Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 5 §§ 146-222 9783110925142, 9783899492880

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Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 5 §§ 146-222
 9783110925142, 9783899492880

Table of contents :
ACHTER ABSCHNITT. Geld- und Wertzeichenfälschung
NEUNTER ABSCHNITT. Falsche uneidliche Aussage und Meineid
ZEHNTER ABSCHNITT. Falsche Verdächtigung
ELFTER ABSCHNITT. Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen
ZWÖLFTER ABSCHNITT. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie
DREIZEHNTER ABSCHNITT. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
VIERZEHNTER ABSCHNITT. Beleidigung
FÜNFZEHNTER ABSCHNITT. Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs
SECHZEHNTER ABSCHNITT. Straftaten gegen das Leben

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Großkommentare der Praxis

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RECHT

Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar

Großkommentar 11., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von

Burkhard Jähnke Heinrich Wilhelm Laufhütte Walter Odersky Fünfter Band §§ 146 bis 222 Bearbeiter: §§ 146-165: Wolfgang Ruß §§ 166-173: Karlhans Dippel §§ 174-184c: Heinrich Wilhelm Laufhütte §§ 185-200: Eric Hilgendorf §§ 201-205: Bernd Schünemann § 206: Ernst Träger §§211-217: Burkhard Jähnke §§ 218-21%: Perdita Kröger §§ 220a-222: Burkhard Jähnke

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RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Erscheinungsdaten der Lieferungen: §§ 146-165 §§ 166-173 §§ 174-184c §§ 185-200 §§ 201-206 §§ 211—219b §§ 220a-222

(32. (46. (19. (48. (35. (44. (31.

Lieferung): Lieferung): Lieferung): Lieferung): Lieferung): Lieferung): Lieferung):

M ä r z 2000 Dezember 2003 November 1994 September 2005 Dezember 2000 August 2002 Dezember 1999

ISBN 3-89949-288-9

Bibliografische Information Der Deutschen

Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2005 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Datenkonvertierung/Satz: W E R K S A T Z Schmidt & Schulz G m b H , 06773 Gräfenhainichen Druck: Druckerei H. Heenemann G m b H , 12103 Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer G m b H , 10963 Berlin Printed in Germany

Verzeichnis der Bearbeiter der 11. Auflage Dr. Georg Bauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Leipzig (Nachtrag) Dr. Eckhart von Bubnoff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe a.D. Dr. Karlhans Dippel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.D. Dr. Klaus Geppert, Universitätsprofessor an der Freien Universität Berlin Duscha Gmel, Richterin am Oberlandesgericht Dresden (Nachtrag) Dr. Günter Gribbohm, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Joachim Häger, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Ernst-Walter Hanack, em. Universitätsprofessor an der Universität Mainz Gerhard Herdegen, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Universität Würzburg Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp, Universitätsprofessor an der Universität Heidelberg Dr. Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofes, Karlsruhe, Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften a.D., Luxemburg, Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Dr. Hartmuth Horstkotte, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin Dr. Burkhard Jähnke, Vizepräsident des Bundesgerichtshofes i.R., Karlsruhe Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck, em. Universitätsprofessor an der Universität Freiburg i. Br. Dr. Peter König, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München, Vorsitzender Richter am Landgericht München a.D. Perdita Kröger, Regierungsdirektorin im Bundesministerium der Justiz, Berlin Annette Kuschel, Richterin am Landgericht Leipzig (Nachtrag) Heinrich Wilhelm Laufhütte, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin Dr. Hans Lilie, Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Richter am Landgericht Halle/Saale Dr. Walter Odersky, Präsident des Bundesgerichtshofes i.R., Karlsruhe, Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Ellen Roggenbuck, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe (Nachtrag) Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin, em. Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Wolfgang Ruß, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Bernd Schünemann, Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Rostock Dr. Günter Spendel, em. Universitätsprofessor an der Universität Würzburg Dr. Joachim Steindorf, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Bad Kreuznach (V)

Verzeichnis der Bearbeiter der 11. Auflage Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Tiedemann, em. Universitätsprofessor an der Universität Freiburg i. Br. Dr. Klaus Tolksdorf, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Emst Träger, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., Karlsruhe Hagen Wolff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Celle

(VI)

Inhaltsübersicht BESONDERER TEIL ACHTER ABSCHNITT Geld- und Wertzeichenfälschung 146-152a NEUNTER ABSCHNITT Falsche uneidliche Aussage und Meineid • 153-163 ZEHNTER ABSCHNITT Falsche Verdächtigung §§ 164-165 ELFTER ABSCHNITT Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen §§ 166-168 ZWÖLFTER ABSCHNITT Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie §§ 169-173 DREIZEHNTER ABSCHNITT Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 174-184c VIERZEHNTER ABSCHNITT Beleidigung 185-200 F Ü N F Z E H N T E R ABSCHNITT Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs i

2 0 1 - 2 0 6

SECHZEHNTER ABSCHNITT Straftaten gegen das Leben ¡211-222

Vortäuschen einer Straftat

§ 145 d

sich genommen und der Polizei vorgetäuscht hat, der Transporter sei von Unbekannten überfallen und ausgeraubt worden, hat der BGH natürliche Handlungseinheit angenommen, denn die Strafanzeige habe, wie von vorneherein vom Täter beabsichtigt, der Verdeckung des Diebstahl gedient (BGH b. Holtz M D R 1994 129; vgl. auch BGH 1 StR 553/82 v. 30.11.1982). VIII. Recht des Einigungsvertrages. Nach § 229 StGB-DDR wurde mit Freiheits- 2 4 strafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft, wer gegenüber einem staatlichen Organ der Rechtspflege oder Sicherheitsorgan die Begehung einer Straftat vortäuschte. Die Vorschrift fand Anwendung, wenn unwahre Behauptungen über tatsächliche Vorgänge vorgebracht bzw. wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt wurden und dadurch bei den genannten Organen ein Irrtum erregt oder unterhalten wurde. Wurde die Täuschung über die Person eines an der Straftat Beteiligten vorgenommen, um den Verdacht vom wahren Täter abzuwenden, fand § 229 keine Anwendung, doch konnte eine Bestrafung wegen falscher Anschuldigung (§ 228 StGB-DDR) oder Begünstigung (§ 233 StGB-DDR) bei Vorliegen der Voraussetzungen erfolgen. Um tatbestandsmäßig zu sein, mußte die Vortäuschung gegenüber den in §229 StGB-DDR ausdrücklich genannten Stellen erfolgen. Wurde sie gegenüber einem anderen staatlichen Organ vorgenommen, war sie dann strafbar, wenn der Täter in Kenntnis der Tatsache gehandelt hat, daß dieses Organ seine Mitteilung an eine der in der Strafvorschrift genannten Stellen weiterleitet. Nach der inneren Tatseite war einfacher Vorsatz erforderlich: Erfüllte die Vortäuschung zugleich den Tatbestand des § 217 a StGB-DDR (Androhung von Gewaltakten und Vortäuschung einer Gemeingefahr), so ging diese Vorschrift vor.

(59)

Wolfgang Ruß

ACHTER ABSCHNITT Geld- und Wertzeichenfälschung Vorbemerkungen Schrifttum Bartholme Geld-, Wertzeichenfälschung und verwandte Delikte, JA 1993 197; DreherlKanein Der gesetzliche Schutz der Münzen und Medaillen (1975); Dittrich Der Entwurf des Gesetzes zur Einführung des Euro, NJW 1998 1269; Fögen Geld und Währungsrecht (1969); Gerland Oie Geldfälschungsdelikte des deutschen Strafgesetzbuches, Diss. Straßburg 1901; Hefendehl Zur Vorverlagerung des Rechtsgutsschutzes am Beispiel der Geldfälschungstatbestände, JR 1996 356; Kienapfel Probleme des strafrechtlichen Geldbegriffs, ÖJZ 1986 423; Kohler Münzverbrechen, VDB III 203; Mann Das Recht des Geldes (1960); Mebesius/Kreußel Die Bekämpfung der Falschgeldkriminalität, BKA-Schriftenreihe Bd. 48 (1979); Nußbaum Das Geld (1925); Prost Straf- und währungsrechtliche Aspekte des Geldwesens, Lange-Festschrift S. 419; Schlüchter Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialitätsprinzips, Oehler-Festschrift S. 307; Schmiedl-Neuburg Die Falschgelddelikte (1968); Wessels Zur Reform der Geldfälschungsdelikte und zum Inverkehrbringen von Falschgeld, Bockelmann-Festschrift S. 669; Zielinski Geld- und Wertzeichenfälschung nach dem Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, JZ 1973 193.

I. Entstehungsgeschichte 1

Der achte Abschnitt des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, der die Überschrift „Münzverbrechen und Münzvergehen" hatte (die ungenau war, weil er Geldfälschungsstraftaten schlechthin betraf und dem Papiergeld gewisse geldvertretende Wertpapiere gleichgestellt waren), galt fast unverändert bis zum 31. Dezember 1974. Durch Art. 19 Nr. 59 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) ist der achte Abschnitt völlig neu gefaßt und unter die Überschrift „Geld- und Wertzeichenfalschung" gestellt worden, die den erweiterten Regelungsbereich kennzeichnet: Zu den Geldfalschungsstraftaten ist in Zusammenfassung verstreuter Bestimmungen die Wertzeichenfalschung unter weitgehender Parallelisierung des tatbestandlichen Aufbaus und der im Vorfeld des Fälschungsaktes liegenden, mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen hinzugekommen. D i e Vorschriften des früheren Rechts, die für Dogmatik und Praxis von herausragender Bedeutung waren, lauteten: § 146 Falschmünzerei. Münzverfälschung (1) Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder Papiergeld nachmacht, um das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein des höheren Wertes oder verrufenem Gelde durch Veränderung an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizeiaufsicht zulässig. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein. Stand: 1.4. 1999

(60)

Vorbemerkungen

Vor § 146

§147 Verbreitung von Falschgeld Dieselben Strafbestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher das von ihm ohne die vorbezeichnete Absicht nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie auf denjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft und solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Ausland einführt. § 148 Abschiebung von Falschgeld (1) Wer nachgemachtes oder verfälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 149 Fälschung von Wertpapieren Dem Papiergelde werden gleichgestellt die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Interimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine, welche von einem Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Stelle ausgeschrieben sind. §150 Münzverringerung ( 1) Wer echte, zum Umlauf bestimmte Metallgeldstücke durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als vollgültig in Verkehr bringt, oder wer solche verringerte Münzen gewohnheitsmäßig oder im Einverständnisse mit dem, welcher sie verringert hat, als vollgültig in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. (2) Der Versuch ist strafbar. § 151 Vorbereitungsvergehen Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem letzteren gleichgeachteten Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angeschafft oder angefertigt hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. § 152 Einziehung Auf die Einziehung des nachgemachten oder verfälschten Geldes sowie der in § 151 bezeichneten Gegenstände ist zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet. § 150 i. d. Fassung des EGStGB regelte nur die Einziehung des Falschgeldes, der falschen oder entwerteten Wertzeichen und die in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel (heutiger § 150 Abs. 2). Der Absatz 1 wurde im Jahre 1992 durch das OrgKG vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302) aufgenommen. Er brachte in den Fällen der §§ 146, 148 Abs. 1, der Vorbereitung einer Geldfälschung nach § 149 Abs. 1 und des § 152 a die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe (§ 43 a) und der Anordnung des erweiterten Verfalls (§ 73 d), wenn der Täter als Mitglied einer Bande handelte, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte. Die Anordnung des erweiterten Verfalls wurde ferner bei gewerbsmäßigem Handeln des Täters für zulässig erklärt. Bereits durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721) wurde § 152a in das StGB eingefügt. Mit dieser Vorschrift wurde die Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten geregelt. Nach einer lediglich technischen Änderung in Absatz 5 durch das OrgKG (61)

Wolfgang Ruß

Vor § 146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

wurde die Vorschrift durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) völlig neu gefaßt und in ihre heute geltende Fassung gebracht. Mit ihr soll über den Euroscheckverkehr hinaus der bargeldlose Zahlungsverkehr allgemein, auch soweit er durch Zahlungskarten (ζ. B. Kreditkarten) erfolgt, vor Mißbräuchen besser geschützt werden. Ebenfalls geändert wurde durch das 6. StrRG die Vorschrift des § 146. Die bisherigen in Absatz 1 geregelten Tatbestände wurden als Grundtatbestand mit einer auf ein Jahr reduzierten Mindeststrafe beibehalten. In Absatz 2 wurden nunmehr in einem Qualifikationstatbestand das gewerbsmäßige und das bandenmäßige Handeln geregelt, wofür eine Strafe nicht unter zwei Jahren vorgesehen ist. Im neuen Absatz 3 haben die minder schweren Fälle (bisher Absatz 2) eine differenzierte Regelung erfahren: Drei Monate bis zu fünf Jahren für die Fälle des Grundtatbestandes und ein Jahr bis zu zehn Jahren für die Fälle des Qualifikationstatbestandes. Vgl. ferner zur Entwicklung der Geldfalschungsdelikte: MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 64 Abschn. I und § 67 Ab'schn, I.

II. Altes und geltendes Recht 2

1. An der Regelung des vor Inkrafttreten des EGStGB geltenden Rechts fiel auf, daß sie ohne erkennbaren sachlichen Grund das zielgerichtete Wollen des Täters (seine „Absicht") oder den äußeren Tatbestand zum Teil auf das bloße Inverkehrbringen des Falschgeldes beschränkte, zum Teil jedoch ein Inverkehrbringen (Gebrauchen) des Falschgeldes als echt verlangte. Es war daher schon vor Inkrafttreten des EGStGB umstritten, ob auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Eingeweihten tatbestandsmäßig ist, wenn sie der erste Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt ist (vgl. Vorauf!. Rdn. 2 und § 146 Rdn. 23). Die Reform des achten Abschnitts durch das EGStGB hat die Zweifelsfrage nur für die Tatbestände des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 behoben. Für sie genügt bereits nach dem Wortlaut ein Handeln in der Absicht, das Inverkehrbringen von falschem Geld als echt zu ermöglichen. Für § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147 blieb die Frage weiterhin offen, ob die Weitergabe an einen Eingeweihten unter der erwähnten Voraussetzung genügt. Auch durch das 2. WiKG und das 6. StrRG wurde die Zweifelsfrage nicht ausdrücklich klargestellt.

3

Der Mangel einer im Wortlaut zum Ausdruck kommenden Entscheidung des Gesetzgebers führte, wie es schon bisher der Fall war, zu kontroversen Antworten (vgl. Rudolphi SK § 146 Rdn. 12 f m. w. Nachw.; § 146 Rdn. 23). Daran änderte auch nichts der erste Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum Regierungsentwurf eines EGStGB vom 27. November 1973 (BTDrucks. 7/1261), der (S. 13) den Fall des Abschiebens gutgläubig erlangten Geldes durch einen Mittelsmann erwähnt und ihn § 147 Abs. 1 unterstellt, obgleich diese Vorschrift das Ermöglichen des Inverkehrbringens mit Schweigen übergeht. Die Rechtsprechung hat die Zweifelsfrage dahin entschieden, daß die Weitergabe an eingeweihte Abnehmer auch für § 146 Abs. 1 Nr. 3, § 147 genügt (vgl. BGHSt. 29 311, 313f; 35 21, 23; 42 162,168).

4

2. Der Tatbestand der Münzverringerung (§ 150 a. F.) ist mit dem EGStGB entfallen. Das Objekt (die „vollwichtige Münze") und die Methode (Umschmelzen, Ablaugen, Beschneiden, Abfeilen) gehören vergangenen Epochen an. Im übrigen sind die Tatbestände der Geldfalschungsdelikte zwar in sich erheblich verändert worden, der Gesamtbereich des erfaßten strafbaren Verhaltens hat aber durch das EGStGB kaum Änderungen erfahren. Stand: 1.4. 1999

(62)

Vorbemerkungen

Vor § 146

Nach geltendem Recht hebt das zielgerichtete Wollen des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt (oder des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens) beim Fälschungs- oder Verschaffungsakt die als Verbrechen eingestuften Verhaltensweisen (§ 146) vom Vergehen (§ 147) ab, während nach altem Recht auch das Inverkehrbringen als solches für die schwerere Unrechtseinstufung ausreichte. Das Abschieben gutgläubig erworbenen Falschgeldes (§ 148 Abs. 1 a. F.) ist im allgemeinen Tatbestand des Inverkehrbringens von Falschgeld (§ 147) aufgegangen. Über diese Änderungen der tatbestandlichen Ausformungen und der Rechtsfolgen- 5 seite kann man sehr geteilter Meinung sein. Das Inverkehrbringen von Falschgeld nach bösgläubigem Erwerb verdient wohl eher die Gleichstellung mit den Delikten des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 als mit dem Fall des Abschiebens nach gutgläubigem Erwerb. Diesem Fall ist, was die Strafdrohung anbelangt, in § 147 eine „Aufwertung" zuteil geworden, die es angeblich ermöglicht, „eine den Umständen des Einzelfalls angemessene Strafe festzusetzen" (BTDrucks, 7/550 S. 227 - Begründung des Regierungsentwurfs eines EGStGB). Bemerkenswert ist auch, daß es nach früherem Recht (§ 147 a.F.) zur Deliktsvollendung nicht ausreichte, wenn der Täter in der Absicht des Inverkehrbringens Falschgeld sich verschaffte, ohne daß es zur Absichtsverwirklichung kam. In solchem Tun lag lediglich ein strafbarer Versuch (RG GA Bd. 58 S. 187; LK 9. Aufl. § 147 Rdn. 5). Das geltende Recht straft wegen vollendeter Geldfalschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 und erfaßt infolgedessen als strafbar auch das versuchte Sichverschaffen in der Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens. 3. Die Neuregelung der Wertzeichenfälschung und ihrer Vorbereitung (§§ 148, 149) 6 durch das EGStGB faßt den Inhalt einer Reihe von Vorschriften zusammen (vgl. BGHSt. 31 380, 381), die im StGB (§§ 275, 276 a.F.) und im Nebenstrafrecht (z.B. §399 AbgO, § 1432 RVO a.F., § 154 AVG a.F.) verstreut waren. Gegen diese Zusammenfassung läßt sich kaum etwas einwenden. Sie ist ein Beitrag zur Rechtsvereinfachung ohne substantielle Einbußen. Fragwürdig ist die Vereinigung der Wertzeichenfalschung mit den Geldfalschungsdelikten in einem Abschnitt und die fast vollständige tatbestandliche Kongruenz der mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen: Wertzeichen haben keine dem Geld vergleichbare Funktion, sondern dienen primär dem Nachweis von Zahlungen. Die Wertzeichenfalschung richtet sich infolgedessen gegen das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen 1 . Wenn in zum Teil wörtlicher Ubereinstimmung mit dieser Umschreibung als geschütztes Rechtsgut der Geldfälschungsdelikte das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Funktionsfahigkeit des Geldverkehrs angesehen werden kann 2 , so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß der achte Abschnitt nunmehr im Geld und den gleichgestellten Wertpapieren (§ 151) einerseits und in den Wertzeichen andererseits Tatobjekte in der Vorverlegung des strafrechtlichen Schutzes und seiner Weite auf eine Stufe stellt, die auf Grund des Unterschiedes ihrer Funktion in ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit nicht vergleichbar sind (Zielinski JZ

1

2

(63)

BGHSt. 31 380, 381; TröndlelFischer Rdn. 1; Lackneri Kühl § 148 Rdn. 1; SehlSchröder!Stree §148 Rdn. 1; Bartholme JA 1993 197; aA Zielinski JZ 1973 193; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 1. BGH NJW 1954 564; NJW 1995 1844, 1845; BGHSt. 42 162, 169; RGSt. 67 294, 297; Lackner/Kühl § 146 Rdn. 1; Rudolphi SK Rdn. 2;

Tröndlel Fischer Rdn. 2; Puppe NK Rdn. 2; Sehl Schröder/Stree § 146 Rdn. 1; Dreher JR 1976 295; Stree JuS 1978 236; Hefendehl JR 1996 353; Bartholme JA 1993 197; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 675; SchmiedlNeuburg S. 132; Otto Grundkurs Strafrecht BT §75 Rdn. 1; MaurachlSchroederl Maiwald BT 2 §67 Rdn. 5.

Wolfgang Ruß

Vor § 146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

1973 193). Die Methode der „Harmonisierung" hat für den Bereich der Wertzeichenfalschung eine Ausdehnung und Verschärfung des Strafschutzes gebracht (Rudolphi SK Rdn. 1), für die überzeugende sachliche Gründe nicht ersichtlich sind (Maurachl SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 4). - Eine weitere „Vervollständigung" des achten Abschnittes mit Straftatbeständen erfolgte mit der Einfügung des § 152 a durch das 2. WiKG in der Neufassung durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks). Auch diese Vorschrift, deren Schutzgut in der Sicherheit und Funktionsfahigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs liegt 3 , hat eine deutliche Vorverlegung des Strafschutzes zum Inhalt. 4. Die im achten Abschnitt geregelten Fälschungen sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Dieser allgemein anerkannte, in BGHSt. 23 229, 231 an Banknoten exemplifizierte Satz ist in seinem Sinn und seiner Bedeutung auch für die Münzfälschung weitgehend klargestellt worden (BGHSt. 27 255, 258) 4 . Zur Beantwortung der Frage, wie die in Münzen verkörperte Gedankenerklärung laute, kann auf die überzeugenden Ausführungen Drehers (JR 1976 295, 297 und JR 1978 45, 48) verwiesen werden. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, daß Münzen die für den Begriff des Geldes wesentlichen Erklärungen der Zahlungsmitteleigenschaft und des nominellen Wertes verkörpern (vgl. dazu § § 1 , 2 MünzG) und daß sie infolge dieser Erklärungsverkörperung dazu bestimmt und geeignet sind, die für sie geltende Annahme- und Umtauschverpflichtung (§ 3 MünzG) zu beweisen. Die Gedankenäußerung ihres Ausstellers, mit dem sich BGHSt. 27 255 und Dreher (JR 1978 45) näher befassen, reicht aber noch weiter. In Form des Prägezeichens und des Prägejahres erklärt der Aussteller außerdem, daß er die Münze in einer bestimmten Münzstätte (vgl. § 7 Abs. 1 und Abs. 3 MünzG) und in einem bestimmten Prägezeitraum ausprägen ließ. Diese Erklärung kann ein für den Sammlerwert einer Münze wesentlicher Umstand sein {Dreher JR 1976 295; Hajke M D R 1976 278, 279). Veränderungen von Prägezeichen und Prägejahr zur Täuschung über den Sammlerwert sind infolgedessen Verfälschungen einer Urkunde. Sie sind aber keine Münzverfalschungen, weil als höherer Wert im Sinne von § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur ein höherer nomineller Wert in Frage kommt 5 . Auch als ein Nachmachen echter Münzen (Falschmünzerei) können Manipulationen am Prägezeichen oder am Prägejahr nicht angesehen werden, weil sie die in der Münze verkörperte und für den Begriff des Geldes wesentliche Gedankenerklärung unberührt lassen 6 . 5. Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 7) gilt für die Geld- und Wertpapierfalschung und ihre Vorbereitung (§§ 146, 149, 151, 152) sowie die Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks (§ 152a), nicht jedoch für Fälle nach § 147 und nicht für die Wertzeichenfalschung und ihre Vorbereitung (§§ 148, 149, 152). Dies bedeutet, daß die Verfolgung in den erstgenannten Fällen unabhängig vom Tatortrecht und von der Staatsangehörigkeit des Täters nach deutschem Strafrecht zu erfolgen hat. Diese BTDrucks. 10/5058 S. 26 und 13/8587 S. 29; Sehl Schröderl Stree § 152a Rdn. 1; Lackner/Kühl § 152 a Rdn. 1; Rudolphi SK § 152 a Rdn. 1; TröndlelFischer § 152 a Rdn. 1; Otto wistra 1986 150, 153; Otto Grundkurs Strafrecht BT §75 Rdn. 25; abw. Puppe N K Rdn. 3 ff. Ferner OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561; Dreher JR 1976 295, 297; Dreher JR 1978 45, 48; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 672; Hajke M D R 1976 278, 279; Schmiedl-Neuburg S. 145; TröndlelFischer Rdn. 2; Puppe N K Rdn. 1;

Rudolphi SK Rdn. 4; Sehl Schröder! Stree § 146 Rdn. 29; Geisler N J W 1978 708; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 1. Tröndlel Fischer § 146 Rdn. 4; Sehl Schröder! Stree § 146 Rdn. 6; Otto Grundkurs Strafrecht BT §75 Rdn. 7; aA Hafke M D R 1976 278, 279f. Vgl. § 146 Rdn. 8; im Erg. ebenso Tröndlel Fischer § 146 Rdn. 4; Lackneri Kühl § 146 Rdn. 4; Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 16; aA Hajke M D R 1976 278, 279.

Stand: 1.4. 1999

(64)

Geldfálschung

§146

Regelung entspricht dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 20.4.1929 (vgl. Bekanntmachung über das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 10. November 1933 - RGBl. II S. 913). 6. Ergänzende Bestimmungen: 9 §§ 127 bis 129 OWiG: U.a. Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder Überlassen von Sachen, die zur Herstellung von Geld, diesem gleichstehenden Wertpapieren, amtlichen Wertzeichen, Zahlungskarten im Sinne des § 152 a Abs. 4 oder Vordrucken für Euroschecks verwendet werden können; § I I a MiinzG (= Gesetz über die Ausprägung von Scheidemünzen vom 8.7.1950, BGBl. I S. 323 i. d. F. von § 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung des EGStGB vom 15.8.1974, BGBl. I S. 1942, 1943): Nachmachen oder Verfälschen von außer Kurs gesetzten Münzen oder von Medaillen; Feilhalten oder Inverkehrbringen von solchen nachgemachten oder verfälschten Münzen oder Medaillen; Feilhalten oder Inverkehrbringen von Gegenständen, die den Anschein erwecken, als wären sie früher gültige Münzen gewesen; § 35 BBankG (= Gesetz über die Deutsche Bundesbank i. d. Fassung vom 22.10.1992, BGBl. I S. 1782): Unbefugte Ausgabe oder Verwendung von geldähnlichen Zeichen, die zur Übernahme der Geldfunktion im Zahlungsverkehr geeignet sind; § 25 Abs. 1 Nr. 3 PostG (= Postgesetz i. d. Fassung vom 3. 7.1989, BGBl. I S. 1449, 1454): Nachmachen oder Verfalschen eines für ungültig erklärten Postwertzeichens oder Inverkehrbringen eines solchen nachgemachten oder verfälschten Postwertzeichens; ferner auch § 138 Abs. 1 Nr. 4 StGB: Verpflichtung zur Anzeigeerstattung für denjenigen, der von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Geld- oder Wertpapierfälschung in den Fällen der §§ 146, 151, 152 oder einer Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks in den Fällen des § 152 a Abs. 1 bis 3 glaubhaft erfährt.

§146

Geldfälschung (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. Geld in der Absicht nachmacht, daß es als echt in Verkehr gebracht oder daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, oder Geld in dieser Absicht so verfälscht, daß der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird, 2. falsches Geld in dieser Absicht sich verschafft oder 3. falsches Geld, das er unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat, als echt in Verkehr bringt. (2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (65)

Wolfgang Ruß

§146

Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

Schrifttum Bartholme Zum Begriff des Falschgeldes in Abgrenzung zum untauglichen Tatmittel, JA 1994 97; Bohne Der Begriff „in Verkehr bringen" im Bereich der Geldfälschungsdelikte, JZ 1952 205; Doli Geldfälschungsdelikte, NJW 1952 289; Dreher Aktuelle Probleme der Geldfälschung, JR 1978 45; Frister Das „Sich-Verschaffen" von Falschgeld, GA 1994 553; Geisler Der Begriff Geld bei der Geldfálschung, GA 1981 457; Haflce „Systemmünzen" - Zum Tatbestand des „Nachmachens von Geld" in § 146 Abs. 1 StGB, M D R 1976 278; Hefendehl Der mißbrauchte Farbkopierer, Jura 1992 374; Oppe Fälschung von Sammlermünzen, M D R 1973 183; Prittwitz Grenzen der am Rechtsgüterschutz orientierten Konkretisierung der Geldfälschungsdelikte, NStZ 1989 8; Puppe Die neue Rechtsprechung zu den Fälschungsdelikten, JZ 1986 992; JZ 1991 611; JZ 1997 490, 497; Sonnen Geldschein mit Werbeaufdruck, JA 1996 95; Stein!Onusseit Das Abschieben von gutgläubig erlangtem Falschgeld, JuS 1980 104; Stree Veräußerung einer nachgemachten Münze an einen Sammler - BGH, JR 1976, 294, JuS 1978 236; Wessels Zur Reform der Geldfälschungsdelikte und zum Inverkehrbringen von Falschgeld, Bockelmann-Festschrift S. 669; Westphal Geldfálschung und die Einführung des Euro, NStZ 1998 555. - Weiteres Schrifttum vor § 146.

Ubersicht Rdn. I. Die Tatbestände des § 146 Abs. 1 . . . II. Geld 1. Begriff 2. Verlust der Geldeigenschaft . . . . III. § 146 Abs. 1 Nr. 1 1. Nachmachen von echtem Geld (sog. Falschmünzerei) a) Z u r Täuschung geeignete Ähnlichkeit b) Systemnoten und Systemmünzen c) Fälschung von verrufenem Geld d) Karlsruher Münzskandal . . . . 2. Verfälschen von echtem Geld (sog. Münzverfälschung) 3. Absicht des Inverkehrbringens . . . a) Inverkehrbringen b) Als echt Inverkehrbringen ... c) Absicht des Inverkehrbringens . 4. Vorsatz 5. Versuch und Vollendung

1 4 4 5 6 6 6 7 9 10 11 12 12 14 15 16 17

Rdn. IV. § 146 Abs. 1 Nr. 2 20 1. Sichverschaffen 20 2. Subj. Tatbestand 21 3. Versuch und Vollendung 22 V. § 146 Abs. 1 Nr. 3 23 1. Tatbestand des Inverkehrbringens . 23 2. Der innere Tatbestand 25 3. Vollendung und Versuch 26 VI. Verhältnis zwischen § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 146 Abs. 1 Nr. 1 , 2 28 VII. Täterschaft u n d Teilnahme, Rücktritt . 29 1. Mittäterschaft und Beihilfe 29 2. Rücktritt 30 VIII. Gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln (Absatz 2) 31 1. Gewerbsmäßigkeit 32 2. Bandenmäßiges Handeln 33 IX. Strafe 34 X. Konkurrenzfragen 35 XI. Recht des Einigungsvertrages 36

I. Die Tatbestände des § 146 Abs. 1 1

§ 146 Abs. 1 enthält drei Tatbestände: Die „vorbereitenden" Delikte des Nachmachens oder Verfälschens von Geld in der Absicht des Inverkehrbringens (§ 146 Abs. 1 Nr. 1) und des Sichverschaffens von falschem Geld in dieser Absicht (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) sowie den „Volltatbestand" (TröndlelFischer Rdn. 1; BGH bei Holtz MDR 1982 102): Falschgeld wird in Verkehr gebracht, nachdem der Täter es in Verbreitungsabsicht nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat (§ 146 Abs. 1 Nr. 3). 2 Das Rechtsgut - die Sicherheit und Funktionsfahigkeit des Geldverkehrs (vor § 146 Rdn. 2) - kann erst durch den Akt des Inverkehrbringens gefährdet werden. Der Verbreitungstatbestand ist aber bloßes Vergehen (§ 147), wenn er nicht an einer der Vorbereitungshandlungen anknüpft, die in § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zu selbstänStand: 1.5. 1999

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Geldfálschung

§146

dig strafbaren Verbrechen erhoben worden sind. Das zielgerichtete Wollen des Inverkehrbringens falschen Geldes im Stadium der Herstellung oder des Sichverschaffens ist infolgedessen das herausragende Unrechtsmerkmal. Es scheidet die Bereiche des Straflosen und des Strafbaren (nach § 146 Abs. 1 macht sich nicht strafbar, wer Banknoten im Malverfahren herstellt, um damit die Wände zu bekleben) und trennt die leichteren von den schwereren Verbreitungshandlungen. Die Verknüpfung des wesentlichen (konstitutiven oder das Verbrechen vom Ver- 3 gehen scheidenden) Unrechtsgehalts mit der Täterintention im Stadium der Vorbereitung des Angriffs auf das Rechtsgut ermöglicht einerseits den intensiven, im Vorfeld der Rechtsgutsgefahrdung mit scharfer Strafdrohung einsetzenden strafrechtlichen Schutz des Geldverkehrs, nimmt aber andererseits dem „Volltatbestand" (§ 146 Abs. 1 Nr. 3) für die Begründung der Strafbarkeit ein gewisses Maß an eigenständiger Bedeutung (vgl. Lachner/Kühl Rdn. 9; Kienapfel JR 1987 425). Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann sich nach der dritten Tatbestandsalternative in der Regel nur strafbar machen, wer sich bereits nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar gemacht hat. Das Inverkehrbringen falschen Geldes (§ 146 Abs. 1 Nr. 3) wird mit den vorausgegangenen, gesondert unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen des Sichverschaffens oder Verfälschens auch regelmäßig als eine einheitliche Tat angesehen 1 . Doch behält die Vorschrift ihre eigenständige Relevanz in den Fällen, in denen der Täter die beim Fälschen oder Sichverschaffen vorhandene Verbreitungsabsicht aufgibt, aber später auf Grund eines neuen Tatentschlusses dennoch verwirklicht. Dasselbe gilt für die Fälle, in denen der Täter nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Falschgeld aus dem alten Bestand in Umlauf setzt 2 . Res iudicata steht dieser Beurteilung nicht entgegen, da neues deliktisches Verhalten vorliegt (vgl. ferner Rdn. 28).

II. Geld 1. Tatobjekt ist das Geld. Darunter ist jedes vom Staat oder einer durch ihn dazu 4 ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte und zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmte Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang zu verstehen 3 . Aus welchem Stoff das Geld hergestellt ist, ist ohne Bedeutung. Auch Geld fremder Währungen ist geschützt (§ 152) und zwar selbst dann, wenn es im Inland keinen Kurs hat oder wenn im Inland sein Umlauf verboten ist. Es genügt, daß es irgendwo von Rechts wegen als Wertträger, der seine Beglaubigung und seine Bestimmung als „Erklärungsinhalt" (vor § 146 Rdn. 7) und den Aussteller ersehen 1

2

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BGHSt. 35 21, 27; 34 108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; BGH b. Holtz M D R 1982 101, 102; BGH NStZ 1986 503; 1997 80; RGSt. 1 25; TröndlelFischer Rdn. 8; Lackner/Kühl Rdn. 9, 14; Rudolphi SK Rdn. 16; SchlSchröderlStree Rdn. 26; Puppe NK Rdn. 45; S tree JuS 1978 236, 239; Zielinski JZ 1973 193, 195. Vgl. BGHSt. 35 21, 27; BTDrucks. 7/1261 S. 13; Lackneri Kühl Rdn. 9, 14; SchlSchröderlStree Rdn. 23; Rudolphi SK Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Puppe N K Rdn. 31; S tree JuS 1978 236, 239; ¡Vessels BT 1 Rdn. 908; Maurach! SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 9; aA Zielinski JZ 1973 193, 195, der nur § 147 für anwendbar hält;

3

ebenso Kienapfel JR 1987 425 und Voraufl. Rdn. 3, 24, 27. RGSt. 58 255, 256; RG H R R 1937 Nr. 1619; BGHSt. 12 344, 345; 23 229, 231; 27 255, 258; 32 198; Tröndlel Fischer Rdn. 2; Lackneri Kühl Rdn. 2; SchlSchröderlStree Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 3; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 11; ähnl. Wessels BT 1 Rdn. 896; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 672; krit. Geisler G A 1981 497, 500, 510 ff; ferner Prost LängeFestschrift S. 419, 422 ff; vgl. auch Kienapfel ÖJZ 1986 423 fr.

