Kritik der Verbandsstrafe [1 ed.] 9783428495061, 9783428095063

Die Erfahrung verbandsbezogenen Unrechts läßt die Forderung nach Strafen gegen Verbände und insbesondere Unternehmen lau

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Kritik der Verbandsstrafe [1 ed.]
 9783428495061, 9783428095063

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Friedrich v. Freier· Kritik der Verbandsstrafe

Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Harnburg Heft 90

Kritik der Verbandsstrafe

Von Friedrich v. Freier

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Freier, Friedrich v.:

Kritik der Verbandsstrafe I von Friedrich v. Freier. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Hamburger Rechtsstudien ; H. 90) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09506-5

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0072-9590 ISBN 3-428-09506-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Die vorliegende Kritik der Kollektivstrafe wendet sich gegen eine weitere Erosion des rechtsstaatliehen Strafrechts durch die Einführung verbandsstrafender Maßnahmen. Der Begriff der Strafgerechtigkeit orientiert sich an der bis dahin kulturbestimmenden, aufklärerischen Vorstellung individueller Verantwortung und Schuld. Damit verbinden sich bestimmte Begründungsansprüche, die nicht beliebig der zweckrationalen Verfügbarkeit offenstehen. Diesen ist nicht Genüge getan mit dem rechtsvergleichenden Hinweis auf die internationale Entwicklung und einem damit verbundenen diffusen Vertrauen, schon eine grenzüberschreitende einheitliche Entwicklung im europäisch geprägten Kulturkreis als solche gewährleiste materielle Rechtsstaatlichkeit. Die vorliegende Schrift bemüht sich um den Nachweis, daß die Verbandsstrafe in all ihren Ausprägungen mit diesen Grundlagen des Strafrechts unvereinbar und daher praktisch geeignet ist, sie zu zerstören. Die vorliegende Arbeit wurde im April 1997 vom Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Harnburg als Doktorarbeit angenommen. Neuere Literatur und Rechtsprechung konnten nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Für eine außerordentlich verständnisvolle und freundliche, zum erforderlichen Zeitpunkt auch hartnäckige Betreuung meiner Promotion danke ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Köhler, ebenso wie für eine schöne Zeit als Mitarbeiter am Seminar für Strafrecht und Rechtsphilosophie, die geprägt war von wissenschaftlicher Förderung und in der auf die Belange eines jungen Familienvaters in großzügiger Weise Rücksicht genommen wurde. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Sessar für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Fezer für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Hamburger Rechtsstudien und der Universität Harnburg für den gewährten Druckkostenzuschuß. Mein besonderer Dank gilt Herrn Privatdozent Dr. Diethelm Klesczewski für zahlreiche fruchtbare Gespräche und Anregungen. Dagmar Bäcker hat mir' phantastisch beim Erstellen der Druckvorlage geholfen, Mattbias Pohl und Christoph Herrmann danke ich für die Mühsal des Korrekturlesens. Regina Wohlers sei gedankt für die prompte Versorgung mit Büchern. Anja und Rahel, danke für Eure Unterstützung und Eure Geduld! Hamburg, im April 1998

Friedrich v. Freier

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung............................................................... ............................ .............

15

B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen ......................... I. Relativienmg personaler Verantwortung im Kollektiv .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ll. Nicht repressive Sanktionen: Sanktionslücken und Übergänge zur Strafe...... 1. Maßnahmen ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehr ................................... 2. Gewinnabschöpfungund Einziehung.............. ............................ .............. lll. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) ............ .......... ........................... ...... ........... IV. Die Unternehmensbebußung im Recht der Europäischen Gemeinschaften. .. V. Die internationale Entwicklung zu verbandsstrafenden Sanktionen......... ...... VI. Ergebnis.......................................................................................................

21 21 35 35 36 40 45 51 54

C. Einheitliche Strafbegründung für alle Normadressaten ............................... I. Formale Straffähigkeit von Verbänden: abstrakte Rechtspersonalität ............ 1. Sinnlich erfahrbares Übel..... .................................................................... 2. Rechtsstatusmindenmg .... ................................ ........... .................. ... .. ...... 3. Exkurs: Unternehmen als Täter oder Sanktionsadressaten........................ a) Unternehmen als wirtschaftliche Einheit zwischen verschiedenen Rechtsträgern............... ............ .................................... ....... ........ ......... b) Rechtssubjektivität und die Zurechnung von Individualtaten .. .. .. .. .. .... .. c) Rechtsformübergreifende Bestrafung von Untemehmensträgem.. .......... 4. Ergebnis........................... ........................................................................ ll. Normativismus und Natürlichkeit.. .......... ..................................................... 1. Das Fehlen eines "natürlichen Willens" .......... ......................................... 2. Die Heilung des Mangels durch "Zurechnung" ......................................... 3."Natürlichkeit" und "Zurechnung" unter den Bedingungen des Strafrechts a) Strafzwang und Straflegitimation............................................. ............. aa) Strafzwang und Geltungsverlust .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. ... .. . bb) Moralische Geltungskonstitution und Geltungsverlust... ........... .... .. . cc) Geltungskonstitution und Geltungsverlust im Recht .. .. .. ... .... .. .. .. .. .. . dd) Geltungsrestitution (Vergeltung) ........... .......................................... b) Differenzienmgen im Begriffder Zurechnung ....................................... lll. Die Gesamtperson: Kollektivsubjektivität und Repräsentation ...................... 1. Allgemeine Kritik des Gesamtsubjekts ..................................................... 2. Exkurs: "Ehre" und "Charakter" des Verbandes ....................................... 3. Organologische Repräsentation im Delikt........................ ...... ..... .............. a) Die Gesamtperson: Ihr Wollen und Handeln.... ..................................... b) Rechtswidriges Verbandshandeln und der ultra-vires-Einwand .............

55 56 58 60 62 66 77 84 87 88 88 95

112 116 116 118 119 120 121 124 125 140 145 146 150

8

Inhaltsverzeichnis c) Verdoppelung und Zerlegung: Korporative Objektivität und die unmittelbare Repräsentation im delinquierenden Organ................................. aa) Das Grundmodell. .. .. ....................................................................... bb) Der immanente Widerspruch .......................................................... cc) Die Unhaltbarkeit genereller Exkulpation.... .................................... dd) Tendenzielle Mediatisierung.................. ................................ ......... d) Modellfimktion des § 31 BGB fiir das Strafrecht?................................. IV. Ergebnis ............................ ................................ ................... ..... ....... ...........

162 162 165 166 172 175 179

D. Eigenständige Verbandsstrafenbegründung und die Bestrafung Unschuldiger........................................... ................................................................... I. Strafrechtliche Nebensysteme ......................... .... ......................................... I. Rein präventive Eingriffe: Das Maßregelmodell .......................... ............. 2. Repressive Zwangselemente und objektive Haftungsgrundlagen... ............ a) Präventionsnotstand und Veranlasserhaftung bei Schünemann.............. b) Die umweltstrafrechtliche Verbandshaftung bei Reine ......................... c) Strafvereitelnde Strukturen bei Alwart .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..................... d) Geldbußen .................... .................................................................... ... II. Die Bestrafung Unschuldiger ..... .......................... ................................ ......... I. Die Argumente der Verbandsstrafenbefiirworter ....................................... 2. Die konkrete Realisierung des Präventionszwecks ................................... 3. Intendierte Übelszufugung als "mittelbare" Folge? ................................... 4. Verzicht aufPflichtenbeschreibung .............................................. ............ 5. Der Umfang von Beteiligung und Betroffenheit.. ...................................... 6. Ökonomisches Risiko oder Bestrafung Unschuldiger?.............................. 7. Differenzierter Anwendwtgsbereich der Argumente? ................................ 8. Schicksalsgemeinschaft? ... ..................... ... ............. .......................... ........ 9. Doppelbestrafung .. .................. ... .. .. .... .. ..... ... ........ .... .... .. .. ................ ........ lll. Ergebnis .................................. .......................... ..... ......................................

183 184 184 190 196 200 209 211 230 232 235 242 245 249 251 255 257 258 261

E. Personalisierte Organisationsverantwortung (Geschäftsherrenhaftung) und die Sicherstellung des Schuldausgleichs ................................................. 262 I. Strafrechtliche Personalisierung von Organisationsverantwortwtg........... .. .. . 262 I. Organisationsbezogene Zurechnwtg (Ledersprayentscheidwtg) .. .. .. .. .. .. .. .. 264 2. Allgemeine Bedenken.... .. .. ................... .............. . .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. ... .. .. .. 266 3. Die Geschäftsherrenhaftwtg ............................................................ .. .... ... 271 a) Das Herrschafts- wtd Autoritätsmodell .......................... .................. ..... 275 b) Das Gefahrmodell: Betriebsgefahr wtd funktionale Bedingtheit.. .......... 279 aa) Sachgefahren........ ........................................................................... 281 bb) Organisationsgefahr im gemeinsamen Handhmgszweck .................. 287 cc) Abstrakte Organisationsgefahr wtd das Delegationsmodell .............. 291 c) Exkurs: Positivierte Garantenpflichten ................................................. 300 d) Auswege: Obhutspflichten und Nutmießerunrecht .................. ............. 302 e) Ergebnis .......... .................................................................... ................. 305

Inhaltsverzeichnis II. Die Sicherstellung des Schuldausgleichs ........................................ .............. 1. Die Art der Sanktion ................................................................................ a) Höchstpersönliche Betroffenheit durch Geldstrafen .............................. aa) Strafrechtliche Grenzen der Geldstrafenerstattung........................... bb) Exkurs: Zivilrechtliche Grenzen der Geldstrafenerstattung .............. b) Freiheits- und Berufsverbotsstrafen ........ ... .......................................... 2. Die Gewährleistung öffentlicher und gleichmäßiger Bestrafung.. .............. ill. Ergebnis .................................. .....................................................................

9 305 306 306 3 06 308 312 316 322

F. Schluß ...... .... ........ ........................... .... ............. .... ......... ..... ................. .... ......... 323 Literaturverzeichnis. ....................................................... ............. ...................... . 327 Sachwortverzeichnis ..................................................... ... ......................... ... ....... . 349

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abg. Abl.

Abs. AcP a. F. AG AK AktG

allg. Arun. Art. AT AuR

AWG/StGBÄndG BAG BAT BB BBG Bd. BGB BGBL BGH BGHSt BimSchG

BRD

BRRG

BT-Dr. BVerlG BVerlGE

andere Ansicht Abgeordneter Amtsblatt (hier nur Amtsblatt der EG, Teil L: Rechtsvorschriften; Teil C: Bekanntmachwtgen) Absatz Archiv fiir die civilistische Praxis (zitiert nach Band, Jahr wtd Seite) alte Fasswtg Aktiengesellschaft Alternativkommentar Aktiengesetz vom 6. September 1965, zuletzt geändert am 28.10.1994 allgemein Arunerkwtg Artikel Allgemeiner Teil Arbeit wtd Recht. Zeitschrift fiir Arbeitsrechtspraxis (zit. nach Jahr wtd Seite) Gesetz zur ÄndeiWlg des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches wtd anderer Gesetze vom 28.2.1992 Bwtdesarbeitsgericht Bundesangestelltentarif Der Betriebs-Berater (zit. nach Jahr und Seite) Bwtdesbeamtengesetz in der Fasswtg der Bekanntmachwtg v. 27. Februar 1985, zuletzt geändert am 24.2.1997 Band Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 in der Fasswtg der Bekanntmachwtg vom 12. September 1990 Bwtdesgesetzblatt Bwtdesgerichtshof Entscheidwtgen des Bwtdesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band wtd Seite) Bwtdesimmissionsschutzgesetz in der Fasswtg der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990, zuletzt geändert am 9.10.1996 Bwtdesrepublik Deutschland Rahmengesetz zur Vereinheitlichwtg des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) in der Fasswtg der Bekanntmachung vom 27. Februar, zuletzt geändert am 25.3.1997 Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite)

AbkürZtmgsverzeichnis BVerfGG BVerwGE BZRG bzw.

d. DDevR dens. d. h. d. i. DIT DÖV

DRiZ

Dt. DVBl. ebd. EG EGKS EGKSV

EGOWiG EGV Einl. etc. EuGH EuR EURATOM EUV EWG EWGV f FAZ tf Fn. Fs. GA GenG

GewO GG

11

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht in der Fassung der Bekannmachung vom 11. August 1993 Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. 9. 1984, zuletzt geändert am 20.12.1996 beziehungsweise des Deutsches Devisenrecht (zit. nach Jahr und Seite) denselben das heißt das ist Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Richterzeitung (zitert nach Jahr und Seite) deutsches Deutsches Verwaltungsblatt (zitert nach Jahr und Seite) ebenda Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl Vertrag über die Europäische Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl Einführungsgesetz zum OWiG vom 2.3.1974, zuletzt geändert am 2.3.1974 EG-Vertrag Einleitung et cetera Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europarecht (zitiert nach Jahr und Seite) Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die Europäische Wirtschaftgemeinschaft folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende Fußnote Festschrift' Goltdarnmer' s Archiv fiir Strafrecht (Ztmächst zit. nach Band und Seite, ab 1953 nach Jahr und Seite) Gesetz betreffend. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. August 1994, zuletzt geändert am 28.10.1994 Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom I. Januar 1987, zuletzt geändert am 24.3.1997 Grundgesetz fiir die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, zuletzt geändert am 3.11.1995

12 GmbH GmbHG GRUR GWB Hg. HGB h. L. h.M. HypBG

i. E. IKV insb.

i. V. m. JR JuS

JZ

Kap. KG KJ KK Korn. KritV KS KWG LK m.

MDR

m.E. MK m. Nachw. MschrKrim m.w.N. Nachw.

NJW

NK Nr.

Abkürzungsverzeichnis Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der Fass\Ulg der Bekanntmach\Ulg vom 20.10.1898, zuletzt geändert am 28.10.1994 Gewerblicher Rechtsschutz Wld Urheberrecht (zit. nach Jahr Wld Seite) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränk\Ulgen in der Fass\Ulg der Bekanntmach\Ulg vom 20.2.1990, zuletzt geändert am 28.10.1994 Herausgeber Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897, zuletzt geändert am 5.10.1994 herrschende Lehre herrschende MeinWlg Hypothekenbankgesetz in der Fass\Ulg der Bekanntmach\Ulg vom 19.12.1990, zuletzt geändert am 15.12.1995 im Ergebnis MitteilWlgen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigmg (zit. nach Jahr Wld Seite) insbesondere in VerbindWlg mit Juristische RWldschau (zit. nach Jahr Wld Seite) Juristische SchulWlg (zit. nach Jahr Wld Seite) Juristenzeit\Ulg (zit. nach Jahr Wld Seite) Kapitel Kommanditgesellschaft Kritische Justiz (zit. nach Jahr Wld Seite) Karlsruher Kommentar Kommission der EG Kritische Vierteljahreszeitschrift fiir Gesetzgeb\Ulg Wld Wissenschaft (zit. nach Jahr Wld Seite) Kant-Studien (zit. nach Jahr Wld Seite) Gesetz über das Kreditwesen in der Fass\Ulg der Bekanntmach\Ulg vom 22. 1. 1996 Leipziger Kommentar mit Monatszeitschrift fiir deutsches Recht (zitiert nach Jahr Wld Seite) meinesEcachtens Münchner Kommentar mit Nachweisen Monatszeitschrift fiir Kriminologie Wld Strafrechtsreform (zitiert nach Jahr und Seite) mit weiteren Nachweisen Nachweise Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr Wld Seite) Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nummer

AbkürZllllgsverzeichnis Nm. NStZ NZA OHG ÖJZ OLG OWiG Part

RAO

RGBl. RGSt

Rn.

s.

s. SchwZStr Slg.

s.

0.

SoldG Sp. St StA StGB StPO StVG StVollzG u.

u. a. 2.UKG

u. u. UWG

UZwG

V.

Var.

13

Nummern Neue Zeitschrift fiir Strafrecht (zit. nach Jahr und Seite) Neue Zeitschrift fiir Arbeits- und Sozialrecht (zit. nach Jahr und Seite) Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristen-Zeitung (zit. nach Jahr und Seite) Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntgabe vom 19.2.1987, zuletzt geändert am 28.10.1994 Partei Reichsabgabenordnung Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Randnummer Seite siehe Schweizerische Zeitschrift fiir Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Sammlung siehe oben Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1995, zuletzt geändert am 20.2.1997 Spalte Stand Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.3.1987, zuletzt geändert am 1.7.1997 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7.4.1987, zuletzt geändert am I. 7.1995 Straßenverkehrsgesetz v. 19.12.1952, zuletzt geändert am 14.9.1994 Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16.3.1976, zuletzt geändert am 17.12.1990 und unter anderem 2. Gesetz" zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27.6.1994 unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7.6.1909, zuletzt geändert am 25.10.1994 Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10.3.1961, zuletzt geändert am 27.12.1993 von Variante

14 VereinsG Verf VersR vgl.

vo

Vorbem. 2. WiKG

WiStG wistra WiVerw WuWIE zahlr. z. B.

ZfS

ZGR

ZHR

Ziff zit.

ZPO

ZRP

ZStW

z. T. ZUR

Abkürzungsverzeiclmis Vereinsgesetz vom 5.8.1964, zuletzt geändert am 28.10.1994 Veifasser Versicherungsrecht (zit. nach Jahr und Seite) vergleiche Verordnung Vorbemerkung 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 Wirtschaftsstrafgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.6.1975, zuletzt geändert am 21.7.1993 Zeitschrift für Wirtschaft. Steuer. Strafrecht (zit. nach Jahr und Seite) Wirtschaft und Verwaltung. Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv (zitiert nach Jahr und Seite) Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zahlreich zum Beispiel Zeitschrift für Soziologie (zit. nach Jahr und Seite) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (zit. nach Jahr und Seite) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (zit. nach Jahr und Seite) Ziffer zitiert Zivilprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.9.1950, zuletzt geändert am 28.10.1996 Zeitschrift für Rechtspolitik (zit. nach Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zit. nach Jahr und Seite) zum Teil Zeitschrift für Umweltrecht (zit. nach Jahr und Seite)

A. Einleitung "Die Strafe trifft tatsächlich einerseits den nichtschuldigen Teil andererseits nicht den schuldigen Teil, was allen strafrechtlichen Prinzipien widerspricht." (Exner, Theorie der Sichenmgsmittel)

In der deutschen Strafrechtswissenschaft steht das Prinzip eines reinen Individualstrafrechts (societas deHnquere non potest) zur Disposition1. Die Bestrafung auch überindividueller Einheiten gilt zunehmend als legitime, mit den grundlegenden Bedingungen der Strafe vereinbare Möglichkeit und aus präventiven Zweckmäßigkeitsgründen und ausgleichenden Gerechtigkeitserwägungen als dringend gebotene Notwendigkeit. Jedenfalls erscheint sie als Ausdruck wirklichkeitsmächtiger Tendenzen von unwiderstehlicher Qualität. Unschwer läßt sich die Prognose wagen, daß die Verwirklichung der neuen Forderungen nach einem Ausbau repressiver Sanktionen gegen Kollektive nur eine Frage der Zeit ist. Anlaß dafür ist, wie im zweiten Kapitel einführend dargelegt wird, daß das Individualstrafrecht stabile Normanerkennung in Verbänden ebensowenig garantieren kann wie die verwaltungsrechtlichen und zivilrechtliehen Unrechtsfolgen, daß der Rubikon ohnehin überschritten ist und sich die Reformforderungen einfügen in die internationale Bewegung hin zu repressiven Verbandssanktionen, nicht zuletzt auf der Ebene der EG. Auch die bundesdeutsche Politik nimmt sich nunmehr wieder des Themas an, wie erste Gesetzentwürfe zeigen2.

1 Aus der neueren Diskussion vgl. nur Hirsch, Straffähigkeit; Dens., ZStW 107 (1995), S. 285 ff; Straterrwerlh, in: Fs. Schmitt, S. 295 ff; Lampe, ZStW 106 (1994), S. 683 ff; Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, passim; Erhardt, Unternehmensdelinquenz, passim; Tiedemann, NJW 1988, S. 1169 ff ; E. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 16 ff; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, passim; Dens., JZ 1995; S. 651 ff; Dens., ZUR 1995, S. 69 ff; Ransiek; Untemehmensstrafrecht, passim, S. 326 ff; Schünemann; Untemehmenskriminalität, S. 232 ff; Dens., in: Schünemann/ Gonzales (Hg.): Bausteine., S. 265 ff; Deroyck, ZStW 103 (1991), S. 705 ff ; Alarl, ZStW 105 (1993), S. 752 ff; Dens., MschrKrim 78 (1995), S. 197 ff; Volk, JZ 1993, S. 429 ff; Vogel, JZ 1995, S. 340 f; Übersicht auch im Besprechungsaufsatz von Seelmann, ZStW 108 (1996), 652 ff

2 Der hessiche Justizminister hat einen entsprechenden Gesetzentwwf erarbeiten lassen, der auf der Justizministerkonferenz im Juni 1997 diskutiert werden sollte (vgl. FAZv. 24.5.1997, S. 4).

16

A. EinleitWlg

Damit ist eine Diskussion (wieder) eröffnet, die in der deutschen Rechtswissenschaft seit langem als abgeschlossen galt, nachdem sich der 40. DJT 19533 gegen die Einführung der Kriminalstrafe für Verbände ausgesprochen hatte und auch die Große Strafrechtskommission4 sowie der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform des Deutschen Bundestages5 zu dem gleichen Ergebnis gelangt waren. Grundlegend neuen dogmatischen Argumenten ist die Renaissance dieses seit Jahrhunderten verhandelten Themas nicht zu verdanken eine Diagnose, die so bereits auf dem 40. DJT gestellt werden konnte6 . Geändert hat sich "nur" die historische Ausgangslage und mit ihr der Sanktionsbedarf in einer Situation krisenhafter Machtauballung von Unternehmen. Daß ein solcher Anlaß eine Sachdiskussion auch mit alten Gedanken neu zu beleben vermag, ist in einer praktischen Wissenschaft zunächst keineswegs verwunderlich oder illegitim. Für die Eigenständigkeit als praktische Wissenschaft ist es bedeutend schwerer, den Befund einzuordnen, daß die allgemeine Gewichtung der dogmatischen Gründe den Zweckmäßigkeitserwägungen auf dem Fuße folgt. Die vorliegende kritische Analyse der Verbandsstrafe verhält sich insofern "antizyklisch", letztlich auch mittels einer Aktualisierung vertrauter Argumente. Grob vereinfacht laufen sie darauf hinaus, daß Kollektive, auch sofern sie rechtlich integriert sind, keine normreflektierenden Subjekte sind, daß solche aber für das Strafrecht oder besser für die strafrechtlich intendierte Wiederherstellung realer Normgeltung unverzichtbare Konstituenten sind. Daher richtet sich die Verbandsstrafe in ihren Voraussetzungen und Sanktionsfolgen notwendig und ausschließlich gegen potentiell alle Mitglieder, damit aber - wie Exners eingangs zitierte Formulierung vortrefflich zum Ausdruck bringt - auch gegen Unschuldige und nicht zwingend in ihrer belastenden Wirkung gegen die Schuldigen. Eine Kollektivstrafe bedeutet somit nichts geringeres als den Abschied vom strafrechtlichen Schuldprinzip. In einem ersten Schritt (Kap. C.) werden zunächst die Verbandsstrafeumodelle untersucht, die - jedenfalls dem grundsätzlichen Anspruch nach - an einer identischen Legitimationsgrundlage zum Individualstrafrecht festhalten, 3 Verhandlungen des 40. DJT, S. E 86 ff Ablehnung der Kriminalstrafe. 4 Vgl. Niederschriften Bd. 4, S. 333. Befurwortet wurde jedoch, ebd., S. 574, eine Geldsanktion im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches gegen juristische Personen zum Ausgleich des Schadens der Allgemeinheit Wld zu Abführung auch solcher Gewinne, die nicht durch die Vetfallsvorschriften abgeschöpft werden können.

5 Protokolle des Sonderausschusses Strafrechtsreform, 4. Wahlperiode, 23. Sitzung, S. 409 f gegen Geldstrafe, 24. Sitzung, S. 420: für Geldbuße. Vgl. zur Geldbuße auch Protokolle, 5. Wahlperiode, S. 1089. 6 Vgl. Heinitz, VerhandlWlgen des 40. DJT Bd. I, S. 67. Die Unmöglichkeit gfWldlegend neuer Argumente konstatiert auch Jescheck, DÖV 1953, S. 539.

A. Einleitung

17

indem sie entweder auch dort den Schuldbegriff normatlvieren oder funktionalisieren oder, zum Teil in einer - widerspruchliehen - Gemengelage damit, die verbandsbezogenen Zuwiderhandlungen von Individuen zum einheitlichen Bezugspunkt der Strafe machen. Einleitend wird dabei auf Probleme bei der Auswahl der Strafadressaten bzw. des Täters aufmerksam gemacht, sofern überindividuelle Einheiten quer zu den Rechtsträgern in den Blick genommen werden und so auch die Minimalbedingung der Bestrafung, die abstrakt-objektive Rechtspersonalität, außer acht gelassen wird. Thema dieser Arbeit sind insofern nur überindividuelle Einheiten des Privatrechts. Die Ausübung von Strafzwang zwischen Staaten untereinander oder durch supranationale Organisationen gegenüber Staaten sowie die Sanktionierung von Körperschaften des öffentlichen Rechts innerhalb eines Staates werfen zusätzliche Probleme auf, die hier nicht behandelt werden können. Allerdings ist es offensichtlich, daß gegenüber derartigen Strafdrohungen die grundlegende Kritik noch in wesentlich stärkerem Maß durchgreift. Namentlich der Einwand der Bestrafung Unschuldiger erlangt zusätzliches Gewicht, wenn nicht einmal bzw. nicht in demselben Sinne von einer freiwilligen Mitgliedschaft die Rede sein kann und mit dieser Mitgliedschaft nicht nur und nicht einmal vorrangig ökonomische Zwecke verfolgt werden. Im Einklang mit der neueren Diskussion stehen daher Verbände mit ökonomischer Zielsetzung im Mittelpunkt. Das sollte allerdings nicht vergessen lassen, daß diese Begrenzung7 ausschließlich pragmatische Grunde hat und einer Erstreckung der Strafdrohung auch auf andere Kollektive, etwa Religionsgemeinschaften und politische Parteien, nicht im Wege steht. Dogmatische Bedenken ließen sich gegen eine solche Ausdehnung kaum noch anmelden. Vielmehr wäre sie durch den Gleichbehandlungsgrundsatz geboten. Darober hinaus wendet sich die Kritik an der einheitlichen Legitimationsgrundlage gegen die Vorstellung von spontanen Hypersubjekten, gegen die Ersetzung konstitutiver Leistungen bzw. Fehlleistungen durch narrnativistische "Zurechnungen" und schließlich gegen alle materialen Begiiindungen, welche die Einheitlichkeit notwendig subjektiv vermittelter Normgeltung an einer individuellen Anknüpfungstat festmachen wollen. In einem zweiten Schritt (Kap. D) wird den genuin verbandsbezogenen Strafbegrundungen nachgegangen, die auf eine Verbandsschuld verzichten oder aber den Schuldbegriff des Individualstrafrechts bei repressiven Verbandssanktionen ersetzen wollen durch eine strafbegiiindende, objektive eigene

7 Vgl. etwa Empfehlung des Europarates Nr. R (88) 18. 2 v. Freier

18

A. Einleitung

Organisationsschuld, gegebenenfalls in einem repressiven System, welches nicht auf den kriminalstrafrechtlichen Schuldbegriff angewiesen sein soll. Die deutlichere Entkoppelung von den individualstrafrechtlichen Prinzipien und individuellen Taten vermeidet zwar prima facie fragwürdige Subjektanalogien in der handelnden Einzelperson und die fragwürdige "Zurechnung" strafbegründender Merkmale einschließlich der Schuld, kann sich aber letztlich nicht von der verfehlten Vorstellung eines reflektierenden Kollektivsubjekts lösen. Zurück bleibt in Wahrheit eine reine Abschreckungssanktion, die gegen die Gesamtheit der potentiell betroffenen Mitglieder gerichtet ist. Besonders deutlich wird dieses an der Verbandsgeldbuße des OrdnungsWidrigkeitenrechts als der bedeutendsten Verbandssanktion im geltenden bundesdeutschen Recht. Ohne sie wäre die bundesdeutsche Diskussion über die Verbandsstrafe nicht über Jahrzehnte mehr oder minder zum Stillstand gekommen, denn so stand eine repressive Sanktion bereit, mit der sich der Steuerungsbedarf zufriedenstellen ließ, scheinbar ohne mit den Prinzipien des Individualstrafrechts in Konflikt zu geraten. Dieser Kompromiß steht und fällt allerdings - wie bei allen repressiven Zwangsformen - mit der labilen qualitativen Abgrenzung des Kriminalstrafrechts von anderen repressiv-verhaltenssteuernden (abschreckenden) Zwangsformen. Daß in einem mit der Auseinandersetzung um die Verbandsstrafe diejenige über die Abgrenzung eines qualtitativ anderen Verwaltungsabschreckungsstrafrechts vom Kernstrafrecht wieder auf der Tagesordnung steht, ist somit kein Zufall. Selbst wenn die eigenständigen repressiven Zwangssysteme sich aus den Formen freiheitsprinzipierten Strafzwanges gegenüber Individuen nicht lösen können, ist es noch einmal eine davon gesondert zu untersuchende Frage, ob nicht gegenüber Verbänden, zumal wirtschaftlich tätigen, anderes gilt. Das hängt davon ab, ob Unschuldige strafartig betroffen werden. In einem abschließenden Kapitel (Kap. E) werden die engen Grenzen einer individualstrafrechtlichen Sanktionierung in Organisationen noch einmal aufgegriffen und insbesondere anhand der Geschäftsherrenhaftung diskutiert. Die geistige Form kollektivbezogenen und -betätigten menschlichen Handeins wird nur auf die Besonderheiten des Strafrechts hin untersucht. Darin liegt zugleich das Eingeständnis, daß keine umfassende Verbandstheorie präsentiert wird. Die grundlegende Paradoxie jeder (freiheitlichen) Verbandstheorie wird auch hier nicht aufgelöst. Sie besteht darin, einerseits das freie Individuum nicht denken zu können und sich daher in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch zu begeben, wenn überindividuelle Einheiten im Sinne reflexiver Selbstorientierung als subjektiviert gedacht werden, andererseits aber zur Rettung freiheitswahrender Rechtsverhältnisse nicht ohne eine Personalisierung auskommen zu können, soll sich das Kollektiv nicht zu einer objektiven, rechtlich ungebundenen Übermacht entfesseln.8 Einen Ausweg

A. Einleitung

19

mag am ehesten die Vorstellung einer .freiheitsnotwendigen, aber abstrakten Personalisierung weisen. Das kann aber für das Strafrecht dahinstehen, wenn es dort auf die basale Geltungssicherung ankommt, die nur von (ursprünglich) normreflektierenden Subjekten geleistet werden kann. Damit ist zugleich angedeutet, daß die entscheidenden Argumente einer Theorie der Strafe zu verdanken sind, die sich gegen die präventionistischen und funktionalistischen Normativismen wendet, gerade weil die Ausgangskonstitution und dann die Wiederherstellung verletzter Rechtsverhältnisse (Vergeltung) nur durch solche Subjekte geleistet werden kann. Scharf herausgestellt wird insofern die qualitative Besonderheit des repressiven Zwangs. Es mag auch sein, daß hier die Grenze erreicht ist, an der die existentiell-politische Entscheidung zwischen einer eher individualistischen und einer eher kollektivistischen oder objektiven (Straf-) Rechtsbegründung9 beginnt. Zuzugeben ist, daß die verbandstheoretische Ausgangsdialektik es bedingt, daß jede Entscheidung in ihrer prinzipiellen Durchführung gewissermaßen zu weit geht, begnügt man sich nicht mit einem selbst nicht mehr immanent begründbaren Kompromiß, wonach es repressiven Zwang auf individualistischer Basis gibt und solchen auf der Basis einer kollektivistischen Sozialmoral und beide irgendwie nebeneinander stehen könnten. Das gilt auch für die Abgrenzung strafrechtlicher Nebensysteme. Denn die Gründe, die dazu zwingen, an der Relevanz individueller Normorientierung und der dafür grundlegenden Fähigkeiten im Kernstrafrecht festzuhalten, vertragen ihre Modifikation oder gar Aufhebung im Neben- oder Verwaltungsstrafrecht letztlich nicht. Die vorliegende Arbeit muß sich daher einem Auseinanderfallen von Zweckmäßigkeitserwartungen und Gerechtigkeit stellen. Zwar ist nicht zu verkennen, daß der in einem solchen Zusammenhang übliche und auch grundsätzlich berechtigte Hinweis auf die gegenüber dem sekundären Strafzwang primäre Ordnungsaufgabe der anderen Rechtsgebiete bzw. der politischen Entscheidung angesichts der realen Entwicklung einer sich globalisierenden Marktwirtschaft, der Größe der Akteure und der ökologischen Gefahren industrieller Produktion an Überzeugungskraft verliert. Die Verbandsstrafe ist gerade Ausdruck des krisenhaften Verlustes einer gelungenen Primärordnung. Natürlich kann man auch über die praktische Wirkungsmacht entsubjektivierter Abschreckung, .insbesondere wenn sie sich gegen Kollektive richtet, sehr unterschiedlicher Meinung sein: Kollektivschuldthesen war noch nie ein

8 Vorzüglich zu dieser, theologische Auseinandersetzungen verlängernden Dialektik Schikorski, Körperschaftsbegriff, zusammenfassend S. 20 ff., 2381f. 9 Vgl. 2*

Radbrnch, Rechtsphilosophie, S. 147 ff; Dens. , Einfiihrung, S. 27.

A. Einleitung

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motivatorischer Erfolg beschieden und gleiches dürfte fiir die - nach hier vertretener Ansicht zwingende - "Botschaft des Fatalismus" 10, es würden Unschuldige fiir Zufälle bestraft, gelten. An dem nicht zu leugnenden Problemdruck ändert das allerdings nichts. Dieser Problemdruck sollte aber nicht den Blick auf den "Preis" verstellen, der fiir eine Kollektivstrafe zu entrichten ist - die Aufgabe des Schuldprinzips. Positionen, die der vorgetragenen ähneln, ist entgegengehalten worden, "doktrinäre Philosophismen", "billige Meinungsmache" oder eine "neokonservative Ablehnung" darzustellen, in welchen ein "allzu primitiver Glaube an ein alteuropäisches "Wesen" des Kernstrafrechts" wirksam sei. 11 Will man diesen "Glauben" verabschieden, wird der Preis offen akzeptiert. Der Versuch aber, den Prinzipienbruch, namentlich die beabsichtigte strafartige Betroffenheit Unschuldiger auszuräumen, zeitigt allererst Sophismen, die der Kritik nicht standhalten. Zudem läßt sich über die Frage, ob ein rein individualstrafrechtliches System "konservativer" ist als Kollektivstrafen, vortrefflich streiten. Und ob das Strafrecht geeignet ist, mit Notstandsmaßnahmen auf Fehlentwicklungen auf der Primärebene zu reagieren, ist keineswegs ausgemacht.

10 Formulierung von Schünemann, in: Ders. (Hg.): Deutsche Wiedervereinigung,

s. 138. 11

SoAlwarl, MschrKrirn 78 (1995), S. 197 ff.

B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen Hintergrund jeder Verbandsstrafendiskussion ist die unbestreitbare Macht und soziale Bedeutung organisierter Interessenverfolgung in der bürgerlichen Gesellschaft. Den ökonomischen, technischen und personalen Ressourcen und der Schlagkraft inbesondere großer Organisationen als den "Kraftzentren des Soziallebens" entspringen besondere Schädigungspotentiale. Ganz im Vordergrund stehen dabei wirtschaftlich tätige Verbände bzw. Unternehmen, während die von weltanschaulich-politischen Verbänden ausgehenden Gefahren in den Hintergrund getreten sind. Im Mittelpunkt stehen die Belange der Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung, des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Die Normalität der Teilnahme von kollektiven Einheiten am Rechtsverkehr im Zivilrecht und öffentlichen Recht ergänzt dieses um die Einsicht der Normadressatenschaft von Verbänden, der sich nur das Strafrecht verschließt. Damit wird prima facie ein Anachronismus kultiviert, der eine evidente Ungleichbehandlung von Kollektiven und individuellen Normadressaten zu bedingen scheint und außerdem die für das Unternehmen agierenden Individuen ungerechterweise mit einem Risiko zu belasten droht, welches ökonomisch dem Verband zugewiesen ist. Wesentlich ist, daß die Steuerungsmöglichkeiten zivilrechtliehen Unrechtsausgleichs und öffentlichrechtlicher Ordnungsverwaltung gegenüber den Kollektiven als erschöpft gelten und das Individualstrafrecht den angemeldeten Steuerungs- und Sanktionsbedarf nicht verwirklichen kann. Die besonderen Bedingungen kollektivbezogenen Handeins sperren sich danach gegen eine wirksame Einflußnahme auf Individuen, die sich an Strukturen individuellpersonaler Verantwortungszurechnung orientiert (1.). Da auch andere Sanktionen dem Steuerungsbedarf nicht genügen oder bereits in strafähnliche Maßnahmen übergehen (II.), gewinnen strafartige Sanktionen im deutschen Recht (III.), im Recht der Europäischen Gemeinschaften und in ausländischen Rechtsordnungen (IV.) eine besondere Bedeutung und Vorbildwirkung und erzeugen einen internationalen Konvergenzdruck

I. Relativierung personaler Verantwortung im Kollektiv Das Phänomen kollektiv bedingter Schadensverläufe relativiert die Reichweite einer strafrechtlichen personalen Verantwortung nach Ansicht der VerbandsstrafenbefürworteT in zwei Hinsichten, die schlagwortartig mit krirnino-

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

genem Kollektivgeist und organisierter Unverantwortlichkeit beschrieben werden können. Einmal geht es um die Destabilisierung der Normhaltung und des Verantwortungsbewußtseins im Kollektiv, das andere Mal um die Diffusion individueller Verantwortung in komplexen Großorganisationen. Die konstatierte Gemeinsamkeit ist die Erosion des Prinzips individueller Verantwortung gegenüber den strafrechtlich bewehrten Rechtsgütern. Damit sind zwei - jedenfalls vorläufig - idealtypisch unterscheidbare Phänomene angesprochen, denen auch zwei tendenziell unterscheidbare Konzepte der Kollektivsanktionierung entsprechen. Das eine geht von der im Prinzip tatbestandlieh vollständig zurechenbaren Tat eines Verbandsmitgliedes bzw. -funktionärs, die objektiv und subjektiv im Dienste des Verbandes begangen wird1, aus. Diese muß als genuin verbandserzeugte Kriminalität ("Verbandskriminalität") begriffen werden können. Denn nur so läßt sie sich von einer besonderen Erscheinungsform der Individualkriminalität abgrenzen, die im wesentlichen durch die individuelle Ausnutzung der verbandliehen Handlungsmöglichkeiten im Interesse des Verbandes und eine daher erhöhte Schadenspotentialität begründet ist. 2 Die spezifische Kollektivbedingtheit des Delikts ergibt sich danach aus der Eingliederung in einen kollektiven Handlungszusammenhang, welche das Mitglied mit den verbandsspezifischen Normen und Zielen konfrontiert, an denen es sein verbandsbezogenes Verhalten ausrichtet. Die Vergemeinschaftungsleistung des Verbandes aktualisiert sich so in der Ausbildung eines Verbandsgeistes, einer Verbandskultur oder Verbandsattitüde als gemeinsam geteilter Haltung, geistiger Atmosphäre - gerichtet auf bestimmte Ziele und Interessen sowie die dafür in Frage kommenden Mittel. Will man nicht einer Korrumpierung des Einzelnen durch eine Verbandszugehörigkeit als solcher das Wort re-

1 Vgl. die Bestimmung von Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 5: "abweichendes Verhalten im Dienste eines Unternehmens". 2 Zu diesem Wechsel der Blickrichtung vgl. nur Brender, Verbandstäterschaft, S. 6; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 4 ff ; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 14. Danach geht es nicht um die Ausnutzung der verbandliehen Handlungsmöglichkeiten, sondern umgekehrt um die Beeinflussung des Täters durch den Verband. Dagegen hatte R. Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 139, Verbandskriminalität noch als die "Summe der Individualdelikte, die von Tätern im Verbandsbereich durch Ausnutzung der Verbandsmacht im Interesse des Verbandes begangen werden, sofern diese Delikte nicht aus dem Rahmen der Verbandstätigkeit fallen" , verstanden; Ähnlich Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 120.

I. Relativierung personaler Verantwortung im Kollektiv

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den, was eine sich darauf beziehende Sanktion grenzenlos und sinnlos erscheinen lassen müßte, so ist zwar die Offenheit dieses Verbandsgeistes sowohl in Richtung Korrumption als auch normgetreuer Haltungsbestärkung festzuhalten. Etablieren sich aber Gesetzesverletzungen als Teil des normativen Verhaltensmusters3, wird eine der in Unternehmen generell angenommenen4 Bereitschaft zur Überordnung der Verbandsbelange entspringende Beeinflussung und Formung der einzelnen beschrieben. Im verbandsbezogenen Handeln entfremdet sich der Täter von seiner an sich bzw. ansonsten in anderen Handlungsfeldern praktizierten Normhaltung durch eine "Verselbständigung des Rollenverhaltens" 5 und fühlt sich dem Verband mehr verpflichtet als der Rechtsordnung6 . Die Verbandszugehörigkeit stellt damit die Gefahr einer kollektiv bewirkten, partiellen Zersetzung des Normbewußtseins dar bis hin zu einer "völligen Verflüchtigung des Gefühls individueller Verantwortung" 7 . Günstige Bedingungen einer solchen kollektiven ethischen Neutralisierung und Enthemmung8 werden besonders in Unternehmen lokalisiert. Sie werden zum Teil bereits mit der ethischen Neutralität vieler, das Unternehmerische Handeln betreffenden Normen bzw. der Abstraktheil der geschützten Rechtsgüter in Verbindung gebracht.9 Hinzu kommt die Rechtgutsferne primär innenbezogener Entscheidungen in einer arbeitsteiligen (Groß-)Organsiation1°,

3 Vgl. allg. Clinnard/Yeager, Corporate Crime, S. 63

ff., 273 ff.

4 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 150.

5 Jäger, Makrokriminalität, S. 162, allerdings im Zusammenhang situativer Gruppendelikte. 6 Busch, Grundfragen, S. 98 ff.; Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 152; Clinnard/Yeager, Corporate Crime, S. 274 f; Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 22; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 127; V. Kaiser, Verbandssanktionen, S. 8 f; vgl. auch Noll, Verhandlungen des 49. DJT Bd. 2, S. M 28: "subkulturelles Normbewußtsein". 7 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 22. Allgemein zum Problem, allerdings vornehmlich anhand der Dynamik gänzlich vom Recht gelöster Kollektive, zusammenfassend Jäger, Makrokriminalität, S. 132 ff.

8 Vgl. zu den einzelnen Formen der kollektivbezogenen Neutralisierung und Rechtfertigung Jäger, Makrokriminalität, S. 191 ff.

9 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 154; Schünemann, Untemehrnenskriminalität, S. 23 f 10 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 49; allgemein zur Bedeutung von räumlicher und sozialer Distanz Jäger, Makrokriminalität, S. 166 ff.

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B. Verbandskriminalität nnd bestehende Kollektivsanktionen

die zudem auch das entlastende Vertrauen in die Kontrolle, das Wissen und die Entscheidungskompetenz der anderen, namentlich des Leitungspersonals und der Experten, ermöglicht. 11 Über die allgemeine Enthemmungsmöglichkeit in der kollektiven Bestärkung hinaus fördert die Verbindung gewichtiger eigener Interessen mit denen des Verbandes bzw. Unternehmens die Überordnung der verbandliehen Interessen auch um den Preis einer Gesetzesverletzung. 12 Ökonomische Abhängigkeit und das Bedürfnis nach Anerkennung13 begünstigen den Druck zur innerverbandliehen Bewährung. Das Leitungspersonal entfernt sich durch den geforderten Umfang des zeitlichen und persönlichen Einsatzes von berufsfremden Bindungen und Normvorstellungen 14, verhält sich loyal und dizipliniert, um die eigenen Aufstiegsinteressen nicht zu gefährden. 15 Auch die übrigen Arbeitnehmer werden durch Leistungsvorgaben unter Druck gesetzt, der sich immer die Ersetzbarkeit, die daraus resultierende Abhängigkeit und Angst um den Arbeitsplatz des Einzelnen zunutze machen kann. 16 Damit bieten sich dem Täter zahlreiche Möglichkeiten der selbstentlastenden Tatlegitimation in der innerverbandliehen Anerkennung und Aufforderung, die sich schließlich noch auf eine gewisse Selbstlosigkeit bzw. altruistische Motivation des eigenen Verhaltens berufen mag17. Die Üblichkeil gewisser Geschäftspraktiken kann dabei die Selbstwahrnehmung als unbescholtener und angesehener Normalbürger bestärken, da zu der innenbezogenen Normalität der Gesetzesverletzung

11 Ebd., S. 50; Schünemann, Untemehmenskrirninalität, S. 24. 12 Umstritten ist allerdings, ob die genannten Erkläftnlgen der Delinquenz für alle

Tätergruppen innerhalb des Unternehmens plausibel ist, oder ob nicht vielmehr die Delinquenz der Fühnmgskräfte rein individualstrafrechtlichen Erkläftnlgsmustem folgt. Für eine solche Einschränknng Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 27 f; dagegen Brender, Verbandstäterschaft, S. 8, nnd Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 155 Fn. 75. 13 Zum tatmotivierenden Bedürfuis nach Anerkennung Jäger, Makrokriminalität,

s. 152 ff.

14 Clinnard!Yeager, Corporate Crime, S. 63. 15 Vgl. Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 150. 16 Ebd. , S. 151 ; Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 23. 17 Erhardt, Untemehmensde1inquenz, S. 154; Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 24, beschreibt dieses besonders für die egoistisch beschränkten Delikte, bei denen das soziale Bild des Tätertypus nnterlaufen werde durch die fremdnützige Begehnng. Vgl. auch Bauerle, in: Niederschriften Bd. 4, S. 326.

