Kühl, StGB, § 74 Rn. 1 (strafahnlich).

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1. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

sind über § 29 OWiG auch auf juristische Personen und Personenvereinigungen anwendbar. Ebenso wie der Verfall kann die Einziehung sowohl im subjektiven Strafverfahren als auch in einem selbständigen Einziehungsverfahren angeordnet werden. Für das Strafverfahren sind die Vorschriften §§ 430 bis 441 StPO maßgeblich, für das Bußgeldverfahren § 87 OWiG einschließlich der bereits genannten Möglichkeit, über § 46 Abs. 1 OWiG strafprozessuale Vorschriften ergänzend heranzuziehen. 3. Abführung des Mehrerlöses

Eine weitere, ebenfalls den Verfall verdrängende Sanktion ist schließlich die Abführung des Mehrerlöses gemäß § 8 Wirtschaftsstrafgesetz bei bestimmten, nicht notwendig schuldhaften (Abs. 1) Zuwiderhandlungen gegen das WiStG, die auch gegen juristische Personen oder Personengesellschaften des Handelsrechts verhängt werden kann, wenn die nach WiStG rechtswidrige Tat "in einem Betrieb begangen worden ist", § 10 Abs. 2 WiStG. Die Abführung des Mehrerlöses ist im Strafverfahren gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 WiStG im Urteil, im Bußgeldverfahren gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 WiStG im Bußgeldbescheid auszusprechen. Für das selbständige Verfahren gelten § 440 Abs. 1, 2 und § 441 Abs. 1 bis 3 der Strafprozeßordnung entsprechend.

B. Die Geldbuße nach § 30 OWiG Die Geldbuße gemäß § 30 OWiG verdient im vorliegenden Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit: Es ist die Sanktion, die einer echten Verbandsstrafe im deutschen Recht am nächsten kommt. Dabei richtet sich das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße weitgehend nach strafprozessualen Vorschriften, so daß ein Blick auf die für dieses Verfahren aufgestellten oder angewendeten Regeln und die Meinungen zu diesbezüglichen Streitständen für eine Untersuchung der prozessualen Folgeprobleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe unumgänglich sein wird. Außerdem läßt sich nur bei Kenntnis der Grundlagen dieser Sanktionsvorschrift verstehen, warum trotz ihrer Existenz eine darüber hinausgehende Verbandsstrafe gefordert wird. I. Entstehungsgeschichte und materielle Voraussetzungen

Im Jahre 1968 wurde der damalige§ 26 OWiG in Kraft gesetzt, der die Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen und von Personenvereinigungen einheitlich und abschließend regeln sollte 15 , nachdem zuvor in verschiedenen Gesetzen ts Amtliche Begründung zu§ 19 EGOWiG, BT-Drucksache V /1269, S. 58.

1. Abschnitt: Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Recht

39

die Bußgeldhaftung von Verbänden vorgesehen war 16• Diese Neuregelung der Verbandsgeldbuße sollte dazu dienen, dem praktischen Bedürfnis nach einer Verbandssanktion zu entsprechen 17 , und stellte insofern einen Kompromiß dar, als eine Verbandsstrafe rechtspolitisch nicht durchzusetzen war 18• Mit § 26 OWiG sollte die Möglichkeit geschaffen werden, den Verband in angemessenem Verhältnis zu treffen und vor allem Gewinne, die er durch eine von bestimmten Organen, Organmitgliedern oder Vertretern begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit erlangt hat, abzuschöpfen 19 ; die Vorschrift erlaubte daher die Festsetzung einer Geldbuße gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen, wenn ein Organ(-mitglied) einer juristischen Person, Vorstand( -smitglied) eines nicht rechtsfähigen Vereins oder der vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hatte und Pflichten der juristischen Person bzw. Personenvereinigung verletzt wurden oder die juristische Person bereichert werden sollte (§ 26 Abs. l OWiG). Zunächst war die Geldbuße als "Nebenfolge" gekennzeichnet; im Jahre 1986 wurde diese Kennzeichnung der seit 1975 ohne inhaltliche Veränderung gegenüber § 26 OWiG a. F. in § 30 OWiG geregelten Verbandsgeldbuße durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität20 gestrichen und dadurch die Geldbuße zur Hauptsanktion21 . Zudem22 wurde das sogenannte selbständige Verfahren erweitert: Wahrend zuvor das Verfahren gegen den Verband grundsätzlich an das Verfahren gegen das Organ gekoppelt war und nur in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden konnte, eine selbständige Festsetzung der Geldbuße gegen den Verband möglich war (§ 26 Abs. 4 OWiG a. F.), besteht seit 1986- zur "Lockerung" der Verbindung zwischen Verbandsgeldbuße und der Verfolgung einer natürlichen Person23 - überdies die Möglichkeit, im selbständigen Verfahren eine "isolierte" Verbandsgeldbuße zu verhängen, wenn zum Beispiel zwar die Identität des Täters nicht feststeht und deswe16 Vgl. hierzu den Überblick bei Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 31; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 39 ff.; Tiedemann, NJW 1988, 1169 f.; Beispiel für eine derartige Einzelregelung war§ 41 GWB a. F. Mittlerweile (seit 1999) ist die Bußgeldvorschrift des GWB in § 81 geregelt. n BT-Drucksache V I 1269, S. 58. 18 Hirsch, in: Protokoll des Unterausschusses Strafrecht des Rechtsausschusses, IV. Wahlperiode, S. 397 und Göhler, in: Protokoll des Unterausschusses Strafrecht des Rechtsausschusses, V. Wahlperiode, S. 1079 (zit. nach Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 84 bei Fn. 49). 19 BT-Drucksache V I 1269, S. 59. 2o BGBI. 1986 I, 721,724 (Gesetz vom 15. 5.1986). 21 Tiedemann, NJW 1988, 1169 f., 1171; Schroth, wistra 1986, 158, 162; Wolfram Bauer, wistra 1992, 47 ff.; ders., WuW 1989, 304 f.; Wrage-Molkenthin/Bauer, in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Tz. 67, 50. 22 Neben einer Erhöhung des Bußgeldrahmens, soweit die Geldbuße an Straftaten anknüpft. 23 Vgl. BT-Drucksache 101318, S. 41.

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1. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

gen gegen alle Mitglieder des Organs das Verfahren wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo" gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden muß, immerhin aber festgestellt werden kann, daß überhaupt eine der in § 30 Abs. I OWiG genannten Personen vorwerfbar eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. 24 Seit dieser Änderung, die laut amtlicher Begründung ausschließlich praktische und prozessuale Gründe haben sollte25 , ist wiederholt im Schrifttum die Frage aufgeworfen worden, welcher Unterschied zwischen Verbandsgeldbuße und einer "echten" Verbandsstrafe eigentlich besteht bzw. auf welchen materiellen Grundlagen die nicht mehr als Nebenfolge konzipierte Verbandsgeldbuße stehen soii. 26 Bei einer weiteren Änderung27 wurde der Kreis der natürlichen Personen, deren Verhalten die Haftung des Verbandes auslösen kann, erweitert. 28 II. Überblick über das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße

An dieser Stelle sollen nur ein paar kurze Hinweise auf die Regelungen des Verfahrens zur Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gegeben werden.Z9 Wesentliche Unterschiede in verfahrensrechtlicher Hinsicht ergeben sich abhängig davon, ob die Anknüpfungstat des Organs etc. eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit ist. Bei dem vom Gesetz als Normalfall angesehenen verbundenen Verfahren gegen den Anknüpfungstäter und die juristische Person oder Personenvereinigung gelten bei einer Straftat als Anknüpfungstat § 444 Abs. l und 2 StPO. Aus den dortigen Verweisen folgt wiederum, daß im wesentlichen die Vorschriften über das Einziehungsverfahren gelten. 30 Zuständig sind in diesem Verfahren die Staatsanwaltschaft für die Verfolgung und das Gericht für die Festsetzung der Geldbuße. Aus der Verweisung auf §§ 432 ff. StPO ergeben sich u. a. die Pflicht der Staatsanwalt24 Vgl. Göhler, OWiG, § 30 Rn. 40 m. w. N; Achenbach, JuS 1990, 606 und in: CoimbraSymposium, S. 292; BGH NStZ 1994, 346; wie Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 120, richtig ausführt, folgt daraus aber nur bei fahrlässigen Delikten eine Beweiserleichterungsfunktion des § 30 OWiG, da bei vorsätzlichen Delikten ohne Feststellung des Täters das Vorliegen einer vorsätzlichen Anknüpfungstat nicht bejaht werden kann. 2s BT-Drucksache 10/318, S. 41. 26 Schroth, wistra 1986, 163; Tiedemann, NJW 1988, 1171 ; Achenbach, JuS 1990, 605; ders., in: Coimbra-Symposium, S. 301. 27 Durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminaliät vom 27. Juni 1994, BGBI. I, S. 1444. 28 Auf Generalbevollmächtigte, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte in leitender Stellung. 29 Ausführliche Darstellungen z. B. bei KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 171 ff.; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 101 ff.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, s. 215 ff. 30 Kritisch zur weitgehenden Gleichstellung mit der Anordnung einer Einziehung Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 101; Deruyck, Verbandsdelikt, S. 132 f. ; LR-Gössel, § 444 Rn. 6; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 172.

2. Abschnitt: Die Geldbuße nach EU-Recht

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schaft zur Anhörung (§ 432 Abs. 1 StPO) und die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung (§ 432 Abs. 2 StPO). § 444 Abs. 1 StPO sieht die Anordnung der Verfahrensbeteiligung vor. Von der Eröffnung der Hauptverhandlung an hat der Verband die Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen (§ 444 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 433 Abs. 1 S. 1 StPO). Beim selbständigen Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG mit einer Straftat als Anknüpfungstat gilt§ 444 Abs. 3 StPO mit der dortigen Verweisung auf§§ 440,441 Abs. 1 bis 3 StPO. Zentrale Norm für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße als Folge einer Ordnungswidrigkeit des Organs ist § 88 OWiG. Zuständig ist die Verwaltungsbehörde. Aus der Verweisung in § 88 Abs. 3 OWiG auf § 87 Abs. 2 S. 1 OWiG, der für den Einziehungsbeteiligten gilt, ergibt sich, daß der Verband vom Erlaß des Bußgeldbescheides an die Rechte eines Betroffenen hat. Wegen der Lückenhaftigkeit der Regelungen des OWiG werden dariiber hinaus über § 46 OWiG die Vorschriften der StPO angewendet, so daß beispielsweise die Anhörung der juristischen Person oder Personenvereinigung bereits vor Festsetzung der Geldbuße gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 444 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 432 Abs. I StPO vorausgesetzt wird. 31 Im selbständigen Verfahren gilt § 88 Abs. 2 OWiG, der hinsichtlich der besonderen Zuständigkeitsregelung der für das Strafverfahren geltenden Vorschrift des § 444 Abs. 3 S. 2 StPO entspricht.

2. Abschnitt

Die Geldbuße nach EU-Recht Von besonderem Interesse sind auch die Sanktionen gegen Unternehmen im Recht der Europäischen Union. Hier bestehen ebenfalls Möglichkeiten, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen. Aufgrund ihres im weiteren Sinne strafrechtlichen Charakters steht dabei die Geldbuße wegen materieller Wettbewerbsverstöße32 im Vordergrund.

A. Regelung der Geldbuße nach Art. 15 VO 17/62 und ihre materiellen Voraussetzungen Ermächtigt durch Art. 83 Abs. 2 a in Verbindung mit Abs. 1 EG-Vertrag hat der Rat der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1962 die Verordnung Nr. 17 31 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 115; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 205; Göhler, OWiG, § 88 Rn. 4. 32 Zu weiteren Bußgeldvorschriften in anderen Verordnungen vgl. Pache, Schutz der finanziellen Interessen, S. 250; Tiedemann, NJW 1993,27.

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l. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

(VO 17 I 62) erlassen. In Art. 15 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung wird der Kommission die Möglichkeit eingeräumt, Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bei Verstößen gegen Verfahrensvorschriften der VO 17 I 62 (Abs. 1), gegen Art. 81 Abs. 1 (Verbot wettbewerbsbehindernder Vereinbarungen und Beschlüsse) oder Art. 82 EG-Vertrag (Mißbrauch einer den Markt beherrschenden Stellung) sowie bei Zuwiderhandlungen gegen Auflagen (Abs. 2) eine Geldbuße aufzuerlegen. Diese kann im Falle des Abs. 2 bis zu 10 % des erzielten Umsatzes eines Geschäftsjahres betragen. Bei Verstößen gegen das materielle Wettbewerbsrecht werden darüber hinaus keine Sanktionen gegen die für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen vorgesehen, denn die Verbote in Art. 81 und 82 EGV richten sich lediglich an Unternehmen 33 und Unternehmensvereinigungen. Voraussetzung für die Ahndung mit einer Geldbuße ist nach ständiger Praxis der für die Festsetzung zuständigen Kommission (vgl. Art. 15 VO 17 I 62) das wettbewerbswidrige Verhalten einer natürlichen Person, die befugterweise für das Unternehmen handelt. 34 Ob der Inhaber oder Geschäftsführer gehandelt hat oder auch nur von dem Verhalten gewußt hat, ist für die Bußgeldhaftung des Unternehmens unerheblich. 35 Die Geldbuße gegen Unternehmen und Unternehmensverbände nach Art. 15 VO 17 I 62, die anders als das in Art. 16 VO 17 I 62 angedrohte Zwangsgeld repressiv wirkt36, wird nach überwiegender Auffassung als eine Strafe im weiteren Sinne angesehen.37 Damit soll sichergestellt werden, daß die rechtsstaatliehen Garantien des materiellen und des formellen Strafrechts auch auf diese europäische Sanktion angewendet werden. 38 Mit Art. 15 Abs. 4 VO 17 I 62, der lautet: "Die Entscheidungen auf Grund der Absätze 1 und 2 sind nicht strafrechtlicher Art", solle lediglich herausgestellt werden, daß es sich bei dieser Geldbuße nicht um eine Kriminalstrafe, sondern um eine Sanktion ohne sozialethischen Tadel handle, die mit der Geldbuße des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts vergleichbar sei. 39

33 Zum Unternehmensbegriff s. Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2054 bei Fn. 351; DanneckerI Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 253 ff.; Hamann, Das Unternehmen als Täter, S. 13 ff. 34 Hamann, Das Unternehmen als Täter, S. 19; Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2055. 35 Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2055; Dannecker I Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 258. 36 Pache, Der Schutz der finanziellen Interessen, S. 251. 37 Vgl. Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2048 f. m. w. N.; Tiedemann, NJW 1993, 27 f.; ähnlich Pache, Der Schutz der finanziellen Interessen, S. 253 f. 38 Vgl. Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2048 f. m. w. N. 39 Hamann, Das Unternehmen als Täter, S. 4.

3. Abschnitt: Verbandssanktionen ausländischer Staaten

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B. Überblick über das Verfahren zur Festsetzung der Geldbuße nach EU-Recht Das Verfahren zur Verhängung einer Geldbuße nach Art. 15 VO 17/62, das ebenso wie alle übrigen Verfahren nach VO 17/62 ein Verwaltungsverfahren ist40, ist nicht vollständig kodifiziert. Im Ermittlungsverfahren wegen Kartellordnungswidrigkeiten gilt der Untersuchungsgrundsatz41 ; die Ermittlungsbefugnisse der Kommission sind in der VO 17 /62 geregelt. Die Untersuchungsinstrumentarien sind auf das Auskunftsrecht nach Art. 11 VO 17/62 und auf das Nachpriifungsrecht nach Art. 13, 14 VO 17/62 beschränkt. Die Durchsetzung dieser Rechte wird durch die Möglichkeit der Verhängung einer Geldbuße nach Art. 15 Abs. 1 b und c VO 17/62 erleichtert. Die den Unternehmen zustehenden verfahrensrechtlichen Garantien sind weitgehend vom Europäischen Gerichtshof entwickelt worden, der dargelegt hat, daß die erheblichen Ermittlungsbefugnisse der Kommission es erforderlich machten, den betroffenen Unternehmen mehr Verfahrensrechte einzuräumen.42 Wahrend die Pflicht zur Wahrung vertraulicher Angaben in Art. 20 VO 17/ 62 normiert ist, hat der EuGH Geltung und Reichweite des Rechts auf anwaltliehen Beistand, die Vertraulichkeit des anwaltliehen Schriftverkehrs43 , das Akteneinsichtsrecht und das Auskunftsverweigerungsrecht44 konkretisiert. 45 3. Abschnitt

Verbandssanktionen in Rechtsordnungen ausländischer Staaten Die Zahl der Länder, die eine Kriminalstrafe gegen Verbände kennen, wächst; es wird von einem weltweiten Trend zur Anerkennung der Kollektivstrafbarkeit gesprochen46. 40 Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2068; ders., ZStW 111 (1999), 257; EuGH, Consten/Grundig, Slg. 1966, 321, 385 f. ; Buchler, Slg. 1970, 733, 756; AM & S, Slg.l982, 1575,1611. 41 Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2069; ders., ZStW 111 (1999), 259. 42 EuGH, Hoffmann-La Roche, Slg. 1979,461 ff. 43 Dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt C. II. 1. b). 44 Dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt BI. 1. a) bb) (2). 45 Vgl. die Darstellungen bei Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2077 ff.; dems., ZStW 111 (1999), 269 ff. 46 Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 32; zuvor schon Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 295; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 22; Volk, JZ 1993, 429; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 26. Bottke, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 93, findet es müßig, über die Frage, ob es einen solchen Trend gibt, nachzusinnen, da es wenig "anrätlich" sei, sich einem ,,Zug der kriminalpolitischen Lemminge" anzuschließen.

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I. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

Schon seit längerer Zeit, nämlich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden ("corporations") in den USA und im Vereinigten Königreich anerkannt. 47 Im Hinblick auf den theoretischen Hintergrund bestehen Unterschiede zwischen beiden Ländern vor allem seit einer grundlegenden Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Courts48 aus dem Jahre 1909: Während die englischen Gerichte die "alter ego-Theorie" oder "identification theory" entwickelt hatten, wonach nur die Handlungen bestimmter sehr hochrangiger Unternehmensorgane, die aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung mit der juristischen Person identifiziert und als deren alter ego betrachtet werden, eine unmittelbare, nicht nur stellvertretende oder subsidiäre49 strafrechtliche Haftung des Verbandes auslösen können50, folgten die amerikanischen Gerichte dem aus dem Zivilrecht stammenden Ansatz des "respondeat superior". Danach kommt es nicht darauf an, welchen Rang in der Unternehmenshierarchie der Täter innehat; auch die Tat eines Angestellten kann dem Verband zugerechnet werden, solange nur der Handelnde sich im normalen Rahmen seiner Befugnisse gehalten und das Recht mit der Absicht verletzt hat, damit seiner Organisation einen Vorteil zu verschaffen51. In beiden Ländern gilt der Grundsatz, daß das Unternehmen nur wegen solcher Delikte bestraft werden kann, für die zumindest auch eine Geldstrafe als Strafe angedroht ist. 52 Im übrigen kommen als Straftaten in England mittlerweile nicht mehr nur Wirtschaftsstraftaten, sondern auch Tötungsdelikte in Betracht53 , 47 Einen historischen Überblick hierzu vermittelt Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 13 ff. (der als ausschlaggebend für die Entwicklung zur Verbandsstrafe in beiden Ländern die Entwicklung der Eisenbahn hält); zu den USA s. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 95 ff., dort S. 95 in Fn. 34 auch zum Begriff der "corporation"; Ries, RIW 1993, 544 ff.; aus der OS-amerikanischen Literatur: Bailey I Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, S. 117 ff.; Brickey, Corporate and White Collar Crime, S. I ff.; Coffee, in: Encyclopaedia of Crime and Justice, Bd. I, S. 253 ff.; zu England: Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 88 f. ; Wells, ZStW 107 (1995), 676 ff.; Leigh, Criminalliability, S. I ff.; einen Überblick über das geltende Recht bietet außerdem die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/11425, S. 13 ff. 48 New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States (212 U. S. 481 (1909)). 49 Jescheck, ZStW 65 (1953), 222. 50 Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 9 und 15 ff.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 99; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 236. 51 Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 9; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 99; diese Zurechnungsregeln gelten noch immer auf Bundesebene und in manchen Bundesstaaten, in anderen Staaten wurde der Vorschlag des Model Penal Codes (Section 2.07, abgedruckt z. B. in American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2 138; Brickey, Corporate and White Collar Crime, S. 8) aufgenommen, wonach - ähnlich wie im englischen Recht - nur die Handlungen von Vorstandsmitgliedern und Vertretern des oberen Managements die Strafbarkeit des Verbandes zu begründen vermögen, s. Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 21. 52 Für England vgl. Smith & Hogan, Criminal Law, S. 184; Bailey I Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, Band 2, S. 124; American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2146, S. 969. 53 Vgl. Smith & Hogan, Criminal Law, S. 185, mit Hinweis auf die Entscheidung P&O European Ferries Ltd., 93 Cr App Rep 72 (1990); zu dieser Entscheidung, bei der es um den

3. Abschnitt: Verbandssanktionen ausländischer Staaten

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und auch in den USA können sich Unternehmen, je nach Rechtslage in den einzelnen Staaten bzw. auf Bundesebene, nicht nur wegen Verstößen gegen wirtschaftsrechtliche Vorschriften, sondern auch wegen Totschlags, Diebstahls oder Betrugs strafbar machen, nicht aber wegen Delikten wie Vergewaltigung. 54 Sowohl in England als auch in den USA ist die Bestrafung des Individualtäters kein Hindernis für die Strafverfolgung der juristischen Person. 55 Grundsätzlich wird das Verfahren gegen Unternehmen in den USA wie ein solches gegen Individuen eingeleitet, zumeist durch Anklageerhebung. Die Durchführung des Prozesses erfolgt, soweit es um Ladung, Anwesenheit, Anhörung und Urteil geht, etwa wie bei zivilgerichtliehen Verfahren. 56 In Kanada und Australien ist die Strafbarkeit von Unternehmen ebenfalls anerkannt. In Kanada folgt man im wesentlichen 57 der englischen "identification doctrine".58 Im Hinblick auf das Verfahren sieht der kanadische Criminal Code in den Sections 620 ff. einige knappe Regeln über die Vertretung, Mitteilungen an das Unternehmen, das Verfahren bei Abwesenheit des Unternehmens und die Durchführung des Verfahrens, wenn sich der Verband nicht schuldig bekennt, vor. Section 720 betrifft die Vollstreckung von Geldstrafen bei Unternehmen. In Australien hat man sich mit dem Australian Criminal Code Act von 1995 von den Common law-Regeln der englischen Rechtsprechung gelöst und die Zurechnungskriterien beträchtlich erweitert. So ist unter anderem maßgeblich, ob die "corporate culture" die Nichteinhaltung von einschlägigen Vorkehrungen gelenkt, ermutigt, toleriert oder herbeigeführt hat. 59 Auf dem europäischen Kontinent haben in den vergangeneu fünfundzwanzig Jahren verschiedene Länder die echte Kriminalstrafbarkeit von juristischen Personen eingeführt. Das niederländische Strafgesetzbuch sieht bereits seit 1976 die Verbandsstrafe in § 51 vor. Zuvor kannte schon § 15 des Wirtschaftsstrafgesetzbuches von 1950 eine solche Regelung. Eine nähere Umschreibung der Täterschaft Untergang der "Herald of Free Enterprise" ging, auch Schmidt-Salzer, PHI 1991, S. 122 ff.; Wells, ZStW 107 (1995), 677 ff.; allg. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/11425, S. 13. 54 Bailey/Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, Band 2, S. 121; American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2141, S. 964 ff., jeweils m. w. N. 55 Für England vgl. Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 109; Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13111425, S. 13; für die USA z. B. American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 21 36, S. 959; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 138. 56 Bailey/Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, Band 2, S. 123; American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2142 ff., S. 966 ff., jeweils m. w. N; näher unten 3. Teil 2. Abschnitt C. I. 1. c); 3. Teil 3. Abschnitt F. I. I. b). 57 Modifizierungen betreffen vor allem die Frage, wessen Handlungen eine Haftung auslösen, vgl. Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 19. 58 Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 19. 59 Coffee, in: Criminal Responsibility, S. 19 f.

I. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

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von juristischen Personen enthält § 51 des niederländischen StGB nicht. Nach dort heute allgemein vertretener Meinung kommt es nicht darauf an, ob ein Organ für die juristische Person gehandelt hat, sondern ob die vorgenommene Handlung im sozialen Kontext als Handlung der juristischen Person anzusehen ist. Dies gilt auch für die subjektive Tatseite; hinzukommen muß, daß die juristische Person die Aktivitäten der natürlichen Person über den aktuellen Fall hinaus akzeptierte oder akzeptiert.60 Im niederländischen Strafverfahrensgesetz "Wetboek van strafvordering" sind in Art. 528 bis 532 lediglich Regelungen getroffen worden, welche die Vertretung von juristischen Personen und anderen Personenvereinigungen sowie die Zustellung von gerichtlichen Mitteilungen an diese betreffen. Im übrigen richtet sich das materielle und formelle Unternehmensstrafrecht weitgehend nach Richterrecht. 61 In Frankreich wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen mit dem neuen französischen Code penal im Jahre 1992 eingeführt und ist dort in Art. 121 - 262 normiert. Erforderlich ist für die Strafbarkeit im konkreten Fall, daß die Tat durch Organe oder Vertreter der juristischen Person zu deren Gunsten bzw. für ihre Rechnung begangen wurde und in dem jeweiligen Tatbestand des Besonderen Teils ausdriick.lich die Strafbarkeit juristischer Personen vorgesehen ist. 63 Hervorzuheben ist, daß die Strafbarkeit des Verbandes die einer natürlichen Person nicht ausschließt, so daß es zu einer parallelen Strafverfolgung kommen können müßte. Als (Verbrechens- oder Vergehens-)Strafen sieht der Code penal in Art. 131-37 bis Art. 131-39 neben der Geldstrafe Sanktionen wie die Auflösung, Tätigkeitsbeschränkung und die Anordnung gerichtlicher Aufsicht vor. Im Zuge der Einführung der Verbandsstrafe hat der französische Gesetzgeber in Art. 706-41 ff. des Code de procedure penale außerdem Verfahrensvorschriften Zum Ganzen de Doelder. in: Madrid-Symposium, S. 311 f. Vgl. Njiboer. in: Criminal Responsibility, S. 311. 62 Art. 121 - 2 lautet: "Les personnes morales, a I' exclusion de I' Etat, sont responsables penalement, selon !es distinctions des articles 121-4 a 121-7 et dans !es cas prevus par Ia loi ou Je reglement, des infractions commises, pour leur compte, par leurs organes ou representants. Toutefois, les collectivites territoriales et leurs groupements ne sont responsables penalement que des infractions commises dans l'exercice d'activites susceptibles de faire l'objet de conventions de delegation de service public. La responsabilite penale des personnes morales n'exclut pas celle des personnes physiques auteurs ou complices des meme faits." ("Juristische Personen mit Ausnahme des Staates sind nach den in Art. 121-4 bis 121 - 7 getroffenen Unterscheidungen und in den im Gesetz und in der Verordnung bezeichneten Fällen für die für ihre Rechnung von ihren Organen oder Vertretern begangenen Taten strafrechtlich verantwortlich. Die Gebietskörperschaften und ihre Zusammenschlüsse sind jedoch nur für diejenigen Taten strafrechtlich verantwortlich, die in Ausübung von Tätigkeiten begangen werden, welche Gegenstand einer Vereinbarung über die Übertragung von öffentlichen Aufgaben sein können. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person schließt diejenige der natürlichen Personen als Täter oder Teilnehmer derselben Taten nicht aus." (Übersetzung: Bauknecht I Lüdicke, Das französische Strafgesetzbuch). 63 Zur neuen Regelung: Delmas-Marty, in: Madrid-Symposium, S. 305 ff.; Klein, RIW 1995, 373 ff.; Koch, ZStW 107 (1995), 405 ff. 60

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3. Abschnitt: Verbandssanktionen ausländischer Staaten

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aufgenommen, die auf juristische Personen zugeschnitten sind und die örtliche Zuständigkeit (Art. 706-42), die Vertretung der juristischen Person (Art. 706-43), die Rolle des Vertreters (Art. 706-44) sowie die besonderen Verfahrenssicherungsmaßnahmen (Art. 706- 45) regeln. 64 In Dänemark ist schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen nebenstrafrechtlichen Bestimmungen die strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen vorgesehen gewesen. 65 1996 wurde mit § 25 des dänischen Strafgesetzes66 eine allgemeine Regelung der Unternehmensstrafe in das dänische Strafgesetzbuch eingeführt; nach wie vor ist jedoch notwendig, daß der jeweils anzuwendende Tatbestand die Bestrafung von juristischen Personen vorsieht. 67 In § 26 wird klargestellt, daß unter den Begriff des Unternehmens in den Strafvorschriften jede juristische Person fällt, u. a. auch offene Handelsgesellschaften, Gemeinden und staatliche Behörden68 sowie Einzelunternehmen, soweit sie im Hinblick auf ihre Größe und ihre Organisation den juristischen Personen gleichgestellt werden können. Als Voraussetzung der Strafbarkeit der juristischen Person fordert § 27 Abs. 1: "Die Strafbarkeit einer juristischen Person setzt voraus, daß innerhalb ihres Betriebes eine Straftat begangen worden ist, die einer oder mehreren bei ihr tätigen Personen oder der juristischen Person als solcher zugerechnet werden kann. " 69 Die kumulative Bestrafung von juristischer Person und Individualtäter ist möglich. 70 Ein spezielles Prozeßrecht für Verbände gibt es in Dänemark nicht; es wurde auch im Jahre 1996 bei Einführung der genannten materiell-rechtlichen Vorschriften nicht für erforderlich gehalten. Vielmehr wird versucht, die bestehenden Verfahrensregeln so pragmatisch wie möglich anzuwenden.71 Nach Meinung von Toftegaard Nielsen reichen die zentralen Probleme von der Geltung des Opportunitätsprinzips im Hinblick auf die Frage, ob die juristische Person oder das Individuum belangt werden sollen, über die Reichweite der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang sowie die genaue Benennung in der Anklageschrift bis zu Fragen der Stel-

Vgl. hierzu Klein, RIW 1995, 375; Koch, ZStW 107 (1995), 413. Vgl. Greve, in: Madrid-Symposium, S. 313. 66 § 25 lautet auf deutsch (Übersetzung: Comils/Greve, Das dänische Strafgesetz): "Eine juristische Person kann mit Geldstrafe bestraft werden, wenn dies gesetzlich oder aufgrund eines Gesetzes bestimmt ist." 67 Toftegaard Nielsen, in: Criminal Responsibility, S. 190; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/11425, S. 11 . 68 Bei Gemeinden oder staatlichen Behörden ist erforderlich, daß die Straftat bei Ausübung einer Tätigkeit begangen worden ist, die der von einem Privaten ausgeübten Tätigkeit entspricht oder gleichgestellt werden kann, § 27 Abs. 2. 69 Übersetzung von Comils/Greve, Das dänische Strafgesetz. 10 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BTDrucksache l3 /11425, S. 11. 71 Toftegaard Nielsen, in: Criminal Responsibility, S. 321. 64

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1. Teil: Bestehende Sanktionsmöglichkeiten gegen Verbände

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Jung des Unternehmensvertreters in der Hauptverhandlung, der Beweislast, der Tatortbestimmung sowie der Verjährung.72 Am Rande seien noch Norwegen und Belgien erwähnt: In Norwegen wurden im 1ahre 1991 allgemeine Regelungen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit in das Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem zuvor schon in verschiedenen Nebengesetzen die Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafen vorgesehen war. Dabei wird laut § 48 a des norwegischen Strafgesetzbuches die Tat einer natürlichen Person zugerechnet, auch wenn das handelnde Individuum selbst nicht ermittelt werden kann. Die Bestrafung ist fakultativ.73 Die zur Zeit neueste Regelung einer Kriminalstrafe für juristische Personen wurde im Jahre 1999 in Belgien eingeführt. Danach ist die juristische Person strafrechtlich verantwortlich für Straftaten, die mit dem Verbandszweck verbunden sind oder die im Interesse oder für die Rechnung der juristischen Person begangen wurden.74 In Portugal, Spanien, Italien und der Schweiz sind echte Kriminalstrafen bisher nicht vorgesehen. Im portugiesischen Strafgesetzbuch ist zwar nach Art. 11 die strafrechtliche Verantwortlichkeit von juristischen Personen als Ausnahme vom Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit anerkannt, das Kernstrafrecht kennt aber- anders als das Nebenstrafrecht- keine Straftatbestände, die auch auf juristische Personen anwendbar wären. Im Ordnungswidrigkeitengesetz ist die Verantwortung juristischer Personen hingegen generell vorgesehen. 75 Auch das neue, 1996 in Kraft getretene spanische Strafgesetzbuch sieht lediglich sogenannte Nebenfolgen für juristische Personen und Unternehmen in Art. 129 vor. 76 Ebensowenig kennt das italienische Strafrecht eine Strafbarkeit von juristischen Personen. In Art. 197 des italienischen Strafgesetzbuches ist lediglich die zivilrechtliche, subsidiäre Haftung für die Bezahlung von Geldstrafen gegen Vertreter, Verwalter und Angestellte geregelt, die Straftaten unter Verletzung unternehmensbezogener Pflichten oder im Interesse der juristischen Person begangen haben. 77 Im Bußgeldverfahren haftet sie als Gesamtschuldnenn mit der natürlichen Person, der eine Geldbuße auferlegt wird, für die Zahlung dieser Summe. Eine selbständige verwaltungsstrafrechtliche Haftung findet sich nur in bestimmten Bereichen, z. B. im Wettbewerbs-, Femmelde- und Wertpapierrecht. 78 n Toftegaard Nielsen, in: Criminal Responsibility, S. 321 ff.

Zum Ganzen Rpstad, in: Madrid-Symposium, S. 323 ff. Vgl. Faure, in: Criminal Responsibility, S. 111. 75 Zum Ganzen : Serra, in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 139 ff.; dies., in: Criminal Responsibility, S. 205 ff. 76 Umstritten ist dabei die Rechtsnatur dieser Nebenfolgen; sie werden als Strafen, Maßnahmen oder als ein dritter Typ von strafrechtlichen Sanktionen eingeordnet, vgl. Bacigalupo, in: Criminal Responsibility, S. 256 ff. m. w. N.; Tiedemann, JZ 1996,648. 77 Vgl. Militello, in: Coimbra-Symposium, S. 325 ff. 78 Vgl. Paliero, in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 159 ff.; de Maglie, in: Criminal Responsibility, S. 285 ff. 73

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3. Abschnitt: Verbandssanktionen ausländischer Staaten

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Im schweizerischen Kernstrafrecht ist als einzige Sanktion, die auch gegenüber juristischen Personen Anwendung finden kann, die Einziehung in Art. 58 ff. geregelt. Außerhalb des Kernstrafrechts finden sich im Nebenstrafrecht, das vor allem Verwaltungsstrafrecht isC9, in zahlreichen Vorschriften Sanktionsmöglichkeiten gegenüber juristischen Personen. 80 Die Aufnahme einer allgemeinen Regelung in das Strafgesetzbuch ist aber im Gespräch81 : Es gibt einen Bundesratsentwurf, in dem die subsidiäre strafrechtliche Haftung des Unternehmens vorgesehen ist. Ende 1999 wurde diesem Entwurf unter gewissen Erweiterungen (zusätzliche "Konkurrenzlösung" für bestinunte Straftaten) und sprachlichen Veränderungen von der ersten Parlamentskammer, dem Ständerat, zugestimmt. Die Beratungen der zweiten Parlamentskammer stehen zur Zeit noch aus.

Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 177m. w. N. Einen umfangreichen Überblick hierzu vermittelt Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 211 ff. 81 Zum aktuellen Entwurfs. Moreillon, ZStrR 1999, 325 ff. 79

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4 Drope

2. Teil

Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe 1. Abschnitt

Einleitung und Bedeutung für die vorliegende Arbeit Die strafprozessualen Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe lassen sich nur untersuchen, wenn auf einen bestimmten materiell-rechtlichen Rahmen Bezug genommen werden kann. Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe1 ist nicht abgeschlossen; es läßt sich weder davon sprechen, daß bereits ein Konsens über die Einführung einer Verbandsstrafe getroffen worden wäre, noch davon, daß es ein bestimmtes Modell der Verbandsstrafe gäbe, das Zustimmung von der überwiegenden Anzahl der Verbandsstrafenbefürworter erhalten hätte. Im Rahmen dieser Arbeit kann keine Antwort auf die bestehenden materiellrechtlichen Fragen zur Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen gegeben werden, stattdessen soll versucht werden, auf die Ideen der Verbandsstrafenbefürworter in dem Sinne aufzubauen, daß innerhalb dieses Rahmens die Möglichkeiten und Grenzen der prozessualen Umsetzung aufgezeigt werden. Notwendig ist dafür die Darstellung der bisherigen, materiell-rechtlichen Diskussion. Dies soll I Zurneueren Diskussion vgl. Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen ( 1984); Schünemann, Unternehmenskriminalität (1979); dens., in: Taiwan/ROC Chapter, S. 433 ff.; dens., in: Madrid-Symposium (1994), S. 265 ff.; dens. in: Deutsche Wiedervereinigung Band III (1996), S. 129 ff.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz (1994); Eidam, Straftäter Unternehmen (1997); Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen (1996); Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit (1995); dens., Maastricht Journal of European and Comparative Law 1995, 107 ff.; Müller, Die Stellung der juristischen Person (1985); Karte, Juristische Person (1991 ); Schroth, Unternehmen als Normadressaten (1993); Alwart, ZStW 105 (1993), 752 ff.; Lütolf, Die Strafbarkeit der juristischen Person (1997); Dannecker, Revue de science criminelle 1997, 275 ff.; Deruyck, ZStW 103 (1991), 705 ff.; Hetzer; Kriminalistik 1999, 570 ff.; ders., ZRP 1999, 529 f.; Hirsch, Frage der Straffahigkeit (1993); Vogel, JZ 1995, 340 f.; Volk, JZ 1993, 429 ff.; Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt (1992), S. 295 ff.; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen (1993); dens., Jura 1998, 409 ff.; Huss, ZStW 90 (1978), 237 ff.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht (1996), S. 326 ff.; v. Freier, Kritik der Verbandsstrafe (1998); Hamm, NJW 1998, S. 663 ff.; dens., in: Quo vadis, Strafprozeß (1998), S. 33 ff.; Müller-Gugenberger; in: Müller-Gugenberger I Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 23 Rn. 45 ff.; Bottke, wistra 1997, 241 ff.; vgl. auch die Buchbesprechungen bei Seelmann, ZStW 108 (1996), 652 ff. und die weiteren Nachweise hier im folgenden.

I . Abschnitt: Einleitung und Bedeutung für die vorliegende Arbeit

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möglichst konzentriert geschehen; auf der anderen Seite soll mit der Darstellung bereits ein Eindruck von den leitenden Vorstellungen der Verbandsstrafenbefürworter von der straffähigen juristischen Person, vom Wesen der Strafe, von den erhofften prozessualen Auswirkungen und schließlich von den Grundkonzepten eines Verbandsstrafenmodells gegeben werden. Überblicksweise lassen sich die Kernpunkte der Diskussion um die Einführung einer Verbandsstrafe in zwei größere Komplexe einteilen: Zum einen stellt sich die Frage nach einem kriminalpolitischen Bedürfnis für eine Verbands- oder Unternehmensstrafe, zum anderen wird darüber gestritten, ob sich eine solche Strafe mit den dogmatischen Grundsätzen des Strafrechts vereinbaren ließe. Diese beiden Problembereiche lassen sich weiter wie folgt untergliedern: Das kriminalpolitische Bedürfnis wird von den Befürwortern einer Verbandsstrafe begrundet mit einem großen Machtpotential der Unternehmen und mit den Folgen der Wirtschaftskriminalität, denen keine adäquaten Reaktionsmöglichkeiten in Form von Sanktionen entgegengesetzt seien. Die bestehenden Möglichkeiten reichten nicht aus; sowohl die Strafen, die das geltende Strafrecht vorsieht, als auch die bestehenden Verbandssanktionen in Gestalt von verwaltungsrechtlichen Instrumentarien wie Auflösung und Tätigkeitsbeschränkungen, die strafrechtlichen Sanktionen der Einziehung, des Verfalls und der Mehrerlösabschöpfung sowie die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG seien als ungenügend anzusehen. Die dogmatische Diskussion kreist hingegen um die Fragen der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit sowie der "Gerechtigkeit" einer Verbandsstrafe mit Blick auf Art. 103 Abs. 3 GG und auf die möglicherweise drohende Bestrafung unschuldiger Verbandsangehöriger. Soweit darüber hinaus bereits mehr oder weniger konkrete Vorschläge für Straftatbestände gemacht werden, kommen Fragen hinzu, die den systematischen Standort der Verbandsstrafenregelung, die genaue Bestimmung des Sanktionsadressaten, die Sanktionsarten und vor allem das Verhältnis von der Strafbarkeit des Verbandes zur unter Umständen ebenfalls vorliegenden Strafbarkeit eines Einzeltäters betreffen. Für die vorliegende Arbeit sind aus der Fülle von Argumenten zu den genannten Punkten insbesondere folgende interessant: Zunächst sind die Ausführungen der Verbandsstrafenbefürworter, die Aufschluß über das einer Verbandsstrafe zugrundeliegende Bild des Verbandes, der juristischen Person vermitteln, von Bedeutung. Die Rechtsstellung der juristischen Person im Strafverfahren wird unter anderem davon abhängen, inwieweit sie sich mit einer natürlichen Person vergleichen läßt. Je mehr die juristische Person nur als Vermögensmasse verstanden wird, um so weniger wird man ihr die ursprünglich als Menschenrechte konzipierten Verfahrensrechte und -garantien zubilligen können. Sieht man - als anderes Extrem - in ihr nur eine Addition einer Mehrzahl von natürlichen Personen, so stellt sich die Frage nach der Zubilligung eigener Rechte womöglich gar nicht. Je mehr aber in ihr eine eigenständige Person oder gar "Persönlichkeit" mit besonderen Eigenschaften oder eigenem "Charakter" erblickt 4*

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

wird, desto eher wird sie im Hinblick auf die Rechtsstellung im Verfahren einer beschuldigten natürlichen Person gleichzustellen sein. Es soll daher anhand der Diskussion über das kriminalpolitische Bedürfnis versucht werden, das bei der Einführung einer Verbandsstrafe notwendigerweise zugrundeliegende Bild von der juristischen Person und ihr Verhältnis zu ihren Organen und Mitgliedern nachzuzeichnen. Der andere Pol der "Denkachse", um die sich die Diskussion über die Verbandsstrafe immer wieder dreht2 , ist die Frage der Legitimität und Leistungsfähigkeit des Strafrechts überhaupt. Aus den Argumenten zum kriminalpolitischen Bedürfnis einer Verbandsstrafe und zur dogmatisch möglichen Umsetzung ergibt sich daher, wie der Begriff "Strafe" von den Befürwortern einer Verbandsstrafe verstanden wird. Das ist deshalb für die Grundlinien eines Strafverfahrensrechts von erheblicher Bedeutung, weil zum einen von der Stärke des Eingriffs abhängen kann, welche Verfahrensgarantien zugebilligt werden müssen. Zum anderen lassen sich aus den Vorstellungen über die Wirkung von Strafe auf juristische Personen wiederum auch Rückschlüsse über das Verständnis von deren Wesen machen. Um eine Grundlage für die spätere Auseinandersetzung mit Beweisfragen zu schaffen, soll außerdem ein Blick darauf geworfen werden, inwieweit die VerbandsstrafenbefürworteT Beweisschwierigkeiten nach aktuellem Recht in ihre Überlegungen einbeziehen und sich von ihnen motivieren lassen. Ob die Erwartungen an eine Verbandsstrafe mit Blick auf diese Beweisschwierigkeiten prozessual überhaupt einzulösen sein werden, läßt sich nur beantworten, wenn die Argumente der VerbandsstrafenbefürworteT - im Rahmen der Darstellung der Diskussion über das kriminalpolitische Bedürfnis der Verbandsstrafe - kurz dargestellt werden. Schließlich ist für die Beurteilung der strafprozessualen Folgeprobleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe erheblich, wie das Verhältnis von Verbands- und Individualstrafe ausgestaltet werden soll. Je nachdem, wie weit die Strafbarkeit des einen von der Strafbarkeit des anderen abhängt und ob sie kumulativ oder nur alternativ verfolgt werden können sollen, stellen sich Weichen für mögliche Verfahrenskonstellationen und -Verbindungen, für die Möglichkeit von Interessenkonflikten bei Vertretung und gemeinsamer Verteidigung und für das Entstehen von Rechten- und Pflichtenkollisionen. Die möglichen Konzepte zum Verhältnis von Verbands- und Individualstrafe ergeben sich aus den Verbandsstrafenmodellen, denen wiederum bestimmte, hier ebenfalls darzustellende Auffassungen insbesondere über die Handlungs- und Schuldfähigkeit des Verbandes zugrunde liegen.

2 So zutreffend Hamm, in: Quo Vadis, Strafprozeß, S. 37; ähnlich auch die Feststellung bei Maurach/Zipf, Strafrecht AT,§ 15 Rn. 7.

2. Abschnil:t: Argumente für die Einführung einer Verbandsstrafe

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2. Abschnitt

Die kriminalpolitischen Argumente für die Einführung einer Verbandsstrafe Wesentlicher Bestandteil der Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe ist die Präsentation von Argumenten, warum sie überhaupt kriminalpolitisch geboten sein sollte. Ihre Hauptlinien sind im folgenden nachzuzeichnen. Insbesondere läßt sich so ein Bild der Verbandsstrafenbefürworter vom Strafadressaten "juristische Person", "Verband" oder "Unternehmen" zeichnen und die Vorstellung von den Wirkungen der Strafe sowie die Bedeutung von Beweisschwierigkeiten als Grund für den Wunsch nach einer Verbandsstrafe aufzeigen.

A. Das Machtpotential von Verbänden, Veränderung der sozialen Wirklichkeit und die Folgen der Wirtschaftskriminalität Als Grund für das kriminalpolitische Bedürfnis nach einer Verbandsstrafe wird -wie bereits in den fünfziger Jahren 3, wenn auch heute mit einer größeren Betonung auf Wirtschaftsunternehmen - das besondere ökonomische und gesellschaftliche "Machtpotential" von Verbänden im Vergleich zu dem von Einzelpersonen hervorgehoben. 4 Dieser Macht müsse als Pendant eine strafrechtliche Verantwortlichkeit entgegengesetzt werden 5 , insbesondere auch wegen des von vomherein 3 Von Weber, JZ 1953, 294; vgl. auch dens., DRiZ 1951, 153, 155; Jescheck, DÖV 1953, 541: ,.Verbände ... beherrschen heute als Parteien das politische, als Unternehmer, Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften das wirtschaftliche Leben, als Banken das Kreditwesen. Verbände bestimmen als Verlage, Zeitungsbetriebe oder Nachrichtenagenturen das Gesicht der Publizistik, als Standesorganisationen haben sie maßgebenden Einfluß auf das Berufsund kulturelle Leben. ( ... ) Alle diese größeren Verbände sind im Verhältnis zum Einzelnen übermächtige Kraftzentren des Soziallebens, die jedoch strafrechtlich zur Zeit nur durch die Person der für sie handelnden Einzelmenschen erlaßt werden können." 4 Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 4; Antrag des Landes Hessen an den Bundesrat, BR-Drucksache 690/98, S. 2; Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/9682, S. I; Dannecker, GA 2001, 102; Hetzer, wistra 1999,361 : eine ,.ins Unermeßliche" gesteigerte ,.ökonomische Bedeutung"; ein Bild besonderer Machtfülle zeichnet auch Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 92 f. Kritik an dieser Begründung üben z. B. Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 121 f., Hamm, in: Quo vadis, Strafprozeß, S. 38 f. s Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 190 und 193; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 14 ff. ; in diese Richtung auch: Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 173; Alwart, bei Vitt, ZStW 105 (1993), 817; vgl. auch die Zusammenstellung von möglichen Argumenten für eine Verbandsstrafe bei Volk, JZ 1993, 430: Man könne argumentieren, daß es neben dem vom Recht honorierten ,.good will" einen vom Strafrecht sanktionierten ,.bösen Willen" geben müsse.

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höheren Risikos sozialer Störungen6 und wegen der bisher bestehenden unvertretbaren Bevorzugung gegenüber Einzelunternehmen7 . Zudem würden immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in "Bewirtschaftung durch Unternehmen" verwandelt, so daß - entgegen der Schwerpunktsetzung im strafrechtswissenschaftlichen Interesse- im großen und ganzen die relevanten Rechtsgutsverletzungen quantitativ und qualitativ nur noch im Rahmen von Unternehmen denkbar seien. 8 Betont wird in diesem Zusammenhang auch die Zunahme der sogenannten organisierten Kriminalität9 und insbesondere der Wirtschafts- und Umweltkriminalität10, wobei in mehr als 80% der registrierten Fälle schwerer Wirtschaftskriminalität die Straftaten unter dem Mantel einer handelsrechtliehen Gesellschaft begangen würden 11 und die Schäden weit höher lägen als die der "ordinären Eigentums- und Vermögenskriminalität im traditionellen Sinne" 12• Ein zukunftsbezogenes Strafrecht müsse darauf reagieren, um seine neuen Ziele zu erreichen, welche im Schutz von durch schwere Wirtschaftskriminalität betroffenen überindividuellen Gemeinschaftsinteressen 13 erblickt werden. 14 Dazu seien Sanktionen gegen juristische Personen erforderlich 15 .

Vgl. Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 16 f. Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 7; vgl. auch Dannecker; GA 2001 103. 8 Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band 111, S. 130 f.; ähnlich auch Deruyck, ZStW 103 (1991), 705. 9 Hierzu Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 76; auch (für sichemde Maßnahmen) Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 296; eingehend Hetzer; Kriminalistik 1999, 572 ff. und ZRP 1999, 529; vgl. auch- selbst eher kritisch - Volk, JZ 1993, 430. Dazu, daß jedenfalls auf U ntemehmen, die von vomherein auf kriminelles Handeln angelegt sind, das Strafrecht keine Wirkung erzielen kann, der Abschlußbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (März 2000), Punkt 12.2.1.; auch Lampe, ZStW 106 (1994), 725. JO Sou. a. auch in der Großen Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/9682, S. 1. IJ Hirsch, Frage der Straffahigkeit, S. 22; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 142 f., beide mit Hinweis auf Liebt, Die bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten, S. 135 f.; s. auch die Begründung des Diskussionsentwurfes des Hessischen Ministerium der Justiz, S. 4; Fieberg, in: Criminal Responsibility, S. 83; Hetzer; wistra 1999, 361m. w. N.; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 15 bei Fn. 59. 12 Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band 111, S. 130; vgl. auch Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 8 mit Fn. 34; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 142; Begründung des Diskussionsentwurfes des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 4. 13 Vgl. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 143. 14 Vgl. Alwart, ZStW 105 (1993), 756. 15 Dannecker; Revue de science criminelle 1997, 284; ders., GA 2001 , 104. 6

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B. Mangelnde Effektivität des geltenden Individualstrafrechts Die Einschätzung, das geltende Individualstrafrecht sei nicht ausreichend für die Bewältigung der oben dargestellten Probleme, gibt ebenfalls Aufschluß über das Bild des Verbandes. I. Unzureichende Motivationskraft Verbreitet wird das angebliche "präventionspolitische Bedürfnis" 16 der Verbandsstrafe damit begründet, daß es Individualstrafen bei im Umfeld von Verbänden oder Unternehmen begangenen Straftaten deswegen an Wirksamkeit mangele, weil ihnen die präventive Wirkung für den einzelnen fehle. Vielfach wird zur Erklärung dieser mangelnden präventiven Wirkung auf die unternehmensinternen Reaktionen im Falle einer Bestrafung eines Verbandsmitgliedes hingewiesen: Der Täter werde intern belobigt oder befördert 17, verhängte Geldstrafen würden- in vom BGH unbeanstandeter Weise 18 - vom Unternehmen übernommen 19 und aus der "großen Verbandsschatulle" 20 erstattet, wodurch die Präventionswirkung der Geldstrafe minimiert werde21 • Selbst bei Verhängung einer Freiheitsstrafe bestehe kein großes Risiko für den einzelnen 22 , wenn sich ein sogenannter Frühstücks- oder Sitzdirektor finden lasse. 23 Aussagekräftiger für das Bild der VerbandsstrafenbefürworteT von der juristischen Person und ihrer Struktur ist jedoch die folgende Argumentation, bei der die Vorstellung vom Verband als eine besondere "psychologische" Kräfte generierende Bottke, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 95. Vgl. Große Anfrage von SPD-Abgeordneten, BT-Drucksache 13/9682, S. 3; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 220 f.; vgl. auch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161; Volk, JZ 1993, 430. 18 Vgl. BGHSt 37, 226. 19 Große Anfrage von SPD-Abgeordneten, BT-Drucksache 13 I 9682, S. 3; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161; Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 124; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 198; auch Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 6. Es wird verschiedentlich darauf hingewiesen, daß selbst die Bestrafung des begünstigenden Organs gemäß § 258 StGB als Reaktion auf die interne Freistellung letztendlich nichts ändern würde, da jedenfalls wieder nur eine natürliche Person und nicht der Verband selbst bestraft würde bzw. Probleme bei der Kontrollierbarkeit der Zahlungen und der Abgrenzung zu sozialadäquaten Unterstützungshandlungen entstünden, vgl. Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 141; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 221; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 164; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 77. 16

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Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 76. Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 124. 22 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161 f. 23 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 77 f. ; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 10. 20 21

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

Einheit deutlich wird. Die Überbewertung von Verbandsinteressen führe dazu, daß die Individualstrafe keine "vorbeugende Wirkung", keine Präventivwirkung habe. 24 Während die persönliche Strafdrohung "ihre motivierende Kraft im Sinne der Abschreckung" nicht mehr zur Geltung bringen könne, weil die Überbewertung der Verpflichtung gegenüber der "Gesamtheit der Verbandsgenossen" oder gegenüber einer überindividuellen Aufgabe der strafbaren Handlung den Anschein sozialer Berechtigung gebe 25 , würde bei Einführung einer Verbandsstrafe genau diese Überbewertung nicht mehr als Anreiz zur Deliktsbegehung, sondern zugunsten der Vermeidung von Straftaten wirken?6 Zur Erklärung der Überbewertung von Verbandsinteressen werden kollektive Phänomene herangezogen: Gefördert würde diese Überbewertung durch einen "Korps- oder Verbandsgeist" 27 bzw. durch die entsprechende "corporate culture" eines Unternehmens28 . Die "Unternehmensphilosophie", der überindividuelle Geist, der von bestimmten Unternehmensangehörigen geprägt sei, bemächtige sich der Mitarbeiter. 29 Bei der Eingliederung eines Individuums in einen Verband mit einer "kriminellen Verbandsattitüde" würden Hemmschwellen, die dasselbe Individuum in seinem privaten individuellen Lebensbereich besitze, auch von an sich sozial angepaßten Verbandsmitgliedern abgebaut. 30 Die Eingliederung in eine Organisation könne die Folge haben, daß sich 24 Schon Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 96 ff.; zustimmend z. B. Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 218 ff.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161 f.; auch Seiler; Strafrechtliche Maßnahmen, S. 127 ff., der im Ergebnis eine Verbandsstrafe ablehnt und strafrechtliche Maßnahmen bevorzugt. 25 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 99, 102; ablehnend Engisch, Referat zum 40. DJT, E 34, der bezweifelt, daß sich der einzelne nicht durch eine ihm drohende Strafe abschrecken ließe; ihm zustimmend Koffka, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskornmission 4. Band, S. 564; auch Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 67 f. rn. N.; kritisch im Hinblick auf eine angebliche Selbstlosigkeit bei der Begehung von Straftaten im Dienste der juristischen Person auch Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 45 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 11 f.; ob Busch überhaupt das Bild des selbstlosen, sich aufopfernden Täters zeichnen wollte, bezweifelt insoweit zu Recht Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 60. 26 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 105. 27 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 103. 28 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161. 29 Lampe, ZStW 106 (1994), 733; an anderer Stelle definiert Lampe die Unternehmensphilosophie als "Gesamtheit der grundsätzlichen Wert- und Zielvorstellungen der Unternehmensleitung hinsichtlich des Unternehmens sowie hinsichtlich seiner Stellung im ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeld", ZStW 106 (1994), 708 in Fn. 82. 30 Schünemann in: Unternehmenskriminalität, S. 22; ders., wistra 1982, 42 f.; ders., in: Madrid-SymposiumS. 270 f.; ders., in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 131 f.; in neuerer Zeit hat Schünemann den Begriff des "collective spirit" gewählt, vgl. in: Criminal Responsibility, S. 231 bei Fn. 32. Wahrend Schünemann zunächst - in: Unternehmenskriminalität ( 1979), S. 232 f. - noch die Verbandsgeldstrafe abgelehnt hat, setzt er sich spätestens seit seinem Diskussionsbeitrag in ZStW 105 (1993), 816 (bei Vitt), für eine im Strafrecht geregelte Unternehmenssanktion ein, und zwar in Form einer "Unternehmenskuratel", vgl. in: Madrid-Symposium, S. 279 (Forderung nach "spezifisch strafrechtlichen Maßnahmen"), S. 290 f., und in: Deutsche Wiedervereinigung Band III S. 139 ff.

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das "Rechts- und Wertebewußtsein" ändere und personale Einstellungen in Richtung "Verbandsmentalität" modifiziert würden. 31 Grund dafür seien die notorisch hohe Gehorsamsbereitschaft des Menschen in derartigen hierarchischen Systemen und die Neutralisierungstechnik, daß man "ja nur altruistisch im Interesse der Firma" handele. 32 Da der Täter denke, er handele altruistisch, meine er, daß er nicht das im sozialen Leben verwurzelte Bild eines Diebes oder Wucherers abgebe, weswegen er bei sogenannten egoistisch beschränkten Delikten, die Habgier, Bereicherungsabsicht etc. voraussetzten, besonders gefährdet sei. 33 Eine Verstärkung der "kollektiven Neutralisierungstechniken" erfolge aufgrund des Vertrauens darauf, daß die eigene Handlung noch durch die übergeordneten Unternehmensorgane kontrolliert werde34 , und aufgrund der Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz 35 , wobei wegen der Austauschbarkeit von Arbeitnehmern - gerade in den unteren Betriebsebenen - die Verhaltenssteuerung durch Strafrechtsnormen nur begrenzt effektiv sei. 36 Selbst bei einer theoretischen "Vervollkommnung der Zurechnungsinstrumente" in Form optimal ausgestalteter Zurechnungsvoraussetzungen der unechten Unterlassungsdelikte mitsamt der Vertreterhaftung bleibe das unlösbare Problem der "kriminellen Verbandsattitüde". 37 Diese straftatfördernden Faktoren verlören mit der Möglichkeit einer Verbandsstrafe an Bedeutung, da dann in dem an sich rechtstreuen Mitglied das Gefühl der Verantwortung reaktiviert werde; sein Verhalten stelle sich als nicht altruistisch heraus, da es dann dem Unternehmen schade. 38 II. Vergeltungserwartung der Allgemeinheit

Einen Eindruck vom Bild des straffähigen Verbands vermittelt auch die Begrundung dafür, daß angeblich die alleinige Bestrafung der Verbandsorgane das Vergeltungsbedürfnis der Bevölkerung nicht befriedigen könne: Das sozialethische Un31 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 49 f., unter Hinweis auf neuere sozialwissenschaftliche Befunde. 32 Schünemann, wistra 1982, 42 f. ; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 153: In einer Gruppe bestehe zudem eine größere Risikobereitschaft; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 49: Im Unternehmerischen Kontext könne durch Rechtsgutsfeme die ethische Neutralität bewirkt werden. 33 Schünemann, Unternehmenskriminalität , S. 23 f. 34 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 24; zustimmend Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 50. 35 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 23. 36 Schünemann, wistra 1982, 43; ders., in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 131 f.; siehe auch Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 8. 37 Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 277. 38 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 46; zweifelnd, was die abschreckende Wirkung von Unternehmenssanktionen für die handelnde Person angeht, Korte, Juristische Person, S. 47 f.

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werturteil der Gesellschaft beziehe sich nicht nur auf das individuelle Verhalten, sondern ebenso auf die Tat als Äußerung der "wertstrebenden Verbandsperson" 39 . Die Allgemeinheit empfinde es deutlich, daß die strafbare Handlung zu einem großen Teil vom "Verbandsgeist", vom "überpersönlichen Corpsgeist" mitgetragen sei und die "Grundhaltung des Verbandes" widerspiegele, so daß sie für die illegale Vorteilsanmaßung durch den Verband eine Vergeltung durch Zugriff auf seine Rechtsgüter fordere. 40 So sei es "ein unauflösbarer Widerspruch", wenn bei kollektiv verursachten Umweltschädigungen nur auf individuelle Fehlleistungen abgestellt würde41 , und mit dem sozialen Verständnis von Schuld unvereinbar, wenn das Unternehmen, durch das ein Gewässer verunreinigt wurde und das von der Öffentlichkeit dafür verantwortlich gemacht werde, entgegen der öffentlichen Erwartung nicht strafrechtlich herangezogen wird. Mit einer Geldstrafe gegen die juristische Person könne dem Rechtsgefühl der Bevölkerung hingegen genüge getan werden.42 111. Unmöglichkeit der Einflußnahme auf das Unternehmen

Eine weitere Erwägung der VerbandsstrafenbefürworteT ist, daß bei ausschließlicher Bestrafung der Einzeltäter eine Einwirkung auf die Gesamtheit der Verbandsmitglieder nicht möglich sei. Aus der folgenden Darstellung ergibt sich, daß der Verband nicht als bloße Vermögensmasse oder Addition von Verbandsmitgliedern angesehen, sondern ihm ein Eigenleben zugeschrieben wird. Die Grundaussage ist, daß die Individualstrafe zur Beeinflussung der Gesamtheit der Verbandsmitglieder ineffektiv sei, so daß der Verband seine "sozialschädliche Tätigkeit" trotz Bestrafung des einzelnen fortsetzen könne. 43 Bei der "echten Verbandskriminalität" dringe die Bestrafung des einzelnen nicht immer bis an die "Wurzel des Übels" vor, sondern sei eventuell nur ein "Kurieren an Symptomen"44. Die "kriminelle Verbandsattitüde" werde mit der Bestrafung des einzelnen

Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 113. Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 224; zuvor auch schon Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 113. 41 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 198. 42 Diskussionsbeitrag Tiedemanns bei Zieschang, ZStW 110 (1998), 522; Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 193; vgl. auch die Darstellung von möglichen Argumenten bei Volk, JZ 1993, 430: Wenn es "die Unternehmen" selbst seien, denen die Gesellschaft eigene Verantwortung für sozialschädliches Verhalten vorwirft, dann müßte gegen sie selbst eingeschritten werden, um so die Geltungskraft des Rechts zu sichern. 43 So bereits Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 113, S. 115 f.; zustimmend Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 224 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 14. 44 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 58; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 8. 39 40

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nicht erfaßt 45 ; die Strukturen, aus denen sich die organisierte Begehung von Delikten entwickelten, blieben unberührt. 46 Zur Verdeutlichung der Begrenztheit der präventiven Wirkung von Strafnormen wird auch die systemtheoretische Idee herangezogen, daß es sich bei Wirtschaftsunternehmen um "autopoietische Systeme" handele, an welche die Rechtsnormen nur von außen "heranprall(t)en" 47 • Nicht die ursprünglich vom Staate ausgesendete Norm, sondern nur das durch die unternehmensinterne Kommunikation veränderte Normprodukt werde vom einzelnen vernommen. 48 Es wird auf die sogenannte "Theorie vom reflexiven Recht", auf die "Eigengesetzlichkeit" und "operative Geschlossenheit" in (Groß-)Unternehmen hingewiesen 49 , aufgrund deren es nur sehr begrenzt möglich sei, über natürliche Personen Einfluß auf das Unternehmen auszuüben. 50 Die Austauschbarkeit des einzelnen in einer größeren Organisation mache es außerdem möglich, selbst bei Androhung schärfster strafrechtlicher Maßnahmen die Kontinuität der Verbandsdelinquenz aufrechtzuerhalten. Die Verbandssanktion sei hingegen geeignet, den "normativen Verbandsgeist" zu beeinflussen und damit die jedem Verband eigentümlichen gemeinsamen Einstellungen und Haltungen zu steuern. 51 Eine derartige, sämtliche "Verbandsgenossen" in den Verbandsgütern treffende Strafe vermöge sowohl abschreckend als auch erzieherisch zu wirken. 52 Eine Bekämpfung der Verbandskriminalität müsse wegen der besonderen kriminogenen Einflüsse in einem Unternehmen bei dem "Urheber" selbst, dem "Unternehmen als Ganzes" ansetzen, da nur dieses in der Lage sei, für ein funktionierendes Aufsichts- und Informationssystem sowie für eine Unternehmenskultur, in der Straftaten nicht gefördert werden, zu sorgen. 5 3

IV. Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten Zur Begründung des Bedürfnisses für eine Verbandsstrafe werden die Schwierigkeiten bei Aufklärung und Beweis der Individualtat, d. h. bei der Ermittlung der Tater hervorgehoben. 54 Die Erfüllung der Verbandsaufgabe erfordere die Zusam-

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Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 40.

So vor allem für die sogenannte organisierte Kriminalität: Hetzer, wistra 1999,361.

Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 132 mit Fn. 17. Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 271 mit Fn. 24, und in: Deutsche Wiederverei-

nigung Band III, S. 132 mit Fn. 17. 49 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 78 ff. , 198. 50 So Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 79 f., 198. 51 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 14. 52 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 115 f.; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 224 f.; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 14. 53 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 164; ebenso Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/9682, S. 3.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

menarbeit einer Vielzahl von Personen innerhalb einer geschlossenen Arbeits- und Betriebsgemeinschaft, eines von außen schwer einsehbaren, geschlossenen Kreises55; einem Außenstehenden sei oft jede Möglichkeit genommen, aus dieser Vielzahl den Täter zu ermitteln. 56 Wegen der nicht vollständigen Einsehbarkeit in das "autopoietische System des Unternehmens" bestehe eine "spezifische Beweisnot".57 Der Staat unterliege einem strukturellen Defizit an Risikowissen im Hinblick auf die Organisation der Verantwortlichkeit und könne daher individuelles Fehlverhalten schwerlich ausmachen. 58 Ganz verbreitet wird der Grund für die Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Einzeltätern innerhalb eines Verbandes oder Unternehmens mit den Worten von der sogenannten "organisierten Unverantwortlichkeit"59 oder auch der "Institutionalisierung der Unverantwortlichkeit" 60 umschrieben 61 : Je mehr sich aufgrundkomplexer hierarchischer Strukturen, einer arbeitsteiligen und dezentralen Organisation und wegen Lücken im Informationsund Kommunikationssystem die "lnstitutionalisierung der Unverantwortlichkeit" etabliere, desto mehr Schwierigkeiten hätten die Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung und Aburteilung der in diesem Rahmen begangenen Straftaten. 62 Auch 54 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 116 ff.; gegen diese Begründung für das Bedürfnis nach strafrechtlichen Verbandsmaßnahmen in der älteren Literatur: Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 128 f. mit Fn. 3; Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 88; Hartung, Diskussionsbeiträge zum 40. DJT, E 83 f.; von Weber, GA 1954, 238. 55 Z. B. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 159; zustimmend neben Rotberg, 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 225 ff., z. B. auch Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 71 ff. 56 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 116. 57 Schünemann, Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 132. 58 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 199. 59 Vgl. Kaiser, Verbandssanktionen, S. 11 ff., 17; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 34 mit Fn. 48, der aber die Auswirkungen der Unternehmensorganisation auf die Beweisführung differenziert sieht, S. 44 ff.; Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 101; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 25 m. w. N. in Fn. 108; Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/9682, S. 2; auch Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 8, 25, der aber für die Geldbuße als wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahme eintritt. Der Begriff der organisierten Unverantwortlichkeil geht offensichtlich zurück auf den Amerikaner D. Wright Mills, vgl. Kaiser, Verbandssanktionen, S. 17; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 8; vgl. vertiefend die Beschreibung des Problems bei No/l, Referat zum 49. DJT, M 28; differenzierend zwischen "struktureller" und "organisierter" individueller Unverantwortlichkeit: Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 198 f. und in: Grenzüberschreitungen, S. 54 f. m. w. N. 60 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 160 unter Bezugnahme auf Clinard! Yeager; Corporate Crime, S. 44: "institutionalization of irresponsibility". 61 Kritisch dazu der Abschlußbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (März 2000), Punkt 12.2.1.; zweifelnd insoweit auch Peglau, ZRP 2001, 407. 62 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 159 f.; zur Arbeitsteilung als Grund für Ermittlungsschwierigkeiten auch Brender, Neuregelung der Yerbandstäterschaft, S. 16; vgl. auch Bottke, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 96 f.: "Jede Organisation .. . , mag (sie) streng hierarchisch arbeits- und kompetenzteilig durchstrukturiert sein oder Teamwork ... wie ,Chaos-Management' kennen, erschwert kollektivextern die individuelle Haftbarma-

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beruhten strafrechtlich relevante Vorgänge in Unternehmen oftmals auf jahrelangen Entwicklungsprozessen mit Arbeitsteilung und Teamarbeit. 63 Die Gefahr, daß sich zwar feststellen lasse, daß ein Delikt begangen worden und welche Ebene des Unternehmensaufbaus verantwortlich sei, nicht aber, wer von den Organen oder Vertretern als Täter gehandelt habe, sei besonders groß bei dem den Verbänden eigenen System der "Verschachtelung und des Abschiebens der Verantwortung" 64 . Verbreitet ist sogar von einem "Beweisnotstand" bei Wirtschaftsstraftaten die Rede. 65 Als Beispiel für die "speziell bei Verbandskriminalität anzutreffende Beweisnot" wird die Situation beschrieben, daß ein bestimmter Täter nicht festgestellt werden könne, weil sich Unternehmensleitung und Mittelmanagement gegenseitig die Verantwortung zuschöben66 oder die Verantwortung sogar ganz nach unten verschoben werde67 • Die Identifizierung eines Schuldigen habe wegen der komplexen betrieblichen Strukturen häufig etwas Zufälliges an sich. 68 Anders als bei den sonst auftretenden Ermittlungsschwierigkeiten bei Straftaten, die nicht im Zusammenhang mit Verbänden stehen, folge daraus der Vertrauensverlust der Allgemeinheit hinsichtlich der "Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung", wenn der Täter nicht ermittelt werden könne, es aber sichtbar werde, daß die Straftat innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft und zu deren Interessenverwirklichung begangen worden sei. Zum Teil wird in der Verbandsstrafe daher das Mittel gesehen, einen Anreiz chung ... "; Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 101, der auf die Probleme bei mündlicher Verantwortungsverteilung hinweist. 63 Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 5. 64 Vgl. Kaiser; Verbandssanktionen, S. 16 f. (zu Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts); vgl. auch Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 48, mit Hinweis auf die beweiserschwerende Schaffung von Dachgesellschaften und Verflechtung mit ausländischen Unternehmen. 65 Tiedemann, Gutachten zum 49. DJT, C 55 (dort C 57 f. für eine Ausweitung der damaligen Bußgeldhaftung nach § 26 OWiG); Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 48 und 189 f.; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 25; Bottke, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 96, spricht - auch im Zusammenhang mit Beweisschwierigkeiten stattdessen von einem "Rechtsgüterschutznotstand". Die Annahme einer "Beweisnot" wird zum Teil eingeschränkt auf die Fälle, in denen sich Unternehmensangehörige zur Begehung von Straftaten im Unternehmensbereich entschlössen, in welchem sie sich des internen Informationssystems -das im korrekt geführten Unternehmen wegen des erhöhten Informations(speicherungs)bedarfs sogar Beweiserleichterungen für die Strafverfolgungsbehörden biete, Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 47 f. ; ders., in: Madrid-Symposium, S. 272 - zur Verschleierung, Verwirrung und Lückenbildung bedienen könnten, vgl. Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 272; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 46 f. 66 Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 6; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 54. 67 Vgl. dazu Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 48; Kaiser; Verbandssanktionen, S. 14. 68 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 161 ; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 27; ähnlich Leigh, Criminal Liability, S. 149. Zu der Frage, wie die verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet die Problematik einschätzen: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/11425, S. 7 ff.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

für den Verband zu bilden, den Täter, der sich innerhalb der Personenvereinigung verhältnismäßig leicht ermitteln lasse, der Behörde anzuzeigen. 69 V. Probleme strafrechtlicher Zurechnung

Im Zusammenhang mit den Beweisschwierigkeiten steht auch das nach verbreiteter Meinung bestehende Problem der strafrechtlichen Zurechnung aufgrund von "organisierter Unverantwortlichkeit". Vor allem Schünemann und in neuerer Zeit Reine haben versucht, die Organisationsformen von Unternehmen und die Folgen für das geltende strafrechtliche Zurechnungsmodell darzustellen. Schünemann meint, daß die Arbeitsteilung, die hierarchische Struktur und die Struktur des Informationsnetzes so wenig mit den strafrechtlichen Zurechnungskriterien korrespondierten, daß die für die Individualstraftat geltenden Maßstäbe gegenüber einem Verbandsdelikt in erheblichem Umfange versagen müßten. 7 Für Reine funktioniert das "klassische" Strafrechtssystem um so weniger, als die Zahl der Akteure und die Komplexität der Unternehmensorganisation anwachse.71 Beide sehen in der Arbeitsteilung und dem daraus resultierenden System der Dezentralisierung weitreichende Folgen für die strafrechtliche Zurechnung. Die zunehmende "Diffusion der Verantwortlichkeit" 72 und Delegation von Verantwortlichkeit nach unten erschwere die Zurechnung vor allem bei Sonderdelikten.73 Ein weiteres Problem bereite die betriebliche Informationsstruktur, die infolge der Dezentralisierung aufgelockert sei.74 Für die strafrechtliche Zurechnung bedeute das, daß bei Abwande-

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69 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 118 f.; anders Kojjka, in: Niederschriften Große Strafrechtskornmission 4. Band, S. 564: Die Strafprozeßordnung gebe den Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Mittel an die Hand, um den einzelnen zur Offenbarung seiner Kenntnis über strafbare Handlungen anderer zu zwingen; dagegen wiederum Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 226 f. Bemerkenswert ist, daß Busch völlig offen die Kollektivstrafe in Schule oder Heer und die mittelalterliche "Verfestung" einer Burg durchaus für legitim hält, um die "Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung" zu bestätigen; für ihn ist es kein Grund, solche Strafen schon deswegen abzulehnen, weil es sich nicht um "Rechtsstrafen" handele (Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 119 f.); Rotberg, der sich ansonsten Busch anschließt, "identifiziert" sich ausdrücklich nicht mit dem "Schreckgespenst der Kollektivstrafe", in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 227; Brender. Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 16, betont, daß eine Verbandsgeldbuße nicht als "Denunziationsinstrument" gedacht und ausgestaltet werden dürfe; ähnlich wie Busch jedoch Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 166, die u. a. den Vorteil einer Verbandssanktion darin sieht, daß den Verantwortlichen bei drohender Bestrafung der juristischen Person der Anreiz genommen werde, die Schuldigen zu decken. 70 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 39 f. 71 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 94. n Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 35; vgl. auch Dannecker. GA 2001, 102: "Verwischung der strafrechtlichen lndividualverantwortung". 73 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 34 f. 74 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 37 f .; auch Heine, Strafrechtliche Unverantwortlichkeit, S. 44 ff.

2. Abschnitt: Argumente für die Einführung einer Verbandsstrafe

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rung der "Infonnationsbasis" nach unten bei den Leitungsorganen der subjektive Tatbestand nicht erfüllt sei, während bei Sonderdelikten die Untergeordneten keine tauglichen Täter seien.75 Schünemann hat diese Zusammenhänge in neuerer Zeie6 wie folgt zusammengefaßt: Das traditionelle Zurechnungsmodell des Strafrechts werde den kollektiven Handlungs- und Entscheidungszusammenhängen, bei denen die Aspekte "Ausführungstätigkeit, Infonnationsbesitz und Entscheidungsmacht" personal getrennt seien, nur schlecht gerecht. Neben dem Problem, daß es möglicherweise gar keinen einzelnen Täter im herkömmlichen Sinne gebe, wenn kein Handelnder alle "Tätereigenschaften" auf sich vereinige 77 bzw. bei keinem alle "Komponenten einer Straftat" erfüllt seien 78 , wird außerdem eine Schwierigkeit des geltenden Individualstrafrechts darin gesehen, daß dieses von punktuell zugeschnittenen Haftungsvoraussetzungen und menschlichen Entscheidungen ausgehe. 79 Betriebliche Störfalle hingegen seien häufig das Ergebnis systemischer FehlentwickJungen, die meist einem jahrelangem Fehlen an Risikowissen und -bewußtsein entsprächen. 80

C. Unzureichende bestehende Verbandssanktionen Selbst wenn man aufgrund der dargestellten Argumente der Meinung sein sollte, daß es ein kriminalpolitisches Bedürfnis für Verbandssanktionen - zumindest neben Individualsanktionen - gibt, so stellt sich immer noch die Frage, ob die geltenden Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere die Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG, nicht ausreichen, um die gewünschten Ziele zu erreichen.

I. Verwaltungsrechtliche Sanktionen Abgesehen von der als gering erachteten praktischen Bedeutung der Auflösung81 werden verwaltungsrechtliche Sanktionen grundsätzlich für nicht brauchbar gehalten, da das Verwaltungsrecht gerade nicht an die Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten, um die es bei Unternehmenskriminalität häufig gehe, anknüpfen könne. Es könne den Unwertgehalt des Rechtsbruchs, für den das Unternehmen 75 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 38; zustimmend Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 46; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 5. 76 In: Madrid-Symposium, S. 271 f. 77 Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 26; ähnlich Dannecker, GA 2001, 103 f. 78 Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 6. 79 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 307; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 22. 80 Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT-Drucksache 13/9682, S. 3. BI Siehe oben, l. Teil l. Abschnitt A. I.; auch Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 168.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

haften soll, nicht ausreichend erfassen, ohne selbst zum Strafrecht zu werden, und diene nicht dazu, vergangenes Unrecht aufzuarbeiten, sondern sei nur auf die zukünftige Normenbefolgung gerichtet. 82

II. Verfall, Einziehung und Abschöpfung des Mehrerlöses Auch der Verfall wird für nicht ausreichend zum Ausgleich der Defizite der Individualstrafe83 bzw. nur als Ergänzung anderer Maßnahmen für sinnvoll84 gehalten, denn seine Präventionswirkung sei "dreifach beschränkt": Für Schädigungsdelikte finde er keine Anwendung85 , die aus den Nutzungen und Surrogaten "mittelmittelbaren" Vermögensvorteile könnten nicht abgeschöpft werden, und vor allem sei der Verfall auf die Wiederherstellung des status ante qua beschränkt, so daß eine Abschreckungswirkung erst bei einer Aufklärungs- und Sanktionierungsquote von nahezu 100 % zu erwarten wäre, die jedoch nicht erreicht werde. 86 Die Gefahr einer Verfallsanordnung stelle nur einen einkalkulierbaren Kostenfaktor dar, dessen Inkaufnahme sich bei einer Kosten-Nutzen-Analyse geradezu anbiete.87 Eine fühlbare Sanktion sei erst mit Abschöpfung des Mehrfachen des Gewinns oder einer Umsatzpauschale zu erreichen. 88 Ähnliches wird gegen die Einziehung 89 und die Abführung des Mehrerlöses vorgebracht. 90

III. Geldbuße nach § 30 OWiG Die Verbandsgeldbuße in § 30 OWiG wird aus verschiedenen Gründen für ungeeignet zur Bekämpfung der Verbands- bzw. Unternehmenskriminalität gehalten. 91 82 Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 307; zustimmend Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 90. 83 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 78. 84 So z. B. Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 37. 85 Mit Ausnahme des § 73 a StGB. 86 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 160 ff. und in: Madrid-Symposium, S. 290; zustimmend Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 11; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 61 f. 87 Schünemann, Unternehmenskrirninalität, S. 162; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 167. 88 Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 37. 89 Dazu auch Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 168; kritisch zur Einziehung daher auch Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 125 bei und in Fn. 124: Ebenso wie der Verfall sei die Einziehung "praxisuntauglich". 90 Hetzer; wistra 1999, 366. 91 Für die Beibehaltung und Deutung der Geldbuße gegen Unternehmen und Verbände in ein "repressiv orientiertes Präventionsmittel" und wirtschaftsaufsichtsrechtliches Sanktionsinstrument Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 25 ff. und Jura 1998,417.

2. Abschnitt: Argumente für die Einführung einer Verbandsstrafe

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Neben der teilweise erhobenen Kritik an der akzessorischen Ausformung der Verbandsgeldbuße 92 wird allgemein die systematische Einordnung der Vorschrift ins Ordnungswidrigkeitengesetz bemängelt. Es sei nicht befriedigend und sachlich nicht gerechtfertigt 93 , daß die Tat für die natürliche Person zwar Kriminaltat ist, für die dahinterstehende Korporation jedoch nur Ordnungswidrigkeit94 . Die Verbandsgeldbuße halte sich nicht an die Funktionsgrenzen des Ordnungswidrigkeitengesetzes, ;sondern werde zur Ahndung von Kriminalstraftaten benutzt. 95 Das Ordnungswidrigkeitengesetz, das entwickelt worden sei, um im Bereich der leichten bis mittleren Kriminalität die Strafgerichte und das Kriminalstrafrecht zu entlasten, sei mit der geltenden Verbandsgeldbuße überfordert, da diese auch im Bereich des Kriminalstrafrechts Anwendung finde; die Bußgeldkompetenz der Verwaltung werde so in den kriminalstrafrechtlichen Kernbereich ausgedehnt, der eigentlich der Ahndung durch den Strafrichter vorbehalten sei. 96 Man könne Straftaten, um die es in diesem Zusammenhang gehe, nicht deswegen zu Bagatellen herabstufen, damit die angeblich wertneutrale Bußgeldsanktion vertretbar erscheine.97 Auch sei das im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Opportunitätsprinzip, das einen rechtlichen oder faktisch eröffneten Verhandlungsspielraum eröffne98, problematisch. Bei schwereren Fällen müsse auch für Verbände das Legalitätsprinzip gelten 99 ; nach der geltenden Regelung konzentriere sich die Verfolgung wegen des Opportunitätsprinzips auf den Individualtäter 100. Zum anderen habe die Bußgeldregelung eine "deutlich niedrigere Präventivwirkung"101; die Abschreckungswirkung sei nicht groß genug. Der sozialethische Vorwurf sei weniger intensiv; es fehle der einer Strafe zukommende diffamierende und diskriminierende Charakter. 102 Nur durch Strafen könne hinreichend zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um schwerwiegende Rechtsverstöße handle. 103 92 Schünemann, in : Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 138 f. ; Schall, ebenda, S. 100; auch Deruyck, ZStW 103 (1991), 706. 93 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 22; ähnlich auch A ckermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 194: Kriminelle Sachverhalte müßten auch als solche behandelt werden. 94 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 22; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 90. 95 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 125. 96 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 125; ähnlich Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 195. 97 Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 296, der i. E. sichemde Maßregeln befürwortet. 98 Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 42. 99 Vgl. Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 195; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 42, weist darauf hin, daß die Beschränkung des Opportunitätsprinzips auf leichte Fälle vom deutschen Ordnungswidrigkeitengesetz auch gewollt sei. 100 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 22. 101 Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 7, ohne nähere Begründung. 102 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 172. 103 Dannecker, bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 894; ders., GA 2001, 104.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

Geldbußen würden in der Bevölkerung als "Kavaliersdelikte" eingeschätzt 104 ; auch sei mangels Eintragung in ein Zentralregister die Stigmatisierung geringer 105 . Ein Strafverfahren hingegen würde wegen der negativen "Publicity" und der Gefahr der erzwungenen Offenlegung von Betriebsabläufen im Verfahren eine größere Wirkung haben. 106 Vor allem fehle der Verbandsgeldbuße deswegen die "Präventionseffizienz", weil bei Androhung einer Geldbuße die Gefahr bestehe, daß die bloß finanzielle Einbuße als Kostenfaktor einkalkuliert, dann abgewälzt 107 und nach Eingehen in die Jahresbilanz schnell verdrängt werde, so daß sie keine längerfristige Wirkung auf das Unternehmen habe 108 . Daraus wird bereits ersichtlich, daß die Befürworter einer "echten" Verbandsstrafe von einem qualitativen und nicht nur quantitativen Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat bzw. Geldbuße und Strafe ausgehen.

D. Fazit Festzuhalten bleibt an dieser Stelle dreierlei. Zum einen hängt das Bedürfnis nach einer Verbandsstrafe offensichtlich eng mit einer bestimmten Vorstellung über juristische Personen zusammen. Dabei wird nicht nur betont, daß Verbände eine besondere Machtstellung haben. Bedeutsamer - auch für die Frage der Rechtsstellung der juristischen Person im Strafverfahren - ist, daß dem Verband ein eigenes Innenleben zugeschrieben wird. Wenn zu dessen Beschreibung Begriffe wie "Verbandsgeist" und "kriminelle Verbandsattitüde" herangezogen werden, wird deutlich, daß die juristische Person nicht als bloße rechtliche Fiktion oder als Vermögensträger angesehen wird. An der Verwendung solcher Termini, die nach ihrem Ursprung einen unmittelbaren Bezug zur menschlichen Psyche haben, läßt sich ablesen, daß in der Wahrnehmung der VerbandsstrafenbefürworteT das Bild des Verbandes dem des Menschen angenähert ist. Zum anderen zeigt sich an der Diskussion, daß mit einer Verbandsstrafe die als erheblich angesehenen Beweisschwierigkeiten verringert werden sollen. Und schließlich ist festzustellen, daß die VerbandsstrafenbefürworteT von einem erheblichen qualitativen Unterschied zwischen Geldbuße und Strafe ausgehen. 104 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 172 mit Fn. 160; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 42; a.A. Peglau, ZRP 2001, 407. 105 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 172. 106 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 172 f.; in diese Richtung auch Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 140 f., der meint, daß ein Strafverfahren, in dem ein Unternehmen unter die von ihm als Sanktion vorgeschlagene Kuratel gestellt würde, zur Normbestärkung beitragen würde; ähnlich auch Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 43, der die Wirkung der Geldbuße ebenfalls als geringer einschätzt als die in einem öffentlichen Strafverfahren verhängten Geldstrafen. 107 Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 126; auch Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III , S. 132 und 138; ders., in: Madrid-Symposium, S. 289. 108 Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 86.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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3. Abschnitt

Die dogmatischen Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe und die Lösungsvorschläge der Verbandsstrafenbefürworter In der Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe steht die Frage im Vordergrund, ob sich eine Kriminalstrafe gegen Verbände mit den Grundsätzen der Strafrechtsdogmatik vereinbaren läßt. Dabei müssen sich die Befürworter einer Verbandsstrafe mit den gegen die Einführung einer solchen Sanktion vorgebrachten Argumenten (dazu unter A.) auseinandersetzen. Eine Darstellung dieser Diskussion ist deswegen in einer verfahrensrechtlichen Untersuchung notwendig, weil sich auch hieraus gewisse Weichenstellungen ergeben. Zum einen schlagen sich die schon im Rahmen der kriminalpolitischen Diskussion vorgezeichneten Vorstellungen über das Wesen der juristischen Person und über das der Strafe in den vorgeschlagenen dogmatischen Lösungen (dazu unter B.) nieder. Hinzu kommt, daß aus den Konzepten insbesondere zur Handlungsfähigkeit von Verbänden verschiedene Verbandsstrafenmodelle folgen (dazu im 4. Abschnitt), die eine Weichenstellung für die prozessuale Umsetzung der Verbandsstrafe bedeuten können. Dies gilt insbesondere für das (ebenfalls im 4. Abschnitt) darzustellende Verhältnis von Individual- und Verbandsstrafbarkeit

A. Die "klassischen" Einwände gegen eine Verbandsstrafe Die Einwände gegen eine Verbandsstrafe werden zumeist dahingehend unterteilt, daß Verbände nicht handlungs-, nicht schuld- und nicht straffähig seien. Zudem sei die Verbandsstrafe nicht gerecht. Von einer Reihe von Autoren wird bereits die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen- jedenfalls für das Strafrecht 109 - angezweifelt. 110 Die Handlung 109 Vgl. Goetzeler; Die rationalen Grundlagen, S. 218 f.; auch Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 15 Rn. 3 f., 8, welche die Handlungsfähigkeit für das Privatrecht bejahen; enger Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 186, der die Handlungsfähigkeit für alle Rechtsgebiete verneint. 110 RGSt 16, 121, 123 f.; 34, 374, 377 f.; Goetzeler; Die rationalen Grundlagen, S. 216 ff.; Willmanns/Urbach, BB 1953, 102; Bruns, JZ 1954, 12; Niese, JZ 1956, 463 f.; Hartung, Referat zum 40. DJT, E 43; Engisch, Referat zum 40. DJT, E 23 f.; im Anschluß daran auch Jescheck, ZStrR 70 (1955), 259, unter Aufgabe seiner Position in ZStW 65 (1953), 212; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 227 ; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 181 ff.; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 Fn. 21 ; Schönke/Schröder/Cramer; StGB, vor§ 25 Rn. 119; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 15 Rn. 8; Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, § 8 Rn. 58 ff. ; Schmidhäuser; Strafrecht AT, Kap. 5 Rn. 22; Wessels I Be ulke, Strafrecht AT§ 3 li 3, Rn. 94; KK-OWiG-Rengier; vor§ 8 Rn. 4; KK-OWiG-Cramer (1. Auf!.), § 30 Rn. 11, anders Ragall in der 2. Auf!.,§ 30 Rn. 10.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

sei- unabhängig davon, ob man einen "kausalen", ,.finalen" oder "sozialen" Handlungsbegriff zugrunde lege - ein natürliches, dem Recht schon vorgegebenes Gebilde 111 , baue ausschließlich auf ,.natürlichen psychologischen Vorgängen" auf112 und sei nur Einzelmenschen möglich 113 • Bei einer juristischen Person seien weder ein "Wille" noch eine "Bewegung" denkbar 114, und es fehle ihnen die "psychischgeistige Substanz", weil sie sich selbst nicht äußern könnten. 115 Die Zurechnung von Handlungen zur juristischen Person sei nur eine Zurechnung und damit etwas anderes als die Handlung selbst. 116 Bedenken werden ebenso im Hinblick auf die Schuldfähigkeit von juristischen Person geäußert. Schon auf dem 40. Deutschen Juristentag 117 und in den meisten Abhandlungen jener Zeit 118 war dies das Hauptargument gegen eine Verbandsstrafe, und bis heute überwiegt in der Literatur wohl noch die Zahl derjenigen, die Verbände als nicht schuldfähig ansehen und deshalb auch die Möglichkeit verneinen, de lege ferenda eine Verbandsstrafe zu konzipieren. 119 Der Grund für die Ablehnung liegt vor allem in einem ethisch oder sozialethisch verstandenen Schuldbegriff Eine entsprechende ethische Schuldfähigkeit könne den Verbänden nicht zukommen, da sie nur eine soziale, nicht aber eine personale Realität darstellten, der Schuldvorwurf im Sinne eines sozialethischen Tadels jedoch untrennbar mit der personalen Qualität des Menschen verknüpft sei. 120 Die hinter der Schuld stehende "freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung" 121 sei nur bei einem MenIII Engisch, Referat zum 40. DJT, E 24; zustimmend Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 Fn. 21; ähnlich zuvor schon Willmanns /Urbach, BB 1953, 102; Kaiser, Verbandssanktionen, S. 21. 112 Goetzeler, Die rationalen Grundlagen, S. 217. 113 Engisch, Referat zum 40. DJT, E 24. 114 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 181. 115 Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 § 8 Rn. 58. 116 Engisch, Referat zum 40. DJT, E 24. 117 Engisch, Referat zum 40. DJT, E 24 f.; Hartung, Referat zum 40. DJT, E 43; Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 21. 118 Jescheck, ZStW 65 (1953), 213; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 in Fn. 21; Lange, JZ 1952, 264; Willmanns/Urbach, BB 1953, 102; Siegert, NJW 1953,528. 119 lesekeck I Weigend, Strafrecht AT, S. 227; Jescheck, bei: Zieschang, ZStW 110 (1998), 520 f.; ders., bei: Dietmeier, ZStW 112 (2000), 893 ; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15 ff., der statt einer Strafe die Geldbuße als "repressiv orientiertes Präventivmittel" als wirtschaftsrechtliche Maßnahme befürwortet, S. 25 ff.; ders., Jura 1998, 416 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 561 ff.; ders., in: Festschrift für Mangakis, S. 752; Brender; Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 59 ff.; Hamm, NJW 1998, 662 f.; Peglau, JA 2001, 608; ders., ZRP 2001, 407; umfassend von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 97 ff., S. 179 f. Verschiedentlich wird darauf hingewiesen, daß die Problematik der Schuldfähigkeit im Rahmen der Verbandsgeldbuße ebenso besteht, vgl. nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 228 f. m. w. N.; Schünemann, in: Taiwan/ROC Chapter, S. 453 ff.; ausführlich auch von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 211 ff. 120 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft S. 59 f.; vgl. auch Jescheck, ZStW 65 (1953), 213.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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sehen vorstellbar. 122 Eine Übertragung des als Vorwertbarkeit verstandenen Schuldbegriffs auf juristische Personen sei nicht möglich 123, da der vorausgesetzte Vorwurf sozialethischen Versagens mit dem Inhalt, der Adressat des Vorwurfs hätte sich anders verhalten können und sollen, nur bei einzelmenschlichen Persönlichkeiten Sinn mache 124 . Aus ähnlichen Gründen wird auch die Straffähigkeit oder Strafempfänglichkeit von juristischen Personen verneint. Der Grund dafür sei vor allem darin zu sehen, daß der vorausgesetzte Strafbegriff nicht mit der Vorstellung von der juristischen Person zusammenpasse. Weder sei die juristische Person für das sinnliche Übel der Strafe 125 noch für ein der Sühne und Genugtuung dienendes Schmerzgefühl empfänglich126. Sie könne nicht die erforderliche 127 , nur dem Einzelmenschen 128 mögliche Sühneleistung im Sinne einer aktiv bewältigenden sittlichen Leistung 129 erbringen. Die Strafe bedeute nicht nur eine Einbuße an Rechten und Gütern, sondern sei stets auch mit einem Tadel oder Unwert- 130 bzw. ethischen Mißbilligungsurteil 131 verbunden. Sie setze eine Person aus Fleisch und Blut voraus, an die sich der mit der Strafe verbundene Appell an das Ehrgefühl des Verurteilten richten könne 132, und brauche für den ihr wesentlichen Vorwurf einen Adressaten, der so gehandelt hat, obwohl er anders hätte handeln können 133, was beim Verband mangels eigener Entscheidungsmacht und -freiheit nicht möglich sei 134. Ein Strafbegriff, wonach Strafe nicht nur das sozial-ethische Mißbilligungsurteil der Gesellschaft enthalte, sondern auch diejenige Behandlung, die den Täter als "sittliche Persönlichkeit" begreife, sei nur auf natürliche Personen anwendbar; ebenso ein 121 So die Umschreibung des Inhaltes des Schuldvorwurfs in BGHSt 2, 194,200. 122 Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 21; Engisch, Referat zum 40. DJT, E 25. 123 Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 21; Siegert, NJW 1953,528. 124 Jescheck, ZStW 65 (1953), 213; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 in Fn. 21. 12s Goetzeler, Die rationalen Grundlagen, S. 230; Engisch, Referat zum 40. DJT, E 15; kritisch zu diesem Argument Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196. 126 Kahler, GA 64 (1917), 503; ähnlich Peglau, ZRP 2001, 408; vgl. auch Eberhard Schmidt, in: Niederschriften Große Strafrechtskommission, Bd. 4, S. 326: "Juristische Personen haben keine Gretchennatur! Zum Sühnen gehört nun einmal so etwas, daß man das Brausen und Sieden der Hölle hören kann." 127 Vgl. Hartung, Referat zum 40. DJT, E 43; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63. 128 Jescheck, ZStW 65 (1953), 213 . 129 Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63. 130 Engisch, Referat zum 40. DJT, E 15. 131 Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 54 in Fn. 21; ähnlich Otto bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 897. 132 Jescheck, DÖV 1953, 542. 133 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196; Jescheck, ZStrR 70 (1955), S. 259; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 87 f. 134 Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 88.

2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

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Strafbegriff, wonach die Strafe nicht schon bei Schuldangemessenheit, sondern erst, wenn sie die "sozial-ethisch richtige, zur Resozialisierung des Täters geeignete Behandlung desselben" darstelle, gerecht sei. Die Arbeit mit zweierlei Strafbegriffen sei aber auch nicht zu empfehlen. 135 Im Hinblick auf die mit der Strafe verbundene sozial-ethische Persönlichkeitsbewertung könne niemand einen anderen- auch keinen Personenverband- vertreten. 136 Insofern korrespondiert die Ablehnung der Strafempfänglichkeit mit der Ablehnung der Schuldfähigkeit. 137 Die "Gerechtigkeit" einer Verbandsstrafe wird schließlich aus zwei Griinden bezweifelt. Zum einen drohe eine (Mit-)Bestrafung unschuldiger Verbandsmitglieder138 und damit eine Kollektivhaftung 139. Zum anderen verstoße die Verhängung einer Kriminalstrafe gegen die juristische Person bei ebenfalls erfolgender Bestrafung des verantwortlichen Individuums gegen den Grundsatz "ne bis in idem" (Art. 103 Abs. 3 GG). 140

B. Argumente und Lösungsvorschläge der Verbandsstrafenbefürworter Die dargestellte Kritik an der Einführung einer Verbandsstrafe versuchen deren Befürworter mit den im folgenden zusammengefaSten Argumenten zu entkräften. Zunächst sollen die Stellungnahmen zur Straffähigkeit und zur Gerechtigkeit einer Verbandsstrafe aufgeführt werden, um im Anschluß daran die Konzepte von Handlungs- und Schuldfähigkeit vorzustellen. Dies leitet dann über in die daraus - mehr oder weniger - folgenden Tatbestandsmodelle.

Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 22. Eberhard Schmidt, in: Haertel/ Joel/ Schrnidt, WiStG (1949), S. 31 ff. 137 V gl. Engisch, Referat zum 40. DJT, E 25; Brender; Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 63; Jescheck, ZStW 65 (1953), 213; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 227; LangHinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 54 Fn. 21; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 105; Bocke/mann, in: Deutsche Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß in Athen 1957, S. 65; Eberhard Schmidt, in: Haertel/ Joel/ Schrnidt, WiStG (1949), S. 31 f. 138 Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 89; Engisch, Referat zum 40. DJT, E 26 ff.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 197 ff.; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für H. Mayer, S. 53 Fn. 21; Seiler; Strafrechtliche Maßnahmen, S. 92 ff. (alle insbesondere in Auseinandersetzung mit Busch und dessen Gedanken der "Schicksalsgemeinschaft", in: Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 187 ff.); Hartung, 40. DJT, Referat E 43 f.; von Freier; Kritik der Verbandsstrafe, der dies als das "hinreichende" Argument für die Ablehnung einer Verbandsstrafe ansieht, S. 230 ff.; Gössel bei Zieschang, ZStW 110 (1998), 522; Peglau, JA 2001, 609; ders., ZRP 2001, 408. 139 Hartung, Referat zum 40. DJT, E 44. 140 Engisch, Referat zum 40. DJT, E 38; Hartung, Referat zum 40. DJT, E 44; Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 26. 135

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3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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I. StratTähigkeit von juristischen Personen und Gerechtigkeit der Verbandsstrafe I. StratTahigkeit

Für eine Straffähigkeit von Verbänden wird ins Feld geführt, daß diese strafempfänglich seien und eine Verbandsstrafe mit den Strafzwecken der Vergeltung sowie der General- und Spezialprävention zu vereinbaren wäre. Wer eine Strafempfänglichkeit bejaht, geht entweder von einem anderen Strafbegriff oder von einer anderen Vorstellung von der Wirkung von Strafe auf juristische Personen aus als die oben dargestellten Kritiker. So wird zum Teil eingewandt, daß der Strafzweck oder das Wesen der Kriminalstrafe nicht (mehr) in der Zufügung eines Strafübels zu sehen 141 , zum Teil, daß eine solche Übelszufügung auch bei Korporationen möglich sei 142• Auch wenn der Verband nicht fühlen könne, komme es für die Bestimmung, ob die Strafe ein Übel sei, auf die objektive Auffassung an; eine hohe Geldstrafe sei unter diesem Aspekt zweifelsfrei ein empfindliches Übel für den Verband. 143 Teilweise wird die befürwortete Verbandssanktion gerade danach ausgerichtet, daß sie Tadel und Vorwurf beinhalte und das Unternehmen "an einem wunden Punkt" treffe, um es in diesem Sinne "strafen zu können". 144 Auch wird eingewandt, daß dann, wenn eine juristische Person ehrfähig sei und Ehre empfinde, sie nicht strafunempfänglich sein könne. 145 Bei einer Konzeption des Verbandes als einer "gleichsam vernunftbegabten und mit einem Gesamtgewissen ausgestatteten handlungsfähigen Überpersönlichkeit'" 46 fällt es dann noch leichter, die Ansprechbarkeit auch auf ein in der Strafe enthaltenes mißbilligendes Unwerturteil zu bejahen. Von anderer Seite heißt es, daß selbst obwohl Körperschaften die Strafe nicht im psychologischen Sinne 147 und auch nicht so direkt wie natürliche Personen 148 als Übel "empfinden" könnten, die Sanktion sich doch mit141 So z. B. Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 26; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 206; auch Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 196, Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 84, welche die Straffahigkeit aus anderen Gründen ablehnen, s.o. 142 Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 104 f.; Pohl-Sichtemumn, Geldbuße gegen Verbände, S. 9; Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 200. 143 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 9; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 104; Schwander, in: Festgabe für Gutzwiller, S. 615. 144 Alwart, ZStW 105 (1993), 770 (Hervorhebung im Original), der als Sanktion die Veröffentlichung des Schuldspruchs vorschlägt. 145 Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 171, dort auch mit Hinweis auf die Schweizer Zivilrechtsprechung, wonach eine juristische Person durch Erregung von Furcht zur Eingehung eines Vertrages bewogen werden könne, woraus Lütolf ebenfalls die Strafempfindlichkeit herleitet. 146 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 202. 147 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 206. 148 Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

telbar auf die Mitglieder des Verbandes, die ihn mit ihrem wechselnden Bestand mit Leben erfüllten 149, negativ auswirken 150 und zu Reaktionen innerhalb des Verbandes führen würde 151 . Unabhängig davon wird die Vergeltung als Strafzweck mit der Verbandsstrafe für erreichbar gehalten. Wenn man den Verband als Normadressat ansehe, könne dieser bei Verletzung der an ihn gerichteten Verhaltensnormen auch einen sozialen Tadel verdienen 152 ; wenn man ihn als Adressat ethischer Normen auffasse, sei er auch im ethischen Sinne genug Person, um im Fall der Verletzung dieser Norm Adressat der Bestrafung zu sein 153 . Die einzelnen Mitglieder nähmen dann den an den Verband als primären Adressaten gerichteten Vorwurf auf, daß der Verband nicht das in den Strafgesetzen vorausgesetzte ethische Minimum erbracht habe. 154 Was die Sühneleistung angeht, so wird bezweifelt, daß sie Voraussetzung für Strafe sei. 155 Sühne könne als rein innerlicher Vorgang nicht von Dritten und damit auch nicht vom Staat erzwungen werden. Sie könne nur eine wünschenswerte Folge, nicht aber Zweck der Strafe sein 156, da sonst für unverbesserliche, hartnäckige Verbrecher Straffreiheit gewährt werden müsse 157.

Die übrigen Strafzwecke, die General- und die Spezialprävention, sind nach Auffassung der Befürworter der Verbandskriminalstrafe mit dieser zu erreichen. So würde bei einer Bestrafung von juristischen Personen das allgemeine Rechtsbewußtsein gestärkt, denn diese würden von der Allgemeinheit als Urheber des Deliktes betrachtet, die es zu bestrafen gelte. 158 Auch die Abschreckungswirkung einer Verbandsstrafe wird nicht in Zweifel gezogen 159; die Verantwortlichen könnten von Straftaten abgehalten bzw. zu effektiverer Kontrolle und Organisation angehalten werden, wenn sie andernfalls mit empfindlichen Reaktionen zu rechnen hätten160. Die positive Spezialprävention im Sinne der Besserung des Täters könne 149 Hirsch, Frage der Straffahigkeit, S. 18. 150 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 206; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105. 151 Hirsch, Frage der Straffahigkeit, S. 18; zustimmend Dannecker, GA 2001, 115. 152 Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 52; zustimmend Dannecker, GA 2001, 115. 153 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 18. 154 Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105. 155 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 200; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 207. 156 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 207. 157 Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 200. 158 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 196 f.; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 204; im Ergebnis auch Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 52. 159 Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 197; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 17; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 204; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen,

S. 52; Dannecker, GA 2001, 114. 160 A ckermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 197; auch schon von Weber, GA 1954, 241.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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ebenfalls bejaht werden. Die "Ansprechbarkeit" von Verbänden auf Strafe sei dadurch gewährleistet, daß sich die Verbandsmitglieder zu einem künftig rechtstreuen Verhalten motivieren lassen könnten 161 • Es wird die Vermutung geäußert, daß ein bestrafter Verband sich sogar noch eher vor erneutem Konflikt mit dem Gesetz hüten werde als ein Mensch, da sich Unternehmen noch mehr im Rampenlicht der öffentlichen Meinung befänden und zudem dem Druck der Aktionäre ausgesetzt seien. 162 Schließlich wird die Verbandsgeldbuße zur Begründung herangezogen. Aus ihrer Existenz ergebe sich, daß der Gesetzgeber davon ausgehe, daß Verbände auf repressive Maßnahmen ansprechbar seien. 163 2. Gerechtigkeit der Verbandsstrafe

a) (Mit-)Bestrafung unschuldiger Verbandsmitglieder

Gegen den Vorwurf der (Mit-)Bestrafung unschuldiger Verbandsmitglieder wird eingewandt, daß diese höchstens "mitbetroffen", nicht aber "mitbestraft" wären, da die Strafe sich gerade gegen den Verband richten würde. 164 Dies würde sich daran zeigen, daß den Verbandsmitgliedern kein Vorwurf gemacht würde 165, sie nicht angeklagt und keine Strafen gegen sie ausgesprochen werden würden 166; im Rubrum des Urteils würden nicht die Mitglieder, sondern die juristische Person als Angeklagte aufgeführt 167 • Auch wäre die Verbandsstrafe nicht in das Strafregister der natürlichen Personen aufzunehmen. 168 Da die Mitglieder nicht mit ihrem eigenen Vermögen hafteten, ergäben sich nur mittelbare Auswirkungen für sie 169 , die einem schlechten, verlustreichen Geschäft ähnlich seien. 170 Diese bloße Mitbetroffenheit sei indessen nicht ungerecht, da die 161 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 203 f.; zustimmend Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 198; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 25; auch Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 52. 162 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 17; zustimmend Dannecker, GA 2001, 114. 163 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 25. 164 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 10; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 204; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 26 f.; von Weber, JZ 1953, 294; ders., Diskussionsbeiträge zum 40 DJT, E 61 f. ; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 208; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 127; auch Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268. 165 Von Weber, JZ 1953, 294. 166 Pohl-Sichermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 10. 167 Von Weber, GA 1954, 240. 168 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 204; zustimmend Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 127; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 10. 169 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 20. 170 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. II ; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 205.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

Mitglieder neben den Vorteilen der Verbandsmitgliedschaft auch die Nachteile mittragen müßten. 171 Der wirtschaftliche Nachteil durch die Verbandssanktion als Folge des Kompetenzenmißbrauchs der Verbandsleitenden sei Teil des Risikos, das die Verbandsmitglieder im Zusammenhang mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit im Verband zu tragen hätten. 172 Dieses Risiko lasse sich durch die Wahl zuverlässiger Verbandsorgane minimieren. 173 Im übrigen sei eine Betroffenheit durch mittelbare Auswirkungen auch bei zivilrechtlicher Haftung gegeben. 174 Zudem sei die Verbandsstrafe im Vergleich zur Individualstrafe nicht ungerechter, was die Mitbetroffenheit anderer angehe. Auch die Strafe gegen natürliche Personen könne zu Lasten Dritter wirken 175 , z. B. gegenüber der Familie 176 oder- bei Bestrafung von hohen Verbandsfunktionären - gegenüber den Anteilseignem, wenn deren Gewinnaussichten geschmälert würden 177 • Schließlich werde die Mitbetroffenheit bei der Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemäߧ 30 OWiG auch nicht als ungerecht bezeichnet 178 , und auch die Einziehung erlaube einen Eingriff in die Rechtssphäre von Tatunbeteiligten 179.

b) Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG

Diejenigen Verbandsstrafenbefürworter, die neben der Verbandsstrafe auch die Individualstrafe vorsehen 180, müssen sich mit dem Argument, daß eine Verbands171 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 205; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. II; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 204 f.; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 27; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 20; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 209 ff.; ähnlich Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 110, und Bottke, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 96 f.; zur Diskussion in den USA vgl. Geis/ Dimento, in: Corporate Crime, S. 82. 172 Von Weber, GA 1954, 240; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 66; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 207; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 211 f.; bezogen auf die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßregeln als Sanktionen: Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 210. 173 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 20. 174 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 211; auf Grundlage des "Veranlassungsprinzips" auch Schünemann, in: Taiwan/ROC Chapter, S. 463. 175 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 204; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 207. 176 Von Weber, JZ 1953, 295; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 204; bezogen auf die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßregeln als Sanktionen: Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 209 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 209; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268. 177 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268; ähnlich von Weber, JZ 1953, 294. 178 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 27; zustimmend Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 213. 179 Von Weber, JZ 1953, 295; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 209.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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strafe gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen würde, auseinandersetzen. Diesem Einwand wird entgegengehalten, daß Art. 103 Abs. 3 GG hier nicht einschlägig sei. Der Grundsatz "ne bis in idem" verbiete nur, daß gegenüber derselben Person mehrere strafgerichtliche Entscheidungen wegen desselben Sachverhalts ergehen, nicht jedoch, daß zwei oder mehrere Täter für dieselbe Tat bestraft werden.181 Letzteres sei der Fall, wenn neben dem Verband auch das Individuum bestraft werde, da es sich bei beiden um zwei verschiedene Personen handele. 182 Die Sanktion gegen den Betrieb stelle nämlich keine kollektive Maßnahme gegen alle Mitglieder, sondern nur gegen den Verband selbst dar 183 , denn das Unternehmen sei ein eigenständig verantwortliches Strafrechtssubjekt 184. Etwas anderes gelte im übrigen auch nicht für die Einmanngesellschaft, da auch hier der Geschäftsführer und die Gesellschaft verschiedene Personen seien; der Verlust an Firmenvermögen sei Folge seiner gesellschaftlichen Beteiligung 185 und Kehrseite der Vorteile, die er aus der juristischen Aufspaltung seines Vermögens ziehe 186. 3. Zwischenbefund

Soweit die Straffähigkeit von Verbänden damit begründet wird, daß sich die Strafe mittelbar auf die Mitglieder des Verbandes auswirken würde und sich die Verbandsmitglieder dadurch zu einem rechtstreuen Verhalten motivieren ließen, stellt sich die Frage, ob mit der Verbandsstrafe nicht doch die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen bestraft werden sollen. Dieses Problem soll hier nicht gelöst werden, vielmehr kann aus dem Dargestellten - als Grundlage auch für die strafprozessuale Untersuchung - die Erkenntnis gezogen werden, daß Adressat der Verbandsstrafe der Verband und nicht die einzelnen, hinter ihm stehenden natürlichen Personen sein sollen und dürfen. Es wird hier daher im folgenden davon ausgegangen, daß Verbände selbst straffähig sind und eine eigene Strafrechts-"Subjektivität" haben. 187 Es sei also unterstellt, daß die jeweils ins Auge gefaßte Personengesamtheit selbst bestraft wird, so Dazu unten 2. Teil4. Abschnitt B. I. Vgl. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 56 f. 182 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 28; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 206; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 214 f.; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 20. 183 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 269. 184 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 207; ähnlich für die USA auch Gruner, Corporate Crime and Sentencing, S. 332 in Fn. 175. 185 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 215. 186 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 57 (bezogen auf die Verbandsgeldbuße). 187 Im einzelnen dazu unten, insbesondere 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2 c) bb), 3. Teil 5. Abschnitt A. III. 1., B. III. 2. 1so 181

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

daß es sich bei der Konstruktion der Verbandsstrafe nicht um eine "kaschierte Durchgriffshaftung" 188 auf die Mitglieder handelt. Auch in dieser Beziehung müssen die juristische Person und ihre Tätigkeit mehr sein als nur die Summe ihrer Mitglieder und deren Tätigkeiten 189 ; sie muß insofern als grundsätzlich unabhängig von den natürlichen Personen angesehen werden, die hinter ihr stehen. Hieran mag man mit Blick auf die Begründung der Straffähigkeit zweifeln, doch ohne von der Möglichkeit der Bestrafung von Verbänden selbst auszugehen, ließe sich eine Verbandsstrafe nicht legitimieren.

II. Handlungsfähigkeit von Verbänden

Die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen nimmt neben der Schuldfähigkeit zumeist eine zentrale Stellung bei den Auseinandersetzungen mit dem Thema "Verbandsstrafe" ein. Die meisten Befürworter einer Verbandsstrafbarkeit und auch einige ihrer Opponenten 190 - bejahen die Handlungsfähigkeit der juristischen Person. 191 Zumeist wird eine Handlungszurechnung bevorzugt. Andere lehnen eine solche Zurechnung ab und begründen entweder eine eigene strafrechtliche Handlungsfähigkeit oder bemühen sich, den Begriff der Handlung anders zu besetzen. Wie sich zeigen wird, weisen diese unterschiedlichen Auffassungen bereits die Richtung zu den unterschiedlichen Tatbestandsmodellen, nämlich zu der unten näher zu betrachtenden akzessorischen und der sogenannten "eigenständigen" oder "originären" Strafbarkeit von juristischen Personen. Zunächst sollen aber die dogmatischen Grundlagen für diese Tatbestandsmodelle dargestellt werden. 1. Handlungszurechnung

Wohl überwiegend gehen die eine Handlungsfähigkeit juristischer Personen befürwortenden Autoren von der Möglichkeit der zumindest de lege ferenda zu schaffenden Zurechnung von Handlungen bestimmter natürlicher Personen aus. 192 188 189

Rn. I.

So der Begriff bei Alwart, ZStW 105 ( 1993), 759. Vgl. für das Zivilrecht Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 9

190 Jescheck, ZStW 65 (1953), 212 f., in ZStrR 70 (1955), 259 ausdrücklich aufgegeben; Heinitz, Gutachten zum 40. DJT, S. 20; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 66 ff., der eine Zurechnung der Handlung jedenfalls de lege ferenda für möglich hält; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 33 ff., 38; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15 und Jura 1998, 415; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 57 f. 191 Vgl. nur Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 197 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 179 ff.; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 10; Achenbach, in: CoimbraSymposium, S. 302; Weber, in: Baumann I Weber I Mitsch, Strafrecht AT, § 13 Rn. 15 - 17. 192 Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 97 f.; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 18; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 221 ff.; Otto, Strafbarkeit

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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Zur Begründung werden dabei - unter Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung193- die zivilrechtliche Handlungszurechnung in§ 31 BGB 194 und die Vorschrift des§ 30 OWiG 195 oder auch des§ 75 StGB 196 herangezogen. 197 Zudem sei auch im geltenden Kriminalstrafrecht die Handlungszurechnung bekannt, wie sich an der Regelung des § 25 StGB zeige, derzufolge es bei Beteiligung mehrerer Personen auch nicht auf die körperliche Vornahme einer tatbestandsmäßigen Handlung ankomme, um Täterschaft zu bejahen. 198 Eine Zurechnung von Handlungend. h. von Willen und Ausführungsakten - finde ihre besondere Legitimation darin, daß die Wirkung des zuzurechnenden Handeins der natürlichen Person durch die Mittel der juristischen Person als "eigentlichem Machtzentrum" bedingt sei. 199 Ohne Zurechnung rechtlich relevanter Verhaltensweisen könne eine juristische Person nicht gleichwertig wie eine natürliche Person am Rechtsverkehr teilnehmen.200 Für die Handlungsfähigkeit spreche im übrigen, daß aus der Pflichtadressatenschaft von Personenverbänden folge, daß sie diese Pflichten nicht nur erfüllen, sondern auch verletzen könnten. 201

von Unternehmen, S. 15, und Jura 1998, 415; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 10; weiter Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 177 ff.; Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 211 ff., 216; Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT,§ 13 Rn. 15; so ist wohl auch das obiter dieturn in BVerfGE 20, 323, 336 zu verstehen; außerdem vgl. die Begründung des Diskussionsentwurfes des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 10; kritisch zur Zurechnung im Strafrecht: von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 121 ff. 193 Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 33 ff.; in diesem Sinne auch Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 198. 194 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 197 f.; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 97; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 212; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 57 f.; Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 187; a. A. Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 186. 195 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 19; Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 189; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 10 ff. 196 Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 188; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 182. 197 Kritisch im Hinblick darauf, daß die Existenz von § 30 OWiG und§ 75 StOB als Argument für eine Handlungsfähigkeit vorgebracht wird, das Vorhandensein gesetzlicher Regelungen jedoch noch kein hinreichender Grund für deren Richtigkeit sei: Lampe, ZStW 106 (1994), 729; von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 100; auch Schünemann, in: MadridSymposium, S. 283 in Fn. 55. 198 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 215 f.; Tiedemann, NJW 1988, 1172 ff. und in: Freiburger Begegnungen, S. 45; Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft, S. 58; Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 178; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 184; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 98; kritisch dazu Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 10; von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 99. 199 Ackennann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 216. 200 Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15; ders., Jura 1998, 415. 201 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 10, 12; zustimmend Dannecker, GA 2001, 111.

2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

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2. "Eigene" Handlungsfähigkeit und Übergang zum Verzicht auf eine Handlung im engeren Sinne

Teilweise wird davon ausgegangen, daß Verbände "selbst" strafrechtlich handeln könnten. So wird ausgeführt, daß der Verband mit einstimmigen oder auch nur Mehrheitsentscheidungen der Gesellschafter einen eigenen "Verbandswillen" bilden könne202 , wobei die einzelnen Mitglieder ihren Einzelwillen "lostrennten"203 und ihn zur Wahrung ihrer Belange auf die Personenvereinigung übertrügen204 • Das "Verbandsverhalten" wird entweder in der Umsetzung der Entscheidungen durch die Gesamtheit aller Mitglieder, der Organe oder ausnahmsweise auch einer Einzelperson erkannt205 , oder schon darin, daß die strafrechtswidrige Organtätigkeit aus einem Verbandsbeschluß erwachsen sei 206. Nach Jakobs ist schon die Feststellung der Handlung nicht "nur-naturalistisch" vorzunehmen, sondern sei die "wertende Bestimmung des Zurechnungssubjekts"; dabei lasse sich nicht begründen, warum nicht dieses Zurechnungssubjekt aus Verfassung und Organen statt aus Psyche und Körper zusammengesetzt werden dürfe. 207 Ähnlich geht auch Heine vor, der den Versuch unternimmt, die Haftungsgedanken des Individualstrafrechts analog in ein System der Verbandshaftung als "zweiter Spur des Strafrechts" zu übertragen 208 . Danach gewinne das Unternehmen Handlungsfähigkeit nur "durch Koordinierung der verschiedenen, in den jeweiligen Geschäftsbereichen angelegten Funktionen", so daß eine "nur personal vermittelte, funktionale, »Organisationsherrschaft«" entstehe. 209 Letztlich ist für Heine aber die Handlung nur ein untergeordneter Aspekt; ihm geht es vielmehr darum, daß sich ein fehlerhaftes Risikomanagement in einer sozialen Störung niederschlägt, die aber nicht "als eine vom Willen eines Täters beherrschbare Handlung, sondern als das Resultat von Akkumulationsprozessen und synergetischen Effekten eines mit der Zeit entstandenen Mißmanagements" erscheine. 210

202 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 76 ff.; Jescheck, ZStW 65 (1953), 212 f. (beachte aber oben Fn. 190); zustimmend auch Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 124 ff., und Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 105 f.; ablehnend hingegen Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 209 ff.; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 36; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 184; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 59; Schroth, Unternehmen als Norrnadressaten, S. 182; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 177 f. 203 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personen verbände, S. 76. 204

205

206 207 208 209 2 10

Eidam. Straftäter Unternehmen, S. 105. Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 83 ff., 87. Jescheck, ZStW 65 (1953), 213 (vgl. aber anders dens. , ZStrR 70 (1953), 259). Jakobs, Strafrecht AT, 6. Abschn. Rn. 44. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 248 ff. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 250 (Hervorhebung im Original). Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 313.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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Ebenso wie Heine 211 lehnt auch Lampe eine Handlungszurechnung ausdrücklich ab? 12 Stattdessen könne die Verantwortlichkeit von Wirtschaftsunternehmen nur auf deren eigenes "Systemunrecht" und nicht auf fremdes Handlungsunrecht gestützt werden. Das "Systemunrecht" sei in der kriminogenen Unternehmensphilosophie zu sehen, die jedoch durch das normverletzende Verhalten eines Mitglieds des Unternehmens, das als unternehmerisches "Erfolgsunrecht" und nicht als personales Handlungsunrecht zugerechnet werde, realisiert werden müsse? 13 Wie sich anband der unten darzustellenden Tatbestandsmodelle zeigen wird, ist Lampe damit letztlich doch denjenigen Verbandsstrafenbefürwortern näher, die eine Handlungszurechnung bejahen.

3. Zusammenfassung

Zu unterscheiden sind danach die Konzepte einer Verbandsstrafe, bei denen die Handlung einer Einzelperson dem Verband zugerechnet wird, von denen, die eine "eigene" Handlung des Verbandes befürworten bzw. das strafrechtlich relevante "Verhalten" des Verbandes anders definieren. Dies muß sich auf die jeweiligen Straftatmodelle auswirken. Während diejenigen, die eine Handlungszurechnung vorsehen, eben diese Handlung und den Kreis der handelnden Individuen näher umschreiben und in den Straftatbestand werden aufnehmen müssen, kommen die anderen ohne die Benennung von bestimmten Einzelpersonen aus. Hier stellt sich eine erste Weiche dahingehend, daß einem "akzessorischen" Verbandsstrafenmodell ein "nichtakzessorisches" oder "eigenständiges" gegenüberzustellen sein wird. Inwieweit dabei beim akzessorischen Modell eine strafbare Handlung Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit des Verbandes sein muß, hängt aber auch damit zusammen, wie die Schuld des Verbandes zu bestimmen ist.

111. Schuldfähigkeit von Verbänden Noch problematischer als die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen erscheint die Frage, ob eine Verbandsstrafe mit dem geltenden Schuldstrafrecht zu vereinbaren wäre. Sofern nicht ohnehin die Lösung für die Probleme, die zur Begründung eines kriminalpolitischen Bedürfnisses vorgetragen werden, in schuldunabhängigen Maßnahmen oder Maßregeln gesucht wird 214 , stellt sich die Frage Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 243. Lampe, ZStW 106 (1994), 731. 213 Lampe, ZStW 106 (1994), 731 f.; zustimmend Dannecker; GA 2001, 111; ähnlich auch Alwart, ZStW 105 (1993), 765 ff., der sich gegen ein akzessorisches Haftungsmodell aus211

212

spricht und die Zurechnung der Haftungsvoraussetzung "gemeine Gefahr" nicht aufgrund einer mit Strafe bedrohten Handlung, sondern "von den äußeren Umständen her" begründet, a. a. 0., S. 771.