Wolfgang Ruß

§146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

läßt, die Funktion eines Zahlungsmittels hat 4 . Fehlen dem Wertträger nach der ausländischen Rechtsordnung wesentliche Voraussetzungen für die Subsumtion unter den Geldbegriff, so mangelt es an der Geldeigenschaft im Sinne der §§ 146 ff, auch wenn die ausländische Rechtsordnung den Wertträger als „Geld" hehandelt (BGHSt. 32 198, 199; Geisler GA 1981 497, 510). Deshalb sind die von der Republik Südafrika ausgegebenen Krügerrand-Goldmünzen kein Geld im Sinne der §§ 146 ff, da es ihnen für diese Qualifikation an der Bestimmung und Eignung zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr fehlt (BGHSt. 32 198, 200 m. zust. Anm. Puppe JZ 1986 992). Nach dem Recht der Bundesrepublik sind die von der Deutschen Bundesbank ausgegebenen, auf Deutsche Mark lautenden Banknoten das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel (§ 14 Abs. 1 BBankG i.d. F. des Dritten Euro-Einführungsgesetzes - Drittes EuroEG - vom 16.12.1999 - BGBl. I S. 2402). Die von der Bundesbank „nach Maßgabe des Bedürfnisses" (§ 8 Abs. 1 MünzG) in den Zahlungsverkehr gebrachten „Bundesmünzen" (§ 1 MünzG) sind zwar gesetzliche Zahlungsmittel (§ 2 MünzG), müssen aber nur von den Bundes- oder Landeskassen in jedem Betrag in Zahlung genommen oder in andere gesetzliche Zahlungsmittel (also in DMNoten) umgetauscht werden. Zur Ausprägung von deutschen Euro-Münzen und Euro-Gedenkmünzen vgl. ferner Art. 2 Drittes EuroEG. Auch der „Euro" genügt dem an Geld im Sinne der §§ 146 ff zu stellenden Qualitätsbegriff 4 ". Er ist auf Grund der Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro - Euro-VO - (AB1EG Nr. L 139 vom 11.5.1998, S. 1) in Verbindung mit dem Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz - EuroEG) vom 9.6.1998 (BGBl. I S. 1242) seit 1. Januar 1999 die Währung der teilnehmenden Staaten (Art. 2 Euro-VO). Währungseinheit ist der Euro, der in 100 Cent unterteilt ist; er tritt zum Umrechnungskurs an die Stelle der Währungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten (Art. 3 Euro-VO), die in Art. 1 Euro-VO aufgezählt sind. Für den Übergangszeitraum bis zum 31.12.2001 behalten Banknoten und Münzen, die auf eine nationale Währungseinheit lauten, wie bisher die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels und werden auf der Grundlage fester Umrechnungskurse als Untereinheiten des Euro beibehalten (Art. 9, Art. 6 Abs. 1 Euro-VO). In einer zweiten Phase setzen vom 1. Januar 2002 an die Europäische Zentralbank (EZB) und die Zentralbanken der teilnehmenden Mitgliedstaaten auf Euro lautende Banknoten (Art. 10 Euro-VO) und auf Euro oder Cent lautende Münzen (Art. 11 Euro-VO) in Umlauf. Diese Banknoten und Münzen sind dann in den Mitgliedstaaten die alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten haben nach Art. 12 Euro-VO sicherzustellen, daß es angemessene Sanktionen für Nachahmungen und Fälschungen von Euro-Banknoten und Euro-Münzen gibt. In Art. 1 § 1 Satz 1 Drittes EuroEG wurde festgelegt, daß die von der Deutschen Bundesbank auf Deutsche Mark lautenden Banknoten und die von der Bundesrepublik Deutschland ausgegebenen, auf Deutsche Mark oder Deutsche Pfennig lautenden Bundesmünzen mit Ablauf des 31. Dezember 2001 ihre Eigenschaft als gesetzliche Zahlungsmittel verlieren. Die Deutsche Bundesbank tauscht jedoch nach dem 1.1. 2002 im Rahmen von Art. 16 Euro-VO die auf Deutsche Mark lautenden Banknoten (und Bundesmünzen) zum bereits festgelegten Umrechnungskurs in Euro-Banknoten (und Euro-Münzen) um.

Ähnlich Frank vor § 146 Anm. I; ferner Rudolphi SK Rdn. 2; SchlSchröderlStree Rdn. 2; Maurach/Schroetter/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 12.

4a

Rudolphi SK Rdn. 4a; TröndlelFischer Rdn. 2; Westphal NStZ 1998 555; Ch. Schröder N J W 1998 3179.

Stand: 1. 5. 1999

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Geldfalschung

§146

Bestritten ist, ob man es schon mit Geld zu tun hat, wenn der Akt der Emission 4 b noch aussteht. Diese Frage, die für den Euro bereits vor dessen Ausgabe von Bedeutung ist 5 , wird in der Literatur teilweise verneint, weil erst der öffentlich-rechtliche Akt der Ausgabe maßgebend dafür sein könne, ob die Geldeigenschaft bejaht werden könne 5a . Jedoch liegt es im Sinne des umfassenden wirksamen strafrechtlichen Schutzes, den das Gesetz dem Allgemeininteresse an einem funktionierenden Geldverkehr angedeihen lassen will, die bereits zur Ausgabe bestimmten, in ihren Merkmalen bekanntgemachten Noten oder Münzen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 5 BBankG, § 6 Abs. 2 MünzG; ferner Art. 1 Euro-VO Nr. 975/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Stückelung und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen) als Geld zu betrachten, dessen Nachahmung oder Verfälschung in der Absicht des Inverkehrbringens den Tatbestand des § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt 6 . Tatbestandsmäßige Fälschungen von Euro-Noten oder Euro-Münzen sind daher bereits heute strafbar (Rudolphi SK Rdn. 4a; Ch. Schröder NJW 1998 3179; Westphal NStZ 1998 555, 556). Sondermiinzen, die in den Alben von Sammlern verschwinden, fehlt de iure nichts an den Merkmalen des Geldes 7 . Mit welcher Erwartung ihre Ausgabe erfolgt (vgl. dazu Prost Lange-Festschrift S. 419, 427 f) und welchen Weg sie nach der Ausgabe tatsächlich nehmen, ist gleichgültig (aA Geisler GA 1981 497, 507 ñ). Ihrer Teilnahme am öffentlichen Zahlungsverkehr steht nichts entgegen. Sie sind infolgedessen als Geld anzusehen. Der Unterschied zu den südafrikanischen Krügerrand-Goldmünzen liegt darin, daß diese nie zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr bestimmt waren (BGHSt. 32 198, 200 m. Anm. Puppe JZ 1986 992f).

4c

2. Verlust der Geldeigenschaft. Gegenstände, die durch staatlichen Willensakt 5 gesetzliche Zahlungsmittel geworden sind, behalten die Eigenschaft des Geldes so lange, bis sie außer Kurs gesetzt, d. h. bis sie durch staatlichen Willensakt (nicht nur durch das faktische Verhalten derjenigen, in deren Händen sie sind) aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden 8 . Diese, auch von der Rechtsprechung vertretene Auffassung (BGHSt. 12 345; 19 357, 359; auch BGHSt. 31 380, 382) wird von einem Teil der Literatur abgelehnt 9 . Soweit es um Geld der Bundesrepublik geht, ergibt sich ihre Richtigkeit aus dem Gesetz (§ 14 Abs. 2 BBankG, § 10 MünzG). Im übrigen spricht für sie die Notwendigkeit, die Geldeigenschaft und ihre Dauer von eindeutigen Kriterien abhängig zu machen. Solange Banken verpflichtet sind, aufgerufene Noten oder Münzen umzutauschen, besteht die Geldeigenschaft fort, weil der Umtauschanspruch die für die Umlaufeignung wesentliche Gültigkeit erhält (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 BBankG; vgl. ferner Euro-VO Nr. 974/98 vom 3. Mai 1998). Deshalb verlieren die nach Ausgabe der Euro-Noten und Euro-Münzen ab 1.1.2002 auf 5

5a

6

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Nach Presseberichten hat die italienische Polizei schon Anfang 1999 auf Sizilien eine Euroblütenwerkstatt ausgehoben. Vgl. Prost Lange-Festschrift S. 419, 422 ff; ferner Fögen S. 21, 22; Mann S. 8 f. LacknerlKühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 3, 4a; Sehl Schröder! Stree Rdn. 2; Westphal NStZ 1998 555, 556; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 13; ferner Geisler GA 1981 497, 514, der - mindestens - eine Ankündigung der Emission verlangt; ebenso Ch. Schröder N J W 1998 3179.

7

8

9

Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 11; Puppe N K vor § 146 Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 2; SehlSchröder/Stree Rdn. 2, 3; Ha/ke M D R 1976 278, 279; Oppe M D R 1973 183; ferner BGHSt. 27 255, 259; differenz. Geisler GA 1981 497, 507. Vgl. auch BGHSt. 31 380, 382; Hajke M D R 1976 278, 279; LacknerlKühl Rdn. 2; SchlSchröderlStree Rdn. 3; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 13; Fögen S. 27. Rudolphi SK Rdn. 3; TröndlelFischer Rdn. 2; Puppe N K vor § 146 Rdn. 8; Geisler GA 1981 497, 515f; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 3.

Wolfgang Ruß

§146

8. A b s c h n i t t . G e l d - u n d W e r t z e i c h e n f ä l s c h u n g

D M lautenden Zahlungsmittel den strafrechtlichen Schutz der §§ 146 ff frühestens am 30.6.2002, evtl. später, falls die Bundesrepublik von der Verlängerung der Umtauschmöglichkeit des Art. 16 der Euro-VO Nr. 974/98 vom 3. Mai 1998 Gebrauch machen sollte (Ch. Schröder NJW 1998 3179, 3180; aA Rudolphi SK Rdn.4a, der jedoch die Geldeigenschaft in diesem Fall bis 30.6.2002 bejaht). 5a An der Geldeigenschaft ändert sich nichts dadurch, daß der Gegenstand, der durch staatlichen Willensakt gesetzliches Zahlungsmittel geworden ist, durch das faktische Verhalten derjenigen, in deren Händen er sich befindet, nicht mehr als solches verwendet wird. Der englische Goldsovereign hat daher, obwohl er nicht mehr zum Nennwert als Zahlungsmittel verwendet wird, mangels Vorliegens eines entsprechenden staatlichen Willensaktes die Geldeigenschaft nicht verloren 10 . Daß einzelne Geldzeichen ihren Geldcharakter durch Vorgänge rein tatsächlicher Art, wie Beschädigungen, Verschmutzungen, erhebliche Einbuße an Gewicht oder Erkennbarkeit, verlieren können (vgl. § 14 Abs. 3 BBankG, §§ 4, 9 MünzG; Fögen S. 26, 27), wird nicht in Abrede gestellt.

III. § 146 Abs. 1 Nr. 1 6

1. a) Nachmachen von echtem Geld (sog. Falschmünzerei). Die Geldfälschung ist ein Spezialfall der Urkundenfälschung (vor § 146 Rdn. 7). Nachgemachtes Geld ist unechtes Geld. Unechtes Geld rührt nicht von dem her, der nach den Bestimmungen der Rechtsordnung allein als Aussteller der in den Geldzeichen (im Stückgeld) verkörperten und für den Begriff des Geldes wesentlichen Gedankenerklärungen in Betracht kommt (BGHSt. 23 229, 232; 27 255, 258). Nachmachen heißt, eine Sache derart körperlich behandeln, daß sie mit einer anderen Sache verwechselt werden kann (BGH NJW 1995 1844; RGSt. 58 352; 65 204). Geld ist nachgemacht, wenn dem Produkt der Anschein echten (gültigen) Geldes so innewohnt, daß die Beschaffenheit des falschen Geldes im gewöhnlichen Zahlungsverkehr den Arglosen täuschen kann (BGHSt. 23 229, 231) u . An die zur Täuschung geeignete Ähnlichkeit sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. „Die Erfahrung lehrt, daß die schlechtesten Fälschungen oft ihren Zweck erfüllen" (BGH bei Dallinger M D R 1953 596; Doli NJW 1952 289). Daß bei den Fälschungen eine auch nur oberflächliche Prüfung die Unechtheit erweisen würde, steht der Eignung zur Täuschung nicht ohne weiteres entgegen (RGSt. 6 142, 143 f). Auch darauf, ob die besonderen Umstände, unter denen der Ahnungslose Verfügungsgewalt über das Falschgeld erlangt, eine Prüfung der Echtheit gestatten, kommt es nicht an (BGH NJW 1952 311, 312). Der Anschein echten Geldes kann auch hervorgerufen werden, wenn - wie bei einem Phantasieprodukt - echtes Geld gleicher oder ähnlicher Art oder gleichen Wertes nicht ausgegeben worden ist oder als Vorbild gedient hat 12 . Durch welche Mittel der täuschende 10

BGHSt. 12 344; 19 357; Lackner/Kühl Rdn. 2; Bartholme JA 1993 197, 198; aA OLG Oldenburg NdsRpfl. 1964 19; Rudolphi SK Rdn. 3; Geisler GA 1981 497, 505; Sehl Schröder/Stree Rdn. 3. " BGH NJW 1995 1844; NStZ 1994 124; NJW 1952 311, 312; 1954 564; BGH b. Dallinger MDR 1953 596; RGSt. 65 204; OLG Hamm NJW 1958 1504; Bartholme JA 1993 197, 198; Rudolphi SK Rdn. 6.

12

BGHSt. 30 71, 72 m. Anm. Stree JR 1981 427; BGHSt. 32 198, 202; BGH NJW 1995 1844, 1845; RGSt. 58 351; RG JW 1926 169 Nr. 1; RG HRR 1933 Nr. 347; HRR 1937 Nr. 1619; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder /Stree Rdn. 5; Puppe N K Rdn. 3 ff; Tröndle!Fischer Rdn. 3; Bartholme JA 1993 197, 198; einschr. Otto NStZ 1981 479; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 5.

S t a n d : 1. 5. 1999

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Geldfálschung

§146

Schein hervorgerufen wird, ist gleichgültig. Es genügt, wenn „das Falschstück durch seine stoffliche und sonstige Gestaltung, namentlich durch sein Gepräge in Wort und Bild bestimmt und geeignet ist, den Anschein zu erwecken, als ob es von einer dazu berufenen - inländischen oder ausländischen - Stelle als Geld geprägt, gedruckt oder sonstwie zum Umlauf als Geld beglaubigt und in Umlauf gebracht worden" ist (RGSt. 58 351, 352). Deshalb kann auch die Herstellung eines 40 DM-Scheines Gegenstand der Falschmünzerei sein (krit. zu dem Problem der Phantasieprodukte: Otto NStZ 1981 479). Beispielsweise ist falsches Geld angenommen worden in Fällen, in denen bei einer Münze nur eine Seite das Gepräge eines echten Geldstückes trug, während die andere Seite völlig glatt war (vgl. RGSt. 6 142ff; BGH bei Daliinger NJW 1953 596). Auch Papiergeldfälschungen mit gleicher Vorder- und Rückseite können den Arglosen täuschen (BGH NJW 1954 564; ferner OLG Hamm NJW 1958 1504). Eine für eine Täuschung ausreichende Ähnlichkeit wurde jedoch verneint bei unauf- 6 Β geschnittenen Druckbogen mit nachgemachten Banknoten, da „derartige Bogen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr selbst bei Arglosen auf Zweifel an ihrer Echtheit stoßen" (BGH NStZ 1994 124)13. Eine Verwechslungsgefahr mit gültigem Geld wurde ferner verneint in einem Fall, in dem nachgemachte Banknoten sowohl auf der Vorderais auch auf der Rückseite einen deutlich ins Auge springenden Werbeaufdruck aufwiesen (BGH NJW 1995 1844)14. Auf den ersten Blick als plumpe Fälschungen erkennbare Metallstücke, die dazu dienen sollen, Waren aus Automaten zu holen, sind keine Nachahmungen von Geld (BGH NJW 1952 563 m. Anm. Dreher; Puppe NK Rdn. 6; Mitsch JuS 1998 307, 309). Mit ihrer Produktion begeht der Täter ein versuchtes Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur dann, wenn Wollen und Können auseinanderfallen: Der (in der Absicht des Inverkehrbringens handelnde) Täter will oder rechnet damit, daß er Falschgeld herstellt. Was er tatsächlich herstellt, mißlingt. Es hat, ohne daß auch nur eine oberflächliche Prüfung erforderlich wäre, nicht den Anschein echten Geldes 15 . Daß Falschmünzerei dadurch begangen werden kann, daß bereits umlaufende falsche Münzen „nachbehandelt" werden und nunmehr erst den Anschein von Geld oder den Anschein eines höheren Wertes erlangen, steht außer Frage 16 . b) Systemnoten und Systemmünzen17 erfordern eine besondere Betrachtung. 7 Systemnoten (unter ausschließlicher oder teilweiser Verwendung gespaltener echter Banknoten nach einem besonderen System zusammengesetzte Scheine) sind nach der Rechtsprechung Falschgeld 18 , weil sie in ihrer zusammengesetzten Form (im Falle deutschen Geldes) nicht von der Bundesbank als Aussteller herrühren (BGHSt. 23 229, 232; OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561). Damit wird aber der entscheidende Gesichtspunkt noch nicht getroffen, der das Nachmachen vom Verfälschen unter13

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15

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Dazu: Barlholme JA 1994 97 f f ; Hefendehl JR 1996 353, 356; Puppe N K vor § 146 Rdn. 12; Puppe JZ 1997 490, 497; Rudolphi SK Rdn. 6; vgl. auch ÖstOGH 52 188, 190. Vgl. dazu Sonnen JA 1996 95; Hefendehl JR 1996 353, 357; zu einem abw. Erg. vgl. O L G Düsseldorf NJW 1995 1846 m. krit. Anm. Puppe JZ 1997 490, 498. BGH b. Dallinger M D R 1953 596; RGSt. 69 3, 5; Dreher M D R 1952 563, 564; MaurachlSchroeder!Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 15.

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SehlSchröder!Stree Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 3; Binding Lehrbuch § 178 II 2a; Frank Anm. I 2; Olshausen Anm. 2. BGHSt. 23 229; OLG Schleswig NJW 1963 1560; RG JR 1927 2246; JW 1928 660 Nr. 30 m. Anm. Gerland; Hajke M D R 1976 278; Schmiedl-Neuburg S. 85. Ebenso: Sehl Schröder/Stree Rdn. 5; Lackneri Kühl Rdn. 4; Tröndlel Fischer Rdn. 3; Puppe N K Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 6; Hafke M D R 1976 278, 279; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 16.

Wolfgang Ruß

§146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

scheidet. Die für den Begriff des Geldes wesentliche Erklärung der Wertträger- und Zahlungsmitteleigenschaft von Gesetzes wegen (vor § 146 Rdn. 7) wird in der „konkreten und einmaligen Form der individuellen Note" abgegeben ( H a f k e M D R 1976 278, 280). Ihre Zerstörung und die Zusammenfügung der gewonnenen Teile in anderer Form oder mit Teilen anderer Noten (BGHSt. 23 229, 230) oder auch mit bloßen „Füllstücken", etwa in Form von Fotokopien oder bemaltem Papier (Schmiedl-Neuburg S. 85), in einer Weise, daß die Eignung zur Täuschung des Arglosen nicht in Frage gestellt wird, läßt neue Stücke entstehen, deren gesamte für den Charakter wesentliche Gedankenerklärung nicht von demjenigen stammt, der als Aussteller erscheint. In BGHSt. 23 229, 232 wird durch den Hinweis auf die Nummern der Banknoten, die ihre „einmalige Form" wesentlich mitbestimmen, ein ähnlicher Gedankengang angedeutet. 8

Bei Systemmünzen liegt es anders, wenn die Manipulation lediglich die Gedankenäußerung betrifft, die für den Sammlerwert Bedeutung hat. Münzen enthalten die für den Begriff des Geldes wesentlichen Erklärungen nicht in der konkreten und einmaligen Form individueller Geldzeichen. Ihre Veränderung in den für diese Erklärung unwichtigen Teilen ist lediglich eine nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 nicht zu erfassende Verfälschung im Sinne von § 267 Abs. 119.

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c) Falschmünzerei kann ferner darin bestehen, daß verrufenem (außer Kurs gesetztem) Gelde der Anschein von gültigem Gelde gegeben wird (BTDrucks. 7/550 S. 226) 20 . Werden lediglich ungültige Münzen als solche nachgemacht oder verfälscht, so ist das ein ordnungswidriges, mit Geldbuße bedrohtes Handeln (§ I I a MünzG). Selbstverständlich kommen die Nachahmungen ungültiger Münzen ebenso als Tatmittel eines Betrugs in Betracht, wie die nicht gelungenen Nachahmungen echter Geldzeichen. Werden ungültige Münzen zur Täuschung im Rechtsverkehr nachgemacht, ist der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1) nicht deshalb ausgeschlossen, weil die nachgemachten Münzen außer Kurs gesetzt sind (so aber Dreher JR 1976 295, 297). Die Gedankenerklärungen, die nicht für den nominellen Wert und für die Zahlungsmitteleigenschaft, wohl aber für den Sammlerwert von Bedeutung sind, verlieren ihre Beweiseignung nicht durch die Aufhebung der Geldeigenschaft. Die Beweisbestimmung gibt ihnen der Fälscher selbst.

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d) Der Fall des Karlsruher Münzskandals, der Gegenstand der Entscheidung BGHSt. 27 255 war, warf die Frage auf, ob auch diejenigen nachmachen, die als Bedienstete einer staatlichen Münzstätte mit deren Werkzeugen und in ihren Räumen aus richtig zusammengesetztem Material eigenmächtig gültige Bundesmünzen nachprägen, die sich in nichts von Münzen unterscheiden, die im Auftrag des Bundes geprägt worden sind. Die positive Antwort ergab sich aus der Überlegung, daß die Münzstätte die Münzen nur körperlich fertigt und Urheber der in der Münze verkörperten Gedankenerklärung, Aussteller im Rechtssinne (derjenige, von dem die Erklärung „geistig herrührt"), der Bund ist, für den Bundesregierung und Bundesminister der Finanzen handeln (§ 6 Abs. 1, § 7 MünzG). Fehlt sein Auftrag zur Ausprägung, verkörpert die Münze eine Gedankenerklärung, die nicht von demjenigen

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Vgl. vor § 146 R d n . 7; ebenso: TröndlelFischer R d n . 3; Puppe N K R d n . 9; Lackner/Kühl R d n . 4; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 67 R d n . 16; Barlholme JA 1993 197, 199; aA Hajke M D R 1976 278, 279.

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R G S t . 60 316; 59 373; Rudolphi S K R d n . 6; Sch/Schröder/Stree R d n . 5; Tröndlel Fischer R d n . 3; Maurach!Schroederl Maiwald B T 2 § 67

Rdn. 17.

Stand: 1. 5. 1999

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herrührt, der nach dem Aufdruck auf der Münze und von Gesetzes wegen als ihr Aussteller erscheint. Die Münze ist unecht 21 . 2. Verfälschen von echtem Geld (sog. Münzverfalschung). Geld wird verfälscht, 11 wenn ihm durch Veränderung der Schein höheren Wertes gegeben wird. Das Gesetz sagt nichts über die Art und Weise der Veränderung. Es kommen auch Manipulationen in Betracht, die nicht auf Prägung oder Gehalt einwirken (wie Polieren, Überziehen mit Quecksilber). Wird der Anschein eines höheren Wertes nicht hervorgerufen, liegt Versuch vor, wenn der Täter wollte oder damit rechnete, daß er den Anschein hervorrufen wird (und in der Absicht des Inverkehrbringens handelte). Infolgedessen scheidet auch der Versuch einer Münzverfalschung aus, wenn der Täter an eine Werterhöhung nicht denkt und Geldstücke nur breitklopft, um sie für den Fernsprecher oder einen Warenautomaten verwenden zu können (RGSt. 68 65, 69). Bei dem höheren Wert geht es um den nominellen Wert, den Wert, den Geld in seiner Zahlungsmitteleigenschaft hat 22 . Der Tatbestand wird nicht erfüllt, wenn eine Münze in den Teilen der von ihr verkörperten Gedankenerklärung verändert wird, die zwar für den Sammlerwert, nicht aber für den nominellen Wert von Bedeutung sind (Rdn. 8 und vor § 146 Rdn. 7). 3. Absicht des Inverkehrbringens a) Falsches Geld wird in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, daß ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten 23 . Es ist völlig gleichgültig, was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt. Unter dem Gesichtspunkt des Inverkehrbringens kommt es nur darauf an, daß er Verfügungsgewalt erlangt (BGH NJW 1952 311, 312; StV 1998 379). Infolgedessen genügt es auch, daß Nachahmungen gültiger Münzen als Sammelobjekte zu einem den Nennwert mehr oder weniger übersteigenden Preis an den Mann gebracht werden (BGHSt. 27 255, 259 f; BGH JR 1976 294, 295) 24 .

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Der übliche Fall des Inverkehrbringens wird es sein, daß das Falschgeld übergeben 1 3 wird und so unmittelbar von der Verfügungsgewalt des Täters auf diejenige des Abnehmers überwechselt. Ein Inverkehrbringen in diesem Sinne wurde beispielsweise angenommen in Fällen, in denen falsches Geld einer Bank zur Zahlung (OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561), zum Wechseln oder nach Außer-Kurs-Setzung der nach21

22

23

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BGHSt. 27 255, 258 f m. Anm. Geisler NJW 1978 708; Dreher JR 1978 45, 46; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 672; Prost Lange-Festschrift S. 419, 427; TröndlelFischer Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 6; Puppe NK vor § 146 Rdn. 11; SehlSchröder!Stree Rdn. 5; LackneriKühl Rdn. 4; Bartholme JA 1993 197, 198; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 17; aA LG Karlsruhe NJW 1977 1301. Tröndlel Fischer Rdn. 4; Sehl Schröder! Stree Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 5; Puppe N K Rdn. 9; Bartholme JA 1993 197, 199; aA Hafke M D R 1976 278, 279 f. RGSt. 67 167, 168; BGHSt. 27 255, 259; 35 21, 23; 42 162, 168; BGH N J W 1952 311, 312; M D R 1952 563; JR 1976 294; NStZ 1986 548; NJW 1995 1845, 1846; ferner Wessels Bockel-

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mann-Festschrift S. 669, 673 fT; Lackneri Kühl Rdn. 7; Sehl Schröder! Stree Rdn. 21; Rudolphi SK Rdn. I I a ; Puppe N K Rdn. 17; Tröndlel Fischer Rdn. 5; krit. Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 22. Stree JuS 1978 236, 237; LachnerlKähl Rdn. 7; Puppe N K Rdn. 18; Sehl Schröder! Stree Rdn. 21; Rudolphi SK Rdn. 11 a; zweif. Blei JA 1976 597; aA Tröndlel Fischer Rdn. 5; Frank Anm. II; MaurachlSchroeder!Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 22; DreherlKanein S. 72; vor allem Dreher JR 1976 294, 296 und JR 1978 45, 47, nach dem unter „Verkehr" i. S. von §§ 146, 147 nur der Zahlungsverkehr gemeint ist und deshalb ein Inverkehrbringen nicht vorliegt, wenn falsches Geld gleichsam als Handelsware zu einem den Nennwert übersteigenden Preis an einen Sammler verkauft wird.

Wolfgang Ruß

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Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

gemachten Geldzeichen zum Umtausch (BGH LM StGB § 146 Nr. 2) übergeben wurde. Es liegt auch vor, wenn falsches Geld verschenkt oder in einen Opferstock oder in einen Automaten eingeworfen wird, um daraus Waren zu erhalten 25 . Wer falsches Geld zur Leistung einer Sicherheit verwendet, bringt es auch in Verkehr, wenn in specie zurückzugeben ist (Rudolphi SK Rdn. 11 a; teilw. abw. Frank Anm. II). Ein Inverkehrbringen setzt jedoch nicht voraus, daß der Täter das Falschgeld unmittelbar an einen Abnehmer übergibt. Es reicht aus, daß ein beliebiger Dritter in die Lage versetzt wird, sich des Geldes zu bemächtigen und es seinerseits weiterzugeben. Allerdings wird es sich dann lediglich um eine Versuchstat handeln (vgl. Rdn. 26f)· Dies kann der Fall sein, wenn der Täter das Geld wegwirft und ein Dritter es findet; es wurde in BGHSt. 35 21, 25 auch in einem Fall als möglich angesehen, in dem der Täter die Falsifikate in den Abfalleimer einer Autobahnraststätte geworfen hatte 26 . Ein Inverkehrbringen scheidet jedoch aus, wenn der Täter das Falschgeld in einem Banksafe deponiert, der ohne seine Mitwirkung nicht geöffnet werden kann (BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977), oder wenn er es nur vorzeigt, um mit seinem Reichtum zu prahlen (SehlSchröderIStree Rdn. 22; Puppe N K Rdn. 17) oder um seine Kreditwürdigkeit zu belegen 27 . In diesen Fällen entläßt der Täter das Geld nicht aus seinem Gewahrsam, um einem Dritten die beliebige Verfügungsmöglichkeit zu vermitteln. Ein Inverkehrbringen liegt auch noch nicht vor, so lange das Falschgeld von einem Boten zu einem Abnahmeinteressenten transportiert wird (BGH 3 StR 336/84 v. 29.8.1984), da während dieser Zeit der Verkäufer nach wie vor Sachherrschaft an dem Geld hat (vgl. BGHSt. 35 21, 22; BGH StV 1998 379; NStZ-RR 1997 198). Es scheidet ferner aus, solange das Falschgeld in einem internen Vorgang innerhalb des Kreises der Mittäter unter diesen weitergegeben wird 28 . Nur um einen Versuch des Inverkehrbringens handelt es sich, wenn das falsche Geld vor der Übergabe zurückgewiesen (RGSt. 67 167) oder vom Automaten sofort wieder ausgeworfen wird ( Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 676; TröndlelFischer Rdn. 5). 14

b) Als echt ist das Falschgeld in Verkehr gebracht, sobald es in die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt ist. Arglos ist derjenige, der das falsche Geld in der Vorstellung, es als gültiges Zahlungsmittel weitergeben zu können, an sich nimmt, mag er dann alsbald feststellen, daß er unechtes Geld empfangen hat (RGSt. 67 167f; BGHSt. 1 143, 144; 27 255, 259). - Die Worte als echt in der Tatbestandsbeschreibung ließen es nach früherem Recht als zweifelhaft erscheinen, ob die Absicht der Weitergabe an einen Zwischenhändler oder an einen anderen Eingeweihten mit eigener Verfügungsgewalt überhaupt oder wenigstens dann ausreicht, wenn das falsche Geld von da aus seinen Weg zu Gutgläubigen nehmen soll (vor § 146 Rdn. 2f). Für § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) sind die Zweifel behoben: Tatbestandsmäßig ist auch die Absicht, das Inverkehrbringen von falschem Geld als echtem Geld zu ermöglichen. Es genügt, wenn der Täter anstrebt, daß das Falschgeld auf irgendeinem von ihm in Gang 25

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BGHSt. 35 21, 24; BGH NJW 1952 311; MDR 1952 563 m. Anm. Dreher, BGH b. Daliinger M D R 1953 596; LacknerlKühl Rdn. 7; Tröndlel Fischer Rdn. 5; SehlSchröder!Stree Rdn. 21; Rudolphi SK. Rdn. 11 a; Maurach!Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 22; F.-Ch. Schroeder JZ 1987 1133. Dazu Hauser NStZ 1988 453 f; abl. MaurachI Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 22; Schroeder JZ 1987 1133; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; krit. auch Jakobs JR 1988 121, 122.

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28

BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Frank Anm. II; SchlSchröderl Stree Rdn. 21; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 21; aA RGSt. 14 161, 165. BGH b. Dallinger M D R 1971 16; 3 StR 336/84 v. 29.8.1984; vgl. ferner BGHSt. 42 162, 169; Tröndlel Fischer Rdn. 5; SchlSchröderlStree Rdn. 21; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 679.

S t a n d : 1 . 5 . 1999

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gesetzten oder geförderten Weg durch Zwischenhändler oder andere Eingeweihte in die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt 29 . c) Der Täter muß in der Absicht handeln, das Falschgeld (als echtes) in den Ver- 1 5 kehr gelangen zu lassen. Mit Absicht ist der zielgerichtete Wille gemeint (BGHSt. 27 255, 259; 35 21, 22). Es muß dem Täter auf das Inverkehrbringen oder auf die Ermöglichung des Inverkehrbringens von falschem (nachgemachtem oder verfälschtem) Geld als echtem Geld ankommen, ohne daß diese Zielvorstellung Endzweck (Beweggrund) seines Handelns zu sein braucht 30 . Die Absicht des Inverkehrbringens fehlt, wenn das Falsifikat als Schmuck veräußert werden soll (BGH GA 1967 215), weil die unechte Münze in der Funktion eines Schmuckstücks keine Geldbedeutung hat. Nicht der Schein echten Geldes soll hervorgerufen werden, sondern allenfalls der Schein eines Schmuckstücks aus echtem Geld (Stree JuS 1978 236, 238). Die Absicht des Inverkehrbringens fehlt auch, wenn der Hersteller mit den Falsifikaten nur prahlen oder sie nur vorzeigen will, um als kreditwürdig zu erscheinen (vgl. Rdn. 13) oder wenn nur Probestücke gefertigt werden, die der Täter, auch wenn sie gelingen, nicht aus der Hand geben will (RGSt. 69 3, 5). 4. Vorsatz. Zur inneren Tatseite gehört außer der Absicht des Inverkehrbringens, 1 6 daß der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich verwirklicht. Eventualvorsatz genügt (BGH b. Daliinger M D R 1953 596)31. Der Täter muß also wissen oder damit rechnen, daß er Geld verfälscht oder ein Produkt herstellt (nachmacht), dem der Anschein echten Geldes innewohnt (vgl. Rdn. 6) und er muß für sicher halten oder doch damit rechnen, daß das von ihm hergestellte oder verfälschte Falschgeld geeignet ist, im Verkehr für echt gehalten zu werden, also den Arglosen über die Unechtheit zu täuschen (BGH bei Dallinger M D R 1953 596). Nicht erforderlich ist, daß der Täter davon ausgeht, Geld nachzumachen, das sich in Umlauf befindet; denn auch die Herstellung eines Phantasieproduktes (vgl. Rdn. 6) kann zur Tatbestandserfüllung ausreichen (SehlSchröder!Stree Rdn. 9; vgl. auch Puppe N K Rdn. 12). Demnach ist es ein Tatbestandsirrtum, wenn der Täter nicht weiß und nicht damit rechnet, daß er (gültiges) Geld nachmacht und wenn er irrtümlich darauf vertraut, daß das, was er anfertigt, den Arglosen nicht zu täuschen vermag. 5. Versuch und Vollendung. Strafbaren Versuch begeht der Täter, der in der Absicht 1 7 des Inverkehrbringens nachmacht oder verfälscht und zu Unrecht annimmt, daß das, was er nachmacht oder verfälscht, für echtes Geld gehalten werde, also den Maßstäben genügt, die an Geldfalschungen zu stellen sind. Deshalb könnte in dem Fall der unaufgeschnittenen Druckbogen (BGH NStZ 1994 124; vgl. Rdn. 6) dann ein Versuch vorliegen, wenn der Fälscher von der Annahme ausgegangen sein sollte, der Rechtsverkehr werde die unaufgeschnittenen Druckbogen für echtes Geld halten 32 . Einen strafbaren Versuch begeht auch derjenige, dem sein Vorhaben, zur Täuschung 29

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BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; vgl. ferner BGHSt. 29 311, 313f; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162, 168; TröndlelFischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 12f; Puppe JZ 1986 992, 994; krit. Jakobs JR 1988 121; Prittwitz NStZ 1989 8, 9. BGH N J W 1952 311, 312; Lackneri Kühl Rdn. 11; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Sehl Schröder! Stree Rdn. 7; BTDrucks. 7/550 S. 226; aA Puppe N K Rdn. 13, wonach unter Absicht nur einfacher Vorsatz zu verstehen sei.

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BGHSt. 35 21, 25; BGH JR 1976 294, 295 unter 2d m. Anm. Dreher S. 297; Tröndlel Fischer Rdn. 9a; Lackner/Kühl Rdn. 10; Sch/Schröder/Stree Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 8; Puppe N K Rdn. 10; Stree JuS 1978 236, 238. Bartholme JA 1994 97, 99; LacknerlKühl Rdn. 12; vgl. auch SehlSchröder!Stree Rdn. 10; aA Hefendehl JR 1996 353, 356.

Wolfgang Ruß

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Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

geeignete Stücke herzustellen, mißlingt, weil seine Produkte Mängel aufweisen, die sie auf den ersten Blick als Fälschung erweisen (BGH b. Daliinger M D R 1953 596). 18 Vollendet ist der Tatbestand mit der Herstellung des ersten Stückes, das in der Absicht des Inverkehrbringens nachgemacht oder verfälscht worden ist, wenn sich das Stück dazu eignet, den Arglosen zu täuschen. Ein Rücktritt gemäß § 24 ist danach nicht mehr möglich; denn es ist für § 146 Abs. 1 Nr. 1 gleichgültig, ob das Falschgeld in Verwirklichung der Absicht tatsächlich in Verkehr gebracht wird. Ohne rechtliche Bedeutung ist es daher auch, wenn die beabsichtigte Verbreitung mißlingt (RGSt. 67 167f)· Ob der Täter selbst sein Produkt, dessen Eignung zur Täuschung er wollte, nach der Fertigstellung für geeignet hält, ist ebenfalls ohne Bedeutung: Der Tatbestand ist verwirklicht, die Tat vollendet, wenn der Täter mit Verbreitungsabsicht und vorsätzlich nachmachte oder verfälschte und den gewollten Erfolg (den Anschein von echtem Geld oder von höherem Wert) auch tatsächlich erreichte (RGSt. 69 3, 4). Ob der Tatbestand nur einmal oder mehrmals verwirklicht wird, entscheidet nicht die Zahl der Falschstücke. Das Ergebnis eines Produktionsvorganges erscheint als Resultat einer Tat (OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561). Mehrere Produktionsvorgänge sind nach Aufgabe der „fortgesetzten Handlung" durch die Rechtsprechung (vgl. BGHSt. 40 138) je nach Fallgestaltung als eine natürliche Handlungseinheit oder als mehrere Handlungen aufzufassen. 19

Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt der Geldfalschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 kommt, wie der auf Vorbereitungshandlungen nach § 149 Abs. 1 beschränkten Regelung des § 149 Abs. 2 (Abs. 3) zu entnehmen ist, nicht in Betracht 33 . Gegen diese punktuelle, den Eindruck des Zufälligen erweckende Regelung wendet sich Zielinski (JZ 1973 193, 1970 mit guten Gründen.