I. Relativierung personaler VerantwortWlg im Kollektiv

25

auch noch die äußere tritt und so auch eine Verurteilung keinen Statusverlust mit sich bringt. 18 Schließlich gilt der Unternehmensverband aufgrund seiner ökonomischen Rationalität als besonders empfanglieh für die Ausbildung einer kriminogenen Verbandsattitüde. 19 Ihr wohnt die Tendenz inne, zweckrationale Kosten-Nutzen-Kalküle und das Ziel der Gewinnmaximierung zu verabsolutieren und im Konkurrenzkampf die illegalen Methoden den anderen Wettbewerbern aufzuzwängen. 20 Daher gilt etwa Schönemann die "Ohnmacht von Moral und Normgehorsam des in ein Unternehmen mit krimineller Verbandsattitüde eingegliederten Individuums" als ausgemacht. 21 Als in aller Regel sozial integrierter Täter passe er sich in den Schein der Normalität des ökonomischen Kalküls ein und sei darin im Rahmen des Ganzen "vollständig fungibel" 22 , eines Ganzen, das mit der sich ungeachtet der Einzelwesen und in deren (bereitwilliger) vollständiger Funktionalisierung entfaltenden Totalität eines Heuschreckenschwarmes verglichen wird. Das Unternehmen bilanziere moralfrei23, so daß hier der "Holocaust an der christlich abendländischen Moral" lokalisiert wird. 24 Eine andere Argumentationslinie stellt nicht den durch eine kriminelle Verbandsattitüde mitbedingten Entschluß, die Relativierung des Unrechtsbewußtseins, zu einem im übrigen unproblematisch zurechenbaren Delikt in den Vordergrund, sondern die aufgrund der organisierten Arbeitsteilung relativierten 18 Zu dieser Selbsteinschätzung der white-collar-Täter vgl. Sutherland, White collar crirne, S. 228 ff.

19 Allerdings muß man wohl diese Form bzw. Seite einer rechenhaften Verbandsattitüde sorgfaltig Wlterscheiden von anderen Formen überhöhter Solidarität Wld Loyalität. Heide scheinen auf den ersten Blick nicht Wlbedingt miteinander vereinbar, denn eine rechenhafte Attitüde setzt eben Akteure voraus, die ihr Verhältnis zum Kollektiv vornehmlich nach Nützlichkeitskalkülen defmieren. 20 Vgl. Sutherland, White collar crime S. 236, 246 ff. 21 Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 279. 22 Ebd., S. 270, vgl. auch S. 277 f Nicht zufällig zieht Schünemann, Unternehmens-

kriminalität, S. 21, die Parallele zu Verbrechen unter der totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus hinsichtlich einer kollektiven Deliktsnormalität Vgl. zur Parallele auch Noll, VerhandlWlgen 49. DIT Bd. 2, S. M 28, und Lampe, ZStW 106 (1994), S. 683 ff.. Zur selbstenlastenden FWlgibilitätsargurnentation in Großkollektiven s. Jäger, Makrokrirninalität, S. 200 f

23 Vgl. auch Clinnard!Yeager, Corporate Crime, S. 273. 24 Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 278, zur Normalität des

Verbrechens im Bereich der Unternehmenskriminalität

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

Möglichkeiten der strafrechtlichen Zurechnung überhaupt. 25 Als Extrempunkt zeichnet sich dabei die vollständig organisierte Unverantwortlichkeil ab, die den Umschlagpunkt zur originären Kollektiwerantwortlichkeit bezeichnet. Das Auseinanderfallen von Entscheidungskompetenz und Pflichtenstellung bzw. "sozialer Verantwortung", Wissen und unmittelbarer Handlungsherrschaft kulminiert in einer Verteilung von Tatbestandsmerkmalen aufverschiedene Subjekte, die nur als eine Summe von Teilhandlungen zusammen26, als System, schädigend nach außen treten. Aber auch unterhalb dieses Extremfalles ist in Frage gestellt, ob mit den herkömmlichen Zurechnungsfiguren die zentralen Entscheidungsinstanzen erreicht werden können. Diese Erscheinungsform betrieblicher Schädigungspotentiale trifft natürlich nicht alle Deliktstypen. Zwar ist es denkbar, daß eine Gewässerverunreinigung durch die organisierte Unverantwortlichkeit bedingt ist, nicht aber eine Bestechung. Ebenso mag die im folgenden darzulegende Transformation von leitender Herrschaft in betriebsinterne Vermittlungsaufgaben für das Umweltstrafrecht von Bedeutung sein, etwa für das Kartellrecht ist sie es sicherlich nicht. Der Topos "organisierte Unverantwortlichkeit" bezieht sich daher vornehmlich auf die Risiken moderner Produktion für Verbraucher und Umwelt, sieht man einmal von den hier noch gesondert zu untersuchenden Beweisproblemen und dem allgemeinen Problem ab, daß deliktische Aufgaben zur Entlastung der Spitze delegiert werden. Und auch dort sind durchaus widersprüchliche Erscheinungsformen benannt. Als wichtiges, immer wieder aufzunehmendes Beispiel mag hier dienen, daß einerseits Verantwortungsverluste "unten" konstatiert werden, während es umgekehrt auch die Schwierigkeit gibt, Verletzungen angesichts der strafrechtlich bedeutsamen Eigenverantwortlichkeit der unmittelbar Ausführenden nach "oben" zuzurechnen. In subjektiver Hinsicht stellt das arbeitsteilige Vorgehen die Zusammenführung von Entscheidungsherrschaft und aktuellem oder doch potentiell erlangbarem, aber vorwertbar nicht erlangtem Wissen in Frage. Auch der in einer Organisation verfügbare Informationsbestand unterliegt der arbeitsteiligen Zergliederung27 und folgt daher der immer feineren Ausdifferenzierung von Aufgaben. Das gilt insbesondere für hochspezialisiertes technisch-naturwissenschaftliches oder ökonomisches Wissen. Ganz allgemein kann damit die Einsicht in die Tragweite der eigenen Handlungen schwinden. Das wird in die eine Richtung regelmäßig die "unten" unmittelbar Ausführenden betreffen. Die 25 Umfassend zum folgenden jetzt Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 1. u 2. Teil. · 26

So plastisch Marlin, in: Schünemann!Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 14.

27 Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 36 f

I. Relativienmg personaler Verantwortung im Kollektiv

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Dezentralisierung des Wissens stellt aber auch umgekehrt die Zusammenführung von Informationen an gesamtverbindlich entscheidender Stelle von "unten" nach "oben" in Frage. In modernen Großorganisationen ist das klassische Bürokratiemodelllinear strukturierter Betriebshierarchien, die in einer Instanz zusammengeführt werden, aufgegeben oder zumindest aufgelockert.28 Es dominiert ein System dezentraler Einheiten, die spezialisiert und sachnah in ihrem Bereich verhältnismäßig autonom agieren und so die Zentrale vor der Überlastung mit Informationen bewahren. Die nächsthöheren Ebenen sind dann nach der innerbetrieblichen Aufgabenverteilung zuständig für die Ausarbeitung von allgemeinen Vorgaben und die Kontrolle ihrer Einhaltung, die Lösung horizontal nicht geklärter Fragen und die Vermittlung der einzelnen Sektoren. Der Informationsfluß lebt damit von der Bedeutungseinschätzung auf unteren Ebenen und der Bereitschaft, die Informationen weiterzugeben. Insoweit konzentrieren sich also die Informationen "unten". 29 Möglich ist dann, daß subjektiver Tatbestand und tatbestandlieh vorausgesetzte Täterqualifikation "unten" auseinanderfallen. 30 "Oben" mag es dann am Vorsatz fehlen oder sogar an der Sorgfaltswidrigkeit, "unten" bleibt die Bestrafung wegen der schadensursächlichen Unterlassung der Informationsweitergabe abhängig davon, ob sich mit hinreichender Sicherheit feststellen läßt, wie dort auf die Information reagiert worden wäre. 31 Hinzu kommt, daß die Überlagerung und Modifikation formaler Dienstwege durch informale Abstimmungen und Querkontakte die Rekonstruktion des Informationsflusses erschwert und, wie letztlich alle Zurechnungsprobleme, ex ante die Selbstentlastung fordert und ex post zum Hin- und Herschieben der Verantwortung einlädt. 32 Die Dezentralisierung führt nach Heines Ansicht aber auch dazu, daß sich nach oben hin, ganz gegenläufig zur grundsätzlich gegebenen Entscheidungskompetenz, das strafrechtliche Leitbild erfolgsbezogener und handlungwirksamer Entschei-

28 Vgl. Schünemann, S. 36 f; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 35-47 m. w. N.; anschaulicher Überblick über die unterschiedlichen Organisationsformen bei Eidam, Unternehmen und Strafe, S. 155 ff.

29 Heine, Strafrechtliche Verantw~rtlichkeit, S. 46.

30 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 38. 31 Schünemann, Untemehmenskrimialität, S. 39; ebenso Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 46. Das Problem betrifft nicht nur das Unterlassen der Informationsweitergabe, sondern auch die fahrlässig fehlerhafte Information; vgl. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 19. Problematisch und umstritten ist bei Unsicherheiten die Anwendung der Risikoerhöhungslehre.

32 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 47; vgl. auch Clinnard/Yeager, Corporate Crime, S. 44 f

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

dungsherrschaft tendenziell verflüchtige. 33 Das strafrechtliche Urbild der Handlungsherrschaft (vgl. § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB) treffe dann nur auf die unteren Ebenen zu bzw. auf diejenigen, die mit unmittelbarem Außenkontakt agieren. An die Stelle der verdünnten physischen Handlungsmacht träten innenbezogene Koordinationsaufgaben mit zunehmend abstrakten und unbestimmten Pflichten. 34 Zudem sei die Steuerung einer Organisation mit ihren depersonalisiert autonomen Subsystemen nicht vergleichbar mit der unmittelbaren handlungswirksamen Entscheidungsumsetzung, da ausdifferenzierte Organisationen nur schwer aus einer Spitze heraus steuerbar seien und die Umstrukturierung ebenso wie unter Umständen eine organisatorische Fehlentwicklung nicht ad hoc erfolgten. 35 NeuereFormen autonomer und z. T . ad hoc gebildeter kollektiver Arbeitseinheiten quer zu allen horizontalen und vertikalen Strukturen verstärken die Probleme. 36 Wechseln die Funktionsträger, so mögen "Altlasten", Fehlverhalten der Vorgänger, unerkannt fortwirken und erst nach einiger Zeit zu Schäden führen. 37 Den allgemeinen Instituten der strafrechtlichen Zurechnung bereitet die Verteilung eines organisationsbezogenen Geschehens auf Individuen große Schwierigkeiten. In dem ungeachtet dessen angemeldeten Bedarf, das Verhalten in arbeitsteiligen Organisationen strafrechtlich zu steuern und die Zurechnungslücken nach "oben" und "unten" zu schließen, wird die Gefahr gesehen, individualstrafrechtliche Zurechnungsmaßstäbe zu korrumpieren; und dieses um letztlich nicht ein individuelles Versagen zu ahnden, sondern steuernd auf das Kollektiv vermittelt über seine obersten Entscheidungsinstanzen einzuwirken. 38 Das wird am Beispiel der Geschäftsherrenhaftung nach der Untersuchung der Verbandsstrafenbegründung ausführlicher zu diskutieren sein. An dieser Stelle sollen einige Stichworte genügen. Bezüglich der zentralen Leitungsinstanzen stellt sich die Frage, inwiefern diesen ein Verhalten auf unteren Hierarchieebenen über § 13 StGB im Wege der Geschäftsherrenhaftung39 oder aber als mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft40

33 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 30 f. , 35 ff 34 Ebd. , S. 42. 35 Ebd., S. 43. 36 Vgl. Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 8. 37 Vgl. ausführlich Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 64 f., 141. 3 8 So besonders Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, passim.

39 Vgl. zunächst nur den Meinungsüberblick bei Bottke, Haftung, S.ll-22. Näher dann in Kapitel E.

I. Relativienmg personaler Verantwortung im Kollektiv

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zugerechnet werden kann. Beides hängt wesentlich davon ab, wie das Verhältnis der Organisationseingliederung und Herrschaft über die Organisation zum strafrechtlichen Fundamentalprinzip der Eigenverantwortung bestimmt wird. Umstritten ist weiterhin, wie die Komplexität der realen verbandliehen Entscheidungsprozesse durch die strafrechtliche Zurechnung abgebildet werden kann. Diskutiert werden insofern die strafrechtliche Bewertung von Gremiumsentscheidungen41 und die Frage, ob für die Übernahme von Sonderpflichten nach § 14 StGB oder einem Sondertatbestand die faktische Organschaft auch über die engen Grenzen des § 14 Abs. 3 StGB hinaus ausreicht, wonach zumindest ein formeller Bestellungsakt erforderlich ist. 42 Diskutiert wird, inwiefern Sonderpflichten de lege lata nach "unten" verlagert werden können oder de lege ferenda über die engen Grenzen des § 14 Abs. 2 StGB verlagert werden sollten, ohne zu vernachlässigen, daß es nur um abgeleitete Sonderpflichten geht. Insgesamt wird moniert, daß die Zurechnung von unternehmensbedingten, systemischen Schäden zu einem außenbezogenen individuellen Verhalten die zivilrechtliche Verteilung des ökonomischen Risikos und damit die Unterscheidung von innen- und außenbezogener Verantwortung zu unterlaufen drohe. 43 Die Zurechnungsprobleme werden flankiert von Beweisproblemen bzw. verschlingen sich mit diesen. 44 Zum einen folgen sie unmittelbar aus den Zurechnungsproblemen, die sich aus der arbeitsteiligen und dezentralen Organisation ergeben. Die Komplexität der z. T. informalen Kommunikationsabläufe und Entscheidungsstrukturen ist oft von außen nur außerordentlich schwer zu rekonstruieren bzw. eröffnet jedenfalls die Möglichkeit entsprechender Verteidigungsstrategien. Allerdings stehen auch Beweismittel zur Verfügung, die im Bereich der Individualkriminalität so nicht vorhanden sind: In Unternehmen 40 Zu dieser Figur allgemein S. LK-Roxin, § 25 Rn. 128 ff, und die Kritik von Jakobs, AT, 211103. Zur davon zu trennenden, ebenfalls sehr umstrittenen Frage, ob diese Figur auch aufUnternehmen Anwendung finden kann, vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 102 ff, einerseits, Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 46 ff, andererseits.

41 Umfassend Neudecker, Veran~ortlichkeit der Mitglieder von Kollegialorganen, S. 193 ff; vgl. Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 58 ff 42 Überblick über den Meinungsstand bei LK-Schünemann, § 14 Rn. 67 ff, und Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 93. 43 Vgl. dazu noch näher unten Kapitel E. I. 2. 44 Vgl. dazu Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 143; Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 159 ff; Busch, Gnmdfragen, S. 116 ff; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 6; Tiedemann, in: Verhandlungen des 49. DJT Bd.l, S. 55; V. Kaiser, Verbandssanktionen, S. 11 ff; kritisch Kojjka, Niederschriften Bd. 1, S. 301.

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B. Verbandskriminalität Wld bestehende Kollektivsanktionen

existiert ein unausweichliches Bedürfnis, Informationen zu speichern, und die verbandsbezogenen Taten unterliegen in der Regel der begrenzten Öffentlichkeit zahlreicher Mitwisser innerhalb des Betriebes 45 Ihr Wert relativiert sich allerdings stark, wenn aufgrund eines vorgefaßten deliktischen Planes gehandelt wird46 oder nachträglich eine einheitliche Verteidigungslinie gefunden wird. In beiden Fällen droht die Organisation hermetisch zu werden oder ausgesuchte Personen "auszuliefern", wenn es nicht gelingt, die womöglich erkaufte oder aus den zum Verbandsgeist ausgeführten Gründen bestehende Solidarität aufzubrechen. Nachdem in der Ledersprayentscheidung des BGH das Abstimmungsverhalten innerhalb eines Geschäftsführergremiums strafrechtlich sanktioniert wurde, liegt es insbesondere nahe, bei kollektiven Entscheidungsprozessen auf namentliche Abstimmungen und eine Niederschrift der Beratung zu verzichten. 47 Es bleibt dann nur die Möglichkeit, sanktionsbewehrte, den Informationsfluß absichernde Organisationspflichten und Dokumentationspflichten zu statuieren, die die Zurechnung und den Tatnachweis sicherstellen. 48 Nicht ausgeschlossen ist damit natürlich die Möglichkeit von "Sitzdirektoren", die für die strafrechtliche Ausfallhaftung bereitgestellt werden. 49 Und es ist auch nicht ausgeschlossen, die vorgeschriebenen Organisations- und Dokumentationspflichten ihrerseits zur Selbstentlastung zu instrumentalisieren oder aber die Überwachungs- und Dokumentationpflichtigen als "Agenten" des Staates uninformiert zu lassen.5° Ganz abgesehen von der Fragwürdigkeit, sekundäre Hilfsnormen zum Zwecke der Strafverfolgung mit Strafe zu bewehren, läßt sich dem Maße nach ohnehin nur eine milde Sanktionierung rechtfertigen, mit all den noch zu erörternden Problemen, die eine solche bei kollektivbezogenem Verhalten nach sich zieht.

45

Vgl. Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 46 f

46

So auch Schünemann, in.: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 272 f

4? Dem ließe sich dann nur noch dadurch begegnen, daß die Teilnahme an einer Abstimmung mit rechtswidrigem Ergebnis unabhängig vom Stimmverhalten anders als bei § 336 StGB strafrechtlich sanktioniert wird. So etwa OLG Stuttgart JR 1981, S. 340 f hinsichtlich eines Redakteurskollektivs. Vgl. im übrigen dazu Neudecker, S. 203 m. Fn. 50, mit umfassenden Nachw. 48

Vgl. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 1941f

49

Vgl. Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 77 f

50 Zu möglichen Kollisionen der Dokumentationspflichten mit dem Verbot des Selbstbelastungszwanges vgl. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 1981f Die dahingehenden Bedenken nehmen natürlich mit einer Zunahme der primär strafbewehrten Pflichten zu. Jede Ausweitung der Aufsichtspflichten wird im Verhältnis zur sekundären Pflicht, strafbare Sachverhalte zu dokumentieren, das Problem verschärfen.

I. Relativierung personaler Verantwortung im Kollektiv

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Ein Beweisproblem eigener Art ergibt sich aus der arbeitsteiligen Vermittlung über das Handeln anderer, deren hypothetisches Verhalten nur schwer mit einiger Zuverlässigkeit zu bestimmen ist. 51 Namentlich fur die Unterlassungshaftung (Aufsichtspflichtverletzungen, Auswahlverschulden, unterlassene Informationsweitergabe, Produktrückruf) bzw. allgemeiner das Organisationsverschulden, aber auch fur das fahrlässige Begehungsdelikt ist es allerdings erforderlich, nachzuweisen, daß die gebotene bzw. sorgfaltsgemäße Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte. Will man nicht auf die umstrittene52 und vom BGH zumindest nomine11 53 abgelehnte Risikoerhöhungs- bzw. -minderungslehre ausweichen, bleibt es bei der strafrechtsüblichen Verteilung des Aufklärungsrisikos. Analoge Probleme ergeben sich durch die Unsicherheit und Wandelbarkeit des naturwissenschaftlich-technischen Erfahrungswissens. Das gilt besonders in den Bereichen der Umwelt- und Produkthaftung, die gekennzeichnet sind durch komplexe Wirkungsketten. Die konkrete Bildung von Pflichten und die Gewichtung der Ursachen bedürfen dann einer Vielzahl von (sachverständigen) Informationen.54 Die strafrechtliche Verteilung der Beweislast und die Grenzen der Informationserhebung, insbesondere das Verbot des Selbstbelastungszwanges, sperren sich gegen die Vorstellung einer Steuerung des Kollektivs durch Individualstrafen. Ist diese aber intendiert, erwächst die Befurchtung, es könnte versucht werden, das Informationsmonopol oder zumindest den Informationsvorsprung der in der Regel hochwertig juristisch beratenen Organisation und ihrer Mitglieder durch eine Korrumpierung von Grundsätzen des formellen und materiellen Strafrechts oder doch zumindest durch eine dysfunktionale Ausdehnung des Individualstrafrechts zu unterlaufen. 55 Materiellrechtlich schlägt sich das nieder in der zunehmenden Entkoppelung der Stratbarkeitsvoraussetzungen von konkreten Verletzungserfolgen. Das ist einmal möglich durch die veränderte Beziehung zum Erfolg, etwa objektiv durch die zum Teil gesetzlich

5 1 Vgl. dazuRansiek, Untemehmensstrafrecht, S. 16 ff. 52 Zum Streitstand vgl. Schönke/Schröder-Cramer, § 15 Rn. 173, u. Schönke/ Schröder-Stree, § 13 Rn. 61 ; zur Kritik vgl. Jakobs, AT 29/101 ff. u. 29/20. 53 Zum Unterlassen vgl. etwa die Ledersprayentscheidung BGHSt 37, 106, 127 f m. w. N.; zum fahrlässigen Begehungsdelikt s. BGHSt 11, 1 ff. Daß dieses der Sache nach in der Ledersprayentscheidung durchgehalten ist, wird allerdings zu Recht bezweifelt (vgl. NK-Seelmann, § 13 Rn. 61 a). 54 Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 16.

55 Vgl. zum folgenden Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 185 ff. , und Heine, JZ 1995, S. 651 ff.

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B. Verbandsknminalität und bestehende Kollekttvsankt10nen

verankerte56 , zum Ted de facto praktlzterte57 und zum Ted allgemem de lege lata oder de lege ferenda geforderte R.tsikoerhöhungslehre. Vom Nachweis der subjektiven Beziehung entlastet dte Zunahme der Fahrlässigkettshaftung. Ein weiterer Weg Ist die tatbestandhebe Vorverlagerung der Strafbarkeit durch abstrakte Gefahrdungsdehkte oder Delikte, deren "Erfolg" für steh genommen mcht notwendig eine Gefahr mehr zum Ausdruck bringt (z.B § 324 StGB). Oder aber es wird eine unmittelbare Beweislastumkehr vorgenommen, wie es die Vermögensstrafe (§ 43 a StGB) und der erweiterte Verfall (§ 73 d StGB) vorsehen. Zwar gtlt dieses nur für den Bereich der organtsterten Krimmalität, aber die vergleichbare Problemlage emer Orgamsation produziert analoge Forderungen 58 Die Menge und Komplexität der zu verarbeitenden Informationen und die übrigen Beweisschwiengkeiten drohen die strafprozessualen Formen zu überfordern. Als deformterende Folge wird die Etablierung von Absprachen im Strafprozeß gesehen59, die es insbesondere erlaubt, die angestrebte "sachnahe", d. h. zweckmäßige Kollektivsteuerung durch Einstellungsauflagen ms Ermittlungsverfahren zu verlagern. 60 Angesichts der Beweisprobleme verwundert es daher mcht, daß auch für das Umweltstrafrecht vorgeschlagen wird, die InformatiOnshoheit des Unternehmens durch die Anwendung der derzeit noch auf terronsttsche Straftaten und Taten tm Zusammenhang mit knminellen OrganisatiOnen beschränkten61 Kronzeugenregelung zu durchbrechen. 56 So seit dem 1.1 1.1994 bei der Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG. Bereits zuvor war die konkret durch die Aufsicht zu verhindernde Tat als objektive Strafbarkeitsbedingung gefaßt. Allerdmgs war immer noch etforderhch, daß die gebotene Aufsteht die Tat des Untergebenen verhmdert hätte. Mtt dem 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umwe1tknmmahtät (BGBL I, S. 1440, I444) retcht es nun aus, daß die Tat durch die gehörige Aufsicht wesentlich erschwert worden wäre.

57 Vgl. dte Einschätzung der Ledersprayentscheidung bei NK-Seelmann, § 13 Rn. 61 a. 58 Vgl. nur Heine, JZ 1995, der die einheitliche Aufgabe der Steuerung von Kollektiven formuliert. Treffend formuliert Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 216: "Stichwort 1st organisiert und nicht Kriminalität" 59

Vgl. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 225 ff

60 Vgl. Heine, ZUR I995, S. 69 f

6l Vgl. Art. I u. 5 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Ernführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten in der Fassung vom 28. 11 I994. Zu denken wäre dann auch an einen erweiterten Ernsatzbereich verdeckter Ermittler (§ 110 a StPO) oder technischer Abhörmittel (§ 100 c Abs. I Nr 2 StPO) Vgl. dazu Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 218 ff

I. Relativienmg personaler Verantwortlmg im Kollektiv

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Beide Faktoren, Verbandsgeist und Organisation, lassen nach vielfach vertretener Ansicht nicht die eher zufällig62 verantwortlich gemachten Individuen, sondern die soziale Ganzheit des Verbandes als primären Normadressaten zum eigentlichen Täter werden - jedenfalls sofern nicht durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen, Aufsichts- und Kontrollmechanismen, und die Ausbildung einer verbrechensresistenten Verbandskultur gegengesteuert wird. 63 Die Steuerung des Verbandsgeschehens über die angedrohte oder vollzogene Individualstrafe kann dazu nur einen geringen Beitrag leisten, wenn bereits das Risiko eines Tatnachweises und die Möglichkeiten der Schadenszurechnung an einen einzelnen begrenzt sind. Aber selbst wenn man dieses außer acht läßt, wird der Individualstrafe nicht die nötige Eindruckskraft oder präventive Effizienz zugetraut, innerverbandliehe Anerkennung und Pression zu überwinden. 64 Das Individuum sehe sich dort nicht getroffen, wo es die Ebene individueller Interessen verlassen habe. 65 Dieses gilt um so eher, als der Verband das Mitglied zum Risiko ermutigt durch Risikopauschalen im Vorwege, kompensierende Sondervergünstigungen im Falle der strafrechtlichen Verurteilung und Übernahme der Verfahrenskosten oder gar die Freistellung von der Strafe selbst. 66 Das finanzielle Opfer des Verbandes ist dann unter Umständen unverhältnismäßig gering im Vergleich zu den mit Verbandsmitteln verursachten Schäden einerseits, zu den durch die Straftat dem Verband zugeflossenen Vorteilen andererseits, da die Geldstrafe nach den Vermögensverhältnissen des Täters bemessen werden muß (§ 40 StGB). Auch eine Freiheitsstrafe für den Individualtäter entspreche häufig nicht dem Schuldvorwurf, zumal aus einer nur abgeleiteten und in den Leitungspositionen ganz abstrakten Pflichtenstellung; auch sei sie nach ihrer VerbüBung kompensierbar und ohnehin sei bei der üblicherweise anzunehmenden Integration des Täters mit einer Reststrafenaussetzung zu rechnen.67 Auch dieses schwäche die

62 Vgl. zum Umweltstrafrecht See/mann, NJW 1990, S. 1260. 63 S. dazu zunächst nur Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 156 ff. 64 Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 127 f ; Busch, Gnmdfragen, S. 102; Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 161 ff. ; Rotberg, Für Strafe gegen Verbände, S. 220 ff.; Schünemann, in.: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 277 f 65 Busch, Gnmdfragen, S. 103; a. A. insbesondere Engisch, Verhandhmgen des 40. DJT Bd. 2, S. E. 34; Lang-Hinrichsen, Fs. Mayer, S. 67. 66 Vgl. Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 161 f; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 141 f; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S.128; Marxen, JZ 1988, S. 289. Vgl. dazu noch ausfUhrlieh unten Kap. E. II. 1.

67 Vgl. Marxen, JZ 1988, S. 290. 3 v. Freier

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

präventive Eindruckskraft der Strafandrohung68, die zudem konterkariert werde, wenn der Verband gezielt Strohmänner als "Sitzdirektor" vorschiebe. 69 Schließlich nehmen die Üblichkeil des Verstoßes und die soziale Integration des Täters der Strafe unter Umständen die statusmindernde Wirkung. 70 Das Abprallen der Individualsanktion am Täter offenbart darüberhinaus, daß mit ihr anscheinend der eigentliche Urheber der beschriebenen Form von Kriminalität gar nicht erreicht wird. Die Vorteile des Verbandes aus der Straftat bleiben durch die Individualsanktion unberührt, das bestrafte Mitglied wird schadlos gehalten oder angesichts der weitgehenden Austauschbarkeil Einzelner im Verbandsgefüge als Bauernopfer mißbraucht, die Verantwortung auf ihn abgewälzt, ohne daß Anlaß bestünde, Verbandsorganisation oder Attitüde einer nachhaltigen Veränderung zu unterziehen.71 Aus Unternehmensperspektive sei die Aufopferung des Einzelnen im bitanzieHen Kalkül Pendant zu dessen vollständiger Eingliederung.72 Nur Maßnahmen gegen den Verband selbst wird zugetraut, eine hinreichende Binnenkontrolle (Organisation) und kollektive Normkorrektur zu induzieren, die Deliktsbegehung für den Verband unattraktiv zu machen und dem deliktischen Mitgliedshandeln mittelbar die verbandsbezogene Legitimation zu entziehen. Zugleich wird so dem von der Wirklichkeitsbeschreibung unabhängigen und ihr erst das eigentliche Gewicht verleihenden normativen Anliegen Rechnung getragen, Normadressatenschaft und Sanktion, Vorteile und Nachteile der Teilnahme am Rechtsverkehr zusammenzuführen. Damit soll den Verbänden ein Privileg gegenüber der natürlichen Person entzogen werden. So wird dann die eigentlich "schuldige" Einheit als Ganze getroffen, eine unter den spezifischen Bedingungen kollektiven Handeins ungerecht erscheinende Inanspruchnahme Einzelner verhindert und ein deformierender Zurechnungsdruck vom Individualstrafrecht genommen.

68 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 162; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 141; Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 58 f ; Busch, Gnmdfragen, S. 108.

69 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 8; Rotberg, Für Strafe gegen Verbände, S. 220; Heine, Strafrechliehe Verantwortlichkeit, S. 77 f 70 Vgl. Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 271. 71 Vgl. Hirsch, Straffiihigkeit, S. 5; Tiedemann , in Verhandlungen des 49. DJT Bd. 1, S 55; Marxen, JZ 1988, S. 290 : "Rädchen sind austauschbar" . 72 Vgl. Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 279.

li. Nicht repressive Sanktionen

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ß. Nicht repressive Sanktionen: Sanktionslücken und Übergänge zur Strafe Als Maßnahmen gegen den Verband kommen zunächst nicht repressive Eingriffe in Betracht, die, allerdings nur auf den ersten Blick, unverdächtig sind, mit der Verbandsstrafe identifiziert zu werden.

l. Maßnahmen ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehr

Auch dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium werden gravierende Steuerungsdefizite attestiert. Die Bedenken gehen zum einen dahin, daß eine effiziente Aufsicht von staatlicher Seite nicht gewährleistet werden kann angesichts des Informations- und Ressourcenvorsprunges der Unternehmen sowie der damit verbundenen Umgehungsmöglichkeiten. Hinzugefügt wird, daß dem Staat dieses auch gar nicht ermöglicht werden solle angesichts der Verteilung des Investitionsrisikos. Zudem wirken ordnungsrechtliche Eingriffe nur ex nunc, lassen also eine abschreckende Einwirkung vermissen. Schließlich bleiben sie abhängig von wirtschaftspolitischen Einflüssen und lokalen Gegebenheiten. Andererseits gehen die Befürchtungen dahin, daß ein verschärfter Einsatz des Ordungsrechts unverhältnismäßig in die Organisationsfreiheit der Unternehmen eingreifen würde. Gerade die schärfsten ordnungrechtlichen Instrumentarien setzen schwerwiegende Gefahrsachverhalte voraus, was nach Ansicht der Verbandsstrafenbefürworter auch für die Vorschläge de lege ferenda gilt, wie etwa organisatorische Eingriffe, Tätigkeitsbeschränkungen oder die Unterstellung unter vorübergehende staatliche Aufsicht. Das wird etwa deutlich an der Möglichkeit der Verbandsbeendigung durch den Staat. Erforderlich ist hierfür die Gefahrdung des Gemeinwohls durch das gesetzwidrige Verhalten des Verwaltungsorgans, ohne daß Aufsichtsorgane oder Willensbildungsorgane für die Abberufung des Verwaltungsorgans sorgen (§ 396 AktG) oder durch gesetzeswidrige Gesellschafterbeschlüsse oder die wissentliche Duldung gesetzeswidriger Handlungen des Vertretungsorgans (§ 62 GmbHG), oder durch gesetzeswidrige Handlungen oder Unterlassungen des Verbandes selbst(§ 81 GenG). Gesetzeswidriges Verhalten ist dabei nicht auf den Verstoß gegen Strafgesetze beschränkt. Wie ein Auflösungsbeschluß wirkt gern. § 38 Abs. I S. 2 KWG die vom Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen angeordnete Abwicklung einer juristischen Person, die mit der Aufhebung der Erlaubnis verbunden werden kann, wobei als Aufhebungsgrund gern. § 35 Abs. 2 Nr. 3 a KWG i. V. m. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KWG die Unzuverlässigkeit bestimmter Personen genannt wird, die wiederum im Ordnungsrecht allgemein durch die Begehung von Straftaten indiziert sein kann. Im Vereins3•

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

recht kann ein Verein gern. § 3 Abs. I VereinsG verboten werden, wenn der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft, wobei dieses bei der Anwendung auf bestimmte wirtschaftiche Formen, deren Auflösung auch an anderer Stelle geregelt ist, gern. § 17 Abs. I VereinsG einen Verstoß gegen Vorschriften des strafrechtlichen Staatsschutzes erfordert. Praktisch unbeachtlich ist neben diesen Möglichkeiten der bloße Entzug der Rechtsfahigkeit gern. § 43 BGB. Im Bereich des Staatsschutzes sind die Verbandsauflösung infolge einer Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG i. V. m. § 39 Abs. 2 BVerfGG) oder eines Parteienverbots (Art. 21 GG i. V. m. § 46 Abs. 3 BVerfGG) zu erwähnen. Angesichts der weitreichenden Folgen einer Verbandsauflösung kommt dieser keine praktische Bedeutung zu. 73 Neben der Auflösung begründet die ordnungsrechtliche Verantwortung der Verbände die Möglichkeit, Adressat von Verfügungen der Gefahrenabwehr zu sein. Im gewerblichen Bereich kommen insbesondere Tätigkeitsbeschränkungen, die Versagung, die Rücknahme oder der Widerrufvon Genehmigungen in Betracht, die u. a. an die durch die Begehung von Straftaten der Vertretungsorgane indizierte Unzuverlässigkeit anknüpfen.74

2. Gewinnabschöpfung und Einziehung

Mehrere Vorschriften eröffnen die Möglichkeit, auch beim Verband die durch eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit erlangten Vorteile abzuschöpfen (§ 73 Abs. 3 StGB, §§ 8,10 WiStG 1954, § 29 a OWiG). Die Abfiihrung des Mehrerlöses (§§ 8, 10 WiStG 1954) knüpft an bestimmte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten des WiStG 1954 an; auf eine schuldhafte Begehung kommt es nicht an (§ 8 Abs. I WiStG). Der gegebenenfalls durch eine Schätzung zu ermittelnde Mehrerlös (§ 8 Abs. 3 WiStG) kann bei einer "in einem Betrieb" begangenen Tat selbständig beim Inhaber des Betriebes, auch gegen eine juristische Person oder Personengesellschaft des Handelsrechts, angeordnet werden, wenn dieser der Mehrerlös zugeflossen ist (§ 10 Abs. 2 WiStG). Auf die Stellung des delinquierenden Betriebsangehörigen in der betrieblichen Hierarchie kommt es nicht an. Die Rechtsprechung

73 Vgl. allg. KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 27 f.; zur AG: Kölner KommentarZöllner, § 396 Rn. 2; zur GmbH: Scholz-K. Schmidt, § 62 Rn. l.

74 Vgl. Korle, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortung, S. 20 f. m. Nachw.

ll. Nicht repressive Sanktionen

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hat den Kreis der Adressaten auf die Mitglieder der BGB-Gesellschaft erweitert, sofern ein Gesellschafter verbotswidrig gehandelt hat. 75 Die Mehrerlösabführungverdrängt die Verfallserklärung (§ 8 Abs. 4 WiStG). Der Verfall im StGB (§§ 73-73 e StGB) bezieht sich auf das unmittelbar erlangte Etwas aus einer oder für eine rechtswidrige Tat sowie auf Nutzungen und Surrogate (§ 73 Abs. 1 u. 2 StGB) sowie den Wertersatz (§ 73 a StGB), wobei auch hier der Umfang durch Schätzung ermittelt werden kann (§ 73 b StGB). Die Anordnung richtet sich gegen Dritte, wenn Täter oder Teilnehmer für diese gehandelt haben und diesen dadurch Vermögensvorteile erwachsen sind (§ 73 Abs. 3 StGB). Dritter kann auch eine juristische Person oder Personenvereinigung sein. 76 Ausreichend ist, daß der Täter den Verband bereichert und dieses im Interesse des Verbandes gewollt hat. 77 Weiterhin kommt es auch nicht auf die Stellung des Täters im Verband an.78 Schließlich enthalten die Verfallsvorschriften keine Aufzählung der in Betracht kommenden Verbände. Die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Verband verdrängt den Verfall (§ 30 Abs. 5 OWiG). Auch das Ordnungswidrigkeitenrecht enthält eine Verfallsvorschrift (§ 29 a OWiG) mit entsprechender Drittklausel (§ 29 a Abs. 2 OWiG), richtet sich aber immer nur auf den Wert des Erlangten (§ 29 a Abs. 1 OWiG). Möglich ist auch die isolierte Anordnung des Verfalls, wenn ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder eingestellt wird (§ 29 a Abs. 4 OWiG) bzw. wenn aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person wegen einer Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann oder aber das Gericht oder die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen(§ 76 a Abs. 1 und 3 StGB). Die Verfallserklärung stellt nach bisher überwiegender Ansicht keine Strafe dar, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter.79 Allerdings wird das Erlangte nun80 nicht mehr durch den Begriff des "Vermögensvorteils" sondern durch die Formulierung "etwas" umschrieben. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neufassung im Rahmen der Änderung des AWG das Ziel verfolgt, das Bruttoprinzip zur Bemessungsgrundlage zu ma-

75 Vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 12m. Nachw. 76 Schönke/Schröder-Eser, § 73

Rn. 34 f.

Rn. 9; enger Schönke/Schröder-Eser § 73 Rn. 34 Rn. 37, der verlangt, daß der Täter im Einflußbereich des Vertretenen steht. 77 Laclcner, § 73

78 Schönke/Schröder-Eser, § 73 Rn. 36. 79 Schönke/Schröder-Eser, Vorbem § 73 Rn. 18: "quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme". 80 Seit dem am 7.3. 1992 in kraftgetretenen AWG/StGBÄndG (BGBl. I, S. 372).

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B. Verbandskriminalität wtd bestehende Kollektivsanktionen

eben, so daß danach Aufwendungen nicht mehr anrechnungsfähig sind.81 Damit geht der Verfall über in eine strafähnliche Maßnahme. 82 Selbst wenn man für den Überschuß über den Nettogewinn eine schuldhafte Beziehung verlangt83, ist auch die Begründung einer derart erweiterten Verfallsregelung gegenüber Verbänden von der Legitimation der Verbandsstrafe abhängig. Die Gewinnabschöpfungsmaßnahmen betreffen die Verbandskriminalität im übrigen nur hinsichtlich solcher Delikte, die einen deliktisch erlangten Vorteil voraussetzen, also nicht bei reinen Schädigungsdelikten. 84 Ihre Reichweite ist überdies begrenzt, indem mittelbare Vorteile nur als Nutzungen oder Surrogate erfaßt werden, vermitteltere Erträge aus dem Erlangten dagegen ausgespart sind, weil sie nicht hinreichend getrennt werden können von den Ergebnissen für sich genommen legaler Bemühung. 85 Schließlich kann selbst bei Bereicherungsdelikten die gesuchte Abschreckungswirkung hier nicht gefunden werden, da nur, sieht man einmal vom problematischen Übergang zum Bruttoprinzips ab, eine Wiederherstellung des status quo ante erfolgt, das Delikt insofern also risikolos bleibt. 86 Auch die Einziehungsvorschriften der§§ 74 ff. StGB, §§ 22 ff. OWiG sehen Sanktionen gegen den Verband selbst vor(§ 75 StGB, § 29 OWiG). Durch die Einziehung geht das Recht an solchen Gegenständen auf den Staat über (§ 74 e StGB), die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (§ 74 Abs. I StGB). Während die sichernde Einziehung gemeingefährlicher Gegenstände gegenüber jedermann erfolgen kann(§ 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB), ist die Einziehung von Gegenständen, die dem Täter oder dem Teilnehmer gehören oder zustehen, auch ohne eine solche Gefahr möglich und damit eine strafähnliche Vermögenssanktion, die somit eine schuldhafte Tat voraussetzt

81 Vgl. BT-Dr 12/ 1134, S. 12.

82 Dreher/Jröndle, § 73 Anm. 1 c. Zutreffend weist Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 122 f, daraufhin, daß wtter Anwendwtg des Bruttoprinzips die venallsmindemde Berücksichtigung der Ansprüche von Verletzten (§ 73 Abs. 1 S. 2 StGB) unerklärlich ist wtd daß weiterhin das Bruttoprinzip bei ersparten AufWendwtgen ins Leere geht. 83 So Lackner, § 73 Rn. 4 b. 84 Wobei zu beachten ist, daß auch rein rechnerische Gewinne wtd ersparte Auf-

wendwtgen über §§ 73, 73 a StGB abgeschöpft werden können (Schönke/SchröderEser, § 73 Rn. 21, § 73 a Rn. 4).

85 Günterl, Gewinnabschöpfimg, S. 49. 86 Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 161 f

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II. Nicht repressive Sanktionen

(§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB). 87 Das gilt auch fiir die Einziehungsmöglichkeit des § 74 a StGB, unter dessen besonderen Voraussetzungen die täterbezogene Einziehung auch denjenigen treffen kann, der zwar nicht Täter oder Teilnehmer ist, aber leichtfertig dazu beigetragen hat, daß die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung gewesen ist, oder der die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat. Die Vorschrift des§ 15 StGB erweitert den Adressatenkreis der Einziehung auf Verbände, indem die im Einziehungstatbestand genannten Handlungen und Merkmale eines Verbandsvertreters dem Verband zugerechnet werden. Erfaßt werden neben dem Handeln als Organ einer juristischen Person, als Vorstand des nicht rechtsfähigen Vereins, vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft nach vielfacher Kritik88 seit 1994 auch bestimmte gewillkürte Vertreter der genannten Verbände in hervorgehobener Stellung89 . Die Regelung des Ordnungswidrigkeitenrechts folgt im wesentlichen derjenigen des StGB. Auch die Einziehung kann selbständig angeordnet werden (§ 27 OWiG, § 76 a StGB); die Voraussetzungen entsprechen im wesentlichen denjenigen der selbständigen Verfallsanordnung im StGB mit einer Erweiterung im Bereich der sichernden Einziehung (§ 76 a Abs. 2 StGB; § 27 Abs. 2 OWiG). Während fiir eine rein vom Sicherungszweck her erklärbare Einziehung gern. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB diese Zurechnung keinerlei Schwierigkeiten bereitet, ist sie im Falle der täterbezogenen Einziehung nach §§ 74 Abs. 2 Nr. 1, 74 a StGB in ihrer dogmatischen Rechtfertigung abhängig von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände. 9 Folgerichtig stellt sie aus Sicht der Verbandsstrafenbefiirworter einen Beleg fiir eine dogmatisch mögliche und "kriminalpolitisch" notwendige Rechtsentwicklung dar9 1.

°

Sowohl die Einziehung als auch der Verfall auf der Grundlage des Bruttoprinzipsgehen in Teilbereichen über in eine strafartige Sanktionierung92 und 87 Vgl.

nur Lackner, § 74 Rn. 1 m. w. N.

88 Nachw.

bei Göhler, OWiG, vor § 29 a Rn 17.

Art. 1 Nr. 1 des am 1.11.94 in Kraft getretenen 2. Gesetzes zur Bekämpfimg der Umweltkriminalität (BGBI I, S. 1140); vgl. dazuMöhrenschläger, NStZ 1994, S. 569. 89

90 Kritisch daher Schönke/Schröder-Eser, § 75 Rn. 1. Vgl. bereits die Kritik bei Gallas, Niederschriften Bd. 4, S. 334 f (anders allerdings ders. , ebd., S. 337).

91 Vgl. nur Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 112 f 92 Eine strafähnliche Sanktion auch gegenüber Verbänden enthält § 890 ZPO, wonach ein Schuldner, der eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht verletzt, u. a. zu einem Ordnungsgeld verurteilt werden kann.

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

setzen in ihrer Erstreckung auf Verbände deren strafrechtliche Verantwortlichkeit voraus oder aber sie werden dem angemeldeten Sanktionsbedarf nicht gerecht.

m. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) Verbandsstrafen gibt es im deutschen Strafrecht nicht mehr, nachdem besatzungsrechtliche Strafandrohungen im Bereich des Devisen- und Kartellrechts93 entfallen sind. Auch die bereits zuvor praktisch bedeutungslose Vorschrift des§ 357 bzw. dann§ 393 RAO wurde aufgehoben. Sie sah eine Geldstrafe gegen den Verband bei bestimmten Steuerdelikten vor, die ein Verschulden des Täters nicht voraussetzten. 94 Die maßgebliche Verbandssanktion des deutschen Rechts stellt daher die Verbandsgeldbuße gern. § 30 OWiG dar, die eine unübersehbare Vielzahl von durchaus uneinheitlichen Bebußungsmöglichkeiten durch eine einheitliche und abschließende Regelung ersetzt hat. 95 Sie vermeidet die Risikolosigkeit des Gesetzesverstoßes ebenso, wie sie eine umfassende Gewinnabschöfpung ermöglicht. Ihr kommt in der Verbandsstrafendiskussion eine entscheidende Bedeutung zu. Zunächst enthält sie das Modell einer repressiven Sanktionierung aufgrund einer § 31 BGB entsprechenden Zurechnung eines fehlerhaften Organverhaltens, welches auch für eine strafrechtliche Verbandssanktion attraktiv erscheint. § 30 OWiG ermöglicht die Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften. Voraussetzung hierfür ist die Straftat oder Ordnungswidrigkeit einer Person mit Leitungsfunktion in Ausübung ihrer Tätigkeit, durch die Pflichten, welche die überindividuelle Einheit treffen, verletzt worden sind (§ 30 Abs. 1 1. Var. OWiG) oder durch die selbige bereichtert wurde oder zumindest werden sollte (§ 30 Abs. 1 2. Var. OWiG).