80

2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

nach der Notwendigkeit einer Schuld des Verbandes zur Legitimation von Verbandsstrafen und nach dem Konzept der Verbandsschuld. Die verschiedenen "Lösungsmodelle" lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Auf der einen Seite stehen die Autoren, welche die Schuld auch für ein Verbandsstrafrecht als Voraussetzung begreifen, aber den Schuldbegriff durch im einzelnen unterschiedliche Ansätze mit neuem Inhalt zu füllen versuchen, um ihn auf Verbände zuschneiden zu können. Auf der anderen Seite wird von manchen Autoren auf das Schulderfordernis zur Begründung der strafrechtlichen Haftung von Verbänden verzichtet. Im einzelnen stellen sich die verschiedenen Modelle wie folgt dar. 1. Beibehaltung des Schuldprinzips

Die Versuche, die Vereinbarkeil der Bestrafung von Verbänden mit dem Schuldprinzip zu begründen, sind ganz unterschiedlich. Teilweise wird darauf hingewiesen, daß sich bereits aus der Existenz von schuldabhängigen Verbandssanktionen, insbesondere aus § 30 OWiG, ablesen lasse, daß die Schuldfähigkeit von Verbänden bereits anerkannt sei.Z 15 Wenn die Geldbuße gegen juristische Personen selbst im Bereich sozialethisch unwertbehafteten Unrechts zulässig sei, dann könne es dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt sein, gegen sie mittels Kriminalstrafe vorzugehen.Z16 Grundlegender wird von manchen dargelegt, daß sich die Schuldfähigkeit von Verbänden mit einem sittlichen oder sozialethischen Schuldbegriff vereinbaren lasse, andere stellen auf einen sozialen oder normativen Schuldbegriff ab, und schließlich werden die Probleme durch Zugrundelegung eines funktionalen Schuldbegriffs gelöst. Dabei wird, unabhängig davon, welcher Schuldbegriff her214 So z. B. Seiler; Strafrechtliche Maßnahmen, S. 86 ff., 96 ff.; Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 303 ff. (für Maßregeln); Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 25 ff., Jura 1998, 416 ff., der statt einer Strafe die Geldbuße als "repressiv orientiertes Präventivmittel" als wirtschaftsrechtliche Maßnahme befürwortet. Die Übergänge zwischen den insbesondere von Stratenwerth und Otto vorgeschlagenen Maßregeln bzw. Maßnahmen zu einer "echten" Strafe sind m. E. fließend: So geht es Otto um ein "repressiv orientiertes Präventionsmittel" (Strafbarkeit von Unternehmen, S. 26) und Stratenwerth um die adäquate Erfassung des "Unwertgehalt(s) des Rechtsbruchs" (in: Festschrift für Schmitt, S. 307). Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 13 Fn. 38, spricht wegen dieser Zielsetzung der von Stratenwerth vorgeschlagenen Maßregel von einem "Etikettenwechsel"; vgl. zu Stratenwerth und Otto auch die zutreffende Analyse bei von Freier; Kritik der Verbandsstrafe, S. 189 f., 228 bei Fn. 199. 215 Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 9; vgl. auch Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 198. Stellt man bereits die Geldbuße nach § 30 OWiG unter die Herrschaft des Schuldprinzips, so stellt sich freilich die Frage der Schuld des Verbandes bereits hier, vgl. dazu nur KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 11 ff.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 48; Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 282 ff.; ausführlich auch von Freier; Kritik der Verbandsstrafe, S. 211 ff., insbesondere auch S. 226 ff. mit Fn. 192. 216 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 230 ff.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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angezogen wird, teilweise eine Zurechnung des Verschuldens des Organs 21 7 befürwortet, teilweise zugleich die Organschuld zugerechnet sowie eine eigene Schuld der juristischen Person begründet oder aber nur eine eigene Verbandsschuld für notwendig erachtet: a) Ausschließliche Zurechnung der Schuld eines Einzeltäters

Von manchen wird die Lösung des Problems ähnlich wie bei der Frage der Handlungsfähigkeit in einer Zurechnung der Schuld des Einzeltäters gesehen. 218 So soll die Zurechnung des Verschuldens der für die juristische Person oder Personenvereinigung handelnden natürlichen Personen zum Verband -wie im Zivilrecht -auch durch Normen des Strafrechts angeordnet werden können 219 , da das Recht "selbstherrlich" bestimmen könne, wer "Zurechnungsendpunkt" eines rechtlich relevanten Verhaltens sei und es im Strafrecht um soziale, nicht um sittliche Verantwortung gehe?20 Wenn bei einer Pflichtverletzung einer juristischen Person die Gesellschaft ein Unwerturteil falle, könne dieses die juristische Person treffen, welcher das Verschulden ihrer Organe zugerechnet werde.22 1 Wer eine solche Zurechnung von Schuld als Begründung für eine Verbandsstrafe heranzieht, muß von einem akzessorischen Modell ausgehen, bei dem die Strafbarkeit des Verbandes von dem Vorliegen einer strafbaren Anknüpfungstat des Individuums abhängig ist. 222 b) Zurechnung der Schuld eines Einzeltäters und eigene Verbandsschuld

Ebenso müssen sich diejenigen Verbandsstrafenbefürworter, welche die Schuldfähigkeit der juristischen Person mit einer Kombination von Zurechnung der Or217

A. I.

Oder anderer natürlicher Personen, vgl. dazu im einzelnen unten 2. Teil 4. Abschnitt

218 Eine Schuldzurechnung hält auch das Bundesverfassungsgericht für möglich, vgl. das obiter dieturn in BVerfGE 20, 323, 336. 219 Weber, in: BaumanniWeberiMitsch, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27; zustimmend Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 230 f. n o Weber, in: Baumann I Weber I Mitsch, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27. 22 1 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 231, die dies mit einem "sozialethischen" Schuldbegriff begründet, "der zu tun hat mit den Pflichten des Menschen gegenüber der Gesellschaft"; ähnlich auch schon Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 101 ff., der den Zurechnungsvorgang mit ,.soziologischen Werturteilen über das Verbandswirken" (S. 102) erklärt. 222 Von den genannten Autoren werden keine konkreten Straftatmodelle formuliert. Daß sie aber von der Notwendigkeit einer strafbaren Anknüpfungstat ausgehen, zeigt sich z. B. bei Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 100; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 240 f. 6 Drope

2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

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gauschuld und eigener Schuld des Verbandes zu begründen versuchen, im Ergebnis auf ein solches akzessorisches Verbandsstrafenmodell berufen. Die Grundzüge eines derartigen Schuldkonzepts seien im folgenden dargestellt. Auch hier wird von der Freiheit des Gesetzgebers bei der Bestimmung des "Kreis(es) der Schuldadressaten" 223 bzw. bei der Anordnung der Zurechnung von Schuld eines für den Verband handelnden Menschen zu diesem Verband 224 ausgegangen. Zusätzlich zu der Zurechnung der Schuld des Individualtäters und der entsprechenden Abhängigkeit der Strafbarkeit der juristischen Person von der Begehung einer Straftat durch einen Individualtäter wird versucht, eine eigene Verbands- oder Unternehmensschuld zu begründen, wobei dies teilweise als "innere Rechtfertigung" 225 der Schuldzurechnung bezeichnet bzw. als Begrenzung für die "Selbstherrlichkeit" des Gesetzgebers 226 oder auch als "Zurechnungsgrund" 227 verstanden wird. Die zugerechnete Handlung müsse schuldhaft sein, denn nur dann manifestiere sich in ihr eine Vernachlässigung bestimmter innerverhandlicher "Zurüstungen" ?28 Unterschiede gibt es insofern, als auf verschiedene Schuldbegriffe, zum Beispiel auf einen normativen bzw. sozialen oder auf einen sittlichen Schuldbegriff aufgebaut wird. Nach dem normativen Schuldbegriff müsse eine konkrete "Schuldfeststellung" ebensowenig wie bei Menschen erfolgen. Vielmehr reiche eine sozialbezogene Schuldfeststellung in dem Sinne aus, daß festgestellt werde, daß Unternehmen straf- oder bußgeldrechtliche Verhaltenspflichten nicht eingehalten hätten. 229 Durch die Normadressatenfunktion der Unternehmen mache der Gesetzgeber deutlich, daß auch diese aufgrund der fehlerhaften kollektiven Willensbildung, der "Unternehmensschuld", die in der aufgrund einer § 31 BGB entsprechenden Norm230 zugerechneten "funktionalen Organschuld", d. h. in der schuldhaften Verhaltensweise eines funktional tätigen Unternehmensrepräsentanten zum Ausdruck komme231 , verantwortlich seien. 232

Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 198 f. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 186 f. 225 Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 9. 226 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 187, 192. 227 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 194. 22s Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 192 ff., 194. 229 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 200; ähnlich auch die Begründung des Diskussionsentwurfs des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 9. 230 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 209; zur Kritik an den Ausführungen Schroths vgl. von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 110 f.; Lampe, ZStW 106 (1994), 730; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 19 f .; Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 283 in Fn. 55. 231 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 204 ff. 223

224

232

Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 201 f.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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Diejenigen, die der Auffassung sind, daß auch einem Personenverband ein sittlicher Vorwurf gemacht werden könne, begründen dies damit, daß Rechtspflichten denen juristische Personen als Träger von Rechten und Pflichten unterlägen - auch sittlich verpflichteten, so daß bei einer Rechtspflichtverletzung zugleich eine sittliche Pflicht verletzt werde. 233 Aus der Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven ergebe sich deren sozialethischer234 oder sittlicher Geltungswert bzw. -anspruch und daraus die Möglichkeit, ihnen im Falle des Mißbrauchs der Rechtsstellung ein sittliches Versagen vorzuwerfen.Z 35 Schon das positive Recht zeige in §§ 138, 826 BGB und § 1 UWG, daß juristischen Personen sittliche Pflichten oblägen. § 138 BGB gehe von sittenwidrigen Geschäften juristischer Personen aus236, und bei § 826 BGB, der auch für Personenverbände gilt, werde gerade - wie auch bei § 1 UWG237 -ein sittlicher Vorwurf zur Grundlage der bürgerlich-rechtlichen Haftung gemacht238 . Weiterhin wird der Sprachgebrauch herangezogen, wonach in der "sozialen Wirklichkeit" 239 umgangssprachlich oft von einer "Schuld" des Verbandes, z. B. eines Chemieuntemehmens, von dem eine Umweltverschmutzung ausgeht, die Rede sei. 240 Dabei gehe es nicht um etwas "sittlich Indifferentes", vielmehr werde ein "sittlicher Maßstab" angelegt. 241 Noch zugespitzter formuliert Rotberg, der in der Strafe einen "Anruf zu verantwortlicher sittlicher Selbstbestimmung" sieht und den Verband als vemunftbegabte, mit einem Gesamtgewissen ausgestattete "Überpersönlichkeit" versteht. 242 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 190. Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 201. 235 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 190 f.; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 14, und ZStW 107 (1995), 292; zuvor schon Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 229; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 201; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 102; auch Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 163, die aber nicht von einer Zurechnung der Schuld ausgeht; i. ü. ähnlich auch schon Bockelmann, Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, S. 329, der jedoch nicht von "Schuld" und "Strafe" im Zusammenhang mit Verbänden sprechen möchte; kritisch zur Ableitung der Schuld aus der Beleidigungsfähigkeit Rothenpieler, Der Gedanke einer Kollektivschuld, S. 83, 287 f.; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 88 ff. 236 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 191 ; auch Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 14 Fn. 42. 237 Dazu Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 191. 238 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 191; zuvor schon Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 200 f. 239 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 13 und ZStW 107 (1995), 292. 240 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 13 f. ; ähnlich auch Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 118; von Weber, GA 1954, 240; Münn, Diskussionsbeiträge zum 40. DJT, E 72; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 102; eine "lndizwirkung" schreibt auch Tiedemann dem Sprachgebrauch zu, in: Freiburger Begegnungen, S. 49; kritisch zur Aussagekraft des Sprachgebrauchs hingegen von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 122 f. in Fn. 289. 241 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 14; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 139. 242 So ausdrücklich Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 203. 233 234

6*

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

c) Ausschließliche eigene Schuld des Verbandes

Schließlich wird von einigen Befürwortern einer Verbandsstrafe auf eine Zurechnung mehr oder weniger ausdrücklich verzichtet und die eigene Schuld des Verbandes bejaht. Teilweise geschieht dies mit ähnlichen Argumenten wie den soeben dargestellten, d. h. daß die Schuld begrifflich parallel zur Individualschuld konzipiert wird 243 : Auch bei Personenverbänden könne von der notwendigen freien Willensbestimmung und der zur Erkenntnis von Strafbarkeit erforderlichen Einsicht die Rede sein, weil mit dem durch "Gesamtbeschluß oder Organentschließung" gebildeten "Verbandswillen" eine "Sonderintelligenz" des Verbandes entstehe, so daß man von einer "Bewußtseinsorganisation" sprechen könne. 244 Dabei sei der schuldhafte, verbrecherische Gesamtwille, die Schuld der Gesamtperson verschieden von der persönlichen Schuld des einzelnen Organs.Z45 Keine Probleme hat weiterhin Jakobs damit, die dogmatische Form der Schuld bei der natürlichen und der juristischen Person gleichzustellen246 , da er einen "funktionalen" Schuldbegriff favorisiert, wonach Schuld allein nach den Erfordernissen des Strafzwecks, der für Jakobs in der positiven Generalprävention besteht, zu bestimmen sei. 247 Von anderen Autoren wird vor allem ein "sozialer" anstelle eines sozialethischen oder sittlichen Schuldbegriffs zugrunde gelegt. 248 Der materielle Gehalt der Schuld bzw. "Verantwortlichkeit" wird darin gesehen, daß hinter den Anforderungen der Sozietät zurückgeblieben werde, bei dem Verband also darin, daß er seine Pflicht zur Überwachung der verbandsinternen Strukturen verletze. 249 Die eigene Unternehmensschuld könne als Folge von Normadressatenschaft und Organisationsmangel konzipiert werden. 250 243 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 94 ff.; in seinem "Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, Allgemeiner Teil" von 1926, S. 64 (zitiert nach: PohlSichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 6 bei Fn. 4), revidierte Hafter jedoch seine Auffassung von der Schuldfähigkeit von Verbänden. 244 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 95. 245 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit von Personenverbänden, S. 97. 246 Jakobs, Strafrecht AT, Abschn. 6 Rn. 45. 247 Jakobs, Strafrecht AT, Abschn. 17 Rn. 18 ff., 22. 248 Deruyck, ZStW 103 (1991), 729 (zur Geldbuße), der jedoch statt "Schuld" den Begriff "Verantwortlichkeit" verwenden möchte; Tiedemann, NJW 1988, 1172, und in: Old Ways and new needs, S. 173 (jeweils für das Ordnungswidrigkeitenrecht); allgemeiner ders., in: Freiburger Begegnungen; Dannecker, Revue de science criminelle 1997, 285; auch schon von Weber, JZ 1953, 294; vgl. auch die Begründung zum Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 9. Auch Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 21 ff., legt diesen Schuldbegriff zugrunde, hält dann aber doch die Straftat einer Einzelperson für notwendig, a. a. 0., S. 23. 249 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 23. 250 Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 49; zuvor schon (nur zum Ordnungswidrigkeitenrecht) in NJW 1988, 1172, und in: Old Ways and new needs, S. 17; im übrigen hält

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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Ähnlich argumentiert Heine, jedoch mit einem anderen begrifflichen Ausgangspunkt. Nach seiner Vorstellung des in "analoger Ausrichtung an die Zurechnungsgrundsätze des lndividualstrafrechts" auszugestaltenden Verbandsstrafrechts 251 könne sich der Schuldbegriff als "Systemkategorie" inhaltlich mit den Funktionen des Systems, in dem er Verwendung finde, ändern, so daß die Bildung eines von dem individualethischen Schuldbegriff verschiedenen sozialen Schuldbegriffs im Sinne einer spezifischen Verantwortlichkeit des Verbandes für erhebliche soziale Störungen gerechtfertigt sei?52 Dabei sei die Schuld im Verbandsstrafrecht nicht nur Einzeltatschuld, sondern wegen der besonderen "Zeitdimension" -betriebliche Störfälle seien das Ergebnis von langjährigen Defiziten an Risikobewußtsein und vorsorge - auch eine "Betriebsführungsschuld". 253 Die gravierenden Organisationsmängel, die den Schuldvorwurf an ein Unternehmen begründeten, seien ohne eine "Verbandsmentalität", die als "kollektive Einstellungskomponente" die "mentalen" Rahmenbedingungen setze, kaum vorstellbar. 254 Einen noch weiteren Schuldbegriff wendet Eidam an, der meint, daß die kriminelle Korporation für das in den eigenen Reihen entwickelte Unrecht verantwortlich sein müsse, weil dieses Unrecht erst durch die Zurverfügungstellung des Machtapparates und der besonderen Strukturen, der eigenen Unternehmenskultur und kriminellen Verbandsattitüde, ermöglicht worden sei. 255 Damit wird die Auslösung des Verschuldeos im Sinne einer "Zustandsverantwortlichkeit" schon dann bejaht, wenn sich Gefahren aus der Einflußsphäre des Betriebes in Rechtsgutsverletzungen realisiert hätten 256. Ähnlich bestimmt Lampe die Schuld "des Unternehmens bzw. seines Managements" dahingehend, daß es eine "kriminogene Unternehmensphilosophie" geschaffen und aufrechterhalten habe. 257

er dieses "Organisationsverschulden" auch für einen tauglichen Zurechnungsgrund, falls man sich doch dazu entscheiden sollte, die Schuld von natürlichen Personen zuzurechnen, vgl. in: Freiburger Begegnungen, S. 48. 251 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 265, 256 ff. 252 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 263 ff., und in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 112. 253 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 265 f.; zustimmend Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 298 f. 254 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 267. 255 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 117. 256 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 118; ähnlich wohl auch Alwart, ZStW 105 (1993), 769, der die in seinem Tatbestandsmodell geforderte Zurechnung bzw. Verantwortlichkeit nicht näher erläutert. 257 Lampe, ZStW 106 (1994), 732; zustimmend Dannecker, GA 2001, 112, und KKOWiG-Rogall, § 30 Rn. 11, der jedoch eine Anknüpfungstat fordert, durch die eine "kollektive Sinnkonstituierung" zustande gebracht wird.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

d) Zusammenfassung

Sofern mit den dargestellten Argumenten eine bloß eigene Verbandsschuld für erforderlich gehalten wird, kann es für einen Straftatbestand für juristische Personen anders als bei den "Zurechnungsmodellen" nicht darauf ankommen, ob ein Einzeltäter eine strafbare Tat begangen hat. Bevor jedoch im einzelnen auf die Modelle der Straftatbestände eingegangen werden wird, soll noch zur Vervollständigung des Meinungsstandes ein Blick auf die Konstruktion eines Verbandsstrafrechts unter Verzicht auf das Schuldprinzip geworfen werden. 2. Lösung vom Schuldprinzip

Ein anderer Weg, den Schwierigkeiten zu begegnen, die das Schuldprinzip offensichtlich für die Begründung einer strafrechtlichen Verbandssanktion verursacht, ist in den Lösungsmodellen zu sehen, die auf das Schulderfordernis verzichten.258 Insbesondere Schünemann lehnt die Legitimation von Ahndungsmaßnahmen259 gegenüber juristischen Personen - anders als von solchen gegenüber natürlichen - durch das Schuldprinzip als "von vomherein nicht möglich" ab.Z60 Da jedoch der Zweck der Strafe nicht ausschließlich in der Schuldvergeltung zu sehen sei, sondern sich die Zulässigkeit von strafrechtlichen Sanktionen nach der "großen Wende vom Vergeltungs- zum Präventionsstrafrecht" 261 primär nach Eignung, Er258 Hierzu ließen sich wohl auch die bereits in Fn. 214 genannten Stratenwerth (in: Festschrift für Schmitt, S. 303 ff.) und Otto (Strafbarkeit von Unternehmen, S. 25 ff.) einordnen, da der Unterschied der von ihnen genannten Maßregeln bzw. Maßnahmen mit repressiver Ausrichtung zu einer Strafe nicht allzu groß ist. 259 Daß hier von "Ahndungsmaßnahmen" und nicht ausdrücklich von "Strafe" die Rede ist, hat folgenden Hintergrund, der mit der nur schwer einzuordnenden Rechtsnatur der von Schünemann vorgeschlagenen Sanktion zu tun hat: In Unternehmenskriminalität, S. 232 f., bevorzugt er die Geldbuße gegenüber der Geldstrafe letztlich nur deswegen, weil der einzige praktische Unterschied in der nicht vollziehbaren Ersatzfreiheitsstrafe bei Verhängung einer Geldstrafe liege. Auch in den danach folgenden Aufsätzen läßt sich erkennen, daß es ihm um ein Verbandsstrafrecht geht, auch wenn er mal von "Maßnahmen" (z. B. in: Madrid-Symposium, S. 290 f.), mal - bei der von ihm vorgeschlagenen Unternehmenskuratel - von einer "Alternative zum Strafrecht" (in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 140) spricht. Denn die Rede ist von einem "echten Unternehmensstrafrecht" (in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 133), und er möchte die Unternehmenssanktion im Strafrecht geregelt wissen, da es ihm damit um die "Integrationsgeneralprävention" und damit um eine "genuin strafrechtliche Zielsetzung" gehe (in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 140). Nach seiner Vorstellung von einem Verbandssanktionensystem soll dieses einen "dritten Weg" zwischen Strafrecht i. e. S. und Maßregelrecht darstellen (in: Criminal Responsibility, S. 227), jedoch nah genug am Strafrecht sein, daß alle verfassungsrechtlichen Garantien Geltung beanspruchten (in: Criminal Responsibility, S. 233) und die Sanktion auch in einem Strafverfahren verhängt werde (in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 140). Dies alles rechtfertigt es, Schünemann als Befürworter einer Verbandsstrafe anzusehen. 260 Schünerrumn, Unternehmenskriminalität, S. 235. 261 Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 285.

3. Abschnitt: Dogmatische Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe

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forderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zum Rechtsgüterschutz richte, ließen sich auch andere Legitimationsprinzipien als die Schuld finden. 262 Als ein solches alternatives Legitimationskriterium für Verbandssanktionen hat Schünemann zunächst das Prinzip des "Rechtsgüter-"263 oder auch "Präventionsnotstands"264 , flankiert vom "Veranlassungsprinzip"265 , vorgeschlagen. Ein derart legitimierender, durch einen Beweisnotstand ausgelöster Präventionsnotstand liege dann vor, wenn die im Rahmen des Unternehmens begangene Straftat einer bestimmten natürlichen Person nicht nachgewiesen werden könne und die Begehung durch eine zweckmäßigere Verbandsorganisation vereitelt oder wenigstens wesentlich erschwert worden wäre.Z66 Die dagegen zu ergreifenden Maßnahmen müßten für eine Stärkung der Präventionswirkung wirtschaftsstrafrechtlicher Normen geeignet und erforderlich sein. 267 Die Eignung sei zu bejahen, wenn die Träger des Verbandes dazu gezwungen seien, zur Vermeidung von Verbandssanktionen die interne Verbandskontrolle zu verstärken und dies auch möglich sei, weil die Rechtsgutsverletzung nicht bloßer Zufall, sondern Folge der nicht zweckmäßigen Verbandsorganisation gewesen sei.268 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müsse dadurch gewahrt sein, daß das zu erhaltende Rechtsgut schwerer wiege als die Einbuße beim Verband und auch sonst keine Verstöße gegen rechtsethische Prinzipien zu erkennen seien. 269 Das zusätzlich heranzuziehende Legitimationsprinzip in Gestalt des "Veranlassungsprinzips" im Hinblick auf den "Organisationsmangel" wird damit erklärt, daß es materiell gerecht sei, wenn die Träger des Verbandes, die für den Verband und seine mangelhafte Organisation verantwortlich seien, neben den Vorteilen auch mittelbar die Nachteile in Form der Verbandsgeldbuße zu tragen hätten 270 ; die Geldbuße stelle ein ähnliches Haftungsrisiko wie zivilrechtliche Schadensersatzansprüche dar271 . Wahrend Schünemann zunächst meinte, daß nur in dem Fall der "anonymen Verbandsgeldbuße" 272 "Notstandsmaßnahmen" entsprechend dem Rechtsgedanken des § 34 StGB 273 zu legitimieren seien 274 , hält er mittlerweile 262 Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 285 f.; kritisch dazu von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 198 ff.; Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 25. 263 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 236; auch ders., in: Madrid-Symposium, S. 286 ff.; zustimmend Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 128 ff. 264 Schünemann, wistra 1982,49. 265 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 250; ders., in: Madrid-Symposium, S. 286 f. 266 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 237 ff.; 241, ähnlich auch ders., wistra 1982,49. 267 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 237 ff. 268 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 238. 269 Schünemann, Untemehmenskrimina1ität, S. 236 f., 240 f. 270 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 249 f. 271 Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 286. 272 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 248; ders., wistra 1982,49 f. 273 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 236. 274 Schünemann, wistra 1982, 49 f.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

auch kumulativ neben der individuellen Sanktionierung Verbandssanktionen für zulässig. Als neues Legitimationskriterium trete die Kompensation der "kriminellen Verbandsattitüde" hinzu, die ebenfalls einen Präventionsnotstand auslöse, der durch ausschließliche Individualstrafen nicht behebbar sei. 275 Ohne eine abschließende Entscheidung für das eine oder andere Lösungsmodell vornehmen zu wollen, soll hier doch insoweit Stellung zu der Frage der Schuldfähigkeit genommen werden, als m. E. auch eine an juristische Personen adressierte Strafe Schuld voraussetzt, so wie es auch von den Befürwortern einer Verbandsstrafe überwiegend angenommen wird. Der grundlegende Satz "Keine Strafe ohne Schuld" sollte an dieser Stelle keine Durchbrechung erfahren. 276 Wie der Begriff dieser (Verbands-)Schuld im einzelnen auszufüllen ist, d. h. wann eine juristische Person verantwortlich ist, soll offen bleiben; dies ist eine materiell-rechtliche Frage, die den Rahmen einer prozessualen Arbeit sprengen würde. Es ist aber wenigstens festzustellen, daß jedenfalls als Begrenzung einer präventiven Strafe, als Maßprinzip Schuld auch dann erforderlich ist, wenn die Strafe sich gegen juristische Personen richtet. 277 Der Vorschlag Schünemanns, sich eines anderen Legitimationsprinzips zu bedienen, ist daher abzulehnen und wird im folgenden nicht Grundlage eines Prozeßrechts für Verbände sein.

3. Zusammenfassung

Es bleibt hier zusammenzufassen, daß sich die Entscheidung für eine Zurechnung der Schuld eines Organs oder einer anderen Person darin niederschlagen muß, daß ein akzessorisches Straftatmodell gewählt wird, während die Befürworter einer ausschließlich eigenen Verbandsschuld eine strafbare Anknüpfungstat für eine Verbandsstrafe konsequenterweise nicht voraussetzen können. Wie die einzelnen Modelle des Verbandsstraftatbestandes aussehen, wird im folgenden Kapitel dargestellt. Dabei soll vor allem auf die Frage eingegangen werden, ob das Individuum und der Verband auch nebeneinander bestraft werden können sollen und wie sich eine solche kumulative Strafbarkeit mit den individualstrafrechtlichen Kategorien der Täterschaft und Teilnahme vergleichen ließe.

Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 287. So z. B. auch BVerfGE 20, 323, 335; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 262 ff. 277 Vgl. dazu auch näher unten 3. Teil4. Abschnitt B. l. 2. b) bb) (2) (b) und II. 2. c). 275

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4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

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4. Abschnitt

Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick A. Die Grundmodelle I. Akzessorisches Verbandsstrafenmodell Überwiegend278 wird in den Vorschlägen der Befürworter der Verbandsstrafbar· keit diese von dem Vorliegen einer Anknüpfungstat eines Einzeltäters abhängig gemacht. Bei diesem Modell beruht die Strafbarkeit der juristischen Person oder Personenvereinigung auf einer Zurechnung des unter einen Straftatbestand fallenden Verhaltens eines Individuums. Dies ist konsequent, wenn eine Handlungs- und Schuldzurechnung zugrunde gelegt wird?79 Es finden sich aber auch Autoren, die ohne eine solche Zurechnung vom akzessorischen Verbandsstrafenmodell ausgehen?80 Dabei reicht das Spektrum der Personen, welche die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verbandes durch ihre Straftaten auslösen können sollen, von Organen bzw. Organmitgliedern281 über die Mitglieder der Leitungsebene 282 und den Beauftragten283 bis zu allen Mitarbeitern des Verbandes 284. Für die Beschränkung auf die Straftaten organschaftlicher Vertreter von juristischen Personen wie beispielsweise des Geschäftsführers einer GmbH oder der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft wird dabei maßgeblich auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung rekurriert, da die geltende Rechtsordnung sich am Unternehmensträger 278 Kritisch insoweit jedoch Achenbach, in: Coimbra-Symposium, S. 304, da durch die Anknüpfung an das schuldhaft rechtswidrige Verhalten von bestinunten natürlichen Personen die überindividuelle und die individuelle Ebene ohne Grund vermischt würden; zustinunend Otto, Jura 1998, 416. 279 So wie bei Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 240 ff.; Hirsch, ZStW 107 (1995), 308 ff.; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 223; A ckermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 240 f.; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 202 ff .; vgl. auch den Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 11. 280 Lampe, ZStW 106 (1994), 731 ff., der das normverletzende Verhalten als unternehmerisches Erfolgs- und nicht als Handlungsunrecht zurechnet; vgl. auch Schünemann, in: Criminal Responsibility, S. 228 ff., der an dem Zurechnungsmodell ausdrückliche Kritik übt; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 16 ff., 24, der eine "eigene" Schuld des Verbandes betont und trotzdem eine schuldhafte Tat des Einzeltäters fordert, aber zumindest bei Exzeßtaten Straffreiheit des Verbandes vorschlägt, S. 24. 281 Vgl. z. B. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 217 ff., 239 f. 282 Vgl. Hirsch, ZStW 107 (1995), 308 ff., und in: Frage der Straffähigkeit, S. 24; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 239 f.; Dannecker, GA 2001, 121; im Ergebnis auch Art. 14 Abs. I des "Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union", abgedruckt bei Otto, Jura 2000, 105. 283 Vgl. Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 223 ff. 284 So der Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. II .

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

und nicht am sozialen Gebilde "Unternehmen" orientiere und dabei eine Haftung der juristischen Person oder Personenvereinigung, die als Unternehmensträger fungieren könne, grundsätzlich nur durch das Verhalten eines Organs ausgelöst werde. Eine Erweiterung auf sonstige Vertreter einer juristischen Person sei nicht "systemkonform" und auch im Hinblick auf den "ultima ratio-Charakter" des Strafrechts bedenklich. 285 Sofern erwogen wird, den Kreis der Personen, deren Handeln als das der Korporation angesehen wird, auf weitere Angehörige der Leitungsebene auszudehnen, wird dies teilweise mit Blick auf die Tendenzen in der zivilrechtliehen Rechtsprechung zu § 31 BGB getan, in welcher der Organbegriff entsprechend weit ausgedehnt wird286, zum Teil aber auch im Hinblick auf die "wahre Verantwortung", die infolge von Dezentralisierung innerhalb eines Unternehmens gerade bei den nicht als Organen tätigen leitenden Angestellten liegen könne287 . Dies entspricht der Auffassung, auch sogenannte Beauftragte des Unternehmens wie Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte und Zweigstellenleiter als tatsächliche Repräsentanten des Unternehmens zu begreifen und damit deren- funktionsbezogene - Strafrechtsverstöße als Kriminalität des Unternehmens zu werten.Z88 Eine ganz andere Qualität hat demgegenüber der Vorschlag, Straftaten aller Mitarbeiter als Auslöser der Verbandsstrafbarkeit anzusehen. Hiermit soll der Auswirkung von pflichtwidrigen Versäumnissen und Fehlleistungen der Körperschaft auf die Mitarbeiter entsprochen werden, die zu Gesetzesübertretungen aller Bediensteter ermutige. 289 Unterschiede zwischen den einzelnen Vorschlägen zu einem akzessorischen Verbandsstrafenmodell bestehen schließlich darin, daß teilweise weitere Erfordernisse neben einer Individualtat aufgestellt werden. So soll es beispielsweise darauf ankommen, daß zum Vorteil der juristischen Person 290 bzw. in Ausübung der Unternehmensfunktion291 gehandelt wurde.

II. Eigenständige oder originäre Begründung der Strafbarkeit Auf das Vorliegen einer Individualtat als notwendige Bedingung für die Strafbarkeit des Verbandes verzichten diejenigen Autoren, die den Grund für die Strafwürdigkeit der Verbandstätigkeit vor allem in fehlerhaften Organisationsstrukturen sehen und eine eigene Schuld des Verbandes begründen. Als der herausragende Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 223 ff. Vgl. Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 24. 287 Ackermann, Strafbarkeit juristische Personen, S. 239 f. 288 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 224 f. 289 Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 11; die Übergänge hiervon zu dem als nächstes vorzustellenden Verbandsstrafenmodell, dem "eigenständigen" oder "originären" Modell, sind fließend, dies meint auch Alwart, in: Verantwortung und Steuerung, S. 84 f. 290 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 239. 285

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Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 223.

4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

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Vertreter dieser Richtung kann Heine bezeichnet werden, der eine zum Individualstrafrecht "analoge Ausrichtung" der Unternehmenstäterschaft, die Verbandshaftung als "zweite Spur"292 etablieren möchte und dabei die "Betriebsführungsschuld"293 als Legitimation für eine Strafe ansieht. Er schlägt dabei - ebenso wie die ihm zustimmenden Lütolf294 und Eidam295 - eine in dem Sinne eigenständige oder originäre296 Begrundung der Strafbarkeit von Unternehmen bzw. Verbänden vor, als sie von einer Individualtat unabhängig ist. Es geht bei ihm um ein "fehlerhaftes Risikomanagement" und die "betriebstypische Gefahrverwirklichung"; das Fehlverhalten eines einzelnen Betriebsangehörigen hält er ausdrucklich für nicht notwendig.Z97 Eine nicht-akzessorische Begrundung der Strafbarkeit befürwortet auch Alwart298 , dessen Vorschlag eines Verbandsstraftatbestandes sich von den zuvor genannten Modellen im Hinblick auf das Verhältnis von Individual- und Verbandsstrafbarkeit unterscheidet, wie im nun folgenden Unterabschnitt gezeigt wird.

B. Vorschläge zum Verhältnis der Strafbarkeit der juristischen Person zur Strafbarkeit des Individuums Es bleibt darzustellen, wie die Befürworter einer Verbandsstrafbarkeit sich das Verhältnis dieser Strafbarkeit zu der eines zu dem Verband gehörenden Individuums vorstellen. Dieses Verhältnis kann Auswirkungen auf die Gestaltung des Strafprozesses haben, beispielsweise auf die Regelung der Vertretung, auf die Rollenverteilung innerhalb des Verfahrens und allgemein im Hinblick auf das Entstehen von Interessenkonflikten. Grundsätzlich sind zwei Möglichkeiten denkbar, einerseits die alternative und andererseits die kumulative strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuum und Kollektiv. 299

292 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 256; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 103. 293 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 266; ders. , in: Verantwortung und Steuerung, S. 105 ff. 294 Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 348, vgl. insbesondere das Tatbestandsmodell dort aufS. 428. 295 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 118 f. 296 So Heine, in: Verantwortung und Steuerung, S. 103. 297 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 253 ff., 271 ff.; ders., in: Einzelverantwortung und Steuerung, S. 114. 298 Alwart, ZStW 105 (1993), 766 ff. , 771 f. 299 Vgl. zur Darstellung der verschiedenen Grundmodelle auch die Skizzen bei Alwart, in: Verantwortung und Steuerung, S. 82; ausführlich Schlüter. Strafbarkeit von Unternehmen, S. 67 ff.; einen Überblick bietet auch Peglau, JA 2001 , 608.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

I. Möglichkeit kumulativer Strafbarkeit von Individuum und Verband

Unter den Befürwortem einer Verbandsstrafe ist die Vorstellung vorherrschend, daß Einzeltäter und juristische Person nebeneinander zu bestrafen seien.300 Dies gilt sowohl für diejenigen, die eine akzessorische Strafbarkeit von juristischen Personen befürworten, als auch für jene, die eine Anknüpfungstat eines einzelnen nicht für erforderlich halten und daher eine von einer Individualtat unabhängige Begründung der Strafbarkeit von juristischen Personen vorschlagen.

1. Akzessorisches Modell

Die Befürworter einer akzessorischen Strafhaftung des Kollektivs gehen grundsätzlich davon aus, daß der Individualtäter - wenn er identifizierbar und verfolgbar ist - nach den Grundsätzen des Individualstrafrechts neben dem Verband strafrechtlich belangt werden könne und solle. 301 Die meisten Autoren302, die eine akzessorische Verantwortlichkeit vorschlagen, halten es auf der anderen Seite aber auch nicht für unbedingt notwendig, daß das Individuum und der Verband kumulativ zur Verantwortung gezogen werden. So solle der Strafbarkeit des Verbandes zum Beispiel nichts entgegenstehen, wenn sich bei der Verfolgung des Individuums aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen Schwierigkeiten ergäben, d. h. wenn beispielsweise der bekannte Einzeltäter auf der Flucht sei303 oder wenn der einzelne Täter aus einer Vielzahl von möglichen Tätern nicht herausgefunden, 300 So die nachfolgend zitierten Autoren; vgl. auch Tiedemann, NJW 1986, 1843: "Alle neuen kriminalpolitischen Forderungen und Empfehlungen" gingen davon aus, daß neben dem Verband auch die handelnden Personen bestraft werden müßten; ohne Entscheidung für ein bestimmtes Verbandsstrafenmodell: Schall/Schreibauer, NuR 1996, 449; vgl. aber auch ausdrücklich den ansonsten in Detailfragen offengelassenen Entschließungsantrag des Landes Hessen an den Präsidenten des Bundesrates, ER-Drucksache 690/98, S. 1, 3. 301 Vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 240 ff.; Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 11 ; Hirsch, ZStW 107 (1995), 315 f.; Lampe, ZStW 106 (1994), 733 f.; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 202 ff., 206 m. w. N. in Fn. 26; von Weber, JZ 1953, 297; ders. , GA 1954, 238 f .; auch Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 126; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 226; zustimmend dazu Hetzer, Kriminalistik, 577; auch Schünemann spricht sich mittlerweile - anders noch, nämlich für eine subsidiäre Verbandssanktion in: Unternehmenskriminalität, S. 236 ff., 239, 254 - deutlich für die grundsätzliche Möglichkeit der kumulativen Verhängung von Individual- und Unternehmenssanktion aus (in: Deutsche Wiedervereinigung, S. 134 f.; ders., in: Madrid-Symposium, S. 277 ff., 287; ders., in: Taiwan/ROC Chapter, S. 464 f.); ausdrücklich offengelassen wird die Frage bei Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 241; vgl. insbesondere auch Art. 14 Abs. 2 des "Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union", abgedruckt bei Otto, Jura 2000, 105. 302 Z. B. Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechts leben, S. 207 f.; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 240 f.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 16; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 243. 303 Hierzu Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 207.

4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

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nicht identifiziert werden könne 304, solange wenigstens alle in Betracht kommenden Täter schuldhaft gehandelt hätten 305 . Auch wird vorgeschlagen, daß verfahrensrechtliche Hindernisse wie etwa das Fehlen eines Strafantrages der Strafverfolgung des Organs - anders als es für die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person wegen § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG der Fall ist- der Strafverfolgung des Verbandes nicht entgegenstehen sollen. 306 Weitergehende Einzelfragen sind im übrigen umstritten, beispielsweise die Auswirkung von persönlichen Strafausschließungsgründen auf die Verbandsstrafbarkeit 307 Interessant ist an dieser Stelle als Ausgangspunkt für die Frage der Verbindung von Verfahren, der Interessenkonflikte und der Rollenverteilung, ob und inwieweit das Verhältnis von Verbands- und Individualstrafbarkeit mit den aus dem geltenden Individualstrafrecht bekannten Kategorien der Beteiligung vergleichbar ist. Hierzu finden sich aber nur vereinzelte Bemerkungen. So wird - mit Blick auf verfahrensrechtliche Fragen der Zeugenvereidigung - von einem Teilnahmeverdacht im Sinne des § 60 Nr. 2 StPO beim im Verfahren gegen den Verband als Zeugen vernommenen Organ ausgegangen. 308 Die Durchführung eines selbständigen Verfahrens gegen den Verband, d. h. ohne gleichzeitiges Vorgehen gegen den unmittelbar Handelnden, wird mit der Begründung befürwortet, daß die Lage eine ähnliche sei wie beim Anstifter, der bestraft werden könne, ohne daß dort gegen den unmittelbar Handelnden ein Verfahren durchgeführt zu werden brauche. 309 An anderer Stelle wird deutlich gesagt, daß ein "gewöhnliches Teilnahmeverhältnis" zwischen Verbandstat und Tat des einzelnen nicht vorliege, aber die kumulative Verfolgung von beiden ebenso selbstverständlich sei wie bei Tatteilnehmern. 310 Dann wieder wird das Verhältnis zwischen Unternehmen und Anknüpfungstäter als eine Art "Nebentäterschaft" beschrieben? 11 Im Zusammenhang mit der Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG wird ausgeführt, daß dort die kumulative Bebußung der juristischen Person und die Bestrafung des Individualtäters genauso wenig "Doppelbestrafung" sei wie bei Mittätern. 312 Teilweise wird aber auch darauf hin304 Vgl. den Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 11; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 208; Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 240 f.; Hirsch, ZStW 107 (1995), 320. 305 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 243; ähnlich Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 241; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 208. 306 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 244 f. 307 Für die Strafbarkeit des Verbandes Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 207; dagegen Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 241 f. 308 Von Weber, JZ 1953, 297 (zum SRP-Urteil, BVerfGE 2, 1); Albert Henkel, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 127 (beide zu§ 60 Nr. 3 a. F.). 309 Hirsch, ZStW 107 (1995), 319 f. (namentlich zu§ 30 Abs. 4 OWiG, aber im Zusammenhang mit der verfahrensrechtlichen Gestaltung einer echten Kriminalstrafe de lege ferenda). 310 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 206. 311 Schlüter, Die Strafbarkeit von Unternehmen, S. 73. 312 Tiedemann, in: Old Ways and New Needs, S. 175.

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

gewiesen, daß das Verhältnis zwischen Individuum und Körperschaft ein "substantiell anderes" als beispielsweise das von Mittätern sei, denn das handelnde Organ sei deswegen unverzichtbarer Teil des Verbandes, weil dieser erst durch jenes zu einem "kriminalstrafrechtlichen Rechtssubjekt" werde. 313 Zu deuten ist das so, daß man sich das Verhältnis zwischen Verband und Organ als noch enger als bei Mittätern vorstellt, wie sich daran erkennen läßt, daß anders als dort (vgl. § 29 StGB) hier auch Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe in der Person des Organs der juristischen Person zugute kommen sollen314. Im Ergebnis ist das Verhältnis von Individual- und Verbandsstrafrecht zwar nicht einer der bisher bekannten Beteiligungskategorien zuzuordnen. Es läßt sich aber durchaus eine Ähnlichkeit mit ihnen feststellen. Bei der Frage der Verbindung der Verfahren 315 wird darauf zurückzukommen sein.

2. Eigenständige oder originäre Begründung der Strafbarkeit

Auch beim Modell der eigenständigen Verbandsstrafbarkeit wird überwiegend die Möglichkeit einer kumulativen Strafbarkeit von Individuum und Kollektiv nicht ausgeschlossen. 316 Die Tat eines einzelnen ist damit nach diesem "konkurrierend"317 eigenständigen Verbandsstrafenmodell weder notwendig für die strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person, noch verdrängt sie diese. Zu einem Zusammentreffen von Verbands- und Individualstraftat könne es kommen, wenn der einzelne "in einer kritischen Entscheidungssituation mit unmittelbaren Auswirkungen auf Rechtsgüter des sozialen Umfelds" versage "und die Unverantwortlichkeit einer Betriebsführung ... in einem in der Zeit liegenden Mißmanagement zum Ausdruck" komme und zum Schaden führe. 318 Der Anlaß für die strafrechtliche Verantwortung, die "Auswirkungen auf Rechtsgüter" bzw. der "Schaden", ist dabei derselbe. Der Unterschied zur kumulativen Strafhaftung bei einem akzessorischen Modell besteht jedoch darin, daß hier - in den Worten Heines - andere "Haftungsanlässe"319 für Kollektiv und Individuum bestehen, d. h. mit der m Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 241.

So Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 240 f. Unten 3. Teil 2. Abschn. B. 316 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308.; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 189 ff., 192 ff.: Dogmatisch sei zwar die alternative Bestrafung vorzuziehen, aus kriminalpolitischen Gründen jedoch letztlich die kumulative, vgl. i. E. dort auch Ziffer 2 des Tatbestandsvorschlags S. 428, der lautet: "Die Strafbarkeit der natürlichen Person bleibt unberührt." 317 So der treffende Ausdruck bei Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 69 und passim. 318 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308 (Hervorhebung im Original). 319 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308; ders., in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 115. 314

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4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

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"zeitlich gestreckten Betriebsführungsschuld" beim Unternehmens- und "zeitlich fixierter Einzeltatschuld" beim Individualstrafrecht unterschiedliche Verantwortungsbereiche betroffen sein sollen. 320 Beim akzessorischen Modell decken sich hingegen die Verantwortungsbereiche. Auch bei den hier genannten Autoren fehlt es weitgehend321 an dezidierten Aussagen darüber, ob das Verhältnis von kumulativ bestehenden Verbands- und Individualstraftaten mit dem bei der Beteiligung mehrerer Individuen vergleichbar ist. Es wird meist nur von einem Nebeneinander von Unternehmens- und Individualverantwortlichkeit gesprochen 322 oder zum Problem der "Doppelbestrafung" auf die vergleichbare Lage bei der Mittäterschaft hingewiesen 323 . II. Ausschließlich alternative strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuum und Verband

Eine ausschließlich alternative Verantwortlichkeit von Einzeltäter und Unternehmen befürwortet Alwart, der eine subsidiäre Haftung des Unternehmens vorschlägt.324 Dies begrundet er vor allem mit einer Ablehnung des akzessorischen Modells, das für ihn auf einem "dogmatischen Denkfehler" beruhe325 , da Zurechnung und Haftung im Strafrecht - anders als im Zivilrecht - Seiten derselben Medaille seien, so daß eine Differenzierung nach dem "Ob" und dem "Wer" der Haftung sinnwidrig sei326 . Auch sei jenes Modell dysfunktional insbesondere bei ent320 Heine, in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 115; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108. 321 Deutlich gegen die Anwendung der Teilnahmelehre zur Charakterisierung dieses Verhältnisses jedoch Hafter, Delikts- und Straffahigkeit der Personenverbände, S. 106 f. 322 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308; Eidam, Straftäter Unternehmen, s. 126. 323 Lüto/f. Strafbarkeit der juristischen Person, S. 193 f., unter Hinweis auf Tiedemann, in: Old Ways and New Needs, S. 175. 324 Alwart, ZStW 105 (1993), 768 f .; vgl. auch dens. , in: Zurechnen und Verurteilen, S. 28 ff., und in: Verantwortung und Steuerung, S. 83; zustimmend Gröschner, in: Verantwortung und Steuerung, S. 66; ähnlich auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 414 f.; erwähnenswert ist das Konzept einer anonymen, nur subsidiären Verbandsgeldbuße bei Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 248 ff., das dieser später (in: Madrid-Symposium, S. 287) jedoch ausdrücklich aufgegeben hat. 325 Alwart, ZStW 105 (1993), 766. 326 Alwart, ZStW 105 (1993), 757. Die Ablehnung des akzessorischen Modells unterscheidet Alwarts Vorschlag von dem aktuellen Schweizer Bundesratsentwurf eines allgemeinen Tatbestands der Unternehmensstrafbarkeit (Art. 102 E). Dort wird in Abs. 1 die strafrechtliche Verantwortlichkeit vom Vorliegen einer (lndividual-)Straftat abhängig gemacht; das Unternehmen soll jedoch nur subsidiär verantwortlich gemacht werden, wenn die Tat "wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten Person zugerechnet werden" kann. Eine Ausnahme zur Subsidiarität besteht nach den Änderungen durch den Ständerat (erste Parlamentskammer) laut Abs. 1bis bei bestimmten Straftaten wie Geldwäsche; dann

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

personalisierten Verantwortungs- und Organisationsstrukturen und damit unpraktisch im Hinblick auf die Beweisschwierigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmensdelikten.327 Wenn in der Diskussion am Erfordernis einer individuellen Anknüpfungstat festgehalten werde, bleibe man an der "Peripherie des eigentlichen Problems"?28 Ausgehend von der Formulierung Stratenwerths, wonach "kriminalpolitisches Desiderat" sei, daß das Unternehmen dafür einzustehen habe, wenn die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten würden - gleichgültig, welche Personen für das Unternehmen tätig seien329 - entwickelt er sodann seinen Vorschlag einer subsidiären (strafrechtlichen) Unternehmenshaftung. 330 Die von ihm vorgeschlagene, an eine "gemeine Gefahr" und die Verantwortlichkeit des Unternehmens für die "individualstrafrechtliche Zurechnungslücke" anknüpfende Haftung331 greife nur dann ein, wenn keine Straftat im individualstrafrechtlichen Sinne vorliege.332

C. Überblick über die sonstige Ausgestaltung der Verbandsstraftatbestände Bevor nun in den prozessualen Teil der Arbeit übergeleitet werden wird, ist noch ein Überblick darüber zu verschaffen, unter welchen Rahmenbedingungen die Befürworter einer Verbandsstrafe eine solche im übrigen ausgestaltet sehen möchten. Dies betrifft neben Vorschlägen zum Standort eines Verbandsstraftatbestandes innerhalb der Systematik des Strafrechts die Auffassungen zum Sanktionsadressaten und geeigneten Strafarten. I. Vorschläge zum systematischen Standort der Verbandsstraftatbestände

Die wohl überwiegende Anzahl von Befürwortern einer Verbands- oder Unternehmensstrafe, insbesondere diejenigen, die für eine akzessorische Strafbarkeit sind, schlagen eine Regelung in Form eines allgemeinen Tatbestandes im Kernstrafrecht vor, also im Allgemeinen Teil des StGB. 333 Dabei gehen die Meinungen kann es auch zur kumulativen Strafbarkeit von natürlicher Person und Unternehmen kommen. 327 Alwart, ZStW 105 (1993), 766 f. 328 Alwart, ZStW 105 (1993), 767. 329 Stratenwerth, in: Festschrift für Schmitt, S. 307. 330 Alwart, ZStW 105 (1993), 768 ff. 331 Alwart, ZStW 105 (1993), 769,771. 332 Alwart, ZStW 105 (1993), 769. 333 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 228; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 239 f.; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 221 ff.; Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 1 ff.; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person,

4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

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darüber auseinander, ob sich ein solcher allgemeiner Tatbestand auf sämtliche Delikte beziehen soll, die nicht nur von natürlichen Personen verwirklicht werden können 334, oder ob Ausnahmen- nach bestimmten Kriterien oder durch enumerative Aufzählung - geregelt werden sollten. Derartige Kriterien finden sich beispielsweise bei Schroth, der vorschlägt, all solche Delikte auszunehmen, die ausschließlich mit Freiheitsstrafe bedroht oder die nur auf natürliche Personen in ihrem privat-individuellen Tätigkeitsfeld zugeschnitten sind335 , oder auch bei Ehrhardt, die als maßgebliche Einschränkungskriterien die "Nutznießerschaft" des Unternehmens an der Tae 36 und die Verletzung einer verbandsbezogenen Pflicht337 herausstellt. Andere befürworten ein spezielles Strafgesetz für Verbände mit einer Aufzählung der Delikte, die eine Bestrafung des Verbandes zur Folge haben 338 , oder eine Art Sonderdeliktstyp für Unternehmen. Alwart formuliert einen Vorschlag für das "Geriist" eines ,.neuen Strafrechtssatzes", nach dem das Unternehmen bei Eintritt einer ihm zuzurechnenden "gemeinen Gefahr" schuldig zu sprechen sei? 39 Heine schlägt auf einer "zweiten Spur" strafrechtlicher Verantwortlichkeit340 Sonderdelikte vor. Dabei stellt er sich für das jeweils besondere "Bedrohungspotential" unterschiedlicher Unternehmensarten - wie Banken, kriminelle Organisationen oder Großunternehmen - zur Vermeidung von Generalklauseln, welche die Haftungsgrenzen zu verwischen drohten, unterschiedliche Lösungen in Form von speziellen Normen vor?41 Sein "Zentralmodell" eines Straftatbestandes342 geht dabei von "technologiegestützten unternehmerischen" Prozessen bzw. Produkten343 sowie der "Begehung" von Umweltdelikten aus und begrenzt die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf bestimmte "erhebliche betriebliche Störfälle" wie Tötungen, S. 388, 425 (für die Schweiz); wohl auch Deruyck, ZStW 103 (1991), 731; Lampe, ZStW 106 (1994), 731 ff.; für einen allgemeinen Tatbestand im OWiG mit der Sanktion der Unternehmenskuratel: Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 147. 334 So Hirsch, Frage der Schuldfahigkeit, S. 25; ders., ZStW 107 (1995), 311 f.; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 362 ff., 388, die .,verbandsbezogene" Taten erfaßt wissen will, S. 363; ähnlich insoweit auch der Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. II : .,betriebsbezogene" Pflicht muß verletzt werden; ähnlich auch Dannecker; GA 2001, 115 f.; vgl. auch Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 195 f., 203. 335 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 222, 226. 336 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 231 ff., 235. 337 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 235 ff. 338 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 218 ff. 339 A lwart, ZStW 105 (1993), 769 f. 340 Heine, in: Verantwortung und Steuerung, S. 103; ders., Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 256 ff. 341 Heine, in: Verantwortung und Steuerung, S. 104 f.; ders., in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 114. 342 Heine, in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316. 343 Vgl. Heine, in: Einzelverantwortung und Mitverantwortung, S. 114 f.; dens., in: Verantwortung und Steuerung, S. 105. 7 Drope

2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

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schwere Körperverletzungen, Gemeingefahren und schwerwiegende Umweltschäden?44

II. Vorschläge zur Bestimmung des Sanktionsadressaten Wie bereits oben in der Einleitung 345 erwähnt, ist die Bezeichnung des Sanktionsadressaten in den verschiedenen Verbandsstrafenmodell eher uneinheitlich. Der wichtigste Unterschied in der Sache ist jedoch darin zu sehen, daß ein Teil der Verbandsstrafenbefürworter diese auf eine Strafbarkeit von juristischen Personen und anderen (teil-)rechtsfähigen Personenvereinigungen beschränken, während ein anderer Teil das "Unternehmen" als Adressat bestimmen möchte. Soweit dabei bewußt das "Unternehmen" als Subjekt des Verbandsstraftatbestandes vorgesehen wird, geschieht dies, um die verschiedenen möglichen Rechtsträger eines Unternehmens - natürliche Personen oder (teil-)rechtsfähige Personenverbände - nach "einheitlichen wirtschaftlich-funktionalen Merkmalen" zusammenfassen zu können.346 Von anderer Seite wird eine Erhebung des Unternehmens zum Rechtssubjekt trotz der darin für die Verbandsstrafenbegriindung gesehenen Vorteile - zum Beispiel für die Frage, ob nicht auch Delikte von allen Angestellten zugerechnet werden sollten - mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung letztendlich abgelehnt und nur die unternehmenstragende Rechtspersönlichkeit als Normadressatin vorgeschlagen. 347 Die vorliegende Arbeit wird sich im weiteren auf einen bestimmten Strafadressaten, nämlich auf Personenmehrheiten in Form der als Verband organisierten juristischen Person und die wenigstens teilrechtsfähigen Gebilde (Personenvereinigungen wie die handelsrechtliehen Personengesellschaften) beschränken. 348 Um das Verhältnis zwischen Verband und natürlichen Personen - gerade im Hinblick auf den Strafprozeß - besser zu verstehen, erscheint dies notwendig. Für diese überindividuellen Rechtsträger ist die Rechtsfähigkeit bereits geklärt, und zwar nicht nur für den zivilrechtlichen, sondern auch für den Grundrechtsbereich. Damit kann einerseits vermieden werden, daß die Verbandsstrafe in Wirklichkeit eine bloße Kollektivstrafe mehrerer lose verbundener Individuen darstellt. 349 Andererseits kann 344 345

Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316. Einleitung II. 1.

Vgl. Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 22. Vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 222 ff., Ergebnis S. 229; ähnlich auch Dannecker, GA 2001, 116: "Im Interesse der Rechtssicherheit" Beschränkung auf juristische Personen oder mindestens eine ihr "nahestehende rechtliche Organisationsform". 348 Vgl. dazu, daß die "Rechtstechnizität des Begriffs der juristischen Person" auch in anderen Bereichen als dem Zivilrecht Niederschlag finden sollte, für das Verfassungsrecht: Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 27; für die Sonderproblematik des in Insolvenz geratenen Unternehmens, die hier ausgespart werden soll, vgl. Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 21 f. , 231 ff., 246 ff., 260 ff. 349 Vgl. dazu bereits oben 2. Teil3. Abschnitt B. I. 3. 346 347

4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

99

man so die Schwierigkeit umgehen, eine eigene (Straf-)Rechtsfähigkeit von Unternehmen - in Abgrenzung zu ihren Trägem - zu begründen, während eine solche im Zivilrecht bislang nicht entwickelt worden ist. 111. Vorschläge zu den Sanktionsarten

Mit insoweit beachtlicher Kreativität, die zum Teil auch durch den Blick in das Ausland gesteigert wurde, haben sich die VerbandsstrafenbefürworteT daran gemacht, ganz unterschiedliche Sanktionen gegen Verbände vorzuschlagen.350 Nahezu durchgehend wird die (Verbands-)Geldstrafe genannt. 351 Daneben wird häufig der Gedanke geäußert, die Auflösung der Körperschaft als repressive Sanktion- und als ultima ratio -einzusetzen. 352 In eine ähnliche Richtung gehen Tätigkeitsbeschränkungen wie der Entzug einer Betriebserlaubnis, von Lizenzen und Konzessionen, oder auch die Stillegung einzelner Betriebe oder Betriebsteile? 53 Verbreitet werden Auflagen und Weisungen als Sanktionen vorgeschlagen354, und 350 Zum Teil wird die Wahl der Sanktionsart aber auch ausdrucklieh offengelassen, weil sie eine kriminalpolitische Entscheidung sei, vgl. Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 125. 351 Schon Hafter; Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 140, bezeichnete die Geldstrafe als "eigentliche(n) Typus" der Verbandsstrafe; vgl. ansonsten Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 147; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 247 ff.; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 216 ff.; Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 237; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. llO; Hetzer, wistra 1999, 366; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 27; ders., ZStW 107 (1995), 316; Lampe, ZStW 106 (1994), 733; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 212 f.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 53; Volk, JZ 1993, 434; für die Schweiz Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 393 ("Geldbuße", da in der Schweiz kein Unterschied zwischen beiden bestehe); ähnlich wohl Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 303 ("Vermögensstrafe); Dannecker, GA 2001, 125 ("Strafgeld"); ausdrucklieh gegen eine Geldstrafe soweit ersichtlich nur Alwart, ZStW 105 (1993), 770. 352 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personen verbände, S. 146; Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 237; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 111; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 27; Heine, in: Verantwortung und Steuerung, S. 104; für die Schweiz Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 397; dabei wird die Auflösung auch verbreitet als Unternehmens-"Todesstrafe" bezeichnet, vgl. Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 209; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 253; Hirsch, ZStW 107 (1995), 316, bzw. die "Betriebsschließung" als Parallele zur lebenslangen Freiheitsstrafe beschrieben: Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 302; Dannecker, GA 2001 , 126. 353 Sogenannte Unternehmens-"Freiheitsstrafe": Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 252 f.; Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 27; ders. , ZStW 107 (1995), 316; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 209; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 398; vgl. ansonsten auch Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 149 f. ("Suspension"); Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 111 ; Dannecker, GA 2001, 125 ("voriibergehende Betriebsschließung"). 354 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 250 ff.; Hirsch, ZStW 107 (1995), 316 (die beide Auflagen und Weisungen als "Bewährungsstrafe" einsetzen möchten); ähnlich auch

7*

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2. Teil: Die Diskussion über die Einführung einer Verbandsstrafe

es findet sich die Idee, als Strafe das Unternehmen unter Kuratel zu stellen bzw. einen Treuhänder einzusetzen355 . Nicht selten ist der Gedanke, die Verurteilung der gesamten356 oder zumindest der Verbandsöffentlichkeit357 gegenüber bekanntzumachen bzw. dem Unternehmen gegenüber eine entsprechende Auflage auszusprechen358. Daneben finden sich noch andere Vorschläge wie die sogenannte "equity fine" 359, die Einziehung360, die Hinterlegung einer Kaution im Sinne einer Bewährungsstrafe361 , die Vorteilsabschöpfung362 , die Zwangsverpachtung des Unternehmens363 sowie die Anordnung von Wiedergutmachungsleistungen 364 und von gemeinnütziger Arbeit365 .

Lampe, ZStW 106 (1994), 733: Pflicht zur Entlassung rechtsuntreuer Organe; ähnlich hierzu wiederum Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237; Dannecker, GA 2001, 128; einschränkend Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 407: nur als Nebenstrafe; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 303 (Pflicht zur Durchführung eines Umweltaudits). 355 Hafter, Delikts- und Strafflihigkeit der Personenverbände, S. 151 f.; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 111; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 211; Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 139 f. (wobei die Natur der Sanktion als Strafe oder Maßregel laut Begründung des Entwurfs des Arbeitskreises "Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit: Strafrecht" offenbleiben soll, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 175); Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 302; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 109; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 399 ff.; Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 237; Dannecker, GA 2001, 126 f. 356 Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 219 f.; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 401 ff.; Kühl, bei: Dietmeier, ZStW 112 (2000), 895; für öffentliche Bekanntmachung des Schuldspruchs als offensichtlich einzige Sanktion Alwart, ZStW 105 (1993), 770 f.; ablehnend gegenüber der Urteilsbekanntgabe Hirsch, ZStW 107 ( 1995), 316. 357 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 213 f. 358 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 251. 359 Das ist eine sogenannte Aktienverwässerung, bei der statt Bezahlung einer Geldstrafe neue Aktien emittiert und in einen Fond gegeben werden sollen, vgl. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 249 f. ; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 396 f. 360 Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 143 (als Nebenstrafe); Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 404 ff.; die von Hafter, a. a. 0., S. 152 ff. vorgeschlagene Entziehung von Privilegien und Ehrenrechten findet sich heute nicht mehr unter den Sanktionsvorschlägen. 361 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237. 362 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 237. 363 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 211 f. 364 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 303; Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 408. 365 Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 408.

4. Abschnitt: Vorgeschlagene Verbandsstrafenmodelle im Überblick

101

D. Zusammenfassung Die Befürworter einer Verbandsstrafe haben verschiedene Lösungen entwickelt, um die dogmatischen Bedenken hinsichtlich einer solchen Strafe zu entkräften. Aus den unterschiedlichen Ansätzen zur Begründung der Handlungs- und Schuldfähigkeit resultieren zwei Grundmodelle eines Verbandsstraftatbestandes. Dem akzessorischen Modell, bei dem die Strafbarkeit von der Straftat eines Einzeltäters abhängt, die dem Verband zugerechnet wird, steht das eigenständige oder originäre Modell gegenüber, das auf eine derartige Zurechnung verzichtet. Eine Entscheidung für das eine oder andere Modell erfolgt hier nicht. Vielmehr sind die unterschiedlichen Vorschläge bei der prozessualen Untersuchung zu berücksichtigen. Festzuhalten bleibt außerdem, daß für die Verbandsstrafe nach hier vertretener Auffassung Schuld notwendig ist. Weiterhin ergibt sich aus den Begründungen einer Verbandsstrafe, daß diese die juristische Person selbst treffen soll. Damit wird dem Verband eine "Strafrechtspersönlichkeit" verliehen. Eine Verbandsstrafe, die nicht "kaschierte Durchgriffshaftung" der Verbandsangehörigen sein soll, ist nur legitim, wenn die juristische Person als ein von den in ihr korparierten natürlichen Personen zu trennendes Strafrechtssubjekt angesehen wird.

3. Teil

Prozessuale Probleme 1. Abschnitt

Einleitung und Prämissen A. Einleitung Unabhängig davon, wie eine Verbandsstrafe dogmatisch begründet wird, ob sie auf einer Zurechnung von Handlung und Schuld oder auf einer originären "Verbandsschuld" beruhen sollte: immer stellt sich das Problem, daß in einem Strafverfahren nicht mehr (nur) das Individuum als Subjekt im Mittelpunkt des Geschehens stünde. Die Einführung einer Verbandsstrafe hätte zur Folge, daß nicht mehr nur Menschen Beschuldigte in einem Strafverfahren sein könnten, sondern auch juristische Personen. Denn Beschuldigter ist, gegen wen ein Strafprozeß stattfindet1, der Objekt - bzw. "Passivbeteiligter" 2 - staatlicher Strafverfolgung ist, der strafrechtlich verfolgt wird mit dem Ziel, seine Verurteilung zu erreichen und der sich gegen den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurf zu verteidigen hat, gegen den wegen Verdachts einer strafbaren Handlung Strafverfolgungsmaßnahmen durchgeführt werden 3 . Wenn juristische Personen selbst Adressatinnen von Straftatbeständen sind, trifft all dies auf sie zu. Daß sich damit Folgeprobleme verbinden, liegt auf der Hand. Das geltende Strafverfahrensrecht ist auf natürliche Personen als Beschuldigte zugeschnitten, sei es, daß strafprozessuale Garantien auf den Beschuldigten als natürliche Person ausgerichtet sind, sei es, daß bei der Durchführung des Verfahrens rein praktisch alles mit Blick auf den Menschen gestaltet ist. Es wird gegen einen Menschen ennittelt, der an der Hauptverhandlung teilnimmt und gegen den das Urteil vollstreckt wird. Die hier interessierenden prozessualen Konsequenzen der Einführung einer Verbandsstrafe ergeben sich, um es noch etwas genauer zu formulieren, aus folgendem: Zum einen ist zu überlegen, ob die Rechtsstellung des Beschuldigten sich deswegen ändert, weil nicht mehr ein Mensch mit seinen historisch gewachsenen I 2

3

Rogall, Der Beschuldigte, S. 21. So Peters, Strafprozeß, S. 203. Rogall, Der Beschuldigte, S. 22 f.; vgl. auch Ranft, Strafprozeßrecht, S. 61.

1. Abschnitt: Einleitung und Prämissen

103

und im Grundgesetz verankerten Rechten im Mittelpunkt steht, sondern eine juristische Person, deren Rechtsposition demgegenüber weniger umfassend ist. Zum anderen wird die Rechtslage dadurch kompliziert, daß nicht nur die juristische Person als anders geartetes Rechtssubjekt neu in das Strafverfahren eintritt, sondern daß ihr notwendig vorhandener Vertreter4 ebenfalls hinzukommt. 5 Es stellen sich daher im wesentlichen Fragen auf zwei Ebenen: Auf der einen Ebene ist zu untersuchen, wie sich die Rechtsstellung des Beschuldigten gestalten muß, wenn eine gänzlich andere Kategorie "Rechtsträger" diese Verfahrensposition einnimmt. Da es sich bei dem Beschuldigten um die "Zentralgestalt des Strafprozesses"6 handelt, ändert sich daher möglicherweise das Strafverfahren in seiner gesamten Gestalt. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß die Verfahrensstellung des Beschuldigten im Individualstrafverfahren gekennzeichnet ist durch seine Doppel7 - bzw. Dreifachrolle8 : Der Beschuldigte ist einerseits ein mit eigenen Verfahrensbefugnissen ausgestattetes "Prozeßsubjekt", andererseits aber auch "Objekt"9 des Verfahrens, als er Objekt von Zwangsmaßnahmen und außerdem Beweismittel in einem materiellen Sinn sein kann. 10 Die Untersuchung der Rechtsstellung der juristischen Person als Beschuldigte muß sich daher sowohl auf die Befugnisse als auch auf die Pflichtenstellung beziehen. Dies wird den umfangreichsten Teil der Arbeit darstellen, der sich mit den Fragen des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der "Einlassungsfreiheit" der juristischen Person, dem Recht auf Beistand eines Verteidigers, Belehrungspflichten gegenüber der juristischen Person, dem Umfang von Zwangsmaßnahmen und der Frage der Anwesenheitsrechte und -pflichten beschäftigen wird. Bevor auf die Frage der Rechte und Pflichten der beschuldigten juristischen Person einzugehen ist, wird nach Nennung einiger Prämissen für ein Strafverfahrensrecht und einem Überblick über mögliche Verfahrenskonstellationen nebst der Frage der Verbindung von Verfahren das wichtige Problem der Vertretung der juristischen Person anzusprechen sein. Die notwendige Beteiligung eines Vertreters betrifft die oben erwähnte zweite Ebene, auf der wesentliche Probleme des Verbandsstrafverfahrens anzusiedeln sein werden. Es stellt sich die Frage, welche Rolle der Vertreter haben soll, inwieweit er Rechte der juristischen Person ausüben kann und was passiert, wenn sich die Befugnisse von juristischer Person und Ver4 Dazu näher unten 3. Teil 2. Abschnitt C. s Ähnlich auch Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 189. 6 SK-StPO-Rogall, Vor § 133 Rn. 9. 7 So LR-Rieß, Ein!. Abschn. I Rn. 66; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1217. s Vgl. Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 171. 9 Kritisch zur Bezeichnung als ,.Objekt": Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1216; Peters, Strafprozeß, S. 203; dezidiert auch schon Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 98 Fn. 170; zustimmend Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 172 Fn. 7. 10 Vgl. nur Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 171 f. ; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1216; LR-Rieß , Ein!. Abschn. I Rn. 66; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 18 Rn. 1 und § 25 Rn. 1; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 59 ff., 62.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

treter überschneiden oder miteinander kollidieren. Problematisch ist auch, ob der Vertreter die juristische Person als Objekt von Zwangsmaßnahmen und als Beweismittel vertreten kann. Diese Fragen sollen im Zusammenhang mit der Rechts- und Pflichtenstellung der juristischen Person begutachtet werden, lediglich die Bestimmung der Verfahrensrolle des Vertreters wird bereits im Kapitel über die Vertretung 11 vorzunehmen sein. Im Anschluß an den Abschnitt über die Verfahrensstellung der juristischen Person und ihres Vertreters sollen hier noch zwei größere Probleme eines Strafverfahrens gegen Verbände erörtert werden, die sich beide teilweise auf der Schnittstelle zum materiellen Recht befinden. Zum einen wird es um Fragen der "Beweislasturnkehr" gehen, zum anderen um Aspekte gesellschaftsrechtlicher Veränderungen der verfolgten juristischen Person und deren Auswirkungen auf den Prozeß.

B. Prämissen für ein Verbandsstrafverfahrensrecht Mit der Einführung einer Verbandsstrafe können also für das Strafverfahrensrecht große Veränderungen verbunden sein. Es ist möglich, daß vieles in einer Strafprozeßordnung für Verbände 12 aus dem Grund, weil nicht mehr ein Mensch, sondern ein Verband im Mittelpunkt steht, geändert werden müßte. Um aber zu wissen, welchen Rahmen ein solches Verfahrensrecht haben sollte, müssen einige zugrunde zu legende Prämissen benannt werden. I. Geltendes Strafverfahrensrecht und rechtsgebietsübergreifende Verfahrensregeln als Ausgangspunkte

Wie zu Anfang dieser Arbeit 13 bereits erwähnt, ist Ausgangspunkt für die Untersuchung über die strafprozessualen Folgeprobleme einer Verbandsstrafe die grundsätzliche Anlehnung an bereits Bestehendes. Es steht wohl kaum im Interesse der Befürworter einer solchen Strafe, das komplette bekannte Strafverfahrensprogramm aufzugeben, sobald es um die strafrechtliche Verfolgung von juristischen Personen geht. Ebenso wie der Maßstab eines Verbandsstrafrechts das Individualstrafrecht ist, ist es sinnvoll, das geltende Individualstrafverfahrensrecht zum Anhaltspunkt für die Überlegungen zu einem Verbandsstrafverfahrensrecht zu machen. Dieser Grundsatz liegt der gesamten folgenden Untersuchung zugrunde. So läßt sich aus ihm bereits herleiten, daß beispielsweise der Ablauf des StrafverfahUnten 3. Teil2. Abschnitt C. II. 4. Wobei es gesetzestechnisch keinen Unterschied machen sollte, ob Änderungen und Modifizierungen in die geltende StPO mit eingearbeitet werden oder ob eine separate VerbandsStPO erlassen wird. 13 Einleitung I. II

12

I. Abschnitt: Einleitung und Prämissen

105

rens und seine Struktur in seinen wesentlichen Grundzügen sich nicht aus dem Grunde ändern sollten, weil Beschuldigter nunmehr eine juristische Person ist. Der Verfahrensablauf mit dem in Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren unterteilten Erkenntnisverfahren und dem anschließenden Vollstreckungsverfahren sollte auch im Verfahren gegen juristische Personen Anwendung finden. Soweit sich hingegen Zweifel an der Übertragbarkeit der Grundsätze und Einzelregelungen des Individualstrafverfahrens ergeben, wird hierauf das Augenmerk gerichtet werden, denn das ist ja gerade Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Nebenbei bemerkt wird es bei einer derart einschneidenden Neuregelung wie der Einführung einer Verbandsstrafe rechtstechnisch nicht angemessen sein, mit Analogien und "teleologischen Extensionen" zu arbeiten, wo sich die Vorschriften des Individualstrafverfahrens nicht ohne weiteres übertragen lassen. 14 Hier bietet es sich an, spezielle Regelungen in Anlehnung an das Bestehende zu schaffen. Angemerkt sei außerdem, daß ein weiterer Bezugspunkt für ein Strafverfahrensrecht für Verbände die anderen Prozeßrechte wie das Zivil- und das Verwaltungsprozeßrecht sein müssen. Auch wenn bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Prozeßordnungen bestehen 15 , so ergibt sich die Erheblichkeil der Regelungen jener Verfahren für ein Verbandsstrafverfahrensrecht aus folgender Überlegung: Weitaus mehr als das bisherige Strafverfahrensrecht 16 kennen die anderen Verfahrensordnungen Prozesse unter maßgeblicher Beteiligung von juristischen Personen. Soweit sich aus diesen Erfahrungen rechtsgebietsübergreifende Regelungen herausgebildet haben und zudem nicht die Besonderheiten des Strafrechts gegen eine im Sinne der Einheit der Rechtsordnung stehende Übernahme in das Strafverfahrensrecht sprechen, können und müssen diese Regelungen auch hier Geltung beanspruchen.

II. Ziel des Verbandsstrafverfahrens Der eben herausgestellte Grundsatz der Anlehnung an das geltende Individualstrafverfahren ist mit Blick auf das Ziel eines Strafverfahrens noch zu konkretisieren. Für das Individualstrafverfahren wird das Ziel des Strafverfahrens unterschiedlich bestimmt, wobei die Unterschiede vor allem im Hinblick auf die Akzentuierung einzelner Elemente bestehen. Teilweise wird der Schwerpunkt bei der Bestimmung des Verfahrensziels mehr auf die Verwirklichung des staatlichen Strafan14 So aber der Ansatz bei Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 141, 237, 241, zu § 55 StPO; näher dazu unten 3. Teil 3. Abschn. 8. li. 2.-4. 15 Vgl. zu den geringen Gewinnen einer "Allgemeinen Prozeßrechtslehre" aufgrundder eingeschränkten Vergleichbarkeit der einzelnen Yerfahrenstypen: Roxin, Strafverfahrensrecht, § I Rn. 10 ff. 16 Bei dem juristische Personen bislang nur als Einziehungsbeteiligte (§ 431 Abs. 3 StPO) oder im Rahmen der Festsetzung einer Geldbuße (§ 444 StPO) beteiligt sein können.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

spruchs bzw. die Durchsetzung des materiellen Strafrechts 17 gelegt; teilweise wird als Ziel die Schaffung oder (Wieder-)Herstellung von Rechtsfrieden 18 auf dem Wege des gewissenhaften Strebens nach Rechtsfrieden 19 bzw. unter Orientierung an Wahrheit, Gerechtigkeit und der Verwirklichung des materiellen Strafrechts20 oder auch an der Achtung der Menschenwürde21 genannt. Doch letztlich wird die Funktion des Strafverfahrens trotz dieser unterschiedlichen Akzente ganz überwiegend darin gesehen, daß es - zumindest auch- ein Mittel zur Schaffung von Rechtsfrieden ist22 , wobei als Teil der Befriedungsfunktion auch die Form der Herstellung von Rechtsfrieden, ihre Art und Weise genannt wird 23 . Hier soll die Formulierung zugrunde gelegt werden, daß Ziel des Strafverfahrens die materiell richtige, prozeßordnungsgemäß zustande gekommene und Rechtsfrieden schaffende Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten ist. 24 Betonung verdient dabei insbesondere die Wahrheitserforschung als unverzichtbare Voraussetzung für eine derartige Entscheidung. 25 Denn sowohl zur Überführung von Straftätern als auch zur Entlastung Unschuldiger bedarf es aus Gerechtigkeitsgründen der vollständigen Erforschung des Sachverhaltes.26 Diese Verfahrenszielbestimmung kann und muß auf das Strafverfahren gegen juristische Personen übertragen werden. Es kann nicht das Ziel der Einführung einer Verbandsstrafe sein, nicht auf die Wiederherstellung von Rechtsfrieden hinzuwirken. Das materielle Verbandsstrafrecht soll nach Vorstellung seiner Befürworter ja gerade wieder dort Rechtsfrieden schaffen, wo das Individualstrafrecht angeblich versagt. Entsprechend muß auch das Strafverfahren, indem es dieses materielle Verbandsstrafrecht zu verwirklichen sucht, auf die Herstellung von Rechtsfrieden ausgerichtet sein. Dies setzt aber beim Verbandsstrafverfahren ebenso wie beim n Vgl. die Nachweise bei LR-Rieß, Ein!. Abschn. B., Rn. 5 mit Fn. 10, und bei MüllerDietz, ZStW 93 (1981), 1204 Fn. 104 f.; vgl. Fezer; Strafprozeßrecht, Fall! Rn. 2. 18 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rn. 4 m. w. N.; LR-Rieß , Einl. Abschn. B. Rn.4m.w.N. 19 So Kleinknecht I Meyer-Goßner; StPO, Einl. Rn. 4 m. w. N. 20 LR-Rieß, Einl. Abschn. B. Rn. 4 m. w. N; ders., in: Festschrift für Schäfer, S. 170. 21 Schlüchter; in: Zur Theorie und Systematik, S. 216. 22 Schmidhäuser; in: Festschrift für Eberhard Schmidt, S. 511 ff.; Krey,; JA 1983, 358; Rieß, in: Festschrift für Schäfer, S. 168 ff., 170; Schlüchter; in: Zur Theorie und Systematik, S. 216; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 183 ff.; LR-Rieß, Einl. Abschn. B Rn. 4; Kleinknecht/ Meyer-Goßner; StPO, Ein[ Rn. 4; auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; KKStPO-Pfeiffer; Einleitung Rn. 2. 23 Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1205. 24 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; zustimmend KK-StPO-Pfeiffer; Einleitung Rn. 2. 25 Vgl. zum erheblichen Stellenwert der Wahrheitserforschung BVerfGE 57, 250, 275 (ohne die Ermittlung des wahren Sachverhaltes könne das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden); BVerfGE 63, 45, 61 (wahrer Sachverhalt als notwendige Grundlage eines gerechten Urteils); Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, § 244 Rn. 11; LR-Rieß, Einl. Abschn. G Rn. 42; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 20; Krey, JA 1983, 356 ff. 26 Günther; GA 1978, 200; vgl. auch Krey, JA 1983, 356.

I. Abschnitt: Einleitung und Prämissen

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geltenden Strafverfahren voraus, daß Wahrheit27 und Gerechtigkeit sowie Justizförmigkeit Orientierungspunkte bleiben. 111. Überblick über die übertragbaren Prozeßmaximen

Um zu umgrenzen, welchen Rahmen ein Verbandsstrafverfahrensrecht haben muß, bedarf es weiterhin eines Blickes auf diejenigen Prozeßmaximen, die auch in einem solchen Strafverfahren Geltung beanspruchen würden. Prozeßmaximen oder Prozeßgrundsätze sind von ihrer Zielsetzung her rechtspolitische Aussagen über den jeweils bevorzugten der unterschiedlichen denkbaren und rechtsgeschichtlich sowie rechtsvergleichend vorkommenden Wege zum VerfahrenszieL Aus diesem Grunde sind sie zwar nicht unverrückbar, sondern beschreiben nur die Leitgedanken, die nach der jeweils vorherrschenden Vorstellung der Rechtsgemeinschaft und des Gesetzgebers als am dienlichsten gelten, um das Verfahrensziel zu erreichen. 28 Für die Einführung eines Strafverfahrensrechts für juristische Personen läßt sich aus den im Individualstrafverfahren anerkannten Verfahrensgrundsätzen jedoch eine Richtungsweisung entnehmen. Auszugehen ist zunächst davon, daß die bisher gültigen Prozeßmaximen auch dann im Strafverfahrensrecht für Individuen gelten werden, wenn die Möglichkeit der Strafverfolgung von juristischen Personen hinzutritt. Das heißt, daß im Individualstrafverfahren weiterhin der Anklagegrundsatz, das Offizialprinzip, das Legalitätsprinzip, die Instruktionsmaxime, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der Grundsatz "in dubio pro reo", die Grundsätze der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit, der Öffentlichkeit und die Konzentrationsmaxime ebenso gelten werden wie die für das Strafverfahren wichtigen verfassungsrechtlichen Grundsätze wie derjenige des rechtlichen Gehörs, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Grundsatz des fairen Verfahrens und die sogenannte Waffengleichheit sowie die Fürsorgepflicht Inwieweit diese Prozeßmaximen auch in einem Verbandsstrafverfahren vorausgesetzt werden können, richtet sich nach folgenden Überlegungen: Die Prozeßmaximen gelten dann für juristische Personen, wenn ihre Existenz entweder für das Erreichen des oben näher benannten Verfahrensziels unerläßlich ist, sie Teil eines rechtsstaatliehen Verfahrens sind oder wenn sie einen Schutz bedeuten, der auch juristischen Personen in der Position des Beschuldigten zukommen muß. Dies läßt sich mit Blick auf diejenigen Verfahrensgrundsätze, die Voraussetzung für das Erreichen des Prozeßzieles sind oder die zum Rechtsstaatsprinzip zählen, damit begründen, daß kein Grund ersichtlich ist, solche Verfahrensgrundsätze, die vor allem den institutionellen Rahmen für die Durchführung eines Strafverfahrens abstecken, 27 Vgl. dazu z. B. auch Nijboer, in: Criminal Responsibility, S. 304: "Let us take for granted that the purpose of a criminal process is to establish the truth." 28 LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. I m. w. N.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

nicht auch ohne weiteres auf juristische Personen zu übertragen. Hinter derartigen Prozeßmaximen stehen Erwägungen, die nicht so sehr mit der Rechtsstellung des Beschuldigten in Zusammenhang stehen, sondern eher objektiv-rechtlicher Art sind. 1. Anklagegrundsatz, Offizial- und Legalitätsprinzip

Zu dieser Art von Prozeßgrundsätzen zählen der Anklagegrundsatz, das Offizialund das Legalitätsprinzip. Der Anklagegrundsatz, der besagt, daß zur Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung die Erhebung einer Klage erforderlich ist und das gerichtliche Verfahren nicht von Amts wegen beginne9 , erklärt sich historisch als Abkehr vom gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß. 30 Geht man davon aus, daß vor allem die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters und daraus folgend an der Möglichkeit der Wahrheitsermittlung der Grund für die Trennung von verfolgender und richterlicher Tätigkeit waren 31 , so muß ein Anklagegrundsatz, der demnach der Ermittlung der Wahrheit dient, auch im Verfahren gegen juristische Personen gelten. Das Offizialprinzip, wonach die Verfolgung und Ahndung strafbaren Handeins den staatlichen Organen und nicht dem von der Straftat Verletzten obliegt32 , erklärt sich ebenfalls aus einem historischen Wandel, und zwar aus dem vom germanischen Rechtsdenken mit seinem Fehderecht zum neuzeitlichen Inquisitionsprozeß. 33 Es gibt keinen Anlaß, nur deswegen von diesen Grundsatz abzugehen, weil der Beschuldigte in einem Verbandsstrafverfahren nicht ein Mensch ist. Zwingende Folge ist dann auch die Anwendung des Legalitätsprinzips in einem Strafverfahrensrecht für juristische Personen. Dieses Prinzip ist eine notwendige Ergänzung zum Offizialprinzip, denn wenn dem Staat allein die Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs zusteht, dann muß er auch gegen jeden Verdächtigen grundsätzlich gleichermaßen vorgehen; damit wird der Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG 34 gewahrt. 35 Dazu läßt sich die Geltung für juristische Personen damit begründen, daß das Legalitätsprinzip als vom Rechtsstaatsprinzip umfaßt 36 und damit als objektives Verfassungsprinzip angesehen wird. Ob und inwieweit Durchbrechungen des Legalitätsprinzips in Form von EinVgl. nur Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 18; LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 10. LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 11. 31 Vgl. hierzu Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 347m. w. N. 32 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 355; LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 15. 33 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 355. 34 Der Gleichheitssatz gilt auch für juristische Personen, BVerfGE 4, 7, 12; 19, 206, 215; 23, 153, 163; 41, 126, 149. 35 Fezer, Strafprozeßrecht, Fall I Rn. 23; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 17; vgl. zum Legalitätsprinzip als Ausdruck des Gleichheitsgrundsatzes auch BVerfGE 20, 162, 222; 46, 214, 223;49,24,54;51,324,343. 36 BVerfGE 46, 214, 223; 49, 24, 54; 51, 324, 343. 29

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1. Abschnitt: Einleitung und Prämissen

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stellungsmöglichkeiten entsprechend §§ 153 ff. StPO zulässig sein sollten, ist eine andere, hier nicht zu erörternde Frage, die an der Geltung des Grundsatzes nichts ändert. 2. Öffentlichkeits-, Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsgrundsatz sowie Konzentrationsmaxime

Ähnliches wie eben gilt für die Grundsätze für die Hauptverhandlung, d. h. für die Grundsätze der Öffentlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeil sowie für die Konzentrationsmaxime. 37 Die Verfahrensöffentlichkeit, die im übrigen auch in anderen Verfahren- wie dem Zivilverfahren- gilt, in denen schon heute juristische Personen beteiligt sein können, dient vor allem Zwecken, die mit dem Angeklagten nur mittelbar etwas zu tun haben; vielmehr geht es darum, daß das Volk Kontrolle über die Rechtspflege erhält38 , daß ein allgemeines Vertrauen in die Rechtsprechung der Gerichte geschaffen wird39 . Diese Ziele bestehen in ebenso großem Maße, wenn nicht natürliche, sondern juristische Personen angeklagt sind, was sich auch aus dem Vergleich mit den erwähnten anderen Verfahrensordnungen ergibt. 40 Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, wonach das Gericht sich - zum einen durch seine ununterbrochene Anwesenheit, zum anderen dadurch, daß nach Möglichkeit das tatnächste Beweismittel Verwendung findet - einen möglichst direkten, unvermittelten Eindruck vom Tatgeschehen zu verschaffen hat41 , hat wiederum seinen Bezugspunkt darin, daß nach Ansicht der Reformer des 19. Jahrhunderts dieser Grundsatz - und der der Mündlichkeil - die größte Sicherheit dafür gewährt, daß der Richter ein gerechtes Urteil fällt. 42 Diese Erwägungen müssen in gleichem Maße gelten, wenn der Beschuldigte eine juristische Person ist, denn stets geht es um den bestmöglichen Eindruck vom Tatgeschehen, der sodann der Urteilsfindung zugrunde gelegt wird. Der Grundsatz der Mündlichkeil besagt, daß nur dasjenige Beweismaterial der Urteilsfindung zugrunde gelegt werden darf, das mündlich in die Hauptverhand37 Für deren Anwendung im Verbandsstrafverfahren auch Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 166 f., 182 ff. 38 Vgl. (zu Art. 6 MRK) LR-Gollwitzer, MRK Art. 6 Rn. 86. 39 ROSt 70, 109, 112; Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 324; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 401. 40 Als mögliche Durchbrechung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist gerade im Hinblick auf Unternehmensstraftaten an § 172 Nr. 2 GVG (Ausschluß der Öffentlichkeit bei Gefahr der Verletzung von Geschäfts- und ähnlichen Geheimnissen) zu denken; näher hierzu Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 184 ff. 41 Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 24. 42 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 428 (unter Hinweis auf K. J. A. Mittermaier, Archiv des Krim.-Rechts 1842, S. 442).

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Jung eingeführt worden ist. 43 Die Funktion dieses Grundsatzes läßt sich zum einen darin sehen, daß er notwendige Voraussetzung für ein sinnvolles Funktionieren der Öffentlichkeitsmaxime ist44 ; zum anderen gewährleistet er, daß alle Beteiligten wissen, was Gegenstand der Entscheidung des Gerichts sein wird, so daß sie ihre Anträge und Vorträge darauf einstellen können45 . Was den Bezug des Mündlichkeitsprinzips zum Öffentlichkeitsgrundsatz angeht, so folgt aus oben Gesagtem bereits, daß auch die Mündlichkeitsmaxime in einem Verfahren gegen juristische Personen so weit wie möglich gelten muß. Geht man dazu an dieser Stelle bereits davon aus, daß juristische Personen gewisse Mitwirkungsrechte im Verfahren haben46, so stellt sich das Mündlichkeitsprinzip außerdem entsprechend seiner zuletzt genannten Funktion als diese Rechte flankierende Verfahrensgestaltung dar: Nur wenn der Beschuldigte- hier die juristische Person - aufgrund der mündlichen Verhandlung weiß, was überhaupt nur Urteilsgrundlage sein kann, kann er entsprechend reagieren. Schließlich bestehen auch im Hinblick auf eine Geltung der Konzentrationsmaxime in einem Verbandsstrafverfahrensrecht keine Bedenken. Unter "Konzentrationsmaxime" ist das Bestreben zu verstehen, die Hauptverhandlung in möglichst konzentrierter Form durchzuführen, um so dem Angeklagten dazu zu verhelfen, daß er die gesamte Angelegenheit möglichst schnell hinter sich bringt, zudem, um dem generalpräventiven Ziel der schnellstmöglichen Ahndung einer Straftat gerecht zu werden, und schließlich, um der Wahrheitstindung zu dienen, da bei überlanger Verfahrensdauer das Gericht Gefahr läuft, den Inhalt der Hauptverhandlung aus dem Gedächtnis zu verlieren.47 Auch ohne zu entscheiden, ob bei juristischen Personen das Interesse an einer möglichst schnellen Durchführung ähnlich schutzwürdig ist wie bei Menschen, läßt sich hinsichtlich der beiden anderen genannten Funktionen der Konzentrationsmaxime mit ihren vornehmlich objektiven Bezugspunkten eine Geltung im Verbandsstrafverfahren bejahen.48 3. Grundsätze über den strafverfahrensrechtlichen Beweis

Weitere Prozeßmaximen des Individualstrafverfahrens sind die Grundsätze über den strafverfahrensrechtlichen Beweis, nämlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der Grundsatz "in du bio pro reo" und die Instruktionsmaxime. 43 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rn. 7 m . w. N.; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 14 Rn. 3. 44 LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 54; KK-StPO-Pfeif.fer, Einl. Rn. 8. 45 KK-StPO-Pfeif.fe r, Einl. Rn. 8.

Dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt A. bis C. Vgl. Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, S . .142. 48 Hinsichtlich weiterer Auswirkungen der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime, insbesondere auf die Ausgestaltung des Unternehmensstrafverfahrens als vereinfachtes Strafverfahren sei auf Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 167 ff., verwiesen; zum Teilaspekt der Verbindung von Verfahren vgl. hier unter 3. Teil 2. Abschnitt B. 46

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1. Abschnitt: Einleitung und Prämissen

111

An dieser Stelle soll nur die Übertragbarkeit des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in aller Kürze bejaht werden. Diese Maxime, wonach der Richter grundsätzlich an keine Vorschriften darüber gebunden ist, unter welchen Voraussetzungen er eine Tatsache für bewiesen halten muß oder d~9 , hat ihre historische Bedeutung in der Abkehr von Beweisregeln, wie sie im Inquisitionsprozeß vorherrschten.50 Diese wurden als psychologisch unhaltbar angesehen.51 Hinter der Entscheidung, von ihnen abzugehen, stand die Überlegung, daß beispielsweise der Eindruck von der Persönlichkeit des Aussagenden und die Einmaligkeit der jeweiligen Fallumstände besser berücksichtigt werden können als bei der schematisierenden Bindung an sie.5 2 Denn in den formellen Beweisregeln "spiegelt sich ... der unermeßliche Reichtum des Lebens nicht hinreichend wider" 5 3 . Besieht man sich diese Argumente für die freie richterliche Beweiswürdigung, so ist nicht ersichtlich, warum in einem Verbandsstrafverfahren eine andere Form der Beweiswürdigung gelten sollte. Der Zuschnitt auf den Einzelfall, der durch die Freiheit der Beweiswürdigung gewährleistet wird, ist genauso wichtig, wenn der Beschuldigte eine juristische Person ist, zumindest dann, wenn die Ermittlung der Wahrheit eine notwendige Etappe auf dem Weg zum Ziel des Strafverfahrens sein soll. Größere Probleme bereitet es hingegen, die Geltung des Grundsatzes "in dubio pro reo" und der Instruktionsmaxime zu untersuchen, insbesondere, weil bei diesen Maximen hinzukommt, daß ihre Geltung von einigen Befürwortem einer Verbandsstrafe bereits in Frage gestellt worden ist. Inwieweit diese Grundsätze auch in einem Strafverfahren gegen juristische Personen gelten müssen, soll daher in einem eigenen Abschnitt54 unter dem Fragenkomplex, ob es eine andere Verteilung der "Beweislast" im Strafverfahren gegen Verbände geben darf, eingehend erörtert werden.

4. Verfassungsrechtliche Grundsätze

Was schließlich die Grundsätze angeht, die sich aus der Verfassung ergeben, so sei hier soviel gesagt: Ohne weiteres gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Teil des Rechtsstaatsprinzip in einem Strafverfahrensrecht für juristische Personen. Mehr Begründungsaufwand erfordern hingegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs, des fairen Verfahrens, der Waffengleichheit und der Fürsorgepflicht Diese Grundsätze haben einen stärkeren Bezug zur Rechtsstellung des Beschuldigten Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 22. Fezer, StV 1995, 95; ders., Strafprozeßrecht, Fall 17 Rn. 2 1; LR-Rieß , Einl. Abschn. H Rn. 41; ausführlich zum historischen Zusammenhang, insbesondere zur sogenannten Schwurgerichtsbewegung: Küper, in: Festgabe für Karl Peters, S. 25 ff. 51 Vgl. Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 458. 52 Vgl. Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 348. 53 SK-StPO-Schlüchter, § 261 Rn. 57. 54 S. unten 3. Teil4. Abschnitt. 49

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3. Teil: Prozessuale Probleme

und sollen daher im Rahmen des Abschnitts, der sich mit den Rechten und Pflichten des Beschuldigten beschäftigt55 , näher untersucht werden. IV. Zusammenfassung

Ein am geltenden Strafverfahrensrecht auszurichtendes Verbandsstrafverfahrensrecht muß eine materiell richtige, prozeßordnungsgemäß zustande gekommene und Rechtsfrieden schaffende Entscheidung zum Ziel haben. Um dieses Ziel zu erreichen, sind zunächst die Prozeßmaximen zugrunde zu legen, die vor allem den objektiv-rechtlichen Rahmen für das Strafverfahren bilden. Das sind das Anklage-, Offizial-, Legalitäts-, Öffentlichkeits-, Unmittelbarkeits- und das Mündlichkeitsprinzip, die Konzentrationsmaxime sowie der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Auf die Geltung der übrigen Verfahrensgrundsätze wird später zurückzukommen sein. 2. Abschnitt

Organisatorische Probleme In diesem Abschnitt ist zunächst auf drei im weiteren Sinne organisatorische Probleme einzugehen, die sich bei Einführung einer Verbandsstrafe für das Strafverfahren ergäben. Es geht hier wiederum um Rahmenbedingungen, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung von Verband und Individuum haben können und deshalb im Vorfeld geklärt werden müssen. Bevor die ganz wesentliche Fragestellung der Vertretung der juristischen Person im Prozeß behandelt wird, ist zunächst ein Blick darauf zu werfen, welche Verfahrenskonstellationen aus dem resultieren können, was sich die Verbandsstrafenbefürworter für die alternative oder kumulative Strafbarkeit von Verband und Individuum vorstellen. Denn daraus ergeben sich für Fragen zum Beispiel der Rollenverteilung, Interessenkonflikte und Ausübung der Rechte durch den Vertreter unterschiedliche Vorbedingungen. Weiterhin ist vor der Frage der Vertretung das Problem zu behandeln, inwieweit sich die Verbindung von Verfahren gegen die juristische Person und den Individualtäter anbieten. Diese Frage kann nach dem oben Ausgeführten dann auftauchen, wenn man die kumulative Bestrafung von Verband und Einzeltäter in Betracht zieht. Wichtig ist diese Frage im Zusammenhang damit, ob auch der Individualtäter die juristische Person im Prozeß vertreten können soll, im Zusammenhang mit der Reichweite eines möglicherweise bestehenden "Schweigerechts" des Verbandes und auch damit, ob eine gemeinsame Verteidigung von juristischer Person und Individualtäter möglich sein soll. 55 Vgl. unten 3. Teil 3. Abschnitt, insbesondere A. (zum rechtlichen Gehör), C. (zum fairen Verfahren), D. (zur Fürsorgepflicht).

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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A. Folgerungen aus den Vorschlägen für das Verhältnis von Verbands- und Individualstraftat für mögliche Verfahrenskonstellationen Die denkbaren Verfahrenskonstellationen - "isolierte", d. h. vom Verfahren gegen Individuen völlig unabhängige Verbandsstrafverfahren einerseits und "gleichzeitige", d. h. parallele oder verbundene Verfahren gegen Verband und Einzelperson andererseits - hängen davon ab, wie das Verhältnis von Verbands- und Individualstrafbarkeit konzipiert ist. Hier sollen daher die verfahrenstechnischen Konsequenzen der jeweiligen Verbandsstrafenkonzeptionen im Überblick erarbeitet werden. Wie gesehen 56, sind im Verhältnis von Verbands- zu Individualstrafbarkeit nach den vorgestellten Modellen zwei grundsätzliche Richtungen denkbar, nämlich eine alternative und eine kumulative strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuum und Kollektiv. Unter dem Oberbegriff der kumulativen Strafbarkeit lassen sich wie dargestellt zwei Haftungsmodelle fassen, zum einen die akzessorische Verantwortlichkeit, bei der die Strafbarkeit des Verbandes von einer Individualtat abhängt; zum anderen die "eigenständige" oder "originäre" Haftung des Verbandes, bei der eine Bezugstat im Sinne einer Individualtat nicht erforderlich sein soll. Die nur alternative strafrechtliche Verantwortlichkeit wird als Folge einer subsidiären Strafhaftung vorgeschlagen. Aus den dargestellten Verbandsstrafenmodellen und dem jeweils vorgeschlagenen Verhältnis zwischen Individual- und Verbandsstrafbarkeit lassen sich die zwei Grundrichtungen für mögliche Strafverfahrenskonstellationen wie folgt ableiten.

I. "Isoliertes" Verfahren gegen den Verband Die Situation, daß insgesamt nur ein Strafverfahren gegen den Verband selbst, nicht aber gegen irgendeine Einzelperson geführt wird, ist nach dem subsidiären Verbandsstrafenmodell der Regelfall, kann jedoch auch bei Zugrundelegung des akzessorischen Modells und bei einer "eigenständigen" Verbandsstrafenbegründung, bei der die kumulative Bestrafung von Verband und Individuum grundsätzlich für möglich gehalten wird, eintreten. 1. Subsidiäre Strafbarkeit des Verbandes

Die von Alwart57 vorgeschlagene subsidiäre Verbandsstrafbarkeit beruht - wie dargestellt58 -gerade auf der Idee, daß nicht nebeneinander Individuum und Unter56 57

Oben 2. Teil 4. Abschnitt B. ZStW 105 (1993), 766 ff.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

nehmen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, sondern eine Unternehmensstrafbarkeit das Fehlen der Individualstrafbarkeit voraussetzt. Wenn es nach diesem Modell zu einem Strafverfahren gegen das Unternehmen käme, wäre ein gleichzeitiges Verfahren gegen einen Einzeltäter jedenfalls in der Regel ausgeschlossen und damit nur ein "isoliertes" Verfahrens gegen den Verband möglich. Unabhängig davon, ob das Nichtvorliegen der Individualstraftat als Prozeß- oder m. E. richtigerweise als Strafbarkeitsvoraussetzung 59 zu verstehen ist, läßt sich jedenfalls eine gemeinsame Hauptverhandlung wegen des sowohl beim Individuum als auch beim Unternehmen erforderlichen hinreichenden Tatverdachts nicht vorstellen: Solange die Verurteilung des Individuums zu erwarten ist, kann nicht auch die subsidiäre Strafbarkeit des Verbandes für ausreichend wahrscheinlich gehalten werden. Beim Ermittlungsverfahren mag das zunächst wegen der jeweils geringeren Verdachtsstufe anders aussehen, denn Anhaltspunkte sowohl für eine Tat eines Einzeltäters als auch des Unternehmens können nebeneinander bestehen, solange die Straftat des einzelnen nicht sicher vorliegt bzw. sicher ausgeschlossen ist. 60 2. "Isoliertes" Verfahren trotz grundsätzlich möglicher kumulativer Strafbarkeit

a) Akzessorische Verantwortlichkeit und mangelnde Verfolgbarkeif des Individualtäters

Nach der Verbandsstrafenbegriindung, wonach die Strafbarkeit des Unternehmens bzw. der Personenvereinigung von der Straftat eines Einzeltäters abhängt, ist ein isoliertes Verfahren gegen den Verband der Ausnahmefall, der dann eintritt, wenn das Vorliegen einer Einzeltat zwar festzustellen ist, der Einzeltäter aber nicht identifizierbar oder nicht verfolgbar ist. Die meisten Vertreter der akzessorischen Verbandsstrafenbegriindung halten eine Strafverfolgung des Unternehmens auch in solchen Fällen für möglich und wünschenswert. 61

Oben 2. Teil4. Abschnitt B. II. Als Prozeßvoraussetzung - so Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S . 96, 173 - ist diese Voraussetzung jedenfalls bei Alwart, ZStW 105 (1993), 771, nicht gedacht, sonst würde dieser nicht den Begriff "Haftungsvoraussetzungen" verwenden. 60 Ähnlich auch Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 173, der aber nicht davon ausgeht, daß der "maßgebliche strafrechtliche Vorwurf' gegenüber dem Unternehmen nach dem subsidiären Modell nur dann bestehen soll, wenn eine Individualstraftat nicht vorliegt. 61 Rotberg, 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 207 f. ; Ackennann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 240 f.; Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 16; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 243; ausdrücklich für die Möglichkeit eines selbständigen Verfahrens wie bei § 30 Abs. 4 OWiG auch Hirsch, ZStW 107 (1995), 319 f. 58

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2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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b) "Konkurrierende" eigenständige bzw. originäre Strajbarkeitsbegründung und Fehlen einer gleichzeitig vorliegenden Individualtat

Für diejenigen Verbandsstrafenbefürworter, welche die Straftat eines Einzeltäters zwar für unschädlich, aber nicht für notwendig für eine Unternehmensstrafe halten, ist die isolierte Verbandsstrafe und damit ein isoliertes Verfahren gegen die Personenvereinigung als "Grundfall" anzusehen. Diese Konstellation tritt ein, wenn nicht gleichzeitig neben der "Straftat" des Verbandes eine Straftat eines Individuums vorliegt, was aufgrund der Begründung der Strafbarkeit ohne Anknüpfung an eine Individualtat durchaus als der Regelfall vorstellbar ist.

II. Parallele oder verbundene Verfahren gegen Verband und Individualtäter Nebeneinander durchgeführte oder gar verbundene Strafverfahren gegen Verband und Individuum sind bei einer subsidiären Verbandsstrafbarkeit, wie dargestellt, in aller Regel nicht vorstellbar. Auf Grundlage der anderen Verbandsstrafenmodelle kann das Zusammentreffen von Verfahren gegen Verband und Einzelmensch wie folgt begründet werden: 1. Grundfall bei akzessorischer Strafbarkeit

Bei einer akzessorischen Verbandsstrafbarkeit mit der Möglichkeit kumulativer strafrechtlicher Verantwortlichkeit würde es den Grundfall darstellen, daß neben oder verbunden mit dem Verfahren gegen den Verband ein Verfahren gegen den Einzeltäter durchgeführt wird, dessen Straftat die Strafbarkeit der juristischen Person ausgelöst hat. 2. "Konkurrierende" eigenständige bzw. originäre Strafbarkeilsbegründung und gleichzeitig vorliegende Individualtat

Die meisten Verbandsstrafenbefürworter, die auf eine Anknüpfungstat eines Individuums verzichten und die Strafbarkeit des Unternehmens insofern eigenständig begründen, schließen - wie gesehen - eine gleichzeitige Strafverfolgung eines Individualtäters nicht aus. Wenn sich dann der äußere Anknüpfungspunkt der Verbandsstrafbarkeit - sei es eine Gefährdung, sei es ein Schaden - auf individuelles Versagen und nicht nur auf das "Organisationsverschulden" oder die "Betriebsführungsschuld" zurückführen läßt, können sich anläßlich desselben äußeren Sachverhalts sowohl das Unternehmen als auch das Individuum strafbar machen. 62 In ei62

8*

Vgl. hierzu Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

nem solchen Fall sind daher parallele oder möglicherweise verbundene Verfahren gegen Individuum und Verband vorstellbar. III. Fazit

Bei der subsidiären Strafbarkeit sind jedenfalls für das Hauptverfahren nur "isolierte" Verfahren gegen die juristische Person denkbar. Da daher nur das akzessorische Verbandsstrafenmodell und ein die Individualstrafbarkeit nicht ausschließendes eigenständiges bzw. originäres Strafbarkeitsmodell die Möglichkeiten nicht nur für ein "isoliertes" Verfahren gegen den Verband, sondern auch für parallele oder verbundene Verfahren gegen Verband und Individuum schaffen, sind für die folgende Frage der Verbindung der Verfahren nur diese beiden Strafbarkeitsmodelle interessant.

B. Verbindung der Verfahren gegen Verband und Individuum Soweit sich die Befürworter der Verbandsstrafe Gedanken um deren prozessuale Folgen gemacht haben und dabei auf die Frage der Verbindung der Verfahren gegen den Verband und gegen einen Individualtäter eingegangen sind, befürworten sie - dann meist63 auf Grundlage eines akzessorischen Modells - eine derartige Verfahrensverbindung. 64 Ob dem zuzustimmen ist, kann nur mithilfe eines Blicks auf das Individualstrafverfahren ermittelt werden, in dem die Verfahrensverbindung sowohl in Form der zuständigkeitsverändernden Verbindung (§§ 2 ff. StPO) als auch zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung bei zusammenhängenden Taten, die bei demselben Gericht anhängig sind(§ 237 StPO), vorgesehen ist. Für beide Arten der Verbindung sprechen prozeßökonomische Gründe. 65 Für die Verbindung nach § 2 StPO wird 63 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 304 f., als Vertreter der eigenständigen Verbandsstrafenbegründung spricht sich zwar für eine "seperate verfahrensrechtliche Spur" für den Bereich der Verbandskriminalität aus, doch ergibt sich aus dem Hinweis auf die Rechtslage im früheren Jugoslawien, daß damit jedenfalls nicht eine strikte Trennung zwischen dem Strafverfahren gegen das Individuum und dem gegen den Verband gemeint sein kann. Dort geht es offensichtlich nur um eine sachliche Abtrennung des "Rechts über Wirtschaftsvergehen", im Rahmen dessen aber auch die natürliche Person "haftbar" gemacht wird, vgl. den bei Heine zitierten Stojanovic, in: Umweltstrafrecht in osteuropäischen Ländern, S. 145 f. 64 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 227; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 127; vgl. auch Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 135 ff.; zum US-amerikanischen Recht Coffee, in: Encyclopaedia of Crime and Justice, S. 261; im englischen Recht ist die Möglichkeit der Verfahrensverbindung unter bestimmten Voraussetzungen gegeben, die sich auf die Unterscheidung von summarischem und Anklageverfahren beziehen, vgl. Leigh, Criminal Liability, S. 65.

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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im besonderen vorgebracht, daß sie der einheitlichen und umfassenden Beurteilung eines Sachverhaltes und damit der Sicherung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege diene.66 Ein Unterschied zwischen den beiden Verbindungsformen ist in ihren Voraussetzungen zu sehen. Wahrend bei der zuständigkeitsverändernden Verbindung ein Zusammenhang im Sinne des § 3 StPO vorliegen muß, reicht für die Verbindung gemäß § 237 StPO ein nicht so enger Zusammenhang, wenn die Verbindung nur irgendwie zweckmäßig erscheint67 . In beiden Fällen steht die Verbindung im freien Ermessen des Gerichts. 68 Geht man hiervon aus, so spräche für die grundsätzliche Möglichkeit einer Verbindung der Verfahren gegen juristische Person und Individualtäter ebenfalls die mögliche Ersparnis von Doppelarbeit und überhaupt der Gesichtspunkt der Prozeßökonomie sowie die Förderung der Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens. Aus der im Individualstrafverfahrensrecht vorgenommenen näheren Umgrenzung des "Zusammenhangs" von Straftaten ergeben sich weitere Anhaltspunkte, in welchen Konstellationen bei mehreren Beschuldigten sich die Verbindung zur Verfolgung dieser Zwecke anbietet: Nach den engeren Voraussetzungen des § 3 StPO ist für eine zuständigkeitsverändernde Verbindung für einen- hier nur interessierenden 69 - sachlichen Zusammenhang notwendig, daß mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden. Dabei umfaßt der Begriff des Täters auch den Mittäter, den Nebentäter70 und mehrere Täter, die zu demselben rechtswidrigen Erfolg durch ihre Fahrlässigkeit beigetragen haben71 . Insgesamt läßt sich sagen, daß es für den Zusammenhang nach dieser Vorschrift genügt, wenn mehrere Personen in strafbarer und in dieselbe Richtung zielender Weise an einem geschichtlichen Vorgang mitgewirkt haben. 72 Noch weiter ist, wie bereits angedeutet, der Begriff des Zusammenhangs in § 237 StPO. So reicht es aus, wenn die Beweismittel oder die zu klärenden tatsächlichen Ereignisse oder die zu entscheidenden Rechtsfragen die Taten gleichermaßen betreffen und die gleichzeitige Verhandlung daher zweckmäßig erscheinen lassen. 73 65 Vgl. KK-StPO-Pfeiffer, § 2 Rn. I, 3 (prozeßökonomische Vorteile) und § 237 Rn. I (prozeßtechnische Erleichterung); Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 2 Rn. 2 (Ersparung von Doppelarbeit) und § 237 Rn. 1 (Verfahrensvereinfachung); LR-Wendisch, § 2 Rn. 19 (Ersparen von Doppelarbeit) und LR-Gollwitzer, § 237 Rn. 5 (prozeßtechnische Erleichterung). 66 BVerfGE 45, 354, 359; Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 2 Rn. 2; KK-StPO-Pfeiffer, § 2 Rn. 1, 3; LR-Wendisch, § 2 Rn. 19. 67 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 237 Rn. 6. 68 Zu den Vor- und Nachteilen einer Verbindung gemäß § 2 StPO vgl. KK-StPO-Pfeiffer § 2 Rn. 3. 69 Vgl. auch Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 170: Ein persönlicher Zusammenhang sei nicht anzunehmen, weil unterschiedliche Rechtsgüter betroffen sind. 70 KK-StPO-Pfeiffer, § 3 Rn. 3; LR-Wendisch, § 3 Rn. 6; vgl. schon RGSt 34, 255, 258; 43, 293, 296. 71 LR-Wendisch, § 3 Rn. 6. n LR-Wendisch, § 3 Rn. 6.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Vergleicht man diese Vorgaben mit den Vorschlägen für ein Verbandsstrafrecht, so eignet sich zur Vermeidung von Doppelarbeit und zum Zwecke einer einheitlichen Beurteilung die Verfahrensverbindung auf jeden Fall dann, wenn ein akzessorisches Modell der Verbandsstrafbarkeit zugrunde gelegt wird. Zwar gibt es, wie gesehen74 , kaum Vorgaben der Verbandsstrafenbefürworter dazu, ob das Verhältnis zwischen Einzeltäter und Verband als ein Beteiligungsverhältnis angesehen werden kann. Der Sache nach liegt hier aber eine vergleichbare sachliche Verknüpfung vor wie bei den von § 3 StPO umfaßten Taten, so daß sich eine Verbindung der Verfahren anbietet: Da die "Anknüpfungstat" des Einzeltäters die Grundlage für die Bestrafung des Verbandes bildet, geht es hier bei beiden Taten um denselben äußeren Sachverhalt, nämlich das Verhalten des Individualtäters, das einen Straftatbestand erfüllt. Zwar mag sich die "innere" Verknüpfung mit diesem äußeren Geschehen bei Individuum und Verband unterscheiden, vor allem wenn man auch eine eigene Schuld des Verbandes - z. B. in Form von organisatorischen Fehlleistungen und Versäumnissen 75 - verlangt. Das ist aber auch bei mehreren an einer Tat beteiligten natürlichen Personen der Fall (vgl. § 29 StGB). Ausschlaggebend ist demgegenüber, daß die Untersuchung der "Anknüpfungstat" in einem einheitlichen Verfahren nicht nur Doppelarbeit bei der Beweisaufnahme und Beurteilung erspart, sondern so zudem die Gefahr widerspriichlicher Entscheidungen bei einer Verbindung wirksam unterbunden werden kann. 76 Sofern für Fragen der Strafzumessung eine Abhängigkeit von Individual- und Verbandsschuld angenommen wird, spricht dies zusätzlich für die Möglichkeit der Verfahrensverbindung.77 Auch bei der nichtakzessorischen Verbandsstrafenbegriindung, bei der neben der Verbandstat unter Umständen auch eine Individualtat vorliegen kann, spricht nichts Grundsätzliches gegen die Möglichkeit der Verfahrensverbindung. 78 Denn auch hier geht es, wenn ein Nebeneinander von Individual- und Verbandsstrafbarkeit besteht, jedenfalls um denselben Anlaß der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Form eines Schadens an Rechtsgütern79 und somit um denselben äußeren SachverLR-Gollwitzer. § 237 Rn. 3 m. w. N. in Fn. 8; Fezer. Strafverfahrensrecht, Fall 9 Rn. 56. S. oben 2. Teil4. Abschnitt B. I. l. 75 Vgl. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 192 ff., 194, die diese Schuld des Verbandes als Zurechnungsgrund für die Zurechnung der Organtat bezeichnet und lediglich bei der Strafzumessung berücksichtigen möchte (S. 195, 247); Schroth, Unternehmen als Norrnadressaten, S. 202 (Untemehmensschuld als "fehlerhafte kollektive Willensbildung"); Hirsch, ZStW 107 (1995), 316 ("Verrneidbarkeit" als Verschuldensaspekt). 76 So auch zu § 30 OWiG KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. !57; Göhler, OWiG, § 30 Rn. 30; vgl. auch Bundestagsdrucksache V I 1269, S. 61, wobei dort die damalige Fassung als "Nebenfolge" mit diesen prozeßwirtschaftlichen Überlegungen begründet werden soll. 77 Vgl. hierzu Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217; vgl. auch für § 30 OWiG zum Zusammenhang zwischen Organisationsverschulden und Milderung beim Organ sowie Erschwerung beim Verband: Göhler, OWiG, § 30 Rn. 36 a; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 82 f. 78 Zu Heines Vorschlag der "seperaten verfahrensrechtlichen Spur" vgl. bereits oben Fn. 63 unter Hinweis auf Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 304 f. 73 74

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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halt, der sich zum einen auf das Verhalten eines Individuums und zum anderen auf die Risikovernachlässigung durch Pflichtverletzung des Verbandes80 zurückführen lassen kann. Die Situation hierbei läßt sich zumindest mit der Nebentäterschaft im Individualstrafrecht vergleichen, von der gesprochen wird, wenn mehrere Personen, ohne in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken zu handeln, Bedingungen setzen, die zusammen oder auch für sich allein den Erfolg herbeizuführen geeignet sind81 , und die- wie oben 82 bereits festgestellt- für die Bejahung eines Zusammenhangs auch i. S. d. § 3 StPO ausreicht. Ebenso wie bei der Nebentäterschaft kann zur einheitlichen Bewertung dieses äußeren Sachverhalts ein verbundenes Verfahren nützlich sein und der Vermeidung von Doppelarbeit dienen. Soweit die Verbindung bei den genannten Verbandsstrafenmodellen möglich ist, wird auch der sogenannte kombinierte Zusammenhang ausreichen, bei dem neben der mit der Verbandsstrafsache verbundenen Individualtat auch noch eine davon völlig unabhängige Straftat des Individualtäters verfolgt werden kann. Im übrigen bedeutet die Möglichkeit der Verbindung nicht, daß die Verfahren stets verbunden bleiben müssen; auch in einem Strafverfahren, von dem juristische Personen betroffen sind, sollte man, wie in §§ 2, 237 StPO geschehen, die Verbindung von Verfahren als Ermessensvorschrift ausgestalten. Im Rahmen der Ermessensausübung können dann die im einzelnen Fall auftauchenden Vor- und Nachteile einer Verbindung abgewogen werden.83 Gegen verbundene Verfahren von Individuum und Verband läßt sich, soweit die Möglichkeit kumulativer Verantwortlichkeit befürwortet wird, also nichts einwenden. Dort, wo wie beim auf Subsidiarität aufbauenden Verbandsstrafenmodell eine Verbindung jedenfalls in der Hauptverhandlung nicht in Frage kommt, läßt sich Doppelarbeit, die durch aufeinanderfolgende Verfahren gegen Individuum und Verband entstehen kann, nicht vermeiden. Darin kann ein Nachteil jenes Entwurfs zu sehen sein, der bei einer Entscheidung für das eine oder andere Modell eine Rolle spielen kann.84

79 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308; näher dazu oben 2. Teil 4. Abschnitt B. I. 2. 80 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verbandsstrafbarkeit Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316, ausführlich S. 271 ff.; ähnlich auch der Vorschlag bei Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 428. 81 Schönke I Sehröder I Cramer, StOB, § 25 Rn. 100. 82 Bei Fn. 70. 83 Ausführlich zu den denkbaren Vor- und Nachteilen bezogen auf die einzelnen Straftatsmodelle Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 173 ff. 84 Vgl. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 178 f., 291 f.

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3. Teil: Prozessuale Problerne

C. Vertretung des Verbandes im Prozeß und Rollenverteilung Bei der Überlegung, wie ein Strafverfahren gegen juristische Personen und andere Personenvereinigungen aussehen soll, stellt sich bald die Frage nach der Vertretung von Verbänden im Prozeß. Es drängt sich auf, daß es in einem Strafverfahren gegen juristische Personen Vertretungsregeln geben muß. 85 Wahrend des gesamten Verfahrens muß mit der juristischen Person Kommunikation in verschiedenen Formen stattfinden. Diese Kommunikation umfaßt von einer "Kontaktaufnahme" mit der juristischen Person (z. B. in Form von Ladungen) über die Abgabe von Erklärungen (z. B. in Form von Anträgen) bis zu der Kommunikation über das Tatgeschehen in Form der Vernehmung zur Sache einen großen Teil des Strafverfahrens. Dazu gehört vor allem die Ausübung und Geltendmachung von- wie auch immer gearteten 86 - Rechten der juristischen Person. Es leuchtet unmittelbar ein, daß juristische Personen oder sonstige Personenvereinigungen kaum "selbst" oder "als solche" im Strafverfahren mitwirken, d. h. beispielsweise nicht selbst vernommen oder im Hauptverfahren selbst anwesend sein können. Das beginnt damit, daß derlei Personenzusammenschlüsse oftmals eine besondere Größe zu haben pflegen. 87 Aber selbst wenn alle Mitglieder- zum Beispiel in der Hauptverhandlung - erscheinen könnten und dies täten, wäre in Anbetracht dessen, daß die juristische Person mehr ist als die Summe ihrer Mitglieder88 , fraglich, ob auch dieses "Mehr" zu erkennen wäre. Ausschlaggebend ist jedoch, daß eine juristische Person oder eine sonstige Organisation - unabhängig von der Anzahl der in ihr assoziierten natürlichen Personen - als solche zu Handlungen, auf die es in einem Strafverfahren ankommt, nicht fähig ist bzw. nicht wie ein Mensch selbstverantwortlich handeln kann 89 . Dem werden auch nicht diejenigen Befürworter einer Verbandsstrafe widersprechen können, die von einem "Verbandsverhalten", von funktionaler Organisationsherrschaft oder unternehmefisehern "Erfolgsunrecht" ausgehen, um so bei der Strafbarkeitsbegriindung die Zu85 Anders Hafter, Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157 f., der statt einer Vertretung vorschlägt, daß alle Organe bzw. Mitglieder des Verbandes, die an der "verbrecherischen Beschlußfassung oder Handlung", welche die Verbandsstrafbarkeit begründe (vgl. dazu oben 2. Teil 3. Abschnitt B. II. 2., 111. 1. c)), beteiligt waren, vor Gericht erscheinen müßten. Aus ihren Aussagen und anderen Untersuchungshandlungen könne dann der "Tatbestand ... festgestellt" werden. Das dem nicht gefolgt werden kann, ergibt sich aus den hier im Text nachfolgenden Überlegungen. 86 Näher dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt A. bis D. 87 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 228 f. 88 Siehe oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 3. 89 Zu letzterem vgl. nur Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 262; vgl. dort auch S. 261 mit Hinweis auf von Gierke und auf Savigny: Das Handeln der Verbandsorgane ist dem Verband als Eigenhandeln zuzurechnen (von Gierke), ohne Eigenhandeln im natürlichen Sinne zu sein (Savigny).

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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rechnungvon Organhandlungen zu vermeiden. 90 Denn das Unternehmen oder das "System" kann nicht als solches vor Gericht erscheinen, sondern bedarf der "personalen Vermittlung", von der beispielsweise auch Heine91 hinsichtlich der funktionalen Organisationsherrschaft spricht. Daraus, daß die juristische Person als solche weder ihre Rechte wahrnehmen und geltend machen noch Willenserklärungen abgeben oder Fragen des Gerichts beantworten kann, ergibt sich die Notwendigkeit92 einer Vertretung für das Verfahren. Anders ist es dem Gericht nicht möglich, mit der juristischen Person zu kommunizieren. Vertretung heißt demnach, an die Stelle des Beschuldigten zu treten, soweit wie möglich die Stellung des Beschuldigten einzunehmen. 93 Wegen der Vielschichtigkeit der Rolle des Beschuldigten94 wird auch die Möglichkeit und der Inhalt der Vertretung davon abhängen, ob sie die Ausübung von Verfahrensrechten, Zwangsmaßnahmen oder die Stellung als Beweismittel betrifft. Während in diesem Kapitel abstrakt die Person des Vertreters und seine Rolle festgelegt werden, sollen die einzelnen Probleme der Vertretung im Rahmen der Erörterung der Verfahrensstellung behandelt werden. Um sich der Frage anzunähern, wie eine Vertretung im Strafverfahren aussehen könnte, folgt zunächst ein Überblick über bereits existierende Regelungen zur Vertretung von juristischen Personen in Strafverfahrensordnungen ausländischer Rechtsordnungen sowie in anderen Verfahren des deutschen Rechts. Dabei interessiert auch, wie die Rollenverteilung gestaltet ist, d. h. welche Stellung der Vertreter und welche die übrigen Verbandsangehörigen im Prozeß haben.

I. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereinigungen sowie Rolle des Vertreters in anderen Prozeßordnungen 1. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereinigungen sowie Rolle des Vertreters in Strafverfahren ausländischer Rechtsordnungen

a) Frankreich

Mit der Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen ("personnes morales") im Jahre 1994 wurden flankierende Verfahrensvorschriften in die französische Strafprozeßordnung (Code de procedure penale) eingefügt. Danach gibt es zwei Arten der prozessualen Vertretung von juristischen Personen: Nach 90

91 92

93 94

Vgl. oben 2. Teil3. Abschnitt B. II. 2. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 250, siehe oben 2. Teil 3. Abschnitt B. II. 2. So auch Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217. V gl. Weber, Verteidiger als Vertreter, S. 46. S. oben zur Doppel- bzw. Dreifachrolle des Beschuldigten: 3. Teil I . Abschnitt A.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Art. 706-4395 wird die juristische Person grundsätzlich von dem gesetzlichen Vertreter, der zur Zeit der Strafverfolgung im Amt ist, vertreten; dem gleichgestellt ist die Vertretung durch andere, aufgrund Gesetzes oder Satzung zu diesem Zweck bevollmächtigte Personen. Wenn der gesetzliche Vertreter jedoch selbst als Täter derselben oder einer damit zusammenhängenden Tat strafrechtlich verfolgt wird, muß für die Vertretung der juristischen Person im Verfahren ein gerichtlicher Vertreter bestellt werden. 96 Der Vertreter repräsentiert die juristische Person bei allen Verfahrenshandlungen. Der Wechsel von Vertretern während des Prozesses schadet nicht, solange sich der Vertreter als solcher ausweisen kann. Über die Rolle des Vertreters sagt die französische Strafprozeßordnung ebenfalls etwas aus. In Art. 706-44 des Code de procedure penale97 wird sie insoweit näher umschrieben, als der Vertreter nicht zum Objekt von solchen Zwangsmaßnahmen gemacht werden darf, die nicht auch auf Zeugen anwendbar wären. Wie diese kann er daher in Anwendung von Art. 109 des Code de procedure penale zum Erscheinen gezwungen werden, beispielsweise durch Vorführung oder durch Verhängung einer Geldstrafe ("amende"). 98

b) Kanada

Art. 620 und Art. 800 Abs. 3 des kanadischen Strafgesetzbuches ("Criminal Code" I "Code Criminel") beinhalten Vertretungsregeln für das Strafverfahren gegen Unternehmen. Art. 620 betrifft das Vorgehen beim "plea", d. h. bei der Stellungnahme des Angeklagten vor einer Jury im Anklageverfahren. Danach soll jedes Unternehmen, gegen welches Anklage erhoben wird, vertreten durch einen Bei95 Art. 706-43 lautet: "L'action publique est exercee a l'encontre deIapersonne morale prise en Ia personne de son representant legal a l'epoque des poursuites. Ce demier represente Ia personne morale a tous !es actes de Ia procedure. Toutefois lorsque des poursuites pour les memes faits ou pour des faits connexes sont engagees I' encontre du representant legal Je president du tribunal de grande instance designe un mandataire de justice pour representer Ia personne morale. La personne morale peut egalement etre representee par toute personne beneficiant conformement a Ia loi ou a ses Statuts d'une delegation de pouvoir a cet effet. La personne chargee de representer Ia personne morale en application du deuxieme alinea doit faire connai'tre son identite Ia juridiction saisie, par lettre recommandee avec demande d' avis de reception. II en est de meme en cas de changement du representant legal en cours de procedure. En l'absence de toute personne habilitee arepresenter Ia personne morale dans les conditions prevues au present article, le president du tribunal de grande instance designe a Ia requete du ministere public du juge d'instruction ou de Ia partie civile, un mandataire de justice pour Ia representer." 96 Vgl. dazu auch Klein, RIW 1995, 375; Buffelan-Lanore, Revue des Societes 1993, 317. 97 Im Wortlaut: "Le representant de Ia personne morale poursuivie ne peut en cette qualite, faire l'objet d'aucune mesure de cantrainte autre que celle applicable au temoin." 98 Vgl. hierzu auch Buffelan-Lanore, Revue des Societes 1993, 321.