IV. § 146 Abs. 1 Nr. 2 20

1. In der Rechtsprechung wurde in einigen Entscheidungen der Eindruck vermittelt, für das Merkmal des Sichverschaffens komme es allein darauf an, daß der Täter das Falschgeld in seinen Besitz oder in seine Verfügungsgewalt bringt (vgl. BGHSt. 35 21, 22 m. Anm. Jakobs JR 1988 121; BGH NStZ-RR 1997 198; OLG Düsseldorf JR 1986 512). Diese Auffassung hat in BGHSt. 44 62 unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung (vgl. BGHSt. 3 154, 156) und die überwiegende Meinung in der Rechtslehre 34 eine berichtigende und klarstellende Ergänzung dahin erfahren, daß die Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit allein nicht genügt, Voraussetzung des Sichverschaffens i. S. des § 146 Abs. 1 Nr. 2 vielmehr ist, daß der Täter das Falschgeld mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung annimmt. Auf diese Weise wird, worauf BGHSt. 44 62, 65 f zu Recht hinweist, eine sachgerechte Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ermöglicht, wie sie insbesondere bei Transportund Verteilungsgehilfen oder Empfangsboten erforderlich sein kann, die sich nur als Werkzeuge des Täters verstehen (vgl. BGH GA 1984 427; LG Gera NStZ-RR 1996 73). Das Sichverschaffen erfordert keine besonderen Modalitäten: Abgeleiteter und originärer Erwerb kommen in Betracht (RGSt. 67 294, 296; RG H R R 1939 Nr. 1376). Es genügt infolgedessen Erwerb durch Fund, Diebstahl, Unterschlagung oder durch 33

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TröndlelFischer Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 12; Sch/Schröder/Stree Rdn. 10; Puppe N K Rdn. 19. Vgl. ferner LG Gera NStZ-RR 1996 73; Sehl Schröder!Stree Rdn. 15; Rudolphi SK Rdn. 9;

LacknerlKühl Rdn. 6; Puppe N K Rdn. 20 ff; Puppe JZ 1997 490, 498 f; NStZ 1998 460; Schroeder JZ 1987 1133; Prittwitz NStZ 1989 8, 9; Wessels BT 1 Rdn. 903.

Stand: 1. 5. 1999

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Geldfälschung

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ein Entziehen im Sinne von § 133 Abs. 1 (RG JW 1937 3301). Ein Einverständnis mit dem Vorbesitzer ist (im Unterschied zur Hehlerei: BGHSt. 42 196) zur Erlangung der Verfügungsgewalt nicht erforderlich 35 . Ein Sichverschaffen kann vorliegen, wenn der Täter das Falschgeld zuvor einem anderen zahlungshalber in dessen alleinige Verfügungsgewalt übergeben hat, dann aber zurücknimmt, weil der andere zwischenzeitlich die Fälschung erkannt hat (BGH N J W 1995 1845 m. krit. Anm. Wohlers StV 1996 28) oder weil er das Falschgeld auf andere Weise in Umlauf bringen wollte (BGHSt. 42 162, 168 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 499). Eine besondere Aktivität braucht der Täter nicht zu entfalten. Es reicht aus, wenn er ihm angebotenes Falschgeld annimmt 3 6 . Der Täter muß allein oder gemeinsam mit einem Mittäter selbständige (Mit-)Verfügungsgewalt erlangen (BGHSt. 44 62) 37 . Kann er tatsächlich die Verfügungsgewalt selbständig (nach seinem Ermessen und seinem Interesse) ausüben und will er das auch, so erlangt er eigene Verfügungsgewalt selbst dann, wenn er dem bisherigen Gewahrsamsinhaber vorgespiegelt hat, er werde mit dem Falschgeld nur nach dessen Weisungen verfahren (BGHSt. 3 154, 156). Wer in der Rolle des bloßen Verwahrungs-, Transport- oder Verteilungsgehilfen nur für einen anderen Gewahrsam ausübt, hat, solange er in dieser Rolle bleibt, keine eigene Verfügungsgewalt und ist infolgedessen nur Gehilfe des „Geschäftsherrn" (BGHSt. 3 154, 156; 44 62, 65) 38 . Dabei kann in der eigenverantwortlichen Durchführung des Transportes von gefälschtem Geld über eine Staatsgrenze bereits ein Sichverschaffen liegen (BGH N S t Z - R R 1997 198). Sind die tatsächlichen Umstände so beschaffen, daß der „Geschäftsherr" die Einwirkungsmöglichkeit verliert und der Gewahrsamsinhaber selbständige Entscheidungen treffen muß und trifft, hängt es insbesondere von seinem Entschluß ab, ob der „Geschäftsherr" die Sachherrschaft wieder gewinnt, geht die Verfügungsgewalt auf den Gewahrsamsinhaber über (BGH 1 StR 156/78 vom 20.6.1978). 2. Die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens (Rdn. 12 bis 16) muß 2 1 (spätestens) in dem Augenblick vorhanden sein, in dem der Täter eigene Verfügungsgewalt erlangt. Faßt er den Verbreitungsentschluß erst später, kommt nur § 147 in Betracht. Wie bei § 146 Abs. 1 Nr. 1 genügt es, daß der Täter einem anderen ermöglichen will, das Falschgeld als echtes Geld in Verkehr zu bringen 39 . Es reicht aus, wenn der objektive Tatbestand mit Eventualvorsatz verwirklicht wird, wenn also der Täter zwar nicht weiß, aber doch damit rechnet, daß er falsches Geld in seine Verfügungsgewalt bringt 40 . 3. Versuch und Vollendung. Versuch (nach § 22 unmittelbares Ansetzen zum Sichverschaffen in der Absicht des Inverkehrbringens) beginnt mit der Bestellung beim lieferbereiten Fälscher oder Zwischenhändler oder mit dem Eintritt in Verhandlungen, die nach der Vorstellung des Täters zur sofortigen Überlassung von Falschgeld führen sollen (weitergehend Tröndle!Fischer Rdn. 7 a; enger SchlSchröderlStree 35

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AA Frister G A 1994 553, 559, der unter „SichVerschaflen" einen quasi-rechtsgeschäftlichen, entgeltlichen Erwerb des Falschgeldes verlangt. BGHSt. 3 154, 156; BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; RG H R R 1939 Nr. 1376. BGHSt 2 116; 3 154, 156; 42 162; BGH G A 1984 427; NJW 1995 1845, 1846; NStZ-RR 1997 198; RGSt. 59 79, 82; Rudolphi SK Rdn. 9; Puppe N K Rdn. 20; Wessels BT 1 Rdn. 902; Hefendehl Jura 1992 374, 379. So auch BGHSt. 35 21, 22; ferner BGH NStZRR 1997 198; 1 StR 610/78 v. 19.12.1978; 1 StR

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441/77 v. 13.9.1977; 3 StR 336/84 v. 29.8.1984; LG Gera NStZ-RR 1996 73 m. abl. Anm. S. Cramer NStZ 1997 84; SchlSchröderlStree Rdn. 15; Tröndle!Fischer Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 9; krit. Puppe N K Rdn. 21 f; NStZ 1998 460, 461. Vgl. BGHSt. 35 21, 24; 42 162, 168; BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; Rdn. 13, 15f. BGHSt. 2 116, 118; 35 21, 25; BGH N J W 1954 564; Tröndle!Fischer Rdn. 7a; Lackner/Kühl Rdn. 10; SchlSchröderlStree Rdn. 16; Puppe NK Rdn. 29; Rudolphi SK Rdn. 10.

Wolfgang Ruß

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§146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

Rdn. 19). Die Fahrt zum Übergabeort stellt noch keinen Beginn des Sichverschaffens dar (BGH 2 StR 60/85 vom 2.10.1984). Vollendet ist die (in der Absicht des Inverkehrbringens oder der Ermöglichung des Inverkehrbringens begangene) Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 mit dem Sichverschaffen. Unterbleibt das Inverkehrbringen, weil die Verbreitung der Falsifikate mißlingt oder weil der Täter nach dem Sichverschaffen seine ursprüngliche Absicht aufgibt, so vermag dies an der Tatvollendung nichts zu ändern (BGHSt. 34 108; Rdn. 18). Entsprechendes gilt, wenn ein vollendetes Inverkehrbringen deshalb ausscheidet, weil der vermeintliche Abnehmer ein verdeckter Ermittler oder Beamter des Kriminalamtes war 41 . Eine mehrfache Tatvollendung liegt vor, wenn derselbe Täter sich dieselben gefälschten Geldscheine mehrfach verschafft und entsprechend der zuvor bereits gefaßten Absicht erneut in Verkehr zu bringen sucht (BGHSt. 42 162, 168f; BGH NJW 1995 1845, 1846 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 498 f).

V. § 146 Abs. 1 Nr. 3 23

1. Der Tatbestand des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt, das der Täter in der Absicht, daß es als echt in Verkehr gebracht oder daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, durch Nachmachen oder Verfalschen gültigen Geldes hergestellt (§ 146 Abs. 1 Nr. 1) oder sich verschafft (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) hat, setzt, wie dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen ist, die volle Verwirklichung der Vorbereitungstatbestände des Nachmachens (Verfälschens) oder des Sichverschaffens voraus. Einen Qualifikationstatbestand erhält die Vorschrift nicht, an Einzelmerkmalen bietet sie nichts Neues 42 . Eine strafbegründende Bedeutung kommt ihr nur in geringem Umfang zu, so in Fällen, in denen der Täter die beim Fälschen oder Sichverschaffen vorhandene Verbreitungsabsicht aufgibt, sie aber später auf Grund eines neuen Entschlusses dennoch verwirklicht oder in Fällen, in denen der Täter nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Falschgeld aus dem alten Bestand in Umlauf setzt (Rdn. 3)43. - Zum Inverkehrbringen im übrigen ist auf die Erläuterungen unter Rdn. 12f zu verweisen. Danach wird falsches Geld in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, daß ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten (Fn. 23). Was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt, ist unerheblich. Entscheidend ist, daß er Verfügungsgewalt an dem Falschgeld erlangt (BGH N J W 1952 311, 312; StV 1998 379).

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Die Neufassung der Bestimmung des § 146 durch das EGStGB hat in nachhaltiger Weise die Streitfrage aufleben lassen, ob die Vorschrift ihrem Wortlaut nach die Verwirklichung der Absicht, der nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) zwei unterschiedliche Zielvorstellungen zu Grunde liegen können, nur in der Form des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt, nicht aber in der Form des Ermöglichens solchen Inverkehr41

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BGHSt. 34 108; BGH NStZ 1997 80; NStE § 146 StGB Nr. 3. Lackner/Kühl Rdn. 9; Puppe N K Rdn. 33; auch BGHSt. 44 62, 66f; aA Rudolphi SK Rdn. 11; Stein/Onusseit JuS 1980 104, 106f, die von einem besonderen persönlichen Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 2 ausgehen. BTDrucks. 7/1261 S. 13; BGHSt. 34 108, 110; 35 21, 27; Sehl Schröder!Stree Rdn. 23; Lack-

ner/Kühl Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Puppe N K Rdn. 31; Stree JuS 1978 236, 239; Wessels BT 1 Rdn. 908; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 9; aA Zieiinski JZ 1973 193, 195, der nur § 147 für anwendbar hält; ebenso Kienapfel JR 1987 425; Vorauf!. Rdn. 3, 23f.

Stand: 1. 5. 1999

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Geldfálschung

§146

bringens genügen läßt. Damit wurde unverständlicherweise eine sehr umstrittene Zweifelsfrage des früheren Rechts fortgeschleppt, die auch durch die erneuten Änderungen durch das 6. StrRG keine Klarstellung erfahren hat: Ist tatbestandsmäßig auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder an einen anderen „Eingeweihten", wenn sie der erste Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt ist (Rdn. 14 und vor § 146 Rdn. 2 und 3)? Die Frage ist vor allem für § 147 von Interesse und soll dort erörtert werden (§ 147 Rdn. 3). Hier soll nur als Ergebnis festgehalten werden: In den Fällen des § 146 Abs. 1 Nr. 3 wird vollzogen, was in den Fällen der Nr. 1 und der Nr. 2 dieser Vorschrift nur Zielvorstellung ist. Wie die Zielvorstellung der Ermöglichung des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt in ihrem Unrechtsgehalt mit der Zielvorstellung des Inverkehrbringens von Falschgeld als echtem Geld ausdrücklich gleichgesetzt worden ist, so ist die Ermöglichung des Inverkehrbringens dem Inverkehrbringen gleichzusetzen, auch wenn der Wortlaut des § 146 Abs. 1 Nr. 3 das nicht ausdrücklich besagt und deshalb für ein argumentum e contrario zu sprechen scheint 44 . 2. Der innere Tatbestand erfordert, daß der Täter vorsätzlich Falschgeld als echt in 2 5 Verkehr bringt oder ein solches Inverkehrbringen ermöglicht. Eventualvorsatz reicht aus (vgl. Stree JuS 1978 236, 238). Es genügt also, wenn der Täter damit rechnet, daß er durch seinen Verbreitungsakt einem Gutgläubigen eigene Verfügungsgewalt am Falschgeld verschafft (BGHSt. 27 255, 260; 35 21, 25 ff) oder damit, daß die Übergabe an einen Eingeweihten, der nicht nur sein Verteilungsgehilfe ist (Rdn. 20), den ersten Schritt zur Weiterleitung des Falschgeldes in die Verfügungsgewalt eines Arglosen bildet (Rdn. 16, 24). Da sich der (bedingte) Vorsatz auf alle Tatbestandsmerkmale erstrecken muß, muß der Täter auch davon ausgehen, daß die Beschaffenheit des falschen Stückes geeignet ist, im gewöhnlichen Verkehr einen Arglosen zu täuschen. Er muß es also für möglich halten und billigen, daß das Falsifikat im Verkehr für echt gehalten wird (BGH b. Daliinger M D R 1953 596). Nicht ausreichend wäre es daher, wenn sich das Täterverhalten darin erschöpfte, Scheiben zu vertreiben, die in ihrer Form und ihrem Gewicht bei Warenautomaten den Zweck echter Geldmünzen erfüllten, ohne daß ihnen der Schein echten Geldes anhaftet (BGH bei Daliinger M D R 1953 596). Er muß ferner im Bewußtsein handeln, daß er das Falschgeld, das er in Verkehr bringen will, unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat, wobei es nicht notwendig ist, daß er mit dem Inverkehrbringen gerade die Absicht verwirklicht, die der Erfüllung der Nummern 1 oder 2 diente, es vielmehr genügt, wenn die (zunächst aufgegebene) Absicht des Inverkehrbringens nach dem Fälschen oder Sichverschaffen auf Grund eines neuen Entschlusses verwirklicht wurde (Rdn. 3, 23). 3. Vollendung und Versuch. Die Tat nach Abs. 1 Nr. 3 ist vollendet, wenn ein Stück 2 6 des Falschgeldes in die Verfügungsgewalt eines anderen gelangt ist (vgl. BGH NJW 44

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Ebenso: BGHSt. 29 311, 312fT; 31 380, 382; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162; BGH bei Holtz M D R 1982 101 f; OLG Düsseldorf JR 1986 512; NJW 1995 1846; LacknerlKühl Rdn. 8 und § 147 Rdn. 2; TröndlelFischer § 147 Rdn. 2; Sehl Schröder/Stree Rdn. 22; Stree JuS 1978 236, 239 f; Keller JR 1986 513; Hefendehl Jura 1992 374, 378; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 676ff; Wessels BT 1 Rdn. 907; aA LG Kempten NJW 1979 225 m. Anm. Otto; OLG

Stuttgart NJW 1980 2089; Rudolphi SK Rdn. 12 fF; Puppe N K Rdn. 34 ff; Puppe JZ 1986 992, 993 f; 1991 609, 612; 1997 490, 499; Stein/Onusseit JuS 1980 104, 106; Jakobs JR 1988 121 f; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; Bartholme JA 1993 197, 200; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 11; vgl. auch MaurachlSchroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 23; Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 369 Rdn. 51.

Wolfgang Ruß

§146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

1995 1845, 1846). Wer durch einen Gehilfen verteilt, der eigene Verfügungsgewalt nicht erlangt (Rdn. 20), bringt das Falschgeld selbst und zwar in dem Augenblick in Verkehr, in welchem der Absatzgehilfe einem anderen Verfügungsgewalt verschafft. Entgegen BGHSt. 35 21, 25 (und auch SehlSchröder!S tree Rdn. 25) ist Tatbestandsvollendung noch nicht gegeben, wenn der Täter das Falschgeld lediglich aus seinem Gewahrsam entlassen hat. Der Umstand, daß weggeworfenes Falschgeld dem Zugriff Dritter ohne weiteres zugänglich ist und Finder in die Lage versetzt, mit ihm nach Belieben zu verfahren, reicht für die Vollendung des Tatbestandes nicht aus ( Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 675 f); insoweit kann allenfalls strafbarer Versuch in Betracht kommen (Rdn. 27). 27

Da es sich bei § 146 um ein Verbrechen handelt, ist der Versuch in allen Fallgestaltungen strafbar. Versuch liegt vor, wenn die Wirklichkeit hinter der Vorstellung des Täters zurückbleibt. Dies kann beim Inverkehrbringen der Fall sein, wenn derjenige, der über die Echtheit getäuscht werden sollte, das Falschgeld vor der Ubergabe zurückweist; Versuch liegt auch vor, wenn ein Automat die falsche Münze sofort wieder auswirft. Wird das Falschgeld an einen Scheinkäufer (verdeckter Ermittler oder V-Mann der Polizei) übergeben, gelangen die Falsifikate unmittelbar in amtlichen Gewahrsam, so daß eine Beeinträchtigung des Geldverkehrs nicht zu besorgen ist und insoweit nur Versuch gegeben ist (BGHSt. 34 108f; BGH NStE § 146 StGB Nr. 3; NStZ 1997 80). Ein versuchtes Inverkehrbringen liegt noch nicht vor bei einem nur wörtlichen Angebot der Lieferung von Falschgeld, das sich der Anbietende erst selbst noch von einem Hintermann beschaffen muß; indes ist Versuch anzunehmen, wenn der Täter in eigener Verfügungsgewalt befindliches, zur Ubergabe bereitgehaltenes Falschgeld dem potentiellen Abnehmer tatsächlich anbietet (BGH 1 StR 376/80 v. 5.8.1980, insoweit in BGHSt. 29 311 nicht abgedruckt) und dieser die Abnahme ablehnt (BGH NStZ 1986 548). Strafbarer Versuch wurde auch bejaht in den Fällen des Transportes von Falschgeld durch einen weisungsgebundenen Beauftragten (BGH 3 StR 336/84 v. 29.8.1984; vgl. ferner BGH NStE § 146 StGB Nr. 3). Nichts anderes kann gelten im Fall des Wegwerfens der Falsifikate, wenn diese dem Zugriff Dritter preisgegeben werden (aA BGHSt. 35 21, 25 m. krit. Anm. F.-Ch. Schroeder JZ 1987 1133; Bartholme JA 1993 197, 200; Rdn. 26). Geschieht das Wegwerfen gezielt, um einem annahmebereiten Dritten ein gefahrloses Ergreifen zu ermöglichen (Werfen aus dem fahrenden Zug), so beginnt der Versuch mit dem Wegwerfen und führt zur Vollendung mit dem Ergreifen des Objekts durch den Dritten.

VI. Verhältnis von § 146 Abs. 1 Nr. 1 , 2 zu Nr. 3 28

Gehen die Tatbestandsverwirklichungen des Nachmachens (Verfälschens) von echtem Geld oder des Sichverschaffens von falschem Geld in der Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens in die Verwirklichung der Absicht über, begeht also ein Täter, der sich bereits nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar gemacht hat, auch das Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3, so stellt das Inverkehrbringen falschen Geldes i. S. von § 146 Abs. Nr. 3 mit den vorausgegangenen strafbaren Handlungen des Verfälschens oder Sichverschaffens regelmäßig einen einheitlichen Verstoß gegen § 146 dar 45 . 45

BGHSt. 35 21, 27; 34.108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; 42 162, 168; BGH bei Holtz M D R 1982 101, 102; BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 4; BGH NStZ 1997 80; 5 StR 269/99 vom 12. 8. 1999; RGSt. 1 25; TröndlelFischer Rdn. 8;

Lackneri Kühl Κάτι. 9, 14; Rudolphi SK Rdn. 16; Sch/SchröderlStree Rdn. 26; Puppe N K Rdn. 45; Stree JuS 1978 236, 239; Zielinski JZ 1973 193, 195; Hefendehl Jura 1992 374, 379.

Stand: 1. 5. 1999

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Geldfálschung

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Für das Verhältnis der verschiedenen vom selben Täter begangenen Tatbestandsvarianten gelten dieselben Grundsätze wie zwischen dem Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung. Dies gilt auch dann, wenn der Täter das Falschgeld, das er durch eine Handlung produziert oder sich verschafft hat, in mehreren Einzelakten absetzt (BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 4 m. Anm. Puppe JZ 1997 499; RGSt. 1 25) oder umgekehrt, wenn er das Falschgeld, das er in mehreren Produktionsvorgängen hergestellt oder in mehreren selbständigen Tatbestandsverwirklichungen sich verschafft hat, durch eine Handlung in Verkehr bringt (BGH bei Holtz M D R 1982 101, 102)46. In allen diesen Fällen bilden die formell selbständigen Tatbestandshandlungen nach Nr. 1 und Nr. 2 mit dem Inverkehrbringen (Nr. 3) ein einheitliches Verbrechen der Geldfálschung. Nichts anderes hat zu gelten, wenn das Inverkehrbringen im Versuch stecken geblieben ist (BGHSt. 34 108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; BGH NStZ 1997 80). Die Verurteilung hat dann wegen eines vollendeten Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) zu erfolgen (vgl. ferner BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 2, 4). Hat dagegen der Täter, der ein Delikt nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 begangen hat, die Verbreitungsabsicht aufgegeben, später aber auf Grund eines neuen Entschlusses das Falschgeld doch in Verkehr gebracht, treffen § 146 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) und § 146 Abs. 1 Nr. 3 tatmehrheitlich zusammen 47 . Eine einheitliche strafbare Handlung ist ferner dann nicht anzunehmen, wenn ein Täter sich dieselben gefälschten Geldscheine mehrfach verschafft und sie im Anschluß daran - wie vorgeplant - jeweils erneut in Verkehr bringt (BGHSt. 42 162 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 499; ferner BGH NJW 1995 1845); in diesem Fall liegt Tatmehrheit vor.

VII. Täterschaft und Teilnahme, Rücktritt 1. Werden in einer Vorschrift drei unterschiedliche, selbständige Begehungsformen 2 9 strafbaren Verhaltens geregelt, so liegt Mittäterschaft nicht vor, wenn einer der Täter den zweiten, ein anderer den dritten Tatbestand verwirklicht. Für die Mittäterschaft ist ein gemeinschaftliches Mitwirken der Täter zur Begehung derselben strafbaren Handlung erforderlich, ein Mitwirken, das lediglich auf ein gleichartiges Tun gerichtet ist, genügt nicht (BGH bei Dallinger M D R 1971 16). Mittäterschaft im Falle des Sichverschaffens (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) setzt voraus, daß jeder Tatgenosse eigene (Mit-) Verfügungsgewalt erlangt (BGHSt. 44 62) 48 . Mittäter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 kann nur sein, wer bereits Mittäter des Deliktes nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 war (SehlSchröder!Stree Rdn. 27). In Fällen des § 146 Abs. 1 Nr. 2 kann infolgedessen derjenige, der beim Empfang, der Verwahrung oder dem Transport des Falschgeldes mitwirkt, ohne daß er eigene Verfügungsgewalt erlangt, nur wegen Beihilfe zum Sichverschaffen des Falschgeldes bestraft werden (BGHSt. 3 154, 155; 44 62, 65; Rdn. 20); wer in Befolgung der Dispositionen des Fälschers (oder desjenigen, der sich das Falschgeld verschafft hat) die Falsifikate als dessen Werkzeug verteilt, begeht Beihilfe zu einem Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 (sofern er die strafbegründenden

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LacknerlKühl Rdn. 14; Sehl Schröder/Stree Rdn. 26; Rudolphi SK Rdn. 16; aA Puppe N K Rdn. 46, die allerdings von Idealkonkurrenz ausgeht. BGHSt. 35 21, 27 m. krit. Anm. Jakobs JR 1988 121, 122; Seh!Schröder!Stree Rdn. 26; Lack-

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nerlKühl Rdn. 14; Rudolphi SK Rdn. 16; vgl. auch Puppe N K Rdn. 46; aA TröndlelFischer Rdn. 8; Voraufl. Rdn. 27. BGHSt. 3 154, 156; 35 21, 22; BGH G A 1984 427; NStZ-RR 1997 198; RGSt. 59 79, 82.

Wolfgang Ruß

§146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

Umstände auf Seiten des Täters kennt oder mit ihnen rechnet 49 ). Da Beihilfe bereits im Vorbereitungsstadium einer Tat geleistet werden kann, kann die Gehilfentätigkeit zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 bereits im Rahmen des Fälschens oder Sichverschaffens erbracht werden, wenn der Gehilfe das Erforderliche über die Absicht des Täters weiß und die Absicht realisiert wird (Jescheck/Weigend § 30 III 2, § 64 III 2 b). Selbst Täter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 ist (nach Erfüllung der Tatbestände von § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2), wer das Inverkehrbringen durch einen Absatzgehilfen besorgen läßt, der keine (Mit-)Verfügungsgewalt hat (BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Rdn. 26). Mißlingt das Inverkehrbringen, so daß es insoweit beim Versuch bleibt, und der Täter wegen eines vollendeten Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zu verurteilen ist (Rdn. 28), liegt bei dem nur am Absetzen beteiligten Gehilfen lediglich Beihilfe zur versuchten Geldfälschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 22, 27) vor; Beihilfe am vollendeten Delikt kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Gehilfentätigkeit auch auf die vorausgegangene Beschaffungshandlung bezogen hat (BGH NStZ 1997 80). Der (bisherige) Gehilfe beim Inverkehrbringen wird zum Täter, wenn er die Rolle des Transport- oder Verteilungsgehilfen aufgibt, sich eigene Verfügungsgewalt anmaßt und das sich somit verschaffte Falschgeld selbständig in Verkehr bringt (BGHSt. 3 154, 156; 44 62, 64; Rdn. 20). 30

2. Rücktritt. Tritt der Täter strafbefreiend von einem Versuch nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 zurück, so bleibt er doch nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar. Der strafbefreiende Rücktritt von einem Versuch nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 kann den Täter, der sich nach § 30 oder nach § 149 Abs. 1 strafbar gemacht hat, nicht vor einer Bestrafung nach diesen Vorschriften bewahren, wenn nicht auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 31 oder § 149 Abs. 2 (Abs. 3) gegeben sind (Rudolphi SK Rdn. 17; Tröndle!Fischer Rdn. 8).

VIII. Gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln (Absatz 2) 31

Der durch das 6. StrRG neu eingefügte Absatz 2 (vgl. vor § 146 Rdn. 1) enthält eine Qualifikationsregelung, die eine strengere Bestrafung der in Absatz 1 beschriebenen Geldfälschungsdelikte vorsieht, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden hat. Was die Tatbestandsmerkmale „gewerbsmäßig" und „Mitglied einer Bande" angeht, kann auf die Erläuterungen zu § 243 (Rdn. 21), § 244 (Rdn. 11 bis 12a) und § 260 (Rdn. 1 bis 3) verwiesen werden.

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1. Bei der Gewerbsmäßigkeit handelt es sich um ein persönliches Merkmal mit strafschärfender Konsequenz; auf Tatbeteiligte ist daher § 28 Abs. 2 anzuwenden, d. h. ein Tatteilnehmer ist nach der Vorschrift des § 146 Abs. 1 zu bestrafen, wenn bei ihm der qualifizierende Grund nicht vorliegt, wenn also nicht auch er seinerseits gewerbsmäßig gehandelt hat. Gewerbsmäßig handelt, wer aus der Wiederholung von Geldfälschungshandlungen der in Absatz 1 beschriebenen Art einen fortgesetzten, auf unbestimmte Zeit vorgesehenen Gewinn erzielen und sich so eine fortlaufende Einnahmequelle mindestens von einiger Dauer verschaffen will (vgl. BGH NStZ 1995 85). Nicht erforderlich ist, daß der Täter vorhat, aus seinem Tun ein kriminelles 49

BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Tröndlel Fischer Rdn. 10; Sehl Schröder! Stree Rdn. 27; Zielinski JZ 1973 197; unzutreffend daher

BTDrucks. 7/550 S. 227, wonach in einem solchen Fall Täterschaft nach § 147 vorliegen soll.

Stand: 1. 5. 1999

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Geldfálschung

§146

Gewerbe zu machen (BGH NStZ 1994 193 f) oder daß sich die Gewinnerwartung realisiert; es reicht aus, wenn er die entsprechende Absicht hat. Nicht ausreichend ist, daß der Täter lediglich seines Vorteils wegen handelt, andererseits kann schon eine einmalige Fälschungshandlung genügen, wenn der Täter beabsichtigt, sich fürderhin eine Einnahmequelle zu schaffen. 2. Der Grund für die Qualifikation bei der Bande liegt in der erhöhten Gefahr, die 3 3 sich aus der Bandenbildung für das geschützte Rechtsgut ergibt; von ihr werden vor allem auch Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität erfaßt. Auszugehen ist vom Begriff der Bande, wie er in § 244 Abs. 1 Nr. 2 und in § 260 Abs. 1 Nr. 2 sowie beim bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verwandt wird (vgl. BGHSt. 38 26; BGH NStZ 1995 85; NStZ-RR 1999 152). Nach der Rechtsprechung ist für die Annahme einer Bande ausreichend, wenn sich mindestens zwei Personen zur fortgesetzten Begehung der in Betracht kommenden Straftaten verbunden haben. Dabei können von den beiden Mitgliedern der Bande jeweils verschiedene Tatbestandsvarianten begangen werden, z. B. kann sich ein Mitglied als Fälscher betätigen, das andere als Absetzer 50 . Nach dem Wortlaut der Bestimmung kommt es anders als im Fall des § 244 Abs. 1 Nr. 2 - nicht darauf an, daß mehrere Bandenmitglieder am Tatort mitwirken. Eine Bande liegt vor, wenn die Bandenmitglieder sich durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung zur Begehung mehrerer selbständiger, im einzelnen noch ungewisser Taten der in Absatz 1 erwähnten Art verbunden haben (vgl. BGH StV 1996 547 m. Anm. Miehe StV 1997 247; BGH NJW 1998 2913f; NStZ-RR 1999 152). Voraussetzung dafür ist nicht eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung solcher Delikte und auch nicht die Bildung einer festgefügten Organisation wie etwa bei § 129; es genügt die allgemeine Verbrechensabrede zwischen den Beteiligten, in Zukunft selbständige, im einzelnen noch unbestimmte Geldfälschungsdelikte zu begehen (vgl. BGHSt. 42 255, 257 ff; BGH NStZ 1995 85), ohne daß es einer gewissen Regelmäßigkeit oder der Absprache einer zeitlichen Dauer der zu begehenden Straftaten bedarf. Bloßes mittäterschaftliches Zusammenwirken reicht jedoch nicht aus; bandenmäßiges Handeln stellt eine gegenüber der Mittäterschaft gesteigerte Zusammenarbeit dar. Erforderlich ist, daß dem Handeln der Bandenmitglieder ein gemeinsames übergeordnetes Bandeninteresse zugrunde liegt (vgl. BGH NStZ 1998 255, 256; NStZ-RR 1999 152; BGH 4 StR 711/98 v. 11.2.1999). Das Gesetzesmerkmal „zur fortgesetzten Begehung" ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der „fortgesetzten Handlung" im Sinne der früheren Rechtsprechung. Der Zusammenschluß der Bande muß sich auf mehrere rechtlich selbständige Taten beziehen. Deshalb müßte die Annahme einer Bandenfälschung i. S. von § 146 Abs. 2 ausscheiden, wenn sich die Beteiligten lediglich zu einer einzelnen Tat verbunden haben.

IX. Strafe Bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG vom 26.1.1998 war die Geldfálschung im Regelfall gemäß § 146 Abs. 1 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedroht; für minder schwere Fälle war in § 146 Abs. 2 a. F. Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. Der strengen Strafdrohung für die Regelfalle in Absatz 1 stand 50

(83)

Hinsichtlich der kriminologischen Berechtigung dieser Rechtsprechung können durchaus Zweifel

angebracht werden: vgl. TröndlelFischer 10 a; § 244 Rdn. 11.

Wolfgang Ruß

Rdn.

34

§ 146

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

ein ausgesprochen milder Strafrahmen in Absatz 2 gegenüber. Die durch das 6. StrRG bei § 146 herbeigeführten Änderungen haben eine Harmonisierung auf der Rechtsfolgenseite zum Ziel (BTDrucks. 13/8587 S. 29): Das Mindestmaß der Strafdrohung für den Regelfall des Grundtatbestandes (Absatz 1) ist auf ein Jahr herabgesetzt, für minder schwere Fälle des Absatzes 1 ist ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen (§ 146 Abs. 3 erste Alternative). Geldstrafe ist für minder schwere Fälle nicht mehr angedroht, sie kann jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des §47 Abs. 2 verhängt werden; ihr Mindestmaß beträgt dann 90 Tagessätze. Für den neu eingeführten Qualifikationstatbestand (Absatz 2: Gewerbsmäßiges Handeln oder Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfalschung verbunden hat) sieht die Neufassung als Mindestmaß Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor. Für die Fälle der Gewerbsmäßigkeit und das bandenmäßige Handeln beträgt der für minder schwere Fälle vorgesehene Strafrahmen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren (§ 146 Abs. 3 zweite Alternative). 35

X. Konkurrenzfragen. § 146 verdrängt als lex specialis § 267 (BGHSt. 23 231; 27 255, 258; vor § 146 Rdn. 7). Tateinheit ist möglich mit Automatendiebstahl (BGH M D R 1952 563 m. Anm. Dreher; BGH bei Daliinger M D R 1953 596) und mit Betrug 51 . Das Sich verschaffen kann tateinheitlich mit Straftaten zusammentreffen, die begangen werden, um Verfügungsgewalt an Falschgeld zu erlangen, also z.B. mit Erpressung, Diebstahl, Unterschlagung (SehlSchröderIStree Rdn. 29).

36

XI. Recht des Einigungsvertrages. In der ehemaligen D D R war die Fälschung von Geldzeichen in § 174 StGB-DDR mit Strafe bedroht. Den Geldzeichen waren Postwertzeichen, Freistempelabdrucke und internationale Antwortscheine gleichgestellt (§174 Abs. 5 StGB-DDR). Schecks, Wechsel oder Wertpapiere anderer Art fielen nicht unter die Vorschrift. In Absatz 1 war das Nachmachen von Noten oder Münzen der Währung der D D R (oder fremder Währungen), um sie als echt zu verwenden, geregelt und mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bedroht. Nach § 174 Abs. 2 StGB-DDR wurde ebenso bestraft, wer in Verwendungsabsicht echten Geldscheinen durch Verfälschung den Anschein eines höheren Wertes gab, wer (ebenfalls in der Absicht, sie als noch gültig zu verwenden) aus dem Umlauf gezogenen Geldzeichen durch Verfälschung den Anschein der Gültigkeit gab und wer sich nachgemachte oder verfälschte Geldzeichen beschaffte (oder einführte), um sie als echt höherwertig oder gültig zu verwenden. Die Fälschung galt als vollendet, wenn die Tätigkeit des Nachmachens aufgenommen wurde; auf die Fertigstellung des Falsifikates und die Realisierung der beabsichtigten Verwendung kam es nicht an. Versuch, der in allen Fällen für strafbar erklärt wurde (§ 174 Abs. 4 StGB-DDR), war daher nur in Ausnahmefallen gegeben. Schwere Fälle der Geldzeichenfalschung waren mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bedroht. Als schwerer Fall wurde in § 174 Abs. 3 StGB-DDR bezeichnet, „wenn eine erhebliche Gefahrdung des Geldverkehrs eintritt, insbesondere wenn wegen der Tat bestimmte Geldzeichen aus dem Verkehr gezogen werden müssen".

51

RGSt. 60 316; BGHSt. 3 154, 156; 31 380, 381 m. Anm. Kienapfel JR 1984 162; O L G Schleswig NJW 1963 1560, 1561; Tröndle! Fischer Rdn. 12;

Sch/Schröder/Stree Rdn. 29; LacknerlKühl Rdn. 15; aA Rudolphi SK Rdn. 19; vgl. auch Puppe N K Rdn. 48; Stein!Onusseit JuS 1980 104.

Stand: 1. 5. 1999

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Inverkehrbringen von Falschgeld

§147

§147

Inverkehrbringen von Falschgeld (1) Wer, abgesehen von den Fällen des § 146, falsches Geld als echt in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Siehe die Angaben zu § 146 und vor § 146.

I. Allgemeines Die Vorschrift entspricht der Fassung, die sie durch Art. 19 Nr. 59 EGStGB erfah- 1 ren hat. Sie erfaßt das vorsätzliche Inverkehrbringen von falschem Geld als echt, wenn § 146 Abs. 1 Nr. 3 aus Rechtsgründen oder weil dessen Tatbestandsmerkmale nicht nachgewiesen werden können, keine Anwendung findet1. Infolgedessen ist § 147 anzuwenden, wenn derjenige, der falsches Geld als echt in Verkehr bringt, weder als (Mit-)Täter einer vollendeten oder versuchten Straftat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 noch als Teilnehmer an einer solchen Straftat angesehen werden kann. Hierunter fallen also die Fälle, in denen der Täter beim Nachmachen (Verfälschen) oder beim bösgläubigen Sichverschaffen nicht die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens hatte, ferner die Fälle, in denen er das Falschgeld gutgläubig (in der Vorstellung es sei echt) erlangt hatte, sowie die Fälle, in denen der Täter zwar Absatzhilfe zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 geleistet hatte, dabei aber nicht wußte und auch nicht damit rechnete, daß der „Geschäftsherr" das falsche Geld in der Absicht des Inverkehrbringens hergestellt oder sich verschafft hatte (BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; JescheckiWeigend § 30 III 2), und der Täter auch keine eigene, in Verbreitungsabsicht gewonnene (Mit-)Verfügungsgewalt erlangt hatte (§ 146 Rdn. 29). - Die Vorschrift, die in § 6 Nr. 7 nicht aufgeführt ist, gilt nur für Inlandstaten (vor § 146 Rdn. 8).