93 Vgl. Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 57 ff., 70 ff; zu einer diesbezüglich ergangenen Grundsatzentscheidung des BGH (St 5, 28 ff.) siehe aber noch unten Kap. C. Il. 2. 94 Vgl. ebd. S. 50 ff., Heinitz, Verhandlungen des 40. DIT Bd. 1, S. 73 f 95 Übersicht über vorhergehende Regelungen bei Müller, Stellung der juristischen Person, S. 31 f m. Fn. 19; vgl. auchBrender, Verbandstäterschaft, S. 74ff.

ill. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)

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Damit erfaßt § 30 OWiG nicht alle Unternehmensträger. Insbesondere sind die Gesellschaft bürgerlichen Rechts 96 und der Einzelkaufmann ausgeschlossen. Nach überwiegender Meinung soll dagegen der Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und der GmbH & Co KG keinerlei Hindernis entgegenstehen. 9 7 Seit 1994 ist der Kreis der haftungsauslösenden Personen erweitert. 98 Gehaftet wird nicht mehr nur für vertretungsberechtigte99 Organe bzw. Organ96 Zur einhelligen Kritik vgl. Müller, S. 55 ff.; K. Schmidt, wistra 1990, S. 134; KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 45 tf. Im wesentlichen wird darauf hingewiesen, daß auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Unternehmensträgerin agieren könne, als solche im Zivilrecht der Deliktshaftung des § 31 BGB unterworfen werde und zum Teil bereits als Trägerin eines Sondervermögens und damit als teilrechtsfähig angesehen werde. Zudem produziere ihre Ausklammerung Zufallsergebnisse vor der Eintragung bzw. ohne Eintragung in das Handelsregister, je nach dem, ob das betriebene Gewerbe unter § 1 HGB falle oder nicht. 97 Zur Haftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts vgl. eingehend Müller, Stellung der juristischen Person, S. 51 ff. Dem entscheidenden Einwand einer Konfusion von Inhaberschaft und Adressatenschaft des Strafanspruches und einer Störung der öffentlichen Kompetenzordnung (vgl. insb. Pohl-Sichtermann, Geldbuße gegen Verbände, S. 72 f) wird dabei die Ausdifferenzierung in eine Vielzahl rechtlich subjektivierter Einheiten entgegengehalten, deren jeweilige Hoheitsaufgaben durch den Erlaß eines Bußgeldbescheids nicht beeinträchtig würden. Weiterhin wird auf den ganz entsprechenden Sanktionsbedarf hingewiesen, zumal § 30 OWiG unstreitig Anwendung finde auf die Erfiillung öffentlicher Aufgaben in privatrechtliehen Organisationsforrnen. Zudem erstrecke § 98 GWB den Anwendungsbereich des Kartellrechts auf öffentliche Unternehmen. Hinsichtlich der GmbH & Co KG ist problematisch, daß die GmbH selbst als vertretungsberechtigter Gesellschafter nicht deliktsfähig ist und so auf ihre Organe abgestellt werden muß. So verfahren denn auch Rechtsprechung und die ganz herrschende Meinung (vgl. nur KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 75). Umstritten ist allerdings die Haftung der Vorgesellschaften von juristischen Personen. Zwar sind sie sachlich als Verband identisch mit dem Rechtsträger nach der Eintragung und unterliegen demselben Organisationsrecht, so daß ihre Einbeziehung konsequent wäre (so K. Schmidt, wistra 1990, S. 134). Dennoch steht der Wortlaut des § 30 OWiG dem entgegen (vgl. Ransiek, Unternehmensstrafi:echt, S. 113).

98 Art. 2 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27.6.1994, BGBL I, S. 1444. Der Kreis der haftungsauslösenden Personen war schon zuvor weiter gefaßt in§§ 59 KWG, 39 HypBG,40 SchiffsBKG. Eine Erweiterung ergab sich auch durch die Einbeziehung der besonderen Vertreter im Sinne des§ 30 BGB in Entsprechung zur zivilrechtliehen Haftung in den Kreis der "vertretungsberechtigten" Organe durch die Rechtsprechung (vgl. BGHwistra 1989, S. 144).

99 Dabei ist die "Vertretungsberechtigung" nicht im Sinne rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht sondern untechnisch als Geschäftsfiihrung nach innen und außen zu verstehen (Göhler, OWiG, § 30 Rn. 13) und dient so nur der Abgrenzung zu anderen Organen (Müller, Stellung der juristischen Person, S. 61).

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B. Verbandskriminalität 1Dld bestehende Kollektivsanktionen

mitglieder von juristischen Personen, den Vorstand eines nichtrechtsfähigen Vereins oder vertretungsberechtigte Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften, sondern auch fur die Taten von Generalbevollmächtigten und Prokuristen sowie Handlungsbevollmächtigten in leitender Stellung. Die Gesetzesverletzung muß dabei in einem inneren funktionalen Zusammenhang mit der Verbandstätigkeit stehen, darf mithin nicht nur bei Gelegenheit als reine Privatangelegenheit bzw. im ausschließlichen Eigeninteresse verübt werden. 100 Soweit es auf die Verletzung von Pflichten der juristischen Person ankommt, sind alle betriebsbezogenen Pflichten erfaßt, also nicht nur die Verstöße gegen Sonderpflichten des Unternehmensträgers. 101 Trotz der jüngsten Erweiterung des Kreises haftungsauslösender Personen bleibt deren Kreis nach "unten" hin prinzipiell beschränkt. Von besonderer praktischer Bedeutung ist daher als Anknüpfungstat die Verletzung der Aufsichtspflicht gern. § 130 OWiG. Das Unterlassungsdelikt des § 130 OWiG sanktioniert den Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens bzw. den Vertreter (§ 9 OWiG), der vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterläßt, die erforderlich sind, um dort Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird und durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Damit ist die verbandsbelastende Zuwiderhandlung der Leitungsebene mittelbar auf die unteren Hierarchieebenen und dort verübte Zuwiderhandlungen erstreckt. Daß diese Verbindung regelmäßig gewährleistet ist, wird dadurch sichergestellt, daß die durch die Aufsicht zu verhindernde Zuwiderhandlung nur als objektive Strafbarkeilsbedingung konstruiert ist, daß es auf den Nachweis der hypothetischen Ursächlichkeil nicht ankommt, und daß die Pflichten im Bereich der maßgeblichen Fahrlässigkeitshaftung extrem weit ausgedehnt werden102. § 130 OWiG ist damit nicht nur ein probater Ersatz fur die schwierig zu begründende Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB. 103 Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, daß der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung eigentlich nur dazu dient, die Verbandshaftung zu ermöglichen.104 100 KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 99, 109 ff. 101 Göhler, OWiG, § 30 Rn. 20 ff.; KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 89, 93 ff. 102 Zu letzterem vgl. nur Hermanns!Kleier, Grenzen der Aufsichtspflicht, mit zahlreichen Beispielen. 103 Vgl. Schünemann, Untemehmenskriminalität, S. 111. 104 Hermanns!Kleier, Grenzen der Aufsichtspflicht, S. 66 f; Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 109m. w. N. Die z. T. heftige Kritik an der Vorschrift des § 130

m. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)

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Dafür spricht auch die Praxis, in der die Individualsanktion zunehmend an Bedeutung verliert 105, also keineswegs die Individualsanktion im Mittelpunkt steht und sich die Verbandssanktion nur als Annex anschließt. Folgerichtig ist daher die alte Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" entfallen.1 6 Beabsichtigt war es, dadurch eine Lockerung des Zusammenhanges von Individualtat bzw. Individualsanktion und Verbandssanktion zum Ausdruck zu bringen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die in einem Zuge mit der genannten Streichung erweiterte Möglichkeit des sog. selbständigen Verfahrens nach§ 30 Abs. 4 OWiG. Danach kann die Verbandsgeldbuße auch dann verhängt werden, wenn ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen Individuen nicht eingeleitet oder eingestellt wird oder von Strafe abgesehen wird und der Verfolgung keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Das kommt der Praxis entgegen, das Individualverfahren einzustellen und nur noch den Verband zu sanktionieren. Zudem umgeht die selbständige Verhängung Beweisprobleme. Notwendig ist nur die Feststellung, daß ein Organ vorwertbar gehandelt hat, die Identität des Täters braucht dagegen nicht festzustehen. Ausreichend ist die sichere Annahme, daß einer von mehreren Organwaltern vor-

°

OWiG moniert letztlich genau die Korrumpierung individualstrafrechtlicher Maßstäbe. Schon die EntkoppelWlg von Aufsichtspflichtverletzung Wld der zu verhindernden Zuwiderhandlung (objektive Bedingmtg der Strafbarkeit, Risikoerhöhungslehre) zu einem rein abstrakten GefährdWlgsdelikt ist bedenklich (vgl. dazu zusammenfassend Rogall, ZStW 98 (1986), S. 590 ff.). Das betrifft den generell gegen oojektive Strafbarkeitsbedingmtgen erhobenen Einwand des Auseinanderfallens von Unrecht Wld Schuld (grundlegend hinsichtlich § 323 a StGB: Kaufmann, JZ 1963, S. 425 ff.). Entweder das Unrecht des § 130 OWiG wird in der schlechten betrieblichen Ordnung erblickt. Dem widerspricht aber, daß auf diesem Weg überhaupt keine konkreten Pflichten bestimmbar sind Wld es der Sache nach um den Schutz der Rechtsgüter gegenüber den durch die gehörige Aufsicht zu hindemden Zuwiderhandlungen geht. Das wird deutlich durch die AnbindWlg des Sanktionsrahmens an diese Zuwiderhandlung in § 130 Abs. 3 OWiG. Oder aber die objektive Bedingmtg ist fiir das Unrecht konstitutiv. Dann aber ist unklar, warum sich nicht die subjektiven Zurechnungsbedingmtgen darauf beziehen müssen. Einen Ausweg bietet insofern nur eine Auslegmtg als konkretes Gefährdungsdelikt (so Rogall, s. o., S. 595 ff.).Kritisiert wird weiterhin, daß die GesetzesfassWlg Wertungswidersprüche impliziert. So haftet der Aufsichtspfl.ichtige auch fiir die fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung hinsichtlich solcher Zuwiderhandlungen, die im Falle der eigenen Verwirklichung eine vorsätzlichen Begehung voraussetzten (Schünemann, Untemehrnenskriminalität, S. 117 f, mit der Konsequenz,§ 130 OWiG sei verfassungswidrig). 105 Vgl. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 49 f; K. Schmidt, wistra 1990, S. 133. 106 Mit dem 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Die h. M. zieht daraus den Schluß, daß die Verbandsgeldbuße nun als selbständige Verbandssanktion zu betrachten sei (vgl. Göhler, OWiG, Vor§ 29 a, Rn. 14m. w. N.).

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B. Verbandskriminalität Wld bestehende Kollektivsanktionen

wertbar gehandelt hat, sofern jeder von ihnen, wäre er Täter, auch vorwertbar gehandelt hätte. 107 Es bleibt damit allerdings bei der Bindung an ein schuldhafies Individualdelikt, wenngleich nicht an eine Sanktionierung von Individuen. Mit § 30 OWiG steht somit ein Modell für repressive Verbandssanktionen zur Verfügung, das sich an der zivilrechtliehen und öffentlich-rechtlichen Zurechnung eines Organverhaltens orientiert. Aber die Schrittmacherfunktion der Verbandsgeldbuße erschöpft sich nicht darin. Vielmehr ist die entscheidende Frage, ob nicht § 30 OWiG bereits die Grenzen des Individualstrafrechts sprengt und nur ein Übergangsphänomen auf dem Weg zu einer vollwertigen Kriminalstrafe gegen Verbände darstellt. Das hängt davon ab, ob das Ordnungswidrigkeitenrecht und seine Sanktionsfolge hinreichend vom Strafrecht unterschieden werden können und insbesondere auch so unterschieden werden können, daß - wie im geltenden Recht - eine Individualstraftat als Anknüpfungstat der Verbandsgeldbuße denkbar ist. Läßt sich ein solcher Unterschied dagegen nicht begründen, muß entweder die dogmatische Begründbarkeit der praktisch dringend benötigten und fest etablierten Verbandsgeldbuße in Frage gestellt werden oder aber die fehlende Kriminalstrafe gegen Verbände als uneinsehbare Halbherzigkeit erscheinen. Darauf ist an anderer Stelle ausführlich zurückzukommen. Ist ein solcher Bruch aber erst einmal konstatiert, lassen sich auch praktische Bedürfnisse geltend machen, die strafrechtlichen Verbandssanktionen aus der Beschränkung auf das Ordnungswidrigkeitenrechts zu befreien. 108 Nur das kriminalstrafrechtliche Legalitätsprinzip verspreche die Überwindung wirtschaftspolitischer Kungelei mit den organisierten Wirtschaftsinteressen unter der Ägide des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Opportunitätsprinzips (vgl. § 47 OWiG). Nur die Sanktionierung in einem von vornherein öffentlichen Strafverfahren treffe die Unternehmen hinreichend in der Pflege ihrer öffentlichen Darstellung. Und nur die Einbeziehung in einen sittlichen Tadel scheint der öffentlichen Erwartung gerecht zu werden und damit geeignet zu sein, das Vertrauen in die kapitalistisch-marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung zu stärken. So verspricht die Strafe eine intensivere Abschreckung als die Verbandsgeldbuße.

107 Vgl. Göhler, OWiG, § 30 Rn. 40; KK-OWiG-Cramer, § 30 Rn. 156 f Die Beweisvorteile betreffen allerdings nur Fälle der Wlbewußten Fahrlässigkeit (vgl. Ransiek, Untemehmensstrafrecht, S. 120). 108 Vgl. zusammenfassend Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 1711f.; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 195; Abg. Hirsch in den Protokollen des Sonderausschusses Strafrechtsreform, 4. Wahlperiode, 23. Sitzung, S. 406.

IV. Untemehmensbebußm1g im Recht der EG

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Das Modell der Organzurechnung beläßt dann allerdings noch Sanktionsdefizite, indem es in der Regel auf individualisierbares Fehlverhalten nach wie vor ankommt, ein solches also grundsätzlich bewiesen werden muß, indem es sich um ein Fehlverhalten auf der Leitungsebene handeln muß und schließlich indem nicht alle Unternehmensträgererfaßt werden. All diese Defizite vermeidet die alleinige Unternehmensträgerhaftung des EG-Wettbewerbsrechts.

IV. Die Untemehmensbebußung im Recht der Europäischen Gemeinschaften

Hinsichtlich der Sanktionierung von Unternehmen und Verbänden ist das Recht der Europäischen Gemeinschaften in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens hat sich in Form der EG-Geldbuße gegen Unternehmen eine von rechtlichen Organisationsformen und ihrer Handlungsordnung entkoppeltes Modell der Unternehmenssanktionierung entwickelt. Zweitens wird sie zunehmend flankiert von anderen repressiven Verwaltungssanktionen auch gegen Verbände und juristische Personen. Drittens ist zu erwägen, ob sich dem Gemeinschaftsrecht entweder primärrechtliche Pflichten zur Verbandsbestrafung durch die nationalen Rechtsordnungen oder aber Befugnisse und Möglichkeiten der Harmonisierung ergeben könnten. Ganz ungeachtet rechtlicher Bindungswirkungen hat die EG-Geldbuße gegen Unternehmen seit jeher einen Konvergenzdruck auf nationale Rechtsordnungen ausgeübt. 109 Das Recht der Europäischen Gemeinschaften eröffnet sowohl in Normen des Primär- als auch des Sekundärrechts der Kommission der Europäischen Gemeinschaften verschiedene Möglichkeiten, Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu sanktionieren. Im Vordergrund steht die Ahndung von materiellen Wettbewerbsverstößen und formellen Zuwiderhandlungen gegen Verfahrensvorschriften des Kartellrechts, insbesondere Auskunftspflichten, durch Auferlegung von Geldbußen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl110 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 111. Die Rechtsnatur dieser Geldbußen ist umstritten.112 Ihre dogmati109 Vgl. etwa zur Einführung einer einheitlichen Verbandsgeldbuße die Begriindm1g zwn RegieflUlgsentwurf des OWiG BT-Dr. V/1269, S. 58. Vgl. auch KK-OWiG-Camer § 30 Rn. 16. 110 Art. 47 Abs. 3, Art. 54 Abs. 6, Art. 58 § 4, Art. 59 § 7, Art. 64, Art. 65 § 5, Art. 66 § 6, Art. 68 § 6 EGKSV, wobei einige Sanktionen durch ihre Höchstgrenze eher dem Verfall ähneln (vgl. Art. 54 Abs. 6m1d Art. 58§ 4). 111 Der EGV enthält neben neben den materiellen Kartellrechtstatbeständen auch eine Ermächtigung zwn Erlaß bußgeldbewehrter Verordnm1gen. Hervorzuheben ist in-

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

sehe Rechtfertigung wird somit um nichts leichter, wenn überwiegend festgestellt wird, die EG-Geldbuße entspreche in etwa der Geldbuße des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts 113 . Auf der suprantionalen Ebene kompliziert sich die Lage zwar durch die unklare politisch-staatliche Verfaßtheit der Europäischen Gemeinschaften. Es herrscht weitgehende Übereinstimmung, daß den Gemeinschaften angesichts fehlender Souveränitätsverzichte oder zumindest wegen der fehlenden demokratischen Legitimation keine eigene Kriminalstrafgewalt zukommt 114, so daß einige Verordnungen zu Art. 87 EGV ausdrücklich betonen, daß die in ihnen normierten Bußgelder nicht strafrechtlicher Art seien 115 . Probleme bereitet die fehlende Kompetenz aber nur, solange es an einer ausdrücklichen Ermächtigung zur Schaffung von Bußgeldtatbeständen fehlt. 116 Im übrigen aber sieht sich das Individualstrafrecht durch die Stellungnahme zur dogmatischen Begründung und Kategorisierung der EG-Geldbuße vor die

soweit Art. 15 VO (EWG) Nr. 17/62 (Abi. EG 1962 Nr. 13, S. 204) ,dem zahlreiche Bußgeldvorschriften in anderen Verordnungen (Überblick bei Poche, Schutz der finanziellen Interessen, S. 250) nachgebildet sind, so insb. auch Art. 14 VO (EWG) Nr. 4064/89 (ABI. EG 1989 Nr. L 395, S. 1, berichtigt im Abi. EG 1990 Nr. L 257, S. 13). 112 Vgl. nur Pache, Schutz der fmanziellen Interessen, S. 253 ff. ; Tiedemann, Fs. Jescheck, S. 1414 f[ m. w. N. ; bereits früher Krajewski, Geldbußen und Zwangsgelder im Recht der EG, S. 59 ff. 1l3 Zu dieser Einschätzung der h. M. vgl. nur Dannecker, Strafrecht der EG, S. 41 m. Fn. 143, S. 84 m. Fn. 326m. w. N. 11 4 Siehe Tiedemann, NJW 1993, S. 27; Ders., Fs. Jescheck, S. 1415; Dannecker, Strafrecht der EG, S. 26 f , 40 allem. umfassenden Nachw.. Dieser Konsens wird jedoch zunehmend in Frage gestellt. Kritisch etwa Pache, EuR 1993, S. 179 f , der angesichts der Dynamik der EG dem Argument des fehlenden Souveränitätsverzichts keine Bedeutung mehr beimessen will und eher das Demokratiedefizit betont, und ders., Schutz der fmanziellen Interessen, S. 342, der nunmehr nur noch von einer Selbstbeschränkung der Rechtssetzung der E G sprechen mag, aber bei entsprechender Kompetenzzuweisung zum Erlaß aller erforderlichen Vorschriften zur Erreichung eines bestimmten Ziels (namentlich annexhaft der Schutz der eigenen finanziellen Interessen) grundsätzlich von einer Kompetenz auch zum Erlaß strafrechtlicher Normen ausgeht. Zustimmend insoweit Grabit'ZIHilf-Gilsdoif!Booß, Art. 43 Rn. 40 a. 11 5 Siehe etwa Art. 15 Abs.4 VO Nr. 17/62 (ABI. EG 1962 Nr. C 13, S. 204); Art. 14 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 4 064/89 (Abi. EG 1989 Nr. L 395, S. 1 berichtigt Abi. EG 1990 Nr. L 257, S. 13).

11 6 Umstritten ist daher, ob sich eine solche Art. 172 EGV und Art. 40 Abs. 3, 43 Abs. 2 EGV entnehmen läßt. Zum Streitstand vgl. Dannecker, Strafrecht der EG, S. 41 und 51 f

IV. Untemehmensbebußtmg im Recht der EG

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gleichen Fragen gestellt wie bei der Verbandsgeldbuße. Die Fragen gehen allerdings in einigen wesentlichen Punkten noch darüber hinaus. So rücken die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen als Norm- und Sanktionsadressaten unabhängig von ihrer Rechtsform in den Blick. Es fehlt die individualstrafrechtliche Anbindung, so daß die Buße eigenständige Hauptfolge ist und sich von formal bestimmten Trägern organschaftlieber "Vertretung" löst. 117 Nicht ohne Grund wird die EG-Geldbuße als "Speerspitze des Kollektivstrafrechts" bezeichnet118, da sie sich von den Residuen individualstrafrechtlicher Anhindung ablöst und zum Alternativmodell einer alleinigen Unternehmenshaftung entwickelt. Während die Handlungsfähigkeit der Unternehmen durch die Zurechnung des Verhaltens aller für das Unternehmens befugt Tätigen begründet wird119 , gehen die Kommission und der EuGH von einer eigenen Schuldfähigkeit des Unternehmens als Organisationsschuld aus120. Allerdings wird diese zunehmend mit dem Fehlverhalten der Leitungsorgane begründet. 121 Neben den "klassischen" Bußgeldkompetenzen hat sich ein breites Spektrum von Sanktionen entwickelt, deren Rechtsnatur zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht noch schwerer zu fassen ist. Praktiziert werden etwa der Verfall von Sicherheiten auch unabhängig von der Absicherung finanzieller Risiken, Strafzinsen, Rückzahlungsaufschläge und der Ausschluß von Vergünstigungen122 , die von den nationalen Behörden vollzogen werden. Trotz der z. T. unverkennbar strafrechtlichen Züge 123 einiger dieser Maßnahmen werden sie als rein verwaltungsrechtlich angesehen und im Rahmen primärrechtlicher Kompetenzzuweisungen für legitim gehalten124, wobei umstritten 117 Dazu näher tmten Kap. C. I . 3. b). 118 So Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 291.

11 9 Vgl. Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 252. 120 Vgl. ebd. , S. 289; a. A. etwa Grabitz!Hilf-Koch, nach Art. 87 Rn. 30, der von einer Zurechnung des Verhaltens natürlicher Personen ausgeht. 121 Vgl. dazuDannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 289. 122 Ausfuhrliehet Überblick über die bestehenden Sanktionen bei Pache, Schutz der fmanziellen Interessen, S. 254-288, und über die in Betracht kommenden primärrechtlichen Kompetenzzuweistmgen, S. 304 ff 123 Vgl. Tiedemann, NJW 1993, S. 27. 124 Grtmdlegend EuGH, NJW 1993, S. 47 ff, zu einer Subventionssperre, die von der Btmdesrepublik Deutschland u.a. angegriffen wurde mit dem Argument, es handle sich um eine strafrechtliche Sanktion. Demgegenüber hat der EuGH gemeint, die Frage der Kompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts offen lassen zu können, und die Befugnis auf Art. 40 Abs. 3 tmd Art. 43 Abs. 2 EWGV gestützt. Die Gemeinschaft habe die

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

ist, ob die Begründung des EuGH auch die Regelung von Geldbußen jenseits der ausdrücklichen Ermächtigung des Primärrechts trägt 125 . Eine Vereinheitlichung des Sanktionsinstrumentariums zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften beabsichtigt nunmehr die "Verordnung Nr. 2988/95 (EG, EURATOM) des Rates über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften" vom 18.12.1995 126 Diese enthält keine Sanktionsvorschriften, sondern eine vereinheitlichende Regelung, die auf bestehende verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden ist. Art. 5 enthält - in Abgrenzung zu den sogenannten Maßnahmen - eine Aufzählung des repressiven Sanktionsinstrumentariums, das bei vorsätzlich oder fahrlässig begangenen Unregelmäßigkeiten zur Anwendung kommen kann. Gemäß Art. 7 können die dort genannten Sanktionen auch gegen juristische Personen sowie sonstige nach dem einzelstaatlichen Recht anerkannte Rechtssubjekte, die Unregelmäßigkeiten begangen haben, verhängt werden. Sieht man in den (zumindest auch) repressiven Sanktionen des EG-Rechts den Keim eines europäischen Strafrechts, für das ein Bedürfnis jedenfalls zum Schutz eigener Interessen der Gemeinschaft zunehmend artikuliert wird127, so gerät das Beharren auf einem strikten Individualstrafrecht noch mehr in die Defensive. Das zeigt auch außerhalb des Gemeinsschaftsrechts eine vielbeachtete Empfehlung des Europarates, der die Mitgliedstaaten auffordert, die Bestrafung juristischer Personen oder andere geeignete Maßnahmen gegen sie vorzusehen, wobei auch das Modell einer Bußgeldhaftung als Alternative vorgesehen ist. 128 Eine bindende Wirkung kommt dieser allerdings nicht zu. Fraglich ist demgegenüber, ob den Harmonsierungsbestrebungen auf EGEbene eine rechtliche Bindungswirkung verliehen werden kann, die auch eine

Befugnis, die erforderlichen Sanktionen auf dem Gebiet des gemeinsamen Agrarmarktes zu erlassen. Auch der Kautionsverfall gilt weder als Strafe noch als Buße, auch wenn er keine konkrete Forderung absichert (vgl. EuGH S1g. 1970, S. 1125, und BVerlGE 37, 271, 288). 125 Vgl. zum Streitstand Dannecker, Strafrecht des EG, S. 51 f 126 Abi. EG 1995 Nr. L 312, S. 1. Der Vorschlag der Kommission fiir eine "Verordnung (EG, Euratom) des Rates über den Schutz der fmanziellen Interessen der Gemeinschaften" v. 7.7.1994 (Abi. EG 1994, Nr. C 216, S. 11) hatte in Art. 4 Abs. 2 hatte noch die Ahndung von schuldlosen Verstößen ermöglicht. 127 Grabit7/Hilf-Gilsdoif!Booß, Art. 42 EGV, Rn. 40 a; Pache, Schutz der fmanziellen Interessen, passim; Tiedemann, NJW 1993, S. 31. 128 Empfehlung des Europarates Nr. R (88) 18 zur Verantwortlichkeit von Unternehmen mit eigener Rechtspersönllichkeit fiir Zuwiderhandlungen, die in der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit begangen worden sind.

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Pflicht zur Unternehmenssanktionierung umfaßte. Denken ließe sich an die vom EuGH 129 aus Art. 5 EGV entnommene allgemeine Pflicht der Mitgliedsstaaten, die Interessen der EG in gleicher Weise wie die nationalen Interessen zu schützen, jedenfalls aber wirksam, verhältnismäßig und abschreckend. Diese Pflicht ist in Art. 209 a EGV zum Schutz vor Betrugshandlungen zulasten der Gemeinschaftsfinanzen auch ausdrücklich positiviert. Eine Pflicht zur Einführung einer Kriminalstrafe gegen juristische Personen wird vom EuGH allerdings daraus nicht abgeleitet. 130 Offen ist aber, ob eine Pflicht zu verwaltungsstrafrechtlichen Maßnahmen besteht oder ob auch Maßnahmen des reinen Verwaltungsrechts ausreichen. 131 Eine solche Pflicht wäre für die deutsche Verbandsstrafendiskussion folgenreich. Denn sofern eine qualitative Abgrenzung von Strafe und Ordnungswidrigkeit nicht begründet werden könnte, verlören Bedenken gegenüber der dann zwingenden Grundlage des § 30 OWiG, angesichts einer gemeinschaftsrechtlichen Pflicht faktisch noch mehr an Gewicht, wie auch schon die Regelungen des Gemeinschaftsrechts dazu beigetragen haben, die dogmatischen Bedenken gegen die bundesdeutsche Verbandsgeldbuße zu zerstreuen132 . Die "Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften" 133 enthält eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten gegen juristische Personen für betrügerische Handlungen zum Nachteil der Gemeinschaften zumindest Geldbußen zu verhängen, allerdings nicht. Die gleiche Problematik stellt sich hinsichtlich der Richtlinienkompetenzen zur Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften (insb. Art. 100 a Abs. 1 u. Art. 100 EGV). Auch hier ist bereits fraglich, ob die Androhung von Kriminalstrafen durch Richtlinien vorgeschrieben werden kann, was überwiegend bezweifelt wird und auch bislang am Widerstand des Rates gescheitert ist. Ein entsprechender Vorstoß von Seiten der Kommission wurde zurückgenommen.134 129 Grundlegend EuGH Slg. 1989 I, 2966, 2984 f 130 EuGH Slg. 1991 I, 4371, 4388 f

131 Vgl. Delmas-Marty, in: Schünemann/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 305 f 132 Vgl. dazu Begründung zum Regierungsentwurf eines OWiG, BT-Dr. V/1269,

S. 58.

133 Abi. EG 1995, Nr. L 312, S. 1. 134 Vgl. dazunur Tiedemann, NJW 1993, S. 26; Oehler, Strafrecht der EG, S. 1409. Selbst wenn man eine solche Kompetenz bejahte, würden sich die betreffenden Regelungsgehalte aufTatbestände des besonderen Teils beschränken. Daraufweist zutreffend Vogel, JZ 1995, S. 335, hin, dessen These von der Möglichkeit der bereichsspezifi4 v. Freier

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B. Verbandskriminalität WJ.d bestehende Kollektivsanktionen

Die Kommission hat aber dem Rat der Europäischen Union vorgeschlagen135 , ein Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu beschließen und den Mitgliedsstaaten zur Annahme zu empfehlen. 136 Die Entwurfsbegründung betont zwar den Grundsatz der persönlichen Vorwerfbarkeit als Grundlage der strafrechtlichen Verantwortung, um dann aber sogleich hinzuzufiigen, daß die komplexen Entscheidungsmechanismen bei juristischen Personen und die Bedeutung der Unternehmen "in allen vom Haushalt der Gemeinschaften abgedeckten Bereichen" eine Anpassung des Rechts der Mitgliedsstaaten erforderlich machten137 . Demgemäß sah Art. 3 des Entwurfs vor, daß neben demjeweiligen Individualtäter und der Leitungsperson des Unternehmens auch juristische Personen selbst "zumindest mit Hilfe von Geldbußen bzw. -strafen" zur Verantwortung gezogen werden bei Vorliegen einer Anknüpfungstat der formalen oder faktischen Entscheidungsträger in Ausübung ihrer Tätigkeit (Art. 3 Abs. 3). Die daraufhin ergangene Ratsentschließung138 betonte zwar, daß es möglich sein sollte, neben strafrechtlichen Sanktionen gegen natürliche Personen unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen auch gegen juristische Personen strafrechtliche oder andere Sanktionen zu verhängen. sehen Annexkompetenz zur RegelWJ.g allgemeiner ZurechnWJ.gsfragen zu der von ihm selbst dargelegten Wlhaltbaren Konsequenz fiihren muß, daß in einer RechtsordnWJ.g WJ.terschiedliche WJ.d auch sich widersprechende lnsitute zur AnwendWJ.g kommen, was Vogel am Beispiel einer nur in einem harmonisierten Tatbestand des Umweltstrafrechts vorgesehenen Unternehmensverantwortlichkeit als "Gemengelage" bezeichnet. Eine derart widersprüchliche RegelWJ.gslage kann auf Dauer keinen Bestand haben, woraus deutlich wird, daß die vermeintliche Annexkompetenz eben nur als vollwertige Kompetenz zum Erlaß strafrechtlicher Normen Wld der FormWJ.g auch der allgemeinen Gnmdlagen der Zurechn1mg zu haben ist. 135 Gestützt auf die durch Art K 3 Abs. 2 lit. c) EUV eröffuete Möglichkeit, Übereinkommen zur Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz WJ.d Inneres von allgemeinem Interesse zu schließen. Wobei hier aus dem Katalog dieser Angelegenheiten in Art. K. 1 EUV fiir eine VereinheitlichWJ.g der Strafvorschriften nur die Betrugs- WJ.d Drogenbekämpftmg (Nm. 4 u 5) in Betracht kommen. 136 Vorschlag fiir einen Akt des Rates der Europäischen Union betreffend ein Übereinkommen über den Schutz der fmanziellen Interessen der Gemeinschaften (Abl. EG 1994 Nr. C 216, S. 14). Bereits 1976 hatte die Kommission dem Rat einen Entwwfeines Vertrages zur ÄnderWJ.g der Gemeinschaftsverträge vorgelegt, der die AnwendWJ.g der nationalen Strafvorschriften zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen sicherstelllen sollte, allerdings keine ZustimmWJ.g fand (vgl. dazu Pache, Schutz, S. 227, WJ.d Dannecker, Strafrecht der EG, S. 26 f.). 137 Vgl. ebd., S. 15. 138 EntschliessWJ.g des Rates vom 6.12.1994 über den rechtlichen Schutz der fmanziellen Interessen der Gemeinschaften, Abl. EG 1994 Nr. C 355, S. 2.

V. Internationale Entwickhmg

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Im Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen 139 findet dieses jedoch keinen Niederschlag. Vielmehr wird in der Präambel die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger betont. In Art. 3 ist nur die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts vorgesehen. Die Kornmission hat daraufhin die Verabschiedung eines Zusatzprotokolls vorgeschlagen. 140 Diesern zufolge sollen gern. Art. 2 juristische Personen strafrechtlich verantwortlich sein, wenn für ihre Rechnung ein Betrugsdelikt begangen wird. Hat jemand als vertretungsberechtigtes Organ, gesetzlicher Vertreter oder als rechtlich oder tatsächlich mit Entscheidungsbefugnissen im Unternehmen ausgestattete Person oder im Namen einer juristischen Person(!) gehandelt, so soll dieser seine Handlung zugerechnet werden. Für die Mitgliedsstaaten wird verbindlich vorgesehen, für diesen Fall strafrechtliche Maßnahmen (Geldstrafen, öffentliche Bekanntmachung des Urteils, richterliche Zwangsaufsicht, richterlich angeordnete Auflösung) zu ermöglichen (Art. 5 Abs. 1). Auch ohne den Nachweis eines Betrugsdelikts sollen vorsätzliche oder fahrlässige Handlungen oder Unterlassungen des genannten Personenkreises, aufgrund derer die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften Schaden erleiden, durch die Mitgliedsstaaten mit Geldbußen, Ausschlußmaßnahmen und der öffentlichen Bekanntmachung der erlassenen Entscheidung geahndet werden können.

V. Die internationale Entwicklung zu verbandsstrafenden Sanktionen Für die Harmonisierung der Rechtsvorschriften im europäischen Rahmen ist wiederum die Beobachtung wichtig, daß das ehemals klare Bild eines kantinentaleuropäischen Rechtskreises ohne Verbandsstrafe und eines angelsächsischen mit einer solchen Verbandsstrafe längst überholt ist. Vielmehr finden sich nahezu überall repressive Sanktionen gegen Verbände.141

139 Übereinkommen aufgnmd von Art. K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über den Schutz der fmanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26.7.1995, Abl. EG 1995 Nr. C 316, S. 48 ff. 140 Vorschlag für einen Rechtsakt des Rates betreffend ein Zusatzprotokoll zu dem Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 19.1.1996, Abl EG 1996 Nr. C 83, S. 10 ff.

141 Umfassender rechtsvergleichender Überblick jetzt tabellarisch bei Reine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, im Anhang. Überblick im übrigen bei Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 140 ff., lUld -allerdings z. T. überholt - bei Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 75 ff.

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

Dabei ist die repressive Verbandssanktion entweder als Kriminalstrafe des Kernstrafrechts ausgestaltet wie traditionell im angelsächsischen Rechtskreis (Großbritannien1 42, den USA143, Kanada, Neuseeland und Australien144) aber auch in den Niederlanden1 45 , Norwegen146, Frankreich147 oder aber im Nebenstrafrecht bzw. Verwaltungsstrafrecht (Dänemark148, Japan, Korea, Portugal149, Spanien150, ltalien151 , Schweiz1 52). Die unterschiedliche Lokalisierung der Sanktionen dokumentiert "letztlich die Unsicherheit im Umgang mit repressiven Haftungsformen gegen Kollektive"153. Diese Unsicherheit zeigt sich auch in der Uneinheitlichkeit der Haftungsvoraussetzungen, die zwischen dem Urmodell der Verbandssanktionie142 Vgl. Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 75 ff., 87 ff. 143 Vgl. ebd., S. 110 ff.; ausführlich Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 90 ff. 144 Vgl. zu allen dreien die Hinweise bei Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 147 f 145 Vgl. Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 170 ff; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 148 ff. m. w. N.; De Doelder, in: Schünemannl Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 311 ff. 146 Vgl. Rostad, in: Schünemann/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 323 f 147 Vgl. zur französischen Neuregelung, die am 1.3. 1994 in Kraft getreten ist, Koch, ZStW 107 (1995), S. 405 ff. 148 Strafandrohungen in Sondergesetzen. Vgl. dazu Greve, in: Schünemarm/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 314 ff. 149 Strafandrohungen etwa auf dem Gebiet des Steuerstrafrechts, im übrigen Geld· bußen des Ordnungswidrigkeitenrechts. Vgl. dazu Faria Costa, in: Schünemannl Figueiredo Dias (Hg.), Bausteine, S. 349 f , und Vadillo, in: Schünemann/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 303. 150 Nur zivilrechtliche Haftung fiir die Individualsanktion, Sicherungsmaßregeln (vgl. Silva-Sanchez in: Schünemarm/Figueiredo Dias (Hg.), Bausteine, S. 309 f), aber auch Geldbußen im Kartellrecht (vgl. Hamann, Unternehmen als Täter, S. 147 f m. w. N.) bzw. im Verwaltungsstrafrecht (vgl. Martin, in: Schünemann/Gonzales, Bausteine, S. 16). 151 Grundsätzlich nur eine zivilrechtliche Subsidiärhaftung fiir die strafrechtliche lndividualsanktion, aber auch eine gesamtschuldnerische Haftung und Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenrecht (vgl. Militello, in: Schünemarm!Figueiredo Dias (Hg.), Bausteine, S. 325 f, S. 332 f). 152 Grundsätzlich nur eine zivilrechtliche Haftung fiir die Jndividualstrafen, aber auch im Nebenstrafrecht eine Geldbuße im Ermittlungsnotstand (vgl. Schroth, Unternehmen, S. 153). Zu Reformbestrebungen vgl. Stratenwerlh, Fs. Schmitt, S. 296. 153 Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 215.

V. Internationale Entwicklung

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rung, der Sanktionierung einer juristischen Person für das strafbare Verhalten ihrer Verwaltungsorgane und mannigfaltigen Abweichungen oszillieren. 154 Diese Abweichungen betreffen zum einen die Ausdehnung der haftungsauslösenden Personen auf alle Arbeitnehmer und in einem weiteren Schritt die grundsätzlich oder ausnahmsweise vorgesehene völlige Depersonalisierung der Haftungsvorraussetzungen, im übrigen auch die Erfassung nicht rechtsfähiger Gebilde. Häufig wird konstatiert, daß die dogmatische Bewältigung mit den Sanktionen und dem Sanktionsbedarf nicht Schritt hält bzw. zurücktritt gegenüber den pragmatischen Erwägungen.155 Eine weitere Beobachtung läßt sich generalisieren: die repressiven Verbandssanktionen wandern gewissermaßen von den Rändern des Strafrechtssystems in dessen Kernbereich. Die aktuelle bundesdeutsche Diskussion markiert insoweit den Umschlagspunkt Insofern bestätigt sich auch die, wie auch immer zu bewertende, Vorreiterfunktion des Wirtschaftsstrafrechts156. Paradigmatisch ist insofern die Entwicklung in den USA. 157 Ausgehend vom Problemdruck der Industrialisierung wurde im Bereich moralisch neutral erachteter Normen der Wohlfahrsregelung ("regulatory offences") die Verletzung auch ohne subjektives Verschulden (strict liability) und auch stellvertretend ohne eigene rechtswidrige Handlung für die Handlungen von Gehilfen (vicarious liability) geahndet. Die maßgebliche Legitimation fand die strict liabilityHaftung als Sonderopfer für das Allgemeinwohl, die Haftung für Gehilfen zusätzlich in pragmatischen Erwägungen, namentlich Beweisfragen, und der zivilrechtliehen respondeat-superior-rule bzw. einer Übertragung der ihr zugrundeliegenden schadensersatzrechtlichen Risikoverteilung auf das Strafrecht. Die Probleme der Industrialisierung ließen dann die Bedenken gegen die Verbandsstrafe, die sich aus der Fiktionstheorie und der ultra-vires-Dokrin ergeben hatten, ab Mitte des 19. Jahrhunderts zurücktreten. Die Verbandsstrafe wurde zunächst auf Delikte beschränkt, für die auch ohne Verschulden gehaftet werden konnte, und zwar in einem ersten Schritt nur für Unterlassungsde154 Zusammenfassend Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 213 ff. 155 Vgl. etwa für Frankreich die Beobachtung von Koch, ZStW 107 (1995), S. 416; für Dänemark Greve, in Schünemann/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 314; für die Niederlande und den angelsächsichen Rechtskreis Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 75 f., 170 f., und Jescheck, SchwZStr 70 (1955), S. 256, allgemein Hamann, Unternehmen als Täter, S. 152; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 219m. w. N.

156 Vgl. dazu allgemein Tiedemann, JuS 1989, S. 694, 696; vgl. zu dieser Dynamik im Bereich der Verbandssanktionen bereits Großrau, in Niederschriften Bd. 4, S. 322, allerdings mit der Hoffuung einer Begrenzung auf das Nebenstrafrecht 157 Zum folgenden vgl. Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 91 ff.

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B. Verbandskriminalität und bestehende Kollektivsanktionen

likte, dann aber für Begehungsdelikte. Schließlich werden juristische Personen seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch im Bereich der criminal liabilitiy verantwortlich gemacht und zwar nach dem Modell der zivilrechtliehen respondeat-superior-rule. Da es sich so um eine stellvertretende Haftung handelt, kommt es auf die Stellung des Täters in der Unternehmenshierarchie nicht an. Während urprünglich eine volldeliktische, wenn auch nicht unbedingt individualisierbare Tat einschließlich der notwendigen subjektiven Merkmale erforderlich war, können diese zunehmend durch einen kollektiven Informationsbestand substituiert werden (collective knowledge). Der Transforrnationsprozeß läßt sich beispielsweise auch in den Niederlanden verfolgen, wo die Verbandsstrafe ihren Ausgang nahm von einigen spezialgesetzlichen Regelungen, um dann 1951 im Wirtschaftsstrafrecht und seit 1976 im allgerneinen Strafrecht verankert zu werden. 158 Auch das französische Recht kannte vereinzelt Strafsanktionen gegen juristische Personen in nebengesetzlichen Vorschriften 159 , bevor sie seit dem 1. 3. 1994 im Kernstrafrecht vorgesehen ist, allerdings nur soweit die jeweiligen Tatbestände darauf verweisen. 160

VI. Ergebnis Das nach außen gerichtete Gefahrenpotential der Verbände in der modernen arbeitsteilig-industriellen Wirtschaftgesellschaft äußert sich nicht zuletzt durch die Verletzung strafrechtlich bewehrter Normen aus dem Verband heraus und unter Zuhilfenahme seiner Mittel. Diese Analyse wird zunehmend ergänzt bzw. verdrängt durch die Betonung einer Binnenerzeugtheit des Verbrechens, an der sich das Individualstrafrecht bricht, wenn nicht schon die Straftat als solche in der organisierten Unverantwortlichkeit des Zusammenhanges zum Verschwinden gebracht ist. Dem entspricht eine internationale Bewegung hin zu verbandsstrafenden Sanktionen, wobei sich die Einhegungen auf nebenstrafrechtliche oder strafartige Sonderbereiche als labil erweisen. Daß eine solche Labilität auch die Ringrenzungen des Urmodells der strafrechtlichen Kollektivhaftung auf juristische Personen, auf individuelle Anknüpfungstaten und zudem solche von Funktionsträgem betrifft, scheint angesichts des pragmatischen Bedarfs naheliegend. 158 Vgl. De Doelder"

in:Schünemann/Gonza1es (Hg.), Bausteine, S. 311.

159 Vgl. Zieschang, Sanktionensystem, S. 236; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 153 ff. 160 Erfaßt sind dabei keineswegs nur wirtschaftsstrafrechtliche Tatbestände im engeren Sinne. Vgl. den Überblick über die kemstafrechtlichen Tatbestände bei Koch, ZStW 107 (1995), S. 410.

C. Einheitliche Strafbegründung für alle Normadressaten Das fundamentale Problem einer Verbandsstrafenbegründung ist die Identität von formaler Sanktionsadressatenschaft des Verbandes, "realer" Sanktionsadressatenschaft der natürlichen Personen und der Täterschaft des Verbandes. In den verschiedensten Facetten kreist die vorliegende Arbeit um dieses Problem. Zu untersuchen ist zunächst, ob eine für alle Normadressaten einheitliche Strafbegründung möglich ist. Eine solche geht im allgemeinen, wenngleich nicht immer, davon aus, daß die schuldhafte und rechtswidrige Tat eines Verbandsrnitgliedes, ergänzt oder modifiziert um bestimmte genuin korporative Elemente, wesentlich die Momente verkörpert, die eine der Individualstrafe gleiche oder zumindest strukturell ähnliche Verbandsstrafenlegitimation ermöglichen. Insofern kann man auch von einem akzessorischen Modell sprechen, wenn die Identität sich wesentlich auch aus der Subjektivität des Täters der Anknüpfungstat ergeben soll. Umgekehrt kann auch die Bedeutsamkeil der Subjektivität für das Individualstrafrecht relativiert und auf diesem Weg eine Übereinstimmung erzielt werden. In einem ersten Schritt ist zu überprüfen, welche Anforderungen eine einheitliche Strafbegründung an die formale Straffähigkeit oder besser Strafleistungsfähigkeit stellen muß. Erst auf der Grundlage der so ermittelten Grenzen kann der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Verbandsbestrafung ins Blickfeld rücken: die Frage nach der Handlungs- und Schuldfähigkeit der Verbände. Traditionell wird in der Diskussion um die Verbandsstrafe zwischen beiden Problemfeldern unterschieden, zum Teil aber auch die Einheitlichkeit der Frage nach dem Willen bzw. der Subjektivität der überindividuellen Formationen herausgestellt1. Grob vereinfachend läßt sich das Meinungsspektrum danach klassifizieren, ob Handlung und Schuld des Verbandes als eigene für möglich gehalten werden oder nicht und ob im letzteren Fall eine "Zurechnung" von Individualdelikten "als eigene" den Mangel beheben kann. Gesetzt sind damit jeweils - und das erschwert einen über die bloße Auflistung der Ergebnisse hinausgehenden Überblick über die Meinungen - ein bestimmter Begriff der Strafe einerseits und eine häufig nicht benannte Verbandstheorie andererseits, so daß immer wieder zutreffend betont wird, man könne sich der Verbandsstrafenproble1 Insbesondere Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 181 ff.; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen; Volk, JZ 1993, S. 435.