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2. Abschniu: Organisatorische Probleme

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stand oder Vertreter erscheinen und Stellung zur Anklage nehmen. 99 Art. 800 Abs. 3 betrifft das summarische Verfahren und die "Anwesenheit" von Unternehmen: Auch hier ist die Anwesenheit in Fonn des Erscheinens eines Beistands oder eines Vertreters vorgesehen. Falls das Unternehmen nicht "erscheint", kann - bei ordnungsgemäßer Ladung- auch ohne es verhandelt werden. 100

c) Vereinigte Staaten von Amerika

Wie sich beispielsweise mit Blick auf die Federal Rules of Criminal Procedure ergibt, ist in den USA die Vertretung von beschuldigten Organisationen und Unternehmen im Strafverfahren selbstverständlich. So sieht beispielsweise Rule 9 (c) (l) die Zustellung von gerichtlichen Ladungen an juristische Personen in Fonn der Zustellung an die Person des Vertreters vor. 101 Im übrigen soll die Vertretung weitgehend durch den Verteidiger erfolgen. 102 Die Stellung des Vertreters im US-amerikanischen Unternehmensstrafverfahren läßt sich einem Urteil 103 entnehmen, das die Frage betrifft, inwieweit das Schweigerecht des Angeklagten auch im Rahmen von Strafverfahren gegen Unternehmen gilt 104. Danach sind die Vertreter nicht "als Angeklagte", sondern als Zeugen zu vernehmen. Sie dürfen sich in dieser Rolle nicht zugunsten einer anderen Person einschließlich des Unternehmens - auf das Recht berufen, die Aussage wegen Gefahr der Selbstbelastung zu verweigern. d) Ausfralien

Auch in Australien ist die Vertretung des Unternehmens vorgesehen. Die Aussagen des Vertreters seien aber die eines Zeugen und nicht die des Unternehmens. 105 99 Art. 620: "Every corporation against which an indictment is found shall appear and plead by counsel or agent." 10o Art. 800 Abs. 3: "Appearance by corporation. Where the defendant is a corporation, it shall appear by counsel or agent, and if it does not appear, the summary conviction court may, on proof of service of the summons, proceed ex parte to hold the trial." 101 Rule 9 (c) (1) Satz 2 lautet: ,,A summans to a corporation shall be served by delivering a copy to an officer or to a managing or general agent or to any other agent authorized by appointment or by law to receive service of process and, if the agent is one authorized by statute to receive service and the statute so requires, by also mailing a copy to the corporation's last known address within the district or at its principal place of business elsewhere in the United States." 102 American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2145. 103 Haie v. Henkel (201 U. S. 43,69 ff. ( 1906)). 104 Dazu näher unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 1. a) aa) (1) (a). 105 V gl. Environment protection authority v. Caltex Refining CO. PTY Limited (1993), 178 CLR 477 F.C. 93/058, Absatz Nr. 48.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

e) England

In früheren Zeiten wurde in England die Möglichkeit der Anklage von "corporations" 106 auch deswegen abgelehnt, weil diese mangels körperlicher Existenz nicht vor bestimmten Gerichten, bei denen die persönliche Anwesenheit vorgeschrieben war, erscheinen konnten. Nachdem zunächst ein Ausweg in der Verweisung an den Court of King's Bench gefunden worden war, bei dem die Vertretung durch einen Verteidiger erlaubt war, ist seit 1925 die Vertretung hinsichtlich des Erscheinens und bei Stellungnahmen gesetzlich vorgesehen. 107 f) Dänemark Einen Eindruck von der Rechtslage in Dänemark vermittelt Toftegaard Nielsen.108 Dort hat der Vertreter des angeklagten Unternehmens nicht die Rolle eines unparteiischen Zeugen, sondern übt vielmehr die Rechte des Unternehmens aus und soll dieses vor Gericht verteidigen. Dies gilt nicht nur für den Fall, daß sich die Staatsanwaltschaft noch die Möglichkeit einer Anklage gegen den Vertreter persönlich vorbehält, sondern auch dann, wenn offensichtlich ist, daß es bei der Anklage gegen das Unternehmen bleibt. 109 Anders als ein Zeuge darf er aufgrund dieser Verfahrensrolle auch vom Anfang der Verhandlung an anwesend sein. Er bestimmt zudem, ob das Unternehmen auf "schuldig" oder "nicht schuldig" plädiert. Sonstige "einfache" Mitarbeiter werden als Zeugen angesehen, die als solche der Aussagepflicht unterworfen sind. 110 2. Regelung der Vertretung juristischer Personen und anderer Personenvereinigungen sowie Rolle des Vertreters in anderen Verfahrensordnungen im deutschen Recht

Nachdem gezeigt wurde, wie in den dargestellten Rechtsordnungen die Vertretung der juristischen Person im Strafverfahren geregelt wird, ist für die Gestaltung der Vertretungsvorschriften in einem künftigen Verbandsstrafverfahren von Bedeutung, wie dies in den Verfahrensarten geschehen ist, in denen schon heute juristische Personen beteiligt sein können. Es könnte sich anbieten, die Vertretung im Strafverfahren -auch im Hinblick auf die Stellung des Vertreters -vergleichbar zu gestalten. Zum Begriff der "corporation" Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 95 in Fn. 34. Vgl. zum Ganzen Smith & Hogan, Crimina1 Law, S. 180, unter Hinweis auf das betreffende statute Crimina1 Justice Act 1925, s. 33; s. auch Leigh, Crimina1 Liabi1ity, S. 9, 64 f.; McLean/ Morrish, Harris's Crimina1 Law, S. 104. 108 Toftegaard Nie/sen, in: Crimina1 Responsibi1ity, S. 326 f. 109 Toftegaard Nie/sen, in: Criminal Responsibility, S. 326. 110 Vgl.- selbst kritisch- Toftegaard Nie/sen, in: Crimina1 Responsibility, S. 327. 106 101

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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a) Vertretung im Zivilprozeß

In § 51 ZPO wird für die Vertretung von nicht prozeßfähigen Parteien auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts verwiesen. Wer prozeßfähig ist, läßt sich hieraus nicht ablesen, da das BGB keinerlei Vorschriften über die Prozeßfähigkeit enthält. Vielmehr ergibt sich aus § 52 ZPO, daß derjenige, der sich selbst durch Verträge verpflichten kann, auch prozeßfähig ist. 111 Zu den nicht geschäftsfähigen und damit auch nicht prozeßfähigen Parteien gehören nach überwiegender Ansicht auch juristische Personen und ähnliche Gebilde, da diese nur durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln. 112 Die gesetzlichen Vertreter im Sinne der ZPO sind bei der juristischen Person die zur Vertretung berufenen Organe 113 und bei den Handelsgesellschaften die vertretungsberechtigten bzw. persönlich haftenden Gesellschafter114. Wenn eine juristische Person mehr als einen gesetzlichen Vertreter hat, so bestimmt sich nach materiellem Zivilrecht, ob nur alle zusammen oder auch jeder einzeln zur Prozeßführung berechtigt ist. 115 Für die Verfahrensrollen gilt, daß für das Prozeßrechtsverhältnis Partei zwar stets nur die vertretene juristische Person oder die Personenvereinigung ist, der gesetzliche Vertreter aber wie eine Partei behandelt wird 116 bzw. im Verhältnis zum Gericht und zum Gegner vielfach die Stellung einer Partei hat 117 . Nach außen hat der Vertreter die Befugnisse und Pflichten einer Partei. 118 Dies zeigt sich zum Beispiel daran, daß das persönliche Erscheinen des Vertreters im Rahmen der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien (§ 141 ZPO) angeordnet werden kann, sein Verschulden der vertretenen Person zugerechnet wird(§ 51 Abs. 2 ZPO) und daß er als Partei vernommen wird (§ 455 Abs. 1 ZP0) 11 9 . Folglich kann der Vertreter nicht Zeuge sein, denn als Zeuge kann im Prozeß nur vernommen werden, wer zur Zeit seiner Einvernahme nicht als Partei zu vernehmen ist. 120 Wenn mehrere natürliche Personen als gesetzliche Vertreter fungieren, sind alle von der Zeugenrolle ausgeschlossen 121 , unabhängig davon, ob von einem mehrköpfigen Organ oder von mehreren Vertretern, die alle nach der Verfassung der juristischen Vgl. Stein/ Jonas/ Bork, ZPO, §51 Rn. 2. Stein/ Jonas/ Bork, ZPO, §51 Rn. 12m. w. N. 113 Stein/ Jonas/ Bork, ZPO, §51 Rn. 22. 114 Stein I Jonas I Bork, ZPO, § 51 Rn. 34 f., 37. 11 5 Stein/Jonas/Bork, ZPO, §51 Rn. 27. 116 Zöller I Vollkommer, ZPO, § 51 Rn. 14. 117 Münchener Kommentar-Lindacher, ZPO, §§51, 52 Rn. 31. 118 Stein/ Jonas/ Bork, ZPO, §51 Rn. 23. 119 Allg. Ansicht, vgl. nur RG JW 1892, 180; RGZ 45,427 f.; Zöller/Greger, ZPO, § 373 Rn. 4; Rosenberg I Schwab I Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 290; Stein I Jonas I Bork, ZPO, §51 Rn. 23. 120 Zöller!Greger, ZPO, § 373 Rn. 4; Baumbach / Lauterbach/Albers !Hartmann, ZPO, Übers. § 373 Rn. 8; Stein I Jonas I Bork, ZPO, vor § 373 Rn. 1. 121 RGZ 45, 428: Da sonst niemand zur Leistung des Parteieides berufen werden könne. 111

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Person zur selbständigen Vertretung befugt sind, nur ein Organmitglied bzw. Vertreter im Prozeß auftritt 122. Alle anderen Personen sind, unabhängig sowohl von ihrer Stellung als Mitglied, Gesellschafter oder Bediensteter als auch davon, ob sie an dem im Streit befindlichen Rechtsgeschäft mitgewirkt haben, als Zeugen zu vernehmen.123

b) Vertretung im Verwaltungsgerichtsveifahren

Für das Verwaltungsgerichtsverfahren bestimmt § 62 Abs. 3 VwGO ausdrücklich, daß "Vereinigungen", zu denen auch juristische Personen des Privatrechts und nicht-rechtsfähige Vereinigungen gehören 124, durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln. Da gemäß § 98 VwGO die Grundsätze des Zivilprozeßrechts entsprechende Anwendung auf den Verwaltungsprozeß finden, folgt auch hier, daß die Mitglieder des Vertretungsorgans eines Beteiligten nicht Zeugen sein können. 125 c) Vertretung im Veifahren zur Festsetzung einer Geldbuße

Im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße aus Anlaß einer Straftat ist die juristische Person Beteiligte und hat nach § 444 Abs. 2 i. V. m. § 433 Abs. 1 StPO dieselben Befugnisse wie ein Angeklagter. Daß sie vertreten wird, ergibt sich aus § 444 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz StPO. Wer Vertreter ist und welche Rolle er einnimmt, ist jedoch nicht geregelt. 126 Übereinstimmend werden zur Bestimmung der Person des Vertreters jedoch wie im Zivilprozeß die Regelungen des materiellen Rechts herangezogen, so daß die juristische Person bzw. der Personenverband auch im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße durch das- aufgrund Gesetzes, Satzung oder sonstiger Regelungen - vertretungsberechtigte Organ vertreten werden so11 127, denn die gesetzlichen Vertreter hätten Vertretungsmacht gegenüber allen Gerichten. 128 122 Stein/ Jonas/ Berger, ZPO, vor§ 373 Rn. 8 m. w. N. 123 Stein I Jonas/ Berger, ZPO, vor § 373 Rn. 7; Baumbach I Lauterbach I Albers I Hart-

mann, ZPO, Übers.§ 373 Rn. 13 bis 17; vgl. auch Zöller I Greger, ZPO, § 373 Rn. 5. 124 Kopp/Schenke, VwGO, § 62 Rn. 14. 125 Lang, in: Nomos-KommentarVwGO, § 98 Rn. 105; Kopp/Schenke, VwGO, § 98 Rn. 8. 126 Anders z. B. die Regelung in § 374 Abs. 3 StPO: Vertretung der verletzten Körperschaft etc. im Privatklageverfahren durch die Personen, durch die sie auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vertreten werden. 127 KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 177; vgl. auch KK-StPO-Boujong, StPO, § 444 Rn. 7; KMR-Paulus, § 444 Rn. 7; LR-Gössel, § 444 Rn. 25; für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße aus Anlaß einer Ordnungswidrigkeit gilt dasselbe, vgl. Göhler, OWiG, Vor§ 87 Rn. 8. 12s Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 103; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 218.

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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Die Rolle des Vertreters wird damit umschrieben, daß er "als Betroffener" 129 , "für die Nebenbeteiligte" 130 bzw. "wie ein Beschuldigter" 131 vernommen werde oder daßer-neben dem Organtäter- die "Stellung eines Angeklagten" 132 habe. In der Sache herrscht unabhängig von dieser unterschiedlichen Terminologie weitgehende Einigkeit darüber, daß der Vertreter nicht als Zeuge vernommen werden darf. 133 Dabei ist hier zu betonen, daß dies gerade für diejenigen Repräsentanten angenommen wird, die nicht selbst Beschuldigte der Anknüpfungstat sind. 134 Zudem gelte die beschriebene Rollenverteilung auch für die anderen Mitglieder eines Kollegialorgans der juristischen Person, wenn nur ein bevollmächtigtes Mitglied den Verband im Verfahren vertritt. 135 Begründet wird die Abgrenzung zur Zeugenrolle vornehmlich damit, daß andernfalls das Aussageverweigerungsrecht, dessen Geltung allgemein auch für juristische Personen und andere Personenvereinigungen angenommen wird, leerliefe 136 , nämlich wenn jedes Organmitglied als Zeuge mit der entsprechenden Aussage- und Wahrheitspflicht vernommen werden könnte. Die übrigen Verbandsangehörigen wie beispielsweise Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte oder leitende Angestellte könnten hingegen als Zeugen vernommen werden. 137 Nur bei vertretungsberechtigten Organen könne ein von Rechts wegen KMR-Paulus, § 444 Rn. 9. KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7. 131 AK-StPO-Keller, § 444 Rn. 9. 132 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO Nachtragsband li, § 444 Er!. 14. 133 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 221; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 107; KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7; AK-StPO-Keller, § 444 Rn. 9; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO Nachtragsband li, § 444 Er!. 14; Gillmeister, Ermittlungsrechte, S. 39; Wrage-Molkenthin/Bauer, in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Rn. 79; wohl auch KMR-Paulus, § 444 Rn. 12; LR-Gössel, § 444 Rn. 25; Tiedemann, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 33; vgl. auch (für juristische Personen als Einziehungsbeteiligte) BGHSt 9, 250, 251; mißverständlich KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 177 und 187 f.: Einerseits könnten Organe, Vertreter und Bevollmächtigte als Zeugen gehört werden, wenn ihnen nicht die Begehung der Anknüpfungstat zur Last gelegt werde (Rn. 187), andererseits könnten die Vertreter den Verband in seiner Eigenschaft als "Beschuldigten" vertreten (Rn. 177) und dürften mit Blick auf das Aussageverweigerungsrecht des Verbandes "nicht in die Rolle des Zeugen gedrängt werden" (Rn. 188); ähnlich auch Grützner/Reimann/Wissel, Richtiges Verhalten, Rn. 162 f., 179. 134 Vgl. nur Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 221; KMR-Paulus, § 444 Rn. 9; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO Nachtragsband li, § 444 Er!. 14; KMRPaulus, § 444 Rn. 7, 9; KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7. 135 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 221; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 107. 136 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 107; zustimmend KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 188; zum kartellrechtlichen Bußgeldverfahren auch Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Ermittlungsrechte, S. 178. 137 OLG Frankfurt, GA 1969, 124 (zum Prokuristen und Kommanditisten); KMR-Paulus, § 444 Rn. 12; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 189; KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7; AK-StPOKeller, § 444 Rn. 9; LR-Gössel, § 444 Rn. 25; Gillmeister, Ermittlungsrechte, S. 39; Müller, 129

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3. Teil: Prozessuale Probleme

zu beachtender Konflikt zwischen der Wahrheitspflicht des Zeugen und der Identifikation mit der Interessenlage des Betroffenen angenommen werden, der dazu führen müsse, daß der Vertreter als Betroffener mit Einlassungsfreiheit gehört werde. 138 3. Fazit

Der Überblick über die verschiedenen Prozeßordnungen hat gezeigt, daß die Vertretung von juristischen Personen keine größeren Schwierigkeiten zu bereiten scheint. Eine Gemeinsamkeit der Verfahrensordnungen ist, daß durchgehend die auch sonst zur Vertretung befugten natürlichen Personen den Verband gerichtlich vertreten. Die Zeugenfähigkeit wird in diesen Verfahrensordnungen des deutschen Rechts ebenso wie im dänischen und auch dem französischen Strafverfahrensrecht verneint. Damit besteht ein bedeutender Unterschied zum amerikanischen und australischen Strafverfahrensrecht II. Die Vertretung in einem künftigen Strafverfahren gegen Verbände

Nimmt man die dargestellten Vertretungsregeln in den ausländischen Rechtsordnungen und auch die der dargestellten deutschen Verfahrensordnungen zum Ausgangspunkt, so spricht vieles dafür, eine- wie oben 139 gezeigt- notwendige Vertretung auch im Strafverfahren gegen juristische Person ohne größere Vorbehalte zu bejahen. Insbesondere spricht die Tatsache dafür, daß im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße aus Anlaß einer Straftat die gerichtliche Vertretung von juristischen Personen im Strafverfahren gegen den Individualtäter bereits eine Regelung erfahren hat. Ein wenig näher soll das Problem der Vertretung im Strafverfahren dennoch untersucht und die sich bei der Schaffung einer entsprechenden Regelung ergebenden Schwierigkeiten benannt werden. Vor allem ist zu entscheiden, welche Personen als Vertreter in Frage kommen und welche Rolle der Vertreter im Strafverfahren innehaben würde.

Die Stellung der juristischen Person, S. 108; a.A. Neumann, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 15, der auch satzungsmäßige Vertreter wie Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte, die zur gemeinschaftlichen Vertretung mit Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern befugt sind, von der Zeugenrolle ausgeschlossen sehen möchte. 138 OLG Frankfurt, GA 1969, 124. 139 In der Einleitung zu diesem Kapitel.

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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1. Grundsätzliche Probleme einer Vertretung im Strafverfahren

Unabhängig davon, welche natürlichen Personen die beschuldigte juristische Person im Verfahren vertreten sollen, bedeutet die Notwendigkeit einer Vertretung einen gewichtigen Unterschied zu dem Verfahren gegen natürliche Personen. Anders als in dem bisher bekannten Strafverfahren gegen Individuen sind die "Person", die beschuldigt ist, und die, die im weitesten Sinne als "Ansprechpartner" der Strafverfolgungsbehörden fungiert, bei "natürlicher Betrachtungsweise" nicht identisch. Im Individualstrafverfahren sitzt der Beschuldigte selbst im Ermittlungsverfahren vor den Polizeibeamten oder dem Staatsanwalt und in der Regel 140 in der Hauptverhandlung vor dem Richter. Im Strafverfahren gegen einen Personenverband steht man hingegen -gleich, ob man als Vertreter die Organmitglieder, ein sonstiges Mitglied oder einen sonst Bevollmächtigten bestimmt - stets vor der Situation, daß die beschuldigte Person und die mit den Strafverfolgungsbehörden kommunizierende im natürlichen Sinn nicht identisch sind. Es ist zwar denkbar und vielleicht unumgänglich 141 , per gesetzlicher Regelung für das Verfahren eine weitgehende Identifizierung von Vertreter und Verband vorzuschreiben oder eine solche in Weiterentwicklung der Grundsätze des Zivilrechts anzunehmen, doch letztlich ist eine derartige Gleichsetzung von Vertreter und juristischer Person nur eine Fiktion. Schwierigkeiten bereitet diese Situation weniger bei den Prozeßhandlungen, die sich weitgehend als Willenserklärungen verstehen lassen und bei denen sich auch eine natürliche Person von einem Bevollmächtigten vertreten lassen kann 142 . Problematisch ist die Vorstellung, daß nicht der Beschuldigte, sondern sein Vertreter für ihn in Erscheinung tritt und dies als Erscheinen des Beschuldigten verstanden wird, vielmehr bei Wissenserklärungen wie vor allem bei Aussagen zur Tat. Zwar bestehen nicht dieselben Einwände gegen die Vertretung einer juristischen Person, die "selbst" nicht mit den Strafverfolgungsbehörden kommunizieren kann und daher auf eine Vertretung angewiesen ist, wie gegen die auf einer Vertretungsvollmacht beruhende Vertretung eines Menschen, der im Grunde auch selbst aussagen könnte. Dort wird die Vertretung des anwesenden Angeklagten bei seiner Einlassung zur Sache ganz überwiegend 143 für unzulässig gehalten. 144 Das hat seinen Grund in folgendem: Der Angeklagte ist nicht nur Prozeßsubjekt, sondern dann, wenn er sich zur Verteidigung nicht durch Schweigen, sondern durch Reden entscheidet, auch Beweismittel. Wenn nun beispielsweise der Verteidiger den Angeklagten bei der Einlassung zur Sache vertreten können sollte, so würde nicht nur Vgl. als Ausnahmen§§ 234, 387 Abs. I, 411 Abs. 2 StPO. Dazu unten 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 4. bb) mehr. 142 Vgl. Peters, Strafprozeß, S. 258; Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, Vor§ 137 Rn. 12, § 297 Rn. 7. 143 Anders OLG Hamm, JR 1980, 82; BGH StV 1998, 59; Park, StV 1998,61. 144 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 243 Rn. 27m. w. N. 140

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3. Teil: Prozessuale Probleme

die Verfahrensrolle des Verteidigers in ihrer Abgrenzung zu den Beweismitteln an Schärfe verlieren, sondern es würde vor allem das sachnähere Beweismittel, nämlich der Angeklagte mit seiner Einlassung, durch das sachfernere ersetzt und damit der Amtsaufklärungsgrundsatz vernachlässigt werden. 145 Teilweise wird mit ähnlicher Begründung, d. h. unter Hinweis auf die Unvereinbarkeit mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht, die Befugnis des Vertreters zur Abgabe von Erklärungen zur Sache auch in dem Fall der Vertretung in der Hauptverhandlung nach §§ 234, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2 StPO abgelehnt. 146 Die Problematik der größeren Sachferne des Vertreters läßt sich jedoch nicht auf die Vertretung von Verbänden übertragen. Bei der Vertretung durch den gerichtlichen Vertreter wird die Erklärung der juristischen Person zur Sache überhaupt erst möglich gemacht, denn der Verband könnte sich ohne dessen Erklärungen gar nicht äußern. Dieser Unterschied hat zur Folge, daß es bei "Einlassungen von juristischen Personen" kein sachnäheres Beweismittel gibt als den Vertreter. Zu beachten bleibt aber, daß Diskrepanzen zwischen der rechtlichen Zuschreibung und den tatsächlichen Gegebenheiten bestehen können. Auch wenn man das Handeln des Vertreters mehr als "Außenhandeln" der Vereinigung denn als Stellvertretung versteht 147 und das Wissen sowie die Handlungen- einschließlich der Einlassungen - des Vertreters als solche der juristischen Person ansieht, bleibt es dabei, daß der Vertreter nicht nur seine Funktion ausfüllt, sondern auch selbst Person ist. Und als solche weiß er möglicherweise gar nicht, ob die juristische Person eine Tat "begangen" hat oder nicht. Während eine beschuldigte natürliche Person in aller Regel 148 Kenntnis darüber hat und daher ihre Verteidigungsstrategie, die sich - ganz verkürzt- in eine der drei Möglichkeiten "Schweigen", ,,Leugnen bzw. Abstreiten" und "Gestehen" einordnen läßt 149, auf Grundlage der Kenntnis vom historischen Geschehen wählen kann, kann es beim Vertreter passieren, daß er selbst auf der Basis völlig unsicherer Tatsachenkenntnis entscheiden muß, wie er den Verband verteidigen soll. Sein persönliches Wissen und ein gedachtes "Verbandswissen" können auseinanderfallen, wenn er selbst von einer dem Verband zuFezer, JR 1980, 83 ff. SK-StPO-Schlüchter § 234 Rn. 10; Spende/, JZ 1959, 739 f.; auch schon Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 310; offen gelassen bei Fezer, JR 1980, 83 f., vgl. aber dens., Strafprozeßrecht, Fall 11 Rn. 88, wo er die vertretungsweise Einlassung zur Sache im Rahmen der Vertretung nach § 234 ausdrücklich erwähnt; nach überwiegender Ansicht soll in solchen Fällen die Vertretungsvollmacht nicht nur die Befugnis verleihen, prozessuale Erklärungen wie beispielsweise Ablehnungsanträge oder Zustimmungserklärungen abzugeben (dafür auch SK-StPO-Schlüchter, § 234 Rn. 9), sondern überdies auch die Vertretung des abwesenden Angeklagten bei der Vernehmung zur Sache ermöglichen, vgl. BayObLGSt 1982, 157 f.; Kleinknecht!Meyer-Goßner, StPO, § 234 Rn. 10; KK-StPO-Tolksdoif, § 234 Rn. 6; LR-Gollwitzer, § 234 Rn. 16; KMR-Paulus, § 234 Rn. 15; AK-StPO-Keller, § 234 Rn. 4. 147 Vgl. zu diesen Begriffen - im Zusammenhang mit organschaftlichem Handeln Beuthien, NJW 1999, 1146. 148 Seltene Ausnahmen wie bei Gedächtnisverlust können vernachlässigt werden. 149 Vgl. Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 176. 145

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2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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zurechnenden Individualstraftat 150 oder von der "betriebstypischen Gefahrverwirklichung"151 nichts weiß. Ein Ausweg aus dieser Lage könnte sein, als Person des Vertreters stets den mutmaßlichen Individualtäter einzusetzen, dessen Wissen über das Tatgeschehen jedenfalls größer wäre als das eines persönlich an dem konkreten strafbaren Erfolg nicht unmittelbar Beteiligten. Ob dies eine sachgerechte Lösung darstellt, ist im folgenden näher zu untersuchen.

2. Individualtäter als Vertreter?

Gegen eine Lösung, wonach der Individualtäter Vertreter der juristischen Person ist, spricht bereits, daß es einen solchen Individualtäter nicht nach allen Verbandsstrafenmodellen gibt und er nach keinem Modell notwendigerweise bekannt sein muß: Nach den Modellen der subsidiären und der "konkurrierenden" eigenständigen Verbandsstrafbarkeit bedarf es keines Individualtäters, wenn auch bei letzterem ein solcher immerhin neben dem Verbandstäter existieren kann. Aber auch nach den Entwürfen einer akzessorischen Verbandsstrafe soll es gerade nicht darauf ankommen, daß ein Einzeltäter stets identifizierbar ist. In all diesen Fällen, in denen es an einem Individualtäter fehlt, müßte ohnehin eine andere Vertretungsregel geschaffen werden. Ob eine Vertretung durch den Individualtäter überhaupt ratsam ist, ist auch aus anderen Gründen, nämlich im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte zu bezweifeln. In der Literatur wird dies teilweise mit Bezug auf die Einführung einer Verbandsstrafe, meist jedoch hinsichtlich des Verfahrens zur Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG bzw. zur Verhängung von Maßnahmen problematisiert. Während die meisten Autoren vorschlagen, den Täter der Anknüpfungstat grundsätzlich von der Vertretung der juristischen Person auszuschließen 152, wollen andere danach entscheiden, ob im konkreten Falle eine Interessenkollision zwischen Einzeltäter und Verband vorliegt oder zumindest möglich erscheint 153 • Die Dies gilt für das akzessorische Modell, vgl. oben 2. Teil 4. Abschnitt A. I. Dies gilt bei einer eigenständigen Verbandsstrafenbegründung, vgl. oben 2. Teil 4. Abschnitt A. II. 152 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 218; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 246 (zur Verbandsstrafe); Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO Nachtragsband II, § 444 Er!. 8; KMR-Paulus, StPO, § 444 Rn. 7; KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7; LR-Gössel, § 444 Rn. 25; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 179 (zum Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße); Jescheck, DÖV 1953, 544 (zu Maßnahmen). 153 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 103 f.; Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 219 f.; AK-StPO-Keller, § 444 Rn. 8 (zum Verfahren bei der Geldbußenfestsetzung gemäß § 30 OWiG); Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 229; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 137 (zu Maßnahmen). Daß ein Teil der hier und in der vorangegangenen Fußnote genannten Autoren jedoch die gemeinsame Verteidigung von Verband und Individualtäter für zulässig halten, ist daher erstaunlich (so auch Schlüter, Strafbarkeit von 150 151

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Lösung wird dann darin gesehen, daß bei Vorliegen von Interessenkonflikten entweder durch die "Verbandsgenossen" ein anderer Vertreter beauftragt werde 154 oder das Gericht dem Verband einen besonderen Vertreter beiordnen müsse 155 • Nur Schlüter verneint für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG die Möglichkeit eines Interessenkonflikts. 156 Für das Strafverfahren gegen juristische Personen stellt sich das entsprechende Problem, ob wenigstens dann, wenn Interessenkonflikte tatsächlich drohen oder bestehen, zum Schutze der jeweiligen Interessen und aus Klarstellungsgründen im Hinblick auf die übrigen Verfahrensbeteiligten ein anderer Vertreter als der Individualtäter zur gerichtlichen Vertretung berufen sein sollte. Zunächst bedarf es hier einer näheren Untersuchung, ob und in welcher Form solche Interessenkonflikte, bezogen auf die Verbandsstrafenmodelle, nach denen überhaupt die kumulative Strafbarkeit möglich sein soll, denkbar sind. a) Mögliche Interessenkonflikte bei Zugrundelegung des akzessorischen Modells

Bei den akzessorischen Verbandsstrafenmodellen, bei denen die Strafbarkeit des Verbandes von der Straftat eines einzelnen abhängig gemacht wird, geht es für Verband und Individuum im Kern um dieselbe Tat. Das gilt auch dann, wenn entsprechend den überhaupt näher ausgearbeiteten Modellvorschlägen zusätzliche Erfordernisse wie die Verletzung von Unternehmenspflichten 157 , Vorteile für das Unternehmen 158 oder als eigener Aspekt der Verbandsschuld die "Vermeidbarkeit" 159 aufgestellt werden. Auf den ersten Blick erscheint ein Interessenkonflikt zwischen Einzeltäter und akzessorisch haftendem Verband fernliegend. Was das "Endergebnis" des Verfahrens angeht - Verurteilung oder Freispruch - scheinen beide am seihen Strang zu ziehen. Bei Freispruch des Individuums fehlt in der Regel die Voraussetzung für Unternehmen, S. 209). Näher zur gemeinsamen Verteidigung unten 3. Teil 3. Abschnitt C. III., insbesondere 3. 154 Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 220; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 104. 155 Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 104; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 229; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 137. 156 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 210, wobei er sich jedoch in Widerspruch zu seinen weiteren Ausführungen über Interessenkonflikte bei einem akzessorischen Strafbarkeitsmodell setzt, vgl. dort S. 210 ff. 157 So Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 223; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz,S.239. 158 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 239. 159 Hirsch, ZStW 107 (1995), 316, der damit ausdrücklich eine anders gestaltete Regelung als eine § 30 OWiG entsprechende im Blick hat.

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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die Bestrafung der juristischen Person. 160 Das Unternehmen hat daher in solchen Fällen an einem Freispruch ein identisches Interesse wie der Einzeltäter. Und doch sind Interessenkonflikte hier auf mehreren Ebenen vorstellbar. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn einerseits die Verurteilung des einzelnen wahrscheinlich ist, andererseits die zusätzlichen Erfordernisse 161 eines Verbandsstraftatbestandes nicht so eindeutig auf der Hand liegen. Sofern es zum Beispiel für die Strafbarkeit des Verbandes darauf ankommen soll, daß zu seinem Vorteil gehandelt wurde 162, können die Interessen gegenläufig sein, wenn zwar abzusehen ist, daß der einzelne wegen seiner Tat verurteilt wird, aber nicht geklärt ist, ob er zum Vorteil des Verbandes gehandelt hat: Wahrend der Freispruch der juristischen Person in einem solchen Fall davon abhängt, daß es nicht um ihre Vorteile ging, mag der Nachweis, daß er zugunsten des Verbandes gehandelt hat, für den Einzeltäter mit Blick auf die Strafzumessung - wegen der altruistischen Motivation - von Interesse sein. Ähnliches ist bei einer dem § 30 OWiG entsprechenden Sanktionsnorm denkbar. Ist danach unter anderem Voraussetzung für die Sanktion, daß der Individualtäter "als" Organ, Vorstand etc. gehandelt hat (§ 30 Abs. 1 OWiG), und gilt das Tatbestandsmerkmal als nicht erfüllt, wenn das Organ im eigenen Interesse handelte 163 , so kann ein Interessenkonflikt entstehen, wenn es der juristischen Person daran liegt darzulegen, daß die Organtat nicht in ihrem Interesse war, um so der akzessorischen Inanspruchnahme zu entgehen. Entsprechendes gilt bei Verbandsstraftatbeständen, bei denen vorausgesetzt wird, daß der Einzeltäter "in Ausübung der Unternehmensfunktion" gehandelt hat. 164 Unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung des Verbandsstrafenmodells kann darüber hinaus eine Interessenkollision auftreten, wenn sich im Laufe des Verfahrens abzeichnet, daß es für das Vertretungsorgan sachgerecht ist und seinen eigenen Interessen am besten dient, wenn es mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert und ein Geständnis ablegt, ohne daß dies positive Wirkung auch für die juristische Person hätte oder obwohl es ihr gerade zum Nachteil gereicht. 165

S. dazu oben 2. Teil 4. Abschnitt A. 1., B. I. 1. Dazu oben 2. Teil 4. Abschnitt A. I. am Ende. 162 Zu diesem Erfordernis s. den Vorschlag bei Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 239. 163 Göhler, OWiG, § 30 Rn. 24. 164 Zu diesem Erfordernis s. den Vorschlag bei Schroth, Unternehmen als Normadressaten, s. 223. 165 Vgl. hierzu Dierlamm, in: Wabnitz I Janovsky, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kapitel 21 Rn. 26, dort bezogen auf die Intereressenkonflikte, die bei Auseinanderfallen der strafrechtlichen Interessenlagen einzelner Beschuldigter und der zivilrechtliehen sowie öffentlichrechtlichen Interessen - z. B. Gewerbeuntersagung gegenüber einer GmbH bei "Unzuverlässigkeit" des Geschäftsführers, vgl. § 35 Gewerbeordnung- entstehen können; auf einen Interessenkonflikt bei Absprachen geht auch Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 212 ff. ein, obwohl er die Möglichkeit von Interessenkonflikten beim akzessorischen Modell zunächst verneint hat, vgl. dort S. 209 f. 160 161

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Desgleichen können hinsichtlich der Zumessung der Verbandssanktion die Interessen divergieren. Es ist vorstellbar, daß ein Organisationsmangel für den Individualtäter als Milderungsgrund, für die juristische Person jedoch als erschwerend zu berücksichtigen sein wird 166, so daß der Nachweis eines solchen Mangels für das Organ vorteilhaft und für den Verband von Nachteil sein kann. Andersherum kann es für den Verband strafmildernd wirken, wenn sich das Verschulden des einzelnen "nicht recht in das Geschäftsgebaren der Organisation einpassen läßt" 167 • b) Mögliche Interessenkonflikte bei Zugrundelegung des nichtakzessorischen, eigenständigen Modells

Bei einem nichtakzessorischen, eigenständigen Verbandsstrafenmodell 168 sind Interessenkonflikte ebenfalls vorstellbar. Auch hier kann es dem Verband beispielsweise darum gehen nachzuweisen, daß der eingetretene Schaden an Rechtsgütern vor allem auf das "Versagen des einzelnen in einer kritischen Entscheidungssituation" zurückzuführen ist und weniger auf die "Unverantwortlichkeit einer Betriebsführung", so daß die Individualtat größeres Gewicht gegenüber der Verbandstat bekommt. 169

c) Folgerung für die Vertretung durch den Individualtäter

Wie man sieht, sind Interessenkonflikte bei der Vertretung durch den Individualtäter nicht auszuschließen und nicht zu unterschätzen. Auch wenn die Kenntnis vom Tatgeschehen für die Vertretung durch den Einzeltäter spricht, überwiegt gegenüber diesen Vorteilen die Gefahr, daß der Vertreter eine für den Verband ungünstige, für sich selbst aber förderliche Verteidigungsstrategie wählt. Es wird in vielen Fällen vorteilhafter für die juristische Person sein, nicht vom Individualtäter vertreten zu werden. Gegen die Vertretung durch den Individualtäter sprechen vor allem die beträchtlichen psychologischen Probleme wegen der dann entstehenden "Doppelrolle" des Individualtäters. Zum einen würde bei persönlicher Gefahr für Freiheit und Vermögen so mancher Individualtäter die Interessen der juristischen Person eher vernachlässigen, um sich selbst in besserem Licht darstellen zu können. Zum anderen wür166 So zu § 30 OWiG: Göhler; OWiG, § 30 Rn. 36 a; Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 82 f.; vgl. auch Pohl-Sichtenrumn, Geldbuße gegen Verbände, S. 172; ähnlich auch KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 118, der aber die "kriminelle Verbandsattitüde" bzw. "Verbandspolitik" als möglicherweise schuldmindernd für den Einzeltäter betont. 167 Vgl. auch KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 118. 168 Dazu näher oben 2. Teil Abschnitt A. II., B. I. 2. 169 Vgl. zum Verhältnis von Individual- und Verbandsstrafrecht oben 2. Teil 4. Abschnitt B. I. 2., insbesondere den Hinweis auf Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308.

2. Abschnitt: Organisatorische Problerne

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de - zumindest in verbundenen Verfahren - gar nicht immer deutlich werden können, ob der Vertreter in seiner Funktion als Vertreter oder in der als höchstpersönlich Beschuldigter spricht und sich zur Sache einläßt. Wenigstens in den Fällen, in denen nicht ausnahmsweise Interessenkonflikte im konkreten Fall vollkommen ausgeschlossen erscheinen, sollte daher zum Schutze der Beteiligten und zur Klarstellung der betroffenen Interessenlagen ein anderer Vertreter als der Individualtäter zur gerichtlichen Vertretung berufen sein, wobei offenbleiben kann, ob dies am besten durch Gerichtsbeschluß umgesetzt oder der innerverbandliehen Konfliktlösung überlassen bleiben sollte 170. Keine adäquate Lösung zur Vermeidung dieser drohenden oder tatsächlichen Interessenkonflikte wird hingegen der Vorschlag Schlüters sein, wonach insbesondere für Absprachen die Grundsätze über den Mißbrauch der Vertretungsmacht anzuwenden seien, was zur Folge hätte, daß das Unternehmen beim Handeln des Vertreters gegen die Interessen des Verbandes nicht wirksam vertreten wäre. 171 Eine solche Vorgehensweise hat den Nachteil, daß jede Handlung und Einlassung des Individualtäters für die juristische Person dahingehend überpriift werden müßte, ob sie von der Vertretungsmacht gedeckt oder ungültig ist. Um diese Unsicherheiten insbesondere für das Gericht zu vermeiden, ist der konsequente Ausschluß des Individualtäters bei Interessenkonflikten der bessere Weg.

d) Fazit

Für das oben beschriebene Problem, daß bei einer Vertretung nicht der beschuldigte Verband selbst mit Gericht und Strafverfolgungsbehörden kommuniziert und der Vertreter unter Umständen selbst keine Kenntnis vom Tatgeschehen hat, ist demnach auch die Vertretung durch den Individualtäter keine adäquate Lösung. Letztlich ist diese Schwierigkeit als zwangsläufige Folge eines Strafverfahrens gegen juristische Personen und Personenvereinigungen hinzunehmen. Doch sie sollte als Problem erkannt und insbesondere bei der Beweiswürdigung beriicksichtigt werden. 3. Vertretung durch Vertretungsorgane

In Ermangelung einer besseren Lösung sollten daher auch im Strafverfahren im Sinne der Einheit der Rechtsordnung - die im Zivilrecht aufgestellten Regelungen zur gerichtlichen Vertretung angewendet werden, so daß ebenso wie in den 170 Für letzteres Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 214 f.; dafür spricht, daß ein durch die Verbandsmitglieder bestimmter Vertreter die Interessen des Verbandes meist besser vertreten kann als ein vorn Gericht bestimmter, außensteheoder "Notvertreter", vgl. Schlüter, a. a. 0 ., S. 214, 216. 171 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 212 ff.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

übrigen Verfahrensordnungen die vertretungsberechtigten Organe als gerichtliche Vertreter der juristischen Person anzusehen sind. Damit wird den Befürwortern von Verbandssanktionen zugestimmt, die als Person des Vertreters der juristischen Person oder der Personenvereinigung überwiegend ohne weitere Erwägungen den gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreter vorschlagen, der nach den Grundsätzen des Gesellschaftsrechts vertretungsberechtigt ist. 172 Dies deckt sich auch mit einer Entscheidung des Reichsgerichts, wonach eine - wegen Verstoßes gegen die Reichsabgabenordnung angeklagte - Kommanditgesellschaft "bei allen gerichtlichen wie außergerichtlichen Geschäften" nach den Regelungen des HGB zu vertreten sei. 173 Die Vertretungsgrundsätze seien nicht nur im bürgerlichen Recht, sondern auch im Strafrecht und Strafverfahren anwendbar. 174 Richtet man sich bei der Vertretung im Strafverfahren daher nach den zivilbzw. gesellschaftsrechtlichen Maßgaben, heißt das, daß für Verein, Aktiengesellschaft oder Genossenschaft der Vorstand 175 , für die GmbH der Geschäftsführer 176, bei der KG und KGaA die persönlich haftenden Gesellschafter 177 sowie bei der OHG die vertretungsberechtigten Gesellschafter 178 vertretungsbefugt sind. 179 Falls sich das jeweilige Vertretungsorgan aus mehreren Organmitgliedern zusammensetzt, bestimmt sich ebenfalls nach dem materiellen Zivilrecht, ob nur alle zusammen im Verfahren für die juristische Person auftreten und handeln dürfen (Gesamtvertretung) oder ob auch jeder einzeln dazu befugt ist (Einzelvertretung). 180 Ob bei Einzelvertretung das persönliche Erscheinen der übrigen Vertreter angeordnet werden kann 181 , ist eine Frage, welche die Anwesenheitspflicht der juristischen Person betrifft und daher dort 182 wieder aufgegriffen werden wird.

172 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217 f. und 227; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 190 f.; von Weber, GA 1954, 237; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 246, die beiden Letztgenannten halten auch die Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten für ausreichend; ebenso für das Verfahren zur Verhängung von strafrechtlichen Maßnahmen: Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 228; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 136 f. m RGSt 60, 75, 76.

RGSt 60, 75, 77. Vgl. § 26 BGB, § 78 Aktiengesetz bzw. § 24 Genossenschaftsgesetz. 116 § 35 GmbHG. m §§ 161 Abs. 2, 170 HGB, § 278 AktG. 178 § 125 HGB. 114 175

Vgl. hierzu den Überblick bei Zöller I Vollkommer, § 51 Rn. 4. Vgl. hierzu Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 192, dort S. 191 f. zur Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Vertretung und S. 205 ff. zu den Problemen widersprüchlichen Verhaltens bei mehreren Vertretern. 181 So Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 227: notfalls mit Zwangsmitteln. 182 Unten 3. Teil 3. Abschnitt F. Il. 2. b) bb) (2). 179

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2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß mit Ausnahme der Individualtäter die Vertretungsorgane der juristischen Personen und die vertretungsberechtigten Gesellschafter der Personenvereinigungen 183 diese auch im Strafverfahren vertreten. Der Vertreter kommuniziert für die beschuldigte juristische Person mit dem Gericht und sollte dabei deren Interessen vertreten. 184 Wenn ein Organ oder vertretungsberechtigter Gesellschafter diese Aufgabe übernimmt, ist aufgrund des innergesellschaftlichen Legitimationsaktes der Bestellung 185 in der Regel gewährleistet, daß die Mitglieder der juristischen Person oder Personenvereinigung auch davon ausgehen, daß die Personen, die das Organ bilden, ihre Interessen nach außen wahren werden. Da es ohnehin sein kann, daß das vertretungsberechtigte Organ selbst nicht unmittelbare Kenntnis vom Tatgeschehen hat, wird es überdies unerheblich sein, ob der gerichtliche Vertreter zur Zeit der Tat schon im Amt war. 186 Ebenso wird man den Wechsel des im Verfahren auftretenden organschaftliehen Vertreters infolge innerverhandlicher Umstrukturierungen hinnehmen müssen. 4. Stellung des Vertreters im Verbandsstrafverfahren

Was mit der Bestimmung der Organe als gerichtliche Vertreter noch nicht geklärt ist, ist die Frage, welche Rolle sie in einem Strafverfahren gegen juristische Personen bekleiden würden. Um Aussagen über Bedingungen und Ausgestaltung eines künftigen Strafverfahrensrechts für juristische Personen - insbesondere im Hinblick auf deren Rechtsstellung - machen zu können, muß die Frage beantwortet werden, welche Rolle den Verbänden und welche Rolle ihren Organen, ihren Vertretern und ihren sonstigen Mitgliedern oder Mitarbeitern in einem Strafverfahren zuzuweisen wäre. Um allgemeine Aussagen machen zu können, erfolgt an dieser Stelle zunächst eine Untersuchung der Stellung des Vertreters im "isolierten" Verfahren gegen die juristische Person. Die Rolle der übrigen Mitglieder wird anschließend umrissen. Was verbundene oder parallele Verfahren angeht, so sei aus später 187 zu erläuternden Gründen nach unten 188 verwiesen.

183 Der dann zu ersetzen ist, vgl. hierzu (zum Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße) KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 179; LR-Gössel, StPO, § 444 Rn. 25; KK-StPO-Boujong, § 444 Rn. 7; KMR-Paulus, StPO, § 444 Rn. 8. 184 Zu weiteren Problemen bei der Interessenvertretung vgl. unten 3. Teil. 3. Abschnitt B. II. 2. 185 So wird beispielsweise der Geschäftsführer einer GmbH von der Gesellschafterversammlung bestellt, § 46 Nr. 5 GmbHG, sofern die Bestellung nicht im Gesellschaftsvertrag erfolgt,§ 6 Abs. 3 S. 2 GmbHG. 186 So auch Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 246 f. 187 Unten 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 4. c). 188 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 3. a).

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Bei der Rollenverteilung ist Ausgangspunkt, daß die juristische Person selbst Beschuldigte im Verfahren ist. 189 Da die Rolle der juristischen Person als Beschuldigte neu für das Strafverfahren ist, ist dies auch die Stellung ihres organschaftliehen Vertreters. Um dessen Rolle zu definieren, könnte man hier einfach auf das Zivilverfahren und das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße verweisen 190 und schlicht postulieren, daß er nicht die Rolle eines Zeugen, sondern die des Beschuldigten einnimmt. Zum besseren Verständnis für die Rollenverteilung ist es aber notwendig, die Stellung des organschaftliehen Vertreters in Abgrenzung zu anderen Verfahrensrollen näher zu bestimmen. a) Abgrenzung zur Rolle des Verteidigers

Zunächst ist denkbar, die Rolle des Vertreters mit der des Verteidigers gleichzusetzen 191 bzw. die Vertreterrolle in der Verteidigerrolle aufgehen zu lassen. Die Rolle des Verteidigers im herkömmlichen Strafverfahren wird in Rechtsprechung und Wissenschaft nicht einheitlich umschrieben. Überwiegend wird in ihm nicht ein Vertreter, sondern ein Beistand des Beschuldigten gesehen. 192 Damit soll die vom Beschuldigten grundsätzlich unabhängige Stellung des Verteidigers beschrieben werden, vor allem was die Weisungen des Beschuldigten angeht. 193 Dies gilt nicht nur für die Möglichkeit des Verteidigers, sein Mandat im Grundsatz jederzeit niederlegen zu können, sondern ebenfalls für die Durchführung seiner Verteidigungstätigkeit: Auch bei der Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten ist der Verteidiger grundsätzlich frei, solange er inhaltlich zu Gunstendes Beschuldigten tätig wird. 194 Daneben wird aber auch seine öffentliche Funktion, innerhalb deOben 3. Teil 1. Abschnitt A. Vgl. zur Verfahrensrolle des gesetzlichen Vertreters Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 218 f., der die Vorschriften über das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße zugrunde legt; bei ihm liegt der Schwerpunkt hinsichtlich der Verfahrensrolle des Vertreters auf den Problemen, die sich aus den unterschiedlichen Formen der Vertretung im Gesellschaftsrecht (mehrköpfige Vertretungsorgane, besondere Vertreter im Sinne des § 30 BGB, gewillkürte Untemehmensvertreter) ergeben. 191 In diese Richtung geht die Auffassung von Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 218, wonach der Vertreter nicht Angeklagter, sondern im Grunde Verteidiger sei, der jedoch die Rechte des Angeklagten erhalten solle. 192 BGHSt 9, 356, 357; 12, 367, 369; 38, 111, 114; OLG Düsseldorf StV 1984, 327; BayObLGSt 1982, 156, 157; auch OLG Celle NStZ 1988, 426; Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, Vor § 137 Rn. 1; Dahs, Handbuch, Rn. 3; Krey, Strafverfahrensrecht Band 1, Rn. 547 ff.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 148; ders., Der Verteidiger, S. 184, 215; Fezer. Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 5. 193 Vgl. BGHSt 38, 111, 114; Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 4 Rn. 5 und Rn. 44 (zum Verteidigerausschluß gemäß § 138 a Abs. 1 Nr. 1 StPO); vgl. auch KK-StPO-Lau.fhütte, Vor § 137 Rn. 3; OLG Celle NStZ 1988, 426; Dahs, Handbuch, Rn. 30; Beulke, Der Verteidiger, S. 184. 194 OLG Celle, NStZ 1988, 426; Fezer. Strafprozeßrecht, Fa114 Rn. 5. 189

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2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

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ren er freilich zum einseitigen Tätigwerden zugunsten des Beschuldigten verpflichtet ist, als Begründung für die Abgrenzung zur Vertreterrolle genannt. 195 Die Aufgabe des Verteidigers ist es, die Rechte des Beschuldigten umfassend zu wahren und für diesen auf die Justizförrnigkeit des Verfahrens hinzuwirken. 196 Die Rolle des Verteidigers wird also durch mindestens zwei Kriterien näher bestimmt: Der Verteidiger muß eine rechtskundige Person sein, außerdem ist er unabhängig von seinem Mandanten. Nach diesem Verständnis hat der organschaftliehe Vertreter einer juristischen Person eine andere Rolle als ein Verteidiger. Er ist gerade nicht unabhängig von der juristischen Person, sondern Teil des Ganzen und unverzichtbarer Teil der Gesamtorganisation. Er ist die Person, durch die der Verband überhaupt nur nach außen handeln kann, und damit noch enger verbunden mit ihm als ein Stellvertreter mit der von ihm vertretenen natürlichen Person. Als solcher eignet er sich nicht in der Weise als Fürsprecher für die juristische Person wie ein unabhängiger Verteidiger. 197 Soweit sich ergibt, daß die juristische Person ebenso wie ein Mensch das Recht hat, sich im Strafverfahren des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen 198, muß dieser Verteidiger ebenfalls unabhängig von der juristischen Person sein und kann daher nicht gleichzeitig ihr gesetzlicher Vertreter sein.

b) Abgrenzung zur Zeugenrolle

Wichtiger noch ist die Abgrenzung der Vertreterrolle zur Zeugenrolle. Es ist zu überlegen, ob nicht der Vertreter auch - potentieller - Zeuge im Strafverfahren gegen die beschuldigte juristische Person sein kann. Wie oben 199 gesehen, ist er im Zivil- und im Verwaltungsprozeß sowie im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen einen Verband von der Zeugenrolle ausgeschlossen. Ob dies auch im Strafverfahren gegen juristische Personen unumgänglich ist, bildet den Gegenstand der folgenden Untersuchung. aa) Allgemeine Abgrenzung von Zeugen- zur Beschuldigtenrolle Im Strafverfahren gilt allgemein, daß Zeugen nur solche Personen sein können, die in einem Strafverfahren zur Aussage aufgefordert werden und nicht durch eine andere Verfahrensrolle - z. B. als Beschuldigte - von der Zeugenstellung ausgeVgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 Rn. 5. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Vor§ 137 Rn. 1m. w. N. 197 Vgl. dazu, daß der Beschuldigte anders als der Verteidiger nicht den notwendigen Abstand zur eigenen Sache hat, Dahs, Handbuch, Rn. 3. 198 Dazu näher unten, 3. Teil 3. Abschnitt C. I. 199 3. Teil 2. Abschnitt C. I. 2. 195

196

3. Teil: Prozessuale Probleme

140

nommen sind.Z00 Für die Frage, ob der Vertreter auch als Zeuge -mit den entsprechenden Wahrheits- und Aussagepflichten 201 - vernommen werden könnte, ist daher ausschlaggebend, ob der Vertreter nicht insofern "als Beschuldigter" zu behandeln wäre, als er dann für die Zeugenvernehmung nicht mehr zur Verfügung stünde. bb) Vertreter "als Beschuldigter"? Auch wenn für die Rechtsstellung des organschaftliehen Vertreters "als Beschuldigter" spricht, daß dies seiner Rechtsstellung in den übrigen Verfahren entspräche, heißt das noch nicht, daß eine solche Rolle für das Strafverfahren zwingend ist. ( 1) Formale Betrachtung

Gegen seine Behandlung "als Beschuldigter" ließe sich einwenden, daß unter formalen Gesichtspunkten (nur) diejenige Person, gegen die ein Strafprozeß stattfindet, die Objekt staatlicher Strafverfolgung ist oder gegen die wegen Verdachts einer strafbaren Handlung Strafverfolgungsmaßnahmen durchgeführt werden, Beschuldigte ist 202 . Nach der oben 203 betonten Unterscheidung zwischen der juristischen Person als (Straf-)Rechtspersönlichkeit, d. h. als Adressatin der Verbandsstrafe, und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen hieße das, daß nur die juristische Person selbst beschuldigt ist, nicht aber ihr organschaftlieber Vertreter. Demnach wäre er nicht für die Vernehmung als Zeuge "gesperrt". Eine derartige Sichtweise hieße, daß zwischen der juristischen Person und allen natürlichen Personen, die in ihr korporiert sind, auch insoweit eine strenge rechtliche Trennung bestünde. (2) Schweigerecht als Argument für die Rollenzuschreibung

Dagegen läßt sich wiederum das einwenden, was auch bei der Frage der Verfahrensrollen im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen und andere Personenvereinigungen vorgebracht wird. Wie bereits dargestellt, wird dort gesagt, daß das - nach dort einhelliger Ansicht auch für Verbände bestehende204 - Schweigerecht des Verbandes leerliefe, wenn der oder die Vertreter als Ranft, Strafprozeßrecht, S. 93. Von Bedeutung wäre die Abgrenzung zur Zeugenrolle außerdem auch aus dem Grunde, daß der Zeuge nach der geltenden StPO vor seiner Vernehmung nicht im Sitzungssaal anwesend sein darf, vgl. §§58 Abs. 1, 243 Abs. 2 StPO. 202 Vgl. dazu bereits oben 3. Teil 1. Abschnitt A. 203 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 3. 204 Im einzelnen dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. I. b). 2oo

2o1

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

141

Zeugen mit der entsprechenden umfassenden Aussage- und Wahrheitspflicht vernommen werden könnten. Das beruht auf der allgemeinen Abgrenzung von Beschuldigtem und Zeugen im Strafverfahren, wonach sich die Stellung als Beschuldigter im Hinblick auf sein Schweigerecht nicht mit den Pflichten eines Zeugen, namentlich mit der Aussage- und Wahrheitspflicht, verträgt205 . Der hieraus folgende logische Schluß für die spezielle Situation der juristischen Person, die ja "selbst" nicht mehr schweigen kann, wenn alle für sie handelnden natürlichen Personen als aussage- und wahrheitspflichtige Zeugen vernommen werden, leuchtet unmittelbar ein. Hier steht aber noch nicht fest, ob der juristischen Person tatsächlich ein derartiges Schweigerecht zusteht; dies wird erst an anderer Stelle206 zu klären sein. Es ist gleichwohl -auch ohne Vorgriff auf die Geltung dieses "Verfahrensgrundrechts" für juristische Personen - schon auf Grundlage des Verhältnisses von organschaftlichem Vertreter zur juristischen Person eine Festlegung der Rollen im Prozeß möglich. Für eine Lösung ohne Rückgriff auf das Schweigerecht spricht zudem, daß sie auf übergeordneten Überlegungen beruht, die auch die Grundlage für die Rollenverteilung in anderen Prozeßordnungen wie beispielsweise in der ZPO darstellen. Dort muß die Abgrenzung von Partei- und Zeugenrolle des Vertreters ohne Blick auf besondere Schweigerechte der juristischen Person in der Parteirolle durchgeführt werden, denn wegen§ 138 Abs. 1 ZPO sind die Parteien grundsätzlich zu vollständigem und wahrheitsgemäßem Vorbringen verpflichtet. 207 (3) Rollenzuschreibung auf Grundlage der Organfunktion

Zwar gilt im Grundsatz für das Verhältnis zwischen juristischer Person und den in ihr korporierten natürlichen Personen eine strenge Trennung208 , die - wie bereits angedeutet - für eine entsprechende Trennung auch bei den Verfahrensrollen spräche. Würde dies allgemein für den organschaftliehen Vertreter gelten, stünde er folglich auch als Zeuge zur Verfügung, da er gerade nicht selbst Beschuldigter ist. Für die Bestimmung der Verfahrensrolle ist eine Identifizierung mit der beschuldigten juristischen Person jedoch notwendig. Das ergibt sich aus der bereits angedeuteten Stellung des organschaftliehen Vertreters im Verhältnis zur juristischen Person: Die Vertretungsorgane gehören dem Verband als verfassungsmäßige Glieder an und stehen ihm nicht als Dritte oder Fremde gegenüber.Z09 Das ist darauf zos Vgl. BGHSt 10, 8, 10; BGH JR 1969, 148, 149. Unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. 207 Zu den Grenzen der Wahrheitspflicht vgl. Thomas/ Putzo, ZPO, § 138 Rn. 7, die im Hinblick auf strafrechtliche Selbstbelastung und herabmindernde Auskünfte der Regelung für die Zeugenaussage in § 384 Nr. 2 ZPO entsprechen. 208 Vgl. nur Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 214; auch Larenz /Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 173 Rn. 26. 209 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 263; Flume, Die juristische Person, § II I, S. 379; Staudinger I Weick, BGB, § 26 Rn. 10; dies gilt unabhängig von den im Zivilrecht 206

142

3. Teil: Prozessuale Probleme

zurückzuführen, daß juristische Personen selbst nicht handeln können.210 So ist aber auch der für die Durchführung des Strafverfahrens notwendige Vertreter nicht als ein gegenüber der juristischen Person Fremder oder Dritter anzusehen, sondern ist ihr zugehörig, ist unverzichtbarer Bestandteil der juristischen Person. Nur durch ihn kann der Verband mit den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht kommunizieren, kann nur durch ihn seine Rechte ausüben und sich z. B. zum Tatvorwurf einlassen. Dabei kann er nicht in ein und demselben Verfahren als unentbehrlicher Teil des Ganzen erscheinen und sodann als außenstehender Zeuge über sein "persönliches" Wissen vernommen werden. Eine derartige Rollenvermischung widerspräche nicht nur dem Verständnis der juristischen Person, sondern hieße auch, das Abstraktionsvermögen sowohl des Vertreters als auch der übrigen Verfahrensbeteiligten zu überfordern. Es erscheint kaum vorstellbar, wie der Vertreter beispielsweise im Laufe der gesamten Hauptverhandlung die angeklagte juristische Person in ihren Rechten vertritt sowie stets in ihrem Namen spricht, um dann für die Zeit der Beweisaufnahme - sozusagen in einer "Auszeit" - als Zeuge über seine eigenen Wahrnehmungen und sein eigenes Wissen befragt zu werden. Eine derartige Trennung in zwei rechtlich unterschiedlich zu bewertende Verhaltensebenen, nämlich in ein Verhalten für die beschuldigte juristische Person einerseits und in ein "höchstpersönliches" Verhalten des Vertreters als Zeugen andererseits, wäre daher nicht sachgerecht. Eine Ausnahme ist nur dort zu machen, wo andernfalls die höchstpersönlichen Rechte des organschaftliehen Vertreters auf dem Spiel stünden.211 Aus den Gründen der hier angesprochenen Klarheit der Rechtsverhältnisse sollte es zudem auf die Funktion als Organ ankommen, so daß jeder organschaftliehe Vertreter unabhängig von seiner sonstigen Beteiligung im Verfahren "als Beschuldigter" zu vernehmen wäre. Das hat aber weniger zu tun mit einem Zweck des Strafprozesses zur "Bewährung der von der Strafnorm bezweckten Verhaltensmotivation", die bei juristischen Personen laut Schlüter über ihre Organe erfolge212, als vertretenen Theorien zum Handeln dieser Vertretungsorgane, also unabhängig davon, ob der sog. "Vertretertheorie", die auf Savigny zurückgeführt wird, oder der sog. "Organtheorie" auf der Grundlage der Lehren Gierkes gefolgt wird. So stellt Karsten Schmidt (Gesellschaftsrecht, S. 256 f.) ohne Vorgriff auf die Theorie des organschaftliehen Handeln ausdrücklich fest, "daß das Zurechnungsverhältnis zwischen diesen Organen und dem Verband eine andere Qualität hat als bei den Bevollmächtigten .. . Das Handlungsorgan eines Verbandes handelt als unentbehrlicher Teil der Verbandsorganisation, nicht als ein willkürlich eingeschalteter Dritter." (Hervorhebung von Verf.); vgl. dort auch im weiteren VerlaufS. 258 ff., S. 263; auch Flume, Die juristische Person, § 11 I, S. 377 ff., 379, der sich deutlicher auf Savigny beruft, sieht die Besonderheit der Stellvertretungsorgane der juristischen Person darin, daß diese der juristischen Person nicht "als Fremde" gegenüber stünden, sondern ihr zugehörig seien. 210 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 170 Rn. 14; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 219. 211 Dazu näher unten 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 2. (zum eigenen Auskunftsverweigerungsrecht), 3. Teil 3. AbschnittE. I. (zu bestimmten Zwangsmaßnahmen). 212 Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 224 (im Ergebnis zur Rolle der übrigen Organe aber wie hier).

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

143

vielmehr mit der Stellung des Organs zum Verband und der grundsätzlichen Möglichkeit, für ihn Rechte auszuüben und deshalb mit ihm "identifiziert" zu werden.

c) Fazit

Die besseren Argumente sprechen daher dafür, dem Vertreter der beschuldigten juristischen Person eine Rolle zuzuschreiben, die der Stellung des Vertreters in den oben dargestellten Verfahrensordnungen - mit Ausnahme des US-amerikanischen und des australischen Strafverfahrens - weitgehend entspricht. Es ist somit festzuhalten, daß auch in einem Strafverfahren gegen juristische Personen der organschaftliehe Vertreter im Prozeß insoweit mit dem Beschuldigten gleichzusetzen ist, als er nicht als Zeuge vernommen werden kann. Das heißt, daß zwar nur die juristische Person formell Beschuldigte ist, so daß der Vertreter nicht als Beschuldigter im technischen Sinne angesehen werden kann und - in Ladungen, Anklageschrift oder Urteil - auch nicht so bezeichnet werden sollte. Er ist aber von den anderen Verfahrensbeteiligten zumindest im Hinblick auf Befugnisse und Einlassungen der beschuldigten juristischen Person wie der Beschuldigte zu behandeln und füllt insoweit die Stellung des Beschuldigten aus. Der Vertreter muß im Verfahren alle Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten ausüben können?13 Für ein möglicherweise bestehendes Schweigerecht hat dies zur Folge, daß es nicht völlig leerlaufen kann, weil ja der Vertreter nicht als Zeuge mit entsprechender Aussage- und Wahrheitspflicht vernommen werden darf. Da die Rollenverteilung in parallelen und verbundenen Verfahren davon abhängt, welchen Beschuldigtenbegriff man zugrunde legt und der materielle Beschuldigtenbegriff sich vor allem aus dem Schweigerecht des Beschuldigten herleiten läßt, wird für die sich dann ergebenden Sonderprobleme bei anderen Verfahrenskonstellationen nach unten verwiesen? 14 Was die Stellung des Vertreters bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen und die Auferlegung von sonstigen Pflichten angeht, so soll an dieser Stelle ebenfalls nach unten verwiesen werden?15

213 Im Ergebnis so auch Busch, Grundfragen, S. 218.

Die Frage Nijboers, Criminal Responsibility, S. 315, ob denn die Tatsachenauskünfte der Vorstandsvorsitzenden, Direktoren oder Angestellten des Unternehmens als Auskünfte des Unternehmens angesehen werden müssen, ist demnach für die Vorstandsvorsitzenden und Direktoren, sofern es sich bei ihnen um Vertretungsorgane handelt, zu bejahen; die oben unter 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 1. geäußerten Bedenken hinsichtlich der mangelnden "natürlichen" Identität von Vertreter und Beschuldigtem sind freilich auch hier zu betonen. 214 Vgl. unten 3. Tei13. Abschnitt B. II. 3. a). 215 Vgl. unten 3. Teil 3. AbschnittE. 1., F. II. 2. b) bb) (1).

144

3. Teil: Prozessuale Probleme

5. Stellung der übrigen Verbandsmitglieder im Prozeß

Nachdem die Stellung der Organe im Verfahren bestimmt ist, bleibt zu erörtern, welche Rolle die übrigen Verbandsangehörigen wie zum Beispiel Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, Kommanditisten oder auch andere Gesellschafter, Mitglieder und Mitarbeiter in einem Strafverfahren gegen den Verband haben werden.216 Der Rollenverteilung im Zivil- und im Verwaltungsgerichtsverfahren sowie im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße 217 entspräche es, diese Mitglieder von juristischen Personen bzw. Personenvereinigungen nicht "als Beschuldigte" anzusehen, so daß sie als Zeugen in Frage kämen. Aus der Begründung einer Verbandsstrafe könnte sich gleichwohl für das Strafverfahren etwas anderes ergeben. Die Verbandsangehörigen sind Teil des beschuldigten Personenverbandes, der nicht nur als Sondervermögen, sondern vor allem als überindividuelle Einheit angesehen wird 218 , und sind als solche von der Verbandsstrafe zumindest mitbetroffen.Z 19 Zum Teil wird die Unternehmensschuld in einer "fehlerhaften kollektiven Willensbildung" 220 gesehen. Auch wird teilweise vertreten, daß die "Strafempfänglichkeit" von juristischen Personen gerade deswegen zu bejahen sei, weil die Sanktion sich mittelbar auf die Mitglieder negativ auswirken und so zu innerverbandliehen Reaktionen führen würde 221 ; die einzelnen Mitglieder würden den Vorwurf an den Verband aufnehmen 222 und sich durch die Strafe zu einem künftig rechtstreuen Verhalten motivieren lassen, womit die "Ansprechbarkeit" der Verbände auf Strafe gewährleistet sei 223 . Es ist fraglich, ob es bei einer solchen Sichtweise nicht naheliegt, die Mitglieder der juristischen Person auch "als Beschuldigte" anzusehen. Dies ließe sich aber nur dann begründen, wenn entweder die Verbandsmitglieder als mit dem Verband identisch anzusehen wären oder wenn es sich bei der Verbandsstrafe letztlich doch um eine "Kollektivstrafe" mit einem Vorwurf gegenüber jedem einzelnen Mitglied des Personenverbandes handelte. Von dieser Grundlage gehen die Befürworter einer Verbandsstrafe jedoch nicht aus. Es sollen nicht die Verbandsmitglieder per216 Zur Stellung des "besonderen Vertreters" im Sinne des § 30 BGB, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, vgl. Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 225 ff.; dort S. 231 ff. auch zur Verfahrensstellung des Insolvenzverwalters. 217 Vgl. die Nachweise oben 3. Teil2. Abschnitt C. I. 2. 218 Vgl. nur Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 189. 219 Vgl. dazu oben 2. Teil 3. Abschnitt A ., B. I. 2. a). 22o Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 201 f., siehe oben 2. Teil 3. Abschnitt B. III. 1. b). 221 Vgl. Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 18; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 206; Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105; näher dazu und zum folgenden oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 1. 222 Albert Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105. 223 Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 203 f.; zustimmend Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 198; Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 25.

2. Abschnitt: Organisatorische Probleme

145

sönlich verantwortlich gemacht werden224, und zwischen Verbandsmitgliedern und Verband wird offensichtlich eine Trennung angenommen. Wie oben bereits festgestellt225, wird eine Verbandsstrafe überhaupt nur so zu legitimieren sein, denn eine kaschierte Kollektivhaftung der einzelnen Mitglieder ist im Hinblick auf den Schuldgrundsatz nicht zu rechtfertigen. Auf dieser Grundlage ist die Stellung der übrigen Verbandsmitglieder daher so zu umschreiben, daß sie zwar Teil des Ganzen, aber doch grundsätzlich nicht mit der juristischen Person zu identifizieren sind. Anders als die organschaftliehen Vertreter haben die übrigen Verbandsangehörigen auch nicht die Funktion, daß der Verband nur durch sie handeln könnte. Aus diesem Grunde muß bei ihnen das Trennungsprinzip nicht durchbrochen werden; eine so weitgehende Identifizierung wie bei den Organen ist bei ihnen nicht notwendig. Sie können anders als diese als "Dritte" angesehen werden. 226 Wie Schlüter richtig ausführt227 , ändert daran auch der Gedanke an den die Gesellschafter infolge der Bestrafung treffenden Wertverlust hinsichtlich ihrer Anteile nichts. Denn dies bedeutet ebenfalls nur ein mittelbares Betroffensein. Im übrigen sollte diese Sichtweise auch für das Verfahren bei Zugrundelegung solcher Verbandsstrafenmodelle beibehalten werden, bei denen die Taten irgendeines Mitarbeiters oder Mitgliedes als Anknüpfungstaten gelten. 228 Denn für das Auftreten im Verfahren gilt auch dann, daß (nur) die organschaftliehen Vertreter als innerverbandlieh Legitimierte notwendig sind, damit der Verband überhaupt im Prozeß handeln kann. Die nicht als Organe fungierenden Verbandsmitglieder sind daher nicht "als (Mit-)Beschuldigte" zu behandeln und können somit im Verfahren gegen die juristische Person grundsätzlich als Zeugen vernommen werden. 229

111. Zusammenfassung

Wie in den anderen Verfahrensordnungen empfiehlt sich auch im Strafverfahren die Vertretung der juristischen Personen und anderer Personenvereinigungen durch 224 Vgl. dazu oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. a) unter Hinweis auf Pohl-Sichtennann, Geldbuße gegen Verbände, S. 10; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 204; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 26 f.; von Weber, JZ 1953, 294; ders., Diskussionsbeiträge zum 40. DJT, E 61 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 208; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 127; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 268. 22s 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 3. 226 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 214. 227 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 241 ff., dort S. 242 unter Hinweis auf den schuldrechtlichen Charakter der Ansprüche des Gesellschafters im Gegensatz zu den dinglichen Interessen des Einziehungsbetei1igten. 228 So z. B. im Diskussionsentwurf des Hessischen Ministeriums der Justiz, S. 11. 229 Ebenso Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 229 f.

10 Drope

146

3. Teil: Prozessuale Probleme

ihre organschaftliehen Vertreter bzw. durch ihre vertretungsberechtigten Gesellschafter. Ausgenommen werden sollten wegen möglicher Interessenkonflikte die Individualtäter, sofern sie sich neben dem Verband strafbar machen können. Diese Vertreter sind im Strafverfahren jedenfalls hinsichtlich der Rechtsausübung "als Beschuldigte" zu behandeln, obwohl sie formell nicht selbst beschuldigt sind. Daher können sie nicht als Zeugen vernommen werden. Etwas anderes gilt hingegen für die übrigen, nicht als Organe vertretungsberechtigten Verbandsangehörigen, die zeugenfähig sind. 3. Abschnitt

Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person Wie bereits in der Einleitung zum prozeßrechtlichen Teil dieser Arbeit erwähnt, ist die Verfahrensstellung des Beschuldigten im Strafverfahren durch ihre Rollenambivalenz230 geprägt. Der Beschuldigte ist als Träger von Verfahrensrechten "Prozeßsubjekt", das auf den Ablauf des Prozesses Einfluß nehmen kann. 231 Daneben ist er aber auch Objekt staatlichen Zwangs und Beweismittel im materiellen Sinn. 232 Im folgenden Abschnitt soll betrachtet werden, ob sich die Verfahrensstellung eines beschuldigten Verbandes ähnlich darstellen würde wie die einer beschuldigten natürlichen Person. Zu untersuchen ist daher, ob eine juristische Person als Beschuldigte auch mit solchen Verfahrensrechten auszustatten ist, wie sie dem Beschuldigten im geltenden Strafverfahrensrecht zustehen, und in welcher Form sie Zwangsmaßnahmen ausgesetzt ist und sich als Beweismittel darstellen kann. Sowohl hinsichtlich der Rechte als auch der Pflichten soll in dieser Untersuchung die Frage beantwortet werden, ob der Gesetzgeber bei der Entwicklung eines Strafverfahrensrechts für Verbände völlig frei ist, was die Ausgestaltung der Rechtsstellung der beschuldigten juristischen Person betrifft, oder ob übergeordnete Gesichtspunkte, insbesondere verfassungsrechtliche, ihm Grenzen setzen. Bei den hier zu untersuchenden Rechten ist daher maßgeblich, inwieweit diese übergeordneten Grundsätze die Rechtsstellung der beschuldigten juristischen Person auch im Strafverfahren mitbestimmen; bei der Pflichtenstellung geht es vor allem um die Grenzen, die sich aus den Rechten der juristischen Person ergeben. Darüber hinaus wird stets zu beriicksichtigen sein, daß die juristische Person eines VertreSo der Begriff bei Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1216. Vgl. nur SK-StPO-Rogall, Vor § 133 Rn. 9, 59 m. w. N.; LR-Rieß, Einl. Abschn. I Rn. 66 und die Nachweise oben 3. Teil I. Abschnitt A. 232 Vgl. nur SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 9, 59 m. w. N. und die Nachweise oben 3. Teil 1. Abschnitt A.; vgl. auch Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 107: Beschuldigter auch ,.Untersuchungsobjekt". 230 231

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

147

ters bedarf, der seinerseits über - eigene - Rechte verfügt, die mit der Rechts- und Pflichtenstellung der juristischen Person kollidieren oder konkurrieren können. Im einzelnen zu untersuchen sind die Rechte, die bei der beschuldigten natürlichen Person von hervorgehobener Bedeutung sind. An erster Stelle steht dabei das Recht, sich bei Vernehmungen - verkürzt gesagt233 - zwischen zwei Verteidigungsmöglichkeiten entscheiden zu können, nämlich zu reden oder zu schweigen234. Die so verstandene Aussagefreiheit hat zwei Ausprägungen, eine positive und eine negative. Die positive läßt sich als Ausdruck des Anspruchs auf rechtliches Gehör verstehen 235 , die negative ist Ausdruck des Grundsatzes "nemo tenetur se ipsum accusare", des Verbotes des Selbstbelastungszwangs236. Die Geltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Nemo-tenetur-Grundsatzes sollen daher als erstes behandelt werden. Danach folgen die Verfahrensrechte, die sich eher als "flankierende" Rechte 237 darstellen, nämlich das Recht auf Verteidigerbeistand und die Belehrungspflichten, die den Schutz des Beschuldigten gewährleisten sollen. Anschließend wird ein vertiefender Blick auf die Pflichtenstellung geworfen, wenn es darum geht, die möglichen Zwangsmaßnahmen im Verfahren gegen juristische Personen zu bestimmen. Den Abschluß bildet das Kapitel über die Anwesenheit der juristischen Person, in dem sowohl Rechte als auch Pflichten der juristischen Person betrachtet werden.

A. Der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem Strafverfahren gegen juristische Personen Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs kommt nicht nur in verschiedenen Einzelvorschriften der geltenden StPO zum Ausdruck238, sondern ist in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich positiviert. Er besagt im Kern, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden dürfen, zu denen der von ihr Betroffene hat Stellung nehmen können. 239 Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, daß die erlassene Entscheidung frei von 233 Rogall, in SK-StPO, Vor § 133 Rn. 67, hält es für mißverständlich, angesichts einer ganzen "Palette von Verhaltensmöglichkeiten" von zwei Verteidigungsarten zu sprechen; so auch LR-Hanack, § 136 Rn. 21; vgl. auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen in der Darstellung bei Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 176. 234 Vgl. zu diesen Verhaltensalternativen nur Rogall, Der Beschuldigte, S. 42; KK-StPOBoujong, § 136 Rn. 10, 12. 235 Vgl. nur Eser, ZStW Beiheft 1974, 147; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 97. 236 Ausführlich dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt B. 237 Vgl. dazu im Bezug auf das Schweigerecht Eser; ZStW Beiheft 1974, 147 f. 238 Vgl. hierzu mit einzelnen Beispielen LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 73. 239 BVerfGE 6, 12, 14; 7, 275, 278; BGHSt 22, 336, 339m. w. N., 26, 332, 335; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 342; LR-Rieß, Ein!. Abschn. H. Rn. 71; Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 265; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 18 Rn. 3.

10*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

solchen Verfahrensfehlern ergeht240, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Beriicksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben.Z41

I. Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Strafverfahren

Im Strafverfahren ist Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Beschuldigten zum einen die Möglichkeit, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen im Rahmen seiner Vernehmung242, durch Erklärungen243 , durch Fragen an Zeugen oder Sachverständige244, Schlußvortrag245 oder "letztes Wort"246 Stellung zu nehmen. 247

Dem vorgelagert ist das Recht auf Information über den Tatvorwurf und das Beweismaterial, z. B. durch Gewährung des Akteneinsichtsrechts 248 sowie durch Mitteilungs- 249 und Hinweispflichten 250 des Gerichts. Schließlich wird das Gericht durch den Anspruch auf rechtliches Gehör dazu verpflichtet, das Vorgebrachte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit dem für die Entscheidung Wesentlichen auseinanderzusetzen. 251

II. Anwendbarkeit auf juristische Personen Ob juristischen Personen diese Einzelgewährleistungen in einem Strafverfahren zugute kommen müssen, hängt davon ab, ob auch ihnen der Anspruch auf rechtliches Gehör zusteht, d. h. ob sie im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG Anspruchsberechtigte sind. Die Antwort hierauf ist eindeutig: Dieses Prozeßgrundrecht252 gilt

BVerfGE 50, 32, 35. BVerfGE 65, 305, 307; KK-StPO-Pfeiffer, Einleitung Rn. 26. 242 Einfachgesetzlich ist dies in §§ 136 Abs. 2 StPO, 243 Abs. 4 S. 2 StPO geregelt. 243 Vgl. § 257 Abs. 1 StPO. 244 Vgl. § 240 Abs. 2 StPO. 245 Vgl. § 258 Abs. 1 StPO. 246 Vgl. § 258 Abs. 3 StPO. 247 Vgl. zum Ganzen Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 10 Rn. 53. 248 Vgl. § 147 StPO; näher dazu unten 3. Teil 3. Abschnitt C. I. 2. b) bb). 249 Vgl. §§ 201 Abs. 1, 222 StPO. 250 Vgl. § 265 StPO. 251 BVerfGE 21, 46,48 m. w. N. ; 34, 344, 347; 51 , 126, 129; BGHSt 22, 336, 339; 28, 44, 46; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 112; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall lO Rn. 55. 252 BVerfGE 61, 14, 17; 65, 305, 307; auch 9, 89, 95; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 149; Stern, Staatsrecht Band III/ I, S. 1126; in der Terminologie ähnlich: Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 341 : justitielle Grundrechte; ebenso Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 25; BVerfGE 61, 82, 104: "grundrechtsähn1ich"; BVerfGE 75, 192, 200: ,jedenfalls grundrechtsähn1ich"; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 2: ,jedenfalls grundrechtsg1eich"; ähnlich auch Rüfn.er, in: lsensee/Kirchhof, Handbuch des Staats240 241

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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nach allgemeiner Ansicht auch für juristische Personen. 253 Deswegen soll hier nur in aller Kürze auf die Begrundung der Anwendbarkeit auf juristische Personen eingegangen werden. Im Ergebnis ist diese Begrundung stets gleich, ob nun zur Begrundung der Grundrechtsträgerschaft vornehmlich auf den Wortlaut von Art. 103 Abs. 1 GG Bezug genommen254 oder ob Art. 19 Abs. 3 GG herangezogen wird255 , wonach die Grundrechte für (inländische) juristische Personen - und bei entsprechender Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG auch für Personenvereinigungen, wenn sie zumindest teilweise Träger von Rechten und Pflichten sind256 - gelten, "soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind"257 . Immer wird die objektiv-rechtliche Seite der Justizgrundrechte betont, nämlich daß es sich bei ihnen um objektive Verfahrensgrundsätze handele 258 , welche von grundsätzlicher Bedeutung seien259 , daß es bei ihnen weniger um die Sicherung individueller Autonomie260, als vielmehr um die Mindestvorstellung von Verfahrensgerechtigkeit als Voraussetzung einer richtigen Entscheidung gehe. 261 Art. 103 Abs. l GG müsse für jeden von einem Verfahren Betroffenen gelten 262 , da es andernfalls einen "Einbruch in ... den rechts V, § 116 Rn. 37: "grundrechtsgleiche Rechte"; anders Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 19 Rn. 13: "sogenannte Prozeßrechte". 253 Vgl. nur BVerfGE 3, 359, 363; 12, 6, 8; 21, 362, 373; 64, I, 11; 75, 192, 200; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 6 m. w. N; Rüfner, AöR 89 (1964), 319 f.; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 116 Rn. 37; Schmidt-Bieibtreu !Kiein, GG, Art. 19 Rn. 13; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 341 f.; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 149; Stern, Staatsrecht Band III I l, S. 1126. 254 So BVerfGE 12, 6, 8; 21, 362, 373; 61, 82, 104; ähnlich auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III, Rn. 25: Die umfassende Geltung von Art. 101 Abs. I und 103 GG ruhe auf eigener Grundlage, so daß auch ohne Art. 19 Abs. 3 an ihr nicht zu zweifeln wäre. 255 So BVerfGE 3, 359, 363 ("sinngemäße Anwendung"); von Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 21. 256 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 26m. w. N. 257 Im einzelnen zu Art. 19 Abs. 3 GG vgl. unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) aa). 258 BVerfGE 21, 362, 373; 61, 82, 104. 259 Rüfner, AöR 89 (1964), 320. 260 Vgl. aber dagegen die Betonung des Menschenwürdegehaltes in BVerfGE 9, 89, 95; 55, 1, 5 f.; andererseits BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144, wo zwar noch darauf eingegangen wird, daß der Verfahrensbeteiligte nicht nur "Objekt" sein solle, die Herleitung des rechtlichen Gehörsanspruchs aber ausdrücklich nur aus dem Rechtsstaatsgedanken erfolgt. Zu der Diskrepanz zwischen der stark betonten Relevanz der Menschenwürde bei Art. 103 Abs. 1 GG und der Anwendbarkeit auf juristische Personen vgl. im einzelnen unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) aa) (2) (a). 261 Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 341, der sich im weiteren Verlauf kritisch zur Anwendbarkeit der justitiellen Grundrechte auf ausländische juristische Personen und solche des öffentlichen Rechts äußert, vgl. Rn. 343; ähnlich auch Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 25. 262 BVerfGE 3, 359, 363; 12, 8, 10; 21, 362, 373; 61, 82, 104; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 25.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit" bedeutete, wenn lediglich allen anderen Beteiligten das Recht auf Gehör zugestanden würde. 263 Für ein zukünftiges Strafverfahren gegen juristische Personen ist aufgrund dieser ausnahmslosen Übereinstimmung in Rechtsprechung und Schrifttum von dem Anspruch auf rechtliches Gehör auszugehen. Die genannten Einzelgewährleistungen müssen daher auch im Verfahren gegen juristische Personen gelten. Dabei übt der organschaftliehe Vertreter264 die Rechte der juristischen Person aus. 265

B. Geltung und Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Verfahren gegen Verbände Ein Schwerpunkt der prozessualen Betrachtung einer Verbandsstrafe muß bei der Frage liegen, ob der Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare"266 , dessen Inhalt kurz als Verbot des Selbstbelastungszwangs267 umschrieben werden kann, auch für juristische Personen Geltung beansprucht. 268 Bevor die Bedeutung dieses Problems näher erläutert werden kann, sei hier kurz der Inhalt des Grundsatzes und das Schutzbedürfnis der juristischen Person umrissen. Der Nemo-tenetur-Grundsatz schützt natürliche Personen vor Zwang zur aktiven Selbstüberführung durch unmittelbare oder mittelbare Ausübung von Druck. In erster Linie bezieht sich die Selbstbelastungsfreiheit auf selbstkompromittierende Aussagen, durch die sich der Betroffene der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde, im Strafverfahren, daneben aber auch in anderen Verfahrensarten, z. B. im Zivilverfahren. Weiterhin ist Gegenstand der Selbstbelastungsfreiheit die Herausgabe von entsprechendem BeweismateriaL Ein Zwang zur Selbstbelastung durch Aussagen wird insbesondere durch Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte, teilweise aber auch durch Offenbarungs- bzw. Verwertungsverbote gewährleistet. Der Nemo-tenetur-Grundsatz verleiht jedoch keinen Schutz bei bloßer Gefahr von Vermögensnachteilen, der Preisgabe von wichtigen Geheimnissen oder bei Offenbarung von Sachverhalten, die dem Betroffenen zur Unehre gereichen könnten, da es dann an der Herbeiführung staatlicher Sanktionen fehlt. Als Träger der Selbstbelastungsfreiheit steht der Beschuldigte in einem Strafverfahren im Vor-

BVerfGE 12, 6, 8 (zur Anwendbarkeit auf ausländische juristische Personen). Näher zu der Frage, wann bei mehrköpfigen Vertretungsorganen die Rechte ausgeübt sind, vgl. Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 220 ff. 265 Zu möglichen Konflikten im Hinblick auf Aussagen vgl. unten 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 2. b). 266 Oder auch: "nemo se ipsum prodere". 267 Vgl. SK-StPO-Rogall, vor§ 133 Rn. 139. 268 So z. B. auch Heine, bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 897; Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 86, 100. 263

264

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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dergrund, daneben kommt sie auch dem Zeugen, dem Verdächtigen und sonstigen Auskunftspflichtigen zugute. 269 Bei der Frage, ob juristische Personen sich auf den Nemo-tenetur-Grundsatz berufen dürfen, kann es letztlich nur um Verhaltensweisen des Vertreters und anderer Verbandsangehöriger gehen, um den Schutz vor auf diese Personen ausgeübten Zwang mit dem Ziel der Belastung des Verbandes. Die Frage ist daher, ob der juristischen Person der Schutz vor Selbstbelastungszwang in den genannten Bereichen zukommt und sich zumindest die Vertreter darauf berufen könnten, damit er nicht leerläuft Die Geltendmachung dieses Rechts der juristischen Person würde - bezogen auf den wohl wichtigsten Aspekt des Grundsatzes - bedeuten, daß der Vertreter "für" die juristische Person schweigen dürfte, d. h. daß die juristische Person ebenso wie eine beschuldigte natürliche Person im Strafverfahren frei wäre, sich einzulassen. Zwang, insbesondere in Form von Zwangsgeldem oder durch negative öffentliche Äußerungen 270 , wäre dann unzulässig. Diese Einlassungsfreiheit im Strafverfahren steht im Vordergrund der folgenden Untersuchung. Das heißt jedoch nicht, daß bei Anwendbarkeit des Nemo-teneturPrinzips auf juristische Personen hinsichtlich des Inhalts, Gegenstands, Umfangs und der Trägerschaft nicht grundsätzlich dasselbe gelten müßte wie für natürliche Personen. Soweit im folgenden von Einlassungsfreiheit oder Aussageverweigerungs- bzw. Schweigerechten die Rede ist, ist dies daher als pars pro toto zu verstehen. Das besondere Interesse an der Frage, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz auch für juristische Personen gilt, spiegelt sich in der nachfolgend dargestellten Literatur zum ausländischen Recht, zum EU-Kartellrecht und im Hinblick auf die Bußgeldhaftung juristischer Personen im deutschen Recht wider. Es erklärt sich inhaltlich zum einen mit der "Beispielsfunktion" für andere Verfahrensrechte. Hier wie bei anderen Verfahrensrechten geht es darum, traditionell für den Menschen geschaffene Rechte auf juristische Personen zu übertragen. Wie und ob dies funktioniert, kann an diesem Grundsatz, der ganz wesentlich die Verfahrensposition des Beschuldigten prägt und auf die Auslegung und Anwendung anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften einwirkt271 , exemplarisch gezeigt werden. Auch läßt sich ob seiner großen Bedeutung für die Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren der Nemo-tenetur-Grundsatz als "Prüfstein" für die Rechtsstellung des Verbandes im ganzen begreifen. Weiterhin lassen sich im Zusammenhang mit diesem Recht mögliche Kollisionen mit (Grund- und Verfahrens-)Rechten der Vertreter und Mitglieder der juristischen Person gut darstellen. Schließlich erschließt sich die besondere Bedeutung dieses Prinzips aus einem der Argumente, die für die Einführung einer Verbandsstrafe häufig genannt werden, nämlich aus dem Hinweis auf die

270

Zum ganzen SK-StPO-Rogall, vor§ 133 Rn. 139 ff. Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 123, dort im Zusammenhang mit § 136 a

271

SK-StPO-Rogall, vor§ 133 Rn. 130.

269

StPO.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

schwierige Beweissituation bei der Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit unternehmerischer Tätigkeit begangen werden. Erwartet wird dabei, daß mit der Möglichkeit einer Bestrafung von juristischen Personen die leichtere Überführung des Täters bzw. des Täterunternehmens einhergeht. Wenn auch durch eine entsprechend weite Fassung der materiellen Straftatbestände Beweisschwierigkeiten für die Strafverfolgungsbehörden verkleinert werden können und dem Unternehmen dann die Erfüllung von nur wenigen Merkmalen nachgewiesen werden müßte272 , blieben in einer solchen Situation beispielsweise Auskünfte der Verbandsvertreter, Angestellten und Verbandsangehörigen oder Dokumente aus dem inneren Verbandsbereich wichtige Beweismittel, um den Verband zu überführen. Wenn die genannten Personen die Aussage, Auskunft bzw. Herausgabe von Unterlagen verweigern dürften, könnte sich der mit einer Verbandsstrafe zu erzielende Gewinn für die Nachweisbarkeit von Straftaten im Verbandskontext möglicherweise schmälern. Entsprechend der hervorgehobenen Bedeutung des Nemo-tenetur-Grundsatzes wird die Untersuchung, ob und in welchen Grenzen er auch für juristische Personen gilt, einigen Raum einnehmen. Die persönliche Reichweite, das Zusammentreffen mit der höchstpersönlichen Einlassungsfreiheit der ausübungsbefugten natürlichen Person und die Auswirkungen des Schutzes vor Selbstbelastungszwang des Verbandes bei Befragungen des Ausübungsbefugten in anderen Verfahren sind Folgeprobleme, die im Anschluß hieran behandelt werden sollen. I. Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes

Die Frage, ob in einem zukünftigen Strafverfahren der Nemo-tenetur-Grundsatz auch für juristische Personen Geltung haben muß, soll hier nicht losgelöst von der Diskussion beantwortet werden, wie bislang, d. h. im geltenden Recht mit diesem Problem umgegangen wird. Daher wird im folgenden ein ausführlicher Überblick über die für das geltende Recht vorgetragenen Argumente für und wider die Anwendung dieses Rechts auf Verbände gegeben. Daran wird sich eine eigene Lösung, bezogen auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen, anschließen. 1. Die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im geltenden in- und ausländischen Recht sowie im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht

Die Frage, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz auch für juristische Personen und Personenvereinigungen Anwendung findet, ist in Deutschland wegen der begrenzten - im weiteren Sinne - strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden bislang nur vereinzelt diskutiert worden. Schon aus diesem Grunde interessiert hier 272

Dazu unten 3. Teil 4. Abschnitt B. I. 2. d) und II. I.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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der "Blick über die Grenzen". Erste Anhaltspunkte für die Beantwortung können sich daraus ergeben, wie in einigen ausgesuchten ausländischen Rechtsordnungen, in denen eine Verbandsstrafe bereits existiert273 , mit der Frage des Schutzes vor Selbstbelastungszwang umgegangen wird. Anschließend werden die Rechtslage im EU-Kartellrecht und danach die Stellungnahmen zur Lage im geltenden deutschen Recht dargestellt.

a) Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang von juristischen Personen und Unternehmen in anderen Rechtsordnungen

aa) Rechtsordnungen ausländischer Staaten Zunächst erfolgt der Blick auf einen Teil der Länder, in deren Rechtsordnungen eine Verbandsstrafe schon vorgesehen ist. Die Beschäftigung mit ausländischen Rechtsordnungen ist im Hinblick auf den Satz "nemo tenetur se ipsum accusare" schon deshalb sinnvoll, weil es sich bei diesem Grundsatz nicht um eine deutsche "Erfindung", sondern vielmehr um ein in "uralte Zeiten" 274 zurückreichendes Prinzip handelt275 , das mit dem uns heute geläufigen Inhalt, daß niemand verpflichtet sei, sich zum Beweismittel gegen sich selbst zu machen, auf den englischen Rechtskreis zurückgeht276. Dort war schon im 17. Jahrhundert das Recht des Angeklagten, die Aussage zu verweigern, anerkannt. 277 Eine Positi vierung des Grundsatzes erfolgte im 5. Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung278 im 18. Jahrhundert. 279 Insofern lassen sich die Auffassungen in den anderen Rechtsordnungen als Anregungen für eine Diskussion im deutschen Recht interpretieren.

Dazu oben 1. Teil 3. Abschnitt. Vgl. Rogall, Der Beschuldigte, S. 67. 275 Zur "Frühgeschichte" des Nemo-tenetur-Grundsatzes und seinen Wurzeln im talmudischen und kanonischen Recht: Rogall, Der Beschuldigte, S. 67 ff.; vgl. auch Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 3 f. 276 Rogall, Der Beschuldigte, S. 76 ff. 277 Rogall, Der Beschuldigte, S. 80 f.; vgl. auch Dingeldey, JA 1984, 408; Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 5. 278 Wortlaut des hier interessierenden Teils des 5. Zusatzartikels zur Verfassung (5'h amendment): "(No person) . .. shall be compelled in any criminal case tobe a witness against himself ... " (". .. (Keine Person) soll in irgendeinem Strafverfahren gezwungen werden, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen ... ", Übersetzung: Niklaus Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten). 279 Hierzu Rogall, Der BeschuldigteS. 81 ff. 273

274

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3. Teil: Prozessuale Probleme

( 1) Vereinigte Staaten von Amerika

(a) Rechtsprechung des Supreme Courts In den USA besteht die Möglichkeit, auch Verbände zu bestrafen, wie dargestellt schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist es ständige Rechtsprechung des US-Supreme Courts, daß Verbände sich nicht auf das "privilege against self-incrimination", d. h. auf die im 5. Zusatzartikel zur Verfassung enthaltene Schutzgarantie vor Selbstbezichtigung berufen können. 280 Zum besseren Verständnis der im folgenden dargestellten Rechtsprechung des Supreme Courts zur Selbstbezichtigungsfreiheit von Personenverbänden ist anzumerken, daß seit der Entscheidung Boyd v. U. S?81 aus dem Jahre 1886 das Gericht die Reichweite des 5. Zusatzartikels in sachlicher Hinsicht auf die erzwungene Herausgabe von Dokumenten und Aufzeichnungen erstreckt. So wird die Frage, ob sich juristische Personen auf einen Schutz durch den 5. Zusatzartikel berufen können, auch - und vor allem - in solchen Fällen behandelt, in denen es um die durch Vorlagebefehle ("subpoenas") erzwungene Herausgabe bzw. Vorlage von Geschäftsunterlagen geht. Ferner sei noch vorausgeschickt, worin der Sinn und Zweck des 5. Zusatzartikels nach Ansicht des Supreme Courts besteht: Neben dem Schutz von Rechten des Angeklagten wie der Unverletzlichkeit seiner Persönlichkeit und seiner Privatsphäre soll das Privileg auch widerspiegeln, daß der US-amerikanische Strafprozeß dadurch gekennzeichnet sei, daß er das akkusatorische gegenüber dem inquisitorischen System bevorzugt; die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang sei Ausfluß des amerikanischen Sinns für "fair play", der ein Gleichgewicht zwischen Staat und Angeklagtem vorschreibe? 82 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1906, Hale v. Henkel 283 , befaßte sich der Supreme Court erstmals mit der Frage, wie sich der Schutz von juristischen Personen ("corporations"284) vor erzwungener Belastung durch Aussagen gestaltet, ohne 280 Vgl. Haie v. Henkel (201 U. S. 43,69 ff.); Wilson v. V. S. (221 U. S. 361 (1911)); Baitimore & 0. R. Co. v. Interstare Commerce Com. (221 U. S. 612,622 (1911)); Wheeler v. V. S. (226 U. S. 478,489 f. (1913)); Essgee Co. ofChina v. V. S. (262 U. S. 151 (1923)); V. S. v. White (322 U. S. 694 (1944)); V. S. v. Bausch & Lomb Optical Co. (321 U. S. 707,726 (1944)); Oklahoma Press Publishing Co. v. Walling (327 U. S. 186, 208 (1946)); George Campbell Painting Corp. v. Reid (392 U. S. 286, 288 f. (1968)); Bellis v. V. S. (417 U. S. 85 (1974)); Fisher v. U.S. (425 U. S. 391,426 (1976)); Braswell v. V. S. (487 U. S. 99, 102 (1988)). 281 116 U. S. 616 (1886). Hiernach überschneiden sich der 4. Zusatzartikel, der vor ,.ungerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen" schützt (,.unreasonable search and seizure"), und der 5. ZusatzartikeL Die erzwungene Herausgabe von privaten Büchern und Papieren bedeute ein erzwungenes Zeugnis gegen sich selbst im Sinne des 5. Zusatzartikels und sei das Äquivalent zu einer ungerechtfertigten Durchsuchung und Beschlagnahme im Sinne des 4. Zusatzartikels (634 f.). 282 Vgl. Murphy v. Wateifront Comm'n, 378 U. S. 52,55 (1964). 283 201 U. S. 43. 284 Zum Begriff ,.corporation" und seiner Übertragbarkeit ins Deutsche vgl. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 95 in Fn. 34.

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jedoch ausdrücklich festzustellen, ob der persönliche Schutzbereich des 5. Zusatzartikels nicht auch juristische Personen umfasse. So ging es in der Entscheidung zum einen darum, ob ein Vertreter einer juristischen Person die Zeugenaussage verweigern darf, wenn die Gefahr besteht, daß er mit seiner Aussage die juristische Person belastet. Dies verneinte das Gericht mit der Begründung, daß das im 5. Zusatzartikel verbriefte Recht ein ausschließlich persönliches sei; der Zeuge dürfe daher nicht unter Berufung auf die Belastung eines Dritten die Aussage verweigern, auch wenn er dessen Vertreter ist. Dies gelte erst recht dann, wenn es sich bei dem Dritten um eine juristische Person handelt. Zur weiteren Erklärung fügte das Gericht hinzu, daß ohne die Zeugenaussagen von Vertretern und Angestellten der Nachweis von Verstößen gegen das in jenem Fall betroffene (Kartell-)Gesetz nicht gelingen könne. Der Sinn eines von der Legislative erlassenen Gesetzes dürfe jedoch nicht dadurch zunichte gemacht werden, daß die Judikative jeglichen Zugang zu Informationsquellen verschließe. 285 Des weiteren, so das Gericht, dürfe sich ein Organ oder Mitarbeiter einer juristischen Person nicht mit der Begründung weigern, Dokumente der juristischen Person herauszugeben, daß sich diese im Falle der Herausgabe selbst belasten würde. Dabei ging es jedoch weniger um den 5. Zusatzartikel als vielmehr darum, ob der 4. Zusatzartikel mit seinem Verbot ungerechtfertigter Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in derartigen Fällen einschlägig ist. Der Supreme Court legte dar, daß im Falle der Zulässigkeit einer Herausgabeverweigerung mit Berufung auf ein entsprechendes Recht des Unternehmens eine Vielzahl von Verfahren, in denen der Nachweis nur mithilfe von Unterlagen möglich sei, scheitern müsse. Außerdem bestehe ein Unterschied zwischen dem Verhältnis von einerseits Mensch und andererseits juristischer Person zum Staat: Die Rechte des Individuums hätten schon vor der Organisation des Staates bestanden, unter ihnen auch die Rechte, sich selbst nicht belasten und Durchsuchungen ohne entsprechenden Durchsuchungsbefehl dulden zu müssen. Da der Staat dem einzelnen nichts gebe außer dem Schutz seines Lebens und seines Eigentums, schulde auch dieser dem Staat solange nichts, wie er nicht die Rechte anderer verletze. Die juristische Person hingegen sei eine Schöpfung des Staates mit dem Zweck, der Allgemeinheit Nutzen zu bringen. Sie sei mit bestimmten Privilegien ausgestattet, ihre Macht sei aber durch das Recht begrenzt. Ihr Recht, als Verband zu agieren, bestehe nur so lange, wie sie die Gesetze, die ihrer Bildung dienen, beachte. Es wäre eigenartig, so der Supreme Court, wenn der Staat der juristischen Person zwar Konzessionen geben könne, nicht aber berechtigt wäre zu untersuchen, ob diese Konzessionen mißbraucht werden. Der Staat dürfe deswegen nicht davon abgehalten werden, Dokumente von der Korporation herauszuverlangen. 286 Einige Jahre später erklärte der Supreme Court in der Entscheidung Wilson v. U. S.Z87 explizit, daß juristischen Personen der Schutz vor Selbstbezichtigungs285 286

Haie v. Henkel (201 U. S. 43, 69 f.). Haie v. Henkel (201 U. S. 43, 74 f.).

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3. Teil: Prozessuale Probleme

zwang nicht zustehe. Dabei zitierte es die Ausführungen in der Entscheidung Haie v. Henkel dazu, daß juristische Personen als Geschöpfe des Staates sich nur auf die Rechte berufen dürften, die ihnen von diesem zugebilligt worden seien, und sprach aus, daß der 5. Zusatzartikel gerade nicht zu diesen Rechten gehöre. Korporationen müßten Bücher und Dokumente herausgeben und dürften nicht geltend machen, daß sie sich sonst selbst belasten würden. 288 Besonderen Wert legte der Supreme Court auf allgemeine, historisch überlieferte Aufsichtsrechte des Staates über juristische Personen ("power of visitation" oder "visitatorial power"289), die einem Recht, Unterlagen wegen der möglichen Selbstbelastung der juristischen Person zurückzuhalten, entgegenstünden.290 Deswegen dürfe auch ein Organ der juristischen Person nicht den Schutz des 5. Zusatzartikel in Anspruch nehmen, wenn die Unterlagen der juristischen Person herausverlangt würden. Dies gelte auch dann, wenn diese Unterlagen für das Organ selbst belastend wirken könnten. 291 In der Entscheidung U. S. v. White 292 aus dem Jahre 1944, in der es um eine Gewerkschaft ging, von der verschiedene Dokumente herausverlangt worden waren, wurde dieses Ergebnis noch weiter untermauert. Der Supreme Court betonte hier die im wesentlichen "persönliche" Natur des Schutzes vor Selbstbezichtigungszwang. Das vom 5. Zusatzartikel umfaßte Recht habe seinen Grund darin, daß Strafprozesse und Ermittlungen auf der Basis von "Würde, Humanität und Unparteilichkeit" durchzuführen seien. Mit der Selbstbelastungsfreiheit solle verhindert werden, daß das Verfahren dazu genutzt wird, den zur Verurteilung erforderlichen Beweis "von den Lippen" des einzelnen Beschuldigten zu erzwingen, oder ihn dazu zu nötigen, persönliche Unterlagen herauszugeben, die ihn belasten könnten.293 Die Macht, von Organisationen die Herausgabe von Aufzeichnungen zu verlangen, ergebe sich aus der Macht des Staates, seine Gesetze durchzusetzen. Dabei sei der Schutz vor Selbstbezichtigungszwang auf seine historische Funktion zu begrenzen, nur das natürliche Individuum vor erzwungenen Belastungen durch eigene Aussagen oder persönliche Aufzeichnungen zu bewahren.294 Auch bei Verbänden, die nicht als "corporations" organisiert seien, müsse dies gelten, solange sie - wie z. B. Gewerkschaften - nicht nur private und persönliche, sondern vielmehr gemeinsame und Gruppeninteressen verträten und damit einen "unpersönlichen" Charakter hätten.Z95 221 u. s. 361 (1911). Wilson v. V. S. (221 U. S. 361 , 382 ff.). 289 Wilson v. V. S. (221 U. S. 379, 384). 290 Wilson v. V. S. (221 U. S. 379, 384 f.). 291 Wilson v. V. S. (221 U. S. 384 f.). 292 V. S. v. White (322 U. S. 694). 293 V. S. v. White (322 U. S. 694, 698): "It is designed to prevent the use of legal process to force from the lips of the accused individual the evidence necessary to convict him or to force him to produce and authenticate any personal documents or effects that might incriminate him." 294 V. S. v. White (322 U. S. 694, 700 f.). 287 288

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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Auch in U. S. v. White wird die Reichweite des Schutzes vor Selbstbelastung für natürliche Personen - hier durch Betonung des Aspekts des "Persönlichen" beschränkt: Individuen, die einen Verband vertreten, seien in ihrer offiziellen Rolle nicht gegen erzwungene Selbstbezichtigung geschützt. Wenn ein einzelner als Vertreter auftrete, übe er nicht seine persönlichen Rechte und Pflichten aus, sondern vielmehr die der Korporation. Die offiziellen Aufzeichnungen und Dokumente, die er in diesem weniger persönlichen als "repräsentativen" Zusammenhang besitze, seien nicht Gegenstand der Garantie des 5. Zusatzartikels. Dies gelte auch dann, wenn das Individuum durch diese Unterlagen in die Gefahr geraten könne, sich persönlich zu belasten. 296 Zur weiteren Begründung erwähnte der Supreme Court wiederum die Schwierigkeiten, die sich andernfalls für die staatliche Durchsetzung von gesetzlichen Regelungen ergäben. Diejenigen, die die Verfassungsgarantie des 5. Zusatzartikels gestaltet hätten, seien vor allem am Schutz von individuellen Bürgerrechten gegen erzwungene Enthüllungen interessiert gewesen, nicht aber daran, wirtschaftliche oder andere Verbandsinteressen zu schützen und angemessene staatliche Regulierungen von Unternehmen unmöglich zu machen. 297 Die Linie des Supreme Courts kann wie folgt zusammengefaßt werden: Die Frage, ob eine juristische Person oder ein Personenverband ein von seinen Organen oder Vertretern ausgeübtes Recht hat, die Auskunft zu verweigern, d. h. ein Recht hat, selbstbelastende Informationen durch ein von diesen natürlichen Personen ausgeübtes Schweigerecht bei Befragungen durch Strafverfolgungsbehörden zurückzuhalten, stellt sich dem Gericht in dieser Form gar nicht. Denn was (Zeugen-) Aussagen von Organen, Vertretern und sonstigen Mitarbeitern angeht, so unterscheidet der Supreme Court streng zwischen natürlicher Person und Verband 298 ; der 5. Zusatzartikel schütze jedoch nur den Aussagenden persönlich. Der Personenverband kann aber selbst nicht aussagen. 299 Im Hinblick auf die Vorlage von Dokumenten geht das Gericht von der Frage aus, wer durch den 5. Zusatzartikel geschützt ist, und nicht, ob der Zwang hierzu überhaupt vom sachlichen Schutzbereich umfaßt sein soll. Um das seit Boyd v. U. S. in dieser Beziehung ausgedehnte Schutzrecht des 5. Zusatzartikels wieder zu beschränken, bedient sich das Gericht dann der Vorstellung der Identifikation von Repräsentant und juristischer Person, die jedoch nicht geschützt werde. (b) Literatur Soweit ersichtlich, wird die Grundaussage der Rechtsprechung des Supreme Courts zur persönlichen Reichweite des 5. Zusatzartikels in der Literatur nicht in U. S. v. White (322 U. S. 694, 701). U. S. v. White (322 U. S. 694, 699). 297 U. S. v. White (322 U. S. 694, 700); zustimmend das Gericht in Bellis v. U. S. (417 U. S. 85, 90). 298 Vgl. dazu auch oben 3. Teil2. Abschnitt C. I. 1. c). 299 Kritisch daher Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1279 ff. (ohne Verfasserangabe). 295

296

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Frage gestellt. Lediglich die - schon im außerkorporativen Zusammenhang etablierte- Erstreckung auf den Schutz gegen die erzwungene Herausgabe von Dokumenten wird kritisiert. 300 Ausdrückliche Zustimmung findet die Rechtsprechung des Supreme Courts zur Ausgrenzung von juristischen Personen aus dem Schutzbereich des 5. Zusatzartikels beispielsweise bei Wigmore 301 . Als Argumente gegen die Geltung des Rechts aus dem 5. Zusatzartikel für juristische Personen findet man dort, daß das Privileg vor allem vor psychischem Zwang schützen solle, die "Beweislastverteilung" zugunsten des Angeklagten, auf der das Selbstinkriminierungsprivileg auch basiere, nur für Wesen aus "Fleisch und Blut" denkbar sei und daß bei Verfahren gegen Verbände meist nur schriftliche Beweise vorhanden seien, die der Staatsanwaltschaft nicht aufgrund eines Rechts, sich selbst nicht belasten zu müssen, vorenthalten werden dürften. (2) AustraUen

In Australien, wo der Schutz vor Selbstbelastungszwang nicht in der Verfassung verbrieft ist, sondern aus dem Common Law, dem nicht kodifizierten Gewohnheitsrecht, hergeleitet wird, hat der High Court 1993 302 entschieden, daß dieses Recht nicht für juristische Person gelte. Dabei stellt das Gericht zunächst die Gründe dar, die zur Anerkennung des Privilegs für natürliche Personen geführt haben, und prüft sodann, ob diese Begründungen auch auf juristische Personen übertragbar sind. Dabei stehen zwei Begründungsansätze für die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang aach Ansicht des Gerichts im Vordergrund. Zum einen solle der Beschuldigte durch dieses Recht vor Folterungen und anderen unmenschlichen Behandlungen geschützt werden; zum anderen sei das Privileg notwendig, um ein faires Gleichgewicht zwischen dem Individuum und dem Staat herzustellen und das Anklageprinzip im Strafverfahren zu untermauern. 303 Bei der Frage nach der Übertragbarkeit auf juristische Personen vertritt das Gericht die Ansicht, daß das erste Argument nicht für juristische Personen trage, da diese nicht physisch geschädigt werden könnten. Auch der zweite Begründungsansatz für das Schutzrecht lasse nicht dessen Ausdehnung auf Verbände zu: Was die Machtposition von juristischen Personen angehe, so sei diese viel größer als die von natürlichen, da sie aufgrund der Inkorporation über mehr Ressourcen und Vorteile verfügten. 304 Außerdem sei es äußerst schwierig, Straftaten, die innerhalb eines Verbandes verübt würden, aufzudecken, da juristische Personen eine eigene Rechtspersönlichkeit hätten und zudem über komplexe Strukturen verfügten. 305 Bücher und Dokumente enthielten 300 Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1282 ff. (ohne Verfasserangabe); Friendly, University of Cincinnati Law Review 39 (1968), 701 ff. 301 Wigmore, Evidence, § 2259 a. 302 Environment protection authority v. Ca/tex Refining CO. PTY Limited (1993), 178 CLR 477 F.C. 93/058 (im folgenden Ca/tex). 303 Ca/tex, Absatz Nr. 35 und Nr. 37. 304 Ca/tex, Absatz Nr. 38.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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die besten Beweise über die Transaktionen und Aktivitäten von Unternehmen. 306 Auch der Anklagegrundsatz sei nicht in Gefahr, wenn man Verbände zur Herausgabe von belastenden Dokumenten zwingen könne. 307 Schließlich wird noch angemerkt, daß es keinen Sinn mache, einem Unternehmen das Recht zu geben, Unterlagen zurückzuhalten, wenn sein Vertreter zur Zeugenaussage verpflichtet sei, solange dieser sich nicht in die Gefahr der Selbstbelastung bringe, denn die Aussagen des Vertreters seien solche eines Zeugen und nicht die des Unternehmens. 308 (3) Kanada

In Kanada ist die Frage, ob Unternehmen ein Schweigerecht zusteht, noch nicht abschließend geklärt. Einigkeit herrscht wohl darüber, daß das in Art. 11 (c) der Canadian Charter of Rights and Freedoms vorgesehene "non-compellability right" 309 nicht für Unternehmen gilt. 310 Ein Schutz vor Selbstbezichtigung könnte sich für Unternehmen jedoch aus dem Common Law ergeben. Ob dies der Fall ist, wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich bewertet. Zum Teil wird auch juristischen Personen ein Schweigerecht zugestanden. 311 Für eine Ein-Mann-Gesellschaft wird dies in der Entscheidung R. v. Scott and Thomas 312 damit begründet, daß der zur Aussage gegen sein Unternehmen gezwungene Unternehmer, der als "directing mind and will" eins mit dem Unternehmen sei, eigentlich zur Aussage gegen sich selbst angehalten würde. Dies würde, so das Gericht, bei "einem wohlinformierten und vernünftigen Mitglied der Öffentlichkeit ein Gefühl des Schocks und des Aufruhrs" auslösen? 13 Ca/tex, Absatz Nr. 38. Ca/tex, Absatz Nr. 48. 307 Ca/tex, Absatz Nr. 45 . 308 Ca/tex, Absatz Nr. 48. 309 Der Wortlaut von Art. 11 (c) lautet: "Any Person charged with an offence has the right not to be compelled to be a witness in proceedings against that person in respect of the offence." (Jede Person, der ein Gesetzesverstoß vorgeworfen wird, hat das Recht, nicht zum Zeugnis in dem Verfahren gegen diese Person wegen dieses Verstoßes gezwungen zu werden. - Übersetzung von Verf.). 310 ßYlie, Canada Criminal Law Quarterly 1991, 350 m. w. N. Die folgende Übersicht über den Stand der kanadischen Rechtsprechung lehnt sich in weiten Zügen an diesen Aufsatz an. 311 R. v. Ettenhofer Painting & Decorating Ltd. (1967) 59 D. L. R. (2d) 222 =58 W. W. R. 255 (Manitoba Court of Appeal); R. v. Scott and Thomas (Malcolm G.) Ltd. (1986), 68 N.B.R. (2d) 420 (Prov. Ct.) (zitiert nach ßYlie, Canada Criminal Law Quarterly 1991, S. 349 Fn. 24). 312 R. v. Scott and Thomas (Malco1m G.) Ltd. (1986), 68 N.B.R. (2d) 420 (Prov. Ct.), S. 426. (zitiert nach ßYlie, Canada Criminal Law Quarter1y 1991, S. 349). 313 " ... invoke a sensation of shock and revu1sion in the mind of a properly informed and reasonab1e member of the genera1 pub1ic". 305

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Allgemeiner hat die Verteidigung in R. v. N. M. Paterson and Sons Ltd. 314 die Geltung des Schutzes vor Selbstbezichtigung aus dem Zurechnungsmodell, das in Kanada der Begründung der Strafbarkeit von Verbänden zugrunde liegt, hergeleitet: Nach der sogenannten "identification doctrine" werden dem Verband bei Vorsatzdelikten die strafbare Handlung und die subjektive Einstellung seiner "directing mind" zugerechnet. Wenn, so die Argumentation der Verteidigung, dieser "führende Kopf' bei der Frage nach der Strafbarkeit so sehr mit dem Unternehmen identifiziert werde, so dürfe er auch nicht zum Zeugnis gegen das Unternehmen gezwungen werden. Das Gericht ist nicht näher auf dieses Argument eingegangen, weil es bei der Entscheidung nicht um ein Vorsatzdelikt ging. 315 Zudem dürfe dem einzelnen Mitarbeiter zumindest dann kein Schweigerecht zugebilligt werden, wenn er in einem vergleichbaren Fall, in dem der Arbeitgeber ein Individuum ist, auch kein Schweigerecht hätte. 316 In einer anderen Entscheidung hat der Ontario High Court erklärt, daß die "identification doctrine" nur für die Konstruktion der Taterschaft von juristischen Personen heranzuziehen sei und nicht für die Frage, ob ein Organ als Zeuge vernommen werden könne; die Identifikationstheorie sei eine bloße "Einbahnstraße". Das gelte unabhängig davon, ob ein Vorsatzdelikt vorliege oder nicht. 317 Der Schutz vor Selbstbezichtigung sei auch deswegen nicht auf Unternehmen übertragbar, weil der Sinn dieses Rechtes - der Staat habe die Beweislast zu tragen - nicht auf juristische Personen anwendbar sei. 318 (4) England

Auch in England ist die Frage umstritten, ob juristischen Personen das Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, zusteht. Das House of Lords befand 1939, daß ein Verband zwar nicht wie eine natürliche Person der Gefahr von Schmerzen ausgesetzt sei. Da er aber in bestimmten Fällen verurteilt und bestraft werden könne, müsse ihm ein Schweigerecht zuerkannt werden. Jede Person, die eine Straftat begehen und dafür mit Strafe bedroht werden könne, müsse davon befreit sein, diese Tat zuzugeben. 319 Dagegen wird eingewandt, daß das öffentliche Inter314 (1980), 55 C.C.C. (2d) 289 (zitiert nach "Ylie, Canada Criminal Law Quarterly 1991, 345 Fn. 6, 347 ff.). 315 R. v. Paterson (1980), 55 C.C.C. (2d) 289 (zitiert nach "Ylie, Canada Crimina1 Law Quarterly 1991, 347 ff.). 316 R. v. Paterson (1980), 55 C.C.C. (2d) 289 (zitiert nach Van Strien, Rechtsgeleerd magazijn 1996, 11 f. bei und in Fn. 56). 317 R. v. Arrigo (1986), 29 C.C.C. (3d) 77, S. 89 (zitiert nach "Ylie, Canada Criminal Law Quarterly 1991 , 348 Fn. 21; 348 f.). 318 R. v. 1.1. Beamish Construction C. Ltd. (1967) 1 C.C.C. 301, 59 D.L.R. (2d) 6 (zitiert nach "Ylie, Canada Criminal Law Quarterly 1991,346 bei Fn. 9 ff.). 319 Triplex Safety Glass C. LTD. v. Lancegaye Safety Glass, All England Law Reports Annotated, 1939, S. 621.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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esse nicht darin zu sehen sei, einer juristischen Person das "Schutzschild" des Schweigerechts zu geben, sondern darin, sie zur Aufdeckung ihrer eigenen "Missetaten" zu bewegen. 320 (5) Dänemark

In Dänemark, wo kein spezielles Verfahrensrecht für den Strafprozeß gegen juristische Personen existiert 321 , gilt für das Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, daß es zwar grundsätzlich nur Menschen und nicht Unternehmen zusteht. Trotzdem werden den Mitgliedern des Managements eines Unternehmens, das wegen einer Straftat verfolgt wird, letztendlich dieselben Rechte zugestanden wie Beschuldigten, auch wenn sie persönlich nicht beschuldigt sind. So werden die Manager von der Polizei belehrt, daß es ihnen freistehe zu schweigen; zudem dürfen sie sich weigern, Beweismittel herauszugeben. 322 (6) Zusammenfassung

Die bisherige Darstellung zeigt ganz unterschiedliche Ansatzpunkte für die Entscheidung, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz auf juristische Personen anwendbar ist. In den USA und in Australien stehen neben einer historischen Auslegung, nach welcher der Schutz vor Selbstinkriminierung ursprunglieh nur Menschen zukommen sollte bzw. als Folterverbot diente, eher pragmatische Argumente im Vordergrund, so zum Beispiel, wenn in der OS-amerikanischen Diskussion darauf hingewiesen wird, daß Dokumente bei Verbandsstraftaten oftmals einziges Beweismittel seien und daher nicht wegen der Berufung auf das 5. Amendment vorenthalten werden dürften. Ähnlich pragmatisch ist die Argumentation, wenn - wie in Australien- die Waffengleichheit, die mit der Freiheit von Selbstbezichtigungszwang geschützt werden soll, bei Strafverfahren gegen Unternehmen wegen deren größerer Macht als gewährleistet angesehen wird. Zudem wirkt sich die Möglichkeit, den Vertreter als aussagepflichtigen Zeugen zu vernehmen, so aus, daß der Schutz vor Selbstbelastungszwang von vomherein leerläuft Daß dem für das deutsche Recht nicht zu folgen ist, wurde bereits mit der Festlegung der Verfahrensstellung des Vertreters 323 entschieden. Eher dogmatischer Natur erscheint die Argumentation in der kanadischen Diskussion, wenn von der Ein-Mann-Gesellschaft, bei der ein Selbstbezichtigungszwang nicht gelten dürfe, auf größere Unternehmen oder von der materiell-rechtlichen Zurechnung auf die Zurechnung von Verfahrensrechten geschlossen oder all 320 British Steel v. Granada Television (1981) Appeal Cases 1096, S. 1127 (zitiert nach Van Strien, Rechtsgeleerd magazijn 1996, S. 10). 321 Vgl. oben I. Teil 3. Abschnitt. 322 Toftegaard Nie/sen, in: Criminal Responsibility, S. 324. 323 Oben 3. Teil 2. Abschnitt C. li. 4.

II Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

dies abgelehnt wird. Ähnliches gilt, wenn in England aus einer gleichen Gefahr der Strafverfolgung für juristische Personen gleiche Verfahrensrechte hergeleitet werden. bb) Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang bei Gefahr der Festsetzung einer Geldbuße nach europäischem Kartellordnungswidrigkeitenrecht Soweit bislang in Deutschland eine Auseinandersetzung mit der Frage der Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf juristische Personen stattgefunden hat, so hatte sie als Bezugspunkt neben der Möglichkeit, eine Geldbuße nach § 30 OWiG zu verhängen, insbesondere die Bußgeldhaftung im europäischen Kartellrecht. Bei dem europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren stellt sich die Frage nach einem Auskunftsverweigerungsrecht von Unternehmen, die von Untersuchungen nach der VO 17 I 62 betroffen sind und sich bei Erteilung von Auskünften, die nach Art. 11 VO 17 I 62 verlangt werden können, in die Gefahr bringen würden, sich eines Verstoßes gegen das EG-Kartellrecht oder gegen nationales Kartellordnungswidrigkeitenrecht zu bezichtigen. Da es sich nach überwiegend vertretener Ansicht bei den Sanktionen nach Art. 15 VO 17 I 62 um strafrechtliche Sanktionen im weiteren Sinne handelt324, sind Aussagen zu der Frage des "Schweigerechts" von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auch im Hinblick auf die Geltung des Nemo-tenetur-Prinzips in einem möglichen Strafverfahrensrecht für juristische Personen aufschlußreich. Zwar ist das europäische Kartellordnungswidrigkeitenverfahren selbstverständlich kein der deutschen Rechtsordnung zuzuordnendes Verfahren. Falls es aber eine Regelung in diesem Verfahren gibt, wäre dies zunächst ein Indiz für eine bestimmte - europäische Grundhaltung oder Grundüberzeugung, daß es einen Auskunftszwang auch für juristische Personen nicht geben darf, wenn sie sich dadurch in die Gefahr der - im weiteren Sinne - strafrechtlichen Verfolgung begäben. Noch mehr: Wenn sich dabei feststellen ließe, daß eine derartige Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang als Grundrecht im Europäischen Gemeinschaftsrecht anerkannt ist, könnten sich auch juristische Personen in Deutschland unmittelbar darauf berufen. Zudem wäre von einer einfachgesetzlichen europäischen Regelung zumindest ein "Konvergenzdruck"325 auf den deutschen Gesetzgeber zu erwarten. Doch selbst ohne entsprechende Regelung wird wenigstens die in Deutschland über diese Frage geführte Diskussion, sofern sie die Ebene übergeordneter Rechtsgrundsätze betrifft, Anregungen für das deutsche Recht geben, so zum Beispiel, wenn auf deutsches Verfassungsrecht zur Argumentation zugegriffen wird.

So oben 1. Teil 2. Abschnitt A. Vgl. von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 45, zum Konvergenzdruck der EG-Geldbuße auf nationale Rechtsordnungen. 324 325

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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Darzustellen ist aus diesen Gründen zunächst die Rechtslage nach geschriebenem Gemeinschaftsrecht, sodann die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und schließlich die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Literatur. ( 1) Fehlen einer Regelung

Eine ausdrückliche Regelung über das Auskunftsverweigerungsrecht im EGKartellverfahren existiert nicht. Zwar hatte es im Gesetzgebungsverfahren zur VO 17 I 62 einen entsprechenden Vorschlag gegeben, wonach zur Auskunft verpflichtete Personen die Auskunft u. a. dann hätten verweigern dürfen, wenn die von ihnen vertretenen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt worden wären? 26 Die EG-Kommission verzichtete jedoch letztendlich auf eine Übernahme in die VO 17 I 62. 327 (2) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

Da die Verfahrensgarantien im EG-Verfahrensrecht bei Kartellsachen nur in groben Zügen geregelt sind, muß sie der EuGH entwickeln und näher konkretisieren. 328 So hat sich der EuGH - in der Entscheidung Orkem v. Kommission 329 auch dazu geäußert, ob das Recht, nicht gegen sich selbst als Zeuge aussagen zu müssen, für das klagende Unternehmen gilt. Der Ansatzpunkt des EuGH besteht in einer Prüfung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgpR) und der Regelungen der Mitgliedsstaaten. Er kommt zu dem Ergebnis, daß juristische Personen sich zwar auf Art. 6 EMRK berufen könnten, durch diese Vorschrift jedoch kein Recht anerkannt werde, gegen sich selbst nicht als Zeuge aussagen zu müssen. 330 Das in Art. 14 Abs. 3 g IPbürgpR normierte Aussageverweigerungsrecht gelte nicht für die zu beurteilenden Untersuchungen in Wettbewerbssachen, sondern nur für Personen, die in einem gerichtlichen Strafverfahren wegen einer strafbaren Handlung angeklagt seien? 31 Um die Verteidigungsrechte des Unternehmens jedoch nicht zu beeinträchtigen, die ihm nach den Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung zustünden, dürfe die für die Ermittlung zuständige EG-Kommission das Unternehmen nicht dazu 326 Vgl. Weiß, Verteidigungsrechte, S. 363 unter Hinweis auf Abi. EG 1961, 1408 (1409, 1413). 327 Vgl. Sedemund EuR 1973, 320m. w. N.; Weiß, Verteidigungsrechte, S. 363m. w. N. 328 Grützner/Reimann/Wissel, Richtiges Verhalten, S. 147 Rn. 219. 329 Urtei1374/87 Orkem, Slg. 1989,3283. 330 Urteil374/87 Orkem, S1g. 1989,3283,3350. 331 Urteil374/87 Orkem, Slg. 1989,3282,3351.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

verpflichten, "Antworten zu erteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müßte", für welche die Kommission die Beweislast trage. 332 Nach der EuGH-Rechtsprechung dürfen also nur im engeren Sinne selbstbelastende Auskünfte, die ein komplettes Eingeständnis über die Beteiligung an Zuwiderhandlungen beinhalten, nicht erzwungen werden? 33 Von einem allgemeinen Auskunftsverweigerungsrecht oder einer allgemeinen Freiheit vom Zwang zur Selbstbelastung von Unternehmen ist hingegen nicht die Rede. ( 3) Literatur

Sowohl vor der EuGH-Entscheidung in der Sache Orkem als auch im Anschluß daran haben sich eine Reihe von Autoren mit der Frage befaßt, ob den von Geldbußen gemäß Art. 15 VO 17 I 62 bedrohten Unternehmen ein "Schweigerecht" zuzugestehen ist. Dabei geht es zum einen darum, inwieweit die Systematik der VO 17 I 62 für oder gegen ein derartiges Recht spricht. 334 Für die hier im Mittelpunkt stehende Frage nach einem allgemeinen, aus einem übergeordneten Rechtssatz herzuleitenden Auskunftsverweigerungsrechts für Unternehmen ist dies jedoch weniger von Interesse. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze stehen aber auch in der Diskussion zum EG-Kartellrecht im Vordergrund. Ganz überwiegend wird dabei ein Auskunftsverweigerungsrecht der von Bußgeldverfahren wegen EG-Wettbewerbsverstößen betroffenen Unternehmen bei Gefahr von Selbstbelastung bejaht. 335 Dies wird von manchen Autoren damit begriindet, daß juristische Personen, wenn sie Objekt eines Bußgeldverfahrens sein könnten, dann auch genauso zu behandeln seien wie natürliche Personen. 336 Es gebe keinen Grund, dies nicht zu tun, da es "für die Urteil374/87 Orkem, Slg. 1989, 3282, 3351. So die Analyse bei Rupert Scho/z, WuW 1990, 99, 104; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 358. 334 Dazu vgl. Schwarze, in: Der Gemeinsame Markt, S. 165 f.: Grundsätzlich sollten Nachprüfungen gemäß Art. 14 VO 17/62 erst nach einem Auskunftsverlangen gemäß Art. 11 erfolgen; bei einem generellen Auskunftsverweigerungsrecht würde dieses System ins Gegenteil verkehrt, da betroffene Unternehmen dann die Auskunft verweigern würden und die Kommission daher zu regelmäßigen Nachprüfungen gezwungen wäre; kritisch dazu Weiß, Verteidigungsrechte, S. 368, außerdem S. 364 f.: Das Fehlen einer Regelung des Auskunftsverweigerungsrechts sei eine Lücke und bewußte Nichtregelung; durch diese Lücke sollte nicht etwa eine Ablehnung dieses Rechts ausgedrückt werden. 335 Sedemund, EuR 1973, 321; ders., in: Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 58; Hermanns, Ermittlungsbefugnisse, S. 138 f.; von Winterfeld, RIW 1981, 805 und RIW 1992, 528; Gillmeister; Ermittlungsrechte, S. 158 ff.; Kühlhom, WuW 1986, 14; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 455; Rupert Scho/z, WuW 1990, 103 f.; Grützner/Reimann/Wissel, Richtiges Verhalten, S. 168 Rn. 276; Weiß, EWS 1997, 256; ders., Verteidigungsrechte, S. 360 ff., insb. S. 372 ff. und S. 392 ff.; (mittlerweile auch) Dannecker; ZStW 111 (1999), 287. 336 Sedemund, in: Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, S. 58; von Winterfeld, RIW 1981, 801 ff. 332 333

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigtenjuristischen Person

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Rechtsnatur des Gesetzesverstoßes sowie für die verfahrensmäßige Stellung gleichgültig" sei, "ob eine natürliche oder juristische Person betroffen" ist. 337 Gerade auch der Vergleich zwischen Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit und natürlichen Personen, die sich unternehmerisch betätigen und daher ebenfalls Adressaten der Bußgeldandrohung im EG-Kartellrecht sind, wird herangezogen: Würde man beide Gruppen unterschiedlich behandeln, käme man zu "unsinnigen Ergebnissen, die dem für das Verfahrensrecht geltenden Diskriminierungsverbot widersprechen würden'm 8 . Andere halten die Begründung aufgrund von Gleichstellungsgesichtspunkten teilweise mit Blick auf den Rechtsgedanken des Art. 19 Abs. 3 GG339 - allein nicht für ausreichend und fragen danach, worin die Konfliktsituation, der Gewissenskonflikt, der allein das Auskunftsverweigerungsrecht rechtfertige, bestehe. 340 Dabei wird dann auf die für das Unternehmen handelnden Personen verwiesen. So sei die Geldbuße nach Gillmeister "Reaktion auf vorwertbares Verhalten" mit dem Ziel der Prävention und richte sich als solche "nicht an das Unternehmen als Rechtspersönlichkeit, sondern an seine Organe und vertretungsberechtigten natürlichen Personen, durch die das Unternehmen gehandelt" habe. In diesen Personen entstehe eine Konfliktsituation, wenn sie für ihr Unternehmen Auskünfte erteilen341 und sich dadurch - so Streinz342 - "zum Werkzeug der Überführung" ihrer selbst machen müßten. Von einer anderen Herleitung des Rechts, bei Gefahr der Selbstbelastung die Auskunft verweigern zu dürfen, geht Seclernund aus. Das Auskunftsverweigerungsrecht sei Ausdruck des Unzumutbarkeitsgrundsatzes bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzips, das ebenso auf juristische Personen anwendbar sei. 343 Wieder anders ist die Begründung bei Grützner/Reimann/Wissel, die an der Orkem-Entscheidung Kritik üben: Die Rechtsprechung des EuGH laufe darauf hinaus, daß das Auskunftsverweigerungsrecht von der Form der Fragestellung der Kommission abhänge. Denn danach löse zwar eine Frage, die automatisch zu einem Geständnis führen würde, das Schweigerecht aus, allgemein gehaltene Fragestellungen, deren Anworten gleichwohl den Beweis für einen Kartellverstoß des Unternehmens lieferten, müßten jedoch beantwortet werden. Eine derart formalistische Betrachtung werde den Verteidigungsrechten des Unternehmens nicht gerecht. Der vom EuGH betonte "fundamentale Charakter" des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der davon eingeschlossenen Achtung der Verteidigungsrechte des Unternehmens for337 338 339

Von Winteifeld, RIW 1981, 805. Kühlhorn, WuW 1986, 14. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 455.

Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 455; Gillmeister, Errnittlungsrechte, S. 158. 341 Gillmeister, Errnittlungsrechte, S. 158; ähnlich Dannecker, ZStW 111 ( 1999), 287. 342 Streinz, Bundesverfassungerichtliche Grundrechtsschutz, S. 455. 343 Sedemund, EuR 1973, 321. 340

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3. Teil: Prozessuale Probleme

dere eine extensive Auslegung des Auskunftsverweigerungsrechts, so daß dieses bestehe, wenn bei objektiver Würdigung des Auskunftsverlangens eine Auskunftserteilung die Gefahr der Lieferung belastender Beweise bedeute. 344 Andere Autoren kritisieren an der Orkem-Entscheidung, daß der EuGH den "im nationalen Verfassungsrecht unbestrittenen" Grundsatz des verbotenen Zwangs zur Selbstbezichtigung außer acht lasse345 bzw. seine Entscheidung im Ergebnis "denkbar unbefriedigend" sei, da das Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, im deutschen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren und auch für juristische Personen anerkannt sei346. Am ausführlichsten hat sich Weiß mit der Problematik des Auskunfts- bzw. Aussageverweigerungsrechts von Unternehmen beschäftigt, vor allem auch im Rahmen des europäischen Kartellrechts.347 Dabei kritisiert auch er die Entscheidung des EuGH. So sei nicht einzusehen, wie die Formulierung von Fragen Verteidigungsrechte einschränken könne, wenn diese Verteidigungsrechte kein Aussageverweigerungsrecht beinhalteten. Im Grunde übernehme das Gericht den Gedanken, der hinter diesem Recht stehe, wenn es in der Mitwirkung des Unternehmens bei der Beweiserbringung gegen sich selbst eine Verletzung von Verteidigungsrechten sehe. 348 Außerdem sei nicht klar, welche Fragen bzw. welche Formulierungen der Kommission erlaubt und welche verboten seien. 349 Ferner stehe die Effizienz der Wettbewerbsaufsicht einem Auskunftsverweigerungsrecht nicht entgegen, da auch der Zwang zur Auskunft zu Verschleierungsversuchen und damit zu Erschwerungen der Ermittlungstätigkeiten führen könne.350 Schließlich entspreche die Gewährung des Auskunftsverweigerungsrechts der Rechtsstaatlichkeit, deren Anforderungen auch das gesamte Kartellverfahren unterliege. 351 Zum letztgenannten Punkt greift er auf die Herkunft des Rechtsstaatsbegriffs zurück, der aus Deutschland stamme. Für das Strafverfahren habe der Rechtsstaatsbegriff die historische Bedeutung, daß er die Wandlung der Beschuldigtenrolle vom Objekt zum selbständigen Prozeßsubjekt markiere. Die Abkehr vom Inquisitionsprinzip und die Gewährung des Aussageverweigerungsrechts seien als Folgen der Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum im konstitutionellen Verfassungsstaatverstanden worden. 352 Dies habe Geltung für das EG-Kartellverfahren, da auch hier das Verhältnis zwischen Individuum und EG nicht das einer beGrützner / Reimann/Wissel, Richtiges Verhalten, S. 168 Rn. 276. Rupert Scholz, WuW 1990, 103. 346 Von Winterfeld, RIW 1992, 528. Dazu, inwieweit diese beiden Einschätzungen der Rechtslage in Deutschland zutreffend sind, s. unten 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 1. b) bb). 347 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 354 ff.; ders., EWS 1997, 256; ders., JZ 1998, 292 f. 348 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 357 f. 349 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 359 f. 350 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 366. 351 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 372 ff. 352 Weiß, Verteidigungsrechte, S. 372 f. 344 345

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dingungslosen Unterwerfung unter einen absoluten Hoheitsträger sei. 353 Die Anwendung über das Kriminalstrafrecht hinaus sei unbedenklich, da es sich beim Bußgeldverfahren um ein Strafverfahren im weiteren Sinne handele. 354 Die "Zuordnung des Individuums zum Bürger" gelte auch für juristische Personen, wie sich an der Geltung von anderen auf die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens zurückzuführenden Veränderungen, nämlich dem Anklagegrundsatz, Untersuchungsgrundsatz, der Unschuldsvermutung, dem Schuldgrundsatz und an der Geltung der Art. 10 1, 103 GG zeige.355 Nach Weiß steht einer Geltung des Aussageverweigerungsrecht auf Unternehmen auch nicht entgegen, daß diese anders als natürliche Personen nicht einem personalen Gewissenskonflikt ausgesetzt sein könnten. 356 Im Bereich des Gemeinschaftsrecht würde zum einen hinsichtlich der Geltung von Grundrechten grundsätzlich nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen unterschieden. 357 Zum anderen entstehe der Gewissenskonflikt in der Person des Vertreters, zumal wenn dieser auch eigenes Fehlverhalten eingestehe. Außerdem sei das Aussageverweigerungsrecht nicht lediglich auf die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten zurückzuführen, sondern - wie dargestellt auch auf den Rechtsstaat. Schließlich spreche die notwendige Gleichbehandlung mit dem Einzelunternehmer, bei dem ein Gewissenskonflikt denkbar sei, für ein Aussageverweigerungsrecht der anderen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen.358 Teilweise finden sich Stimmen, die Unternehmen im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren kein Auskunftsverweigerungsrecht wegen der Gefahr der Selbstbelastung zubilligen wollen. 359 Es gebe keine gemeinsame Rechtsüberzeugung der EG-Mitgliedstaaten, da in vielen von ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht vorgesehen sei 360 bzw. der Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" vor einem persönlichen Gewissenskonflikt schützen solle361 . Die Regelung ohne die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung sei im Hinblick auf die verhältnismäßig begrenzten Eingriffsbefugnisse und die relativ Verteidigungsrechte, S. 373. Verteidigungsrechte, S. 373 f. Verteidigungsrechte, S. 375 f. 355 Verteidigungsrechte, S. 374. 356 Verteidigungsrechte, S. 374 f. 357 Verteidigungsrechte, S. 377 f. 358 359 Schwarze, in: Der Gemeinsame Markt, S. 164 ff.; Dannecker I Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 48 (zu Dannecker vgl. aber auch oben Fn. 335 zu seiner mittlerweile geänderten Ansicht in ZStW lll (1999), 287); Sauter; in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Art. ll VO 17/62 Rn. 16; (nur darstellend:) Schriefers, WuW 1993, 101. 360 Schwarze, in: Der Gemeinsame Markt, S. 166 f. 361 Dannecker I Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 48. 353

354

WeijJ, WeijJ, WeijJ, WeijJ, WeijJ, WeijJ,

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kleine Behörde sachgerecht, da nur so eine effektive Wettbewerbsaufsicht erfolgen könne. 362 (4) Zusammenfassung

Aus dem Dargestellten ergeben sich weitere Eckpunkte für eine Diskussion über die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für juristische Personen: Zum einen wird später wieder aufzugreifen sein, ob die Frage der Herleitung eines solchen Rechts aus der EMRK und dem IPbürgpR, wie sie sich der EuGH stellt, im deutschen Recht weiterführt. Zum anderen kristallisiert sich bereits heraus, daß maßgebend sein wird, ob sich die Gleichbehandlung von juristischen und natürlichen Personen ohne weiteres aus ihrer- formalen - Verfahrensstellung ergibt oder ob nicht eine derartige Gleichbehandlung wegen der Unmöglichkeit eines Gewissenskonflikts, vor dem angeblich geschützt werden soll, versagt werden muß. Auch zeichnen sich bereits die möglichen Grundlagen des Nemo-tenetur-Prinzips ab, nämlich der "Unzumutbarkeits"- oder Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Menschenwürde. b) Die Lage im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht und im Verwaltungsverfahren

Bislang existiert im deutschen Recht als repressive Sanktion für juristische Personen nur die Verbandsgeldbuße gemäߧ 30 OWiG. Da Verbände nach dieser Vorschrift mit einer Geldbuße belegt werden können, können sie sich grundsätzlich bei Befolgen eines Auskunftsersuchens- sei es innerhalb des Verfahrens zur Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG, sei es in anderen, insbesondere Verwaltungsverfahren - in die Gefahr begeben, den Verwaltungsbehörden oder Gerichten die notwendigen Nachweise und damit die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Bußgeldes gegen sich zu liefern. Wenn es wegen dieser Gefahr eine einfachgesetzliche Regelung des Schutzes vor Selbstbezichtigungszwang für juristische Personen und andere Personenvereinigungen geben sollte, hieße dies zwar nicht, daß der Gesetzgeber schon deswegen eine derartige Vorschrift in ein Strafverfahrensrecht für Unternehmen aufnehmen müßte, denn letztlich ist er nur an verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden. Ein solches normiertes Verfahrensrecht müßte aber zumindest als richtungsweisend für ein Verbandsstrafverfahrensrecht gelten, da es für eine gewisse bisherige rechtliche Überzeugung sprechen würde.

362 Schwarze, in: Der Gemeinsame Markt, S. 168; zustimmend Dannecker I FischerFritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 48.

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aa) Ausdrückliche Regelung für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gemäߧ 30 OWiG? Sowohl für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen als Folge einer Ordnungswidrigkeit als auch für das Verfahren, bei dem die Geldbuße als Folge einer Straftat festgesetzt wird363 , wird über verschiedene Normenketten letztlich auf § 136 Abs. I S. 2 StPO verwiesen. Im Bußgeldverfahren, bei dem die Anknüpfungstat eine Straftat ist, gelten gemäߧ 444 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 432 Abs. 2 StP0364 für die juristische Person oder Personenvereinigung die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten insoweit entsprechend, als ihre Verfahrensbeteiligung in Betracht kommt, also auch(§ 163 a Abs. 3 i. V. m.) § 136 Abs. 1 S. 2 StPO. Für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße bei einer Ordnungswidrigkeit des vertretungsberechtigten Organs etc. verweist § 88 Abs. 3 OWiG auf § 87 Abs. 2 OWiG, was bedeutet, daß der juristischen Person die Rechte des Betroffenen zustehen. Für diesen bestimmt § 46 Abs. l OWiG, daß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, insbesondere auch der StPO gelten. Aus diesen Verweisungen wird ganz überwiegend auf ein Auskunftsverweigerungsrecht des der Gefahr der Selbstbelastung hinsichtlich eines Bußgeldes ausgesetzten Verbandes geschlossen?65 Auch das Bundesverfassungsgericht ging in einer Entscheidung aus dem Jahre 1975 366, in dem die Aussagepflicht ausgeschiedener Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften im Bußgeldermittlungsverfahren im Mittelpunkt stand, von einem Aussageverweigerungsrecht juristischer Personen aus und leitete dies aus§ 46 OWiG i. V. m. §§ 163 a, 136 StPO her. Nun bedeutet die Verweisung auf§ 136 Abs. l S. 2 StPO jedoch nicht ohne weiteres, daß der Verband nicht "aussagen" muß. Denn aus § 136 Abs. 1 S. 2 StPO selbst ergibt sich ein Schweigerecht schon für natürliche Personen nicht, vielmehr wird die Existenz der Aussagefreiheit von der StPO vorausgesetzt. 367 Aus § 136 Abs. 1 S. 2 StP0368 ergibt sich lediglich die Pflicht der Vemehmungsperson, den Allgemein zum Verfahren s. o. I. Teil I. Abschnitt B. II. Und für das selbständige Verfahren gemäß § 444 Abs. 3 i. V. m. § 440 Abs. 3 i. V. m. § 432 Abs. 2 StPO. 365 Von Winterfeld, BB 1976, 345 f. ; ders., RIW 1981, 805; ders. , RIW 1992, 528; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 106 f.; Gillmeister, Ermittlungsrechte, S. 38 f.; Deringer, WuW 1988, 940; KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 197 (I. Aufl.); Grützner/Reimann/ Wisse/, Richtiges Verhalten, S. 127 Rn. 179; Neumann, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 13; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 188, der im übrigen offenläßt, ob dies verfassungsrechtlich geboten ist. 366 BVerfG BB 1975, 1315. 367 Vgl. BVerfGE 38, 105, 113; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 10; Rogall, Der Beschuldigte, S. 104 ff. ; Bruns, in: Festschrift für Schmidt-Leichner, S. 8; Dingeldey, JA 1984, 408; Kühl, JuS 1986, 117. 368 Für die staatsanwaltliehe oder polizeiliche Vernehmung gilt § 136 Abs. 1 S. 2 durch Verweisung gemäߧ 163 a Abs. 3 und 4. 363 364

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Beschuldigten darauf hinzuweisen, "daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen" 369 . Daraus läßt sich nicht unmittelbar auf ein Schweigerecht von juristischen Personen schließen. Damit§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO überhaupt einen Sinn ergibt, muß das Schweigerecht des Beschuldigten bzw. des Beteiligten (vgl. § 444 StPO) tatsächlich "nach dem Gesetz" vorausgesetzt sein. Für natürliche Personen wird der Aussagefreiheil Verfassungsrang beigemessen370, das Nemo-tenetur-Prinzip gilt als übergeordneter Rechtssatz371 . Eine derartige Voraussetzung an anderer Stelle außerhalb der StPO kann jedoch nicht durch eine bloße Verweisung vorweggenommen werden. Vielmehr ist zu entscheiden, ob auch für das Schweigerecht von juristischen Personen das Grundgesetz oder andere übergeordnete Rechtssätze entsprechende Vorgaben machen. Wenn sich daraus ergibt, daß juristischen Personen ein Schweigerecht zusteht, ist § 136 StPO genauso zu lesen wie bei natürlichen Personen. Wenn nicht, so wird man insoweit eine teleologische Reduktion bei § 136 StPO vornehmen müssen. 372 Von einer ausdrücklichen Regelung der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang für juristische Personen kann daher für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße keine Rede sein. bb) Anwendbarkeit der Regelung in § 59 Abs. 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Ob die Gefahr der aufgrund einer Auskunft in anderen Verwaltungsverfahren drohenden Bußgeldfestsetzung gemäß § 30 OWiG dazu führt, daß juristische Personen Auskünfte in sonstigen Verwaltungsverfahren verweigern dürfen, ist vereinzelt diskutiert worden. Dabei ist einmal Anlaß die Auslegung des § 59 Abs. 5 GWB 373 im Kartellverfahren, der dem zur Auskunft Verpflichteten, welcher sich mit der Beantwortung von Fragen der Kartellbehörde der Gefahr einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung aussetzen würde, erlaubt, die Auskunft zu verweigern. In § 59 GWB sind die Befugnisse der Kartellbehörden im VerwalHervorhebung durch Verf. Vgl. BVerfGE 34, 238, 249; 56, 37, 43; BVerfG StV 1995, 505; BGH NJW 1992, 2304, 2305; Bringewat, JZ 1981, 294; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 10; Dingeldey, JA 1984, 409; Lagodny, StV 1996, 170; Schneider, Grund und Grenzen, S. 37; Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 140; a.A. wohl nur Peters, ZStW 91 (1979), 123: einfaches strafprozessuales Recht. 371 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Ein!. Rn. 29 a m. w. N. 372 Im Ergebnis ähnlich wie hier, aber mit anderer Begründung: Schlüter, Strafbarkeit des Unternehmens, S. 157 f. 373 §59 Abs. 5 entspricht§ 46 Abs. 5 GWB der bis zum 31. 12. 1998 geltenden Fassung des GWB und lautet: "Zur Auskunft Verpflichtete können die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder Angehörige, die in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung bezeichnet sind, der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde." 369 370

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tungsverfahren geregelt. Abs. 5 mit seinem soeben dargestellten eingeschränkten Auskunftsverweigerungsrecht ist § 55 StPO nachgebildet. 374 Unabhängig vom teilweise umstrittenen Anwendungsbereich des§ 59 GWB 375 ist Sinn und Zweck von § 59 Abs. 5 GWB, dem Grundsatz, daß es keine Pflicht zur Selbstbelastung geben darf, genüge zu tun 376. Von Interesse ist daher, ob dieses Auskunftsverweigerungsrecht über die in § 59 Abs. 2 GWB 377 bezeichneten natürlichen Personen hinaus auch auf Unternehmen anzuwenden ist. Nach dem Wortlaut ist für die Anwendung des Auskunftsverweigerungsrecht des § 59 Abs. 5 GWB auf Unternehmen eigentlich kein Raum, denn Abs. 5 verweist auf Abs. 2, in dem nur von natürlichen Personen die Rede ist. Die Anwendung von Abs. 5 wird überdies mit der Begründung verneint, daß die Zubilligung des Auskunftsverweigerungsrechts die Unternehmen zu sehr personalisieren würde. 378 Die Gegenansicht meint, daߧ 59 Abs. 5 GWB auch Unternehmen ein Auskunftsverweigerungsrecht zubillige. 379 Vertreter und Organe müßten als Einheit mit dem Unternehmen angesehen werden, da andernfalls die verschiedenen Rechtsformen von Unternehmen ungerechtfertigterweise ungleich behandelt werden würden: Während beim Einzelunternehmer das eigene Auskunftsverweigerungsrecht dem Auskunftsverweigerungsrecht des "Unternehmens" entspreche, wären die Unternehmen, die qua Gesetz oder Satzung einer Vertretung bedürften, schlechter gestellt. 380 Außerdem sei es zur "equal protection" 381 erforderlich, dem Unternehmen im Hinblick auf das Bußgeldverfahren schon deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht zuzugestehen, weil ihnen, wenn sie wie natürliche Personen zu beträchtlichen Geldbußen herangezogen werden könnten, auch dieselben Verteidigungsrechte zuzubilligen seien382, obwohl ein Unternehmen kein aus der Deringer, WuW 1988,938. Geltung soll § 59 nur für das Verwaltungsverfahren haben, während im Bußgeldverfahren bei Kartellordnungswidrigkeiten nach ganz überwiegender Ansicht die Regelungen des OWiG bzw. der StPO Anwendung finden sollen; vgl. die Darstellung bei Deringer, WuW 1988, 937 ff.; vgl. auch Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 8 ff.; Wrage-Molkenthin/Bauer, in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Rn. 61 m. w. N. 376 Vgl. dazu den Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Entwurf eines GWB, BT-Drucksache 2/3644, S. 33 zu§ 38. 377 § 59 Abs. 2 GWB lautet: "Die Inhaber der Unternehmen und ihre Vertretung, bei juristischen Personen, Gesellschaften und nicht rechtsfähigen Vereinen die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen sowie die gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 zur Vertretung bestellten Personen sind verpflichtet, die verlangten Unterlagen herauszugeben, die verlangten Auskünfte zu erteilen, die geschäftlichen Unterlagen zur Einsichtnahme und Prüfung vorzulegen und die Prüfung dieser geschäftlichen Unterlagen sowie das Betreten von Geschäftsräumen und -grundstücken zu dulden." 378 Loewenheiml Belke, GWB, § 46 Rn. 14. 379 Klaue, in: lmmenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 39; Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Ermittlungsrechte, S. 138 ff. 380 Klaue, in: lmmenga/Mestmäcker, GWB, § 46 Rn. 39. 381 Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Ermittlungsrechte, S. 141. 374

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3. Teil: Prozessuale Probleme

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Menschenwürde "fließendes" Persönlichkeitsrecht habe, das bei Selbstbelastung verletzt würde. Dafür sei der notwendige "Gewissenszwiespalt" und die "seelische Zwangslage" bei den für die juristische Person handelnden Repräsentanten vorhanden, wenn diese das von ihnen vertretene Unternehmen belasten müßten.383

cc) Unmittelbare Anwendung des Nemo-tenetur-Satzes auf juristische Personen bei Gefahr der Selbstbelastung im Hinblick auf die Geldbuße gemäß § 30 OWiG Die Argumente, die zur Auslegung des § 59 Abs. 5 GWB genannt werden, beziehen sich bereits auf die Grundlagen eines Auskunftsverweigerungsrecht, auf den Nemo-tenetur-Grundsatz. Um diesen geht es auch, wenn allgemein untersucht wird, ob überhaupt im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße oder in sonstigen Verwaltungsverfahren eine juristische Person die Auskunft verweigern kann, wenn sie damit Sachverhalte offenbaren müßte, die zur Bußgeldfestsetzung gemäß § 30 OWiG führen könnten. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1997384 hat sich das Bundesverfassungsge-

richt mit der Frage befaßt, ob sich eine juristische Person zur Abwehr eines Herausgabeverlangens von Sendezeitmitschnitten im medienaufsichtsrechtlichen Verfahren auf den Schutz vor Zwang zur Selbstbezichtigung berufen kann, wenn sie sich andernfalls in Gefahr begeben würde, sich im Hinblick auf eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 30 OWiG selbst zu überführen. Dabei leitet das Bundesverfassungsgericht den Schutz vor Selbstbezichtigungszwang aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht her und sieht seine Bedeutung darin, daß der einzelne "vom Staat grundsätzlich nicht in eine Konfliktlage gebracht werden" solle, "in der er sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen muß oder in Versuchung gerät, durch Falschaussagen ein neues Delikt zu begehen, oder wegen seines Schweigens in Gefahr kommt, Zwangsmitteln unterworfen zu werden"385. Zur Anwendbarkeit auf juristische Personen hat es sich wie folgt geäußert: "Art. 19 Abs. 3 GG schließt es aber aus, daß der Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung auch juristischen Personen zugute kommt. Danach gelten die Grundrechte für juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Ob das für das allgemeine Persönlichkeitsrecht überhaupt nicht der Fall sein kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls dort, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind, kommt eine Erstreckung auf juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung nicht 382

Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Errnittlungsrechte, S. 139 f.; (etwas unklar:)

383

Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Errnittlungsrechte, S. 141. BVerfGE 95, 220. BVerfGE 95, 220,241.

Deringer, WuW 1988,942. 384

385

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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in Betracht. Das wird um so eher der Fall sein, als der Grundrechtsschutz im Interesse der Menschenwürde gewährt wird, die nur natürliche Personen für sich in Anspruch nehmen können. Bei dem Zwang zur Selbstbezichtigung verhält es sich so. Der Zwiespalt, in den ein solcher Zwang den Einzelnen führt, muß vor allem aus Gründen der Menschenwürde vermieden werden (vgl. BVerfGE 56, 37 (42, 49)). Dieser Bezug schließt eine Erstreckung auf juristische Personen aus. Eine Lage, wie sie der Zwang zur Selbstbezichtigung für natürliche Personen heraufbeschwört, kann bei ihnen nicht eintreten. Sie bilden ihren Willen nur durch Organe und unterliegen im Hinblick auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nur einer eingeschränkten Verantwortlichkeit. Begeht ein Organwalter unter Verletzung von Pflichten der juristischen Person eine solche Tat, so ist allein er Täter. Gegen die juristische Person kann lediglich gemäß § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden, die aber weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Mißbilligung enthält, sondern einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen soll." 386

Bemerkenswert ist, daß das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich über die bestehende Rechtslage hinaus der Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes für juristische Personen eine Absage erteilt. Es geht vielmehr von der bestehenden Rechtslage aus und begründet das Fehlen eines "Zwiespalts" auch damit, daß juristische Personen in Bezug auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nur eingeschränkt verantwortlich seien. In der Gefahr, mit einer Geldbuße belegt zu werden, sieht das Gericht aber keinen Anlaß, den Nemo-tenetur-Satz mit der Wirkung eines Mitwirkungsverweigerungsrechts - hier im Hinblick auf ein Herausgabeverlangen - auf juristische Personen anzuwenden. Es läßt sich hingegen nicht abschließend sagen, ob das Bundesverfassungsgericht bei der Einführung einer Verbandsstrafe wegen der dann ausgeprägteren strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht vielleicht anders entscheiden würde? 87 In einer Stellungnahme zu dem oben dargestellten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts388 befürwortet Weiß 389 die Einräumung eines Aussageverweigerungsrechts für juristische Personen. Er prüft, ob das Schweigerecht, das ihm zufolge aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Rechtsstaatsprinzip (fair trial) abgeleitet werde, über Art. 19 Abs. 3 GG auf Verbände anwendbar ist, und bejaht dies mit folgender Begründung: Maßgeblich sei, ob eine juristische Person in die Situation kommen könne, in der einer natürlichen Person ein Aussageverweigerungsrecht zugebilligt würde, d. h. ob sie in eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" geraten könne. 390 Dies sei der Fall, weil sie nach§ 30 OWiG, § 38 GWB und nach EG-Kartellrecht verantwortlich gemacht werden könne 391 ; der dem Schweigerecht zugrundeliegende Gewissenskonflikt würde sich bei der ver386

BVerfGE 95, 220, 242.

387

Dazu näher unten, 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) bb). BVerfGE 95, 220. JZ 1998, 289 ff. Weiß, JZ 1998, 293 f. Weiß, JZ 1998, 294 f.

388

389 390 391

3. Teil: Prozessuale Probleme

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tretungsberechtigten Person einstellen, wenn diese bei der Überführung des Unternehmens mitzuhelfen habe und dabei sowohl eigenes Fehlverhalten eingestehen müsse als auch die Interessen der juristischen Person nicht angemessen wahren könne. 392 Eine derartige, die Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes befürwortende Grundgesetzauslegung sei auch deswegen zu begrüßen, weil dies im Einklang mit der EMRK stünde393 , aus deren Art. 6 Abs. 1 S. 1 (i. V. m. Art. 25 EMRK) sich nach Weiß' Ansicht394 ein Aussageverweigerungsrecht auch für juristische Personen ergebe. 395 Zur unmittelbaren Anwendung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf juristische Personen hat sich auch Ransiek geäußert. Er geht zwar nicht vom geltenden Recht und der Bußgeldhaftung nach § 30 OWiG aus, sondern von der von ihm vorgeschlagenen alleinigen Unternehmensträgerhaftung für bestimmte Pflichtenbereiche. 396 Trotzdem sollen seine Ausführungen hier dargestellt werden, denn die von ihm vorgesehene Sanktion möchte er wegen der besonderen Bedeutung des strafrechtlichen Schuldprinzips dem Ordnungswidrigkeiten- und nicht dem Strafrecht zuordnen. Dabei gehe es nicht wie bei der Strafe um die Bestätigung der Freiheit, als freies und gleiches Mitglied der Gesellschaft mit anderen zusammenleben zu können, sondern um den "positiven Aspekt" der Geldbuße, daß der Unternehmensträger ihn treffende Sonderpflichten einhalten könne.397 Auf dieser Grundlage richtet er sich gegen die Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Prinzips auf den Unternehmensträger.398 Im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtsprechung des EuGH bezweifelt er eine Kollision mit deutschem Verfassungsrecht und sieht keinen Grund dafür, warum der Nemo-tenetur-Grundsatz juristischen Personen zugute kommen solle?99 Im übrigen differenziert er die Reichweite dieses Prinzips danach, vor welcher Art von belastenden Angaben überhaupt geschützt werden solle. Wahrend es im Strafrecht um die Freiheit des Beschuldigten gehe, die ihm strafprozessual belassen werden müsse und darum ein besonderer Schutz vor Selbstbelastung zu bestehen habe, lasse sich in anderen Bereichen die Verpflichtung zu selbstbelastenden Angaben eher legitimieren. 400 Für das Ordnungswidrigkeitenrecht führt er sodann aus, daß selbst für den Fall, daß die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang auch dort gelten sollte, kein Anlaß bestehe, einen Unterneh392

Weiß, JZ 1998, 296.

393

Weiß, JZ 1998, 296.

JZ 1998, 290 f. Vgl. speziell zum Schutz der Aussagefreiheit nach EMRK auch Weiß, NJW 1999, 2236 f. 396 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 333 ff. 397 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 343. 398 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 357 ff. 399 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 358. 400 Ransiek, Unternehmensstrafrecht S. 359 f. ; diese Differenzierung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht berücksichtigt Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 116, bei seiner Auseinandersetzung mit Ransiek nicht. 394

395

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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mensträger in den Schutzbereich mit einzubeziehen. Grund dieses Rechts sei die Respektierung der Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten und das Ziel der Wahrheitsfindung; hier gehe es jedoch nicht um persönliche Freiheit und Selbstverantwortung, sondern um Informationen über geschäftliches Verhalten. Die Freiheit, Geschäftstätigkeit aufzunehmen, könne aber von Anfang an die Pflicht beinhalten, zum Schutz von Dritten Unternehmensvorgänge offenzulegen. Da die Freiheit der Unternehmensorganisation nicht Voraussetzung einer freien Gesellschaft sei, sei die "rechtlich hergestellte Freiheit" von "artificial entities~· rechtlich gestaltbarer und im Vergleich mit natürlichen Personen eher einschränkbar. 401 Auch für den Einzelkaufmann gelte das, solange nicht der Gesetzgeber Verfehlungen im Rahmen der Unternehmerischen Tätigkeit unter Strafe stelle und damit ein Bezug zur persönlichen Schuld und somit zur Freiheit des einzelnen hergestellt werde. 402 Gegenüber den strafprozessualen Verteidigungsrechten des einzelnen seien also bei einer ausschließlichen Unternehmensträgerhaftung Einschränkungen möglich, da diese Rechte in der Regel persönliche Schutzrechte seien, welche die Freiheit des einzelnen voraussetzten. 403 dd) Zusammenfassung Auch die Diskussion über das Schweigerecht von juristischen Personen im Hinblick auf die Gefahr der Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG hat die Frage zum Zentrum, ob eine Gleichbehandlung bereits aufgrund der Verfahrensstellung zu befürworten ist und welche Bedeutung die Fähigkeit zu einem Gewissenskonflikt als angebliche Voraussetzung des Nemo-tenetur-Grundsatzes hat. Aus den Ausführungen Ransieks und des Bundesverfassungsgerichts, wonach die juristische Person nicht vom Verbot des Selbstbezichtigungszwanges geschützt werde, sofern nur die Gefahr der Verfolgung nach Ordnungswidrigkeitenrecht gegeben sei, ergibt sich ein weiteres Kriterium. Denn danach ist die Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes offensichtlich - auch - davon abhängig, welchen Charakter die dem Verband drohende Sanktion hat.

c) Fazit

Aus der dargestellten Diskussion ergeben sich folgende Kernpunkte: Die zentrale Frage lautet, ob die Herkunft des Nemo-tenetur-Grundsatzes ein Hindernis für die Anwendbarkeit auf juristische Personen darstellt, insbesondere wenn die Fähigkeit zu einem Gewissenskonflikt entscheidend sein sollte; oder ob nicht vielmehr die formale Verfahrensstellung maßgebend ist, beispielsweise deswegen, weil der 40 1 402

403

Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 360. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 360 f. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 357.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Nemo-tenetur-Grundsatz Teil eines objektiv rechtsstaatliehen Verfahrens ist. Einfluß scheint auch die Art der Sanktion zu haben, die der juristischen Person droht. An diesen Punkten wird sich der folgende Teil der Untersuchung, der sich mit der Geltung des Nemo-tenetur-Prinzips in einem künftigen Strafverfahren befaßt, zu orientieren haben. 2. Geltung des Nemo-tenetur-Prinzips in einem künftigen Strafverfahren gegen juristische Personen

Aus den soeben festgehaltenen Kernpunkten der Diskussion lassen sich die Leitlinien für die folgende Untersuchung entwickeln. Da sich die Frage, ob der Hinweis auf die formale Verfahrensstellung der juristischen Person bereits zum Gebot der Gleichbehandlung mit natürlichen Personen führt oder ob im Gegenteil einer solchen Gleichbehandlung das Wesen des Nemo-tenetur-Grundsatzes entgegensteht, nicht ohne Kenntnis der Rechtsnatur dieses Prinzips und des Grundes seiner Geltung für natürliche Personen beantworten läßt, ist zunächst seine Herleitung nach geltendem Recht zu betrachten. Dann erst kann - ausgehend von allgemeinen Kriterien für die Übertragbarkeit von Rechten auf Verbände - geklärt werden, ob juristische Personen sich darauf berufen können oder ob das Wesen dieses Rechts dem entgegensteht. Zu berücksichtigen wird dabei sein, daß die Pflichtenstellung von juristischen Personen sich bei der Einführung einer Verbandsstrafe gegenüber der heutigen Rechtslage entscheidend ändern würde, weil ihnen dann nicht mehr nur eine Geldbuße drohen könnte. Die Schwierigkeiten bestehen darin, daß verschiedene Problemkreise aufeinandertreffen, die allesamt noch nicht vollständig geklärt sind. Sowohl die Frage, woraus der Schutz vor Selbstbezichtigungszwang herzuleiten ist und insbesondere, aus welchen Verfassungsnormen er sich ergibt, als auch die Frage der Anwendung von (Grund-)Rechten auf juristische Personen haben jeweils für sich bereits genügend Anlaß zu wissenschaftlichen Kontroversen gegeben. Rechnet man noch hinzu, daß frühestens mit der Entscheidung für das eine oder andere Verbandsstrafenmodell wenigstens einige Unsicherheiten hinsichtlich der Grundlagen der Verbandsstrafbarkeit geklärt sein werden, zeichnen sich die Schwierigkeiten bei der Behandlung dieser Fragestellung ab. Die hier zu entwickelnde Lösung wird folgenden Gang haben: Nach einem kurzen Blick auf mögliche völkerrechtliche Vorgaben soll untersucht werden, ob und wie sich der Nemo-tenetur-Grundsatz als eines der Grundprinzipien des bisherigen, auf natürliche Personen zugeschnittenen Strafverfahrensrechts aus dem Grundgesetz herleiten und ob sich aufgrund dieser Herleitung eine Geltung für juristische Personen begründen läßt. Nur dann ist auch der Gesetzgeber an diesen Satz gebunden und kann nicht in einem Strafverfahrensrecht für juristische Personen erzwingbare Aussage- und Herausgabepflichten für den beschuldigten Verband aufstellen.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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a) Völkerrechtliche Grundlagen

aa) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) Die EMRK sieht ein ausdrückliches Verbot des Selbstbezichtigungszwangs nicht vor. Ob ein solches Verbot sich aus der EMRK, insbesondere aus Art. 6 EMRK herleiten läßt, ist umstritten. So hat beispielsweise der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Funke-Entscheidung404 ein Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, aus dem in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Grundsatz des fairen Verfahrens hergeleitet. In der deutschen Literatur wird eine solche Herleitung ebenso wie aus der in Art. 6 Abs. 2 EMRK vorgeschriebenen Unschuldsvermutung teilweise abgelehnt405 , teilweise befürwortet406 . Der EuGH erkennt in der oben erwähnten Entscheidung Orkem v. Kommission ein aus der EMRK herleitbares Auskunftsverweigerungsrecht nicht an. 407 Zum Teil wird dagegen sogar die Geltung eines derartigen Rechts für juristische Personen aus Art. 6 Abs. I i. V. m. Art. 25 EMRK hergeleitet. 408 Eine nähere Auseinandersetzung mit der Streitfrage, ob in der EMRK der Nemo-tenetur-Grundsatz verbürgt ist, erübrigt sich jedoch aus zwei Gründen. Zum einen ergibt sich aus dem Rang der EMRK die nur begrenzte Bindungskraft für den nationalen Gesetzgeber, selbst wenn man unterstellen würde, daß die EMRK vor Selbstbezichtigungszwang schützen will und sich dieser Schutz auch auf juristische Personen erstreckt. Die EMRK hat nach der vorherrschenden Meinung innerstaatlich nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes409 , wenn auch ihr Inhalt und Entwicklungsstand bei der Auslegung der in Deutschland geltenden Gesetze zu berücksichtigen ist. 410 Eine Stellungnahme dazu, ob Art. 6 EMRK den Schutz vor Selbstbelastung umfaßt, kann zumindest dann unterbleiben, wenn man sich dieser Auffassung anschließt. Hinzu kommt, daß die in Art. 6 EMRK enthaltenen 404 EGMR, 25. 2. 1993, Funke./ .Frankreich (zitiert nach SK-StPO-Roga/1, vor § 133 Rn. 131). 405 Roga/1, Der Beschuldigte, S. 109 ff. (zu Art. 6 Abs. 2 EMRK), S. 112 ff. (zu Art. 6 Abs. 1 EMRK). 406 Weiß, JZ 1998, 290 f.; ähnlich auch Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, MRK Art. 6 Rn. 4; vgl. im übrigen die Nachweise unten 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. b) aa) (1). 407 Urteil 374 I 87 Orkem, Slg. 1989, 3283, 3350 f. 408 Weiß, JZ 1998, 290 f. 409 BVerfGE 74, 358, 370; LR-Gollwitzer; Einl. MRK Rn. 19 m. w. N.; Kleinknechtl Meyer-Goßner; StPO, MRK Vor Art. 1 Rn. 3; KK-StPO-Pfeif.fer; Einl. Rn. 32 a; Geppert, Jura 1992, 598 f.; Dörr; Faires Verfahren, S. 88 ff.; Herzog, AöR 86 (1961), 236 f .; Dürig, in Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. I Rn. 57 ff.; a.A. Marxen, GA 1980, 372; Echterhölter; JZ 1955,689 ff., 692. 410 BVerfGE 74, 359, 370; Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, MRK vor Art. 1 Rn. 3 f.; Dreier; in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 22; Geppert, Jura 1992, 599: Der Wirkung nach habe die EMRK daher eine Stellung zwischen Bundesgesetz und Verfassungsrecht.

12 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Rechte anerkanntermaßen 411 ebenfalls durch innerstaatliches Verfassungsrecht verbürgt sind. So wird die Unschuldsvermutung verbreitet aus dem Rechtsstaatsprinzip412 bzw. aus der Menschenwürdegarantie 413 hergeleitet; das Recht auf ein faires Verfahren hat ebenfalls Verfassungsrang und wird verbreitet als im Rechtsstaatsprinzip, in den Freiheitsgrundrechten und in der Achtung der Menschenwürde verwurzelt angesehen 414 . Die Diskussion gleicht daher derjenigen zur Frage der Verankerung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip 415 , die hier weiter unten dargestellt werden soll. Ein Gewinn bei der Erforschung der Grundlagen des Nemo-tenetur-Satzes ist durch eine gesonderte Auseinandersetzung mit der Auslegung der EMRK nicht zu erwarten, so daß sich an dieser Stelle weitere Ausführungen dazu erübrigen.

bb) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgpR) In Art. 14 Abs. 3 g des IPbürgpR416 ist das Verbot unfreiwilliger Selbstbelastung im Strafverfahren mit den Worten: "Er (Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte) darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen" 417 geregelt. 418 Eine Anwendbarkeit auf juristische Personen ist nicht ausdrücklich vorgesehen.419 Auch hier kann jedoch auf eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Fra411 LR-Gollwitzer, Art. 6 MRK, Rn. 7 ff.; für die Unschuldsvermutung: Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, MRK Art. 6 Rn. 12; Köster, Rechtsvermutung der Unschuld, S. 139, jeweils m. w. N. 412 BVerfGE 19, 342, 347; 22, 254, 265; 25, 327, 331; 38, 105, 115; 53, 152, 162; 82, 106, 114; BVerfG NJW 1990, 2741; Paeffgen, Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, S. 66 (die Unschuldsvermutung gehöre in die Nähe der Justizgrundrechte und der nächste übergeordnete Gesichtspunkt sei das Rechtsstaatsprinzip, nicht die Menschenwürde); LR-Rieß, Einl. Abschn. I Rn. 75; LR-Gollwitzer, Art. 6 MRK Rn. 103, 105, 116 (neben der Achtung der Menschenwürde bzw. dem grundrechtliehen Persönlichkeitsschutz); ebenso Marxen, GA 1980, 372; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, MRK Art. 6 Rn. 12; KK-StPO-Pfeiffer, Einl. Rn. 32 a; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 74; Geppert, Jura 1993, 161; Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 547, vgl. auch die Nachweise dort S. 50 in Fn. 22; Schubarth, Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, S. 2. 413 Sax, in: Die Grundrechte, Band III/2, S. 987; Köster, Rechtsvermutung der Unschuld, S. 141 ff.; Stümer, JZ 1980, 3m. w. N.; teilweise wird die Unschuldsvermutung auch als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen, vgl. Kühl, Unschuldsvermutung, Freispruch und Einstellung, S. 20; auch LR-Gollwitzer, Art. 6 MRK Rn. 117. 414 Näher dazu unten 3. Teil3. Abschnitt C. I. 2. bb) (1). 415 Vgl. Rogall, Der Beschuldigte, S. 137 f., zu dem Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem Rechtsstaatsprinzip sowie zu den Auswirkungen auf die Diskussion zur Herleitung des Nemo-tenetur-Grundsatzes. 416 BGBl. II (1973), S. 1533 ff. 417 BGBL li (1973), S. 1540 f. 418 Rogall, Der Beschuldigte, S. 118 f.

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ge verzichtet werden, da der IPbürgpR ebenso wie die EMRK bislang nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat. 420 Ergiebiger erscheint es daher, sich unmittelbar den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Nemo-tenetur-Prinzips zuzuwenden.

b) Veifassungsrechtliche Grundlagen

Im Grundgesetz ist - anders als beispielsweise in der US-amerikanischen Verfassung - ein Recht des Beschuldigten, nicht gegen sich selbst im Strafverfahren aussagen zu müssen, bzw. allgemein ein Schutz vor Selbstbezichtigungszwang nicht ausdrucklieh geregelt. Nahezu unstreitig ist jedoch, daß der Nemo-teneturGrundsatz Verfassungsrang hat. 421 Uneinigkeit besteht jedoch dariiber, aus welchen Grundgesetzvorschriften er sich herleiten läßt und wie sein sachlicher Schutzbereich zu bestimmen ist. Es gibt zahlreiche Auffassungen dazu, in welchen Verfassungsbestimmungen die Grundlage des Nemo-tenetur-Prinzips zu finden ist. So wurde im friiheren Schrifttum vertreten, daß sich die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang auf die Freiheit des Gewissens, Art. 4 Abs. 1 GG422 , auf die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 GG423 , oder auf den Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG424 , zuriickführen lasse. In der heutigen Diskussion lassen sich hingegen zwei Grundpositionen ausmachen: Einer Sichtweise mit Orientierung an der Menschenwürdegarantie bzw. dem Persönlichkeitsrecht stehen die Auffassungen gegenüber, welche den Nemo-tenetur-Grundsatz im Rechtsstaatsprinzip bzw. in dessen Unterprinzipien verankert sehen. Diese beiden Grundpositionen sollen im folgenden näher betrachtet werden. aa) Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip Die Formulierung, es gehöre zu einem rechtsstaatlichen, fairen Strafverfahren, dem Beschuldigten die Freiheit vom Zwang zu selbstbelastenden Einlassungen zu geben, findet sich mancherorts. 425 Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich jeVgl. Weiß, JZ 1998,292. Vgl. Rogall, Der Beschuldigte, S. 116 ff., 124. 421 Vgl. die Nachweise oben Fn. 370. 422 Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 146 ff., 150; Zippelius, in: Bonner Kommentar, Art. 4 Rn. 42. 423 Wessels, JuS 1966, 171; dazu, daß dies möglicherweise auf ein redaktionelles Versehen zurückzuführen ist, vgl. Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 60; i. ü. vgl. zu Wessets auch Rogall, Der Beschuldigte, S. 125 f. 424 Niese, ZStW 63 (1951), 219 ff., der zur Begründung der von ihm als "prozessuale Binsenweisheit" bezeichneten Einlassungsfreiheit Art. 104 Abs. 3 heranzieht; Castringius, Schweigen und Leugnen, S. 21, 54; auch Gerhard Bauer, Die Aussage, S. 51, der diese Artikel aber nur als einzelne Grundlagen unter mehreren nennt. 419

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doch meist, daß dem Rechtsstaatsprinzip, das allgemein als "eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes" 426 bezeichnet wird, in zahlreichen Vorschriften des Grundgesetzes eine nähere Konkretisierung erfahren hat und als allgemeiner Rechtsgrundsatz in Teilelementen in Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist427 , im Hinblick auf das Nemo-tenetur-Prinzip überwiegend keine eigenständige Bedeutung zugemessen wird. Insofern geht die Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht über die aus den Grundrechten hinaus 428 und wird im Grunde nur als "blankettartige Bezeichnung"429 verwendet. Sofern jedoch dem Rechtsstaatsprinzip bei der Frage nach der Lozierung des Nemo-tenetur-Grundsatzes eigene Bedeutung zugemessen wird, geschieht dies auf unterschiedliche Weise. Einige Autoren nennen das Rechtsstaatsprinzip als solches zur Begründung des Verfassungsrangs des Grundsatzes. Andere versuchen, den Schutz vor einem Selbstbezichtigungszwang aus der (auch) als Unterprinzip des Rechtsstaatsprinzip verstandenen Unschuldsvermutung herzuleiten. ( 1) Der Nemo-tenetur-Grundsatz als Teil der Unschuldsvermutung?

Zunächst sei hier auf die Auffassung eingegangen, wonach der Nemo-teneturGrundsatz nicht nur verwandt mit der Unschuldsvermutung, sondern ein Teil derselben sei. Die Frage, ob die Unschuldsvermutung, die in einigen Landesverfassungen und in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich festgeschrieben ist, verfassungsrechtlich aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus der Menschenwürdegarantie herzuleiten ist430 , soll hier nicht entschieden werden. Da in ihr aber wohl überwiegend ein rechtsstaatliches Unterprinzip gesehen wird, ist es gerechtfertigt, die Frage nach der Verwurzdung des Nemo-tenetur-Prinzips in der Unschuldsvermutung hier zu erörtern. Zu klären ist an dieser Stelle vorrangig, ob sich ein Aussagezwang überhaupt mit der Unschuldsvermutung vereinbaren läßt. Nur wenn dies nicht der Fall sein sollte und der Nemo-tenetur-Grundsatz deswegen als Teilgewährleistung der Unschuldsvermutung zu verstehen ist, wird es notwendig, näher auf ihre verfassungsrechtliche Verankerung und die daraus folgenden Konsequenzen für die Anwendbarkeit auf juristische Personen einzugehen.

425 Vgl. nur BVerfGE 56, 37, 45; auch 38, 105, 115; BGH NJW 1992, 2304, 2305 (faires Verfahren); Bruns, in: Festschrift für Schmidt-Leichner, S. 2; Seebade, MDR 1970, 185; Bringewat, JZ 1981, 294; Günther, GA 1978, 198 f. 426 BVerfGE 20, 323, 331 . 427 Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 28 f. 428 So zu verstehen ist wohl die in Fn. 425 zitierte Rechtsprechung; Bruns, in: Festschrift für Schmidt-Leichner, S. 2, 8; Eser, ZStW Beiheft 1974, 146 f.; Saiger, Das Schweigerecht, S. 15 f.; Rupp, Gutachten zum 46. DJT, S. 178; im Ergebnis wohl auch Paeffgen, Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, S. 71 f. 429 Vgl. Rogall, Der Beschuldigte, S. 138 f. 430 Vgl. die Nachweise oben Fn. 412 und 413.

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Für die Grundlage der Mitwirkungsfreiheit des Angeklagten hält beispielsweise Amdt431 die Unschuldsvermutung. So beinhalte Art. 6 Abs. 2 EMRK, daß bis zur rechtskräftigen Verurteilung jeder Angeklagte als schuldlos gelte, womit er davor geschützt werde, "seinem eigenen Willen zuwider zum Beweismittel gegen sich selbst gemacht zu werden". Die Unschuldsvermutung würde gegenstandslos, wenn der Angeklagte zur Mitwirkung an der gegen ihn gerichteten Strafverfolgung gezwungen würde und er sich dann, wenn er sich nicht verteidige, der Vermutung seiner Schuld ausgesetzt sähe. Jedem Schluß von der - auch nur teilweisen - Verweigerung des Angeklagten, "Beweismittel zu werden", auf seine Schuld stehe die Unschuldsvermutung entgegen. So schütze die Unschuldsvermutung nicht nur davor, daß der Angeklagte nicht durch äußeren Zwang - wie beispielsweise durch Beugehaft - zur Aussage gebracht werden dürfe, sondern auch vor dem mittelbaren, inneren Zwang, d. h. vor der Furcht, daß sein Schweigen als Schuldeingeständnis gesehen werden könnte. Andere Autoren meinen, daß der Nemo-teneturGrundsatz aus der Unschuldsvermutung folge, weil jemand, dessen Unschuld vermutet wird, nicht zum Vortrag belastender Umstände gezwungen werden könne. 432 Die Unschuldsvermutung bewirke, daß ein schweigender Angeklagter vom Richter nicht zu einem "reumütigen Geständnis" aufgefordert werden dürfe. 433 Nach überwiegender Ansicht ist aber lediglich ein Zusammenhang von Unschuldsvermutung und Aussagefreiheit darin zu erkennen, daß belastende Schlüsse aus dem Schweigen des Beschuldigten gegen die gesetzliche Vermutung seiner Unschuld sprächen. 434 Um beurteilen zu können, ob der Schutz des Beschuldigten vor Selbstbelastungzwang tatsächlich bereits in der Unschuldsvermutung enthalten ist, bedarf es freilich einer näheren Betrachtung des Inhalts dieses Rechtsinstituts. Dieser ist bis heute nicht vollständig geklärt. 435 Aus Art. 6 Abs. 2 EMRK folgt, daß der Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat. Darüber hinaus herrscht Uneinigkeit über den sachlichen Gehalt. Als Grundlinien des Inhalts lassen sich drei Aspekte fassen: Zunächst soll die Unschuldsvermutung verhindern, daß vor dem Abschluß des Strafverfahrens strafrechtliche Schuldfeststellungen getroffen werden 436 ; dem Täter müssen deshalb Tat und Schuld nachgewiesen werden437 . Es bedarf des rechtskräftigen Nachweises der Schuld, bevor NJW 1966, 870. Guradze, Festschrift für Loewenstein, S. 160, auch S. 161, 164 f.; zustimmend Dingeldey, JA 1984,409. 433 Guradze, Festschrift für Loewenstein, S. 164. 434 So Wessels, JuS 1966, 173; Rüping, JR 1974, 138; Eser, ZStW Beiheft 1974, 136, 160; vgl. auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 93. 435 Hierauf wird vielerorts hingewiesen, vgl. nur LR-Rieß, Ein!. Abschn. I, Rn. 76; Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 4 f., S. 47 mit Fn. 7 mit zahlreichen Nachweisen; Geppert, Jura 1993, 161 mit Fn. 3. 436 Vgl. LR-Rieß, Ein!. Absch. I Rn. 75. 437 BVerfGE 9, 167, 169; 74, 358, 371. 431

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diese dem Verurteilten allgemein vorgehalten werden darf. 438 Die förmliche Straffolge darf nicht vor Verfahrensschluß eintreten. 439 Auch verbietet die Unschuldsvermutung die Anordnung von Maßnahmen, die den vollen Nachweis der Schuld erfordem440 , d. h. die Belastung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten mit Eingriffen, welche solche Merkmale aufweisen, derentwegen bei einer Strafe Schuld vorausgesetzt ist441 . Danach soll die Unschuldsvermutung vor allem vorweggenommene und Verdachtsstrafen verbieten; außerdem dürfen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen nicht das Maß dessen überschreiten, das einem Unschuldigen zugemutet werden darf. 442 Hinzu kommt eine mehr verfahrensbezogene Funktion der Unschuldsvermutung: Wahrend des Verfahrens soll der Beschuldigte nicht bereits als schuldig behandelt werden dürfen, d. h. die Unschuldsvermutung gebietet eine unvoreingenommene Behandlung des Beschuldigten im Verfahren. 443 Betrachtet man diese Inhalte der Unschuldsvermutung, so ist nicht zu erkennen, warum eine Mitwirkungspflicht des Beschuldigten, die z. B. in einer Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Beantwortung bestimmter Fragen oder zur Herausgabe von bestimmtem Beweismaterial liegen kann, gegen die Vermutung der Unschuld verstoßen sollte. Bei entsprechend offen formulierter Fragestellung ist in einem Zwang zur Selbstbelastung weder eine präjudizierende Verhandlungsführung noch die Vorwegnahme von Strafen oder die Anordnung von strafähnlichen Maßnahmen zu sehen. Eine Frage an den Beschuldigten beispielsweise nach seinem Aufenthaltsort zur Tatzeit ließe keinerlei Schluß auf die Einstellung des Vernehmenden zu Schuld oder Unschuld des Beschuldigten zu. Das würde auch dann gelten, wenn er mittels Zwangsgeldem oder -haft zu einer Beantwortung dieser Frage gezwungen oder nachträglich für eine unwahre Antwort wegen einer Falschaussage bestraft würde. Eine von der Unschuldsvermutung verbotene Schuldpräsumtion wäre nur in einer auf eine Geständnispflicht hinauslaufenden Pflicht zur Selbstbelastung zu sehen. 444 BVerfGE 19, 342, 347; 35, 311, 320; 74, 358, 371. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 537, der in der Unschuldsvermutung ein "Verbot der Desavourierung des Verfahrens" sieht, S. 530 ff.: Habe man sich einmal für die Durchführung eines Verfahrens als Instrument zur Klärung der Schuldfrage entschieden, so dürfe man die Resultate, d. h. die Tatbestandsfeststellung und die Anordnung der Rechtsfolge nicht vorwegnehmen (S. 530). Die Offenheit des Ausgangs müsse gewährleistet und respektiert werden, wenn das Verfahren nicht zum bloßen "Ritual" verkommen solle (S. 531 f.). 440 BVerfGE 74, 358, 371; BGH NJW 1975, 1829, 1831; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, MRK Art. 6 Rn. 12. 441 Geppert, Jura 1993, 161. 442 Geppert, Jura 1993, 161; vgl. auch Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 4: Der Beschuldigte sei bei Vernehmungen und bei der Anordnung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen so zu behandeln, als wäre er unschuldig. 443 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, MRK Art. 6 Rn. 12. 444 Vgl. hierzu Puppe, GA 1978, 299 in Fn. 42; zustimmend auch Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 39 bei Fn. 238. 438

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Die Unschuldsvermutung vermag den Nemo-tenetur-Grundsatz somit nicht zu begründen. Es kann aber im Zusammenhang mit diesem Grundsatz wie bei den oben dargestellten Auffassungen richtigerweise aus der Unschuldsvermutung gefolgert werden, daß - im Rahmen der freien Beweiswürdigung - aus einem Schweigen des Angeklagten nicht geschlossen werden darf, daß er schuldig ist. 445 Bei einer derartigen Schlußfolgerung wäre der Angeklagte nicht nur mittelbar gezwungen auszusagen, um diese negative Würdigung abzuwenden 446; darüber hinaus wäre bei einer solchen Bewertung des an sich neutralen Schweigens eine vorurteilsbelastete Würdigung kaum mehr zu leugnen. Denn wenn der Richter in Unkenntnis des tatsächlichen Motivs das Schweigen nachteilig auslegen würde, müßte er, da das völlige Schweigen einen nur unzuverlässigen Erkenntniswert hat, ein entsprechendes Motiv des Angeklagten unterstellen. 447 (2) Verwurzelung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip?

Mit einem anderen Schwerpunkt betonen einige Autoren die selbständige Verankerung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip. Dies geschieht vor allem mit Blick auf seine historische Entwicklung aus der Entstehung des modernen Strafprozesses in Abkehr von dem bis ins 19. Jahrhundert bestehenden Inquisitionsprozeß. 448 Wenn der Nemo-tenetur-Grundsatz sich tatsächlich hinreichend dahingehend erfassen ließe, daß es für ein rechtsstaatliches Verfahren erforderlich ist, jedwedem Beschuldigten Schutz vor erzwungener Selbstbelastung zuzugestehen, würde dies bedeuten, daß dies nicht nur eine objektive Vorgabe für das Verfahren wäre, sondern daß sich auch die juristische Person als Beschuldigte darauf berufen könnte. 449 Über die- heute wohl unstreitig450 - gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch 445 Daß zumindest aus vollständigem Schweigen des Angeklagten keinerlei Schlüsse gezogen werden dürfen, ist allgemein anerkannt, vgl. nur BGH NJW 1992, 2304, 2305 mit Anm. Rogall, JR 1993, 380 und Anm. Dahs/Langkeit, NStZ 1993, 231; BGHSt 32, 140, 144; dazu Kühl, JuS 1986, 118; BGHSt 34, 324, 326; Rogall, Der Beschuldigte, S. 247 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rn. 16m. w. N.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 22, 495; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 17 Rn. 36. 446 Vgl. nur Kühl, JuS 1986, 118; Fezer, Strafprozeßrecht, Falll7 Rn. 36. 447 Hierzu Kühl, JuS 1986, 199, der aber die fehlende tatsächliche Möglichkeit der Beweiswürdigung stärker als die Verknüpfung mit der Unschuldsvermutung betont. 448 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 145 ff.; Schneider, Grund und Grenzen, S. 38 ff.; zustimmend Weiß, Verteidigungsrechte, S. 372 f. 449 In diese Richtung: Weiß, Verteidigungsrechte, S. 372 ff. (für das EG-Kartellverfahren). 450 BVerfGE 10, 89, 99; 10, 221, 225; 19, 206, 215; 20, 323, 336; 23, 12, 20; 23, 208, 223; 29, 260, 265 f.; 44, 353, 372; Huber, in: Mangoldt/Starck/Klein, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 332; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 24; Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 95; Rüfner, AöR 89 (1964), 281; Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch, S. 138; Beyer, Beschwerdebefugnis, S. 64; teilweise wird lediglich die Reichweite des Schutzes auf die zugewiesenen Aufgaben bzw. auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit beschränkt, vgl. BVerfGE 66, 116, 130; Stern, Staatsrecht Band III/ 1, S. 1127 f. ; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 116 Rn. 38; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 69; ein

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auf sie anwendbare allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. I GG451 ) genösse sie dann Schutz vor einem Aussage- oder Beweismittelherausgabezwang, da ein rechtsstaatswidriges Gesetz nicht unter die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG, insbesondere nicht unter die "verfassungsmäßige Ordnung" fiele und daher nicht zur Einschränkung der Handlungsfreiheit geeignet wäre. Betrachtet man jedoch die Argumentation der Autoren näher, die mit besonderem Aufwand die Verwurzdung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip zu begrunden versuchen, so fällt folgendes auf: Auch bei einer auf die historischen Zusammenhänge konzentrierten Herleitung des Nemo-tenetur-Prinzips aus dem Rechtsstaatsprinzip mit Betonung auf den "althergebrachten, unbestrittenen Rechtsüberzeugungen"452 und der Aussagefreiheit als dem "kennzeichnende(n) Element des modernen rechtsstaatliehen Strafverfahrens"453 steht stets das Individuum mit seinen Individualrechten als Bezugspunkt im Zentrum. So findet sich bei Reiß im Zusammenhang mit der Herleitung der Aussagefreiheit aus der Abkehr vom gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß im Anschluß an die bürgerliche Revolution von 1848 die Aussage, daß im "konstitutionellen Rechtsstaat" auch der Angeklagte ein "mit Rechten ausgestatteter Bürger und nicht bloßes Objekt staatlichen Zwangs" sei454 ; die in den Verfassungskämpfen von 1848 errungene Aussagefreiheit sei vom neuen Verständnis des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat getragen gewesen455 . Das Rechtsstaatsprinzip selbst beinhalte die Respektierung der Persönlichkeit und der Menschenwürde, soweit es um die Wahrheitsermittlung im Strafprozeß gehe456 ; es sei zutreffend, wenn die Aussagefreiheit als Ausdruck rechtsstaatlicher Grundhaltung bezeichnet werde, die ihrerseits auf einer Achtung des Rechtsstaates vor der Menschenwürde beruhe457 . Im Ergebnis ist Reiß von einer "persönlichkeitsrechtsorientierten" Auffassung nicht weit entfernt und sagt letztlich selbst, daß es sich um dieselben Sachverhalte handele, "einmal vom Staat und einmal vom Individuum her" betrachtet. 458 Die Betonung der historischen Entwicklung und die Perspektive auf den Staat, dessen der Zwang zur Selbstbelastung nicht würdig sei 459 , dient bei ihm schließlich dazu, die Freiheit des Beschuldigten zur Aussage besonders abwägungsfest zu machen460 . Strafverfahren gegen einen Verband betrifft aber unzweifelhaft gerade seinen wirtschaftlichen oder den sonst nach dem Verbandszweck zugewiesenen Betätigungsbereich. 451 Vgl. nur BVerfGE 6, 32, 37 dazu, daß Art. 2 Abs. I GG die Handlungsfreiheit gewährleistet. 452 Schneider, Grund und Grenzen, S. 39. 453 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 157. 454 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 146. 455 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 148. 456 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 167. 457 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 157. 458 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 166. 459 Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 169. 460 Vgl. Reiß, Besteuerungsverfahren, S. 169 f.

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Ähnliches gilt auch für Schneider, der im Ergebnis die Herleitung ausschließlich aus dem Rechtsstaatsprinzip noch stärker betont als Reiß. Er lehnt ausdrücklich einen herausragenden Menschenwürdegehalt des Nemo-tenetur-Grundsatzes ab, da die von den Befürwortem dieser Lozierung herangezogenen "vorrechtlichen Selbstschutzinteressen"461 -wie naturrechtliche Gedanken des Selbstschutzes und psychologische Gesetzmäßigkeiteil des Selbsterhaltungsprinzips 462 - im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht anerkannt seien, um verfassungsrechtliche Positionen inhaltlich fundieren zu können. 463 Auch er kommt nicht ohne Rückgriff auf die Beziehung zu den Individualrechten aus. Im Rahmen seiner Herleitung des Nemo-tenetur-Satzes aus dem Rechtsstaatsprinzip führt er zur Entwicklungsgeschichte aus, daß man dieser entnehmen könne, daß das Schweigerecht des Beschuldigten ein Sinnbild individueller Selbstbestimmung sowie staatlicher Selbstbeschränkung und damit für die Staatskonzeption des Grundgesetzes konstitutiv sei. 464 Das gewandelte Staatsverständnis im 19. Jahrhundert habe die Omnipotenz des Staates in Zweifel gezogen und den Bürger als "(auch) staatsfreies Individuum" herausstellen wollen. 465 Daraus wird ersichtlich, daß das Nemo-tenetur-Prinzip, auch wenn es eine "alte Rechtstradition" hat, nicht vollständig von seinen individualrechtliehen Bezügen gelöst werden kann. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Recht, das so sehr mit der Verfahrensstellung von Individuen im Prozeß verbunden ist, dem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist, läßt sich nicht mit einer auf der geschichtlichen Entwicklung begründeten besonderen Betonung des Rechtsstaatsprinzips umgehen. Hinzu kommt, daß ein Rückgriff auf historische Entwicklungen des Strafprozesses nur eingeschränkte Aussagekraft haben kann, weil diese Entwicklung sich jedenfalls nicht auf ein Verbandsstrafverfahren bezieht. 466 Letztlich geht es daher um die Frage, ob das Nemo-tenetur-Prinzip grundrechtlich verbürgt ist und es deswegen auch zu einem rechtsstaatliehen Strafverfahren gehört, weil in einem solchen Verfahren die Rechte des einzelnen geschützt werden müssen. Daher wird auch zu erörtern sein, ob die Geltung für juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG zu bejahen ist.

461 462 463 464

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Schneider, Grund und Grenzen, S. 48. Schneider, Grund und Grenzen, S. 44. Schneider, Grund und Grenzen, S. 48 f. Schneider, Grund und Grenzen, S. 41. Schneider, Grund und Grenzen, S. 40 ff., zusammenfassend S. 42: Auch sei die Veror-

tung im Wege einer "Gesamtanalogie" zu begründen, da es thematische Verbindungslinien zum fair trial-Grundsatz und zur Unschuldsvermutung gebe, die beide im Rechtsstaatsprinzip verankert seien. 466 Hierzu näher unten 3. Teil 3. Abschnitt C. I. 2. bb) (2) (a).

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bb) Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht Die grundrechtliche Verbürgung der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang wird nach überwiegend vertretener Auffassung in der Achtung vor der Menschenwürde oder im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten gesehen. Ein Teil der Literatur467 und die ältere Rechtsprechung468 stützt sich bei der Herleitung des Nemo-tenetur-Grundsatzes maßgeblich auf Art. 1 Abs. 1 GG. Dabei wird zumeist mit der "Objektformel" argumentiert und betont, daß jeder Zwang zu aktiver Mitwirkung den Beschuldigten zu einem Objekt des Verfahrens mache und daher menschenunwürdig sei.469 Andere470 sehen einen Grundkonsens, eine "communis opinio" darüber, was zur Menschenwürde gehört, als maßgeblich an und bejahen einen solchen Konsens im Hinblick auf die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang im Strafverfahren. Dieser zuletzt genannte Aspekt berücksichtigt zwar, daß es sich bei der Frage, ob ein Eingriff des Staates die Menschenwürde verletzt, im Grunde auch um eine Wertungsfrage handelt, beinhaltet auf der anderen Seite aber die Gefahr, daß eine bestimmte Auffassung lediglich durch Perpetuierung legitimiert wird. Die Objektformel als Erklärung für die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang hat hingegen die Schwäche, daß andere Eingriffe in die Sphäre des Beschuldigten, wie beispielsweise die körperliche Untersuchung(§§ 81 ff. StPO), ihn in ähnlicher Weise zum Objekt machen.471 Zudem läßt sich einwenden, daß der Zeuge im Strafverfahren im Hinblick auf seine Aussage- und Wahrheitspflicht ebenso als Werkzeug für die staatliche Strafverfolgung genutzt und somit letztlich gleichermaßen zum Objekt gemacht wird. Es zeigt sich daran, daß der Mensch "oftmals und auch notwendig als ,Objekt' behandelt und fremdbestimmt wird"472 . So soll die Objektformel nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Grunde auch nur die Richtung vorgeben, in der sich Verletzungen der Menschenwürde ergeben können.473 Zunehmend wird daher das Nemo-tenetur-Prinzip mit etwas anderer Gewichtung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht angesiedelt474 , das nach gefestigter Ver467 Vgl. Eser; ZStW Beiheft 1974, 144 ff.; Bruns, Festschrift für Schrnidt-Leichner, S. 8; Stümer; NJW 1981, 1757 f.; Nothhelfer; Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 63 ff.; Besson, Steuergeheimnis, S. 77 ff., 80. 468 BGHSt 14, 358, 364. 469 So Eser; ZStW Beiheft 1974, 145 ff. 470 Nothhelfer; Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 73 ff.; Besson, Steuergeheimnis, S. 79 f. 471 So etwa auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 40 f.; Saiger; Das Schweigerecht, S. 13. 472 Rogall, Der Beschuldigte, S. 141 m. w. N. 473 BVerfGE 30, 1, 25 f. 474 BVerfGE 38, 105, 114 f.; 56, 37, 41 f.; 95, 220, 241; BVerfG NJW 1999, 779; BGH NJW 1992, 2304, 2305; Rogall, Der Beschuldigte, S. 129 ff., 147; ders. in: SK-StPO, vor

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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fassungsgerichtsrechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt verschiedene Fallgruppen wie zum Beispiel den Schutz der persönlichen Ehre, das Recht am eigenen Bild und den Schutz der Privat- und Geheimsphäre.475 Dazu gehöre auch das Recht, Verfehlungen geheimzuhalten. 476 Für das Strafverfahren wird ein Selbstbelastungszwang dabei als Verletzung des unantastbaren Kernbereichs angesehen, dessen Verletzung eine Mißachtung der Menschenwürde bedeutet. Dies wird damit begründet, daß es ein elementares Bedürfnis des einzelnen sei, "seine ,Ehre' und sein gesellschaftliches Ansehen nicht dadurch zu verlieren", daß er seine "Schuld in der Öffentlichkeit eines Strafverfahrens offen eingesteht und zur richterlichen Beurteilung stellt". 477 Der Unterschied zu anderen Rechtsgebieten, in denen der Bürger auch bei der Herbeiführung von Einbußen an seinen Rechtsgütern mitwirken muß, sei darin zu erkennen, daß den Schuldigen Strafe und Urteil existentieller treffen und auch existentieller treffen sollen als andere Opfer an Freiheit und Vermögen. 478 Laut Bundesverfassungsgericht soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor der aus der Auskunftspflicht resultierenden "Konfliktsituation", sich "entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen (des) Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden"479 , schützen. 480 Es hieße, so Rogall, die durch den Selbsterhaltungs-"Trieb"481 gesetzten "psychologischen Grenzen" zu überschreiten, wenn man den Beschuldigten im Strafverfahren, das "StreB" sei482 , zur Selbstbelastung zwinge. 483 Zudem sei der Schutz der eigenen Ehre und der eigenen Existenz, um die es im Strafprozeß gehe, ein "völlig legitimes Anliegen".484 So verstanden sei das Verbot der Selbstbelastung als "verfassungsrechtliche Wertentscheidung zugunsten des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten" einzuordnen. 485 Als "verfassungsrechtlich unantastbares Persönlichkeitsrecht" mit "hohem Menschenwürdegehalt" sei es der Disposition des Gesetz§ 133 Rn. 132 m. w. N.; Seebade, JA 1980, 496 f. ; Dingeldey, JA 1984, 409; Saiger, Das Schweigerecht, S. 12 ff.; vgl. auch Keller, Rechtliche Grenzen, S. 131 ff. (besondere Ausformung des Rechts auf informationeHe Selbstbestimmung). 475 Hierzu und zu den weiteren Einzelverbürgungen: Pierothl Schlink, Grundrechte, Rn. 373 ff. mit zahlreichen Hinweisen aus der Rechtsprechung. 476 Rogall, Der Beschuldigte, S. 147. 477 Puppe, GA 1978, 299. 478 Puppe, GA 1978, 298 f. 479 BVerfGE 56, 37, 41. 480 BVerfGE 95,220, 241; ähnlich Puppe GA 1978, 298 f.; Grünwald, JZ 1981,428. 481 Anführungszeichen so bei Rogall, Der Beschuldigte, S. 146. 482 Rogall, Der Beschuldigte, S. 145. 483 Rogall, Der Beschuldigte, S. 146. 484 Rogall, Der Beschuldigte, S. 146 (unter Berufung auf Undeutsch, Handbuch der Psychologie, Bd. 11, S. 82). 485 Rogall, Der Beschuldigte, S. 148.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

gebers aufgrund der Verankerung in Art. 2 Abs. I, I Abs. I und 19 Abs. 2 GG entzogen. 486 Diese Sichtweise ist überzeugend, denn die Verwurzelung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht vermag nicht nur die Nähe des Schweigerechts zu dem Schutz der Ehre und der Privat- bzw. Geheimsphäre sowie die inneren Vorgänge beim zur Selbstbelastung Verpflichteten, vor denen es zu schützen gilt, zu verdeutlichen. Sie vermeidet auch die genannten Schwächen der ausschließlichen Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus der Menschenwürde. Im Ergebnis ist der Hinweis auf die Verwurzelung des Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip sicher berechtigt, allein weil persönlichkeitsmißachtende Vernehmungsmethoden nicht mit der "Würde der staatlichen Strafrechtspflege" zu vereinbaren sind.487 Der Vorzug einer Herleitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüber einer hauptsächlich an den historischen Grundlagen und der Tradition orientierten Lozierung im Rechtsstaatsprinzip liegt in der Verdeutlichung des materiellen Gehalts dieses Rechts, das nicht nur aus formalen, traditionsorientierten Gründen bestehen bleiben muß. Was die Übertragbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes auf juristische Personen angeht, so ist schließlich zu betonen, daß ein Hinweis auf die rechtsstaatliche Tradition ohnehin nur untergeordnete Bedeutung haben könnte488 , denn eine derartige Tradition besteht nicht für juristische Personen, die herkömmlicherweise nicht Beschuldigte im Strafverfahren sind. Eine Rechtstradition eines Aussageverweigerungsrechts kann es daher für sie nicht geben. Ein Hinweis auf rechtsstaatliche Traditionen kann in einem Bereich, in dem mit der Einführung einer Verbandsstrafe mit so mancher Rechtstradition gebrochen wird, nicht viel ausrichten. Festzuhalten bleibt daher, daß der Nemo-tenetur-Grundsatz als Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu verstehen ist.

c) Anwendbarkeit aufjuristische Personen

Legt man die dargestellte, derart an der Persönlichkeit des Menschen orientierte Herleitung und damit auch Auslegung des Nemo-tenetur-Prinzips zugrunde, so scheint -jedenfalls auf den ersten Blick - kaum Raum für eine Anwendbarkeit auf juristische Personen zu sein. Ob dies im Ergebnis tatsächlich so ist, bedarf aber weiterer Betrachtung.

Rogall, Der Beschuldigte, S. 148. Vgl. Gerhard Bauer, Die Aussage, S. 64. 488 Anders offensichtlich Weiß, Verteidigungsrechte, S. 375 f., der die rechtsstaatliche Herkunft gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in den Vordergrund stellt, soweit es das Aussageverweigerungsrecht von juristischen Personen im EG-Kartellverfahren angeht. 486 487

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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aa) Art. 19 Abs. 3 GG Begreift man den Nemo-tenetur-Grundsatz als Teil des von Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfaßten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, d. h. als grundrechtlieh verbürgt, so bemißt sich die Anwendbarkeit auf juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG. Diese Norm gibt nicht mehr vor, als daß die Grundrechte für inländische juristische Personen gelten, soweit sie auf diese anwendbar sind. Daher ist es notwendig, auf weitere, konkretisierende Maßstäbe und Kriterien einzugehen, welche die Subsumtion unter Art. 19 Abs. 3 GG erleichtern. (1) Grundidee von Art. 19Abs. 3 GG

Der Sinn und die innere Berechtigung einer Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen sind umstritten. Laut Bundesverfassungsgericht und einem Teil der Literatur ist allgemeiner Zweck der Grundrechte der Schutz der Individualfreiheit Daher rechtfertige sich die Einbeziehung der juristischen Personen in den Schutzbereich der Grundrechte nur, "wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, besonders wenn der ,Durchgriff' auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen dies als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt"489. Bei inländischen juristischen Personen des Privatrechts sei von einer Grundrechtsträgerschaft aber grundsätzlich auszugehen, so daß es bei der Priifung im Einzelfall nur darauf ankomme, ob das mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachte einzelne Grundrecht seinem Wesen nach auf die jeweilige juristische Person anwendbar ist. 490 Die Frage nach dem "Durchgriff' ist daher im hier interessierenden Zusammenhang nicht zu stellen, solange es sich bei den von einer Verbandsstrafe betroffenen juristischen Personen weitgehend um solche des Privatrechts und zudem um körperschaftlich organisierte handeln wird. Bei diesen ist der "Durchgriff' auf das personale Substrat in der Regel gegeben, so daß bei ihnen von einer möglichen Grundrechtsfähigkeit ausgegangen werden kann.491 Nach anderer Ansicht sollen juristische Personen durch Art. 19 Abs. 3 GG "um ihrer selbst willen" geschützt werden. Erforderlich sei eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" gegenüber einem Hoheitsträger.492 Dieses Kriterium betrifft aber weniger die Frage, welche konkreten Grundrechte auf juristische Personen anwendbar sind, als vielmehr das Problem, welche Arten von juristischen Personen insbesondere im Hinblick auf solche des öffentlichen Rechts - überhaupt Grundrechtsträger sein können. 493 BVerfGE 21, 362, 369; ebenso BVerfGE 61, 82, 101; 68, 193, 205 f. B VerfGE 21, 362, 368 f. 491 Vgl. BVerfGE 68, 193,206. 492 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 21 m. w. N.; Bethge, Grundrechtsberechtigung, S. 66 f.; von Mutius, Jura 1983, 35. 493 Deutlich von Mutius, Jura 1983, 35 f. ; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 22. 489

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3. Teil: Prozessuale Probleme

(2) Kriterienfürdie Anwendbarkeit von Grundrechten Für die Beantwortung der Frage, ob der Schutz vor Selbstbezichtigungszwang als Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen anwendbar ist, trifft es danach nicht den Kern, auf eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" hinzuweisen494, solange damit lediglich der oben dargestellte Sachverhalt umschrieben wird. Aus diesem Grunde läßt sich auch nicht mit der bloß formalen Verfahrensstellung die Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Grundsatzes bejahen. Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Kriterien die Anwendbarkeit einzelner Grundrechte und damit auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder seiner Teilaspekte festzustellen ist. Dafür ist stets das einzelne Grundrecht zu betrachten. Wesensmäßig unanwendbar sind unstreitig solche Grundrechte, die an natürliche Qualitäten des Menschen495 , d. h. die an die "physisch-psychische Existenz"496 der natürlichen Person anknüpfen, was sich im übrigen auch ohne eine ausdrückliche normative Anordnung, wie sie in Art. 19 Abs. 3 GG zu finden ist, ergibt497 . Daß juristische Personen keine Menschenwürde haben498, bedarf keiner weiteren Erörterung. Ob juristische Personen auch keinen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts genießen, wird hingegen nicht übereinstimmend beantwortet. 499 Ein bloßer - wenn auch in der Sache vielleicht richtiger500 - Hinweis darauf, daß die Grundrechtsberechtigung der juristischen Person im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht "überwiegend verneint" wird, reicht schon aus diesem Grunde für die Ablehnung der Geltung des Nemo-tenetur-Prinzips auch dann, wenn man es als Einzelverbürgung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht begreift, nicht aus.501 494 So aber Weiß, JZ 1998, 293; ähnlich auch Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 108 ff., die aber beide im weiteren Verlauf ihrer Untersuchungen in etwa so vorgehen wie hier und den Grund für das Schweigerecht, die Besonderheiten von juristischen Personen und den Einfluß der straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit mit berücksichtigen. 495 Vgl. z. B. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 150. 496 Dreier, in: Dreier, GG Art. 19 Abs. 3 Rn. 23. 497 Krebs, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 34. 498 Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 6; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. I Rn. 11; /sensee, in: lsensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht V,§ 118 Rn. 4. 499 Vgl. z. B. (wenn auch mit Schwerpunkt auf das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht) Kraft, in: Festschrift für Hubmann, S. 201 ff.; Degenhart, JuS 1992, 368 bei Fn. 167; gegen eine Anwendbarkeit beispielsweise Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 39, wonach sich der soziale Geltungsanspruch der juristischen Person auf Art. 2 GG gründe. 500 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 37m. w. N.; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 39m. w. N.; offengelassen bei BVerfGE 95, 220, 242; von einer "ganz überwiegende(n) Ansicht", die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber juristischen Personen in einem Umfang anwende, wie es nicht wesenshaftmit natürlichen Personen verbunden sei, kann entgegen Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 107, daher nicht gesprochen werden, insbesondere nicht unter Hinweis aufBVerfGE 95,220, 242.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung derbeschuldigtenjuristischen Person

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Selbst für Teilaspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie den Ruf, den Datenschutz und die Ehre ist nicht geklärt, ob diese Elemente bei juristischen Personen als derartige Teilaspekte oder nicht doch als Bestandteile anderer Grundrechte wie Art. 12, Art. 14 oder Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werden sollen. 502 Das Bundesverfassungsgericht wirft zur Anwendbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen die Frage auf- und läßt sie letztlich unbeantwortet-, ob dem der enge Bezug zur Menschenwürde entgegenstünde. 503 Diese Frage läßt sich auch konkret auf die Einzelausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Nemo-tenetur-Prinzips übertragen. Der "Menschenwürdegehalt" dieses Grundsatzes ist, wie gezeigt, sehr hoch. (a) Menschenwürdegehalt als Hindernis für die Übertragbarkeit auf juristische Personen? Ob diese Bedenken jedoch Bestand haben können, ist zwar noch nicht mit dem Argument von Weiß zu verneinen, wonach der Menschenwürdegehalt des Persönlichkeitsrechts keine größere Bedeutung habe als der allen Grundrechten zukommende Menschenwürdegehalt und dies nicht gegen eine Anwendbarkeit auf juristische Personen spreche, da Art. 19 Abs. 3 sonst leerliefe. 504 Es stimmt sicherlich, daß irgendein Menschenwürdebezug von Grundrechten noch nicht den Weg zur Anwendbarkeit auf juristische Personen versperrt, denn alle Grundrechte des Grundgesetzes sind zuallererst und vor allem als dem Menschen zustehende Menschenrechte geschaffen worden und haben daher einen personalistischen Ursprung, was aber nichts daran ändert, daß zumindest ein Teil von ihnen auf juristische Personen anwendbar sein muß, da Art. 19 Abs. 3 GG sonst keinen Anwendungsbereich hätte. 505 Ob dies aber auch bei solchen Grundrechten gilt, die noch mehr als andere mit dem Schutz der Menschenwürde in Verbindung gebracht werden, ist damit noch nicht beantwortet. Richtet man jedoch die Aufmerksamkeit darauf, welche Grundrechte mit hohem Menschenwürdegehalt sonst auf juristische Personen angewendet werden, so ist eine Ablehnung nur unter Hinweis auf den Bezug zur Menschenwürde beim Nemo-tenetur-Grundsatz kaum zu rechtfertigen. Das zeigt ein Vergleich mit Art. 103 Abs. 1 und Art. 13 GG, die nach Rechtsprechung des Bundesverfassungs501 In diese Richtung aber Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 303, obwohl er anschließend auch die Auswirkungen der "Gefahr einer Strafverfolgung" prüft, die für ihn im Ergebnis aber nichts ändert. 502 V gl. hier nur einerseits /sensee, in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht V, § 118 Rn. 60 (für Schutz der informationellen Selbstbestimmung); andererseits Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht VI,§ 129 Rn. 88; im übrigen auch unten 3. Teil 3. AbschnittE. II. I. b), 2., 3. zum Datenschutz. 503 BVerfGE NJW 1994, 1784 f. 504 Weiß, JZ 1998, 294. 505 Vgl. auch Beyer, Beschwerdebefugnis, S. 64.

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gerichts uneingeschränkt für juristische Personen gelten, obwohl diesen Grundrechten vom Gericht selbst ein hoher Menschenwürdegehalt zugeschrieben wird: So soll die von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung als dem Ursprung nach "echtes Individualrecht" dem einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse seiner freien Entfaltung einen "elementaren Lebensraum" gewährleisten.506 Trotzdem bejaht das Gericht ungeachtet des "historischen Ursprungs" von Art. 13 Abs. 1 GG dessen Anwendbarkeit auf juristische Personen. 507 Im Ergebnis ähnlich geht es bei Art. 103 Abs. 1 GG vor, auch wenn hier bei der Entscheidung für eine Anwendbarkeit auf juristische Personen ein ausdrücklicher Bezug auf die an anderer Stelle erfolgte "Herleitung" aus der Achtung der Menschenwürde ausbleibt. In verschiedenen Verfahren, in denen es um das Recht auf Gehör natürlicher Personen ging, hat das Bundesverfassungsgericht den hohen Menschenwürdegehalt von Art. 103 Abs. 1 betont. Die Anhörung der an einem Verfahren Beteiligten sei Voraussetzung einer richtigen Entscheidung, darüber hinaus fordere aber auch "die Würde einer Person, daß über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt"508 werde; "der einzelne soll nicht Objekt der richterlichen Entscheidung sein", sondern solle die Möglichkeit haben, vor einer seine Rechte betreffenden Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluß auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können.509 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs diene - neben der Abklärung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen - der "Achtung der Würde des Menschen, der in einer so schwerwiegenden Lage, wie ein Prozeß sie für gewöhnlich darstellt, die Möglichkeit haben muß, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten". Das rechtliche Gehör sei nicht nur "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern ein für ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutives und grundsätzlich unabdingbares objektiv-rechtliches Verfahrensprinzip. Es schütze den Menschen vor einem "kurzen Prozeß". 510 In späteren Entscheidungen wurde freilich noch deutlicher das Rechtsstaatsprinzip zur Begründung herangezogen. 511 Ohne Einfluß bleibt die starke Betonung des Menschenwürdegehalts des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei der Frage nach der Anwendbarkeit auf juristische Personen. Hierbei geht das Bundesverfassungsgericht nicht darauf ein, daß ein Prozeß für eine juristische Person etwa keine schwerwiegende Lage sein könne, weil sie ja nicht fühlen und empfinden kann, oder daß mangels Menschenwürde einem "kurzen Prozeß" über eine Personenvereinigung nichts entgegenstünBVerfGE 42,212, 219. BVerfGE42, 212,219. 508 BVerfGE 9, 89, 95. 509 BVerfGE 9, 89, 95; ebenso BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144, wo jedoch das Recht auf Gehör als "Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken" bezeichnet wird. 510 BVerfGE 55, 1, 5 f. 511 BVerfGE 74, 228, 233; 84, 188, 190; 86, 133, 144. 506

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de. Stattdessen beschränkt es sich darauf, aus der Parteifähigkeit nach den einschlägigen Prozeßordnungen auf die Anspruchsberechtigung infolge "sinngemäßer Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG" zu schließen.512 An anderer Stelle entnimmt es die Anwendbarkeit dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG, wonach der Anspruch auf rechtliches Gehör jedem zustehe, der von einem gerichtlichen Verfahren unmittelbar betroffen sei. Andernfalls würde es, so das Gericht, einen "Einbruch in ... den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit" bedeuten, wenn lediglich allen anderen Beteiligten das Recht auf Gehör zugestanden würde. 513 Ein Vergleich des Nemo-tenetur-Grundsatzes insbesondere mit Art. 103 Abs. 1 GG liegt nahe514 : Sowohl Art. 103 Abs. 1 GG als auch das Nemo-tenetur-Prinzip ermöglichen dem an einem Strafverfahren als Beschuldigtem Beteiligten die Mitgestaltung des Verfahrens, sei es durch positive, aktive Mitwirkung (Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG) oder durch die Möglichkeit der Abwehr von Zwang sowie der Entscheidung, keine Nachweise für die Aufklärung des Tatvorwurfs zu liefern. Diese Verfahrensrechte werden aus diesem Grunde auch oftmals als sich ergänzende und gegenseitig flankierende Rechte angesehen. 515 Hinzu kommt bei beiden Rechten die dargestellte starke Betonung der Menschenwürde. An der Vergleichbarkeit der Rechte ändert sich auch nicht deswegen etwas, weil dem Recht auf Gehör allgemein neben dem Menschenwürdegehalt seine wesentliche Rolle für ein rechtsstaatliches Verfahren zugeschrieben wird, da durch die Anhörung der Beteiligten die Wahrheitstindung erreicht werden soll. Zwar ist dem Nemo-tenetur-Prinzip eine derartige prozeßfördernde Funktion kaum zu unterstellen, wird doch die Wahrheitstindung durch ein Schweigen des Beschuldigten eher erschwert. 516 Untersucht man die Funktion des Rechts auf Gehör jedoch näher, stellt sich folgendes heraus: Im Grunde ist die Wahrheitsfindung nur ein Reflex des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Wahrheit ließe sich auch ohne ein derartiges Recht finden, zum Beispiel durch eine entsprechende Wahrheits- und Aussagepjlicht. Zudem kann es nicht maßgebend auf die Wahrheitsfindung ankommen, da dann, wenn die Urteilsgrundlage sich auf anderem Wege gewinnen ließe, das Recht auf Gehör überflüssig würde. 517 Als Begründung für ein entsprechendes Recht des Verfahrensbeteiligten vermag dieser Aspekt daher nichts Ausschlaggebendes zu leisten; zumindest reicht der Gehalt des rechtlichen Gehörs weiter. 518 512 BVerfGE 3, 359, 363 (sinngemäß wohl deswegen, weil das BVerfG die Rechte aus Art. 101 ff. GG teilweise nicht als Grundrechte im formellen Sinn betrachtet, vgl. zu der insoweit uneinheitlichen Rechtsprechung Kunig, in: von Münch/ Kunig, GG, Art. 101 Rn. 4, Art. 103 Rn. 2). 513 BVerfGE 12, 6, 8 (zur Anwendbarkeit auf ausländische juristische Personen). 514 Dies soll jedoch kein Versuch sein, den Nemo-tenetur-Grundsatz wie die Autoren in Fn. 424 aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör herleiten zu wollen. 515 Vgl. Eser; ZStW Beiheft 1974, 147. 516 Anders Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 360; ders. , Rechte des Beschuldigten, s. 78 ff. 517 Rüping, Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 119.

13 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Auch wird das Recht auf Gehör selbst dann - aufgrund der bloßen fonnalen Stellung im Prozeß519 - gewährt, wenn das, was der Beteiligte vorbringt, nicht der Wahrheits- und Entscheidungsfindung dient, wenn z. B. kaum vertretbare Rechtsansichten geäußert werden. Diese Überlegungen zeigen, daß es nicht ausreicht, lediglich auf den hohen Menschenwürdegehalt des Nemo-tenetur-Grundsatzes zu verweisen, um dessen Übertragbarkeit auf juristische Personen zu verneinen. Aus diesem Grunde müssen weitere Kriterien zur Abgrenzung von auf Personenvereinigungen anwendbaren und unanwendbaren Grundrechten gefunden werden. (b) "Testfragen" für die Übertragbarkeit In der verfassungsrechtlichen Literatur wird zumeist auf abstrakte Kriterien für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen verzichtet. Stattdessen erfolgt vielerorts nur eine Katalogisierung von anwendbaren und unanwendbaren Grundrechten. 520 Doch mancherorts finden sich als Anhaltspunkte für die Prüfung, welche Grundrechte auf juristische Personen anwendbar sind, verschiedene "Testfragen". Nach Dürig521 lautet diese Testfrage: "Kann das betreffende Grundrecht nur individuell ("innennenschlich", "einzelmenschlich") oder auch korporativ betätigt werden?"522 Nur im letzten Fall sei eine Anwendung von Grundrechten auf andere als natürliche Personen zu bejahen. Dem schließt sich das Bundesverfassungsgericht in E 42, 212, 219 mit der Bemerkung an, daß für die Beantwortung der Frage, ob ein Grundrecht "seinem Wesen nach" auf juristische Personen anwendbar ist, es weniger auf den historischen Ursprung des Grundrechts als vielmehr darauf ankomme, "ob es nur individuell oder auch kooperativ betätigt werden kann." Auf Maser523 geht die Fonnel zurück, wonach zwischen Grundrechten, die "innere (oder unmittelbare)" Güter schützen, d. h. "die untrennbar mit dem Begriff des menschlichen Wesens verbunden sind", und anderen, die an "äußere (oder mittelbare)" persönliche Güter anknüpfen, zu unterscheiden sei. Nur letztere seien einer Anwendung auf juristische Personen zugänglich. Diese nach außen gerichteten persönlichen Güter sind nach Beyer524 solche, welche die Stellung des Rechts518 Rüping, Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 134, der den Grundsatz insbesondere in der Menschenwürde ansiedelt. 519 Vgl. BVerfGE 12, 6, 8. 520 Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 III Rn. 22 ff.; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 116 Rn. 37; ders. , AöR 89 (1964), 280 ff.; Huber, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 330 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 151. 521 In: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 19 Abs. III Rn. 32. 522 Zustimmend von Mutius in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 156; vgl. auch Bethge, Grundrechtsberechtigung, S. 37. 523 Maser, Geltung der Grundrechte, S. 29; zustimmend z. B. Beyer, Beschwerdebefugnis, S. 58; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 47.

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subjektes und seine Freiheitssphäre in der Gemeinschaft verkörpern sowie diese Freiheitssphäre gegenüber der anderer Rechtssubjekte abgrenzen. Subsumiert man den Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" unter die "Testfrage" Dürigs, so läßt sich dem Wortlaut nach ein Abwehrrecht mit dem Inhalt "Niemand ist gehalten, sich selbst anzuklagen" oder auch, "gegen sich selbst auszusagen", durchaus entsprechend auf juristische Personen anwenden. Es ist denkbar, daß "korporativ" geschwiegen und sich passiv verhalten wird, d. h. daß nach außen eine gemeinsame Linie der juristischen Person vertreten wird, wonach aufgrund gemeinsamen Beschlusses keine Aussagen der satzungsmäßigen Vertreter erfolgen und auch kein Beweismaterial an die Strafverfolgungsbehörden hinausgegeben wird. Blickt man nur auf die äußerliche Betätigung der Aussagefreiheit, so läßt sich danach die Übertragbarkeit bejahen. Bei einem ausschließlichen Blick auf die "äußerliche Betätigung" wird aber nicht erfaßt, warum ein derartiges passives Verhalten gerade geschützt werden soll, warum es eines möglichst umfassenden Schutzes bedarf. Dieser besondere Schutz ist in der Rücksicht auf die Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner im Falle einer Auskunftspflicht bestehenden Lage zu sehen. Die Vemeinung der Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Satzes unter Zugrundelegung der genannten Definitionsformeln liegt dann nahe. Denn korporativ "betätigt" werden kann weder eine Konfliktsituation noch eine seelische Zwangslage; auch fehlt es dem Verband an einem "Selbsterhaltungstrieb" in einem natürlichen Sinne. Genauso schwierig ist die Entscheidung, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz innere oder äußere Güter schützt, doch mehr spricht dafür, daß ein inneres Gut geschützt wird, nämlich das Gewissen vor einem Konflikt. Dies entspräche im Ergebnis der Auffassung, wonach der Nemo-tenetur-Grundsatz nicht für juristische Personen gilt, weil diese nicht zu einem Gewissenskonflikt fähig seien. Das kann jedoch nicht die endgültige Lösung sein, denn bislang ist noch nicht berucksichtigt worden, daß die Einführung einer Verbandsstrafe eine besondere Sichtweise auf den Verband begrunden würde und dieser sich mit der möglichen Bedrohung durch Strafe in einer veränderten Position befände. bb) Konsequenzen aus der Verbandsstrafenbegrundung Es bleibt also zu überlegen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Begrundung einer Strafbarkeit von juristischen Personen und dem Nemo-tenetur-Grundsatz als Anwendungsfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gibt. Einen solchen Zusammenhang prufen ebenfalls sowohl Schlüter525 als auch Mäder526. Mäder lehnt die uneingeschränkte Anwendbarkeit des Nemo-tenetur524 525 13*

Beyer, Beschwerdebefugnis, S. 58.

Strafbarkeit von Unternehmen, S. 112 ff.

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Grundsatzes auf juristische Personen wegen der von ihm befürworteten Herleitung aus der Menschenwürdegarantie und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht 527 ab. Auch die "Gefahr der Strafverfolgung" für juristische Personen bei Einführung einer Verbandsstrafe auf der von ihm favorisierten Grundlage einer "originären Verbandsverantwortlichkeit" im Sinne Heines 528 ist für ihn kein Anlaß, an seinem ablehnenden Ergebnis etwas zu ändern. So befürwortet er, daß eine "strikte individuelle Vorwurfserhebung, klassische Haftungsformen und hieran anknüpfende vertretbare Strafen aufgegeben" würden "zugunsten kollektiver und gelockerter Strukturen, präventiver Zweckausrichtung, kombiniert mit vertretbaren Maßnahmen als Folgen" 529 . An einer "Gefahr der Strafverfolgung" im engeren Sinne würde es dann fehlen, da wegen der wesentlichen Loslösung von den Merkmalen des kriminalstrafrechtlichen (Individual-)Vorwurfs eine "qualitativ andere Vorwurfskategorie" entstünde und die Rechtsfolgen, die sich gegen den Verband richten würden, schwächere Schutzerfordernisse nahelegen würden. 530 Schlüter leitet den Nemo-tenetur-Grundsatz sowohl aus der Menschenwürdegarantie als auch aus dem vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfaßten Schutz der Privat- und Geheimsphäre her. 531 Bei der Frage, inwieweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist, schließt er zunächst die auf den Menschenwürdegehalt zuriickzuführenden Schutzwirkungen aus. 532 Weiterhin geht er von einer relativen Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen aus, die aufgrund der Funktionszuweisung durch die hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen Personen und die Rechtsordnung beschränkt sei, weswegen der grundrechtliche Schutz der Persönlichkeit von Unternehmen von der Zuweisung von "Persönlichkeitsfunktionen" abhänge. 533 Durch einen Unternehmensstraftatbestand würde für den Bereich des Strafrechts eine Unternehmenspersönlichkeit anerkannt werden, weil nach dem Rechtsstaatsprinzip die Kriminalstrafe wegen der in ihr enthaltenen Repression und Vergeltung an die persönliche Vorwerfbarkeit anknüpfe, so daß bei Geltung des Schuldprinzips das Urteil des Staates über Verhaltenspflichten der juristischen Person ein Urteil über ihre Persönlichkeit darstellen würde. Denn ein schuldhafter Vorwurf könne nur gegenüber solchen Rechtssubjekten gemacht werden, deren Persönlichkeit die Rechtsordnung für den Bereich anerkenne, dem der Vorwurf sachlich zuzuordnen Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 304 ff. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten S. 303. 528 S. Mäder; Betriebliche Offenbarungspflichten S. 298 f.; zu beachten ist, daß Heine dabei stets von "strafrechtlicher Verantwortlichkeit" ausgeht, vgl. nur den Titel von Heines Monographie: "Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen", auch dort S. 252 f.: Betonung des "strafrechtlichen" Charakters bei Zielsetzung einer Verbandssanktion. 529 Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 304. 530 Mäder; Betriebliche Offenbarungspflichten, S. 304 f. 531 Strafbarkeit von Unternehmen, S. 105 f. 532 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 108. 533 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 110. 526

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sei. 534 Aus der Anerkennung einer Persönlichkeitsfunktion juristischer Personen durch das materielle Strafrecht könne auf den Schutz der Persönlichkeit im Strafverfahren geschlossen werden.535 Im Ergebnis ist Schlüter zuzustimmen. Die Einführung einer Verbandsstrafe hätte Auswirkungen auf die Rechtsstellung juristischer Personen und hieße insbesondere, deren Persönlichkeit -jedenfalls für diesen Bereich - anzuerkennen. Argumente hierfür finden sich aber auch unabhängig von der Notwendigkeit einer Unternehmensschuld: Dazu ist hier noch einmal zu betonen, daß der Nemo-tenetur-Satz Geltung bei Selbstbelastungen in Bezug auf straftechtliehe Verfolgung beansprucht. Es soll einer Belastungssituation Rechnung getragen werden, die gerade im Hinblick auf die mit der Strafe verbundenen Einbuße an Rechtsgütern besteht. Es geht nicht um irgendwelche Nachteile im Strafverfahren, sondern um einen Schuldspruch und um Strafe; nur im Hinblick auf diesen bestimmten Nachteil wird es für unbedingt erforderlich gehalten, den Beschuldigten nicht zu einer aktiven Mitwirkung am Verfahren zu zwingen. Im Strafverfahren mit dem an seinem Ende drohenden empfindlichen Eingriff in die Rechtsgüter des Beschuldigten "geht es um mehr" als etwa im Verwaltungsverfahren, in dem ein Schutz vor nachteilhaften Auskünften des Bürgers nicht für erforderlich gehalten wird. 536 Selbstbezichtigungen stellen gerade wegen ihrer strafrechtlichen Auswirkungen einen schwerwiegenden Eingriff dar. 537 Mit Blick auf die Begründung der Notwendigkeit einer Verbandsstrafe und ihrer dogmatischen Konsolidierung sei hier ferner nochmals erwähnt, was eine Verbandsstrafe eigentlich bedeuten würde, was mit ihr erreicht werden soll und - vor allen Dingen - welches Bild von juristischen Personen eine solche Verbandsstrafe voraussetzt. So geht es den Befürwortern einer Verbandsstrafe darum, kriminelle Sachverhalte als solche zu behandeln.538 Der Geldbuße fehle der einer Strafe zukommende diffamierende und diskriminierende Charakter, und mangels Eintragung in ein Zentralregister sei die "Stigmatisierung" geringer. 539 Das Strafverfahren wird gegenüber einem Verfahren zur Verhängung der Verbandsgeldbuße wegen seiner größeren Wirkung aufgrundnegativer "Publicity" bevorzugt. 540 Es werden teilweise Sanktionen wie die Verurteilung und Bekanntgabe dieses Urteils vorgeschlagen, da der "Tadel" oder "Vorwurf' Unternehmen, welche negative Pressemitteilungen "fürchteten", besonders treffen würde. 541 Das entspricht der FunkSchlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 112 f. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 114. 536 Vgl. hierzu Puppe, GA 1978, 298 f., oben Fn. 478. 537 BVerfGE 56, 37, 43. 538 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 194, vgl. hierzu und zu den folgenden Nachweisen auch oben 2. Teil 2. Abschnitt C. III. 539 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 172. 540 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 172 f. 534

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tion, die dem Schuldspruch auch de lege lata zugeschrieben wird, nämlich seine Repressivwirkung, die in der Mißbilligung durch die Rechtsgemeinschaft, einer negativen sozialethischen Kennzeichnung des Täters bestehe. 542 Auch denen, die nicht ausdrücklich von dieser Auswirkung eines Strafverfahrens auf die Reputation des Unternehmens sprechen, aber explizit für die Sanktionierung von juristischen Personen den Rahmen eines Strafverfahrens wünschen, geht es um genau diese Wirkung, und wenn es zur "Normbestärkung" ist. 543 Es wird betont, daß es sich bei der Verbandssanktion um einen strafrechtlichen Eingriff handeln soll544, zumindest um Strafe im weiteren Sinne, worunter ein Eingriff mit erheblich oberhalb des Bagatelleingriffs liegender Härte bei repressiver Anordnung verstanden wird545 . Die Strafe soll zudem gerade nicht wie die Geldbuße bloßer "Kostenfaktor" sein und nach Eingehen in die Jahresbilanz verdrängt werden, sondern längerfristige Wirkung haben. 546 Teilweise wird auch die Schuldfähigkeit gerade damit begründet, daß das "Unwerturteil" die juristische Person treffen547 , oder damit, daß ihr "sittliches Versagen" vorgeworfen werden könne, da Kollektive einen sittlichen Geltungswert und -anspruch hätten548 . Selbst die "Willensfreiheit" von Personenverbänden wird bejaht.549 Bei der Frage nach der Straffähigkeit im engeren Sinne ist von der gegen juristische Personen gerichteten Strafe als "empfindliches Übel"550, das die Körperschaften - zumindest durch ihre Mitglieder - auch "empfinden" könnten551 , oder von einem "sozialen Tadel" 552 die Rede. 541 Vgl. nur Alwan, ZStW 105 (1993), 770 f. und die Nachweise oben bei 2. Teil 4. Abschnitt C. III. 542 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, Ein!. Rn. 7. 543 Vgl. Schünemann, in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 140 f.; Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 43. 544 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 252, 256 f.; vgl. kritisch dazu von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 204, 208. 545 Schünemann, in: Madrid-Symposium, S. 281; Schünemann weist aber selbst an anderer Stelle (in: Corporate Responsibility, S. 233) darauf hin, daß der von ihm vorgeschlagene "Dritte Weg" zwischen Straf- und Maßregelrecht nah genug am Strafrecht sei, daß alle Verfahrensgarantien gelten müßten, wobei er insbesondere die Beweislast der Strafverfolgungsbehörden betont. Daraus läßt sich schließen, daß er nicht gegen eine Anwendung des Nemotenetur-Grundsatzes auf juristische Personen wäre. 546 Vgl. oben 2. Teil 2. Abschnitt C. III. unter Hinweis auf Schall, in: Deutsche Wiedervereinigung Band Ill, S. 126; Schünerrumn, in: Deutsche Wiedervereinigung Band Ill, S. 132 und 138; ders., in: Madrid-Symposium, S. 289; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen, S. 86. 547 Vgl. oben 2. Teil 3. Abschnitt B. III. 1. a) unter Hinweis auf Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 230 ff. 548 Vgl. oben 2. Teil 3. Abschnitt B. III. 1. b) unter Hinweis auf Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 190 f. 549 Hirsch, Frage der Straffahigkeit, S. 67. 550 Vgl. oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 1. unter Hinweis auf Pohl-Sichtennann, Geldbuße gegen Verbände, S. 9; Alben Henkel, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 104; Schwander, in: Festgabe für Gutzwiller, S. 615. 551 Vgl. die Nachweise oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. !.

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Diese Zusammenschau soll zeigen, daß zumindest diejenigen Befürworter einer Verbandsstrafe, die sich dazu äußern, warum gerade das Instrument der Strafe zur Bekämpfung der angeblichen Bedrohung durch Verbandskriminalität angewendet werden soll, und diejenigen, die außerdem die Empfänglichkeit der juristischen Person für eine solche Strafe erörtern, einerseits von einem stark vermenschlichten Bild des Verbandes ausgehen und andererseits die Strafe gerade wegen ihrer über eine Geld- oder Vermögenseinbuße hinausgehenden Wirkung einsetzen möchten. Wenn dies die gedankliche Prämisse einer Verbandsstrafe ist, sie sich nur damit begreifen läßt, daß bei der juristischen Person eine "Persönlichkeit" mit quasi-sittlichem Geltungsanspruch vorausgesetzt wird, so ist es nur konsequent, diese "Persönlichkeit" auch bei der Frage nach dem Grundrechtsschutz zu berücksichtigen. Wenn der Grund für Kriminalstrafe als Sanktion gerade in ihrer besonders belastenden Wirkung - sei es zur Abschreckung, sei es zur Motivation für die Zukunft, sei es zur Bestärkung des Rechtsgefühls - gesehen wird, so ist die Brücke zu einer Betrachtungsweise geschlagen, wonach auch eine juristische Person einen Prozeß als "StreB", als besondere Belastung "empfinden" und ihr deswegen nicht zugemutet werden kann, diesen einschneidenden Nachteil auch noch "selbst", d. h. durch ihre für sie handelnden Vertreter, herbeizuführen. Die Anwendung des Nemo-tenetur-Satzes auf juristische Personen, die eine "strafempfängliche" "Persönlichkeit" haben, ist damit nur die Konsequenz aus den Argumenten für eine Verbandsstrafenbegründung. Eines Rückgriffs auf einen Gewissenskonflikt bei den für die juristische Person handelnden Vertretern553 bedarf es demnach nicht. Dieser wäre im Hinblick auf die Anerkennung einer eigenen Strafrechtspersönlichkeit der juristischen Person und auf die Abgrenzung zu der Rechtsstellung des Vertreters, der persönlich nicht beschuldigt wird, ohnehin äußerst problematisch. Im Ergebnis ist daher eine grundsätzliche Anwendbarkeit des Prinzips auf juristische Personen im Strafverfahren zu bejahen. Als solches ist das "Aussageverweigerungsrecht" von beschuldigten Verbänden als deren fundamentales Recht anzusehen. Untermauert sei dies noch mit folgenden Überlegungen: Auch wenn eine juristische Person bei "natürlicher" Sichtweise die Gefahr der Selbstbelastung schlicht nicht so "empfinden" kann wie ein Mensch, so bliebe doch bei der Einführung eines materiellen Strafrechts für Verbände ohne flankierende Verfahrensrechte der Eindruck der gesetzgebensehen Beliebigkeit. Auf der einen Seite würde man juristische Personen den Menschen, die bislang als einzige handlungs-, schuld- und straffähig sind, gleichstellen. Auf der anderen Seite soll aber, da juristische Personen keine zu schützende Menschenwürde haben, ihnen das Recht abgesprochen werden, bei drohender Belastung Informationen zurückzuhalten. Gerade bei Mäder drängt sich auf, daß bei der Einführung einer Verbandsstrafe mit zweierlei Maß ge552 553

Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 52 (oben 2. Teil 3. Abschnitt B. I. 1.). So Weiß, JZ 1998, 296; kritisch dazu zu Recht Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen,

s. 118.

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messen werden soll, wenn einerseits die Strafbarkeit befürwortet, im Hinblick auf die verfahrensrechtlichen Konsequenzen jedoch als weniger einschneidend dargestellt wird. Eine weitgehend gleiche Behandlung von juristischen Personen und Menschen im Strafverfahren läßt sich vorsichtig auch als eine Folge aus dem allgemeinen Gleichheitssatz herleiten: Wenn der Gesetzgeber sich entschließt, natürliche und juristische Personen in bestimmter Hinsicht gleichzustellen, "so folgt aus dem Gleichheitssatz das Gebot der Konsequenz, daß er an seiner Prämisse festhält, sie nicht willkürlich unterläuft, vielmehr Ausnahmen nur einführt, soweit er sie aus sachlichen Gründen zu rechtfertigen vermag ... Der Gesetzgeber (darf nicht) willkürlich wechseln ... zwischen der formalen Anknüpfung an die Rechtsform und materialer Wertung, zwischen Trennungsprinzip und Durchgriff. " 554 Das muß auch gelten, wenn er sich entschließt, eine juristische Person strafrechtlich haftbar zu machen und damit eine bestimmte materiale Wertung trifft, indem er spezifisch menschliche Verhaltensweisen dem Verband zußchreibt. Grundsätzlich muß als Folge dann auch für juristische Personen der Nemo-tenetur-Grundsatz gelten. 555 Eine Grenze findet sich jedoch darin, daß der Nemo-tenetur-Grundsatz bei juristischen Personen keinen vollständig der Abwägung entzogenen, von Art. I Abs. I GG geschützten Kernbereich hat. Inwieweit Einschränkungen dann möglich sind, ist später zu untersuchen. Im Grundsatz werden mit Blick auf die Vergleichbarkeit der Konfliktlagen jedoch Einschränkungen nur sehr begrenzt möglich sein. Kein durchgreifender Einwand gegen die Anwendbarkeit des Nemo-tenetur-Satzes ist im übrigen, daß das Risiko für juristische Personen deswegen geringer sei, weil ihnen - anders als natürlichen Personen - keine Freiheitsstrafe droht. 556 Abgesehen davon, daß für Unternehmen nach den oben dargestellten Vorschlägen 557 neben einer Geldstrafe möglicherweise auch andere, der Freiheitsstrafe entsprechende Sanktionen drohen können, sind sie überhaupt dem Risiko der Bestrafung und der negativen "Publicity" ausgesetzt. Daß dies ein Risiko ist, ist gerade Zweck einer Verbandsstrafe; insbesondere auch dann, wenn ihr Sinn - unter anderem - in der Abschreckungswirkung gesehen wird. Und daß das Verbot des Zwangs zur unfreiwilligen Selbstbezichtigung bei natürlichen Personen maßgeblich aufgrund der drohenden Gefahr einer Freiheitsstrafe besteht, ist im Hinblick auf die gewandelten Verhältnisse in der deutschen Verurteilungspraxis, in der ca. 85 % der verhängten Sanktionen Geldstrafen sind, schwerlich vertretbar. Ebensowenig läßt sich die Überlegung des australischen High Court übertragen, daß das "self-incrimination privilege" vor Folter u. ä. schützen soll und daher juristische Personen, weil sie nicht in eine derartige Gefährdungslage kommen können, nicht geschützt würden. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch für Staatsrecht V,§ 118 Rn. 16. Ähnlich auch Dannecker, ZStW 111 ( 1999), 286: Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung als Korrelat zur Schuld notwendig. 556 Vgl. \l)!lie, Canada Criminal Law Quarterly 1991, 359. 557 S. oben 2. Teil 4. Abschnitt C. III. 554 555

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Dies greift, übertragen auf das deutsche Recht, zu kurz, da der Nemo-teneturGrundsatz einen weiteren Schutzbereich hat und nicht nur physischen Schaden verhindem soll. Weiterhin können pragmatische Überlegungen wie im OS-amerikanischen und australischen Recht558 insofern keine Bedeutung haben, als es um die Feststellung einer grundrechtlich geschützten Position geht. Die hier begrundete Sichtweise stellt hingegen keinen Widerspruch zu dem oben zitierten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts559 dar. Denn das Gericht geht dort zum einen vom geltenden Recht aus, in dem juristische Personen nur eingeschränkt im Hinblick auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, nämlich lediglich im Rahmen von § 30 OWiG560 verantwortlich sind. Zum anderen legt es eine Auffassung von der Natur der Geldbuße zugrunde, wonach diese "weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Mißbilligung" 561 enthalte, wobei dies die allgemein vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen der Geldbuße und der Strafe ist562 . Ob das Bundesverfassungsgericht im Falle der Einführung einer Verbandsstrafe, die nach einer anderen von ihm getroffenen Entscheidung563 zumindest Schuld - und demnach offensichtlich auch eine ethische Mißbilligung - voraussetzen würde, nicht ganz anders entscheiden würde, ist offen. Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, daß man dann, wenn man zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Strafe anders als das Bundesverfassungsgericht nur einen quantitativen Unterschied erkennt, auch schon im geltenden Recht die Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatz für juristische Personen mit Blick auf § 30 OWiG aus den hier für ein zukünftiges Strafverfahren genannten Griinden bejahen muß. Hingegen geht das hier festgestellte Ergebnis eindeutig über das hinaus, was der EuGH den Unternehmen im Rahmen von EG-Kartellverfahren an Rechten zugesteht. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Recht, auf ein Geständnis erzwingende Fragen keine Antwort zu geben, in erster Linie Folge der Beweislastverteilung im Kartellverfahren; es hat aber keinen eigenständigen Stellenwert als Ausdruck eines Aussageverweigerungsrecht des Unternehmens. Eines Rückgriffs auf die "Beweislastverteilung" bedarf es nach dem hier beschrittenen Lösungsweg

Oben 3. Teil 3. Abschnitt B. I. I. a) aa) (1), (2) (b). BVerfGE 95, 220, vgl. dazu oben 3. Teil 3. Abschnitt I. 1. b) cc). 560 Deswegen trifft es nicht den Kern der Sache, wenn Schlüter (Strafbarkeit von Unternehmen, S. 114) ausführt, die genannte Entscheidung stehe nur im Zusammenhang mit verwaltungsrechtlichen Sanktionen, weil es um Maßnahmen der Rechtsaufsicht der Landesmedienanstalt ging. Über die Verhängung von solchen Maßnahmen hinaus berücksichtigte das Gericht auch die Gefahr, im Hinblick auf § 30 OWiG verantwortlich zu sein, vgl. BVerfGE 95, 220, 242. 561 BVerfGE 95, 220, 242. 562 Vgl. BVerfGE 9, 167, 171 (der Geldbuße fehle der Ernst des staatlichen Strafens); 22, 49, 80; 27, 36, 42; 45, 272, 288 f. 563 BVerfGE 20, 323. 558

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dagegen nicht, weil das Nemo-tenetur-Prinzip für juristische Personen bereits aus anderen, nämlich den oben dargestellten Griinden gilt. 564 cc) Fazit Die Einführung einer Verbandsstrafe hätte zwangsläufig die grundsätzliche Geltung des als Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstandenen Nemotenetur-Grundsatzes zur Folge, denn ohne die Anerkennung einer "Persönlichkeit" und ohne Annahme einer gewissen "Schmerzempfindlichkeit" der juristischen Person ist die Einführung einer Strafe offensichtlich nicht zu begriinden. Eine derart charakterisierte juristische Person kann in einen "Konflikt" und in eine "Streßsituation" bei Zwang zur Selbstbezichtigung geraten, vor dem der Nemo-teneturSatz schützen soll.

d) Kriterien für die Einschränkbarkeif der Einlassungsfreiheit

Grundsätzlich ist der Nemo-tenetur-Grundsatz also auf juristische Personen im Strafverfahren anwendbar. Da juristischen Personen mangels Menschenwürde kein absolut geschützter Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zusteht und damit auch der Nemo-tenetur-Grundsatz für sie nicht absolut gilt, könnten ihr in gewissem Maße Auskunfts- oder Herausgabepflichten auferlegt werden. In welchem Maße und welcher Form diese Beschränkungen erfolgen können, soll im folgenden näher untersucht werden. aa) Ausgangspunkt: Grundsätzlicher Schutz vor Selbstbelastung Zunächst sei hier noch einmal betont, daß auch der juristischen Person im Grundsatz die Freiheit vom Selbstbelastungszwang zusteht. Das bedeutet, daß Einschränkungen die Ausnahme bleiben müssen und daß im Zweifel eine Selbstbezichtigungsfreiheit zugebilligt werden muß. Nicht das Bestehen eines "Schweigerechts" bzw. eines Herausgabeverweigerungsrechts, sondern die ausnahmsweise Auskunfts- bzw. Herausgabepflicht bedarf daher der besonderen Begriindung. bb) Gesetzesvorbehalt Grundrechtsdogmatisch ist die Selbstbelastungsfreiheit von juristischen Personen als Ausdruck von Art. 2 Abs. 1 GG einzuordnen.565 Dieses Grundrecht steht 564 Zum Zusammenhang zwischen dem Nemo-tenetur-Grundsatz und der "Beweislastverteilung" im Strafverfahren vgl. unten 3. Teil4. Abschnitt B. I. 2. b) cc) und II. 2. d).

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unter dem Schrankenvorbehalt der "verfassungsmäßigen Ordnung" und den praktisch unbedeutenderen 566 Vorbehalten der "Rechte anderer" und des "Sittengesetzes". Stets ist daher für Eingriffe eine normative Ermächtigung, das heißt eine Einschränkung in Form oder aufgrund einer Rechtsvorschrift notwendig.567 Alle den einzelnen belastenden Maßnahmen müssen sich auf ein formelles Gesetz zurückführen lassen. 568 Die Notwendigkeit gesetzlicher Ermächtigung zu Eingriffen wird durch die sogenannte Wesentlichkeitstheorie erweitert569 , wonach der Gesetzgeber verpflichtet ist, "im grundlegenden normativen Bereich, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen"570. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber die wesentlichen Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe und ihre Reichweite selbst festlegen muß. 571 Die Auferlegung von Auskunfts- und Beweismittelherausgabepflichten als Einschränkung der grundrechtlich geschützten Freiheit vom Selbstbelastungszwang im Strafverfahren muß sich als Eingriff daher auf ein formelles Gesetz zurückführen lassen. Dabei ist eine Beschränkung des auch im Strafverfahren gegen juristische Personen als bedeutend einzuschätzenden Schutzes vor Selbstbezichtigungszwang als wesentlich einzustufen, so wie es allgemein für Beschränkungen von grundrechtliehen Gewährleistungen im Straf- und Strafverfahrensrecht gilt. Mit Rücksicht auf den hohen Stellenwert der Freiheit vom Selbstbelastungszwang wird der Gesetzgeber dabei auch die Voraussetzungen einer Einschränkung im einzelnen selbst festlegen müssen.

565 Ebenso zum Schutz (u. U. von Teilbereichen) des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der juristischen Person Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I, Rn. 56 a. E.; Degen/um, JuS 1992, 368; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 77; vgl. auch Stern, Staatsrecht Band III /I, S. 1128; weiter das OVG Lüneburg, NJW 1992, 192, 193, welches das Recht auf informationeile Selbstbestimmung der klagenden Vereinigung als durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ansieht. 566 Vgl. nur Jarass/ Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 18 f. 567 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 20. 568 Sommennann, in: Mangoldt/ Klein I Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 267. 569 Vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 265. 570 BVerfGE 49, 89, 126m. w. N.; 61, 260, 275; 77, 170, 230 f.; vgl. insb. auch OVG Lüneburg, NJW 1992, 192, 194, zu der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage bei der Beschränkung des Rechts einer Personenvereinigung auf informationeile Selbstbestimmung durch Veröffentlichung personenbezogener Daten im Verfassungsschutzbericht 571 Sommermann, in: Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 268.

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cc) Verhältnismäßigkeit Wie jede Einschränkung eines Grundrechts572 muß auch ein die Einlassungsund Beweismittelherausgabefreiheit der juristischen Person beschränkendes Gesetz verhältnismäßig sein. 573 Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß die hier in Frage stehende Grundrechtsbeschränkung, nämlich die Auferlegung einer Auskunfts- bzw. Herausgabepflicht, geeignet sein, den Schutz eines anderen Rechtsguts zu bewirken. Sie muß dazu erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn ein milderes Mittel zum Erreichen dieses Ziels ausreicht. Schließlich muß sie im engeren Sinne verhältnismäßig sein, das heißt in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts stehen. 574 Dabei hat der Gesetzgeber einen breiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, ein gesetzgeberisches Ermessen. 575 Die nachfolgende Darstellung soll die m. E. zu berücksichtigenden Kriterien skizzieren, welche die Verhältnismäßigkeit eines den grundsätzlichen Schutz vor Selbstbelastungszwang einschränkenden Gesetzes ausmachen würden. ( 1) Verfolgter Zweck und Eignung

Die Auferlegung einer Auskunfts- oder Herausgabepflicht kann den Interessen der Wahrheitsfindung im Strafverfahren dienen. Unter dem Oberbegriff der Punktionstüchtigkeit bzw. Wirksamkeit der (Straf-)Rechtspflege576 wird dem öffentlichen Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren und an der Aufklärung schwerer Straftaten Verfassungsrang zugeschrieben, indem es - im Rahmen der "Idee der Gerechtigkeit" - dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnet wird. 577 Damit steht das Interesse an der möglichst umfassenden Wahr-

Jarass/ Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 21. Daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch bei der Einschränkung von Grundrechten juristischer Personen gilt (dazu jüngst BVerfGE, Entscheidung vom 19. 07. 2000, 1 BvR 539/96), folgt daraus, daß seine Rechtsgrundlage nach überwiegender Ansicht das Rechtsstaatsprinzip ist, vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 146; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 167; im Ergebnis gilt wegen der entsprechenden Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG dasselbe, wenn zur Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Grundrechte bzw. deren Wesen herangezogen werden (wie z. B. bei BVerfGE 19, 342, 349; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 27; SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 34: auch aus dem Wesen der Grundrechte). 574 Vgl. nur BVerfGE 30, 292, 316 f.; 67, 157, 173. 575 Schulze-Fielietz, in: Dreier GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 178. 576 Vgl. hierzu BVerfGE 39, 156, 163; 41,246, 250; 80,367,375. 577 Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen Beschuldigten- oder Zeugenrechten und dem Interesse an umfassender Wahrheitserforschung: BVerfGE 33, 367, 383; auch BVerfGE 34, 238,248 f.; 36, 193, 203; 38, 105, 115 f.; 38,312, 321; 44,353, 374; 80,367, 375; ausführlich auch SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 27 ff. 572 573

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heitserforschung, die sowohl der Überführung von Straftätern als auch der Entlastung Unschuldiger dient578 , unter dem Schutz der Verfassung. 579 Der Grundrechtseingriff in Form der Pflicht zur Selbstbelastung ist zum Erreichen dieses Zweckes geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. 580 Die Eignung einer z. B. mit Zwangsgeldem zu erzwingenden581 Auskunfts- bzw. Beweismittelherausgabepflicht für die Förderung des öffentlichen Interesses an einer umfassenden Wahrheitsfindung ist ohne weiteres gegeben, wenn die Angaben, die dabei gemacht werden, wahr und die Beweismittel, die auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden, echt sind. Ob die Eignung auch dann noch gegeben ist, wenn wahrheitswidrige Angaben gemacht werden, ist zu bezweifeln. 582 Aus diesem Grunde kann von einer Eignung von Aussage- bzw. Herausgabepflichten nur dann ausgegangen werden, wenn die Verletzung dieser Pflichten mit nachträglich zu verhängenden, den §§ 153 ff. StGB nachzubildenden Sanktionen bewehrt ist. Eine als "Iex imperfecta", als verbindliche Obliegenheit ausgestaltete Auskunftspflicht ist zur Förderung der Wahrheitserforschung nicht geeignet583 , da falsche Aussagen oder fingiertes Beweismaterial eher zur Verwirrung beitragen können als das bloße Schweigen oder überhaupt passives Verhalten. Einzig dann, wenn derartige unwahre Einlassungen anhand einer ansonsten weitgehend eindeutigen Beweislage überprüft und auf diese Weise Widersprüche festgestellt werden können, mag das anders sein. (2) Erforderlichkeif

Eine grundrechtseinschränkende Maßnahme muß zur Erreichung des verfolgten Zieles auch erforderlich sein. Das Mittel ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel wählen kann. 584 578 Vgl. BVerfGE 34, 238, 248; Günther, GA 1978, 200; auch Krey, JA 1983, 356; insbesondere zur Wahrheitserforschung zum Schutze des Beschuldigten: BVerfGE 57, 250, 275; 63, 45, 61. 579 Vgl. nur SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 28m. w. N. 580 Vgl. BVerfGE 30,292,316 f.; 33, 171, 187; 67, 157, 173. 581 Zu der Problematik, welche Zwangsmittel gegen juristische Personen überhaupt anwendbar sind, s. unten 3. Teil 3. Abschnitt E., insbesondere I. 3., II. 2.; hinsichtlich des Vorschlags von Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 144 f., auch Zwangshaft in Anlehnung an § 112 StPO anzuwenden, nur soviel: Wenn man schon die Haft als Mittel zur Erzwingung der Mitwirkung in Betracht zieht und ähnliche Vorschriften in der StPO sucht, so liegt der von Schlüter, a. a. 0., S. 143, abgelehnte § 70 StPO wegen der vergleichbaren Stellung des aussagepflichtigen Zeugen und des (ausnahmsweise) auskunftspflichtigen Vertreter näher als die von ihm herangezogenen Vorschriften über die Untersuchungshaft. 582 Anders Günther, GA 1978, 203: In der Mehrzahl der Fälle würden sich selbst aus unwahren Einlassungen Schlußfolgerungen ziehen lassen, welche die Urteilsgrundlage stabilisieren könnten. 583 Anders Günther, GA 1978, 203.