II. Qbjektiver Tatbestand 1. Falsches Geld: Insoweit kann auf die Erläuterungen zu § 146 (Rdn. 4-5) verwiesen werden. 2. Inverkehrbringen von falschem Geld als echt. Zum Inverkehrbringen des Falsch- 2 geldes ist zunächst ebenfalls auf die Erläuterungen zu § 146 (Rdn. 12f, 23f) zu verweisen. Danach wird falsches Geld in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, daß ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten (vgl. § 146 Fn. 23). Es ist gleichgültig, was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt. Unter dem Gesichtspunkt des Inverkehrbringens kommt es nur darauf an, daß er Verfügungsgewalt an dem Falschgeld erlangt (BGH NJW 1952 311, 312; BGHSt. 44 62f). Als echt ist das Falschgeld in Verkehr gebracht, sobald es 1

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Vgl. BGHSt. 29 311, 312; ferner LacknerlKühl Rdn. 1; Sch.l Schröder! S tree Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 3f; Puppe NK Rdn. 20. Wolfgang Ruß

§147

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

in die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt ist. Arglos ist derjenige, der das falsche Geld in der Vorstellung, es als gültiges Zahlungsmittel weitergeben zu können, an sich nimmt, der also über die Echtheit, wenn auch nur im Augenblick der Gewahrsamserlangung, getäuscht wird (RGSt. 67 167; BGHSt. 1 143, 144; § 146 Rdn. 14). Die wiederholt berührte Frage (vor § 146 Rdn. 3; § 146 Rdn. 24), ob auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder einen anderen Eingeweihten mit eigener Verfügungsgewalt der Tatbestandsbeschreibung wenigstens dann genügt, wenn das falsche Geld von da aus seinen Weg zu Gutgläubigen nehmen soll, wurde vom Gesetzgeber für § 146 Abs. 1 Nr. 1 und § 146 Abs. 1 Nr. 2 gelöst, indem das Ermöglichen des Inverkehrbringens neben dem Inverkehrbringen in den Wortlaut aufgenommen wurde. Keine Ergänzung hat der Wortlaut des § 146 Abs. 1 Nr. 3 und des § 147 erfahren, doch ist die Frage auch für diese Vorschriften zu bejahen (§ 146 Rdn. 24): Die Weitergabe von Falschgeld an einen Zwischenhändler oder an einen anderen Eingeweihten (Bösgläubigen) verwirklicht den Tatbestand, wenn der Täter will oder auch nur damit rechnet, daß der Empfänger es unmittelbar oder über Dritte an Gutgläubige gelangen läßt 2 . Die Gegenmeinung 3 beruft sich für ihre engere Auslegung, nach der die Weitergabe an einen Eingeweihten kein Inverkehrbringen als echt darstelle, vor allem auf den unterschiedlichen Gesetzeswortlaut in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 einerseits und in §§ 147, 146 Abs. 1 Nr. 3 andererseits und erblickt in der weiten Auslegung einen Verstoß gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 G G (vgl. nur Rudolphi SK § 146 Rdn. 12). 3

Dieser nicht als gering einzustufende Vorwurf verliert indes an Gewicht, wenn man die Entstehungsgeschichte der durch das EGStGB herbeigeführten unterschiedlichen Gesetzesfassung berücksichtigt 4 : In einem Entwurf des EGStGB sollte jedes Uberlassen von Falschgeld an einen Eingeweihten vom Tatbestand des § 146 Abs. 1 Nr. 2, also als Verbrechen, miterfaßt sein (BTDrucks. 7/550 S. 17). Im Laufe der weiteren Gesetzesberatung wurde vom Sonderausschuß diese in § 146 Abs. 1 Nr. 2 vorgesehene Regelung, daß jemand „falsches Geld in dieser Absicht ... einem anderen überläßt", gestrichen, weil man der Meinung war, daß sonst Tathandlungen erfaßt würden, die keinen Verbrechenstatbestand rechtfertigen. In BTDrucks. 7/1261 S. 13 heißt es dazu: „Die Abschiebung von als echt empfangenem Falschgeld, heute noch in § 148 StGB besonders privilegiert, soll künftig unter den Vergehenstatbestand des § 147 fallen. Wenig folgerichtig wäre es, denjenigen als Verbrecher zu bestrafen, der den als echt empfangenen Geldschein nicht selbst wieder in Umlauf gibt, sondern ihn einem Angehörigen oder Bekannten überläßt, damit dieser ihn abschiebt. Beide Fälle sind gleichzubehandeln." Diese Überlegung allein war Grund und Zweck der Streichung, nicht etwa eine tatbestandliche Regelung dessen, was unter Inverkehrbringen zu verstehen sein soll. Wenn der Gesetzgeber es im Anschluß hieran versäumt hat, auch den Wortlaut der §§ 147, 146 Abs. 1 Nr. 3 mit seiner nicht in Zweifel gezogenen Absicht, die in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 zum Ausdruck gebrachte Gleichstellung von Inverkehrbringen als echt und dem Ermöglichen eines solchen Inverkehrbringens, 2

3

Lackner/Kühl Rdn. 2 und § 146 Rdn. 8; Sehl SchröderlStree Rdn. 5 und § 146 Rdn. 22; Stree JuS 1978 236, 239 f; Keller JR 1986 513; Hefendehl Jura 1992 374, 378; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 933, 937; Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 676 f. Rudolphi SK § 146 Rdn. 12f; Puppe N K Rdn. 12 und § 146 Rdn. 34ff; MaurachlSchroeder! Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 23; Otto Grundkurs

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Strafrecht BT § 75 Rdn. 11; Otto N J W 1979 226; JR 1981 82f; Puppe JZ 1986 992, 993f; 1991 609, 612; SteinlOnusseit JuS 1980 104; Jakobs JR 1988 121 f; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; Bartholme JA 1993 197, 200; Hühner in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 369 Rdn. 51. Vgl. vor allem Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 677 f; Lackneri Kühl Rdn. 2; Sehl Schröder IStree § 146 Rdn. 22.

Stand: 1. 5. 1999

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Inverkehrbringen von Falschgeld

§147

ausdrücklich in Einklang zu bringen, so vermag dies am gesetzgeberischen Willen und auch am Sinn des Gesetzes nichts zu ändernd Es wäre unverständlich, wenn nicht der in § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) auf die Absicht der Rechtsgutsgefährdung reduzierte Handlungsunwert (§ 146 Rdn. 1 f) nicht sozusagen spiegelbildlich in den „Vollzugstatbeständen" (§ 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147) widerkehrt, weil in ihren Tathandlungen die Realisierung der Absichtsform der Ermöglichung des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt keinen Ausdruck gefunden hat. Hinzu kommt die Überlegung, daß - bei nicht ausdrücklich entgegenstehendem 4 Wortlaut - die Vorschriften, die eine bestimmte Materie regeln, sachlich übereinstimmend interpretiert werden sollten und daß im Zweifelsfall diejenige Auslegung den Vorzug verdient, die Wertungswidersprüche vermeidet. Die erste dieser Überlegungen spricht dafür, aus der Anerkennung von zwei Absichtsformen in § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) die Folgerung zu ziehen, daß auch die in Betracht kommenden Verwirklichungshandlungen (das unmittelbare und das mittelbare Inverkehrbringen von falschem Geld als echt) als mögliche und gleichgeordnete Verbreitungsakte anzusehen sind. Die zweite dieser Überlegungen kommt bei der Betrachtung der Ergebnisse ins Spiel, die sich aus der Auffassung ergeben, der Täter verwirkliche den Tatbestand nur, wenn er das Falschgeld unter Täuschung über seine Echtheit einem Gutgläubigen überlasse: Wer falsches Geld, das er als echtes empfangen hat, an einen Arglosen abschiebt, wäre Täter nach § 147 Abs. 1, wer aber nicht unmittelbar Arglose prellen, sondern sich Mittelsmänner bedienen würde, wäre entweder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) am Verbrechen des Absatzvermittlers mit eigener Verfügungsgewalt (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3) oder am Vergehen (§ 147 Abs. 1) des ohne eigene Verfügungsgewalt agierenden Absatzvermittlers, es sei denn, er hätte die Tatherrschaft. Dann wäre er selbst Täter, der Absatzgehilfe Teilnehmer 5 . In allen diesen Fällen ist nach ihrem Handlungs- und Erfolgsunwert bei abstrakter Betrachtung der Strafwürdigkeit nichts zu ersehen, was das Abschieben über einen Mittelsmann einerseits als schwerer, andererseits als leichter gegenüber dem direkten Weiterleiten von Falschgeld an Gutgläubige erscheinen ließe, und infolgedessen auch billigenswert, zur einheitlichen Anwendung des § 147 Abs. 1 dadurch zu kommen, daß in der Überlassung von Falschgeld an Eingeweihte zur Weiterleitung an Gutgläubige ein Inverkehrbringen des falschen Geldes als echt gesehen wird. Die Rechtsprechung, die zum früheren Recht unter einem Inverkehrbringen als echt 5 nur die Weitergabe an Gutgläubige verstanden hat (BGHSt. 1 143)6, hat sich auch zu dieser Auffassung bekannt. Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt. 29 311 entschieden, daß auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder anderen Eingeweihten jedenfalls dann unter den Tatbestand des § 147 (und des § 146 Abs. 1 Nr. 3) falle, wenn sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt darstelle. Er hebt in dieser Entscheidung zunächst auf den Wortlaut der Vorschrift (§ 147) ab und betont, daß von daher gesehen auch derjenige Geld als echt in Verkehr bringen kann, der sich eines eingeweihten Mittelsmannes bedient. Der unterschiedlichen Regelung in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 einerseits und in § 146 Abs. 1 Nr. 3, § 147 andererseits mißt die Entscheidung unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte durch das 5

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Vgl. dazu LacknerlKühl Rdn. 2: SchlSchröderl Stree Rdn 5; TröndlelFischer Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 6f; Puppe N K Rdn. 3, 13ff; ferner Wessels Bockelmann-Festschrift S. 669, 678 ff; Stree JuS 1978 236, 239 f; Otto N J W 1979 226; JR 1981 82, 85.

6

So auch LG Kempten NJW 1979 225 m. Anm. Otto und OLG Stuttgart NJW 1980 2089 m. Anm. Otto für den Rechtszustand nach Inkrafttreten des EGStGB.

Wolfgang Ruß

§148

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

EGStGB nicht die Bedeutung bei, die es rechtfertigen könnte, bei der Auslegung den Gegenschluß zu ziehen. Sie hebt insbesondere darauf ab, daß der Gesetzgeber des EGStGB an der Begriffsbestimmung der Rechtsprechung zum früheren Recht 7 , wonach unter Inverkehrbringen jeder Vorgang zu verstehen sei, durch den ein Täter das Falschgeld in der Weise aus seinem Gewahrsam entlasse, daß ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt werde, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und mit ihm nach seinem Belieben umzugehen, nichts habe ändern, insbesondere den Begriff nicht habe einschränken wollen, sondern nur aus Gründen der Klarstellung und mit dem Ziel, mögliche Lücken zu schließen, das subjektive Merkmal der Ermöglichung des Inverkehrbringens in den Text des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 aufgenommen habe. Hieran hat die Rechtsprechung auch in der Folgezeit festgehalten 8 . Der Gesetzgeber des 6. StrRG sah sich nicht veranlaßt, diese Auffassung der Rechtsprechung und eines großen Teils des Schrifttums im gegenteiligen Sinn zu ändern oder zu korrigieren. 6

III. Innerer Tatbestand. Der Täter muß vorsätzlich handeln, Eventualvorsatz genügt. Er muß also wissen oder damit rechnen, daß er falsches Geld aus seinem Gewahrsam gibt. Er muß wollen oder damit rechnen, daß ein anderer in der Annahme, es sei echt, Verfügungsgewalt an diesem Falschgeld erlangt und zwar durch direkte Weiterleitung an ihn oder auf dem Umweg über Zwischenhändler oder Absatzhelfer.

7

IV. Für Fragen zu Vollendung und Versuch gelten sinngemäß die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 26, da der Versuch nach Absatz 2 strafbar ist.

8

V. Täterschaft und Teilnahme. Hier gelten die allgemeinen Regeln. Doch gilt eine Besonderheit für die Fälle der Weitergabe des Falschgeldes an einen Bösgläubigen. Es liefe der Einstufung des bloßen Inverkehrbringens von Falschgeld als Vergehen zuwider, wenn der Täter auch wegen Teilnahme an dessen Straftat (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3) bestraft würde 9 . Der Bösgläubige (mit und ohne Verbreitungsabsicht) und der Gutgläubige sind einerseits gleichermaßen geeignete und andererseits - unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit des Täters - auf gleicher Stufe stehende Empfänger. Im Falle des Gutgläubigen hat der Täter sogar schon getan, was der Bösgläubige erst tun muß: Falschgeld in die Hände eines Arglosen gelangen lassen. Die Teilnahme an der Tat des bösgläubigen Empfängers hat daher zurückzutreten.

§148

Wertzeichenfälschung (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. amtliche Wertzeichen in der Absicht nachmacht, daß sie als echt verwendet oder in Verkehr gebracht werden oder daß ein solches Verwenden oder Inverkehrbringen ermöglicht werde, oder amtliche Wertzeichen in dieser Absicht so verfälscht, daß der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird, 7

8

BGHSt. 1 143, 144; 27 255, 259; BGH NJW 1952 31 l f ; M DR 1952 563; RGSt. 67 167, 168. Vgl. BGHSt. 31 380, 382; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162, 168; BGH bei Holtz M DR 1982 101 f; O L G Düsseldorf JR 1986 512; N J W 1995 1846.

9

BGH bei Holtz M D R 1982 101, 102; BGHSt. 29 311, 315; SchlSchröder/Stree Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 6; Wessels Bockelmann-Festscnrift S. 669, 679 f; Wessels/ Hettinger BT 1 Rdn. 937; Stree JuS 1978 236, 240; vgl. auch Puppe N K Rdn. 3.

Stand: 1. 5. 1999

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Wertzeichenfálschung

§148

2. falsche amtliche Wertzeichen in dieser Absicht sich verschafft oder 3. falsche amtliche Wertzeichen als echt verwendet, feilhält oder in Verkehr bringt. (2) Wer bereits verwendete amtliche Wertzeichen, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist, als gültig verwendet oder in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum Bartholme Geld-, Wertzeichenfálschung und verwandte Delikte, JA 1993 197; Bohnert Briefmarkenfälschung, NJW 1998 2879; Gerold Schmidt Probleme der Wertzeichenfálschung, GA 1966 328; Zielinski Geld- und Wertzeichenfálschung nach dem Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, JZ 1973 193; - vgl. ferner die Schrifttumsangaben zu § 146 und vor §146.

I. Allgemeines 1. Schutzobjekt der durch Art. 19 Nr. 59 EGStGB geschaffenen Vorschrift ist das 1 Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Funktionsfahigkeit des Rechtsverkehrs mit amtlichen Wertzeichen (BGHSt. 31 380, 381; vor § 146 Rdn. 6) 1 . Der Absatz 1 der Vorschrift ist der Geldfälschung des § 146 nachgebildet, in Absatz 2 ist die Wiederverwendung oder das Inverkehrbringen amtlicher Wertzeichen nach Beseitigung des Entwertungszeichens geregelt. Der Versuch ist nach Absatz 3 strafbar. Wertzeichen fremder Währungsgebiete werden von § 152 in den Strafschutz einbezogen, doch gilt § 148 nicht für im Ausland begangene Taten (§ 6 Nr. 7). 2. Die Parallelisierung von Geld- und Wertzeichenfälschung. § 148 ist das Ergebnis 1 3 einer Rechtsbereinigung, die Vorschriften zusammenfaßte, die im Strafgesetzbuch (§§275, 276 a.F.) und in Nebengesetzen (§ 399 AbgO a.F.; § 1432 RVO a.F.; § 154 AVG a.F.) das Anfertigen von unechten oder das Verfalschen von echten Stempelmarken, Postwertzeichen, Steuerzeichen, Beitragsmarken zur Sozialversicherung und bestimmten anderen Wertzeichen in der Absicht, sie (zu einem höheren Wert) als echt zu verwenden, das Gebrauchmachen von solchen unechten oder verfälschten Wertzeichen und ihre Wiederverwendung unter Strafe stellten. Jede dieser früheren Regelungen war fragmentarisch, auf gewisse Schutzobjekte beschränkt. Die Tathandlungen wiesen Unterschiede auf, die Strafdrohungen differierten. Mit § 148 ist an die Stelle schwerfälliger Aufzählungen (vgl. §§ 275, 276 a. F.) oder spezieller Rechtsgutsobjekte (wie „Steuerzeichen") der offene Sammelbegriff „amtliches Wertzeichen" getreten. Mit ihm sind nicht nur alle gegenwärtigen und zukünftigen Gebilde der Bundesrepublik und fremder Währungsgebiete (§ 152), auf die er zutrifft, für die Zeit, in der sie als „gültig" existieren, zu Schutzobjekten geworden. Er hat es auch ermöglicht, die einer Systematik entbehrenden Einzelregelungen des früheren Rechts in ein elegantes Schema zu bringen: In Akzentuierung seiner Eigenschaft, Verkörperung eines Geldwerts zu sein, ist das amtliche Wertzeichen in seiner strafrechtlichen Rolle 1

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TröndleiFischer Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Sch/Schröder/Stree Rdn. 1; RudolphiSK Rdn. 1; Bartholme JA 1993 197; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 76 Rdn. 1; krit. hierzu Puppe N K Rdn. 6fF; Zielinski JZ 1973 193; Maurachl

SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 5: Geschützt nur Beweisgewähr oder sogar bloße staatliche Vermögensinteressen; in diesem Sinne auch Rudolphi SK vor § 146 Rdn. 1.

Wolfgang Ruß

§148

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

zum Quasigeld geworden.· Geldfalschung und Wertzeichenfälschung haben in den Tathandlungen und im tatbestandlichen Aufbau (§ 146 Abs. 1, § 147 einerseits, § 148 Abs. 1 andererseits), in der Vorverlegung und der Stufenreihe des strafrechtlichen Schutzes (§ 149 Rdn. 2) und in der Einbeziehung des versuchten Sichverschaffens von Falsifikaten in der Absicht des Inverkehrbringens in den Bereich des Strafbaren (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 einerseits, § 148 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 andererseits) eine Parallelisierung erfahren, die ignoriert, daß Wertzeichen nichts aufweisen, was der überragenden Bedeutung der Umlauffunktion des Geldes, die „Vermögen auf leichteste Weise transferierbar" macht, auch nur annähernd entspräche" 2 .

II. Amtliche Wertzeichen 2

1. Merkmale. Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft, einer anderen Körperschaft oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Stempel-Wertabdrucke, Marken und ähnliche Zeichen, welche (häufig sich wiederholende) Zahlungen gleicher Art (insbesondere von Gebühren, Steuern, Abgaben und Beiträgen) vereinfachen (formalisieren) oder sicherstellen und kenntlich machen (nachweisen) sollen (BGHSt. 32 68, 75 f) 3 · Es liegt in der Funktion von Wertzeichen, daß sie Verkörperungen eines bestimmten Geldwertes sind (RGSt. 24 111, 112; 62 203, 205) und in dem Sinne öffentlichen Glauben genießen, daß sie im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung den ihnen zugedachten Beweis für und gegen jedermann erbringen (BGHSt. 32 68, 76) 4 . Beispiele für Wertzeichen: Briefmarken (RGSt. 17 395, 396; 24 111, 114; KG JR 1966 307; dazu ferner Bohnert NJW 1998 2879); Postkarten mit eingedruckter Marke; Freistempelabdrucke; Gerichtskostenmarken (RGSt. 59 321, 323; BGH LM StGB § 263 Nr. 10); Verwaltungsgebührenmarken (RGSt. 63 380, 381; BGHSt. 3 289, 292); Steuerzeichen für Tabaksteuer, also ζ. B. Banderolen an Zigarettenpackungen (RGSt. 56 275; 62 203, 204); Wechselsteuer und Börsenumsatzsteuer (Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp- AO § 369 Rdn. 41); Beitragsmarken zur Sozialversicherung (RGSt. 23 339, 340; BGHSt. 32 68, 76). Ob ausländische Zeichen der verlangten Qualität entsprechen, ist dabei nach ausländischem Recht zu beurteilen (vgl. BGHSt. 32 68, 76; § 152 Rdn. 2).

3

2. Gültige amtliche Wertzeichen sind das Schutzobjekt des § 148 Abs. 1, nicht private (RGSt. 48 278) oder amtliche, die außer Kurs gesetzt, verfallen oder entwertet sind und damit die Geldwerteigenschaft (Rdn. 2) verloren haben (BGHSt. 31 380, 382 m. Anm. Kienapfel JR 1984 162)5. Wie im Falle außer Kurs gesetzten Geldes tritt der Verlust auch bei aus dem Verkehr gezogenen Wertzeichen, die umgetauscht werden können, erst mit dem Ablauf der Umtauschfrist ein (RG JW 1925 262 Nr. 6; Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 41; aA Puppe N K Rdn. 13). Für ungültige Postwertzeichen gilt nichts Besonderes. Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 PostG ordnungswidrig handelt, wer ein für ungültig erklärtes in- oder ausländisches

2

3

4

Vor § 146 Rdn. 6; ferner Rudolphi SK vor § 146 Rdn. 1; Puppe NK Rdn. 1 f, 8; Zielinski JZ 1973 193; MaurachlSchroederl Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 4; vgl. auch G. Schmidt GA 1966 328, 330. RGSt. 23 339, 340; 57 286, 287; 59 321, 323; 63 380, 381. Sehl Schröder! Stree Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 2; LacknerlKühl Rdn. 2; Puppe NK Rdn. 9;

5

Rudolphi SK Rdn. 2: Barlholme JA 1993 197, 201; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 944; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 76 Rdn. 2. RG JW 1925 262 Nr. 6; KG JR 1966 307; LacknerlKühl Rdn. 2; Sehl Schröder IStree Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 3; Puppe NK Rdn. 12, 14; TröndlelFischer Rdn. 2; Bartholme JA 1993 197, 201.

Stand: 1. 5. 1999

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Wertzeichenfälschung

§148

Postwertzeichen nachmacht oder verfälscht oder ein solches nachgemachtes oder verfälschtes Postwertzeichen feilhält oder in Verkehr bringt. Die Ansicht, daß auch gültige (Post-)Wertzeichen, die nur als Sammelobjekte umgesetzt werden, nicht geschützt sind, und infolgedessen § 148 Abs. 1 Nr. 1 (od. Nr. 2) den Fall nicht erfasse, daß Falsifikate als Ware an Sammler verkauft werden sollen, kann jedenfalls für das geltende Recht nicht als zutreffend angesehen werden: Den Tatbestand verwirklicht, wer ein gültiges Postwertzeichen (oder ein anderes gültiges Wertzeichen) in der Absicht nachmacht, die Verwendung oder das Inverkehrbringen als echt zu ermöglichen oder wer in dieser Absicht ein falsches (Post-)Wertzeichen sich verschafft (insoweit zweifelnd: TröndlelFischer Rdn. 3; Puppe N K Rdn. 22). Diese Fassung der Vorschrift zielt nach BTDrucks. 7/550 S. 228 geradezu darauf ab, die Fälschung echter oder das Sichverschaffen falscher Wertzeichen in der Absicht, die Falsifikate an Sammler als echt zu verkaufen, als Straftat nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 (od. Nr. 2) zu erfassen, weil auch in diesen Fällen die Gefahr bestehe, daß die vom Täter in Verkehr gebrachten Falschstücke nicht nur als Sammelobjekte, „sondern ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß weiterverwendet werden". Diese Begründung gestattet es zwar, den Standpunkt einzunehmen, es sei „Tatfrage", ob beim Verkauf eines Sammelobjekts die Gefahr bestimmungsgemäßer Weiterverwendung bestehe. Aber nach der Fassung des Gesetzes kommt es auf diese „Tatfrage" nicht an (im Ergebnis ebenso SchlSchröderl Stree Rdn. 6). 3. Die Frage, ob Wertzeichen Urkunden sind, ist umstritten. Die ablehnende Auf- 4 fassung 6 wurde und wird mit der Verschiedenheit des Zwecks von Urkunden und Wertzeichen begründet. Während das Wertzeichen zur Vereinfachung der Vornahme und der Kontrolle von häufig sich wiederholenden Zahlungen gleicher Art diene, seinem Wesen nach also ein Zahlungsmittel sei, solle die Urkunde im Rechtsleben das Bestehen von Tatsachen, Rechten oder Rechtsverhältnissen zur Kenntnis anderer bringen. Die Urkunde weise also auf Geschehnisse und Beziehungen hin, die außerhalb ihrer selbst liegen und beweise sie, während das Wertzeichen durch die Art seines Stoffes und seiner Kennzeichnung nur über sich selbst, nämlich seinen Aussteller, seinen Wert und seine Verwendungsmöglichkeit Aufschluß gebe (RGSt. 62 203, 205; 18 286, 287; Voraufl. Rdn. 4). Zutreffend weist Puppe (NK Rdn. 3 ff) 7 demgegenüber darauf hin, daß auch Wertzeichen die Merkmale einer Urkunde aufweisen: Wie auch in RGSt. 62 203, 205 anerkannt werde, stellten Wertzeichen die Verkörperung gedanklicher Äußerungen eines bestimmten Ausstellers in einem Stoff dar, wodurch der kundzugebende Gedanke für andere erkennbar zum Ausdruck komme. Es sei daher auch nicht richtig, daß die Wertzeichen nur über sich selbst Aufschluß geben (so RGSt. 62 203, 205), vielmehr gehöre es zu ihrer Funktion, daß sie einen bestimmten Geldwert verkörpern und in dem Sinne öffentlichen Glauben genießen, daß sie im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung den ihnen zugedachten Beweis für und gegen jedermann erbringen (BGHSt. 32 68, 76; Puppe N K Rdn. 3). Wertzeichen sind daher nicht nur als bloße Kennzeichen oder Augenscheinsobjekte anzusehen, sondern (wie Geldscheine und Geldstücke) als Urkunden i. S. von § 267 zu betrachten, mit der Folge, daß § 148 den § 267 als lex specialis verdrängt (Rdn. 17).

6

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RGSt. 18 286, 287; 62 203, 205; Voraufl. Rdn. 4; Tröndle LK 10. Aufl. § 267 Rdn. 73; Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 41; Puppe N K Rdn. 3f; Rudolphi SK Rdn. 2; Bohnert N J W 1998 2879.

7

Puppe (NK Rdn. 3 ff) folgend: Rudolphi Rdn. 2; Tröndle!Fischer Rdn. 2.

Wolfgang Ruß

SK

§148

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfálschung

III. Die Tathandlungen 1. § 148 Abs. 1 Nr. 1 5

a) Nachmachen, Verfälschen. Die Darlegungen zu § 146 Rdn. 6-11 gelten sinngemäß; dies gilt auch für die Ausführungen über das Nachmachen von Geld durch Anfertigen von Systemnoten und Systemmünzen. Die abweichende Auffassung der h. L. 8 wird von dieser im wesentlichen damit begründet, daß die einzelnen Teile der Systemwertzeichen in ihren stofflichen Merkmalen echt seien und eine den Erfordernissen der Urkunde genügende Gedankenerklärung weder vorhanden war noch hervorgerufen werde (Voraufl. Rdn. 5). Folgt man jedoch der auch hier vertretenen Meinung, daß Wertzeichen Urkunden i. S. von § 267 sind, so ergibt sich daraus, daß ihre Herstellung demzufolge ein tatbestandsmäßiges Nachmachen darstellt (Puppe N K Rdn. 18f)· Das Nachmachen eines echten, aber ungültig gewordenen Wertzeichens ist jedoch keine tatbestandsmäßige Handlung (Rdn. 3) 9 .

6

Das Verfälschen muß dazu führen, daß die für die Geldwertverkörperung maßgebenden Merkmale des Wertzeichens so verändert werden, daß der Anschein hervorgerufen wird, sein Wert sei von Anfang an höher gewesen. Das bloße Unkenntlichmachen der Wertangabe genügt nicht (RGSt. 57 413, 414; Puppe N K Rdn. 21; Hübner in H H S p AO § 369 Rdn. 45). Wer einen Entwertungsvermerk beseitigt oder verändert, um ein Wertzeichen noch einmal verwenden zu können, bereitet zwar ein Vergehen nach § 148 Abs. 2 vor, er stellt aber weder ein unechtes Wertzeichen her noch verfälscht er ein echtes 10 . Je nach der Bedeutung des Entwertungsvermerks kann aber ein Urkundendelikt in Betracht kommen (RGSt. 39 370, 371; 59 321, 324; 67 419,421).

7

b) Absicht des Verwendens oder des Inverkehrbringens falscher oder verfälschter Wertzeichen als echt oder der Ermöglichung eines solchen Verwendens oder Inverkehrbringens. Was die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens als echt anbelangt, so kann auf § 146 Rdn. 12 bis 15 verwiesen werden. Wie für § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) so steht auch für § 148 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) außer Frage, daß es genügt, wenn der Täter die Absicht hat, ein Inverkehrbringen falscher oder verfälschter Wertzeichen als echter Zeichen durch andere (Bösgläubige) in Gang zu setzen (§ 146 Rdn. 14; Hübner in H H S p AO § 369 Rdn. 51; Sehl Schröder! Stree 6). Ein Inverkehrbringen als echt liegt auch in der Veräußerung von Falsifikaten gültiger Wertzeichen an gutgläubige Sammler (Rdn. 3).

8

Die Absicht (der Ermöglichung) der Verwendung falscher oder verfälschter Wertzeichen als echt hat der Täter, wenn er sie ihrer Bestimmung gemäß (vgl. RGSt. 24 111, 112) gebrauchen will. Erfaßt werden sollen die Fälle, in denen auf dem Wege des bestimmungsgemäßen Gebrauchmachens kein anderer Verfügungsgewalt erlangt, das Falsifikat infolgedessen nicht in Verkehr gebracht wird 11 . Näheres zum „Verwenden" Rdn. 13.

» Vgl. RGSt. 17 394, 396; 62 203, 206; 62 427, 428; RG LZ 1915 143; Sehl Schröder! Stree Rdn. 4; Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 42, 44; Voraufl. Rdn. 5. 9 Vgl. BGHSt. 31 380, 382; RG JW 1925 262 Nr. 6; KG JR 1966 307; Rudolphi SK Rdn. 3; Seht Schröder!Stree Rdn. 2; Puppe N K Rdn. 14; Tröndle!Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 2.

10

BTDrucks. 7/550 S. 228; RGSt. 17 394, 399; 18 286, 288 f; 59 321, 324; Hübner in HHSp AO §369 Rdn. 43; Seh!Schröder!Stree Rdn. 4; Puppe N K Rdn. 20; Tröndle!Fischer Rdn. 3. " BTDrucks. 7/550 S. 228; Rudolphi SK Rdn. 5; Puppe N K Rdn. 24, 29; Seh!Schröder!Stree Rdn. 6; vgl. auch Maurach!Schroeder!Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 27.

Stand: 1. 5. 1999

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Wertzeichenfälschung

§148

c) Innerer Tatbestand im übrigen, Versuch und Vollendung, Rücktritt, Handlungseinheit. Zur inneren Tatseite gehört außer der Absicht, worunter zielgerichtetes Wollen zu verstehen ist 12 , daß der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich verwirklicht. Eventualvorsatz genügt. Der Täter muß wissen oder damit rechnen, daß er gültige Wertzeichen nachmacht oder verfälscht und er muß für sicher halten oder damit rechnen, daß seine Falsifikate geeignet sind, den Arglosen über die Unechtheit zu täuschen. Im übrigen gilt entsprechend, was in Rdn. 3 zu § 152 über Tatbestands- und Subsumtionsirrtum ausgeführt worden ist. Zu Fragen des Versuchs und der Vollendung, des Rücktritts und der Handlungseinheit darf auf § 146 Rdn. 17 bis 19 hingewiesen werden.

9

2. § 148 Abs. 1 Nr. 2. Zur Erläuterung des Sichverschaffens kann auf § 146 Rdn. 20 Bezug genommen werden. Für den inneren Tatbestand gilt, was in Rdn. 7 bis 9 und §146 Rdn. 21 ausgeführt worden ist. Es ist zu betonen, daß es genügt, wenn der objektive Tatbestand mit Eventualvorsatz verwirklicht wird, wenn also der Täter zwar nicht weiß, aber doch damit rechnet, daß er falsches Geld in seine Verfügungsgewalt bringt.

10

3. § 148 Abs. 1 Nr. 3 a) Der Tatbestand weist drei Begehungsformen auf: aa) Verwenden eines falschen Wertzeichens: Rdn. 8, 13. bb) Feilhalten von Falsifikaten. Feilhalten bedeutet im allgemeinen das „äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen der Ware zum Zwecke des Verkaufs an das Publikum" ' 3 . Der Verkäufer muß die in Rede stehenden Gegenstände so bereitstellen, sie unter solchen Umständen dem Publikum zugänglich machen, daß dieses ohne weiteres auf die Verkaufsabsicht schließen kann (BGHSt. 23 286, 290). Dafür würde es nicht ausreichen, wenn das Verkaufsobjekt lediglich in einem den potentiellen Kaufinteressenten nicht zugänglichen Lagerraum vorhanden wäre (vgl. RGSt. 35 169, 170) oder wenn der Verkäufer den zu verkaufenden Gegenstand auf Nachfrage eines Interessenten seinerseits erst erwerben und dann verkaufen wollte (vgl. RGSt. 63 419, 420). Daß von einem Feilhalten darüberhinaus erst dann gesprochen werden kann, wenn größere Mengen des zu verkaufenden Gegenstandes zum Verkauf in Vorrat gehalten werden (vgl. Puppe N K Rdn. 28), ist weder dem Begriff noch dem Tatbestand zu entnehmen. Neben dem objektiven Moment des Bereitstellens des Kaufobjekts (hier des Wertzeichens) setzt der Begriff des Feilhaltens daneben ein subjektives Element auf der Seite des Feilhabenden voraus (BGHSt. 23 286, 291; RGSt. 4 274, 275), das dahin geht, daß er den Verkauf der feilgebotenen Gegenstände in seinen Vorsatz aufgenommen haben muß. Dies wiederum bedeutet für § 148 Abs. 1 Nr. 3: Da für den inneren Tatbestand bedingter Vorsatz ausreicht, muß der feilbietende Täter den Verkauf der Wertzeichen mindestens billigend in Kauf genommen haben (in diesem Sinne BGHSt. 23 286, 292). cc) Inverkehrbringen von Falschstücken: § 146 Rdn. 13 f. Zu betonen ist auch hier, daß ein Inverkehrbringen noch nicht vollzogen ist, wenn und solange die Falsifikate in den Händen desjenigen sind, der als Bote, in der Rolle des Verwahrungs-, Trans12

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Sehl Schröder IStree Rdn. 6; LackneriKühl Rdn. 5 und § 146 Rdn. 11; aA Puppe N K Rdn. 25; die unter Absicht hier einfachen Vorsatz versteht.

13

RGSt. 4 274, 275; 25 241, 242; 35 169, 170; 4« 148, 150; 63 419, 420; Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder!Stree Rdn. 13; Puppe NK Rdn. 28.