C. Einheitliche Strafbegründung

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matik eben von beiden Seiten nähern. Abstrakt betrachtet ordnen sich die Diskussionslinien aber gleichlaufend nach der unvermittelten Polarität von Normativität und "Natürlichkeit". Zu zeigen ist, daß beide Extreme die unhintergehbare konstitutive Kompetenz menschlich vermittelter Vernunftsubjektivität im Recht verfehlen. Diese Kompetenz- Freiheit- kann sehr wohl aus der bloßen Abstraktheil befreit werden und in ihren Begriff ihre konkrete Tragkraft aufnehmen, insbesondere ihre Festigkeit oder Haltlosigkeit in den im hegetsehen Sinne sittlichen Verhältnissen. Aber das erbringt als solches allenfalls Graduierungen individueller Verantwortung. Die hier begrenzt auf die Verbandsstrafe zu entscheidende Frage ist aber, was von diesem Vermögen übrig bleibt, wenn den "Verhältnissen" die gleiche Fähigkeit zugesprochen wird. Aufzuweisen ist insofern eine theoretisch-praktisch zwingende Komplementarität, die in der Befürchtung, Mechanismen der strafrechtlichen Verbandsverantwortung könnten faktisch kurzfristig auf die Maßstäbe der Individualzurechnung zurückschlagen2 , nicht hinreichend zum Ausdruck kommt.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden: abstrakte Rechtspersonalität Als Adressat einer Kollektivstrafe kommen der Verband, das Unternehmen und die juristische Person in Betracht. Ein privatrechtlicher Verband ist ein Zusammenschluß mehrerer Personen, der als gegenüber den Mitgliedern verselbständigte Organisation einem bestimmten Verbandszweck dient und durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung verfaßt ist. 3 Zum Teil wird eine gewisse Dauerhaftigkeit des Zusammenschlusses verlangt sowie ein zumindest wirtschaftlich getrenntes Vemögen. 4 Sofern der Verband als Adressat strafrechtlicher Maßnahmen ins Auge gefaßt wird, sind nicht verbandsförnrig organisierte juristische Personen ausgeschlossen. Dabei findet in der Regel nur die Stiftung Erwähnung5 , der Sache nach sind aber gleichfalls die Einmann- und Keinmanngesellschaften erfaßt. Vorausgesetzt ist weiterhin, alle auf Erb- und Familienrecht beruhenden 2 Dieses Problem wird diskutiert von Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 21, und- skeptischer- Volk, JZ 1993, S. 435. 3

s.

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 7 I I b, S. 146.

4 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 12 f.; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, 48 f.

5 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S.l2; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 44; Busch, Grundfragen, S. 22.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

57

Gemeinschaften aus der Betrachtung auszuscheiden. Entscheidend ist schließlich, daß es auf die Rechtsfähigkeit des Verbandes nicht ankommen soll6, eine Erweiterung, die zum Teil aus dem Wesen des Verbandes abgeleitet wird, zum Teil aber gerade begründet wird mit dem Bemühen, dem als fruchtlos eingeschätzten Streit um das Wesen der Verbände und damit der juristischen Person aus dem Weg zu gehen7. Eine Verschiebung ergibt sich, wenn am Unternehmen angesetzt wird. Ein Unternehmen ist eine organisierte Wirtschaftseinheit, die mit einem Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln am Markt auftritt. 8 Mit der Verlagerung von der gesellschaftsrechtlichen Einheit auf das Unternehmen ergeben sich Abweichungen zum oben genannten Ausgangspunkt, müßten doch nun alle Unternehmensformen oder in abweichender Terminologie Unternehmensträger erfaßt werden, also auch die nicht verbandsformigen juristischen Personen (s. o.), auch die Erbengemeinschaft und die eheliche Gütergemeinschaft und schließlich der Einzelkaufmann. Wesentlich ist insofern die Auswechslung des für die Entstehung der Verbandskriminalität maßgeblichen Kollektivs. Werden als Untersuchungsgegenstand solche Einheiten betrachtet, denen die Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen hat (juristische Personen), werden damit in der Regel dennoch keine sachlichen Unterschiede in der Strafbegründung zu den oben genannten Ansatzpunkten verbunden, da Personenhandelsgesellschaften und nichtrechtsfähige Vereine nicht ausgespart werden9 , und selbst die explizite Festlegung auf juristische Personen im strengen Sinne als exemplarisch für die allgemeinere Fragestellung der Behandlung der Verbände überhaupt gilt10. Die kriminogenen Faktoren einer kollektiv organisierten Betätigung und die daraus resultierenden Steuerungsdefizite betreffen alle genannten Adressaten in gleicher Weise, sofern eine Mehrzahl von Personen tätig wird. Unter dem Gesichtspunkt der Straffähigkeit erfährt dieser Ausgangspunkt Modifikationen. Der Begriff Straffähigkeit ist vieldeutig. Nicht gemeint ist an 6 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 13; Hafter, Deliktsflihi.gk.eit, S. 62 ff. ; Busch, Grundfragen, S. 20 ff. ; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 44 ff. 7 Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 44, 50; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 13.

8 K. Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 2 a; vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S.311. 9 Vgl. etwa Ackermann, Strafbarkeitjuristischer Personen, S. 20. 10 So etwa Korte, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortung, S. 5.

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C. Einheitliche Strafbegründung

dieser Stelle die umfassende Beantwortung der Fragestellung. Wenn zum Teil unter diesem Begriff die Vereinbarkeit mit dem "'Wesen" der Strafe und davon erneut unterschieden untersucht wird, ob die Verbandsstrafe die Zwecke der Strafe zu erfüllen vermag11 . so kann die Anwort nur in der umfassenden Klärung der Handlungs- und Schuldfähigkeit gefunden werden, die die Einheit dieser Momente zu erweisen hat. An dieser Stelle soll die negative Seite der Strafe isoliert werden, die Sanktionadressaten auf ihre "Strafleistungsfähigkeit"12 befragt werden, ohne dabei aus dem Auge zu verlieren, daß diese negative Seite der Übelszufiigung Verwirklichung eines bestimmten Rechtsverhältnisses ist. Unbeachtlich ist der Einwand, das vorhandene Sanktionensystem sei für Verbände ungeeignet 13, da Freiheitsstrafen und somit auch Ersatzfreiheitsstrafen nicht verhängt werden können. Nichts hindert nämlich - unter dem Gesichtspunkt der formalen Straffähigkeit - die Schaffung neuartiger, verbandsspezifischer Sanktionen. 14 Näher zu betrachten sind dagegen die Einwände, die sich aus der näheren Bestimmung des Stra:fiibels ergeben.

1. Sinnlich erfahrbares Übel

Einem bestimmten Verständnis der Vergeltungsstrafe zufolge zeichnet sich die Kriminalstrafe im Gegensatz zur reinen Abschreckungsstrafe etwa des Verwaltungsstrafrechts durch eine Zweckerwägungen transzendierende Genugtuung und Sühne aus; damit seien Leid und Schmerz als seelische oder psychologische Phänomene notwendig verbunden15 . Verbände zählen nicht zu den "Wesenheiten, die lachen und weinen" 16, ihre Bestrafung wäre danach ausgeschlossen.

11 So Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 200 ff. 12 Daß diese Trennung nur eine vorläufige sein kann, versteht sich von selbst; vgl dazu Engisch, Verhandlungen des 40. DIT Bd. 2, S. E 13. 13 So Marcuse, GA 64 (1917), S. 406; ähnlich Goetzeler, Grundlagen des Steuerstrafrechts, S. 229. 14 Engisch, Veihandlungen des 40. DIT, S. E 13, Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 199.

15 Kohler, GA 64 (1917), S. 503; Hafter, Lehrbuch, S. 64 f, der aus diesem Grund seine frühere Forderung nach einer Verbandsbestrafung zurücknimmt. 16 Kohl er, Kritische Vierteljahresschrift 36, S. 518 f, zitiert nach Hafter, Lehrbuch, S. 64 Fn. 3.

I. Formale Straffaltigkeil von Verbänden

59

Wird dagegen von Befürwortern der Verbandsstrafe vorgetragen, mittelbar realisiere sich subjektives Leid in den Gliedern des Verbandes 17, so überzeugt dieses nicht, wenn doch gerade an der verselbständigten Einheit die Strafe vollzogen werden soll18. Entscheidend bleibt, daß das empirische Datum der Strafempfindung auch und gerade für eine wohlverstandene Vergeltungsstrafe als Rechtsverhältnis nicht maßgeblich sein kann, da der darin enthaltene freiheitsgesetzliche Allgemeinheitsanspruch seine intersubjektiv beanspruchte Geltung nicht unvermittelt aus der empirisch-materialen Bedürfigkeit der insoweit gar nicht vergleichbaren und völlig vereinzelten Individuen beziehen kann. 19 Die freiheitliche Rechtskonstitution muß von der unmittelbaren moralischen Selbstbestimmung sowie der Bedürfigkeit des Einzelnen abstrahieren, weil sie nur so Ausdruck von Selbstbestimmung zu sein vermag: als allgemeine, d. i. wechselseitig verbindliche, Form äußeren Verhaltens. 20 Auf konkret sinnlich erfahrenes Leid kann die Rechtsstrafe nicht abheben, ebenso wie ihr Zwangsmoment nicht unmittelbar Zugriff auf die moralische Selbstbestimmung nehmen kann und darf, wie es ein bestimmtes Verständnis von Sühne nahelegt. Strafe nach ihrer negativen Seite muß ausgehen von der gegenständlich beschränkten Minderung des Rechtsstatus. Nur unter dieser Mindestvoraussetzung ist der Strafzwang als Rechtszwang, das Strafrechtsverhältnis als Rechtsverhältnis begreifbar. Daß die Verbandsstrafe nicht an der fehlenden Leidensfähigkeit scheitert, wird demgemäß heute nicht mehr bezweifelt21 .

17 So etwägt Schwander, Fg. Gutzwiller, S. 615. 18 Auf einem anderen Blatt steht, daß auch die sogenannte "Präventionseffi.zienz" einer Verbandsstrafe auch und gerade über die Motivation der Mitglieder realisiert werden soll. Darauf ist ausfuhrlieh unter dem Gesichtspunkt der Unschuldigenbestrafung (Kap. D. IT.) einzugehen. l9 Dazu Köhler, Strafbegründung und Strafzumessung, S. 13 f

20 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung Rechtslehre§ B, S. 337. 21 Vgl. nur Schwander, Fg. Gutzwiller, S. 615; Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen,

S. 84; beide treffen allerdings nicht den wirklichen Kern des Arguments, wenn etwa Seiler eher empirisch feststellt, nicht jeder Bestrafte leide, und eher pragmatisch ergänzt, unter der Voraussetzung einer Leidempfindung könne der unverbesserliche Täter nicht gestraft werden (so auch Schwander, S. 615). Einschränkend auch Engisch, Verhandlungen des 40. DJT, S. E 15 f, der allerdings die Übelszuftigung und -empfmdung nicht unter dem allgmeineren Gesichtspunkt der Strafe als Rechtsverhältnis betrachtet, sondern die Legitimation durch einen ethischen Votwurfhervorhebt und so die Verengung auf bloße Interesseneinbußen und die Strafleistungsfähigkeit der Verbände überwinden will.

C. Einheitliche Strafbegründung

60

2. Rechtsstatusminderung Die dargelegte nähere Bestimmung des Strafübels als Rechtsstatuseinbuße legt nun den trivial anmutenden Schluß nahe, eine Bestrafung komme ohnehin nur für solche überindividuellen Einheiten in Betracht, die, in welchem Umfang auch immer, eigene Rechte haben22 und soweit sie solche haben; dieses um so eher, als das Strafrecht nur auf die Verletzung eines auch unabhängig von ihm zu denkenden Rechtsverhältnisses reagiert, mithin die Rechtsverhältnisse nicht erst schaffen und somit auch nicht nur zu Strafzwecken Rechtssubjekte erzeugen kann23 . Würde man auch rechtlich nicht verselbständigte Einheiten erfassen, bliebe vollends unklar, warum es sich nicht um eine Bestrafung der Mitglieder handelt und was dann noch dem alten Einwand der unzulässigen Doppelbestrafung der Beteiligten entgegengesetzt werden könnte, sofern Mitglieder für Anknüpfungstaten individualstrafrechtlich verantwortlich sind. 24 Die Auffassung, auf die Rechtsfähigkeit komme es nicht an, speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Im Mittelpunkt stehen aber, worauf an anderer Stelle noch ausführlich zurückzukommen sein wird, verbandstheoretische Annahmen. Nimmt man an, der Organisationssachverhalt erzeuge als solcher unmittelbar eine vorrechtliche Personalität, scheint es auf die rechtliche Strukturierung nicht mehr anzukommen.25 Gleiches wird auch aus der Ansicht gefolgert, die Verbandsrealität sei zwar keine personale Einheit, wohl aber geistiger Sammelpunkt für ein Kollektiv. 26 Jedenfalls soll es auf die rechtliche Struktur nicht ankommen, da und sofern die soziale Realität das eigentliche Strafsubstrat bildet. Und so wird zur Begründung von Hafter auch angeführt, das Strafrecht nehme insoweit im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten eine Sonder22

So auch die Empfehlung des Europarates Nr. R (88)18 ("legal personality").

23 So daß sich die Frage von Kindhäuser auf der Strafrechtslehrertagung 1993, wie man rechtlich nicht konstituierte Gebilde erfassen könne (vgl. Vitt, ZStW 105 (1993), S. 815), von selbst beantwortet.

24 Damit ist allerdings noch nicht ausgemacht, daß die rechtliche Verselbständigung das Problem beseitigt. Vgl. dazunoch ausfuhrlieh Kap. D. ll.

25 So ausdrücklich Hafter, Deliktsfahigkeit, S. 60 ff., der sich zwar grundsätzlich auf Gierkes Theorie der realen Verbandsperson beruft, sich in diesem Punkt aber ausdrücklich von ihr abgrenzt (vgl. dazu Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 609 Anm. 1, 629 f).

26 So die Begründung Buschs, Grundfragen, S. 190 ff., dafur, daß es auf die Rechtsfahigk.eit nicht ankomme. Busch selbst geht allerdings dann auch - im Gegensatz zu Hafter - von einer kollektiven Risiko- und Schicksalsgemeinschaft und einer daraus folgenden Kollektivverantwortung aus.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

61

rolle ein, indem sein Charakter als System des Rechsgüterschutzes ihm die Pflicht auferlege, gegen das Delikt vorzugehen, wo es sich finde: " ... von diesem Standpunkt aus ist das delinquierende Wesen Rechtsobjekt, Rechtssubjekt im technischen Sinne braucht es nicht zu sein. ( ... )Das Deliktssubjekt muß nicht notwendig Rechtssubjekt sein"27.

Und auch Busch führt aus, die Rechtsform habe nur Bedeutung für die Form, in welcher der Verband Rechtsschutz in Anspruch nehmen könne, während sich die Verantwortlichkeit am "Maß eines bestimmten Rechtszwanges, der gegenüber einem Verband angewendet werden kann", und damit an der sozialen Realität orientiere. 28 Bei beiden liegt das Bemühen zugrunde, auch die verbrecherische Organisation erfassen zu können.29 Der Durchgriff auf die soziale Realität läßt allerdings die Rechtsfrage offen, in wessen Rechtsgüter die Strafe eingreifen soll. 30 Offenbar können das nur die der Mitglieder sein. Besonders deutlich wird dieses bei einer Vermögenssanktion. Damit ist nicht gesagt, daß nicht die Bestimmung der sozialen Realität eines Kollektivs die eigentliche Aufgabe ist und dann auchtrotzrechtlicher Verselbständigung die Legitimation der Verbandsstrafe, insbesondere die Betroffenheit Unschuldiger, letztlich doch nur von ihr abhängt. Aber der Umkehrschluß ist nicht zulässig, daß es auf die rechtliche Verselbständiguns überhaupt nicht ankommt. Die wie auch immer bestimmte soziale Einheit muß, um nicht eine unmittelbare Mitgliederbestrafung zu sein, auch eine rechtliche Einheit sein, denn sonst werden auch und nur die Mitglieder rechtlich betrachtet bloße Rechtsobjekte. Dennoch haben die dargelegten Einwände insofern eine Berechtigung, als die Übergangsphänomene der Gesamtbandsgemeinschaften besondere Schwierigkeiten bereiten in der Einordnung zwischen der Verbindung Einzelner und einem zumindest partiell verselbständigten Rechtsträger. 31 Setzt man wie hier zumindest eine Teilrechtsfahigkeit als Bedingung der Strafbarkeit voraus, so 27 Hafter, Deliktsflihigkeit, S. 27. Dabei geht es nicht um die an anderer Stelle behandelte Gesamtbandsproblematik ( s. S. 66). 28 Busch, Gnmdfragen, S. 190 f 29 Vgl. Hafter, Deliktsflihigkeit, S. 63; Busch, Gnmdfragen, S. 191. 30 Auch die Gegner der Verbandsstrafe, die Sicherungsmaßregeln befiirworten, wollen von der Rechtsflihigkeit absehen, da es nur auf die Frage ankomme, ob der Verband ein Delikt begehen könne \Dld die Eigenschaften aufWeise, die strafrechtliche Maßnahmen bei ihrem Adressaten voraussetzen (Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 12 f) bzw. hinreichende Ansat7punkte biete für die Maßnahmen \Dld ihre kriminalpoltische Wirk\Dlg (Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 45 f).

31 Überblick bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 ID, S. 167 ff

C. Einheitliche Strafbegründwtg

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ergibt sich für die Auseinandersetzung um die Gesamthandslehre folgendes: eine Bestrafung von Gesamthandsgemeinschaften kommt unter dem Gesichtspunkt der Straffähigkeit nur insoweit in Betracht, als von ihrer Teilrechtsfähigkeit auszugehen ist. Erforderlich dürfte allerdings sein, daß hinsichtlich der einzelnen Erscheinungsformen ein breiter Konsens bzw. eine - nicht ausschließlich strafrechtliche - Gesetzesbestimmung über die rechtliche Handhabung im Sinne der hier in Rede stehenden Minimalbedingung erzielt werden kann. Dieses dürfte in die eine Richtung fur den nichtrechtsfähigen Verein (vgl. § 54 BGB) und die Personenhandelsgesellschaften (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB) bzw. die Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs. 2 PartGG i. V. m. § 124 HGB) sowie die Partenreederei (§ 489 HGB), in die andere Richtung fur die eheliche Gütergemeinschaft und die Erbengemeinschaft der Fall sein. 32 Anders liegt es dagegen bei der BGB-Gesellschaft33 , wobei hier schon die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen unter einem Einheitsmodell Bestimmtheitsprobleme in der Abgrenzung von den unstreitig nicht immer verselbständigten Ausprägungen hervorrufen muß34.

3. Exkurs: Unternehmen als Täter oder Sanktionsadressaten Die Problematik wiederholt sich auf einer Metaebene, wenn das Unternehmen selbst Täter bzw. Sanktionsadressat sein soll. 35 Mehrere Gestaltungen sind auseinanderzuhalten, wenn de lege lata oder de lege ferenda das Unternehmen strafrechtlich verantwortlich sein soll. Die unternehmensbezogenen Ansätze unterscheiden sich in näher darzulegender Weise danach, ob sie das Unternehmen als wirschaftliehe Einheit in die Verantwortung nehmen wol-

32

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 170 ff.

33

Vgl. ebd., S. 173 f , wtd §53 IV, S. 1435 ff

34 So auch Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 219; zu den Erscheinwtgsformen vgl. K. Schmidt, Gesellschaftrecht, §58 ill, S. 1426 ff Für§ 30 OWiG ist eine Einbeziehwtg der BGB-Gesellschaft- häufig in Anlehnwtg an§ 41 GWB a. F. (Fasswtg vom 27.7.1957 BGB1 I, S. 1081) - immer wieder gefordert worden (vgl. K. Schmidt, wistra 1990, S. 134; Müller, Stellwtg der juristischen Person, S. 55 jeweils m. w. N.; a. A. insbesondere Göhler, OWiG, § 30 Rn. 6).

35 Vgl. Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 225 ff. ; Müller, Stellwtg der juristischen Person, S. 58 ff ; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 19 ff. wtd passim.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

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len36, seine Subjektivierung anstreben37 oder aber nur eine strafrechtliche Gleichstellung aller Unternehmensträger fordern38 . Der Begriff des Unternehmens war oben zunächst nur vorläufig in seiner Grundbedeutung bestimmt worden. Dieser steht die Verwendung im Strafrecht nahe39 , in der Regel unter Gleichstellung mit dem Betrieb, so daß es auf die in anderen Rechtsgebieten, namentlich dem Arbeitsrecht, wichtige Unterscheidung von Betrieb und Unternehmen nicht ankommt40 . Der Begriff des Unternehmens dient dabei der Vermeidung von Strafbarkeitslücken. Demnach können Betrieb und Unternehmen einheitlich gefaßt werden als "eine planmäßige und meist auch räumlich zusammengefügte Einheit mehrerer Personen und Sachmittel unter einheitlicher Leitung zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zwecks, Güter oder Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen". 41 Auf die Rechtsform kommt es ebensowenig an42 wie auf die Gewinnerzielungsabsicht43 . Natürlich ist die bisherige strafrechtliche Begriffsbildung für die Frage einer strafrechtlichen Unternehmenshaftung nicht ergiebig, da es immer wenn nicht um eine Bestimmung des Schutzgutes (etwa§§ 303 b, 5 Nr. 7 und sowohl als Nutznießer als auch als Opfer in§ 265 b), so doch um die Zurechnung von Verantwortung an Individuen(§ 14 StGB, § 9 OWiG) geht, der "handelnde" Organismus Unternehmen als solcher also keine Rolle spielt. Damit ist nicht nur die generelle Problematik einer Verbandsstrafe angesprochen, sondern die spezifische Schwierigkeit, das Verhältnis der oben genannten Einheiten (juristische Per36 So die Praxis des EG Kartellstrafrechts Wld Hamann, Unternehmen als Täter; zustimmend wohl auch Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 292 ff. 37 So Müller, StellWlg der juristischen Person, S. 58, Wld Erhardt, Unternehmensdelinquenz S. 225 ff., ersterer beschränkt auf das OWiG. 38 So Schroth, Unternehmen als Normadressaten, passim, insb. S. 222 f. zum Strafrecht; zum OWiG: Tiedemann, in: VerhandlWlgen des 49. DJT Bd.1, S. C 58; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 235 f.; Müller, StellWlg der juristischen Person, S. 51. 39 Der Begriff findet etwa VerwendWlg im StGB: §§ 5 Nr. 7, 11 Abs. 1 Nr. 4 b, 14 Abs. 2 S. 2, 264 Abs. 6, 265 b, 303 b; im OWiG: §§ 130 Wld 9 Abs. 2. 40 Müller-Guggenberger, in: Ders.: Wirtschaftsstrafrecht § 19 Rn. 14 ff. 41 LK-Schünemann, § 14 Rn. 54, der im Gegensatz zur Vorauflage LK-Roxin, § 14 Rn. 33, allerdings nicht unmittelbar das Unternehmen einbezieht, aber Wlter Rn. 55 ausfiihrt, daß die extensive Auslegung seiner Betriebsdefinition "den Begriff des Unternehmens in seinen verschiedenen BedeutWlgsnuancen" umfaßt. 42 Ebd. 43 Müller-Guggenberger, in: Ders.: Wirtschaftsstrafrecht, § 19 Rn. 17.

C. Einheitliche Strafbegründung

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sonen und teilrechtsfähige Personenvereinigungen) zu der prima facie nur wirtschaftlichen Einheit Unternehmen zu bestimmen. Die Strafrechtswissenschaft kann dieser in der Zivilrechtswissenschaft umfassend diskutierten Frage nicht vollständig ausweichen, wenn die postulierte Überschreitung des Individualstrafrechts auf ein Unternehmensstrafrecht abzielt und die Ausrichtung an der wirtschaftlichen Einheit und ihrer extensiven Zurechnung im Konzern im Wettbewerbsrecht der europäischen Gemeinschaft als "Pionierleistung" oder auch" Speerspitze des Kollektivstrafrechts in Europa" 44 angepriesen wird. Terminologisch ist zunächst festzuhalten, daß sich gegenüber dem oben gewonnen Ausgangspunkt keine Abweichungen ergeben, wenn die strafrechtliche Reaktion auf rechtlich zumindest teilweise verselbständigte Einheiten Bezug nimmt, die ein Unternehmen betreiben. Gemeint ist dann nichts anderes als die Zuordnung einer Aktivität, des Unternehmerischen Handelns45, oder aber eines Gegenstandes, der sachenrechtlich nicht zureichend erfaßbaren Vermögenseinheil Unternehmen46. Diesem Leitbild folgt in die eine oder andere Richtung die moderne Unterscheidung von Unternehmen und Unternehmensträger.47 Der Unternehmensträger ist das Zuordnungssubjekt aller Rechte und Pflichten des Unternehmens. 48 Er ist wirtschaftliches Aktivitätszentrum und rechtszuständige Stelle des Unternehmens und kann durch unterschiedlichste Rechtssubjekte und Personenvereinigungen ausgefüllt werden.49 Die umrissene Konstruktion gibt nach überwiegender Meinung die geltende Rechtslage des allgemeinen Privatrechts wieder; Vorschläge zu einer Personifizierung des Unternehmens haben sich nicht durchgesetzt. 50 Ihr zufolge wäre eine strafrechtliche Sanktion gegenüber dem Unternehmen eine solche gegenüber dem Unter-

44 Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 293 und 291; Vorreiterrolle und Modellcharakter messen dem auch Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, S. 246 f., und Hamann, Unternehmen als Täter, S. 229, bei; eine Tendenz zur Ausbildung eines Unternehmensstrafrechts nach dem Vorbild des EG Rechts, "welches sich zumindest teilweise von herkömmlichen strafrechtlichen Kategorien löst" wird auch konstatiert bei lmmenga!Mestmäcker-Tiedemann, Vor§ 38 Rn. 9.

45 Vgl. Rittner, Wirtschaftsrecht, S. 129. 46

K. Schmidt, Handelsrecht, § 6 I 1, S. 138 ff

47 Rittner, Werdende juristische Person, S. 282 ff ; Ders. , Wirtschaftsrecht, S. 127 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 41V 1 , S. 78 ff m. w. N. 48

K. Schmidt, Handelsrecht, S. 81.

49 Rittner, Werdende juristische Person, S. 285 f. 50 Rittner, Werdende juristische Person, S. 288 f., zusammenfassende Kritik ebd.,

s. 289 ff

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

65

nehmensträger51 , ein Rechtsverhältnis ausschließlich ein solches zum Unternehmensträger, so wie dieser auch nur Adressat von Normen sein kann. Die Bestrafung eines unternehmerisch tätigen Verbandes unterschiede sich in nichts von der eines sonstigen Verbandes. Der Begriff eines Unternehmensstrafrechts würde also nur zum Ausdruck bringen, daß durch die Schaffung strafrechtlicher Maßnahmen gegen Verbände eine Gleichbehandlung aller Unternehmensträger gewährleistet würde, die im übrigen der Gleichheit der Marktchancen gewissermaßen als ordnungspolitische Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen dienlich wäre. Aber auch dieses ist nicht mehr als eine Spezifizierung des allgemeinen Anliegens, das Sanktionsprivileg der Verbände, wenngleich nur für einen Teilbereich und unter lnkaufnahme der Privilierung nicht am Markt auftretender Verbände, zu beseitigen. Daß diese Gleichstellung ihre eigenen Gefahren für ein Schuldstrafrecht begründet und zwar im Rückschlag der Gleichstellung auf den Einzelkaufmann wird noch näher zu erläutern sein. Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn sich der strafrechtliche Zugriff auf das Unternehmen als solches richtet, auf die organisatorische, einem wirtschaftlichen Zweck dienende Einheit, muß doch nun geklärt werden, wie sich die neue subjektive Einheit zu den traditionell als Unternehmensträger bestimmten "Inhabern" verhält. Nun könnte es so scheinen, als ob diese Frage für die eigentliche Problemstellung von eher sekundärer Bedeutung ist und nur namentlich beim Sonderfall nicht rechtlich verselbständigter Konzerne - eine Wiederholung der althergebrachten Diskussion um die einer Verbandsstrafe immanente Sanktionierung Unschuldiger auf einer nächsthöheren Ebene ist, indem auch dort die Lösung ersichtlich davon abhängt, wie das Verhältnis der Einheiten bestimmt wird. Für eine Untersuchung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Vereinbarkeil der Verbandsstrafe mit dem Individualstrafrecht zu analysieren, scheint daher eine klare Abfolge der Fragen vorgezeichnet, nämlich die nachgeordnete Behandlung der nächsthöheren Systemebenen. Dieser Schluß trügt allerdings, da im Unterschied zu der Grundfrage hier gerade nicht die Einordnung verschiedener Einheiten in eine nächst höhere rechtliche Einheit zu klären ist und die Subjektsverschiebung sich beabsichtigterweise grundlegend auf die Ausgestaltung der Sanktion auswirkt. Damit sind Fragen der Bestimmtheit nicht des Verhaltens, sondern des Subjekts und damit der Identität von Täter und Sanktionsadressat aufgeworfen. Schließlich wird auch eine

51 So dann auch im strafrechtlichen Schrifttwn Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 24m. Fn. 75, Wld auf der Strafrechtslehrertagung 1993 (vgl. Vitt, ZStW 105 (1993), S. 813); Müller-Guggenberger, in: Ders.: Wirtschaftsstrafrecht, § 19 Rn. 26; de lege 1ata auch akzeptiert von Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 222 ff. ; Wlklar Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 20 ff. (dazu noch Wlten im Text). S v. Freier

C. Einheitliche Strafbegründmtg

66

neue Schnittstelle von Individual- und Kollektivstrafrecht eröffnet, indem eine Subjektivierung des Unternehmens konsequenterweise nicht vor dem Einzelkaufmann haltmachen kann. Aus kollektivstrafrechtlicher Sicht geht es vorrangig darum, daß die "kriminogenen Faktoren", Organisation und Verbandsgeist, ihr Potential nicht nur im gesellschaftrechtlich begrenzten Verband entfalten, sondern durch die Delegation von Aufgaben und Entscheidungszuständigkeiten und die als durchgreifend angesehene Macht der Verbandsattitüde auch und gerade im wirtschaftlichen Organismus des Unternehmens. Um auch das einzelkaufmännische Unternehmen einzubeziehen, ließe sich besser formulieren, daß das Unternehmen auch losgelöst von seinem Inhaber die kollektiven Bedingungen erfüllt, die das Individualstrafrecht vermeintlich zu seiner Aufhebung drängen und es als solches organisierter Verband ist. Zur körperschaftlichen Seite kommt ein eher anstaltliebes Element hinzu52 , nämlich der Bestand an Mitteln, in den dann auch die durch ein deliktisches Verhalten erlangten Vermögenswerte einfließen können. Die Vermögenseinheit "Unternehmen" soll nun in ihrer Verselbständigung vom Unternehmensträgererfaßt werden, gerade um der Instrumentalisierung der Rechtsformen begegnen zu können. Der Substratwechsel soll eine Flucht des Rechtsträgers bzw. seines Vermögens aus der Verantwortung verhindern.

a) Unternehmen als wirtschaftliche Einheit zwischen verschiedenen Rechtsträgem

Von besonderer Bedeutung ist zunächst, daß die geschilderte Konzeption des Unternehmens, d. h. die Gliederung in Unternehmensträger und Unternehmen als wirtschaftlich-organisatorische Einheit, keineswegs alle Erscheinungsformen des Unternehmensbegriffs abdeckt. Ganz im Gegenteil herrscht Übereinstimmung, daß es einen allgemeinen Rechtsbegriff des Unternehmens gar nicht gibt, sondern daß der im Gesetz anzutreffende Begriff Unternehmen je nach dem Normzweck des jeweiligen Gesetzes auszulegen ist. 53 Die Normen des Kartell- und Konzernrechts richten sich ihrem Wortlaut nach an die Unter52 Eine Vereinigmtg anstaltlieber mtd körperschaftlicher Merkmale im Unternehmen diagnostiziert Raiser, Unternehmen als Organisation, S. 168, mtd setzt sie in Beziehmtg zu den organisationssoziologischen Termini Interaktion mtd Zweckorientiermtg. Ob dieses zutri1R kann hier dahingestellt bleiben. Die Unterscheidmtg eignet sich aber, um die lUtterschiedlichen Begründmtgen fiir den strafrechtlichen Substratwechsel zu systematisieren. 53 Vgl. nur K.

Schmidt, Handelsrecht, § 4 I I, S. 63 f., m. w. N.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

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nehmen. Die teleologische Bestimmung des Unternehmensbegriffs hat dort zu einer dezidiert wirtschaftlichen Betrachtungsweise geführt, die sich nicht nur von den rechtlichen Formen löst, sondern auch die organisatorisch-institutionelle Begriffsbildung zuweilen hinter sich läßt. 54 Dieser funktionale Unternehmensbegriff erfaßt im GWB jedes Handeln im geschäftlichen Verkehr, welches selbständig ist und nicht nur dem privaten Verbrauch dient. 55 Die selbständige Marktteilnahme setzt dabei nicht die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit voraus. 56 Diese Entkoppelung soll es insbesondere ermöglichen, den Konzern ohne eigene Rechtspersönlichkeit als Unternehmen zu behandeln und so Umgehungsmöglichkeiten durch die Gestaltung der rechtlichen Organisation abzuwehren. 57 Die Normadressaten bleibenjedoch die Unternehmensträger. 58 Selbst wenn man dieses verneinen und die Unternehmen zu Normadressaten erklären wollte, bliebe dieses für die strafrechtliche Sanktionierung weitgehend folgenlos, da die unmittelbare Bußgeldhaftung der§§ 38 ff. GWB an das Handeln natürlicher Personen anknüpft, denen u. U. die Unternehmenseigenschaft durch § 9 OWiG zugerechnet werden muß. Die Erstreckung der Verantwortung gern. § 30 OWiG bleibt aber auf rechtlich verfaßte Einheiten bezogen, für die der Täter gehandelt hat59, d. h. insofern besteht ein Unterschied zwischen wettbewerbsrechtlichem und strafrechtlichem Tatbestand. Ganz anders verhält es sich in der Sanktionspraxis des europäischen Wettbewerbsrechts, wo der strafrechtliche Zugriff auf ein vorrechtliches bzw. von der rechtlichen Verfaßtheit losgelöstes Substrat durchgeschlagen hat. Die Art. 85 und 86 EGV richten sich an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, an deren Normadressatenschaft sich auch nichts durch das Hinzutreten der Bußgeldbewehrung in den Verordnungen ändern soll, zu deren Erlaß 54 Vgl. hnmenga/Mestmäcker-/mmenga, § I Rn. 34 Wld zum institutionellen Unternehmensbegriff auch noch Rn. 39, sowie lmmenga/Mestmäcker-Mestmäcker, § 23 Rn. 6 f für das GWB, wobei dort bereits streitig ist, ob innerhalb des GWB von einem einheitlichen Unternehmensbegriff auszugehen ist. 55 Immenga/Mestmäcker-Immenga, 56 Ebd.,

§ 1 Rn. 40 tf, insb. 46.

Rn. 50.

57 Ebd., Rn. 56 f und 50 f; für die Mißbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle ist dieses positiviert in § 23 Abs. 1 S. 2 Wld § 22 Abs. 3 S. 2 GWB. 58 K. Schmidt, wistra 1990, S. 131; offen insofern lmmenga/Mestmäcker-Tiedemann, vor § 38 Rn. 28, wonach sich die aufUnternehmen begrenzten Bußgeldnormen Wld Sanktionen an Unternehmen "bzw." Unternehmensträger richten; gegen eine Normadressatenschaft des von seinem Täger losgelösten Unternehmens auch BGHSt 20, 333, 337. 59

s•

Zu AufweichWigen dieses AusgangspWlktes in der RechtsprechWlg s. noch Wtten.

68

C. Einheitliche Strafbegründ1mg

Art. 87 EGV ermächtigt. Individualstrafrechtliche Sanktionen kennt das derzeitige EG Kartellstrafrecht nominell nicht. Als Täter gilt das Unternehmen. 60 Der Unternehmensbegriff wurde vom EuGH zunächst ausgehend von der Rechtsprechung zum EGKSV auch im EWG-Vertrag, der ihn ebenso wie die Verordnungen nicht definiert, verstanden als "einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit welcher auf Dauer ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird". 61 Unschwer lassen sich in dieser Begriffsbildung organisatorische Einheit und Zuordnung zu einem Rechtsträger auseinanderhalten. Davon hat sich die Kommission gelöst. 62 Ihr gilt jede gewerblich tätige Einheit als Unternehmen. Im Interesse eines effektiven Wettbewerbsschutzes dominiert eine wirtschaftlich-funktionale Auslegung, die relativ unabhängig ist von der Rechtsträgerschaft nach innerstaatlichem Recht. Der EuGH hat sich zu dieser veränderten Sichtweise noch nicht ausdrücklich geäußert, ihr aber auch nicht widersprochen. 63 Ihr Hintergrund wird deutlich in den Konstellationen, in denen beide Konzeptionen miteinander kollidieren und um derentwillen die wirtschaftliche Betrachtungsweise sich von der rechtlichen Zuordnung löst: Fälle der Rechtsnachfolge und der Zurechnung im Konzern, in denen die wirtschaftliche Betrachtung auf die Verfügbarkeit der Rechtsformen und damit auf die bei rein praktischer Betrachtung mögliche Verfügung über den "Täter" reagiert. Dabei geht es im folgenden nicht darum, die Entscheidungspraxis im EG Kartellstrafrecht umfassend zu untersuchen, sondern um die dogmatische Begründbarkeit und ihre Modellfunktion für ein Kollektivstrafrecht Es soll gezeigt werden, in welche strafrechtsdogmatische Schwierigkeit eine bestimmte Begründungskonstruktion führt und warum dieses ihren Vorbildwert in Frage stellt, selbst wenn man eine Verbandsbestrafung bejahte.

Dieses sei hier zunächst an den Konstellationen der Rechtsnachfolge gezeigt. Ein Abstellen auf die wirtschaftliche Sichtweise ist unter instrumentalfunktionalen Gesichtspunkten dann nicht erforderlich und wird auch von der Kommission nicht praktiziert, wenn ein Rechtsträger die delinquente organisatorische Einheit bzw. Unternehmensvermögen nach Abschluß des delikti-

60 Vgl. Hamann, Unternehmen als Täter, S. 17; Siohl, Schuldfeststel11m.g bei Unternehmen, S. 108. 61 EuGH Slg. 1966, 337; vgl. Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 253. 62 Vgl. die Entscheid1mgsanalysen von Dannecker, in Schünemann/Gonzales (Hg.), Bausteine, S. 334; Dannecker!Fischer-Fn'tsch, EG-Kartellrecht S. 253 f. ; Hamann, Unternehmen als Täter, S. 13 ff.

63 So das Ergebnis der Entscheidlm.gsana1yse von Hamann, S. 15; Dannecker, in Schünemann/Gonza1es (Hg.): Bausteine, S. 335.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

69

sehen Verhaltens auf eine andere Person überträgt, selbst aber erhalten bleibt: verantwortlich bleibt nach Ansicht der Kommission der ehemalige Unternehmensträger.64 Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn der ehemalige Rechtsträger nicht fortbesteht, weil er umgewandelt, liquidiert oder mit dem neuen Unternehmensträger verschmolzen ist. Sofern die wirtschaftliche Einheit in gleicher oder ähnlicher Weise erhalten bleibt und eingesetzt wird, verhängt die Kommission die Buße gegen den neuen Unternehmensträger auch wenn unter der neuen Unternehmensträgerschaft kein Verstoß mehr nachgewiesen werden konnte.65 Dieses soll nicht gegen das Analogieverbot verstoßen, da der Begriff des Unternehmens eine so weite und wirtschaftliche Kriterien nicht ausschließende Auslegung zulasse. 66 Das mag zutreffen, ändert jedoch nichts daran, daß es sich um eine zutiefst widersprüchliche und strafrechtsdogmatisch unhaltbare Konstruktion handelt, so daß sich die Bedenken hinsichtlich ihrer Übertragung auf ein nicht nur kartellrechtliches Unternehmensstrafrecht nicht darin erschöpfen, daß die bislang (zwangsläufig) unzureichende Bestimmtheit der Unternehmenseinheit die Rechtssicherheit beeinträchtigt.67 Die Aporie des Konzepts offenbart der Blick auf die Sanktionsvollstreckung. Das Gemeinschaftsrecht verweist hierfür auf das nationale Recht (Art. 92 Abs. 2 EGKSV) und die Zivilprozeßordnung (Art. 192 Abs. 2 EGV). Das deutsche Recht kennt als Vollstreckungsschuldner nur Personen im rechtlichen Sinne und nicht Vermögensmassen als solche. Dem trägt nach teilweise vorgetragener Ansicht die Kommission hinreichend Rechnung, indem sie die Entscheidungen an juristische Personen richtet, auch wenn diese nicht identisch sind mit dem handelnden Unternehmen. 68 Zum Teil wird weitergehend daraus geschlossen, daß jedenfalls nach deutscher Dogmatik Adressat sowohl der Bußgeldnormen als auch der Sanktionen nur Personen im Rechts-

64 Vgl. die Nachweise bei Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 255 ; Hamann, Unternehmen als Täter, S. 96 f, 106,211. 65 Kom. Abl. 1986 L 230 , S. 1 ff. , 32 f (Propylen); Kom. Abl. 1989 L 74, 1 ff. , 14 ff. (PVC); Kom. Abl. 1989 L 74, 1 ff., 35 ff. (LDPE). 66 So Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 258; Dannecker, in: Schün~ mann/Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 335.

67 So der EinwandDanneckers, in: Schünemann/Gonza1es (Hg.), Bausteine, S. 335. 68 Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 258. Vgl. Korn. Abi. 1986 L 230, 32 und Abl. 1989 L 74, S. 15: trotzdes wirtschaftlichen Unternehmensbegriffs müsse die Durchsetzung gegenüber einer Rechtspersönlichkeit erfolgen, da nur ihr gegenüber eine Geldbuße vollstreckt werden könne.

C. Einheitliche StratbegriindWJ.g

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sinne sein könnten. 69 Diese eher technische Überlegung läßt sich ergänzen um die Erwägung, daß dieses auch praktisch notwendig sei, um klarzustellen, wer haftet, und zudem die in der wirtschaftlichen Einheit enthaltenen fremden Güter von der Haftung auszunehmen.70 Der angedeutete zwingend personale Bezug der strafrechtlichen Haftung geht über bloß technische, beliebig änderbare Äußerlichkeiten hinaus: Die explizite Trennung von Täter und Entscheidungsadressat ist nichts anderes als die Unterscheidung von Täter und Bestraftem, m. a. W. unter strafrechtlichen Gesichtspunkten eine Fremdverschuldenshaftung. Um dieses zu vermeiden müßte schon die Rechtssubjektivität des Unternehmens ins Auge gefaßt werden, ohne daß dieses unmittelbar eine Antwort auf die Frage böte, wie sich die Haftung dieses personifizierten Zweckvermögens oder Personenverbandes zu derjenigen der anderen beteiligten Subjekte verhielte. Besonders Hamann hat sich um eine dogmatisch vertiefte Fundierung der Kommissionspraxis bemüht, auch und gerade ihrer Ausrichtung auf die wirtschaftliche Einheit als Täter. Zutreffend stellt er fest, daß es die Identität des Täters trotz Veränderung des Unternehmensträgers "strenggenommen" nicht erlaube, von einer Verantwortlichkeit des Rechtsnachfolgers zu sprechen. 71 Ein Abstellen auf die gesellschaftsrechtliche Rechtspersönlichkeit könne die Verantwortlichkeit des Rechtsnachfolgers kaum begründen, da er keine Möglichkeit habe, auf die vergangenen Handlungen anderer Einfluß zu nehmen, so daß die Zurechnung der Unternehmenshandlungen nicht schlüssig erklärbar sei.72 Der wirtschaftliche Unternehmensbegriff impliziere jedoch, daß die gesellschaftsrechtliche Umgestaltung "lediglich zu einem anderen Entscheidungsadressaten, nicht aber zu einem anderen Täter" führe. 73 Entscheidungsadressat sei diejenige juristische Person, der der Zugriff im Innenverhältnis auf den Täter möglich sei und die nach außen im wesentlichen fiir den Täter in Erscheinung trete. 74 Daß die ganze Konstruktion der Sache nach nichts anderes ist als die von Hamann verworfene Zurechnung eines fremden Delikts, bleibt unerwähnt. Der Entscheidungsadressat hatte diesen Einfluß nicht zum

69 Tiedemann, Fs. Jescheck, S. 1419; i. E. auch Siohl, SchuldfeststellWJ.g bei Unternehmen, S. 151, der ansonsten aber das Verhältnis von Unternehmen WJ.d Unternehmensträger im WJ.klaren läßt, vgl. nur S. 148.