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In dem gerade genannten Fall, in dem die Auskunftspflicht nur dazu dienen soll, die ohnehin eindeutige Beweislage zu untermauern, ist an der Erforderlichkeit einer Selbstbelastungspflicht zu zweifeln. Denn in solchen Fällen reichen ja offensichtlich die übrigen erreichbaren Beweismittel aus. Das Fällen eines Urteils aufgrund einer solchen Tatsachengrundlage im Wege der freien Beweiswürdigung muß dann als das mildere Mittel gegenüber dem Zwang zur Selbstüberführung angesehen werden, bei dem sich die beschuldigte juristische Person eigentlich nur noch selbst vorführen muß. Als erforderlich kann die - durch entsprechende Sanktionsandrohungen flankierte - Aussage- bzw. Editionspflicht jedoch dann angesehen werden, wenn der Nachweis der Tataufgrund anderer Beweismittel, die ohne Selbstbelastungszwang zu erlangen sind, nicht gelingt. Aus der Formulierung des vorangehenden Satzes ergibt sich bereits, daß die Erhebung von anderen Beweisen dann gerade nicht geeignet ist, um die Wahrheit umfassend zu erforschen. In solchen Fällen ist es außerdem auch kein ebenso geeignetes Mittel, eine Beweislastbestimmung in der Form einzuführen, daß unter Aufgabe des Grundsatzes "in dubio pro reo" eine Verurteilung selbst trotz bestehender Zweifel an der schuldhaften Tatbegehung möglich wäre. 585 Damit wäre der Wahrheitserforschung nicht gedient, denn auf die weitere Ermittlung des wahren Sachverhaltes würde bei Anwendung einer derartigen Beweislastregel gerade verzichtet. In Ermangelung von milderen, dennoch ebenso wirksamen anderen Mitteln zur Erforschung des tatsächlichen Geschehens kann eine Auskunfts- oder eine Editionspflicht zur Verfolgung dieses Zieles also im Grundsatz erforderlich sein. (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

Auskunfts- und Herausgabepflichten als Eingriffe in das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit der beschuldigten juristischen Person dürfen jedoch nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. e. S. verlangt eine Abwägung zwischen Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in Grundrechte einzugreifen, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen.586 Es muß daher eine Abwägung zwischen dem Interesse an einer umfassenden Wahrheitserforschung einerseits und dem betroffenen Interesse der juristischen Person an der Freiheit vom Selbstbelastungszwang andererseits erfolgen. Geht man wie hier davon aus, daß diese Freiheit Teil des Persönlichkeitsrechts der juristischen Person ist, und weist man ihr einen entsprechend hohen Stellenwert zu, so ist bei dieser Abwägung - zumindest in Ansätzen - das zu berücksichVgl. nur BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 67, 157, 176. Vgl. im einzelnen zur "Beweislast" und dem Grundsatz "in dubio pro reo" unten 3. Teil 4. Abschnitt B. I. 1., 2. b) bb). 586 BVerfGE 92,277, 327; auch BVerfGE 67, 157, 173, 178. 584

585

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

207

tigen, was das Bundesverfassungsgericht bei einer zugunsten der effektiven Rechtspflege erfolgenden Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des beschuldigten Individuums ausgesprochen hat: Ein gerechter Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen beiden betroffenen Interessen sei nämlich nur dadurch zu erreichen, daß den unter dem Blickpunkt der Erfordernisse einer wirksamen Strafverfolgung erforderlich erscheinenden Eingriffen das Schutzgebot des Art. 2 Abs. 1 GG- dort in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG- "ständig als Korrektiv entgegengehalten" werde. 587 Das heißt, daß die Wirksamkeit der Strafrechtspflege und die grundrechtliehen Belange des von der Strafverfolgung Betroffenen in praktische Konkordanz zu bringen sind. 588 Im einzelnen bedeutet das für die hier erfolgende Abwägung, daß das Interesse an Wahrheitserforschung nicht per se als dem Recht der juristischen Person, sich selbst nicht belasten zu müssen, übergeordnet bewertet werden darf. Denn gerade die Strafverfolgung mit dem Zweck, das die Strafbarkeit begründende Geschehen aufzudecken, löst die Freiheit vom Aussage- und Herausgabezwang aus. Würde das öffentliche Interesse an der Wahrheitserforschung stets gegenüber dem Recht der Personenvereinigung überwiegen, so liefe der Nemo-tenetur-Grundsatz leer. Hier findet der Satz, daß es nicht Ziel des Strafverfahrens sei, die Wahrheit um jeden Preis zu erforschen589, eine Bestätigung für das Verfahren gegen juristische Personen. An ein Überwiegen des Interesses an möglichst vollständiger Wahrheitsermittlung ist aber bei besonders schwerwiegenden Straftaten zu denken; im Verbandskontext mögen das Umweltkatastrophen, Produkthaftungsfälle großen Ausmaßes oder Betrügereien in einer die Allgemeinheit besonders berührenden Weise sein. Problematisch ist dabei nur, daß mit dem größeren Interesse an Wahrheitserforschung wegen der besonderen Schwere der Tat auch das Interesse der juristischen Person steigen wird, nicht zu ihrer Überführung beitragen zu müssen. Mit zunehmender Erheblickeit der Tat steigt auch die Straferwartung und damit die "Streßsituation"590, in der sich eine juristische Person, die mit der Einführung einer Verbandsstrafe als "strafempfängliche Persönlichkeit" anzusehen wäre 591 , befindet. Auf der anderen Seite sinkt mit der Empfindlichkeit der juristischen Person im Hinblick auf eine geringe Strafandrohung auch das Interesse der Allgemeinheit an Aufklärung der Straftat. 592 BVerfGE 80, 367, 375. SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 27. 589 Vgl. nur BVerfG NStZ 1984, 82; BGHSt 14, 358, 365; 31, 304, 309; LR-Hanack, § 136aRn.3. 590 Zu diesem Aspekt im Rahmen des Individualstrafverfahrens vgl. Günther, GA 1978, 202, 205; im Ergebnis (S. 205) befürwortet er eine Auskunftspflicht für den Bereich der Bußgeldverfahren mit geringer Bedeutung. 591 Vgl. dazu oben 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) bb) und cc). 592 Deswegen lehnt Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 127 f., die Abwägung mit der Schwere der Straftat ab. 587

588

208

3. Teil: Prozessuale Probleme

Zur Lösung dieses auf den ersten Blick bestehenden Dilemmas593 sind zwei Aspekte zu betonen: Zum einen ist darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgericht bei - außerhalb des "Kernbereichs" des Verbots der Selbstbelastung erfolgenden - Abwägungen von Individualinteressen mit dem Interesse an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege den "wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatliehen Gemeinwesens", schwere Straftaten aufzuklären, besonders betont. 594 Die Wahrheitserforschung hat also einen höheren Stellenwert, wenn schwere Straftaten zu untersuchen und zu verfolgen sind, als wenn es sich um leichtere Taten handelt. Der andere Aspekt betrifft den Unterschied zwischen der Reichweite der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwangs bei natürlichen Personen auf der einen und juristischen Personen auf der anderen Seite. Bei natürlichen Personen kommt es für die Frage, ob der Nemo-tenetur-Grundsatz gilt, nicht auf die Schwere der Straftat an; allgemein wird angenommen, daß die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren einer Abwägung entzogen ist. 595 Denn ,jede Zumutung ... , sich selbst der Strafverfolgung zu überliefern und sich einer unüberwindlichen inneren Zwangslage auszusetzen" würde in den "unantastbaren innersten Lebensbereich", den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts eingreifen. 596 Eine weitere Abstufung der Konfliktsituation und der daraus folgenden Bedeutung der Freiheit vom Selbstbelastungszwang ist für natürliche Personen als Beschuldigte daher überflüssig. Aber wenn man eine derartige Differenzierung zwischen Situationen, in denen der Beschuldigte eines größeren Schutzes bedarf, und solchen, in denen er im Vergleich dazu weniger schützenswert erscheint, durchführen würde, so käme man zu dem Ergebnis, daß gerade bei schweren und schwersten Straftaten ein Zwang zur Selbstbelastung im Hinblick auf die Belastungen durch Schuldspruch und hohe Strafe am einschneidensten wirken würde. In solchen Fällen käme der "Selbsterhaltungstrieb" des Menschen noch mehr zum Tragen als bei verhältnismäßig leichten Taten. Hier wäre daher ein Kern des Kernbereichs des Nemo-tenetur-Grundsatzes anzusiedeln. Selbst wenn man also zwischen dem Interesse des Beschuldigten an Selbstbezichtigungsfreiheit und dem öffentlichen Interesse an effektiver Strafverfolgung und damit an umfassender Wahrheitserforschung abwägen könnte,

593 Dazu für das Individualstrafverfahren auch Seebade, JA 1980, 497: "Da die Zumutbarkeit der Mitwirkung des Verfolgten immer im gleichen Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs steht, ist die auf das Gewicht der Tat abstellende Einschränkung des Grundsatzes ebenso willkürlich wie die das Zurnutbare messende und keine der entgegengesetzten Auffassungen plausibel." 594 Vgl. BVerfGE 29, 183, 194; auch BVerfGE 33, 367, 383; 34, 238, 348 f.; vgl. auchzur Frage eines Verwertungsverbotes beim heimlichen Aushorchen mithilfe von Privatpersonen- BGHSt 42, 139, 145, 155, 157. 595 Vgl. nur Rogall, Der Beschuldigte, S. 147; auf Grundlage einer an Art. I Abs. I GO orientierten Auffassung Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 89 f.; einschränkend für Ordnungswidrigkeiten geringer Bedeutung: Günther; GA 1978, 198 ff., 205; Stürner; NJW 1981, 1759. 596 Rogall, Der Beschuldigte, S. 147.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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käme man bei schweren Straftaten im Ergebnis stets zu einem Überwiegen der Freiheit vom Selbstbelastungszwang. Bei juristischen Personen hingegen geht es zwar mit Schuldspruch und Strafausspruch auch um Wesentliches, und sie sind ebenfalls dann stärker betroffen, wenn schwerere Strafen, möglicherweise gar die Sanktion der Auflösung, verhängt zu werden drohen. Doch es fehlt bei ihnen mangels Menschenwürde ein abwägungsfreier Kern des Schutzes vor Selbstbezichtigungszwang. Daher kann dem Interesse an der Verfolgung von schweren Straftaten - anders als bei natürlichen Personen ein stets höheres Schutzbedürfnis der juristischen Person nicht entgegengehalten werden. Das bedeutet, daß der Auferlegung von Auskunfts- und Beweismittelherausgabepflichten gegenüber der beschuldigten juristischen Person im Strafverfahren in den Fällen, in denen es um die Aufklärung erheblicher Straftaten geht und den Strafverfolgungsbehörden sonstige Mittel zur Erforschung des Sachverhaltes nicht zur Seite stehen597 , das Recht, sich selbst nicht belasten zu müssen, nicht entgegensteht. Läßt sich das dargestellte Dilemma bei der Abwägung von Beschuldigtenrechten und Schwere der Straftat auf diese Weise auflösen, erübrigt sich zur Bestimmung der Grenzen des Nemo-tenetur-Grundsatzes ein Rückgriff auf andere Abwägungskriterien, insbesondere auf die "Nähe des Beweisthemas zum kollektivstrafrechtlichen Vorwurf', wie er bei Schlüter zu finden ist598 . Wegen des begrenzten Persönlichkeitsschutzes der juristischen Person könne das öffentliche Interesse an einer Beweiserleichterung in der Form Berücksichtigung finden, daß Auskunftspflichten im Hinblick auf "Rahmentatsachen"599 möglich seien, nicht aber solche, bei denen die Auskunft des Unternehmens ein Eingestehen des strafrechtlichen Vorwurfs bedeutete. 600 Einzuwenden ist dagegen nicht nur, daß bei jener "Vorrangrelation"601 zwischen Beweisnot und Beweisnähe offen bleibt, warum die Nähe der Beweisfrage zum Prozeßgegenstand derartige Auswirkungen auf die Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes haben soll, denn letztlich beziehen sich alle Fragen, die im Rahmen des Strafverfahrens an den Beschuldigten gerichtet werden, wenigstens mittelbar auf den Vorwurf und lösen damit das Schutzinteresse des Beschuldigten aus. Vielmehr ist auch fraglich, weshalb dies im Individualstrafrecht nicht gelten soll. Schließlich läßt sich auch bei der Abwägung von Beweisnot und Beweisnähe die Frage stellen, ob nicht ein ähnliches Dilemma wie bei der Abwägung zwischen der Schwere der Straftat und dem Schutzinteresse des Beschuldigten, das Schlüter für nicht lösbar hält602, auch hier besteht: Die Beweisnot be-

597 598 599

600 601 602

Dazu oben unter "Erforderlichkeit", 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. d) cc) (2). Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 129 ff. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 130. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 137. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 125. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 126 ff.

14 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

züglich einer bestimmten Tatsache wird desto geringer zu bewerten sein, je weiter die Beweisfrage vom Prozeßgegenstand entfernt ist.

dd) Zwischenergebnis Es ist festzuhalten, daß der beschuldigten juristischen Person eine auf die Aufklärung von schweren Straftaten bezogene und subsidiär hinter andere Beweismittel tretende Auskunfts- und Beweismittelherausgabepflicht auferlegt werden kann, wobei dieser Eingriff- unter abschließender Nennung der zulässigen Zwangsmittel603 - durch Gesetz geregelt werden müßte. Zu überlegen ist noch, ob eine das Recht der juristischen Person auf Selbstbelastungsfreiheit einschränkende Norm sich - unter Verzicht auf einen detaillierten Straftatenkatalog - nur auf "schwere" oder "erhebliche" Straftaten beziehen dürfte, so daß insoweit ein Beurteilungsspielraum dahingehend, ob eine solche Straftat vorliegt, bei den Strafverfolgungsbehörden verbliebe. Dagegen spricht jedoch, daß auch die Entscheidung, bei welchen schweren Straftaten im einzelnen eine Einschränkung der Freiheit vom Selbstbelastungszwang noch verhältnismäßig ist, zu den wesentlichen Fragen gehört, die unter Parlamentsvorbehalt stehen. Wie bereits oben 604 ausgeführt, sind bei solchen bedeutsamen Fragen der Grundrechtsausübung auch Voraussetzungen und Reichweite der Eingriffsermächtigung vom Parlament selbst zu regeln. Daher sollte eine detaillierte Regelung entsprechend der Aufstellung von Straftatkatalogen bei Zwangsmaßnahmen nach der geltenden StPO (vgl. §§ 100 a, 100 c oder auch 112 a) erfolgen. ee) Vereinbarkeit von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten mit anderen Prozeßmaximen Es sei hier noch erläutert, ob einer solchen eingeschränkten Mitwirkungspflicht nicht die Unschuldsvermutung, der Grundsatz "in dubio pro reo" oder der Amtsaufklärungsgrundsatz entgegenstünden. 605 ( 1) Vereinbarkeif mit der Unschuldsvermutung

Wie bereits oben606 zum Verhältnis von Nemo-tenetur-Grundsatz und Unschuldsvermutung dargelegt, ist eine Mitwirkungspflicht des Beschuldigten zuminVgl. oben bei und in Fn. 581. Unter 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. d) bb). 605 Ob Unschuldsvermutung, Amtsaufklärungsgrundsatz und "in dubio pro reo"-Grundsatz in einem Verfahren gegen juristische Personen gelten müssen, soll unter 3. Teil 4. Abschnitt B. II. näher untersucht werden. 606 Vgl. oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. b) aa) (1). 603

604

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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dest dann mit der Unschuldsvermutung vereinbar, wenn die Befragung nicht mit der Aufforderung zur Abgabe eines Geständnisses und damit mit der Implikation eines Schuldvorwurfes verbunden ist. Die durch Beugemittel wie z. B. Zwangsgelder erzwingbare Aussage oder die Aufforderung zur Herausgabe von Beweismitteln verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, solange nicht vorausgesetzt wird, daß der Beschuldigte eine bestimmte, schuldeingestehende Aussage macht oder ein bestimmtes, ihn belastendes Beweisstück herausgibt. Das bedeutet, daß Zwang nur hinsichtlich der erwünschten Tätigkeit (Aussage oder Herausgabe), nicht aber zur Förderung eines bestimmten Ergebnisses eingesetzt werden dürfte. Die - nicht auf den Einzelfall bezogene - Androhung von späteren Sanktionen, wie beispielsweise die Bestrafung im Falle einer Falschaussage, wäre hingegen mit der Unschuldsvermutung vereinbar. (2) Vereinbarkeif mit dem Grundsatz ,.in dubio pro reo"

Ebensowenig berührt eine Mitwirkungspflicht des Beschuldigten den Grundsatz "in dubio pro reo", wonach das Gericht bei mangelnder Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und bei Zweifeln am Vorhandensein bestimmter Tatsachen die dem Angeklagten günstigere Sachverhaltsmöglichkeit zugrunde zu legen hat, d. h. daß es beispielsweise freizusprechen hat, wenn es von einer strafbaren Tatbestandsverwirklichung nicht überzeugt ist. 607 Im Hinblick auf den Nemo-tenetur-Grundsatz hat der "in dubio pro reo"-Grundsatz jedenfalls die Bedeutung, daß er ebenso wie die Unschuldsverrnutung, zu deren Kerngehalt er verbreitet gezählt wird608 , bei Bestehen eines Schweigerechts diesem erst zur vollen Funktionstüchtigkeit verhilft. Nur dann, wenn Unschuldsvermutung und "in dubio pro reo" gelten und deswegen im Falle eines "non liquet", d. h. bei Beweislosigkeit, nicht gegen den Angeklagten entschieden werden darf, kann dieser sich sinnvoll durch Passivität verteidigen und wird nicht mittelbar zu einer Aussage gezwungen. 609 Andersherum bedeutet es jedoch keine Einschränkung des Zweifelssatzes, wenn der Beschuldigte zu einer Aussage gegen sich selbst gezwungen wird. 610 Solange die Mitwirkungspflicht nicht als Geständnispflicht konzipiert ist, sind Fälle denkbar, in denen trotz erzwungener Mitwirkung des Beschuldigten Zweifel an seiner Schuld bestehen, so daß immer noch der Zweifelssatz zum Zuge kommen kann. 611 Vgl. LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 45. Vgl. nur Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 5; Weßlau, StV 1991, 232; näher unten 3. Tei14. Abschnitt B. I. I. b). 609 So auch schon Nothhelfer, Freiheit vom Se1bstbezichtigungszwang, S. 40; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 93 f.; allgemein dazu, daß mittelbarer Zwang für eine Verletzung des Nemo-tenetur-Grundsatzes ausreicht, vgl. SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 39; Kühl, JuS 1986, 118m. w. N. 610 Anders offensichtlich Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 118 f. 611 Vgl. bereits oben 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. b) aa) (l) unter Hinweis auf Puppe, GA 1978, 299 Fn. 42; Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 39 Fn. 238. 607 608

14*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

(3) Vereinbarkeif mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz

Schließlich würde eine Mitwirkungsverpflichtung der beschuldigten juristischen Person auch dem Amtsaufklärungsgrundsatz nicht widersprechen. Dieser auch als Instruktionsmaxime bezeichnete Grundsatz verpflichtet das jeweils mit der Sache befaßte Strafverfolgungsorgan dazu, den Sachverhalt durch grundsätzlich eigene Ermittlungstätigkeit aufzuklären, ohne daß es dabei an den Sachvortrag oder das Prozeßverhalten der anderen Prozeßbeteiligten oder an die von ihnen genannten Beweismittel gebunden wäre. Der Amtsaufklärungsgrundsatz hat seinen Gegensatz in der beispielsweise im Zivilprozeß geltenden Verhandlungsmaxime.612 Ein Zusammenhang zwischen Amtsaufklärungsgrundsatz und der Freiheit, sich selbst nicht belasten zu müssen, sowie dem daraus folgenden Recht, sich in einem Strafverfahren als Beschuldigter völlig passiv zu verhalten, besteht insofern, als bei mangelnder Mitwirkung des Beschuldigten und dem Verbot, aus seiner Passivität nachteilige Schlüsse gegen ihn zu ziehen, die Strafverfolgungsbehörden notwendigerweise selbst ermitteln müssen. Man könnte nun meinen, daß eine Auskunfts- oder Mitwirkungspflicht die Strafverfolgungsbehörden von ihrer Aufgabe entbindet, den Sachverhalt aufzuklären, weil dies dann bereits aufgrund der erzwungenen Aussage des Beschuldigten geschieht. Doch selbst bei einer umfassenden Aussagepflicht des Beschuldigten wäre das Gericht nicht davon befreit, durch Erhebung weiterer Beweise zu priifen, ob der Inhalt jener Aussage tatsächlich der Wahrheit entspricht. Dies zeigt sich schon daran, daß wegen des Amtsaufklärungsgrundsatzes ein Geständnis keine die Beweisaufnahme bindende Wirkung hat, sondern daraufhin zu überpriifen ist, ob es mit der wirklichen Sachlage übereinstimmt.613 Ob dieses Geständnis erzwungen ist oder- wie es bei Geltung der Aussagefreiheit der Fall ist- freiwillig erfolgt, hat auf die Reichweite der Instruktionsmaxime keine Auswirkungen. Die Vereinbarkeit von Mitwirkungspflichten und Instruktionsmaxime zeigt übrigens auch ein Vergleich mit dem Verwaltungsprozeß, in dem ebenfalls der Untersuchungsgrundsatz gilt. Dort läßt sich die Mitwirkungspflicht als ein Aufklärungsund Beweismittel auffassen, dessen sich das Verwaltungsgericht bedient, um seine Untersuchungspflicht zu erfüllen. Die Mitwirkungspflicht dient somit der Sachverhaltsaufklärung durch das Verwaltungsgericht, so daß der Mitwirkungspflichtige als "Erforschungsgehilfe" des Richters angesehen werden kann.614

612 LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 32; näher hierzu unten 3. Teil 4. Abschnitt B. I. 1. b),

2. c).

613 LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 34. 614 Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 278.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigtenjuristischen Person

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3. Zusammenfassung

Bei Einführung einer Verbandsstrafe gilt der Nemo-tenetur-Grundsatz auch für juristische Personen. Diese sind dann durch Art. 2 Abs. 1 GG vor Selbstbelastungszwang geschützt. Dieses Recht ist jedoch - anders als bei natürlichen Personen im Strafverfahren einschränkbar. Eine auf die Aufklärung von schweren Straftaten beschränkte, gegenüber anderen Beweismitteln subsidiäre Auskunfts- und Beweismittelherausgabepflicht kann als verhältnismäßig angesehen werden. Eine derart eingegrenzte Mitwirkungspflicht wäre zudem mit der Unschuldsvermutung, dem "in dubio pro reo"-Grundsatz und der Instruktionsmaxime vereinbar. II. Auswirkungen und Folgeprobleme der Einlassungsfreiheit von juristischen Personen

Nachdem festgestellt wurde, daß die juristische Person als Beschuldigte in einem Strafverfahren grundsätzlich das Recht hat, nicht zu selbstbelastenden Auskünften oder der Herausgabe von Beweismaterial gezwungen zu werden, schließen sich weitere Fragenkomplexe an. Zunächst ist zu verdeutlichen, wer das Recht der juristischen Person ausüben darf. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit diese Freiheit der juristischen Person von Selbstbelastungszwang mit Rechten der ausübungsbefugten natürlichen Person kollidieren oder konkurrieren kann. Weiterhin ist zu klären, in welchen Verfahren und Verfahrenskonstellationen sich die juristische Person als Beschuldigte auf das Schweigerecht berufen, wann der Vertreter als Zeuge vernommen werden und inwieweit er dann ein Auskunftsverweigerungsrecht geltend machen kann. Und schließlich ist herauszuarbeiten, ob diejenigen natürlichen Personen, die nicht das Schweigerecht für die juristische Person ausüben können, ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht haben sollten. 1. Persönliche Reichweite

Soweit die juristische Personen das Recht hat, sich selbst nicht zu belasten, stellt sich die Frage, wer sich bei Auskunfts- oder Herausgabeverlangen der Strafverfolgungsbehörden und des Gerichts auf dieses Recht berufen kann. Nach den oben dargestellten Kriterien für die Rollenverteilung im Prozeß und der Umschreibung des Vertreters der juristischen Person "als Beschuldigter", d. h. als Person, die für den beschuldigten Verband dessen prozessuale Rechte wahrnimmt, liegt es auf der Hand, daß dieser Vertreter auch derjenige ist, der Informationen, die den Verband belasten könnten, gegenüber den Organen der Strafrechtspflege zurückhalten darf. 615 Wenn die juristische Person Beschuldigte ist, handelt 615 Für das Ordnungswidrigkeitenrecht ebenso: BVerfG BB 1975, 1315, zustimmend von Winteifeld, BB 1976, 345; auch Göhler, OWiG, §55 Rn. 8; Wolfram Bauer, WuW 1989, 305;

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3. Teil: Prozessuale Probleme

es sich dabei um die Ausübung eines "Schweigerechts" im Sinne von §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163 a Abs. 3 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO, nicht um die Ausübung eines Auskunftsverweigerungsrechts, wie es in § 55 StPO vorgesehen ist616 , denn- das sei hier noch einmal betont - die juristische Person befindet sich in der Stellung eines Beschuldigten, und ihr Vertretungsorgan wird dann nicht als Zeuge, sondern "als Beschuldigter" vernommen. 617 Durch die nunmehr aufgezeigte grundsätzliche Geltung des Aussageverweigerungsrechts wird im übrigen die oben auf andere Weise vollzogene Begrundung der Rollenverteilung noch weiter untermauert: Das Organ, das die Funktion hat, die juristische Person zu vertreten und damit auch ihre Verfahrensrechte auszuüben, kann nicht in die Zeugenrolle gedrängt werden, sondern muß "als Beschuldigter" vernommen werden. Andernfalls liefe das Schweigerecht der juristischen Person leer, wenn alle zur juristischen Person gehörenden Personen als Zeugen mit umfassender Wahrheitspflicht vernommen werden dürften. 618 So ist an dieser Stelle noch einmal zu betonen, daß die Argumentation des US-Supreme Courts in der Entscheidung Haie v. Henkei 619 aus diesem Grunde nicht übernommen werden kann. Denn wenn man wie das Gericht dort meinte, daß das Recht des Unternehmens nicht durch seine Vertreter ausgeübt werden kann, hieße das, daß man ihm das Recht im ganzen nicht zugesteht. 620 2. Zusammentreffen mit der eigenen Einlassungsfreiheit des Vertreters

Probleme kann es bereiten, wenn der Vertreter bei der Befragung in dieser Funktion auch ein eigenes, höchstpersönliches Recht hat, sich selbst nicht belasten zu müssen. Um die Fragestellung etwas anschaulicher zu machen, soll hier als Beispielsfall ein Grundfall mit zwei Abwandlungen gebildet werden 621 : Ausgangspunkt sei die Strafverfolgung der G-GmbH, die wegen einer (nicht erheblichen) GewässerverunDeringer. WuW 1988, 941; Wieckmann, Das Auskunftsersuchen, S. 79; vgl. auch Gillmeister. Ermittlungsrechte, S. 38; Blum, Die Auskunfts- und sonstigen Ermittlungsrechte, S. 142; OLG Frankfurt a. M., GA 1969, 124. 616 Anders für das gleichgelagerte Problem im Bußgeldverfahren: Fischötter. in: Gemeinschaftskomrnentar GWB, Vorb. §§ 81-85 Rn. 46, 48 f.; widersprüchlich Grützner!Reimann!Wissel, Richtiges Verhalten: einerseits Rn. 162, andererseits Rn. 179. 617 S. auch oben 3. Teil 2. Abschnitt C. li. 4. b) bb). 618 So auch - für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße - Neumann, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 13; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 107; zustimmend KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 198. 619 201 U. S. 43, 69 f.; s.o. 3. Teil 3. Abschnitt. B. I. 1. a) aa) (1) (a). 620 So auch Note (ohne Verfasserangabe), Harvard Law Review 92 (1979), 1280. 621 Eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Strafbarkeitsmodellen ist hier entbehrlich, weil sich insoweit keine Unterschiede bei der Lösung ergeben.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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reinigung beschuldigt wird. Ein Einzeltäter ist nicht bekannt. Nach dem oben Gesagten hat die G-GmbH ein Schweigerecht, das von ihrem Geschäftsführer ausgeübt wird. Was im folgenden interessiert, sind die beiden Abwandlungen zu dem Fall: Wie ist die Situation zu bewerten, wenn der Einzeltäter zwar immer noch nicht ermittelt werden kann, aber entweder der Geschäftsführer beispielsweise eine Urkundenfälschung begangen hat (Abwandlung 1) oder er selbst der (noch unbekannte) Einzeltäter ist, der die Anweisung zur Einleitung der Abwässer gegeben hat (Abwandlung 2), wobei diese Individualtaten bei wahrheitsgemäßer Aussage ans Licht kämen? a) Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzesfürdas Vertretungsorgan

Betrachtet man nur die beiden Einzeltaten des Geschäftsführers, so ist nach den Grundsätzen des Individualstrafverfahrens unumstritten, daß gegen ihn selbst kein Zwang zur Selbstbelastung ausgeübt werden und er Auskünfte, die ihn selbst belasten würden, sowohl als Beschuldigter als auch als Zeuge im Strafverfahren verweigern dürfte. Ob es zu Kollisionen mit dem Schweigerecht des Verbandes kommen kann, hängt zunächst davon ab, ob die eigene Freiheit des Vertreters, sich selbst nicht belasten zu müssen, auch weiterhin besteht. Das ist zu bejahen: Der organschaftliehe Vertreter verliert aufgrund seiner Funktion nicht seine eigenen, ihm als Menschen zustehenden Rechte. Jedenfalls soweit er als "Privatperson" betroffen ist, muß er sich auf seine ihm als Menschen zustehenden Grundrechte berufen können. 622 Das ergibt sich schon daraus, daß die Funktion des Art. 19 Abs. 3 GG darin gesehen wird, den Kreis der Grundrechtsberechtigten zu erweitern623 , und zwar nicht dadurch, daß einzelnen natürlichen Personen ihre eigenen Grundrechte abgesprochen würden. 624 Daher gilt für das Vertretungsorgan selbst wie für jede andere natürliche Person der Nemo-tenetur-Grundsatz umfassend und ohne Einschränkungen. Wenn sich also der Vertreter mit einer Aussage im Verfahren gegen die juristische Person in die Gefahr der eigenen Strafverfolgung bringen könnte, kann er die Auskunft verweigern. Das muß sowohl für den Fall gelten, daß er sich wegen einer mit der Verbandstat in keinem Zusammenhang stehenden anderen Tat belasten würde (vgl. oben Abwandlung 1), als auch dann, wenn die Selbstbezichtigungsgefahr hinsichtlich der Begehung der Anknüpfungstat bestünde (oben Abwandlung 2)625 . Ähnlich wie hier Oechsle, Zur wesensmäßigen Anwendung der Grundrechte, S. 94. Vgl. nur von Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 10; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 238: Art 19 Abs. 3 sei überall dort gefordert, wo mit der organisatorischen Verselbständigung neue, schutzwürdige Interessenlagen geschaffen werden, die durch Grundrechte der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen nicht bereits abgedeckt seien. 624 V gl. /sensee, in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 118 Rn. 29 a. E. 625 Solange der Geschäftsführer in einem solchen Fall noch nicht wegen der Einzeltat verdächtig ist, wird man ihn nicht von der gerichtlichen Vertretung ausschließen können, so daß 622

623

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Seine für die Vertretung im Verfahren vorausgesetzte weitgehende Identifizierung mit dem von ihm vertretenen Verband stellt keinen ausreichenden Grund dafür dar, diesen Grundsatz einzuschränken, denn auch in der Rolle des Vertreters bleibt er stets selbst Mensch und genießt aus diesem Grunde bei persönlicher Betroffenheit ununterbrochen den Schutz der Grundrechte626 und des von Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfaßten Rechts, sich selbst nicht belasten zu müssen.

b) Auswirkungen des Zusammentreffens der Einlassungsfreiheit der juristischen Person und der des Vertretungsorgans

Nachdem nun herausgestellt worden ist, daß in den oben beschriebenen Fallsituationen die Möglichkeit besteht, daß die juristische Person ein eigenes "Schweigerecht" ebenso wie der Vertreter hat, und außerdem davon auszugehen ist, daß der Vertreter das Recht der juristischen Person auszuüben befugt ist, ist weiter zu untersuchen, wie sich das grundsätzliche Nebeneinander der Grundrechtsberechtigungen auswirken kann. Dabei interessiert auch, welcher "Natur" das Recht des Vertreters zur Aussage- oder Auskunftsverweigerung in eigener Sache ist, ob es eher dem Schweigerecht des Beschuldigten entspricht oder ähnelt oder ob es mit dem Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen i. S. d. § 55 StPO identisch oder vergleichbar ist. Für die folgende Untersuchung ist dabei zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden: Je nachdem, ob eine Aussageverweigerung gleichermaßen im Interesse der juristischen Person und des Vertretungsorgans steht oder nicht, ergeben sich für das Nebeneinander der Rechte der juristischen Person und des Vertreters verschiedene Folgen. Zunächst wird die Situation betrachtet, in der die Aussageverweigerung sowohl im Interesse des Verbands als auch in dem seines Vertreters steht. aa) Aussageverweigerung im Interesse der juristischen Person Wenn in dem oben beschriebenen Fallbeispiel (Abwandlung 1) ein passives Verhalten nicht nur für den Geschäftsführer im Hinblick auf die von ihm begangene Straftat, sondern auch als Verteidigungsstrategie für die G-GmbH nützlich wäre, so daß der Vertreter mit einer Verweigerung der Aussage sowohl dem Interesse der juristischen Person als auch dem eigenen Schutz vor - höchstpersönlicher- Selbstder mögliche Interessenkonflikt (vgl. oben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 2.) bei der Vertretung durch den Einzeltäter nicht auf diese Weise verhindert werden kann. 626 Aus diesem Grunde kommt der juristischen Person z. B. auch der Schutz der Menschenwürde des Vertreters im Hinblick auf die von§ 136 a StPO umfaßten verbotenen Handlungen zugute, vgl. Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 123.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung derbeschuldigtenjuristischen Person

217

belastung dienen würde, wäre es praktisch unerheblich, ob sich der Vertreter ausdrücklich auf die Ausübung des Schweigerechts der juristischen Person oder auf seine eigene Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang beriefe. Das Schweigen für die juristische Person würde dann auch dem Vertreter nutzen, ohne daß es notwendig wäre darzulegen, für wen er schweigt. Dabei ergibt sich die Freiheit des Vertreters, sich schlicht auf das Schweigerecht des Verbandes berufen zu können, ohne den Grund für seine Auskunftsverweigerung darlegen zu müssen, bereits aus seiner Verfahrensrolle in Zusammenschau mit dem Aussageverweigerungsrecht der juristischen Person. Der Vertreter ist, wie wiederholt festgestellt 627 , "als Beschuldigter" zu vernehmen. Dabei kann er jedenfalls dann das Recht der juristischen Person ausüben, sich nicht zum Vorwurf zu äußern, wenn dies in deren Interesse steht. Auf sein eigenes Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrecht kommt es in dieser Lage nicht an. Der Vertreter ist dann überhaupt nicht zu einer Aussage verpflichtet, da er weder als Zeuge vernommen werden darf noch die von ihm vertretene juristische Person zu einer Auskunft gezwungen werden kann. Auf die Frage, ob es dem Vertreter nicht deswegen freistehen müsse, sich auf das "weitergehende Schweigerecht des Verbandes zu berufen", weil er sonst durch die Glaubhaftmachung seines Auskunftsverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO den vertretenen Personenverband einer Strafverfolgungsgefahr aussetzen würde 628 , kommt es hier deswegen gar nicht an. Im übrigen paßt weder die direkte noch eine entsprechende Anwendung von § 55 StPO auf den Vertreter einer beschuldigten juristischen Person. Gegen eine direkte Anwendung spricht, daß das eigene Recht des Vertreters zur Aussageverweigerung nicht mit dem Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen in § 55 StPO identisch ist 629 . Die Vorschrift bezieht sich auf Zeugen, die ausnahmsweise zur Auskunftsverweigerung berechtigt sind, weil wegen des Nemo-tenetur-Grundsatzes die grundsätzliche Aussage- und Wahrheitspflicht des Zeugen gegenüber der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang zurücktreten muß. Der Vertreter hat aber eine andere Verfahrensrolle als der Zeuge und ist auch nicht als Zeuge zu vernehmen. 630 Ebensowenig sachgerecht wäre aber auch eine entsprechende Anwendung von § 55 StP0631 bzw. eine dieser Norm nachgeformte spezielle Regelung für den Vertreter, selbst wenn das Aussageverweigerungsrecht des Vertreters auf derselben Rechtsidee beruht, nämlich dem Bedürfnis, die Verfahrensbeteiligten vor selbstbelastenden Auskünften zu schützen632 . Denn § 55 StPO geVgi. nur 3. Teil 2. Abschnitt C. li. 4. b) bb). So aber- für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße- KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 200 (I. Auf!.). 629 So aber offensichtlich - für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße - KKOWiG-Cramer § 30 Rn. 199 f. (I. Auf!.) 630 Das meint auch Cramer, KK-OWiG, § 30 Rn. 198 (1. Auf!.): "Da der Verband nur durch seine Vertreter handein kann, ist es prozessual nicht zulässig, die für den (beschuldigten) Verband handelnden Personen in die Rolle des Zeugen zu drängen."; ähnlich auch KKOWiG-Rogall, § 30 Rn. 188 (2. Auf!.). 631 Davon geht Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 107, aus. 627

628

218

3. Teil: Prozessuale Probleme

währt dem Zeugen deswegen ein nur auf bestimmte Fragen bezogenes Auskunftsverweigerungsrecht, weil der Zeuge ansonsten, d. h. im Grundsatz, aussage- und wahrheitspflichtig ist. Der Vertreter, der "als Beschuldigter" zu vernehmen ist, ist hingegen überhaupt nicht aussagepflichtig, solange ein Aussageverweigerungsrecht der juristischen Person besteht. Die Folge einer entsprechenden Anwendung von § 55 StPO mit der Pflicht, seine Auskunftsverweigerung ausdrücklich erklären633 und notfalls - wie in § 56 StPO vorgesehen - glaubhaft machen zu müssen, erscheint für den Vertreter deshalb nicht angemessen, während sie für den Zeugen durchaus sinnvoll ist. Denn bei letzterem ist die Auskunftsverweigerung als Durchbrechung der Aussagepflicht zu verstehen, für die eine nähere Begründung durch den Zeugen gefordert werden kann. bb) Aussageverweigerung nicht im Interesse der juristischen Person Die nächste zu untersuchende Konstellation ist die, bei der die Interessen von juristischer Person und Vertretungsorgan nicht übereinstimmen, weil das Schweigen zwar dem Vertreter, nicht aber dem Verband zugute käme. Denkbar ist dies in den folgenden beiden weiteren Abwandlungen zum obigen GrundfalL Im ersten Fall hat der Geschäftsführer "als Privatperson", zum Beispiel beim Ölwechsel, flußabwärts vom Gelände der G-GmbH Schadstoffe in den Fluß entsorgt. Würde er dies sagen, könnte er die G-GmbH entlasten (Abwandlung 3). In der Abwandlung 4 weiß der Geschäftsführer, daß die Schadstoffe jedenfalls nicht von der GmbH kommen können. Da er aber zu seinen eigenen Gunsten die entlastenden Unterlagen gefälscht hat, verheimlicht er die Existenz dieses Beweismaterials. Wenn der Vertreter sich wie in diesen Fällen mit einer Aussage für die juristische Person bzw. mit Vorlage des entlastenden Beweismaterials selbst der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, mit einer Aussageverweigerung aber nicht der beschuldigten juristischen Person dient, weil für sie die Einlassung im konkreten Fall die bessere Verteidigungsstrategie darstellt, liegt ein Interessenkonflikt vor. 634 Ein Schweigen würde dann ein Handeln gegen das Interesse der juristischen Person bedeuten. Für den Vertreter muß auch in einem solchen Fall gelten, daß er nicht zu selbstbelastenden Aussagen gezwungen werden kann. Er wird daher die Auskunft verweigern können. Sein Recht zur Auskunftsverweigerung darf auf der anderen Seite 632 Dies ist zumindest ein Zweck, der durch das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO verfolgt wird, vgl. nur Kleinknecht!Meyer-Goßner; StPO, §55 Rn. 1; LR-Dahs, §55 Rn. 1; ob daneben auch die Wahrheitsfindung mit geschützt wird - so z. B. Rengier; Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 56 ff.; Fezer; Strafprozeßrecht Fa1115 Rn. 31; vgl. auch dens. JuS 1978, 327 -,kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. 633 BGHSt 7, 127, 128; 21, 167, 171; BGH StV 1989, 140; BVerfGE 38, 105, 113; LRDahs, §55 Rn. 17. 634 Zu diesem Interessenkonflikt - für den Bereich des Bußgeldverfahrens - s. auch PohlSichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 219 f.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

219

aber ebensowenig zu einer Verkürzung der Rechtsposition des Verbandes führen. Sofern es im Interesse des Verbandes ist, sich mittels einer Einlassung zu verteidigen, muß ihm das weiterhin möglich sein. Ein Ausweg aus dieser Lage könnte wie folgt aussehen: In derartigen Fällen der Interessenkollision erscheint eine Ersetzung des Vertreters- z. B. durch andere Organmitglieder, durch einen zu diesem Zweck vom Verband selbst bestellten oder gerichtlich bestimmten gesetzlichen Vertreter - zur Vornahme von Erklärungen der juristischen Person notwendig, um den Schutz der Beschuldigtenrechte der juristischen Person zu gewährleisten. Daß hieraus wiederum praktische Probleme resultieren können, liegt auf der Hand und ist auf das Erfordernis einer Vertretung der juristischen Person zurückzuführen. Denn die Interessen des Verbandes werden dann gefährdet sein, wenn es dem Vertreter aufgrund seiner eigenen Konfliktsituation vorteilhafter erscheint, sich einfach auf das Schweigerecht des Verbandes zu berufen, als darzulegen, daß er selbst durch eine Aussage gefährdet wäre und daher ersetzt werden möchte. Was die "Natur" des Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht des Vertreters angeht, so ist danach zu differenzieren, ob der Vertreter ersetzt wird oder nicht. Soweit er nicht ersetzt und damit "als Beschuldigter" zu vernehmen ist, entspricht sein eigenes Auskunftsverweigerungsrecht hier wiederum nicht dem des § 55 StPO. Denn auch dann ist der Vertreter nicht aus Gründen der Wahrheitstindung grundsätzlich zur Aussage verpflichtet, weil eine Pflicht des Verbandes, für den er auftritt, hier ebenfalls nicht besteht. Die Einlassung des Verbandes würde vielmehr freiwillig in Ausübung seines Rechts auf Gehör erfolgen. Der Vertreter kann aber dann, wenn er wegen seines Interessenkonflikts nicht mehr "als Beschuldigter" zu vernehmen ist, auch als Zeuge vernommen werden. Im Hinblick auf sein dann auf § 55 StPO (in direkter Anwendung) beruhendes Auskunftsverweigerungsrecht wird eine derartige Zeugenvernehmung aber in der Regel ins Leere gehen. Eingriffe in Rechte der juristischen Person sind bei der Zeugenvernehmung nicht zu befürchten. c) Exkurs: Situation bei ausnahmsweiser Auskunftspflicht der juristischen Person

Im Zusammenhang mit den parallel bestehenden Rechten von juristischer Person und Vertretungsorgan sei hier noch die mögliche Situation untersucht, in der nach den oben herausgearbeiteten Kriterien ausnahmsweise eine Pflicht der juristischen Person besteht, Auskunft zu erteilen, während das Vertretungsorgan das umfassende - Recht hat, sich selbst nicht zu belasten. Ein denkbarer Beispielsfall ist die Verursachung einer Flugzeugkatastrophe durch eine Fluglinien-AG, bei der eine große Zahl von Menschen umkommt. Zurückzuführen sei der Unfall auf den Verzicht auf bestimmte Sicherheitsmaßnahmen aus Gründen der Gewinnmaximierung, den ein Vorstandsvorsitzender durchgesetzt hat. In einem solchen Fall könnten nach den oben erarbeiteten Maßstäben Einschränkungen der Einlassungsfrei-

220

3. Teil: Prozessuale Probleme

heit des Verbands wegen eines Überwiegens von anderen Interessen erlaubt sein und daher eine Auskunftspflicht für bestimmte Bereiche bestehen; das umfassende, abwägungsfeste Recht des Vertreters, sich selbst nicht belasten zu müssen, kann dann "aufleben". Wahrend in einer solchen Situation die juristische Person - vertreten durch ihr Vertretungsorgan - also auf bestimmte Fragen der Strafverfolgungsbehörden antworten muß und somit - ebenfalls vertreten durch ihr Vertretungsorgan - nicht schweigen darf, würde sich der Vertreter bei Beantwortung dieser Fragen selbst belasten. Auch wenn in solchen Fällen das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Verbandes ausnahmsweise überwiegt, kann dies für das Recht des Vertreters selbst nicht gelten. Was ihn angeht, so ist es auch in dieser Lage geboten, seine Konfliktsituation bei einem Zwang zur Selbstbelastung zu respektieren und ihm daher ein Auskunftsverweigerungsrecht zuzugestehen. 635 Dabei ergibt sich für die Natur seines Auskunftsverweigerungsrechts folgendes: Die Situation, in welcher der Vertreter auch in seiner Rolle als Beschuldigtenvertreter ausnahmsweise Auskunft geben müßte, weil er den Verband bei dessen Auskunftspflicht zu vertreten hat, entspricht schon eher derjenigen, auf die § 55 StPO zugeschnitten ist. Zwar handelt es sich auch hier nicht genau um die Konstellation, in der § 55 StPO eingreift. Der Unterschied ist nicht nur in der Folge der besonderen Rollenverteilung im Strafverfahren gegen juristische Personen zu sehen, nämlich daß von § 55 StPO ein Zeuge geschützt wird und es hier um den Vertreter des Beschuldigten geht. Obendrein sind wieder die Ausgangslagen verschieden. § 55 StPO schützt mit dem Zeugen jemanden, der ausnahmsweise zur Auskunftsverweigerung berechtigt ist. Beim Vertreter ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis dagegen ein ganz anderes. Die Auskunftspflicht des vertretenen Verbandes ist die Ausnahme von der in der Regel bestehenden Aussagefreiheit, und bei dieser Ausnahme tritt bei dem Vertreter auf einer persönlichen Ebene die eigene Freiheit vom Selbstbelastungszwang hinzu. 636 Abgesehen von diesen Unterschieden ist jedoch eine ähnliche Interessenlage wie in § 55 StPO gegeben, denn die in beiden Fällen bestehende Aussage- und Wahrheitspflicht muß ausnahmsweise gegenüber der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang zurücktreten, wenn es um den Schutz des einzelnen Verfahrensbeteiligten geht. Für den Vertreter bedeutet das, daß er zwar nicht Auskunft geben muß, es aber in dieser Situation erforderlich und auch angemessen ist, von ihm zu verlangen, die Auskunftsverweigerung ausdrücklich zu erklären. 637 Denn nur mithilfe einer derartigen Erklärung wird für die Strafverfolgungsbehörden ersichtlich, daß das 635 Bejaht man ein solches Recht, kommt es auf die nachrangige Frage der Sicherung des Nemo-tenetur-Prinzips durch ein Verwertungsverbot nicht mehr an; anders die Prüfungsreihenfolge bei Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 140 ff. 636 Hierauf geht Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 142, nicht ein, wenngleich er zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie hier kommt, nämlich zur analogen Anwendung von §55 StPO. 637 S. bereits oben Fn. 633.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

221

Ve1tretungsorgan nicht in seiner Funktion als Vertreter der juristischen Person handelt, sondern sein eigenes Recht ausübt. Andernfalls wäre nicht zu erkennen, daß die Auskunftsverweigerung nicht die Verletzung der dem Verband auferlegten Auskunftspflicht ist, sondern die Geltendmachung einer grundrechtlich geschützten Freiheit der- auch als Vertretungsorgan fungierenden - natürlichen Person. Wenn der gesetzliche Vertreter auf bestimmte Fragen hin die Auskunft aus höchstpersönlichen Griinden verweigert, muß das Interesse an Wahrheitserforschung, das im Ausnahmefall gegenüber der Aussagefreiheit der juristischen Person überwiegt, auf anderem Wege verfolgt werden. Da es keinen guten Grund dafür gibt, der juristischen Person das Schweigerecht des Vertreters zugute kommen zu lassen638 , spricht nichts dagegen, in solchen Fällen für die Beantwortung von Fragen an die juristische Person einen anderen Vertreter einzusetzen. 639 Der die Auskunft verweigernde Vertreter kann dadurch ausreichend geschützt werden, daß die auch im Zusammenhang mit der Auskunftsverweigerung des Zeugen nach § 55 StPO anerkannten Schutzmechanismen eingreifen. Das heißt, daß seine Auskunftsverweigerung allein nicht zum Anlaß eines Ermittlungsverfahren genommen werden und auch nicht in einem Verfahren gegen ihn selbst zu seinem Nachteil verwertet werden darf. 640 Im Ergebnis wird für solche Fälle der Kollision des Schweigerechts des Vertreters mit einer ausnahmsweisen Auskunftspflicht eine dem § 55 StPO nachempfundene Norm in die Strafverfahrensordnung für juristische Personen aufzunehmen sein, so daß sich eine analoge Anwendung des § 55 StPO, wie sie Schlüter vorschlägt641, eriibrigt.

d) Zusammenfassung Aus dem Dargestellten ist ersichtlich geworden, daß die Vertretung der juristischen Person bei der Ausübung ihrer Grundrechte durch einen Vertreter, der selbst auch Grundrechtsträger ist, weitere Probleme mit sich bringen kann. In Fällen der Interessenkollision muß versucht werden, einen Ausgleich der Interessen zu erreichen, möglichst ohne eine der beiden Grundrechtspositionen zu beschneiden. Zudem hat sich gezeigt, daß die Natur und die Voraussetzungen des Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrechts des Vertreters, der "als Beschuldigter" zu verneh638 Anders Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 141 f., 146, der dann eine Einschränkung der Auskunftspflicht der juristischen Person annimmt. 639 Ähnlich wie oben 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 2. b) bb), dort aber zum Schutze der juristischen Person. 640 Zu§ 55 StPO vgl. LR-Dahs, §55 Rn. 21m. w. N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 55 Rn. 2; BGHSt 38, 302, 305. 641 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 141 f.; zu der eher überflüssigen Analogiebildung in einem künftigen Strafverfahrensrecht für Verbände bereits oben 3. Teil 1. Abschnitt

B. I.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

men ist, davon abhängen, ob die von ihm vertretene juristische Person ausnahmsweise der Auskunftspflicht unterliegt oder nicht. Soweit die Freiheit vom Selbstbelastungszwang für die juristische Person reicht, entspricht das Schweigerecht des Vertreters nicht dem Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO. Im Falle der Mitwirkungspflicht der juristischen Person ähnelt sein persönliches Auskunftsverweigerungsrecht hingegen dem des Zeugen.

3. Sachliche Reichweite und Ausstrahlungswirkung der Einlassungsfreiheit der juristischen Person

Eine weitere Fragestellung, die sich im Zusammenhang mit dem Nemo-teneturGrundsatz ergibt, betrifft die sachliche Reichweite und die weiteren Auswirkungen der grundsätzlichen Einlassungsfreiheit der juristischen Person. Untersucht wird im folgenden, in welchen Verfahrenskonstellationen im Strafverfahren und in welchen anderen Verfahrensarten sich der ausübungsbefugte Vertreter für die juristische Person auf das Schweigerecht oder zumindest auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen können muß.

a) Strafverfahren

Im Strafverfahren muß das Recht der juristischen Person, sich selbst nicht belasten zu müssen, jedenfalls dann in Form eines umfassenden Schweigerechts durch den Vertreter ausgeübt werden können, wenn die juristische Person als Beschuldigte anzusehen und damit der Vertreter "als Beschuldigter" zu vernehmen ist. Abzugrenzen davon sind die Verfahrenskonstellation, in denen der Vertreter nicht aufgrund der Beschuldigtenrolle von der Zeugenrolle ausgeschlossen ist. Es bedarf hier also zunächst einer näheren Bestimmung der Verfahrensrolle der juristischen Person in den jeweils denkbaren Verfahrenskonstellationen. Je nachdem, ob es sich um ein Strafverfahren nur gegen die juristische Person, um ein verbundenes Verfahren gegen den Verband und eine andere Person, insbesondere den lndividualtäter, oder um ein anderes, unter Umständen abgetrenntes Verfahren gegen eine andere Person handelt, kann sich die Rolle der juristischen Person und ihres Vertreters unterschiedlich darstellen und damit die Selbstbezichtigungsfreiheit in jeweils anderer Gestalt auswirken.

aa) Juristische Person als Beschuldigte ( 1) Ausgangspunkt: Isoliertes Strafverfahren gegen die juristische Person

Auszugehen ist vom "Grundfall" des isolierten Strafverfahrens nur gegen die juristische Person. Hier ist die juristische Person Beschuldigte, ihr Vertreter ist "als

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

223

Beschuldigter" und nicht als Zeuge zu vernehmen. Deshalb gilt hier die Freiheit vom Selbstbelastungszwang soweit, wie sie nicht unter den oben entwickelten Kriterien, d. h. zugunsten der Effektivität der Strafverfolgung bei erheblichen Straftaten, ausnahmsweise eingeschränkt wird. Der organschaftliehe Vertreter kann dann für die juristische Person umfassend die Aussage verweigern. (2) Verbundene Verfahren und Verfahren gegen andere Personen

In anderen Verfahrenskonstellation ist die Rollenumschreibung und damit die Bestimmung der Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes nicht mehr ganz so einfach. Es stellt sich die Frage, ob die juristische Person auch im verbundenen Verfahren stets und im Verfahren gegen eine andere Person wenigstens unter bestimmten Umständen als Beschuldigte anzusehen ist. Dies hätte zur Folge, daß der organschaftliehe Vertreter nicht als Zeuge vernommen werden kann. Die Rollen sollen hier in Anlehnung an das ähnlich gelagerte Problem im Individualstrafverfahren festgelegt werden. Dazu wird im folgenden der Streitstand zum (Mit-)Beschuldigtenbegriff kurz dargestellt. (a) Individualstrafverfahrensrecht Im Individualstrafverfahrensrecht besteht dariiber Uneinigkeit, wann eine Person als Mitbeschuldigter in einem Verfahren anzusehen ist und daher nicht als Zeuge vernommen werden kann. Im wesentlichen sind dabei zwei Positionen zu unterscheiden. Die Rechtsprechung 642 und ein Teil der Literatur643 vertreten einen "formellen" Beschuldigtenbegriff, wonach (nur) derjenige als Beschuldigter von der Zeugenrolle ausgeschlossen ist, der im jeweiligen Verfahrensabschnitt formal beschuldigt ist. Die Frage, ob jemand als Beschuldigter oder als Zeugen zu vernehmen ist, soll danach lediglich davon abhängen, ob gegen ihn das Verfahren eröffnet ist. 644 Mitbeschuldigter könne hingegen sein, wer gemeinsam mit anderen Beschuldigten in einem verbundenen Verfahren verfolgt werde645 ; dann scheide die Vernehmung eines Mitbeschuldigten als Zeuge ohne Ausnahme aus646. Auf der anderen Seite habe "der Beschuldigte im Rahmen eines gegen andere Personen gerichteten Strafverfahrens lediglich die Rechtsposition eines Zeugen . . . , wenngleich er verdächtig ist, an der den dortigen Verfahrensgegenstand bildenden StrafBGHSt 10, 8, 11 ; 10, 186, 188; 27, 139, 141; 38, 302, 306. LR-Dahs, Vor§ 48 Rn. 31 ff.; KK-StPO-Senge, Vor§ 48 Rn. 7; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, Vor§ 48 Rn. 21; SK-StPO-Rogall, Vor§ 48 Rn. 38; Dahs/Langkeit, NStZ 1993, 213 f. 644 BGHSt 10, 8, 11. 645 Vgl. nur SK-StPO-Rogall, Vor § 48 Rn. 38. 646 LR-Dahs, Vor§ 48 Rn. 31 ; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Vor§ 48 Rn. 21,jeweils m.w.N. 642

643

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3. Teil: Prozessuale Probleme

tat beteiligt gewesen zu sein".647 Begründet wird dies vor allem im Hinblick auf die geltenden einfachgesetzlichen Regelungen in § 60 Nr. 2 und § 97 Abs. 2 S. 3 StP0. 648 Eine Folge des formellen Beschuldigtenbegriffs ist, daß bei Trennung vormals verbundener Verfahren der zuvor Mitbeschuldigte als Zeuge vernommen werden können soll. Jedoch soll eine Verfahrenstrennung zu diesem Zwecke nur möglich sein, wenn die Vernehmung sich nicht auf die gemeinsame Tat bezieht. 649 Demgegenüber wird in der Literatur ein sogenannter materieller650 oder ein formell-materieller651 Beschuldigtenbegriff zugrunde gelegt. Danach ist Mitbeschuldigter jeder Tatbeteiligte bzw. jeder der Tatbeteiligung Verdächtige652, wobei nach dem formell-materiellen Beschuldigtenbegriff gegen den Tatverdächtigen auch schon ermittelt werden muß653 . Es komme jedenfalls nicht auf die formale Prozeßrolle an. Denn die Verbindung und Trennung eines Verfahrens könne nicht die Wirkung haben, den verfahrensrechtlichen Status einer Person und damit auch ihre prozessualen Pflichten zu verändern, da sie nur aus Gründen der Prozeßökonomie erfolge und oft vom Zufall abhänge. 654 Die Rolle als Mitbeschuldigter entspringe einer Sachbeziehung und könne nicht durch das Arrangieren von Verfahrenstrennung und -Verbindung umgewandelt werden. Zudem werde bei einer materiellen Bestimmung der Stellung des Mitbeschuldigten der Gefahr vorgebeugt, daß dieser durch Rollenvertauschung in den von größerer Glaubwürdigkeit umgebenen Rang des Zeugen einrücke. 655 Auf der anderen Seite könne aber der formell Mitbeschuldigte bei Vernehmungen in bezug auf den nur gegen den anderen erhobenen Vorwurf mangels Schutzbedürftigkeit auch als Zeuge vernommen werden. 656 Für die einzelnen Verfahrenskonstellationen haben die verschiedenen Auffassungen folgende Auswirkungen: Während bei einem verbundenen Verfahren, bei dem es um einen Vorwurf hinsichtlich derselben Tat - im prozessualen Sinne657 647 648

213 f.

BGHSt 38, 302, 306. Vgl. nur BGHSt 38,302, 306; LR-Dahs, Vor§ 48 Rn. 33; Dahs/Langkeit, NStZ 1993,

649 Vgl. BGH JR 1969, 148, 149; StV 1984, 186; vgl. auch BGHSt 43, 300, 304 f.; KKStPO-Senge, Vor§ 48 Rn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, Vor§ 48 Rn. 22. 650 Peters, Gutachten zum 46. DJT, S. 136 ff.; ders., Strafprozeß, S. 346; Montenbruck, ZStW 89 (1977), 878 ff.; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1227; Fezer; Strafprozeßrecht, Fall 13 Rn. 30; LR-Wendisch, § 2 Rn. 56. 651 Schlüchter; Das Strafverfahren, Rn. 479; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 5; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 203; Lenckner; in: Festschrift für Peters, S. 336 ff.; Jung, Kronzeugen, S. 73; vgl. auch Dünnebier; JR 1975, 3; von Gerlach, JR 1969, 150. 652 Fezer; Strafprozeßrecht, Fall 13 Rn. 30; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 5. 653 Schlüchter; Das Strafverfahren, Rn. 479; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 5. 654 Lenckner; in: Festschrift für Peters, S. 336. 655 Peters, Strafprozeß, S. 346. 656 Vgl. Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 13 Rn. 32. 657 Vgl. Schlüchter; Das Strafverfahren, Rn. 479; Montenbruck, ZStW 89 (1977), 879; Lenckner, in: Festschrift für Peters, S. 336.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

225

geht, nach allen Auffassungen die der Tatbeteiligung Verdächtigen als Mitbeschuldigte anzusehen sind, führen die unterschiedlichen Mitbeschuldigtenbegriffe dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn die Verfahren gegen die materiell "Mitbeschuldigten" getrennt geführt werden bzw. wenn im verbundenen Verfahren (auch) Vorwürfe gegen einen formell Beschuldigten untersucht werden, mit denen der andere nichts zu tun hat. Hier soll dem materiellen Beschuldigtenbegriff gefolgt werden, für den die besseren Griinde sprechen. Die Möglichkeiten der Rollenmanipulation zum Zwecke der Vernehmung eines Mitbeschuldigten als Zeugen werden wirksam eingeschränkt, wenn man dessen materielle Stellung in den Vordergrund riickt. Es ist sonst denkbar, daß eine Trennung der Verfahren unter vorgeschobenen Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgt658 , während letztlich nur die Rollenvertauschung erstrebt wird. Der Schutz des Zeugen in Gestalt des Auskunftsverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO ist dann eine Verschlechterung gegenüber seiner Rechtsstellung als Beschuldigtem mit seinem umfassenderen Aussageverweigerungsrecht Auf der anderen Seite besteht dann kein Grund, dem - formell - Beschuldigten ein Schweigerecht einzuräumen, wenn er zu einem Tatvorwurf gegen den - formell Mitbeschuldigten gefragt wird, an dem er in keiner Weise beteiligt war, so daß er sich bei einem Zwang zur Beantwortung auch nicht in der Konfliktlage befinden kann, vor der das Schweigerecht schützen soll. (b) Übertragung auf ein Verbandsstrafverfahrensrecht Für das Strafverfahren gegen juristische Personen, die grundsätzlich auch schutzbedürftig sind, was selbstbelastende Aussagen angeht, muß der materielle Mitbeschuldigtenbegriff ebenso gelten. Der mit einem solchen Beschuldigtenbegriff bezweckte umfassende Schutz des Betroffenen vor selbstbelastenden Aussagen muß für juristische Personen im gleichen Maße erstrebt werden. Im weiteren ist hier daher dieser Beschuldigtenbegriff zugrunde gelegt. Für die Rolle der juristischen Person hat das folgende Auswirkungen: Sie ist Mitbeschuldigte im verbundenen Verfahren, sofern der Tatvorwurf, der verhandelt wird, (auch) sie betrifft. Und ebenso ist sie in Verfahren gegen andere Personen, an denen sie formell nicht als Beschuldigte beteiligt ist, z. B. weil das Verfahren getrennt wurde, dann als Beschuldigte anzusehen, wenn es um eine Tat geht, an der sie "beteiligt" war. Der Begriff der "Beteiligung" soll hierzu im einzelnen noch etwas näher erläutert werden. Beim materiellen (und formell-materiellen) Mitbeschuldigtenbegriff entscheidet die gemeinsame Sachbeziehung der Beschuldigten zu der Tat im prozessualen Sinne, es muß sich um den gleichen historischen "Vorgang"659 handeln. Die Beteiligung wird näher umschrieben mit den Beispielen Vgl. LR-Wendisch, § 2 Rn. 56. Peters, Gutachten zum 46. DJT, C 136; von Ger/ach, JR 1969, 150; Dünnebier, JR 1975, 3. 658

659

15 Drope

226

3. Teil: Prozessuale Probleme

"Mittäter, Haupttäter, Gehilfen"660 bzw. "Anstifter, Gehilfe, Begünstiger oder Hehler"661. Es geht also offensichtlich um solche Beteiligungen, die auch in§ 3 StPO für den "Zusammenhang" von Strafsachen i. S. d. §§ 2 ff. StPO vorausgesetzt sind. Das ergibt sich daraus, daß ein Schutzbedürfnis immer dann besteht, wenn der Mitbeschuldigte sich deswegen mit seiner Aussage belasten könnte, weil sich seine Tatbeteiligung nicht vom gesamten Tatgeschehen abtrennen läßt und er mit seiner Aussage zwangsläufig auch über seine Beteiligung aussagen muß. 662 Bei juristischen Personen ist eine derartige "Tatbeteiligung" daher nach dem oben bereits zur Verbindung Festgestellten663 sowohl auf Grundlage des akzessorischen Verbandsstrafenmodells als auch bei der "konkurrierend" eigenständigen Verbandsstrafenbegriindung denkbar. Schon oben wurde die Vergleichbarkeit des Verhältnisses von Verbands- und Individualtat mit dem Verhältnis zwischen Tatbeteiligten im Sinne des § 3 StPO begriindet. Das heißt, daß juristische Personen stets dann als Mitbeschuldigte anzusehen sind, wenn es - bei einer akzessorischen Verbandsstrafe - um die Anknüpfungstat bzw. - bei einem eigenständigen Verbandsstrafenmodell - um die Tat eines Einzeltäters geht, die denselben äußeren Anknüpfungspunkt hat, d. h. auf denselben Schadenserfolg wie die Verbandsstraftat zuriickzuführen ist. Das gilt nach dem hier zugrunde gelegten materiellen Beschuldigtenbegriff sowohl dann, wenn die Verfahren gegen juristische Person und Individualtäter verbunden sind, als auch dann, wenn das Verfahren gegen den Individualtäter abgetrennt ist. In beiden Fällen gebietet es die Schutzbedürftigkeit der juristischen Person, daß sie als Mitbeschuldigte anzusehen und ihr Vertreter daher "als Beschuldigter" und nicht als Zeuge zu vernehmen ist. Damit kann letzterer in derartigen Verfahrenssituationen das - umfassende oder ausnahmsweise eingeschränkte - Schweigerecht der juristischen Person ausüben. Das bedeutet, daß auch in solchen Verfahren kein Funktionswechsel des Vertreters erfolgen sollte, so daß er nicht etwa wegen möglicher eigener Wahrnehmungen als Zeuge vernommen werden darf. Abschließend sei bemerkt, daß diese Rollenverteilung dem Individualtäter nicht schadet, selbst wenn die Verfahren verbunden sind und die juristische Person ausnahmsweise zur Auskunft verpflichtet ist, so daß der Vertreter aussagen muß. Die Rechtsstellung des Individualtäters wird davon ebensowenig beriihrt wie dann, wenn der Vertreter als Zeuge vernommen werden oder sich - für die juristische Person - freiwillig zur Aussage entschließen würde.

660

Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 13 Rn. 29.

661

Von Gerlach, JR 1969, 150. Vgl. Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 13 Rn. 30. Vgl. oben 3. Tei12. Abschnitt B.

662 663

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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bb) Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes, wenn die juristische Person nicht Beschuldigte ist Nachdem nun geklärt ist, wann die juristische Person als (Mit-)Beschuldigte zu behandeln ist und ihr daher das entsprechende Schweigerecht zusteht, bleibt zu untersuchen, wie sich das Nemo-tenetur-Prinzip auswirkt, wenn sie nicht Beschuldigte ist. Im Individualstrafverfahren ist der Zeuge, der sich mit seiner wahrheitsgemäßen Aussage in die Gefahr der Selbstbelastung begeben würde, durch das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO geschützt. Es interessiert hier, inwieweit sich ein entsprechender Schutz für die juristische Person begrunden läßt. Zunächst einmal ist offensichtlich, daß die juristische Person selbst nicht Zeuge sein kann, denn Zeuge ist jemand, der Auskunft gibt über Tatsachen, die er wahrgenommen hat664. Das kann die juristische Person selbst nicht. Die obige Frage nach den Auswirkungen des Nemo-tenetur-Grundsatzes kann sich aber dann stellen, wenn der Vertreter als Zeuge vernommen werden soll. Das kann er nach dem bisher Ausgeführten dann, wenn er nicht "als Beschuldigter" zu hören ist und damit in all jenen Fällen, in denen es sich bei dem jeweiligen Verfahrensgegenstand nicht um eine Tat handelt, an der die juristische Person beteiligt war. Das kann nach dem hier zugrunde gelegten Beschuldigtenbegriff sowohl in verbundenen Verfahren der Fall sein als auch in einem Verfahren gegen eine andere Person, das einen Tatvorwurf betrifft, an dem die juristische Person völlig unbeteiligt ist. Während es unproblematisch ist, daß der Vertreter als Zeuge zum Schutz vor einer Zwangslage zwischen Aussagepflicht und Offenbarung einer eigenen (Individual-)Straftat oder Ordnungswidrigkeit665 selbst ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO haben muß, wenn er sich selbst, d. h. persönlich mit einer wahrheitsgemäßen Aussage in die Gefahr der eigenen Strafverfolgung begeben würde, liegt es nicht ohne weiteres auf der Hand, daß er die Auskunft auch dann verweigern dürfte, wenn er andernfalls den von ihm vertretenen Verband - zum Beispiel wegen einer Tat, die nicht den Verfahrensgegenstand im konkreten Strafverfahren bildet - strafrechtlich belasten würde. Um einer Lösung näher zu kommen, sollen noch einige Voriiberlegungen angestellt werden. Wenn der Verband selbst als Zeuge vernommen werden könnte, müßte ihm ebenso wie einer natürlichen Person in Ergänzung zu seinem ihm als Beschuldigtem grundsätzlich zustehenden Aussageverweigerungsrecht ein Recht zur Auskunftsverweigerung als Zeuge zustehen. 666 Das ergibt sich aus der BegriinVgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, Vor§ 48 Rn. I. Vgl. die Nachweise oben in Fn. 632. 666 Zu dieser (Ergänzungs-)Funktion des geltenden § 55 StPO vgl. nur Kleinknecht/ Meyer-Goßner; StPO, §55 Rn. I; LR-Dahs, §55 Rn. 1; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54; deutlich den Bezug zum Nemo-tenetur-Prinzip betonend: BVerfGE 38, 105, 113; KK-StPO-Senge, §55 Rn. I; SK-StPO-Rogall, Vor§ 48 Rn. 147; Dahs/Langkeit, NStZ 1993, 214. 664 665

15*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

dung für den geltenden § 55 Abs. 1 1. Alternative StPO, wonach diese Vorschrift notwendiges Korrelat des Schutzes vor Selbstbezichtigungszwang667 und Ausfluß des allgemeinen Grundsatzes ist, daß niemand gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszusagen 668 • Es ist ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, dem Zeugen als möglichem Beschuldigten den gleichen Schutz vor Selbstbelastungen einzuräumen wie dem Beschuldigten. 669 Dies läßt sich im Grundsatz ohne weiteres auch auf eine juristische Person übertragen, zumindest für solche Auskünfte, hinsichtlich deren ihr nach den oben hergeleiteten Kriterien das Schweigerecht des Beschuldigten zuzugestehen wäre. Problematisch ist hierbei bloß, daß die juristische Person - wie gezeigt - nicht selbst als Zeuge vernommen werden kann, sondern der Vertreter zu laden und zu hören ist. Grundsätzlich muß aber der Vertreter als Zeuge jedenfalls dann die Auskunft für den Verband entsprechend § 55 StPO verweigern können, wenn er in seiner Funktion als Vertreter vernommen wird. Schwierigkeiten bereitet dann bloß, wie diese Funktion von seinem Dasein als Privatperson abzugrenzen ist, in dem er ebenfalls Wahrnehmungen machen kann. Die Rollenverteilung wird komplizierter sein, wenn der Vertreter in einem Verfahren als Zeuge vernommen werden soll, in dem die juristische Person noch nicht einmal formell Mitbeschuldigte ist, und einfacher in einem formell auch gegen die juristische Person gerichteten verbundenen Strafverfahren. Denn in letzterem könnte durch entsprechendes Handeln der Strafverfolgungsbehörden und des Gerichts - durch Ladungen etc. - dem Vertreter die Funktion gerade als Vertreter zugeteilt werden, die auch bei seiner Vernehmung zu dem Tatvorwurf gegen den anderen formell Beschuldigten weiterbestehen sollte. In einem isolierten Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten könnte die Rollenverteilung nur dann ähnlich fest umrissen werden, wenn seine Funktion als Vertretungsorgan ausdrucklieh von Staatsanwaltschaft oder Gericht benannt würde. Wenn dies geschieht, muß der Vertreter auch als Zeuge die Selbstbelastungsfreiheit der juristischen Person in Form eines dem § 55 Abs. I 1. Alternative StPO nachzuempfindenden Auskunftsverweigerungsrechts ausüben können. Wenn ein derartig klarer formaler Bezug auf das Verhältnis des Zeugen zu der von ihm vertretenen juristischen Person nicht hergestellt wird und auch der unmittelbare materielle Bezugspunkt fehlt, z. B. weil der Zeuge inhaltlich als "Privatperson" aussagt, zum Beispiel über Wahrnehmungen, die er in seiner Freizeit gemacht hat, stellt sich die Frage, ob er selbst dann umfassend aussagen müßte, wenn er im Verlauf der Zeugenvernehmung Auskünfte zu geben hätte, die den Verband im Hinblick auf eine andere Straftat belasten würden. Um den Schutz der juristischen Person zu gewährleisten, der ihr wegen der weitgehenden Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes zusteht, ist dies zu verneinen. Sieht man die Nähe des Zeugen, der 667 668 669

Vgl. Hahn, Materialien I, S. 107 zu§ 45. BVerfGE 38, 105, 113. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54; auch BVerfGE 56, 37, 45.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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sich selbst bei Erfüllung seiner Zeugenpflichten der Gefahr der eigenen Verfolgung aussetzt, zur Lage des Beschuldigten und zudem seine Selbsteinschätzung als "potentieller Beschuldigter" als Rechtfertigungen für das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO an 670 , so kann auch die Nähe des Zeugen zur Lage des Beschuldigtenvertreters es rechtfertigen, daß er zugunsten der juristischen Person ein Auskunftsverweigerungsrecht hat. Ohne daß es hier auf einen höchstpersönlichen Konflikt des Vertreters bei Erfüllung seiner Aussagepflicht als Zeuge ankäme, muß seine mögliche Stellung als Vertreter einer beschuldigten juristischen Person die Vorwirkung haben, daß er schon in dem anderen Verfahren die Auskunft auf bestimmte Fragen verweigern darf, deren Beantwortung den Verband der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Es handelt sich dann um ein eigenes Auskunftsverweigerungsrecht des Vertreters, das seinen Grund in der Schutzwürdigkeit der juristischen Person hat. Dieses Recht entspricht weder der ersten noch der zweiten Alternative des § 55 Abs. 1 StPO, so daß insoweit eine neue Vorschrift in Anlehnung an § 55 StPO geschaffen werden müßte. Einer Analogie zu §55 StPO bedarf es dann nicht. 67 1 cc) Zwischenergebnis Wenn die juristische Person die Stellung der materiell (Mit-)Beschuldigten hat, darf ihr Vertreter nicht als Zeuge vernommen werden. Er kann dann das bestehende Schweigerecht der juristischen Person - im Sinne eines Schweigerechts nach §§ 136, 163 a, 243 Abs. 4 S. 1 StPO- ausüben. Wenn der Vertreter als Zeuge vernommen wird, kann er sich bei Gefahr der Belastung der juristischen Person zu deren Gunsten auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, das dem in § 55 StPO ähnelt. b)Andere Verfahren

Am Rande sei hier noch bemerkt, daß die weitgehende Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes auch Auswirkungen auf andere Verfahren jenseits des Strafverfahrens haben muß. So wie der Schutz vor Selbstbezichtigungszwang bei natürlichen Personen beispielsweise672 durch Auskunftsverweigerungsrechte für Zeugen im Vgl. BVerfGE 38, 105, 112 f. So aber Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 237 ff. Insbesondere bleibt unklar, warum er eine Analogie zu§ 55 Abs. I 2. Alt. StPO prüft, nachdem er zuvor (S. 234, Fn. 918) ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO für Unternehmensangehörige ablehnt und auch eine analoge Anwendung nicht in Betracht zieht. Hinzu kommt, daß Schlüter bei seiner Begründung aufS. 240 selbst konstatiert, daß sich das Organ bei der Verfolgung des Unternehmens auf § 136 StPO und nicht auf § 52 StPO berufen könne, was eher für eine Analogie zur I. Alt. des § 55 Abs. I StPO gesprochen hätte. 672 Vgl. zu weiteren Problembereichen, vor allem zum Steuerrecht Schäfer, Festschrift für Dünnebier, S. II ff.; Reiß, Besteuerungsverfahren, insbesondere S. 221 ff. 670

67 1

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Zivilprozeß (vgl. § 384 Nr. 2 ZPO), im Verwaltungsverfahren (§ 65 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 384 Nr. 2 ZPO) und im Verwaltungsprozeß (§ 98 VwGO i. V. m. § 384 Nr. 2 ZPO) oder auch für Auskunftsverpflichtete nach § 59 GWB zusätzlich abgesichert ist, so werden diese Rechte bei der Einführung einer Verbandsstrafe auch hinsichtlich der Strafverfolgungsgefahr der juristischen Person gelten müssen. 673 Soweit das Aussageverweigerungsrecht der juristischen Person im Strafverfahren reicht, darf es grundsätzlich nicht dadurch unterlaufen werden, daß in anderen Gerichts- oder in Verwaltungsverfahren das Vertretungsorgan als Zeuge gefragt wird und als solcher zu Auskünften verpflichtet wird, welche die juristische Personen in die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung bringen können. Eine Grenze findet die Notwendigkeit von Auskunftsverweigerungsrechten freilich dort, wo selbst für natürliche Personen ein solcher Schutz nicht für erforderlich gehalten wird. Das gilt dann, wenn schutzwürdige Belange Dritter gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Aussagenden überwiegen und dessen Recht in'bezug auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung dadurch gesichert wird, daß aufgrund seiner Aussage in dem anderen Verfahren erlangte Informationen in einem Strafverfahren nicht verwertet werden dürfen, so wie es z. B. § 97 Abs. 1 Insolvenzordnung in Befolgung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 674 vorsieht. 675 Noch weniger bedarf es auch bei juristischen Personen eines Schutzes vor selbstbelastenden Angaben, die ihre Vertreter für sie als Parteien im Zivilprozeß machen. Ein Äußerungszwang besteht hier nicht; lediglich im Hinblick auf das Beweisrisiko und damit auf die Gefahr des Prozeßverlusts wäre an eine Konfliktsituation zu denken. Doch wäre es wie bei natürlichen Personen eine nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung des Prozeßgegners, wenn zugunsten einer Partei wegen deren Selbstinkriminierungsgefahr die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast herabgesetzt werden würden.676 Es kann schon bei natürlichen Personen nicht als eine Verkennung ihrer psychologischen Grenzen angesehen werden, wenn man sie vor die Wahl zwischen der Rechtsverfolgung und dem Schutz vor Selbstbelastung stellt. 677 Problematischer ist die Situation unter Umständen bei öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen, in denen es für den Betroffenen darum geht, entweder sein 673 Das bedeutet zum Beispiel, daß zumindest bei der Einführung einer Verbandsstrafe § 59 Abs. 5 GWB auch auf juristische Personen als Unternehmensträger anwendbar sein muß. 674 BVerfGE 56, 37, 48 ff. (zur Zulässigkeit einer Auskunftspflicht), 50 f. (zum Verwertungsverbot); vgl. dazu z. B. Stümer, NJW 1981, 1757 ff.; Verrel, NStZ 1997, 361 f.; Dingeldeyka; NStZ 1984, 529 ff. ; Streck, StV 1981, 362 ff. ; von Stetten, JA 1996,55 ff. 675 Zur Übertragbarkeit auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen vgl. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 147 ff. 676 Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 94. 677 SK-StPO-Rogall, vor§ 133 Rn. 139; Stümer, NJW 1981, 1759 f.; KG NZV 1994,403, insb. 404 f. (zur Schadensmeldung an die Haftpflichtversicherung und der anschließenden Verwertung der Schadensakten im Strafverfahren).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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Recht zu verfolgen oder sich selbst der Strafverfolgungsgefahr auszusetzen 678 ; doch zumindest kann hier der Schutz der juristischen Person nicht weiter gehen als der von natürlichen Personen.

4. Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte der übrigen Verbandsmitglieder?

Außer den Organmitgliedern der beschuldigten juristischen Person oder Personenvereinigung können auch die übrigen Verbandsangehörigen wie zum Beispiel Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte oder Kommanditisten vernommen werden. Wie oben679 bereits dargelegt, ist ihr Verhältnis zur juristischen Person bzw. Personenvereinigung ein anderes als das der Organe. Aus diesem Grunde sind sie - entsprechend der Rollenverteilung im Zivil- und im Verwaltungsgerichtsverfahren sowie im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße680 - nicht "als Beschuldigte", sondern als Zeugen zu vernehmen. Grundsätzlich sind Zeugen zum Erscheinen, zur wahrheitsgemäßen Aussage und zur Beeidung auf Verlangen verpflichtet681 ; dies muß im Grundsatz auch für Zeugen in einem Strafverfahren gegen juristische Personen und Personenvereinigungen gelten, denn diese Zeugenpflichten werden ganz allgemein als staatsbürgerliche Pflichten angesehen 682 . Trotzdem gibt es in der StPO Durchbrechungen der Aussagepflicht, wie sich an den Zeugnisverweigerungsrechten der§§ 52 bis 54 StPO und dem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO erkennen läßt. Hier hat der Gesetzgeber anderen Interessen und Werten den Vorrang gegenüber der Wahrheitstindung eingeräumt. 683 Bei der Vernehmung der übrigen Verbandsangehörigen stellt sich daher die Frage, ob sie auf der Grundlage der bestehenden Vorschriften oder wegen verfassungsrechtlich gebotener, als Folge der Einführung einer Verbandsstrafbarkeit neu zu schaffender Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte das Recht haben müssen, im Verfahren gegen die juristische Person die Auskünfte auf bestimmte Fragen oder gar das gesamte Zeugnis zu verweigern.

678 Vgl. dazu BGHSt 36, 328, 333 f.; zustimmend SK-StPO-Rogall, Vor § 133 Rn. 139; ablehnend hingegen Roxin, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 12; Geppen, JK 90, StPO § 136 I/ 4; Ventzke, StV 1990, 279; von Stetten, JA 1996, 57 f.; vgl. im einzelnen zu der im Verwaltungs(gerichts)verfahren geltenden Beweislastverteilung auch Stümer, NJW 1981, 1761 f.; Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 96 f. 679 S. oben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 5. 680 Vgl. die Nachweise oben 3. Teil2. Abschnitt C. I. 2. 681 Vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Vor§ 48 Rn. 5 m. w. N. 682 Vgl. nur LR-Dahs, Vor§ 48 Rn. 6; Kleinknecht!Meyer-Goßner, StPO, Vor§ 48 Rn. 5, jeweils m. w. N. 683 Vgl. nur Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 1.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

a) Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte nach den geltenden Regeln

Zunächst ist zu fragen, inwieweit die in der geltenden Strafprozeßordnung vorgesehenen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte sich auf die Verbandsangehörigen und Mitarbeiter übertragen lassen. Soweit im Individualstrafverfahren auf diese Weise besondere Schutzbedürfnisse berücksichtigt worden sind, müssen diese unter Umständen auch im Verbandsstrafverfahren Beachtung finden. aa) Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 53, 53 a StPO Von den Zeugnisverweigerungsrechten kann bei einer Zeugenvernehmung im isolierten Verfahren gegen eine juristische Person lediglich das in §§ 53, 53 a StPO geregelte Recht einschlägig sein, denn zu einer juristischen Person kann selbstverständlich keine der in § 52 StPO geschützten persönlichen Beziehungen bestehen.684 Die Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO auf Verbandsangehörige kommt hingegen bei Verfahren gegen einen Personenverband dann in Betracht, wenn es sich bei dem Zeugen um einen sogenannten Syndikusanwalt handelt. 685 Nach überwiegender Ansicht soll der fest angestellte Syndikusanwalt sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen können686, zumindest soweit er mit typisch anwaltliehen Aufgaben befaßt ist687 . Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. I Nr. 3 StPO soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Anwalt und den ihm Anvertrauenden schützen688, wobei sich der Schutz auf alles erstreckt, was ihm im Rahmen seiner Tätigkeit von seinen Mandanten oder Dritten689 anvertraut wurde. Dieses Schutzes bedarf es im Verfahren gegen eine juristische Person genauso wie in dem gegen eine natürliche. Dann ist das Zeugnisverweigerungsrecht aber - entgegen der Ansicht Schlüters690 - auch nicht insoweit einzuschränken, 684 Auch sollte z. B. nicht auf Verwandtschaftsverhältnisse des Zeugen zum Vertretungsorgan abgestellt werden, da dann die zu trennenden Ebenen ,juristische Person" und "Vertretungsorgan als Privatperson" ohne ausreichenden Grund verwischt würden. Für das Zeugnisverweigerungsrecht nach§ 383 Abs. 1 Nr. 1- 3 ZPO wird nach überwiegender Ansicht auf solche Beziehungen auch keine Rücksicht genommen, vgl. Münchener Kommentar-Damrau, ZPO, § 383 Rn. 11; Wieczorek, ZPO, § 383 Anm. C I b; a. A. Zöller I Greger, ZPO, § 383 Rn. 2. 685 Außerhalb des Verbandes kommen noch weitere Personen wie z. B. Steuerberater und Buchprüfer in Betracht. 686 Vgl. Tiedemann, in: ImmengaiMestmäcker, GWB, § 81 Rn. 34; KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 203 (I. Aufl.); Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 108; Hermanns, Ermittlungsbefugnisse, S. 70 f. 687 LR-Dahs, § 53 Rn. 30; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 53 Rn. 15; Hassemer, wistra 1986, I ff., 13 f.; ähnlich Roxin, NJW 1992, 1129 ff., ders. , NJW 1995, 17 ff., 21; vgl. auch LG Frankfurt StV 1993, 351, zu §§ 97, 53 StPO. 688 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 53 Rn. I. 689 Allg. Ansicht, vgl. nur KK-StPO-Senge, § 53 Rn. 16; Trändie I Fischer, StGB, § 203 Rn. 7 f. 690 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 244 f.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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wie die juristische Person ausnahrnsweise691 zur Auskunft verpflichtet ist. Da bei diesem Zeugnisverweigerungsrecht der Schutz des Vertrauensverhältnisses im Vordergrund steht, soll es im Individualstrafverfahren für die Reichweite des Rechts nicht darauf ankommen, ob der zur Entbindung von der Schweigepflicht Befugte selbst- als Zeuge- zur Zeugnisverweigerung berechtigt wäre. 692 Entsprechendes muß dann auch für nur eingeschränkt zur Auskunft verpflichtete juristische Personen gelten, nämlich daß unabhängig davon, ob der zur Entbindung berechtigte organschaftliche Vertreter693 ausnahmsweise "als Beschuldigter" Auskunft geben muß, die Vertrauensperson ohne diese Entbindung nicht zur Aussage verpflichtet ist. bb) Auskunftsverweigerungsrecht gemäߧ 55 Abs. I StPO Auf Grundlage der bestehenden Auskunftsverweigerungsrechte könnte der verbandsangehörige Zeuge außerdem dann die Auskunft auf bestimmte Fragen verweigern, wenn ihm oder einem Angehörigen i. S. d. §52 StPO bei wahrheitsgemäßer Antwort die Gefahr eigener Straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung drohte, § 55 Abs. 1 StPO. Diese Vorschrift, die jedenfalls dem Schutz des Zeugen vor einer seelischen Zwangslage dient, die bei der Offenbarung einer Verfehlung aufgrundder Aussagepflicht entstehen würde694 , muß für Zeugenaussagen in einem Strafverfahren gegen juristische Personen im gleichen Maße wie im geltenden Strafverfahrensrecht gelten. b) Auskunftsverweigerungsrecht wegen Selbstbelastungsgefahr bei Belastung des Verbandes?

Als Mitglied des Verbandes wird der Zeuge von einer Verurteilung und Bestrafung der juristischen Person bzw. der Personenvereinigung mittelbar betroffen. 695 Wenn nun die wahrheitsgernäße Aussage eines Verbandsangehörigen dazu führt, Siehe oben 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. d). BGH MDR 1969, 723 bei Dallinger; OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2616; Kleinknecht!Meyer-Goßner, StPO, §53 Rn. 1; LR-Dahs, §53 Rn. 1. 693 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, §53 Rn. 46 m. w. N.; zur besonderen Problematik, was nach dem Ausscheiden eines Organmitgliedes mit der Entbindungsbefugnis geschieht, vgl. Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 251 ff. 694 Allg. Ansicht, vgl. nur KK-StPO-Senge, §52 Rn. 1 m. w. N.; BGHSt 12,235, 239; teilweise wird außerdem das Interesse an der Wahrheitsfindung als gleichrangig neben dem Zeugenschutz stehender Zweck genannt, vgl. Eberhard Schmidt, JZ 1958, 599 ff.; zustimmend Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 31; vgl. auch dens., JuS 1978, 327; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 56 ff.; zustimmend Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; anders dagegen BGHSt 11, 213, 215 f.; KK-StPO-Senge, §52 Rn. 1 m. w. N. 695 Vgl. oben 3. Teil2. Abschnitt C. II. 5. 691

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3. Teil: Prozessuale Probleme

daß der Verband strafrechtlich belastet wird, könnte man meinen, daß die Aussagepflicht für diesen Fall eingeschränkt werden müßte, da sich der Zeuge damit mittelbar auch selbst belasten würde. Ein Auskunftsverweigerungsrecht in Anlehnung an § 55 StPO muß dem Verbandsangehörigen trotzdem nicht eingeräumt werden.696 Denn aus demselben Grund, aus dem die Verbandsangehörigen im Hinblick auf die Verfahrensrolle nicht mit der beschuldigten juristischen Person zu identifizieren sind - obwohl die Mitglieder auch von einer Strafe mitbetroffen werden kann die Belastung des Verbandes im Rahmen einer Zeugenaussage nicht als "eigene" Belastung des Mitglieds angesehen werden. Die juristische Person und ihre Mitglieder sind auch bei dieser Frage als vollkommen unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten aufzufassen. Da mit der Verbandsstrafe nicht die persönliche Verantwortlichkeit des Verbandsangehörigen begründet werden soll, zieht die Gefahr ihrer Verhängung auch nicht die Gefahr der persönlichen Selbstbelastung mit sich. Die "Konfliktsituation", die bei Belastung des Verbandes mit der Folge bloßer Mitbetroffenheit des einzelnen entstehen kann, ist nicht vergleichbar mit der "StreBsituation", die beim Zwang zum Eingeständnis eigenen, persönlichen strafwürdigen Fehlverhaltens angenommen wird und vor der § 55 StPO schützen soll. Denn charakteristisch für den Nemo-tenetur-Grundsatz ist, daß gerade der Zwang dahingehend verboten sein soll, eigene Verfehlungen einzugestehen, bei denen im Falle des Schuldnachweises ein Eingriff in existentielle Rechtsgüter droht. Es geht darum, den "Selbsterhaltungstrieb" zu respektieren, der aber erst bei der höchstpersönlichen Betroffenheit zum Tragen kommt. c) Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts wegen Zugehörigkeit zum Personenverband?

Eine andere Frage ist, ob Verbandsangehörige aufgrund ihrer Nähe zu dem beschuldigten Verband in einem künftigen Strafverfahren gegen juristische Personen und Personenvereinigungen nicht aufgrund einer dem § 52 oder § 53 StPO nachempfundenen Vorschrift ein Zeugnisverweigerungsrecht erhalten sollten. Ein solches Zeugnisverweigerungsrecht ist im Hinblick auf das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße noch nicht vorgeschlagen worden, was sich u. a. jedoch damit erklären läßt, daß sich Literatur und Rechtsprechung in diesem Bereich an den bestehenden einfachgesetzlichen Vorschriften orientieren. Für ein zukünftiges Strafverfahrensrecht gegen juristische Personen ist in Anbetracht des in einer Kriminalstrafe liegenden schwerwiegenderen Vorwurfs die Schaffung eines neuen Zeugnisverweigerungsrechts in Anlehnung an § 52 oder an § 53 StPO jedoch zumindest zu erwägen. Ob eine vergleichbare Lage wie bei Zeugenaussagen von 696 Ebenso im Ergebnis Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 241 ff., der von der hier nicht geteilten (siehe oben 3. Teil 1. Abschnitt B. I.) Auffassung ausgeht, daß dies eine Frage der "teleologischen Extension" des § 55 Abs. 1 1. Alt. StPO - hinsichtlich der Gesellschafter- sei.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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Angehörigen des Angeklagten bzw. bei bestimmten Berufs- und Funktionsträgem vorliegt, ist aus diesem Grunde näher zu untersuchen. aa) Zeugnisverweigerungsrecht in Anlehnung an § 53 StPO Oben wurde bereits bezogen auf den Syndikusanwalt erwähnt, daß das Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 StPO nach ganz überwiegender Ansicht das Vertrauensverhältnis zwischen bestimmten Berufsangehörigen und den Rat- und Hilfesuchenden, die sich an sie wenden, schützen soll. 697 Dabei kann in der Aufzählung bestimmter Berufsgruppen eine Aussage darüber gesehen werden, bei welchen Berufsgruppen jenes Vertrauensverhältnis gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung von Straftaten überwiegt. 698 Daher kann nur im Einzelfall und unter besonderen Umständen ein Zeugnisverweigerungsrecht auch unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleitet werden, nämlich dann, wenn die Vernehmung des Zeugen einen Eingriff in den von Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung bedeuten würde. 699 Für das Individualstrafverfahren wird zudem eine Erweiterung des Kreises der Zeugnisverweigerungsberechtigten über die in § 53 StPO genannten Personen hinaus wegen der damit verbundenen Einschränkung einer funktionsfähigen Rechtspflege selbst im Wege der Gesetzesänderung nur unter strengen Voraussetzungen für möglich gehalten.700 Die von § 53 Abs. 1 StPO umfaßten Vertrauensverhältnisse bestimmter Berufsgruppen zu ihren Klienten etc. sind in der RegeC 01 nicht vergleichbar mit dem Verhältnis, das Verbandsangehörige zu ihrem Verband haben. Bei der Beziehung der Mitglieder oder Angestellten einer juristischen Person zu dieser besteht kein besonderes Berufsgeheimnis, für das es feste, von der Gemeinschaft gebildete Maßgaben 702 gäbe. Schutzbedürftig wären die Verbandsmitglieder höchstens im Hinblick auf ihre Konfliktlage als Mitbetroffene einer Verbandsstrafe. Ein Schutz vor einer solchen Situation ähnelt jedoch weniger der von § 53 Abs. 1 StPO als der von § 52 StPO vorausgesetzten Lage. In Analogie zu § 53 Abs. 1 StPO ist den Verbandsmitgliedem kein Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen. 697 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, §53 Rn. I; LR-Dahs, §53 Rn. 1m. w. N.; Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 13; BGHSt 9, 59, 61; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14, daneben nennt Rengier (S. 13 f.) die Berufsfreiheit i. S. d. Art. 12 GG und Art. 4 GG als Grundlage für das Zeugnisverweigerungsrecht; differenzierend SK-StPO-Rogall, vor § 48 Rn. 145. 698 LR-Dahs, § 53 Rn. 3. 699 BVerfGE 33, 367, 374 f.; vgl. auch BVerfG NStZ 1988, 418 (im konkreten Fall abgelehnt); LR-Dahs, § 53 Rn. 3 m. w. N.; kritisch zu der einzelfallorientierten Rechtsprechung Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 40 m. w. N. 700 Vgl. BVerfGE 33, 367, 383 f.; LR-Dahs, §53 Rn. 3. 701 Zum Syndikusanwalt vgl. jedoch bereits oben 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 4. a) aa). 102 Vgl. hierzu LR-Dahs, §53 Rn. 3.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

bb) Zeugnisverweigerungsrecht in Anlehnung an § 52 StPO Auch bei der Frage, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige von juristischen Personen in Anlehnung an § 52 StPO zu schaffen ist, muß zunächst der Blick auf den Zweck dieser Vorschrift gelenkt werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO dient nach allgemeiner Ansicht- zum Teil auch neben anderen Zwecken703 - dem Schutze des Zeugen vor dem Konflikt zwischen Erfüllung der Wahrheitspflicht und dem Bedürfnis, den Angehörigen weitestgehend zu schonen.704 Daneben wird der Familienfrieden 705 und auch das Recht der Privatsphäre als Grundlage für das familiäre Vertrauensverhältnis 706 als geschützt angesehen. Neben diesem Schutz des Zeugen und seiner familiären Beziehungen zum Angeklagten wird von manchen Autoren zudem die Wahrheitsfindung als Zweck des § 52 StPO genannt707 , weil eine erzwungene Aussage im Hinblick auf die Konfliktsituation von geringem Wert708 und die Gefahr der Falschaussage groß sei.709 Betrachtet man die Situation des Verbandsangehörigen, der gegen "seine" juristische Person aussagen muß, so läßt sich darin durchaus eine Konfliktlage erkennen. Der Erfüllung der Wahrheitspflicht steht die Gefahr gegenüber, den Verband, dem der Zeuge selbst angehört, zu belasten. Dies kann für das Mitglied zumindest in Form einer Mitbetroffenheit eigene Nachteile finanzieller, aber auch sozialer Art - der Verbandsangehörige ist im Falle der Verurteilung der juristischen Person Angehöriger einer "vorbestraften" Organisation- mit sich bringen. Diese Konfliktsituation wird durch das Aussageverweigerungsrecht der juristischen Person, das durch ihr Vertretungsorgan ausgeübt wird, nicht erfaßt. Darüber hinaus ist - ähnlich wie bei familiären Beziehungen - denkbar, daß auf den einzelnen Verbandsangehörigen Druck mit dem Ziel ausgeübt wird, eine belastende Aussage nicht zu machen. Daß sich eine derartige Konfliktsituation auch auf den Wahrheitsgehalt 703 Neben den hier anschließend aufgeführten Zwecken wird ganz vereinzelt auch der Schutz des "passiven Verteidigungsrechts" genannt und § 52 StPO als Ausfluß des Nemotenetur-Grundsatzes bezeichnet, vgl. Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, S. 45 ff.; SKStPO-Rogall, vor§ 48 Rn. 141; dens., Der Beschuldigte, S. 150 ff. ; kritisch hierzu Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11 f.; LR-Dahs, §52 Rn. 1 bei Fn. 7. 704 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, §52 Rn. I; LR-Dahs, §52 Rn. I; KK-StPO-Senge, §52 Rn. 1; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 3; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8. 705 BGHSt 38, 96, 99; ähnlich auch schon BGHSt 11, 2 13, 216 ("schonende Rücksicht auf die Familienbande"); s. auch bei Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8 f. m. w. N. dort in Fn. 8. 706 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10 f. m. w. N. 707 Neben den in den folgenden Fußnoten Genannten: Eberhard Schmidt, JZ 1958, 600; eingehend Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. II , 56 ff. (m. w. N. in Fn. 2 auf S. 56); AK-StPO-Kühne, § 52 Rn. I. 708 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO II, § 52 Rn. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; auch Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 500. 7[Jj Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 3.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

237

seiner Aussage auswirken kann, ist ohne weiteres vorstellbar. 710 Hier ist sowohl an den Angehörigen der juristischen Person zu denken, der als Angestellter um seinen Arbeitsplatz fürchtet, als auch an den Gesellschafter, dessen Beteiligung an der Gesellschaft einen überwiegenden Teil seines eigenen Vermögens ausmacht, so daß er im Falle der Verurteilung in erheblichem Maße zumindest finanziell mitbetroffen ist. Im Vergleich mit den von § 52 StPO geschützten Konfliktsituationen ist es zudem auch denkbar, daß der Verbandsangehörige durch einen Aussagezwang in einen größeren Gewissenskonflikt geraten kann als manche Familienangehörige. Das läßt sich auch auf Grundlage der gebotenen abstrakten Betrachtungsweise 7 11 begriinden. Als Vergleichspaar seien hier einerseits die geschiedene7 12 Ehefrau des Angeklagten und andererseits der schon beschriebene Gesellschafter gedacht, der einen maßgeblichen Teil seines Vermögens in die Gesellschaft eingebracht hat. Bei einem Vergleich zwischen diesen beiden kann es sein, daß der Gewissenskonflikt bei dem Angehörigen der juristischen Person größer ist. Anders als bei der Frage, ob das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften ausgedehnt werden sollte, ist einem Zeugnisverweigerungsrecht für Verbandsangehörige außerdem nicht entgegenzuhalten, daß die "maßgebenden prozessualen Kriterien" für das Gericht nicht leicht feststellbar wären 713 , denn ein Nachweis für die Verbandsangehörigkeit könnte beispielsweise mittels Gesellschafts- und Arbeitsverträgen oder Mitgliedsausweisen ohne größere Probleme erbracht werden. Letztlich wird jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht für Verbandsangehörige in ähnlicher Ausgestaltung wie das Recht in § 52 StPO nicht zu rechtfertigen sein. Denn bei der Aufstellung derartiger Regelungen ist zu beachten, daß ein Zeugnisverweigerungsrecht das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege und - davon umfaßt - an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung einschränkt. 714 Zwar reicht nicht der schlichte Hinweis darauf, daß eine effektive Strafverfolgung bei Gewährung umfassender Zeugnisverweigerungsrechte für alle Verbandsangehörigen nicht mehr möglich wäre. Dazu müßte erst geklärt sein, ob die Konfliktlage dieser Verbandsangehörigen nicht höher einzustufen ist als das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung - so wie es bei dem Gewissenskonflikt der Familienangehörigen der Fall ist. Eine solche 710 So für das Bußgeldverfahren bei Kartellordnungswidrigkeiten Tiedemann. in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 30: Die Vernehmung von Zeugen werde häufig "wenig fruchtbar" sein, vor allem bei Angehörigen des betroffenen Unternehmens. 711 Vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, §52 Rn. I. 7 12 Der das Zeugnisverweigerungsrecht gemäߧ 52 Abs. I Nr. 2 StPO zusteht. 713 So das Argument gegen eine Ausdehnung des § 52 StPO auf den Schutz nichtehelicher Lebensgemeinschaften u. ä. bei LR-Dahs, § 52 Rn. 17, der im übrigen aber an den Gesetzgeber appelliert, die Anpassung dieser und anderer Vorschriften an veränderte Lebensverhältnisse zu prüfen. 714 So allgemein zur Erweiterung des geschützten Personenkreises in §§ 52, 53 StPO: LRDahs. §52 Rn. 17, §53 Rn. 3.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Einschätzung wäre aber mit Blick auf die in der Verfassung ersichtliche Gewichtung von Familie einerseits und Zugehörigkeit zu juristischen Personen andererseits nicht haltbar. Wahrend Art. 6 Abs. I GG Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt, gewährleistet Art. 9 Abs. 1 GG "nur" die Freiheit, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Von einem besonderen Schutz dieser Vereine und Gesellschaften sowie ihrer Mitglieder ist hingegen nicht die Rede. Die "wertentscheidende Grundsatznorm"715 des Art. 6 Abs. 1 soll gerade die Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich schützen716 ; Ehe und Familie werden als geschlossener, gegen den Staat abgeschirmter "Autonomie- und Lebensbereich" angesehen 717 . Der Wert familiärer Beziehungen wird also deutlich höher angesiedelt als derjenige der Verbandszugehörigkeit Das Familienleben gehört zur Privatsphäre des einzelnen718; der Schutz des Rechts auf private Lebensgestaltung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts719, so daß Einschränkungen im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter weitaus strengeren Anforderungen möglich sind als im Bereich der Sozialsphäre720, zu dem die Zugehörigkeit zu einer juristischen Person zählt. Berücksichtigt man außerdem, daß der Gesetzgeber schon im Rahmen des § 52 StPO einen numerus clausus der geschützten Personen aufgestellt hat, um so der Spannungslage mit der Gewährleistung der effektiven Strafrechtspflege gerecht zu werden721 , so muß erst recht dieses Interesse gegenüber den Interessen des einzelnen hinsichtlich seiner Verbandszugehörigkeit überwiegen. Was den vielleicht geringeren Wert von Zeugenaussagen von Verbandsangehörigen wegen der Gefahr möglicher Falschaussagen angeht, so wird es hier ausreichen, daß der Richter die besondere Situation des Zeugen im Rahmen der freien Beweiswürdigung - und dort im Hinblick auf dessen (Un-)Glaubwürdigkeit722 - berücksichtigt.

d) Zusammenfassung

Den Verbandsangehörigen, die nicht als Vertretungsorgane fungieren und deshalb als Zeugen vernommen werden können, ist aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu BVerfGE 6, 55, 71; 31, 58, 67; 62,323, 329; 80, 81,92 f. BVerfGE 57, 170, 178; ähnlich auch schon BVerfGE 42, 234, 236 Ueweils zur Briefkontrolle in der U-Haft). 717 BVerwGE 91, 130, 134. 718 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10m. w. N. dort in Fn. 19; BVerfGE 57, 170, 178;9~5~61. 719 BVerfGE 27, I, 6 ff.; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 33, 374; 34, 204, 208 f.; 34, 238, 245 f.; 35, 35, 39; 35, 202, 220; 57, 170, 178; 96, 56, 61. 12o Vgl. z. B. BVerfGE 48, 227,234. 121 LR-Dahs, §52 Rn. 17. 722 Vgl. zur Würdigung von Zeugenaussagen im Rahmen der freien Beweiswürdigung Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rn. ll m. w. N. 715

716

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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der beschuldigten juristischen Person kein weiteres, über die geltenden Regeln der StPO hinausgehendes Aussage-, Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht zuzugestehen. Von den bestehenden Rechten können unter Umständen § 53 Abs. 1 Nr. 3 und § 55 StPO eingreifen. In der Regel sind die Verbandsmitglieder aber zu umfassenden und wahrheitsgemäßen Aussagen verpflichtet. 723

111. Zusammenfassung Der Nemo-tenetur-Grundsatz gilt in der Regel auch für Verbände, denen gegenüber er aber bei schweren Straftaten eingeschränkt werden kann, wenn andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen. Das Recht, für die juristische Person zu schweigen oder die Herausgabe von Beweismitteln zu verweigern, übt ihr organschaftlicher Vertreter aus. Da dieser seinerseits nicht gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten, kann es zu Kollisionslagen mit dem Recht der juristischen Person bzw. mit ihrer ausnahmsweisen Auskunfts- und Mitwirkungspflicht kommen, die möglichst schonend ausgeglichen werden müssen. Das Recht des Verbands, sich selbst nicht belasten zu müssen, strahlt in andere Verfahren aus und ist dort zu berücksichtigen. Dies muß durch Auskunftsverweigerungsrechte in Anlehnung an § 55 StPO geschehen, die vom Vertreter geltend zu machen sind. Die übrigen Verbandsmitglieder können sich nicht auf die Einlassungsfreiheit der juristischen Person berufen und sind unter Berücksichtigung der geltenden Zeugnisverweigerungsund Auskunftsrechte als Zeugen zur Aussage verpflichtet.

C. Probleme der anwaltliehen Verteidigung Die Verfahrensstellung des Beschuldigten wird maßgeblich mitbestimmt von seiner Möglichkeit, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen (vgl. §§ 137 ff. StPO). In einer Untersuchung über die Rechtsstellung der beschuldigten juristischen Person in einem Verbandsstrafverfahren ist daher näher auf das Recht auf Verteidigerbeistand, auf den Schutz der Beziehung zwischen Verteidiger und Mandanten und - als besonderes Problem - auf mögliche Interessenkonflikte bei der gemeinsamen Verteidigung von Verband und Individualtäter einzugehen.

I. Allgemeines: Recht auf Verteidigerbeistand Als Grundfrage ist zu klären, ob juristischen Personen das Recht auf den Beistand eines Verteidigers zustehen müßte. Auch hier ist zunächst ein Blick auf ande723 Die Frage Nijboers, in: Criminal Responsibility, S. 315, ob denn dann, wenn man der juristischen Person eine Einlassungsfreiheit zugestehen würde, jeder innerhalb der juristischen Person einfach schweigen dürfte, ist daher mit Blick auf die Verbandsmitglieder zu verneinen.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

re Rechtsordnungen und auf die Regelung für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße zu werfen. 1. Das Recht auf Verteidigerbeistand in anderen Rechtsordnungen und im Verfahren

zur Festsetzung einer Geldbuße

a) Vereinigte Staaten von Amerika

Das Recht des Angeklagten auf Beistand eines Verteidigers im Strafverfahren ist in den Vereinigten Staaten von Amerika im 6. Zusatzartikel zur Verfassung garantiert.724 Der Sinn dieser Garantie wird darin gesehen, daß der Angeklagte nicht Opfer eines für ihn nachteiligen Urteils werden oder die Vorteile von schützenden Verfahrensrechten verlieren soll, nur weil er die Rechtslage nicht kennt. 725 Da diese Gefahren auch für ein Unternehmen bestünden, sofern es nicht von einem kompetenten Rechtsanwalt vertreten werde, gelte die Garantie grundsätzlich auch für angeklagte Unternehmen. 726 Zwar wird es nicht für erforderlich gehalten, daß dem Unternehmen im Falle der Insolvenz ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird, doch darf es nicht daran gehindert werden, einen Verteidiger zu beauftragen.727 Das Recht auf Verteidigung des Unternehmens ist auch dann verletzt, wenn den einzelnen Mitarbeitern des Unternehmens bei ihrer Zeugenvernehmung der Kontakt zu ihren Beiständen verwehrt wird. 728 b) Europäisches Gemeinschaftsrecht

Nach einhelliger Ansicht haben Unternehmen im EU-Kartellordnungswidrigkeitenverfahren das Recht auf anwaltliehen Beistand. 729

724 Der in diesem Zusammenhang interessierende Wortlaut des 6. Zusatzartikels lautet: "In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right ( ... ) to have the assistance of counsel for his defense." ("In allen Fällen einer Strafverfolgung hat der Angeklagte das Recht darauf ( ... ) den Beistand eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können." Übersetzung nach Rogall, in: Zur Theorie und Systematik, S. 120 Fn. 54). 725 U. S. v. Rad-0-Lite of Philadelphia, lnc., U. S. Court of Appeals (Third Circuit), 612 F. 2d 741 , 743 . 726 U. S. v. Rad-0-Lite of Philadelphia, Inc., U. S. Court of Appeals (Third Circuit), 612 F. 2d 741, 743; Gruner, Corporate Crime and Sentencing, S. 329. 727 Gruner, Corporate Crime and Sentencing, S. 329; American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2145. 728 Potashnick v. Port City Constr. Co., 609 F. 2d 1101 (1980), 1118 f.; Gruner, Corporate Crime and Sentencing, S. 329. 729 EuGH, AM & SI Kommission, Slg. 1982, 1575, 1610 ff.; Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2078 m. w. N.; ders. I Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht, S. 53; von Winterfeld, RIW 1992, 526 f.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

241

c) Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gegenjuristische Personen

Im Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen gemäß § 30 OWiG haben diese ein Recht auf anwaltliehen Beistand. Für das Verfahren, in dem die Geldbuße als Folge einer Straftat festgesetzt wird, ergibt sich dies aus § 444 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 434 StPO, nach dessen Abs. 2 auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes oder einer anderen Person, die als Verteidiger gewählt werden kann, möglich ist. Im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße als Folge einer Ordnungswidrigkeit gilt dasselbe aufgrund der Verweisung in § 46 Abs. 1 OWiG. 730 2. Das Recht auf Verteidigerbeistand in einem künftigen Strafverfahren

a) Verfassungsrechtliche Herleitung des Rechts auf Verteidigerbeistand der juristischen Person

Juristische Personen müssen in einem für sie geltenden Strafverfahrensrecht ein Recht auf den Beistand eines Verteidigers haben, wenn dies von übergeordneten Rechtssätzen vorgegeben ist.

aa) Herleitung eines Rechts auf Verteidigerbeistand Während die EMRK in Art. 6 Abs. 3 c ausdrücklich für jeden Angeklagten vorsieht, daß er sich selbst verteidigen und sich des Beistands eines Verteidigers bedienen darf sowie bei Mittellosigkeit einen Pflichtverteidiger erhält, gibt es ein entsprechendes, explizit den Verteidigerbeistand gewährleistendes Grundrecht im Grundgesetz nicht. Das heißt jedoch nicht, daß dem Recht auf Beistand eines Verteidigers nicht verfassungsrechtlicher Rang zukäme. Überwiegend wird dieses Recht als ein Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren angesehen.731 Jenes Recht auf ein faires Verfahren wiederum sei einer der wesentlichen Grundsätze eines rechtsstaatliehen Verfahrens. 732 Aus dieser objektiven Gewährleistung wird über Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip ein Anspruch des Beschuldigten darauf hergeleitet, sich im Strafverfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen.733

Vgl. Göhler, OWiG, § 88 Rn. 14. BVerfGE 39, 156, 163; 39,238, 243; 66, 313, 319; 68, 237, 255; BVerfG NJW 1984, 862; StV 1992, 53; Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO, § 137 Rn. 2; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 211 f., 234 f.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 147. 732 Vgl.nurBVerfGE38, 105, 111 ; 66,313,318f. 733 Vgl. BVerfGE 39, 156, 163; KK-StPO-Pfeiffer, Ein!. Rn. 64. 730

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Teilweise finden sich für das Recht auf Verteidigerbeistand auch andere Begründungsansätze. So sei dieses Recht Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, weil zu einer effektiven Gewährleistung des Anspruchs auf gerichtliches Gehör die Unterstützung durch einen Verteidiger gehöre, wenn der Betroffene selbst nicht in der Lage zu ausreichender rechtlicher Äußerung ist. Dies gelte auch, obwohl der Verfassungsgesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen sei. 734 Aufgrund der heutigen komplizierteren Rechtslage müsse im Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Verteidigerbeistand mit enthalten sein. 735

bb) Übertragbarkeit auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob ein derartiges Recht auf Beistand eines Verteidigers auch für juristische Personen gilt. Siedelt man das Recht auf Verteidigerbeistand mit der zuletzt genannten Ansicht im Anspruch auf rechtliches Gehör an, so kann der Anwendung auf Verbände nichts entgegenstehen. Wie oben gezeigt, sind hinsichtlich Art. 103 Abs. 1 GG auch juristische Personen anspruchsberechtigt 736 Jedenfalls auf den ersten Blick scheint ein Recht der juristischen Person auf Verteidigerbeistand auch bei Herleitung aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ohne weiteres zu bejahen zu sein. Denn bei Anwendung von Art. 19 Abs. 3 GG ist die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit heute unstreitig auf Personenmehrheiten anwendbar737; eine Einschränkung dieses Rechts muß der verfassungsmäßigen Ordnung entsprechen, zu der auch das Rechtsstaatsprinzip und damit der Grundsatz des fairen Verfahrens zählen. 738 Dieses Ergebnis würde mit der wohl einhelligen Ansicht zu Art. 6 EMRK korrespondieren, wonach die davon umfaßten Ansprüche auch auf juristische Personen und Personenvereinigungen anwendbar sind, soweit diese im jeweiligen Verfahren parteifähig oder angeklagt sind. 739 Problematisch ist bei der Herleitung eines Rechts auf Verteidigerbeistand aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens jedoch, daß Inhalt und Geltungsgrund dieses Prinzips einer wesensmäßigen Anwendung 734 Zur Entstehungsgeschichte kurz Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 103 Rn. 15, Stichwort: "Rechtsanwalt, Anspruch auf Beiziehung". 735 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 103; Kunig, in: von Münch/ Kunig, GG, Art. 103 Rn. 15. 736 S. bereits oben 3. Teil 3. Abschnitt A. 737 Vgl. bereits oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. b) aa) (2). 738 Ausdrucklieh dazu, daß auch juristische Personen über Art. 2 Abs. 1 GG Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze erheben können, die gegen andere Verfassungsnormen als Grundrechte verstoßen, BVerfGE 10, 89, 99; Stern, Staatsrecht Band III/1, S. 1128. 739 LR-Gollwitzer, MRK Art. 6 Rn. 14; vgl. auch Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 4.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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entgegenstehen könnten. Es bedarf daher einer näheren Betrachtung dieses Grundsatzes und der Ableitung eines Rechts auf Verteidigerbeistand. Nur so kann ermittelt werden, wie die Grenzen eines solchen Rechts für juristische Personen zu ziehen sind.

( 1) Der Grundsatz des fairen Verfahrens Das Recht auf ein faires Verfahren ist ein noch recht ,junges rechtsstaatliches Postulat"740 und wird vom Bundesverfassungsgericht erstmals im 26. Band erwähnt741. Den Inhalt dieses Rechts, das zu den "wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatliehen Strafverfahrens"742 gehöre, umschreibt das Gericht zunächst lediglich damit, daß der Angeklagte "nicht nur Objekt des Verfahrens" sein dürfe, sondern vielmehr die Möglichkeit haben müsse, auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen. 743 In der Entscheidung E 57, 250 geht das Gericht dann näher auf die Grundlagen des von ihm so genannten "allgemeinen Prozeßgrundrechts"744 ein, an dem solche Beschränkungen Verfahrensbeteiligter gemessen würden, die von den speziellen Gewährleistungen, insbesondere von Art. 103 Abs. I GG, nicht umfaßt seien. Die Wurzeln seien in den im Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechten und -freiheiten des Menschen zu finden, wobei insbesondere Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG genannt werden: Die freiheitssichernde Funktion des bedrohten Rechts auf Freiheit der Person erfordere auch im Verfahren Beachtung, und Art. 1 Abs. 1 GG, der die Herabsetzung des Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens verbiete, setze einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen des Angeklagten voraus. Darüber hinaus ergebe sich der Grundsatz des fairen Verfahrens aus der Aufgabe des Strafverfahrens, den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips den wahren Sachverhalt zu ermitteln, denn der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren werde bei Verfahrensgestaltungen beriihrt, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstünden.745 Die Literatur hat den Grundsatz des fairen Verfahrens ganz überwiegend anerkannt746 und sieht in ihm eine Prozeßmaxime747 . Zumindest sei der Grundsatz eine Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 199. BVerfGE 26, 66, 71. 742 BVerfGE 26, 66, 71; BVerfGE 46, 202, 210. 743 BVerfGE 26, 66, 71; 46,202, 210; auch noch 63,380,390 f.; 65, 171, 174. 744 BVerfGE 57, 250, 275. 745 BVerfGE 57, 250, 275. 746 Kritisch hingegen vor allem Heubel, Der "fair trial", S. 133 ff., zusammenfassend 143 ff.; auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 379 ff., S. 381 f. 747 LR-Gollwitzer; MRK Art. 6 Rn. 65; Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, Einl. Rn. 19; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 101 f.; auch LR-Rieß, Einl. Abschn. H Rn. 99 ff. 740

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3. Teil: Prozessuale Probleme

"prägnante Zusammenfassung von Einzelimpulsen", welche Art. 1 Abs. 1 GG, die Freiheitsgrundrechte, das Willkürverbot und Art. 103 Abs. 1 GG vermittelten748 , bzw. eine zusammenfassende Bezeichnung für verschiedene Einzelelemente 749. Das Recht auf ein faires Verfahren wird als Leitlinie für den Gesetzgeber, Auslegungsdirektive für die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sowie als Anspruchsgrundlage für den Beschuldigten und andere Verfahrensbeteiligte angesehen.7so Was bereits bei der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anklingt, wenn es von dem Angeklagten als Verfahrensbeteiligtem und von dem Verbot seiner Behandlung als bloßes Objekt des Verfahrens spricht, wird in der Literatur deutlicher betont. Die Subjektstellung des Beschuldigten sei mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens aufs engste verbunden. 751 Als Prozeßsubjekt verfüge der Beschuldigte über Rechte und selbständige Verfahrensbefugnisse, die es ihm ermöglichten, sich gegen den Tatvorwurf zur Wehr zu setzen und auf den Ablauf des Verfahrens einzuwirken. 752 Das Recht auf ein faires Verfahren gewährleiste dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde auszuüben und mögliche Übergriffe der staatlichen Stellen und anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. 753 Gerade auch die Zulassung des Verteidigers und seine Stellung im Verfahren hingen eng mit der Anerkennung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt zusammen, denn zur Ausübung der Rechte, die seine Subjektstellung ausmachten, bedürfe der Angeklagte eines sachkundigen Beistands. 754 (2) Anwendung aufjuristische Personen

Problematisch bei der Übertragung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und eines daraus herzuleitenden Rechts auf Verteidigerbeistand auf juristische Personen erscheint, daß auf bestimmte Grundrechte Bezug genommen wird, die auf so!Hili, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 156 Rn. 38. LR-Rieß, Eint. Abschn. H Rn. 102; KK-StPO-Pfeiffer, Eint. Rn. 28; Ransiek, Rechte des Beschuldigten, S. 6. 750 SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 193; Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, S. 54 ff.; Hili, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 156 Rn. 36; vgl. auch LR-Rieß, Eint. Abschn. H Rn. 100. 751 Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 205; Hili, in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 156 Rn. 35; LR-Rieß, Eint. Abschn. H Rn. 102; ähnlich Beulke, Der Verteidiger, S. 37, mit Bezug auf den Grundsatz der Waffengleichheit; vgl. auch die Darstellung bei Dahs, NJW 1975, 1386; vgl. auch Rupp, AöR 101 (1976), 186: Der "due process" besitze auch eminent grundrechtsrelevante Bezüge. 752 Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1207; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. I ; SK-StPORogall, Vor§ 133 Rn. 59; zur Subjektstellung auch Peters, Strafprozeß, S. 203; Rieß, in: Festschrift für Bundesministerium der Justiz, S. 373 ff., 404; ders. , JA 1980, 293. 753 Hili, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 156 Rn. 35. 754 Rieß, in: Festschrift für Bundesministerium der Justiz, S. 404. 748

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ehe Personenvereinigungen nicht anwendbar sind, nämlich auf Art. 2 Abs. 2 GG und auf die Menschenwürdegarantie. Läge hierin der Schwerpunkt des Rechts auf ein faires Verfahren, so wäre eine Übertragbarkeit auf juristische Personen kaum zu rechtfertigen. Auch die stark betonte "Subjektstellung" des Beschuldigten vermag so recht nicht auf Verbände zu passen, denn hierin deutet sich wiederum ein besonderer Bezug auf die von Art. 1 Abs. I GG geschützte Würde des Menschen an755. (a) Subjektstellung und Abkehr vom Inquisitionsprozeß Es ist daher erforderlich, Inhalt und Funktion dieser Subjektstellung etwas näher zu betrachten. Mit der Beschreibung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt wird zunächst einmal der Wandel der Beschuldigtenrolle von der, die er im Inquisitionsprozeß als bloßes Untersuchungsobjekt, als gewaltunterworfener Inquisie56 hatte, zu der im reformierten Strafprozeß im 19. Jahrhundert deutlich gemacht. 757 Als Prozeßsubjekt kann der mit eigenen Rechten ausgestattete Beschuldigte Einfluß auf den Gang der Untersuchung nehmen. 758 Ob nun in erster Linie staats- und menschenrechtliche Wandlungen zu der Anerkennung der Subjektstellung des Beschuldigten geführt haben759 oder nicht760 - die Ausstattung mit Prozeßbefugnissen ist neben der Achtung der Menschenwürde und freien Willensentschließung761 Element dieser Stellung als Prozeßsubjekt. 762 Für die Verfahrensstellung der juristischen Personen bedeutet dies folgendes: Auf historische Zusammenhänge, auf den Wandel von Inquisitionsprozeß zu reformiertem Strafprozeß und die damit einhergehenden Veränderungen der Rechtsstellung des Beschuldigten kann man hier ebensowenig wie oben bei der Frage der Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes763 zurückgreifen, um die Rechtsstellung

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293.

Vgl. Spaniol, Das Recht aufVerteidigerbeistand, S. 205m. Fn. 41, 42; Rieß, JA 1980,

Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 170. Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 170; Rieß, in: Festschrift für Bundesministerium der Justiz, S. 375; SK-StPO-Rogall, Vor § 133 Rn. 60; Beulke, Der Verteidiger, S. 37; auch Lüderssen, in: Festschrift für Sarstedt, S. !50 f., zu den gemeinsamen historischen Wurzeln der Anforderungen an ein gerechtes Verfahren und der Subjektstellung des Bürgers; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbei stand, S. 204. 758 Beulke, Der Verteidiger, S. 37; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 103. 759 So SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 60. 760 So Rieß, in: Festschrift für Bundesministerium der Justiz, S. 433. 761 Vgl. Fezer; Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. I; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 59; Rieß, JA 1980, 293; ders., in: Festschrift für Schäfer, S. 181. 762 Lesch, JA 1995, 157 (Subjekt, da Träger subjektiver Rechte); Roxin, Strafverfahrensrecht,§ 18 Rn. 1; Rieß, in: Festschrift für Schäfer, S. 192; Schreiber; ZStW 88 (1976), 142, der die Subjektstellung vor allem mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör begründet. 763 Vgl. oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. b) aa) (2), bb). 756 757

246

3. Teil: Prozessuale Probleme

der juristischen Person im Strafprozeß näher zu bestimmen. Es ist jedoch möglich, der juristischen Person aus anderen Griinden weitgehend eine Subjektstellung im Strafverfahren zuzugestehen. Zwar haben juristische Personen keine Menschenwürde, die im Prozeß geachtet werden müßte. Doch wie bereits oben764 festgestellt, ist als Konsequenz aus der Verbandsstrafenbegriindung die Anerkennung einer zu respektierenden Persönlichkeit der strafflihigen juristischen Person zu bejahen. Hinzu kommt, daß die beschuldigte juristische Person - über Art. 19 Abs. 3 GG - neben einer grundsätzlichen Aussagefreiheit auch das Recht auf gerichtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG genießt und damit die Möglichkeit hat, auf das Verfahren einzuwirken. Das Grundgesetz macht insoweit bereits Vorgaben dahin, daß die Stellung als Prozeßsubjekt auch bei juristischen Personen anerkannt werden muß. Ohne den historischen Wandel von Verfahrensobjekt zu Verfahrenssubjekt mitgemacht zu haben, ist die juristische Person bereits durch Art. 19 Abs. 3 GG und somit aufgrund ihrer grundsätzlichen Grundrechtsträgerschaft in eine Subjektstellung gehoben worden, bevor sie jemals Beschuldigte in einem Strafverfahren sein wird. Auch wenn hieraus nicht ohne weiteres zusätzliche Rechte des beschuldigten Verbandes hergeleitet werden können, steht die Verbindung von "Subjektstellung" und dem Recht auf ein faires Verfahren jedenfalls nicht der Anwendung dieses Rechts auf juristische Personen entgegen. (b) Vergleich mit Art. 103 Abs. 1 Auch in anderer Hinsicht spricht die Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 1 GG auf juristische Personen765 für deren Recht auf ein faires Verfahren. Wie bereits oben im Zusammenhang mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz dargestellr166 , zeigt die Anspruchsberechtigung von juristischen Personen im Rahmen des Art. 103 Abs. 1 GG, daß auch ein starker Menschenwürdebezug eines Grundrechts dessen Geltung für juristische Personen nicht entgegensteht. (c) Gefährdete Grundrechte der juristischen Person Was die vom Bundesverfassungsgericht zur Begrundung des Grundsatzes des fairen Verfahrens herangezogenen Grundrechte angeht, so sind diese zwar nicht auf juristische Personen anwendbar, doch ist auch der Verband im Strafverfahren der Bedrohung von grundrechtlich geschützten Rechtsgütern ausgesetzt. Je nachdem, welche Sanktionen in Betracht kommen, geht es im Strafprozeß darum, Eingriffe in Art. 14 (Geldstrafe), Art. 12 (Auflösung, Tätigkeitsbeschränkung oder Unternehmenskuratel) oder auch Art. 2 Abs. 1 GG vorzubereiten. Soweit das Verfassungsgericht mit seiner Betonung von Art. 2 Abs. 2 GG auf die Funktion der 764 765 766

3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) bb). Vgl. oben 3. Teil 3. Abschnitt A. 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) aa) (2) (a).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

247

Grundrechte Bezug nehmen wollte, wonach Grundrechtsschutz schon durch und im Verfahren zu gewähren ise67 , muß Entsprechendes bei Verfahren gelten, bei denen Eingriffe in andere Grundrechte Gegenstand der Entscheidung sind. Soll aus dem grundrechtliehen Verfahrensbezug das Recht auf ein faires Verfahren hergeleitet werden768 , so muß dies auch für andere, den juristischen Personen zustehende Grundrechte gelten. 769 (d) Strafanspruch und materielle Wahrheit Sofern das Bundesverfassungsgericht für die Begrundung des Rechts auf ein faires Verfahren auf das zentrale Anliegen des Strafprozesses, die Ermittlung des wahren Sachverhalts zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips eingeht770, läßt sich diese Argumentation auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen übertragen. Die Erforschung des wahren Sachverhalts muß, wie oben betont771, auch hier das Ziel sein. (e) Insbesondere: Recht auf Verteidigerbeistand Demnach hat auch die beschuldigte juristische Person grundsätzlich ein Recht auf ein faires Verfahren. Der Gesetzgeber hat diese Prozeßmaxime bei Entwicklung eines Verbandsstrafverfahrensrechts zu beachten. Konkret auf das Recht auf Verteidigerbeistand bezogen ist noch zu ergänzen, daß auch für diese Einzelgewährleistung des Grundsatzes des fairen Verfahrens einer Übertragung auf Verbände nichts entgegensteht. So wird das Recht auf Beistand eines Verteidigers im Zusammenhang damit gesehen, daß der Beschuldigte zur Wahrung seiner Rechte die Möglichkeit haben müsse, auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen. 772 In einem fachjuristisch ausgerichteten Straf- und Strafverfahrensrecht setzt die sachgerechte Ausübung und Geltendmachung der Beschuldigtenrechte - die auch die beschuldigte juristische Person innehat - einen sachkundigen Experten voraus. 773 Es ist zusätzlich zu bedenken, daß ein Verteidiger in einem Strafverfahren, welches das Ziel hat, den wahren Sachverhalt auf justizförmigem Weg zu erforschen, der Kontrolle von Gericht, Staatsanwalt und anderen Verfah767 Vgl. Hili, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 156 Rn. 20m. w. N.; Rupp, AöR 101 (1976), 186; vgl. auch Lorenz, NJW 1977, 872, zum Zusammenhang zwi-

schen Grundrechten und Verfahrensvorschriften im Zivil- und Verwaltungsprozeßrecht. 768 So Hili, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 156 Rn. 20m. w. N. 769 Insoweit ebenso Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 163 f., der zudem auf die Funktion der Verfahrensfaimeß als Voraussetzung der Konfliktlösung durch das Strafverfahren hinweist. no BVerfGE 57, 250, 275. 771 Oben 3. Teil I. Abschnitt B. II. 112 BVerfGE 63, 380, 390 f. m Vgl. Rieß, in: Festschrift für Bundesministerium der Justiz, S. 404.