Wolfgang Ruß

11

§148

Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfálschung

port- oder Verteilungsgehilfen oder in sonstiger Weise als Handlanger oder Werkzeug für den Täter Gewahrsam ausübt (RGSt. 24 111, 113/114; § 146 Rdn. 20, 23, 26 und 29). Keine der Begehungsformen des § 148 Abs. 1 Nr. 3 setzt voraus, daß der Täter die Falsifikate nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 erlangt hat (zur andersartigen Rechtslage bei der Geldfalschung vgl. § 146 Rdn. 23). 12

b) Der Täter muß die falschen Wertzeichen als echt verwenden, feilhalten oder in Verkehr bringen. Es ist im Wortlaut des § 148 Abs. 1 Nr. 3 keine Rede davon, daß tatbestandsmäßig auch das Ermöglichen des Verwendens oder Inverkehrbringens von falschen Wertzeichen als echt strafbar sei. Damit stellt sich erneut die zu § 146 (Rdn. 24) und § 147 (Rdn. 2 bis 5) erörterte Frage, ob die Weitergabe an einen Eingeweihten (Bösgläubigen) zu eigener Verfügung (z.B. an einen Zwischenhändler) genüge, wenn sie der erste Schritt zur Überlassung an Gutgläubige sein soll. Die Frage ist hier nicht anders zu beantworten, wie sie zu § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147 beantwortet worden ist (BGHSt. 32 68, 78; Sehl Schröder! Stree Rdn. 15; aA Puppe N K Rdn. 27) 14 . Ergänzend soll noch auf eine frühe Entscheidung des Reichsgerichts (RGSt. 6 387, 394) verwiesen werden, in der es § 275 Nr. 2 a. F. so verstand, wie es der hier zu § 148 Abs. 1 Nr. 3, § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147 Abs. 1 vertretenen Auffassung entspricht. Die Worte „in der Absicht, sie (die Falsifikate) als echt zu verwenden", sollten lediglich die Rechtswidrigkeit des Willens hervorheben. Sie bedeuteten nichts anderes als Anfertigen von Falsifikaten „in der Absicht, damit sie als echte (durch den Täter oder einen anderen) verwendet werden". Für den Vollzugstatbestand (§ 148 Abs. 1 Nr. 3 also) haben die Worte „als echt" keine andere Funktion: Es ist erforderlich und genügend, daß der Täter will oder damit rechnet, daß ein anderer die Falsifikate als echt erlangt oder verwendet. Der andere braucht nicht derjenige zu sein, auf den er den Gewahrsam übertragt. 4. § 148 Abs. 2

13

a) Nur bereits verwendete amtliche Wertzeichen, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist, sind für den Tatbestand von Interesse. Verwendung ist der bestimmungsgemäße Gebrauch des Wertzeichens, der Gebrauch zu dem Zwecke, dem zu dienen seine funktionelle Aufgabe ist 15 . Die Frage, ob zum bestimmungsgemäßen Gebrauch die Entwertung gehöre, eine Frage, die das Reichsgericht für Stempelmarken und Steuerzeichen bejaht, für Invalidenversicherungsmarken aber verneint hat 16 , stellt sich für das geltende Recht nicht. Es setzt Beseitigung des Entwertungszeichens voraus mit der Folge, daß nicht entwertete Wertzeichen „tatbestandsuninteressant" sind (Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 52). Wesentlich ist aber, daß der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Wertzeichens stets (aber auch nur dann) anzunehmen ist, wenn es sich um einen Gebrauch handelt, der den Vorschriften über die Art und Weise seiner Verwendung entspricht (RGSt. 37 152, 154). Es kommt nicht darauf an, ob eine causa für die Verwendung vorhanden ist

14

Für die Gegenmeinung ist hier noch auf Hübner in H H S p AO § 369 Rdn. 51 hinzuweisen. Er meint, es sei unzulässig, die Diskrepanz im Wortlaut von § 148 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 einerseits und § 148 Abs. 1 Nr. 3 andererseits „interpretativ wieder zu löschen".

15

16

Vgl. RGSt. 6 387, 392; 24 111, 112f; 30 384, 386; 37 152, 154; RG JW 1938 508 Nr. 12. Stempelmarken, Steuerzeichen: RGSt. 30 384, 386; 37 152, 154; R G JW 1938 508 Nr. 12; Invalidenversicherungsmarken: RGSt. 39 161, 162; 40 335, 338; 42 131, 132.

Stand: 1. 5. 1999

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Wertzeichenfálschung

§148

oder fehlt (wegfällt), ob also, um ein Beispiel zu bilden, der mit dem Steuerzeichen versehene Wechsel in Umlauf gebracht wird 17 . Das Entwertungszeichen ist nicht nur dann beseitigt, wenn es vollständig entfernt worden ist. Es genügt, daß es durch ein neues Entwertungszeichen überstempelt und auf diese Weise unkenntlich gemacht wird 18 oder daß das Entwertungsdatum verändert wird (RGSt. 59 321, 323). Wer das Entwertungszeichen beseitigt hat und zu welchem Zweck es geschah, ist gleichgültig 19 . Auch ein zur Stempelung berechtigter Beamter kann beseitigen oder den gesamten Tatbestand verwirklichen (RG GA Bd. 77 S. 200). Dessen Merkmal ist lediglich - soweit es um die Beseitigung geht - die Tatsache der geschehenen Beseitigung des Entwertungszeichens (Hübner in HHSp AO §369 Rdn. 55). Die Wiederverwendung versehentlich nicht entwerteter Zeichen unterfallt nicht dem Tatbestand (SehlSchröder!Stree Rdn. 20); gleiches soll gelten, wenn ein nur schwer erkennbar entwertetes amtliches Wertzeichen erneut verwendet wird (Puppe N K Rdn. 30; Rudolphi SK Rdn. 9). b) Tathandlungen sind das Verwenden (Rdn. 13) und das Inverkehrbringen (Rdn. 11) 1 4 eines bereits verwendeten (aber nicht aus dem Verkehr gezogenen und echten) Wertzeichens, dessen Entwertungsmerkmale beseitigt worden sind, als gültig. Es muß der Anschein hervorgerufen werden, das Wertzeichen werde rechtmäßig erstmalig verwendet oder könne rechtmäßig erstmalig verwendet werden. Unter die zweite Alternative (den Fall des Inverkehrbringens) gehört auch die Weitergabe einer bereits verwendeten Briefmarke als postfrisch an einen Sammler (vgl. Rdn. 3 und 7; ferner Sch/Schröder/Stree Rdn. 22; aA Puppe N K Rdn. 32). c) Innerer Tatbestand. Eventualvorsatz genügt. Der Täter muß wissen oder damit rechnen, daß er es mit einem amtlichen Wertzeichen zu tun hat (vgl. § 152 Rdn. 3), das bereits verwendet worden ist und an dem das Entwertungszeichen beseitigt wurde. Nimmt er an, er dürfe das Wertzeichen noch einmal verwenden (etwa deshalb, weil für die erste Verwendung eine causa fehlte - vgl. Rdn. 13), so befindet er sich im Verbotsirrtum (vgl. TröndlelFischer Rdn. 7; Sehl Schröder! Stree Rdn. 23). Die Entscheidungen RGSt. 37 152, 156 und RG JW 1938 508 Nr. 12 besagen nichts anderes, wenn sie im Lichte der heutigen Rechtsprechung zur Irrtumslehre gelesen werden.

15

5. § 148 Abs. 3 Der Versuch ist nach Absatz 3 strafbar. Dies gilt sowohl für die Fälle des Absatzes 1 1 6 als auch des Absatzes 2. Auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 22, 27 wird verwiesen. Der Versuch beginnt erst, wenn der Täter unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes ansetzt (§ 22). Dies ist noch nicht der Fall, wenn der Täter vor dem Versenden eines Briefes die Briefmarke mit einer Oberflächenpräparierung versieht, die es ermöglicht, den Stempel nachträglich zu entfernen, so daß das Wertzeichen dann wiederverwendet werden kann, und dann den präparierten Brief verschickt (so aber OLG Koblenz NJW 1983 1625)20. Das Ablösen einer Marke, um sie wiederzuverwenden, ist 17

18

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RGSt. 37 152, 154f; RG JW 1938 508 Nr. 12; Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 52; aA Puppe NK Rdn. 34. RG HRR 1937 Nr. 211; BGHSt. 3 289, 290, 292; Rudolphi SK Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Sehl Schröder! Stree Rdn. 21; Bartholme JA 1993 197, 201; aA Puppe N K Rdn. 31.

" 20

Tröndlel Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 8; Sehl Schröder! Stree Rdn. 21, 25; Hübner in HHSp AO § 369 Rdn. 55. Zu Recht ablehnend daher Lampe JR 1984 164; Küper NJW 1984 777; Puppe JZ 1986 992, 996; ferner Rudolphi SK Rdn. 11; Lackner/Kühl Rdn. 6; Seh!Schröder!Stree Rdn. 24; Maurachl Schroeder!Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 32.

Wolfgang Ruß

§149

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

noch kein Anfang der Ausführung des Tatbestandsmerkmals „verwenden", sondern nur Vorbereitungshandlung für das Wiederverwenden (RGSt. 68 204, 208). 17

IV. Konkurrenzfragen. Da Wertzeichen als Urkunden anzusehen sind (Rdn. 4), verdrängt § 148, soweit es um das Herstellen und Gebrauchmachen einer unechten Urkunde geht, den § 267 als lex specialis (Puppe N K Rdn. 5). Mit § 263 kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 tateinheitlich zusammentreffen (vgl. BGHSt. 31 380)21, dagegen geht § 148 Abs. 2 als lex specialis vor, wenn der Täter lediglich einsparen will, was er für ein gültiges Wertzeichen aufwenden müßte (RGSt. 68 302, 303)22. Beschaffungsdelikte (Diebstahl, Unterschlagung, Verwahrungsbruch) treffen mit § 148 Abs. 1 Nr. 2 zusammen, wenn der Täter schon bei ihrer Begehung Verwendungsabsicht hat (Sch/Schröder/Stree Rdn. 26). Delikte zur Beschaffung schon verwendeter Wertzeichen und § 148 Abs. 2 stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (RGSt. 68 201, 208; BGHSt. 3 289, 292/293)23. Zum Verhältnis der Tathandlungen nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3 untereinander wird auf § 146 Rdn. 28 verwiesen. Handelte der Täter bei Verwirklichung der verschiedenen Tatbestandsvarianten auf Grund eines einheitlichen Tatentschlusses, so liegt eine einzige Tat vor (vgl. RGSt. 63 380, 382)24. Zur Frage des Verhältnisses zu §149 vgl. §149 Rdn. 7.

18

V. Recht des Einigungsvertrages. Auf die Ausführungen § 146 Rdn. 36 wird verwiesen.

§149

Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen (1) Wer eine Fälschung von Geld oder Wertzeichen vorbereitet, indem er 1. Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative, Matrizen oder ähnliche Vorrichtungen, die ihrer Art nach zur Begehung der Tat geeignet sind, oder 2. Papier, das einer solchen Papierart gleicht oder zum Verwechseln ähnlich ist, die zur Herstellung von Geld oder amtlichen Wertzeichen bestimmt und gegen Nachahmung besonders gesichert ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überläßt, wird, wenn er eine Geldfälschung vorbereitet, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, sonst mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Nach Absatz 1 wird nicht bestraft, wer freiwillig 1. die Ausführung der vorbereiteten Tat aufgibt und eine von ihm verursachte Gefahr, daß andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder die Vollendung der Tat verhindert und

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LacknerlKühl Rdn. 7; Sehl Schröder! Stree Rdn. 26; Puppe N K Rdn. 37; Bartholme JA 1993 197, 201; aA (Gesetzeseinheit) OLG Koblenz NJW 1983 1625; TröndlelFischer Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 12. OLG Koblenz NJW 1983 1625 m. Anm. Lampe JR 1984 164, 165; Lackneri Kühl Rdn. 7; Sehl Schröder!Stree Rdn. 26; Bartholme JA 1993 197,

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201; Maurach!Schroeder!Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 31. LacknerlKühl Rdn. 7; Sehl Schröder! Stree Rdn. 26. TröndlelFischer Rdn. 10; LacknerlKühl Rdn. 7 und § 146 Rdn. 14; Rudolphi SK Rdn. 12; Puppe N K Rdn. 35; Sehl Schröder! Stree Rdn. 18 und §146 Rdn. 26.

Stand: 1. 5. 1999

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Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen

§149

2. die Fälschungsmittel, soweit sie noch vorhanden und zur Fälschung brauchbar sind, vernichtet, unbrauchbar macht, ihr Vorhandensein einer Behörde anzeigt oder sie dort abliefert. (3) Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr, daß andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abgewendet oder die Vollendung der Tat verhindert, so genügt an Stelle der Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, dieses Ziel zu erreichen.

Schrifttum Auf die Angaben vor § 146, § 146 und § 148 wird verwiesen. I. Bedeutung und Anwendungsbereich des § 149. Die Vorschrift des § 149, die § 151 1 a. F. ersetzt u n d Bestimmungen in Nebengesetzen z u s a m m e n g e f a ß t hat (BTDrucks. 7/550 S. 228), wird d u r c h §§ 127 bis 129 O W i G ergänzt (vor § 146 R d n . 9). Die Tath a n d l u n g e n u n d Tatobjekte des § 127 Abs. 1 O W i G u n d des § 149 Abs. 1 decken sich weitgehend. D a s qualifizierende M o m e n t , d a s den Unrechtsgehalt der Straftat von d e m des G e l d b u ß d e l i k t s abhebt, liegt im Subjektiven: In Fällen des § 149 Abs. 1 verwirklicht der T ä t e r den Tatbestand, weil er „eine Fälschung von Geld o d e r Wertzeichen vorbereitet". § 149 Abs. 1 erhebt also bestimmte Vorbereitungshandlungen zur selbständigen Straftat. Vom eigentlichen Angriff auf das Rechtsgut her gesehen (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 147, 148 Abs. 1 Nr. 3) h a n d e l t es sich u m Vorbereitungshandlungen zweiten G r a d e s in der Stufenreihe § 127 Abs. 1 O W i G - § 149 Abs. 1 § 146 Abs. 1 Nr. 1 u n d § 148 Abs. 1 Nr. 1 - § 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 147, 148 Abs. 1 Nr. 3 (vgl. Zielinski J Z 1973 193). Ihre Verselbständigung u n d tatbestandliche Typisierung schließen es aus, im Einzelfall schon in ihrer Begehung den Versuch eines Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder eines Vergehens nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 (Abs. 3) zu sehen. Ein Fälschungsversuch k o m m t erst in Betracht, wenn der Bereich des § 149 Abs. 1 überschritten ist ( R G S t . 65 203, 205; vgl. auch R G S t . 69 3, 7). In § 149 Abs. 2 (und Abs. 3) ist eine besondere Rücktrittsregelung geschaffen worden, die v o m T ä t e r m e h r verlangt als die allgemeine R ü c k t r i t t s b e s t i m m u n g des § 24. D a s hat die Konsequenz, d a ß der T ä t e r im Falle des Rücktritts v o m Fälschungsdelikt, d a s er d u r c h eine t a t b e s t a n d s m ä ß i g e H a n d l u n g n a c h § 149 Abs. 1 vorbereitet hat, wegen des vollendeten Vorbereitungsdelikts s t r a f b a r bleibt, wenn nicht auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 149 Abs. 2 (Abs. 3) gegeben sind 1 .

2

§ 149 gilt a u c h f ü r geldähnliche Wertpapiere (siehe § 151) u n d f ü r Geld, Wertzeichen u n d geldähnliche Wertpapiere f r e m d e r W ä h r u n g s g e b i e t e (§ 152). Die Vorschrift ist auf Auslandstaten in Fällen der Vorbereitung einer Geld- o d e r Wertpapierfalschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 1, § 151) anzuwenden, nicht j e d o c h - wie sich aus § 6 Nr. 7 ergibt - in Fällen der Vorbereitung einer Wertzeichenfälschung (§ 148 Abs. 1 Nr. 1). II. D e n Tatbestand verwirklicht, wer eine Fälschung von Geld, d e m Geld gleichgestellten Wertpapieren (§ 151) oder von Wertzeichen (also eine Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 o d e r n a c h § 148 Abs. 1 Nr. 1) d u r c h bestimmte H a n d l u n g e n , die bestimmte G e g e n s t ä n d e (Vorrichtungen, Papier mit gewissen Eigenschaften) betreffen, vorbereitet. 1

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RG JW 1924 1525; TröndlelFischer Rdn. 12; LacknerlKühl Rdn. 7; Sehl Schröder!Stree Rdn. 12; Rudolphi SK Rdn. 9.

Wolfgang Ruß

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§ 149

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

1. Tatobjekte a) Vorrichtungen. Die Aufzählung der Vorrichtungen in § 149 Abs. 1 Nr. 1 stimmt mit der in § 74 d Abs. 1 S. 2 überein. Diese Vorrichtungen müssen sich „ihrer Art nach" zur Geld-, Wertpapier- oder Wertzeichenfälschung eignen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß nur solche Gegenstände gemeint sind, die sich in spezifischer Weise zur Fälschung verwenden lassen (BTDrucks. 7/550 S. 229). Die den aufgezählten gleichgestellten „ähnlichen" Vorrichtungen müssen nach Erscheinungsbild und Beschaffenheit den vom Gesetz genannten vergleichbar sein (BTDrucks. 7/550 S. 229). Damit scheiden einfache, unspezifische Werkzeuge wie Hammer und Meißel, Malkasten und Zeichenfeder, aber auch Fotoapparate oder Druckereimaschinen, insbesondere Farbkopierer aus (Puppe N K Rdn. 4) 2 . Die Vorrichtungen müssen außerdem „zur Begehung der Tat geeignet" sein. Das ist der Fall, wenn sie gebrauchsfertig sind 3 und mit ihrer Hilfe die Herstellung der Falsifikate unmittelbar ins Werk gesetzt werden kann (RGSt. 65 203; RG LZ 1922 163). Die Eignung einer Vorrichtung wird aber nicht dadurch in Frage gestellt, daß zur Nachahmung oder Verfälschung von Geld, gleichgestellten Wertpapieren oder amtlichen Wertzeichen noch andere Fälschungsmittel erforderlich sind, die noch beschafft oder in einen gebrauchsfähigen Zustand gebracht werden müssen 4 . „Formen" enthalten ein Bild von dem, was durch G u ß oder Druck als Zeichen oder Figur in Metall, Papier oder einem sonstigen Stoff hervorgebracht werden soll (RGSt. 55 46, 47). Als „Negative" im Sinne der Vorschrift sind nur diejenigen anzusehen, die unmittelbar zur Produktion von Falsifikaten Verwendung finden können (RGSt. 65 203, 204; RG LZ 1922 163; SehlSchröder!Stree Rdn. 3). 4

b) Papier. § 149 Abs. 1 Nr. 2 nennt als weiteren Tatgegenstand Papier, das einer zur Herstellung von Geld, Wertpapieren des § 151 oder amtlichen Wertzeichen bestimmten und gegen Nachahmung (ζ. B. durch Wasserzeichen oder Einstreuung besonderer Fasern) in besonderer Weise gesicherten Papierart gleicht oder zum Verwechseln ähnlich ist. Verwechslungsähnlichkeit besteht, wenn das Papier nach seinem Gesamteindruck trotz vorhandener Abweichungen bei einem durchschnittlichen, über besondere Sachkunde nicht verfügenden Betrachter oder Beurteiler, der das Papier einer näheren Prüfung nicht unterzieht, den Eindruck hervorrufen kann, es handle sich um eine besonders gesicherte Papierart 5 .

5

2. Tathandlungen sind das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder Überlassen eines der in § 149 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 genannten Tatobjekte. a) Herstellen, gleichbedeutend mit Anfertigen im Sinne von § 151 a. F. (BTDrucks. 7/550 S. 229), ist das Fertigstellen einer Sache soweit, daß sie, von unbedeutenden Korrekturen abgesehen, gebrauchsfertig ist (RGSt. 48 161, 165). b) Verschaffen ist Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt (§ 146 Rdn. 20). Der Täter braucht sie nicht für sich zu gewinnen. Es reicht aus, daß er sie einem anderen verschafft. Ebenso LacknerlKühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 4; Sehl Schröder/Stree Rdn. 3. RGSt. 48 161, 165; 55 46 f; 55 283, 284; 65 203; 69 305, 306; RG JW 1933 2143 Nr. 27; Puppe N K Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 4; Tröndlel Fischer Rdn. 3; LacknerlKühl Rdn. 2; Sehl Schröder/Stree Rdn. 4.

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RGSt. 48 161, 165; 55 283, 284; 69 305, 306; Sehl Schröder/Stree Rdn. 3; Puppe N K Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 6. BTDrucks. 7/550 S. 229; BGH NStZ 1994 124 m. Bespr. Hefendehl JR 1996 353, 356; Sehl Schröder!Stree Rdn. 5; Puppe N K Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 5; vgl. auch Bartholme JA 1994 97 ff.

Stand: 1. 5. 1999

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Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen

§149

c) Feilhalten ist das Bereitstellen zum Verkauf an Interessenten (vgl. BGHSt. 23 286, 288; § 148 Rdn. 11). d) Verwahrt wird ein Tatobjekt von demjenigen, der es in Gewahrsam hat. e) Überlassen an einen anderen wird es, wenn er den Gewahrsam daran zu auch nur vorübergehendem Gebrauch durch Übergabe oder Dulden des Ansichnehmens eingeräumt erhält 6 . 3. Innerer Tatbestand. Der Täter muß vorsätzlich handeln. Eventualvorsatz reicht 6 aus. Der Vorsatz muß die Vorstellung und den Willen umfassen, zu einer Geld- oder Wertzeichenfalschung (oder zur Fälschung eines dem Geld gleichgestellten Wertpapiers), also zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 einen vorbereitenden Beitrag zu leisten. Dem Täter muß eine konkrete Tat vor Augen stehen, die in ihren Umrissen Gestalt angenommen hat. Es ist aber nicht erforderlich, daß Zeit, Ort und die Einzelheiten der Begehungsweise schon endgültig festgelegt sind 7 . Es kann um die Vorbereitung einer Fälschung des Täters oder eines anderen gehen. Ob es dem Täter tatsächlich gelingt, für die geplante Fälschung einen vorbereitenden Beitrag zu leisten, d.h. günstigere Vorbedingungen zu schaffen, ist gleichgültig (Tröndlel Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 5; SehlSchröder!Stree Rdn. 7). Es kommt auch nicht darauf an, daß er die Eignung einer Vorrichtung zur geplanten Fälschung (die er gewollt oder mit der er wenigstens gerechnet haben muß) richtig einschätzt. Es genügt, daß die Vorrichtung tatsächlich zur Anfertigung von Falschstücken verwendet werden kann (RGSt. 69 305, 308). Objektiv und subjektiv ist der Tatbestand erfüllt, wenn der Täter Vorrichtungen herstellt, um einen Probeabdruck zu ermöglichen, falls die eigentliche Fälschung bereits geplant ist und die Vorrichtungen zur Gewinnung auch nur eines Falschstückes brauchbar sind (Lackner/Kühl Rdn. 5; Sehl Schröder/Stree Rdn. 7), mag dieses Stück auch noch weiterer Bearbeitung bedürfen (RGSt. 69 305, 307 f)· III. Verhältnis zum Fälschungsdelikt. Sobald der Täter nach seiner Vorstellung zum Nachmachen oder Verfälschen unter Verwendung eines Fälschungsmittels, das Gegenstand seiner tatbestandsmäßigen Handlung nach § 149 Abs. 1 war, unmittelbar ansetzt oder sich an der von ihm (mit) vorbereiteten und wenigstens versuchten Fälschungstat eines anderen als Anstifter oder Gehilfe beteiligt, tritt § 149 Abs. 1 hinter § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder § 148 Abs. 1 Nr. 1 zurück 8 . Der Rücktritt vom Fälschungsversuch nach § 24 läßt die Strafbarkeit nach § 149 Abs. 1 wieder aufleben, wenn der Täter nicht auch den Voraussetzungen der tätigen Reue nach § 149 Abs. 2 (Abs. 3) Rechnung trägt (Rdn. 2).

7

IV. Rücktritt 1. Die Eigenart der Regelung und ihre Tragweite. § 149 Abs. 2 verlangt mehr als 8 §24. Der Rücktrittswillige muß auch dafür sorgen, daß die Fälschungsmittel nicht mehr verwendet werden können, er muß also Handlungsfolgen beseitigen, die ledig6

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Vgl. Sehl Schröder! Stree Rdn. 6; Puppe N K Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 3. Im Ergebnis ebenso: Lackner/Kühl Rdn. 5; Puppe N K Rdn. 3; Sehl Schröder! Stree Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 2; aA (Konkretisierung nicht erforderlich) Tröndlel Fischer Rdn. 2; wohl auch Herzberg JR 1977 470.

8

RGSt. 65 203, 205; 66 217, 218; RG JW 1934 2850 Nr. 14; SehlSchröder!Stree Rdn. 12; Rudolphi SK Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 7; Tröndlel Fischer Rdn. 12; aA Puppe N K Rdn. 16 („Idealkonkurrenz kraft Erfolgseinheit").

Wolfgang Ruß

§149

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

lieh Merkmale eines Geldbußtatbestands (§ 127 Abs. 1 OWiG) wären, wenn man von dem im Falle des Rücktritts aufgegebenen Vorsatz absieht (krit. hierzu Zielinski JZ 1973 193, 198; Rdn. 2). Das sollte genügender Anlaß sein, den Rückgriff auf diese Bestimmung zu versagen, wenn der Täter nach § 149 Abs. 2 (od. Abs. 3) Straffreiheit erlangt 9 . 9

2. Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 Abs. 2. § 149 Abs. 2 fordert, daß der Täter a) freiwillig die Ausführung der vorbereiteten Tat aufgibt. An dieser Voraussetzung fehlt es ζ. B., wenn er von Fälschungshandlungen Abstand nimmt, weil er das (objektiv geeignete) Fälschungsmittel nicht für brauchbar hält; b) die von ihm verursachte (nicht auch verschuldete) Gefahr abwendet, daß andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen. Er muß die Kausalität seines Tatbeitrags beseitigen. Er tut nicht genug, wenn er die in seinem Beitrag liegende Gefahr nur mindert oder lediglich zum Teil in Wegfall bringt, weil er ihren ganzen Umfang nicht erkennt 10 . An die Stelle der Abwendung der Gefahr kann die Verhinderung der Vollendung der Tat treten: Der Rücktrittswillige muß durch eigene, auf Erfolgsabwendung zielende Tätigkeit den Erfolg (die Vollendung des Fälschungsaktes) abwenden; c) vorhandene und verwendbare Fälschungsmittel freiwillig dadurch unschädlich macht, daß er sie vernichtet, unbrauchbar macht, ihr Vorhandensein irgendeiner Behörde anzeigt oder sie bei irgendeiner Behörde abliefert. Die Anzeige muß den Zugriff auf die Fälschungsmittel ermöglichen. Mit ihnen sind nur Tatobjekte gemeint, die § 149 Abs. 1 nennt. Der Täter muß sie unschädlich machen, soweit sie Gegenstand seines tatbestandsmäßigen Handelns waren. Übersieht er ein Objekt, fehlt eine Voraussetzung des strafbefreienden Rücktritts 11 .

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3. Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 Abs. 3. Das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, die von ihm verursachte Gefahr abzuwenden, daß andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen oder sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, genügt, wenn ohne sein Zutun die Gefahr abgewendet oder die Vollendung der Tat verhindert wird, an Stelle der Voraussetzungen erfolgreicher Gefahrabwendung oder Vollendungsverhinderung, die § 149 Abs. 2 Nr. 1 nennt. Die Voraussetzungen des § 149 Abs. 2 Nr. 2 muß der Zurücktretende aber auch in Fällen des § 149 Abs. 3 erfüllen. Ein Fälschungsmittel, das schon ohne sein Zutun zerstört worden ist, kann und braucht er nicht unschädlich zu machen. Auf sein Bemühen, es zu tun, kommt es nicht an, da die objektive Lage maßgebend ist 12 .

11

V. Strafe. Die Vorschrift enthält zwei verschiedene Strafrahmen. Dient das tatbestandsmäßige Tun der Vorbereitung einer Geldfälschung, beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Für die entsprechenden Handlungen zur Vorbereitung einer Wertzeichenfalschung ist ein reduzierter Strafrahmen 9

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Sehl Schröder! Stree Rdn. 20; Rudolphi SK Rdn. 9; LacknerlKiihl Rdn. 7; TröndlelFischer Rdn. 12. Lackner/Kühl Rdn. 6; SchlSchröderlStree Rdn. 15; Rudolphi SK Rdn. 7; aA Tröndlel Fischer Rdn. 9.

"

12

SehlSchröder!Stree Rdn. 17; ferner Puppe NK Rdn. 12 f; krit. hierzu Zielinski JZ 1973 193, 197 f. Sehl Schröder! Stree Rdn. 19; aA Puppe N K Rdn. 15 und Rudolphi SK Rdn. 8, die auch in diesem Fall freiwilliges und ernsthaftes Bemühen des Täters, die Fälschungsmittel zu vernichten, verlangen.

Stand: 1. 5. 1999

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Vermögensstrafe, Erweiterter Verfall und Einziehung

§150

von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. In den unterschiedlichen Strafrahmen soll die unterschiedliche Gewichtung der Taten zum Ausdruck gebracht werden. Die Verhängung einer Vermögensstrafe und die Anordnung des erweiterten Verfalls (§§ 43 a, 73 d) ist möglich, wenn der Täter als Mitglied einer Bande gehandelt hat, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat; die Anordnung des erweiterten Verfalls ist auch zulässig bei gewerbsmäßigem Handeln (§ 150 Abs. 1). VI. Recht des Einigungsvertrages. In der ehemaligen D D R war in § 175 StGBD D R eine dem § 149 vergleichbare Bestimmung in Geltung. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel war bedroht, wer zur Vorbereitung einer Fälschung von Geldzeichen (§ 174 StGB-DDR) Papier, das dem zur Herstellung von Geldzeichen der D D R verwendeten und durch äußere Merkmale erkennbar gemachten Papier zum Verwechseln ähnlich sieht oder Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere Instrumente, die zur Nachahmung oder Verfälschung von Geldzeichen dienlich sind, anfertigt oder sich beschafft. Unter „andere Instrumente" waren alle zur Durchführung einer Fälschung von Geldzeichen geeigneten Geräte, Maschinen und Anlagen (ζ. B. Vervielfaltigungsund Kopiergeräte, Fotoapparate, Prägeeinrichtungen, Druckereimaschinen) zu verstehen. Neben der Strafe hatte grundsätzlich die Einziehung der beschafften oder angefertigten Materialien zu erfolgen.

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§150

Vermögensstrafe, Erweiterter Verfall und Einziehung (1) In den Fällen der §§ 146,148 Abs. 1, der Vorbereitung einer Geldfalschung nach § 149 Abs. 1 und des § 152a sind die §§ 43a, 73d anzuwenden, wenn der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. § 73 d ist auch dann anzuwenden, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt. (2) Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so werden das falsche Geld, die falschen oder entwerteten Wertzeichen und die in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel eingezogen. I. Absatz 1. Der durch das OrgKG vom 15.7.1592 (BGBl. I S. 1302) in das StGB 1 aufgenommene Absatz 1 ermöglicht in bestimmten Fällen die Verhängung einer Vermögensstrafe (§ 43 a) und die Anordnung des erweiterten Verfalls (§ 73 d). Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist, daß der Täter der genannten Delikte als Mitglied einer Bande gehandelt hat, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. Die Anordnung des erweiterten Verfalls ist ferner zulässig, wenn der Täter gewerbsmäßig gehandelt hat. Bei der Annahme bandenmäßigen Handelns ist es nicht erforderlich, daß mehrere Bandenmitglieder an der Tat mitgewirkt haben. Zum bandenmäßigen Handeln wird im übrigen auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 33, § 244 Rdn. 11 bis 12a und § 260 Rdn. 3, 4 verwiesen, zum Merkmal „gewerbsmäßig" auf § 146 Rdn. 32, § 243 Rdn. 21 und § 260 Rdn. 2. Die in Absatz 1 vorgesehenen Sanktionen können bei Vorliegen der genannten 2 Voraussetzungen verhängt werden in den Fällen einer Verurteilung wegen Geldfälschung nach § 146, deren Vorbereitung nach § 149 Abs. 1, der Wertzeichenfälschung (101)

Wolfgang Ruß

§150

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfálschung

nach §148 Abs. 1, der Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks (§152a) sowie (auf Grund der Gleichstellungsvorschriften der §§151, 152) wegen der dort genannten Handlungen mit Wertpapieren (auch der Vorbereitung) und mit Geld, Wertzeichen und Wertpapieren eines fremden Währungsgebietes. Nicht erfaßt werden von § 150 die Fälle der Wertzeichenfálschung nach § 148 Abs. 2, der Vorbereitung einer Wertzeichenfálschung nach § 149 Abs. 1 und die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld oder falscher Wertpapiere nach § 147. 3

II. In Absatz 2 ist die Einziehung bestimmter producta und instrumenta sceleris zwingend vorgeschrieben, während die allgemeine Bestimmung (§ 74 Abs. 1) sie in das Ermessen des Gerichts stellt. Es handelt sich bei § 150 Abs. 2 um eine „besondere Vorschrift" im Sinne von § 74 Abs. 4. Infolgedessen gelten die Absätze 2 und 3 des § 74 entsprechend (Lackner/Kühl Rdn. 3; Puppe N K Rdn. 6). Im Gegensatz zu Absatz 1 gilt Absatz 2 für alle Straftaten des 8. Abschnitts. Er ist also auch auf Taten nach § 147 anzuwenden sowie auf alle Vorbereitungshandlungen nach § 149, auch soweit sie sich auf Wertzeichen beziehen. Eingezogen werden müssen daher 1. das falsche Geld (§ 146 Rdn. 6 bis 11) und die Fälschungen (Verfälschungen) von Wertpapieren, die dem Geld gleichstehen (§ 151), wenn Straftaten nach § 146 Abs. 1 oder § 147 begangen worden sind, die falschen Wertzeichen (§ 148 Rdn. 5fí), die Gegenstand einer Straftat nach § 148 Abs. 1 waren und die entwerteten Wertzeichen (§ 148 Rdn. 13), die zu einer Straftat nach § 148 Abs. 2 verwendet worden sind; 2. die in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel und zwar nicht nur in Fällen des § 149 Abs. 1, sondern auch in anderen Fällen, in denen eine Straftat des achten Abschnitts verübt worden ist und solche Fälschungsmittel Verwendung fanden, auch wenn eine tatbestandsmäßige Vorbereitungshandlung nach § 149 Abs. 1 nicht vorausgegangen ist.

4

Sachen, die zwar zur Begehung oder Vorbereitung einer Straftat des achten Abschnitts gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, die aber nicht zu den in § 149 Abs. 1 bezeichneten Fälschungsmitteln gehören (vgl. § 149 Rdn. 3) und Sachen, die zwar durch eine solche Straftat hervorgebracht, jedoch nicht geeignet sind, den Arglosen zu täuschen (also nicht als nachgemachtes Geld, Wertzeichen oder Wertpapier in Betracht kommen, wie z.B. halbfertige Falsifikate), kommen lediglich als Gegenstand der im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Einziehung in Frage.

5

Die in § 150 vorausgesetzte Straftat des achten Abschnitts muß mindestens bis zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gediehen sein. Der - straflose - Versuch einer tatbestandsmäßigen Vorbereitung nach § 149 Abs. 1 reicht infolgedessen als Anknüpfungstat nicht aus.

6

III. Die Maßnahme der Einziehung (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) hat in den Fällen des § 150 in aller Regel Sicherungscharakter: Sie erfaßt Gegenstände, bei welchen die Gefahr eines strafrechtswidrigen Gebrauchs besteht. Infolgedessen kommt sie nicht nur als sog. tätergerichtete Einziehung (§ 74 Abs. 2 Nr. 1), sondern auch und vor allem als sog. unterschiedslose Einziehung (§ 74 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4) zum Zuge. Kann die Einziehung sowohl nach § 74 Abs. 2 Nr. 1 wie nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 zulässig sein, sind wegen der unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen (vgl. z.B. § 76a Abs. 2) beide Möglichkeiten zu prüfen. Das Gericht kann beide Rechtsgrundlagen kumulativ heranziehen. Es muß angeben, worauf es seine Einziehungsanordnung gestützt Stand: 1. 5. 1999

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Wertpapiere

§151

1

hat . Für die Einziehung mit Sicherungscharakter genügt es, daß eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat das Stadium des mit Strafe bedrohten Versuchs erreicht hat (§ 74 Abs. 3). Der Täter braucht nicht schuldfähig gewesen zu sein. Auch das Unrechtsbewußtsein kann gefehlt haben. IV. Einzelheiten. Die Bestimmung des § 74 a, auf die § 150 nicht verweist, ist nicht 7 anwendbar 2 . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist als allgemeines, für alle staatlichen Eingriffe geltendes Rechtsprinzip zu beachten, auch wenn § 74 b Abs. 1 ihn auf die nicht vorgeschriebene Einziehung (und in diesem Rahmen auf die Fälle des § 74 Abs. 2 Nr. 1 und des § 74a) zu beschränken scheint 3 . Nach § 74b Abs. 2 ist eine Einziehung vorzubehalten und eine weniger einschneidende Maßnahme zu treffen, wenn der Zweck der Einziehung durch sie erreicht werden kann. Es kann ζ. B. genügen, daß an einem Fälschungsmittel Änderungen vorgenommen werden. Kann wegen einer Straftat, die § 150 voraussetzt, aus tatsächlichen Gründen eine bestimmte Person nicht verfolgt oder nicht verurteilt werden (der Täter ist ζ. B. unbekannt oder flüchtig), ist die Einziehung im objektiven Verfahren (§§ 440, 441 StPO) selbständig anzuordnen, wenn ihre Voraussetzungen im übrigen vorliegen (§ 76a Abs. 1). Gleiches gilt nach § 76 a Abs. 2 in Fällen, in denen die Einziehung Sicherungscharakter hat (§ 74 Abs. 2 Nr. 2), wenn aus rechtlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt werden kann (der Täter war z.B. zur Zeit der Tat schuldunfahig), aber eine tatbestandsmäßigrechtswidrige Straftat des achten Abschnitts (§ 150 i.V.m. § 74 Abs. 3 und Abs. 4) begangen worden ist.