70 Vgl. Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 506. 7 1 Hamann, Unternehmen als Täter, S. 204 f.

72 Ebd. , S. 206 f. 73 Ebd., S. 206. 74 Ebd S.

210.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

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Tatzeitpunkt, war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal wirtschaftlich identisch mit dem "Täter". Zu Recht bemerkt Hamann allerdings, daß die Handhabung der Veräußerung des Unternehmens bei Fortbestehen des Veräußerers in der Kommissionspraxis (s.o.) dem sonstigen Konzept zuwiderläuft75 , indem dann der gesamte "Täter" veräußert wird und konsequenterweise der Erwerber haften müßte, anders gesagt: "bloß" der Entscheidungsadressat wechseln müßte. Wenn dann das Ergebnis dennoch für richtig gehalten wird, so deshalb, weil es einleuchte, daß "letzten Endes die fortbestehende juristische Person belastet werden soll, aus deren Macht- und Vermögensbereich heraus die Wettbewerbsverstöße begangen wurden". Offen bleibt nur, warum diese Handhabung sich auf fortbestehende Personen beschränkt. Die Antwort kann nur lauten, daß es auf eine strafrechtliche Verantwortung überhaupt nicht ankommt. Die konstruktiven Bemühungen dienen nur dazu, einer genuin zivilrechtlichen Ha:ftungskontinuität, vornehmlich zum Zwecke der Gewinnabschöpfung, das Odium einer reinen Fremdverschuldenszurechnung zu nehmen.76 Eine solche Übereinstimmung erkennt Hamann nur für die früheren Versuche der Kommission an, die Haftung unmittelbar auf eine Handlungszurechnung zum neuen Unternehmensträger zu stützen, wenn er kritisch dazu vorträgt, eine Nachfolge in zivilrechtliche Verbindlichkeiten könne eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht nach sich ziehen.77 Sein eigener Versuch, das gesuchte Ergebnis mit dem wirtschaftlichen Unternehmensbegriff zu vermitteln, zeigt noch einmal die Schwierigkeiten, in die ein Absehen von rechtsbegrifllichen Strukturen führt. Nach Hamann soll die Fähigkeit des ehemaligen Unternehmensträgers, die Veräußerungsentscheidung zu treffen, diesen als Teil der wirtschaftlichen Einheit erweisen, so daß ein Teil der Einheit, gemeint ist der Veräußerer, beim Veräußerer verbleibt. 78 Abgesehen davon, daß hier das maßgebliche Subjekt schlichtweg nicht mehr identifizierbar ist, sich eine sinnvolle Redeweise von Rechtspersonalität aufhebt, leuchtet auch nicht ein, warum der Verkauf von Teilen des "Täters" unproblematisch sein soll79 , warum dann nicht die Verdoppelung des Entscheidungsadressaten, die der Tei-

75 Ebd., S. 211. 76 Sie erinnern daher an die nicht stringent durchgeführte ratio der §§ 25 ff. HGB, welche die fehlende Rechtsfähigkeit des Unternehmens beim Unternehmenswechsel kompensieren sollen und daher Verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse dem jeweiligen Unternehmensträger zuordnen, vgl. dazu K. Schmidt, Handelsrecht, § 8 I, insb. s. 221. 77 Hamann, Unternehmen als Täter, S. 206.

78 Ebd. , S. 212. 79 So Hamann, Unternehmen als Täter, S. 211.

C. Einheitliche Strafbegründung

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lung des Täters folgt, angemessen ist. Hinzu kommt folgendes: Die an einer Haftungskontinuität zwecks Gewinnabschöpfung orientierte Strafrechtspragmatik steht in der Gefahr, auch noch den wirtschaftlichen Unternehmensbegriff über sich selbst hinaus zu treiben bzw. in wünschenswerter Klarheit und Notwendigkeit auf die Rechtspersonen zurückgeworfen zu sein, nämlich dann, wenn der Übernehmer des Unternehmens die wirtschaftliche Einheit zerschlägt. Hamann erwägt hier, daß die Auflösungsentscheidung eine wirtschaftliche Einheit konstituiert, von der dann durch die Auflösung nur ein Teil untergeht, was die Haftung unberührt lasse. 80 Hier steht nicht mehr die zivilrechtliche Haftungskontinuität bei Unternehmensfortführung, sondern der Gedanke der Vermögensübernahme Pate. Zum Schwur kommt es bei vollständiger rechtlicher und faktischer Liquidation von Träger und wirtschaftlicher Einheit. Zutreffend stellt Hamann fest, daß immer ein Entscheidungsträger verbleibe, letztlich die Anteilseigner81 , der dann wohl durch die Auflösungsentscheidung zur wirtschaftlichen Einheit mit dem Unternehmen verschmelze. Mag dieser Rekurs auf die letztendlichen Entscheidungsträger auch eine tiefere Wahrheit enthalten - allerdings eine, die das Verbandsstrafrecht fundamental in Frage zu stellen scheint - so macht er doch deutlich, daß eine praktikable Gewinnabschöpfung so sehr im Vordergrund steht, daß auf die Identität von Täter und Bestraftem vollends verzichtet wird. Es bestätigt sich, daß die Beteiligten des Strafrechtsverhältnisses nicht an den Rechtsformen vorbei konstruiert werden können, ohne auf zivilrechtliche Figuren zurückzugreifen, die Grundbegriffen des Strafrechts zuwiderlaufen. Auf einem wirtschaftlichen Unternehmensbegriff kann ein nicht auf Individuen bezogenes Strafrecht nicht aufbauen, wenn eine einheitliche Legitimationsgrundlage gewahrt bleiben soll. Diese Friktionen sind allerdings auch dem deutschen Recht nicht fremd, wie ein immer wieder zitierter Beschluß des BGH aus dem Jahre 198682 zeigt. Fraglich war die Anwendung des§ 30 OWiG in einem Fall, in dem gegen den Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft ein Bußgeld verhängt worden war, da er durch eine vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzung Verstöße von Mitarbeitern gegen das GWB ermöglicht hatte. Das Vermögen der Aktiengesellschaft war unter Ausschluß der Abwicklung nach§§ 15 und 9 ff. Umwandlungsgesetz (a.F.83) auf eine andere Aktiengesellschaft übertragen worden, so daß nun fraglich war, ob gegen diese ein Bußgeld verhängt werden konnte. Die

80 Ebd., S. 209. 81 Ebd. 82

BGH, wistra 1986, S. 221 f

83 UmwG

in der Fassmtg der Bekanntmachmtg vom 6.11.1969 (BGBl. I, S. 2081).

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

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Vorinstanz hatte ihre ablehnende Auffassung84 im wesentlichen damit begründet, daß der Vorstandsvorsitzende niemals Organ der bereits zuvor existenten selbständigen Rechtsnachfolgerin gewesen sei. Die Gesamtrechtsnachfolge könne keine strafrechtliche Haftung begründen, da dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht die Haftung für fremdes Verschulden fremd sei. 85 Der BGH hat diesen Ausführungen, denen nach dem oben dargelegten vorbehaltlos zuzustimmen ist, widersprochen: anerkannt sei, daß ein Wechsel der Rechtsform der Festsetzung einer Geldbuße nicht entgegenstehe, wenn das Unternehmen der Sache nach dasselbe geblieben sei. 86 Zwar redet auch der BGH einer Übertragung dieses Prinzips auf den vorliegenden Fall nicht generell das Wort, hält sie aber auch nicht grundsätzlich für ausgeschlossen. Zugrundegelegt wird eine nach § 30 OWiG und den Anknüpfungstatbeständen gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise. Sinn und Zweck der (damals noch) Nebenfolge des § 30 OWiG sei es, verselbständigte Vermögen zu treffen und die durch die Tat erlangten Vorteile auszugleichen. Die Nebenfolge sei keine originäre Sanktion als Antwort auf eine eigene Pflichtwidrigkeit, sondern es gehe um die Haftung eines Vermögens. Im Ergebnis stellt der BGH daher fest, bedeutungslos sei die gleiche rechtliche Form der Verselbständigung, sofern das Vermögen "in einer anderen Organisation weiterhin vom Vermögen des gemäߧ 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht" 87 . Auch in dieser Argumentation etabliert sich unter der Hand die rein vermögensrechtliche bzw. haf-

84

Dargestellt in der Entscheidung, wistra 1986, S. 221 f..

85 So auch zwn selben Verfahrensgegenstand OLG Frankfurt, WuWIE 3314. 86 Schon diese bei Göhler, OWiG, § 30 Rn. 38 und 38 b, anzutreffende Formulierung ist im Grunde genommen in einer alles weitere präjudizierenden Weise schief, was sich zeigt, wenn als Beispiel der Wechsel von einer OHG zur GmbH angeführt wird. Insoweit kommt es aber nur auf die gesellschaftsrechtliche Identität des Verbandes an, nicht primär auf die Vermögensmassen und wirtschaftlichen Einheiten. Zutreffend insoweit KK-OWiG-Cramer, der von dem Wechsel der Gesellschaftsform und der Identität der Gesellschaft spricht,§ 30 Rn. 56 und 58. 87 BGH, wistra 1986, S. 222; die Begründung des Beschlusses wird in der Literatur offenbar nicht so aufgefaßt als ob sie auf die Nebenfolgekonzeption beschränkt wäre (vgl. Göhler, OWiG, § 30 Rn. 38 c), was- sieht man in deren Aufgabe den Schritt zu einer eigenständigen unmittelbar gegen den Verband gerichteten Sanktion- die Fragwürdigkeit noch erhöht. Göhler schränkt die Prinzipien des BGH allerdings dahingehend ein, daß eine Haftungskontinuität nicht begründet werde, wenn zunächst, im Deliktszeitraum, ein nicht von § 30 OWiG erfaßter Unternehmensträger das Unternehmen betrieben hat - anders wenn dieses nur zwischenzeitlich, d. h. nach Deliktsbegehung und vor Übernahme, der Fall war (ebd. , § 30, Rn. 38 b).

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C. Einheitliche StrafbegründWlg

tungsrechtliche Subjektivierung einer Vermögensmasse quer zu den Rechtsformen. Die aus der Gesetzesbegründung zu § 30 OWiG angeführte beabsichtigte Allgleichung von Vor- und Nachteilen aus dem Handeln der Organe geht insofern hinsichtlich des Rechtsnachfolgers fehl, da nicht er durch das delinquierende Organ gehandelt hat und nicht handeln konnte, wohl aber unter Umständen Vorteile daraus zieht. Wiederum geht es also um eine Fremdverschuldenshaftung mit dem Ziel der Vorteilsabschöpfung, zu deren Zweck die Organe der Verbände zu Organen der Vermögensmassen werden. Die Fälle der Rechtsnachfolge zeigen damit, daß die Sanktionierung einer wirtschaftlichorganisatorischen Einheit als solcher einer der Individualstrafe gleichen oder auch nur gleichartigen Verbandsstrafe nicht zum Vorbild dienen können. Die Frage kann dann nur noch sein, ob eine eigenständige Begründung von Geldbußen als verwaltungs- bzw. ordnungsstrafrechtlichen Maßnahmen den qualitativen Unterschied zu einer Bestrafung insoweit hinreichend leisten kann. Neben den Fällen der Rechtsnachfolge hat das Täterunternehmen als wirtschaftliche Einheit im EG-Kartellstrafrecht sein zweites entscheidendes Allwendungsfeld in der Sanktionierung des Konzerns, wiederum nicht wie im deutschen Recht in der Anknüpfung an die Individualtat und ihrer Zurechnung zum dazugehörigen rechtlich verfaßten Verband88, sondern durch eine die rechtliche Selbständigkeit der Konzerngesellschaften relativierende Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verbundenheit. Während der EuGH das Verhalten abhängiger Gesellschaften der Muttergesellschaft zurechnet89 , liegt der Praxis der EG-Komrnission wiederum eine weite Auslegung des Unternehmensbegriffs zugrunde90 . Hier geht es nicht darum, daß die Kriterien, die eine wirtschaftliche Einheit als "Täter" erscheinen lassen, und jene, die eine Zurechnung des Verhaltens nach kollektivstrafrechtlichen Grundsätzen der Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft erlauben, weitgehend identisch sein mögen91 , und auch nicht darum, ob diese Kriterien sich strafrechtsdogmatisch 88 Vgl. nur Immenga!Mestmäcker-Mestmäcker, § 1 Rn. 63, wo für das Verwalt\Ulgs- Wld Beschwerdeverfahren die KonzernWltemehmensträger als Beteiligte angesehen werden und der Unternehmensbegriff nur der BeurteilWlg der Marktanteile Wld der Verhinde!Wlg von Umgeh1m.gsversuchen dient. Nichts anderes kann für das Bußgeldverfahren gelten, wobei hier die VermittlWlg über das zu einer rechtlichen Formation gehörige Individualverhalten die strafrechtliche Täterschaft des wirtschaftlich betrachteten Einheit ausschließt. 89 Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 265; Lipowsky, ZurechnWlg von Wettbewerbsverstößen, S. 54 ff 90 Ebd., Hamann, Unternehmen als Täter, S. 32 f. und 81 f.

ff; zur partiellen Identität im Berichtszeitraum bis 1984 s. Lipowsky, ZurechnWlg von Wettbewerbsverstößen, S. 81 ff , die aber auch darauf hinweist, daß die Kommission auch 91 S. zu den Kriterien im einzelnen Dannecker/Fischer-Fritsch, S. 274

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rekonstruieren lassen als aktive Beteiligung oder aber garantenpflichtwidriges Unterlassen92 . Anzumerken ist insofern nur, daß die "Zurechnungslösung" objektiv an ein Verhalten der zurechnungsbelasteten Gesellschaft und subjektiv an ihr Verschulden anknüpfen müßte. 93 Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang vielmehr, daß die Annahme, die wirtschaftliche Einheit sei der Täter, wiederum von einer Unterscheidung von Täter und Entscheidungsadressaten ausgehen muß. 94 Die pragmatischen Gründe hierfür sind ersichtlich. Der Bezug auf die wirtschaftliche Unternehmenseinheit ermöglicht die Zurechnung nicht nur des Verhaltens aller Mitarbeiter einer bestimmten rechtlichen Einheit, sondern auch die anderer Einheiten; die Bußgeldzumessung kann sich vom Umsatz der bestraften juristischen Person lösen und auf die wirtschaftliche Einheit abstellen und auf einen Schuldnachweis bei der Muttergesellschaft als Teil des Täters käme es nicht mehr an 95 Schließlich ist es möglich, nicht im EU-Gebiet ansässige Muttergesellschaften in die Haftung einzubeziehen. Daß allerdings auch für das Modell der wirtschaftlichen Einheit als Täter und der daraus resultierenden extensiven Zurechnung des Mitarbeiterverhaltens eine "innere Rechtfertigung" gesucht wird96, scheint zunächst angesichts der Dominanz der pragmatischen Perspektive inkonsequent. Sie wird dennoch ge-

die Haftung .für ein Unterlassen der Muttergesellschaft bejaht, S. 84 f und 226 ff.; zusammenfassend zu den Kriterien auch Hamann, Unternehmen als Täter, S. 196 ff. 92 So im Bemühen um eine Zurechnungslösung Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, S. 190 ff. 93 Zutreffend Hamann, Unternehmen als Täter, S. 193; Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, S. 192 ff., insb.S. 206 ff., sieht in der Zurechnungslösung bei aktiver Mitwirkung der Muttergesellschaft eine Kompensation fiir die im Unterschied zur Veranlassung unter selbständigen Unternehmen fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Mitwirkung, die sich aus der in der Literatur umstrittenen, aber in der Entscheidungspraxis anerkannten Nichtanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf konzerninterne Beziehungen ergibt. Für die von der Kommission praktizierte Zurechnung auch bei passivem Verhalten, die sich einer solchen Begründung entzieht, bietet sie eine Parallelisierung mit der Garantenhaftung des Betriebsinhabers an (S. 236 ff.). Beide Erwägungen erübrigen natürlich nicht das Erfordernis der subjektiven Merkmale. 94 Dannecker/Fischer-Fn'fsch, EG-Kartellrecht S. 274; Schünemann, in: Ders./ Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 292. 95 Zu den pragmatischen Gründen Hamann, Unternehmen als Täter, S. 192, zur Strafzumessung auch Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 270.

96 Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 277, und Hamann, Unternehmen als Täter, S. 192 f, verwerfen das Modell der Zurechnung, fordern aber dennoch eine innere Rechtfertigung der Zurechnung. Nach Hamann, Unternehmen als Täter, S. 195, erübrigt sich diese Frage nicht durch die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit.

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C. Einheitliche Strafbegründung

fordert, um das aus der Stellung der Individualtäter folgende Maß der Schuld und den Entscheidungsadressaten bestimmen zu können. 97 Daß damit das Auseinanderfallen von Täter und Entscheidungsadressaten insgesamt in Frage gestellt ist, wird nicht gesehen. Die zur Legitimation angebotene Figur der Aufsichtspflichtverletzung98 scheitert als Erklärungsmodell daran, daß die Zurechnungsprax.is im EG-Wettbewerbsrecht vom Nachweis konkreter Verursachung absieht99 . Soll die Zuweisung von Aufsichtspflichten aber sachhaltig sein, so muß es gerade auf den Nachweis konkret schuldhafter Zuwiderhandlungen ankonunen, wofür dann - die Begründbarkeil solcher Pflichten einmal vorausgesetzt - die wirtschaftliche Einheit als Täter eine überflüssige Konstruktion wäre. Oder aber es wird in aussichtsloser Weise versucht, eine reine Fremdverschuldenshaftung zu vermeiden. Letzteres ist wiederum der Trennung von Entscheidungsadressat und Täter immanent. Hamann bringt es auf den Punkt, wenn er fragt, worin die innere Rechtfertigung dafür liege, eine Konzernmuttergesellschaft auch ohne den Nachweis einer eigenen deliktischen Handlung in die Verantwortung miteinzubeziehen. 100 Die Antwort ist: im Vordergrund stehen nicht Kategorien strafrechtlicher Verantwortung, sondern die Steuerung objektiver wirtschaftlicher Strukturen. Die Begründbarkeil einer solchen repressiven Sanktionsform mag an dieser Stelle dahinstehen. Zum Scheitern verurteilt ist damit aber der Versuch, aus dem EG-Kartellrecht Anhaltspunkte für eine dem Individualstrafrecht noch irgendwie ähnliche Sanktionierung von Unternehmen gewinnen zu wollen.

97 Dannecker/Fischer-Fritsch, EG-Kartellrecht, S. 275 f 98 So Hamann, Unternehmen als Täter, S. 195, im Anschluß an Dannecker!FischerFritsch, EG-Kartellrecht, S. 278. 99 Zum Arguments. Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 293. Der ebd. geäußerte Einwand Schünemanns, das Modell des § 130 OWiG passe nicht für die Begründung zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen, da es an die zivilrechtliehe Hülle des Unternehmens gebunden sei und somit nur bis zu den Organen des Verbandes im engeren Sinne reiche, überzeugt nicht. Denn die von ihm zugrundegelegte dogmatische Basis einer Übertragung von Garantenpflichten mit zurückbleibender Kontrollpflicht wiederholt sich nur auf einer nächsthöheren Ebene: auch innerhalb einer zivilrechtliehen Einheit wird ja im arbeitsteiligen Zusammenhang an Rechtsfahige delegiert. Problematisch ist u. U. somit eine Gesamtdynamik, die vom Binnenverhältnis des garantenpflichtwidrigen Geschäftsherren zu seinen Mitarbeitern zur Verbandshaftung fiihrt und sich im Verhältnis selbständiger Unternehmen zur Muttergesellschaft fortsetzt. Hat man strafrechtlich einmal die erste Entpersönlichung mitgemacht, scheinen die weiteren Schritte allerdings keine zusätzlichen Schwierigkeiten mehr zu bereiten.

100 Hamann, Unternehmen als Täter, S. 197.

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Der wirtschaftliche Unternehmensbegriff vermag ein dem Individualstrafrecht vergleichbares Unternehmensstrafrecht nicht zu tragen. Sein Anliegen ist es, der privatautonomen Verfügung über die Rechtsformen und den darin liegenden Möglichkeiten, der Strafhaftung den "Täter" bzw. die Haftungsmasse zu entziehen, Herr zu werden. Zu diesem Zweck wird ein Subjektwechsel vorgenommen, der aber wirtschaftlich bleiben muß, um die Vollstreckung noch rechtsformig durchführen zu können. Das Ergebnis ist dann jedoch zwangsläufig das Auseinanderfallen von Täter und Entscheidungsadressaten, was ernstgenommen nichts anderes bedeutet als die Umettikettierung einer Fremdverschuldenszurechung. Insofern sprengt das europäische Kartellstrafrecht in der Tat die gängigen Zurechnungskriterien.1°1

b) Rechtssubjektivität und die Zurechnung von Individualtaten Sofern gefordert wird, beim Unternehmen nicht nur als wirtschaftliche Einheit, sondern als Rechtssubjekt anzusetzen, erklärt sich dieses auch aus dem Bestreben, die Verantwortlichkeit der Einheit auf alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Stellung in der Unternehmenshierarchie zu erstrecken - ein Resultat, das sich auch mit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise erreichen ließe. Hinzu tritt das Argument, nur durch ein rechtsformübergreifendes Unternehmensstrafrecht den gleichgelagerten Sachproblemen gerecht werden zu können und eine gerechte Gleichbehandlung zu gewährleisten. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, steht in der aktuellen Diskussion der Verbandsbestrafung die strafrechtliche Reaktion auf die von Unternehmen ausgehenden Rechtgutsgefahren im Vordergrund. Die Unternehmenskriminalität erwies sich als eine spezielle, in ihrer Normalität und immanenten ökonomischen Rationalität besonders gefahrliehe Ausprägung der Verbandskriminalität, bestimmt durch die Organisation und die Möglichkeit eines kriminellen Verbandsgeistes. Entscheidend ist nun, daß diese Bestimmungsgründe, wie bereits oben erwähnt, den Verband im engeren gesellschaftsrechtlichen Sinne überschreiten. Sie erfassen den Gesamtorganismus der wirtschaftlichen Einheit und damit auch die nicht zum Verband im engeren Sinne und seiner Vertretungsordnung gehörenden Arbeitnehmer. Gerade wenn innerverbandliehe Pression und Aufgabendelegation von oben nach unten verlaufen und der Verband als "Sitz" der Kriminalität ausgemacht ist, muß die Verbandsverantwortung weiter gezogen werden, darf sie sich nicht in der strafrechtlichen Haftung 101 Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 293, der allerdings im Ergebnis zustimmt; auf sein vom Schuldprinzip abweichenden Konzept des Präventionsnotstandes ist an anderer Stelle einzugehen.

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C. Einheitliche StrafbegründWJ.g

für die Straftaten eines kleinen Kreises von Leitungspersonen erschöpfen, dem es dann gelingen kann, das Delikt aus dem Verband gleichsam herauszudelegieren, deliktsgeneigte Tätigkeiten auf solche Personen zu übertragen, deren Abhängigkeit vom Verband besonders groß ist, die ihn aber in gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht repräsentieren; eine Entlastungstechnik, die auch in der Anwendungspraxis des § 30 OWiG moniert wird102 und im wesentlichen durch die Unterlassungshaftung aufgefangen wird. Die pragmatischen Vorteile einer dieses vermeidenden (kollektiven) Verantwortungsausdehnung werden besonders dann deutlich, wenn man die Verbandssanktion vom Nachweis der Identität des Individualtäters entlastet und zwar dann nicht nur innerhalb der Leitungsorgane sondern in der Gesamtorganisation. Vorbilder für eine Verantwortungsausdehnung finden sich nicht nur im Verbandstrafrecht der USA. Auch das europäische Wettbewerbsrecht rechnet das Verhalten aller Personen, die befugtermaßen für das Unternehmen tätig werden, dem Unternehmen zu, die Kornission sogar auch dasjenige von außenstehenden Beauftragten und Bevollmächtigten. 103 Jedenfalls kann die Einbeziehung Außenstehender nur einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise entspringen, die konsequenterweise auch nicht vor organisatorischen Grenzen haltmachen muß oder anders gesagt die Organisationsgrenzen rein ökonomisch definiert und so auf die rechtlich flexible Bestimmung von innen und außen reagieren kann 104 - ein weiterer Hinweis auf die notwendige Unbestimmtheit der wirtschaftlichen Betrachtung und ein eindeutiger Fall einer Fremdverschuldenshaftung105. Ansatzpunkte für eine Überschreitung der strikten Grenzen von willensund handlungskonstitutiven Organen und sonstigen Funktionsträgern finden sich auch im deutschen Recht. In der zivilrechtliehen Rechtsprechung ist die ursprüngliche Konzeption des § 31 BGB, die Haftung an das Handeln von

102 Vgl. Erhardt, Unternehm.ensdelinquenz, S. 226; zu WJ.terscheiden ist in der Kritik, ob sie sich fiir die EinbeziehWJ.g aller Arbeitnehmer (so z.B. Müller, StellWJ.g der juristischen Person, S. 70) oder nur bestimmter gewillk:ürter Vertreter (so z. B. Tiedemann, in: VerhandlWJ.gen des 49. DJT Bd. 1, S. C 57) ausgesprochen hat. Letzteremist der Gesetzgeber 1994 nachgekommen (s.o.). 103 Vgl. Tiedemann, Fs Jescheck, S. 1419 f. ; Nachw. bei Dannecker/FischerFritsch, EG-Kartellrecht, S. 258 ff. , Hamann, Unternehmen als Täter, S. 18 f. ; kritisch zur Zurechnung des Verhaltens Externer Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 292. 104 Das übersieht m. E. Schünemann, wenn er (vorhergehende Fn), meint, diese Praxis sei "sachlogisch verfehlt". 105 Jedenfalls wenn man die Kriterien von BVerfGE 20, 323, 336, anlegt.

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Verbandsorganen zu binden, durch eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter" aufgeweicht. Danach kommt es weder auf eine Verankerung seiner Tätigkeit in der Satzung noch auf rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht an. Es genügt, wenn dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er so die juristische Person repräsentiert. 106 Dieses wird ergänzt durch die Lehre vom körperschaftlichen Organisationsmangel, wonach der Verband auch dann haftet, wenn für wichtige Aufgabengebiete kein verfassungsmäßiger Vertreter berufen wurde. 107 Somit haftet der Verband also für alle Funktionsträger und Bediensteten, denen er wichtige Aufgaben übertragen hat, ohne die Entlastungsmöglichkeit, die § 831 BGB für den Verrichtungsgehilfen eröffnet. Vom Schrifttum wird dieses im Ergebnis gebilligt, wenn auch methodisch eine analoge Anwendung des § 31 BGB unter dem Gesichtspunkt der Repräsentantenhaftung befürwortet wird10B. Eine Abstufung von wesentlichen Funktionsträgern und schlichten Verrichtungsgehilfen bleibt allerdings auch im Zivilrecht erhalten, was zumindest eine strafrechtliche Verantwortung nach dem Zurechnungsmodell des § 31 BGB und darauf laufen zahlreiche Konzeptionen der Verbandsstrafe hinaus - für alle Beschäftigten eines Unternehmens ausschließt 109. Der zivilrechtliehen Haftungskonzeption liegt insofern immer noch die Differenzierung von Unternehmensträger und Unternehmen zugrunde. Eine de lege ferenda immer wieder erwogene Haftung für Verrichtungsgehilfen ohne Exkulpationsmöglichkeit würde zwar die haftungsrechtliche Aufhebung dieser Grenze bedeuten, hinsichtlich einer Übertragung ins Strafrecht aber umso dringlicher die Frage aufwerfen, ob nicht eine strafrechtsfremde Gefahrdungshaftung bzw. Fremdverschuldenshaftung geschaffen wird. An der erweiterten Zurechnung orientiert sich auch das Ordnungswidrigkeitenrecht Die Rechtsprechung hat den in § 30 Abs. I Nr. I OWiG genannten vertretungsberechtigten Organen auch den besonderen Vertreter in der weiten Auslegung des Zivilrechts zugeordnet abstrahiert von der in der Satzung fehlenden Kennzeichnung als Organ.11

°

106 So zusammenfassend BGHZ 49, 19, 21. 107 Zur Rechtsprechung vgl. die Nachw. bei MK-Reuter, § 31 Rn. 4. 108 Vgl. nur MK.-Reuter, § 31 Rn. 2 f 109 So dann auch Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 225. Die Empfehlung des Europarates Nr. R (88) 18 will an einem Fehlverhalten des Managements die Schuld des Unternehmens festmachen. 110 Vgl. BGH, wistra 1989, S. 144 f

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§ 30 OWiG bezieht seit 1994 auch das Handeln von Generalbevollmächtigten und Prokuristen sovvie Handlungsbevollmächtigten in leitender Stellung ein (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 OWiG). Die Reformforderungen erstreckten sich auf leitende Angestellte 111 ; der Regierungsentwurf eines 2. WiKG knüpfte an den "Kreis der für die Leitung des Betriebes verantwortlich handelnden Personen" an 112. Auch hier findet sich also in Anlehnung an das geltende Zivilrecht noch eine Abstufung von Verband und Unternehmen; auch hier begründen sich die Übergänge darin, dem Verband die Möglichkeit zu nehmen, durch Delegation und Verbandsorganisation die Voraussetzungen der Haftung selbst zu bestim· men. Taten unterhalb der Leitungsebene finden ihren Weg in den Verband allerdings nur über den Umweg der Aufsichtspflichtverletzungen bzw. dem umstrittenen unechten Unterlassungsdelikt im Bereich der Leitungsebene für Taten untergeordneter Mitarbeiter. Das Verschvvi.mmen der Grenzen zur Inan· spruchnahme für fremde Schuld auch bereits bei leitenden Angestellten und gevvi.llkürten Vertretern • offengelassen vom Bundesverfassungsgericht113 scheint heute weithin kein Thema mehr zu sein114, während Göhler 1972 noch Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Ausdehnung

111

Schmitt Strafrechtliche Maßnahmen, S. 189 f.; Ders., § 30 des OWiG, S. 880.

112 BT-Drs. 10/318, S. 6 (Text) und S. 39 (Begründung). 113 BVerfGE 20, 323, 336. 114 Die BegründlDlg zum Regierungsentwmf 2. UKG, BT-Dr. 121192, S. 32, zeigt dieses in wünschenswerter Klarheit: zunächst wird Bezug genommen auf das Argument, in der Einbeziehung gewillk:ürter Vertreter liege eine UngleichbehandllDlg zum Einzehmtemehmer (so noch die Begründung zum Regierungsentwmf eines Ordnungswidrigkeitengesetzes BT-Drs. V/1269, S. 59). Dieses wird aber verworfen mit der Begründung, die Willensbildung bei überindividuellen Formationen sei zu unterscheiden von derjenigen der Individuen, indem sie das Ergebnis eines Integrationsprozesses und einer rechtlichen Zuordnung sei. Daher müsse die Grenze der strafrechtlichen Verantwortlichkeit geftmden werden durch eine Bewertung der sozialen Wirklichkeit unter Beachtung des Schuldprinzips. Daß ein sachhaltiges Prinzip der Willensschuld gerade die Willensbildung in den Blick nehmen muß und zwar unabhängig von einer positivrechtlichen Bewertung und Zuordnung, die ansonsten durch das Schuldprinzip keinerlei Begrenzung erfahren könnte, gerät hier aus dem Blick. Es wird dann unklar, woran sieh die rechtliche Bewertung bei der Beachtung des Schuldgrundsatzes denn materiell orientieren sollte. Auch die Begründung dafür, im Gegensatz zum EG-Recht nicht alle Arbeitnehmer einzubeziehen, "im Interesse klarer Anknüpfungspunkte an vt2"antwortliches, der juristischen Person zurechenbares Handeln" (ebd.) bleibt so im Grunde genommen willkürlich, zumal überhaupt nicht ausgemacht ist, daß die organisatorischen Umgehungen sich unter dem Eindruck der geänderten Gesetzeslage nicht in der Hierarchie weiter nach unten orientieren. Die Differenzierung wird letztlich auch gar nicht an der unterschiedlichen Willensbildung festgemacht, sondern vorsorglich wird die rechtliche Bewertung und Zuordnung ins Feld geführt.

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vortrug115 . Wiederum ist unklar, warum die an der zivilrechtliehen Haftung orientierten Erweiterungen in das Strafrecht übertragen werden können. Will man die einheitliche Strafbegründung in der Willensrepräsentation begründen, so muß das Argument lauten, daß auch in den nicht formell bestellten Funktionsträgern der kollektive Wille durch die Betrauung mit entsprechenden Aufgaben zum Ausdruck kommt. Daraus folgt aber auch, daß auf dieser Grundlage keine Ausdehnung auf alle Arbeitnehmer stattfinden kann. Anderes gilt allerdings dann, wenn die einheitliche Begründungsbasis durch eine reine Abschreckungssanktion für objektiv vermeidbares Verhalten abgelöst wird. Der strafrechtlich motivierte Vorschlag, das Unternehmen zu personifizieren, ist dagegen gedacht als eine Verantwortungsausdehnung über die leitenden Angestellten hinaus auf alle Arbeitnehmer. 116 Der unternehmenstragende Verband und die Arbeitnehmerschaft wachsen zu einem einheitlichen Substrat zusammen, dem Unternehmensverband. Befürwortern der Verbat.1dsstrafe bietet es zuweilen ein identifizierbares Fundament in der sozialen Wirklichkeit, das es ermöglichen soll, den Theorienstreit um die juristische Person zu umgehen. So meint Erhardt, das Problem der strafrechtlichen Behandlung von Unternehmen könne nicht allein unter Rekurs auf die rechtliche Natur einer Körperschaft gelöst werden. Diese möge zwar als Unternehmensträgeein bzw. Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten ein bloßes Gedankengebilde sein. Das Strafrecht könne sich jedoch nicht nur an rechtlichen Kategorien orientieren, sondern müsse die soziale Wirklichkeit in den Blick nehmen, wie sie sich vorliegend in der organisatorischen und sozialen Einheit des Unternehmens präsentiere. 117 Unter dem Gesichtspunkt der Verbandskriminalität handele es sich um eine "in sich geschlossene soziale Gemeinschaft". 118

115 Göhler, Verhandlungen des 49. DIT Bd. 2, S. M 107. Bedenken auch gegen den Regienmgsentwurf eines 2. WiK.G (BT-Drs. 10/318) und seiner Einbeziehung aller leitenden Angestellten im Rechtsauschuß (vgl. BT-Drs. 10/5058, S. 36 f) und zwar nicht nur hinsichtlich der damit verbundenen Bestimrntheitsprobleme sondern auch aufgrund des Schuldprinzips. 116 Ein Ergebnis, das Stratenwerth, Fs. Schmitt, S. 298, als eine reine Zufallshaftung bezeichnet. Vgl. auch Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 24, der eine Verwischung der Grenzen einer strafrechtlichen Haftung fiir eigene Schuld und der zivilrechtlichen Haftung fiir fremdes Handeln konstatiert. 11? Erhardt,

Unternehmensdelinquenz, S. 145.

118 Ebd.; kritisch zu den Verbandstheorien des Unternehmens Rittner, Werdende

juristische Person, S. 289 ff 6 v. Freier

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Vorschläge zu einer Personifizierung des Unternehmens haben sich im Zivilrecht nicht durchgesetzt.119 Im Mittelpunkt der Diskussion steht, daß jedenfalls bei den Kapitalgesellschaften die Mediatisierung der "wirtschaftlichen Eigentümer" von der konkreten Wertschöpfungsveranstaltung (Abkoppelung von der Geschäftsführung als Verlust der Unternehmereigenschaft, Ausschluß persönlicher Haftung, Liquidität der Mitgliedschaft)- schlaglichtartig beleuchtet durch die Stellung des Vorstandes in der AG- zu einer Verselbständigung des Unternehmens geführt hat, welche die Bedeutung des gesellschaftsrechtlich begriffenen Verbandes der Kapitaleigner relativiert. Aus dieser Abstraktion lassen sich unterschiedlichste Konsequenzen ziehen. Die naheliegendste war die Hervorhebung der zumindest annähernden Gleichberechtigung des Arbeitnehmerverbandes als Mitträger des gemeinsamen Sozialgebildes und die dementsprechende Überwindung einer bloßen Objektrolle durch die verschiedenen Formen der Mitbestimmung, insbesondere aber der unternehmerischen Mitbestimmung. Der Vorschlag Thomas Raisers, auf den sich die Befürworter einer genuinen Unternehmensbestrafung beziehen, geht in diese Richtung. Ihm gilt das Unternehmen in seiner Verschränkung von körperschaftlichen und anstaltliehen Elementen als "ideales Substrat für eine juristische Person", indem er aus organisationssoziologischen Untersuchungen die Folgerung zieht, daß das Unternehmen als "ein einheitliches und integriertes soziales Gebilde, das als solches mit der Umwelt in Kontakt steht, Leistungen aus ihr aufnimmt und an sie erbringt und auf mannigfache Weise auf sie einwirkt, geradezu dahin drängt, durch die Anerkennung als juristische Person in seiner Einheit und sozialen Wirksamkeit bestätigt zu werden" 120. Arbeitnehmer und Kapitaleigener sind damit Mitglieder einer Kooperationsordnung, in der sich die Unternehmensleitung nicht ohne weiteres aus dem Eigentum an den Produktionsmitteln ergibt. 121 Treibt man die Abstraktion noch ein Stück weiter voran, so ist das Unternehmen als juristische Person überhaupt von der Gleichsetzung mit seinen Mitgliedern zu befreien.122

119 K. Schmidt, Handelsrecht,§ 4 N l , S. 79. l20 Raiser, Unternehmen als Organisation, S. 167. 121 Vgl. ebd., S. 150 ff. 122 So etwa Flume, Allgemeiner Teil Bd.l/2, S. 53 f[ insb. 57 f wtd 62, der das Recht der Kapitalgesellschaften de lege lata als Unternehmensverfasstmgsrecht begreift, aber i. E. wohl doch nur die AG meint, wenn er, S. 62, die GmbH den Personengesellschaften gleichstellt, fiir die wie fiir den Einzelkaufmann das Unternehmen nur Gegenstand sein soll , S. 47 f Ebenso fiir die juristische Person als systemtheoretische Abstraktion von den Mitgliedern Teubner, KritV 1987, S. 75 ff., der allerdings im Gegensatz zu Flume nicht das ganze Substrat personifiziert sondern nur den Teil des

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Auch die Befürworter einer strafrechtlich motivierten rechtlichen Subjektivierung erkennen in aller Regel an, daß diese eine "umfassende Umstrukturierung der Rechtsordnung" voraussetzt. 123 Schon das legt es nahe, dieses Vorhaben aus genuin strafrechtlichen Gründen nicht weiter zu verfolgen. Für das hiesige Anliegen reichen daher einige kurze Bemerkungen: selbst die Anerkennung von gleichberechtigten Teilverbänden, von Kapital und Arbeit, setzt nicht voraus, daß eine neue übergeordnete Rechtsperson entsteht. Wird aber das Unternehmen als Person gedacht, stellt sich die oben für den wirtschaftlichen Unternehmensbegriff aufgeworfene Frage der Zuordnung der unterschiedlichen Subjekte. In jedem Fall werden gesellschaftsrechtliches Subjekt und Unternehmen nicht identisch, sondern die Gesellschaft als Vermögensträger löst sich zu einem Gesamtverband auf oder sie ist Teilverband eines solchen, jeweils zwingend unter Auflösung des Lohnarbeitsverhältnisses.124 Die entscheidende Frage an die strafrechtlich motivierte Personifikation muß sein, warum dieses zur Folge haben sollte, daß für jeden "Arbeitnehmer" gehaftet würde. 125 Ganz im Gegenteil müßte nun auf die Organe des Gesamtverbandes abgestellt werden, eine bloße Wiederholung gesellschaftsrechtlicher Zurechnungsfragen bei einem veränderten Unternehmenstäger. Unmöglich wäre es, bis auf einen Subjektswechsel alles beim alten zu belassen, insbesondere unverändert an der Vorstellung lohnahhängiger Arbeit festzuhalten. Oder aber es müßte generell eine strafrechtliche Verantwortung für jegliches verbandsbezogenes Mitgliedsverhalten postuliert werden - eine These, die sich nicht auf Unternehmen und nicht auf das Strafrecht beschränken läßt. Für eine rechtlich verfaßte Willensordnung, den Verband als Willenssubjekt, ist dann kein Platz mehr. Selbst wenn die Personifizierung des Unternehmens nicht der Logik eines Zusammenspiels von Teilverbänden folgt, also nicht verbandsförmig begründet wäre, sondern gerade durch die Abstraktion vom "Substrat", wäre nicht einzusehen, warum diese Personifizierung die Identifikation mit jedem Mitglied zur Folge haben müßte. 126 Sofern die Personifizierung die Sanktionierung vor dem Inhaberwechsel bewahren soll 127, ist das Nötige bereits oben gesagt. Handlungssystems, der bindende Entscheidungen fiir das Ganze produziert: Organschaft, Stellvertretung und arbeitsrechtliches Direktionsrecht (S. 81 ). 123 Erhardt, Unternehm.ensdelinquenz, S. 229. 124 vgl. Kunze, ZHR 147 (1983), S. 26. 125 So ja das Anliegen von Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 22 7 f. 126 Dazu Teubner, KritV 1987, S. 81. 12 7 So Müllers Argument fiir seinen Vorschlag de lege ferenda zu § 30 OWiG (Stellung der juristischen Person, S. 60). 6*

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Der gewichtigste Einwand gegen eine Bestrafung des Unternehmens betriffi jedoch die Personifikation des einzelkaufmännisch betriebenen Unternehmens, die bei einer unternehmensbezogenen Straftat des Inhabers notwendigerweise zu einer Doppelbestrafung fuhren müßte, indem er einerseits als Individualtäter zu bestrafen wäre, andererseits als "Unternehmen", dessen "Organ" und zufälligerweise auch Inhaber er ist. 128 Der Subjektsverdoppelung entspricht eine Doppelbestrafung. 129 Wenn aber nur solche Unternehmen bestraft werden sollen, die von Verbänden betrieben werden130, ist die Fragestellung nicht mehr unternehmensspezifisch zu beantworten, sondern ausschließlich eine solche der Bestrafung von Verbänden, u. a. in ihrer Rolle als Unternehmensträger.

c) Rechtsformübergreifende Bestrafung von Unternehmensträgem Die Forderung nach einem rechtsformübergreifenden Unternehmensstrafrecht kann auch erhoben werden, ohne das Unternehmen als solches, sei es als wirtschaftliche Einheit, sei es als Rechtssubjekt, strafrechtlich verantwortlich zu machen. Gemeint ist dann die strafrechtliche Gleichstellung aller Unternehmensträger. Für das Ordnungswidrigkeitenrecht wird dieses bereits seit längerem vorgeschlagen. 131 Die spezifische Neuerung läge in der Einbeziehung von Einzelunternehmen und nicht (teil-) rechtsfähigen Personengesarntheiten, die mittlerweile auch für das Strafrecht erwogen wird. 132 Erneut ist hier das EG-Kartellrecht Vorbild, nach dem, wenn auch praktisch irrelevant, trotz anerkanntermaßen fehlender Individualstrafgewalt auch einzelkaufmännische Unternehmen sanktioniert werden können. Sofern sich die Begründung hierfür auf das Anliegen einer Gleichbehandlung aller Unternehmensträger stützt, ist zumeist vorausgesetzt, daß eine strafrechtliche Verantwortung von Verbänden für die Leitungspersonen (oder auch

128 Der zivilrechtliche Enteigmm.gseinwand gegen die generelle Personifikation des Unternehmens ist weit verbreitet; vgl. etwa F1ume, AT Bd. 112, S. 47 f, auch hinsichtlich der Personengesellschaften. 129 Kritisch zur Subjektverdoppelung auch Müller-Guggenberger, in: Ders.: Wirtschaftsstrafrecht, § 19 Rn. 26, allerdings ohne auf den Einwand der Doppelbestrafung einzugehen. 130 So dann Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 217 f[ 131 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 57 f; Tiedemann, in Verhandlungen des 49. DJT Bd. 1, S. C 58; Schünemann, Unternehmenskrim.inalität, S. 235 f 132 Schroth, Unternehmen als Norm.adressaten, passim, besonders S. 222 f

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aller Arbeitnehmer) des Unternehmens legitim ist. Die Einbeziehung des Einzelkaufmannes soll dann dessen Privilegierung vermeiden.133 Einen systematischen Ansatz, der auch normtheoretisch das Verhältnis von Unternehmensträger und Unternehmen berücksichtigt, hat Schroth vorgelegt.134 Ausgangspunkt ist der Versuch, die Unternehmen als taugliche Adressaten von Verhaltensnormen zu erweisen. Dieses soll unabhängig von Täterschaftskriterien möglich sein und zwar durch eine weitgehende Entsubjektivierung von Verhaltensnorm und Normadressatenschaft. Hinreichend seien die Fähigkeit, den Normbefehl aufzunehmen und das eigene Verhalten danach auszurichten, wofür es auf die Handlungsfähigkeit nicht ankommen soll, so daß auch handlungsunfähige Menschen und dann auch nichtmenschliche Gebilde als Normadressaten in Betracht kämen, solange der Normbefehl für sie wahrgenommen werde und die Verpflichtungswirkung sie so erreiche. 135 Auf Unternehmen bezogen bedeute dieses, daß die wirtschaftlich-funktionale Einheit als solche nicht rechtsfähig, aber dennochkraftihrer Organisationsstruktur mit den Fähigkeiten von Rechtssubjekten ausgestattet sei - durch ihre Rechtsträger, die den Normbefehl für das Unternehmen aufnähmen136. Der rechtsformübergreifende Unternehmensbegriff ersetze die Regelung für die einzelnen Rechtsformen: "Die Unternehmen werden dadurch in gewisser Weise "verrechtlicht", jedoch ohne die Rechtssubjekteigenschaft der Rechtsträger zu beeinträchtigen" .137 Das Einzelunternehmen sei schon nach individualstrafrechtlichen Grundsätzen strafbar138, wie immer wieder betont wird und bei einer auf die gerechte Gleichstellung aller Unternehmen gerichteten Argumentation, welche die Verbandsbestrafung sozusagen miterledigt, auch betont werden muß. Gemeint ist damit die strafrechtliche Verantwortung einer natürlichen Person als Unternehmer. Nun ist diese natürliche Person nicht selbst die wirtschaftlich-funktionale Einheit, von deren Verrechtlichung sie auch unbeeinträchtigt bleiben soll. Dennoch stelle sich - so Schroth - das "Problem der kollektiven und additiven

133 Vgl. z. B. Müller, Stellung der juristischen Person, S. 71. 134 Schroth, Unternehmen als Normadressaten. 135 Ebd., S. 22 ff. 136 Ebd., S. 20. 137 Ebd., S. 22. 138 So auch Erhardt, die es allerdings im Gegensatz zu Schroth dabei beläßt, wohl aufgrund der - von ihr kritisierten - fehlenden Rechtssubjektivität des Unternehmens.