248

3. Teil: Prozessuale Probleme

rensbeteiligten dienen kann774 - und das besser als der weniger sachkundige Beschuldigte. Es ist nicht ersichtlich, warum es bei Verfahren gegen juristische Personen, deren Vertretungsorgane in aller Regel nicht Experten auf dem Gebiet des Strafrechts sein werden, keiner derartigen sachkundigen Unterstützung und Kontrolle bedürfte. Insoweit ist der oben dargestellten 775 Rechtsprechung zur Geltung des 6. Zusatzartikels zur US-amerikanischen Verfassung zuzustimmen. (3) Zwischenergebnis

Das Recht auf ein faires Verfahren steht juristischen Personen im Strafverfahren zu. Das gilt auch und insbesondere soweit, als daraus das Recht auf Verteidigerbeistand hergeleitet wird.

cc) Fazit Sowohl dann, wenn man das Recht auf Verteidigerbeistand als Einzelverbürgung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ansieht, als auch dann, wenn man in ihm eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren erblickt, gilt dieses verfassungsrechtlich verbriefte Recht ebenfalls für juristische Personen und andere Personenvereinigungen. Das bedeutet bislang aber nur, daß sich auch beschuldigte juristische Personen eines Verteidigers bedienen können müssen, wenn sie den Beistand für erforderlich halten. Ob in manchen Fällen aus dem Rechtsstaatsprinzip auch die Notwendigkeit der Verteidigung folgr1 76, ist eine andere, im Anschluß zu untersuchende Frage.

b) Einfachgesetzliche Ausprägungen

Das (Grund-)Recht des Verbandes auf Verteidigerbeistand im Verfahren ist im folgenden darauf zu untersuchen, inwieweit sich größere Einschränkungen oder auch nur Modifizierungen gegenüber den Regelungen für natürliche Personen ergeben können.777

Zur Kontrollfunktion des Verteidigers vgl. nur Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 4 Rn. 31 . Vgl. 3. Teil 3. Abschnitt C. I. I. a). 776 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 316. 777 Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, daß z. B. das standesrechtliche Verbot, als Syndikusanwalt im Verfahren für den ständigen Dienstherrn als Prozeßanwalt - und damit auch als Verteidiger - aufzutreten (§ 46 BRAO), im gleichen Umfang für juristische wie für natürliche Personen gelten muß; vgl. hierzu auch Wrage-Molkenthin I Bauer. in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Tz. 64 m. w. N. 774

775

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

249

aa) Notwendige Verteidigung und Pflichtverteidigung Die geltende Strafprozeßordnung sieht in § 140 für bestimmte Fälle, die in Abs. I katalogmäßig und in Abs. 2 in Form einer Generalklausel erfaßt sind, die notwendige Verteidigung des Beschuldigten vor. Sofern dieser nicht selbst einen Verteidiger wählt, wird ihm - ohne Rücksicht auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse778- ein Pflichtverteidiger bestellt(§ 141 StPO). Es stellt sich die Frage, ob sich Fälle der notwendigen Verteidigung - mit der Folge der Beiordnung eines Verteidigers, sofern die juristische Person sich nicht selbst einen gewählt hat - auch in einem Strafverfahren gegen juristische Personen vorstellen lassen und, wenn ja, in welchen Situationen eine derartige Verteidigung erforderlich wäre. Insbesondere gibt dabei auch zu denken, daß beispielsweise in den USA die Pflichtverteidigung von Unternehmen im Falle der Armut nicht für notwendig gehalten wird. Der Frage der Übertragbarkeit der geltenden Regeln der notwendigen Verteidigung und der Voraussetzungen der Beiordnung eines Verteidigers auf ein Strafverfahrensrecht für Verbände wird man sich wiederum mit einem Blick auf Sinn und Zweck dieser Regelungen nähern können. Die Pflichtverteidigung ist zunächst von der Prozeßkostenhilfe zu unterscheiden. Zwar sind sich diese beiden Einrichtungen ähnlich, da beide grundsätzlich aus der Staatskasse bezahlt werden, doch die Zwecke sind verschieden 779 : Die Prozeßkostenhilfe wird als eine Art Sozialhilfe für das Prozeßrecht bewertet780, die gewährt wird, um unbemittelten Parteien nicht unter Mißachtung des Gleichheitsgebots die Prozeßführung zur Durchsetzung ihrer Rechte unmöglich zu machen 781 . Dieses Gebot des sozialen Rechtsstaats läßt sich auf juristische Personen nicht übertragen, da es vor allem "der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde" dient und als Gebot sozialer Solidarität darauf bezogen ist, "helfend einzugreifen, wenn sich der Mensch bemüht, zu seinem Recht zu kommen". 782 In diesem Bereich ist es zulässig, juristische Personen anders zu behandeln als natürliche 783 , so wie es in § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO geschehen ist.

778 S. Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, § 140 Rn. I,§ 141 Rn. 1m. w. N.; vgl. aber die laut Bundesverfassungsgericht erforderliche Erweiterung von § 140 Abs. 2 auf Fälle, in denen der Beschuldigte sich keinen Verteidiger leisten kann, ohne einen solchen ein faires Verfahren aber nicht gewährleistet wäre, BVerfGE 46, 202, 210 f.; 63, 380, 390 f. 779 Schorn, Der Strafverteidiger, S. 41; Wasserburg, GA 1982, 305; zu den unterschiedlichen Zwecken auch BGHSt 3, 395, 397 f. no BVerfGE 35, 348, 355. 781 Zöller I Phillipi, ZPO, Vor§ 114 Rn. 2m. w. N. 782 Vgl. BVerfGE 35, 348, 355 f. 783 Vgl. Jsensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht V,§ 118 Rn. 15: Soweit es um den Schutz des sozialen Status des Menschen gehe, sei die Ungleichbehandlung von juristischen und natürlichen Personen zulässig.

250

3. Teil: Prozessuale Probleme

Der Sinn der notwendigen Verteidigung wird demgegenüber vor allem als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips und dies insbesondere in seiner Ausgestaltung als Gebot der fairen Verfahrensführung angesehen. 784 Dazu, daß der Beschuldigte in einem rechtsstaatliehen Verfahren nicht nur Objekt sein darf, sondern ihm die Möglichkeit gegeben werden muß, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen, gehöre auch, daß er dann, wenn er die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand erhalte. 785 Die Möglichkeit der Bestellung eines Strafverteidigers diene dem Interesse der Rechtsgemeinschaft an der ordnungsgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Ziel eines richtigen und gerechten Urteils. 786 Soweit daneben auch als Hintergrund für die Pflichtverteidigerbestellung die sozialstaatlich begründete Fürsorge für den mittellosen Beschuldigten787 bzw. als Aufgabe der notwendigen Verteidigung die Herstellung sozialstaatlich geforderter Chancengleichheit788 genannt wird, bedeutet dies nicht, daß die Beiordnung als eine Prozeßkostenhilfe anzusehen wäre, die es im Strafverfahren nicht gibt789. Das ergibt sich daraus, daß ein Pflichtverteidiger nur in Fällen der notwendigen Verteidigung bestellt wird; in den Fällen der kleineren und mittleren Kriminalität muß sich der Beschuldigte einen Verteidiger wählen, was er im Falle der Armut nicht kann. So kann es also zwar bei schwereren, von § 140 StPO umfaßten Fällen als eine Auswirkung der Pflichtverteidigerbestellung angesehen werden, daß der mittellose Beschuldigte im Vergleich zum wohlhabenden nicht übermäßig790 schlechter gestellt wird; sofern jedoch die oben genannten rechtsstaatliehen Gründe die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten, tritt der Aspekt der finanziellen Verhältnisse und der sozialen Chancengleichheit in den Hintergrund. 791

784 BVerfGE 39, 238, 243 (rechtsstaatliches Strafverfahren); 46, 202, 210; 63, 380, 391 ; 65, 171, 174 f.; 70, 297, 323; Kleinknecht/Meyer-Goßner. StPO, § 140 Rn. I ; KK-StPOLaufhütte, § 140 Rn. 1. 785 BVerfGE 46, 202, 210; 39, 238, 243. 786 Fezer. Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 31. 787 So F ezer. Strafprozeßrecht, Fall 4 Rn. 31. 788 Rieß, StV 1981, 461, dabei ist dies bei ihm als Befund der tatsächlichen Aufgaben des Instituts der notwendigen Verteidigung zu sehen, die er von der "Armenrechtsersatzfunktion" befreien möchte. Stattdessen denkt er über die Übertragung einer entsprechend angepaßten Prozeßkostenhilfe in das Strafverfahren nach. 789 Fezer. Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 35. 790 Eine Schlechterstellung kann darin gesehen werden, daß ein Pflichtverteidiger vom Gericht "aufgedrängt" wird (so Rieß, StV 1981, 461), während der Wohlhabende sich seinen Verteidiger wählen kann; dies istjedoch durch Hinzufügung von§ 142 Abs. I S. 3 StPO weitgehend entschärft worden. 791 Vgl. auch Rieß, StV 1981, 461 : Die entstehungsgeschichtlichen und ideologischen Wurzeln der notwendigen Verteidigung lägen im ,,rechtsstaatlichen Gedankengut"; BGHSt 3, 395, 398.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

251

Versteht man demnach die notwendige Verteidigung und ihren Unterfall der "Pflichtverteidigung" vor allem als Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, so steht einer umfassenden Übertragung auf das Strafverfahren gegen juristische Personen nichts entgegen. Auch hier kann zur Gewährleistung der Durchführung eines fairen Verfahrens, in dem die Rechte des Beschuldigten sich effektiv entfalten können sollen, ein Verteidiger unbedingt erforderlich sein. Solange es bei der Beiordnung eines Verteidigers nicht vorrangig um die Frage der Mittellosigkeit des Beschuldigten geht, sondern um das Interesse der Rechtsordnung an einem justizförmigen Verfahren, in dem der Beschuldigte die Möglichkeit haben soll, seine Rechte auszuüben, und nicht die mangelnde Kenntnis dieser Rechte für eine zügige Entscheidung zu seinen Ungunsten ausgenutzt wird, sind sachliche Griinde für eine unterschiedliche Behandlung von beschuldigten natürlichen und beschuldigten juristischen Personen nicht zu erkennen. Zudem läßt sich hier ein Gedanke fruchtbar machen792 , der gegen eine Selbstverteidigung von beschuldigten natürlichen Personen von Welp793 formuliert wurde: Danach ist der Beschuldigte als Interpret seiner Interessen aufgrund der fehlenden Distanz zur Tat und zum Tatvorwurf wenig geeignet. 794 Beim Verband kann es zu ähnlichen Problemen kommen, auch wenn er im Prozeß von Organen vertreten wird. Ein Verteidiger als völlig Unbeteiligter kann ein besserer Fürsprecher sein, weil er eine größere Distanz zu der Tat der juristischen Person haben wird als der organschaftliehe Vertreter, der zumindest mittelbar von Schuldvorwurf und drohender Sanktion betroffen ist. Zu bestimmen ist abschließend nur noch, in welchen Fällen der Verteidigerbeistand für ein rechtsstaatliches, faires Verfahren gegen juristische Personen unabdingbar sein wird. Aus § 140 StPO lassen sich drei übergeordnete Gesichtspunkte für die Notwendigkeit der Verteidigung ableiten, nämlich die Sanktionsschwere, die komplizierte Verfahrenslage und die eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstverteidigung.795 Diese Anhaltspunkte sind auch für eine Regelung in einem Strafverfahren gegen juristische Personen heranzuziehen. Je nach Ausgestaltung der Verbandssanktionen kann hier ebenfalls die Sanktionsschwere die Notwendigkeit der Verteidigung begriinden, z. B. bei drohender Auflösung. Zwar wirkt diese nicht so schwerwiegend wie die Freiheitsstrafe, die bei den von § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO umfaßten Verbrechen droht. Doch die möglichen sozialen Folgen einer solchen Auflösung beispielsweise auf Arbeitnehmer rechtfertigen insofern eine ähnliche Ausgestaltung der notwendigen Verteidigung. Weiterhin sind auch - und mögliSo schon für das geltende Recht Rieß, StV 1981, 462 bei und in Fn. 22. ZStW 90 (1978), 814. 794 Welp, ZStW 90 (1978), 814, der im übrigen (ZStW 90 (1978), 101 ff.) dem Institut der notwendigen Verteidigung gerade mit Blick auf das Autonomieprinzip kritisch gegenübersteht (ZStW 90 (1978), S. 115 ff.); kritisch auch Lüderssen, NJW 1986, 2742 ff., der die Pflichtverteidigung in Form einer "aufgezwungenen Verteidigung wegen Autonomiedefizits beim Klienten" restriktiv auslegen (S. 2742, 2744) und den Schwerpunkt der Pflichtverteidigung, den er beim Geldmangel sieht, großzügig handhaben möchte. 795 Vgl. Rieß, StV 1981,461. 792 793

252

3. Teil: Prozessuale Probleme

eherweise gerade - im Verbandsstrafverfahren komplizierte Verfahrenslagen denkbar, in denen juristische Personen neben ihren Vertretungsorganen eines Verteidigers bedürfen, um ihre Rechte entsprechend ausüben zu können. Denn wie bereits angedeutet, ist nicht davon auszugehen, daß in jedem Personenverband genügend Sachkunde auch im Hinblick auf die Strafverteidigung vorhanden ist. Lediglich die Fälle der eingeschränkten Fähigkeit zur Selbstverteidigung lassen sich nicht übertragen, da sie vor allem die Verteidigungsunfähigkeit aufgrund mangelnder geistiger Fähigkeiten und wegen gesundheitlicher Probleme im Blickfeld haben796. Im Ergebnis muß es eine notwendige Verteidigung also auch für juristische Personen - und zwar unabhängig von ihrer finanziellen Situation - geben. Dieser Befund entspricht weitgehend der Regelung für das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen, wobei dort nicht von notwendiger Verteidigung, sondern lediglich von der Beiordnung eines besonderen Vertreters die Rede ist. Die Abweichung der Voraussetzungen des § 434 Abs. 2 StPO gegenüber dem hier gemachten Vorschlag erklärt sich zum einen dadurch, daß es weder bei der Festsetzung von Geldbußen noch bei der Einziehung, auf die sich § 434 StPO unmittelbar bezieht, um so schwerwiegende Sanktionen wie die "echte" Strafe geht, so daß dort auf die Sanktionsschwere keine Rücksicht genommen werden muß. Zum anderen ist das in § 434 Abs. 2 StPO enthaltene Merkmal der Unfähigkeit, die Rechte selbst wahrzunehmen, damit zu erklären, daß als Einziehungsbeteiligte auch natürliche Personen in Frage kommen, bei denen Krankheit und geistige Schwächen 797 auftreten können. 798 Lediglich insoweit, als unter jenes Merkmal auch die Abwesenheit fällt, kann diese Voraussetzung auf das Strafverfahren gegen juristische Personen übertragen werden. Denn jedenfalls dann, wenn eine Anwesenheitspflicht der juristischen Person bejaht wird799, könnte bei Abwesenheit des Vertreters die Beiordnung notwendig sein. bb) Rechte des Verteidigers Aus dem Recht auf Verteidigerbeistand folgen im Strafverfahrensrecht für natürliche Personen verschiedene Rechte des Verteidigers, durch die der Beschuldigte in seiner Rolle als aktiver Verfahrensbeteiligter unterstützt wird. 800 Zu nennen sind hier insbesondere das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers, das einfachgesetzlich 796 Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner; StPO, § 140 Rn. 30; vgl. auch die Darstellung bei Lüderssen, NJW 1986,2745. 797 Vgl. AK-StPO-Günther § 434 Rn. 12; LR-Gössel, § 434 Rn. 11 . 798 Wenn also in der Entwurfsbegründung zu § 444 StPO zu lesen ist, daß die Vorschriften über das Verfahren bei der Einziehung sinngemäß gelten, soweit dies sachgemäß ist (Bundestagsdrucksache V I 1319 S. 83), wird man hier insoweit eine Einschränkung vornehmen müssen. 799 Dazu unten 3. Teil3. Abschnitt F. II. 2. b) bb). 800 V gl. Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 24 f.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

253

durch § 147 StPO gewährleistet wird, Anwesenheitsrechte und das in § 148 StPO vorgesehene Recht auf freien Verkehr mit dem Beschuldigten. Im einzelnen bedeutet dies für die Übertragung auf ein Verfahren gegen juristische Personen folgendes: Das Akteneinsichtsrecht, das als "Kernstück der Verteidigung" bezeichnet wird801 , wird auf verschiedene rechtsstaatliche Prinzipien zurückgeführt. Das Bundesverfassungsgericht und ein Teil der Literatur sehen in ihm einen Ausdruck des Anspruchs auf rechtliches Gehör i. S. d. Art. 103 Abs. 1 GG. 802 Daneben wird das Recht auch aus dem Rechtsstaatsprinzip und dessen Ausprägung in Fonn des Rechts auf ein faires Verfahren803 und aus Art. 6 Abs. 3, Abs. 1 EMRK804 hergeleitet, so daß es nicht nur gegenüber dem Gericht, sondern auch gegenüber der Staatsanwaltsanwaltschaft eingreifen kann 805 . Überwiegend wird das Recht auf Akteneinsicht als eines des Beschuldigten angesehen, das durch den Verteidiger ausgeübt wird806 und nach Rechtsprechung des EGMR jedenfalls bei Eigenverteidigung auch durch den Beschuldigten selbst807 . Zum Teil wird in ihm aber auch ein eigenes Recht des Verteidigers erblickt, das dieser im Interesse des Beschuldigten wahrnimmt. 808 Da sowohl Art. 103 Abs. I GG als auch das Recht auf ein rechtsstaatliches und faires Verfahren sowie Art. 6 EMRK auf juristische Personen im Strafverfahren anwendbar sind, läßt sich auch ihr Recht auf Akteneinsicht, das unter Umständen durch den Verteidiger ausgeübt wird, bzw. ein (auch) eigenes Akteneinsichtsrecht des Verteidigers begründen. Soweit dem Verteidiger im Strafverfahren gegen natürliche Personen Anwesenheitsrechte gewährt werden, geschieht das, um eine effektive Verteidigung zu ennöglichen. Das Recht auf Anwesenheit kann somit aus dem Recht auf Verteidigerbeistand hergeleitet werden 809 und ist damit ohne weiteres auf den Verteidiger einer juristischen Person zu übertragen. LR-Lüderssen, § 147 Rn. Im. w.. N. BVerfGE 18, 399, 405; auch BVerfGE 63, 45, 61 f.; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 134; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 18; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 12, 15; Wrage-Molkenthin/Bauer, in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Tz. 68; Schmidt-Aßmann, in: MaunziDürigiHerzog, GG, Art. 103 Rn. 74; Rüping, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 103 Abs. I Rn. 29m. w. N. 803 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 4 m. w. N.; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 4 Rn. 12; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 337 m. w. N.; Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 216, mit Herleitung auch aus dem Grundsatz der Waffengleichheit. 804 EGMR, NStZ 1998, 429. 805 Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 337; vgl. auch EGMR, NStZ 1998, 429. 806 LR-Lüderssen, § 147 Rn. 9 (dort Rn. 6 ff. auch ausführliche Kritik dazu, daß dem Beschuldigten selbst nach § 147 StPO nicht die Akteneinsicht gewährt wird); zustimmend Schmidt-Aßmann, in: Maunz I Dürig I Herzog, GG, Art. I 03 Rn. 74; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 12. 807 EGMR, NStZ 1998,429. 808 Beulke, Der Verteidiger, S. 142; ähnlich auch Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 337. 801

802

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Ebenso ist der freie Verkehr mit dem Beschuldigten als unabdingbare Voraussetzung der Verteidigung anzusehen. 810 Zum Wesen der Verteidigertätigkeit gehört auch die Freiheit von staatlicher Aufsicht und Kontrolle; die "riickhaltlose Offenheit" des Beschuldigten, die für eine effektive Verteidigung notwendig ist, würde unmöglich gemacht, wenn die geringste Gefahr bestünde, daß die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von den Äußerungen des Beschuldigten gegenüber seinem Verteidiger bekommen könnten. 811 Im Grundsatz ist dies auch auf juristische Personen und ihre Verteidiger zu übertragen. Dabei stellen sich mangels der Möglichkeit, Untersuchungshaft gegen die juristische Person anzuordnen und an ihren organschaftliehen Vertretern zu vollstrecken812, nicht die Probleme des Verkehrs mit dem inhaftierten Beschuldigten, welche die Relevanz von § 148 StPO vor allem ausmachen. Aber soweit die Bedeutung des § 148 StPO bei nicht inhaftierten Beschuldigten darin gesehen wird, daß der Verkehr vor heimlicher Überwachung zu schützen ist813, gilt dies auch hier. Näherer Betrachtung bedarf hier nur die Frage nach der persönlichen Reichweite dieses Rechts, die sich anläßlich der oben dargestellten Handhabung im OS-amerikanischen Recht stellt, nämlich ob von dem unter Schutz gestellten Verkehr mit dem Beschuldigten nur die Vertretungsorgane umfaßt sind oder weitergehend alle Angehörigen der juristischen Person. Nach dem oben zur Rollenverteilung Hergeleiteten814 ist grundsätzlich nur die juristische Person selbst Beschuldigte, ihre Rechte kann nur der organschaftliehe Vertreter "als Beschuldigter" ausüben, während die übrigen Verbandsangehörigen als - potentielle - Zeugen zu behandeln sind. Was den besonderen Schutz des Verkehrs zwischen Beschuldigtem und Verteidiger angeht, so ist demnach die Kommunikation mit anderen Verbandsangehörigen oder -mitarbeitern nicht notwendigerweise mit einzubeziehen. Das bedeutet aber nicht, daß diese Korrespondenz völlig schutzlos zu stellen wäre, denn möglicherweise bietet das Anwaltsgeheimnis hier noch besondere Gewährleistungen. In einem Unterpunkt soll darauf etwas näher eingegangen werden.

809 BVerfGE 65, 171, 174 f.; vgl. auch Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand, S. 248: Das Recht auf Anwesenheit müsse als Konkretisierung des Rechts auf Verteidigerbeistand verstanden werden. 810 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 148 Rn. 2 m. w. N.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 103 Rn. 111; Beulke, Strafprozeßrecht Rn. 153, meint, daß diese sozusagen das "Grundrecht" einer am Rechtsstaatsprinzip orientierten Verteidigung sei. 811 Fezer, Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 57. 81 2 Dazu näher unter 3. Teil 3. AbschnittE. I. l. 81 3 LR-Lüderssen, § 148 Rn. 5; Fezer, Strafprozeßrecht, Fa114 Rn. 57. 814 Vgl. oben 3. Tei12. Abschnitt C. II. 4., 5.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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3. Zusammenfassung

In einem Strafverfahren hat auch eine juristischen Person das Recht auf anwaltliehen Beistand, wobei dem Verteidiger grundsätzlich dieselben Rechte zustehen wie im Individualstrafverfahren. In bestimmten Fällen, nämlich bei besonderer Schwere der drohenden Verbandssanktion und bei einer komplizierten Verfahrenslage, ist der Verteidigerbeistand auch bei juristischen Personen notwendig im Sinne des § 140 StPO.

II. Vertraulichkeit des Verkehrs zwischen Verteidiger und juristischer Person 1. Andere Rechtsordnungen

Ein größeres Thema ist in den Vereinigten Staaten von Amerika und im Europäischen Gemeinschaftsrecht der Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandanten, und zwar auch dann, wenn es sich bei dem Mandanten um ein Unternehmen handelt.

a) Vereinigte Staaten von Amerika815

In den USA wird die Frage, inwieweit sich Unternehmen auf einen Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten berufen können, unter dem Begriff "attorney-client-privilege" diskutiert, der aus dem Common Law stammt. Danach ist es den Strafverfolgungsbehörden - und auch dem Gegner in Zivilverfahren -grundsätzlich versagt, vertrauliche Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Klienten übergeben wurden, herauszuverlangen oder Informationen über die Höhe der Gebühren, die dem Anwalt gezahlt werden, zu erzwingen. 81 6 Während einzelne Gerichte vertreten haben, daß Unternehmen das Privileg gar nicht zustehe 817, wird dieses Recht allgemein auch Unternehmen zugebilligt. Diskussionen hat es jedoch vor allem über die Frage gegeben, welche natürlichen Personen innerhalb des Unternehmens in diesem Zusammenhang den "Mandanten" ausmachen, d. h. wessen Kommunikation mit dem Verteidiger vom Privileg umfaßt ist. Dabei wurden in einzelnen Gerichtsentscheidungen verschieden weite Grenzen gesteckt: Nach dem sogenannten "control group test" ist der Verkehr des Unternehmensmitarbeiters mit dem Verteidiger geschützt, der - unabhängig von seinem "Rang" in der Unternehmenshierarchie - in einer Position ist, in der er die Entscheidung, wie das Unternehmen auf den Ratschlag des Verteidigers hin han815 816 817

Dazu im einzelnen auch Alfes, Das Anwaltsgeheirnnis, S. 31 ff. und passim. Bailey I Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, S. 34 f. Zum Ganzen Bailey/ Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, S. 41 ff.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

dein wird, mit kontrollieren oder gar mit fällen kann. Dasselbe gelte, wenn er zu einer Gruppe gehört, welche die Entscheidungsgewalt hat. Ein solcher Mitarbeiter personifiziere das Unternehmen, wenn er dem Verteidiger etwas anvertraue. 818 In einer anderen Entscheidung wird die Reichweite des attorney-client-privileges viel großzügiger interpretiert: Immer dann, wenn der Mitarbeiter auf Weisung seiner Vorgesetzten mit dem Verteidiger kommuniziere und wenn es dabei um die Erfüllung von Pflichten des Mitarbeiters in dem Unternehmen gehe, greife der Schutz ein. 819 Auch in der Supreme Court-Entscheidung Upjohn Co. v. United States 820 wird der "control group test" verworfen und die Kommunikation mit allen Mitarbeitern, die relevante Informationen für den Anwalt haben könnten, für geschützt erklärt.

b) Europäisches Gemeinschaftsrecht

Auch im Kartellordnungswidrigkeitenrecht der Europäischen Union wird über den Schutz der Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant diskutiert. Im Jahre 1982 hat der EuGH entschieden, daß aufgrund der gemeinsamen Rechtstradition in den Mitgliedsstaaten die Vertraulichkeit jedenfalls soweit geschützt werde, als der betreffende Schriftverkehr im Rahmen und im Interesse des Rechts auf Verteidigung sowie von einem unabhängigen, d. h. nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebundenen Rechtsanwalt geführt wurde. Dabei sei der gesamte Schriftwechsel in den Schutz mit einzubeziehen, der mit dem Gegenstand des Verfahrens in Zusammenhang stehe. 821 Die Entscheidung betraf die Stellung des Unternehmens im Kartellordnungswidrigkeitenverfahren nach VO 17 I 62, so daß danach die Vertraulichkeit auch zwischen diesem und dem Anwalt geschützt wird. 822

818 Philadelphia v. Wesfinghause Electric Corp. (1962, E.D. Pa) 210 F. Supp. 483 (zitiert nach Bailey/Rothblatt, Defending Business and White Collar Crime, S. 41); Natta v. Hogan, U. S. Court of Appeals (lO'h Circuit), 392 F. 2d 686, 692 (1968). 819 Harper & Row Publishers, Inc. v. Decker, 423 F. 2d 487, 491 f.; Bailey/Rothblatt, Defending Business and White Collar Crimes, S. 42. 820 449 u.s. 383,390 ff. (1981). 821 EuGH, AM&S/Kommission, Slg. 1982, 1575, 1611. 822 Die kritischen Reaktionen auf die Entscheidung betrafen vor allem das Verfahren zur Feststellung, ob es sich bei denjeweiligen Unterlagen um geschützte vertrauliche Dokumente handelt - dazu von Winterfeld, RIW 1992, 527; zustimmend Dannecker, ZStW 111 (1999), 281 f. -,und die Ausnahme der Korrespondenz mit dem Syndikusanwalt des Unternehmens, dazu Gillmeister, Ermitt1ungsrechte, S. 217 f.; zur Kritik vgl. Schwarze, in: Der Gemeinsame Markt, S. 170 ff., der aber selbst der Entscheidung zustimmt, und die Nachweise bei Dannecker, in: Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 2079 Fn. 494.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

257

2. Deutsches Recht

a) Einfachgesetzliche Vorschriften zum Schutz des Vertrauensverhältnisses

Im deutschen Recht ist das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwälten und Mandanten ganz allgemein auf vielfältige Weise geschützt. Die Verletzung von Geheimnissen, die einem Rechtsanwalt oder einem Verteidiger823 im Rahmen seiner Tatigkeit anvertraut wurden oder bekanntgeworden sind, ist durch die Vorschrift des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB mit Strafe bewehrt. Ferner findet das Vertrauensverhältnis Schutz durch prozessuale Zeugnisverweigerungsrechte wie § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO und § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Mit dem strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht korrespondiert das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO. Standesrechtlich sind Rechtsanwälte aufgrund von § 43 a Abs. 2 BRAO zur Verschwiegenheit verpflichtet. b) Notwendigkeit des Schutzes des Vertrauensverhältnisses im Strafveifahren gegen juristische Personen

Das Recht auf Verteidigung, das auch für beschuldigte juristische Personen gelten muß, beinhaltet, daß diese Verteidigung effektiv ist. Zur wirkungsvollen Verteidigung wiederum gehört, daß zwischen Beschuldigtem und Verteidiger ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird, um auf dieser Grundlage möglichst umfassend Informationen sammeln und diese für eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie verwenden zu können. Das gilt im Grundsatz genauso für Personenmehrheiten wie für Einzelpersonen. Der durch StPO, StGB und BRAO gewährleistete Schutz muß daher auch für juristische Personen gelten. Mit Blick auf die Darstellung des US-amerikanischen Rechts stellt sich hier lediglich die Frage, ob der Kontakt von allen Verbandsangehörigen mit dem Verteidiger zu schützen ist, oder ob eine Einschränkung auf das Verhältnis von Verteidiger zu Verbandsvertreter möglich oder gar erforderlich ist. Interessant ist die Frage beispielsweise im Hinblick darauf, ob auch Gespräche des Verteidigers mit einem Angestellten auf unterer Ebene geschützt sein sollen. Ebenso kann die Verwertbarkeit von schriftlichem Material wie beispielsweise Gedächtnisprotokollen zur Vorbereitung des Verfahrens und zur Hilfe bei der Festlegung einer Verteidigungsstrategie, das von nicht als Organen fungierenden Verbandsangehörigen stammt, von der Reichweite des Schutzes der Vertraulichkeit abhängen. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich im deutschen Recht aber bereits weitgehend aus den bestehenden Regeln. Da sich die allgemeine Schweigepflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO auf alles erstrecken, was dem Rechtsanwalt im Rahmen seiner Tätigkeit anvertraut wurde - sei es durch den Mandanten 823 Vgl. zur Unterscheidung in § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3: Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rn. 17.

17 Drope

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3. Teil: Prozessuale Problerne

selbst, sei es durch Dritte824 -, ist im Hinblick auf die Aussage eines Rechtsanwaltes im Strafverfahren in jedem Fall auch das von Unternehmensangehörigen Anvertraute geschützt, die nicht Organe der juristischen Person sind. Wegen der Bedeutung des Vertrauensverhältnisses für eine effektive Verteidigung ist eine abweichende Regelung für ein Strafverfahren gegen juristische Personen nicht denkbar. Dasselbe gilt für das Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO, das an das Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 b StPO angelehnt ist. Hier sind z. B. auch solche Gegenstände nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der Beschlagnahme ausgenommen, die dem Rechtsanwalt von einem Dritten zum Zwecke der Verteidigung übergeben wurden. 825 Im Ergebnis ist das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant unabhängig vom Wesen des Mandanten gleichermaßen und somit umfassend geschützt.

111. Gemeinsame Verteidigung von Individuum und Verband? Sollte eine Verbandsstrafe auf Grundlage derjenigen Verbandsstrafenmodelle eingeführt werden, bei denen die kumulative Strafbarkeit von Verband und Individuum möglich ist, stellt sich die Frage, ob beide - Verband und Individuum - auch nur einen gemeinsamen Verteidiger beauftragen können sollten. Zur Annäherung an dieses Problem soll hier zunächst die Lage im US-amerikanischen Recht kurz dargestellt werden. 1. Vereinigte Staaten von Amerika

In den Vereinigten Staaten von Amerika ist es möglich, daß Individuen und Unternehmen gemeinsam strafrechtlich verfolgt werden. Gemeinsame Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen und seine Organe werden meist durch ein und dieselbe Grand Jury durchgeführt, und wenn es zur Hauptverhandlung kommt 826, ist eine verbundene Verhandlung im Bundesrecht gemäß Rule 8 (b) der Federal Rules of Crirninal Procedure827 erlaubt und auch die Regel. 828 Grundsätzlich ist es 824 Allg. Ansicht, vgl. nur KK-StPO-Senge, § 53 Rn. 16; Tröndle/ Fischer; StGB, § 203 Rn. 7f. 825 OLG Koblenz StV 1995, 570. 826 Allg. zu den einzelnen Phasen des Verfahrens vgl. auch Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten, S. 53 ff., 57 ff. 827 Rule 8 (b) lautet: ,,Joinder of Defendants. Two or rnore defendants rnay be charged in the sarne indictrnent or information if they are alleged to have participated in the sarne act or transaction or in the sarne series of acts or transactions constituting an offense or offenses. Such defendants rnay be charged in one or rnore counts together or separately and all of the defendants need not be charged in each count."

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

259

dabei auch möglich, einen Rechtsanwalt oder eine Kanzlei mit der gemeinsamen Verteidigung zu beauftragen. 829 Die Entscheidung für eine solche gemeinsame Verteidigung liegt dann beim Beschuldigten. Rule 44 (c) 830 sieht jedoch vor, daß das Gericht bei gemeinsamer Verteidigung auf die denkbaren Probleme sowie die Möglichkeit getrennter Verteidigung hinweist und - sofern nicht ersichtlich keine Gefahr von Interessenkonflikten besteht - womöglich Maßnahmen ergreift, die zum Schutze des Rechts eines jeden Beschuldigten auf Verteidigerbeistand angebracht sind. Ob die Regierung oder ein Gericht im Einzelfall die gemeinsame Verteidigung verbieten kann - sei es aus eher fürsorglichen Gründen, weil sonst keine interessengerechte Verteidigung möglich wäre, oder deshalb, weil anderenfalls die Ermittlungstätigkeit oder die Wahrheitsfindung beeinträchtigt würde -, richtet sich nach der Reichweite des 6. Zusatzartikels zur US-amerikanischen Verfassung, aus dem auch abgeleitet wird, daß jeder das Recht hat, vom Verteidiger seiner Wahl verteidigt zu werden. 831 Im Rahmen der Voruntersuchungen vor der Grand Jury wird die Möglichkeit, dieses Recht einzuschränken, für größer gehalten als in der Hauptverhandlung. Wenn in dieser Phase die gemeinsame Verteidigung die Ermittlungen stören würde - zum Beispiel, weil aufgrund der gemeinsamen Verteidigungsstrategie eine "Mauer des Schweigens" dadurch aufgebaut wird, daß alle Angeklagten sich weigern, als Zeugen auszusagen -, soll das öffentliche Interesse gegenüber dem Interesse des einzelnen an der Wahl seines Verteidigers überwiegen. 832 In der darauffolgenden Verfahrensstufe, beim sogenannten trial, soll dagegen in der Regel das Recht auf Verteidigung und das abgeleitete Recht auf freie Wahl des Verteidigers mehr Gewicht haben als das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung. In diesem Verhandlungsstadium geht es eher um die Frage, ob nicht zugunsten des Angeklagten Interessenkonflikte vermieden werden müssen. 833 Zum Schutze des Angeklagten kann dann die getrennte Verteidigung angeordnet werden. 834 Zwar könne die Wahl eines gemeinsamen Verteidigers bei einem Interessenkonflikt zuungunsten des Angeklagten mit einem Verzicht auf einen Ver828 Vgl. Note (ohne Verfasserangabe), Harvard Law Review 92 (1979), 1293 f., dort mit Fn. 97. 829 Vgl. Note (ohne Verfasserangabe), Harvard Law Review 92 (1979), 1294. 830 Rule 44 (c) lautet: ,,Joint Representation. Whenever two or more defendants have been jointly charged pursuant to Rule 8 (b) or have been joined for trial pursuant to Rule 13, and are represented by the same retained or assigned counsel or by retained or assigned counsel who are associated in the practice of law, the court shall promptly inquire with respect to such joint representation and shall personally advise each defendant of the right to the effective assistance of counsel, including separate representation. Unless it appears that there is good cause to believe no conflict of interest is likely to arise, the court shall take such measures as may be appropriate to protect each defendant's right to counsel." 831 Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1295 f. 832 Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1297 f. 833 Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1298. 834 Gruner, Corporate Crime and Sentencing, S. 329 f. m. w. N. dort in Fn. 161.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

teidiger gleichgesetzt werden, wobei ein solcher Verzicht grundsätzlich möglich ist, wenn der Angeklagte die Lage überblickt. 835 Trotzdem kann das Gericht sich weigern, einen derartigen Verzicht zu akzeptieren, wenn sonst - aufgrund der drohenden Interessenkonflikte - die Integrität des gesamten Strafverfahrens gefährdet würde. 836 2. Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen

Wie man an der dargestellten Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika erkennen kann, steckt in der gemeinschaftlichen Verteidigung von Verband und Individualtäter KonfliktpotentiaL Wie diese Situation in einem zukünftigen Strafverfahren gegen juristische Personen zu regeln ist, soll hier mithilfe eines Blickes auf die Lage im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG untersucht werden. Im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße ist § 146 StPO über §§ 444 Abs. 2 S. 2 i. V. m. 434 Abs. 1 S. 2 StP0837 entsprechend anwendbar. Durch§ 146 StPO ist die gleichzeitige Verteidigung von mehreren Beschuldigten wegen einer Tat oder in demselben Verfahren verboten. Durch dieses Verbot soll der Beschuldigte davor geschützt werden, daß sein Verteidiger in einen Interessenkonflikt gerät; ein derartiger Konflikt würde seine Beistandsfunktion beeinträchtigen. 838 Soweit sich die gleichzeitige anwaltliehe Vertretung 839 auf mehrere juristische Personen oder Personenvereinigungen bezieht, ist das Eingreifen des Verbotes des § 146 StPO allgemein anerkannt. 840 Im Hinblick auf die gemeinschaftliche Verteidigung von Verbands- und jeweils betroffener Individualperson besteht keine Einigkeit, obschon die ganz überwiegende Ansicht einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 841 zustimmt. 842 Für das Bußgeldverfahren gegen eine natürliche Person und für das damit verbundene Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung stellt Vgl. Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1298, 1296. Note, Harvard Law Review 92 (1979), 1298. 837 Bei der Festsetzung einer Geldbuße als Folge einer Ordnungswidrigkeit i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. 838 BVerfGE 45, 354, 358. 839 § 434 StPO spricht nicht von "Verteidigung", sondern von "vertreten lassen". 840 Vgl. Göhler, OWiG, § 88 Rn. 14; KK-OWiG-Boujong, § 88 Rn. 15; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, § 444 Rn. 12; LR-Gössel, § 444 Rn. 32. DRiZ 1977, 841 BVerfGE 45, 272, 288; vgl. zuvor auch schon BGH NJW 1977, 156 24, 25. 842 So LR-Gössel, § 444 Rn. 32; Kleinknecht! Meyer-Goßner, StPO, § 444 Rn. 12; KKStPO-Boujong, § 444 RN. 8; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 180; KMR-Paulus, § 444 Rn. 8; AK-StPO-Keller, § 444 Rn. 9; Fischötter, in: Gemeinschaftskommentar GWB, Vorb. §§ 81 85 Rn. 42; OLG Stuttgart WuW /E OLG 2735, 2736. 835

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3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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das Verfassungsgericht in jener Entscheidung fest, daß die gemeinschaftliche Verteidigung von "persönlich Betroffenem" und "nebenbetroffenem"843 Verband bei sinngemäßer Anwendung von § 146 StPO nicht ausgeschlossen sei, da die Verurteilung der juristischen Person oder Personenvereinigung mit Ausnahme der Regelung in § 30 Abs. 4 OWiG von der Verurteilung des persönlich Betroffenen abhänge. 844 Dies läßt sich nur damit erklären, daß das Gericht für diesen Fall der akzessorischen Betroffenheit davon ausgegangen ist, daß es grundsätzlich keinerlei Interessenkonflikte bei der Mehrfachverteidigung geben kann. Das entspricht dem, was die Beschwerdeführer in jenem Verfahren geltend gemacht hatten: In einem Verfahren gegen ein Unternehmen und die Organe bestehe "absolute Identität der Interessen aller Betroffenen". 845 In dieselbe Richtung ging auch die in der Entscheidung zitierte Stellungnahme des Kammergerichts. 846 Kritische Stimmen oder überhaupt eine kritische Auseinandersetzung dazu finden sich nur ganz vereinzelt. 847 Tiedemann vertritt die Ansicht, daß seit der Neufassung des § 30 OWiG im Jahre 1986, im Rahmen dessen der Begriff "Nebenfolge" gestrichen wurde848 , auch die Mehrfachverteidigung von Organ und Verband wegen derselben Tat ausgeschlossen sei. 849 Dem halten wiederum Wrage-Molkenthin I Bauer entgegen, daß sich mit der besagten Neufassung nichts daran geändert habe, daß die Verurteilung einer juristischen Person oder Personenvereinigung von der Verurteilung eines persönlich Betroffenen abhänge, so daß auch heute noch die verfassungsgerichtliche Entscheidung relevant sei. 850 Mit anderer Begrundung bezweifelt Göhler die Zulässigkeit der Mehrfachvertretung von organschaftlichem Vertreter und Verband. Unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Düsseldo~51 geht er von der Unzulässigkeit der gleichzeitigen Vertretung des Einziehungsbeteiligten und Verteidigung des Beschuldigten im seihen Verfahren aus und zieht daraus den Schluß, daß eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen

843 Nach heutiger Terminologie ist die juristische Person "Nebenbetei1igte", vgl. Göhler; OWiG, § 88 Rn. 1. 844 BVerfGE 45, 272, 288. 845 BVerfGE 45, 272, 276. 846 BVerfGE 45, 272, 286. 847 Was verwunderlich ist, wird doch die Vertretung durch den Individualbeschuldigten überwiegend wegen des Auftretens von Interessenkonflikten für unzulässig gehalten, vgl. oben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 2.; kritisch daher auch Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 209, der jedoch nur auf die Problematik der Vertretung des Verbandes durch den Individualtäter näher eingeht. 848 Nach Ansicht von Tiedemann, NJW 1988, 1169 ff., 1171; Schroth, wistra 1986, 162; Wolfram Bauer; WuW 1989, 304 f.; Wrage-Molenthin!Bauer, in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Tz. 50, 67, ist damit aus der Geldbuße nach§ 30 OWiG eine echte Hauptsanktion geworden; vgl. zu den Änderungen auch oben 1. Teil 1. Abschnitt B. I. 849 Tiedemann, in: Imrnenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 50. 850 Wrage-Molenthin!Bauer; in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Rn. 67. 85t NStZ 1988, 289.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

"Nebenbeteiligten" - juristische Person, Personenvereinigung, Einziehungs- und Verfallsbeteiligter - nicht gerechtfertigt sei. 852 3. Zukünftiges Strafverfahrensrecht für juristische Personen

Für ein zukünftiges Strafverfahrensrecht, in dem auch juristische Personen Beschuldigte sein können, stellt sich die Frage, ob entsprechend der eben dargestellten Verfassungsrechtsprechung die gemeinsame Verteidigung von Verband und Individualtäter- soweit eine kumulative Strafbarkeit vorgesehen wird- zulässig sein soll oder ob dabei entstehende Interessenkonflikte zu einem Verbot der Mehrfachverteidigung entsprechend § 146 StPO führen sollten. Zur Beantwortung dieser Frage wird man sich an der geltenden Regelung des § 146 StPO orientieren müssen. Auch wenn diese Vorschrift seit ihrer Einführung im Jahre 1974 und auch in ihrer aktuellen Fassung einiger Kritik ausgesetzt gewesen ist853 , kann sie im vorliegenden Zusammenhang zumindest dazu dienen, Leitlinie für die Feststellung von Situationen mit potentiellen Interessenkonflikten zu sein. Im folgenden soll daher untersucht werden, inwieweit Interessenkonflikte auftreten können, die mit denen vergleichbar sind, vor welchen§ 146 StPO den Beschuldigten schützen soll. In einem zweiten Schritt wird die Frage beantwortet, ob die Folge dieser möglichen Interessenkonflikte dieselbe sein muß wie im Individualstrafverfahren. a) Mögliche Interessenkonflikte

Bei der Frage, ob im Falle gleichzeitiger Verteidigung von Individuum und Verband Interessenkollisionen denkbar sind, die den Verteidiger in einen zu vermeidenden Interessenkonflikt stürzen können, kann im Ausgangspunkt das aufgegriffen werden, was bereits oben zur Problematik der Vertretung des Verbandes durch den Individualtäter dargelegt wurde. 854 Danach sind Interessenkollisionen auf vielfältige Weise vorstellbar: Bei einem Verbandsstrafenmodell, das § 30 OWiG entspräche, könnte es zu Konflikten kommen, wenn der Individualtäter nicht "als" Organ etc. gehandelt hat. Ebenso sind bei anderen akzessorischen Verbandsstrafenmodellen, bei denen neben der Individualtat zusätzliche Erfordernisse wie die Verletzung von Untemehmenspflichten 855 , Vorteile für das Untemehmen 856 oder als eigener Verschuldensaspekt der Korporation die "Vermeidbarkeit" 857 aufgestellt Göhler. OWiG, § 88 Rn. 14. Vgl. nur LR-Lüderssen, § 146 Rn. I ff., insb. 26 ff. zur aktuellen Regelung. 854 V gl. oben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 2. 855 So Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 223; Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 239. 856 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 239. 857 Hirsch, ZStW 107 (1995), 3 I 6, der damit ausdrücklich eine anders gestaltete Regelung als eine § 30 OWiG entsprechende im Blick hat. 852 853

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

263

werden, Fälle gegenläufiger Interessen im Bereich des Möglichen, wenn etwa das Interesse der juristischen Person dahin geht zu beweisen, daß ihr durch die Tat keine Vorteile verschafft wurden. Diese Interessenkonflikte können nicht nur Auswirkung darauf haben, daß der Individualtäter nicht als gerichtlicher Vertreter des Verbandes in Frage kommt. 858 Sie hätten in ähnlichem Ausmaße Auswirkung auf die Verteidigung durch einen gemeinsamen Verteidiger. Soweit es gegenläufige Interessen bei seinen Mandanten gibt, gerät auch er bei der Auswahl der Verteidigungsstrategie in einen Interessenkonflikt; insbesondere kann ein Interessenwiderstreit wie bei der Mehrfachverteidigung von natürlichen Personen im Hinblick auf die Stellung von Beweisanträgen, auf die Möglichkeit der Richterablehnung u. ä. 859 auftreten. Die gemeinschaftliche Verteidigung von Individualtäter und juristischer Person im Falle der akzessorischen Verbandsstrafenbegriindung - und aufgrund der auch dort möglichen Interessenkonflikte m. E. auch die gemeinschaftliche Verteidigung im Rahmen der Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG birgt daher ebenso wie die Mehrfachverteidigung im Individualstrafverfahren in den Fällen des§ 146 StPO die Gefahr von lnteressenkonflikten. Dasselbe gilt bei Zugrundelegung eines eigenständigen bzw. originären Verbandsstrafenmodells. 860 Wenn es auf Grundlage eines solchen Verbandsstrafenmodells zu einem verbundenen Verfahren gegen Verband und Individuum käme 861 , könnte von einer Identität der Interessen noch weniger gesprochen werden als bei dem akzessorischen Modell. Denn hier hängt ein Freispruch des einen nicht in solcher Regelmäßigkeit wie bei der akzessorischen Strafbarkeit von dem Freispruch des anderen ab. Die Situation ist vielmehr mit der vergleichbar, die§ 146 S. 2 StPO zugrunde liegt. Interessenkonflikte sind außerdem bei parallelen, d. h. nicht verbundenen Verfahren gegen juristische Person und Individualtäter denkbar, wenn zum Beispiel der Grad der Pflichtverletzung des Untemehmens 862 über das Strafmaß des Individualtäters mit entscheidet. Ob die Lage hierbei der in § 146 S. 1 StPO vorgesehenen - Tatidentität - entspricht, hängt einerseits davon ab, wie man den Tatbegriff in§ 146 S. 1 StPO bestimmt und andererseits davon, inwieweit sich die Straftaten von Verband und Individuum bei dem eigenständigen Verbandsstrafenmodell dazu in Beziehung setzen lassen. Im einzelnen kann das an dieser Stelle aber offenbleiben, solange man von der Möglichkeit eines Interessenkonflikts auch hier ausgehen muß.

Vgl. dazu oben 3. Teil2. Abschnitt C.ll. 2. c). Vgl. zu den verschiedenen möglichen Anlässen für Interessenkonflikte Fezer, Strafprozeßrecht, Fall4 Rn. 75. 860 Dazu näher oben, 2. Teil 4. Abschnitt A. II. und 3. Teil 2. Abschnitt A. II. 2. 861 Zu den Argumenten für die Möglichkeit einer Verbindungs. o. 3. Teil 2. Abschnitt B. 862 Vgl. das Verbandsstrafenmodell bei Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316. 858

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3. Teil: Prozessuale Probleme

b) Verbot der Mehrfachverteidigung wegen möglicher Interessenkonflikte ?

Interessenkonflikte sind demnach durchaus auch bei der gemeinschaftlichen Verteidigung von Individuum und Verband denkbar. Ob das heißt, daß deswegen die Mehrfachverteidigung ausnahmslos eingeschränkt werden muß, wie dies im Strafverfahren (nur) gegen Menschen der Fall ist, ist näher zu untersuchen. Die gemeinschaftliche Verteidigung von Verband und Einzeltäter muß nicht nur Nachteile haben. Wie oben863 gezeigt, lassen sich bei der gemeinsamen Strafverfolgung von Verband und Individuum durchaus Situationen vorstellen, in denen die Interessen identisch sind. Dies gilt beispielsweise bei der streng akzessorischen Haftung, wenn beide Beschuldigte auf einen Freispruch des Individuums hinarbeiten, weil deswegen auch die juristische Person nicht verurteilt werden kann. Eine gemeinsame Verteidigung bietet in solchen Fällen eine Vielzahl von Vorteilen, angefangen von niedrigeren Anwaltskosten über bessere Möglichkeiten der Informationssammlung bis zu den für die Beschuldigten günstigeren Abstimmungsmöglichkeiten für die Verteidigungsstrategie. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß das absolute Verbot der Mehrfachverteidigung einen Eingriff sowohl in das von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht des Beschuldigten auf einen Verteidiger seiner Wahl als auch in die von Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des Rechtsanwaltes bedeutet. Hinzu kommt schließlich, daß Interessenkonflikte nicht regelmäßig auftreten müssen. Deswegen könnte eine Vorschrift in der Form des § 146 StPO, die in den dort umschriebenen Fällen keinerlei Ausnahmen vorsieht, zu weit gehen. Es ließe sich daher an weniger einschneidende Mittel denken, z. B. an eine der Gesetzeslage vor 1975 entsprechende Formulierung des Verbots der Mehrfachverteidigung864, bei der ein Ausschluß des Verteidigers nur in begründeten Einzelfällen, in denen tatsächlich ein Interessenkonflikt vorliegt, in Frage käme. Nun lassen sich aber ganz ähnliche Einwände auch gegen ein absolutes Verbot der gemeinschaftlichen Vertretung für die vom geltenden § 146 StPO n. F. umfaßten Fälle machen. So sind Interessenkonflikte auch dann nicht zwingend, wenn ein Verteidiger zwei wegen derselben Tat beschuldigte natürliche Personen, beispielsweise zwei mutmaßliche Mittäter, gemeinschaftlich verteidigt. Hier läßt sich ebenfalls in manchen Fällen ohne weiteres eine Verteidigungsstrategie entwickeln, bei der darauf gesetzt wird, die Entlastung des einen Beschuldigten an die Entlastung des anderen zu knüpfen. Denkbar ist dies beispielsweise dann, wenn bereits als erwiesen gelten kann, daß beide zum Tatzeitpunkt am selben Ort waren, und es nun noch zu beweisen gilt, daß einer der Beschuldigten jedenfalls nicht am Tatort war, woraus sich nach der erwiesenen Prämisse ergibt, daß beide unschuldig sind. Trotzdem wird nach § 146 StPO ein Interessenwiderstreit bei Mehrfachverteidigung unwiderleglich vermutet865 . Die Kritik an§ 146 StPO in der Form eines abOben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 2. a). Diese lautete: "Die Verteidigung mehrerer Beschuldigter kann, sofern dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerstreitet, durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger geführt werden." 863

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3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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soluten Verbots 866 zielte nach seiner Einführung daher auch u. a. darauf ab, daß nach dieser Regelung nicht dem Anwalt und seinem Mandanten die Entscheidung über das Vorliegen eines tatsächlichen Interessenkonflikts überlassen bleiben sollte. 867 So wurde und wird die Rückkehr zur alten, bis 1974 geltenden Fassung gefordert. 868 Der Schutz durch die Strafvorschriften der§§ 203, 356 StOB und die standesrechtlichen Vorschriften genüge. 869 Trotz der geäußerten Kritik hielt es der Gesetzgeber - auch noch bei der letzten Änderung im Jahre 1987 - für notwendig, die Mehrfachverteidigung in dieser generalisierenden Form auszuschließen. Das Anknüpfen an konkrete Interessenkonflikte würde - so die Begrundung des Gesetzgebers -bei Meinungsverschiedenheiten zu Verfahrenskomplikationen führen. Die Beschränkung auf Fälle von offensichtlichen Interessenkonflikten sei nicht sachgerecht, weil gerade verdeckte Konflikte am gefährlichsten sein könnten. 870 Für ein Strafverfahrensrecht, in dem auch juristische Personen Beschuldigte sein können, hat dies folgende Bedeutung: Die Argumente für und gegen ein absolutes Verbot der Mehrfachverteidigung gelten ebenso für den Fall, daß Verband und Individualtäter von einem Beistand verteidigt werden. Solange man an der Regelung des § 146 StPO in ihrer jetzigen Form festhalten möchte, ist sie auch auf die Fälle zu übertragen, in denen es sich bei einem der Beschuldigten um einen Verband handelt. Denn Interessenkonflikte sind auch dann jederzeit denkbar und zu vermeiden. Wenn man für das Individualstrafverfahren meint, daß für diesen Bereich eine strengere Lösung als die standesrechtliche Vorschrift des § 43 a Abs. 4 BRAO oder ein weitergehendes Verbot als das durch § 356 StOB strafbewehrte erforderlich ist, so muß dies gleichfalls für ein Strafverfahrensrecht für juristische Personen gelten.

4. Fazit

Soweit die juristische Person und der Einzeltäter gleichzeitig strafrechtlich verfolgt werden, kann es zu Interessenkonflikten kommen. Diese Interessenkonflikte sind dadurch zu unterbinden, daß die Mehrfachverteidigung verboten wird. Solange dies im Individualstrafverfahren durch ein absolutes Verbot geregelt wird, ist Kleinknecht I Meyer-Goßner; StPO, § 146 Rn. 9. Vgl. ausführlich LR -Lüderssen, § 146 Rn. 3 ff. und die Nachweise dort in Rn. 27 Fn. 61; kritisch auch Jung, JuS 1975, 263 Fn. 25; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 Rn. 37. 867 Herrmann, JuS 1976, 418; Quack, NJW 1975, 1339; auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 Rn. 37. 868 Ulsenheimer; GA 1975, 115; LR-Lüderssen, § 146 Rn. 28; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19Rn.37. 869 LR-Lüderssen, § 146 Rn. 28; Roxin, Strafverfahrensrecht § 19 Rn. 37 (zu§ 356 StGB). 870 Bundestagsdrucksache 10/1313, S. 22; zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung in der Fassung von 1974 vgl. BVerfGE 39, 156. 865

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3. Teil: Prozessuale Probleme

für eine davon abweichende Regelung im Strafverfahrensrecht für juristische Personen kein Raum. IV. Zusammenfassung

Die juristische Person oder Personenvereinigung muß als Beschuldigte ebenso das Recht haben, einen Verteidiger als Beistand hinzuzuziehen wie eine beschuldigte natürliche Person. Sofern schwere Sanktionen drohen oder die Verfahrenslage schwierig ist, wird dieser Beistand notwendig sein, so daß dann eine Beiordnung eines Verteidigers in Frage kommt. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verband und seinem Verteidiger ist durch die bestehenden Vorschriften bereits umfassend geschützt, so daß darauf zurückgegriffen werden kann. Schließlich bedarf es eines Schutzes von juristischer Person und Individualtäter vor möglichen Interessenkonflikten durch gemeinsame Verteidigung. Hier wird sich das Verbandsstrafverfahren an der Regel des § 146 StPO orientieren müssen. Solange danach die Mehrfachverteidigung absolut verboten ist, muß dies auch für die gemeinsame Verteidigung von Verband und Einzeltäter gelten.

D. Belehrung über die bestehenden Rechte Die geltende Strafprozeßordnung sieht an verschiedenen Stellen Belehrungsvorschriften vor, aufgrund deren die Strafverfolgungsbehörden und das Gericht verpflichtet sind, den Beschuldigten über seine Rechte zu belehren. Im Vordergrund steht die Belehrung über die Aussagefreiheit, zu welcher der Richter im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO) ebenso verpflichtet ist wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft bei ihren Vernehmungen(§§ 163 a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Aber auch über das Recht auf die Konsultation eines Verteidigers ist der Beschuldigte- bereits vor der ersten Vernehmung- zu belehren(§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Ob ähnliche Hinweispflichten im Strafverfahren gegen juristische Personen vorzusehen sind, läßt sich mit einem Blick auf den Zweck und die Herleitung dieser Vorschriften ermitteln (dazu 1.). Wenn festgestellt ist, daß auch im Verbandsstrafverfahrensrecht der Beschuldigte über seine Rechte zu belehren ist, bleibt noch festzulegen, an wen sich die Belehrung richten muß (dazu II.). I. Notwendigkeit von Belehrungsvorschriften

In Rechtsprechung und Literatur zum Individualstrafverfahren sind allgemeine Ausführungen 871 über Belehrungsvorschriften seltener als solche, die sich speziell 871 Eberhard Schmidt, NJW 1968, 1209, und Petry, Beweisverbote, S. 112 f., beleuchten beispielsweise den Zweck von Belehrungsvorschriften im allgemeinen.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

267

auf die Aussagefreiheit beziehen. Der Hinweis auf das Recht, nicht aussagen zu müssen, wird als Maßnahme zur Sicherung eines fairen Verfahrens angesehen. 872 Die vom Gesetz vorgesehene Belehrung habe Fürsorge- und Vorsorglichkeitscharakter. 873 Durch die Verpflichtung zur Belehrung solle gewährleistet werden, daß das Recht des Beschuldigten zu schweigen nicht aus dem Grunde leerläuft, weil er keine ausreichende Kenntnis von seiner Rechtsposition hat. 874 Das Gesetz gehe erkennbar davon aus, daß das Schweigerecht nicht allgemein bekannt sei.875 Durch die Belehrung werde "gleiches Recht für alle" geschaffen und die Geltendmachung des Rechts nicht von seiner zufälligen Kenntnis abhängig gemacht. 876 Die Belehrungspflicht stelle damit eine objektive verfahrensrechtliche Schutzvorkehrung für ein subjektives Recht dar. 877 Wenn der Hinweis auf das Recht unterbleibe, werde "die Rechtsausübung auf eine Alternative beschränkt, das Recht selbst verkürzt".878 So sei die Belehrung über das Schweigerecht auch durch das Verbot des Selbstbelastungszwangs abgesichert. 879 Die Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation wird als "Mindeststandard an Faimeß und Transparenz" verstanden.880 Sie solle sicherstellen, daß dem Beschuldigten die Möglichkeit der Verteidigerkonsultation bewußt werde. 881 So wenig die Kenntnis des Beschuldigten über das Aussageverweigerungsrecht vorausgesetzt werden könne, so wenig sei dies hinsichtlich des Rechts auf die Beratung mit einem Verteidiger der Fall. 882 Die Bedeutung der Belehrung für die materielle Rechtsposition des Beschuldigten zeigt sich weiterhin an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Fällen, in denen trotz vorangegangener Belehrung die gewünschte Befragung eines Verteidigers verwehrt883 bzw. durch ungenügende Hilfestellung bei der Suche nach einem Anwalt unterlaufen wurde884. Hier nimmt der BGH ein Verwertungsverbot an. In Anlehnung daran fordert ein Teil der 872 BGHSt 25, 325, 330; 38, 214, 221; 38, 263, 266; SK-StPO-Rogall, § 136 Rn. I und Vor§ 133 Rn. 165; ders., Der Beschuldigte, S. 187. 873 BGHSt 25, 325, 330; auch Petry, Beweisverbote, S. 113; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 165. 874 Fezer, Strafprozeßrecht, Fa113 Rn. 26; vgl. auch Eberhard Schmidt, NJW 1968, 1210. 875 BGHSt 38, 214, 221; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 165; LR-Hanack, § 136 Rn. 21, 53, 55; Eberhard Schmidt, NJW 1968, 1215, 1216; vgl. auch Rieß, JA 1980, 300. 876 Petry, Beweisverbote, S. 113. 877 SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 165. 878 BGHSt 25, 325, 330 (zu § 243 Abs. 4 S. 1 StPO). 879 SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 165; ähnlich ders., Der Beschuldigte, S. 186 f., 214 f .; Dencker, MDR 1975, 361: Die Befragung ohne Belehrung würde sich psychologisch als Zwang auswirken und damit selbst Verstoß gegen das Schweigerecht sein. 880 Wollweber, StV 1999, 355. 881 BGHSt 38, 372, 373. 882 Ransiek, StV 1994, 343. 883 BGHSt 38, 372. 884 BGHSt 42, 15.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Literatur ein solches Verwertungsverbot auch bei vollständig unterbliebener Belehrung: Wenn in den Fällen der Vereitelung des Konsultationsrechts diesem Recht derart fundamentale Bedeutung zugemessen und die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten als derart betroffen angesehen werde, daß ein Verwertungsverbot die Folge ist, so müsse dies auch gelten, wenn überhaupt nicht belehrt worden sei. Denn derjenige, der nichts über das Recht wisse, sei mittelbar an der Hinzuziehung eines Verteidigers gehindert. 885 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Sinn und Zweck der Belehrungsvorschriften ist, dem Beschuldigten die Ausübung seiner Rechtsstellung überhaupt möglich zu machen. Das entspricht dem Recht auf ein faires Verfahren. 886 Wie bereits oben ausgeführt, muß dieses Recht grundsätzlich auch beschuldigten juristischen Personen zustehen. 887 Bezogen auf die Verpflichtung zur Belehrung ist keine Ausnahme zu machen. So wie bei natürlichen Personen die Kenntnis von Aussageverweigerungs- und Verteidigerkonsultationsrechten nicht vorausgesetzt werden kann, weil es in der Praxis häufig an fachjuristischen Kenntnissen mangeln wird 888 , so kann auch bei juristischen Personen nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß bei ihnen im Falle der Einführung einer Verbandsstrafe stets die Kenntnis über die einzelnen Rechte vorhanden sein wird. Die Situation der Vernehmung wird sich zwar nicht so zuspitzen, wie es bei natürlichen Personen der Fall sein kann; das Szenario, das der Bundesgerichtshof malt, wenn er davon spricht, daß der Beschuldigte durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung verunsichert oder verängstigt sein könne889, läßt sich auf die juristische Person nicht ohne weiteres übertragen. Es ginge zu weit, ausgehend von der Begründung der "straf-" und damit "streßempfindlichen" "Persönlichkeit" der juristischen Person890 ein Bild des verunsicherten und verängstigten Verbandes zu zeichnen. Doch aufgrund folgender Überlegung sind Belehrungspflichten grundsätzlich zu befürworten: Ebenso wie es bei natürlichen Personen Unterschiede beim Kenntnisstand über Rechte gibt, wird es auch - abhängig von den Organen und Mitgliedern - besser und weniger gut unterrichtete juristische Personen geben. Wenn allen betroffenen Verbänden gegenüber in grundsätzlich gleichem Umfang die Aussagefreiheit und das Recht auf Verteidigerkonsultation gewährt werden sol-

885 KMR-Lesch, § 136 Rn. 38; ders., JA 1995, 163, und Strafprozeßrecht, 3. Kapitel Rn. 77; auch Roxin, JZ 1993, 427 f.; Beulke, NStZ 1996, 262; Wollweber, StV 1999, 355; offengelassen in BGH StV 1999, 354; in welchem ,.Rangverhältnis" die Belehrungspflichten stehen (vgl. dazu BGH StV 1999, 354: ,.Belehrungspflichten mit unterschiedlichem Gewicht", kritisch dazu Wollweber, StV 1999, 355), ist hier nicht zu klären, da es überhaupt nur darum geht, die Notwendigkeit von Belehrungspflichten zu erörtern. 886 Vgl. bereits oben 3. Tei13. Abschnitt C. I. 2. a) bb) (1). 887 Vgl. bereits oben 3. Teil3. Abschnitt C. I. 2. a) bb) (2). 888 Vgl. Petry, Beweisverbote, S. 112. 889 BGHSt 38, 214, 222. 890 Vgl. oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. c) bb).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

269

Jen, dann muß es zur gleichmäßigen Gewährleistung dieser Rechte auch Hinweispflichten geben.

II. Adressat und Umfang der Belehrung

Adressat der Belehrung über die bestehenden Rechte ist die juristische Person, vertreten durch ihre organschaftliehen Vertreter. Eine Besonderheit gegenüber dem Individualstrafverfahren ergibt sich hinsichtlich der Aussagefreiheit Diesbezüglich sind die Vertretungsorgane, die selbst das Recht für die juristische Person ausüben891, auch über die Grenzen des Aussageverweigerungsrechts zu belehren, falls ausnahmsweise eine Einschränkung zulässig sein sollte.892 Bei Unsicherheiten über die innerverbandliehe Organisation müssen die Vernehmenden- insbesondere bei der ersten Vernehmung kann dies aktuell werden- jede als Vertretungsorgan in Frage kommende natürliche Person fragen, ob sie diese Funktion bekleidet, damit sie sodann entsprechend belehrt werden kann. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, daß eine Belehrung nicht oder nicht an den richtigen Adressaten(vertreter) erfolgt.

E. Zwangsmaßnahmen gegen juristische Personen Auch im Strafverfahren gegen juristische Personen können zur Sicherung der Verfahrensdurchführung strafprozessuale Zwangsmaßnahmen893 notwendig sein. Hier soll daher die Frage gestellt werden, in welchem Rahmen sich derartige Zwangsmittel bewegen können. Dabei hängt die Lösung des Problems hier zum einen vom Verhältnis der juristischen Person zu ihren Organen ab, zum anderen von der entsprechenden Anwendbarkeit bestimmter Grundrechte, die durch die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen betroffen sein können. Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung sind die Zwangsmaßnahmen der geltenden Strafprozeßordnung, die auf ihre Übertragbarkeit auf juristische Personen hin untersucht werden sollen. I. Nicht übertragbare Zwangsmaßnahmen

Bei der Beschäftigung mit der Frage, welche Zwangsmaßnahmen für Verbände im Strafverfahren Anwendung finden sollten, d. h. welche Pflichten ihnen auferVgl. oben 3. Teil3. Abschnitt B. II. 1. Vgl. 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. d). 893 Zum Teil wird in der Literatur der Begriff "Grundrechtseingriff' bevorzugt, vgl. Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 202; Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 395. 891

892

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3. Teil: Prozessuale Probleme

legt werden können, stößt man zunächst auf einige Vorschriften im Zwangsmaßnahmenkatalog der geltenden StPO, deren Übertragbarkeit auf ein Strafverfahrensrecht für Verbände schon auf den ersten Blick ausgeschlossen erscheint. Zu diesen Zwangsmaßnahmen zählen Maßnahmen, bei denen der Körper des Beschuldigten als Beweismittel dient (vgl. §§ 81, 81 a, 81 b StPO), und auch die Anordnung von Untersuchungshaft(§§ 112, 112 a StPO). Solche Maßnahmen können bei natürlicher Betrachtungsweise nur an Menschen vollstreckt werden. Ob diese Zwangsmittel trotzdem im Verbandsstrafverfahren ihren Platz finden könnten, soll unter Berücksichtigung von Besonderheiten bei der Vollstreckung von Haft in anderen Rechtsbereichen untersucht werden.

1. Untersuchungshaft im Strafverfahren gegen juristische Personen?

Überwiegend wird Untersuchungshaft894 im Kontext mit dem Verbandsstrafrecht ebensowenig vorgeschlagen wie eine Freiheitsstrafe895 . Lediglich Schlüter ist der Auffassung, daß zur Durchsetzung der Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten des Unternehmens das Zwangsmittel der Haft mit demselben Grundgedanken angeordnet werden könne wie bei § 112 StPO, der den Konflikt zwischen dem öffentlichen Interesse an Aufklärung einer Straftat und dem Freiheitsinteresse des als unschuldig geltenden Beschuldigten regele. Er begründet das damit, daß die Organwalter das Zwangsmittel für das Unternehmen zu erdulden hätten, weil die juristische Person ihre Pflichten durch das Handeln der Vertreter erfülle.896 Mit ähnlicher Begründung befürwortet er auch die Möglichkeit der "Ungehorsamshaft" bei Abwesenheit des Unternehmensvertreters, der die Anwesenheitspflicht des Unternehmens verletze und dem gegenüber deswegen der Haftbefehl zu vollstrecken sei.897 Die Idee der Haft als Zwangsmittel für juristische Personen ist der deutschen Rechtsordnung nicht völlig fremd. Bei der Vollstreckung von Geldbußen kann nach § 99 Abs. 1 i. V. m. § 96 OWiG Erzwingungshaft auch als Beugemittel zur Seitreibung einer gegen eine juristische Person festgesetzten Geldbuße angewendet werden, wobei die Haft sich gegen die vertretungsberechtigten Organe richten, 894 Ausdrücklich gegen die Untersuchungshaft auch schon Hafter, Delikts- und Straffahigkeit der Personenverbände, S. 156. 895 Ausdrücklich schon Hafter, Delikts- und Straffahigkeit der Personenverbände, S. 140; ebenso - und explizit gegen eine Vorgehensweise wie bei § 890 ZPO (dazu sogleich) Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 218 Fn. 20; soweit von einer "Unternehmensfreiheitsstrafe" die Rede ist, geschieht dies im übertragenen Sinne, vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 131, 252 f.; Volk, JZ 1993, 431 (beide zu Tätigkeitsbeschränkungen als "Freiheitsstrafe" nach US-amerikanischen Vorbild); Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 398; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 209. 896 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 143 ff. 897 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 198 ff.; zur Anwesenheitspflicht vgl. hier unter 3. Teil Abschnitt F. II. 2. b) bb).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung derbeschuldigtenjuristischen Person

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d. h. gegen sie festgesetzt und vollstreckt werden soll. 898 Und auch mit Blick auf die Praxis bei der Verhängung von Ordnungshaft gemäß § 890 ZPO könnte man auf die Idee kommen, daß die Verhängung von Untersuchungshaft zulässig sein könnte, wenn juristische Personen Beschuldigte im Strafverfahren sind. Wie sich das überhaupt vorstellen ließe, läßt sich anband einer näheren Betrachtung der besagten Praxis im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO darstellen. Im Anschluß an diese Darstellung wird zu untersuchen sein, ob eine ähnliche Vorgehensweise im Rahmen der Untersuchungshaft zulässig wäre.

a) Die Lage bei der Zwangsvollstreckung gemäß § 890 ZPO

Im Zwangsvollstreckungsrecht - und dort vornehmlich bei Wettbewerbssachen899 - ist es nach ganz überwiegender Ansicht möglich, daß die in § 890 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel - neben Ordnungsgeld auch (primäre und Ersatz-) Ordnungshaft - ebenso angedroht und festgesetzt werden können, wenn Schuldnenn des Duldungs- oder Unterlassungstitels keine natürliche, sondern eine juristische Person ist. 900 Ziel der Ordnungsmittel in § 890 ZPO ist es, zum einen den Willen des Schuldners zu beugen und zum anderen als repressive Sanktionen bei Zuwiderhandeln gegen einen Unterlassungs- oder Duldungstitel zu dienen. 901 Der Grund dafür, daß die Anordnung und Festsetzung von Ordnungshaft gegen das Vertretungsorgan für zulässig gehalten wird, wird vor allem in Zweckmäßigkeitserwägungen und unter Interessengesichtspunkten gesehen. Man könne nur dann dem Interesse des Gläubigers gerecht werden, wenn man ihm die Möglichkeit gebe, gegen denjenigen vollstrecken zu können, auf dessen Verhalten es ihm tatsächlich ankomme, und das sei der Vertreter. Dazu müsse man dem Gläubiger entweder einen Anspruch gegen den Vertreter zugestehen oder ihn aus dem Titel gegen die juristische Person vollstrecken lassen. Entgegenstehende Bedenken wegen des "Durchgriffs" auf die Organe könnten wegen der Sachgerechtigkeit des Vorgehens hintangestellt werden.902 Innerhalb dieser herrschenden Meinung wird dann im einzelnen darüber diskutiert, gegen wen welche Ordnungsmittel anzuordnen und festzusetzen sind. Nach wohl überwiegender Ansicht wird für die einzelnen Ordnungsmittel dahingeGöhler, OWiG, § 96 Rn. 34; Müller, Die Stellung der juristischen Person, S. 128. Vgl. Pastor; Die Unterlassungsvollstreckung, S. 284. 900 Vgl. nur BGH NJW 1992, 749; KG MDR 1997, 195; OLG Koblenz VersR 1997, 1557; auch BVerfGE 20, 323, 335; Zöller I Stöber, ZPO, § 890 Rn. 6; gegen die Vollziehung der Ordnungshaft an organschaftliehen Vertretern von juristischen Personen des öffentlichen Rechts vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 1995, 619; ähnliches gilt für die Zwangsmittel in § 888 ZPO, vgl. Zöller I Stöber, ZPO, § 888 Rn. 8, und die Haft nach§ 901 ZPO, vgl. Zöller I Stöber, ZPO, § 901 Rn. 7. 901 Pastor; Die Unterlassungsvollstreckung, S. 283. 902 Dietrich, Die Individualvollstreckung, S. 179 ff. 898

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3. Teil: Prozessuale Probleme

hend unterschieden, daß Adressat des Ordnungsmittels im Falle der Verhängung eines Ordnungsgeldes nur die juristische Person selbst sei, so daß dieses das Vermögen des Verbandes trifft; die Ordnungshaft richte sich gegen das Organ.903 Bei der Verurteilung zu Ordnungshaft wird dann so verfahren, daß die juristische Person oder Handelsgesellschaft zu Ordnungshaft verurteilt wird, wobei dies jedoch "mit der Maßgabe" geschieht, daß diese Ordnungshaft "an einem organschaftliehen Vertreter zu vollziehen ist".904 Verurteilung zu und Vollziehung von Ordnungshaft werden also getrennt. 905 Nach einer anderen Meinung soll nicht zwischen Ordnungsgeld und -haft differenziert werden, so daß beide gegen das Organ anzuordnen und festzusetzen seien. 906 Maßgeblich für die Entscheidung, ob die Ordnungsmittel im Einzelfall gegen die juristische Person oder gegen ihren gesetzlichen Vertreter zu verhängen seien, sei vielmehr, von wem es abhänge, ob der Titel erfüllt werde. 907 Da§ 890 ZPO bezwecke, den Schuldner durch Anordnung und Festsetzung von Ordnungsmitteln zur Einhaltung des Unterlassungsgebotes anzuhalten, eine juristische Person jedoch nur durch ihre Organe handeln könne, seien die Ordnungsmittel gegen die Organe zu verhängen.908 Nur eine kleinere Gruppe von Autoren ist grundsätzlich dagegen, zur Vollstreckung aus einem Unterlassungstitel gegen die juristische Person Ordnungshaft gegen die Organe anzudrohen, festzusetzen und zu vollstrecken. Die juristische Person könne begrifflich nicht zu Haft verurteilt werden, da sie selbst nicht das Rechtsgut der körperlichen Bewegungsfreiheit besitze909 ; das Organ wiederum sei nicht Titelschuldner.910 b) Übertragbarkeit auf die Untersuchungshaft?

Besieht man sich die Argumentation der herrschenden Meinung zur Vollstrekkung von Unterlassungs- oder Duldungsurteilen gemäß § 890 ZPO, so stellt sich die Frage, warum nicht auch die Untersuchungshaft - beispielsweise bei Verdunke903 BGH NJW 1992, 749, 750; Stein /Jonas I Brehm, ZPO, § 890 Rn. 59 ff.; Zöller I Stöber, ZPO, § 890 Rn. 6 m. w. N.; Schuschke/Walker, Vollstreckung, § 890 Rn. 38; Gottwald, Zwangsvollstreckung, S. 838 Rn. 21; weitere Nachweise bei Dietrich, Die Individualvollstreckung, S. 170 Fn. I. 904 Zöllerl Stöber, ZPO, § 890 Rn. 12; auch BGH NJW 1992, 749, 750; OLG Koblenz VersR 1997, 1557. 905 Kritisch hierzu Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung, S. 286 f. 906 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1106. 907 Dietrich, Die Individualvollstreckung, S. 192 f. 908 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1106; ähnlich auch schon Holthusen, Die Stellung des gesetzlichen Vertreters, S. 50 ff., 58. 909 Vgl. schon /saac, ZStW 21 (1901 ), 650; Mohr, Das Verfahren nach§ 890 ZPO, S. 44; Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung, S. 282; zustimmend Borck, GRUR 1991, 431. 910 Mohr, Das Verfahren nach § 890 ZPO, S. 45; Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung, S. 283 ff.; zustimmend Borck, GRUR 1991,431.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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lungsgefahr, die durch das Verhalten eines organschaftliehen Vertreters begründet wird - gegen die juristische Person verhängt und sodann an einem Organ oder gar an einer Mehrzahl von Vertretern vollzogen werden kann, bzw. ob es nicht möglich ist, von vornherein gegen das verdunkelnde Organ Untersuchungshaft anzuordnen, auch wenn nur die juristische Person einer Straftat verdächtig ist. Gerade eine Situation, in der Verdunkelungsgefahr anzunehmen wäre, läßt sich ohne weiteres auch im Verbandskontext vorstellen. So könnte der Geschäftsführer einer GmbH auf seine Mitarbeiter mittels einer Drohung, daß ihnen andernfalls gekündigt werde, dahingehend einwirken, daß diese vor Gericht eine Falschaussage machen; oder der Vorstand einer Aktiengesellschaft könnte anordnen, daß das gesamte Aktenmaterial aus einem bestimmten Zeitraum oder zu einem bestimmten Thema vernichtet werde. Zugespitzt stellt sich daher die Frage, ob man nicht auch hier - in Anlehnung an die herrschende Meinung zu § 890 ZPO- gegen die juristische Person, die als Beschuldigte die Verfahrensgefährdung zu unterlassen hat, Untersuchungshaft anordnen kann, weil das Verhalten des organschaftliehen Vertreters der juristischen Person zuzurechnen wäre. Daran schließt sich die Frage an, ob dann die Anordnung mit der Maßgabe erfolgen könnte, daß die Untersuchungshaft- wie es bei der Ordnungshaft des § 890 ZPO der Fall ist- an dem Vertretungsorgan vollzogen werde, oder ob es wenigstens zulässig ist, zur Sicherung des geordneten Verfahrens 911 einen Untersuchungshaftbefehl gegen das persönlich nicht beschuldigte Organ zu erlassen. aa) Ziel der Untersuchungshaft Einer ähnlichen Konzeption wie im Rahmen der Festsetzung und Vollstreckung von Ordnungshaft gegen juristische Personen nach § 890 ZPO steht nicht die unterschiedliche Zielsetzung der beiden Institute entgegen. Die Untersuchungshaft bezweckt zwar ausschließlich die Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gesellschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters, indem sie die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens gewährleisten und die spätere Vollstreckung eines auf Freiheitsstrafe (oder auf freiheitsentziehende Sicherungsmaßregeln) lautenden Urteils sicherstellen sol1. 912 Doch die Argumentation der herrschenden Meinung zu § 890 ZPO läßt sich gedanklich durchaus auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen übertragen. Das hieße, daß dem Staat ermöglicht werden müßte, gegen denjenigen die Maßnahmen zur Verfahrenssicherung zu vollziehen, auf dessen Verhalten es ankommt; bezogen auf die Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr würde dies bedeuten: gegen das verdun911 Dies ist nach h. M. neben der Sicherung der sich möglicherweise anschließenden Vollstreckung eines Freiheitsentzuges der Zweck der Untersuchungshaft, vgl. nur LR-Hilger; Vor § 112 Rn. I; Kleinknecht / Meyer-Goßner, StPO, Vor§ 112 Rn. 5, jeweils m. w. N. 912 Vgl. die Nachweise in Fn. 911.

18 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

kelnde Organ. Wenn dieses Organ nicht selbst als Beschuldigter in Untersuchungshaft genommen werden kann, müßte die Untersuchungshaft gegen die juristische Person verhängt und an dem Vertretungsorgan vollzogen oder gleich diesem gegenüber angeordnet werden, wenn so der Erschwerung der Wahrheitsermittlung entgegengewirkt werden könnte. Gesichtspunkte der "Sachgerechtigkeit" sprächen auch hier für ein solches Vorgehen. Ob dies aber ausreicht, bedarf näherer Betrachtung. Dabei ist - das sei hier nochmals betont - zu unterscheiden zwischen den beiden denkbaren Konstruktionen, die beide dazu geeignet wären, das eben umrissene Ziel zu erreichen. Entweder man erließe einen Untersuchungshaftbefehl gegen die juristische Person, der an ihrem Vertretungsorgan zu vollstrecken wäre, oder der Untersuchungshaftbefehl würde von vomherein an das Vertretungsorgan oder an mehrere Vertretungsorgane selbst adressiert sein, d. h. die Untersuchungshaft würde dem Organ bzw. den Organen gegenüber festgesetzt und entsprechend auch vollstreckt werden. Beiden Konstruktionen wäre gemeinsam, daß die Untersuchungshaft immer am Vertretungsorgan zu vollstrecken wäre. Fraglich ist, ob diese Konstruktionen tragfähig sind. bb) Untersuchungshaftbefehl gegen die juristische Person Die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber der juristischen Person würde zunächst voraussetzen, daß ihr die Handlung eines Organs, die einen Haftgrund begründen würde - also z. B. die Verdunkelungshandlung - zugerechnet wird. Denn sie selbst kann keine Verdunkelungshandlungen vornehmen. Das ist aber unproblematisch zu lösen. Entsprechend den Begründungen für die Verbandsstrafe ließe sich auch hier das Verhalten des organschaftliehen Vertreters der juristischen Person als eigenes zurechnen bzw. als solches begreifen.913 Das wesentliche Problem ist vielmehr, daß die juristische Person selbst keine Bewegungsfreiheit und keinen Körper hat und deshalb an ihr selbst die Untersuchungshaft nicht vollstreckt werden kann. Die Vollstreckung des an die juristische Person adressierten Haftbefehls an einem Organ ließe sich nur dann als eine dem Inhalt dieses Haftbefehls entsprechende Vollstreckung begreifen, wenn Bewegungsfreiheit und Körper des Organs wiederum der juristischen Person "zugerechnet" würden. Andernfalls wäre die Vollstreckung am Organ die Vollstreckung des Untersuchungshaftbefehls an einem vom Befehl nicht umfaßten Dritten. Beides ist jedoch nicht zulässig, wie sich aus den folgenden Überlegungen ergibt. Die juristische Person kann in Hinsicht auf freiheitsentziehende Maßnahmen dem Menschen nicht gleichgestellt werden. Sie entbehrt eines Körpers und der persönlichen Bewegungsfreiheit. 914 Juristische Personen genießen folgerichtig auch

913

Vgl. zu der Begründung der Handlungsfähigkeit oben 2. Teil 3. Abschnitt B. II.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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nicht den Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 2 GG. 915 Das bedeutet aber auch, daß der organschaftliehe Vertreter die juristische Person nicht etwa auch in Bezug auf körperliche Existenz verträte. Gegen sie kann daher nicht Haft angeordnet werden, die dann an dem sie vertretenden Organ zu vollziehen wäre, um dies wiederum als Haft der juristischen Person anzusehen. Die Grenzen der Gleichsetzung von Vertretungsorgan und juristischer Person wären damit überschritten. All das, was mit dem Körper und der Bewegungsfreiheit des Vertreters zusammenhängt, muß als dessen höchstpersönliche Sphäre gelten. Könnte man ihn an Stelle oder in Vertretung der juristischen Person inhaftieren, hieße das, daß von seiner parallel bestehenden Existenz als Privatperson nichts übrigbliebe. Für die Dauer der Haft, deren Wesen es ist, daß sie durchgehend, Tag und Nacht andauert, wäre er auf seine Funktion als Vertretungsorgan reduziert. Tatsächlich steht er aber als selbständiges Rechtssubjekt "Mensch" neben dem Rechtssubjekt "juristische Person"9 16 , soweit es seine "private Seite" angeht. Es darf also kein Haftbefehl gegen die juristische Person ergehen, der ohnehin nur am Vertretungsorgan vollzogen werden könnte. Immer hieße ein solches Vorgehen, die Identifizierung von juristischer Person und Organ zu übertreiben, weil letztlich überhaupt nur in die Rechtsgüter des Organs eingegriffen würde, nicht aber in die der juristischen Person. Ein Haftbefehl gegen die juristische Person wäre in Wirklichkeit ein Haftbefehl gegen das Vertretungsorgan, denn von einer solchen Anordnung kann die juristische Person nicht getroffen werden; nur der Vertreter wäre selbst, persönlich betroffen. Daher scheitert die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber der juristischen Person an der mangelnden Vollstreckbarkeit. 917 Dies wird noch deutlicher, wenn man sich die praktischen Probleme, die eine Untersuchungshaftanordnung gegen juristische Personen mit sich brächte, vor Augen führt. Erginge der Haftbefehl gegen den Verband, vertreten durch ein nicht namentlich bezeichnetes Vertretungsorgan, so würde der Wechsel des Vertretungsorgans während des Ermittlungsverfahrens bedeuten, daß der neue Vertreter den alten in der Untersuchungshaft ersetzen müßte. Bei mehreren Mitgliedern eines Vertretungsorgans käme hinzu, daß nicht klar wäre, ob die Haft an allen oder nur an einem -und dann: an welchem- zu vollziehen wäre 918 • Diese Probleme könnte man überhaupt nur umgehen, wenn man den Vertreter, der in Untersuchungshaft 914 Das bezweifeln übrigens auch nicht die Vertreter der h. M. zu § 890 ZPO, vgl. nur Holthusen, Die Stellung des gesetzlichen Vertreters, S. 58, 60 (gerade deswegen soll auch

gegen das Organ vorgegangen werden können). 915 Vgl. nur Dreier, in: Dreier, GO, Art. 19 III Rn. 23; Rüfner, in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 116 Rn. 37; Huber, in: Mangoldt/Klein/Starck, GO, Art. 19 Abs. 3 Rn. 330. 916 Mohr, Das Verfahren nach § 890 ZPO, S. 45. 917 Ähnlich wie hier zur Ordnungshaft bei § 890 ZPO: Mohr, Das Verfahren nach § 890 ZPO, S. 44 f.; Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung, S. 282 ff. 9 18 Zu diesem Problem im Hinblick auf die Ordnungshaft nach § 890 ZPO: Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung, S. 288 f. 18*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

zu nehmen wäre, namentlich benannte. 919 Aber das hieße wiederum, daß die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person nicht mehr berücksichtigt würde, denn diese Verselbständigung gegenüber ihren Organen und Mitgliedern ist ja gerade auch darin zu sehen, daß diese wechseln können. Pflichten der juristischen Person können daher nicht an bestimmte Organmitglieder geknüpft werden. Ein Untersuchungshaftbefehl gegen juristische Personen liefe daher ins Leere, weil die Haft nicht vollstreckt werden könnte. Von vornherein wäre eine derartige Untersuchungshaft ausschließlich darauf gerichtet, nur in die höchstpersönlichen Rechte des Organs einzugreifen, die mit der Rechtsstellung der juristischen Person nichts zu tun haben. Ist ein Eingreifen in die Rechte des Vertretungsorgans jedoch das Ziel, so muß entsprechend auch das Zwangsmittel ausschließlich gegen dieses Organ festgesetzt und vollstreckt werden. Ob dies legitim ist, wenn das Organ selbst nicht einer Straftat verdächtig ist, bleibt zu untersuchen. cc) Untersuchungshaftbefehl gegen den nicht verdächtigen organschaftliehen Vertreter Die andere denkbare Konstruktion zur Verhängung von Untersuchungshaft im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von juristischen Personen wäre die Anordnung und Vollstreckung von Untersuchungshaft gegen den - persönlich nicht verdächtigen - organschaftliehen Vertreter, der Beweismittel vernichtet oder unzulässigerweise auf Zeugen einwirkt, aufgrund eines gegen ihn selbst gerichteten Haftbefehls. Da im Hinblick auf die Haftfähigkeit das Vertretungsorgan nach obigen Feststellungen nicht mit der juristischen Person gleichgesetzt werden darf, so daß es hier nur als selbständiges Rechtssubjekt, d. h. als Privatperson und nicht "als Beschuldigter" anzusehen wäre, hieße das, einen Dritten und nicht den Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen. Nach der geltenden Strafprozeßordnung ist die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber Nichtbeschuldigten nicht möglich. Das läßt sich damit begriinden, daß als Rechtfertigungsgrund für besonders einschneidende strafprozessuale Grundrechtseingriffe gerade der Tatverdacht gesehen werden kann920 und auch - unter Beriicksichtigung der Unschuldsvermutung darf. 921 Zudem werden die Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung des ver919 Dies ist im Rahmen der Festsetzung von Ordnungshaft nach § 890 ZPO Praxis, vgl. Stein/ Jonas/ Brehm, ZPO, § 890 Rn. 61 ; ausdrücklich z. B. KG MDR 1997, 195, 196. 920 Vgl. dazu nur BVerfGE 16, 194, 200 f.; 17, 108, 119 f. (jeweils zu § 81 a StPO). 921 So die wohl überwiegende Ansicht, vgl. Krauß, in: Strafrechtsdogmatik, S. 167 ff., S. 171; zustimmend SK-StPO-Rudolphi, Vorbemerkungen vor§ 94 Rn. 10; Schubarth, Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, S. 27 f.; vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 4; Hassemer; StV 1984, 40; Mrozynski, JZ 1978, 256; a. A. (hinsichtlich der unterschiedliche Behandlung von Verdächtigen und Nichtverdächtigen in§§ 81 a, 81 c StPO) Sax, in: Die Grundrechte III/2, 986; Frister; Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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dunkelnden Dritten wegen Strafvereitelung, Aussagedelikten und möglicherweise wegen verschiedener Urkundendelikte hier als ausreichend empfunden, um auf die Verdunkelungshandlungen zu reagieren. 922 Solange man also der Meinung ist, daß bei der Eingriffsstärke von Zwangsmaßnahmen Abstufungen zwischen solchen gegen Verdächtige und solchen gegen Dritte zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig sind, gibt es keinen Grund, die Situation des verdunkelnden Organs anders zu bewerten und die Möglichkeit der Untersuchungshaft für Nichtverdächtige nur für diesen besonderen Fall einzuführen. Würde man als außerordentliche Rechtfertigung für eine solche Maßnahme die besondere Stellung als Organ der beschuldigten juristischen Person heranziehen, so hieße das, letztlich doch - entgegen dem bisher Gesagten Vertretungsorgan und juristische Person auch hinsichtlich höchstpersönlicher Rechtsgüter wie der Bewegungsfreiheit gleichzusetzen. Die Trennung zwischen dem Rechtssubjekt "juristische Person" und dem Rechtssubjekt "organschaftlicher Vertreter", die in diesem Bereich zum Schutze des Organs bestehen bleiben muß, darf aus den bereits genannten Gründen nicht auf diese Weise umgangen werden. Dem läßt sich auch nicht eine mögliche Vorbildfunktion des § 14 StGB mit der Konsequenz entgegenhalten, daß aufgrund eines dort verankerten Rechtsgedankens dem vertretungsberechtigten Organ die Beschuldigteneigenschaft hinsichtlich der Pflicht, das Strafverfahren nicht zu vereiteln oder zu verhindern, zuzuschreiben wäre. Denn offensichtlich läßt sich der Geltungsgrund für diese materiellrechtliche Vorschrift nicht auf das Strafverfahren übertragen, denn sonst müßte bereits heute der Beauftragte eines Betriebes im Sinne von§ 14 Abs. 2 StGB in Untersuchungshaft genommen werden dürfen, wenn er für den Inhaber des Betriebes Verdunkelungsmaßnahmen ergreift. Das ist jedoch nicht der Fall.

dd) Zwischenbefund Die Praxis zu § 890 ZPO läßt sich nicht auf die Untersuchungshaft übertragen. Im Strafverfahren gegen juristische Personen kann weder ein gegenüber dem Verband erlassener Haftbefehl am Organ vollstreckt noch die Untersuchungshaft unmittelbar diesem gegenüber angeordnet werden. 923 Unschuldsvermutung, S. 109 ff., der insbesondere auch§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO für unvereinbar mit dem aus der Unschuldsvermutung herzuleitenden Benachteiligungsverbot gegenüber dem Beschuldigten hält, S. 117 ff.; vgl. auch Ulrich Stein, in: Festschrift für Grünwald, s. 685 ff. 922 Vgl. Paeffgen, Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, S. 105 Fn. 426. 923 Zu § 890 ZPO bleibt hier nur anzumerken, daß die dort h. M. nicht zu überzeugen vermag. Der Durchgriff auf das Organ als Einzelperson, das selbst nicht Titelschuldner ist, mag zwar sachgerecht sein; letztlich ist er aber wegen der damit verbundenen Systembrüche- die juristische Person ist nicht haftfähig, das Organ nicht Titelschuldner - dort ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

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3. Teil: Prozessuale Probleme 2. Körperliche Untersuchung

Ebenso wie bei der Untersuchungshaft ist aus den dargestellten Gründen keine Übertragung von solchen Zwangsmaßnahmen auf ein Strafverfahrensrecht gegen juristische Personen möglich, die sich nur gegen den Beschuldigten richten und bei diesem einen Körper voraussetzen, also auch bei oben genannten Maßnahmen, die für natürliche Personen in§§ 81, 81 a, 81 b StPO vorgesehen sind. Das Organ muß auch hier als Nichtverdächtiger behandelt werden, so daß eine Untersuchung nur nach Maßgabe der in § 81 c StPO genannten Voraussetzungen erfolgen kann. 3. Fazit

Im Ergebnis dürfen daher keine Zwangsmaßnahmen gegen juristische Personen vorgesehen werden, die in ihrer Wirkung ausschließlich einen Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter der Vertreter oder Mitglieder bedeuten würden. In Anlehnung an die Übertragbarkeit von Grundrechten läßt sich die Grenze für Pflichten gegenüber juristischen Personen wie folgt formulieren: Es dürfen keine Zwangsmaßnahmen gegen juristische Personen vorgesehen werden, die an die natürliche Qualität des Menschen, d. h. an seine physisch-psychische Existenz anknüpfen924 bzw. nicht "korporativ" erfüllt werden können oder bei denen final in Rechte eingegriffen wird, "die untrennbar mit dem Begriff des menschlichen Wesens verbunden sind. " 925 Derartige Eingriffe sind gegenüber dem Organ selbst nur zulässig, wenn sie als Zwangsmaßnahmen gegen Nichtverdächtige vorgesehen sind. II. Übertragbare Zwangsmaßnahmen und ihre verfassungsrechtlichen Schranken Neben diesen nicht übertragbaren Zwangsmaßnahmen sieht die geltende StPO weitere vor, die grundsätzlich auch in einem Verbandsstrafverfahren sinnvoll anzuwenden wären. Bei diesen Maßnahmen ist jedoch mit Blick auf den unterschiedlichen Grundrechtsschutz von juristischen und natürlichen Personen zu überlegen, ob die Eingriffsbefugnisse für die Strafverfolgungsbehörden genauso eng ausgestaltet werden müssen wie bei natürlichen Personen oder ob die Grenzen bei juristischen Personen weiter gezogen werden können. 1. Durchsuchungen

Die Durchsuchung beim Verdächtigen und bei anderen Personen ist in der geltenden Strafprozeßordnung in §§ 102 ff. geregelt. Durchsuchungen von Räumen 924 925

Siehe oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. c) aa) (2). Sieht oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. c) aa) (2) (b).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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juristischer Personen und Personenvereinigungen sind nach geltendem Recht ein Streitthema. Hier soll zunächst etwas näher auf diesen Streitstand eingegangen werden, um zu zeigen, was für Probleme sich möglicherweise mit der Beschuldigtenstellung der juristischen Person erledigen können. Im Anschluß daran sind die Grenzen von Durchsuchungen bei der Strafverfolgung von juristischen Personen auszuloten.

a) Probleme bei der Durchsuchung von Unternehmende lege lata Durchsuchungen von und in Unternehmen sind sowohl im Europäischen Kartellordnungswidrigkeiten- 926 als auch im deutschen Ordnungswidrigkeiten-927 und im Strafverfahrensrecht928 ein Diskussionsthema. Während sich der Streit im EUKartellrecht vor allem darum dreht, ob Art. 14 Abs. 1 VO 17 I 62 außer einem Zutrittsrecht der Kommission zum Zwecke der Nachpriifung auch ein Durchsuchungsrecht beinhaltet, geht es im deutschen Recht darum, unter welchen Voraussetzungen Untersuchungen von und in Unternehmen erfolgen dürfen. Grund dafür ist, daß sich die Eingriffsvoraussetzungen für die Durchsuchung danach unterscheiden, ob beim Verdächtigen oder beim Nichtverdächtigen durchsucht wird. 929 Die Durchsuchung der Wohnung, anderer Räume und der Person des Verdächtigen richtet sich nach § 102 StPO, der etwas einfachere Bedingungen stellt als § 103 StPO, in dem die Durchsuchung bei "anderen Personen" geregelt ist. Umstritten ist bei Durchsuchungen von und in Räumen einer juristischen Person daher, ob sie nach § I 02 oder § 103 StPO zu erfolgen haben. Nach ganz überwiegender Ansicht können Durchsuchungen von und in Unternehmen unter Maßgabe des § 102 StPO vorgenommen werden. Innerhalb dieser herrschenden Ansicht ist umstritten, warum und wann sich die Durchsuchung nach § 102 StPO richten darf. Bezogen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht wird teilweise das Unternehmen selbst als Verdächtiger im Hinblick auf § 30 OWiG betrachtet.930 Abweichend davon wird für das Strafverfahrensrecht die Anwendung von 926 Ausführlicher Überblick über den Streitstand und zahlreiche Nachweise bei Gillmeister; Ennittlungsrechte, S. 195 Rn. 98 f.; vgl. auch Dannecker I Fischer-Fritsch, Das EGKartellrecht, S. 49 f.; Dannecker; ZStW 111 (1999), 267; ders. , in: Strafrechtsentwicklung in

Europa, S. 2073 ff. 927 Hermanns, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 17 ff.; Gillmeister; Ennittlungsrechte, S. 53 ff. (beide zum Kartellordnungswidrigkeitenverfahren) . 928 Vgl. BVerfG wistra 1994, 221; auch BGH wistra 1997, 107; Leisner; BB 1994, 1941; Krekeler/Schütz, wistra 1995, 296 ff.; Papier/Dengler; BB 1996, 2541 ff.; Dibbert, Ermittlungen in Großunternehmen, S. 92 ff. und passim. 929 Zur Zulässigkeit von unterschiedlichen Eingriffsvoraussetzungen bei Verdächtigen und Nichtverdächtigen vgl. bereits oben Fn. 921. 930 Tiedemann, in: Irnrnenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 37; Gillmeister; Ennittlungsrechte, S. 54 f. (kritisch dazu Dibbert, Ernlittlungen in Großunternehmen, S. 105 ff.); anders Hermanns, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 22 f. : Die juristische Person sei nicht Täter,

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§ 102 StPO zum Teil dann für zulässig gehalten, wenn der Tatverdächtige - unabhängig von seiner Stellung in der Hierarchie - tatsächlich das Durchsuchungsobjekt innehat. 931 Die meisten aber meinen, daß ein Organ oder leitender Angestellter der juristischen Person, der für diese gehandelt hat, tatverdächtig sein muß. 932 Maßgeblich sei das Hausrecht der Verdächtigen; bei juristischen Personen würden dies die Organe und befugte Vertreter ausüben. 933 Nach anderer Ansicht sollen Durchsuchungen in Unternehmen grundsätzlich nur unter Maßgabe von § 103 StPO durchgeführt werden dürfen. 934 Bei Durchsuchungen in Unternehmen würde regelmäßig nur in die Grundrechtspositionen der juristischen Person oder Personenvereinigung eingegriffen werden, so daß nur sie betroffen sei. Da die juristische Person nicht selbst935 verdächtig sein könne, erfolge die Durchsuchung dann "bei" einem Nichtverdächtigen. Nur bei der Durchsuchung persönlicher Gegenstände eines verdächtigen Mitarbeiters sei§ 102 StPO einschlägig.936 Die Problematik, die Grund für die dargestellte Diskussion ist, wird sich bei Einführung der Verbandsstrafe so nicht mehr stellen. Nach dem oben937 Gesagten ist die juristische Person in einem Strafverfahren selbst als Beschuldigte - und damit auch in der Vorstufe als (bloß) Verdächtige - anzusehen. Würde man die Vorschriften der geltenden StPO übertragen, so hieße das, daß Räumlichkeiten, deren Inhaberin eine juristische Person ist, nach§ 102 StPO zur Auffindung von Beweismitteln unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durchsucht werden könnten. Soweit dabei auch persönliche Gegenstände oder Behältnisse einer natürlichen Person durchsucht würden, würde sich diese konkrete Maßnahme nach § 103 StPO richten.

aber wenn ein Organ - als Gewahrsamsinhaber - ordnungswidrig handele, könne nach § 102 StPO durchsucht werden. 931 Warda, Die Durchsuchung bei Verdächtigen, S. 234 ff., 246 f., 264 ff. 932 LR-Schäfer, § 102 Rn. 13, § 103 Rn. 5; KK-StPO-Nack, § 103 Rn. 1; Hermanns, in: Rechtsfragen der Ermittlung, S. 22 f.; ders., Ennittlungsbefugnisse, S. 27; Krekeler/ Schütz, wistra 1995, 297; AK-StPO-Amelung, § 102 Rn. 17; auch BGH wistra 1997, 107, 108. 933 Krekeler/Schütz, wistra 1995, 297; AK-StPO-Amelung, § 102 Rn. 17; teilweise wird der Verdacht gegen die natürliche Person dem Verband zugerechnet, vgl. Fischötter, in: Gemeinschaftskommentar GWB, Anm. 54 vor§§ 81-85. 934 Dibbert, Ennittlungen in Großunternehmen, S. 127; Leisner, BB 1994, 1944 bei Fn. 34; SK-StPO-Rudolphi, § 103 Rn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 103 Rn. I. 935 Dibbert, Ennittlungen in Großunternehmen, S. 76 f.: auch nicht bei der Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG, und ebensowenig durch Zurechnung des Tatverdachts (S. 105 ff.). 936 Dibbert, Ermittlungen in Großunternehmen, S. 127. 937 3. Teil 1. Abschnitt A., 3. Teil 2. Abschnitt C. II. 4.

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b) Grenzen der Durchsuchung beijuristischen Personen Für die Übertragbarkeit der§§ 102 ff. StPO ist an dieser Stelle aber noch nicht geklärt, ob die Grenzen für Durchsuchungen bei juristischen Personen noch weiter gesteckt werden können als bei natürlichen Personen. Dafür ist ein Blick auf die von einer solchen Maßnahme berührten Grundrechte zu werfen. Geschäfts-, Arbeits- und Betriebsräume, die bei Durchsuchungen von juristischen Personen im Mittelpunkt des Interesses stehen werden, gehören nach überwiegender Ansicht, die den Begriff der Wohnung weit auslegt938 , zum Schutzbereich von Art. 13 Abs. l GG. Trotz des Wortlauts von Art. 13 Abs. l GG und des engen Bezugs zum Schutz der Privatheit und der Entfaltung der Persönlichkeit939 spricht tatsächlich vieles dafür, den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG nicht nur auf private Wohnungen zu beschränken: Nicht nur, daß schon lange vor Geltung des Grundgesetzes der Schutz der "Wohnung" auch den von Geschäftsräumen umfaßt hat und dies die Absicht bei der Fassung des Grundgesetzes war. 940 Auch wird so derjenigen Auslegung der Vorzug gegeben, welche die Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet. Durch den Schutz von Geschäftsräumen kann die Berufsarbeit als wesentlicher Teil der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen besonders effektiv geschützt werden. 941 Daß Art. 13 GG nach ganz herrschender Meinung auch auf juristische Personen und Personenvereinigungen anwendbar ist, wurde oben bereits erwähnt. 942 Für die Durchsuchung von Geschäftsräumen-auch bei juristischen Personen- ist Art. 13 Abs. 2 GG uneingeschränkt zu beachten. 943 Daher bedürfen hier Durchsuchungen 938 BVerfGE 32, 54, 68 ff.; 44, 353, 371; 96, 44, 51; Papier, in: MaunziDürigiHerzog, GG, Art. 13 Rn. 10, 13; Kunig, in: von MünchiKunig, GG, Art. 13 Rn. 11; Schmidt-Bleibtreu, in: Schrnidt-Bleibtreu I Klein, GG, Art. 13 Rn. 3 m. w. N. ; a.A. Ekkehard Stein, Staatsrecht, S. 286; kritisch, da die Einbeziehung von Geschäftsräumen der "Kreation" eines neuen Grundrechts durch das Bundesverfassungsgericht entspreche: Dreier, in: Dreier, GG, Art. 13 Rn. 23; kritisch im Hinblick auf Funktion und Schranken auch Jarass / Pieroth, GG, Art. 13 Rn. 2; für das Europäische Recht vgl. auch EuGH, Slg. 1989, 2859 ff., 2919 ff. (Hoechst), der (aufS. 2924 Rn. 17) einen allgemeinen Grundsatz im Gemeinschaftsrecht, wonach es ein Grundrecht auf Unverletzlichkeit von Geschäftsräumen gebe, ablehnt; zur Kritik an dieser Entscheidung insbesondere im deutschen Schrifttum vgl. Dannecker, ZStW 111 (1999), 265 ff. m. w. N. 939 Ablehnend daher Ekkehard Stein, Staatsrecht, S. 286. 940 Ausführlich BVerfGE 32, 54, 69 f. 94 1 BVerfGE 32, 54, 71. 942 3. Teil 3. Abschnitt B. I. 2. c) aa) (2) (a); neben der oben dargestellten Entscheidung BVerfGE 42, 212, 219 (Kommanditgesellschaft) auch BVerfGE 44, 353, 371 (eingetragener Verein); 76, 83, 88 (GmbH); auch BVerfGE 32, 54, 72; Rüfner, AöR 89 (1964), 313; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 24; lsensee, in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 118 Rn. 60; Papier, in: MaunziDürigiHerzog, GG, Art. 13 Rn. 17; Huber, in: Mangoldtl Klein I Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 338; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 66, 78: Geltung für juristische Personen in "vollem Umfang"; Schmidt-Bleibtreu, in: SchmidtBleibtreuiKlein, GG, Art. 19 Rn. 13. 943 BVerfGE 32, 54,72 f.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 13 Rn. 9.

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einer gesetzlichen Ermächtigung sowie der grundsätzlichen richterlichen Anordnung, wenn nicht Gefahr im Verzuge ist, und müssen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit erfolgen. 944 Unterschiedliche Grenzen der Maßnahme bei natürlichen Personen einerseits und bei juristischen Personen andererseits können sich letztlich nur als Folge einer Abwägung im Einzelfall ergeben. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne ist von Bedeutung, welche weiteren Interessen und Grundrechte im konkreten Fall noch betroffen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei juristischen Personen anders als bei natürlichen nicht auch die Intimsphäre von der Durchsuchung betroffen werden kann, so daß sich insoweit für die Durchsuchung bei natürlichen Personen, vor allem von Wohnungen, andere Grenzen ergeben können als bei juristischen Personen und dem bei ihnen insbesondere betroffenen geschäftlichen Bereich. Im übrigen sind bei einer Abwägung auch andere Rechte der juristischen Person mit in die Bewertung einzubeziehen, nämlich der gute Ruf sowie die Bedeutung der Durchsuchung für das Vertrauensverhältnis zu den Kunden945 und der Datenschutz946 . Die Reputation und die Geschäftsdaten einer juristischen Person sind nach ganz überwiegender Ansicht grundrechtlich geschützt; selbst wenn man hierfür nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Recht auf informationeile Selbstbestimmung heranziehen möchte947 , so schützen doch Art. 14948 , Art. 2 und möglicherweise Art. 12 GG vor Eingriffen. 949 Der von Art. 14 GG geschützte Bestand und die Nutzung des Eigentums können auch bei besonders schwerwiegenden Durchsuchungen, die einen Teil des Geschäftsbetriebs zum Erliegen bringen, beeinträchtigt sein.950 Daneben ist für die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Durchsuchung auch zu berücksichtigen, ob gleichzeitig in Grundrechte unverdächtiger (natürlicher) Personen eingegriffen wird. Auch wenn man davon ausgeht, daß Angestellte zumindest Vgl. Jarassl Pieroth, GG, Art. 13 Rn. 10 ff. So Leisner; BB 1994, 1945; ders. , BB 1995, 526; Krekeler/Schütz, wistra 1995, 299; Dibbert, Ermittlungen in Großunternehmen, S. 20 f. 946 Krekeler/Schütz, wistra 1995, 299; Papier/Dengler; BB 1996, 2545; Dibbert, Ermittlungen in Großunternehmen, S. 34 f. 947 So aber z. B.lsensee, in: IsenseeiKirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 118 Rn. 60 (zum Schutzdesforum internumder juristischen Person); ähnlich auch Huber; in: Mangoldtl Klein I Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 333: Der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitbare Schutz des Namens, der Reputation und der Geschäftsdaten sei, soweit er nicht von Art. 12 Abs. l, 14 Abs. 1 GG umfaßt ist, auf juristische Personen anwendbar. 948 Zur Anwendbarkeit von Art. 14 GG auf juristische Personen und Personenvereinigungen vgl. nur BVerfGE 4, 7, 17; 53, 336, 345; 66, 116, 130; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 24; Stern, Staatsrecht IIII l, S. 1127: Art. 14 GG gehöre zu den Grundrechten, die den stärksten Anstoß zur Schaffung des Art. 19 Abs. 3 gegeben haben. 949 S. Huber, in: Mangoldt I Klein I Starck, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 333; für Binnensphäre und Reputation Stern, Staatsrecht Band III I l, S. 1128; zum grundrechtliehen Datenschutz aus Art. 2 Abs. l i. V. m. Art. 1 Abs. l und 14 I GG, "gegebenenfalls i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG" auch BVerfGE 67, 100, 142 f.; 77, l, 46; 84, 239, 279; a.A. für den Datenschutz Schmitt Glaeser, in: Isenseel Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 129 Rn. 88. 950 Vgl. Dibbert, Ermittlungen in Großunternehmen, S. 20 f. 944 945

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in der Regel hinsichtlich der Geschäftsräume nicht Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG sind951 , können andere Grundrechte der Mitarbeiter, Mitglieder der juristischen Person oder der Kunden betroffen sein. Vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht kommt hier in Betracht952 , so z. B. bei der Durchsuchung von persönlichen Behältnissen oder Kundenkarteien. Im Ergebnis werden daher die Vorschriften der§§ 102 ff. StPO ohne Modifizierungen auf ein Verbandsstrafverfahrensrecht zu übertragen sein können. Die im einzelnen unterschiedlichen Auswirkungen auf betroffene Grundrechtspositionen und die sich daraus ergebenen Grenzen für die Ermittlungsbehörden können über die Abwägung im Einzelfall zum Tragen kommen. 2. Beschlagnahme

Ähnlich wie mit der Durchsuchung wird man auch mit der Beschlagnahme verfahren können. Die geltende StPO sieht die Beschlagnahme von Beweisgegenständen in § 94 Abs. 2 vor. Einschränkungen für die Beschlagnahme richten sich hinsichtlich des zu beschlagnahmenden Gegenstandes nach § 97, hinsichtlich der Anordnungsbefugnis nach § 98 StPO. Zur Beschlagnahme tritt die Vorlegungs- und Herausgabepflicht in § 95 StPO, die nach Abs. 2 mit den Mitteln des § 70 StPO durchgesetzt werden kann. 953 Im Hinblick auf ein Strafverfahren gegen juristische Personen ist zunächst anzumerken, daß es einer Beschlagnahmeanordnung nicht schon deshalb nicht mehr bedürfte, weil das Unternehmen ohnehin zur Herausgabe verpflichtet werden könnte. Denn auch in Bezug auf die Herausgabe von Beweisgegenständen gelten die Maßgaben, die aufgrund des Nemo-tenetur-Grundsatzes oben aufgestellt wurden. Immer dann, wenn sich der beschuldigte Verband also - vertreten durch das Vertretungsorgan - berechtigt aufgrund seines Aussageverweigerungsrechts weigern würde, einen Gegenstand herauszugeben, bliebe nur der Weg über eine Beschlagnahmeanordnung. Kann sich der organschaftliehe Vertreter für die juristische Person nicht auf den Nemo-tenetur-Grundsatz berufen, steht der Anwendung von Ordnungs- und Zwangsmitteln, wie in § 95 Abs. 2 i. V. m. § 70 StPO beschrieben, nichts entgegen. Auch hinsichtlich der Ordnungshaft, die dann gegen das Organ selbst als Gewahrsamsinhaber verhängt werden könnte, ist hier nichts einzuwenden, denn besser als ein Zeuge kann er insoweit nicht gestellt werden. 951 So z. B. Herdegen, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 13 Rn. 37; a.A. Gusy, JuS 1980, 719; kritisch auch Hermes, in: Dreier, GG, Art. 13 Rn. 25. 952 Vgl. zur Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses von Dritten bei der Durchsuchung von Arbeits- und Geschäftsräumen BVerfGE 20, 162, 186 ff.; 44, 353, 372 ff., 376. 953 Kritisch zur- angesichts der an ein in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifendes Gesetz zu stellenden Voraussetzungen - "partiell verfassungswidrigen" Fassung von§§ 94, 95 StPO Papier/Dengler; BB 1996,2546 f.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Um die Grenzen der Beschlagnahme näher zu umreißen, ist wiederum auf die betroffenen Grundrechte zu blicken. Die Beschlagnahme von Gegenständen bedeutet einen Eingriff in Art. 14 GG, der- wie bereits dargestellt- uneingeschränkt auf juristische Personen des Privatrechts anzuwenden ist. Dabei kann die Dauer der Aufrechterhaltung der Beschlagnahme die Intensität des Eingriffs in Art. 14 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG prägen, denn bei Fehlen von Firmenunterlagen u. ä. können Schwierigkeiten bei der weiteren Geschäfts- oder Erwerbstätigkeit entstehen.954 Zu dem Geheimnisschutz gilt das bereits oben Gesagte; ein grundrechtlieber Datenschutz ist zumindest auf Art. 14 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 zu gründen. Bei einer Postbeschlagnahme i. S. d. § 99 StPO liegt zudem ein Eingriff in das durch den unbestritten auch auf juristische Personen anwendbaren Art. 10 GG955 geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vor. Was die Verhältnismäßigkeitsprüfung und die dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angeht, ist auf das soeben zur Durchsuchung Ausgeführte zu verweisen. Im übrigen muß es ein Beschlagnahmeverbot für Zeugnisverweigerungsberechtigte wie in § 97 StPO auch hier zum Schutze der berechtigten Personengruppen geben.956 Dabei kommen freilich höchstens die Zeugnisverweigerungsrechte des § 53 StPO in Betracht, da es bei juristischen Personen an Angehörigen fehlt und neue Zeugnisverweigerungsrechte nach dem oben Ausgeführten957 nicht zu legitimieren sind. Ein Beschlagnahmeverbot sollte entsprechend der Rechtslage bei beschuldigten Individuen 958 auch für solche Schriftstücke gelten, in denen interne Überlegungen für die Verteidigungsstrategie festgehalten sind.959 Die bestehenden Vorschriften über die Beschlagnahme und die Herausgabepflicht lassen sich daher auf ein Strafverfahrensrecht für Verbände übertragen.

Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 516. BVerfGE 100,313, 356; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-BleibtreuiKlein, GO, Art. 10 Rn. 8, Art. 19 Rn. 13; Hermes, in: Dreier, GO, Art. 10 Rn. 23, Art. 19 111 Rn. 24; Huber; in: Mangoldt I Klein I Starck, GO, Art. 19 Abs. 3 Rn. 338; Gusy, in: Mangoldt/ Klein I Starck, GO, Art. 10 Rn. 47; Krüger; in: Sachs, GO, Art. 10 Rn. 11; Löwer; in: von MünchiKunig, GO, Art. 10 Rn. 6; Rüfner; in: IsenseeiKirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 116 Rn. 37; ders. , AöR 89 (1964), 305; Isensee, in: lsenseeiKirchhof, Handbuch des Staatsrechts V,§ 118 Rn. 60 (Art. 10 als ein Grundrecht zum Schutze des künstlichen forum intemum der juristischen Person, vgl. ebd. Rn. 1); Schmitt Glaeser; in: Isensee I Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 129 Rn. 67. 956 Vgl. in bezug auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Mandant bereits oben 3. Teil3. Abschnitt C. II. 2. b). 957 Vgl. 3. Teil 3. Abschnitt B. II. 4. a), c). 958 Vgl. BGH NJW 1973,2035,2036 f. 959 Vgl. zum Verfahren vor der Kartellbehörde: Wrage-Molkenthin/Bauer; in: Frankfurter Kommentar GWB, § 81 Rn. 126. 954

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3. Überwachung des Fernmeldeverkehrs und andere "heimliche" Eingriffe

Auch hinsichtlich der Maßnahmen der geltenden Strafprozeßordnung, die sich als "heimliche" Grundrechtseingriffe darstellen, ergibt sich im Grunde nichts anderes: Da Art. 10 GG in vollem Umfang auf juristische Personen anwendbar ist und dadurch auch der gesamte geschäftliche "postalische" Verkehr geschützt ist960, bedarf der Eingriff in das somit grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis durch Überwachung des Fernmeldeverkehrs ebenso gemäß Art. 10 Abs. 2 GG eines Gesetzes wie bei natürlichen Personen. Die Vorschriften der StPO sind daher auch hier grundsätzlich übertragbar; im einzelnen müßte bloß der Straftatenkatalog an das jeweilige Verbandsstrafenmodell angepaßt werden. Maßnahmen wie der Einsatz technischer Mittel in § 100 c StPO, die Rasterfahndung in § 98 a StPO und der Datenahgleich nach § 98 c StPO, die Eingriffe in das Recht auf informationeHe Selbstbestimmung und im Fall des sogenannten großen Lauschangriffs nach § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO in das Grundrecht aus Art. 13 GG darstellen, dürfen nur unter Beachtung des grundrechtliehen Schutzes der juristischen Person auf diese übertragen und angewendet werden. Auch hier gilt, daß selbst dann, wenn man der juristischen Person nicht einen auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützten Schutz gegen unbegrenzte Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten zusprechen möchte, ein entsprechender Schutz jedenfalls nach Art. 14 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG besteht. Der Einsatz Verdeckter Ermittler, § 110 a StPO, ist bei juristischen Personen in gleichem Maße zulässig wie bei natürlichen.

4. Vorläufiges Berufsverbot

Soweit ein Verbandsstrafrecht als Sanktion ein Ausübungsverbot der Tätigkeit der juristischen Person vorsehen sollte961 , ist als Zwangsmaßnahme zur Sicherstellung der Strafvollstreckung auch an ein vorläufiges Berufsverbot962 bzw. an Tätigkeitsbeschränkungenund -überwachungen963 zu denken. Die Vorschrift des§ 132 a Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. lO Rn. 8. So z. B. der Vorschlag bei Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 398 f.; vgl. auch die weiteren Nachweise oben 2. Teil 4. Abschnitt C. III. 962 Nach der Rspr. des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts sollen juristische Personen einen Beruf im weiten Sinne einer sinnvollen, erlaubten Tatigkeit ausüben können, vgl. BVerfGE 21, 261, 266; 30, 292, 312; 53, 1, 13; BVerwG NJW 1994, 2166, 2167. 963 Vgl. dazu auch den Vorschlag in Art. 6 § 5 des "Entwurfes eines Gesetzes zur Bekämpfung der Untemehmenskriminalität", in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 150; dazu Schünemann, ebenda, S. 141 f. ("Analogon zu der Untersuchungshaft"). 960

961

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3. Teil: Prozessuale Probleme

StPO ist dann entsprechend zu übertragen. Ähnliche Maßnahmen sieht beispielsweise Art. 706-45 Abs. 1 Nr. 3 und 4 des französischen Code de procedure penale vor. 964 5. Fazit

Die in der geltenden StPO vorgesehenen Zwangsmittel der Durchsuchung und Beschlagnahme, der "heimlichen Eingriffe" sowie des vorläufigen Berufsverbots bedürfen nur geringer Anpassungen, um in ein Strafverfahrensrecht für Verbände übertragen werden zu können. 111. Neue Zwangsmaßnahmen

Neben den auf das Verbandsstrafverfahren ohne weitere Modifizierungen übertragbaren Zwangsmaßnahmen bleibt zu überlegen, ob sich für die Strafverfolgung von juristischen Personen noch andere, neue Mittel anbieten, die beispielsweise als "Ersatz" für die nicht anwendbare Untersuchungshaft als Maßnahme zur Sicherung der Verfahrensdurchführung dienen können. 1. Verbandskaution

Um die Vollstreckung einer Geldstrafe zu sichern und aus diesem Grunde eine "Kapitalflucht" zu verhindern, ist an eine Kaution zu denken. Eine solche Verbandskaution ist in Frankreich bei Einführung der Verbandsstrafe in den Code de procedure penale eingefügt worden (Art. 706-45 Abs. 1 Nr. 1).965 Ein derartiger Eingriff, bei dem ein vom Richter zu bestimmender Geldbetrag als Sicherheit zu hinterlegen ist, ist weniger schwerwiegend als der in der Untersuchungshaft liegende Eingriff in die Bewegungsfreiheit bei natürlichen Personen und läßt sich ohne größere Schwierigkeiten rechtfertigen. Die Eignung zur Verfahrenssicherung ist bei entsprechender Kautionshöhe gewiß zu bejahen; daß auch hier der Eingriff im Einzelfall verhältnismäßig sein muß, steht außer Frage. 964 Nr. 3: "Interdiction d'emettre des cheques autres que ceux qui permettent le retrait de fonds par le tireur aupres du tire ou ceux qui sont certifies ou d'utiliser des cartes de paiernent." Nr. 4: "Interdiction d'exercer certaines activites professionelles ou sociales lorsque i'infraction a ete cornrnise dans i'exercice Oll a i'occaions de i'exercice de CeS activites et lorsqu'il est a redouter qu'une nouvelle infraction soit cornrnise." 965 Art. 706-45 Abs. 1 Nr. 1 lautet: "Le juge d'instruction peut placer Ia personne rnorale sous contröle judiciaire dans les conditions prevues aux articles 139 et 140 en Ia sournettant a une ou plusieurs des obligations suivantes: 1) Depot d'un cautionnernent dont le rnontant et les delais de versernent, en une ou plusieurs fois sont fixes par le juge d'instruction"; ebenso befürwortet Moreillon, ZStrR 1999, 343, für ein zukünftiges Schweizer Verbandsstrafverfahren eine derartige Maßnahme als Pendant zur Untersuchungshaft.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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2. Auflösungsverbot

Ob ein Auflösungsverbot bis zum Abschluß des Strafverfahrens zu befürworten ist, wie es Moreillon für ein künftiges Schweizer Verbandsstrafverfahrensrecht vorschlägt966, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. In einer Auflösung kann in manchen Fällen ein Verhalten gesehen werden, mit dem sich der Verband dem Strafverfahren zu entziehen versucht. Bei Menschen rechtfertigt zwar die insoweit im weitesten Sinne vergleichbare Selbsttötungsgefahr die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr nicht. 967 Doch ob nicht ein derartiges Auflösungsgebot eher zu vertreten ist oder ob es mit den Besonderheiten des Strafrechts und des Strafverfahrens nicht zu vereinbaren ist, soll unten näher untersucht werden. 968 IV. Zusammenfassung In einem Strafverfahren gegen Verbände werden solche Zwangsmaßnahmen gegen die juristische Person, die in höchstpersönliche Rechtsgüter eingreifen und daher nur die Vertreter der juristischen Person treffen können, nicht zulässig sein. Andere Mittel wie beispielsweise die Durchsuchung lassen sich ohne größere Modifizierungen auf das Verbandsstrafverfahrensrecht übertragen. Außerdem bieten sich neue Zwangsmittel an, welche die Besonderheiten der Rechtsnatur des beschuldigten Verbandes berücksichtigen.