§151

Wertpapiere Dem Geld im Sinne der §§ 146,147,149 und 150 stehen folgende Wertpapiere gleich, wenn sie durch Druck und Papierart gegen Nachahmung besonders gesichert sind: 1. Inhaber- sowie solche Orderschuldverschreibungen, die Teile einer Gesamtemission sind, wenn in den Schuldverschreibungen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird; 2. Aktien; 3. von Kapitalanlagegesellschaften ausgegebene Anteilscheine; 4. Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine zu Wertpapieren der in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Art sowie Zertifikate über Lieferung solcher Wertpapiere; 5. Reiseschecks, die schon im Wertpapiervordruck auf eine bestimmte Geldsumme lauten. I. Grund und Umfang des geldgleichen Wertpapierschutzes. §149 a. F. stellte nur 1 bestimmte Inhaberpapiere dem Gelde gleich. Die Erweiterung des Strafschutzes, die die Neufassung des achten Abschnitts (vor § 146 Rdn. 1) in § 151 brachte, beruht auf der Überlegung, daß es nicht nur Inhaber-, sondern auch andere Wertpapiere gibt, die im Wirtschaftsverkehr massenhaft vorkommen, auf Grund ihrer dem Papiergeld ähn1

2

OLG Saarbrücken N J W 1975 65; Lackner/Kühl § 74 Rdn. 9; SehlSchröder!Eser § 74 Rdn. 42. Sehl Schröder! Stree Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 1 ; Lackner!Kühl Rdn. 3; Tröndle!Fischer Rdn. 1.

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3

BGH 1 StR 650/78 vom 22.5.1979; Lackner/ Kühl Rdn. 3, § 74 b Rdn. 5; Seh!Schröder!Stree Rdn. 2 und Seh!Schröder!Eser § 74 b Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 1; vgl. auch BGHSt. 23 267, 269; aA Puppe NK Rdn. 5; Tröndle!Fischer Rdn. 1.

Wolfgang Ruß

§151

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

liehen Ausstattung besonderes Vertrauen genießen, aus beiden Gründen zu einer gewissen Oberflächlichkeit bei der Echtheitsprüfung verleiten und bei Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte einen strafrechtlichen Schutz erfordern, der durch die Vorschriften über die Urkundenfälschung nicht in ausreichendem Maße erbracht werden kann (BTDrucks. 7/550 S. 229; BGH NJW 1981 1965 m. krit. Anm. Otto NStZ 1981 478). Deshalb werden dem echten Geld als Rechtsgutsobjekt und dem falschen Geld als tatsächlichem oder ins Auge gefaßtem Tatprodukt oder Tatmittel im Sinne der Bestimmungen der §§ 146, 147, 149 und 150 Wertpapiere gleichgestellt, die §151 in einem Katalog (den §152 auf Wertpapiere fremder Währungsgebiete erstreckt) abschließend aufzählt, falls es sich dabei um Wertpapiere handelt, die „durch Druck und Papierart gegen Nachahmung besonders gesichert sind". Diese Voraussetzung kumulativ erforderlicher Vorkehrungen (BGH NJW 1981 1965) gegen Nachahmungen zielt darauf ab, daß der erhöhte strafrechtliche Schutz nur Wertpapieren zugute kommt, die schon das Wirtschaftsleben wegen ihrer Bedeutung und Funktion gegen Fälschungen in ihrer Erscheinung und ihrer Ausstattung besonders schützt und soll außerdem bewirken, daß der kriminelle Gehalt des Fälschungsakts oder seiner Vorbereitung mit dem der Geldfalschung auf eine Stufe gestellt werden kann. Beide Gesichtspunkte geben Anlaß zu der Folgerung, daß von einer besonderen Sicherung gegen Nachahmung nur die Rede sein kann, wenn sie zumindest in der einen oder anderen Vorkehrung der Sicherung des Papiergeldes nahekommt. Wertpapiere, die in der Gestaltung des Drucks oder in der Papierbeschaffenheit im Bereich der „gewöhnlichen" Urkunde verbleiben, werden, wie die Wertpapiere, die § 151 nicht nennt, nur wie gewöhnliche Urkunden nach §§ 267 ff geschützt. Eine Papierart kann gegen Nachahmung, z.B. durch Wasserzeichen oder durch Einstreuung besonderer (unsichtbarer) Fasern, besonders gesichert sein. Für die im Börsenverkehr der Bundesrepublik Deutschland gehandelten Wertpapiere sind die Voraussetzungen besonderer und ausreichender Fälschungssicherung im allgemeinen erfüllt 1 . 2

II. Der Katalog des Gesetzes. § 151 nennt in seinem nicht erweiterungsfähigen Katalog 2 folgende Wertpapiere: 1. Auf einen bestimmten Geldbetrag lautende Inhaberschuldverschreibungen und solche Orderschuldverschreibungen, die Teile einer Gesamtemission sind. Zu den Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff BGB), in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird und nicht nur ein Zinsbetrag aus der Geldsumme (BGH NStZ 1987 504, 505) gehören u.a. Schuldverschreibungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, ferner Hypothekenpfandbriefe. Das Lotterielos verbrieft zwar nach der Ziehung eine Forderung, es lautet aber nicht auf eine bestimmte Geldsumme. Inhaberverpflichtungszeichen (§ 807 BGB) gehören auch dann nicht hierher, wenn sie (wie Rabattsparmarken) auf eine bestimmte Geldsumme lauten (SchlSchröder/Stree Rdn. 4; Puppe N K Rdn. 9). Orderschuldverschreibungen, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird und die Teile einer Gesamtemission darstellen, hat das geltende Recht in den Kreis der Rechtsgutsobjekte einbezogen, weil sie nur mit staatlicher Genehmigung in den Verkehr gebracht werden durften; das Genehmigungserfordernis ist jedoch zwischenzeitlich aufgehoben worden (vgl. dazu Puppe N K Rdn. 10). 1

BTDrucks. 7/550 S. 231; Puppe N K Rdn. 5; LacknerlKühl Rdn. 2; Sehl Schröder/Stree Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 7; TröndielFischer Rdn. 2; Maurach/SchroederlMaiwald ΒΊ 2 § 67 Rdn. 34.

2

Tröndiel Fischer Rdn. 2 a. E.; LacknerlKühl Rdn. 1; Sehl Schröder! Stree Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2.

Stand: 1. 5. 1999

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Wertpapiere

§151

2. Aktien und zwar Inhaber- und Namensaktien. Vor der Ausgabe von Aktien erteilte Zwischenscheine und Quittungen, die § 149 a.F. erwähnte, werden in § 151 nicht mehr genannt.

3

3. Anteilscheine, die von Kapitalanlagegesellschaften ausgegeben worden sind. Zur Rechtsnatur dieser sog. Investmentzertifikate vgl. das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften vom 16.4.1957 (BGBl. I S. 378) i.d.F. des Gesetzes vom 9.9.1998 (BGBl. IS. 2726; III 4120 4). 4. Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine zu Wertpapieren, die in § 151 Nr. 1 bis 3 genannt sind, und Zertifikate (Schuldverschreibungen) über Lieferung solcher Wertpapiere. Zertifikate haben Bedeutung vor allem dadurch erlangt, daß sie nicht selten an Stelle der Wertpapiere, die sich in Verwahrung befinden, gehandelt werden (BTDrucks. 7/550 S. 230; vgl. dazu Puppe N K Rdn. 13). 5. Reiseschecks, die schon im Wertpapiervordruck auf eine bestimmte Geldsumme 4 lauten 3 . Von wem sie ausgegeben worden sind, ist ohne Bedeutung; dies kann von einem Kreditinstitut oder einem Reisebüro geschehen sein. Im Hinblick auf seine Bedeutung im internationalen Geldverkehr ist der massenhaft vorkommende Reisescheck, der auf Grund von Vereinbarungen einheitlich ausgestaltet und gegen Nachahmungen wirksam gesichert ist, in den erhöhten Strafschutz einbezogen worden, obwohl sein Inhalt und seine rechtliche Ausgestaltung gesetzlich nicht geregelt sind (BTDrucks. 7/550 S. 230). Als Reiseschecks ausgegebene Papiere, in die der Geldbetrag erst im Falle des Bedarfs eingetragen wird, sind nur nach § 267 geschützt. III. Die in Betracht kommenden Tathandlungen, der innere Tatbestand, Fragen der Täterschaft und Teilnahme, des Versuchs und der Vollendung, des Rücktritts und der Konkurrenzlehre sind in den Anmerkungen zu den §§ 146, 147 und 149 erläutert worden. Folgende Fragen sollen jedoch gesondert erörtert werden:

5

1. Den Anschein eines echten Wertpapiers, das - wäre es tatsächlich vorhanden - in den Katatlog des § 151 fiele, kann der Täter auch hervorrufen, wenn es für die Fälschung in ihrer äußeren Erscheinung kein wirkliches Vorbild gibt (vgl. § 146 Rdn. 6) 4 . Das Falsifikat muß den Erfordernissen des Wertpapierdrucks entsprechend, also mit besonderer Ausstattung nach Druck und Papierart, hergestellt sein, d.h. es muß den Anschein erwecken, daß es sich um ein echtes Wertpapier handelt, daß es also den besonderen Sicherungen gegen eine Nachahmung genügt und von einem Aussteller herrührt, der zur Ausgabe berechtigt ist. Nicht erforderlich ist, daß es sich bei diesem Aussteller um eine tatsächlich existierende Person handelt 5 . 2. Fälschungen mit wesentlichen Formmängeln können den Anschein eines echten, 6 in § 151 genannten Wertpapiers nicht erzeugen. Mindesterfordernis der Schriftform der Inhaberschuldverschreibung ist die „im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift" (§ 793 Abs. 2 S. 2 BGB). Fehlt sie, kann die Nachahmung eines Inhaberverpflichtungszeichens (§ 807 BGB) entstanden, der Täter wegen Urkundenfälschung strafbar sein (RGSt. 51 410, 412). Der äußere Anschein 3

4

BGHSt. 30 71 m. Anm. Stree JR 1981 427 und Otto NStZ 1981 478; ferner Puppe N K Rdn. 14. BGH NJW 1981 1965 m. Anm. Kienapfel JR 1981 473; BGHSt. 30 71, 72 (für Reiseschecks) m. Anm. Stree JR 1981 427; BGH NStZ 1987 504, 505; Puppe N K Rdn. 15; Sehl Schröder! Stree Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 8, Lackneri

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5

Kühl Rdn. 3; TröndlelFischer Rdn. 2; Maurachl SchroederlMaiwald BT 2 § 67 Rdn. 34; krit. Otto NStZ 1981 478. Lackner/Kühl Rdn. 3; SehlSchröder! Stree Rdn. 9; Puppe NK Rdn. 15; aA Rudolphi SK Rdn. 8; Otto NStZ 1981 478, 479.

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§152

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

einer formgültig ausgestellten Inhaberschuldverschreibung ist jedoch nicht bewirkt worden. § 151 und die in dieser Vorschrift genannten Bestimmungen sind nicht anwendbar (RGSt. 58 412, 413/414). Die Frage, ob es sich um eine Nachahmung handelt, wenn ein Wertpapier in einem für die bestimmungsgemäße Ausgabe erforderlichen Bestandteil (ζ. B. durch Einsetzen einer Aktiennummer) komplettiert wird, ist in RGSt. 48 125, 127 bejaht worden (ebenso SehlSchröder/Stree Rdn. 9). Man wird unterscheiden müssen: Handelt es sich bei der inhaltlichen Ergänzung zugleich um ein wesentliches Formelement, ist in der Tat erst durch die Komplettierung eine Urkunde überhaupt oder eine Urkunde einer bestimmten Kategorie entstanden, die nicht von demjenigen herrührt, der als ihr Aussteller genannt ist. In anderen Fällen kommt höchstens eine Verfälschung in Betracht, die, auch wenn sie ein Wertpapier betrifft, das im Katalog des § 151 genannt ist, nach dieser Vorschrift i.V.m. § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur bestraft werden kann, wenn der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird (BTDrucks. 7/550 S. 231; Sehl Schröder! Stree Rdn. 9; vgl. auch Puppe N K Rdn. 16). 7

3. Vorsätzliches Handeln erfordert, daß der Täter, wenn auch in laienhafter Betrachtung, den rechlichen Sinn des Wertpapiers, das Angriffsobjekt ist, und seine Funktion im Wirtschaftsleben erfaßt hat und davon ausgeht (oder doch damit rechnet), daß es gegen Nachahmung besonders gesichert ist. Wenn der Täter das Wertpapier falsch bezeichnet oder irrtümlich annimmt, es stehe dem Geld nicht gleich, ist das ein bloßer Subsumtionsirrtum, der unter Umständen einen Verbotsirrtum auslösen kann. {Seh!Schröder!Stree Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 8; abw. Puppe N K Rdn. 17). 4. Das StGB-DDR enthielt keine dem § 151 vergleichbare Bestimmung.

§152

Geld, Wertzeichen, und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes Die §§ 146 bis 151 sind auch auf Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes anzuwenden. 1. Zweck der Bestimmung. § 152 stellt ausdrücklich klar, daß die Tatbestände der Geld- und Wertzeichenfälschung die Rechtsgutsobjekte ohne Rücksicht darauf schützen, ob es sich um Geld, amtliche Wertzeichen und Wertpapiere bestimmter Art der Bundesrepublik Deutschland oder eines fremden Währungsgebiets handelt (vgl. zum Schutz ausländischer Rechtsgüter Lüttger Jescheck-Festschrift S. 120, 173 ff). Die Verpflichtung zum umfassenden Strafschutz ergibt sich für Geld aus Art. 5 des Internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 20.4.1929 (vgl. Bekanntmachung über das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 10. November 1933 - RGBl. II S. 913), für Postwertzeichen aus Art. 14 des Weltpostvertrages vom 10.7.1964 (BGBl. II S. 1705). § 152 beantwortet nur die Frage quid iuris sit, wenn bestimmte Rechtsgutsobjekte betroffen sind. Über den räumlich-persönlichen Geltungsbereich der §§ 146 bis 151 wird in der Vorschrift nichts gesagt. Dieser Bereich wird in den §§ 3, 4, 6 Nr. 7 und in § 7 abgesteckt. Die Einbeziehung ausländischer Wertpapiere in den umfassenden Strafschutz ist schon deshalb gerechtfertigt, weit sie im Wirtschaftsverkehr des Inlandes eine nicht unerhebStand: 1. 5. 1999

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Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes

§

152

liehe Rolle spielen. Die Einbeziehung hat allerdings die Konsequenz, daß nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 152 und § 6 Nr. 7 „ein Chinese strafbar ist, der auf den Philippinen amerikanische Aktien fälscht" (TröndlelFischer Rdn. 1). Die Erstreckung des unterschiedslosen Strafschutzes auf ausländische amtliche Wertzeichen, die keine Postwertzeichen sind, ist eine Übertreibung. Fälschung mit gefährlicher Auswirkung für das Inland kommt bei dieser Kategorie von Schutzobjekten kaum in Betracht 1 . § 152 gilt unabhängig davon, ob die Gegenseitigkeit verbürgt ist und ob diplomatische Beziehungen zu dem Staat bestehen, der ein fremdes Währungsgebiet, um dessen Geld, Wertzeichen oder Wertpapiere es geht, ganz oder teilweise umfaßt (SchlSchröderlStree Rdn. 1). II. Interpretationsfragen. Für die Frage, was als Geld, amtliches Wertzeichen, 2 Inhaberschuldverschreibung usw. eines fremden Währungsgebiets anzusehen ist und ob eine tatbestandsmäßige Handlung (ein Nachmachen, Verfälschen, Inverkehrbringen) begangen wurde, sind die Vorschriften maßgebend, die § 152 nennt, und die Begriffe, die diesen Vorschriften zugrunde liegen (vgl. für Wertpapiere: BGH NStZ 1987 504). Deshalb sind die von der Republik Südafrika ausgegebenen KrügerrandGoldmünzen kein Geld im Sinne der §§ 146 ff, da es ihnen für diese Qualifikation an der Bestimmung und Eignung zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr fehlt (BGHSt. 32 198, 200 m. Anm. Puppe JZ 1986 992; § 146 Rdn. 4). Dies gilt auch, wenn der in Frage stehende Wertträger von der ausländischen Rechtsordnung als Geld betrachtet wird. Ob die Rechtsgutsobjekte fremder Währungsgebiete die diesen Begriffen genügenden Qualitäten aufweisen, das freilich ist eine Frage, die nur das jeweilige ausländische Recht beantworten kann (BGHSt. 32 68, 75 ff m. Anm. Schlächter JR 1984 517ff; BGH NStZ 1987 504). Dieses Recnt kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, soweit es in außerstrafrechtlichen Bestimmungen Formerfordernisse aufstellt, die vom deutschen Recht abweichen. Die Merkmale der Rechtsgutsobjekte, die § 151 erwähnt (sie müssen besondere Sicherungen gegen Nachahmung durch Druck und Papierart aufweisen; Orderschuldverschreibungen müssen Teil einer Gesamtemission sein; auf sie und Inhaberschuldverschreibungen erstreckt sich der besondere strafrechtliche Schutz der §§ 146, 147 und 149 nur, wenn sie das Versprechen der Zahlung einer bestimmten Geldsumme enthalten; Reiseschecks werden lediglich unter der Voraussetzung einbezogen, daß sie schon im Vordruck auf eine bestimmte Geldsumme lauten), müssen auch die entsprechenden ausländischen Wertpapiere aufweisen, wenn § 151 für sie gelten soll. Es geht um „unterschiedslosen", nicht um einen die ausländischen Wertpapiere bevorzugenden strafrechtlichen Schutz (BGH NStZ 1987 504). Genügen die Falsifikate den an sie zu stellenden Anforderungen, so ist es unerheblich, ob es sich um ein Phantasieprodukt handelt, das im angeblichen Herkunftsland kein Vorbild hat (vgl. BGH NStZ 1987 504, 505; Sch/Schröder/Stree Rdn. 2; aA Puppe N K Rdn. 9). III. Innerer Tatbestand. In den Fällen des § 152 müssen sich in der Vorstellung des 3 Täters die Merkmale des Geldes, des Wertzeichens oder des Wertpapiers einer bestimmten Kategorie so widerspiegeln, daß er die gesetzlichen Voraussetzungen der Sache nach trifft (Parallelbeurteilung im Täterbewußtsein). Läßt er Merkmale genügen, die nach den gesetzlichen Erfordernissen nicht ausreichen, ist das ein Irrtum in 1

Zu Recht insoweit kritisch: Lackner/Kühl Rdn. 1; SehlSchröder!Stree Rdn. 1; Schlächter JR 1984 517, 521 f in einer Anm. zu BGHSt. 32 68; ferner Schlächter Oehler-Festschrift S. 307, 317f

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mit dem Vorschlag, den Anwendungsbereich des § 152 in diesen Fällen durch teleologische Reduktion einzuschränken; Puppe N K Rdn. 5.

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§ 1 5 2 Sí

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfálschung

der Subsumtion, der den Mangel im Vorsatz (das Fehlen zutreffender Parallelwertung) nicht zu ersetzen vermag („Wahndelikt"). Erfaßt der Täter die konstitutiven Merkmale richtig, zieht er aber nicht die Folgerung, daß er es mit Geld usw. zu tun habe, so ist das ein Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz unberührt läßt. Er kann Grundlage eines Vorbotsirrtums sein (Herdegen BGH-Festschrift S. 195, 205). Mit einem Tatbestandsirrtum hat man es zu tun, wenn der Täter irrtümlich annimmt, das ausländische Geld, das er nachmacht, sei außer Kurs gesetzt (TröndlelFischer Rdn. 3; Sehl Schröder! Stree Rdn. 3).

§ 152

a

Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr oder, um eine solche Täuschung zu ermöglichen, 1. inländische oder ausländische Zahlungskarten oder Euroscheckvordrucke nachmacht oder verfälscht oder 2. solche falschen Karten oder Vordrucke sich oder einem anderen verschafft, feilhält, einem anderen überläßt oder gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (4) Zahlungskarten im Sinne des Absatzes 1 sind Kreditkarten, Euroscheckkarten und sonstige Karten, 1. die es ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu einer garantierten Zahlung zu veranlassen, und 2. durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. (5) § 149, soweit er sich auf die Fälschung von Geld bezieht, und § 150 Abs. 2 gelten entsprechend."

Schrifttum Otto Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten sowie Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten, wistra 1986 150; Weber Probleme der strafrechtlichen Erfassung des Euroscheck- und Euroscheckkartenmißbrauchs nach Inkrafttreten des 2. WiKG, JZ 1987 215. - Vgl. im übrigen die Schrifttumsangaben vor § 146 und zu 146, § 147 und § 148.

I. Allgemeines 1

1. § 152 a wurde durch das am 1. August 1986 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15.5.1985 (BGBl. I S. 721) neu in das StGB aufgenommen. Durch die Vorschrift sollte (zusammen mit dem ebenfalls neu eingefügten § 266 b) eine bessere strafrechtliche Erfassung von Angriffen auf Stand: 1. 5. 1999

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Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks

§ 152 a

den Zahlungsverkehr mit Euroschecks und Euroscheckkarten ermöglicht werden. Ziel der Neuschöpfung war es, neben dem Schutz des Vermögens die Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Euroschecks und Euroscheckkarten schon im Vorfeld mißbräuchlicher Verwendung vor Gefahren zu bewahren (vgl. BTDrucks. 10/5058 S. 26; Otto wistra 1986 150). Die den §§ 146, 149 nachgebildete Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: (1) Wer in der Absicht, daß inländische oder ausländische Euroschecks unter Verwendung falscher Vordrucke als echt in den Verkehr gebracht werden oder daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, 1. falsche Vordrucke für Euroschecks herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält oder einem anderen überläßt oder 2. die Herstellung solcher falscher Vordrucke vorbereitet, indem er a) Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative, Matrizen oder ähnliche Vorrichtungen, die ihrer Art nach zur Herstellung dieser Vordrucke geeignet sind, oder b) Papier, das einer solchen Papierart gleicht oder zum Verwechseln ähnlich ist, die zur Herstellung echter Vordrucke bestimmt und gegen Nachahmung besonders gesichert ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überläßt, wird in den Fällen der Nummer 1 mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. (3) Ebenso wird bestraft, wer in der Absicht, daß inländische oder ausländische Euroscheckkarten unter Verwendung falscher Vordrucke zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden oder daß ein solcher Gebrauch ermöglicht werde, eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung begeht, die sich auf Vordrucke für Euroscheckkarten bezieht. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2, auch in Verbindung mit Absatz 3, gilt §149 Abs. 2 und 3 entsprechend. (5) § 150 Abs. 2 gilt entsprechend. 2. Durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene 6. Gesetz zur Reform des Straf- 2 rechts (6. StrRG) vom 25.1.1998 (BGBl. I S. 164) wurde die Vorschrift völlig neu gefaßt (vor § 146 Rdn. 1). Mit ihr soll über den Euroscheckverkehr hinaus der bargeldlose Zahlungsverkehr allgemein, auch soweit er durch Zahlungskarten (Kreditkarten, Euroscheckkarten usw.) erfolgt, vor Mißständen besser geschützt werden 1 . Sie richtet sich gegen die Fälschung von - inländischen oder ausländischen (vgl. dazu die Erläuterungen zu § 152) - Zahlungskarten oder Euroscheckvordrucken (§ 152 a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2) und stellt auch gewisse Vorbereitungshandlungen unter Strafe. Für gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln ist in Absatz 2 Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren vorgesehen. Die neugeschaffene Vorschrift rechtfertigt sich durch die Entwicklung, die der bargeldlose Zahlungsverkehr in den zurückliegenden Jahren genommen hat. Neben den Euroscheckverkehr, dessen Bedeutung im täglichen Leben bereits wieder nachzulassen scheint, ist in stärkerem Maße die Verwendung von internationalen Kreditkarten getreten. Die breite Verwendung dieser Zahlungskarten, die wie im Euroscheckverkehr dem Empfänger einen garantierten Zahlungsanspruch verschaffen und deshalb zu einem geldähnlichen Zahlungsmittel geworden sind, kann in besonderem Maße Anlaß zu mißbräuchlichem Verhalten in Form von Totalfälschungen geben 1

BTDrucks. 13/8587 S. 29; Otto wistra 1986 150, 153; TröndlelFischer Rdn. 1; Rudolphi SK

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Rdn. 1 f; Lackneri Kühl Rdn. 1; SehlSchröder! S tree Rdn. 1; aA Puppe NK Rdn. 4fT.

Wolfgang Ruß

§ 152 ä

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfälschung

(BTDrucks. 13/8587 S. 29). Die strafrechtliche Ahndung in diesen Fällen als Betrug, Computerbetrug oder Urkundenfälschung nach altem Recht wird zu Recht als unzureichend betrachtet, wenn man bedenkt, daß die Fälschung der Vordrucke und Karten weder eine versuchte Urkundenfälschung noch einen versuchten Betrug darstellt (vgl. Otto wistra 1986 150, 153; Weber JZ 1987 215, 218). Berücksichtigt man ferner, daß die Situation im bargeldlosen Zahlungsverkehr auch ein Betätigungsfeld für organisierte Tätergruppen bildet, erscheinen im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut der Sicherheit und Funktionsfahigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs Bedenken gegen die Einordnung der Taten als Verbrechen und die Unterstellung unter das Weltprinzip (§ 6 Nr. 7) nicht angebracht.

II. Tatbestand von Absatz 1 3

1. Als Tatobjekte werden in Absatz 1 (Nr. 1 und Nr. 2) inländische und ausländische Zahlungskarten (vgl. dazu die Erl. zu § 152) und Euroscheckvordrucke sowie andere Karten oder Vordrucke genannt. Der Kreis der Tatobjekte ist damit gegenüber dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des 6. StrRG erweitert, wo nur Euroscheckvordrucke und Euroscheckkarten genannt waren. Unter Zahlungskarten versteht das Gesetz Kreditkarten, Euroscheckkarten und sonstige Karten (Absatz 4), womit bestimmte Geldkarten („elektronische Geldbörsen") gemeint sind, denen eigen ist, daß sie ein Garantieversprechen (vgl. BGHSt. 38 281, 283 f) und eine besondere Sicherung gegen Nachahmung enthalten (vgl. TröndlelFischer Rdn. 3). Von Absatz 4 werden auch Euroscheckkartenvordrucke erfaßt, sofern sie - gegebenenfalls durch die vollständige Codierung des Magnetstreifens oder des Microchips - bereits die Verwendung ζ. B. am Geldautomaten ermöglichen (BTDrucks. 13/8587 S. 30).

4

2. Als Tathandlungen werden in Absatz 1 Nr. 1 das Nachmachen und das Verfälschen genannt. Zahlungskarten oder Vordrucke sind nachgemacht und damit falsch, wenn ihr Inhalt nicht von dem Kreditinstitut herrührt, das als ihr Aussteller in ihnen genannt ist. Sie sind aber auch dann falsch, soweit sie ohne entsprechenden Auftrag des genannten Ausstellers hergestellt worden sind (vgl. BGHSt. 27 255). Auf die Ausführungen zu § 146 Rdn. 6, 10 wird verwiesen. Ein Verfälschen liegt vor, wenn der Inhalt des echten Objekts verändert wird, sei es durch Verändern der Gültigkeitsdauer, des aufgebrachten Lichtbildes oder des aufgedruckten Namens des Berechtigten (BTDrucks. 13/8587 S. 30; Lackneri Kühl Rdn. 5) oder der in der Karte elektronisch gespeicherten Daten (TröndlelFischer Rdn. 4). Bei Geldkarten („elektronische Geldbörsen") reicht eine Erhöhung der elektronischen Werteinheiten aus. Im übrigen ist das Hervorrufen des Anscheins eines höheren Wertes - im Gegensatz zur Geldfälschung nach § 146 - nicht Voraussetzung für eine Verfälschung (BTDrucks. 13/8587 S. 30; LacknertKühl Rdn. 5). Nach dem Wortlaut der Vorschrift handelt nur tatbestandsmäßig, wer mehrere - also mindestens zwei - Zahlungskarten oder Vordrucke herstellt oder verändert. Diese auf den ersten Blick verwunderlich erscheinende Tatsache erhält jedoch ihre Erklärung im Hinblick auf den hohen Strafrahmen und die die Vorverlagerung des Strafschutzes mitbegründende Gefahr, die in der serienweisen Herstellung der Falsifikate und ihrer massenhaften Verwendung zu erblicken ist (Puppe N K Rdn. 14; Rudolphi SK Rdn. 6; aA TröndlelFischer Rdn. 4; SchlSchröder/Stree Rdn. 5).

5

3. Tathandlungen in Absatz 1 Nr. 2 sind das sich oder einem anderen Verschaffen, das Feilhalten, Uberlassen und Gebrauchen solcher Karten oder Vordrucke; das Stand: 1. 5. 1999

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Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks

§ 152 a

bloße Verwahren ist nicht tatbestandsmäßig. Das sich oder einem anderen Verschaffen bedeutet das Erlangen der tatsächlichen Verfügungsgewalt mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung über die falschen Vordrucke, sei es für den Handelnden selbst oder für einen Dritten (vgl. § 146 Rdn. 20; BGHSt. 44 62); Feilhalten bedeutet das äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen der falschen Zahlungskarten oder Vordrucke zum Zwecke des Verkaufs an andere (vgl. § 148 Rdn. 11; BGHSt. 23 286); ein Überlassen an einen anderen liegt vor, wenn er den Gewahrsam am Tatobjekt zu auch nur vorübergehendem Gebrauch durch Ubergabe oder Dulden des Ansichnehmens eingeräumt erhält (vgl. § 149 Rdn. 5); die Tathandlung des Gebrauchens entspricht der in § 267 und § 269 beschriebenen Tathandlung (BTDrucks. 13/ 8587 S. 30). 4. Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Der Täter muß die objektiven Tat- 6 bestandsmerkmale mindestens mit bedingtem Vorsatz erfüllen. Darüberhinaus muß er zur Täuschung im Rechtsverkehr handeln oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen. Die Vorschrift berücksichtigt im Gegensatz zu §152a a. F., daß Zahlungskarten und Euroschecks nicht wie Geld in Verkehr gebracht, sondern als Zahlungsmittel benutzt werden (BTDrucks. 13/8587 S. 30), aber beim Benutzer verbleiben. Daher wird sich die Absicht des Täters in diesen Fällen auf die Berechtigung beziehen, sie als Zahlungsmittel zu gebrauchen oder diesen Gebrauch zu ermöglichen (so zutr. TröndlelFischer Rdn. 6). Nach § 270 steht die falschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitungsanlage der Täuschung im Rechtsverkehr, also der Täuschung dritter Personen, gleich. III. Der Tatbestand des Absatzes 5 verweist auf § 149, soweit dieser sich auf die 7 Fälschung von Geld bezieht. Er stellt also die Vorbereitung einer geplanten Fälschung von Zahlungskarten oder Euroscheckvordrucken durch eine der in § 149 Abs. 1 beschriebenen Handlungen, nämlich Herstellen, sich oder einem anderen Verschaffen, Feilhalten, Verwahren und einem anderen Überlassen (§ 149 Rdn. 3 bis 5), unter Strafe. Die Verweisung bezieht sich auf die Tatobjekte des § 149 (§ 149 Rdn. 3, 4), die Strafdrohung aus § 149 (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) und die Rücktrittsregelung nach § 149 Abs. 2 und Abs. 3 (§ 149 Rdn. 8 bis 10). Die weitere Verweisung auf § 150 Abs. 2 ermöglicht auch die Einziehung der in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel. IV. Strafe. Regelstrafe für § 152 a Abs. 1 ist Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Es handelt sich bei diesem Delikt daher um ein Verbrechen, so daß der Versuch strafbar ist. Der Regelstrafrahmen wird von Rudolphi (SK Rdn. 2) mit einer gewissen Berechtigung als überhöht bezeichnet, weil durch die Strafbarkeit des Versuchs die Strafbarkeitsgrenze noch weiter vorverlagert wird. Rudolphi weist auch zutreffend darauf hin, daß die durch die Tathandlungen des Absatzes 1 vorbereiteten Delikte der Urkundenfälschung und - in vielen Fällen - des Betruges einen Regelstrafrahmen von nur fünf Jahren oder Geldstrafe haben, der Strafrahmen des § 152 a Abs. 1 also eine Verdoppelung des Normalstrafrahmens von § 263 und von § 267 aufweist. Der hohe Strafrahmen ist ersichtlich auf das Bestreben zurückzuführen, die Vorschrift dem Geldfälschungstat bestand des § 146 anzugleichen und der Gefährlichkeit der erfaßten Tathandlungen für das geschützte Rechtsgut wirksam zu begegnen (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 30; Weber JZ 1987 215, 218; Otto wistra 1986 150, 153). Die hohe Strafdrohung wird für die weniger gefährlich erscheinenden Fälle dadurch entschärft, daß Absatz 3 für minder schwere Fälle des Absatzes 1 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. (111)

Wolfgang Ruß

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§152 a 9

8. Abschnitt. Geld- und Wertzeichenfálschung

Absatz 2 enthält einen Qualifikationstatbestand für gewerbsmäßige Tatbegehungen und für Fälle, in denen der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat. Hier beträgt der Strafrahmen zwei Jahre bis fünfzehn Jahre (§ 38 Abs. 2). Für minder schwere Fälle des Absatzes 2 lautet der Strafrahmen ein Jahr bis zu zehn Jahren (Absatz 3). In den Fällen des Qualifikationstatbestandes kann nach § 150 Abs. 1 auf erweiterten Verfall (§ 73 d), in den Fällen bandenmäßigen Handelns auch auf Vermögensstrafe (§ 43 a) erkannt werden. Bezüglich des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit wird auf die Erläuterungen § 146 Rdn. 32, § 243 Rdn. 21 und § 260 Rdn. 2, bezüglich des bandenmäßigen Handelns auf § 146 Rdn. 33, § 244 Rdn. 11 bis 12a und § 260 Rdn. 3 verwiesen. Für die Vorbereitungsfälle des Absatzes 5 gilt ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

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V. Konkurrenzen. Taten nach Absatz 5 i.Vbg. mit § 149 sind gegenüber solchen nach Absatz 1 subsidiär (Lackner/Kühl Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 13; aA Puppe N K Rdn. 22). Dies gilt nicht nur, wenn der Täter der Vorbereitungstat die geplante Fälschung in strafbarer Weise selbst begeht, sondern auch, wenn er sich an der Fälschung beteiligt. Tritt er von der versuchten Fälschung in strafbefreiender Weise zurück, lebt die Strafbarkeit nach Absatz 5 wieder auf. - Begeht der Täter nach Absatz 1 einen Betrug oder eine Urkundenfälschung, so wird in der Regel Tatmehrheit vorliegen (LacknerlKühl Rdn. 9), doch ist, beispielsweise beim Gebrauchen, auch Tateinheit möglich (TröndlelFischer Rdn. 10; vgl. auch Weber JZ 1987 215, 218). Der Auffassung von Rudolphi (SK Rdn. 15), daß die Fälschung der Vordrucke nach § 152 a als Vorbereitungstat von der Urkundenfälschung konsumiert werde, kann nicht beigetreten werden, da ein Verbrechen nicht hinter einem Vergehen als subsidiär zurücktreten kann (Puppe N K Rdn. 23; TröndlelFischer Rdn. 10; Weber JZ 1987 215, 218). Im Verhältnis von § 152 a Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 2 wird man unterscheiden müssen, um welche Tathandlungen es geht. Hier kann Tateinheit anzunehmen sein, doch ist auch Gesetzeskonkurrenz möglich, z. B. wenn der Täter eine Karte oder einen Vordruck im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 herstellt und danach die falsche Karte gebraucht (vgl. TröndlelFischer Rdn. 10).