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C. Einheitliche Strafbegründung

Deliktsbegehung durch Vertreterhandlungen auch bei Einzelunternehmen" 139. Der Gesetzgebungsvorschlag lautet demnach: "Unternehmen sind strafbar, wenn ihre Inhaber, Organe oder Beauftragten in Ausübung der Unternehmensfunktionen eine Straftat begehen und dadurch Unternehmenspflichten verletzen". 140 Damit wird aber nicht nur partiell die Verbandsstrafenproblematik gelöst141, sondern eine neue Verantwortung für das Handeln von Unternehmensbeauftragten eingefiihrt142, die ausschließlich über die funktionale Einheit mit dem Individuum "Unternehmer" vermittelt ist. Die Gleichstellungsargumentation nimmt also ihren Ausgang von der strafrechtlichen Privilegierung der Verbände gegenüber dem Einzelkaufmann. Die Ausgestaltung der Verbandssanktion, nämlich die Ausdehnung der Verantwortung über den Bereich der im engen gesellschaftsrechtlichen Sinne konstitutiven Vertretungsordnung hinaus, schlägt dann wiederum gleichstellend auf den Einzelkaufmannn zurück. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung liege darin nicht, da es sich nur um eine Ausweitung der Verantwortung handle. 143 Gedacht ist dieses wohl so, daß eine Individualtat des Unternehmers selbst nicht zu einer Strafe für ihn und für das Unternehmen, nach hier vertretener Ansicht also einer unzulässigen Doppelbestrafung, führen soll. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der Ausweitung um eine Fremdverschuldenszurechnung handelt, mithin einen Verstoß gegen das Schuldprinzip. 144 Denn die Beziehung des Einzelunternehmers zu der Anknüpfungstat seiner leitenden Angestellten ist ausschließlich in seiner Inhaberschaft begründet bar jeder konkreten Schuldbeziehung. Sofern für das Ordnungswidrigkeitenrecht vorgetragen wird, es komme nur auf eine fehlerhafte Willensbildung an und nicht auf eine ethische Persönlichkeitsbewertung, so daß der Unternehmensinhaber durch den Bestellungsakt zum Ausdruck bringe, daß er die Handlungen des

139 Schroth,

Unternehmen als Normadresaten, S. 223.

140 Ebd., s. 223. 141 So der Anspruch, S. 212 f, wobei unklar ist, ob sich die konstatierte Seiläufigkeit des Nachweises von neuen tatstrafrechtlichen Tendenzen (Fn.l) auch hierauf bezieht. 142 So ausdrücklich ebd, S. 223. 143 Ebd., S. 222 Fn. 27. 144 So auch deutlich ("eindeutig'') Göhler, Verhandlungen des 49. DJT Bd. II, S. M 107; ebenso Begr. zum Regienmgsentwwfzum 2. WiKG, BT-Dr. 10/318, S. 39 f , und Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 236, der darin aber kein Problem sieht, da die Verbandssanktion ohnehin nicht dem Schuldprinzip folge.

I. Formale Straffähigkeit von Verbänden

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Vertreters gegen sich gelten lassen wolle145, kann dieses nicht überzeugen. Denn die vermeintliche Fehlerhaftigkeit des Willens des Unternehmensinhabers kann wohl kaum im Bestellungsakt als solchem gesehen werden. Die Sonderung eines eigenständigen Sanktionssystems des Ordnungswidrigkeitenrechts muß wohl noch deutlicher ausfallen, um eine derart weitgehende Zurechnung zu ermöglichen. Das wird zu untersuchen sein, wenn die Vorschläge einer vom Individualstrafrecht entk:oppelten Verbandsstrafenlegitimation geprüft werden. Auch der Vorschlag, die Haftung des Inhabers auf das Geschäftsvermögen zu beschränken146, ändert an dem Verstoß gegen das Schuldprinzip nichts, denn auch das Sondervermögen ist ihm zugeordnet. Die Alternative ist dann nur noch die Subjektivierung des Sondervermögens, wozu das Erforderliche gesagt ist, bzw. ein Rechtsformzwang fiir Einzelunternehmen. Scheitert aber auch insofern eine Haftung der natürlichen Person als Unternehmensträger fiir alle Arbeitnehmer und auch die leitenden Angestellten, so ist kaum einzusehen, wie sie sich für einen verbandsformigen Unternehmensträger sollte begründen lassen. Dieses gilt jedenfalls solange daran festgehalten wird, daß die Gleichbehandlung der Unternehmensträger hier der leitende Gedanke ist.

4. Ergebnis Eine strafrechtliche Sanktionierung von überindividuellen Einheiten kann die Identität von Täter und Bestraftem von vornherein nicht wahren, wenn sie auch nicht (teil-) rechtsfähige Einheiten zu Tätern macht. Dieses betrifft die Verbandseinheiten ebenso wie die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens. Eine Personifikation des Unternehmens löst keines der strafrechtlichen Probleme, weil das Verhältnis zu den weiterhin bestehenden Rechtsubjekten ungeklärt bleibt. Ein rechtsformübergreifendes Unternehmensstrafrecht verstößt durch die Einbeziehung des Einzelkaufmanns gegen das Schuldprinzip. Sofern eine einheitliche Strafbegründung in der Repräsentation im Delikt gesucht wird, muß - anders als bei einer reinen Abschreckungssanktion fiir die objektiv vermeidbare Verletzung - an einem verbandsrepräsentierenden Kreis von Funktionsträgern festgehalten werden, der allerdings über den engen Kreis der konstitutiv bestellten Organe hinausgehen kann.

145 So Müller, Stelhmg der juristischen Person, S. 57. 146 Ebd.; so auch Tiedemann, in: Verhandhm.gen des 49. DJT Bd. 1, S. C 58, und Schünemann, Untem.ehmenskriminalität, S. 236.

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ll. Normativismus und Natürlichkeit 1. Das Fehlen eines "natürlichen Willens" Sofern eine Verbandsstrafe abgelehnt wird, liegt dem zumeist bereits eine Verneinung der Handlungsfahigkeit (und implizit damit der Schuldfahigkeit) zugrunde, gekoppelt mit der These, daß eine "Zurechnung" der Handlung nicht in Betracht komme. Besonders Schrnitt hat in seiner Monographie eine ausführliche Analyse der Verbandshandlung aus strafrechtlicher Sicht vorgelegt und in ihr den Schwerpunkt des Problems ausgemacht. 147 Sie nimmt ihren Ausgang vom Minimalkonzept des Handlungsbegriffs in der kausalen Handlungslehre, fordert also einen Willen und eine auf ihm beruhende Körperbewegung. Beides sei aber bei einem Verband offensichtlich nicht erfüllt, da es sich immer nur um den Willen und die Bewegung natürlicher Personen handeln könne, die für den Verband tätig werden. Sodann prüft Schmitt die möglichen Auswege: ungangbar erscheint ihm im Strafrecht der Weg der Fiktion, der gesetzlichen Anordnung, daß die Handlung als eine solche des Verbandes gelte. Die Bestrafung des Verbandes für eine Handlung natürlicher Personen enthalte geradezu die Bestätigung der Handlungsunfahigkeit. Es bleibe somit nur der Rückgriff auf das Substrat des Verbandes, der "Durchgriff auf die 'Realität' des Verbandes", um dort die gesuchten Eigenschaften zu finden, "die dem Verband als Rechtsinstitut begrifflich fehlen" 148. Gemeint ist die von Schrnitt selbst als problematisch eingestufte Gleichsetzung des Verbandes mit der Gesamtheit der Mitglieder. In Auseinandersetzung mit Busch und Hafter149 wird dieses abgestuft entwickelt für das kollektive oder individuelle Handeln aufgrund eines gemeinsamen Beschlusses, sodann aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses und schließlich für das Handeln der Organe. Das kollektive Handeln aufgrund gemeinsamen, einmütigen Entschlusses sei kaum vorstellbar, das individuelle auf dieser Grundlage aber immer an die Körperbewegung des einzelnen Menschen gebunden.150 Daran scheiterten auch alle an die gegenständliche Objektivierung gebundenen Täterschafts- und Beteiligungsformen, wobei Schmitt die Mög-

147 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 181 ff. 148 Ebd., S. 182. 149 Die Arbeiten von Hafter und Busch werden an anderer Stelle noch ausfUhrlieh zu besprechen sein. 150 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 182 f

II. Nonnativismus und Natürlichkeit

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lichkeit der Unterlassung aufgrund gemeinsamen Entschlusses einräumt. Der Mehrheitsbeschluß verschärfe die Problematik, da die Mehrheit nicht mit dem Verband gleichgesetzt werden könne. "Psychologisch" sei eine Vorstellung, die von einem aktualisierbaren Willensvorrat ausgehe151 , unhaltbar, zumal die Mitgliedschaft nicht eine generelle Billigung jeglichen Organ- und Mehrheitsverhaltens impliziere. Das bloße Organverhalten sei unzweifelhaft eine Individualhandlung, so daß auch der Durchgriff auf das Substrat nichts an dem Ergebnis zu ändern vermöge, daß ein Verband handlungsunf"ähig sei. 152 Das gelte fiir alle Rechtsgebiete. Für Individualdelikte, die sich nach hier im einzelnen nicht interessierenden Zurechnungskriterien als Verbandsdelikte im soziologischen Sinne darstellen, erwägt Schmitt dann die Möglichkeit, den Verband für eine fremde Tat zu strafen. Er verwirft sie, weil einem Gebilde ohne Willen ein für die Strafe essentieller Vorwurf nicht gemacht werden könne und auch auf der "Passivseite" eine Gleichsetzung mit der Mitgliedergesamtheit den gleichen Bedenken ausgesetzt sei wie auf der "Aktivseite" und zudem eine strafrechtswidrige Kollektivhaftung beinhalte. 153 Die Möglichkeit einer Strafe für fremde Tat bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Vertiefung, insbesondere nicht hinsichtlich des Arguments der strafrechtlichen Haftung unschuldiger Mitglieder. 154 Methodisch ist zunächst auffällig, daß Schmitt eine wesentliche Unterscheidung vornimmt, eine andere aber scheinbar unterläßt Nicht thematisch ist die Unterscheidung von rechtmäßigem und unrechtmäßigem Handeln; dem Verband ist die Handlungsfähigkeit in toto verwehrt. Die Analyse beruht zudem auf einer strikten Trennung von sozialer und rechtlicher Betrachtungsweise, deren Zusantmenhang nicht aufgeklärt wird. Das scheint auf den ersten Blick unschädlich, da ja beide Betrachtungsweisen zum gleichen Ergebnis führen, der Handlungsunf"ähigkeit des Verbandes. Allerdings konzediert er zumindest den Fall, daß das soziale Substrat in der Lage ist zu unterlassen, wobei hier offen bleiben soll, ob diese Ausnahme angesichts der fiir ein Unterlassen wiederum erforderlichen Abwendungsmöglichkeit konsequent istl 55 . Sofern die "Realiät" in den Blick rückt, wird sie beschränkt auf eine Gesamtheit von Einzelnen, eine Vielheit. Anders gesagt: der Verband ist nur rechtlich als eine allerdings abstrakte Einheit zu begreifen, die Realität als Vielheit. Die abstrakte Einheit kann aber auf keinen Fall handeln und ihre normativ-rechtliche Abstraktheit kann offenbar auch nicht verlängert werden durch die gesetzliche 151 Gemeint ist Hafter. 152 Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen. 187. 153 Ebd., S. 196 f. 154 S. dazu noch Kap. D. II. 155 Vgl. Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 58.

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C. Einheitliche Strafbegründ1mg

Bestimmung bzw. Fiktion einer eigenen Handlung. Begründungslos wird unterstellt, daß im Strafrecht- die dem Verband fehlende- vorrechtliche Realität den Ausschlag geben muß. Das mag Schmitt als selbstverständlich erschienen sein, angesichts noch näher darzulegender aktueller Tendenzen bedarf dieses allerdings einer argumentativen Absicherung. Mit unterschiedlichen Akzentuierungen finden sich die bei Schmitt genannten Argumente gegen eine Handlungsfähigkeit der Verbände auch bei anderen Autoren: Handlung ist danach eine menschliche Willensäußerung und als solche dem Recht vorgegeben. 156 Dann liegt es auf der Hand, daß auch der Vorwurf eines Fehlverhaltens, eine Mißbilligung, gegenüber einer willenlosen Substanz ins Leere gehen muß. Denn er bezieht sich auf eine willentliche Verfehlung. Ein nicht handlungsfähiges Gebilde kann erst recht nicht schuldhaft handeln. Und dieser Schluß liegt um so näher als auch noch eine ethische Qualifizierung des Willens ins Spiel kommt. Auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat, wenn auch mit gewissen Einschränkungen im Steuerstrafrecht und im Verwa.ltungsstrafrecht, diesen Standpunkt eingenomrnen.157 1.56 Ausfiibrlich Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, allerdings z. T. wörtlich mit Schmitt übereinstimmend. Auch er betont jenseits von kausaler, finaler und sozialer Handlungslehre die Handlung als natürliche Tatsache (S. 52), grenzt diese natürliche Handl1mg von der rechtlichen Zurechn1mg ab (S. 57 ff) 1md verwirft die Fiktion "in einem Rechtsgebiet, dem Strafrecht, in welchem das Psychologische 1md Somatologische des Täters im Vordergr1md steht" (S. 60). Eine strafrechtliche Inanspruchnahme für fremdes Handeln verwirft Seiler, da der Schuldvorwwf ein willensfahiges Subjekt voraussetze (S. 90). Roxin konstatiert das Fehlen einer "psychisch-geistigen Substanz" (AT, § 8 m Rn. 55, S. 202). Engisch geht von der Vorgegebenheit der natürlichen Handlmg für das Recht aus (Verhandlungen des 40. DIT Bd. 2, S. E 24). Umfassend auch Goetzeler, G1mdlagen des Steuerstrafrechts, der die zivilrechtliche Rechts- md Geschäftsf"ahigkeit nur im positiven Recht begründet sieht (S. 218), während sich das Strafrecht jeglicher Fiktion enhalten müsse 1md es mit der natürlichen Handl1mg von Personen zu tiD1 habe (S. 220 f.). Niese, JZ 1956, S. 463, hält die Vorstell1mg des Verbandes als Willenssubjekt aus finalistischer Sicht eines ontologischen Handllmgsbegriffs für "nicht nachvollziehbar" md allenfalls als Bild gerechtfertigt. Für einen vorrechtliehen Handlungsbegriff md gegen eine n.ormative Zurechnung ohne ontologisches Substrat auch Blauth, Handeln für einen anderen, S. 15. Ablehnend auch Jescheck, AT, § 23 V 1, S. 204; Lang-Hinrichsen, Fs. Mayer, S. 53 Fn. 21; Hartung, Verband11mgen des 40. DIT Bd. 2, S. E 43; Schmidhäuser, Strafrecht AT, Kap 8/15, S. 195 f.; Martin, in: Schünemann/Gonzales {Hg.): Bausteine, S. 17 f. (Fehlen eines strukturell-ontologischen Elements, so daß die Verletzung einer Verhaltensnorm 1mmöglich sei); für einen 1mterschiedlichen Handl1mgsbegriff in Zivil- 1md Strafrecht Maurach/Zipf, AT Teilband 1, § 15 li Rn. 8. 1.57 RGSt 5, 182, 183; 8, 326, 327 (anders als im Zivilrecht im Strafrecht nur die Veranwortlmg nur physischer Personen, nicht aber fingierter Kollektiveinheiten); 16, 121, 123 f. (keine natürliche Handl1mgsflihigkeit); 28, 103, 105; 33, 261, 264 (aus der Natur der Sache folgende Unmöglichkeit); 47, 90, 91. Anders allerdings in Reaktion

II. Normativismus Wld Natürlichkeit

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Versucht man den zugrundeliegenden Gedankengang zusammenzufassen, so ergibt sich, daß dem Recht der menschliche Wille und seine Handlungsäußerung ontologisch vorgegeben sind, diese Vorgabe aber nur im Strafrecht unhintergehbar sein soll, während in anderen Rechtsgebieten eine "Zurechnung" oder Fiktion sehr wohl für die Transformation einer nur soziologisch, d. h. nicht oder zumindest nicht in einer dem Strafrecht genügenden Weise willensförrnig beschreibbaren Wirklichkeit zu einer rechtlichen Willens- und Handlungseinheit sorgen kann. Überraschend ist, daß dieser gedankliche Kern häufig am Ende einer Argumentation steht, die anhebt von der Feststellung, die Kontroverse um das Wesen der juristischen Person bzw. des Verbandes zwischen Fiktionstheorie und Genossenschaftstheorie könne zur Lösung des Problems nichts entscheidendes beitragen158, liegt sie doch ganz auf einer Linie mit den Ausführungen Savignys. Nach Savigny ist alles Recht vorhanden "um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen innewohnenden Freiheit willen" 159 , wobei sich der material-objektive Gehalt der sittlichen Bindung in der transzendenten Urheberschaft Gottes gründet.l 60 Der ursprüngliche Begriff des Rechtssubjekts falle daher mit dem Begriff des Menschen zusammen; das positive Recht könne jedoch einschränkende und ausdehnende Abweichungen vorsehen, namentlich die "Rechtsfähigkeit auf irgend Etwas außer dem einzelnen Menschen übertragen, also eine juristische Person künstlich" bilden. 161 Die Kennzeichnung der juristischen Personen als "künstliche, durch bloße Fiktion angenommene Subjekte" 162 meint nun keineswegs die schlichte Leugnung einer irgendwie gearteten Realität derjenigen Einheiten, denen die Eigenschaft verliehen wird, Träger von

auf die positive AnordnWlg in§ 357 RAO RGSt 61, 92, 95 ff., wobei hier nur die strafrechtliche HandlWlgfahigkeit erörtert werden mußte, da die Hafumg ein Verschulden nicht voraussetzte. Im VerwaltWlgsstrafrecht hat das RG, Kartell-RWldschau 1929, S. 213, die Verhängung einer Geldbuße ohne ausdrückliche gesetzliche AnordnWlg Wlter Hinweis auf die Besonderheiten des VerwaltWlgsstrafrechts fiir möglich gehalten. Diese EntscheidWlg zu § 17 KartellVO 1923 (RGBl. I, 1067) ist der Beginn der repressiven Kollektivsanktionen in Form der Geldbuße in Deutschland. 158 Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 44 m. w .N. 159 Savigny, System Bd. 2, S. 2. 160 Vgl. System Bd.l, S. 53 f., Wld dazu ausführlich Schikorski, Körperschaftsbegriff, S. 46 ff. 161 System Bd.2, S. 2. 162 Ebd, S. 236.

C. Einheitliche Strafbegründung

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Rechten und Pflichten zu sein. 163 Künstlich erzeugt ist allerdings ihre Stellung als Rechtssubjekt, die im Gegensatz zu der des Menschen nur zu juristischen Zwecken angenommen wird und daher ein nur ideales Ganzes zum Inhalt hat. 164 Für dieses ideale Ganze ist das "Wesen" des Substrats keine rechtlich relevante Frage: abstrahiert ist von den Mitgliedern165 bis hin zur Anerkennung der mitgliedslosen Korporation. 166 Jedenfalls eine vorrechtliche oder rechtskonstitutive Subjektivität kann der überindividuellen Einheit nicht zukommen, bedürfte es doch sonst keiner rechtlichen Fiktion. Die Abstraktion bleibt beschränkt auf die privatrechtliche Eigenschaft der Vermögensfähigkeit.167 Ihre Entstehung verdankt die juristische Person als solche nur dem genehmigenden Willen des Staates. 168 Das fingierte vermögensfähige Subjekt entbehre der für den Rechtserwerb unerläßlichen Handlungsfähigkeit, da diese ein denkendes und wollendes Wesen voraussetze, ein Widerspruch, der durch die "künstliche Anstalt" der Vertretung aufgelöst werden muß. 169 Eine Kollektivhandlung aller Mitglieder könne den Mangel nicht beheben, da die Totalität der Mitglieder vom idealen Ganzen unterschieden sei. 170 Die Korporation sei zu vergleichen mit einem unmündigen Kind, das auch keine rechtlich anerkannte Willenshandlung vornehmen könne. 171 Die juristische Person gewinnt nach Savigny ihr Dasein erst im vertretenden Willen bestimmter Menschen, "der ihr, in Folge einer Fiktion, als ihr eigener Wille angerechnet wird". 172 Eine strafrechtliche Verantwortung sei damit unvereinbar: "Das Criminalrecht hat zu thun mit dem natürlichen Menschen, als einem denkenden, wollenden, fühlenden Wesen. Die juristische Person aber ist kein solches,

163 Vgl. nur die Anknüpfung an die unterschiedlichen Existenzformen in System Bd.l, S. 242, deren vorpositive Daseinsweise offenbar vorausgesetzt ist. Vgl. dazu F1ume AT 112, S. 6 f; K. Schmidt, Verbandstheorie, S. 13. 164 Vgl. System Bd.2, S. 243. 165 Vgl. System Bd.2, S. 243 und besonders S. 283: "Vielmehr ist die Totalität der Mitglieder von der Corporation ganz verschieden". 166 System Bd.2, S. 280. 167 Ebd., S. 239 f 168 Ebd., S. 275 f mit einer Ausnahme fiir die historisch gewachsenen Korporationen. 169 Ebd., S. 282 f 170 Ebd., S. 283. 171 Ebd. 172 Ebd., S. 312.

ll. Normativismus und Natürlichkeit

93

sondern nur ein Vermögen habendes Wesen, liegt also ganz außer dem Bereich des Criminalrechts. Thr reales Dasein beruht auf dem vertretenden Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr, in Folge einer Fiction angerechnet wird. Eine solche Vertretung aber, ohne eigenes Wollen, kann überall nur im Zivilrecht, nie im Criminalrecht, beachtet werden". Daher, so fährt Savigny fort, handle es sich immer nur um die Verbrechen ihrer Mitglieder oder Vorsteher, und es sei "ganz gleichgültig, ob etwa das Corporationsverhältnis Beweggrund und Zweck des Verbrechens gewesen sein mag". Die Bestrafung verletze unter diesen Bedingungen das Grundprinzip des Strafrechts, die Identität des Verbrechers und des Bestraften. 173 Ersichtlich finden sich bereits hier die wesentlichen, auch heute noch vorgetragenen Argumente wieder. Savigny trägt jedoch zwei weitere Gründe vor, auf denen seiner Meinung nach die irrtümliche Annahme einer Deliktsfähigkeit beruht. Zum einen werde der juristischen Person fälschlicherweise eine absolute Willensfähigkeit unterlegt, während die fingierte Willensfähigkeit "nur in den durch ihren Begriff bestimmten engen Gränzen, das heißt nur so weit wie sie nötig ist, um sie an dem Verkehr im Vermögen Theil nehmen zu lassen" gelte. Sowenig eine absolute Rechts- und Willensfähigkeit aber für andere Verhältnisse nötig und angemessen sei, etwa für familienrechtliche Verhältnisse, sei die Verbrechensfähigkeit erforderlich174. Zum anderen resultiere der Irrtum aus der fehlerhaften Identifikation der Mitglieder mit der juristischen Person. 175 Illustrierend weist Savigny schließlich darauf hin, daß auch niemand auf die Idee komme, Wahnsinnige und Unmündige für die Taten ihrer Vormünder zu strafen.176 Sayignys Argumentation hat sich in der Folgezeit durchgesetzt. Und selbst die früheren Befürworter der Verbandsbestrafung haben eingeräumt, daß auf dem Boden der Fiktionstheorie eine Verbandsstrafe nicht zu begründen sei. 177 Die strikte Entkoppelung des "Substrats" von der idealen Ganzheit kann aber auch den gegenteiligen Schluß nahelegen. Zu fragen ist, warum das positive Recht nicht auch einfach den Willen der Vertreter als Willen der juristischen Person soll behandeln können. Der Einwand Savignys, dieses läge außerhalb des auf die Vermögensfähigkeit beschränkten Zwecks der Personifikation, trägt

173 Ebd., S. 313. 174 Ebd., S. 314. 175 Ebd., S. 315. 176 Ebd.,S. 315f. 177 Hafter, Deliktsfähigkeit, S. 25.

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C. Einheitliche StrafbegründlUI.g

nicht weit178, denn die Beschränkung auf die Vermögensfähigkeit bleibt bloße Setzung, solange nicht begründet ist, daß die Kriminalitätsbekämpfung nicht ein ebenso legitimer Personifikationsgrund ist, der gerade erst durch die Abstraktion von den Mitgliedern ermöglicht wird: da es kein rechtlich relevantes Korporationssubstrat gibt, wäre auch niemand unberechtigt betroffen. Dahinter steht der alte Einwand, daß die Fiktionstheorie keinen vorpositiven Grund und damit auch keine Grenzen hinsichtlich des personifizierungsfähigen Substrats angeben kann, und - so wird man entgegen Savigny ergänzen müssen - auch nicht hinsichtlich des mit der Personifizierung verfolgten Zwecks. Was das positive Recht schafft, muß es auch nach Gutdünken behandeln können. Nun steht dem bereits und damit auch der Fiktionstheorie positivrechtlich die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen gem. Art. 19 Abs. 3 GG entgegen, die aus der Fiktionstheorie nicht verständlich gemacht werden kann.179 Zudem darf nicht übersehen werden, daß Savignys Konzeption auf der sittlich gebundenen Freiheit des Menschen beruht. Diese findet aber positiv keinen Anschluß an die juristische Person oder ihr Substrat und schließlich auch nicht an den Staat, der damit als Zurechnungsinstanz selber ins Zwielicht der Fiktion geraten muß. Das System müßte sich selbst aufheben, der Staat wäre ausschließlich Produkt einer selbsterzeugten Fiktion. So weit geht Savigny nicht: einerseits genießen die öffentlichen Körperschaften ohnehin den Vorzug natürlicher Gewachsenheil und notwendigen Daseins 180, so daß auch beim Fiskus niemand nach der Art seiner Entstehung fragen werde181 . Andererseits erhält der Staat aber auch eine rechtskonstitutive Personalität: das Volk als Verkörperung des Volksgeistes in der Gestalt des Staates ist Subjekt der Rechtserzeugung, es ist eine "natürliche Einheit". 182 Aus einem Verständnis von Freiheit des Menschen, welches keinen Anschluß an eine freiheitsgeformte überindividuelle Wirklichkeit erlaubt183 , kann die Ausnahme des Staates, so sehr sie auch notwendig ist, um das System zu retten, keine Erklärung finden. Es wird auch gar keine Ableitung aus der individuellen Fähigkeit zur (Mit-) Konstitution einer Ordnung angeboten. Damit sind aber insgesamt die Elemente angelegt, die in der Verbandsstrafendiskussion trotz Vemeinung der ei178 Hafter, ebd. , bezeichnet ihn als naiv. 179 Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 345; Hirsch, Stratfab.i.gkeit von

Verbänden, S. 9.

180 Savigny, System Bd. 2, S. 242.

181 Ebd. , S. 275. 182 Vgl.System Bd. 1, S. 18 ff. ; dazuSchikorski, Körperschaftsbegriff, S. 53 ff. 183 Zur Heterogenität der Gnmdannahmen, der positivistischen lUI.d der BeziehlUI.g auf sittliche Autonomie vgl. Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 335 f.

ll. Nonnativismus und Natürlichkeit

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genen Willensfähigkeit des Verbandes eine andere Einschätzung erlauben: eine abstrakt-idealisierte Einheit der juristischen Person, die positivistische Verfügung über selbige und, auch bei Savigny, letztlich die über den Status der natürlichen Person184 sowie eine Einheit als einzig autonomes Aktzentrum, in der zwecks Vermeidung der fiktiven Selbstkonstitution eine natürliche Subjektivität mit der juristischen Personifizierung zur Deckung kommt. Angelegt ist insofern schon hier eine völlige Autonomisierung des Rechts, der auch die "natürlichen Rechtspersonen" schließlich zu rein juristischen Schöpfungen geraten müssen und Personen vom Recht im Extrem nur noch als abstrakt-formale "Schnittpunkt(e) im Normennetz" 185 wahrgenommen werden186. Zwei Grundannahmen schließen also nach Savigny die Bestrafung der juristischen Person aus: erstens die Annahme, daß der Gesetzgeber nicht (auch) über die vorrechtliche materiale Sittlichkeit disponieren kann, und zweitens, daß gerade diese für das Strafrecht bedeutsam ist. Diese Begründung bleibt allerdings offen für Überschreitungen, solange nicht der für das Strafrecht offenbar als konstitutiv angenommene materiale und damit dann doch nicht nur vorrechtliche Zusammenhang positiv eingelöst und mit den positivistischen Elementen abgeglichen wird.

2. Die Heilung des Mangels durch "Zurechnung" Im Vordringen begriffen sind Vorschläge, den fehlenden eigenen Willen des Verbandes durch die Zurechnung des Verhaltens der für ihn handelnden Personen zu kompensieren, wie es auch in der zivilrechtliehen Deliktshaftung (§ 31 BGB) und der Haftung im Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG) vorgesehen ist.

184 Das zeigt sich daran, daß Savigny nicht nur die Ausdehnung der Rechtsfähigkeit über die natürliche Person hinaus durch das positive Recht fiir möglich hält, sondern auch deren Einschränkung bzw. Versagung gegenüber dem Menschen (System Bd. 2, s. 2). 185 Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 314 m. Fn. 2, dort auch zur Angelegtheit bei Savigny. 186 Zur Entwicklung vgl. nur den Überblick bei Schild, Art. Person-Recht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 7, Sp. 331 f; Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 337, stellt zusammenfassend fest: "Das Verblassen des sittlichen Bestimmungsgrundes der Zuweisung subjektiver Rechte an die Einzelperson im fortschreitenden Positivismus des 19. Jhs. mußte folgerichtig die Fiktion zur bloßen Vetweisungsanordnung entleeren." Zu den insofern zwei Typen der Fiktionstheorie vgl. auch Schilrorski, Körperschaftsbegriff, S. 85.

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Auch die Rechtsprechung hat sich zum Teil in diese Richtung geäußert. Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Verhängung eines Ordnungsgeldes gern. § 890 ZPO gegen eine juristische Person zu entscheiden. Aufgrund seines repressiven Charakters sei auch das Ordnungsgeld strafrechtlichen Grundsätzen zu unterwerfen. Danach wurde im konkreten Fall ein Verstoß gegen das Schuldprinzip gerügt, weil die sanktionierte juristische Person für das Verhalten einer anderen juristischen Person haftbar gemacht wurde. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht obiter dicta fest, daß eine juristische Person als solche nicht handlungsfcihig sei, dieses aber die Inanspruchnahme für schuldhaftes Verhalten im strafrechtlichen Sinne nicht ausschließe und eine solche dem deutschen Rechtssystem auch nicht fremd sei: maßgebend sei die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen. 187 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht jüngst der juristischen Person den aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Schutz vor einem Zwang zur Selbstbelastung abgesprochen, weil der Grundrechtsschutz insoweit an wesenseigene Eigenschaften der natürlichen Person anknüpfe und Art. 19 Abs. 3 GG daher eine Übertragung des Grundrechtsschutzes insoweit ausschließe. 188 In diesem Zusammenhang führt das Gericht - ohne Stellungnahme zum folgenreichen obiter dieturn der vorgenannten Entscheidung und zur aktuellen Diskussion aus, daß juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung im Hinblick auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nur einer eingeschränkten Veranwortung unterlägen: "Begeht ein Organwalter lDJ.ter VerletZlDI.g von Pflichten der juristischen Person eine solche Tat, so ist allein er Täter." 189

Demgegenüber wird die ethisch neutrale Geldbuße ausschließlich der Gewinnabschöpfung zugeordnet. Nicht ganz klar ist, ob sich diese Ausführungen nur auf die einfachgesetzliche Rechtslage beziehen oder auch grundsätzliche Aussagen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der juristischen Person enthalten. Für ersteres spricht jedenfalls die grundrechtliche Argumentationsebene. Auf dieser ist es nur konsequent, daß, wenn der Konflikt des Beschuldigten gegenüber dem Zwang zur Selbstbelastung im strafrechtlichen Verfahren nicht auf das Kollektiv übertragbar ist, dieses auch nicht für die strafrechtliche Schuld gelten kann. Beide sind - nicht übertragbar - Ausdruck individueller Subjektivität.

187 BVerlGE 20, 323, 335 188 BVerlG, DVBI. 189 Ebd., S.

607.

f

1997, 604.

ll. Nonnativismus und Natürlichkeit

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Der Bundesgerichtshof bejahte die Anwendbarkeit besatzungsrechtlicher Vorschriften, die eine Bestrafung von Verbänden vorsahen190 Die Stellungnahme blieb allerdings zwiespältig. Einerseits wurde eingeräumt, daß eine Bestrafung dem sozialethischen Schuld- und Strafbegriff widerspreche. Andererseits sollte dieses keinen Verstoß gegen den ordre public begründen, da auch das deutsche Recht ein strafrechtliches Einstehen der juristischen Person für Handlungen ihrer Organe und Bevollmächtigten entsprechend § 31 BGB kenne und dieses auch zweckmäßig sei zu Vorteilsabschöpfung. 191 Eine auf den Zweck der Gefahrenabwehr gegenüber einem strafgesetzwidrig geprägten Verbandscharakter beschränkte Zurechnung hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zu Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG angenommen, während es im übrigen von der strafrechtlichen Unzurechnungsfähigkeit eines Kollektivs ausgeht. 192 Die strafrechtliche Zurechnung wird teilweise auch von Gegnern der Verbandsstrafe akzeptiert, allerdings beschränkt auf die Zurechnung von Handlungen, da allein eine Schuldzurechnung dem Wesen des Schuldvorwurfs als höchstpersönlichem Vorwurf, als ethische Mißbilligung widerspreche. 193. Die Frage ist, wie der Mangel einer fehlenden Handlungs- oder zumindest Schuldfähigkeit durch eine solche Zurechnung geheilt werden kann und zwar in einer Weise, die mit den Grundlagen des (Individual-) Strafrechts vereinbar ist. Etwas ganz anderes ist es, nicht zuletzt auch im Hinblick auf § 31 BGB, die originäre Handlungs- und Schuldfähigkeit zu behaupten, worauf bei der Diskussion der Gierkeschen Thesen zurückzukommen sein wird. Dafür muß aber versucht werden, eine soziale Realität als solche zu personalisieren und ihre Vermittlung zum einzelnen Delinquenten zu suchen, und nicht umgekehrt zwar eine soziale Realität, auf welche die Strafe einwirken soll, als gegeben anzunehmen, die maßgeblichen Eigenschaften für den strafrechtlichen Zugriff

190 BGHSt 5, 28 ff; vgl. auch BGH, DDevR 1954, S. 10. Nachw. zu den Entscheidungen der Instanzgerichte bei Wilmanns!Urbach, BB 1953, S. 102 Fn. 2.

191 Kritisch daher aus individualstrafrechtlicher Sicht Blau, MDR 1954, S. 466 f; Bruns, JR 1954, 251 ff, 253 f; Heinitz, JR 1954, S. 67; im Vorl'eld bereits Wilmanns/ Urbach, BB 1952, S. 102 f; Siegerl, NJW 1953, S. 528. Zustimmend v. Weber, GA 1954, s. 237 ff 192 BVerwGE 80, 299, 306. Instruktiv auch die Unterscheidung einer objektiven Gefahrverantwortung durch Zurechnung von der strafrechtlichen Verantwortung, ebd. S. 308. 193 Etwa Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15 f; Heinitz, Verhandlungen des 40. DJT, Bd. 1, S. 84 f; Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 212 (aufgegeben in SchwZStr 70 (1955), s. 259). 7 v. Freier

C. Einheitliche Strafbegründung

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dann aber ausschließlich unter die Herrschaft des positiven Rechts zu stellen. Für die Regelung des § 31 BGB mag dieses im Ergebnis unerheblich sein, solange sie auch durch eine davon unabhängige Begründung im Rahmen der Grundsätze zivilrechtlicher Haftung erklärt werden kann. Solange an einer für alle Normadressaten einheitlichen Strafbegründung festgehalten wird, ist für das Strafrecht die Vereinbarkeit der Verbandsstrafe und ihrer Begründung mit dem Individualstrafrecht das entscheidende Problem. Ganz andere Überlegungen fordert dann die These, beide Strafsysteme könnten nicht auf einen Begriff gebracht werden, aber gerade dieses Ergebnis schließe eine Verbandsstrafe nicht aus. Sie haben sich auseinanderzusetzen mit der Behauptung, die gegenläufige Annahme beruhe auf einer zirkulär begründeten Exklusivität des individuellen Schuldstrafrechts. 194 In jüngerer Zeit hat Erhardt eine umfassende Konzeption auf der Basis einer "Zurechnung" vorgelegt, die ältere Vorschläge und Argumente bündelnd aufnimmt und so als Leitfaden durch die Diskussion dienen kann. Die Handlungsfähigkeit der Verbände wird hier bestimmt als die Fähigkeit, gegen die hinter den Straftatbeständen stehenden Ge- und Verbote zu verstoßen. Diese fehle den juristischen Personen in einem "natürlichen Sinne", indem die Fähigkeit zu einer rechtlich erheblichen Willensbildung darauf beruhe, "daß die Rechtsordnung gewissen Personenmehrheiten erst durch normative Setzung die Möglichkeit zubilligt, rechtlich erheblich zu agieren".195 Ob jedenfalls in bestimmten Konstellationen (einstimmiger Beschluß) ein eigener Verbandswille anzuerkennen sei, könne offenbleiben, da es jedenfalls an einer verbandseigenen körperlichen Ausführung mangele. 196 Nun ist dieser Verzicht, die doch vormals als entscheidend angesehene Frage des Verbandswillens zu klären, mithin der ausschließliche Rekurs auf einen "tatsächlichen Anknüpfungspunkt"197, überraschend. Schwer damit vereinbar erscheint das sich anschließende Bekenntnis zur organtheoretischen Erklärung des § 31 BGB. Während die Vertretertheorie von einer Haftung für fremde Schuld ausgehe, gehe die Organtheorie von einer eigenen Handlung des Verbandes aus, ein Modell dem sich auch Erhardt anschließt, es aber verunklart durch den Nachsatz, nach der Organtheorie werde das Organverhalten "dem Verband als eige-

194 Vgl. bereits Busch, Gnmdfragen, S. 70 f Zwn Argwnent vgl. im einzelnen Kapitel D. 195 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 176. 196 Ebd., S. 177 f 197 Ebd.

II. Nonnativismus lUJ.d Natürlichkeit

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nes zugerechnet" .198 Sofern es sich hier um eine eigene Handlung des Verbandes handelt, ist nicht ohne weiteres einsichtig, wie sich hierzu die erwähnte Zurechnung verhält. Für Gierke ist, wie zu zeigen sein wird, der unhintergehbare Ausgangspunkt die Annahme eines eigenen Verbandswillens. Allerdings wird die Zurechnungslösung allgemein auch unter Verzicht auf die "natürliche Handlungsfahigkeit" an § 31 BGB orientiert199 , in der Regel ohne Stellungnahme zum Problem eines selbständigen Verbandswillens und der insoweit dann ganz nominalistischen Setzung, Schuld und Handlung würden dem Verband "als eigene" zugerechnet. Daß sich hinter der Ausblendung des vormals noch als Kernproblem der Verbandsstrafe erachteten Verbandswillens200 ein systematischer Reduktionismus verbirgt, erweist die Übertragung des Zurechnungsmodells auf das Strafrecht, insbesondere wenn behauptet wird, eine Handlungszurechnung sei dem Strafrecht nicht fremd, wie die mittelbare Täterschaft und die Mittäterschaft201 sowie das Unterlassen202 zeigten. Schon diese Gleichstellung wirft allerdings die Frage auf, in welchem Verhältnis Wille, Handlung und Zurechnung hier gedacht werden. Offenbar meint Handlung ein rein tatsächliches Geschehen, das - nach welchem Kriterium auch immer - zugeordnet wird. Übersehen wird, daß der "Zurechnung" in den angeführten Täterschaftsformen ein das äußere Geschehen entwerfender und (mit-) beherrschender Wille zugrundeliegt, der gerade nicht vollständig von seinem Träger abgelöst und auf andere übertragen werden kann. 203 Ist diese Grundlage verlassen, gilt es aber die Bedeutungsveränderung im Begriff der Zurechnung festzuhalten. Gemeint ist nicht mehr die Identifikation eines äußeren Geschehens als Willensverwirklichung unter der Bedingung der Zurechenbarkeit, sondern letztlich deren offen erngestandene positive Produktion. Dem derart entmaterialisierten Zurechnungsbegriff können dann ohne weiteres Bestimmungen als Beleg gelten, die auch im Strafrecht von ei-

198 Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 178. 199 So etwa auch Tiedemann, NJW 1988, S. 1173; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 185 ff.; Rotberg, Für Strafe gegen Verbände, S. 197, mit dem bezeichnenden Zusatz, daß e!: gleichgültig sei, ob man dieses als Fiktion ansehen wolle. 2 00 Zusammenfassend Engisch, Verhandl\Ulgen des 40. DIT Bd. 2, S. E 16 f

201 Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 184; Tiedemann, NJW 1988, S. 1172; Brender, Verbandstäterschaft, S. 57. 2 02 Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 178 f

203 So auch Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 10. 7*

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C. Einheitliche Strafbegründung

ner Handlungszurechnung ausgehen(§ 30 OWiG; § 75 StGB). 204 Nun steht allerdings gerade deren strafbegriffliche Berechtigung auf dem Prüfstand205; käme es nur auf die gesetzgeberische Konstruktion der Straftatvoraussetzungen an, erübrigten sich subtile Analysen zur Handlungs- und Schuldfähigkeit Diesen Eindruck bestätigt der Blick auf die Argumente, mit denen Erhardt die oben bereits genannten Einwände ausräumen will, eine Zurechnung sei nichts anderes als eine - im Strafrecht unzulässige - Fiktion. Erhardt stellt fest, daß für die strafrechtliche Handlungsfähigkeit der Verbände die inhaltliche Fassung des Handlungsbegriffs, der Streit um die finale, kausale oder soziale Handlungslehre unerheblich sei, da es um die Frage nach dem Handlungsträger, mithin "um die Subjektsqualität eines Kollektivs" gehe.2°6 Für diese soll auch der Streit zwischen einem ontologischen Konzept der Handlung als vorrechtliche Vorgabe und einem juristischen Handlungsbegriff unerheblich sein. 207 Nun enthalten alle Handlungsbegriffe notwendig ihr Fundament in einer bestimmten Vorstellung des Handlungssubjekts und seiner Beziehung zum Begriff des Rechts und darüber vermittelt des Unrechts, das Sachhaltige des Handlungsbegriffs wäre sonst völlig uneinsichtig. Er wäre schlicht überflüssig und zwar selbst in seiner eingeschränktesten Bestimmung. Seine Bedeutsamkeit scheint Erhardt retten zu wollen, indem sie darauf hinweist, daß der individuelle Organwalter im finalen Sinne handle und somit auch ein vorrechtliebes Phänomen vorhanden sei. Deren Zurechnung sei nun ebensowenig eine Fiktion wie der Verband angesichts seiner sozialen Realität selbst. Es gehe allein darum, "ob und in welchen Fällen Verbände für das Verhalten bestimmter Personen verantwortlich gemacht werden" 208. Dieses erfolgt schließlich durch eine sich auf die "natürliche" Individualhandlung beziehende "Wertung". Folgerichtig schließt sich damit an die freie positive Disponibilität des äußeren Handlungsvollzuges diejenige des Subjekts an. Schon Engisch hat unwiderlegt darauf aufmerksam gemacht, daß eine so verstandene Zurechnungskonstruktion schlicht auf einem Zirkel beruht, "wenn wir die Verantwortlichkeit des Personenverbandes auf sein Handeln gründen, dieses Handeln aber auf eine rechtliche Zurechnung".209 Die vermeintliche so2°4 Vgl. Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 179 ff. ; Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 177 ff.; Müller, Stellung der juristischen Person, S. 19. 205 So auch die Kritik von Lampe, ZStW 106 (1994), S. 729.

2°6 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 180 f 207 Ebd., Fn. 36. 208 Ebd., S. 181. 209 Engisch, Verhandlungen d. 40. DIT Bd. 2, S. E 24.

Il. Nonnativismus und Natürlichkeit

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ziale Realität, die den Schluß tragen soll, hat gegenüber dieser Operation keinen eigenen Stand: Verantwortung wird zugeschrieben (so wohl der treffendere Ausdruck), weil Verantwortung sein soll, weil im Verband kriminogene Faktoren wirken. Der Begriff der Zurechnung offenbart hier seine fundamentale Zweideutigkeit210 zwischen normativistischer Produktion von außen und der Identifikation personal geformter Wirklichkeit, von Kant treffend zum Programm erhoben: "Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind"211 . Festzuhalten bleibt schon hier, daß eine Zurechnung des Organverhaltens zum Verband eben doch die Bedeutung hat, daß eigentlich nicht vorhandene Voraussetzungen vom Recht geschaffen werden, so daß in dieser Bedeutungsvariante die Zurechnung als Rechtstechnik konfrontiert wird mit einem "Zurechnungsgrund", der die Gerechtigkeit der Zurechnung verbürgen soll. 212 Allerdings ist der Kanon der strafrechtlichen Zurechnungsgründe durch die Prinzipien des personalen Unrechts und der Schuld nicht nur in äußerlicher Weise begrenzt, sondern mit ihnen identisch. Ansonsten werden eben Zurechnungsgründe zugerechnet, oder anders gesagt: fingiert. Schon hinsichtlich der Handlung ist dabei hervorzuheben, daß im Individualstrafrecht nach Anerkennung subjektiver Unrechtselemente die Unrechts- bzw. Handlungszurechnung nicht derart apersonal gedacht werden kann, daß eine scharfe Trennlinie zum allein höchstpersönlichen Schuldurteil zu ziehen wäre.213 Ob diese Subjektivierung übertrieben ist214 oder aber im Begriff der Strafe wohlbegründet, soll an anderer Stelle erörtert werden2 15. Die Trennung der Handlung von der Schuldzurechnung vermag allerdings einen Aspekt scharf herauszustellen, der auch Gegner der Verbandsstrafe veranlaßt hat, die Handlungszurechnung im Gegensatz zur Schuldzurechnung zu akzeptieren, nämlich die (primäre) Normadressatenschfl[t der Verbände, wie sie sich im Strafrecht besonders den Regeln über die Vertreterhaftung (§ 14 StGB~ § 9 OwiG) entnehmen läßt. 216 Wer aber Träger von Rechten und

21° Vgl. Schild, GA 1995, S . 111 ff.; AK-Schild, §§ 20, 21 , Rn. 64 ff. 211 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung IV, S. 329. 21 2 Vgl. allg. zu dieser rechtmethodischen Trennung Bork, ZGR 1994, S. 238 ff. 213 So aber Brender, Verbandstäterschaft, S. 57, der die Handlung im Gegensatz zur Schuld nicht als untrennbar mit der personalen Qualität des Menschen verbunden sieht. 214 Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 15. 21 5 S. Kap. C. Il. 3.