F. Anwesenheitsrechte und -pflichten Das geltende Strafverfahrensrecht geht von der grundsätzlichen ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten zumindest in der Hauptverhandlung aus (§§ 230 f. StPO). Gegen abwesende Angeklagte kann ein Verfahren nur zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführt werden (§ 285 StPO). Gegen gänzlich ausgebliebene oder zeitweilig abwesende Angeklagte kann in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen 969 verhandelt werden. Diese grundsätzliche Anwesenheits- oder Erscheinenspflicht, die ihre Entsprechung in einem nicht ausdrücklich geregelten Anwesenheitsrecht 970 findet, wird teilweise so umschrieben, daß ein "Anwesenheitsprinzip" 971 in der Strafverfahrensordnung bestehe. Anwesenheits966 ZStrR 1999, 343: Durch einen Hinweis an das Handelsregister solle das Liquidationsverfahren bis zur Verurteilung blockiert werden können. 967 Vgl. dazu Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 112 Rn. 18 rn. w. N. 968 3. Tei15. Abschnitt. 969 §§ 231 Abs. 2 bis 233,247, 329 Abs. 2, 350 Abs. 2 StPO. 970 Vgl. Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 11 Rn. 58. 971 So z. B. Rieß, ZStW Beiheft 1978, 178 ff.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

rechte und -pflichten gibt es dabei auch im Ermittlungsverfahren. Einem nur teilweise bestehenden Anwesenheitsrecht des Beschuldigten für richterliche (vgl. § 168 c Abs. 2 StPO), nicht aber für polizeiliche oder staatsanwaltliehe Zeugenvernehmungen steht dort die Erscheinenspflicht972 bei schriftlicher Vorladung (§ 133 StP0)973 gegenüber. In einem Strafverfahren gegen juristische Personen ist, wie oben974 bereits ausgeführt, die "persönliche" Anwesenheit des beschuldigten Verbandes nicht möglich, da derartige Gebilde nicht "selbst" vor den Strafverfolgungsbehörden erscheinen können. Interessant ist die Frage der Anwesenheit auch deswegen, weil sie sich sowohl als Recht als auch als Pflicht darstellt und damit ein gutes Beispiel für die Rollenambivalenz des Beschuldigten in bezug auf seine Rechtsstellung ist. 975 Welche Auswirkungen die Notwendigkeit einer Vertretung durch Organe auf die Frage von Anwesenheitsrechten und -pflichten hat, soll im folgenden näher betrachtet werden. Hier soll der Einstieg wieder darüber erfolgen, daß die Rechtslage in anderen Verfahrensordnungen, d. h. in ausländischen Strafverfahrensordnungen und anderen Verfahrensordnungen des deutschen Rechts im Überblick dargestellt wird. I. Rechtslage in anderen Verfahrensordnungen 1. Anwesenheitsrechte und -pflichten von juristischen Personen und Personenvereinigungen in Strafverfahren ausländischer Rechtsordnungen

a) England

Wie bereits erwähnt976 , sah man in England zunächst ein gewichtiges Hindernis für die Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen vor allem darin, daß bei Verhandlungen vor bestimmten Gerichten ("assizes") die Anwesenheit des Angeklagten vorgeschrieben war, die juristische Person aber mangels körperlicher Existenz nicht vor diesen gerichtlichen Gremien erscheinen konnte. 977 Man behalf sich zunächst damit, die Sache in derartigen Fällen an den "Court of King's Bench", ein anderes Gericht, zu verweisen, bei dem die juristische Person durch 972 Die nicht im Sinne einer aktiven Mitwirkungspflicht zu verstehen ist; der Beschuldigte muß aber, wenn er der Ladung nicht folgt, die zwangsweise Vorführung dulden, vgl. Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 3. 973 Kleinknecht!Meyer-Goßner, StPO, § 133 Rn. 5. 974 Oben 3. Teil 2. Abschnitt C. (dort einleitend). 975 Vgl. zur Rollenambivalenz oben 3. Teil I. Abschnitt A. und Einleitung zum 3. Abschnitt. 976 Vgl. oben 3. Teil 2. Abschnitt C. I. 1. e). 977 Vgl. Leigh, Criminal Liability, S. 9 ff.; Smith & Hogan, Criminal Law, S. 180; Coffee, Encyclopaedia of Crime and Justice Vol. 1, S. 253.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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ihren Anwalt vertreten werden und so Stellungnahmen abgeben konnte. 978 Heutzutage ist die Möglichkeit der Vertretung der juristischen Person allgemein geregelt. Eine Erscheinenspflicht besteht jedoch nicht. Wenn die juristische Person, vertreten durch ihren Vertreter, nicht erscheint, geht das Gericht davon aus, daß sie sich "nicht schuldig" bekennt. 979

b) Vereinigte Staaten von Amerika

Für das Bundesrecht der USA findet sich eine ausdrückliche Ausnahme von dem Anwesenheitsgrundsatz, der für den Angeklagten in Rule 43 (a) der Federal Rules of Criminal Procedure aufgestellt ist, dort in Rule 43 (c) (1): Der Angeklagte muß nicht anwesend sein, wenn er von einem Verteidiger vertreten wird und eine Organisation, d. h. irgendeine andere Person als ein Mensch ist. 980

c) Kanada

In Kanada sieht der Criminal Code in Art. 620 für das Anklageverfahren vor einer Jury (jury trial) und in Art. 800 Abs. 3 für das summarische Verfahren (summary conviction) vor, daß die angeklagte juristische Person- vertreten durch einen Verteidiger oder einen Vertreter- erscheinen und plädieren sol1. 981 Wenn sie nicht erscheint, kann im Jury-Verfahren der Vorsitzende Richter anordnen, daß ein Gerichtsangestellter an Stelle der juristischen Person auf "nicht schuldig" plädiert (Art. 622). Im summarischen Verfahren kann bei Ausbleiben der juristischen Person auch ohne sie verhandelt werden (Art. 800 Abs. 3). Der Blick auf diese ausländischen Rechtsordnungen zeigt, daß dort der "Anwesenheitsgrundsatz" jedenfalls nicht als unüberwindbares Hindernis angesehen wird.

2. Anwesenheitsrechte und -pflichten von juristischen Personen und Personenvereinigungen in anderen Verfahrensordnungen im deutschen Recht

Fraglich ist, ob die Regelungen über die Anwesenheit in anderen Verfahren im deutschen Recht Vorgaben machen für ein Strafverfahrensrecht für Verbände. Vgl. Leigh, Criminal Liability, S. 10. Vgl. Leigh, Criminal Liability, S. 64 f. 980 Rule 43 (c) (I) lautet: "A defendant need not be present . . . when represented by counsel and the defendant is an organization, as defined in 18 U.S.C. Sec. 18". 981 Wortlaut der Vorschriften oben 3. Teil 2. Abschnitt C. I. I. b). 978

979

19 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

a) Zivilprozeß

Von einem "Anwesenheitsgrundsatz" im Zivilverfahren kann man nicht sprechen. Allgemein besteht im Zivilprozeß keine Anwesenheitspflicht der Parteien in der mündlichen Verhandlung. Möglich ist jedoch die Anordnung des persönlichen Erscheinens (§ 141 ZPO). Sinn und Zweck einer derartigen Anordnung ist es, durch die Befragung der Partei zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen. 982 Durch die Anhörung, die nicht Parteivernehmung und damit nicht Beweismittel im Zivilverfahren ist, sollen durch Klarstellung und Vervollständigung von Parteibehauptungen der unstreitige Sachverhalt ermittelt und die tatsächlichen Behauptungen festgelegt werden. 983 Dabei kann das persönliche Erscheinen durch Entsendung eines sachkundigen und von der Partei ermächtigten Vertreters ersetzt werden (vgl. § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO). Die Anordnung persönlichen Erscheinens kann sich, wenn Partei eine juristische Person ist, nur an deren gesetzlichen Vertreter richten. 984 Ein Recht der Parteien zur Anwesenheit besteht demgegenüber umfassend. Für die mündliche Verhandlung läßt sich das aus den Vorschriften über das Verfahren herleiten (vgl. § 128 Abs. 1, insbesondere auch § 137 Abs. 4 ZPO). Für die Beweisaufnahme ist für die Fälle, in denen die Allgemeinöffentlichkeit fehlt, das Recht zur Anwesenheit ausdrucklieh in § 357 Abs. 1 ZPO genannt. Dieses Recht steht selbstverständlich auch juristischen Personen als Parteien zu; sie werden dann bei der Ausübung ihrer Rechte durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten. b) Verwaltungsgerichtsverfahren

Die Anwesenheit der Beteiligten im Verwaltungsgerichtsverfahren ist ganz ähnlich wie in der ZPO geregelt. Aus § 102 Abs. 2 VwGO ergibt sich, daß die Beteiligten nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen müssen. Nach § 95 VwGO kann jedoch das persönliche Erscheinen der Beteiligten angeordnet werden. Aus § 95 Abs. 2 VwGO läßt sich ablesen, daß bei einer beteiligten juristischen Person oder Vereinigung der durch Gesetz oder Satzung Vertretungsberechtigte Adressat der Anordnung ist, denn gegen diesen kann das Gericht im Falle des Ausbleibens ein Ordnungsgeld androhen oder festsetzen. Das Recht des Beteiligten zur Anwesenheit ist für die Beweisaufnahme in § 97 VwGO geregelt.

982 983

984

Vgl. Stein/ Jonas/ Leipold, ZPO, § 141 Rn. 1; Zöller/ Greger, ZPO, § 141 Rn. l. Stein/Jonas/Leipo/d, ZPO, § 141 Rn. 1 f. Stein/ Jonas/ Leipold, ZPO, § 141 Rn. 7.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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c) Anwesenheitsrechte und-pflichtenvonjuristischen Personen im Veifahren zur Festsetzung einer Geldbuße Juristische Personen und Personenvereinigungen werden zum gerichtlichen Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße geladen. 985 Es kann dann ohne einen Vertreter der juristischen Person oder Personenvereinigung verhandelt werden, wenn dieser ausbleibt und nicht ausreichend entschuldigt ist (§ 444 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz StP0). 986 Im übrigen ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 444 Abs. 2 i. V. m. § 433 Abs. 2 StPO möglich; sie richtet sich gegen den Vertreter.987 Im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gibt es also ebensowenig wie in den anderen Verfahrensordnungen im deutschen Recht ein "Anwesenheitsprinzip", sondern lediglich ein Anwesenheitsrecht und die Möglichkeit des Gerichts, das persönliche Erscheinen eines Vertreters anzuordnen. II. Anwesenheitsrechte und -pflichten in einem künftigen Strafverfahren gegen juristische Personen und Personenvereinigungen

Die grundsätzliche Anwesenheitspflicht von Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung ist, wie sich an den übrigen Verfahrensordnungen im deutschen Recht erkennen läßt, eine Besonderheit des Strafverfahrens. Anders als in der ZPO, der VwGO und im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße hat es der Gesetzgeber hier offensichtlich nicht für ausreichend gehalten, die Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens vorzusehen. Welche Bedeutung der somit bestehende "Anwesenheitsgrundsatz" für ein Strafverfahrensrecht für Verbände hat bzw. inwieweit sich die Tatsache auswirkt, daß eine juristische Person nur vertreten durch ein Organ vor Gericht erscheinen kann, ist erst dann einzuschätzen, wenn Sinn und Zweck der Anwesenheitsregeln in der geltenden Strafprozeßordnung näher beleuchtet worden sind. Danach lassen sich Aussagen darüber machen, ob die Anwesenheit von Verbänden- wie in England und in Kanada- überhaupt nicht erforderlich ist oder ob den Anwesenheitsrechten und -pflichten wie im US-amerikanischen Bundesrecht durch das Erscheinen des Vertreters genügt werden kann. 985 Bei Festsetzung der Geldbuße im Rahmen des Strafverfahrens nach § 444 Abs. 2 StPO, für das gerichtliche Bußgeldverfahren in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. 986 Es leuchtet nicht ein, warum Schlüter (Strafbarkeit von Unternehmen, S. 196) § 444 Abs. 2 S. I StPO heranzieht, um darzulegen, daß dem der Wahrheitsermittlung und der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs dienenden Anwesenheitsgrundsatz durch Anwesenheit der Unternehmensvertreter genüge getan werde, denn § 444 Abs. 2 S. I StPO geht gerade nicht von einem Anwesenheitsgrundsatz bezüglich des Unternehmens aus und hat damit einen ganz anderen Inhalt als § 230 StPO. 987 Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 444 Rn. II . 19*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Vorweg sei noch bemerkt, daß in der Literatur zur Verbandsstrafe vereinzelt auf die Vereinbarkeil der Vertretung von juristischen Personen auf der einen und dem Erfordernis der Anwesenheit des Beschuldigten auf der anderen Seite eingegangen wird. Überwiegend988 wird darin jedoch kein Problem gesehen. Die Vertretung bedeute keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß der Beschuldigte persönlich vor Gericht zu erscheinen habe, sondern sei eine "entsprechende" Anwendung dieses Prinzips, was sich daraus ergebe, daß der Verband kein körperliches Wesen sei.989 Die Erfordernisse, die Hintergrund des Anwesenheitsgrundsatzes seien, nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs und die Einräumung der Möglichkeit zur uneingeschränkten Verteidigung, würden auch bei der Vertretung ausreichend Beachtung finden 990, und der mit der Anwesenheitspflicht bezweckten Wahrheitsermittlung werde genüge getan 991 . Ob dies stimmt, soll hier näher untersucht werden. Auszugehen ist zunächst von der Begründung von Anwesenheitsrechten und -pflichten im Strafverfahren gegen natürliche Personen. 1. Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren gegen natürliche Personen

Wie oben angedeutet, ist hinsichtlich der Fragen der Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren nach der geltenden StPO zwischen dem Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung zu unterscheiden. a) Anwesenheit des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren

Einleitend wurde bereits im Überblick erwähnt, daß im Ermittlungsverfahren ein Anwesenheitsrecht des Beschuldigten (und seines Verteidigers) für richterliche Vernehmungen 992 und Augenscheineinnahmen993 , nicht aber für polizeiliche994 oder staatsanwaltliehe Vernehmungen995 besteht. Das Anwesenheitsrecht bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren ergibt sich aus deren Zweck. 988 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 246; Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217 f.; Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 196; anders Hafter; Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 157 f., der- wie oben unter 3. Teil 2. Abschnitt C. (dort einleitend) bereits dargestellt- das Auftreten aller an dem Verbandsdelikt beteiligten Mitglieder und Organe für erforderlich hält. 989 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 217 f. 990 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 246. 99 1 Ganz knapp Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, S. 196, der den Schwerpunkt auf die Umsetzung der Anwesenheitspflicht durch Anwesenheit der Unternehmensvertreter und die damit verbundenen Probleme legt. 992 § 168 c Abs. 2 StPO. 993 § 168 d Abs. I StPO. 994 Vgl. § 161 a StPO. 995 Vgl. § 163 a Abs. 5 StPO.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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Anders als die Vernehmungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei dienen sie nicht ausschließlich der Tataufklärung und der Stoffsammlung, sondern auch der Beweissicherung. Da die Ergebnisse der richterlichen Vernehmung durch zeugenschaftliehe Vernehmung des Ermittlungsrichters in die Hauptverhandlung Eingang finden können, haben sie nicht nur vorläufigen Charakter, sondern nehmen unter Umständen bereits einen Teil der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung vorweg. Daher sollen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger schon bei diesen vorgezogenen Vernehmungen die gleichen Einwirkungsmöglichkeiten gegeben werden wie in der Hauptverhandlung. 996 Der Grund wiederum für das Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung wird gleich im Anschluß dargestellt. Der Zweck der Erscheinenspflicht bei Ladung gemäߧ 133 StPO wird darin gesehen, daß dem Richter Gelegenheit gegeben werden solle, mit dem Beschuldigten den Tatvorwurf zu erörtern, ihm die Rechtslage zu erklären997 oder sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen998 . Der Beschuldigte solle die Möglichkeit erhalten, nach erfolgter Belehrung über die Frage der Aussageverweigerung noch einmal nachzudenken. 999 b) Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung

Der "Anwesenheitsgrundsatz" für die Hauptverhandlung hat zwei Seiten: Einem Anwesenheitsrecht steht eine pflicht zum Erscheinen und zur ununterbrochenen Anwesenheit gegenüber. aa) Anwesenheitsrecht Ein Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in der StPO nicht besonders geregelt, wird aber entsprechend der Anwesenheitspflicht angenommen 1000 und ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG 1001 bzw. daraus, daß das Gesetz die Fälle des Ausschlusses des Anwesenheitsrechtes erkennbar abschließend regelt 1002 . Hinzu kommt die Regelung in Art. 14 Abs. 3d IPbürgpR, wonach der Angeklagte das Recht hat, bei der Verhandlung anwesend zu sein. 1003 Auch Vgl. zum Ganzen Fezer, Strafprozeßrecht, Fall3 Rn. 46; dens., JuS 1977,383. Eberhard Schmidt, JZ 1968, 356; KK-StPO-Boujong, § 133 Rn. 8. 998 LR-Hanack, § 133 Rn. 8. 999 KK-StPO-Boujong, § 133 Rn. 8; ähnlich auch Eberhard Schmidt, JZ 1968, 356. 1ooo Vgl. BGHSt 19, 144, 147; 26, 84, 90; BGH NStZ 1991, 246; Rieß, JZ 1975,266 und ZStW Beiheft 1978, 182 (jeweils unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbürgpR); Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 449; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 230 Rn. 4; AK-StPOKeller, § 230 Rn. 1. 1001 Vgl. BVerfGE 41, 246, 249; Fezer, Strafprozeßrecht, Fallll Rn. 58. 1oo2 Rieß, ZStW Beiheft 1978, 182. 996 997

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wenn keine Anwesenheitspflicht besteht, ist der Angeklagte daher grundsätzlich 1004 dazu berechtigt, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. 1005 bb) Anwesenheitspflicht Über Sinn und Zweck der für die Hauptverhandlung bestehenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten, die nur ausnahmsweise durchbrachen ist 1006, herrscht keine Einigkeit. Hier sollen die möglichen Begründungen für diese Pflicht, deren Erfüllung sich für den Angeklagten durchaus als Belastung darstellen kann 1007 , etwas genauer dargestellt werden, damit sie später auf ihre argumentative Tragkraft für die Rechtfertigung einer möglichen Anwesenheitspflicht von juristischen Personen überprüft werden können. Die Rechtsprechung und ein großer Teil der strafverfahrensrechtlichen Literatur sehen den Grund für die Anwesenheitspflicht einerseits darin, daß dem Angeklagten auf diesem Weg die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung sowie das rechtliche Gehör gesichert werden sollen. Andererseits diene die Anwesenheit dem Interesse der Wahrheitsermittlung, weil auch der unmittelbare Eindruck von der Person des Angeklagten, von seinem Auftreten und von seinen Erklärungen bzw. Auslassungen die Wahrheitsfindung förderten. 1008 Der Verzicht auf dieses Erkenntnismittel berge die Gefahr in sich, daß der Richter in eine ungerechte und zu harte Strafe "abirre". 1009 Selbst wenn der Angeklagte schweige und jede Mitwirkung verweigere, könne die Möglichkeit des persönlichen Eindrucks schon der Urteilsfindung dienen. 1010 Das Interesse an der Wahrheitserforschung wird vor allem von der Rechtsprechung zur Begründung einer Anwesenheitspflicht besonders herausgestellt. 1011 Wohl überwiegend wird dieser Aspekt aber als gleichrangig betrachtet mit dem Ziel, den Anspruch auf rechtliches Gehör zu gewährleisten. 1012 1003 Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Pakt mit der Maßgabe zugestimmt, daß die persönliche Anwesenheit des nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten in das Ermessen des Gerichts gestellt wird (Ratifizierungsgesetz vom 15. 11. 1973). 1004 Zu den Ausnahmen vgl. §§ 231 b, 247 StPO. 1005 BGHSt 26, 228, 234; 28, 35, 36 f.; Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 230 Rn. 4. 1006 Vgl. §§ 231 Abs. 2, 231 a, 231 b, 231 c, 232, 233,247 StPO. 1007 Vgl. hierzu Ulrich Stein, ZStW 97 (1985), 303. toos BOHSt 3, 187, 190 f.; 26, 84, 90; BOH NStZ 1991, 246; ROSt 29, 44, 48; ROSt 60, 179, 180; Niethammer, in: Festschrift für Rosenfeld, S. 120, 125; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, § 230 Rn. 3; LR-Gollwitzer, § 230 Rn. 1; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 86; ähnlich auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42 F I 1. 1009 Niethammer, Festschrift für Rosenfeld, S. 125. 1010 LR-Gollwitzer. § 230 Rn. I. tOll Vgl. nur ROSt 60, 179, 180; BOHSt 26, 84, 90; BOH NStZ 1991, 246. 1012 Vgl. ROSt 29, 22, 28; LR-Gollwitzer. § 230 Rn. 1; Niethammer, in: Festschrift für Rosenfeld, S. 128 (die Anwesenheit sei wichtig für die Sachverhaltsergründung, Verteidigung

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Teilweise wird der Aspekt der Wahrheitsermittlung anders gewichtet. Denn der Angeklagte habe ein Schweigerecht und damit ein umfassendes Recht zu passivem Verhalten (auch) in der Hauptverhandlung. Wenn er, gezwungen zum Erscheinen, davon auch umfassend Gebrauch macht, werde sein "stummes Dasitzen" aber kaum bei der Wahrheitsermittlung helfen. 1013 Lediglich dann, wenn die Anwesenheit des Angeklagten als Objekt der "Besichtigung" oder für eine Gegenüberstellung mit Zeugen oder Sachverständigen erforderlich sei, könne die Sachverhaltserforschung als Grund für die Erscheinenspflicht einige Eigenständigkeit entwickeln, wobei zu diesem Zwecke aber Vorschriften wie § 141 ZPO und § 236 StPO ausreichten1014, welche die Anordnung des persönlichen Erscheinens regeln. Daneben habe der Hinweis auf die Wahrheitserforschung nur insoweit Bedeutung, als die Gewährung des rechtlichen Gehörs auch dazu beitragen solle, eine wahrheitsgemäße und gerechte Entscheidung herbeizuführen. 1015 So wird die Anwesenheitspflicht unter Beriicksichtigung der Bedeutung der Hauptverhandlung im Strafverfahren vor allem als besondere Absicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begriffen und gerechtfertigt: Ausgangspunkt der Argumentation ist dabei, daß die Hauptverhandlung im Strafverfahren durch ein besonderes Maß an Unmittelbarkeit und Mündlichkeit geprägt und der Inhalt der Hauptverhandlung Grundlage für das Urteil ist. 1016 Die Anwesenheit in der Verhandlung sichere dem Angeklagten die Möglichkeit, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen. 1017 Da Inhalt und Verlauf der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht vorhersehbar seien, könne der Angeklagte die Bedeutung der Hauptverhandlung nicht vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens her beurteilen. 1018 Er könne daher häufig nicht im voraus beurteilen, ob seine Anwesenheit für seine Verteidigung von besonderer Bedeutung ist, um dann mittels der von der StPO vorgesehen Rechte (wie Frage-, 1019 Erklärungs-, 1020 Beweisantrags-1021 und -würdigungsrechte 1022) in den Verfahrensverlauf eingreifen zu köndes Angeklagten und die Bemessung der Strafe); Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO Il, § 230 Rn. 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 230 Rn. 3; SK-StPO-Schlüchter, § 230 Rn. 1; SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 86; KK-StPO-Tolksdoif, § 230 Rn. 1; KMR-Paulus, § 230 Rn. 3; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42 F I. 1; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 449. 1013 Rieß, JZ 1975, 267; vgl. dazu auch Ulrich Stein, ZStW 97 (1985), 322 ff.; Julius, GA 1992, 299. 1014 Vgl. Rieß, JZ 1975, 267; zustimmend Julius, GA 1992, 299. 1015 Rieß, ZStW Beiheft 1978, 184 f.; Julius, GA 1992, 299; vgl. auch Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 11 Rn. 61: Die Verbesserung für die Urteilstindung sei nur Nebeneffekt der Sicherung des rechtlichen Gehörs (Hervorhebung von Veif.) . 1016 Vgl. Rieß, ZStW Beiheft 1978, 183 f.; Fezer, Strafprozeßrecht, Fallll Rn. 61. 1017 Rieß, ZStW Beiheft 1978, 184. 101s Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 11 Rn. 61. 1019 Vgl. § 240 Abs. 2 StPO. 1020 Vgl. § 257 Abs. 1 StPO. 1021 Vgl. §§ 244 ff. StPO.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

nen. Die Notwendigkeit, z. B. einen Beweisantrag zu stellen oder sich zur Sache zu äußern, könne sich unter Umständen erst aufgrunddes Verlaufs der Beweisaufnahme ergeben. 1023 Somit sei die Anwesenheitspflicht als Ausdruck der prozessualen Fürsorge zu verstehen, die den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör sichern wolle 1024, wenn der Angeklagte die überragende Bedeutung seines Anwesenheitsrechts nicht klar erkenne. 1025 Andere Autoren betrachten die Existenz einer umfassenden Anwesenheitspflicht für die gesamte Dauer des Strafverfahrens insgesamt kritisch bis ablehnend. 1026 2. Folgerungen für das Verfahren gegen juristische Personen

Entscheidend ist nun, welche Bedeutung dies für ein Strafverfahren gegen juristische Personen hat. Zunächst könnte man - unter anderem aus Anlaß der überkommenden Regelung im englischen Recht - auf den Gedanken kommen, daß ein Verbandsstrafverfahren vielleicht deswegen gar nicht möglich ist, weil Verbände nicht selbst anwesend sein, sondern höchstens vertreten durch ihr Vertretungsorgan vor den Strafverfolgungsbehörden erscheinen können.

a) .,Anwesenheitsgrundsatz" als Hindernis für ein Verfahren gegen juristische Personen?

Die Tatsache, daß juristische Personen nicht vor Gericht erscheinen können, würde nur dann ein Hindernis für ein Verbandsstrafverfahren darstellen, wenn der Grundsatz (höchst)persönlicher Anwesenheit des Angeklagten als schlechthin konstituierend für ein Strafverfahren anzusehen wäre und die Vertretung einer juristischen Person im Verfahren durch ihre organschaftliehen Vertreter dieser persönliVgl. § 258 Abs. 1 StPO. Fezer; Strafprozeßrecht, Fall II Rn. 60 f.; auch Rieß, JZ 1975, 267; ders., ZStW Beiheft 1978, 184. 1024 Vgl. Fezer; Strafprozeßrecht, Fall II Rn. 60. 102s Rieß, JZ 1975, 267 f.; ähnlich auch ders., ZStW Beiheft 1978, 185, wo er jedoch eher den objektiv-rechtlichen Charakter der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in den Vordergrund stellt; das Fernbleiben komme einem unzulässigen .,Vorausverzicht" nahe. 1026 Vgl. dazu Ulrich Stein, ZStW 97 (1985), 303 ff.; Julius, GA 1992, 295 ff.: Nicht nur die Rechtfertigung mit dem Zwecke der Wahrheitsermittlung wird bezweifelt, vielmehr stehe einer Begrundung auf Grundlage des Fürsorgegedankens das Autonomieprinzip entgegen; dem Angeklagten müsse die Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wie seiner Verteidigung und damit auch über seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung überlassen werden, solange sie auf freier Willensbildung und-betätigungberuhe (Ulrich Stein, ZStW 97 (1985), 316 ff.) bzw. zumindest könne der Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen des Gerichts, so Julius, durch ein milderes Mittel erreicht werden, beispielsweise mit der Schaffung gerichtlicher Hinweispflichten entsprechend§ 265 StPO (lulius, GA 1992, 303 ff.). 1022

1023

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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chen Anwesenheit nicht gleichgestellt werden könnte. Eine derartige Bedeutung kommt den Anwesenheitsrechten und -pflichten jedoch nicht zu, wie sich aus folgenden Erwägungen ergibt: Zum einen ist zu bedenken, daß die Anwesenheit des Angeklagten schon im geltenden Strafverfahrensrecht nicht durchgehend erforderlich ist, wie sich anhand der§§ 231 Abs. 2, 231 a, 231 b, 231 c, 232,233,247 StPO erkennen läßt. Das zeigt, daß ein Strafverfahren in bestimmten (Ausnahme-)Fällen durchaus ohne den Angeklagten durchgeführt werden kann. 1027 So entnimmt der Bundesgerichtshof auch diesen Ausnahmen, daß der "Gesetzgeber den Anwesenheitsgrundsatz nicht überbewerten wollte". 1028 Daraus ergibt sich die folgende, gewichtigere Überlegung: Es handelt sich bei dem "Anwesenheitsgrundsatz" selbst nicht um eine übergeordnete Verfahrensmaxime. Vielmehr müssen die Regelungen zur grundsätzlichen Anwesenheitspflicht so verstanden werden, daß der Gesetzgeber diese Pflicht - und das damit korrespondierende Recht - als die bestmögliche einfachgesetzliche Umsetzung von bestimmten übergeordneten Verfahrensgesichtspunkten angesehen hat, und zwar, wie sich aus den Materialien zur Strafprozeßordnung ergibt, zur Sicherung der Gehörsund Verteidigungsrechte sowie des Interesses an der Wahrheitsfindung. 1029 Selbst wenn diese Ziele in einem Strafverfahren gegen juristische Personen Geltung beanspruchen sollten, heißt das nicht, daß sie notwendigerweise mit genau diesem Mittel der höchstpersönlichen Anwesenheit verfolgt werden müßten und daß dann, wenn dieses Mittel - wie bei Verbänden - bei natürlicher Betrachtungsweise unmöglich umgesetzt werden kann, das Strafverfahren ebenfalls unmöglich würde. Nur aus dem Grunde, daß der Verband nicht physisch anwesend sein kann, kann daher nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß ein Strafprozeß gegen juristische Personen überhaupt undurchführbar wird. Denn der Anwesenheitsgrundsatz ist weder Selbstzweck noch übergeordneter Prozeßgrundsatz, sondern nur die einfachgesetzliche Ausformung übergeordneter Prinzipien und Rechte. Als Hindernis für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen juristische Personen kann ein "Anwesenheitsgrundsatz" nicht verstanden werden. b) Übernahme der einfachgesetzlichen Regelungen in ein Strafverfahrensrecht für juristische Personen und Personenvereinigungen

Eine andere Frage ist, ob sich für das Verbandsstrafverfahrensrecht ein Anwesenheitsrecht des beschuldigten Verbandes, vertreten durch seine Organe, ergibt und ob eine Anwesenheitspflicht entsprechend den Vorschriften der geltenden StPO zu empfehlen wäre. Das hängt jeweils davon ab, inwieweit sich die Begrün1027 Auf die Durchbrechungen weist auch Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 218, hin. to28 BGHSt 26, 84, 90. 1029 Vgl. Hahn, Materialien I, S. 185 f.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

dungen für Anwesenheitsrechte und -pflichten auf juristische Personen und Personenvereinigungen übertragen lassen. aa) Anwesenheitsrechte Für die Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren muß für den beschuldigten Verband dasselbe gelten wie für natürliche Personen als Beschuldigte. Soweit die Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren schon einen Teil der Beweisaufnahme im Hauptverfahren vorwegnimmt, müssen die Anwesenheitsrechte, die dem Angeklagten in der Hauptverhandlung zustehen, auch schon bei der Beweisaufnahme gelten. Es ist also zu untersuchen, ob die angeklagte juristische Person in der Hauptverhandlung ebenso wie eine natürliche Person ein Anwesenheitsrecht hat. Wie oben dargestellt, ist das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung Ausdruck seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, der auch juristischen Personen zusteht. 1030 Das rechtliche Gehör der juristischen Person kann am besten dadurch gewährleistet werden, daß ihre Vertreter in der Hauptverhandlung anwesend sind. Diese natürlichen Personen, die am unmittelbarsten mit der juristischen Person verbunden sind und daher am ehesten ihre Interessen wahrnehmen können, haben bei Anwesenheit in der Hauptverhandlung die besten Möglichkeiten, auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme und auf die Ausführungen der übrigen Verfahrensbeteiligten Einfluß nehmen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen durch das Recht der Vertreter, anwesend zu sein, ausreichend gewährleistet. bb) Anwesenheitspflichten Ob die Regelungen über die Anwesenheitspflichten ebenfalls zu übernehmen sind, ist demgegenüber problematischer. Zwar müssen auch im Strafverfahren gegen Verbände die mit der Anwesenheitspflicht angestrebten Ziele, nämlich einerseits die Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und andererseits das Interesse an der Wahrheitstindung - sofern man dies überhaupt der Anwesenheitspflicht zugrunde legen möchte - Geltung finden. Problematisch ist demgegenüber, ob diese Ziele mit der - erzwungenen- Anwesenheit des Verbandes in Person seines organschaftliehen Vertreters erreicht werden können. Die juristische Person selbst kann ja nicht anwesend sein, eine Pflicht zum Erscheinen und zur Anwesenheit könnte letztlich nur den oder die Vertreter treffen. Das ist zwar nicht den Bedenken ausgesetzt, die oben 1031 insbe1030 1031

Vgl. oben 3. Teil 3. Abschnitt A. II. 3. Teil 3. AbschnittE. I. l. b).

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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sondere gegenüber einer Untersuchungshaft für juristische Personen geäußert wurden. Denn hier ist der Austausch der einzelnen Vertreter durchaus möglich, und überdies ist es ohne weiteres zu rechtfertigen, daß für die Zeit der Hauptverhandlung der Vertreter mit der juristischen Person gleichgesetzt wird, denn die Verpflichtung trifft ihn nicht in einem derartigen, höchstpersönlichen Maße wie die ihn absolut beanspruchende Untersuchungshaft. Zu problematisieren ist wegen der Notwendigkeit der Vertretung aber, inwieweit sich der schon oben 1032 erwähnte Unterschied zwischen einem Verfahren gegen natürliche Personen und dem gegen juristische Personen, die notwendigerweise in Gestalt ihrer Vertreter auftreten, hierbei bemerkbar macht. Vorweg ist hier daran zu erinnern, daß trotz - rechtlicher - Gleichsetzung von juristischer Person und ihrem organschaftliehen Vertreter bei "natürlicher Betrachtungsweise" nicht der Beschuldigte selbst, sondern eine für ihn als Organ auftretende natürliche Person vor Gericht erschiene. ( 1) Anwesenheitspflicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung

Legt man zunächst einmal trotz der oben dargestellten Einwände das Interesse an umfassender Wahrheitsermittlung als Sinn und Zweck einer Anwesenheitspflicht zugrunde, so ist als Ausgangspunkt wiederum zu betonen, daß es auch im Strafverfahren gegen juristische Personen um die Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts geht. Inwieweit die Anwesenheitspflicht, die nur durch einen oder mehrere Vertreter erfüllt werden kann, zur Erreichung dieses Zieles dienen kann, ist fraglich. (a) Persönlicher Eindruck vom Angeklagten? Zunächst einmal verliert das oben dargestellte Argument, daß der Richter sich zum Zwecke der Wahrheitstindung einen "Eindruck von der Person" des Angeklagten, von seinem Auftreten und seinem Verhalten machen können müsse, bei einer juristischen Person und ihrem in der Hauptverhandlung anwesenden Vertreter - noch über das hinaus, was sich für das Individualstrafverfahren dagegen einwenden läßt 1033 - an Stichhaltigkeit. Denn die Person, die in der Hauptverhandlung vor dem Richter sitzt, ist, wie gesagt, bei "natürlicher Betrachtungsweise" nicht der Angeklagte, sondern dessen Vertreter, auch wenn er dabei die Stellung des Angeklagten einnimmt. Doch einen persönlichen Eindruck wird der Richter dann nur von diesem Vertreter als Individuum bekommen, nicht aber von der juristischen Person. 1034 Man könnte nun auf die Idee kommen, diesen Eindruck von der Person des Vertreters der juristischen Person zuzurechnen, so daß im Rechtssinne auf dieOben 3. Teil 2. Abschnitt C. II. I. Vgl. Ulrich Stein, ZStW 97 (1985), S. 325 f. 1034 Im Ergebnis ebenso Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 201, der dies im Zusammenhang damit erörtert, ob das Unternehmen bei Erscheinen nur des zur Einzelvertretung berechtigten Vertreters anwesend ist, was er bejaht. 1032

1033

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3. Teil: Prozessuale Probleme

sem Wege doch ein "Eindruck von der juristischen Person" entsteht. Im Zivilrecht mag Vergleichbares seine Berechtigung haben, wenn für die Frage der Bedürftigkeit im Rahmen der Prozeßkostenhilfe oder die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung auf persönliche Eigenschaften des maßgebenden Gesellschafters rekurriert wird. 1035 Zur Ermittlung des wahren Sachverhaltes trägt eine solche Zurechnung aber nichts bei. Der Vertretung des Angeklagten als "Beweismittel" sind auch bei der organschaftliehen Vertretung einer angeklagten juristischen Person Grenzen gesetzt. Vorstellbar ist lediglich, daß der Vertreter indirekt ein gewisses Bild des Verbandes vermitteln kann. Denkbar ist das, wenn der Richter verläßlich Rückschlüsse aus der Tatsache ziehen kann, daß die vor ihm sitzende Person von den Verbandsmitgliedern zum Vertretungsorgan bestimmt wurde. In Extremfällen, zum Beispiel wenn es sich um einen bekanntermaßen mehrfach einschlägig Vorbestraften handelt, mag sich daraus der Schluß auf die Gesamtheit der Mitglieder und auf den Verband erlauben. Unabhängig davon, daß eine solche Schlußfolgerung nur mit aller Vorsicht gezogen werden dürfte, ist auch dann der Eindruck, den der Richter bekommt, jedenfalls nicht so unmittelbar wie beim Prozeß gegen eine natürliche Person. (b) Vertreter als Objekt für die Augenscheineinnahme? Auch als Objekt für "äußere Besichtigungen" und Gegenüberstellungen eignet sich der Vertreter nicht. Er ist zwar unverzichtbarer Teil der angeklagten juristischen Person und ist im Prozeß "als Angeklagter" zu behandeln; wenn es jedoch um seinen Körper geht, der ja allein besichtigt werden könnte, geht es nicht um die juristische Person, sondern nur um den Vertreter als Menschen. 1036 Objekt der Besichtigung könnte bei einer juristischen Person hingegen lediglich der interne Aufbau sein, das Organigramm, der Geschäftsverteilungsplan oder das tatsächliche Zusammenspiel der einzelnen Verbandsangehörigen. Daß insbesondere letzteres in der Praxis ohnehin schwierig zu beobachten sein wird und dies jedenfalls nicht in der Hauptverhandlung zu bewerkstelligen ist, liegt auf der Hand. (c) Anwesenheitspflichten bei Auskunftspflichten Eine Anwesenheitspflicht für juristische Personen, nachgekommen durch ihre Vertreter, kann aus Gründen der Wahrheitstindung jedoch dann bestehen, wenn der 1035 S. die einzelnen Fallgruppen bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 215 f. m. w. N.: Verwandtschaft, "Armut" (vgl. dazu auch § 116 Nr. 2 ZPO), Vertrauenswürdigkeit und Wirtschaftsfähigkeit der juristischen Person bestimmen sich für bestimmte Bereiche nach den einflußreichen Gesellschaftern. 1036 Zu der Frage, wo genau die Grenzlinie zwischen den höchstpersönlichen Eigenschaften und Rechtsgütern des Vertreters und den Rechtsgütern und zugerechneten Eigenschaften des Verbandes zu ziehen ist, vgl. oben 3. Teil 3. AbschnittE. I. 3.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

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juristischen Person ausnahmsweise Auskunftspflichten auferlegt werden können. Dann wird der Vertreter gleich einem Zeugen - dessen Stellung er jedoch auch dann nicht innehat - zum Erscheinen gezwungen werden können, damit das Gericht die Auskünfte, die es berechtigterweise einholen darf, auch in umfassendem Maße erhält. In solchen FäHen wird es, wenn der Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nur durch Anwesenheit aller Vertreter ausreichend genüge getan werden kann, auch auf die Anwesenheit aller ankommen können, selbst wenn satzungsmäßig Einzelvertretung vereinbart ist. Daraus läßt sich aber eine Anwesenheitspflicht für die gesamte Hauptverhandlung nicht herleiten; eine Ladung nur zur Vernehmung würde ausreichen, damit das Gericht entsprechend der bestehenden Auskunftspflicht der juristischen Person unterrichtet werden kann. Ein solches Vorgehen entspräche der Anordnung des persönlichen Erscheinens im Zivil- und Verwaltungsgerichtsverfahren. (2) Anwesenheitspflicht zum Schutze des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Soll über eine Anordnung des persönlichen Erscheinens hinaus die Anwesenheitspflicht für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung begründet werden, so ist dies nur mit dem Gedanken der gerichtlichen Fürsorge im Hinblick auf die Ausübung des auch juristischen Personen und Personenvereinigungen zustehenden Anspruchs auf rechtliches Gehör zu begründen. Für die Frage, ob sich eine letzten Endes aufgenötigte Fürsorge auch für juristische Personen rechtfertigen läßt, ist zunächst der Begriff der prozessualen Fürsorgepflicht näher zu betrachten. Er wird verstanden als ein Sammelbegriff für verschiedene Nebenpflichten aus dem Rechtsstaatsprinzip, aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, aus dem Recht auf Verteidigung, aus dem Recht auf ein faires Verfahren und aus der allgemeinen Pflicht, das Verfahren justizförmig zu gestalten1037, teilweise auch als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips 1038 . Zwar sindjuristische Personen nicht Begünstigte des Sozialstaatsprinzips 1039 , doch darauf kommt es für die Frage der Fürsorgepflicht zumindest im Hinblick auf die Anwesenheit im Hauptverfahren auch nicht an. Denn sobald man die Anwesenheitspflicht im Hauptverfahren als Ausdruck der gerichtlichen Fürsorge damit begründet, daß so auch derjenige Angeklagte von seinen Rechten Gebrauch machen kann, der nicht erkennt, welche weitreichende Bedeutung seine Anwesenheit für die Ausübung seiner Rechte hat, läßt sich dies im gleichem Maße wie das Recht auf einen Verteidigerbeistand und die Notwendigkeit von Belehrungsvorschriften auch auf juristische Personen übertragen. Wie schon zu diesen Problembereichen ausgeführt, muß man bei juristischen Personen ebenso wie bei Menschen von unterVgl. Kleinknecht I Meyer-Goßner. StPO, Ein! Rn. 156. SK-StPO-Rogall, Vor§ 133 Rn. 113. 1039 BVerfGE 35, 348, 355 f.; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 108; vgl. auch oben 3. Teil 3. Abschnitt C. I. 2. b) aa). 1037

1038

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3. Teil: Prozessuale Probleme

schiedlichen Kenntnissen und Handlungsmöglichkeiten und deren Auswirkung auf das Verhalten im Hauptverfahren ausgehen. Auch unter juristischen Personen gibt es Unterschiede im Hinblick auf die finanziellen Mittel und damit auf die Möglichkeiten, sich durch Rechtsbeistände beraten zu lassen. Ebenso ist hinsichtlich der von ihrer personellen Zusammensetzung abhängigen "intellektuellen" oder "sozialen Kompetenz" anzunehmen, daß manche juristische Personen der gerichtlichen Fürsorge bedürfen, damit die ihnen zugestandenen Rechte auch zur Entfaltung kommen können. Selbst im Vergleich mit bestimmten natürlichen Personen werden manche juristische Personen als "schwächer" anzusehen sein, was ihre Verteidigungsmöglichkeiten angeht. So kann ein wohlhabender, einflußreicher und eloquenter Mensch weitaus bessere Verteidiger bestellen und sich geschickter einlassen als dies etwa eine kleine GmbH kann, die einen wenig kompetenten Geschäftsführer hat. Das mit der Anwesenheitspflicht verfolgte Ziel, dem Angeklagten die tatsächliche Ausübung seiner Rechte zu gewährleisten, besteht daher aus denselben Gründen wie im Individualstrafverfahren. Doch auch hier macht sich der bereits oben 1040 betonte Unterschied zwischen dem angeklagten Menschen, der am besten darüber Bescheid weiß, inwieweit der Tatvorwurf zutrifft, und dem organschaftliehen Vertreter einer juristischen Person bemerkbar. Zu bedenken ist nämlich folgendes: Grund für die (höchstpersönliche) Anwesenheitspflicht des Angeklagten im Individualstrafverfahren und damit für den Ausschluß einer Stellvertretung muß hinsichtlich des Ziels der optimalen Gewährleistung seiner Rechte sein, daß gerade der eigene Eindruck des Angeklagten von der Hauptverhandlung für die Abstimmung seines Verteidigungsverhaltens erforderlich ist. Offensichtlich wird bei einer Vertretung die Möglichkeit adäquater Reaktionen auf unvorhersehbare Geschehnisse in der Hauptverhandlung in der Regel nicht für ausreichend gehalten. Dahinter muß wiederum die Annahme stehen, daß es für die bestmögliche Verteidigung darauf ankommt, die Hauptverhandlung mit dem Wissen über die eigene Rolle hinsichtlich des Tatvorwurfs zu verfolgen, da nur so die volle Bedeutung der einzelnen Bestandteile der Hauptverhandlung, insbesondere der Ergebnisse der Beweisaufnahme erkannt werden kann. Wie oben festgestellt wurde, kann es beim organschaftliehen Vertreter einer juristischen Person unter Umständen an diesem Wissen fehlen. Dieser Unterschied zwischen handlungsfähigem Menschen und auf Vertretung angewiesener, selbst handlungsunfähiger juristischer Person besteht, muß aber nicht bedeuten, daß nicht doch eine "Anwesenheitspflicht" der juristischen Person in dem Sinne aufgestellt werden kann, daß stets ein Vertreter als eine Art "Prozeßbeobachter", der die Rechte der juristischen Person gegebenenfalls ausüben kann, zu entsenden ist. Ziel ist der Schutz der angeklagten juristischen Person vor Verlust ihrer Rechte im Verfahren; dies kann dadurch erreicht werden, daß sie - vertreten durch ihre Vertreter - Kenntnis von Ereignissen wie dem Ausgang der Beweisaufnahme erhält. Eine "Anwesenheitspflicht" des Verbandes, welche durch die Anwe1040

3. Teil 2. Abschnitt C. II. 1.

3. Abschnitt: Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person

303

senheit der organschaftliehen Vertreter erfüllt wird, ist zur Erreichung dieses Zieles geeignet und dazu trotz der beschriebenen Probleme der Vertretung im Regelfall auch das beste Mittel. Denn bei ihnen ist am ehesten gewährleistet, daß sie als Organe die Interessen der juristischen Person sachgemäß wahrnehmen. Falls im Einzelfall die Anwesenheit der Vertretungsorgane einmal weniger Gewährleistung dafür bietet, daß die Rechte der juristischen Person auch zur Entfaltung kommen, als dies bei Entsendung eines instruierten sonstigen, d. h. eines - im Sinne des § 234 StPO bevollmächtigten- Vertreters der Fall ist, reicht letztere aus. Im Ergebnis bedeutet dies, daß der juristischen Person zwar im Hinblick auf die Einräumung der bestmöglichen Verteidigungsposition neben der Zubilligung eines Anwesenheitsrechts auch eine "Anwesenheitspflicht" auferlegt werden kann. Diese Pflicht ist aber gegenüber der höchstpersönlichen Anwesenheitspflicht des Angeklagten im Individualstrafverfahren modifiziert. Der Inhalt der Pflicht der juristischen Person kann nur sein, daß während des gesamten Verfahrens zum Schutze ihrer Rechte ein organschaftlieber Vertreter als gerichtlicher Vertreter der juristischen Person anwesend zu sein hat bzw. bei Gesamtvertretung ohne Ermächtigung eines einzelnen Vertreters alle Vertreter anwesend sein müssen, da sie nur gemeinsam zur Rechtsausübung befugt sind. 1041 Dabei ist aber nicht eine bestimmte natürliche Person zur Anwesenheit verpflichtet, so daß bei Wechsel der Organmitglieder auch die Person des gerichtlichen Vertreters wechseln kann. Ein derartiger Wechsel wird in den meisten Fällen als Konsequenz aus dem Wesen der juristischen Person schlicht hinzunehmen sein. Eine Einschränkung der verbandsautonomen Bestimmung von Vertretern wird jedenfalls bei einem Verständnis der Anwesenheitspflicht als Folge von Fürsorgeüberlegungen nicht mit der notwendigen Verhinderung von Verfahrensbeeinträchtigungen zu begründen sein 1042, wie sich aus dem Vergleich mit dem Recht ergibt, seine Verteidiger frei zu wählen, auch wenn dies zu Verzögerungen führt 1043• Nur in Grenzfällen mag in Anlehnung an die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers 1044 die gerichtliche Bestimmung eines - zusätzlichen - Vertreters notwendig werden, um so die Zwecke der Anwesenheitspflicht gewährleisten zu können. Was die Durchsetzung der Anwesenheitspflicht der juristischen Person durch Zwangsmittel angeht, so lassen sich die in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Maßnahmen nach den oben 1045 herausgestellten Grundsätzen hinsichtlich der Pflichtenstellung von juristischen Personen nicht auf ein Verbandsstrafverfahrensrecht übertragen. Insbesondere gilt das entgegen der Auffassung Schlüters 1046 für den Erlaß des Haftbefehls. Da die hier modifizierte Anwesenheitspflicht der juristischen Per1041 1042 1043 1044 1045 1046

Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 201 f. So Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 203 f. Vgl. LR-Lüderssen, § 138 Rn. 79. Vgl. LR-Lüderssen, § 141 Rn. 44. 3. Teil 3. AbschnittE. I. 3. Strafbarkeit von Unternehmen, S. 198 ff.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

son keine bestimmte natürliche Person trifft, weil andernfalls nur in deren Rechtsgüter, nicht aber in die der juristischen Person final eingegriffen würde, sondern vielmehr den jeweiligen, nicht namentlich bestimmten gerichtlichen Vertreter verpflichtet, ist auch die Anordnung von Haft einem bestimmten Vertreter gegenüber nicht geeignet, um die beschriebene "Anwesenheitspflicht" durchzusetzen. Das geeignete Mittel ist demgegenüber die Festsetzung eines Zwangs- oder eines Ordnungsgeldes nach Vorbild des § 141 Abs. 3 S. 1 ZPO gegen die juristische Person. Innerverbandlieh ist dann dafür Sorge zu tragen, daß der jeweilige Vertretungsbefugte die Anwesenheitspflicht gegenüber dem Gericht erfüllt. Die satzungsmäßige Verpflichtung des Organs, die juristische Person gerichtlich zu vertreten und ihre Rechte wahrzunehmen, kann hingegen aus den genannten Gründen nicht die Zulässigkeit einer Haft im Sinne des § 230 Abs. 2 StPO begründen. 1047 111. Zusammenfassung

Ein Anwesenheitsgrundsatz in dem Sinne, daß die körperliche Anwesenheit des Angeklagten als unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung eines Strafverfahrens angesehen werden kann, besteht nicht. Damit stellt die Tatsache, daß ein Verband nicht physisch vor Gericht erscheinen kann, nicht- wie im alten englischen Recht angenommen - ein Hindernis für die Durchführung eines Strafverfahrens dar. Ein "Anwesenheitsrecht" der juristischen Person zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör ist zu bejahen und wird grundsätzlich vom arganschaftliehen Vertreter ausgeübt. Eine dauernde "Anwesenheitspflicht" kann nur mit Fürsorgeüberlegungen mit Blick auf die Verteidigungsrechte und das Recht auf gerichtliches Gehör begründet werden. Die Pflicht wird durch die Anwesenheit des organschaftliehen Vertreters und im Einzelfall durch die eines Bevollmächtigten erfüllt.

G. Zusammenfassung Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person wird bestimmt durch verschiedene Rechte, die ihr in ähnlichem Maße wie einer natürlichen Person zukommen, und durch gewisse Pflichten, die teilweise anderen Grenzen unterliegen als die des Beschuldigten im geltenden Strafverfahrensrecht So ist der Verband grundsätzlich vor erzwungener Selbstbezichtigung geschützt; in Ausnahmefällen kann jedoch eine Mitwirkungspflicht bestehen. Probleme können sich hinsichtlich der Selbstbezichtigungsfreiheit insbesondere aus Kollisionen 1047

So aber Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 199.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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mit der Einlassungsfreiheit des Vertreters ergeben. Weitere Rechte der juristischen Person sind das Recht auf Verteidigerbeistand, auf rechtliches Gehör und auf Anwesenheit insbesondere in der Hauptverhandlung. Dem stehen Pflichten wie die Duldung von Zwangsmaßnahmen und die Anwesenheitspflicht gegenüber. Es dürfen der juristischen Person aber nur solche Pflichten auferlegt werden, die nicht finale Eingriffe in höchstpersönliche Rechte eines bestimmten Vertreters darstellen.

4. Abschnitt

"Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen juristische Personen? Die letzten beiden Abschnitte dieser Arbeit sind zwei Sonderproblemen gewidmet, die beide auf der Schnittstelle zum materiellen Recht anzusiedeln sind. Sie sollen daher gesondert untersucht werden, obwohl sie die Rechtsstellung der beschuldigten juristischen Person ebenfalls betreffen. Die Frage nach einer Beweislastumkehr im Verbandsstrafverfahren mag auf den ersten Blick etwas erstaunen, denn im Individualstrafverfahren ist von Beweislast eher selten die Rede. 1048 Wenn dies doch einmal der Fall ist 1049 , so wird die Beweislast nach einhelliger Ansicht nicht beim Beschuldigten, sondern bei den Strafverfolgungsorganen gesehen. 1050 Auch die Befürworter einer Verbands- oder Unternehmensstrafe äußern sich zumeist nicht zu einer "Beweislastverteilung". Bei Schünemann 1051 findet sich bei1048 Kritisch zum Begriff der Beweislast im Strafverfahren z. B. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 366 ff. (Rn. 366: "Beweislastprobleme kann es im Strafprozeß nicht geben"); näher hierzu unten 3. Teil4. Abschnitt B. I. I. b). 1049 So insbesondere in jüngerer Zeit bei der Einführung von § 73 d und § 43 a StOB; der Vorwurf, daß es sich um eine unzulässige Beweislastumkehr oder wenigstens Beweiserleichterung zu Lasten des Angeklagten handele, wurde vor allem bei der Einführung des sogenannten Erweiterten Verfalls gemäß § 73 d StOB erhoben; vgl. zur Kritik Eser, in: Festschrift für Stree/Wessels, S. 844 ff.; Perron, JZ 1993, 925; Welp, StV 1994, 165 f.; Weßlau, StV 1991 , 230 ff.; auch Köhler/Beck, JZ 1991 , 799; die Vermögensstrafe gemäߧ 43 a StOB geriet wegen der Möglichkeit der Vermögensschätzung in die Kritik; vgl. LG Bad Kreuznach, StV 1994, 141. 1050 Vgl. hier nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 155 Rn. 3. 1051 In: Criminal Responsibility, S. 233; vgl. aber andererseits Art. 4 § 2 Abs. 1 S. 2 des von Schünemann mitgetragenen "Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Untemehmenskriminalität" des Arbeitskreises "Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit Strafrecht" (in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, S. 173), wonach die "Gefahr weiterer Zuwiderhandlungen", die eine Voraussetzung für die Maßnahme der Unternehmenskuratel darstellen soll, "in der Regel zu bejahen" sei, "wenn die begangene Zuwiderhandlung nach dem

20 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

spielsweise lediglich die nicht näher begründete Feststellung, daß bei dem von ihm vorgeschlagenen "dritten Weg" eines Unternehmenssanktionsrechts, das zwischen Strafrecht im engeren Sinn und Maßregelrecht anzusiedeln sei, die Nähe zum Strafrecht so groß sei, daß alle Verfahrensgarantien zur Anwendung kommen müßten, so daß z. B. die "Beweislast" komplett bei den Strafverfolgungsbehörden liegen müsse. 1052 Schlüter erwähnt im Zusammenhang mit der Orkem-Entscheidung des EuGH 1053 , daß eine "Beweislastumkehr" im Widerspruch zu dem Grundsatz "in dubio pro reo" stünde.1054 Der Grund dafür, daß hier näher auf die Problematik eingegangen und damit nicht lediglich die Geltung des Grundsatzes "in dubio pro reo" erörtert wird 1055, ist vor allem in den wiederholten, eine "Umkehr der Beweislast" für den Bereich des Unternehmensstrafrechts befürwortenden Äußerungen Heines 1056 zu sehen. Ob eine solche Beweislastumkehr im Strafverfahren gegen juristische Personen möglich wäre, soll daher nach einer Darstellung der Vorschläge Heines und der in eine ähnliche Richtung weisenden Überlegungen des Niederländers Nijboers untersucht werden.

A. Vorschläge zu einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen Verbände Zur Umkehr der Beweislast im Strafverfahren äußert sichHeinein seiner Habilitationsschrift zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen 1057 und in der Folge in weiteren, auf denselben Themenkomplex bezogenen Aufsätzen 1058. Zum - soweit ersichtlich - ersten Mal kommt er in seiner Monographie auf prozessuale Gesichtspunkte und damit auf die Frage der Beweislast im Zusammenhang mit der Erläuterung seines Vorschlags eines Verbandsstraftatbestandes 1059 zu spreAusmaß der Pflichtverletzung oder des angerichteten Schadens erheblich ist". Dies stellt nach der Entwurfsbegründung (S. 176) eine"widerJegliche Vermutung und damit eine Umkehr der Beweislast" dar; kritisch dazu Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 40. 1052 Vgl. hierzu auch den Verbandsstrafengegner Hamm, in: Quo Vadis, Strafprozeß, S. 46: die Aufklärbarkeil von Straftaten sei "keine Bringschuld von Straftätern und ihren Personenverbänden". 1053 Dazu oben 3. Tei13. Abschnitt B. I. 1. a) bb) (2). 1054 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 132. 1055 Anders Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 87 ff., der im Rahmen der Grundsätze des Strafverfahrens einen Schwerpunkt auf diesen Grundsatz setzt, zu weiteren im Zusammenhang mit der "Beweislast" stehenden Aspekten wie insbesondere der Instruktionsmaxime jedoch keine Ausführungen macht. 1056 Vgl. die nachfolgenden Nachweise; zustimmend auch Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Person, S. 377. 1057 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 296 f., 305. 1058 Heine, JZ 1995,651 ff.; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 107 f.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

307

chen. Dies geschieht im Kontext mit der Frage des Zurechnungszusammenhangs zwischen der Tatbestandsvoraussetzung des "fehlerhaften Risikomanagements", d. h. des "Versäumnisses" bestimmter Unternehmenspflichten im Hinblick auf betriebliche Gefahren 1060, und dem Eintritt einer von ihm als "objektive Ahndungsbedingung"1061 bezeichneten "sozialen Störung", d. h. dem Eintritt eines "erheblichen betrieblichen Störfalls" in Form einer besonderen Gefahrverwirklichung 1062. Heine verzichtet dabei auf eine kausale Verbindung zwischen den beiden Voraussetzungen. Denn anders als im Individualstrafrecht sei nicht die "Zuschreibung individueller Verantwortungslosigkeit im Hinblick auf eine konkrete, situationsbezogene Fehlleistung" Gegenstand des von ihm als "zweite Spur" begriffenen Verbandsstrafrechts, sondern die "betriebliche Verantwortungslosigkeit im Hinblick auf systernische-fehlerhafte Risikoentwicklungen". Gerechtfertigt sei die Konstruktion des Erfolgsunwerts als bloße objektive Ahndungsbedindung deshalb, weil der entscheidende Unrechtssachverhalt im fehlerhaften Risikomanagement liege.r063 Bei dem Verzicht auf das Kausalitätserfordernis beläßt es Heine jedoch nicht. Unter Betonung der "prospektiven" Ausrichtung des Verbandsstrafrechts im Gegensatz zum retrospektiven, auf nachträgliche "Sühne" abzielenden Individualstrafrecht, schließt er von einem "Risikomonopol" für alle betriebstypischen Gefahren technischer und sozialer Fehlleistungen, das er den Unternehmen zuschreibt, weil der Staat selbst bei strengster Aufsicht nicht ein entsprechendes Risikowissen erwerben könne, darauf, daß es eines Nachweises der Risikoerhöhung durch das Unternehmen nicht bedürfe. 1064 Bei entsprechender Vernachlässigung der Risikoüberwachung führe daher jeder betriebstypische Störfall zur Haftung. 1065 Durch Zuweisung des Risikos gefahrgeneigter Entscheidungen auf materiell-rechtlicher Seite entfielen somit - ohne Umkehr der Beweislast - einige schwierige Beweisprobleme. 1066 Diese materiell-rechtliche Zuweisung des Haftungsrisikos ergebe aber auch prozessual einen Sinn: Anders als im Individualstrafrecht sei der "in dubio pro reo"-Grundsatz im Verbandsstrafrecht nicht funktionstauglich. Wahrend es im erstgenannten um soziale Risiken gehe, die aus individuellem Verhalten folgten und über die es jedermann zugängliche Informationen gebe, so daß auch der Staat dieses allgemeine Risikowissen habe und sich bei Tat1059 Der ausformulierte Mustertatbestand befindet sich in: Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316. 1060 Vgl. im einzelnen Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 271 ff., 316. 1061 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 292. 1062 Vgl. im einzelnen Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 288 ff., 316. 1063 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 292. 1064 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 295 f.; ders. , JZ 1995,655. 1065 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 295. 1066 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 296; kritisch zum Ganzen und u. a. zu der Frage, warum dann überhaupt noch ein Erfolg notwendig sein soll: von Freier; Kritik der Verbandsstrafe, S. 207.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

verdacht aus ihm zugänglichen Quellen durch Beweisaufnahme unterrichten könne, liege das einschlägige Risikowissen im Verbandsstrafrecht bei den Betrieben. Die "in dubio pro reo"-Regel funktioniere aber nicht bei dem im Verbandsstrafrecht bestehenden uneinholbaren Informationsvorsprung. 1067 Deshalb könnten "entscheidungserhebliche Informationen, die bei allgemein-verfügbarem Risikowissen aus guten Gründen Holschuld des Staates" seien, "dort, wo das Risikowissen monopolisiert" sei, bloß "durch eine Bringschuld des Informationsträgers" erlangt werden. 1068 Andernfalls müßte der Staat eine Aufklärung über sämtliche gefahrgeneigten betrieblichen Investitionen und Prozeduren verlangen, was nicht nur die rechtliche Akzeptanz von Betriebsgeheimnissen überflüssig mache 1069 , sondern auch zu einer prozeduralen Beweisflut führen würde. 1070 Daher würden auch die Unternehmen eine derartige Beweisverteilung hinnehmen. 1071 In den späteren Aufsätzen, in denen Heine dieses Konzept weiterhin vertritt, betont er noch stärker den verfahrensrechtlichen Aspekt einer Beweislasturnkehr, insbesondere im Hinblick auf den eher präventiven, auf- zukünftige - Gefahrenabwehr gerichteten Zweck der Verbandsstrafe, den er ihr zumessen möchte 1072 . So hält er es in einem Strafrecht, das sich von einem "sittlichen Befund der Vergangenheit" löse und bei dem es mehr um die in die Zukunft gerichtete Steuerung gesellschaftlicher Probleme gehe, eher für möglich, von klassischen Garantien des Strafverfahrens abzurücken; insbesondere der "in dubio pro reo"-Satz 1073 erweise sich dann als kontraproduktiv. Wenn das Strafrecht sachgerechte Lösungen für die 1067 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 296; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108; ders., JZ 1995, 653: Das "Informationsmonopol" hinsichtlich betrieblicher Strukturen, Planungen etc. befinde sich regelmäßig auf seiten der Organisation. 1068 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 297, auch S. 305, 313; ders., JZ 1995, 655; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108. 1069 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 297; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108. 1070 Heine, in: Verantwortung und Steuerung, S. 108. 1071 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 297. 1072 Vgl. nur Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 253, 271, 295: Verbandsstrafrecht sei primär "prospektiv" orientiert. Da er also selbst die Strafe offensichtlich verstärkt für Gefahrenabwehr in der Zukunft eingesetzt sehen möchte und ihr "besondere Steuerungsverantwortung" (Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 308) zuweist, ist seine in JZ 1995, 656 f. erklärte scheinbare Distanz zu dem "neuen kriminalpolitischen Programm" mit den Aufgaben der Bewältigung kollektiver Phänomene und der (zukunftsorientierten) Steuerung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen mit strafrechtlichem Zwang, die er in der Frage äußert, ob dieses Programm rechtspolitisch die Weichen in die richtige Richtung stelle, nicht nachvollziehbar; kritisch zur "unklaren Verhältnisbestimmung zum Strafrecht" bei Heine äußert sich auch von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 208. 1073 Hier sei noch ein anderer Aspekt angemerkt, der laut Heine (JZ 1995, 656) aus der strafrechtlichen Steuerung gesellschaftlicher Probleme folge: Vergleichsweise Erledigungen müßten "hoffähig" gemacht werden; bei ihnen stünde der "in dubio pro reo"-Satz nicht entgegen, weil derjenige, der "dealt", die Informationsbasis vorgebe.

4. Abschnitt: "Beweis1astumkehr" im Strafverfahren?

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Zukunft anbiete, gehe es nicht um Gewißheit wie bei der Frage der individuellen Tatverantwortung, sondern um optimale Prognosen. 1074 Je weiter sich die Sanktionen verwaltungs- oder zivilrechtliehen Bezügen näherten, desto mehr würde die Geltung des Satzes "in dubio pro reo" der Verwirklichung dieser sachgerechten Lösungen entgegenstehen. Gefahrenabwehr kenne, da es dabei um Prognoseverfahren, Wahrscheinlichkeitsurteil und Sachgerechtigkeit gehe, keinen strikten Zweifelssatz. 1075 Aufgabe des Strafrechts in betrieblichen Bezügen sei immer mehr Gefahrenabwehr und Schadensausgleich. Da durch die strikte Anwendung individualstrafrechtlicher Prinzipien diese Aufgaben in Abrede gestellt würden, müßten die Zweifelsfragen in einem kollektiven Strafrecht neu entschieden werden.1076 Zudem sei bei einem Übergang von Unternehmenstäter zu Täterunternehmen der Zweifelssatz funktionsuntauglich, weil bei einer Vielzahl möglicher Täter und verteilter Verantwortung typischerweise Zweifel über die Tatherrschaft bestünden.1077 Schließlich sei die prinzipielle Zuweisung des Haftungsrisiko auch deswegen hinsichtlich der prozessualen Folgen "einleuchtend", da der Betrieb - anders als das Individuum- im Risikorecht kontinuierlich inforrnationspflichtig sei. 1078 Bevor hier eine nähere Auseinandersetzung mit der Fülle von Erwägungen Reines erfolgt, soll noch auf die ähnlichen Anregungen bei Nijboer 1079 eingegangen werden. Dieser erläutert zunächst, daß eine Beweislastverschiebung auf den Täter bei der Kriminalisierung von Gefährdungen erfolge. Nachzuweisen sei in solchen Fällen nur, daß in der jeweiligen Situation eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt bestand; der Angeklagte trage dann das Risiko, diese Vermutung, die der Gesetzgeber deswegen zugrunde lege, weil sie statistisch gesehen in der Mehrzahl der Fälle zutreffe, für den konkreten Fall zu widerlegen. Das Risiko, den Gegenbeweis nicht führen zu können, liege daher beim Angeklagten. Während dies im Individualstrafverfahren kritisiert würde, sei diese Risikoverteilung - und damit die indirekte Beweislastumkehr - bei Verbänden möglicherweise weniger angreifbar. Man müsse diskutieren, wie man die Interessen der Gesellschaft und die der juristischen Person in ein Gleichgewicht bringen könne. 1080 Nijboer schlägt für die Beweislastverteilung vor, diese im Verhältnis zum materiellen Recht zu überdenken. Es sei vorstellbar, daß es unter bestimmten - wenn auch von ihm nicht näher erläuterten - Umständen möglich sei, eine juristische Person zur Darlegung dahingehend zu verpflichten, daß sie die erforderliche Sorgfalt eingehalten habe und die interne Organisation angemessen gewesen sei.1081 Heine, JZ 1995,653. Heine, JZ 1995, 653 f. 1076 Heine, JZ 1995, 655. 1011 Heine, JZ 1995, 653. 1078 Heine, JZ 1995, 655. 1079 In: Criminal Responsibility, S. 315 f. 1080 Njiboer, in: Criminal Responsibi1ity, S. 316. 1081 Njiboer, in: Criminal Responsibi1ity, S. 319. 1074

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Sowohl bei Heine als auch bei Nijboer geht es demnach um zweierlei: Beide schlagen vor, durch entsprechende Formulierung des materiellen (Verbandsstraf-) Tatbestandes Beweisschwierigkeiten für die Strafverfolgungsorgane zu verringern. Dabei geht es nicht nur um die Beweisprobleme, die das Individualstrafrecht mit sich bringt und die - unter dem Oberbegriff der "organisierten Unverantwortlichkeit" - als einer der Hauptgründe für die Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen immer wieder genannt werden. 1082 Diese Probleme müßten eigentlich schon mit der Schaffung einer Verbandsstrafe und damit mit der nur noch teilweise- nämlich bloß im Hinblick auf eine unter Umständen auch begangene Individualstraftat - bestehenden Notwendigkeit, eine bestimmte natürliche Person als Individualtäter ausfindig zu machen, beseitigt oder verkleinert werden können. Dieser zu erwartende Effekt scheint den beiden genannten Autoren aber nicht zu genügen; es sollen offensichtlich darüber hinaus noch weitere Hindernisse auf dem Weg zur Bestrafung der juristischen Person durch Herabsetzung der tatbestandliehen Voraussetzungen erreicht werden. Dabei geht Heines Vorschlag, bei dem auf eine Verknüpfung zwischen Pflichtverletzung ("fehlerhaftes Risikomanagement") und Erfolg ("soziale Störung") völlig verzichtet wird, noch weiter als Nijboers Erwägung, sofern dieser einen konkreten Gefährdungstatbestand im Auge haben sollte. Von beiden werden neben dieser auf der materiell-rechtlichen Seite anzusiedelnden Beweiserleichterung durch Reduzierung von Straftatvoraussetzungen aber auch ausdrücklich prozessuale Konsequenzen befürwortet. Die entscheidungserheblichen Informationen vor allem über die verbandsinterne Organisation 1083 sollen vom Verband selbst erbracht werden müssen. Ob eine so gestaltete "Beweislastverteilung" zu legitimieren ist, hängt davon ab, ob es Regeln zur Beweislast auch im Strafverfahren gibt und ob dem Beschuldigten die Beweislast auferlegt werden kann. Dies ist zunächst für das Individualstrafverfahren zu untersuchen. In einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob die im Individualstrafverfahren geltenden Regeln ebenso in einem Strafverfahren gegen juristische Personen gelten müßten.

1082 Vgl. dazu oben 2. Teil2. Abschnitt B. IV., V.; auch Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 199, bedient sich dieses Arguments. 1083 S. zum einen Heine, JZ 1995, 653, 655; zum anderen Nijboer, in: Criminal Responsibility, s. 319.

4. Abschnitt: .,Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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B. Zulässigkeil einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren I. Die "Beweislast" und Zulässigkeit einer "Beweislastumkehr" im Strafverfahren gegen natürliche Personen Im Strafprozeß gegen natürliche Personen gilt der Grundsatz, daß die staatlichen Organe dem Beschuldigten die Straftat nachzuweisen haben. 1084 Inwieweit dies als "Beweislast" des Staates zu bewerten ist, was die Umkehr der Beweislast ausmacht und ob eine solche zulässig wäre, ist Inhalt der folgenden Darstellung und Untersuchung. 1. Begriff der "Beweislast"

Wird von Beweislast gesprochen, so können damit verschiedene Erscheinungsformen gemeint sein. Möchte man diese Begriffe auch im Strafprozeß verwenden oder wenigstens überpriifen, ob ihre Verwendung im Strafprozeß sinnvoll ist, so muß man sich zunächst über ihre Verwendung klar werden. a) Allgemeine Begriffsbestimmung

Dabei ist von der im Zivilprozeß und im begrifflich von jenem geprägten Verwaltungsprozeß 1085 üblichen Terminologie auszugehen. Zu unterscheiden ist im wesentlichen zwischen subjektiver (oder formeller) und objektiver (oder materieller) Beweislast Die subjektive Beweislast, die auch als "Beweisführungslast" 1086 bezeichnet wird, beinhaltet, daß alle von einer Partei behaupteten streitigen Tatsachen - grundsätzlich von der behauptenden Partei - zur Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit dieser Tatsachen bewiesen werden müssen. 1087 Die objektive Beweislast, auch "Feststellungslast" genannt 1088 , betrifft dagegen den Fall der Beweislosigkeit oder des non liquet, d. h. die Situation, in der am Ende des Prozesses nach der Beweisaufnahme offenbleibt, ob die entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben sind, weil sowohl Beweis als auch Gegenbeweis für ein Tatbestandsmerkmal fehlen. 1089 Unter der objektiven Beweislast ist dann der Nachteil zu verstehen, Vgl. nur Kleinknecht I Meyer-Goßner, StPO, § 155 Rn. 3. Vgl. nur Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 240 ff. 1086 Rosenberg, Die Beweislast, S. 11, 16; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 36; Leipold, Beweislastregeln, S. 18. 1087 Zöller I Greger, ZPO, Vor § 284 Rn. 18. Es wird zudem auch noch zwischen "abstrakter" und .,konkreter" Beweisführungslast unterschieden, vgl. dazu Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 7 ff., 24 ff.; auf diese Unterscheidung kann hier verzichtet werden. 1088 Rosenberg, Die Beweislast, S. 11, 16; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 33; Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 242. 1089 Vgl. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 469. 1084 1085

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3. Teil: Prozessuale Probleme

den eine Partei infolge der Beweislosigkeit erleidet, weil ein ihr günstiger Rechtssatz nicht angewendet wird, zu dessen Voraussetzungen die aufgrund der Beweislastnorm als nicht bestehend behandelte Tatsache gehört. 1090 Zu diesen beiden Begriffen tritt dann noch die Behauptungslast, die auch Darlegungs- oder Erklärungslast genannt wird. Darunter versteht man im Zivilprozeß die Notwendigkeit, zur Abwendung eines Prozeßverlustes die für den jeweiligen Prozeßbeteiligten günstigen Tatsachen durch schlüssigen Sachvortrag darzulegen 1091 und damit zur Urteilsgrundlage zu machen 1092.

b) Übertragbarkeit des Begriffs auf das Strafverfahren

Ob im Strafprozeß überhaupt von Beweislast gesprochen werden kann, d. h. ob diese Begriffe sich darauf übertragen lassen, ist umstritten. Zum Teil wird die Frage, ob es im Strafverfahren eine "Beweislast" gibt, wegen seiner Ausgestaltung als Amtsprozeß, d. h. wegen der Geltung des Amtsaufklärungsgrundsatzes - auch Instruktionsmaxime genannt - verneint. 1093 Beweislast und deren Umkehr seien Institute eines Prozeßtyps, in dem private Rechte ausgeglichen werden. 1094 Da es im Strafverfahren keine Parteien gebe, existiere auch keine Beweislast 1095 Von Beweislast zu sprechen, mache nur in Verbindung mit dem Vorhandensein einer Behauptungslast Sinn. Wo aber, wie im Strafprozeßrecht, das Gericht allen ernsthaften Anhaltspunkten für das Vorliegen von Tatsachen sowohl zur Begründung von Tatbestandsmäßigkeit und Schuld als auch für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe ex officio nachgehen müsse, hätten weder Kläger noch Beklagter eine derartige Behauptungslast. 1096 Auch gebe es keine "Last" der Verfahrensbeteiligten in dem Sinne, daß Ankläger oder Kläger für von

Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 242. Zöller I Greger; ZPO, Vor§ 284 Rn. 18. 1092 Rosenberg, Die Beweislast, S. 43. 1093 Neben Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 363 ff., und Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 102 f., deutet auch Rüping, Strafverfahren, Rn. 511 ff. darauf hin, 1090

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daß es im Strafverfahren keine dem Zivilprozeß entsprechenden Beweislastregeln gebe; vgl. auch Sax, in: Festschrift für Stock, S. 164: In der Sache bezweifele niemand mehr, daß der Strafprozeß als vom Instruktionsprinzip beherrschter Amtsprozeß weder subjektive noch objektive Beweislast kenne; widersprüchlich Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 300 f.: Einerseits Rn. 300: Den Verfahrensbeteiligten obliege keinerlei Beweislast, andererseits Rn. 301: Es sei eine zwingende Konsequenz aus der Unschuldsvermutung, dem Staat als Vertreter der Anklage die Beweislast für die Schuld des Angeklagten aufzuerlegen; Peters, Strafprozeß, S. 305, lehnt mangels Ausgestaltung als Parteienprozeß jedenfalls den Begriff der formellen Beweislast ab. 1094 Welp, StV 1994, 166. 1095 LR-Schäfer; Einl. Kap. 13 Rn. 48 (24. Aufl.). 1096 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 367 f.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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ihnen behauptete Tatsachen Beweis anzutreten hätten, damit nicht diese Tatsachen als nicht festgestellt gälten. 1097 Weiterhin wird gegen die Verwendung des Begriffes "Beweislast" eingewandt, daß er nicht der Funktion der Staatsanwaltschaft im deutschen Strafverfahren entspreche. 1098 Hierbei geht es vor allem um den Begriff der Beweis/ast. Denn nach der Vorstellung des geltenden Strafverfahrensrechts soll diese Behörde gerade für und gegen den Beschuldigten ermitteln; sie ist selbst auch durch den Amtsaufklärungsgrundsatz verpflichtet. Die Staatsanwaltschaft solle das Gericht bei der Suche nach der Wahrheit unterstützen und sei wie dieses dem gerechten Ergebnis verpflichtet. 1099 Mit dieser Aufgabe lasse sich aber nicht eine Sichtweise vereinbaren, wonach ein Freispruch des Angeklagten als "Nachteil" oder "Unterliegen" der Staatsanwaltschaft zu bewerten wäre. So könne auch die Regel "in dubio pro reo" nicht als materielle Beweislastregel verstanden werden. 1100 Es ist den Autoren, die von einer "Beweislast" im Strafverfahren nicht sprechen möchten, zuzugeben, daß der Begriff in einem nicht als Parteienprozeß ausgestalteten Amtsprozeß nicht so recht paßt, zumindest was die Behauptungs- und Beweisführungslast angeht. In einem Verfahren, in dem der Amtsaufklärungsgrundsatz gilt, nach dem das jeweils mit der Sache befaßte Strafverfolgungsorgan und insbesondere auch der Richter zur Aufklärung des Sachverhalts durch grundsätzlich eigene Ermittlungstätigkeit verpflichtet ist 1101 , kann es eine Darlegungs- bzw. Behauptungslast eigentlich nicht geben oder zumindest erscheint es nicht sinnvoll, von ihrer Verteilung zu sprechen, wenn sie stets nur beim Staat liegt 1102 • Bei einem Verfahren, bei dem die Erforschung der materiellen Wahrheit von Amts wegen erfolgen soll, wäre es sinnwidrig, von den Verfahrensbeteiligten zu verlangen, die für sie günstigen Tatsachen behaupten, sie durch schlüssigen Sachvortrag darlegen und beweisen zu müssen. Gerade darin besteht der Unterschied zwischen Verhandlungs- und Instruktionsmaxime. Wenn es aber eigentlich keine Darlegungs- und keine subjektive Beweislast gibt, fällt es auch schwer, eine objektive Beweislastregel aufzustellen. Denn in der Regel hängen objektive und subjektive Beweislast miteinander zusammen. Abgesehen davon ist auch den Bedenken zuzustimmen, Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 102. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 369; Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 103. 1099 Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 103; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 369; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 511; auch LR-Schäfer, Ein!. Kap. 13 Rn. 48 (24. Aufl.). 110o Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 369; Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 103. 1101 Vgl. LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 32; der Amtsaufklärungsgrundsatz tritt in § 160 Abs. 2 StPO für die Staatsanwaltschaft in Form der Pflicht zur Ermittlung aller, d. h. be- und entlastender Umstände, und in §§ 155 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO für das Gericht zutage. 1102 Dazu, daß eine Beweislast keine Verteilung voraussetze: Rosenberg, Die Beweislast, S. 37. 1097

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3. Teil: Prozessuale Probleme

daß der Begriff der "Last" kaum mit den Aufgaben von Gericht und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren zu vereinbaren ist: Gegen das Gericht ergeht das Urteil ohnehin nicht 1103 , und auch die Staatsanwaltschaft ist durch einen Freispruch nicht beschwert 1104. Sieht man aber einmal von dieser vielleicht doch eher terminologischen Frage1105 ab, so kann man auch im von der Instruktionsmaxime beherrschten, nicht als Parteienprozeß strukturierten Strafprozeß wenigstens von "Entscheidungsregeln" für den Fall ausgehen, daß am Ende des Prozesses weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen der die Strafbarkeit begründenden Tatsachen bewiesen werden konnte. Da jedes Strafverfahren einerseits zu einem eindeutigen Ende kommen muß und nicht in einem Schwebezustand stehen bleiben darf1106, es andererseits aber auch hier die Möglichkeit der Ungewißheit gibt 1107 , ist eine derartige Entscheidungsregel notwendig. Diese Entscheidungsregel 1108 , die einer materiellen Beweislastregel gleichkommt, ist hier darin zu sehen, daß bei Beweislosigkeit der Angeklagte freizusprechen ist. Diese Regel ist in dem Satz "in dubio pro reo" enthalten1109, ob sich dieser nun als "Kerngehalt" 1110 oder "-bestand" 1111 der Unschuldsvermutung1112 darstellt 1113 , mit dieser gleichbedeutend ist 1114, "Kehrseite des Schuldprinzips" 1115 ist oder sich zwingend aus der Instruktionsmaxime und der freien Beweiswürdigung 1116 ergibt. 1117 Vgl. Feigen, Die Beweislastumkehr, S. 49. Dazu vgl. aber auch Rosenberg, Die Beweislast, S. 36 f. 1105 Dafür, daß die Existenz einer Beweislast (wohl im Sinne einer materiellen Beweislast) im Strafverfahren eine eher terminologische Frage ist, vgl. LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 34; von einem "fruchtlosen Streit" um den Begriff der Beweis/ast spricht auch Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 471. 1106 Zu der historischen Herkunft dieser Erkenntnis Stree, In dubio pro reo, S. 3 f.; auch Feigen, Die Beweislastumkehr, S. 38 ff. 1107 Das ist völlig unbestritten, vgl. statt aller Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 368 a. E. 110s So die Terminologie bei LR-Rieß, Ein!. Abschn. H. Rn. 34; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, § 261 Rn. 26; SK-StPO-Schlüchter, § 261 Rn. 70. 1109 Teilweise wird der Satz "in dubio pro reo" weitgehend für überflüssig gehalten, vgl. Montenbruck, In dubio pro reo, S. 59 ff. , 66, 76. 1110 Schubarth, Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, S. 3; vgl. auch Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rn. 4. 1111 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1l Rn. 4. 111 2 Als mit enthalten in der darüber hinausgehenden Unschuldsvermutung, die von ihm selbst als Beweislastregel bezeichnet wird, sieht den Zweifelssatz LR-Gollwitzer, MRK Art. 6 Rn. 147 in Fn. 399; vor allem eine "Beweislastregelung" sieht auch Rogall, Der Beschuldigte, S. I 10, in der Unschuldsvermutung. II 13 Für die Herleitung des Zweifelssatzes aus Art. 6 Abs. 2 EMRK: Schünemann, ZStW 82 (1974), 873 Fn. 17; Wasserbuf1?, ZStW 94 (1982), 924; einschränkend zu dieser Herleitung hingegen Stree, In du bio pro reo, S. 7 Fn. 24. 1114 Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 352 Fn. 12; so wohl auch Schwander, ZStrR 98 (1981), 216 f. 1103

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4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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Setzt man sich also über die terminologischen Bedenken, die aus dem Begriff der "Last" folgen mögenlll 8 , hinweg, so kann von der Existenz einer Art (objektiven) "Beweislastregel" in Anbetracht des Zweifelssatzes auch im Strafverfahren ausgegangen werden. 1119 Ob eine solche Beweislastregel letztlich dem materiellen oder dem formellen Recht zuzuordnen ist 1120, kann dabei dahingestellt bleiben, denn Wirkung entfaltet sie im Prozeß und gehört daher auch in eine verfahrensrechtliche Untersuchung. Wenn es darüber hinaus auch im Hinblick auf die Instruktionsmaxime keine subjektive Beweislast im oben dargestellten Sinne des Begriffes geben kann, so liegt der Sache nach die Pflicht, alle entscheidungserheblichen Umstände darzulegen und zu beweisen, bei den Strafverfolgungsorganen. Selbst die Autoren, die meinen, daß es keine Beweislast im Strafverfahren gebe, weisen dieselbe kraft der Wahrheitserforschungspflicht der Behörde zu, die "Herrin" des jeweiligen Verfahrensabschnitts ist, d. h. der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren und dem Gericht im Hauptverfahren. 1121 Aus der Aufklärungspflicht folgt, daß die Last zu erwägen, zu behaupten und Beweis darüber zu führen, daß sich der Tathergang anders als in der Anklage vorgetragen abgespielt haben könnte, nicht auf den Angeklagten verschoben werden darf. 1122 So muß auch die Staatsanwaltschaft Entlastendes ermitteln (vgl. § 160 Abs. 2 StPO). 1115 Sax, JZ 1957, 179; Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 352; auch LR-Gollwitzer, § 261 Rn. 103; zur Ableitung aus dem Schuldprinzip auch Born, Wahrunterstellung, S. 26;

ZStW 94 (1982), 924. So Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 352 Rn. 12; nur aus der Instruktionsmaxime leitet Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 371, den Zweifelssatz her. 1117 Dazu im einzelnen unten 3. Teil4. Abschnitt B.l. 2. b) bb). 1118 Zu einem anderen Verständnis des Begriffs vgl. nur Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 37 f., 30 ff.; Rosenberg, Die Beweislast, S. 36 f. 1119 Ausdrücklich benennen den Satz "in dubio pro reo" als Beweislastregel z. B. LR-Go/1witzer; MRK Art. 6 Rn. 147 Fn. 399; Weßlau, StV 1991, 232; Schwander; ZStrR 1981, 216 f.; Feigen, Beweislastumkehr im Strafrecht, S. 43 m. w. N.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 36 ff., 38; ähnlich auch Schünemann, ZStW 84 (1972), 883 mit Fn. 69; daneben geht offensichtlich auch Schubarth, Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung, S. 3, davon aus, daß es sich um eine solche handelt; vgl. aber auch SK-StPO-Schlüchter; § 261 Rn. 69: "in dubio pro reo" erschöpfe sich nicht in einer BeweislastregeL Aber auch wenn man den Begriff der "Beweislast" im Strafverfahren nicht verwenden möchte, weil man nicht von einem Unterliegen oder Verlust der Staatsanwaltschaft sprechen möchte, so folgt aus dem Satz "in dubio pro reo" wenigstens, daß jedenfalls nicht der Angeklagte die Last einer Beweislosigkeit trägt; so ist zum Beispiel auch bei Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 352, davon die Rede, daß "zweifelhafte Erhebungen nicht zu seinem (des Angeklagten) Nachteil verwertet werden" dürften. Von einer objektiven Beweislast der Staatsanwaltschaft sprechen aber z. B. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 38; Rosenberg, Die Beweislast, S. 37. mo Dazu Sarstedt/ Hamm, Die Revision, Rn. 383, 395; Frisch, in: Festschrift für Henkel, S. 273, 286; allg. zu Beweislastregeln Leipold, Beweislastregeln, S. 67 ff. 1121 LR-Schäfer; Ein!. Kap. 13 Rn. 48 (24. Auf!.); Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 366. Wasserbu~, 1116

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Inwieweit sich hierbei die objektive Beweislast und die Instruktionsmaxime bedingen, also insbesondere, ob aus der objektiven Beweislastregel "in dubio pro reo" auf die durch den Amtsaufklärungsgrundsatz gewährleistete "Beweisführungslast" der staatlichen Organe geschlossen werden kann, ist nicht ohne weiteres zu sagen und soll an dieser Stelle zunächst offenbleiben. 1123 Festzuhalten ist hier, daß der Begriff der Beweislast, sofern sein Gebrauch im als Amtsprozeß ausgestalten Strafverfahren überhaupt für zulässig und sinnvoll gehalten werden kann, folgenden Inhalt hat: Der Beschuldigte hat in keinem Verfahrensabschnitt eine "Darlegungs- und Beweislast", auch nicht hinsichtlich entlastender Umstände. Die Strafverfolgungsbehörden haben hingegen vollständig die Pflicht zur Sachaufklärung, es gilt die Instruktionsmaxime. Die Behörden müssen die Tatsachen darlegen und beweisen, die zur Verurteilung des Angeklagten notwendig sind. Im Falle der Beweislosigkeit greift der "in dubio pro reo"-Satz ein, so daß Entscheidungen im Falle des non liquet nicht zu Lasten des Angeklagten ergehen dürfen.

c) Begriff der "Beweislastumkehr" im Strafverfahren Nachdem nun geklärt ist, wie der Terminus der Beweislast im Strafverfahren überhaupt verstanden werden kann, bedarf es noch einer Deutung des Begriffs der "Beweislastumkehr"- wie z. B. Heine ihn verwendet- für das Strafverfahren. Mit dem Begriff kann Verschiedenes gemeint sein: 1124 So kann es sich um eine Verschiebung der objektiven (materiellen) Beweislast handeln, z. B. in dem Sinne, daß den Angeklagten im Falle eines non liquet das Verurteilungsrisiko trifft und er den Nachteil bei Zweifeln an seiner Schuld trägt. 1125 Bezogen auf die Beweisführungslast kann eine Umkehr der Beweislast nur folgendes bedeuten: Da es bei Geltung der Instruktionsmaxime streng genommen keine Beweislast gibt, kann diese auch nicht umgekehrt werden. Wirdjedoch dem Angeklagten die Führung des Entlastungs- oder Gegenbeweises auferlegt, bedeutet dies eine Durchbrechung der Instruktionsmaxime. 11 26 Insofern kann eine Beweisbelastung des Angeklagten als Beweislastumkehr im übertragenen Sinne verstanden werden. Von einer BeweisJasturnkehr wird schließlich auch gesprochen, wenn die Änderung des Beweisthemas aufgrund von materiell-rechtlichen Vermutungstatbeständen gemeint ist. 1127 Vgl. Volk, GA 1973, 164. Dazu aber sogleich, unter 3. Teil4. Abschnitt B.l. 2. a). 1124 Dazu vgl. auch Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 474. 1125 Dazu, wie eine solche Beweislastumkehr rechtstechnisch ausgestaltet werden kann, s. unten 3. Teil4. Abschnitt B. I. 2. b) aa). 1126 So auch Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 25; Feigen, Die Beweislastumkehr, S. 70. 1127 Vgl. hierzu Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 474. 1122

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4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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Ob derartige Veränderungen der Strukturen des Strafprozesses zulässig sind, soll zunächst für das Individualstrafverfahren untersucht werden. Hierzu gibt es in der Literatur und teilweise auch in der Rechtsprechung Aussagen, anhand deren sich die Grundprinzipien bei einer derartigen "Beweislastumkehr" darstellen lassen. Von dieser Grundlage aus kann danach auf die Zulässigkeit einer entsprechenden Beweislastverteilung in einem Verbandsstrafverfahren geschlossen werden. 2. Zulässigkeit einer Beweislastumkehr im Individualstrafrecht

a) Zusammenhang zwischen Instruktionsmaxime und objektiver Beweislast Allgemein folgt in der Regel bereits aus der Verteilung der objektiven Beweislast die der subjektiven Beweislast, denn meist werden beide durch dieselbe Beweislastnorm geregelt. 1128 Ein Grund dafür ist darin zu sehen, daß sonst die subjektive Beweislast sanktionslos wäre oder mit anderen, vom Prozeßverlust abweichenden Sanktionen bewehrt werden müßte. 1129 Wenn dies auch für das Strafverfahren gälte, so würde hier die Umkehr der objektiven Beweislast in der Regel die Folge haben, daß der Beschuldigte entlastende Beweise erbringen müßte, um einem non liquet vorzubeugen. Im Strafverfahren stellt sich die Frage jedoch etwas anders; da es im Verfahren mit Instruktionsmaxime keine subjektive Beweislast gibt, kann es streng genommen auch kein Verhältnis von objektiver und subjektiver Beweislast geben. 1130 Gäbe es jedoch einen zwingenden Zusammenhang zwischen Amtsermittlungsgrundsatz und objektiver Beweislastverteilung, könnte man im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung so vorgehen, daß zunächst geprüft wird, ob eine Umkehr der objektiven Beweislast zulässig wäre; die Zuläs~ig­ keit der Durchbrechung der Instruktionsmaxime würde dem folgen. Zwingend ist der Zusammenhang zwischen objektiver Beweislastverteilung und Geltung der Instruktionsmaxime jedoch nicht, wie sich am Verwaltungsprozeß erkennen läßt. Auch dort gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO), so daß es eine "echte" Beweisführungslast nicht gibt, weil das Gericht von sich aus die notwendigen Ermittlungen anstellt 1131 . Eine materielle Beweislastverteilung mit dem Grundsatz, daß die Nichterweislichkeit zu Lasten des Beteiligten geht, der aus der fraglichen Tatsache eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet 1132, und Beweisregeln in Form von gesetzlichen Vermutungen 1133 gibt es dort aber sehr wohl. 112s Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 28 f.; Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 473 mit Fn. 161 ff. 11 29 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 28. 1130 Rosenberg, Die Beweislast, S. 41. 1131 Die Existenz einer subjektiven (formellen) Beweislast wird auch hier im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz ausdrücklich bestritten, vgl. nur Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 2 a; vgl. auch die Nachweise bei Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 251 Fn. 722. 1132 Vgl. Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 2 a; Schmitt Glaeser/Hom, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 543; Redekerlv. Oertzen/Redeker, VwGO, § 108 Rn. 12; Kopp/Schenke, VwGO, § 108 Rn. 13.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Die Möglichkeit des Auseinanderfallens von Beweisführungs- und objektiver Beweislast zeigt sich auch bei § 186 StGB. 1134 Wie auch sonst gilt dort hinsichtlich der Wahrheit der behaupteten Tatsache der Amtsaufklärungsgrundsatz, so daß den Angeklagten keine "Beweisführungslast" trifft; da der Grundsatz "in dubio pro reo" jedoch nicht gilt, trägt der Angeklagte das volle Beweisrisiko. 1135 Die Verteilung der materiellen Beweislast muß den Untersuchungsgrundsatz also gar nicht beriihren. Aber auch andersherum muß eine (teilweise) Umkehr der Beweisführungslast nicht mit einer objektiven Beweislast zusammentreffen. Zwar mag die Beweisführungslast regelmäßig zwecks besserer Durchsetzbarkeit als Obliegenheit mit Blick auf die Verteilung des Beweisrisikos ausgestaltet sein. Und doch ist es durchaus auch denkbar, dem Beschuldigten zwar eine Beweisführungspflicht 1136 aufzuerlegen und trotzdem bei Nichterweislichkeit der Tatbegehung den Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten als Entscheidungsregel anzuwenden. 1137 Es entspricht diesen Beobachtungen, daß es als Grundsatz im Prozeßrecht aller Verfahrensarten gelten soll, daß die Maximen der Sachverhaltsermittlung, also die Entscheidung entweder für den Amtsaufklärungsgrundsatz oder für die Verhandlungsmaxime, mit der Frage der objektiven Beweislast nichts zu tun haben. 1138 Geregelt werde mit den Maximen nämlich nur die Verantwortung für die Beschaffung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen. 1139 Wegen dieser nicht zwingenden Verknüpfung von Instruktionsmaxime und objektiver Beweislast 1140 soll im folgenden die Zulässigkeit der "Umkehr" bzw. Umverteilung beider jeweils separat gepriift werden.

1133 Kopp/Schenke, VwGO, § 108 Rn. 12; zu den Auswirkungen von Beweislastregeln auf die Qualität der Sachverhaltserforschung von Amts wegen vgl. Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 258 f. 1134 Dort kann man von einer Beweislastverteilung durch entsprechende Formulierung des materiellen Tatbestands sprechen; näher dazu unten 3. Tei14. Abschnitt B. I. 2. d). 1135 Vgl. Tröndle I Fischer; StGB, § 186 Rn. 11; Lackner I Kühl, StGB, § 186 Rn. 7 a. 1136 Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 30 ff., zur Abgrenzung zwischen "Last" (mit Folge eines Nachteils, hier des Prozeßverlustes) und "Pflicht" (mit Folge der Sanktion): Eine Beweisführungspflicht ohne die Folge des Prozeßverlusts sei nicht als echte Last einzuordnen, S. 28. 1137 So soll es im Comrnon Law die Situation geben, daß den Beschuldigten nur die "evidential burden" trifft, während die objektive Beweislast nicht berührt wird, vgl. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 474. 1138 Lüke, JZ 1966, 589 m. w. N.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 178. 1139 Lüke, JZ 1966, 589. 1140 Dazu, daß es selbstverständlich wechselseitige Abhängigkeiten von Untersuchungsgrundsatz und Beweislast geben kann, vgl. - mit Blick auf das Verwaltungsverfahren - Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 258 f.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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b) Zulässigkeit der Umkehr der objektiven Beweislast

Eine Umkehr der objektiven Beweislast würde bedeuten, daß bei einem non liquet der Angeklagte zu verurteilen wäre. Das hieße, daß er das Risiko der Beweislosigkeit zu tragen hätte. Entscheidungen unter Ungewißheit könnten dann auch zum Nachteil des Angeklagten getroffen werden. 1141 aa) Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten einer Umkehr der objektiven Beweislast Dies könnte einmal dadurch geschehen, daß Entscheidungen von Richtern auch auf bloßen Verdacht hin oder wegen der bloß überwiegender Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung zu Lasten des Angeklagten ergehen dürften. Dies könnte technisch einmal nach den Regeln einer einfachen Auslegung geschehen, wonach für die Subsumtion unter den Tatbestand "Wer das und das tut" ein Nachweis über "A hat das und das wahrscheinlich getan" reicht. Auch läßt sich vorstellen, daß eine entsprechende Anweisung an den Richter, die Schuld bis zum Nachweis des Gegenteils zu vermuten 1142, aufgrund eines bloßen Verdachts zu entscheiden oder schlicht im Zweifel gegen den Angeklagten zu entscheiden, durch den Gesetzgeber erfolgt. Dies könnte rechtstechnisch sowohl durch die Vorgabe einer Entscheidungsregel mit dem Inhalt "in dubio contra reum" - unter Umständen in Verbindung mit einer Wahrscheinlichkeitsgrenze, das heißt z. B. mit dem Inhalt "bei nur leichten Zweifeln gegen den Angeklagten" - oder durch Vorgaben im materiellen Recht, d. h. durch entsprechende Formulierung von Straftatbeständen wie in § 186 StGB 1143, § 259 StGB a. F. 1144 oder im früher existierenden § 245 a StGB 1145 geschehen. 1141 Daß damit u. U. gerade die (zumindest faktische) Verpflichtung zur Darlegung und zum Beweis von entlastenden Umständen erreicht werden soll, ist bei der hier erfolgenden separaten Untersuchung der Zulässigkeit der Beweislastumkehr außer Betracht zu lassen. 1142 Abzugrenzen ist dies von der Aufnahme wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Tatbestand, die der Gesetzgeber für verbindlich erklärt, vgl. Stree, In dubio pro reo, S. 45. 1143 Dazu, daß hier die Entscheidungsregel "in dubio contra reum" verwirklicht sei, vgl. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 372; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 38; Sarstedt/Hamm, Die Revision, Rn. 393. 1144 § 259 Abs. I a. F. lautete: "Wer seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absatze bei anderen mitwirkt, wird .. . bestraft." (Hervorhebung von Veif.), vgl. hierzu und zu den Versuchen, diese Vorschrift verfassungskonform zu interpretieren, Hillenkamp, in: Festschrift für Wassermann, S. 868; s. zu diesen Interpretationsversuchen auch Stree, In dubio pro reo, S. 46; Nachweise bei Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 94 Fn. 377. 1145 In§ 245 a Abs. 1 StGB hieß es: "Wer Diebeswerkzeug in Besitz oder Gewahrsam hat oder von einem anderen für sich verwahren läßt, nachdem er wegen schweren Diebstahls ... " (oder anderen einschlägigen Straftaten) "rechtskräftig verurteilt worden ist, wird ... bestraft,

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Jedenfalls ginge es bei derartigen Vorgaben darum, eine Entscheidung unter Ungewißheit auch zu Lasten des Angeklagten fällen zu können und damit um eine Umkehr der objektiven Beweislast. 1146 Dies würde eine Durchbrechung bzw. Umkehrung 1147 der Regel "in dubio pro reo" bzw. eine Abweichung 1148 von ihr bedeuten. Ob dies verfassungsrechtlich legitimierbar ist, hängt vom Geltungsgrund des "in dubio pro reo"-Satzes ab. bb) Geltungsgrund des Grundsatzes "in dubio pro reo" Wie oben bereits angedeutet, ist bislang noch nicht geklärt, woraus sich der Grundsatz "in dubio pro reo" ableiten läßt und worin sein Geltungsgrund zu sehen ist. 1149 In den Grundzügen kann man von dem folgenden Meinungsstand ausgehen: ( 1) Überblick über den Meinungsstand

Zum Teil wird angemerkt, daß der Zweifelssatz mit der darin enthaltenen Anordnung an den Richter, bei nur möglicherweise begangener Tat den Täter freizusprechen, bereits in den Formulierungen der materiellen Tatbestände enthalten 1150 bzw. in weitem Maße gar verzichtbar sei, weil er sich letztlich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebe. 1151 Von der gesetzgebensehen Formulierung "Wer einen Menschen sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, daß das Werkzeug nicht zur Verwendung bei strafbaren Handlungen bestimmt ist." Abs. 2lautete: "Wer Diebeswerkzeug für einen anderen in Verwahrung nimmt oder einem anderen überläßt, obwohl er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß das Werkzeug zur Verwendung bei strafbaren Handlungen bestimmt ist, wird ... bestraft." (Hervorhebungen von Veif.); dazu, daß dies eine Regel "in dubio contra reum" darstellt: Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 372; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 39; zu einer verfassungskonformen Auslegung Stree, In dubio pro reo, S. 46 bei und in Fn. 96; vgl. auch die Nachweise bei Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 94 Fn. 380. 1146 Dazu, daß den Täter bei § 186 StGB die materielle Beweislast trifft: Schönke I Sehröder I Lenckner, StGB, § 186 Rn. 13; eine Beweislastregel sieht hierin auch Tröndle, in: TröndleiFischer, StGB, § 186 Rn. 8; ähnlich auch Berg, JuS 1984, 522: Die objektive Beweislast werde dem Täter aufgebürdet; anders Eberhard Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 372 Fn. 76, der nicht von "Umkehr der Beweislast" sprechen möchte, sondern stattdessen meint, der Angeklagte müsse lediglich die bestehenden Ungewißheiten gegen sich gelten lassen; daraus läßt sich entnehmen, daß Eberhard Schmidt unter "Beweislast" wohl vor allem die subjektive Beweislast, d. h. die Beweisführungslast meint, die hier tatsächlich nicht berührt ist; ähnlich wie Eberhard Schmidt: BGH MDR 1954, 335 (bei Dallinger). 1147 So (zu § 186 StGB) Maurach / Schroeder I Maiwald, Strafrecht BT I, S. 249 Rn. 20. 1148 So (zu § 186 StGB) BGH MDR 1954, 335 (bei Dallinger); ähnlich auch Berg, JuS 1984, 522: Abkehr von der Regel "in du bio pro reo". 1149 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. beispielsweise Holtappels, Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes "in dubio pro reo". 1150 Sarstedt/ Hamm, Die Revision, S. 383 f., 395.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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tötet" sei auch nur derjenige umfaßt, der tatsächlich getötet, nicht der, der dies nur möglicherweise getan hat. 1152 Das nur mögliche Töten habe der Gesetzgeber in anderen Einzelregelungen wie dem Versuch und den Gefährdungsdelikten geregelt, woraus zu schließen sei, daß bei Fehlen einer entsprechenden Regelung bei nur möglicher Tatbegehung nicht zu verurteilen sei, was aus Art. 103 Abs. 2 GG folge.1153 Dem ist für die Situation, in welcher der Richter ohne eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung bei nur möglicher Tatbegehung verurteilt, zuzustimmen. Ein solches Vorgehen widerspricht auch dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit allen staatlichen Handelns, weil die Strafgesetze einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen nur unter der Voraussetzung erlauben, daß er die Tat tatsächlich begangen hat. 1154 Wenn das Gericht nur auf einen Verdacht hin Strafe verhängen würde, hieße das, daß es nicht den Satz "Wer das getan hat, wird bestraft" befolgen, sondern seine Entscheidung auf den in diesem Fall gesetzlich nicht vorgesehenen Satz "Wer das vermutlich bzw. wahrscheinlich getan hat, wird bestraft" gründen würde. 1155 Ob aber nicht der Gesetzgeber eine Entscheidungsregel mit dem Inhalt "in dubio contra reum" erlassen kann, sei sie prozessualer, sei sie materieller Art, ist damit nicht beantwortet. Daher muß auf die weiteren Erklärungsansätze für den Geltungsgrund von "in dubio pro reo" eingegangen werden. Dabei ist hier zunächst einmal der Ansatz abzulehnen, wonach sich der Zweifeissatz zwingend aus der Instruktionsmaxime und dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ergebe. 1156 Zwar sind die Zusammenhänge zwischen den beiden Grundsätzen und der "in dubio pro reo"-Regel nicht zu bestreiten: Erst nach vollständiger Befolgung der Aufklärungspflicht und nur bei einem Verfahren ohne strenge Beweisregeln kann es überhaupt zu einem non liquet kommen. Doch daß bei Eintreten einer solchen Zweifelssituation gerade zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, folgt weder aus der Instruktionsmaxime noch aus der freien Beweiswürdigung. 1157 1151 Montenbruck, In dubio pro reo, S. 51, 75 f.; ebenso Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 88, der lediglich unter Hinweis auf die entgegenstehende herrschende Meinung auf die weiteren Herleitungsansätze eingeht (a. a. 0., S. 88 ff.). 1152 Vgl. Sarstedt/Hamm, Die Revision, S. 383 f., 395; zustimmend Krey, JA 1983, 237; Stree, In dubio pro reo, S. 19. 1153 Montenbruck, In dubio pro reo, S. 51. 1154 Vgl. auch BVerfGE 9, 167, 170 (zur Verhängung von Bußgeldern): Es entspreche rechtsstaatlichem Denken, daß die Tatsachen festgestellt werden, die den Tatbestand erfüllen und den Schuldvorwurf begründen, so daß verbleibende Zweifel in der Regel zugunsten des Betroffenen gehen müssen. 1155 Stree, In du bio pro reo, S. 18 f.; vgl. auch Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 69 bei Fn. I. 1156 S. die Nachweise oben Fn. 1116. 1157 So auch Stree, In dubio pro reo, S. 7; Frisch, in: Festschrift für Henkel, S. 284; Zopfs, Der Grundsatz "in dubio pro reo", S. 328. 21

Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Überwiegend wird der Geltungsgrund des "in dubio pro reo"-Grundsatzes dagegen in der Unschuldsvermutung verortet. 1158 Dem ist auch mit Blick auf folgende Überlegung zuzustimmen: Wenn man den Inhalt der Unschuldsvermutung u. a. darin sieht, daß der Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld als unschuldig behandelt werden muß 1159 , darf es bei Geltung der Unschuldsvermutung eine Verurteilung unter Ungewißheit, d. h. einen Schuldspruch gerade ohne gesetzlichen Nachweis der schuldhaften Tatbegehung nicht geben. 1160 Warum der gesetzliche Nachweis der Schuld 1161 aber sich gerade nicht in einem bloßen Wahrscheinlichkeitsurteil erschöpfen darf, sondern der volle Nachweis erforderlich ist, muß noch weiter untersucht werden. (2) Konsolidierung der Herleitung aus der Unschuldsvermutung

Auszugehen ist dabei von der Grundentscheidung, die hinter der bisherigen Beweislastverteilung, die sich in dem geltenden Zweifelssatz ausdrückt, zu erkennen ist. Der "in dubio pro reo"-Satz ist Zeichen dafür, daß es eher als hinnehmbar gewertet wird, einen Schuldigen freizusprechen, als einen Unschuldigen zu verurteilen. 1162 Dies führt wiederum zur nächsten Frage, warum es als nicht akzeptabel gilt, die Verurteilung eines Unschuldigen in Kauf zu nehmen. (a) Unterschied zwischen Strafe und Gefahrenabwehr Zunächst ist hier auf einen Unterschied zur Gefahrenabwehr hinzuweisen. 1163 Dort sind Entscheidungen unter Ungewißheit unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das liegt daran, daß es bei der Gefahrenabwehr typischerweise um Prognosen geht, d. h. um Entscheidungen, welche die Zukunft betreffen. Es liegt dabei in der Natur der Sache, daß Maßnahmen in jenem Gebietaufgrund von Vermutungen und Verdachtsmomenten für die Zukunft und anhand von Wahrscheinlichkeitsurteilen getroffen werden müssen. Hier können eher Sonderopfer von NichtverantS. die Nachweise oben Fn. 1110 bis 1115. Vgl. z. B. Kleinknecht!Meyer-Goßner, StPO, MRK Art. 6 Rn. 12. 1160 Vgl. z. B. LR-Gollwitzer, MRK Art. 6 Rn. 144; auch Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 89. 1161 Wobei "Schuld" hier in dem Sinne zu verstehen ist, daß der Begriff die gesamte rechtswidrige, schuldhafte Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes bei Nichtvorliegen von Strafautbebungs- oder Strafausschließungsgründen umfaßt, vgl. LR-Rieß, Ein!. Abschn. H Rn. 45; Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 17. 1162 Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 77; Weßlau, StV 1991, 232; vgl. auch Frisch, in: Festschrift für Henkel, S. 284 f. ; Schwander, ZStrR 98 (1981), 217; Leipold, Beweislastregeln, S. 132 f.; Zopfs, Der Grundsatz "in dubio pro reo", S. 330. 1163 Zum folgenden auch Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 523 ; Weßlau, StV 1991, 233. 1158

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wortliehen erwartet werden, da zukünftige Gefahren für konkrete Rechtsgüter wirksam abgewehrt werden sollen, und das möglichst schnell. Dabei besteht eine Opfergrenze für Eingriffe; zudem muß für die Aufopferung Entschädigung geleistet werden. 1164 Außerdem geht es bei der Gefahrenabwehr darum, daß dem Grundrecht des Betroffenen die zu schützenden gefährdeten Rechtsgüter eines anderen gegenüberstehen. Das heißt, daß bei jeder Entscheidung unter Ungewißheit das Rechtsgut auf einer der beiden Seiten in Mitleidenschaft gezogen wird: Bei einer Zweifelsentscheidung für den (vermeintlichen) Störer das des Gefahrdeten, bei einer Zweifelsentscheidung gegen ihn sein eigenes. Die Inanspruchnahme des Nichtstörers aufgrund von Wahrscheinlichkeitsurteilen kann daher als Ergebnis einer zulässigen Abwägung begriffen werden. Dagegen ist das Strafrecht retrospektiv ausgerichtet, es geht begriffsnotwendig um Reaktionen auf vergangenes Tun. Die Notwendigkeit von ungewissen Entscheidungen über das Vorliegen von Tatbegehung und Schuld ist schon nicht in der Form wie hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen bei der Gefahrenabwehr gegeben, da an Vergangenes angeknüpft wird, so daß wenigstens die grundsätzliche Möglichkeit des Nachweises besteht. Hinzu kommt, daß es hier nicht um den Ausgleich widerstreitender Interessen zweier Rechtsträger geht 1165, sondern um übergeordnete Zwecke. (b) Legitimation der Inanspruchnahme von Unschuldigen Ob die Verfolgung dieser Zwecke in besonderen Fällen die Bestrafung von Unschuldigen akzeptabel macht, ist im folgenden zu untersuchen. Für eine Antwort ist erforderlich, daß geklärt wird, welchen (Straf-)Zwecken die Bestrafung von Unschuldigen überhaupt dienen könnte. Es liegt auf der Hand, daß ohne eine schuldhafte Tatbegehung des Verurteilten keine Vergeltung geübt werden kann, da es nichts zu vergelten gibt; und auch das Ziel der Spezialprävention läuft leer, weil derjenige, der keine Straftat begangen hat, nicht resozialisiert und auch die Gesellschaft nicht vor ihm geschützt werden muß. Es bleiben als verfolgbare Strafzwecke nur die positive und die negative Generalprävention. Die Abschreckung, die in einer Strafe liegt, die - weil sie einen Verdacht oder eine Wahrscheinlichkeit der 1164 Vgl. die Nachweise bei Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvennutung, S. 31 ff. 1165 Der Grund für die Anwendung des Satzes "in dubio contra reum" in § 186 StOB läßt sich daher wohl am ehesten damit rechtfertigen, daß es dort nicht nur um den Strafanspruch der Allgemeinheit geht, sondern das Rechtsgut "Ehre" des Verletzten für die Zukunft geschützt werden kann und soll. In einer derartigen Lage, bei der die widerstreitenden Interessen grundsätzlich auf gleicher Ebene stehen - auch der Beleidigte befindet sich aufgrund der Beleidigung, d. h. aufgrund eines ehrenrührigen Vorwurfs, sachlich in der Rolle eines "Angeklagten", vgl. Begründung zum E 1960, S. 293 - , ist eine Abwägung und ein Abwägungsergebnis zu Lasten des Angeklagten eher zulässig, vgl. hierzu Leipold, Beweislastregeln, S. 163 f.; Stree, In dubio pro reo, S. 51; für verfassungswidrig hält § 186 StOB: Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvennutung, S. 83. 21*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Tatbegehung genügen läßt- möglichst alle Schuldigen und dazu noch ein paar Unschuldige trifft, ist kaum zu bestreiten. Die Sanktionswahrscheinlichkeit wird auf diese Weise jedenfalls erhöht. 1166 Zweifel bestehen höchstens insoweit, als der Normenappell, von einem bestimmten Verhalten Abstand zu nehmen, sich um so weniger durchsetzen kann, je unklarer die Verbindung von Sanktion und Normverletzung wird, was bei entsprechend hohem Anteil von unschuldig Verurteilten der Fall ist. Mehr Schwierigkeiten macht demgegenüber die Begrundung dafür, daß eine Strafe, die auch tatsächlich Unschuldige trifft, positiv generalpräventiv, also normbestärkend wirkt. Wenn Normen Orientierungsmuster für soziale Kontakte sein sollen und Strafe als Widerspruch gegen einen Normbruch der Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster dienen so11 1167, so ist zu befürchten, daß eine letztlich zufällige Entscheidung aufgrund einer Vermutung oder eines Verdachts, die jeden treffen können, ohne daß es ihm aufgrund seines Verhaltens zurechenbar wäre, diesem Ordnungsprinzip gerade zuwiderliefe. 1168 Der einzelne könnte sein gesamtes Verhalten weniger an der Vermeidung von Strafe ausrichten. 1169 Der gewünschte "Vertrauenseffekt", der sich ergeben soll, wenn der Bürger sieht, daß das Recht sich durchsetzt 1170, wird bei Bestrafung Unschuldiger nicht besonders stark sein. Auch wird ein "Befriedungseffekt", welcher als Teil der positiven Generalprävention verstanden wird und der sich einstellen soll, wenn sich das allgemeine Rechtsbewußtsein aufgrund der Sanktion hinsichtlich des Rechtsbruchs beruhige und den "Konflikt mit dem Täter" als erledigt ansehe 1171 , kaum zu begrunden sein, da es hinsichtlich des unschuldig Verurteilten nie einen Konflikt mit der Gemeinschaft gab. Auf der anderen Seite spricht für das Erreichen positiv generalpräventiver Zwecke durch eine Strafe, die möglichst viele Schuldige trifft und bei der auch die Bestrafung von Unschuldigen in Kauf genommen wird, daß gerade die verstärkte Bestrafung der tatsächlich Schuldigen auch eine normstabilisierende und befriedende Wirkung haben kann. Nimmt man an, daß die Bestrafung auch Unschuldiger zur Förderung generalpräventiver Zwecke überhaupt geeignet sein kann, so bleibt die Frage, ob der einzelne Unschuldige zur Erreichung dieser übergeordneten Gemeinschaftsinteressen herangezogen werden darf, indem er bestraft wird. Strafe bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte, sei es in Art. 2 Abs. 2, sei es in Art. 14 oder in Art. 2 Abs. 1 GG. Entscheidend ist, ob Grundrechtseingriffe in Form von Strafe gestützt lediglich auf Grunde eines überwiegenden öffentlichen Interesses erfolgen Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 70. Dazu Jakobs, Strafrecht AT, S. 6 ff., 10. 1168 Vgl. hierzu insbesondere Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 526 ff. 1169 Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschu1dsvermutung, S. 528. 1170 Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 27. 1171 Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 27. 1166

1167

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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dürfen. 1172 Die Ausrichtung staatlichen Handeins nur an Gemeinschaftsinteressen entspricht jedoch nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes. Der Staat kann den einzelnen nur dann zum Wohle der Allgemeinheit in Anspruch nehmen, wenn eine Legitimation dazu in der Person des einzelnen besteht. 1173 Sieht man das übergeordnete Interesse bei Strafen in der Verstärkung der Normakzeptanz durch Abschreckung und Normstabilisierung, so kann nur derjenige als verantwortlich für die Wiederherstellung der Normakzeptanz herangezogen werden, der durch seine schuldhafte Tatbegehung überhaupt Anlaß dazu gegeben hat, daß die allgemeine Normakzeptanz gefährdet war. Eine Instrumentalisierung des einzelnen ohne eine derartige Verantwortlichkeit ist nicht zu rechtfertigen, denn das hieße, ihn nicht als Menschen, als "geistig-sittliches Wesen" zu achten. 1174 Zudem hieße die Bestrafung trotz Zweifels und aufgrund einer Vermutung, bewußt in Kauf zu nehmen, daß ohne Schuld als Maßkriterium 1175 und Mittel der Eingriffsbegrenzung 1176 für die Strafe strafrechtlich sanktioniert würde. 1177 Daran, daß bei der Umkehr der Beweislast eine im Einzelfall zufällige und damit willkürliche Verurteilung aus den genannten Griinden nicht zu rechtfertigen wäre, ändert auch die "größere Beweisnähe", d. h. der möglicherweise bestehende Informationsvorsprung des Beschuldigten, der zur Begründung einer Beweislastumkehr herangezogen werden könnte, die als "Anregung" zur Mitwirkung bei der Aufklärung verstanden wäre, nichts. 1178 Denn stets ist bei Eingreifen der genannten Beweislastregel im jeweiligen Einzelfall die Folge in Kauf genommen worden, daß es sich um einen Unschuldigen handelt. 1179 Die Einwände, die gerade gegen eine solche Verurteilung erhoben wurden, gelten dann aber auch hier. 1180 1172 Zum folgenden vgl. insbesondere Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 28 ff., 77 f. 1173 Vgl. Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 32, 35 f. 1174 Vgl. Stree, In dubio pro reo, S. 18; auch Schwander, ZStrR 98 (1981), 217 : Die general- und spezialpräventive Wirkung der Strafe sei nur erstrebenswert, wenn sie den Täter für wirkliches Verschulden treffe. 1175 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG muß die Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum "Verschulden" bzw. zur Schuld des Täters stehen, vgl. nur BVerfGE 45, 187, 228, 260; 50, 5, 12; 50, 205, 212; 73, 203, 253; insoweit, so z. B. BVerfGE 50, 205, 212; 73, 203, 253, decke sich der Schuldgrundsatz mit dem Übermaßverbot. 1176 Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 48. 1177 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Vermutungen und Schuldprinzip Köhler/Beck, JZ 1991, 799; Frisch, in: Festschrift für Henkel, S. 284 f.; Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 77. 1178 So auch Perron, JZ 1993, 925 (zum erweiterten Verfall). 1179 Vgl. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 527 f. 1180 Zweifelhaft ist daher, ob die durch die größere Beweisnähe begründete "Zumutbarkeit" eines Entlastungsbeweises irgendwelche Auswirkungen darauf haben kann, ob das Aufbürden dieses Gegenbeweises zulässig ist; so aber BVerfGE 9, 167, 171 zu§ 23 WiStG (vom 26. 07. 1949).