Stand: 1. 5. 1999

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NEUNTER ABSCHNITT Falsche uneidliche Aussage und Meineid Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff Schrifttum Alsberg Zur juristischen Natur der Eidesdelikte, GS Bd. 66 54; Arzt Falschaussage mit bedingtem Vorsatz, Jescheck-Festschrift S. 391; Badura Erkenntniskritik und Positivismus in der Auslegung des Meineidstatbestandes, G A 1957 397; Bahlmann Der Eideszwang als verfassungsrechtliches Problem, Ad. Arndt - Festschrift S. 37; Bartholme Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen, JA 1998 204 und JA 1993 220; Beling Die Nichtbeeidigung unglaubwürdiger Zeugenaussagen und die Bestrafung uneidlicher falscher Aussagen, DJZ 1901 326; Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB, Mannh. rechtw. Abhdl. Bd. 4 (1988); Bockelmann Zum Problem der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, NJW 1954 697; Boehringer Die Eidesreform in Strafprozess und Strafrecht (1931); Bruns Die Grenzen der eidlichen Wahrheitspflicht des Zeugen, insbesondere bei Tonbandaufnahmen über unwichtige Aussagen im Strafprozeß, GA 1960 161; Busch Zum Verhältnis von uneidlicher Falschaussage und Meineid, GA 1955 257; Clemens Der fahrlässige Falscheid im Rahmen der subjektiven Eidestheorie, Diss. München 1938; Dahs Der Eid - noch ein zeitgemäßes Instrument zur Wahrheitsfindung im Strafprozeß? Rebmann-Festschrift S. 161; Dedes Die Falschheit der Aussage, JR 1977 441; Dedes Die Gefahrdung in den Delikten gegen die Rechtspflege, Schröder-Gedächtnisschrift S. 331; Dedes Grenzen der Wahrheitspflicht des Zeugen, JR 1983 99; Deichmann Grenzfälle der Sonderstraftat, Strafr. Abhdl. Bd. 91 (1994); Delventhal Die strafprozessualen Vereidigungsverbote unter besonderer Berücksichtigung des offensichtlich falsch aussagenden Zeugen, Diss. Hamburg 1989; Eberl Gefahr für die Rechtspflege, DStrR 1936 125; Engisch Die Verletzung der Erkundigungspflicht, ZStW 52 (1932) 661; Fachinger Die Eidesverletzungen im LG-Bezirk Bonn 1905-1939, Unters, zur Kriminalität in Deutschi., Heft 12, 1941; Freund Verurteilung und Freispruch bei Verletzung der Schweigepflicht eines Zeugen, GA 1993 49; Gallas Zum Begriff der Falschheit der eidlichen und uneidlichen Aussage, GA 1957 315; Gallas Verleitung zum Falscheid, Engisch-Festschrift S. 600; Geppert Welche Bedeutung hat die Nichtbeachtung strafprozessualer Vorschriften für die Strafbarkeit nach den §§ 153 ff StGB, Jura 1988 496; Grünhut Der strafrechtliche Schutz loyaler Prozeßführung, SchwZStr. 51 (1937) 43; Grünwald Zur Problematik des Zeugeneides, R. Schmitt-Festschrift S. 295; Hall Die Aporie des Eides, Peters-Festschrift S. 59; Heimann-Trosien Zur Beibehaltung und Fassung des Eides, JZ 1973 609; Heinrich Die strafbare Beteiligung des Angeklagten an falschen Zeugenaussagen, JuS 1995 1115; Herrmann Die Reform der Aussagetatbestände (1973); Hilgendorf Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht am Beispiel der strafrechtlichen Aussagetheorien (§§ 153 ff), GA 1993 547; Hillmann Die Eidesverletzungen im LG-Bezirk Eisenach 1900-1936, Unters, zur Kriminalität in Deutschi., Heft 3, 1939; Ernst E. Hirsch Über die Gesellschaftsbezogenheit des Eides, Heinitz-Festschrift S. 139; Hruschka Anstiftung zum Meineid und Verleitung zum Falscheid, JZ 1967 210; Jacobsohn Die Fähigkeit zum Meineid, Strafr. Abhdl. Heft 202, 1920; Kaufmann Die strafrechtlichen Aussagetheorien auf dem Prüfstand der philosophischen Wahrheitstheorien, Baumann-Festschrift S. 119; Kehr Dilemma des Zeugen, NStZ 1997 160; Koffka Die Bestrafung der falschen uneidlichen Zeugenaussage, ZStW 48 (1928) 10; Kuttner Die juristische Natur der falschen Beweisaussage, Abh. d. Berliner kriminal. Instituts (1931); Kohlmann Zur Rechtsstellung der Aussageperson vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, JA 1984 670; Mannheim Fahrlässiger Falscheid, Frank-Festgabe II S. 315; Maurach Meineidsbeihilfe durch Unter(113)

Wolfgang Ruß

Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

lassung, DStrR 1944 1 und SJZ 1949 541; Meinecke Die Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit nach den Aussagedelikten (1996); Meister Falsche uneidliche Aussage und Zeugenmeineid, JR 1950 389; Mumm Zum Wesen der Aussagedelikte (1964); Neumann Der fahrlässige Falscheid (1931); Niethammer Über das Wesen des Meineids und die rechtliche Möglichkeit eines fahrlässigen Falscheids, DStrR 1940 161; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, JZ 1987 335, 337 f; 1989 573, 576f; Otto Die Aussagedelikte, §§ 153-163 StGB, JuS 1984 161; Otto Die falsche Aussage i.S. der §§ 153fT StGB, Jura 1985 389; Paulus Die „falsche Aussage" als Zentralbegriff der §§ 153-163 StGB, Küchenhoff-Gedächtnisschrift S. 435; Peters Zeugenlüge und Prozeßausgang (1939); Prittwitz Straflose Obstruktion der Rechtspflege durch den Angeklagten? StV 1995 270; Quedenfeld Der Meineid des Eidesunmündigen, JZ 1973 238; Rietzsch Die vorgetäuschte Straftat und die falsche Aussage, DStrR 1943 97; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 7. Aufl. (1999); Roxin Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt, JZ 1996 981; Rudolphi Die Bedeutung von Verfahrensmängeln für die Tatbestandsmäßigkeit einer eidlichen oder uneidlichen Aussage und einer eidesstattlichen Versicherung i. S. der §§ 153-156 StGB, GA 1969 129; Schaffstein Der Meineid in der neuesten Rechtsprechung des RG, JW 1938 145; Scheffler Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen seitens des Angeklagten, G A 1993 341; Schellenberg Zum Regeleid der Zeugen im Strafverfahren, NStZ 1993 372; Schmidhäuser Aussagepflicht und Aussagedelikt, OLG Celle-Festschrift S. 207; Schmitz Die Eideskriminalität im LG-Bezirk Duisburg 1906-1936, Unters, z. Kriminalität in Deutschi. Heft 10, 1941; Schneider Die Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis der §§ 153, 154 StGB, NJW 1955 1386; Schneider Über den Begriff der Aussage in §§ 153, 154 StGB, GA 1956 337; Schröder Unwahrer und unwahrhaftiger Eid (1939); Schröder Der Eid als Beweismittel, ZZP 1951 216; Schulz Probleme der Strafbarkeit des Meineids nach geltendem und künftigem Recht, Neue Kölner Rechtsw. Abhdl. Heft 66 (1970); Sello Zeugnis und Einzelbekundung, ZStW 21 (1901) 707; Steinke Probleme des Falscheids durch forensische Sachverständige, M D R 1984 272; Teichmann Meineidige und Meineidssituationen, Kriminal. Abhdl. Heft 21 (1935); Thudichum Geschichte des Eides (1911); Tenter Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen, wistra 1994 247; Voigt Die Verleitung zum falschen Eide, GA 1980 222; Vollmann Beihilfe zum Meineid, begangen durch Unterlassung, Diss. München 1965; Vormbaum Versuchte Beteiligung an der Falschaussage - Zum Verhältnis der §§ 30 und 159 StGB - , GA 1986 353; Vormbaum Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils (1987); Vormbaum Frühzeitige und rechtzeitige Berichtigung falscher Angaben, JR 1989 133; Vormbaum Eid, Meineid und Falschaussage. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (1990); Vormbaum Reform der Aussagetatbestände §§153-163 StGB (1992); Voscherau Die unerhebliche falsche Zeugenaussage, Diss. Hamburg 1970; H. Wagner Uneidliche Falschaussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, GA 1976 257, Welzel Über das Verhältnis der Strafbestimmungen für die uneidliche Falschaussage und den Meineid, JZ 1954 227; G. Wolf Falsche Aussage, Eid und eidesgleiche Beteuerung, JuS 1991 177; Zipf Die Problematik des Meineides innerhalb der Aussagedelikte, Maurach-Festschrift S. 415.

Entstehungsgeschichte D e r ursprünglich unter der Überschrift Meineid stehende Abschnitt verdankt seine jetzige B e z e i c h n u n g d e r S t r a f r e c h t s a n g l e i c h u n g s V O v o m 2 9 . 5 . 1 9 4 3 ( R G B l . I S. 339), welche die B e s t r a f u n g d e r falschen uneidlichen Aussage n e u e i n f ü h r t e . Seine E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e ist d a d u r c h gekennzeichnet, d a ß sich ihre W a n d l u n g e n sowohl in d e n verfahrensrechtlichen Vorschriften ü b e r Aussagen verschiedenster A r t u n d ihre eidliche B e k r ä f t i g u n g wie in d e r F a s s u n g d e r einschlägigen S t r a f t a t b e s t ä n d e niedergeschlagen h a b e n . D u r c h die D a r s t e l l u n g d e r Ä n d e r u n g e n i m W o r t l a u t des S t r a f gesetzes allein sind sie nicht h i n r e i c h e n d beschrieben. So h a t sich vor allem die S ä k u l a r i s i e r u n g des Begriffs des Eides, d e r e t w a n o c h v o n Frank (Vorbem. III) allgemein als B e t e u e r u n g d e r W a h r h e i t u n t e r A n r u f u n g G o t t e s Stand: 1.7. 1999

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

bezeichnet wurde, allein aus den Änderungen des Prozeßrechts ergeben, die durch das Verbot des Zwangs zur religiösen Eidesform in Art. 136 Abs. 4 WeimVerf. bewirkt und die Übergangsvorschrift in Art. 177 WeimVerf. eingeleitet wurden. Das wichtige Kapitel des Offenbarungseids ist durch das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I S.911) aus dem Komplex des § 154 gelöst und dem § 156 zugeschlagen worden, ohne daß sich dies auf die Fassung der Strafbestimmungen ausgewirkt hätte. Ursache dieser Veränderung war, daß der Bundesrat der im Rechtspflegergesetz vom 5.9.1969 (BGBl. I S. 2065) vorgesehenen Zweiteilung des vollstreckungsrechtlichen Offenbarungseidsverfahrens, das dem Rechtspfleger mit Ausnahme von Eidesabnahme und Haftanordnung übertragen werden sollte, widersprach und um der Einheitlichkeit des mit Ausnahme der Haftanordnung dem Rechtspfleger ganz zuzuweisenden Verfahrens willen für die Ersetzung des dem Richter in § 4 Abs. 2 Nr. 1 RpflG vorbehaltenen Eids durch die eidesstattliche Versicherung eingetreten war. Um diesem Verlangen zu entsprechen wurde nun kurzerhand auch für den materiellrechtlichen Offenbarungseid in Fällen der Rechnungslegung und Auskunftserteilung die Umwandlung in eine Versicherung an Eides Statt bewerkstelligt. Vgl. dazu die fundierte Kritik von Habscheid NJW 1970 1669. Als das BVerfG mit Beschluß vom 11.4.1972 (BVerfGE 33 23) einem ev. Geistlichen das Recht zugestand, die Leistung eines Zeugeneides auch in nicht religiöser Form unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 G G zu verweigern 1 , veranlaßte das den Gesetzgeber, eine dem Eid ausdrücklich gleichgestellte Bekräftigung der Wahrheit der Aussage einzuführen: Gesetz zur Ergänzung des 1. Ges. z. Reform des Strafverfahrensrechts vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3686). Zugleich wurden mit diesem Gesetz die Vorschriften über die Form der Eidesleistung (§ 66 c StPO, § 481 ZPO) mit und ohne religiöse Beteuerung klarer gefaßt und die Belehrungspflicht nach § 57 S. 2 StPO und § 480 ZPO um den Hinweis auf die Möglichkeit der Wahl zwischen den beiden Formen des religiösen und nicht religiösen Eides erweitert (vgl. auch LK § 155 Entstehungsgeschichte und Rdn. 1). Für die eidesstattliche Versicherung hat der Gesetzgeber auf eine ausweichende, das Wort „Eid" vermeidende Formulierung verzichtet (vgl. §27 Abs. 3 VwVfG). Den ersten größeren Eingriff in den bis zum Jahr 1933 von jeder Änderung oder Ergänzung verschonten Text des StGB brachte die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) mit der 2. DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I S.41), welche die schon mit einer Initiative der Bundesstaaten im Jahre 1899 (lex Salisch) vorgeschlagene Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage des Zeugen oder Sachverständigen einführte und diesen neuen Tatbestand an die Stelle des in seinem ursprünglichen Bestand bereits durch das Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.10.1933 (RGBl. I S.780) obsolet gewordenen § 153a. F. setzte. Zugleich wurden weitere Vorschriften des Abschnitts dieser Neuerung angepaßt. Das StRÄndG v. 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) beseitigte den gegenstandslos gewordenen Tatbestand des Eidesbruchs in § 162, strich die im Jahre 1944 eingeführte Straf1

Die Entscheidung führte zu einer regen Auseinandersetzung und gab den Bestrebungen zur Abschaffung des staatlich verordneten Eides neuen Auftrieb. Siehe dazu im einzelnen die kritische Anmerkung von Peters in JZ 1972 520 und die Aufsätze von Eben JR 1973 397, Engelmann M D R 1973 365, Heimann-Trosien JZ 1973

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609, Lange Gallas-Festschrift S. 427, Nagel JR 1972 413, Schultz M D R 1973 20, Stolleis JuS 1974 770, Woesner N J W 1973 169; sowie ferner Dahs Rebmann-Festschrift S. 161; Herrmann S. 134 ff; Ε. E. Hirsch Heinitz-Festschrift S. 139; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 761, 764f; Zipf Maurach-Festschrift S. 415.

Wolfgang Ruß

Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

barkeit des Versuchs in den §§ 153 und 156 und faßte die §§ 159 und 163 Abs. 2 neu. Im Zuge der letzten Reformen hat das 1. StrRG die §§ 157 und 158 den Änderungen im Allgemeinen Teil angepaßt und die bisher in § 161 vorgesehenen Folgen des Ehrverlustes und der Eidesunfähigkeit samt dieser Vorschrift gestrichen. Das EGStGB 1974 Art. 19 II Nr. 60-65 und das gleichzeitig in Kraft getretene 2. StrRG Art. 2 brachten mit Ausnahme der Streichung der falschen Versicherung an Eides Statt in §157 nur redaktionelle Änderungen. Schließlich hat das oben bereits behandelte Gesetz vom 20.12.1974 den § 155 im Sinne der Einbeziehung der von der Eidesform gelösten Bekräftigungsformel neu gefaßt und vereinfacht. - Vgl. ferner zur Entwicklung der Aussagedelikte: Maurach!SchroederlMaiwald BT 2 §74 Rdn. 5ff und Vormbaum Eid usw.

Übersicht Rdn. I. Überschrift und Stellung des Abschnitts 1 II. 1. Geschütztes Rechtsgut . 2 2. keine strikte Beschränkung auf innerdeutsche Rechtspflege 3 3. kein Religionsdelikt 4 4. Auswirkung überholter Vorstellungen 5 5. Nebenzweck, Bezug zu anderen Tatbeständen 6 III. Keine Sonderstraftaten. Eigenhändige Delikte 7 IV. Begriff des Falschen. Objektive und subjektive Theorie 8 V. Begriff der Aussage 15

1

Rdn. . VI. Inhalt der Aussage . . beim Zeugen . beim Sachverständigen . VII. Thema der Aussage . . . im Zivilprozeß . im Strafprozeß . Zusatzfragen VIII. Erheblichkeit der Aussage IX. Ausscheiden von Nebensächlichem, von nicht durch das Thema Erfaßtem X. Vernehmungsmängel Verneinung des Tatbestands in Grenzfallen Bedeutung für Strafzumessung . . . . XI. Recht des Einigungsvertrages . . . .

16 17 18 19 20 20a 21 23 25 29 30 31 32

I. Die Überschrift des Abschnitts stellt die beiden Tatbestände der §§ 153 und 154 heraus. Sie ist ähnlich wie die ursprüngliche, auf das Wort Meineid beschränkte Uberschrift als pars pro toto gedacht und nicht, wie BGHSt. 1 382 es noch verstehen wollte, als Gegenüberstellung heterogener Vorschriften zu deuten, sondern kennzeichnet eher den engen, in einem Stufenverhältnis stehenden Zusammenhang der beiden Tatbestände, das sich u. a. im Ausschluß des § 153 aus dem Fahrlässigkeitstatbestand des § 163 ausprägt. § 163 andererseits verknüpft den Meineid der §§ 154, 155 mit dem Tatbestand der falschen Versicherung an Eides Statt des § 156, welcher den strafrechtlichen Schutz des wichtigen Mittels der im Vorraum des Beweises stehenden Glaubhaftmachung hinzufügt und damit die Erfassung •strafwürdigen Unrechts vervollständigt, das in der Bereitstellung irreführender tatsächlicher Information für in besonderer Weise auf Wahrheitsfindung angewiesene Staatsorgane zu sehen ist. Verstärkt wird dieser Schutz im Vorfeld durch die Tatbestände der §§ 159 und 160, die der Wahrheitsfindung abträgliche Einwirkungen auf Beweispersonen treffen, während auf der anderen Seite in den §§ 157 und 158 besondere Möglichkeiten der Strafmilderung bis hin zum Absehen von Strafe geboten sind, von denen die eine besonderen Notlagen der vom Staat in Pflicht genommenen Beweisperson gerecht wird, während die andere die Umkehr des Täters auf den Weg der Wahrheit honoriert. Alles in allem eine gut durchdachte umfassende Sicherung eines hier zur Gänze erfaßten Sachbereichs. Stand: 1.7. 1999

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 fT

Vor § 153

Die Stellung des Abschnitts folgte der Anordnung des preuss. Strafgesetzes, das den Meineid zwischen die Münzverbrechen und die falsche Anschuldigung einordnete. II. 1. Geschütztes Rechtsgut der im Neunten Abschnitt zusammengefaßten Delikte 2 ist die staatliche Rechtspflege, die für ihre Entscheidungen wahrheitsgemäßer tatsächlicher Grundlagen bedarf 2 . Neben den Gerichten sind auch andere zuständige Stellen wie parlamentarische Untersuchungsausschüsse (BGHSt. 17 128) in den Strafschutz einbezogen ( Wagner G A 1976 257). Diese Bestimmung des Schutzgegenstandes ist jetzt ganz einhellige Meinung. Daß dabei die Funktion der angesprochenen staatlichen Einrichtungen, primär der Justiz, im Vordergrund steht, es also gerade auf die Absicherung der diesen Organen obliegenden Tatsachenfeststellung ankommt, wird von Rudolphi SK Rdn. 5 unter Berufung auf BGHSt. 8 301, 309 zutreffend betont 3 . 2. Der Schutzbereich der §§ 153 ff ist grundsätzlich auf die innerdeutsche Rechtspflege beschränkt (Gribbohm LK vor § 3 Rdn. 181 ff)4. Er erstreckt sich jedoch auch auf Verfahren vor internationalen und supranationalen Gerichtshöfen, wenn vertragliche Vereinbarungen den Anwendungsbereich des nationalen Strafrechts auf Aussagedelikte und Eidesverletzungen ausdrücklich ausdehnen (vgl. dazu Gribbohm LK vor §3 Rdn. 183ff; Lüttger Jescheck-Festschrift S. 120, 165ff) 5 . Im übrigen gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für im Ausland begangene Aussagedelikte, die sich auf in der Bundesrepublik anhängige Verfahren beziehen (§ 5 Nr. 10), also vor allem für Aussagen, die im Wege der Rechtshilfe vor ausländischen Stellen gemacht werden: Gribbohm LK § 5 Rdn. 55; Vormbaum N K Rdn. 33 ff; Rudolphi SK Rdn. 4.

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3. Das Verständnis der Eidesdelikte als Religionsdelikte gehört der Geschichte an 4 (siehe dazu u. a. Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 5 ff mit Hinweisen auf das römische und altdeutsche Recht) 6 . Dabei ist bemerkenswert, daß dieses Verständnis schon in der Carolina nicht mehr ausgeprägt war und daß es in der späteren Partikulargesetzgebung nur selten so in den Vordergrund gerückt wurde wie in den preuß. Entwürfen von 1833 und 1836, welche auch den Privateid mit einer Strafsanktion schützen wollten (im einzelnen VDB III 284, 287). Für das RStGB betonte das RG noch in RGSt. 10 339, die Bedrohung der Rechtssicherheit sei nicht der einzige legislatorische Grund für die Bestrafung des Meineids; der Meineid sei zugleich ein Verbrechen gegen die Religion. Erst RGSt. 47 156 rückte hiervon ab und ließ die Delikte des Abschnitts nur noch als „mittelbar gegen den Staat sich richtende und insbesondere die Rechtspflege gefährdende Verbrechen und Vergehen", als „Straftaten in 2

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BGHSt. 8 301, 309; 10 142, 143; ferner Lackneri Kühl Rdn. 1; TröndlelFischer Rdn. 1; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2f; Mumm S. 87; Schultz S. 12; Herrmann S. 131; Dedes JR 1977 441; Otto JuS 1984 161; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 1 ; Maurach/ Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 9; Wessels/ Hettinger BT 1 Rdn. 738; weitergehend Vormbaum N K Rdn. Iff, 11. In diesem Sinne auch: Mumm S. 87; Schultz S. 12; Herrmann S. 131; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 2; Vormbaum N K Rdn. 2ff; Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 9 und 32; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 738; Paulus KüchenhofT-Gedächtnisschrift S. 435.

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Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 4; Vormbaum N K Rdn. 31, 34; Otto JuS 1984 161 Fn. 1. Vormbaum N K Rdn. 32; Lackner/Kühl Rdn. 2; Sehl Schröder!Eser vor § 3 Rdn. 21; Rudolphi SK Rdn. 4; Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 44 und § 68 Rdn. 8; Otto JuS 1984 161 Fn. 1; AG Tauberbischofsheim NStZ 1981 221 (LS). Vgl. auch Rudolphi SK Rdn. 6; Vormbaum NK Rdn. 20 und Schutz des Strafurteils S. 143 ff, 178 ff.

Wolfgang Ruß

Vor § 1 5 3

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

bezug auf die Beweisführung" gelten. Hieran hat das RG, bestärkt durch den Wegfall des Zwangs zur religiösen Eidesform, in der Folge festgehalten (RGSt. 70 132, 73 147). Die Einführung der Strafbarkeit uneidlicher falscher Aussagen im Jahre 1943 hätte diese Linie weiter bekräftigen sollen. Indessen gab die verschiedenartige Fassung der Tatbestände in § 153 und § 154 dem BGH den Anstoß zu einer Rspr., welche den Meineid als delictum sui generis verstehen wollte, dessen spezifischer Unrechtsgehalt „in der Verletzung der feierlichen Beteuerungsform" liege7. Darin äußerte sich dann wieder ein deutlicher Bezug auf das sakrale Element, an dem ja auch die Prozeßordnungen durch die Betonung der religiösen Eidesformel als der scheinbaren Regel bis vor kurzem festgehalten haben und der sich zudem, worauf KohlrauschiLange (vor §153 Anm. III, 3) und Seh!Schröder!Lenckner (Rdn. 2) treffend hinweisen, in den stark divergierenden Strafdrohungen der §§ 153 und 160 einerseits und der §§ 154 und 159 andererseits immer noch zeigt. Erst die Entscheidung des Großen Senats in BGHSt. 8 301, 309 hat die Dinge dann wieder ins Lot gebracht und die schon vom RG gewonnene Erkenntnis bestätigt, daß die sakrale Färbung dem Eide nicht wesentlich ist und die Strafdrohungen aller Aussagedelikte dem Schutz der Rechtspflege dienen, indem sie die Beweiskraft der Eidesleistungen und eidesstattlichen Versicherungen verstärken und sichern (s. auch BGHSt. 10 142, 143 mit weiteren Rspr.Hinweisen). Das BVerfG hat hier wohl mit seinem Satz den Schlußstrich gezogen, daß „der ohne Anrufung Gottes geleistete Eid nach der Vorstellung des Verfassungsgebers keinen religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug" habe (BVerfGE 33 23). 5

4. Gegenüber den durch die überholten Vorstellungen mitbestimmten Strafdrohungen hat sich die gerichtliche Praxis zu helfen gewußt, indem sie von der Milderungsmöglichkeit des § 154 Abs. 2 großzügig Gebrauch macht. Jedoch ist mit den von Heimann-Trosien JZ 1973 609 vorgetragenen Gründen, die sich auf vielfältige Erfahrungen des gerichtlichen Alltags berufen können, die qualitative Unterscheidung zwischen eidlicher und uneidlicher Aussage und eine entsprechende Differenzierung der Strafdrohungen durchaus gerechtfertigt. Sie hängt auch nicht von der gewiß falschen und mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht zu vereinbarenden Prämisse ab, daß der eidlichen Beweisaussage stets ein höherer Beweiswert zukäme 8 . Auch das Strafrecht wird nicht dadurch überflüssig, daß es nicht mit Unfehlbarkeit zur Resozialisierung führt. Dagegen ist die von SehlSchröder!Lenckner (vor § 153 Rdn. 2) artikulierte Kritik an der niederen Strafdrohung des § 160 sicher ernst zu nehmen (vgl. die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte bei § 160). Die Beobachtung, daß die Versicherung an Eides Statt nicht der Ermittlung der Tatsachengrundlage für eine gerichtliche Entscheidung dient, sondern der Durchsetzung privater Rechte, zwingt andererseits nicht zu der Konsequenz, diesen Komplex der Aussagedelikte schlechtweg als nicht mehr auf die Rechtspflege bezogen anzusehen. Letztlich entscheidend für diese Zuordnung muß sein, daß hier die Justiz mit einem rechtsförmigen Verfahren zur Feststellung von Tatsachen eingesetzt ist9.

7

8

BGHSt. 1 241, 243; 2 233; 4 172, 176; dazu krit. Welzel JZ 1954 227 und Schneider N J W 1955 1386. Vgl. Rudolphi SK Rdn. 6; Herrmann S. 136ff; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 765; G. Wolf JuS 1991 177, 183 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 194ff, 218ff; Zipf Maurach-Festschrift S.415ff.

9

Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 2; Deichmann S. 54 ff; //. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 763 f; aA Rudolphi SK Rdn. 7; Herrmann S. 127ff, 196f; Paulus Küchenhoff-Gedächtnisschrift S. 435, 451.

Stand: 1.7. 1999

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

5. Ein dem Hauptzweck der Tatbestände des Abschnitts, dem Schutz der Rechts- 6 pflege, zugeordneter Nebenzweck soll im Schutz der Rechtspositionen der Personen zu sehen sein, die durch die von einer falschen Aussage beeinflußbaren gerichtlichen Erkenntnisse beeinträchtigt oder durch eine falsche Aussage unmittelbar in ihren Entschlüssen beeinflußt werden können (BGH LM § 3 Nr. 2) 9a . Das tritt beim Komplex der eidesstattlichen Versicherungen besonders hervor. Jedoch kommt es auf eine konkrete Auswirkung der Falschaussage bei keinem der Tatbestände des Abschnitts an. Die Aussagedelikte sind abstrakte Gefährdungsdeliktel0. Zur damit zusammenhängenden Frage der Tatbestandsmäßigkeit unerheblicher Aussagen s. Rdn. 23. Die von Binding (Lehrb.) II 1, 108 aufgezeigte Verwandtschaft der Eidesdelikte mit Münzfälschung und Urkundenfälschung, die Alsberg GS Bd. 66 54 nur im Verhältnis von Eidesdelikten und Urkundenfälschung anerkennen wollte, wobei er der Sicherheit des Beweises durch Eid die Sicherheit des Beweises durch Urkunden zur Seite stellte, ist als wenig ergiebige Spekulation anzusehen, die, worauf MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 12 richtig hinweisen, außer acht läßt, daß das Spezifikum der Aussagedelikte in der Irreführung der Rechtspflege besteht, auf welche die Münzdelikte überhaupt nicht, die Urkundendelikte nur fallweise und unter anderem angelegt sind. III. Eine besondere Tätereigenschaft ist zu den Straftaten des Abschnitts nicht 7 erforderlich. Deshalb kann mit RGSt. 36 278 (im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung des RG in RGSt. 4 32 und 28 87 und abweichend von § 153 Anm. 4 in der 8. Auflage) nicht der Auffassung gefolgt werden, daß eine Person, die das eidesmündige Alter noch nicht erreicht hat, also noch nicht 16 Jahre alt ist (§ 60 Nr. 1 StPO, § 393 ZPO), von vornherein für eine Tatbegehung auszuscheiden habe; vgl. dazu jedoch im einzelnen LK 154 Rdn. 10. Die Straftaten des Abschnitts sind auch keine Sonderstraftaten oder Pflichtdelikte im Sinne der Ausführungen Roxins (LK § 25 Rdn. 37; §28 Rdn. 57 ff, 62)" mit der Folge, daß die dem Täter obliegende prozessuale Wahrheitspflicht als besonderes persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1 zu behandeln wäre. Die auf rechtsgutsbezogenen Erwägungen beruhende Wahrheitspflicht besteht nur für den Aussagenden selbst. Er allein wird vom Tatbestand erfaßt, da er es ist, von dem die Gefahr der Gesetzesverletzung durch die unmittelbare Falschaussage ausgeht. Eine Sonderpflicht wird für den Aussagenden dadurch nicht geschaffen 12 . Die Aussagedelikte sind ihrem Wesen nach „eigenhändige" Straftaten im Sinne von § 25 Abs. 1, d. h. ihre Begehung im Wege einer mittelbaren Täterschaft (und auch der Mittäterschaft) ist ausgeschlossen (RGSt. 37 92; 61 199, 201)13. Für denjenigen, welcher den Aussagenden zur Aussage veranlaßt, greift der besondere Tatbestand des § 160 ein (vgl. des Näheren: Gallas Engisch-Festschrift S. 607).

10

OLG Düsseldorf M D R 1988 695; OLG Bremen NStZ 1988 39; OLG Hamburg NJW 1970 1561, 1562; abl. MaurachlSchroederl Maiwald BT 2 §68 Rdn. 8. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 2 a; Rudolphi SK Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 1; Gallas GA 1957 318; Schmidhäuser O L G Celle-Festschrift S. 207, 237; Otto JuS 1984 161, 166; Maurachl SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 10; vgl. aber Dedes JR 1977 441, 442 und Schröder-Gedächtnisschrift S. 331, 333 ff; anders auch Vormbaum N K Rdn. 19 und Schutz des Strafurteils S. 264f.

(119)

11

12

13

Wie Roxin: Rudolphi SK Rdn. 9; Vormbaum N K § 153 Rdn. 11 und Schutz des Strafurteils S. 282 ff; Deichmann S. 59 ff; Herzberg ZStW 88 (1976) 68, 103 und GA 1991 145, 181 fT. SehlSchröder! Lenckner Rdn. 42; Tröndlel Fischer Rdn. 13; Otto JuS 1984 161, 166. Seh! Schröder!Lenckner Rdn. 2 a; Lackneri Kühl Rdn. 7; Tröndlel Fischer Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 9; Vormbaum N K § 153 Rdn. 111; Wessels/Hetlinger BT 1 § 17 Rdn. 738; Otto JuS 1984 161, 166; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 770 f.

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Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

8

IV. Wie der in allen Tatbeständen des Abschnitts vorkommende Begriff des Falschen, also der falschen Aussage, zu deuten sei, ist umstritten und von der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden. Es geht hier um den Gegensatz von objektiver und subjektiver Theorie der Aussagedelikte, bei dessen Erläuterung wir an das bei Kohlrauschi Lange (Anm. IV 1 vor § 153) gegebene Beispiel anknüpfen wollen: Wenn A, der tatsächlich am 9. Mai in Köln war, bei seiner Vernehmung als Zeuge bekundet, daß er am 8. Mai in Köln gewesen sei, so ist seine Aussage nach der objektiven Theorie auf jeden Fall falsch, nach der subjektiven mit Sicherheit jedoch nur dann, wenn A bei seiner Aussage wußte, daß er am 9. Mai in Köln war. Ist er trotz Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel davon überzeugt, daß er am 8. Mai in Köln gewesen sei, so ist seine Aussage nach der subjektiven Theorie nicht falsch. Die Alternative lautet mit andern Worten, ob bei der Frage nach der Falschheit einer Aussage im Sinne der Tatbestände des Abschnitts von der objektiven Wahrheit ausgegangen werden muß, deren Feststellung allemal das Ziel der Untersuchung ist, oder ob es für die strafrechtliche Beurteilung insoweit auf die Überzeugung der Beweisperson von der Wirklichkeit anzukommen hat. Nach der knappen und treffenden Formulierung Niethammers (Lehrb. S. 65 u. DStR 1940 161, 169) geht es darum, ob man dem Begriff des Falschen den Widerspruch zwischen Wort und Wahrheit oder den Widerspruch zwischen Wort und Wissen zugrunde legen soll. Nach ihren sachlichen Prämissen lassen sich die beiden Betrachtungsweisen dahin bestimmen, daß die objektive Theorie bei der Fixierung des äußeren Tatbestandes der Aussagedelikte in der auch sonst allgemein geübten Weise von einer Hereinnahme und Beachtung der Vorstellungswelt des Täters absieht, während es umgekehrt der subjektiven Theorie unerläßlich erscheint, schon im Bereich des äußeren Tatbestandes zu berücksichtigen, daß die Fähigkeit des Menschen, Sinneseindrücke aufzunehmen und sowohl momentan wie über einen längeren Zeitraum festzuhalten, begrenzt und unterschiedlich ausgebildet ist.

9

1. Ausgangspunkt der Überlegung für die Vertreter der objektiven Theorie14 ist die Tatsache, daß eine Gefährdung des Schutzgutes nur in einer Aussage zu erblicken ist, die der Wirklichkeit widerspricht. Für die Beurteilung, ob eine Aussage falsch ist, kommt es für sie daher allein auf den Vergleich zwischen dem Inhalt der Aussage und der objektiven Sachlage an. Das Vorstellungsbild des Aussagenden, seine Überzeugung davon, wie sich das geschilderte Geschehen abgespielt hat, ist für die Beurteilung der Richtigkeit oder Falschheit ohne Bedeutung. Eine objektiv richtige Aussage stört die Rechtspflege auch nicht, wenn sie subjektiv falsch ist.

10

2. Demgegenüber stellen die Vertreter der subjektiven Theorie15 auf das Vorstellungsbild des Täters ab. Für sie ist die Diskrepanz zwischen Inhalt der Aussage und Wissen des Aussagenden das Kriterium für die Falschheit: Da jede Aussage letzten Endes immer nur ein von menschlicher Unvollkommenheit im sinnlichen Erfassen und Bewahren beeinflußtes Vorstellungsbild wiedergebe und wiedergeben könne, 14

SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 3; TröndletFischer Rdn. 5; Kohlrauschi Lange Anm. IV 3; Frank § 153 Anm. III 2; Badura GA 1957 397, 404; HruschkalKässer JuS 1972 709, 710; Wolf JuS 1991 177, 180ff; Hilgendorf GA 1993 547, 554; A. Kaufmann BaumannFestschrift S. 119; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 16; Welze! § 77 Anm. I 1 a; v. Liszt!Schmidt BT § 181 Anm. I 1 b.

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Thomsen GS Bd. 60 60 und 64 219; Binding BT II 1 S. 134; H. Mayer GS Bd. 93 189; Hegler AcP Bd. 104 286; Gerland Lehrbuch S. 371; Schaffstein JW 1938 145; Niethammer Lehrb. S. 65 und DStrR 1940 161, 171; Olshausen!Freiesleben § 153 Anm.4; Mannheim Frank-Festgabe II S. 315; Werner LM StGB § 154 Nr. 5; Schröder Unwahrer und unwahrhaftiger Eid S. 33; Gallas GA 1957 315; Willms Voraufl. Rdn. 9-12.

Stand: 1 . 7 . 1999

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

müsse der Gesetzgeber diesem Umstand Rechnung tragen. Die Aussagedelikte verpflichteten den einzelnen, sein Wissen und seine Fähigkeit, dieses Wissen mitzuteilen, zur Verfügung zu stellen; mehr könne und dürfe von ihm nicht gefordert werden (Willms Voraufl. Rdn. 9). Entscheidend ist daher für die Vertreter der subjektiven Theorie, ob Aussageinhalt und Wissen des Aussagenden übereinstimmen (Niethammer DStrR 1940 161 ff, 169). Eine Aussage ist nach dieser Auffassung daher falsch, wenn der Aussagende etwas aussagt, das mit seiner Erinnerung, also mit seinem Wissen, nicht übereinstimmt, selbst dann nicht, wenn es objektiv wahr ist. Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, auf welchen Wissensstand bei der Vernehmung abzustellen ist. Nach Gallas (GA 1957 315, 319, 321) kommt es auf das im Zeitpunkt der Vernehmung tatsächlich vorhandene Wissen des Aussagenden an; demgegenüber geht Willms (Voraufl. Rdn. 10) davon aus, daß das vom Täter erreichbare Wissen den Maßstab für das Falschheitsurteil abgibt. Er verlangt vom Aussagenden daher, daß dieser sich bemüht, sich ein richtiges Erinnerungsbild an den Vorgang zu verschaffen. 3. Ein ähnlicher Standpunkt wird von den Vertretern der sog. Pflichttheorie16 ein- 11 genommen. Nach ihr ist eine Aussage falsch, wenn der Aussagende nicht das Wissen wiedergibt, das ihm bei entsprechender und zu verlangender Anstrengung möglich gewesen wäre, er also seine prozessuale Wahrheitspflicht verletzt. Schmidhäuser (OLG Celle-Festschrift S. 207 fi) nennt als Maßstab für die Falschheit einer Aussage das pflichtgemäß reproduzierbare Erlebnisbild des Aussagenden, der seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein dann genügt, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungsoder Wissensbild wiedergibt (Otto Jura 1985 389, 390 und JuS 1984 161, 162). 4. Außerdem werden noch differenzierende Auffassungen vertreten, die Elemente 1 2 der verschiedenen Theorien verbinden. So findet sich bei Gallas (GA 1957 315) der Vorschlag, den Begriff „falsch" stets subjektiv auszulegen, in den §§ 160, 163 jedoch objektiv, weil bei einer rein subjektiven Interpretation § 160 nicht brauchbar erklärt werden könnte und auch § 163 bei Zugrundelegung der reinen subjektiven Theorie in seiner Anwendbarkeit nahezu bedeutungslos würde. Rudolphi (SK Rdn. 43) stellt für die Falschheit einer Aussage grundsätzlich auf das wirkliche Erlebnisbild des Aussagenden ab (ebenso Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 257, N K § 153 Rdn. 56 ff, 79ff) 17 . Dedes (JR 1977 441, 444f; JR 1983 99, 102) will dem Umstand Rechnung tragen, daß ein Zeuge häufig zur Wiedergabe der objektiven Richtigkeit nicht in der Lage sein wird und daß andererseits die bloß individuelle Wahrnehmung der Person nicht ausschlaggebend ist. Seiner Meinung nach ist der „soziale" Maßstab das Wahrheitskriterium und maßgebend das, was eine Person mit den gleichen Fähigkeiten und unter den gleichen Umständen wahrnehmen kann. - Zu den verschiedenen Theorien vgl. Paulus Küchenhoff-Gedächtnisschrift S. 435 ff, 450 ff mit einer differenz. Auffassung. 5. Es ist zuzugeben, däß keine der Theorien eine problemlose Lösung für die anstehende Frage bietet. Auch kann nicht bestritten werden, daß die absolute Wiedergabe des objektiven Geschehens aus erkenntnistheoretischen Gründen in vielen Fällen zweifelhaft oder nicht möglich sein mag; doch ist andererseits nicht zu verkennen, daß 16

17

Schmidhäuser Celle-Festschrift S. 207,213 ff; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 7; Otto Jura 1985 389, 390; Otto JuS 1984 161, 162f; differenz. Vormbaum N K § 153 Rdn. 79 ff. Ob man diese Auffassung als Modifizierung der objektiven Theorie betrachtet, wie Rudolphi

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selbst es tut, oder als differenzierende Interpretation der subjektiven Theorie (vgl. Willms Voraufl. Rdn. 12; MaurachlSchroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 21), kann dahinstehen.