216 Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 189; Hirsch, Straffähigkeit von Verbänden, S. 10, 12; Tiedemann, NJW 1988, S. 1171 f; Schroth, Unternehmen als Nonn-

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C. Einheitliche Strafbegründung

Pflichten sei, der müsse auch gegen sie verstoßen können, also handeln können. Wer am Rechtsverkehr teilnehme, nehme auch am Unrechtsverkehr teileine Schlußfolgerung, die v. Liszt auf die klassische Formel gebracht hat, daß, wer Verträge schließen könne, auch betrügerische Verträge schließen könne.217 Unter diesem Gesichtsspunkt muß sich die Fragestellung in der Tat auf die Besonderheiten des Strafunrechts verlagern, was von den Befurwortern einer Zurechnungslösung allerdings kaum erörtert wird. 218 Vielmehr werden die Besonderheiten des Strafrechts ausschließlich an der Schuld festgemacht und zwar in aller Regel und folgerichtig mit einem erheblich höheren Argumentationsaufwand. Parallel zu ihrer Analyse der Handlungsfähigkeit kommt Erhardt zu dem Ergebnis einer fehlenden natürlichen Schuldfahigkeit, da sich ein "mit der Willensbildung von Individuen vergleichbarer, psychologischer und damit natürlicher Vorgang der Entscheidungsfindung nicht feststellen" lasse219 und somit die vom normativen Schuldbegriff geforderte Fähigkeit zur normbezogenen Entscheidung entfalle. Der zur Natur reduzierten Freiheit kontrastiert die Macht der "Zurechnung". Da der Gesetzgeber Verbänden die Rechtsfähigkeit verleihen und die Handlungen seiner Organe zurechnen könne, müsse ihm "ganz grundsätzlich auch die Befugnis zugesprochen werden, anzuordnen, daß die Schuld, die ein für den Verband handelndes Individuum auf sich lädt, einen Vorwurf auch gegenüber der Körperschaft begründet, ihr zugerechnet wird". Strenggenommen ist dem aus Sicht einer strikt positivistischen Zuschreibungskonstruktion nichts hinzuzufugen. Dennoch fahrt Erhardt fort, daß die "gesetzgeberische 'Selbstherrlichkeit' im Hinblick allf die Bestimmung juristischer Personen zu 'Zurechnungsendpunkten"' keine unbeschränkte sei wegen der Grenzen, "die sich aus dem besonderen Charakter der strafrechtlichen Schuld und der überragenden Bedeutung des Schuldgrundsatzes ergeben".220 Diese "Grenze" bleibt nun allerdings schon im Ansatz ganz äußerlich, die Einheit von Begrenztem und "Grenze" bleibt unbegriffen und kann auch nur in den Blick kommen, wenn die Schuld als das Begründende der Strafe er-

adressaten, S. 13 ff. , insb. 29 ff. ; Heinitz, Verhandlungen d. 40. DJT, S. E 84, unter Hinweis auf die Gierkesche Grundlegung jeweils m. w. N. 217 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 154 Fn. 4. 218 Vgl. zunächst nur die Kritik von Volk, JZ 1993, S. 435; dazu noch ausführlich unten C. II. 3. 219 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 186. 220 Ebd., S. 186 f

ll. Normativismus lUld Natürlichkeit

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scheint221 . Statt dessen wird zustimmend die Entwurfsbegründung zum 2. UKG zitiert, wonach die Grenze der strafrechtlichen Zurechnung bei juristischen Personen "durch eine Bewertung der sozialen Wirklichkeit" unter "Beachtung des Verfassungsrechtssatzes "nulla poena sine culpa"" gefunden werden müsse22 2, ohne daß man erfährt, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Kern der Argumentation ist nun die bereits erwähnte Normadressatenschaft der Verbände und der daraus folgenden Pflichtenstellung, so daß das gesetzeswidrige Verhalten der Repräsentanten den Verbänden zum Vorwurf gemacht werden könne223 . Näherhin wird dieser Vorwurf als einer des "sozialethischen Versagens" bestimmt, da jede Rechtspflicht auch sittlich verpflichte und der Verband als Rechtssubjekt durch seine Repräsentanten rechtlich und somit auch sittlich verpflichtet sei224 . Ohne eine materiale Verbandstheorie, die das Verhältnis von "Substrat" und rechtlicher Personfikation zum Thema macht, und eine materiale Bestimmung der strafrechtlichen Schuld, gibt es allerdings nicht einmal eine das postive Recht begrenzende Verbindlichkeit: wenn Rechtssubjekte beliebig erzeugbar sind und aus ihrer Rechtssubjektivität ihre rechtliche Pflichtenstellung folgt, die ohne weiteres eine sittliche Bindung nach sich zieht, dann liegt der frei bestimmte Anfang in der Schaffung von Rechtssubjekten. Umstandslos ließe sich dieses nach historischem Vorbild übertragen auf Wesenheiten der belebten oder unbelebten Natur, fiir die dann der Eigentümer der natürlich handelnde Repräsentant wäre. Drastisch gesagt: es ist in einer solchen Argumentation nicht ersichtlich, warum nicht dem auf einen Menschen gehetzten Hund Handlung und Schuld des Halters "als eigene" zugerechnet werden könnten, so daß dem Hund ein "sozialethischer Vorwurf' zu machen wäre. Ebenfalls an historischen Vorbildern orientiert ließe sich an die Subjektivierung der Familie denken. Weitergehend eröffnen sich Perspektiven fiir die stnifrechtliche Verantwortlichkeit von Schuldunfähigen. In der angebotenen Terminologie ist zunächst deren Rechtssubjektivität festzustellen. Ihre Normadressatenschaft steht auch außer Zweifel, wofiir ebenso wie bei den Verbänden auf§ 14 StGB, nämlich die Zurechnung besonderer persönlicher Merkmale zum gesetzlichen Vertreter (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB) verwiesen werden kann. Handlungs- bzw. schuldfähig sind sie vermittelt über ihre gesetzlichen Vertreter, deren Pflichtverletzungen ihnen "als eigene" zugerechnet werden. In gleicher Weise wie bei den Verbänden gäbe die Verknüp221 Vgl. nur Köhler, Begriff der Strafe, S. 4 f m. Fn. 11. 222 BT-Drs. 12/192, S. 32. 223

Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 187 f

224 Ebd., S. 189 f

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C. Einheitliche Strafbegründung

fung von Vor- und Nachteilen Anlaß zur Sanktionierung. 225 Schließlich hätten sie "sozialethisch" versagt, da ihnen das Vertreterverhalten als eigenes zugerechnet werden müßte. Erhardt stützt die ethische Kompetenz der Verbände im Anschluß an Rotberg226 noch durch zwei weitere Erwägungen, nämlich deren allgemein anerkannte Ehrfähigkeit sowie an sittliche Pflichten anknüpfende zivilrechtliche Normen, die auch auf Verbände Anwendung finden, wie § 138 BGB und§ 826 BGB, § 1 UWG. Die Berechtigung dieser immer wieder vorgetragenen Argumente soll an anderer Stelle noch ausführlich diskutiert werden. Ein begründetes Hindernis für die Sanktionierung Schuldunfähiger stellen sie nicht dar. Auch der durch den gesetzlichen Vertreter geschlossene Vertrag ist gern. § 138 BGB nichtig, die Anwendung der§§ 826 BGB, 1 UWG wäre eine Frage der Haftungserweiterung, die durch die "gerechte" Verknüpfung von Organisationsvorteilen und -nachteilen legitimiert wäre. Hinzu kommt die konstitutive Bedeutung des Vertreterhandeins für die Teilnahme am Rechtsverkehr. Hinsichtlich der Ehrfähigkeit der schuldlos Handelnden sind bislang im Gegensatz zur Ehrfähigkeit der Verbände keine Zweifel angemeldet worden. Nun schwebt Erhardt und den Vertretern der von ihr vorgetragenen Argumente ein solches Szenario sicherlich nicht vor. Erhardt bemüht sich daher auch noch um eine "Legitimation" der Schuldzurechnung, die ihren Ausgang nimmt von der Erkenntnis, daß der Schuldvorwurf nicht nur die Mißbilligung des Verhaltens impliziere sondern auch die Vermeidbarkeit durch den Adressaten.227 Darin liegt allerdings schon eine verfehlte Weichenstellung selbst auf der Basis des normativen Schuldbegriffs, denn mißbilligt wird die mögliche, aber unterlassene Vermeidung, so daß die Vermeidbarkeit nicht erst zur Mißbilligung hinzutreten muß. Es bildet sich hier der bereits oben erwähnte Fehler ab, daß Zurechnung und Zurechnungsgrund auseinandergerissen werden. Die "Legitimation der Schuldzurechnung" ist die Schuld! Erforderlich ist nach Erhardt daher auch ein "innerer Zusammenhang" zwischen Individualtat und Verband. Sie findet ihn in der unterlassenen Delinquenzhinderung durch organisatorisch-institutionelle Vorkehrungen und die Pflege einer resistenten Verbandskultur228, die das Delikt des Repräsentanten als ein durch den Verband beherrschbares Ereignis erscheinen lassen. Nun setzt eine solche Kon225 Dazu, daß dieser Gnmdgedanke im Recht der zivilen Hafhmg ohne weiteres auch aufSchuldunfähige paßt, vgl. nur v. Tuhr, Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. I, S. 464. 226 Rotberg, Für Strafe gegen Verbände, S. 200. 227 Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 192. 228 Ebd., S. 192 ff.

II. Nonnativismus und Natürlichkeit

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struktion offensichtlich voraus, daß der Verband als Beherrschender und der Repräsentant als "Gegenstand" der Beherrschung auseinandertreten und unterschieden werden können. 229 Sie zielt damit gleichsam in das "Herz" des Verbandes und muß ihn an dieser Stelle doch in seinem Eigenstand ernstnehmen, kann ihm nicht wiederum Willen und Verhalten zumindest dieses delinquenten Repräsentanten zurechnen. Es muß also originär Verbandswillen und VerbandshandJungen geben. Genau dieses war aber offengelassen bzw. verneint worden. Daher nimmt Erhardt diese zwingenden lmplikationen auch sofort zurück, indem sie eine Exkulpationsmöglichkeit des Verbandes ausschließt und auch keinen Nachweis der konkreten Verursachung für erforderlich hält. Zurechnungsgegenstand sei allein das Verhalten der Individuen, die "innere Legitimation" stelle "lediglich den Zurechnungsgrund" dar. 230 Der generelle Einfluß des Verbandes auf das Individuum rechtfertige es "in dem Fall, in dem sich diese Gesichtspunkte in einer Straftat realisiert haben, die juristische Person für sie verantwortlich zu machen". 231 Verantwortlich gemacht werde die juristische Person für das Delikt des Repräsentanten, "welches als ihr eigenes gewertet wird, weil die Tatsache dessen Begehung zeigt, daß es das Kollektiv jedenfalls an ausreichenden Maßnahmen zur Neutralisierung der kriminogenen Einflüsse hat fehlen lassen". 232 Klarer läßt sich eine reine Erfolgshaftung nicht beschreiben. Die angeführten Zurechnungsgründe begründen gar nichts, jedenfalls nicht die eingangs beschworene Vermeidbarkeit. Wie schon bei der Handlungszurechnung bleibt die schlichte Dezision, hier als "Wertung" bezeichnet. Das ist für die materiale Legitimation durch die unzureichenden Zurüstungen auch gar nicht verwunderlich, wenn es keinen vorpositiven Willen des Verbandes geben soll, müßten doch die geforderten Vorkehrungen wiederum durch Repräsentanten gewährleistet werden, was nur zu einem infiniten Regreß individueller Verfehlungen, niemals aber zum Verband führen könnte233. Vollkommen aporetisch wird das Modell, wenn die für die Schuldbegründung schlechterdings irrelevante Vorbeugungsaktivität bei der Strafzu229 Zwn Verhältnis der direkten und der indirekten Deliktsfähigkeitsbegründung s. noch unten 111. 3. 230 Erhardt, Unternehmensdelinquenz, S. 194. 231 Ebd., S. 194 f. 232 Ebd., S. 195. 2 33 Roxin, AT, § 8 Rn. 56 c. Auf das Verhältnis von direkter und indirekter Deliktsfähigkeit ist im Zusammenhang mit der organologischen Repräsentation zurückzu-

kommen. Dazu, daß selbst ein Organisationsverschulden ein solches von natürlichen Personen sein muß vgl. ebd. und Martin, in: Schünemann/Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 18; Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, 284 f. ; v. Tuhr, Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. 1, S. 539.

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messung Berücksichtigung finden soll234 , denn wie kann das nur nominell Gründende als Maßfrage Bedeutung erlangen? Offenbar nicht als Maß der Schuld, deren Vorliegen ja in keinem Zusammenhang mit konkreten Vorkehrungen steht. Wie bereits die Handlungszurechnung zeigte, bleibt als Ausweg nur die Begründung eines eigenen Verbandswillens oder aber der Abschied von traditionellen strafrechtlichen Begrifflichkeiten, wobei die entscheidende Frage ist, wie sich dieses auf Verbände beschränken ließe235 . Erhardts Verteidigung, es gehe nicht um eine Fremdverschuldenshaftung sondern um ein "aufgrund Zurechnung - 'eigenes' Verschulden" konzentriert die Widersprüchlicheit der Position. Worum es wirklich geht, wird deutlich, wenn sie die Versagung der Exkulpation damit rechtfertigt, daß ansonsten Vorkehrungen getroffen würden, allein mit dem Ziel in den Genuß der Exkulpation zu kommen, während präventiv ein Anreiz geschaffen werden müsse, sich über dieses Minimum hinaus zu bemühen236 . Die unbeherrschbare Sanktion soll also ausschließlich durch ihre Intensität "motivieren", das Schuldstrafrecht ist durch ein negatives Prämiensystem ersetzt. Die Zurechnungslösung Erhardts erweist sich nach alledem als Strafbegründung auf dem Boden der Fiktionstheorie. Wenn Erhardt dagegen behauptet, sie gehe von der Realität als körperschaftliches Gebilde aus, mag das als solches zutreffen. Es geht aber nicht um eine irgendwie beschaffene objektive Realität, die ja auch Savigny nie vollständig geleugnet hat, sondern um die vorpositiv-subjektive Realität des Verbandes. Die Erhardtsche Begründung einer originären Schuld des nicht fiktiven Verbandes auf dem Boden eines wenn auch modifizierten sozialethischen Schuldbegriffs kommt im Grundansatz überein mit neueren Versuchen, die Verbandsgeldbuße auf ein "Organisationsverschulden" zurückzuffihren. Ihre Berechtigung hängt maßgeblich davon ab, ob sich das Ordnungswidrigkeitenrecht hinreichend von der Strafe unterscheiden läßt. Das wird zwar erst an anderer Stelle zu diskutieren sein. Dennoch soll die grundsätzliche Überlegung schon hier auf ihre Vereinbarkeit mit dem Strafrecht überprüft werden, da sie in ähnlicher Form auch bei der Erörterung der Gierkeschen Theorie der Deliktsfahigkeit der Verbände auftauchen wird, wenn es um das Problem unmittelbarer und mittelbarer Repräsentation geht.

234

So Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 195.

235 Zur Gefahr eines "Strafrechts der Vertretenen" vgl. Großrau, in Niederschriften Bd. 1, S. 303.

236 Ebd. , S. 195.

II. Normativismus und Natürlichkeit

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Besonders Tiedemann hat den Begriff des Organisationsverschulelens für die Verbandsstrafendiskussion fruchtbar gemacht. Er geht davon aus, daß im Ordnungswidrigkeitenrecht das kriminalstrafrechtliche Schulderfordernis gesenkt werden könne, um so "anstelle der als persönliche sittliche Fehlleistung verstandenen menschlichen Schuld im klassischen Sinne einen an sozialen und rechtlichen Kategorien ausgerichteten Schuldbegriff im weiteren Sinne zu setzen". Der verantwortungsbegründende soziale Vorwurf, der es erlaube, dem Verband die Individualtat zuzurechnen, bestehe in dem Organisationsfehler, so daß Individualtaten "deshalb und soweit als Verbandsdelikte angesehen (werden), weil und soweit der Verband - durch seine Organe oder Vertreter - Vorsorgemaßnahmen zu treffen unterlassen hat, die erforderlich sind, wn einen ordentlichen, nicht deliktischen Geschäftsbetrieb zu gewährleisten".237 Dieser Gedanke des Organisationsverschuldens stelle ein Haftungsprinzip dar, zu vergleichen mit den strafrechtlich anerkannten Formen des Vorverschuldens bei der actio libera in causa und im Tatbestand des Vollrausches (§ 323a StGB) sowie dem früheren Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung (§ 143 StGB a. F.). Demgemäß sei wegen der Veranlassung der Einzeltat durch ein vorwertbares Vorverschulden und nicht wegen der schädigenden Einzeltat zu strafen, so daß es auf das fehlende Verschulden in Bezug auf die Einzeltat nicht ankomme. Bedenken bestünden insoweit nicht hinsichtlich einer Verdünnung von Unrecht und Schuld, sondern nur gegenüber dem Verzicht auf die "zeitliche Koinzidenz aller Deliktsmerkmale". 238 Wie auch bei Erhardt ist also der Grundgedanke die mangelnde Vorkehrung gegen Delikte, hier beschränkt auf organisatorische Maßnahmen. Anders als bei Erhardt wird jedoch nicht eine unmittelbare Verantwortung für die eigentliche Tat zugerechnet, sondern haftungsauslösend ist der vorgelagerte Pflichtverstoß. Allerdings werden, insofern wieder übereinstimmend mit Erhardt, Exkulpationsmöglichkeiten sowie ein Kausalitätsnachweis ausgeschlossen. 239 Spätestens an dieser Stelle geht die Analogie zu § 130 OWiG nicht mehr auf, die noch die strukturelle Entsprechung der Haupttat als objektive Strafbarkeitsbedingung240 für sich in Anspruch nehmen ko~nte. Ein Haftungsprinzip ist keines, wenn es

237 Tiedemann, NJW 1988, S. ll72. 238 Ebd., S. 1173. 239 Ebd. 240 So die herrschende Meinung zu § 130 OWiG: vgl. die Nachweise bei Kohlmann/Ostermann, wistra 1990, S. 124 Fn. 36.

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C. Einheitliche Strafbegründung

auf das Vorliegen seiner Voraussetzungen nicht ankommt. 241 Oder es würde sich wieder die Problematik eines infiniten Regresses stellen (s. o.). Sie zeigt zugleich an, daß es einen wesentlichen Unterschied zu sonstigen Konstellationen des V01verschuldens gibt. Immer geht es darum, einem Subjekt in bestimmten Hinsichten die- widersprüchliche- Berufung auf "eigentlich" gegebene exkulpierende oder unrechtsausschließende Umstände zu verwehren, indem auf ein vorhergehendes Verhalten verwiesen wird und so die zeitliche Koinzidenz von Unrecht und Schuld in Frage gestellt wird. 242 Aber unabhängig davon, mit welchen dogmatischen Konstruktionen man versucht, dem Problem beizukommen: immer bildet eine freie Entscheidung des Täters den Ausgangspunkt.243 Da dem Verband dieses Vermögen nun gerade nicht "als solchem" zukommen soll, kann auch die Strukturgleichheit zum Vorverschulden nicht weiterhelfen. Oder man entkleidet das Vorverschulden seines materialen Gehaltes, wie es Bauer in Auseinandersetzung mit Tiedemann vorgeschlagen hat. Er trennt im Anschluß an Neumann und Hruschka den Zurechnungsgrund des Vorverschuldens vom Zurechnungsgegenstand, der aktuellen Handlung, und stellt fest, daß sich § 30 OWiG auf eine solche Struktur zurückführen lasse. Der unerhebliche Unterschied zu den Konstellationen der schuldhaften Handlungsunfähigkeit bestehe "nur darin, daß die juristische Person überhaupt nicht handeln kann". Gerade dieses rechtfertige aber die Zurechnung: "Zurechnungsgrund ist dann - ... - die (generelle) Handlungsunfahigk:eit der juristischen Person und nicht ein fingierter Organisationsmangel".244 Zugerechnet werden die Taten der Organe. Es bleibt also die Fiktion, nicht etwa von mangelnden organisatorischen Zurüstungen, sondern schlicht der Handlungs- und Schuldfähigkeit Ist aber deren Fehlen der hinreichende Grund der Zurechnung, muß wiederum gefragt werden, warum dann nicht generell die Straftatmerkmale der gesetzgeberischen Verfügung offenstehen, so etwa für eine Schuldzurechnung gegenüber Schuldunfahigen, eben weil sie schuldunfähig sind. Wenn das sogenannte Vorverschulden nur einen "entmaterialisierten Zurechnungsgedanken"245 darstellt, der nur die gesetzliche Wertung zum Aus-

:241 Daher räumt Brender, Verbandstäterschaft, S. 109, der die Ansätze seines Lehrers Tiedemann näher ausgearbeitet hat, ein, daß das organisatorische Vorverschulden nicht den wahren Grund der Verbandssanktion ausmache, da ja eine generelle Zurechnung stattfmde. 242 Vgl. die allgemeine Problembestimmung bei Neumann, Zurechnung und Vorverschulden, S. 14 ff. :243 Vgl. auch Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 285 m. Fn. 59. 244 Bauer, wistra 1992, S. 50. :245 Brender, Verbandstäterschaft, S. 110.

II. Nonnativismus und Natürlichkeit

109

druck bringt, daß das Hauptverschulden in der Anknüpfungstat zu suchen ist246, erweist sich das ganze Konzept nur als eine komplizierte Umschreibung der Tatsache, daß der Gesetzgeber bestimmt, daß gehaftet werden soll247 . Die formale "Zurechnung" der Schuld "als eigene" bleibt somit immer in dem genannten Zirkel verfangen, dem Verband eine eigene Handlungs- und Schuldfähigkeit abzusprechen, um sie ihm genau aus diesem Grund dann zuzurechnen. Alle Versuche, auf diesem Wege ein Analogon zur freien Stellungnahme zum Recht durch das Individuum zu begründen, schlagen fehl. Daher bietet es sich an, die Strafe völlig von diesem Fundament der Strafe zu entkoppeln, namentlich den Schuldbegriffvon seinen individualistischen Konnotationen zu befreien und zwar entweder zur Legitimation der Verbandsgeldbuße oder zur Begründung der Verbandsstrafe oder schlechthin, um so dem materialen Anliegen der Verbandsstrafe, der Verbandskriminalität zu begegnen, Rechnung tragen zu können. Die anvisierte Transformation des Schuldgedankens in der Verbandsstrafendebatte begreift sich als Ausdruck einer allgemeinen "Entmythologisierung" 248 des überkommenen Schuldbegriffs, die es erlaube "Schuld rational, sie also nicht als sittlich-moralische, sondern als soziale zu begreifen" 249 . Müller will hier in Abgrenzung zur Individualschuld den Terminus "Verantwortlichkeit" verwenden, den er bestimmt als objektive

246 Ebd., S. 114. 247 Vergleiche auchAchenbach, in: Schünemann!Figueiredo Dias (Hg.): Bausteine, S. 299: das Konzept des Organisationsverschuldens sei fiktiv und der Anknüpfimgstat übergestülpt Brender selbst bringt dieses zum Ausdruck, indem er von einem Organsationsverschulden kraft gesetzlicher Wertung spricht (Verbandstäterschaft, S. 114). Allerdings behauptet er in m. E. unklarer Weise, diese Wertung führe nicht zu einer mißbräulichen Konstruktion einer Verbandsschuld (S. 112). Die Gründe für diesen komplizierten Umweg bei Brender scheinen mir auf der Hand zu liegen. Er selbst schließt eine kriminalstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden aufgnmd der Höchstpersönlichkeit der Schuld aus (S. 59), will aber generell am Schuldprinzip auch im Ordnungswidrigkeitenrecht festhalten (S. 95 ff.). Das aber bedeutet, daß insofern keine Repräsentation möglich ist. Nlhl ist allerdings zu begründen, daß auch hinsichtlich von Straftaten eine ordnungsrechtliche Repräsentation in der von Brender untersuchten Regelung des§ 30 OWiG vorausgesetzt wird. Die gesetzliche Wertung des Organisationsverschuldens soll dem dann Rechnung tragen, indem sie eine Transformationswirkung hat (S. 122). Anderenfalls müßte nämlich die unmittelbare Repräsentation behauptet werden, die sich dann allerdings kaum noch vom Strafrecht fernhalten ließe. 2 4 8 Müller, Stellung der juristischen Person, S. 21; Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 197. 2 49

Müller, Stellung der juristischen Person, S. 22.

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C. Einheitliche Strafbegründung

Schuld, "als das Zurückbleiben hinter den Anforderungen der Sozietät". 250 Deren Erwartungen richteten sich auf ein normgemäßes Verhalten der an den Rechtsgütern teilhabenden und angesichts ihrer Bedeutung besonders in der Verantwortung stehenden Verbände, namentlich auf die Sicherstellung einer hinreichenden Binnenkontrolle, durch deren Nachweis sich der Verband exkulpieren könne. Das bereits mehrfach erwähnte Problem eines infiniten Regresses bzw. Zirkels erhält so die schon in den anderen Ansätzen angelegte Widersprüchlichkeit: Der Verband muß fremde Subjektivität in sich aufnehmen, besser: sich durch Subjektivität äußern, weshalb ihm die Handlungen natürlicher Personen zugerechnet werden müssen. Er selbst bleibt "als solcher" objektiver Prozeß, gerade in der Erzeugung der Verbandsattitüde, die er aberals Subjekt - wiederum beherrschen können soll. Müller bewahrt also, wenn auch nur als Widerlegbarkeil einer Schuldvermutung, einen Rest von Verbandssubjektivität oder muß den infiniten Regreß eingestehen. Undeutlich bleibt auch Schroth, der seine Argumentation mit einer konsequent positivistischen Destruktion des Schuldbegriffs eröffnet. Die Schuldverknüpfung solle gewährleisten, daß nur dann gestraft werden könne, wenn die Verbände die Tat zu verantworten hätten. Die Begründung einer strafrechtlichen Verantwortung richte sich "zunächst" nach den Präventionsüberlegungen des Gesetzgebers und dieser zeige durch die Einführung schuldabhängiger Verbandssanktionen, daß er die Verbände für schuldfähig halte. Der normative Schuldbegriff ermögliche ein Schuldurteil nach rechtlichen Gesichtspunkten. Der Gesetzgeber könne den "Kreis der Schuldadressaten" bestimmen.251 Selbst wenn man den Schuldbegriff auch als (menschliche) Entscheidung zum Unrecht fasse, könne diese nur analogisch festgestellt werden, impliziere folglich einen generalisierten Schuldvorwurf. Daher könne die "eigentliche" Schuldfrage offen bleiben, so daß man sie auch bei Unternehmen offen lassen könne zugunsten einer sozialbezogenen Schuldfeststellung. 252 Ein solcher Schuldbegriff kann die von Schroth bekräftigte Begründungsund Begrenzungsfunktion der Schuld nicht leisten. Er ist zirkulär, indem "Verantwortung" von der Schuld getrennt und ihr vorgelagert wird, Verantwortung aber gerade duch die Schuld erst begründet wird. Zudem werden Schuldfeststellung und Schuldbegriff vermengt, erstere setzt aber doch Ietzeren zwingend voraus. Es bleibt eine reine Funktionalisierung. Daß diese Konzeption verfas-

250 Ebd., S. 23. 251 Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 198 f Schon der Begriff des "Schuldadressaten" offenbart die inhaltsleere Zirkularität des Konzepts. 252 Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 200.

II. Normativismus 1md Natürlichkeit

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sungsrechtlich unhaltbar ist253 und die Begriffe "sozial" und "normativ" nur notdürftig die Dezision kaschieren, wird an anderer Stelle erneut aufzunehmen sein. Aber auch Schroth scheut die Offenlegung dieser unausweichlichen Konsequenzen, indem er die bloße Außenzuschreibung material dadurch ausfüllt, daß er jedes Unternehmensverhalten als Ausdruck menschlicher Willensbildung begreift, so daß das Organverhalten "die Summe der in dem Unternehmen organisatorisch zusammengefaßten Verhaltensweisen" repräsentiere254 . Der Schuldvorwurf richte sich an die "in diesen Einheiten organisatorisch zusammengefaßten, von ihnen ausgehenden additiven und kollektiven Verhaltensweisen der Mitglieder und Organe". 255 Diese Außenperspektive bildet sich ohne weiteres in der Binnenperspektive ab. Die funktionale Organschuld drücke die Organisationsschuld als "kollektive Entscheidung für das Unrecht" aus, die individuelle Organschuld sei davon völlig unabhängig256 Die kollektive Entscheidung jedoch bleibt vollkommen uneingelöst gerade in ihrem kollektiven Charakter und unvermittelt zu dem handelnden Organ, welches diese zum Ausdruck bringt und dennoch auch Individuum bleibt. Und es bleibt ungeklärt, wie sich diese kollektive Entscheidung in einem nicht positivistisch verkürzten Schuldbegriff darstellen ließe. Sie bleibt insofern leer, so daß trotz der Materialisierungsbemühungen kein Schritt über die Zurechnungslösung hinaus getan wird, denn im Ergebnis wird nicht angegeben, unter welchen Bedingungen Außen- und Innenverhältnis auseinanderfallen können. Ohne diese Möglichkeit aber kann von einer kollektiven Entscheidung gar keine Rede sein. Erneut bleibt das kollektive Phänomen von dem künstlichen Subjekt ganz abgeschnitten und wird als Legitimation nur nachgereicht.

253 So das Ergebnis der harschen Kritik Ottos an Schroth (Otto, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 19 f), die allerdings den Hiatus von Nonnativität 1md Empirie nur so aufzulösen vermag, daß für die Schuld als sozialethisches Versagen den Verbänden die "empirische" Fähigkeit fehle. Ähnlich scharf die Kritik Schönemanns an Schroth, der Schroth 1md Erhardt vorwirft, das Verhältnis von einfachem Recht 1md Verfasslm.gsrecht "geradezu auf den Kopf' zu stellen (Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 283 Fn. 55). Zur Zirkularität der Argumentation Schroths vgl. auch Lampe, ZStW 106 (1994), S. 730. 254 Schroth,

Unternehmen als Normadressaten, S. 202.

255 Ebd. 256

Ebd., S. 208 f

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C. Einheitliche Strafbegründung

3. "Natürlichkeit" und "Zurechnung" unter den Bedingungen des Strafrechts Damit ist auf dem Boden einer verbandstheoretischen Grundannahme, der natürlichen Handlungs- und Schuldunfähigkeit der Verbände, der Bogen gespannt von der strikten Ablehnung der Verbandsstrafe bis zu ihrer Begründung durch "Zurechnung" eines Individualdelikts. Die letzteren Ansätze lassen sich noch danach unterscheiden, ob zumindest versucht wird, die Konstruktion mit der traditionellen Begriffiichkeit des Individualstrafrechts zu vermitteln, oder ob diese einer generellen objektiven Normativierung weichen müssen257 . Wird der Weg einer Verbandsbestrafung eingeschlagen, so wird dieses konsequenterweise häufig nicht mehr mit dem Versuch verbunden, die Nähe zur Fiktionstheorie zu leugnen. Vielmehr wird dem Theorienstreit um die juristische Person überhaupt eine entscheidende Bedeutung für das Problem der Deliktsfahigkeit abgesprochen.258 Das überrascht zwar insofern, als für die Klärung der Sachfragen implizit immer ein Modell der Verbandsbegründung zugrundegelegt wird. Die These ist aber jedenfalls dann berechtigt, wenn strikt positivistisch vorausgesetzt wird, daß sich in einem narrnativistischen Zugang259 Verbandskonzept und Strafbegriff treffen. Dagegen entspricht die an anderer Stelle thematisierte "Bestrafung" (besser: Haftung oder Gewinnabschöpfung) von Vermögensmassen als solchen unabhängig von ihrer rechtlichen Verfaßtheit der Vorstellung personifizierter Zweckvermögen. Und die einzige, noch näher zu untersuchende Möglichkeit, eine einheitliche Legitimationsgrundlage aufrecht zu erhalten, ist eine auf organologischen Theoremen fußende Verbandstheorie. Nur die Theorie organologischer Repräsentation verspricht prima facie die Überwindung - zirkulärer Zuschreibungen, wes-

257 Den letztgenannten Weg beschreitet etwa auch Hamann, Unternehmen als Täter, S. 218 ff., wenn er konstatiert, in allen Rechtsbereichen sei die nonnative Begründung der Subjektstellung ohne weiteres möglich. Aus der Stellung als verantwortliches Subjekt folge die zwingende Anerkennung der Handlungsfähigkeit Und da man ein Subjekt, welches Träger von Rechten und Pflichten ist auch für Pflichtverstöße sanktionieren können müsse, stehe einer sozial nonnativ modifizierten Schuld keine Bedenken entgegen, sofern man von den psychischen und sittlichen Elementen absehe. 258 So etwa Seiler, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 44 f.; Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen, S. 13; Alwarl, ZStW 105 (1993), S. 764; Marcuse, GA 64 (1917), S. 486 f.; Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 145; Busch, Grundfragen, S. 63; Heinitz, Verhandlungen d. 40. DIT Bd. 1, S. 84; Ackermann, Strafbarkeit juristischer Personen, S. 208. 259 Zur Zurechnung auf der Basis eines nonnativen Schuldbegriffs vgl. bereits v. Weber, Grundriß des Strafrechts, S. 109 f.; DRiZ 1951, S. 156; JZ 1953, S. 294.

ll. Nonnativismus 1md Natürlichkeit

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halb im allgemeinen auch nicht vollständig auf ihre Metaphorik verzichtet wird. Allerdings kann zum Beleg für die Beliebigkeit auf die angelsächsische Strafpraxis und die Verbandsstrafenlegitimation des Mittelalters verwiesen werden, denen die Fiktionstheorie keine unüberwindliche Hürde einer Bestrafung ist bzw. war260, sodann auch auf die häufig betonte Irrelevanz des Theorienstreits für das Zivilrecht261 . Eine solche normativistische Beliebigkeit ist von früheren Verbandsstrafenbegründungen scharf kritisiert worden. Hafter etwa führt aus: "Eine Strafe gegen ein Wesen, das selbst nicht wollen Wld handeln kann, läßt sich nicht denken; ebenso gut müßte man sonst den einzelnen Taler bestrafen müssen Wld können, der dazu gedient hat, ein wucherisches Geschäft zu schließen". 262

Unbeeindruckt von solchen Bedenken läßt es sich mit der bekundeten Beliebigkeit scheinbar auch vereinbaren, die ausschließliche Pflichtnormadressatenschaft dem Einzelmenschen vorzubehalten, in einem Atemzug damit aber festzustellen: "Wer ZurechnungsendpWlkt eines rechtlich relevanten Verhaltens ist, bestimmt das Recht selbstherrlich". 263

Zum Beweis für die genannte Freiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers im Umgang mit der Verbandsstrafe ist auch der Hinweis nicht ausgeschlossen, daß früher (!) schließlich auch Tiere und Sachen deliktsfahig waren264 . Derartig krasse Thesen265 , die auch die Tierstrafe, wenngleich im

260 Vgl. bereits v. Hippe/, Deutsches Strafrecht Bd. 2, S. 125 m. Fn. 4; auch Schroth, Unternehmen als Nonnadressaten, S. 162 f. ; Nachw. zur Doktrin der Glossatoren, Kanonisten und Postglossatoren bei Haft er, Deliktsfähigkeit, S. 11 ff 261 So etwa Staudinger-Coing, § 31 Rn. 3; einschränkend aber K. Schmidt, Verbandstheorie, S. 18. 262 Hafter, Delik.tsfabigkeit, S. 74. 263 So die Begründung einer Schuldfabigkeit der Verbände bei Baumann!Weberl M itsch, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27. Ebenso Weber, ZStW 96 (1984), S. 411 ff 264 So Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, S. 70 f ; wenn Hilgendorf, S. 72, dem hinzufiigt, fiir den gemeinen "Mann auf der Straße" sei eine Bestrafung juristischer Personen ganz unproblematisch, so wird der "Mann auf der Straße" wohl in erster Linie solche Personen im Auge haben, bei denen er selbst nicht beschäftigt oder Mitglied ist. 265 Energische Kritik an der allgemein positivistischen Gnmdlage etwa bei v. Lübtow, Fs. E. Wolf, S. 427, 429, 439 ff, 447. 8 v. Freier

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C. Einheitliche StrafbegründWlg

Einklang mit der biologistischen Verbandsmetaphorik einiger Verbandsstrafenbefürworter266, wieder in den Bereich des ernsthaft Verhandelbaren rücken, bedürfen- ungeachtet ihrer historischen Wahrheit- näherer Überprüfung. Die Frage ist, welcher Fähigkeit der Mensch die zugestandene ausschließliche Pflichtnormadressatenschaft verdankt, wie ihr Verhältnis zum Recht, namentlich dem eines demokratisch verfaßten Staates freier Bürger, zu denken ist, und welche Konsequenzen dieses für die spezifisch strafrechtliche Begriffsbildung hat. Von einem derartigen Begründungszusammenhang ist dann auch Aufklärung darüber zu erwarten, wie sich die gänzlich unterschiedlichen Redeweisen von "Zurechnung" zueinander verhalten, die einerseits auf die "natürliche" bzw. vorpositive oder gar vorrechtliche Zurechenbarkeit abstellen, andererseits auf die äußerlich sozial-normative oder gesetzlich-positivistische Zuschreibung aufgrund eines verhältnislosen Zurechnungsgrundes. Da an dieser Stelle noch eine einheitliche Legitimationsgrundlage mit der Individualstrafe thematisch ist, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf das Individualstrafrecht Eine erste Antwortmöglichkeit267 auf die gestellten Fragen läßt sich gut einfügen in den der Verbandsstrafe eigenen instrumentellen Zugang. Die vorgegeben gedachte Normordnung bedarf zu ihrer Realisierung, ihrer Umsetzung in praktische Realität und damit auch in die Gegenständlichkeit, solcher Wesen, die über einen Willen, Vernunft, Bewußtsein und Sprache oder aber auch 266 Schünemann, in: Ders./Gonzales (Hg.): Bausteine, S. 277 f., wählt den Vergleich mit einem Heuschreckenschwann. Heine, JZ 1995, S. 656, fühlt sich bei GroßWlternehmen eher an Ameisenhaufen erinnert: "Wer einen Ameisenhaufen als Problem empfmdet, sollte erst gar nicht versuchen, einzelne Ameisen mit Funktionsmacht aufzuklauben, um sie Mores zu lehren" (ebenso in ZUR 1995, S. 69). 267 Einige der hier verwendeten Termini entsprechen nicht nur zufällig den von H. J. WoljJ, in seiner grundlegenden Untersuchung zur juristischen Person, Organschaft Wld juristische Person Bd. 1, geprägten. W olff Wlterscheidet strikt die rechtselementare Ebene von der rechtstechnischen (vgl. S. 131 ff., 152 ff., 170 ff.). Die rechtselementare Ebene Wld die auf ihr begründete Ablehn\Ulg eines selbständigen Kollektivwillens, einer eigenen Personalität juristischen Person, ist dabei immer in Gefahr, einen empiristischen Wirklichkeits-, Erfahr\Ulgs- und damit Wissenschaftsbegriff zugrundezulegen (vgl. nur S. 6 f. zur unerkennbaren Existenz, S.ll: Psyche; S. 13: erfahrbare Wld aufweisbare Realitäten, vgl. auch 45 ff., 50). Damit ist zwar die elementaren Person (Mensch) als "Schnittpunkt der nonnativen Wld der natürlichen Sphäre" (S. 69) für den Seinsbezug des Rechts als vorrechtliche Gegebenheit unentbehrlich (S. 72). Nur der Mensch ist Pflicht- und rechtselementares Rechtssubjekt (S. 152 ff.). Das hindert Wolff dann aber nicht, die Rechtstechnik ohne weiteres für berechtigt zu halten, die kriminalstrafrechtlichen Zurechn\Ulgsendpunkte so zu gestalten, daß auch Vertretene strafrechtlich verantwortlich sind (vgl. S. 218). Böckenförde, Fs. H. J. Wolff, S. 290 Fn. 74, ist daher zuzustimmen, daß der rechtselementaren Ebene im Ergebnis nur die Bedeutung einer "Mentalreservation" zukommt.

II. Nonnativismus und Natürlichkeit

115

nur eine "Psyche" verfügen. Sie müssen einsichtsfähig oder aber auch nur motivationsfähig sem, um einer Verhaltenssteuerung zugänglich zu sein. Über die so gedachten elementaren Pflichtsubjekte legt sich dann die rechtstechnische Ordnung und gruppiert Zurechnungen und Zurechnungsendpunkte durch Personifikationen, wobei sie die Pflichtsubjekte als unentbehrliche Mittler ihrer Befehle, als Schnittpunkte zwischen der Welt des Rechts und der äußeren Gegenständlichkeit einkalkulieren muß. Der Befähigung der Pflichtsubjekte sind aber selbst keine Kriterien zu entnehmen über die Gruppierung der Pflichtsubjekte bzw. ihr Verhältnis zu den Zurechnungsendpunkten. Sie stellen sich als, wenngleich juristisch unentbehrliche, Gewaltunterworfene268 dar. Zur konkreten Legitimation, Zurechnungsendpunkt oder aber nur Mittler oder beides zu sein, lassen sich dann nur von außen angelegte Zweckmäßigkeitserwägungen anführen. 269 In einer solchen Sichtweise muß das Prinzip der Identität von Täter und Bestraftem, also die prinzipielle Eingrenzung strafrechtlicher Zurechnungsendpunkte, Ausgeburt einer zufälligen Gesetzeslage sein. Gleiches muß für inhaltsvoll gedachte Prinzipien des personalen Unrechts und der Schuld gelten, denn die genannten Strukturen der Zurechnung sind zirkulär begründet und damit inhaltsleer. Es ist zu erwarten, daß eine Betrachtungsweise, die die elementaren Pflichtnormadressaten aus ihrer passiven Rolle als Befehlsempfänger bzw. Rezeptor für andere Zurechnungsendpunkte befreit und ihnen eine stärkere Stellung zumutet, zugleich die willkürliche Möglichkeit der Weiterleitung von (Straf-) Rechtsfolgen in Frage stellt und damit das beliebige Nebeneinander von Individualstraftat und Verbandsstrafe. Solches ist aber noch nicht hinreichend geleistet durch die negativ-begrenzende Vorstellung, daß die Personalität des Menschen als eines zur sittlichen Selbstbestimmung fähigen Wesens die dadurch eröffneten Möglichkeiten vollständig zweckrationaler Instrumentalisierung ausschließt. 270 Zutreffend ist es zwar, daß die aus diesem Grund notwendig höchstpersönlich zu verwirklichenden Merkmale des personalen Unrechts und der Schuld die genannten Rechtstechniken der "Zurechnung" für das Individualstrafrecht ausschließen. Insofern gibt es auf dieser Basis keine identische Straflegitimation für Indivi-

268 Zur Kritik an dieser Implikation der Imperativentheorie vgl. allgemein Krüger, Adressat des Rechtsgesetzes, S. 47 ff. ; bezogen auf das Strafrecht Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 89 ff. · 269 Jedenfalls diese dürften dann heute den Ausschlag geben, daß eine Bestrafung von Tieren und Sachen nur die Freiheit des Gesetzgebers illustrieren soll, aber nicht auf der Agenda der Rechtspolitik steht.

270 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre§ 49, Allgemeine Anmerkung E, S 453; zum Argument vgl. E. A. Wo/ff. ZStW 97 (1985), S. 798, 803, und Köhler, Begriff der Strafe, passim. 8*

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C. Einheitliche Strafbegründung

duen und Verbände, wie die Friktionen der kritisierten Vorschläge zeigten. Eine hinreichende Argumentationsbasis muß aber auch die begründende Seite dieser Merkmale ins Auge fassen, um der eigentlichen Problemstellung Herr werden zu können, ob das Identitätsprinzip nur eine begrenzende oder auch eine (exklusiv) begründende Seite hat. Denn erstens gilt es, die Suche nach Merkmalen des Verbandes anzuleiten, die über eine rechtstechnische Zurechnung hinaus gehen und es gestatten, ihm eine dem Individuum vergleichbare Stellung und so eine einheitliche Straflegitimation sicherzustellen. Und zweitens stellt sich für den Fall des Scheiterns dieser Bemühungen die Frage, ob es dann nicht möglich ist, eine Strafe gegen ein "Wesen" zu verhängen, welches neben den begründenden Merkmalen eben auch nicht die begrenzenden Merkmale zu erfüllen scheint und somit auf anderer Legitimationsbasis mit strafartigen Sanktionen belegt werden kann. Dann wird die entscheidende Frage sein, ob nicht letztlich doch zwangsläufig andere, "befähigte" Subjekte die durch die Strafe intendierte Leistung erbringen sollen. Der Hinweis auf "natürliche" Gegebenheiten kann das nicht leisten, da er in ähnlicher Weise wie die imperativistische Rechtsbetrachtung die Welt abstrakt-positiver Rechtsnormen und eine damit ganz unverbundene vorrechtliche Realität auseinandertreten läßt und sich dann nur gewissermaßen auf die andere Seite schlägt. 271 Naturalismus und ein entfesselter Normativismus stützen sich somit gegenseitig.

a) Strafzwang und Straflegitimation

aa) Strafzwang und Geltungsverlust Der Strafzwang272 unterscheidet sich sowohl von dem unmittelbar güterschützenden Erfüllungszwang als auch von der vermögensrestituierenden

27 1 Allerdings wäre es vetfehlt, hinter jeder Verwendung des Terminus "natürlich" einen platten Naturalismus zu vermuten. Aber selbst, wenn er sich auf nicht naturale Gegebenheiten bezieht, bleibt klärungsbedürftig, wie sich die Vorrechtlichkeit zur Rechtlichkeit, die in dieser Gegenüberstelhmg ausschließlich positiv bestimmt ist, verhält.