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Aufgrund der fehlenden Legitimation des Eingriffs in die Rechte des Unschuldigen ergibt sich, daß auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung eine Bestrafung von Unschuldigen nicht zu rechtfertigen wäre. Wahrend die Inanspruchnahme des Schuldigen durch Strafe als Reaktion auf seine Tat erfolgt, fehlt es an der Verursachung durch den Unschuldigen. Wenn trotzdem bei beiden genauso reagiert wird, geschieht dies - wie gesehen - bezogen auf den einzelnen Unschuldigen ohne sachlichen GrundY 81 cc) Der Nemo-tenetur-Grundsatz als Grenze einer Beweislastumkehr Schließlich ist folgendes zu bedenken: Das Inaussichtstellen des "Prozeßverlusts" in Form der Verurteilung stellt sich als mittelbarer Zwang zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung dar. Es läßt sich vertreten, daß eine solche Ausübung von Druck in Gestalt einer derartigen, indirekt erzwungenen Mitwirkungspflicht1182 bei natürlichen Personen wegen des uneingeschränkt geltenden Nemotenetur-Grundsatzes verboten ist. 1183 dd) Fazit Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist daher nach allem als verfassungsrechtlich abgesichert anzusehen. Eine Umkehr der objektiven Beweislast ist in Verfahren gegen natürliche Personen deswegen nicht zu rechtfertigen. c) Zulässigkeit einer Beweisführungslast des Angeklagten

Die Einführung einer Beweisführungslast des Beschuldigten würde bedeuten, die Instruktionsmaxime einzuschränken. 1184 Über eine Pflicht zur Mitwirkung ginge die Beweisführungslast des Beschuldigten noch hinaus und hätte zum Inhalt, daß er für die Darlegung und den Nachweis von entlastenden Umständen verantVgl. hierzu auch Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 554. Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Geltung des Satzes "in dubio pro reo" und dem Schweigerecht: Weßlau, StV 1991, 232; Nothhelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 40; Eser, in: Festschrift für Stree /Wessels, S. 846; auch Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 529, 553; Heckmann, ZRP 1995, 2; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, DRiZ 1990, 107 (zum erweiterten Verfall); im Zusammenhang mit der Verbandsstrafbarkeit auch Hamm, in: Quo Vadis, Strafprozeß, S. 46. 1183 Vgl. allgemein dazu, daß auch mittelbarer Druck durch den Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" verboten ist: SK-StPO-Rogall, vor§ 133 Rn. 139; Kühl, JuS 1986, 118 m.w.N. 1184 Vgl. auch Feigen, Die Beweislastumkehr, S. 70; Sedemund, EuR 1973, 318 (für das EG-Kartellordnungswidrigkeitenverfahren). 1181

1182

4. Abschnitt: "Beweislasturnkehr" im Strafverfahren?

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wortlieh wäre. Schon damit wäre den Strafverfolgungsorganen ein Teil der Sachverhaltsermittlung abgenommen, so daß der Untersuchungsgrundsatz entscheidend eingeschränkt wäre. Ob eine derartige Beschränkung der Instruktionsmaxime im Strafprozeß zulässig wäre, hängt davon ab, ob der Amtsaufklärungsgrundsatz als unverrückbares Prinzip zu gelten hat. Die Aufklärungspflicht des Gerichts wird als Folge dessen gesehen, daß die Sachverhaltsfeststellung im Strafverfahren vom Prinzip der materiellen Wahrheit getragen wird. 1185 Nun kann aber der Amtsaufklärungsgrundsatz als eine von verschiedenen möglichen Stoffsammlungsmaximen angesehen werden; eine andere ist die Verhandlungsmaxime, in der die Parteien eine gewisse Herrschaft über den Sachverhalt haben, der Urteilsgrundlage werden soll. Jede der beiden Maximen steht im Dienste der Wahrheit und will die Rekonstruktion eines Lebenssachverhaltes ermöglichen. 1186 Der Amtsaufklärungsgrundsatz kann also zunächst einmal als dasjenige Mittel angesehen werden, welches nach Ansicht des Gesetzgebers das beste für die Ermittlung der Wahrheit und damit für das Erreichen des Zieles des Strafverfahrens ist. Ob diese Entscheidung nur eine von mehreren - im Hinblick auf ihre "Verfassungsfestigkeit" - möglichen 1187 oder ob sie zwingend 1188 ist, ist jedoch fraglich. Teilweise wird die Unschuldsvermutung als Bedingung der Instruktionsmaxime angesehen. 1189 Die Unschuldsvermutung habe zum Inhalt, daß der Beschuldigte bis zum Gegenbeweis als unschuldig gilt und daher von jeder Beweisführungslast befreit sei. Der Staat müsse den vollen Gegenbeweis bringen, also die Schuld i. S. d. tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Handeins nachweisen. Für die Höhe des Beweismaßes gelte, daß der Gegenbeweis erst erbracht sei, wenn vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen könnten. In dem Fall, in dem nur einseitig zu Lasten des Beschuldigten ermittelt worden sei, müßten jedoch stets solche Zweifel auftauchen, die wiederum der beweisführungsbelastete Staat zu beseitigen hätte. 1190 Dem ist insoweit zuzustimmen, als nach einem Geltungsgehalt der Unschuldsvermutung jeder Beschuldigte bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld als unschuldig zu behandeln ist, so daß der Staat die nachteiligen, belastenden Beweise zu erbringen hat. Aus der Unschuldsvermutung kann man daher in bezug auf eine (subjektive) Beweislastverteilung feststellen, daß es aus Sicht der Strafverfolgungsorgane nicht ausreicht, Anklage zu erheben und dann abzuwarten, ob sich denn der Angeklagte auch entlasten kann. Das entspricht aber letztlich auch schon einer allgemeinen Regel, daß jeder die Voraussetzungen der für ihn "günstigen"1191 Norm zu behaupten und zu beweisen hat. 1192 Der Inhalt der Instruktions1185

1186 1187 11 88 1189 1190

Wessels, JuS 1969, 2. KK-StPO-Herdegen, § 244 Rn. 18. So z. B. Tiedemann, ZRP 1992, 108. So Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 301 ; Feigen, Die Beweislasturnkehr, S. 117. Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 301 ; Feigen, Die Beweis1asturnkehr, S. 117. Feigen, Die Beweislasturnkehr, S. 116 f.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

maximegehtjedoch darüber hinaus: Da die (materielle) Wahrheit erforscht werden soll, ist es obendrein noch Sache der Strafverfolgungsorgane, entlastende Beweise zu sammeln. Dreh- und Angelpunkt der oben dargestellten Argumentation ist daher, daß bei einseitiger Ermittlung zu Lasten des Angeklagten zwangsläufig Zweifel über die Tatbegehung beim Richter eintreten müßten und deswegen eine Pflicht auch zur Erforschung entlastender Umstände bestehe. Das leuchtet bei einer idealtypischen Betrachtungsweise des Strafprozesses ein. Letztlich kann aber offenbleiben, ob dieser Gedankengang der näheren Nachprüfung standhält, da sich die Unverrückbarkeit der Instruktionsmaxime auch auf andere Weise und auch ohne Rückgriff auf die Unschuldsvermutung herleiten läßt. Zum einen kann im Amtsaufklärungsgrundsatz - ähnlich wie im Verwaltungsgerichtsverfahren auch 1193 - ein Ausdruck der Fürsorgepflicht des Gerichts gesehen werden. Der Untersuchungsgrundsatz vermag eher zu einem Ausgleich des oftmals bestehenden Ungleichgewichts zwischen den Strafverfolgungsbehörden mit ihrem größeren Apparat und den besseren Mitteln einerseits und dem häufig unterlegenen Beschuldigten andererseits beizutragen als ein Verfahren unter Herrschaft der Verhandlungsmaxime. Da sich der Fürsorgegedanke aus dem Sozial- und dem Rechtsstaatsgedanken ableitet, ist hier bereits ein verfassungsrechtlicher Bezugspunkt der Instruktionsmaxime genannt. Ein solcher Ausgleich des beschriebenen Ungleichgewichts erschöpft sich aber nicht darin, nur für den Beschuldigten vorteilhaft zu sein. Vielmehr ist in einem unter der Verhandlungsmaxime stehenden und damit zwangsläufig als Parteienprozeß ausgestalteten Verfahren bei einem Ungleichgewicht der Kräfte und einer daraus folgenden einseitigen Ermittlungstätigkeit zu Lasten des Beschuldigten zu befürchten, daß nicht der Wahrheit gedient wird, sondern das Ergebnis der Beweisaufnahme sich zu einer Seite - und bei Überlegenheit der zu Lasten des Beschuldigten ermittelnden Anklagebehörde zu einer für ihn negativen Seite - verzerrt. Immer dann, wenn der Beschuldigte nicht die - vor allem finanziellen - Mittel aufbringen kann, um den Gegenbeweis zu führen, ist zu befürchten, daß nicht das tatsächliche Geschehen dem Urteil zugrunde gelegt wird. Es fällt auch schwer zu glauben, daß sich die Wahrheit im Parteienprozeß gleichermaßen aus dem "freien Spiel der Kräfte" ergibt.ll 94 Im Zivilverfahren, in dem es um widerstreitende Parteiinteressen und meistens um keine so einschneidenden Entscheidungen wie die Strafe als einem der schwersten Grundrechtseingriffe geht, mag dies noch eher hinzunehmen sein; zudem stehen sich dort in der Regel gleich starke Gegner gegenüber. Im Strafverfahren jedoch erscheint im Hinblick auf die Gefahr der Verurtei1191 Dies kann hier selbstverständlich im Hinblick auf die Funktion der Strafverfolgungsorgane nur unter den oben 3. Teil4. Abschnitt B. I. 1. b) dargestellten Vorbehalten gelten. 1192 Zu dieser allgemeinen Regel vgl. Rosenberg, Die Beweislast, S. 98 f.; für das Strafverfahren auch Paeffgen, Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, S. 44, und die Darstellung bei Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 88 bei Fn. 329 f. 1193 Vgl. dazu Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 259 f. 1194 Heinrich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 110.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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Jung von Unschuldigen, die nach oben Ausgeführtem zu vermeiden ist, und auf das sich daraus ergebende Erfordernis der Ermittlung des wahren Sachverhalts das bestehende Verfahren mit Instruktionsmaxime als geradezu zwingend. Die Instruktionsmaxime läßt sich daher als die den Zweck des Strafverfahrens bestmöglich verwirklichende Form der Sachverhaltsaufklärung begreifen. Eine Verteilung der Beweisführungslast in der Form, daß dem Beschuldigten das Führen des Entlastungsbeweises auferlegt wird, ist damit nicht vereinbar und daher nicht zulässig. Zu demselben Ergebnis kommt man auch noch auf anderem Wege: Soweit eine Einführung der Darlegungs- und Beweisführungslast zu Lasten des Beschuldigten dadurch erreicht wird, daß diesem Mitwirkungspflichten oder -Obliegenheiten in Form einer Pflicht zur Erbringung des Gegen- oder Entlastungsbeweises auferlegt werden, widerspricht das bereits dem Nemo-tenetur-Grundsatz, der im Strafverfahren gegen natürliche Personen unbeschränkt gilt. Eine Pflicht zur Darlegung und zum Beweis der behaupteten Umstände wäre Zwang zur aktiven Mitwirkung am Strafverfahren, der wegen des Nemo-tenetur-Grundsatzes jedoch untersagt ist. Eine Beweislastverteilung mit diesem Inhalt ist daher auch aus diesem Grunde verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. 1195 In einem Strafverfahren gegen natürliche Personen wäre eine Einführung einer Beweisführungslast zuungunsten des Beschuldigten daher nicht zu legitimieren. d) Abgrenzung der Beweislastumkehr zu Beweiserleichterungen durch Verzicht auf bestimmte Tatbestandsmerkmale

Zur Klarstellung soll an dieser Stelle die Beweislastumkehr im engeren Sinne von der Technik, durch möglichst weite Tatbestandsfassungen Beweisproblemen aus dem Weg zu gehen 1196, abgegrenzt werden. Bei letzterem bleibt es bei der oben dargestellten Beweislastverteilung, so daß der Staat weiterhin alle Voraussetzungen des Straftatbestandes nachweisen muß. Doch mittels Reduzierung der Voraussetzungen durch entsprechende Formulierung im materiellen Recht wird das, was zu beweisen ist, verringert. Ein Beispiel sind die von Nijboer genannten Gefährdungsdelikte: Dort, wo nur eine Gefahr für ein - nicht aber der Eintritt eines 1195 Vgl. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 553 bei Fn. 194; ähnlich auch Heckmann, ZRP 1995, 2; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, DRiZ 1990, 107; auch Feigen, Die Beweislastumkehr, S. 50: Das Fehlen der Behauptungslast des Angeklagten decke sich mit seiner Aussagefreiheit. 1196 Hierzu vgl. Volk, JZ 1982, 90: "Beweisprobleme pflegt man heutzutage durch eine Änderung des materiellen Rechts aus der Welt zu schaffen."; Lüderssen, ZStW 85 (1973), 288 ff., insb. 299 ff.; zu einem "die Unschuldsvermutung antizipierenden Zuschnitt des materiellen Rechts" am Beispiel des Hehlereitatbestandes vgl. Arzt, JA 1979, 574 ff., 578 f.; s. auch die Nachweise bei Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 95 Fn. 385.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Schadens an einem - Rechtsgut die Straffolge auslöst, müssen die Strafverfolgungsorgane dementsprechend nur noch eine Gefahr und die Zurechenbarkeit dieser Gefahr beweisen. Einen ähnlichen Effekt haben die Verwendung von objektiven Strafbarkeitsbedingungen und das Verringern der Anforderungen an den subjektiven Tatbestand. Das Problem ist hier kein vornehmlich verfahrensrechtliches; die Zulässigkeitsfrage betrifft vielmehr das materielle Recht. Grund für derartige Beweiserleichterungen durch Verzicht auf Tatbestandsmerkmale ist nämlich, daß es wegen der Geltung der Unschuldsvermutung, des Zweifelssatzes und des Schweigerechts des Beschuldigten Beweisprobleme gibt, die innerhalb des Prozeßrechts als schwierig zu lösen erscheinen, so daß man auf das materielle Recht ausweicht. 1197 Die Grenze für eine solche Vorgehensweise liegt in den "materiellen Minimalerfordernissen an einen Straftatbestand" 1198• Die Frage, die sich bei derart weiten Tatbeständen stellt, ist die der Strafwürdigkeit und -bedürftigkeit des beschriebenen Verhaltens. Bei der Beantwortung dieser Frage ist folgende Überlegung mit einzubeziehen: Während der Kreis derjenigen, die für die Verletzung eines Verbotes haften, durch das Erfordernis von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen wie beispielsweise dem tatbestandliehen Erfolg begrenzt wird, erweitert sich die Zahl der Straftäter mit entsprechender Reduzierung der Tatbestandsmerkrnale. 1199 Geht man davon aus, daß Strafe eine Ausnahmeerscheinung sein muß 1200, ist damit eine Grenze der Beweiserleichterung durch Tatbestandsausweitungen vorgezeichnet: Das RegelAusnahme-Verhältnis von legalem und kriminellem Verhalten sollte jedenfalls nicht auf den Kopf gestellt werden. 1201 Wenn Normen Orientierung leisten sollen, so muß ihre Befolgung Regelfall sein, der Normbruch muß dann begriffsnotwendig die Ausnahmeerscheinung bleiben. 1202

II. Zulässigkeil einer Beweislastverteilung zu Lasten der beschuldigten juristischen Person 1. Deutung der dargestellten Vorschläge Reines und Nijboers

Nach allem lassen sich zunächst einmal noch klarere Deutungen für die Vorschläge Reines und Nijboers darstellen. Soweit es bei Reine und Nijboer darum Volk, JZ 1982, 90. Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsverrnutung, S. 529. 1199 Vgl. Lüderssen, ZStW 85 (1973), 293. 1200 Vgl. Lüderssen, ZStW 85 (1973), 293 f. 12o1 Vgl. hierzu Volk, JZ 1982, 91, der die Grenze der "strafrechtlichen Vorwärtsverteidigung" durch Ausweitung der materiellen Tatbestände auf den Verdacht bezieht: Die Umschreibung des Verbots im objektiven Tatbestand dürfe nicht so ausfallen, daß nahezu jeder im Regelungsbereich der Norm Tätige in Verdacht geraten könne. 12o2 Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 526, unter Hinweis auf Luhmann, Rechtssoziologie, S. 116 ff., 125 f. 1197

1198

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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geht, schon im Wege einer möglichst weiten Tatbestandsfassung Beweisprobleme zu antizipieren und sie durch Verzicht auf Kausalitäts- und Risikoerhöhungserfordernisse bzw. durch Gebrauch von Gefährdungsdelikten 1203 zu umgehen, geht es um Fragen des materiellen Rechts. 1204 Auf den Prozeß wirken sich solche Tatbestände dann so aus, daß sich das "Beweisthema" ändert 1205 ; die Frage der Kausalität, der Risikoerhöhung oder des Schadens kommt dann im Verfahren gar nicht zur Sprache und ist nicht entscheidungserheblich. Das Problem ist hier, ob man die Verhaltensweisen, die dann noch übrigbleiben, um die Strafbarkeit zu begriinden, für ausreichend strafwürdig und strafbedürftig hält. 1206 Dies zu untersuchen, soll jedoch nicht zu der hier als Aufgabe gesetzten verfahrensrechtlichen Betrachtung gehören. Sowohl Heine als auch Nijboer beschränken sich aber nicht auf die eben beschriebene Technik. Wenn Nijboer sich vorstellen kann, daß juristische Personen unter gewissen Umständen dazu verpflichtet werden können sollten, ihr pflichtgemäßes Verhalten darzulegen, läuft dies jedenfalls auf eine Auferlegung der Darlegungs- und Beweisführungslast bezüglich entlastender Umstände hinaus. Möglicherweise denkt er dabei auch an eine flankierende Umkehr der objektiven Beweislast. Bei Heine wird diese Verschränkung von objektiver und subjektiver Beweislastverteilung deutlicher. Die Idee einer "Bringschuld" des Unternehmens für "entscheidungserhebliche Informationen" 1207 kann als die Auferlegung der Beweisführungslast gedeutet werden; dazu schlägt Heine mit den oben dargestellten Argumenten vor, auf die "in dubio pro reo"-Regel wegen mangelnder Funktionstauglichkeit auf dem Gebiet des Verbandsstrafrechts zu verzichten und propagiert damit eine zu Lasten des Verbandes gehende Verteilung der objektiven Beweislast Da er beide Vorschläge unmittelbar zusammenhängend macht, scheint er davon auszugehen, daß eine Abkehr von der bisherigen Entscheidungsregel bei Ungewißheit zugunsten des Angeklagten auch eine Verlagerung bei der Beweisführung mit sich bringt, so daß sich die "Bringschuld" des Verbandes als Beweisführungsobliegenheit mit Blick auf den Ausgang des Verfahrens interpretieren läßt; das heißt, daß ein "in dubio contra reum"-Satz im Verbandsstrafverfahren nach der Vorstellung Heines augenscheinlich zu einer Informationserbringung durch den beschuldigten Verband führen soll. Vgl. die Nachweise oben 3. Teil 4. Abschnitt A. Abzugrenzen sind diese Fragen von dem Problem der Verbandsstrafbarkeit als Lösung von Beweisproblemen: Mit der Einführung eines - wie auch immer geschaffenen Verbandsstraftatbestandes - sollen ja u. a. gerade auch Beweisprobleme in Bezug auf die Identifizierung eines Einzeltäters schon im Vorgriff gelöst werden (vgl. oben 2. Teil 2. Abschnitt B. IV.). Der zweite Schritt ist dann, den Unternehmensstraftatbestand noch besonders weit zu fassen, um weitere Beweisprobleme wiederum materiell-rechtlich zu "lösen". 12os Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 21; Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, S. 474. 1206 Vgl. soeben 3. Teil4. Abschnitt B. I. 2. d). 1207 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 297, auch S. 305, 313; ders., JZ 1995, 655; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108. 1203

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3. Teil: Prozessuale Probleme

2. Zulässigkeit einer Zweifelsregel zu Lasten der beschuldigtenjuristischen Person

Zunächst soll die Legitimierbarkeit einer Entscheidungsregel zu Lasten der juristischen Person untersucht werden. Die Frage ist, ob es bei juristischen Personen als Strafadressaten eher zu rechtfertigen ist, bei einem non liquet zu ihren Lasten zu entscheiden, sie also auch bei Ungewißheit zu verurteilen. Dabei gilt auch für juristische Personen, daß bei einer Verurteilung trotz Zweifeln ohne eine entsprechende gesetzliche Vermutungsregel die Pflicht des Richters zu gesetzmäßigem Handeln verletzt würde. Die juristischen Personen wären dann in den auf sie anzuwendenden und durch die Strafe berührten Grundrechten, d. h. mindestens in der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. a) Mangelnde ldentifizierbarkeit des Individualtäters als Argument für eine Zweifelsregel "contra reum"?

Kein stichhaltiges Argument gegen die Anwendung des "in dubio pro reo"-Satzes im Verbandsstrafverfahren stellt es dar, darauf zu verweisen, daß bei einem "Übergang von einem Unternehmenstäter zu einem Taterunternehmen" der Zweifeissatz dysfunktional wirke, weil bei mehreren Tatern und verteilter Verantwortung typischerweise Zweifel an der Tatherrschaft bestünden 1208 . Zumindest wenn dieser Befund auch bei der Einführung der Verbandsstrafe Geltung haben soll, überzeugt der Bezug auf die Vielzahl von Tätern und die verteilte Verantwortung nicht, da der Zweifelssatz dann ja nur noch auf den Verbandsstraftatbestand bezogen werden darf; die Zweifel hinsichtlich der Einzeltäterschaft im Verband sollen ja gerade durch die Verbandsstrafbarkeit gelöst werden.

b) Prospektive Ausrichtung der Verbandsstrafe als Argument für eine Zweifelsregel "contra reum"?

Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument Heines, daß die - nach seinem Verbandsstrafenmodell - eher prospektive Ausrichtung des Strafrechts und die damit verbundene Lösung des Strafrechts von einem "sittlichen Befund der Vergangenheit" dazu führten, daß sich der Zweifelssatz als kontraproduktiv erweise. 1209 Zwar stimmt es nach dem oben zum Individualstrafverfahren bereits Dargelegten, daß bei Prognoseurteilen zwangsläufig unter Ungewißheit - und dann womöglich auch zu Lasten des Betroffenen -entschieden werden muß. 1210 Gefahrenabwehr So aber Heine, JZ 1995, 653. Vgl. Heine, JZ 1995,653. 121o Insoweit läßt sich die Gefahrvermutung in Art. 4 § 2 Abs. 1 S. 2 des "Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Untemehmenskriminalität", des Arbeitskreises "Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit: Strafrecht", in: Deutsche Wiedervereinigung Band III, 1208 1209

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

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kann sich nur auf Wahrscheinlichkeitsurteile stützen. Daß aber eine Verbandsstrafe sich auf reine Gefahrenabwehr beschränken könnte, ist mit dem Begriff der Strafe nicht zu vereinbaren, und Heine selbst behauptet so etwas wohl auch nicht. Schließlich geht es auch bei dem von ihm vorgeschlagenen Verbandsstraftatbestand darum, auf in der Vergangenheit geschehenes Verhalten - nämlich auf die Risikovernachlässigung durch bestimmte Pflichtverletzung und die erhebliche soziale Störung 1211 -mit Strafübel zu reagieren, und um den strafrechtlichen Charakter der Sanktion 1212 • Daß damit auch präventive Zwecke verfolgt werden sollen, ändert nichts daran, daß es bei Strafe gerade um eine Reaktion auf Vergangenes geht. Bezüglich dieser Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit greift der Hinweis auf die Verfolgung von prospektiven Zielen nicht durch. c) Unzulässigkeif einer Zweifelsregel "contra reum" wegen des Wesens der Strafe

Daß auch im Verbandsstrafrecht nicht Entscheidungen zu Lasten der beschuldigten juristischen Person auf ungewisser Basis gefällt werden dürfen, ergibt sich aus folgendem: Eine Zweifelsregel mit dem Inhalt "in dubio contra reum" bedeutete hier eine Entscheidung dafür, daß es eher hinzunehmen wäre, einen unschuldigen Verband zu verurteilen als einen schuldigen freizusprechen. Mit dieser Entscheidung würde gebilligt werden, daß einzelne Verbände ohne schuldhafte Verletzung eines Verbandsstraftatbestandes zu Verbandsstrafe verurteilt würden. Auch bei Verbänden ist es jedoch nicht zu rechtfertigen, Unschuldige zu verurteilen. Weitgehend ergibt sich das aus dem oben für das Individualstrafverfahren Hergeleiteten. Zum einen gilt das zu den Strafzwecken Gesagte entsprechend. Bezüglich der positiven Generalprävention ist auch hier der Zweifel angebracht, ob eine nur zufallige Strafe der Normbestärkung dienen kann. Nur wenn der einzelne Verband nicht rein zufällig von der in seine Grundrechte (zumindest in das der allgemeinen Handlungsfreiheit) eingreifenden Sanktion getroffen wird, kann er seine Organisation verläßlich auf die als Orientierung dienenden Normen ausrichten. Geht man also davon aus, daß hier die Normen ebenfalls gerade diese Aufgabe erfüllen sollen, so ist mit einer Verurteilung ohne schuldhafte Tatbegehung nur schwer zu erreichen, daß organisiertes Verhalten sich an vorgegebenen Regeln ausrichten kann. Zum anderen würde die Bestrafung eines Verbandes, ohne daß dieser durch zurechenbares "Verhalten" die Verurteilung herbeigeführt hat, gleichermaßen ein S. 173 (s. oben Fn. 1051), wohl noch eher rechtfertigen, da es sich dabei um eine Prognose handelt. Weniger einleuchtend und nicht unbedenklich ist die Anknüpfung der Gefahrvermutung an die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung (kritisch auch Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 40). 1211 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 316. 1212 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 252.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

"Sonderopfer" eines Grundrechtsträgers (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) bedeuten. Einer "Instrumentalisierung" einer juristischen Person sind sicher nicht so durchgreifende Bedenken entgegenzusetzen wie bei natürlichen Personen, denn es fehlt hier ja gerade an der Menschenwürde, an dem Dasein als "geistig-sittliches Wesen". Wenn man jedoch bei juristischen Personen ebenfalls vom Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" ausgeht- was Heine übrigens selbst tut 1213 -ergibt sich, daß die Bestrafung von Verbänden, die keine rechtswidrige und schuldhafte Tat "begangen" haben, nicht mit dem Sinn der Strafe zu vereinbaren ist. Selbst wenn sich die Schuld im Verbandskontext auf ein "rechtsstaatskonformes Verantwortungsprinzip" reduzieren sollte 1214, so hat sie doch die Bedeutung, daß sie Gewähr dafür bieten muß, daß tatsächlich nur diejenige juristische Person, die verantwortlich für das Infragestellen der Normgeltung ist, in Form von Bestrafung dazu herangezogen werden kann, die Normakzeptanz wiederherzustellen. Die generelle Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG erfordert jedenfalls im Grundsatz "Schuld" als Legitimationsprinzip für Strafe. 1215 Dann ist die Bestrafung desjenigen, der eine Tat nicht begangen hat, aber auch nicht möglich. Eine Zweifelsregel zu Lasten des angeklagten Verbandes wäre eine nicht zu rechtfertigende Entscheidung gegen unschuldige juristische Personen. d) Der Nemo-tenetur-Grundsatz und Zweifelsregeln "contra reum"

Soweit der Nemo-tenetur-Grundsatz reicht, spricht für die Geltung des "in dubio pro reo"-Grundsatzes in einem Verbandsstrafverfahren auch, daß nur so der Mitwirkungsfreiheit zur vollen Entfaltung verholfen werden kann; eine Beweislastumkehr zuungunsten der juristischen Person hingegen würde - wie bei natürlichen Personen- mittelbaren Zwang zur aktiven Mitwirkung bedeuten. 3. Zulässigkeil einer Beweisführungslast zu Lasten der beschuldigten juristischen Person

Wie oben 1216 herausgearbeitet, kann die von Heine geforderte "Bringschuld" als eine Forderung nach Auferlegung der Beweisführungslast mit dem Inhalt, Entlastendes darlegen und beweisen zu müssen, verstanden werden. 1213 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 261 ff.: Schuld des Verbandes sei die "spezifische Verantwortlichkeit des Verbandes für erhebliche soziale Störungen" und wird als "Betriebsführungsschuld" bezeichnet, S. 265 f. 1214 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 263. 1215 Vgl. bezogen auf juristische Personen: Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 91 ff.; im übrigen vgl. -zu natürlichen Personen- Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, S. 30 ff., 38. 1216 Vgl. 3. Teil4. Abschnitt 8. II. 2.

4. Abschnitt: "Beweislastumkehr" im Strafverfahren?

335

Anders als bei der bloßen Einführung begrenzter Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten nach den oben aufgestellten Kriterien, d. h. zur Aufklärung erheblicher Straftaten, wenn andere Beweismittel nicht zu erreichen sind 1217, würde eine umfassende Auferlegung der Beweisführungslast die Aufgabe der Instruktionsmaxime bedeuten. Daraus ergibt sich folgendes: Soweit die Auferlegung entsprechender Beweisführungspflichten (oder -lasten), die sich dann als Mitwirkungspflichten darstellten, nicht ohnehin hinsichtlich der Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes unzulässig wäre 1218, stellt sich die Frage, ob nicht auch im Verfahren gegen juristische Personen der Untersuchungsgrundsatz mit der Entbindung des Angeklagten von Beweisführungslasten gelten muß. In Anbetracht des Grundsatzes, daß in der Regel derjenige den Beweis erbringen muß, der für ihn günstig ist, so daß grundsätzlich der Staat auch gegenüber der beschuldigten juristischen Person belastende Umstände nachweisen muß, ist die Geltung der Instruktionsmaxime vor allem für die Frage interessant, ob juristische Personen dazu verpflichtet werden können, Entlastendes zu beweisen. Versteht man zudem den Einwand Reines gegen den "in dubio pro reo"-Grundsatz, daß die Verbände im Verbandsstrafrecht einen uneinholbaren Informationsvorsprung hätten 1219, als Argument für eine entsprechende Belastung der juristischen Person mit einer Beweisführungspflicht, so ist darüber nachzudenken, ob im Verfahren gegen Verbände tatsächlich ein dem (subjektiven) Schutz der Beschuldigten und dem (objektiven) Schutz der Wahrheitsermittlung dienendes Grundprinzip der Amtsennittlung notwendig ist. Zweifel bestehen jedoch schon im Hinblick auf die Grundannahme Reines, daß der Informationsvorsprung von Verbänden über "Risikowissen" per se größer bzw. qualitativ anders ist als im Individualstrafrecht, wo es um soziale Risiken gehe, über die es jedermann zugängliche Informationen gebe. Sicherlich ist es eher ein empirisches Problem festzustellen, bei wie vielen Straftaten die Überführung des Täters daran scheitert, daß er einen Vorsprung an Kenntnis über die Tat hat. Aber auch ohne entsprechende empirische Erkenntnisse läßt sich sagen, daß bei Individualtaten beispielsweise die subjektive Tatseite typischerweise dadurch gekennzeichnet ist, daß nur der Täter Gewißheit über das Vorliegen von Vorsatz und besonderen Absichten hat. Und doch gilt der Amtsaufklärungsgrundsatz auch diesbezüglich.

Vgl. oben 3. Teil3. Abschnitt B. I. 2. d). Anzumerken ist zu Heine noch folgendes: Er meint zwar, daß zu erwarten w.~ ·· e, daß alle Unternehmen es vorziehen würden, entscheidungserhebliche Informationen se st herauszugeben, als Betriebsgeheimnisse im Rahmen der Ermittlungstätigkeiten preis ugeben (Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 297). Dem ist aber entgegenzuhalten, daß sich dies kaum mit seiner Forderung nach einer Auferlegung der Beweisführungslast vereinbaren ließe. Denn daraus läßt sich schließen, daß auch Heine davon ausgeht, daß nicht alle Unternehmen freiwillig die Informationen herausgeben werden; anderenfalls würde sich ein Nachdenken über Beweisprobleme und ihre Lösung durch eine Beweislastumkehr erübrigen. 1219 Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 296; ders., in: Verantwortung und Steuerung, S. 108; ders., JZ 1995, 653. 1217 1218

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Aber selbst wenn die Verteilung von Wissen im Verbandsstrafrecht eine andere Qualität als im Individualstrafrecht haben sollte, spricht immer noch vieles für die Übernahme der Instruktionsmaxime in ein Strafverfahrensrecht für Verbände. Zum einen wäre für ein anderenfalls auf der Verhandlungsmaxime beruhendes Strafverfahren wohl die Trennung vom Verfahren gegen den Individualtäter notwendig, was praktische Nachteile mit sich brächte. Die prozeßökonomischen Vorteile der Verbindung der Verfahren 1220 müßten preisgegeben werden. 1221 Zum anderen ist auch für Strafverfahren gegen juristische Personen ein Ungleichgewicht von Mitteln und juristischen Kenntnissen zuungunsten der Beschuldigten denkbar. Dann kann es aber zu einer ähnlichen Situation wie im Individualstrafverfahren kommen. Es besteht bei einem derartigen Ungleichgewicht zumindest die größere Gefahr, daß wegen der einseitigen Ermittlungen nicht die Wahrheit erforscht wird. Die Erforschung der tatsächlichen Umstände muß aber auch im Verbandsstrafverfahren im Vordergrund stehen: Es muß das Ziel eines jeden Strafverfahrens sein, Gewißheit über das Vorliegen der schuldhaft begangenen Tat zu erlangen. Auch bei Verbandsstrafverfahren ist der Nachweis der Schuld aus den oben dargestellten Gründen erforderlich. Mit der Amtsaufklärungspflicht des Gerichtes kann einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung mit der Folge der Verurteilung unschuldiger juristischer Personen eher entgegengesteuert werden als in einem Verfahren mit Verhandlungsmaxime. Dies entspricht dem, was bereits oben zur Belehrung und zur Anwesenheit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Unterstützung der beschuldigten juristischen Person bei ihrer Rechtsausübung und auf die auch ihr gegenüber bestehenden Fürsorgepflichten festgestellt wurde. 1222 Insofern muß sich der "soziale" Aspekt des Prozesses mit Untersuchungsmaxime 1223 selbst beim Verfahren gegen juristische Personen wiederfinden. Im Ergebnis ist daher die Übernahme des Amtsermittlungsgrundsatzes in das Verbandsstrafverfahren zu befürworten. Das steht einer Beweisführungslast der beschuldigten juristischen Person entgegen. 111. Zusammenfassung

In einem Verbandsstrafverfahren kann ebensowenig wie im Individualstrafverfahren die objektive Beweislast dem Beschuldigten auferlegt werden. In beiden S. dazu oben 3. Teil 2. Abschnitt B. Der Hinweis Heines (Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 305), man müsse eine "seperate verfahrensrechtliche Spur" für den Bereich der Verbandskriminalität einrichten, deutet zwar auf den ersten Blick darauf hin, daß er die grundsätzliche Trennung der Verfahren in Kauf nimmt. Wie bereits oben (3. Teil 2. Abschnitt B. am Anfang) erwähnt, ergibt sich jedoch aus dem Hinweis auf die Rechtslage im früheren Jugoslawien, daß er eine strikte Trennung zwischen dem Strafverfahren gegen das Individuum und dem gegen den Verband nicht gemeint haben kann. 1222 Vgl. oben 3. Teil 3. Abschnitt D. 1., F. li. 2. b) bb) (2). 1223 Vgl. Tiedemann, ZRP 1992, 108. 1220 1221

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

337

Verfahren muß daher der Grundsatz "in dubio pro reo" als Entscheidungs- bzw. Beweislastregel gelten. Dies gilt unabhängig davon, was für ein Verbandsstrafenmodell zugrunde gelegt wird.1224 Ebenso ist die Durchführung des Strafverfahrens als Amtsprozeß unter Geltung der Instruktionsmaxime auch im Verbandsstrafverfahren zu befürworten, so daß die Beweisführungslast jedenfalls nicht bei der beschuldigten juristischen Person liegen darf. 5. Abschnitt

Neue Prozeßhindernisse: Auflösung, Wechsel der Rechtsform sowie Verschmelzung des Verbandes und die Auswirkungen auf das Verfahren Allgemein bestehen für die Durchführung eines Strafverfahrens verschiedene Verfahrensvoraussetzungen, deren Fehlen die Unzulässigkeil des Strafverfahrens bewirkt. Neben Voraussetzungen wie beispielsweise dem Eingreifen der deutschen Gerichtsbarkeit, der Eröffnung des Rechtsweges und der Zuständigkeit zählen im Verfahren gegen Menschen hierzu die Strafmündigkeit und die Verhandlungsfähigkeit bzw. das Fehlen von Prozeßhindernissen wie Immunität (Art. 46 Abs. 2 GG) und Exterritorialität. 1225 Auch der Tod des Beschuldigten steht der Durchführung eines Strafverfahrens und dem Ergehen einer Sachentscheidung entgegen. 1226 Verhandlungsunfähigkeit 1227 , Immunität und Tod sind bei juristischen Personen nicht denkbar. Dafür könnten sich aufgrund von Besonderheiten, die Personenverbände aufweisen, andere Verfahrenshindernisse ergeben. Gemeint sind damit die Möglichkeiten, sich aufzulösen oder die konkrete Gestalt durch Umwandlung zu verändern. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich für diese Veränderungsmöglichkeiten der juristischen Person Parallelen zum geltenden Strafprozeßrecht ziehen bzw. ob sich andere sachgemäße Regelungen für den Strafprozeß finden lassen. Die Antwort soll im folgenden zunächst für die Auflösung und anschließend für die Umwandlung des Verbandes durch Wechsel der Rechtsform sowie Verschmelzung gefunden werden. 1224 Daher ergäbe eine Untersuchung wie bei Schlüter. Strafbarkeit von Unternehmen, S. 93 ff., inwieweit die einzelnen "Haftungsmodelle" mit dem Grundsatz "in dubio pro reo" "vereinbar" sind, überhaupt nur insoweit Sinn, als damit geprüft würde, ob in den Tatbestandsmodellen Entscheidungsregeln contra reum enthalten sind und ob sie im übrigen hinsichtlich der Geltung des Grundsatzes "in dubio pro reo" praktikabel sind. 1225 Vgl. Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 274 ff.; Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 9 Rn. 133 ff. 1226 Wenn auch die Einordnung des Todes als Prozeßhindemis - mit der Folge, daß eine Einstellung nach § 206 a StPO notwendig wäre - umstritten ist; vgl. gegen die Klassifizierung als Prozeßhindemis Fezer. Strafprozeßrecht, Fall 9 Rn. 139 m. w. N.; dafür Kleinknecht/Meyer-Goßner. StPO, § 206 a Rn. 8 m. w. N.

22 Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

A. Auflösung des Verbandes Die Auflösung des Verbandes scheint auf den ersten Blick mit dem Tod des Angeklagten vergleichbar zu sein. 1228 Ob sie in ihren Auswirkungen tatsächlich damit gleichgesetzt werden kann, soll zunächst für die Rechtslage in anderen Rechtsordnungen dargestellt werden. I. Andere Rechtsordnungen 1. Strafverfahren in ausländischen Rechtsordnungen

a) Vereinigte Staaten von Amerika 1229

Nach der Rechtsprechung des Supreme Courts endet in den USA das Strafverfahren grundsätzlich mit der Auflösung der beschuldigten juristischen Person ebenso wie mit dem Tod eines lndividuums 1230 , es sei denn, es ist gesetzlich geregelt, daß die juristische Person zum Zwecke der Strafverfolgung und -Vollstreckung trotz Auflösung fortbesteht. 1231 Es dürfe einem Verband genauso wenig ermöglicht werden sich aufzulösen, um sich der Bestrafung zu entziehen, wie dazu, zivilrechtliehen Anspriichen zu entgehen. 1232

1227 Zwar muß auch der jeweilig vor Gericht erscheinende Vertreter verhandlungsfahig sein, aber da nach dem oben (3. Teil 3. Abschnitt F. II. 2. b) bb) (2)) Dargelegten nicht eine bestimmte natürliche Person zur Anwesenheit verpflichtet ist, kann bei Verhandlungsunfähigkeit eines bestimmten Organmitglieds stets auch ein anderes vor Gericht erscheinen, um den Verband zu vertreten. 122s Vgl. Torringa, Strafbaarheid van rechtspersonen, S. 148; Coffee, Encyclopaedia of Crime and Justice, S. 256; Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 266 f.; dieser Vergleich entspricht dem zwischen der bisweilen vorgeschlagenen Sanktionsform "Auflösung des Verbandes" und der Todesstrafe, vgl. nur Hirsch, ZStW 107 (1995), 317; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 253; Rotberg, in: 100 Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 209; KK-OWiGRogall, § 30 Rn. 111; vgl. dazu aber auch kritisch Hafter, Delikts- und Strafflihigkeit von Personenverbänden, S. 140 Fn. 2: Wenn das Mittelalter die Auflösung "Todesstrafe" nenne, sei das "bloße Wortspielerei". 1229 Siehe hierzu auch die Darstellungen bei Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 109 f., und in American Jurisprudence, Bd. 18 B, § 2140, S. 963 m. w. N. 1230 Me/rose Distillers v. V. S., 359 U. S. 271 (1959) mit Hinweis auf das Zivilverfahren Defense Supplies Corp. v. Lawrence Warehause Co., 336 U. S. 631,634 (1949). 1231 Vgl. die Supreme Court-Entscheidung Me/rose Distillers v. V. S., 359 U. S. 271, 272 f. (1959). 1232 Me/rose Distillers v. V. S., 359 U. S. 271, 274 (1959).

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

339

b) Frankreich Eine andere Richtung hat hingegen der französische Gesetzgeber eingeschlagen. Nach Art. 133-1 des Code Penal 1233 hindert die Auflösung, wenn sie nicht vom Strafrichter angeordnet wurde, ebenso wie der Tod grundsätzlich die Strafvollstreckung, wobei jedoch eine Geldstrafe (amende) bis zum Abschluß des Liquidationsverfahrens eingezogen werden kann. Zum Teil wird aus dieser gesetzlichen Regelung abgeleitet, daß mangels Vollzugsmöglichkeit auch die Strafverfolgung der juristischen Person während des Liquidationsverfahrens keinen Sinn mache. 1234 Andere befürworten eine Anwendung der Strafvorschriften auf Gesellschaften in Liquidation 1235 , so daß nach dieser Ansicht auch einer Strafverfolgung in diesem Stadium nichts entgegenstehen dürfte. c) Niederlande In den Niederlanden ist die Folge der Auflösung des Verbandes nicht gesetzlich geregelt und zudem umstritten. Wahrend zum Teil angenommen wird, daß eine aufgelöste juristische Person so zu behandeln sei wie eine verstorbene Person, so daß der Strafanspruch entfalle (Art. 69 des niederländischen StGB) 1236, meinen andere, daß in Analogie zum Zivilrecht die juristische Person solange fortbestehen müsse, bis alle Aktiva und Passiva ausgeglichen sind bzw. solange noch ein identifizierbares Vermögen vorhanden ist 1237 . 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht

Aus der Praxis der EU-Kommission zur Verhängung von Geldbußen bei Wettbewerbsverstößen läßt sich schließen, daß bei Auflösung des betreffenden Unterneh1233 Art. 133-1 lautet: "Le ded:s du condamne ou Ia dissolution deIapersonne morale, sauf dans Je cas ou Ia dissolution est prononcee par Ia juridiction penale, Ia grace et I' amnistie, empechent ou arretent I'execution de Ia peine. Toutefois, il peut etre procede au recouvrement de I' amende et des frais de justice ainsi qu' a I' execution de Ia confiscation apres le deces du condamne ou apres Ia dissolution deIapersonne morale jusqu'a Ia cloture des operations de Iiquidation. ( . . . )" ("Der Tod des Verurteilten oder die Auflösung der juristischen Person, mit Ausnahme der Auflösung durch die Strafgerichtsbarkeit, die Begnadigung und die Amnestie hindern oder beenden die Vollstreckung der Strafe. Die Seitreibung der Geldstrafe und der Prozeßkosten sowie die Vollstreckung der Einziehung können jedoch nach dem Tod des Verurteilten oder nach der Auflösung derjuristischen Person bis zum Abschluß des Liquidationsverfahrens vorgenommen werden.", Ubersetzung von Bauknecht I Lüdicke, Das französische Strafgesetzbuch). 1234 So Koch, ZStW 107 (1995), 408. 1235 Vgl. Klein, RIW 1995, 373, unter Hinweis auf Urbain-Parleani, Revue des societes 1993, 245. 1236 So z. B. die Entscheidung Rb. Rotterdam 7 december 1982, NJ 1983, 294 (zitiert nach Torringa, Strafbaarheid van rechtspersonen, S. 149). 1237 Vgl. Torringa, Strafbaarheid van rechtspersonen, S. 149.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

mens eine Geldbuße nicht verhängt wird. Andernfalls ließe sich die als "wesentliche Aufgabe" 1238 verstandene Abgrenzung von Fortbestand des Unternehmens 1239 und Auflösung nicht erklären, welche die Kommission bei ihren Bußgeldentscheidungen vornimmt.

II. Voraussetzungen und prozessuale Folgen der Auflösung im geltenden deutschen Recht Wie sich gezeigt hat, ist die Handhabung in den anderen Rechtsordnungen recht unterschiedlich. Der Behandlung der Auflösung entsprechend dem Tod des Beschuldigten bzw. Verurteilten steht die Auffassung gegenüber, daß man den Verband wie im Zivilverfahren solange als fortbestehend ansehen müsse, wie die Strafverfolgung und -Vollstreckung noch nicht beendet ist. Hinzu kommt, wie der Blick auf das französische Recht zeigt, daß möglicherweise zwischen Abwicklungsverfahren und endgültiger Auflösung unterschieden werden muß. Daher erscheint es an dieser Stelle empfehlenswert, sich einen knappen Überblick über die Voraussetzungen und den Gang der Auflösung von Gesellschaften im deutschen Recht sowie über die Auswirkungen auf den Zivilprozeß und das Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG zu verschaffen, bevor anhand dessen die Auswirkungen auf den Strafprozeß untersucht werden können. 1. Voraussetzungen und Phasen der Auflösung

Juristische Personen und Personengesellschaften können durch Beschluß ihres Willensbildungsorgans 1240 und aufgrund weiterer gesetzlicher oder satzungs- bzw. vertragsmäßiger Auflösungsgründe aufgelöst werden. Im Anschluß an den Auflösungsbeschluß findet regelmäßig zunächst ein Abwicklungsverfahren statt 124 1, das auch Liquidationsverfahren genannt wird. Bei diesem Verfahren ist in der Regel die Vollbeendigung das Ziel. Wahrend des Abwicklungsverfahrens existiert der Verband bis zur Vollbeendigung weiter und ist auch noch - jedenfalls relativ rechtsfähig. 1242 Er kann unter bestimmten Bedingungen auch bis zur Vollbeendigung jederzeit "reaktiviert" werden. 1243 Erst am Ende des Liquidationsverfahrens 1238 Vgl. nur KOME Abi. 1989 L 74, 1, 14 (PVC); KOME Abi. 1989 L 74, 2 1, 35 (LDPE). 1239 Dazu näher unten 5. Abschnitt B. I. 2. 1240 Vgl. §§ 41 BGB, 262 Abs. I Nr. 2 AktG, 60 Abs. I Nr. 2 GmbH-Gesetz, 78 GenG, 131 Abs. I Nr. 2 HGB 1241 §§ 47 BGB, 730 BGB, 145 HGB, 264 AktG, 66 GmbHG, 83 GenG. 1242 Vgl. hierzu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 11 V 4 (S. 321), mit Hinweisen auf die einschränkende Ansicht, die von bloß relativer Rechtsfähigkeit ausgeht. 1243 S. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 11 V 5, S. 323 f.

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

341

steht die Vollbeendigung, mit welcher der Verband erlischt. Hierbei ist im Gesellschaftsrecht umstritten, ob Voraussetzung für die Vollbeendigung die Vermögenslosigkeit allein 1244 oder zusätzlich zur Löschung im Handelsregister 1245 oder letztere allein 1246 ist. Da der Verband also bei der Auflösung nicht unmittelbar erlischt und "verschwindet", sondern zunächst ein Liquidationsverfahren durchläuft, ist bei der weiteren Untersuchung zwischen der Abwicklungsphase nach dem Auflösungsbeschluß bzw. dem Eintritt eines anderen Auflösungsgrundes einerseits und der Vollbeendigung des Verbandes andererseits zu unterscheiden. Welche Auswirkungen diese Vorgänge auf den Prozeß haben können, soll hier- in Ergänzung zu der obigen Darstellung des ausländischen und des EU-Rechts- anband der Rechtslage im Zivilprozeß und im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße weiter erforscht werden.

2. Rechtslage im Zivilprozeß

Zunächst richtet sich der Blick auf die Rechtslage im Zivilprozeß. Unproblematisch ist es, wenn vor oder während eines Prozesses lediglich die Auflösung beschlossen wird bzw. ein anderer Auflösungsgrund eintritt und sich die Gesellschaft in Liquidation befindet; in dieser Phase existiert sie- mit Liquidationszweck -fort und behält ihre Partei- und Prozeßfähigkeit. 1247 Komplizierter stellt sich hingegen die rechtliche Beurteilung der Parteifähigkeit bei der vermögenslos gelöschten Gesellschaft dar. Im Grundsatz ist noch unumstritten, daß mit Vollbeendigung die Parteifähigkeit entfällt. 1248 Eine vollbeendigte juristische Person kann Prozesse weder beginnen noch fortsetzen. 1249 Problematisch wird es, wenn entweder die als vermögenslos gelöschte - und damit vermeintlich vollbeendete - juristische Person als Klägerin oder der Kläger in einer gegen sie gerichteten Klage das Vorhandensein von verteilungsfähigem Vermögen gestützt durch Tatsachenvortrag behauptet. Wenn in diesen Fällen ein neuer Prozeß 1244 Vgl. nur BGHZ 53, 264, 266; BAG NJW 1982, 1831 ; LG Mainz NJW-RR 1999, 1716; Wiedemann, in: Großkommentar AktG, § 273 Anm. 3. 1245 Sogenannte Lehre vom Doppeltatbestand, Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 13 m. w. N. in Fn. 36, Rn. 14; ders., Gesellschaftsrecht, S. 325 m. Fn. 89; zustimmend Happ, GmbH im Prozeß, § 14 Rn. 10; Bark, JZ 1991, 844 m. w. N. in Fn. 45 (dort S. 842 ff. eingehend zum Meinungsstand). 1246 Vgl. nur Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, Anh. § 60 Rn. 35 ff., 37. 1247 Vgl. nur Happ, GmbH im Prozeß, § 14 Rn. 4, 26; Zöller/Vallkammer, ZPO, §50 Rn. 4; BGHZ 74, 212,213. 1248 Vgl. nur BGHZ 74, 212, 21 3; BGH NJW 1982, 238; Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 17; ders. , Gesellschaftsrecht, S. 320; Happ, GmbH im Prozeß, § 14 Rn. 29; Bark, JZ 1991, 846. 1249 Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 17.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

begonnen wird, ist vom Fortbestehen der juristischen Person und von ihrer Parteifähigkeit auszugehen. 1250 Umstritten sind jedoch die Auswirkungen der auf Vermögenslosigkeit gestützten Löschung 1251 für einen laufenden Prozeß. 1252 Hier soll es jedenfalls für die Zulässigkeit der Klage ausreichend sein, wenn der Kläger das Vorhandensein einzelner Vermögenswerte substantiiert behauptet 1253 , denn die juristische Person sei nur dann vollbeendet und damit nicht mehr rechts- und parteifähig, wenn sie - tatsächlich- kein Vermögen mehr hat. 1254 Demgegenüber wird aber teilweise bei "sonstigem Abwicklungsbedarf' davon ausgegangen, daß es auf die Vermögenslosigkeit für die Fortsetzung des Verfahrens nicht ankomme. 1255 In Fällen, in denen ein "schutzwertes Interesse" für das Klagebegehren selbst dann bestehe, wenn von der Vermögenslosigkeit der juristischen Person ausgegangen wird, dauere die Parteifähigkeit bis zum Ende des anhängigen Prozesses fort. 1256 Verbreitet wird aber überhaupt das grundsätzliche Fortbestehen der gelöschten juristischen Person oder Personenvereinigung und damit ihre fortgesetzte Parteifähigkeit für Passivprozesse angenommen. 1257 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nach wohl überwiegender Ansicht auch gegen im übrigen vollbeendete juristische Personen Prozesse geführt werden können, wenn ansonsten die gegen sie geltend gemachten Rechte nicht durchsetzbar wären. 1258 Dabei wird teilweise von der Fortexistenz der Gesellschaft mit entsprechend fortbestehender Parteifähigkeit 1259 , teilweise von nur fingierter Parteifähigkeit 1260 gesprochen.

Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 17. Die z. B. von Karsten Schmidt, Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 17, und Gesellschaftsrecht, S. 328, im laufenden Prozeß für unzulässig gehalten wird. 1252 Wobei für die vorliegende Untersuchung nur das gegen die juristische Person als Beklagte gerichtete Verfahren interessiert, denn eine Vergleichbarkeit mit dem Strafverfahren liegt dabei noch näher als beim Aktivprozeß. 1253 Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 17 m. w. N. in Fn. 54. 1254 Vgl. Bork, JZ 1991, 848, 846; nach der Auffassung des BGH (BGHZ 74, 212, 213) soll es für die Frage der Vollbeendigung und damit der Parteifähigkeit auch nur auf die Vermögenslosigkeit ankommen. 1255 S. Bork, JZ 1991, 848. 1256 BAG NJW 1992, 1831, für den Zeugnisanspruch gegen eine gelöschte und vermögenslose GmbH. 1257 Sei es aufgrund des Wegfalls der Vermögenslosigkeit hinsichtlich eines potentiellen Kostenerstattungsanspruchs - vgl. nur Bork, JZ 1991, 849 f., zustimmend Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 328, ablehnend hingegen BGHZ 74, 212, 213 f. -, sei es deswegen, weil es zu "Unzuträglichkeiten" führe, wenn sich eine juristische Person durch Selbstauflösung dem Prozeß entziehen könne, so OLG Stuttgart, NJW 1969, 1493, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, §50 Rn. 22 f. m. w. N. 1258 Zöller I Vollkommer; ZPO, § 50 Rn. 4 a m. w. N. 1259 Vgl. Bork, JZ 1991, 848; auch Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 24. 1260 V gl. Zöller I Vollkommer; ZPO, § 50 Rn. 4 a. 1250 1251

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

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3. Rechtslage im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße

Die Rechtsprechung zu § 30 OWiG hat einen anderen Weg als das Zivilverfahrensrecht eingeschlagen und bildet eine Analogie zu dem Tod einer "als Täter belangten natürlichen Person": Das Erlöschen der Nebenbetroffenen beende das Bußgeldverfahren. 1261 Bis zur Beendigung des Liquidationsverfahrens hingegen bestehe die juristische Person fort, wobei nur ihr Zweck durch die erforderliche Abwicklung überlagert werde, aber noch nicht einmal ein Fall des Wechsels der Rechtsform vorliege. 1262 111. Zukünftiges Strafverfahrensrecht für juristische Personen Festzuhalten ist als bisherige Erkenntnis, daß es eine einheitliche Linie der prozessualen Handhabung der Auflösung und Vollbeendigung des Verbandes vor oder während des Verfahrens nicht gibt. Wichtig erscheint es aber jedenfalls, stets zwischen Auflösung mit anschließendem Liquidationsverfahren und Vollbeendigung zu unterscheiden. Voraussetzung für die Vollbeendigung soll hier in Anlehnung an die herrschende Meinung im Gesellschaftsrecht (auch) die Vermögenslosigkeit sein. Bei der demnach zu stellenden Frage, welche Auswirkungen auf das Strafverfahren zum einen das Ereignis Vollbeendigung und zum anderen die davor zu durchlaufende Phase der Liquidation haben können, sind die Probleme wie folgt näher einzugrenzen: Was die Wirkung der Vollbeendigung anbelangt, ist zwischen zwei Handhabungsalternativen zu unterscheiden: Auf der einen Seite steht die Möglichkeit, -entsprechend der Rechtsprechung zu § 30 OWiG, der französischen Rechtslage hinsichtlich der Vollstreckbarkeit und einer in den Niederlanden vertretenen Ansicht- den naheliegenden Vergleich mit dem (Frei-)Tod einer beschuldigten natürlichen Person zu ziehen, der, wie bereits einleitend angedeutet, die Beendigung des Strafverfahrens zur Folge hat. 1263 Konsequenz einer entsprechenden Würdigung der Vollbeendigung einer juristischen Person wäre, daß - praktisch vor allem kleinere - Verbände sich durch Selbstauflösung dem Verfahren und der Verurteilung entziehen könnten. Daß sich eine juristische Person derart "ins Nirwana davonstiehlt" 1264, wird in der Literatur zur Strafbarkeit von Verbänden teilweise befürchtet. 1265 Erwogen wird daher eine Fortbestandsfiktion zum Zwecke der 1261 KG wistra 1999, 196, 197 mit Hinweis auf die Kornmentierung bei Kleinknecht I Meyer-Goßner; StPO, zu § 206 a Rn. 8. 1262 OLG Zweibrücken wistra 1995, 117, 118. 1263 Allg. Ansicht, vgl. nur BGH NStZ 1983, 179; KK-StPO-Tolksdoif, § 206 a Rn. 9; Kühl, NStZ 1982, 481. 1264 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 328. 1265 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 220; ähnlich auch Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 27.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Strafverfolgung, wobei dies mit dem Gedanken verbunden wird, daß die Geldstrafe aus dem in den Händen der vormaligen Gesellschafter befindlichen liquidierten Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden müsse. 1266 Diese Fortbestehensfiktion entspräche jedenfalls im Ergebnis der Rechtslage in den USA, wonach es dem Gesetzgeber erlaubt sein soll, das Fortbestehen des Verbandes zum Zwecke der Strafverfolgung anzuordnen, und der zivilprozessualen Auffassung, wonach bei "sonstigem Abwicklungsbedarf' das Fortbestehen bzw. die fortbestehende Parteifähigkeit der gelöschten und vermögenslosen juristischen Person angenommen wird. Vorgeschlagen wird in der Literatur zur Verbandsstrafe auch die Möglichkeit der Schuldfeststellung gegenüber dem früheren Verband und die Verfallsanordnung im Hinblick auf das ehemalige Verbandsvermögen. 1267 Inwieweit diesen Anregungen zugestimmt werden kann, wird sogleich unter I. erörtert. Auch wenn man die Vollbeendigung als "bürgerlichen Tod" 1268 des Verbandes begreifen möchte, so ist damit nicht gesagt, ob nicht wenigstens dann, wenn die juristische Person zu Beginn des Strafverfahrens noch nicht vollständig erloschen ist, die Vollbeendigung durch ein entsprechendes vom Gericht anzuordnendes Verbot unterbunden werden kann. Denn anders als der Tod eines Menschen ist das Abwicklungsverfahren und die anschließende Vollbeendigung einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung ein juristischer Akt, der unterbrochen und aufgeschoben werden kann. Auch hierzu finden sich Vorschläge in der eine Verbandsstrafe befürwortenden Literatur. So wird als Gegenmaßnahme zu den angeblichen Gefahren der Selbstauflösung ein Auflösungsverbot 1269 vorgeschlagen. Ob dies möglich ist und ob das Strafverfahren auch parallel zu einem Liquidationsverfahren, d. h. gegen eine aufgelöste, aber noch nicht vollständig liquidierte juristische Person bzw. Personenvereinigung durchgeführt werden sollte, soll im Anschluß an die Wirkung der Vollbeendigung und die Zulässigkeit einer Fortbestehensfiktion unter 2. untersucht werden.

1266 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 220; zur Vollstreckung ähnlich auch schon Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 228: Könne die Geldstrafe

nicht aus dem Vermögen des Verbandes beigetrieben werden, sei sie im Umlageverfahren von den Verbandsmitgliedern einzufordern. 1267 Hirsch, Frage der Straffähigkeit, S. 27; ders., ZStW 107 (1995), 320. 1268 Vgl. Volk, JZ 1993, 431 bei Fn. 18 (dort im Zusammenhang mit der Auflösung als Sanktion). 1269 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 220; Ackernu:mn, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 241 ; ähnlich Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 275; zu einem zukünftigen Schweizer Unternehmensstrafrecht auch Moreillon, ZStrR 1999, 343: Es solle dem Richter ermöglicht werden, das Liquidationsverfahren bis zum endgültigen Urteilsspruch zu blockieren, um so eine Flucht vor Bestrafung zu verhindern.

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

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1. Wirkung der Vollbeendigung auf das Strafverfahren und Zulässigkeit einer Fortbestehenstiktion

Ausgangspunkt soll hier sein, daß ein Verband nach Vollbeendigung grundsätzlich nicht mehr existiert. Dies muß auch unabhängig von dem Zeitpunkt des Erlöschens der juristischen Person oder Personenvereinigung gelten, d. h. unabhängig davon, ob dies zwischen Tat und Beginn des Strafverfahrens oder während desselben geschieht. Das beantwortet jedoch nicht die Frage, ob nicht trotz Eintritt der sonstigen Vollbeendigungsvoraussetzungen angeordnet oder angenommen werden kann, daß der Verband zum Zwecke der Strafverfolgung einschließlich der Strafvollstreckung fortbesteht bzw. als fortbestehend gilt. Die Problematik einer solchen Konstruktion für das Strafverfahren läßt sich auf zwei verschiedene Aspekte zusammenfassen. Der eine betrifft die Frage, ob eine am Ende eines solchen Verfahrens gegen die - nur zum Zweck der Durchführung des Strafverfahrens als fortbestehend geltende -juristische Person ausgesprochene Strafe vollstreckt werden kann; nach Ehrhardts Vorschlag soll dies ja in das bei den ehemaligen Gesellschaftern befindliche liquidierte Vermögen geschehen. Der andere Aspekt hängt mit dem Zweck eines Strafverfahrens zusammen, wenn sich ergibt, daß die Strafe nicht vollstreckt werden kann.

a) Vollstreckbarkeit der Strafe trotz Vollbeendigung

Was die Möglichkeit der Strafvollstreckung bei einem ansonsten bereits beendeten, nur zum Zwecke der Strafverfolgung als fortbestehend angenommenen Verband angeht, so muß die Unmöglichkeit der Vollstreckung einer als Strafe ausgesprochenen Auflösungsanordnung nicht weiter erläutert werden. Auch Sanktionen wie eine Bewährung oder Unternehmenskuratel gehen ins Leere. Eine Geldstrafe kann ebenfalls nicht in das- nicht mehr vorhandene 1270 - Vermögen der im übrigen vollständig liquidierten juristischen Person vollstreckt werden. 12 71 Das einzige denkbare Mittel zur Vollstreckung scheint also die Vollstreckung in dann bei den Gesellschaftern befindliches ehemaliges Verbandsvermögen zu sein. Das ließe sich jedoch nur rechtfertigen, wenn entweder die Rechtsnachfolge auch bei Strafen zulässig oder aber das Verbandsvermögen der tatsächliche Sanktionsadressat wäre. Doch weder das eine noch das andere ist haltbar, wie sich aus den folgenden Gründen ergibt: Für das Individualstrafrecht ist allgemein anerkannt, daß eine Vollstreckung in den Nachlaß des Verurteilten unzulässig ist 1272 ; wegen der "höchstpersönlichen Natur des Streitgegenstandes" ist sowohl die Rechtsnachfolge als 1270 Denn die Liquidation ist erst mit der restlosen Verteilung des verwertbaren Aktivvermögens beendet, vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 319. 127 1 Für Torringa, Strafbaarheid van rechtspersonen, S. 164 (deutsche Zusammenfassung), ist das Problem aus diesem Grunde rein akademisch. 1272 Vgl. nur KK-StPO-Tolksdor{. § 206 a Rn. 9 m. w. N.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

auch die Fortsetzung des Verfahrens durch die Erben ausgeschlossen 1273. Diese heute 1274 selbstverständliche Auffassung muß ebenso für die Strafe gegen juristische Personen und Personenvereinigungen gelten, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Zum einen geht es auch hier - gerade nach Vorstellung der VerbandsstrafenbefürworteT - nicht nur um die Haftung mit einem Vermögen, so daß aus diesem vollstreckt werden könnte, bei wem auch immer es sich befindet. An dieser Stelle sei noch einmal betont, worum es nach Auffassung der Befürworter einer "echten" Strafe gegen juristische Personen und andere Personenvereinigungen vielmehr geht: Nämlich um ein (sozialethisches) "Unwerturteil", das auch die juristische Person treffen könne 1275 oder gar um den Vorwurf "sittlichen" Verschuldens 1276 . Die "soziale Einheit ,Verband".t 277 wird offensichtlich nicht nur als abstrakter Vermögensträger verstanden, sondern soll eine "corporate identity" 1278 bzw. "Corporate culture" 1279, bestimmte "Verbandsattitüden" 1280, "Untemehmensphilosophien"1281, einen "überindividuellen" 1282 bzw. Verbandsgeist 1283 , eine "Verbandsmentalität"1284 oder gar einen "Untemehmenscharakter" 1285 haben. Bei einem solchen Konzept vom Strafadressaten kann nicht hinsichtlich der Vollstreckung die Konstruktion einer "Persönlichkeit" wieder in sich zusammenfallen und das Vermögen als einzig maßgeblich betrachtet werden. Zum anderen muß auch bei der Verbandsstrafe die Identität zwischen dem Täter und dem Bestraften erhalten bleiben. Begreift man den konkreten Verband - mit seinen jeweiligen Eigenschaften, die über die bloße Vermögensträgerschaft hinausgehen sollen - als Täter, so muß diesen auch die Strafe treffen. Würde man bei der Vollstreckung hiervon abweichen, so könnte man sich die Anstrengungen sparen, welche die Begrundung der Verbandsschuld als Legitimationsprinzip für Strafe mit sich bringt. Wenn man am Ende gegen die - von der Gesellschaft als Rechtsträger BGH NStZ 1983, 179. Vgl. zu den Ausnahmen im gemeinen Recht (neben der Vollziehung der Strafe am Leichnam gab es die Vollziehung von Geldstrafe und Vermögenskonfiskation gegen die Erben): Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 207 f. 1275 Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 230 f. 1276 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 190 f. 1277 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 189. 1278 Achenbach, in: Coimbra-Symposium, S. 302; auch Volk, JZ 1993, 430; Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 117. 1279 Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 161. 1280 Vgl. Lütolf, Strafbarkeit der juristischen Personen, S. 34; Müller; Die Stellung der juristischen Person, S. 5. 1281 Lampe, ZStW 106 (1994), 731. 1282 Lampe, ZStW 106 (1994), 733. 1283 Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 113. 1284 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 50, 53, 267. 1285 Lampe, ZStW 106 (1994), 732 f. 1273

1274

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

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zu unterscheidenden - Gesellschafter bzw. gegen deren Vermögen vorgehen möchte, so muß man von vomherein begründen, warum nun sie "haften", d. h. strafrechtlich verantwortlich sein sollen. Andernfalls würde deutlich, daß man entweder die Strafe eher als zivilrechtliche und damit vertretbare Sanktion ansieht oder daß sich die Strafe eigentlich von vomherein - als "kaschierte Durchgriffshaftung"1286- auf diese Gesellschafter bezogen hat. Eine an einen Verband gerichtete Strafe muß jedoch gegen diesen vollstreckt werden; ist die Vollstreckung gegen ihn aufgrund der Vollbeendigung unmöglich, kann diese Folge nicht durch einen Rückgriff auf andere Personen umgangen werden.

b) Auswirkung der Vollbeendigung auf Straf- und Verfahrenszwecke Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß eine Bestrafung des im übrigen liquidierten Verbands die verfolgten Strafzwecke 1287 weitgehend unerreichbar macht 1288: Bei einem Verband, der ausschließlich zum Zwecke der Strafvollstreckung weiterbesteht oder als fortbestehend fingiert wird, ist das im Hinblick auf den Gedanken der Spezialprävention ohne weiteres einleuchtend. Was die Generalprävention angeht, so ist hinsichtlich ihrer positiven Spielart die normbestärkende Wirkung eines Schuld- und Strafausspruchs gegen eine eigentlich nicht mehr existierende juristische Person schon sehr zweifelhaft, vielleicht aber wegen der im Schuldspruch liegenden Feststellung von Unrecht und Schuld noch zu rechtfertigen. Die Abschrekkung wiederum ist dann, wenn die Strafe nicht mehr zu vollstrecken ist, als äußerst gering einzustufen. Lediglich unter dem Gesichtspunkt der Vergeltung kann die Bestrafung eines Verbandes, der nur zu diesem Zwecke "am Leben erhalten" wird, einen Sinn haben, wenn mit der Strafe ein Ausgleich für die begangene Tat herbeigeführt werden soll. Aber auch hier läßt sich bei einem vollbeendigten Verband einwenden, daß ihm nicht durch Auferlegung von tatsächlich nicht vollstreckbaren Strafen ein der Tat entsprechendes Übel zugefügt 1289 werden kann. Ebenso geht ein schon im Schuldspruch liegender "sozialer Tadel" 1290 dann letztlich ins Leere. Ob sich trotz der starken Reduzierung der erreichbaren Strafzwecke eine Bestrafung rechtfertigen läßt, ist jedoch eine Frage, die eher ins materielle Recht gehört.

1286 So der Begriff bei Alwart, ZStW 105 (1993), 759. 1287 Obwohl z. B. Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 203, offenläßt, welche Strafzwecke mit einer Verbandsstrafe verbunden werden, und aufS. 203 ff. die mögliche Erreichung jedes Strafzwecks prüft und bejaht, spielt bei ihr - wie bei den übrigen oben (2. Teil 2. Abschnitt B.) genannten Autoren - der Präventionsaspekt eine große Rolle, vgl. nur Unternehmensdelinquenz, S. 159 ff., 164 ff. 1288 Vgl. zu dem ähnlich gelagerten Problem beim verstorbenen Angeklagten Bloy, GA 1980, 168; zustimmend Kühl, NStZ 1982,481. 1289 Vgl. zur Auffassung der VerbandsstrafenbefürworteT von "Vergeltung" oben, 2. Teil 3. Abschnitt B. I. aa). 1290 Vgl. Tiedemann, in: Freiburger Begegnungen, S. 52.

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Die prozeßrechtliche Frage, die sich hier aber anschließt, ist die nach der Durchführbarkeit eines Strafverfahrens, bei dem die Vollstreckung eines möglichen Strafausspruchs unmöglich geworden ist und die Strafzwecke nur höchst teilweise erreicht werden können. Soll gegen eine als fortbestehend angesehene juristische Person weiter prozessiert werden, auch wenn die Strafe weitgehend ins Leere gehen wird? Unbehagen bereitet hier schon die Vorstellung, im Grunde nur gegen eine Fiktion vorzugehen: Der Verband als solches besteht nicht mehr, die besonderen Attitüden und der "Verbandsgeist" - sofern es sie denn gab- haben sich bereits aufgelöst. Die Durchführung eines Strafverfahrens läßt sich dann nur noch begründen, wenn als Verfahrenszweck die Feststellung und die Kenntlichmachung von Unrecht und Schuld 1291 in einem justizförrnigen, auf Wahrheits- und Rechtssuche ausgerichteten Verfahren 1292 angesehen werden und dieses Ziel auch dann für erreichbar gehalten wird, wenn der Beschuldigte eigentlich nur noch als rechtliche Fiktion besteht. Solange man den Zweck des Strafverfahrens, die Schaffung von Rechtsfrieden, auf diesem Wege für erreichbar hält, obwohl die Strafe nicht vollstreckt werden kann 1293 , kann man die weitere Durchführung des Verfahrens gegen den nur zum Zwecke dieser Verfahrensdurchführung als fortbestehend geltenden Verband für zulässig halten. Keinen durchgreifenden Einwand gegen ein solches Verfahren stellt außerdem das folgende Argument dar, das gegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen einen Verstorbenen vorgebracht wird: Dort wird die mangelnde eigene Verteidigungsmöglichkeit des Toten als verfahrensbezogener Grund für das Ende des Verfahrens genannt. 1294 Bei der juristischen Person ist es nun immer so, daß sie sich nicht "selbst" verteidigen kann, sondern auf ihre Vertreter angewiesen ist. Einen großen Unterschied wird es dann nicht mehr machen, wenn im Strafverfahren gegen den nur für das Verfahren fortbestehenden Verband wiederum ein Vertreter - z. B. eine Art "Nachtragsliquidator" 1295 - auftritt. Gibt man sich also für das Verfahren damit zufrieden, daß lediglich Unrecht und Schuld festgestellt werden, kann die Annahme des- u. U. bloß fingierten - Fortbesteheus der juristischen Person nur zum Zwecke der Verfahrensdurchführung von prozeßrechtlicher Warte aus als zulässig bewertet werden.

1291 Vgl. hierzu (zum Prozeß gegen Honecker) Wassennann, NJW 1993, 1568; SK-StPOWolter, Vor§ 151 Rn. 211 a; ähnlich auch Paeffgen, NJ 1993, 153 bei Fn. 15. 1292 Paeffgen, NJ 1993, 153. 1293 So ausdrücklich Wassennann, NJW 1993, 1568; SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 211 a (jeweils zum Problem geringer Lebenserwartung des Angeklagten). 1294 BVerfG, Nichtannahmebeschluß v. 23. 10. 1975-2 BvR 722175, wiedergegeben in OLG München, JurBüro 1976,788,790. 1295 Vgl. zu den Problemen der Vertretung bei der Fortsetzung gegen eine scheinbar vollbeendete Gesellschaft Karsten Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 24m. w. N.

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

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c) Fazit

Es bleibt hier festzuhalten, daß die Vollbeendigung zwar zum Erlöschen des Verbandes führt und daher eine Vollstreckung der Strafe und das Erreichen eines Großteils der Strafzwecke nicht mehr möglich ist. Hält man dies jedoch nicht für Voraussetzungen der Verfahrensdurchführung, ergibt sich aus der Unmöglichkeit der Vollstreckung kein Hinderungsgrund für die Annahme des Fortbestehens des Verbandes für den Prozeß. Für eine klarere dogmatische Handhabung des Problems spricht jedoch, daß die juristische Person bzw. Personenvereinigung bei Vorliegen der allgemeinen Vollbeendigungsvoraussetzungen endgültig erlischt und auch nicht durch rechtliche Konstruktionen bloß für das Verfahren "wiederbelebt" oder teilweise "am Leben erhalten" wird. 2. Einführung eines Auflösungs- bzw. Vollbeendigungsverbots für die Dauer des Strafverfahrens?

Die Frage, ob einem Verband, der zu Beginn des Strafverfahrens jedenfalls noch nicht vollbeendigt ist, ein Auflösungs- oder Vollbeendigungsverbot zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens auferlegt werden kann, läßt sich anband der oben dargestellten Argumente ganz ähnlich beantworten. Der Unterschied besteht hier darin, daß der Verband dann wenigstens noch besteht und es weniger so wirkt, als ob gegen eine Fiktion verhandelt würde. Auch wenn einige der vorgeschlagenen Verbandsstrafen wie Bewährung, Unternehmenskuratel oder gar die Auflösung auch hier ins Leere laufen, ist während des Abwicklungsverfahrens wenigstens für manche Fälle noch vorstellbar, daß eine Geldstrafe vollstreckt werden kann: nämlich dann, wenn noch Verbandsvermögen beim Verband vorhanden ist. Daß dies bei einem Verband, der nur zum Zwecke der Strafverfolgung noch "am Leben erhalten" wird, nicht der Regelfall sein wird, ist ein anderes Problem. Die oben herausgearbeitete Kritik daran, daß die Strafzwecke nur noch beschränkt erreicht werden können, beansprucht aber auch hier weitgehende Geltung. Spezialpräventive Strafzwecke bezogen auf den verurteilten Verband können nicht erreicht werden, wenn dieser sich ohnehin auflösen wird und nur noch den Verbandszweck "Strafempfänger" hat. Generalpräventive Zwecke können jedoch noch eher als oben bejaht werden, sofern die Strafe vollstreckbar ist. Daß Vergeltung erreicht werden kann, wurde ja bereits für den Fall der bloßen Fortbestehensfiktion bejaht. Abgesehen von diesen im materiellen Recht anzusiedelnden Problemen wird man bezogen auf das Verfahren hier ebenfalls sagen müssen, daß ein auf Feststellung und Kenntlichmachung von Unrecht und Schuld beschränkter Verfahrenszweck durch ein Auflösungs- bzw. Vollbeendigungsverbot gesichert werden kann. Daraus ergibt sich weiter, daß einem Strafverfahren aus verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten auch nicht deswegen ein Hindernis entgegensteht, weil sich die

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3. Teil: Prozessuale Probleme

juristische Person oder die Personenvereinigung bereits im Abwicklungsverfahren befindet. In dieser Phase besteht der Verband noch, wenn auch mit einem anderen, nämlich dem Liquidationszweck. Selbst wenn kein Vollbeendigungsverbot das Abwicklungsverfahren blockieren können sollte, ließe sich nicht ein Verfahrenshindernis nur deswegen annehmen, weil der Verband womöglich noch vor Ende des Verfahrens erlischt. Eine Parallele zu dem ohnehin umstrittenen Verfahrenshindernis der begrenzten Lebenserwartung bei einem Menschen 1296 kann wegen des dabei klar im Vordergrund stehenden Bezugs zur Menschenwürde 1297 nicht gezogen werden. Ansonsten sind zwar auch hier die oben genannten Bedenken hinsichtlich der Vollstreckbarkeit einer möglichen Strafe und der Erreichung der Strafzwecke geltend zu machen, doch diese Probleme sind bei einer erst in Liquidation befindlichen juristischen Person noch geringer zu veranschlagen. Solange nicht absehbar ist, wann der Verband vollständig liquidiert sein wird, muß der Staat hier - erst recht - darauf hinwirken können, das Verfahren mit dem Ziel einer Verurteilung durchzuführen. Im Ergebnis steht der Durchführung oder Fortsetzung eines Strafverfahrens während des Liquidationsverfahrens daher ebensowenig entgegen wie im Zivilverfahren und im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße.

IV. Fazit Die Bestrafung einer juristischen Person, deren Vollbeendigung durch Auflösungsverbot verzögert oder deren Fortbestehen fingiert wird, ist kaum zu rechtfertigen. Die Vollbeendigung der juristischen Person ist im Ergebnis in ihren Rechtsfolgen mit dem Tod des Beschuldigten vergleichbar; sie sollte den Prozeß beenden und auch nicht durch die Annahme des Fortbestehens für die Verfahrensdurchführung oder das Verbot der Vollbeendigung überspielt werden. Einzuräumen ist jedoch, daß entsprechende Regelungen mit dem Verfahrenszweck zu vereinbaren wären. Noch weniger kann im Ergebnis der Durchführung des Strafprozesses gegen eine in Liquidation befindliche juristische Person entgegengehalten werden.

B. Wechsel der Rechtsform des Verbandes und Verschmelzung Anders als natürliche Personen können juristische Personen ihre Rechtsform wechseln, mit anderen Rechtsträgem verschmelzen oder anderweitig umgewandelt werden. Dies ist auch denkbar zwischen Begehung der Tat und dem Strafverfahren 1296 Vgl. Ber!VerfGH NJW 1993, 515, 517; zustimmend SK-StPO-Wolter, Vor § 151 Rn. 211 a; SK-StPO-Paeffgen, Anhang zu§ 206 a Rn. 9; ders., NJ 1993, 153 ff.; a.A. u. a. Wassennann, NJW 1993, 1568; Schoreit, NJW 1993, 885 f. ; Beulke, Strafprozeßrecht, S. 5 f. Rn. 12. 1297 Vgl. BeriVerfGH NJW 1993, 515, 517; SK-StPO-Wolter, Vor§ 151 Rn. 211 a; SKStPO-Paeffgen, Anhang zu§ 206 a Rn. 9; ders., NJ 1993, 154.

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

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oder während des Strafverfahrens. Inwieweit sich diese Veränderungen auf das Verfahren auswirken, ist ebenso wie die eben untersuchte Auflösungsproblematik in verschiedenen Rechts- und Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt und durchaus umstritten. I. Rechtslage in anderen Rechtsordnungen 1. Strafverfahren in ausländischen Rechtsordnungen

In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Rechtslage bei Fusionen und Übernahmen ähnlich wie die bei der Auflösung. Es kann auch diesbezüglich gesetzlich festgelegt werden, daß das Nachfolgeunternehmen in die Haftung des friiheren, jetzt verschmolzenen oder übernommenen Unternehmens einzutreten hat, wobei nach Auffassung einiger Gerichte auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit übergangsfähig sein soll. 1298 In Dänemark sind die Auswirkungen von Veränderungen des Unternehmens auf das Strafverfahren gesetzlich nicht geregelt. Unerheblich sei es, wenn das Unternehmen von jemand anders übernommen wurde oder sich mit einem anderen Unternehmen zusammengeschlossen hat. Unklarer werde es, wenn sich das Unternehmen teile oder der neue Eigentümer dem Unternehmen eine ganz andere Richtung gebe. Die Rechtsprechung sei insofern undurchsichtig. 1299 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht

Im Europäischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht, in dem Unternehmen- und nicht juristische Personen - Sanktionsadressaten sind, hat sich vor allem die Kommission1300 mit Fragen der Veränderungen dieser Unternehmen nach Zuwiderhandlungen gegen die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften beschäftigt. Maßgeblich ist nach der Praxis der Kommission die Unternehmenskontinuität oder auch -identität. 1301 Dabei geht sie von einem wirtschaftlichen Unternehmensbegriff aus und stellt für die Frage der Identität weitgehend auf die Erhaltung der wirtschaftlichen und funktionellen Einheit ab. 1302 Auf die Veränderungen im gesellschaftsrechtlichen Bereich komme es nicht an; diese führten "kartellstrafrechtlich" nicht Vgl. die Darstellung bei Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 110m. w. N. Vgl. Toftegaard Nie/sen, in: Criminal Responsibilty, S. 194. 1300 Vgl. hierzu Hamann, Unternehmen als Tater, S. 91: Dem EuGH komme hier lediglich "eher bestätigende Funktion" zu. 1301 Vgl. KOME Abi. 1989 L 74, 1, 14 (PVC); KOME Abi. 1989 L 74, 21, 35 (LDPE); Gleiss/Hirsch, EG-Kartellrecht, Art. 85 (1) l. Kap. A Rn. 63 f. no2 Vgl. Hamann, Unternehmen als Täter, S. 117, und die Nachweise dort S. 91 ff.; Gleiss/Hirsch, EG-Kartellrecht, Art. 85 (!), l. Kap. A Rn. 66 m. w. N. ; KOME Abi. 1986 L 230 S. 1, 32 (Polypropylen). 1298

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3. Teil: Prozessuale Probleme

zu einer Veränderung des relevanten Subjekts. 1303 Wenn also der vormalige Rechtsträger aufgrund von Umwandlung oder Verschmelzung mit einem anderen Unternehmensträger nicht mehr fortbestehe, könne bei wirtschaftlicher Einheit gegen den neuen Unternehmensträger eine Geldbuße verhängt werden, auch wenn er selbst nicht an den Wettbewerbsverstößen beteiligt war. 1304 Im Grunde wird hiermit zwischen dem Täter einerseits und dem Entscheidungs- bzw. Sanktionsadressaten andererseits unterschieden. 1305 Auf der anderen Seite soll aber dann wieder eine gesellschaftsrechtliche Sichtweise wirksam werden, wenn der gegen Wettbewerbsregeln verstoßende Rechtsträger unverändert bleibt, sich jedoch in der Weise Änderungen ergeben, daß infolge der Übertragung des Vermögens auf einen anderen Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit zerschlagen wird. Dann sei der ursprüngliche und fortbestehende Unternehmensträger weiterhin für den Verstoß verantwortlich. 1306 II. Prozessuale Folgen der Umwandlung im geltenden deutschen Recht

Es zeigt sich bereits an dem vorangegangenen Überblick, daß die Schwierigkeiten der prozessualen Folgen der Umwandlung von Gesellschaften vor allem mit Fragen der Rechtsnachfolge und Identität zu tun haben. Um sich diesen Fragen für das deutsche Recht anzunähern, sollen an dieser Stelle kurz Begriff und Inhalt der Umwandlung erläutert werden. Nach dem Umwandlungsgesetz von 1995 sind vom Begriff der Umwandlung die Verschmelzung, die Spaltung, die Vermögensübertragung und der Formwechsel erfaßt (§ 1 Abs. I UmwG). Dabei können diese Instrumente unterteilt werden in den identitätserhaltenden Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG), die vollständige Rechtsnachfolge bei der Verschmelzung durch Aufnahme oder Neugründung (§§ 2 ff. UmwG), bei der Spaltung (§§ 123 ff. UmwG) und der Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) und die- hier zu vernachlässigende -partielle Rechtsnachfolge wie bei der Abspaltung und Ausgliederung nach§ 123 Abs. 2 und 3 UmwG. Vorliegend soll die Problematik auf den Rechtsformwechsel und die Verschmelzung begrenzt werden. Was die weiteren Formen der Umwandlung angeht, so fehlt hier der Raum. Welche Auswirkungen auf den Prozeß der Wechsel der Rechtsform und die Verschmelzung haben können, soll zunächst am Zivilprozeß und am Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße gezeigt werden.

Vgl. Hamann, Unternehmen als Täter, S. 204. Vgl. KOME Abi. 1989 L 74, I, 14 (PVC); KOME Abi. 1989 L 74, 21, 35 (LDPE); Gleiss/ Hirsch, EG-Kartellrecht, Art. 85 (I) I. Kap. A Rn. 67 m. w. N. 1305 So ausdrücklich Hamann, Unternehmen als Täter, S. 206; vgl. auch kritisch von Freier; Kritik der Verbandsstrafe, S. 70. 1306 KOME Abi. 1989, L 74 S. I, 14 (PVC); vgl. auch KOME Abi. 1983, L 376, 7, 8 f. (IPTC) und die Nachweise bei Gleiss! Hirsch, EG-Kartellrecht, Art. 85 (I) I. Kap. A Rn. 65; näher auch Hamann, Unternehmen als Täter, S. 205. 1303

1304

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

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1. Rechtslage im ZivilprozeH

Vollkommen unproblematisch ist die Lage bei einem identitätswahrenden Formwechsel bei bloßem Wechsel der Rechtsform. Nach§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG besteht der Rechtsträger in der neuen Rechtsform weiter, ohne daß eine Rechtsnachfolge stattfände. 1307 Daher werden Prozesse mit dem Rechtsträger neuer Rechtsform fortgesetzt, ohne daß es einer Unterbrechung oder einer Klagänderung bedürfte.1308 Es kann auch direkt gegen den im Urteil bezeichneten Schuldner vollstreckt werden, wobei bloß gegebenenfalls der Name der Firma in Rubrum und vollstreckbarem Titel berichtigt werden muß. 1309 Wenn während des Verfahrens Gesamtrechtsnachfolge durch Übernahme oder Fusion (Verschmelzung durch Aufnahme bzw. durch Neugriindung) eintritt, wird das Verfahren unterbrochen 1310; geschieht die Verschmelzung nach Rechtshängigkeit, so wirkt das rechtskräftige Urteil auch gegen den Rechtsnachfolger, § 325 Abs. 1 ZPO. Nach Erlaß des Urteils ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel bei der Verschmelzung des bisherigen Schuldners ebenfalls unproblematisch: Es kann dann gemäß § 727 Abs. 1 S. 1 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung des Endurteils, das als Vollstreckungstitel Grundlage der Zwangsvollstreckung ist, erteilt werden, indem in der Vollstreckungsklausel als Schuldner der Rechtsnachfolger genannt wird, so daß die Vollstreckung aus dem gegen den friiheren Rechtsträger gerichteten Urteil möglich wird. 1311 2. Rechtslage im Verfahren zur Festsetzung einer Geldbuße

Allgemein anerkannt ist, daß der Wechsel der Rechtsform einer Festsetzung der Geldbuße nicht entgegensteht, wenn das Unternehmen der Sache nach dasselbe geblieben ist. 1312 Auch was die Bestimmung der Identität von friiherem und neuem 1307 Lutter I Decher, UmwG, § 202 Rn. 10. 1308 Lutter I Decher, UmwG, § 202 Rn. 41. 1309 Vgl. Zöller/Stöber, ZPO, § 727 Rn. 15 i. V. m. Rn. 5, 32; Lutter/Decher, UmwG,

§ 202 Rn. 13. 1310 Umstritten ist dabei, ob dies entsprechend § 239- so Zöller I Greger; ZPO, § 239 Rn. 6 -oder entsprechend § 241 ZPO geschieht- so Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1363; ganz a.A. Lutter/Grunewald, UmwG, § 20 Rn. 53 m. w. N.: keine Unterbrechung. 1311 Vgl. hierzu Zöller I Stöber; ZPO, § 727 Rn. 15 i. V. m. 5. 13 12 BGH wistra 1986, 221, 222; Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38; Lemke, OWiG, § 30 Rn. 21; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 43; Förster; in: Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, § 30 Rn. 50; Demuth/Schneider, BB 1970, S. 650; vgl. auch Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 101; OLG Düsseldorf, DAWR 1969, 11, zu§ 37 AWG (sogar dann, wenn die Gesellschaft "als Unternehmen eines Einzelkaufmanns fortgeführt" werde). Für unproblematisch werden auch der Wechsel der Gesellschafter (dazu KG WuW /E OLG 4572; Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 45) und die Änderung der Firmenbezeichnung (dazu Göhler, OWiG, Rn. 38 a; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 45) gehalten.

23

Drope

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Verband angeht, herrscht ganz überwiegend Übereinstimmung. So soll es darauf ankommen, ob die beiden "wirtschaftlich" identisch seien. 1313 Dies sei nach dem Einzelfall zu beurteilen. 1314 Ähnlich ist das Vorgehen bei der Verschmelzung von zwei Unternehmen im Wege der Übernahme eines Rechtsträgers durch einen anderen oder durch Neugründung eines Unternehmens. Auch hier wird überwiegend die wirtschaftliche Identität für maßgeblich gehalten. 1315 Der BGH geht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1986 von einer Auslegung des- damals noch die Geldbuße als Nebenfolge konzipierenden - § 30 OWiG aus, wonach diese Nebenfolge das selbständige und gegenüber den Mitgliedern der juristischen Person verselbständigte Vermögen treffen und die möglicherweise erlangten Vorteile ausgleichen solle. Daher komme es darauf an, daß das solchermaßen "haftende Vermögen" der juristischen Person "in einer anderen Organisation weiterhin vom Vermögen des gemäß § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens" ausmache. 1316 Daher solle die Sanktionsfähigkeit des Nachfolgeunternehmens davon abhängen, ob eine "wirtschaftliche Fortführung des übernommenen Unternehmens" zu bejahen und dieses nicht in dem neuen Unternehmen aufgegangen sei. 1317 Beim Zusammenschluß zweierjuristischer Personen zu einem neuen Unternehmen anderer Rechtsform sei die Festsetzung gegen das neue Unternehmen möglich, wenn sich die Umwandlung als Zusammenfassung der in ihrem Wesen unverändert gebliebenen früheren Unternehmen darstelle. Nur so könne die vom Gesetzgeber abgelehnte Besserstellung von juristischen Personen verhindert werden. 1318 Andere Auffassungen hierzu finden sich nur ganz vereinzelt. So hatte das Kammergericht als Vorinstanz in dem dargestellten BGH-Beschluß noch erklärt, daß die Übernahme des Vermögens der Gesellschaft, deren Vorstandsvorsitzender die 1313

Rn. 51.

Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38 b; Tiedemann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor§ 38

1314 Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38 b; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 45; OLG Frankfurt wistra 1985, 38, 39 f. Vgl. dazu auch den "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" des Arbeitskreises "Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit Strafrecht" in: Deutsche Wiedervereinigung Band III: Dort wird für einen § 30 d Abs. 2 OWiG vorgeschlagen, daß es für die "Haftung" für Geldbuße, Zwangsgeld und Kosten des Unternehmenskurators "im Falle der Änderung der Rechtsform und der Rechtsnachfolge ... auf die wirtschaftliche Fortsetzung des Unternehmens" ankomme (S. 149). Der Begriff der "wirtschaftlichen Fortsetzung" müsse durch Fallgruppenbildung aufgefüllt werden, S. 184. 1315 BGH wistra 1986, 221, 222; Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38 c; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 48 f.; Förster; in: Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, § 30 Rn. 50: "nahezu" wirtschaftliche Identität bei wirtschaftlicher Fortführung reiche aus. 1316 BGH wistra 1986, 221, 222. 1317 Göhler; OWiG, § 30 Rn. 38 c; KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. 48. 1318 KG WuW /E OLG 3837, 3838.

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

355

Ank:nüpfungstat begangen hatte, nicht dazu führe, daß diese Gesellschaft jetzt in der Gestalt der übernehmenden Gesellschaft fortbestehe. Diese schon zuvor bestehende übernehmende juristische Person habe bis auf die Übernahme der - eingegliederten - Vermögenswerte nichts mit der vorherigen Gesellschaft zu tun; die Gesamtrechtsnachfolge begründe keine Haftung für Verfehlungen von deren damaligen Vorstandsvorsitzenden. Das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht kenne auch für die Festsetzung der Geldbuße keine Haftung für fremdes Verschulden, so wie auch nicht das Verfahren gegen eine natürliche Person, die wegen einer Ordnungswidrigkeit verantwortlich ist, im Todesfall gegen den Erben fortgesetzt werden könne. 1319 Das zuvor mit derselben Sache befaßte OLG Frankfurt geht zwar wie der BGH und die allgemeine Auffassung in der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Literatur von dem Kriterium der wirtschaftlichen Identität aus, legt den Begriff aber deutlich enger aus und verneint mangels fortbestehender Rechtspersönlichkeit und Eigenständigkeit des Vermögens eine Fortsetzung der alten Gesellschaft in der übernehmenden. 1320

111. Folgerungen für ein Strafverfahren gegen Verbände 1. Überblick über den Meinungsstand und Ablehnung einer Übernahme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge

Betrachtet man die dargestellten Lösungen für das Problem der gesellschaftsrechtlichen Änderungen eines Verbandes nach der Tat und vor Abschluß des Verfahrens, so fällt auf, daß die Tendenz dahin geht, möglichst weitgehend auch das "neue" Unternehmen oder die "neue" juristische Person "haftbar" zu machen. Soweit sich in der Literatur zum Verbandsstrafrecht Vorschläge hierzu finden, werden ähnlich straffreundliche Vorschläge gemacht. So meint Schlüter im Ansatzpunkt ähnlich wie der BGH zu § 30 OWiG, daß maßgeblich sei, ob das Unternehmen als wirtschaftlich tätige Einheit fortbesteht, da es nur auf die Organisation und nicht auf den Rechtsträger ankomme, weil die Verhaltensnorm einer ordnungsgemäßen Unternehmensorganisation durch den Unternehmensträger nicht erfüllt werden könne. 1321 Anders sei es bei mit der Umwandlung verbundenen Veränderungen der Unternehmensstruktur. Dann soll gegenüber dem Rechtsnachfolger, der Träger eines Unternehmensteils ist, der die strafrechtlich bewehrte Unternehmenspflicht nicht mehr erfüllen könne, ein Verfahrenshindernis bestehen. 1322

1319 Darstellung in BGH wistra 1986, 221; zustirrunend von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 73. 1320 OLG Frankfurt wistra 1985, 39, 40. 1321 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 270. 1322 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 271 ff.

23*

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3. Teil: Prozessuale Probleme

Ehrhardt regt hingegen an, die Regelung in manchen US-Staaten, bei Verschmelzung einen Haftungseintritt oder einen "Übergang" der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des übernehmenden Unternehmens anzunehmen 1323 , zu übernehmen.1324 Wahrend dies im Zivilrecht durchaus sachgerecht ist, weil es dort vor allem um vermögensrechtliche Anspruche geht und die Gesamtrechtsnachfolge gerade auch bedeutet, daß die Verpflichtungen des Rechtsvorgängers mit übernommen werden, ist das Strafrecht demgegenüber klar abzugrenzen. Auch im Verbandsstrafrecht kann es, wie bereits dargestellt, keine Rechtsnachfolge geben, d. h. die strafrechtliche Verantwortlichkeit geht nicht wie irgendeine zivilrechtliche Schuld auf den Rechtsnachfolger über. Es muß hier Entsprechendes wie bei natürlichen Personen gelten, bei denen auch nicht das Verfahren gegen den Erben fortgesetzt und die Strafe an ihm vollstreckt wird. 1325 Strafe ist nicht nur vermögensrechtliche Haftung. Die bei Ehrhardt dargestellte und von ihr befürwortete Regelung in manchen US-Staaten kann daher hierzulande nicht als Vorbild für ein Strafverfahrensrecht für Verbände dienen. 2. Identität als Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit

Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens, für den Erlaß eines Urteils und für die Vollstreckung gegen den "neuen" Verband ist also, daß er mit dem (Verbands-)Täter identisch ist. Nur dann, wenn man die zur Zeit der Tat bestehende juristische Person in einer anderen Rechtsform oder nach einer Fusion bzw. Übernahme in "identischer" Form wiederfinden kann, kann das Verfahren fortgesetzt werden. Im Mittelpunkt steht damit die Frage, wann die "Identität" zu bejahen ist. Wie gesehen, wird sowohl im EU-Kartell- als auch im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht auf die wirtschaftliche Identität abgestellt. Läßt man hier einmal außen vor, daß die Praxis der EU-Kommission, diesen wirtschaftlichen Identitätsbegriff nicht konsequent anzuwenden, sondern nur in den Fällen, in denen der fruhere Unternehmensträger nicht mehr vorhanden ist, sicher widerspruchlich 1326 und auf ein vielleicht übergroßes Bedürfnis nach Praktikabilität zuruckzuführen ist, bleibt insgesamt jedoch die Frage, ob diese Abweichung von dem gesellschaftsrechtlichen Identitätsbegriff auch auf ein Strafverfahren gegen Verbände übertragen werden sollte. Nach dem Umwandlungsgesetz besteht Identität nur beim Rechtsformwechsel; bei Verschmelzung durch Aufnahme oder Neugrundung erlöschen hingegen die übernommenen oder fusionierten ursprungliehen Rechtsträger und es tritt Gesamtrechtsnachfolge ein. Es besteht danach gerade keine Identität 1323 Siehe die Darstellung oben 3. Teil 5. Abschnitt B. I. 1. und bei Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 110. 1324 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 221. 1325 Vgl. bereits oben KG, dargestellt in BGH wistra 1986, 221. 1326 Vgl. von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 69: "zutiefst widersprüchlich und strafrechtsdogmatisch unhaltbare Konstruktion".

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindernisse

357

zwischen dem aufgenommenen bzw. verschmolzenen Rechtsträger und dem aufnehmenden bzw. neugegründeten. 1327 In Anbetracht dessen fragt sich, ob eine Abweichung von der gesellschaftsrechtlichen Regelung deswegen zu rechtfertigen ist, weil so den Versuchen die Wirkung genommen werden könnte, durch entsprechende gesellschaftsrechtliche Änderungen der Bestrafung zu entgehen. Abgesehen davon ist aber auch zu diskutieren, ob der bloße Rechtsformwechsel, der sowohl nach dem Umwandlungsgesetz als auch nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Identität der Gesellschaft zur Folge hat, in einem Verbandsstrafverfahrensrecht genauso behandelt werden sollte. Es stellt sich also die Frage, wie sich nach auf das Verbandsstrafrecht bezogenen Kriterien die Identität von Verbänden trotz Umwandlung bestimmen lassen kann. a) Abhängigkeit der Identitätsfrage von der Bestimmung des Sanktionsadressaten Die maßgeblichen Kriterien für die Identität von Personenverbänden im Yerbaudsstrafrecht lassen sich nicht ohne Blick auf die Verbandsstrafenbegründung feststellen. Entscheidend ist, wie der Strafadressat näher umschrieben wird und welche Vorstellungen hinter dieser Umschreibung stehen. Was das bedeuten soll, soll anhand der Praxis im EU-Kartellordnungswidrigkeitenverfahren und bei der Festsetzung von Geldbußen gemäß § 30 OWiG verdeutlicht werden: Wenn, wie in der Praxis der EU-Kommission, der Sanktionsadressat "Unternehmen" als eine "Einheit ... , die gewerblich tätig ist" 1328 umschrieben wird, läßt sich eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise womöglich noch aufrechterhalten. Einen größeren Bruch bedeutet es hingegen, im Bereich des § 30 OWiG von einem derartigen wirtschaftlichen Identitätsbegriff auszugehen, obwohl mit der Umschreibung der Sanktionsadressaten als "juristische Personen und Personenvereinigungen" bereits eine klare Abgrenzung zur Normadressatenschaft des Unternehmens stattgefunden hat. 1329 Zudem fällt es hier schwerer, das Wesen der juristischen Person derart auf die bloße Vermögensmasse zu begrenzen, daß trotz Auflösung der übertragenden Gesellschaft diese und die übernehmende als identisch angesehen werden können.1330 Es erscheint am ehesten vertretbar, wenn man den Zweck der Verbandsgeldbuße entsprechend der Begründung des Gesetzgebers 1331 vornehmlich in einem Ausgleich für Vorteile durch das Organhandeln ansieht. Völlig unvereinbar ist eine derartige, die juristische Person auf eine Vermögensmasse reduzierende Sichtweise mit solchen Verbandsstrafenmodellen, bei denen 1327 Vgl. §§ 2, 20 UmwG; ausdrücklich zur Unmöglichkeit einer "ldentitätskonstruktion" in diesen Fällen Karten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 366. 1328 Vgl. zum Unternehmensbegriff Hamann, Unternehmen als Täter, S. 13. 1329 Bundestagsdrucksache 10/318, S. 39 f. 1330 Kritisch daher von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 73 f. 1331 Bundestagsdrucksache V I 1269, S. 59 (Begründung zu§ 19 EGOWiG).

358

3. Teil: Prozessuale Probleme

die Begründung (auch) darauf basiert, daß Verbänden gewisse "persönliche" Eigenschaften zugeschrieben werden, aus denen dann das Bedürfnis einer Verbandsstrafe oder deren dogmatische Fundierung abgeleitet wird. Wenn also Verbände für straffähig gehalten werden, weil sie - wie bereits oben im Zusammenhang mit der Auflösung betont- eine "corporate identity" oder "corporate culture", bestimmte "Verbandsattitüden", "Unternehmensphilosophien", einen "überindividuellen" bzw. Verbandsgeist oder sogar einen "Unternehmenscharakter" hätten 1332, in ihnen "kollektive Sinnkonstituierung" zustande gebracht werden könne 1333 und ihre Schuldfähigkeit mit ihrer Beleidigungs- und Ehrfähigkeit begründet wird, weil darin die Anerkennung eines eigenständigen sittlich-sozialen Wertes liege 1334, so müssen diese Kriterien auch bei der Identitätsfrage wieder auftauchen und berücksichtigt werden. Die Beschränkung auf die "haftende Vermögensmasse", wie sie beispielsweise der BGH im Rahmen des Verfahrens zur Festsetzung einer Geldbuße vornimmt, paßt hiermit jedenfalls nicht zusammen. Wenn die genannten Eigenschaften zum Verbandswesen zählen, müssen sie folglich auch in ihrer konkreten Ausformung - also z. B. als "schlechter Unternehmenscharakter" 1335 - Teil des Wesens des konkret betroffenen Verbandes sein und damit einen Teil von dessen Identität ausmachen. Wohl noch mehr als das Vermögen müssen daher eine bestimmte Verbandsattitüde, ein besonderer Verbandsgeist oder eine spezielle Unternehmens- oder Verbandsphilosophie, ob sie nun "kriminell" oder rechtschaffen sind, als konstituierende Bestandteile der Verbandsidentität mitberücksichtigt werden. Es ist aber auch inkonsequent, wie Schlüter einerseits die juristische Person, d. h. den Unternehmensträger als Adressat einer Verbandsstrafe zu benennen, weil sie anders als das Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit - rechtsfähig sei 1336, andererseits aber bei der Frage der Identität weitgehend auf eine davon zu trennende Unternehmensorganisation abzustellen.

b) Folgerungenfürdie einzelnen gesellschaftsrechtlichen Umwandlungsarten

Für die Auswirkung der fraglichen gesellschaftsrechtlichen Änderungen lassen sich daraus folgende Schlüsse ziehen: Auch in einem Verbandsstraf(verfahrens)recht wird der bloße Rechtsformwechsel an einer wie beschrieben zu bestimmenden Identität des Verbandes nichts ändern. Die Rechtsform kann als äußere Hülle des Verbandes, in dem die besagten Eigenschaften unverändert fortbestehen könVgl. im einzelnen die Nachweise oben Fn. 1278 bis Fn. 1285. Vgl. KK-OWiG-Rogall, § 30 Rn. II. 1334 Vgl. nur Ehrhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 190 f. ; s. auch die Nachweise oben 2. Teil3. Abschnitt B. III. I. b). 1335 Vgl. Lampe, ZStW 106 (1994), 733. 1336 Schlüter, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 19. 1332 1333

5. Abschnitt: Neue Prozeßhindemisse

359

nen, für Identitätsfragen nicht ausschlaggebend sein. Aus diesem Grund erscheint die Ausrichtung an umwandlungsrechtlichen Regelungen hier sinnvoll. Weitaus schwieriger ist die Beurteilung der Verschmelzung durch Aufnahme oder durch Neugriindung. Charakterisiert man das Verbandswesen wie oben dargestellt und bestimmt danach wie hier die Merkmale, die Identität ausmachen, so wird man bei einer Verschmelzung mit einem anderen Verband kaum von einer Identität des untergehenden mit dem aufnehmenden oder neugegriindeten Verband ausgehen können. Vielmehr wird es wegen des mit der Verschmelzung einhergehenden "komplizierten Widerstreits und Ausgleichs von Interessen" 1337 zu einem Neubeginn kommen, bei dem es zumindest näher liegt, einen Identitätswechsel aufgrund von Attitüden-, Philosophie- bzw. Verbandsgeistwechsels anzunehmen, als von Kontinuität auszugehen. Im Ergebnis erscheint es daher sinnvoller, sich den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben anzuschließen und allgemein bei Verschmelzung von Gesamtrechtsnachfolge und nicht von Identität auszugehen. Damit kann der "neue" Verband nach dem oben Ausgeführten nicht für die Taten des "alten" bestraft werden. 3. Fazit

Es ist daher zu befürworten, die Strafverfolgung bei Rechtsformwechsel fortzusetzen, nicht aber bei Verschmelzung, wenn der straffällige Verband dabei erlischt und in einem anderen aufgeht. Dies hat zwar zur Folge, daß Verbände der Strafverfolgung durch derartige Umwandlungen entgehen könnten. Das ist aber wegen der Vorgaben der Verbandsstrafenbegriindung hinzunehmen und außerdem auch nicht als besonders große Gefahr einzustufen, da die Verschmelzung in der Regel als ein recht aufwendiger Vorgang 1338 einzustufen ist.

C. Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu sagen, daß sich aufgrund der besonderen Veränderungsmöglichkeiten von juristischen Personen und Personenvereinigungen größere Schwierigkeiten sowohl für das materielle als auch für das formelle Strafrecht bei der Einführung einer Verbandsstrafe ergeben würden. Die hier herausgearbeiteten Probleme und Lösungsmöglichkeiten können sicher nur einen Teil dessen widerKarsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 392. V gl. die Darstellung der Voraussetzungen bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 392 ff., und bei Lutter/ Lutter, UmwG, Band I, § 2 Rn. 25 ff.; unabhängig davon könnte jedoch erwogen werden, einen Verschmelzungsstopp oder ein Verschmelzungsverbot für die Dauer des Verfahrens als Zwangsmaßnahme anzuordnen. Dem soll hier jedoch aus Platzgründen nicht weiter nachgegangen werden; näher dazu Schlüter; Strafbarkeit von Unternehmen, s. 274. 1337

1338

360

3. Teil: Prozessuale Probleme

spiegeln, was hinter dem gesamten Fragenkomplex - vor allem auch wegen der gesellschaftsrechtlichen Bezüge - steht. Im Ergebnis ist es überzeugend, daß nach der Vollbeendigung der juristischen Person das Verfahren nicht weitergeführt werden sollte; ebenso scheint ein Auflösungsverbot mit Blick auf die bei Vorliegen der Auflösungsvoraussetzungen selten vollstreckbare Strafe und auf die weitgehende Verfehlung der Strafzwecke nicht ratsam. Mit dem Zweck des Strafverfahrens wäre aber sowohl dies als auch das Prozessieren gegen eine ansonsten vollbeendete juristische Person vereinbar. Bezüglich der Identität von juristischen Personen bzw. Personenvereinigungen bei Rechtsformwechsel und Verschmelzung wird hier - unter Berücksichtigung der Argumente zur Verbandsstrafenbegründung - eine im Ergebnis an die Regelungen im Umwandlungsgesetz angelehnte Bestimmung vorgeschlagen.

Zusammenfassung und Fazit I. Zusammenfassung Das geltende Strafrecht sieht keine echte Strafe für juristische Personen und andere Personenvereinigungen vor. Ihnen können lediglich Geldbußen nach nationalem und europäischen Recht, nichtrepressive Verwaltungssanktionen sowie Einziehung oder Verfall drohen. Die Befürworter einer Verbandsstrafe halten derartige Sanktionen im Hinblick auf das von ihnen wahrgenommene Macht- und Bedrohungspotential von juristischen Personen für unzureichend. Sie erhoffen sich von einer Strafe einen ernsthaften Appell an den Verband, der durch die Bestrafung eines Einzeltäters nicht zu erreichen sei. Eine Individualstrafe könne nicht angemessen auf "Verbands- und Korpsgeist" bzw. auf die "kriminelle Untemehmensphilosophie" und "kriminelle Verbandsattitüde" reagieren. Zudem sprächen Schwierigkeiten des Beweises einer Individualtat insbesondere bei Fällen der "organisierten Unverantwortlichkeit" für eine Verbandsstrafe. Dogmatische Bedenken hinsichtlich der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit der juristischen Person sowie im Hinblick auf die Gerechtigkeit einer Verbandsstrafe stünden dieser nicht entgegen. Die Vorschläge, wie eine derartige Strafe umgesetzt werden könnte, sind vielschichtig. Unterschiede für die vorgeschlagenen Verbandsstrafenmodelle ergeben sich insbesondere aus den verschiedenen Begründungen der Handlungs- und Schuldfähigkeit Einige Autoren befürworten eine Zurechnung der Handlungen von bestimmten natürlichen Personen, woraus ein akzessorisches Modell der Strafbarkeit folgt, wonach eine Anknüpfungstat eines Einzeltäters erforderlich ist. Andere gehen von einer eigenen Handlungsfähigkeit des Verbandes aus oder betonen den Aspekt des "Erfolgsunrechts". Dem entspricht weitgehend das Konzept einer "eigenständigen" Strafbarkeit der juristischen Person, die von einer Einzeltat gerade unabhängig ist. Die Schuldfähigkeit von Verbänden wird überwiegend als notwendig angesehen und entweder ebenfalls mit der Zurechnung von Schuld oder mit der eigenen Schuld des Verbandes begründet. Die materiell-rechtliche Diskussion zeigt, daß mit der Verbandsstrafe nicht nur ein neues "Strafrechtssubjekt" in Gestalt der juristischen Person geschaffen würde, das insoweit streng von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen zu trennen wäre. Darüber hinaus ergeben sich aus der Diskussion ausreichend Anhaltspunkte dafür, daß für die Begründung einer derartigen Strafe eine weitgehend vermenschlichte Sichtweise des Verbandes notwendig ist. Nicht nur, daß von Verbandsgeist und -attitüde die Rede ist; insbesondere die Vorstellung, daß eine Strafe den Ver-

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Zusammenfassung und Fazit

band selbst treffen würde und nicht die in ihm zusammengeschlossenen Menschen, setzt ein Bild des Verbandes voraus, wonach dieser das Strafübel selbst empfinden kann. Ein Strafverfahrensrecht für juristische Personen muß auf diesen Vorgaben aufbauen. Daraus und aus einer Verfahrenszielbestimmung, wonach Ziel des Strafverfahrens die materiell richtige, prozeßordnungsgemäß zustande gekommene und Rechtsfrieden schaffende Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten ist, ergibt sich der Rahmen für das Verbandsstrafverfahren. In einem solchen Verfahrensrecht, das unter Orientierung am geltenden Individualstrafverfahren zu entwikkeln ist, gelten dieselben Prozeßmaximen wie dort. Der notwendige Rahmen für ein Strafverfahrensrecht für Verbände ergibt sich weiter aus der Entwicklung einer Vertretungsregel für den Verband, der infolge der Strafverfolgung Beschuldigter ist, aber nicht "selbst" am Verfahren teilnehmen kann. Die juristische Person wird im Strafverfahren wie in anderen Verfahrensordnungen von ihren Vertretungsorganen vertreten. Wegen möglicher Interessenkonflikte ist dabei der Individualtäter einer unter Umständen ebenfalls begangenen Einzeltat auszuschließen. Der Vertreter übernimmt die Rolle des Beschuldigten, obwohl er persönlich nicht beschuldigt ist. Dies gilt für die Ausübung von Rechten, für die Vernehmung und unter Vorbehalt auch für Pflichten der juristischen Person. In dieser Verfahrensrolle darf er nicht als Zeuge vernommen werden. Für die übrigen Verbandsmitglieder gilt dies hingegen nicht. Die Verfahrensstellung der beschuldigten juristischen Person ist der einer natürlichen Person weitgehend angenähert: Der Anspruch von juristischen Personen auf rechtliches Gehör ist im Strafverfahren ebenso anzuerkennen wie schon heute in anderen Verfahrensordnungen. Die größten Probleme bereitet demgegenüber die Frage, ob der Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" auf juristische Personen Anwendung findet. Dies ist im Hinblick auf die Veränderungen, die sich durch die Einführung einer Verbandsstrafe für Verbände ergeben würden, zu bejahen: Einer juristischen Person, die Strafe als Übel empfinden soll, ist Schutz vor einer dann auch denkbaren "Streßbzw. Konfliktsituation", die durch die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang vermieden werden soll, zuzubilligen. Insbesondere gilt dies deswegen, weil eine Verbandsstrafe gerade im Hinblick darauf befürwortet wird, daß sie schwerer als die Geldbuße wiegt. Der Schutz vor Selbstbelastungszwang kommt juristischen Personen - anders als natürlichen- jedoch nur eingeschränkt zu. In Fällen besonders schwerer Kriminalität, bei der andere Beweismittel nicht zu erlangen sind, kann ausnahmsweise eine Mitwirkungspflicht der juristischen Person bestehen. Der Vertreter einer juristischen Person darf für sie das Aussageverweigerungsrecht, soweit es besteht, ausüben. Dabei können Folgeprobleme dadurch entstehen,

I. Zusammenfassung

363

daß dem Vertreter seinerseits aus eigenem Recht ein Schweige- oder Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Bei Kollisionen und Konkurrenzen bedarf es eines möglichst schonenden Ausgleichs zwischen den Beteiligten. Weitere Probleme ergeben sich daraus, daß auch in Verfahren, in denen die juristische Person nicht als Beschuldigte beteiligt ist, Schutz vor Selbstbezichtigungszwang notwendig sein kann. Den übrigen Verbandsangehörigen stehen nur die bisher bestehenden Auskunftsund Zeugnisverweigerungsrechte zu. Für die Schaffung neuer Zeugnisverweigerungsrechte besteht kein Bedarf. Die juristische Person muß im Strafverfahren, für welches der fair trial-Grundsatz gilt, ein Recht auf Verteidigerbeistand haben. Dies und der Fürsorgegedanke umfassen, daß ihr in bestimmten Fällen ein Verteidiger beizuordnen ist. Eine gemeinsame Verteidigung von Individualtäter und Verband ist wegen der möglichen Interessenkonflikte in gleichem Maße abzulehnen wie § 146 StPO die Mehrfachverteidigung natürlicher Personen verbietet. Da gegenüber dem Verband Fürsorgepflichten bestehen, damit die Ausübung ihrer Rechte nicht an Unkenntnis scheitert, sind seine Vertreter über das Aussageverweigerungsrecht und das Recht auf Verteidigerkonsultation zu belehren. Hinsichtlich von Zwangsmaßnahmen hat die juristische Person eine andere Stellung als die natürliche Person. Bestimmte Zwangsmaßnahmen wie die Untersuchungshaft sind ihr gegenüber nicht anwendbar, denn die Gleichsetzung von Vertreter und juristischer Person findet dort ihre Grenzen, wo ausschließlich final in höchstpersönliche Rechte des Organs eingegriffen wird. Da die juristische Person keine Bewegungsfreiheit hat, träfe die Untersuchungshaft von vomherein nur den Vertreter. Im Hinblick auf andere Maßnahmen wie Durchsuchungen bestehen keine solchen Bedenken. Auch eine - insbesondere auf die Hauptverhandlung bezogene - Anwesenheitspflicht des Verbandes ist zu bejahen. Diese Pflicht beinhaltet, daß stets irgendein, nicht aber ein bestimmter Vertreter des Verbandes anwesend sein muß, um die Rechte der juristischen Person entsprechend den Entwicklungen in der Hauptverhandlung ausüben zu können. Ein "Anwesenheitsgrundsatz" besteht im deutschen Strafverfahrensrecht hingegen nicht, so daß es kein Hindernis für ein Strafverfahren gegen Verbände darstellt, daß diese nicht körperlich anwesend sein können. In einem Strafverfahren gegen juristische Person darf es keine "Beweislastumkehr" geben. Das bedeutet zum einen, daß auch dort der Grundsatz "in dubio pro reo" gelten muß. Dies folgt aus dem Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld", der dem Verbandsstrafrecht ebenfalls zugrunde liegen muß. Daher darf es nicht als Folge einer Zweifelsregel "contra reum" hingenommen werden, womöglich einen Unschuldigen zu bestrafen. Zum anderen muß vor allem wegen des Fürsorgegedankens die Instruktionsmaxime beibehalten werden. Ein Prozeß ist trotz Auflösung des Verbandes zwar noch zulässig, aber wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit der Strafe nicht empfehlenswert. Aus der Ver-

364

Zusammenfassung und Fazit

bandsstrafenbegründung, wonach nicht einfach mit Vermögen gehaftet werden soll, sondern ein Unwerturteil über einen Verband gefällt wird, der ein besonderes strafwürdiges "Innenleben" aufweist, folgt, daß die Strafe nach Auflösung des Verbandes nicht aus dem ehemaligen Verbandsvermögen vollstreckt werden darf. Bei gesellschaftsrechtlichen Umwandlungen ist für die Fortsetzung des Verfahrens und die Vollstreckung maßgeblich, ob der umgewandelte Rechtsträger mit dem früheren identisch ist. Im Ergebnis sind für die Bestimmung der Identität die Vorgaben des Umwandlungsgesetzes heranzuziehen.

II. Fazit

Es hat sich gezeigt, daß die Durchführung eines Strafverfahrens gegen juristische Personen in Anlehnung an das geltende Strafverfahrensrecht vorstellbar ist. Die größten Probleme ergeben sich daraus, daß die juristische Person vertreten werden muß. Anders als vielleicht im Zivilrecht können im Strafverfahrensrecht aus dem Spannungsverhältnis zwischen Identifizierung von und Trennung zwischen Verband und Vertreter Probleme entstehen, wie sie hier insbesondere im Hinblick auf Einlassungen und auf die Pflichtenstellung dargestellt wurden. Dagegen ist die Frage, welche Rechte der juristischen Person in einem Strafverfahren zustehen, verhältnismäßig einfach zu lösen. Art. 19 Abs. 3 GG erleichtert die Beantwortung dieser Frage. Die Beweiserleichterungen, welche sich die Verbandsstrafenbefürworter erhoffen, werden teilweise mittels einer Verbandsstrafe zu lösen sein. Das gilt jedenfalls für die Schaffung von entsprechenden materiell-rechtlichen Tatbeständen, die eine Änderung des Beweisthemas zur Folge haben. Prozessual sind hingegen Grenzen gesetzt: Eine "Beweislastumkehr" kann es im Verbandsstrafverfahren ebensowenig wie im Strafverfahren gegen natürliche Personen geben. Außerdem gilt für den Verband der Nemo-tenetur-Grundsatz. Soweit ausnahmsweise eine Pflicht zur Auskunft und Mitwirkung besteht, kann die Beweislage für die Strafverfolgungsbehörden jedoch wieder erleichtert sein. Im übrigen werden aber die Schwierigkeiten nicht zu unterschätzen sein, die sich für die Beweiswürdigung aus Interessenkonflikten des Vertreters ergeben können.

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Sachwortverzeichnis Ablauf des Strafverfahrens 104 f. Amtsaufklärungsgrundsatz s. Instruktionsmaxime Angeklagter s. Beschuldigter Anklagegrundsatz 108, 158 f., 167 Anknüpfungstat 40 f., 81, 89 ff., 113 ff., 131 ff., 145,215, 226 Anwalt s. Verteidiger Anwesenheit - Anwesenheitsgrundsatz 287 ff. - Anwesenheitspflicht 252, 270, 287 ff. - Anwesenheitsrecht 253, 287 ff. Auflösung der juristischen Person 36, 46, 63, 99, 209, 251, 338 ff., 357 f. Auflösungsverbot 287, 344, 349 ff. Auskunftspflicht - der beschuldigten juristischen Person 202 ff., 219 ff., 300 f. - des Vertreters 229 - des Zeugen 124, 140, 231 ff. Auskunftsverweigerungsrecht 150 ff.• 162 ff., 177,213 ff. Aussageverweigerungsrecht 127, 150 ff., 163 ff., 214 ff., 225 ff., 230, 236, 267 ff., 283,293 Australien 45, 123, 128, 143, 158 f., 161, 200f. Ausübung der Verbandsrechte 103, 112, 143, 150, 157, 213 ff., 226 ff., 254, 300 ff. Beendigung des Verbandes 340 ff. Befriedung s. Rechtsfrieden Belehrung 161, 266 ff., 293 Belgien 48 Beschlagnahme 154 f., 257 f., 283 f. Beschuldigter - juristische Person als Beschuldigte 102 ff., 138, 223 ff., 244 ff., 254

- Pflichten s. auch Auskunftspflicht, Herausgabepflicht 103 f., 146 f., 224, 270 ff., 278, 294 ff., 298 ff. - Rechte s. auch die einzelnen Rechte 103 f., 146 f., 151, 193,245 ff. - Rolle 103, 121, 146, 214, 222 ff., 244 ff., 268,288 Betriebsführungsschuld 85, 91, 95, 115, 134 Beweisführungslast 311, 313, 315 ff., 326 ff. Beweislast 158 ff., 163 f., 201 , 206, 230, 305 ff. - formelle s. subjektive - materielle s. objektive - objektive 311 ff., 331 -subjektive 311, 313, 315, 317, 326 ff., 331 Beweismittel - Beschuldiger als - 103 f. , 121, 129 ff., 146, 153, 181,294, 300 f. - Pflicht zur Herausgabe von - n s. auch Herausgabepflicht 154 ff., 202 ff. Beweisnot(-stand) 60 f., 87, 209 f. Beweisschwierigkeiten 52, 59 ff., 92, 96, 151 f., 157, 310 Beweisverwertungsverbot s. Verwertungsverbot Beweiswürdigung 135, 364 - freie - 107, 110 f., 183, 206, 238, 314, 321 corporate culture 45, 56, 85, 346, 358 Dänemark 47, 124, 161,351 dogmatische Probleme 51 f., 67 ff., 197, 358 Doppelbestrafung 75, 93, 95 Durchsuchung 154 f., 278 ff. - Geschäfts-, Arbeits- und Betriebsräume 281 ff. - Wohnung 279, 282

Sachwortverzeichnis Einziehung 37 f., 64, 74, 100, 252 EMRK 163, 174, 177 ff., 241 f., 253 Ermittlungsverfahren - wegen EG-Kartellordnungswidrigkeiten 43, 167 - wegen Ordnungswidrigkeiten 169 - wegen Straftaten 105, 114, 221, 258, 275, 292 f., 295, 298 Erscheinen vor Strafverfolgungsbehörden s. auch Anwesenheit 121 ff., 129, 136, 231 fair trial111, 173, 177 ff., 241 ff., 250 ff., 267 f., 301 faires Verfahren s. fair trial Fortbestehensfiktion 343 ff. Frankreich 46, 121 f., 285 f., 339 Freiheitsstrafe 55, 97, 200, 251, 270, 273 f. Fürsorgepflicht 107, 111, 267, 296, 30 1 ff., 328,336 Gefahrenabwehr 308 f., 322 f., 332 f. Geldbuße nach § 30 OWiG 38 ff., 64 ff., 74, 93, 197,201,279, 354, 357 - Verfahren zur Festsetzung der - 40 f., 131 ff., 168 ff., 241,260 ff., 343 Geldbuße nach EG-Kartellordnungswidrigkeitenrecht 41 f., 173 - Verfahren zur Festsetzung der - 43, 162 ff., 201, 240, 256, 279, 339 f., 351 f., 357 Generalprävention 72, 84, 323 f., 333, 347, 349 Gerechtigkeit der Verbandsstrafe 70, 73 ff. Haftbefehl 270, 273 ff., 303 Handlungsfahigkeit der juristischen Person 67 f., 76 ff. Hauptverhandlung 102, 109 f., 114, 119 f., 129 f., 142, 258 f., 287, 293 ff., 298 ff. heimliche Eingriffe 254, 285 Herausgabepflicht des Beschuldigten s. auch Auskunftspflicht 153 ff., 202 ff., 283 f. Identifikation von Vertreter und juristischer Person 44 f., 129, 141 ff., 145, 157, 160, 216, 275 ff., 299 f.

391

Identität der juristischen Person 351 ff. in dubio pro reo s. auch Zweifelssatz 110 f., 206, 211, 305 ff., 320 ff., 332 ff. Inquisitionsprozeß, gemeinrechtlicher 108, 111, 166, 183 f., 245 f. Instruktionsmaxime 107, 111 f., 130, 212, 312 ff., 321, 326 ff., 335 f. Interessenkollision s. Interessenkonflikt Interessenkonflikt - bei Vertretung durch den Individualtäter 91, 93, 131 ff., 218 f. - bei Mehrfachverteidigung 258 ff. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 163, 178 f., 293 Italien 48 Kanada 45, 122 f., 159 ff., 289 Kaution 100, 286 Kollisionslage s. Interessenkonflikt Konzentrationsmaxime 109 f. kriminalpolitisches Bedürfnis 51 f., 53 ff. Kuratel 100, 246, 345, 349 Legalitätsprinzip 65, 107 f. Mehrfachverteidigung s. Verteidigung Mitbestrafung 70, 73 f. Mitbetroffenheit 73 f., 144, 234 ff. Mitwirkungspflicht 182, 202 ff., 270, 301, 326,329,335 Mündlichkeitsgrundsatz 109 f., 295 Nebentäter 93, 117 ff. Nemo-tenetur-Grundsatz 147, 150 ff., 267, 283 - als Grenze der Beweislastumkehr 326, 329,334 - Ausland 153 ff. - Geltung 150 ff. - Grundlagen 176 ff. - und Menschenwürde 167, 172 f., 179, 184 f., 186 ff., 199 f., 202, 209 - und Rechtsstaatsprinzip 166 ff. , 173, 179 ff. Niederlande 45 f., 339, 343 non liquet 211, 311, 314 ff., 319 ff., 332 Norwegen48

392

Sachwortverzeichnis

Öffentlichkeitsgrundsatz 109 f. Offizialprinzip 107 f. Ordnungshaft 271 ff., 283 Organ s. Vertretungsorgan Organisationsmangel s. Organisationsverschulden Organisationsverschulden 84, 87, 115 organisierte Unverantwortlichkeil 60, 62, 310 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 167 f., 172 f., 184, 186 ff., 195 f., 202, 206 ff., 220, 228, 282 f. Portuga148 Präventionsnotstand 87 f. Präventivwirkung 56, 65 Prozeßgrundrecht 148, 243 Prozeßgrundsatz s. Prozeßmaxime Prozeßmaxime s. auch die einzelnen Maximen 107 ff., 149, 192,210 ff., 243 Prozeßsubjekt 129, 146, 166, 243 ff. rechtliches Gehör 111, 147 ff., 165, 179, 192 ff., 242,253, 292,297 f., 301 f. Rechtsfrieden 106 f., 324, 348 Rechtsgüternotstand 87 Rechtsstaatsprinzip 107 f., 111, 166, 173, 178 ff., 204,241 ff., 250 ff., 301,328 Rechtssubjekt 33, 94, 98, 103, 195 f., 275 ff. Rolle 93, 112, 120 ff. - des Beschuldigten s. dort - der juristischen Person 51 ff., 103 f., 146, 197, 214, 222 ff., 254,288 - der übrigen Verbandsmitglieder 144 f., 231, 234 - des Verteidigers 138 f. - des Vertreters 47 f., 121 ff., 157, 199, 213 ff., 222, 228 f., 254, 277, 299 ff. - des Zeugen 139 f., 217, 223 Sanktionsadressat 31 ff., 53, 69, 72, 75,98 f., 102, 140, 165, 345 ff., 351 f., 357 f. Sanktionsarten s. Verbandssanktion Schuldbegriff 68 f., 80 ff. Schuldfähigkeit 68 ff., 79 ff., 198, 358 Schweigerecht der juristischen Person 140 f., 143, 150 ff., 214 ff., 225 ff. Schweiz 49, 71, 96, 286 f.

Selbstbelastungszwang, Freiheit vom s. Selbstbezichtigungszwang Se1bstbezichtigungszwang, Freiheit vom s. auch Nemo-tenetur-Grundsatz 47, 123 Sonderopfer 322 ff. Spanien 48 Spezialprävention 71 ff., 323, 347, 349 Stellung s. Rolle Strafbarkeit - akzessorische 76, 79, 81 f., 89 f., 92 ff., 95 f., 113 ff., 131 ff., 226, 262 ff. - alternative 52, 91,95 f., 112 f. - eigenständige 76, 79, 90 f., 94 f., 113, 115 f., 118, 131, 134, 226, 263 - konkurrierende 94, 115 f., 131, 226 - kumulative 47, 52, 91 ff., 112 ff., 132 ff., 258, 262 f. - nichtakzessorische s. eigenständige - originäre s. eigenständige - subsidiäre 44, 49, 95 f., 113 ff., 119, 131 Strafempfänglichkeit 69 ff., 144, 199, 207 Straffähigkeit der juristischen Person 69 ff., 75 f., 198 f., 246, 358 Strafrechtspersönlichkeit 101, 199 Strafrechtssubjekt 75, 78, 94, 98, 101 Strafzwecke 71 f., 84, 86 ff., 323 ff., 333 f., 347 ff. Syndikusanwalt 232 f. Tatigkeitkeitsbeschränkung 36, 46, 51, 99, 246,285 Tod 337 ff., 343 f., 355 Umwandlung 337, 350 ff. - Fusion I Verschmelzung 350 ff. - Rechtsformwechsel 343, 350 ff. Unmittelbarkeilsgrundsatz 107, 109 f., 295 Unschuldsvermutung 167, 177 f., 180 ff., 210 f., 276, 314, 322 ff. Unternehmenskultur s. corporate culture Unternehmensorganisation s. Verbandsorganisation Unternehmensphilosophie 56, 79, 85, 346, 358 f. Unternehmensschuld s. Verbandsschuld Untersuchungsgrundsatz s. auch Instruktionsmaxime 43, 167, 212, 317 f., 327 f. , 335 f.

Sachwortverzeichnis Untersuchungshaft 254, 270 ff., 286 f., 299 USA 44 f., 123, 154 ff., 161, 240, 249, 255 f ., 258 ff., 289, 338, 351 Verbandsattitüde 56 ff., 66, 85, 88, 346, 348, 358 f. Verbandsgeist 56, 58 f., 66, 346, 348, 358 f. Verbandsgeldbuße s. Geldbuße Verbandsorganisation 60 ff., 84 ff., 90 f., 96, 134, 269, 309 f., 333, 355, 358 Verbandssanktion 35 ff., 59, 63 ff., 71, 74, 99 f., 133 f., 162, 174 ff., 197 ff., 209, 246,251 f., 324, 333,347 Verbandsschuld 80 ff., 90, 118, 132, 197, 346 Verbandsstrafenmodell 79, 82, 89 ff., 113 ff., 131 ff., 262 f., 337, 357 f. - akzessorisches 79 ff., 89 f., 92 ff., 95 f., 113 ff., 131 ff., 226, 262 ff. - eigenständiges 79, 90 f., 94 f., 115 f., 118 f., 131, 134,226,263 - nichtakzessorisches s. eigenständiges Verbandswillen 78, 84 Verbindung von Verfahren 93, 116 ff., 222 ff., 336 - isoliertes Verbandsstrafverfahren 113 ff., 137, 222 f., 228, 232 - paralleles Verbandsstrafverfahren 113, 115 f., 137' 143, 263 - verbundenes Verbandsstrafverfahren 113, 115 f., 135, 222 ff., 258 ff. Verdacht 93, 114, 140, 182, 223 ff., 276 ff., 319 ff. Verdunkelungsgefahr 272 f. Vereinigte Staaten von Amerika s. USA Verfahrensgrundsatz s. Prozeßmaxime Verfahrenskonstellation 113 ff., 222 ff. Verfahrensprinzip s. Prozeßmaxime Verfahrensrechte der juristischen Person 43, 103, 121, 146 ff., 151 ff., 214 ff., 244 ff., 301 ff. Verfahrensstellung s. Rolle Verfahrensziel 105 ff., 207, 247, 327, 336, 347 ff. Verfall 37 f., 64, 344 Vergeltung 57 f., 72, 196, 323, 347, 349 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 111, 165, 204 ff., 277, 280 ff.

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Verhandlungsmaxime 212, 313, 318, 327 f., 336 Verteidiger 123, 129 f., 138 f., 239 ff., 267 f., 292 f., 301 ff. - Akteneinsichtsrecht 43, 148, 252 f. - Pflichtverteidiger s. Verteidigung, notwendige - Vertrauensverhältnis 43, 232 f., 255 ff., 284 Verteidigung 239 ff., 292 ff., 301 ff. - Belehrung s. dort - gemeinsame Verteidigung bzw. Mehrfachverteidigung 112, 258 ff. - notwendige Verteidigung 249 ff. Verteidigungsmöglichkeiten und -Strategien 129 f., 134, 147, 216 ff., 257 ff., 284, 301 f . Verteidigungsrechte 163 ff., 175 Vertreter 57, 61, 89, 103 f., 120 ff., 150 ff., 155 ff., 167, 171 f., 195, 199, 213 ff., 226 ff. , 251 f., 254,269 ff., 289 ff., 296 ff., 348 - Ausübung der Rechte der juristischen Person s. dort - Organfunktion 141 ff., 214 f. , 221,226 ff., 274 ff. - Rolles. dort - Schweigerecht des -s 215 ff. Vertretung 103 f., 120 ff. - Notwendigkeit der - 103, 120 f. , 129 f., 140f., 171 - Vertretungsorgan 125 ff., 135 ff., 141 ff., 215 ff., 228,251 ff., 269 ff., 283,296 ff. - Willens- und Wissenserklärungen 129 ff. Verwaltungsgerichtsprozeß 105, 126, 212, 229 f., 290, 311, 317, 328 Verwaltungsrechtliche Sanktionen 63 f., 201 Verwertungsverbot 150, 220 Fn. 635, 221, 230, 257, 267 f. Vollstreckung - von Haft 254, 270 ff. - von Strafe 45, 105, 285 f., 338 ff., 343 ff., 355 f. vorläufiges Berufsverbot 285 f. Waffengleichheit 107, 111, 161 Wahrheit 106 f., 247, 327 ff.

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Sachwortverzeichnis

- Wahrheitsermittlung und -erforschung 106, 108, lll, 184,204 ff., 207,221,237, 243, 274, 292, 294 f., 299 ff., 313, 315, 328, 335 f. - Wahrheitsfindung 110, 175, 193 f., 204 f., 219, 231, 236, 259, 294, 297 ff., 303, 313 - Wahrheitspflicht 127 f., 140 ff., 182, 186, 193, 214, 217 ff., 231,236, 239 Zeuge 93, 122 ff., 138 ff., 151, 155 ff. , 186, 213 ff., 254,259, 283, 301 Zeugnisverweigerungsrecht 231 ff., 257 f., 284

Zivilprozeß 105, 109, 125 f., 150, 212, 229 f., 290, 3ll f., 328, 340 ff., 353 Zurechnung 44 ff., 57, 62 f., 85, 89, 95 ff., 102, 160 f., 299 f., 324, 333 - von Handlungen 68, 76 ff., 89, 273 f. - von Schuld 81 ff., 88 f. Zwangshaft 205 Fn. 581 Zwangsmaßnahme 103 f., 121 f., 182, 210, 269 ff., 359 Fn. 1338 Zwangsmittel s. auch Zwangsmaßnahme 172,187,205,210,303 Zwangsvollstreckung 271 ff., 353 Zweifelssatz s. auch in dubio pro reo 40, llO f., 206, 2ll, 306 ff., 313 ff., 332 ff.