2?2 Eine umfassende Darlegwtg und Auseinandersetzung mit anderen Begründungsversuchen kann hier nicht geleistet werden. Die Ausfiihrungen orientieren sich im wesentlichen an der kritischen Rezeption der Straftheorie des deutschen Idealismus, namentlich derjenigen Kants und Hegels, wie sie u. a. von E. A. Wo/ff. ZStW 97 (1985), S. 786 ff.; Dems., Abgrenzung von Kriminalunrecht, S. 137 ff.; Köhler, Begriff der Strafe; Dems., Strafbegründung und Strafzwnessung; Dems., Bewußte Fahrlässigkeit; Zaczyk, Umecht der versuchten Tat; Klesczewski, Strafe in Hegels Theorie, ausgearbeitet wurde. Die Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen ergibt sich zum Teil im-

II. Nonnativismus und Natürlichkeit

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Sanktion: Für ersteres kommt er zu spät und insofern nachträglich, für letzteres fehlt seine Bindung an einen Vermögensschaden oder eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung. Mit den genannten Zwangsformen teilt er die Eigenschaft der Unrechtsreaktion im Unterschied zur Notstandsinanspruchnahme.273 Zwar muß er insofern an ein äußeres objektiv pflichtwidriges Handlungs- und Verletzungsgeschehen anknüpfen, da er Unrechtsfolge ist und nicht Reaktion auf eine nur moralische Verfehlung. Seine Besonderheit kann somit aber weder in dieser Tatsache noch in einem besonderen Gewicht der Unrechtsfolgen allein gefunden werden. In der für den Strafzwang damit offenbar bedeutsamen zeitlichen Dimension kann eine Legitimation weder in seiner reinen Rückwärtsgewandtheit noch in ausschließlicher Zukunftsorientierung lokalisiert werden. Ersteres ist ausgeschlossen, weil der Strafzwang ein abgeschlossenes Geschehen nicht erreichen kann und sofern er sich nur hierauf bezieht, die schlichte Zwecklosigkeit des Eingriffs postulieren müßte, solange man fern aller uneinsichtigen Transzendenz daran festhält, daß sich Zwecke immer auf Zukünftiges beziehen274. Letzteres ist uneinsichtig, solange aus dem vergangenen Geschehen Anlaß und Maß der Sanktion gewonnen werden sollen. Die Straflegitimation muß also die Verbindung eines vergangenen Geschehens mit einer aktuellen Zwangsausübung und deren Bezug auf ein für die Zukunft Erstrebtes leisten. Ausgangspunkt dafür ist der Begriff des Geltungsverlustes, der Geltungsstörung oder auch des Geltungsschadens. Nur dieser Begriff ist in der Lage, die spezifische Differenz zu anderen Unrechtsformen275 und in einem damit das durch die Strafe Auszugleichende anzugeben. Er kann sich nicht auf die abstrakt-formelle Geltungsweise von Normen in ihrer gedachten Objektivität als solcher beziehen, denn offensichtlich erleidet deren Gesolltsein durch eine Straftat keinerlei Einbuße. Folglich orientiert sich der Begriff der Geltung hier an der Vorstellung praktischer Handlungswirklicheit. Damit verlagert sich die Fragestellung auf die Konstitution dieser Handlungswirklichkeit, indem die

plizit aus der AuseinandersetZ\Ulg mit den Begründungen der Verbandsstrafe. Zusammenfassend jetzt Köhler, Strafrecht AT, Kap. I und passim. 273 Instruktive Klassifizierung bei Frister, Schuldprinzip, S. 29 ff 274 Vgl. E. A. Woljf, ZStW 97 (1985), S. 788. 275 Was keineswegs bedeuten soll, daß das Strafrecht als Unrechtsreaktion sich auf das unmittelbare Verhältnis von Wille und Norm beziehen könnte und die Geltung in die objektivationsgelöste Innerlichkeit des bösen Willens des Täters oder den Eindruck anderer verlagert. Nur ist es weniger dieser Aspekt, der hier eine Rolle spielt.

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C. Einheitliche Strafbegründwtg

spezifischen Erfordernisse der Verletzung nur Korrelat der Konstitutionsleistung sein können. bb) Moralische Geltungskonstitution und Geltungsverlust Ursprung aller Narrnativität - und nicht etwa nur unverzichtbares Material zu ihrer Implantierung- sind vernünftige Wesen, deren Verhalten nicht in naturkausaler Gesetzmäßigkeit aufgeht, sondern von dem Vermögen bzw. der Notwendigkeit bestimmt ist, "nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien zu handeln" 276 . Handeln folgt immer einer Regel, die der Handelnde sich praktisch wirksam, d. h. nicht bloß als Gedanke, zu eigen gemacht hat. Der auf die eigene Handlungsregulation Bezug nehmende Reflexionsprozeß gelangt auf der Suche nach legitimierenden Handlungsgründen über immer allgemeiner gefaßte Inhalte schließlich zur Koinzidenz von Form und Inhalt im Prinzip des guten Handelns, dem Gebot, nur nach verallgemeinerbaren Regeln zu handeln (kategorischer Imperativ). 277 Es bleibt dem Menschen gegenüber, der nicht ausschließlich Vernunftwesen ist und sich die ihm durch die Einsicht in die eigene Handlungsregulation eröffnete Freiheit auch widersprüchlicherweise zu ihrer Negation, d. h. zur Wahl einer nicht verallgemeinerbaren Handlungsregel, wenden kann, ein Sollen. Gefordert ist die Orientierung an Regeln, die praktisch widerspruchsfrei gewollt werden können, d. h. unter sich wechselseitig bedingender Anerkennung eigener und fremder Autonomie in ihrem gemeinsamen Vernunftgrund. Der unmittelbare Rückgriff auf materiale Zwecke kann demgegenüber kein Fundament für die Anerkennung von gleicher Freiheit bieten. Der genannten Verallgemeinerungsleistung steht die praktisch wirksame Legitimierung der Geltungsverkehrung278 in den allgemeinen Formen der Handlungsregulation gegenüber: Entgegen ihrer auf die Verallgemeinerung von Maximen abzielenden Logik werden bestimmte verallgemeinerbare und als solche erkannte Inhalte widersprüchlicherweise abgelehnt. Am Ende eines solchen, gegebenenfalls in eine habituelle Verfestigung mündenden und oder zumindest insoweit eine Gefahr begründenden Prozesses der Selbstkorrumpierung279 steht der aktuelle Mangel der praktischen, d. h. handlungswirk276 Kant, Gwtdlegwtg zu Metaphysik der Sitten, S. 41. 277 Vgl. dazu ausführlich Vert:, KS 83 ( 1992), S. 3 04 fi, besonders S. 317 f. 278 Vgl. dazu Köhler, Begriff der Strafe, S. 28 fi 279 Hier kann davon abgesehen werden, daß nur die Vorstellwtg eines solchen Prozesses in der Lage ist, über die abstrakte Punktualität einer freien Entscheidwtg in

II. Normativismus Wld Natürlichkeit

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samen und nicht nur theoretisch bewußten Normgeltung. Darin liegt zum einen der Unterschied zur unbefangenen Normverletzung, einer aus anderen Gründen fehlerhaft geleisteten Subsumtion, die die Geltung der Norm darin aber gerade anerkennt oder aber aus Umvissen um ihre Anwendbarkeit gar nicht in Betracht zieht. Und darin liegt zum anderen der Unterschied zu einem Geltungsverlust, der sich - etwa aus Gründen der konstitutionellen Unfähigkeit zur Einsicht oder dieser folgenden Handlungsorientierung - nicht einem reflektierten Entscheidungsprozess verdankt. In den beiden letztgenannten Fällen fehlt es an der spezifischen Dimension des Geltungsverlustes, an die Stelle der richtigen Regel eine frei verantwortete andere, falsche Regel zu setzen. Damit nämlich wird widersprüchlicherweise für eine Regel, die ja in den Formen vernünftiger Willensbildung bzw. Regelreflexion und durch ein vernünftiges Subjekt zu praktischer Wirksamkeit gelangt ist, formell allgemeine Geltung behauptet. Diese Behauptung läßt sich aber für diesen bestimmten Regelgehalt nicht einlösen und, insofern konsequent, bezieht sich das betreffende Subjekt nicht kontinuierlich in den Geltungsbereich der selbstgesetzten Regel mit ein. cc) Geltungskonstitution und Geltungsverlust im Recht Anders als die moralische Selbstbestimmung innerlicher Handlungsgründe bezieht sich das Recht auf die wechselseitig zwangsbewehrte Koordination von äußerer, d. h. gegenständlich vermittelter Freiheit. Grundsätzlich enthält das Recht (und damit die Rechtsperson) somit eine Abstraktion von der Handlungsmotivierung, eine Objektivierung, die der Perspektivität individueller Regelbildung und den verschiedenen Verfehlungsformen Rechnung trägt. Seinen Vernunftgrund behält es allerdings (gerade in der Abstraktion von im engeren Sinne moralischer Bestimmung) in der Anerkennung der Autonomie freier und gleicher Subjekte. Denn nur in und durch sie kann von Narrnativität die Rede sein, nur sie sind in der Lage, ihre Reflexion auch noch auf die Selbstberschreitung hin zur gedanklichen Schaffung objektiver Ordnungssysteme zu richten, wohlverstanden Narrnativität als ein Selbstverhältnis zu rekonstruieren, und nur sie sind in der Lage, ihnen als geistig vermittelte Wirklichkeit Realität in einer gemeinsamen Handlungspraxis zu geben. Insofern actu hinausgehende BindWlgen Wld Vorbedingungen der PersönlichkeitsbildWlg Wld ihrer institutionellen VoraussetZWlgen in das Schuldurteil mildernd oder schärfend einzubeziehen Wld damit in eine Begriffseinheit zu bringen, ohne auf völlig davon losgelöste Wld in dem heterogenen Nebeneinander maßlose Präventionserwägungen zurückgreifen zu müssen.

120

C. Einheitliche Strafbegründung

sind derart aktuell oder potentiell befähigte Personen auch jenseits der Dichotomie von Natürlichkeit und Normativität unmittelbar280 Rechtspersonen und mitkonstitutiv für die Gestaltung rechtlicher Verhältnisse281 . Sie sind Kontiruenten der Rechtsgüter, d. h. der handlungsmächtigen Anerkennung von rechtlich geformter Gegenständlichkeit. Dieser generativen Kompetenz, von welcher der Erfüllungszwang partiell, wenngleich nicht unter Verzicht auf die (allgemeine) Begründbarkeit gegenüber dem Adressaten abstrahieren kann und muß, entspricht als ihr destruktives Gegenstück die Fähigkeit, das "Recht als Recht" 282 verletzen zu können. Die Objektivierung einer gefaßten Unrechtsregel manifestiert den (partiellen) Verlust an allgemeiner Geltung zunächst in einem ihrer Konstituenten, dem Täter. Sodann ist sie als bewußte Geltungsverkehrung geeignet, durch die behauptete (Schein-) Geltung andere Konstituenten, namentlich das Opfer, in ihrem Geltungsbewußtsein bzw. -vertrauen zu erschüttern und sie dem Zwang auszusetzen, sich auf die sie diminuierende Geltungsanmaßung dauerhaft einstellen zu müssen bis hin zum Extrem der Dynamik wechselseitiger Auflösung einer verbindlichen Handlungspraxis in toto. Strafunrecht zeichnet sich daher als personales Unrecht gerade durch die fortdauernde Geltungsanmaßung und Störung des Friedensverhältnisses durch einen in sich reflektierten Willen aus.

dd) Geltungsrestitution (Vergeltung) Die Strafe dient als spezifisch sekundäres Rechtsverhältnis der Wiedergewinnung der gestörten Rechtsgeltung, auch und gerade im Täter als unverzichtbarem Konstituenten. Sie ist Vergeltung.283 Das ist hier nur in Umrissen zu charakterisieren. 284

280 Energisch vertreten etwa von v. Lübtow, Fs. E. Wolf, S. 423 ff. mit der Konsequenz, daß deshalb(!) keine anderen Personen denkbar sind (S. 425).

281 Vgl. dazu besonders Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, passim, insb., S. 105 f , 126 ff., 162 ff. 282 Hege!, Rechtsphilosophie, § 95. 2 83 Verschiedene Implikationen eines solchen Strafbegriffs sollen hier zur Vermeidung von Mißverständissen nur eiWähnt werden. Vergeltung kann und darf als Rechtsverhältnis in ihrem Zwangselement nicht unmittelbar auf die Gesinnungsänderung (Sühneleistung etc.) des Täters abzielen, sondern muß sich auf die äußere Einbuße rechtlicher Freiheit beschränken. Da es um die Wiedergewinnung der Rechtsgeltung unter Einschluß des Täters geht und dieses auch nur in einer bestimmten tatbezogenen

II. Normativismus lmd Natürlichkeit

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Die Strafe manifestiert gegenüber dem Täter und allen anderen die immanente Ungültigkeit des angemaßten Geltungsscheins, der Unrechtsmaxime, fiir die der Täter widersprüchlich die Akzeptanz der anderen einfordert. Darin wird der Täter an seiner konstitutiven Bedeutung fur die Rechtsgeltung festgehalten und ernstgenommen. Zum einen wird er (wertproportional) in seine eigene Regel einbezogen und so in seiner formellen Vernünftigkeit begriffen. Die Rechtseinbuße manifestiert die in seiner eigenen Regelliegende Selbstminderung und soll ihm jenseits des bloßen Denkens die Nichtverallgemeinerbarkeit seiner Regel, die Selbstaufhebung der gegenüber den anderen beanspruchten Anerkennung, praktisch vor Augen fuhren. Zum anderen muß es das Ziel der Strafe sein, die in der Tat widersprüchlich geltend gemachten besonderen Anliegen in ihrer relativen Berechtigung anzuerkennen und dem Täter die Möglichkeit zu geben, sich selbst als (unverzichtbaren) Teil einer von moralischen Subjekten konstituierten Allgemeinheit zu erfassen, über die vermittelt er seine partikularen Interessen nur widerspruchsfrei verfolgen kann.285 So wird der Täter der Idee nach286 nicht nur abstrakt an seiner formellen Regelsetzungsfahigkeit festgehalten (negatives Moment der Strafe), sondern auch in seinen besonderen Anliegen ernstgenommen. Die vom Täter zu erbringende, nicht selbst erzwingbare, sondern nur angebotsweise förderbare Leistung ist die Wiederherstellung eines handlungswirksamen Einklangs beider Momente.

b) Differenzierungen im Begriffder Zurechnung

Damit sind in der gebotenen Kürze die hier maßgeblichen Elemente des Strafbegriffs zusammengetragen. Das schuldhafte Verbrechen ist in unauflösbar objektiver und subjektiver Einheit der bestimmte Verlust an Rechtsgeltung Hinsicht, schließt ein wohlverstandenes Vergeltlmgsstrafrecht sowohl die Auflös\mg des Rechtsverhältnisses (Todesstrafe, Eingriff in \mVeräußerliche Rechte) als auch lmmittelbare Talionsvorstelhmgen aus (vgl. dazu etwa Klesczewski, Strafe in Hegels Theorie, S. 237 ff). Nicht ausgeschlossen ist die tat- lmd schuldstrafrechtliche Rekonstruktion spezial- lmd generalpräventiver Gesichtspunkte (vgl. Köhler, Begriff der Strafe, S. 65, 67-80), wohl aber deren isolierte Verselbständiglmg. Insbesondere gebietet es der Zweck der Geltlmgsrestitution über die negative Seite der Strafe hinaus, dem Täter Hilfe anzubieten. 284 Vgl.

im einzelnen Köhler, Begriff der Strafe, S. 33 ff, 50 ff

285 Vgl. dazu Klesczewski, Strafe in Hegels Theorie, S. 236 f. 286 Zur Auflös\mg der Strafidee in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft vgl. Klesczewski, Strafe in Hegels Theorie, S. 331 ff

122

C. Einheitliche Strafbegründung

(personales Unrecht), der auf einer frei verantwortlichen (partiellen) Destruktion der eigenen Mitkonstituentenstellung in der reflektierten Geltungsverkehrung (Schuld) beruht. Strafe dient der Wiederherstellung des gestörten Rechtsverhältnisses. Es geht also nicht um inhaltlich unbestimmte und in ihrer gerrauen Bedeutung für die Rechtsgeltung unbegriffene Bedeutungen der Sozialethik und des sittlichen Versagens, sondern um die spezifische Korrespondenz von Geltungskonstitution und der "Kompetenz" zu ihrer Destruktion. Diese Einheit bedingt das Identitätsprinzip, welches, abgesehen von der Notwendigkeit eine "äußere" Geschehensvermittlung über andere genau als Willensvermittlungszusammenhang zu rekonstruieren, davon ausgeht, daß die subjektiven Bedingungen der Geltungsverletzung beim Strafadressaten erfüllt sein müssen. Jeder Konstituent als Einzelner wird so in einem freiheitlichen Gemeinwesen, im negativen wie im positiven, als verantwortlicher Mitgestalter einer rechtlich geformten Wirklichkeit geachtet. Sofern eine Verbandsstrafe auf einer mit dem Individualstrafrecht vereinbaren Legitimationsgrundlage begründet werden soll, muß die Überlegung dahin gehen, einem Verband die gleiche oder zumindest eine ähnliche Fähigkeit nachzuweisen. Das kann entweder so geschehen, daß ein Verband als soziale Ganzheit gleichermaßen als ein Subjekt erscheint neben den Einzelnen oder aber in einer spezifisch gedachten Vermittlung zu dem Vermögen einzelner Delinquenten, die als Repräsentation bezeichnet werden kann. Aus einer solchen Überlegung könnten natürlich auch die bislang erörterten Zurechnungskonstruktionen ihre Legitimation beziehen, wie es auch häufig anklingt, wenn Begriffe wie Organschaft oder Repräsentation herangezogen werden. Das darf aber nicht den Blick dafür verstellen, daß der Begriff der Zurechnung in vollkommen verschiedener Weise zur Anwendung kommt. Mit dem dargelegten Begründungszusammenhang ist es unvereinbar zu behaupten, die Verbandsstrafe verstoße aufgrundnormativer Setzung nicht gegen das Identitätsprinzip287. Unter Zurechnung wird dann, wie bereits dargelegt wurde, die mit der Zurechnung erst erzeugte Zurechenbarkeit verstanden. Das kann gesetzespositivistisch oder sozialpositivistisch begründet sein, letzteres etwa wenn der "gemeine Mann auf der Straße"288 oder der allgemeine Sprachgebrauch289 bemüht werden, denen eine Schuld von Verbänden angeblich 287 So aber Erhardt, Untemehmensdelinquenz, S. 206. 288 Vgl. Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, S. 72. 289 Hirsch, ZStW 107 (1995), S. 292. Hirsch will damit beweisen, daß die Beurteilung der Korporation sittlichen Maßstäben folgt. Nach hier vertetener Ansicht reicht

Il. Normativismus und Natürlichkeit

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nicht fremd ist. Die Erweiterung auf das ganze Strafrecht müßte eine mit der konstitutiven Bedeutung der freiverantwortlichen Person unvereinbare Instrumentalisierung und Beliebigkeil zur Folge haben. Und dieser Aspekt ist von der These der "natürlichen" Strafbarkeilsvoraussetzungen noch gesehen worden, wenngleich ihrerseits unter Verkennung der konstitutiven Bedeutung der Subjektivität. Zum Scheitern verurteilt ist dagegen der Versuch, an der einheitlichen Legitimationsgrundlage mit dem Argument festzuhalten, auch im Individualstrafrecht seien Vorsatz und Schuld letztlich nicht feststellbar, sondern würden "zugerechnet"290. So wie alle freiheitsgewirkte Realität eine bzw. die sie als solches wesentlich definierende Seite hat, die sich der empirischen Bestimmbarkeil entzieht, können (trivialerweise) auch Vorsatz und Schuld nicht naturwissenschaftlich-empirisch nachgewiesen werden. Die Frage ist, ob man daraus auf die Entbehrlichkeit oder die Möglichkeit rein äußerlicher Zuschreibung dieser Merkmale schließen kann und zwar unter der Prämisse, daß diese Eigenschaften "eigentlich" nicht vorhanden seien. Die strafrechtliche Zurechnung zum Individuum ist demgegenüber eine zwischen Kosubjekten, so daß das zurechnende Subjekt sich selbst und den Täter als zurechenbar handelnde, reflektierende Subjekte setzt. Auch die "Zurechnung" selbst bleibt damit in den Konstitutionsprozeß zwischen Subjekten eingebunden. Sie ist ebenfalls ein Anerkennungsverhältnis. 29 1 Das alles schließt es nicht aus, den Begriff der Zurechnung auch in einem weiteren Sinne zu verstehen, der alle Verknüpfungen auf der Grundlage einer normativ-geistigen Ordnung urnfaßt und so besonders die Zurechnung von Rechtsfolgen292 , etwa zum Zwecke einer gerechten Schadensverteilung. Aber aus den genannten Gründen ist das in dieser Allgemeinheit nicht in ein Tatund Schuldstrafrecht in einem freiheitlichen Gemeinwesen übertragbar. Der dafiir ein allgemeiner Sprachgebrauch nicht nur nicht hin, sondern besagt als solcher gar nichts, solange noch ein Zusammenhang zur Selbstbestimmung bewahrt bleiben soll. In der "sozialen Wirklichkeit", auf die lfusch sich beruft, wird auch manch andere Entität fur schuldig befunden (et\'ia die Wissenschaft, die Strafrechts1ehrer, die Familie und die Politiker). Maßgeblich kann es dann wohl nur sein, verschiedene Wortgebräuche auf den Begriff zu bringen, mithin auch die Unterschiede genauer zu fassen. Vgl. zur Abgrenzung von Handlungsschuld und objektiver (Zustands-) Mißbilligung bezogen auf den Verbandsgeist Engisch, Verhandlungen des 40. DIT Bd. 2; S. E 21. 290 So etwa Schroth, Unternehmen als Normadressaten, S. 200; ähnliches Argument auch bei Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 260 ff. 291 Vgl. dazu instruktiv Hrnschka, Strukturen der Zurechnung, insb. S. 7, 13. 292 Zum Begriffsunterschied vgl. nur Hardwig, Zurechnung, S. 7 f, 32 f , 108 ff., 117ff.

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C. Einheitliche StrafbegründWlg

strafrechtliche Begriff der Zurechnung und die rechtstechnisch-formale Zuordnung von Rechtsfolgen zu einem Zurechnungsendpunkt aus einem unbestimmt belassenen Zurechnungsgrund sind miteinander unvereinbar. 293

ill. Die Gesamtperson: Kollektivsubjektivität und Repräsentation Die weitreichendste Verteidigung der Verbandsstrafe müßte die für die (Individual-) Strafe konstitutiven Eigenschaften auch bei sozialen Ganzheiten anerkennen. Das geht über die kumulierten und verflochtenen Eigenschaften der Einzelpersonen in einer solchen Ganzheit hinaus. Denn einzulösen wäre insofern ein sich selbst steuerndes Zentrum des Verbandes, welches in der Lage wäre, das "Recht als Recht" zu verletzen und auf eine Strafe mit einer Selbstkorrektur zu reagieren. Daß sich dieses nicht naturalistisch oder psychologistisch bewältigen läßt, ist offensichtlich. Dem Verband müßte vielmehr eine eigene geistige Form unterstellt werden, "neben" oder "hinter" oder "durch" den deliktisch handelnden Organwalter das eigene Verhalten im Hinblick auf Handlungsgründe reflektiert zu beherrschen. Nicht getan wäre es insofern mit einer bloß objektiven Willenseinheit Gleichfalls bliebe es ungenügend, darauf zu verweisen, daß eine Verbandsperson die Integration verschiedener Willensinhalte bedeutet und auch die natürliche Person eine solche Integrations- bzw. Verallgemeinerungsleistung erbringt. Für die juristische Dogmatik verbindet sich ein solcher Gedankengang sofort mit Gierkes Lehre von der realen Verbandsperson, die Hafter für die Verbandsstrafendiskussion fruchtbar gemacht hat und die auch nominell von den Zurechnungskonstruktionen häufig in Anspruch genommen wird. Ob Gierke ein selbstreflexives Hypersubjekt vorschwebte, ist nicht ganz klar. 294 In seiner Position konzentrieren sich aber all die Schwierigkeiten, die mit einer "akzessorischen" Verbandsstrafe, welche an schuldhafte Individualtaten anknüpft und diese als strafrechtliche Repräsentation begreift, verbunden sind.

293 Das zeigt sich etwa auch bei H. J. Wo?ff, Organschaft Wld juristische Person Bd. I, S. 142, Bd. 2, S. 138 ff., der der strafrechtlichen ZurechnWlg gewissermaßen hilflos gegenübersteht Wld den Unterschied konstatieren muß, daß es im Strafrecht um eine psychische Relation gehe. 294 H. J. Wo?ff, Organschaft und juristische Person Bd. 1, S. 9, bestreitet dieses. Dennoch bleibt es eine "schwer zu beantwortende Frage(... ), welchen Modus der Realität Gierke dem Verband beimaß" (Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 341, der dann, S. 344, aber doch davon auszugehen scheint, daß Gierke eine vollwertige sittliche Personalität vorschwebte).

ill. Gesamtperson: Kollektivsubjektivität und Repräsentation

125

Das Grundlagenproblem einer Verbindung von individueller Verantwortung und Hypersubjektivität wird in einem ersten Schritt an anderen Konzepten der Gesamtperson dargestellt. Jede Lehre von der Gesamtperson steht vor dem Problem, ob die Voraussetzungen des Individualstrafrechts mit ihren Annahmen vereinbar sind. Eine entscheidende These dieser Arbeit ist: das für die rechtliche und soziale Verselbständigung von sozialen Einheiten unabdingbare System der abstrakten Trennung von Rollenzugehörigkeiten, derjenigen von Mitgliedschaft und Organschaft einerseits und Individualsphäre andererseits295 , ist unter den Besonderheiten des Strafrechts nicht in gleicher Weise durchzuhalten. Vielmehr bedingt es der Zweck der Geltungsrestitution, daß diese Grenzziehungen und Zerteilungen unterlaufen werden müssen und sollen, denn es geht nicht um die abstrakte Zuweisung von Rechten und Pflichten, nicht um die Haftung einer Vermögensmasse für (Vermögens-) Schäden und nicht um die objektive Veranlassung von Gefahren. Man mag diese Position individualistisch nennen, wenn man damit meint, daß ihre Grundlage die Eigenverantwortung von freien Bürgern in und gegenüber einem freiheitlichen Gemeinwesen ist. Sie ist insofern gerade so individualistisch, wie es für die Begründung der Strafe gegenüber einem Individuum tat- und schuldstrafrechtlich erforderlich ist. Zwar liegt der weiter zu entwickelnden Kritik der Verbandsstrafe die Überzeugung zugrunde, daß sich die Strafe in der genannten Weise gegenüber Individuen rechtfertigen läßt. Die Frage ist aber nicht nur, ob sich die Verbandsstrafe in gleicher Weise rechtfertigen läßt, sondern zugleich, ob sich nicht die Begründungen von Individualstrafe und Verbandsstrafe systematisch ausschließen.

1. Allgemeine Kritik des Gesamtsubjekts Die gesuchten Hypostasierungen haben ihre Wurzel in der Subjektmetaphysik des Deutschen Idealismus und finden sich wieder im phänomenologischen Personalismus und der Systemtheorie. Das kann hier nur angedeutet werden. Bereits Nicolai Hartmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Idealität eines allgemeinen Bewußtseins, des transzendentalen oder absoluten Selbst

295 Dieses ist zu unterscheiden von der- ein einheitliches Zentrum gerade voraussetzenden- Frage, ob die Übernahme bestimmter Aufgaben besondere Pflichten nach sich zieht, die dann aber in ihrer Verbindlichkeit abgestuft werden oder streng begrenzt werden nach räumlich-zeitlich-kompetentieller Abschichtung der Sphären, etwa der Amtsträgerpflichten außerhalb der Dienstzeit.

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C. Einheitliche Strafbegründung

bzw. lch296, des sich realisierenden einen Geistes etc. Ansatz bot zur Hypostasierung eines Geistes höherer Ordnung als Basis einer Lehre von der Gesamtperson297. Allerdings bleibt die Ausführung in der praktischen Philosophie sowohl bei Kant als auch bei Hege! ambivalent. 298 Während die kantische Theorie moralischer Praxis299 stärker die konstitutive Rolle des sich qua Reflexion der eigenen Handlungsregulation notwendig selbst transzendierenden konkreten Subjekts betont, welches den Kern eigener bestimmter Handlungsregulation immer im Spannungsfeld der Heterogenität von vernünftig-interpersonaler Form als notwendigem Medium der Generation von objektiver Verbindlichkeit und konkretem Inhalt auszubilden gezwungen ist300, verschieben sich in der Hegeischen Theorie der Institutionen die Gewichte. Der Status des Subjekts wird in gewisser Weise prekär, wenn die sittliche Substanz konkreter Vergemeinschaftungsformen als sittlicher Geist sich selbst weiß, denkt und vollfiihrt301 und das einzelne Subjekt sich der Macht der Objektivität nur beugen kann und zum Akzidenz herabsinkt302 . Der schulenbildende Streit303 darum, ob diese Seite der Theorie die Helgelsehe Rechtsphilosophie - mit unterschiedlicher Bewertung - hinreichend charakterisiert oder aber nur einer immanent zu korrigierenden Inkonsistenz zu verdanken ist, hat sich besonders am Begriff des Staates entzündet. Von rechtshegelianischer Seite ist allerdings auch die unterstaatliche juristische Person als Ausdruck einer Allgemeinheit

296 Kritisch und daher für eine reflexionslogische Einholung W. Schulz, Ich und Welt, S. 17 f. 297 Hartmann, Problem des Geistigen Seins, S. 307 1f 298 Insoweit mag es zwar im Ergebnis zutreffen, daß, wie Hirsch ausfuhrt, das nur auf die sittliche Einzelperson bezogene Strafrecht sich dem klassischen Strafbegriff Kants und Hegels verdankt (Hirsch, ZStW 107 (1995), S. 294). Gleiches läßt sich aber im Hinblick auf Hegel, wenn auch nicht in gleicher Unmittelbarkeit, auch vom Verbandsbegriff Gierkes behaupten (vgl. nur Wieacker, Theorie der juristischen Person, S. 314).

299 Zur Ambivalenz in der theoretischen Philosophie vgl. z. B. Bittner, Art. "Transzendental", in: Handwörterbuch philosophischer Gnmdbegriffe Bd. 5, S. 1534. 300 Vgl. aber etwa Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 139: "Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft". 301 Vgl. etwa Hege/, Rechtsphilosophie § 146 und § 257. 302 So Hege/, Rechtsphilosophie § 145, S. 294; zur immanenten Kritik siehe aus jüngster Zeit insb. Theunissen, Verdrängte Intersubjektivität, S. 326 ff.; Henrich, Logische Form und reale Totalität, S. 448 f. 303 Überblick bei Ottmann, Individuum und Gemeinschaft, passim.

m. Gesamtperson: Kollektivsubjektivität lUld Repräsentation

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aufgefaßt worden, die sich ein Dasein gibt304, als "Selbstverwirklichung des Geistes" 305 . Ob der Hegetsehen Rechtsphilosophie eine in diese Richtung weisende Theorie sich selbst bestimmender Gesamtpersonen entnommen werden kann306, ist allerdings eher zweifelhaft, da selbst der Staat auf die reflektierende und beschließende Subjektivität zumindest des Monarchen angewiesen bleibt307 . Aber auch ganz unabhängig vom Status des einzelnen Subjekts und der Art und Weise, wie die notwendige Vermittlung des objektiven Geistes durch sie erfolgt, (auch) konstitutiv oder bloß reaktiv, kann diese Frage hier dahinstehen, denn die hegelianische Strafrechtsdoktrin hat eine Bestrafung überindividueller Einheiten nicht nur, wie übrigens bereits Heget selbst, nicht vorgeschlagen, sondern immer strikt verneint308 Den Grund dafiir wird man häufig in einer schlichten Übernahme des immer wieder zitierten Savignyschen Fiktionstheorems (bzw. der noch näher darzulegenden Feuerbachsehen Begründung) zu sehen haben. Allerdings klingt, namentlich bei Köstlin309 , auch an, daß im Rahmen eines sich entfaltenden objektiv-sittlichen Ganzen die radikale Auflehnung gegen das Recht als Recht widerspruchfrei nur einer Instanz zugetraut werden kann, die (auch) in der Lage ist, sich von sich aus jenseits des Rechts zu positionieren, eben weil sie nicht ursprünglich rechtlich vermittelt ist. Je stärker der sittliche Charakter der überindividuellen Einheiten bis hinauf zum Staat betont wird, desto mehr kann bloß noch die einzelne Subjektivität als alleinige "Wurzel des Bösen" 310 fungieren. Auch von Seiten des phänomenologischen Personalismus existiert keine ausgearbeitete Theorie des Unrechts bzw. des Verbrechens einer Gesamtperson. Allerdings kündigt sich hier eine Konzeption an, die über die rechtliche Vermittlung der Gesamtperson kein Wort verliert. Bereits Husserl hat, wenn auch in zunächst unveröffentlichten Aufzeichnungen, die Annahme von Ge-

304 B inder, System der Rechtsphilosophie, S. 44. 305 Larenz, Logos 20 (1931 ), S. 231. 306 Vgl. etwa Harlmann, Problem des geistigen Seins, S. 307 f. lUld 316 ff., der dieses entschieden verneint, alledings in der SubstanzialisieflUlg des Geistes bei Hegel einen AnsatzplUl.kt fiir einen transzendenten Personalismus sieht. 307 Vgl. Hege/, Rechtsphilosophie § 279. 308 Vgl. Köstlin, System des deutschen Kriminalrechts, S. 121 ff. Siehe auch Abegg, Lehrbuch, §§ 70, 71: nur das Individuum könne in seinem besonderen Willen die Nichtachtung beklUlden, während der objektive Wille der juristischen Person dem Gesetz entspreche. Insofern sei im Strafrecht stets auf die Subjektivität zurückzugehen. 309 Köstlin, System d. deutschen Kriminalrechts, S. 121. 31 0 Köstlin, System des deutschen Kriminalrechts, S. 121.

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C. Einheitliche Strafbegründung

samtpersonen im hier gesuchten vollwertigen Sinne der Selbststeuerung und -bestimmung erwogen. 311 Er macht an einem allgemeinen, nicht psychologisch verstandenen Bewußtseinszusammenhang "eine Schicht eines allgemeinen, überpersonalen und doch personal leistenden Bewußtseins, in allen Personen lebendig, durch sie hindurchströmend oder von ihnen vielmehr ausströmend und doch durch sie hindurchströmend, als ob eine Einheit der Person wäre, mit einem Bewußtsein und einem personalen Leisten" aus. 312 Die Unentschiedenheit zwischen einer bloßen Analogie und dem Aufweis realer Personalität findet keine Auflösung313 Die im Substrat der kommunikativen Personenvielheit wurzelnden314 Ganzheit soll jedenfalls "etwas von einer einheitlichen Ichzentrierung oder ein Analogon davon" 315 aufweisen. Ihr seien die personalen Funktionen des "Ich-stelle vor, Ich-denke, -fühle, -will" eigen. 316 Sie gilt als Vollsubjekt so wie jedes Ich Subjekt einer Handlung sei, "aber jedes in einer Funktion"317. Die Personalität bleibt allerdings an die als Willensgemeinschaft geeinte Vielheit318 gebunden, konstituiert sich in der "reinen Aktivität der beteiligten Subjekte", dennoch aber selbstbewußt und durch sich selbst gesetzt31 9. Ausführlicher hat Scheler eine Lehre von der Gesamtperson dargelegt320, die auch im Sinne einer vorrechtlich einheitlichen Personenlehre für das Recht fruchtbar gemacht worden ist. 321 Als Person bezeichnet Scheler die konkret, d. h. strikt individuelle, wesenhafte Einheit von geistigen Akten322 , das geistige Aktzentrum, welches zeitlos, leiblich indifferent, der Psychologie (dem "Ich") tranzendent, nur im Aktvollzug gegeben und nur im Vollzug erlebbar 311 Husserl: Zur Phänomenologie der httersubjektivität, insb. S. 192-207, 212 ff.,

405.

312 Husserl: Zur Phänomelogie der httersubjektivität, S. 200. 313 Vgl. auch S. 201, 205 f., 405. 314 Ebd., S. 201. 315 Ebd., S. 206. 316 Ebd., S. 205. 317 Ebd., S. 201. 318 Ebd., vgl. auch S. 182. 319 Ebd., S. 204. 320 Sehe/er, Der Fonrialismus in der Ethik und die materiale Wertethik. 321 Denninger, Rechtsperson und Solidarität. 322 Sehe/er, Formalismus, S. 398.

m. Gesamtperson: Kollektivsubjektivität und Repräsentation

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ist, mithin nicht substantiell gedacht werden cfarf323 . Die Gesamtperson ist danach Zentrum bestimmter wesenssozialer Akte der Einzelpersonen324 , wenn in bestimmten Formen solidarischer Vergemeinschaftung325 ein Gesamtgehalt des Erlebens als Gesamtwelt entsteht. Indem Person und Welt korrelierende Begriffe sind, muß einer interpersonal geteilten Welt ein Gesamtsubjekt "auf der Aktseite" entsprechen. 326 Trotz eines von der Einzelperson verschiedenen und ihr gegenüber selbständigen Bewußtseins sei sie den Einzelnen nicht transzendent, bleibe konstituiert im Miteinandererleben von Personen und sei "in dem Bewußtsein einer totalen endlichen Person als Aktrichtung stets rnitenthalten". Die Gliedstellung der Einzelperson bedinge, daß dieses nicht unbedingt reflektiert erfolgen müsse, zumal die Einzelperson das Ganze nicht erfassen könne. 327 Das Aktzentrum der Gesamtperson ist mithin nicht in einer, sondern in mehreren Menschen anwesend. 328 Einzelperson und Gesamtperson sollen je selbstverantwortlich und wechselseitig für einander verantwortlich sein.329 Dem Zusammenhang von Person und Welt entspreche einer von Person und moralischer Schuld bzw. Verdienst. 330 Die Akteinheiten tragen als solche Wertprädikate, so daß es nur darauf ankommt, daß sie sich autonomen Personenakten verdanken, nicht aber unbedingt solchen der vollziehenden Person. Widerspruchsfrei sei der Gedanke einer individuell unverschuldeten Schuldhaftigkeit, denn maßgeblich sei nur die Zuordnung zum Verschulden irgendeiner Person. Kandidat für eine solche Zuordnung von Gesamtverdienst und Schuld sei das kollektive Miteinanderwollen bzw. -erleben, dem in einer Personengemeinschaft nach dem Prinzip der Solidarität eine vom Nachweis bestimmter Beteiligung unabhängige Mitverantwortlichkeit der individuellen Personen entspreche. Die Übertragung dieser Grundsätze auf die doch eher profane Verbandsperson des Privatrechts wäre Scheler vermutlich nicht in den Sinn gekommen.331 Deutlich wird allerdings, daß die Vorstellung der Gesamtperson und ihrer sittlichen Verantwortung nur um den Preis der objekti323 Ebd., S. 393-403, s. auch S. 540. 324 Ebd., S. 525. 325 Vgl. dazu S. 536 f 326 Ebd., S. 525. 327 Sehe/er, Formalismus, S. 526. 328 So Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 251. 329 Sehe/er, Formalismus, S. 536 f 330 Ebd., S. 500 ff. 331 Vgl. den Katalog bei Sehe/er, Formalismus, S. 548 f: Staat, Nation, Kulturkreis und Kirche. 9 v. Freier

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C. Einheitliche Strafbegründung

vistischen Verselbständigung der Aktwerte und ihrer Einbindung in letztlich religiös332 fundierte Theoreme zu haben ist333 . Für eine geltungsreflektierendselbstgesetzgebende Subjektivität ist hier, wie auch in den durch Einfühlung gestifteten Bewußtseinszusammenhängen Husserls, kein Raum. Sie aber könnte der Theorie erst ein objektiv verbindliches Fundament verschaffen. Unklar bleibt zudem, wie die Vorstellung einer selbstbewußten Ganzheit und die ihrer selbst bewußten Individualperson miteinander vereinbar sind. Sowohl Husserl als auch Scheler halten ja an der Konstitution durch und in den Einzelnen fest. Dann aber kann die Gesamtperson ein eigenes originäres Zentrum der Selbstheil nicht erlangen.334 Eine wie auch immer begrenzte Verantwortung des Einzelnen für das Ganze und aus dem Ganzen gegenüber der Außenwelt ist gegenüber einer sich selbst setzenden und bewußten Einheit nicht mehr zu begründen; der Anteil am Ganzen wäre, wie Litt ausführt, "ein von jenem transpersonalen Mittelpunkt her ihnen Zufließendes, gewissermaßen für sie Abgemessenes", der "verteilenden Wirkung einer überlegenen Instanz" entspringend335 . Traut man der sozialen Ganzheit eine eigene Subjektivität zu, so kann daneben ein in diese Ganzheit involviertes Subjekt nicht mehr auf der Grundlage individueller Verantwortung bestraft werden. Ihre Stelle müßte die tragische Verstrickung einnehmen. Insofern ist Hartmann, der wohl die umfassendste, in der aktuellen Diskussion um die Verbandsstrafe nur verkürzt rezipierte336 Kritik der Lehre von der 332 Zu den theologischen Voraussetzungen Harlmann, Ethik, S. 239tf.; Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 123 1f. 333 So wird, Sehe/er, Formalismus, S. 500 f., auch der Zusammenhang von G~ samtverdienst und -schuld mit der Lehre von der Erbschuld und der religiösen Liebesgemeinschaft in Verbindung gebracht. 334 Die Unsicherheiten dokwnentiert auch schlagend der Versuch Wundts, der ~ samtperson den selbstbewußt und einheitlich wahlfähigen Willen des Menschen "in hoch gesteigertem Maße" zuzusprechen, um dann aber aus der Aufhebung der Einheit qua Verteilung auf eine Vielheit frei wählender Personen dennoch ihren Vorzug gerade in der Unpersönlichkeil zu sehen (Wundt, System der Philosophie, S. 624 f.). 335 Litt, Individuum und Gemeinschaft, S. 247. 336 Hirsch, ZStW 107 (1995), S. 288, beruft sich zum Erweis der sozialen Realität der korporativen Gesamtheit u. a. aufHartmann, übersieht dabei aber, daß dieser zwar eine geistige Realität überindividueller Gesamtheilen bejaht, eine Gesamtperson und ihre Verantwortung aber ausdrücklich und kategorisch ablehnt (vgl. etwa Harlmann, Problem des geistigen Seins, S. 318: "Nur der Einzelmensch ist verantwortliches Wesen,... "), wie sogleich im Text darzulegen ist. Fragwürdig ist es auch, Litt in Anspruch zu nehmen, der sich nicht nur scharf gegen alle organologischen Ganzheitsauffassungen wendet (Litt, Individuum und Gemeinschaft, S. 279 tf.), sondern im

ID. Gesamtperson: Kollektivsubjektivität und Repräsentation

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Gesamtperson vorgelegt hat, auch unabhängig von seinen problematischen ontologischen Grundannahmen beizupflichten: ein Gemeinbewußtsein, dem Initiative und Freiheit eignete, kann mit individueller Verantwortung nicht in Übereinstimmung gebracht werden und müßte im Bereich der Moral und des Rechts zu deren Selbstaufhebung führen337 . Und gerade weil dem überindividuellen Gebilde das Zentrum einer eigenen Reflexivität fehlt338, handelt es sich "nur" um objektiven Geist, der konstitutiv auf die subjektive Leistung, Reflexion und Entscheidung angewiesen ist, um zu Bewußtsein zu kommen339 , um in Bewegung zu sein, "lebendig" zu sein340, um bei "Verirrung" korrigiert werden zu können341 . Das hindert aber andererseits nicht einzuräumen, daß das Individuum immer schon in einem vorfindlieh strukturierten Bereich agiert, sich durch ihn bestimmt sieht (auch unbewußt)342 und das Ganze nicht von sich aus gestalten kann343 , sondern nur in Auseinandersetzung und vermittelt über die vorgefundene Objektivität344 . Die Folge der gleichfalls zuzugebenden Inadäquanz des Einzelbewußtseins ist nach Hartmann das Fehlen eines adäquaten Bewußtseins überhaupt345. Aber die Einsicht in diese Bedingtheit gibt keinen Anlaß, das Ganze zu personalisieren346. Indem das Ganze nicht Rahmen seiner Theorie ein übetpersonales Aktzentrum "bedingtmgslos ausschließt" (ebd., S. 247, 400, vgl. auch S. 333). 33? Hartmann,

Problem des geistigen Seins, S. 314.

338 Vgl. auch Marx, Bewußtseinswelten, S. 418. Die sogenannte collectiv-knowledge-Doktrin bringt dieses schlagend zum Ausdruck, wenn dort nicht mehr ein auf einen Wissenden zentriertes Wissen, sondern ein objektiver Informationsbestand, der auf unterschiedliche Subjekte verteilt ist, strafbegründend ist. Der "Vorwurf' kann dann gleichfalls nur ein objektiver sein, nämlich, daß dieser Wissenbestand nicht in einem subjektiven Zentrum zur Entscheidung gelangt ist. Gleiches gilt für die Wissenszusammenrechmmg bei juristischen Personen im Zivilrecht durch den BGH, die sich ablöst von der Zurechnung präsenten Wissens handelnder Repräsentanten und so aus Verkehrsschutzgründen den objektiven Bestand (möglicher) Informationen der Sache nach durch eine Informationsorganisationspflicht zur Einheit bringt (dazu ausführlich mit Nachweisen der Rechtsprechung Reischi, JuS 1997, 783 ff ). 339 Hartmann, 340 Ebd.,

S. 268 f

341

Ebd., S. 339 ff

342

Ebd., S. 288 f, 299 ff

343

Vgl. ebd., S. 266 ff

344 Vgl.

9*

Problem des geistigen Seins, S. 311.

ebd., S. 372 f

3 45

Vgl. ebd., S. 311.

346

Vgl. Hartmann, Ethik, S. 242.

C. Einheitliche Strafbegründung

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über Bewußtsein und eigene Reflexivität verfügt, kann die Konstitution des objektiven Geistes nur als Wechselwirk:ung347, als "wechselseitiges Tr