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Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

die subjektive Theorie mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist. Dies wird bei den §§ 160, 163 offensichtlich. Eine Anwendung auf § 160 stößt auf unüberwindliche Schwierigkeiten, § 163 würde nur in bedeutungslosem Rahmen Anwendung finden können, was Gallas zu dem Vorschlag veranlaßte, auf diese Vorschriften nicht die subjektive, sondern die objektive Theorie anzuwenden (Rdn. 12). Warum im übrigen eine Aussage deshalb nicht falsch sein soll, weil der Aussagende sie für richtig hält, ist nicht verständlich. Die Wahrhaftigkeit ist etwas anderes als die Wahrheit. Das Unbehagen, daß der Redliche, der Gesetzestreue, möglicherweise eine „falsche" Aussage macht, kann nicht bewirken, daß nun von einem anderen Begriff der „Falschheit" ausgegangen werden müßte. Wenn eine „falsche" Aussage abgegeben wird, ist dies auf diesen Umstand beschränkt, ohne daß dadurch die Frage der Strafbarkeit berührt wird (vgl. dazu Wolf JuS 1991 177, 181). Wolf ist auch darin zuzustimmen, daß der Gesetzeswortlaut eine „falsche" Aussage als Voraussetzung für die Strafbarkeit nennt, nicht eine pflichtwidrige, und daß die Pflichtgemäßheit der Aussage noch nichts darüber besagt, ob sie richtig oder falsch ist (vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6). Im Vergleich zu diesen Ungereimtheiten wird die objektive Theorie der Schutzrichtung der Aussagetatbestände wesentlich besser gerecht. Nach ihr ist nicht nur in einem Teilbereich, sondern in allen Tatbeständen der §§ 153ff eine Aussage falsch, wenn ein Widerspruch zwischen ihrem Inhalt und dem tatsächlichen Geschehen vorliegt, wobei von dem tatsächlichen Geschehen nicht nur äußere, sondern auch innere Tatsachen erfaßt werden. Zu den inneren Tatsachen können Aussagen über ein Wissen oder eine Uberzeugung gehören (vgl. MaurachlSehroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 17). 14

6. Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Schon die Rechtsprechung des RG hat gewechselt. Ursprünglich behauptete die objektive Theorie das Feld 18 , später hat die subjektive Auffassung Platz gegriffen 19 . Der BGH hat diese Linie zunächst fortgesetzt. In BGH LM StGB § 3 Nr. 2 ist ausgeführt, die Unrichtigkeit einer Aussage könne darin gefunden werden, daß der Zeuge dem Richter ein eigenes Wissen vortäusche, dessen er in Wahrheit ermangele, möge auch seine willkürliche Annahme und Aussage im Ergebnis mit dem wirklichen Sachverhalt übereinstimmen (vgl. auch BGH LM StGB §154 Nr. 5; ferner OLG Bremen NJW 1960 18270- Eine deutliche Wendung (zurück) zur objektiven Theorie vollzog sich sodann in den Entscheidungen BGH LM StGB § 153 Nr. 6 und BGHSt. 7 147 (vgl. ferner OLG Koblenz JR 1984 422, 423 m. Anm. Bohnert; BayObLG NJW 1955 1690, 1691).

15

V. Unter Aussage versteht das Gesetz in den §§ 153 ff eine Mitteilung, die eine Person über ihr Wissen macht, wobei an eine Kundgabe dieses Wissens durch das Mittel des gesprochenen, aber ebenso - vor allem im Falle des § 156 und bei tauben oder stummen Personen (§ 186 GVG) - des geschriebenen Wortes gedacht ist 20 . Jedoch kann auch in Gesten, sogar im „beredten Schweigen" eine Aussage zu finden sein. Die Grenze zwischen Verschweigen und Aussagen ist nicht immer leicht zu bestimmen. Freilich kann in bloßem Schweigen keine Aussage liegen, sondern nur in dem „vielsagenden", u.U., mit entsprechender Gestik verbundenen Schweigen, das in eine wörtliche Äußerung eingebettet ist, wie dies etwa dann besonders häufig auftritt, wenn die Aussage sich auf peinliche oder anstößige Dinge bezieht. Ob die Mitteilung RGSt. 10 338, 339; 37 395, 398; 39 42; vgl. auch RGSt. 76 94, 96. RGSt. 65 22; 68 278, 281 ff; RG H R R 1940 Nr. 523.

20

E. Schneider (GA 1956 337) definiert Aussage als „einen Bericht des Vernommenen oder seine Antwort auf bestimmte Fragen über eigene Wahrnehmungen und Empfindungen".

Stand; 1. 7. 1999

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V o r b e m e r k u n g e n zu d e n §§ 153 ff

Vor § 153

in zusammenhängenden und vollständigen Berichten über das eigene Wissen oder nur in knappen Antworten auf bestimmte Fragen besteht, mit denen dieses eigene Wissen hervorgezogen werden soll, ist für den Begriff gleichbedeutend. Doch wird vom Gesetz mit gutem Grund eine vollständige umfassende und selbständige Darstellung des aufklärungsbedürftigen Gegenstandes bevorzugt. Sie verbürgt die größere Echtheit und Verläßlichkeit des Inhalts der Aussage. Den mit Vernehmungen betrauten Organen ist darum vorgeschrieben, die Aussageperson zu veranlassen, das ihr vom Gegenstand der Vernehmung bekannte im Zusammenhang anzugeben (§ 69 Abs. 1 S. 1 StPO), sie also nicht von vornherein mit Fragen und Vorhalten zu überfallen. Zur Frage, ob und wann bei verfahrensrechtlichen Mängeln eine strafrechtlich relevante Aussage zu verneinen ist, s. Rdn. 29. Über die Beachtlichkeit schriftlicher Aussagen §153 Rdn. 4. VI. Ihrem Inhalt nach sind Aussagen entweder Mitteilungen über Tatsachen aller 1 6 Art oder Mitteilungen über die Bewertung von Tatsachen, die dabei vorausgesetzt werden. Tatsachen werden von Zeugen, Bewertungen von Sachverständigen verlangt, wobei mit solch grundsätzlicher Trennung und Aufteilung freilich nur Grundlinien gekennzeichnet sind; vgl. zur Unterscheidung zwischen Sachverständigen und Zeugen Dahs LR § 85 StPO Rdn. 3 ff, 11 und zum Unterschied zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil Herdegen LK § 185 Rdn. 2. Vom Zeugen wird stets nur die Mitteilung von Tatsachen oder der Wahrnehmung 1 7 von Tatsachen erwartet; dabei kann es sich sowohl um äußere Umstände oder Ereignisse handeln, als auch um innere Vorgänge, wie Motive oder Gefühle. Nicht zu den Aufgaben eines Zeugen gehört es, Bewertungen abzugeben oder Vermutungen zu äußern (BGH StV 1990 110). Daher liegt auch keine falsche Zeugenaussage vor, wenn der Zeuge die von ihm korrekt geschilderten Umstände falsch bewertet und eine unzutreffende Folgerung daraus zieht und mitteilt (BGH GA 1957 272) 21 . Indessen dringen im menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang zwangsläufig Bewertungen in die Welt der Tatsachen ein, die dann ihrerseits in der natürlichen Betrachtung des Lebens für Tatsachen genommen werden. Dies gilt für geläufige Rechtsbegriffe, wie Eigentum, Miete, Kauf, und ganz allgemein für gängige Kennzeichnungen vor allem zwischenmenschlicher Verhältnisse, etwa die Bezeichnung einer solchen Beziehung als Freundschaft oder als Liebesverhältnis (OLG Oldenburg NdsRpfl. 1950 163)22. Die hierin steckenden Bewertungen oder Schlußfolgerungen können jedoch nur dann einer Tatsachenbekundung gleichgeachtet werden, wenn es sich um eindeutige und gebräuchliche Erkenntnisse im Alltagsleben handelt, nicht aber, wenn es gerade darum geht, zu klären, ob die Bewertung zutreffend ist {SehlSchröder! Lenckner Rdn. 11). Was für die Bewertung geläufiger Rechtsbegriffe oder entsprechender Schlußfolgerungen als Tatsachenbekundungen anerkannt ist, gilt ebenso für den Gebrauch wertender Bezeichnungen wie „schön" oder „häßlich", die je nach den Umständen wahr oder falsch sind oder bloß einen ungewöhnlichen oder schlechten Geschmack verraten. Bei der Bekundung einer inneren Tatsache liegt eine Falschaussage nur vor, wenn der innere Vorgang nicht in der dargestellten Form bestanden hat. Erklärt der Zeuge, daß er einen Hergang, zu dessen Verlauf er gehört wird, in einer bestimmten Erinnerung habe, so ist die Aussage nur falsch, wenn seine Schilderung 21

BayObLG NJW 1955 1690; OLG Neustadt GA 1960 222 f; OLG Koblenz StV 1988 531, 532; Rudolphi SK Rdn. 15; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 11; Vormbaum NK § 153 Rdn. 36; Mauräch!Schroeder!Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 18.

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22

Lackneri Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 16; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11 ; Mäurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 18.

Wolfgang Ruß

Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

von seiner Erinnerung abweicht; ob die tatsächliche Darstellung richtig oder falsch ist, ist unerheblich (BGH bei Holtz M D R 1990 294). 17a Es ist jeweils Sache des Tatrichters, unabhängig von der sprachlichen Einkleidung der Aussage festzustellen, ob und welchen tatsächlichen Gehalt eine Aussage besitzt (vgl. RGSt. 24 300, 301), welchen Tatsachenkern (BGHSt. 6 159, 1610 sie enthält. Indessen gibt es auch so etwas wie die Verwandlung bloßer Werturteile in Tatsachen. Es ist nicht jedem Menschen gegeben, bei der Wiedergabe seines persönlichen Erlebens besonders in Fällen starken eigenen Engagements zwischen Tatsachen und Werturteilen zu trennen, wobei dann u. U. sachliche Schlußfolgerungen aus solchen Bewertungen in sprachlicher Ungewandtheit als erlebte und beobachtete Tatsachen hingestellt werden. Wo der Richter solche Möglichkeiten nicht sieht und durch geduldige Fragen aufklärt, kann es zu ganz ungerechtfertigten Verurteilungen wegen eines Aussagedelikts kommen (vgl. BGH GA 1957 272; BGH bei Holtz M D R 1990 294; BGH wistra 1999 222). Ein typisches Beispiel dieser Art behandelte die Entscheidung BGH 1 StR 667/58 vom 3.3.1959. In einem Verfahren wegen Transportgefahrdung hatte ein Zeuge bekundet: „Als ich dieses Schreiben bekam, daß wir nur noch mit zwei Mann rangieren dürfen, habe ich dagegen protestiert, weshalb man mich dann nicht beförderte und versetzte." In Wahrheit traf es nicht zu, daß der Zeuge aus diesem Grunde versetzt und in seinem beruflichen Fortkommen benachteiligt worden war. Er wurde deshalb wegen fahrlässigen Falscheids verurteilt und erst auf seine zweite Revision hin vom BGH freigesprochen. Bei der die Grundlage der Verurteilung bildenden Äußerung handelte es sich nur um eine beiläufig ausgesprochene Ansicht, die als sachlicher Beitrag zur richterlichen Wahrheitsfindung überhaupt auszuscheiden hatte und vom Zeugeneid nicht erfaßt wurde. Vgl. auch § 163 Rdn. 9. 18

Der Sachverständige ist nicht Zeuge, sondern auf seinem Wissensgebiet sachkundiger Gehilfe des Gerichts. Seine Aufgabe ist es, dem Gericht auf der Grundlage seines Spezialwissens Erfahrungssätze und Folgerungen mitzuteilen, mit deren Hilfe das Gericht Tatsachen festzustellen vermag, die nur vermöge besonderer Sachkunde wahrgenommen und beurteilt werden können. Dabei ist zu sagen, daß es keineswegs nur auf die sachkundige Bewertung ihm gleichsam fertig angelieferter Tatsachen beschränkt zu sein braucht. Seine Aufgabe kann es auch sein, Tatsachen, die nur kraft besonderer Sachkunde erkennbar sind, ans Licht zu bringen. Als Beispiel mag die Feststellung des Blutalkohols dienen. Bei solchem Grundlagenmaterial des Sachverständigen spricht man von Befundtatsachen. Diese sind immer ein Teil des Gutachtens und unterliegen den für dieses geltenden verfahrensrechtlichen Regeln 23 . Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Zusatztatsachen, mit deren Bekundung der Sachverständige zum Zeugen wird 24 . Zeuge bleibt die Aussageperson aber auch, soweit sie - wie der den Verletzten behandelnde Arzt - , ohne dazu von Gerichts wegen berufen worden zu sein, Beobachtungen gemacht hat, die sie kraft ihrer Sachkunde in ihrer Bedeutung innerhalb einer Kausalreihe beurteilen kann und über die sie sich dann als sachverständiger Zeuge äußert 25 .

19

VII. Wie der Gegenstand oder das Thema der Aussage zu begrenzen sei, läßt sich nicht einheitlich beantworten, sondern hängt von der unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Gestaltung der Aussage-Fälle ab. Die Angaben zur Person (§ 68 StPO, 23

24

RGSt. 69 97, 98; BGHSt. 9 292, 294; 20 164, 165f; 22 268, 273; BGH NStZ 1995 44. BGHSt. 13 1; 13 250; 18 107; 20 164, 166; 22 268, 271; BGH NStZ 1993 245, 246; NStZ 1997 95, 96.

25

Vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 19; Vormbaum NK § 153 Rdn. 95.

Stand: 1. 7. 1999

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

§§ 395, 451 ZPO) werden stets von der Wahrheitspflicht des zu Vernehmenden erfaßt 26 . Bei den Angaben zur Sache kann im übrigen die Beweisfrage so klar umschrieben sein, daß es darauf nur ein Ja oder Nein gibt. Solche genaue Bestimmtheit des Beweisthemas bestand generell bei dem Institut des zugeschobenen und zurückgeschobenen Eides nach §§ 445 ff ZPO a. F., der als Wahrheits- und Uberzeugungseid geleistet wurde und die Versicherung vorheriger sorgfaltiger Prüfung und Erkundigung einschloß. Sie ist in ähnlicher Weise bei der eidesstattlichen Versicherung, insbesondere der nach § 883 Abs. 2 ZPO, gegeben, bei der dem zur Herausgabe einer Sache verpflichteten Schuldner die Versicherung aufgegeben werden kann, „daß er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich befinde". Im Zivilprozeß wird der sachliche Aussagegegenstand in bestimmter Form im 2 0 Beweisbeschluß bezeichnet. Die dort gestellte Beweisfrage bestimmt für den, an den sie sich richtet, den Umfang der Zeugnispflicht. Nur innerhalb dieser Grenzen besteht für den Zeugen (oder die förmlich zu vernehmende Partei) die ihm obliegende Wahrheitspflicht, und hat er auch ohne ausdrückliche Befragung über alles auszusagen, was mit dem bezeichneten Beweisgegenstand in untrennbarem Zusammenhang steht. Außerhalb dieses Zusammenhangs mit dem Gegenstand der Beweisfrage liegende Tatsachen werden nicht von der Aussagepflicht erfaßt, und zwar auch dann nicht, wenn sie für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsam sind oder bedeutsam werden könnten 27 . Im Strafprozeß ist eine solche Begrenzung unbekannt. Gegenstand der Verneh- 2 0 a mung zur Sache ist hier allgemein der „Gegenstand der Untersuchung", der dem Zeugen samt der Person des Beschuldigten vor seiner Vernehmung zu bezeichnen ist (§ 69 Abs. 1 StPO). Die Aussagepflicht umfaßt hier alle Tatsachen, die mit der Tat im Sinne des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können (BGH 1 StR 756/75 vom 17.2.1976) 28 . Erst wenn mehrere selbständige Taten in jenem Sinne in ein und demselben Verfahren untersucht werden, wird eine vergleichbare Grenzziehung akut; hier kann sich die Aussagepflicht des Zeugen immer nur auf die Tat beziehen, die ihm als Gegenstand der Untersuchung und Vernehmung bezeichnet wird. Könnte er sich auch über Umstände einer ganz anderen im selben Verfahren mit verfolgten Tat auf Grund eigner Wahrnehmung äußern, so trifft ihn insoweit keine Aussagepflicht, wenn seine Vernehmung nicht auf diesen Gegenstand der Beschuldigung erstreckt wird (RG JW 1925 792). In gerichtlichen Verfahren kann der Gegenstand der Vernehmung und damit der 21 Aussagepflicht durch zusätzliche Fragen an den Zeugen erweitert werden (§§ 395 Abs. 2 S. 2, 396, 397 ZPO, §§ 68 Abs. 4, 69 Abs. 2, 240 StPO) 29 . Da die Grenze für die Zulässigkeit von Fragen u.U. schwer zu bestimmen ist (vgl. insoweit die einschlägigen Kommentare zu § 397 ZPO und § 241 StPO) und mitunter erst fixiert werden kann, nachdem die Frage zugelassen und (evtl. unwahr) beantwortet wurde, steht die Anwendung der §§ 153ff gerade in diesem Bereich unter besonders kritischen Aspekten 30 . 26

27

Vgl. RGSt. 6« 407, 408; BGHSt. 4 214; BGH AnwBl. 1964 52. BGHSt. 1 22, 24; 3 221, 223; 25 244, 246 m. Anm. Demuth NJW 1974 757 und Rudolphi JR 1974 293; Rudolphi SK Rdn. 23; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 14; Vormbaum N K § 153 Rdn. 10; Bruns GA 1960 161, 172; Paulus KüchenhoffGedächtnisschrift S. 435, 452; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 §74 Rdn. 26; krit. Otto JuS 1984 161, 164.

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28

29

30

KG JR 1978 77f; Rudolphi SK Rdn. 23; Vormbaum N K § 153 Rdn. 11; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 14; Otto JuS 1984 161, 164. RG HRR 1936 Nr. 1198; BGHSt. 2 90, 92; 3 322, 324; 25 244, 245; KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; Bruns GA 1960 161, 173; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 14; Rudolphi SK Rdn. 23. Vgl. hierzu insbes. Bruns GA 1960 161, 173 und des näheren unten Rdn. 27.

Wolfgang Ruß

Vor § 153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Für die Aussage der Partei im Zivilprozeß gem. §§ 445 ff ZPO gilt das für die Zeugenaussage Ausgeführte entsprechend. Das gilt auch für eine Erweiterung des Beweisthemas durch Fragestellung, wenn die Partei sich darauf einläßt 31 . 22 Bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wird der Gegenstand der Vernehmung durch das im Einsetzungsbeschluß umschriebene Beweisthema begrenzt, das keiner Erweiterung durch den Ausschuß oder seine Mitglieder zugänglich ist (vgl. BVerfGE 49 70; OLG Koblenz StV 1988 531 f), jedoch sind zusätzliche Fragen und Vorhalte zulässig, sofern sie sich im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des Ausschusses halten (BGH NJW 1979 266, 267)32. 23

VIII. Die Frage, ob und inwieweit es für die Tatbestände des Abschnitts auf die Erheblichkeit oder die Bedeutung der falschen Aussage ankommt, ist umstritten. Ihre Beantwortung wird durch Unklarheiten und Mißverständnisse erschwert, zu denen schon die z.B. in RGSt. 76 320 und BGHSt. 3 221, 223 gebrauchte Formel Anlaß gibt, der Zeuge habe alles anzugeben, was erkennbar mit der Beweisfrage in untrennbarem Zusammenhang stehe und für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sei. Diese Formel ließe sich, wörtlich genommen, dahin verstehen, daß nur solche auf das Beweisthema in einem Zivil- oder Strafprozeß bezügliche falsche Aussagen unter den Tatbestand eines Aussagedelikts nach §§ 153 ff fallen sollen, die im Endergebnis für eine sachliche Entscheidung bedeutsam werden. Eine solche Betrachtungsweise hätte zur Folge, daß unwahre Bekundungen über irrig als entscheidungserheblich angesehene und zum Gegenstand des Beweises gemachte Tatsachen nicht unter die Tatbestände der Aussagedelikte fielen und allenfalls als untauglicher Versuch zu bewerten wären, daß schließlich sogar unwahre Bekundungen über sachlich bedeutsame Tatsachen für eine Erfüllung dieser Tatbestände auszuscheiden hätten, wenn das Verfahren nicht mit einer Sachentscheidung, sondern auf andere Weise (Vergleich, Einstellung wegen eines Prozeßhindernisses) zum Abschluß käme. Mit gutem Grund hat die Rechtsprechung solche absurden Ergebnisse ausgeschlossen und stets daran festgehalten, daß es für zum Gegenstand des Beweises gemachte und in diesem Sinne ausdrücklich angesprochene Tatsachen keinen Unterschied bei der Anwendung der Aussagetatbestände machen kann, ob diese Tatsachen für die zu treffende Entscheidung im Endergebnis Bedeutung haben oder nicht. Tatsachen, die der Aussageperson bei ihrer Vernehmung bestimmt bezeichnet und von dieser in ihrer Aussage behandelt worden sind, gehören zum Gegenstand der Vernehmung ohne Rücksicht auf ihre sachliche Erheblichkeit 33 .

24

Einen vernünftigen Sinn gewinnt die wiedergegebene Formel erst, wenn man sie im Zusammenhang mit den einschlägigen Entscheidungen dahin versteht, daß sie nur auf die Tatsachen gemünzt ist, welche von der Aussagepflicht erfaßt werden, obwohl sie nicht ausdrücklich, insbesondere durch Befragung der Aussageperson angesprochen worden sind. Für solche Tatsachen und allein für sie soll eine Aussagepflicht nur unter den genannten Voraussetzungen bestehen. Dabei ist Erheblichkeit nicht objektiv im Hinblick auf den nicht voraussehbaren Ausgang des Verfahrens zu beurteilen, son31 32

Vgl. BGH JZ 1968 570; RG JW 1936 880. Näher dazu Wagner G A 1976 257, 273; vgl. ferner Rudolphi SK Rdn. 23; SMSchröder!Lenckner Rdn. 14; krit. zur Anwendung der § 153 ff auf Aussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Vormbaum N K §§ 153 Rdn. 52f und Schutz des Strafurteils S. 162ff.

33

R G H R R 1936 Nr. 1198; JW 1938 2196; BGH bei Daliinger M D R 1972 16; BGH NStZ 1982 464; KG JR 1978 77 m. Anm. Willms; Bruns G A 1960 161, 167; Rudolphi SK Rdn. 24; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 15; Vormbaum N K § 153 Rdn. 38 und Schutz des Strafurteils S. 262 ff; Otto JuS 1984 161, 164 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 20.

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

dem unter der vorstehend behandelten Prämisse zu sehen, daß das der Aussageperson bekannte und von ihr ausdrücklich angesprochene Beweisthema auf jeden Fall als erheblich zu betrachten ist, daß es sich mit andern Worten insoweit immer nur um eine potentielle Erheblichkeit im Verhältnis zu den ausdrücklich als Beweisgegenstand angesprochenen Tatsachen handeln kann. Indem es die Rechtspflege in ihrer realen Gegebenheit nimmt, geht das Strafgesetz von einem formalen Begriff der Erheblichkeit aus ( Willms JR 1978 78, 79), der all das der Aussage- und Wahrheitspflicht des Zeugen unterwirft, was nach den Gepflogenheiten des jeweiligen Verfahrens zum Gegenstand der Wahrheitsfindung gemacht und um deswillen erheblich wird, mag es auch mitunter ohne sachliche Bedeutung für die im Vorprozeß gesuchte Entscheidung gewesen sein. Im Regelfall der positiven Falschaussage kann deshalb vom Tatbestand her die Frage nach der Erheblichkeit überhaupt nicht kritisch werden. Wo sie bei der Tatbegehung durch Verschweigen akut wird, hat sie wegen ihrer ausschließlichen Orientierung an der gestellten Beweisfrage eine andere Qualität. Der Auskunftsperson soll nur dann eine Rechtspflicht zur Bekundung solcher nicht ausdrücklich angesprochener Tatsachen auferlegt sein, wenn diese mit dem Beweisthema eng verbunden sind und an der diesem beigelegten rechtlichen Relevanz teilnehmen. Wer etwas, was er weiß, nicht aussagt, also verschweigt, den soll nur unter diesen besonderen Voraussetzungen der Vorwurf einer strafbaren Verletzung seiner Aussagepflicht treffen. Das ist seit jeher der Sinn der zum Fall des Verschweigens von Tatsachen geübten Rechtsprechung gewesen34. Es beruht ersichtlich auf einem die dargestellte Staffelung des Vorgangs verkennenden Mißverständnis, wenn gelegentlich als widersprüchlich getadelt wird, daß die Rechtsprechung nur für das Verschweigen und nicht auch für das Aussagen auf die Erheblichkeit abstelle. Daß für die Aussagedelikte von einem formalen Begriff der Erheblichkeit auszugehen sei, hat BGHSt. 25 244 besonders deutlich unterstrichen. Hier wurde eine außerhalb des vom Beweisbeschluß erfaßten Themas (Mehrverkehr mit einem bestimmten Mann) liegende und auch nicht durch zusätzliche Befragung zum Gegenstand der Beweisaufnahme gewordene unwahre Aussage (Mehrverkehr mit weiteren Männern) als nicht tatbestandsmäßig angesehen, obwohl sie sachlich für die Entscheidung bedeutsam war. Die Entscheidung ist überwiegend mit Zustimmung aufgenommen worden 35 . Für die Gegenmeinung 36 besteht die prozessuale Wahrheitspflicht als Gegenstand strafrechtlicher Sanktion nicht im Rahmen der Aussagepflicht, sondern soll für den Fall einer positiven unwahren Aussage über diesen Rahmen hinausreichen, wenn es um einen sachlich erheblichen Punkt geht. Unabhängig von dieser Meinungsverschiedenheit ist es wichtig, daß man beständig die Grenzen des Beweisgegenstandes im Auge hat und beachtet, daß für die rechtliche Beurteilung Wesentliches und Unwesentliches sowohl innerhalb wie außerhalb des Beweisthemas liegen kann und daß die vielleicht durchaus zutreffende Meinung, eine Tatsache sei für die im Prozeß zu treffende Sachentscheidung unerheblich, den Zeugen zu der irrigen Meinung verleiten kann, sie liege damit auch außerhalb des Beweisthemas; zu diesen Irrtumsfragen s. § 154 Rdn. 20 und Bruns GA 1960 161, 169 mit weiteren Nachw. IX. Komplikationen können sich auch daraus ergeben, daß die Beweisfrage illustrandi causa mit Nebensächlichkeiten „garniert" ist, die mit der Sache nichts zu tun 34

35

RGSt. 7 321, 322f; 39 58, 61; 42 103, 104; 57 152 f; RG JW 1936 880; DR 1939 1066; BGHSt. 1 22, 24; 2 90, 92; 3 221, 223 f; 7 127. KG JR 1978 77 m. Anm. Willms; Demuth NJW 1974 757, 758; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 15;

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36

Lackneri Kühl § 154 Rdn. 6; Tröndlel Fischer § 154 Rdn. 15. Rudolphi JR 1974 293 f; Rudolphi SK Rdn. 25; Otto JuS 1984 161, 164.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

haben und gar nicht erfragt werden sollen, wie etwa die jederzeit an Hand eines Kalenders zu berichtigende falsche Datengabe für einen bestimmten Feiertag. So etwas wird nicht dadurch zum Aussagegegenstand, daß es die Auskunftsperson bei ihrer Vernehmung gedankenlos nachspricht (vgl. RG JW 1938 2196, wo es darum ging, ob die Richtigkeit einer bestimmten Datumsangabe zum Gegenstand der Vernehmung gehörte, und RGSt. 63 49, wo das strittige Geschäft im Beweissatz mit einem falschen Datum bezeichnet war). Hier kann es keinen Unterschied machen, von welcher Seite solche Nebensächlichkeiten in die Bekundung hineingebracht werden. Sie fließen insbesondere auch bei der Befragung von Zeugen durch Verfahrensbeteiligte ein, die sich etwas davon versprechen oder einfach die Neigung haben, sich über Nebendinge an den eigentlichen Gegenstand ihres Interesses heranzuarbeiten. Sie können auch ohne Einwirkung des Gerichts oder Verfahrensbeteiligter allein dadurch in die Aussage gelangen, daß der Zeuge sich aus falscher Gewissenhaftigkeit oder bloßer Geschwätzigkeit nicht auf die Beantwortung der Beweisfrage zu beschränken weiß (vgl. die von Bruns GA 1960 161, 165 f gegebenen Beispiele). 26

Es ist ein wesentlicher Zweck des Wortprotokolls, die in der Sicht des (evtl. durch Fragen erweiterten) Beweisthemas wichtigen Aussagen zu erfassen und ihre belanglosen Anhängsel auszuscheiden. Diese Aufgabe des vernehmenden Richters, die von ihm entgegengenommene Aussage bei der Fassung des Protokolls auf ihren eigentlichen Inhalt zu begrenzen - eine Möglichkeit, die das „Tonbandprotokoll" verfehlen muß - verbindet sich aufs engste mit seiner Aufgabe, die Ausübung des Fragerechts der Beteiligten zu überwachen und in den Schranken zu halten, die einerseits von der Sache her zu wahren, andererseits mit Rücksicht auf die persönlichen Belange der Auskunftsperson zu beachten sind. Aber das im gekennzeichneten Sinne als nebensächlich Verstandene und deshalb außerhalb des Beweisthemas und der Wahrheitspflicht Liegende bleibt dies auch dann, wenn der vernehmende Richter es nicht aus der Aussage entfernt hat 37 . Das Wortprotokoll ist nicht „konstitutiv". Gegebenenfalls muß der Strafrichter das frühere Versäumnis beachten und verhindern, daß daraus eine Belastung des Beschuldigten erwächst.

27

Wo freilich durch eine mißbräuchliche Frage Nebensächliches zum Beweisthema gemacht und damit unabhängig von seiner wirklichen Bedeutung erheblich wurde, ist nach dem Rdn. 23 Gesagten die Möglichkeit abgeschnitten, es als bloßes Beiwerk beiseite zu schieben. Hier konnte nur der Vernehmungsrichter Remedur schaffen, indem er die schon beantwortete Frage nachträglich zurückwies und damit zugleich die vorschnell gegebene oder gestattete Antwort nicht zum Bestandteil der noch unbeendeten Aussage werden ließ 38 . Bei Vernehmungen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sollte man auch erfragte Nebensächlichkeiten ausscheiden, da hier die besonderen Absicherungen des gerichtlichen Verfahrens fehlen (Wagner GA 1976 274).

28

Die in RGSt. 61 429 in auffälliger Weise unerörtert gebliebene, im Urteil BGH 2 StR 235/52 vom 8.5.1953 nur mittelbar angestoßene Frage, wie spontane Angaben des Zeugen über eine sachlich entscheidungserhebliche, aber außerhalb des Beweisthemas liegende und auch durch Befragung nicht zum Beweisthema gezogene Tatsache zu bewerten sind, ist durch die Rdn. 20f und 24 behandelte Entscheidung 37

3S

Willms JR 1978 78, 79; SehlSchröder/Lenkner Rdn. 15. Vgl. dazu die bei Daliinger M DR 1953 401 angeführte und dort nicht näher bezeichnete Entscheidung BGH 2 StR 235/52 vom 8.5.1953;

KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; ferner BGHSt. 2 90, 92; BGH wistra 1991 264; RG H R R 1936 Nr. 1198; Rudolphi SK Rdn. 28; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 15; Lackneri Kühl §154 Rdn. 6.

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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff

Vor § 153

BGHSt. 25 244 unmißverständlich beantwortet worden: Sie fallen nicht unter die Wahrheitspflicht 39 und können nur Gegenstand eines untauglichen Versuchs sein 40 und führen zur vollendeten Tat erst, wenn sie eine Ergänzung der Beweisfrage bewirken und daraufhin bestätigt werden (BGH NStZ 1982 464). Vgl. auch den aufschlußreichen Fall einer Spontanäußerung in RG H R R 1940 Nr. 383, der dort schon die Qualifikation als Aussage abgesprochen, und die damit auf diesem Wege aus dem Tatbestand ausgeschieden werden konnte. X. Verneinung des Tatbestandes über den Begriff der Aussage erscheint auch das 2 9 Mittel, Mängel der Vernehmung durchgreifend zu berücksichtigen. Hierfür sind vor allem Schneider GA 1956 339 und Rudolphi GA 1969 129 und SK Rdn. 32ff vor § 153 eingetreten 41 . Aussagen, die nach dem Verfahrensrecht nicht verwertet werden dürfen, sollen nicht als tatbestandsmäßig angesehen werden. Eine Rechtspflege, die prozessordnungswidrig Beweise erhebe und verwerte, sei kein Schutzgut der §§ 153 ff. Demgegenüber ist mit der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre grundsätzlich daran festzuhalten, daß die Verletzung von Verfahrensvorschriften die Anwendung der Aussagetatbestände nicht ausschließt 42 . Dies gilt nicht nur für Aussagen, die - für sich gesehen - korrekt gewonnen worden, bei denen aber Verfahrensvorschriften verletzt worden sind, die mit der Aussage selbst nichts zu tun haben (ζ. B. bei einem Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO oder bei Teilnahme eines nach § 22 StPO ausgeschlossenen Richters), sondern auch für Verfahrensverletzungen, die die (falsche) Aussage unverwertbar machen. Dies muß vor allem für die Fälle einleuchten, in denen das Gericht nicht sehenden Auges gegen diese Vorschriften verstoßen hat 43 , in denen es am Ende gar über verfahrensrechtlich erhebliche, etwa ein Recht zur Verweigerung der Aussage begründende Umstände getäuscht worden ist, oder in denen der Verfahrensfehler bei der Vernehmung noch nicht erkennbar war, weil sich beispielsweise der Tatverdacht nach § 60 Nr. 2 StPO erst nach der Vereidigung ergeben hat (vgl. BGHSt. 23 30; 27 74, 75 m. Anm. Lenckner JR 1977 74) oder die Eidesunfähigkeit nach § 60 Nr. 1 StPO erst nach der Vernehmung erkennbar geworden ist (vgl. BGHSt. 22 266). Schutzgut der Aussagetatbestände ist nicht eine Rechtspflege von künstlicher Vollkommenheit, sondern die Rechtspflege in ihrer Realität, die als Menschenwerk naturgemäß nicht von Mängeln frei sein kann (KG JR 1978 77 f m. Anm. Willms\ Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 23).

M

40

41

OLG Hamburg N J W 1981 237; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 15; TröndlelFischer § 154 Rdn. 15; Demuth NJW 1974 757; Wessels!Hettinger BT 1 § 17 Rdn. 748; aA Lackner/Kühl § 154 Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 25 und JR 1974 293; Otto Jus 1984 161, 164; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 27. AA Demuth NJW 1974 757, 758, der nur ein Wahndelikt annimmt. Vgl. ferner zu der Frage der Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt in derartigen Fällen: Roxin JZ 1996 981ff. Im Ergebnis ebenso: HruschkalKässer JuS 1972 711; Geppert Jura 1988 498; Dedes SchröderGedächtnisschrift S. 335; jedenfalls bei gravierenden Verstößen (§ 69 StPO) auch SchlSchröderl Lenckner Rdn. 22 a, 23; Lackneri Kühl Rdn. 6 jeweils m. w. Nachw.; ferner Bruns GA 1960161, 178; einschränkend auf Fälle, in denen das

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43

Gericht die Möglichkeit hatte, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen: Otto JuS 1984 161, 165 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 28 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 267fr, 269 und N K § 153 Rdn. 32ff. RGSt. 36 278, 296; 62 147, 148f; 70 366; BGHSt. 8 186; 10 142, 143; 16 232, 235; 17 128, 133 ff; BGH LM StGB § 154 Nr. 5; KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; OLG Köln N J W 1988 2485, 2486; O L G Düsseldorf NStZ-RR 1996 137, 138; Tröndlel Fischer Kin. 11; Lackneri Kühl Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 23; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn 23; Paulus Küchenhoff-Gedächtnisschrift S. 435,453. Vgl. insoweit auch Otto JuS 1984 161, 164 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 28 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 267. 269 und N K § 153 Rdn. 32ff.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Eine Ausnahme im Sinne der Verneinung des Tatbestandes ist nur für extreme Grenzfálle zu machen, in denen wegen des verfahrensrechtlich falschen Vorgehens der Vernehmungsperson nicht mehr von einer freien Mitteilung eigenen Wissens gesprochen werden kann, wie sie zum Wesen der Aussage gehört (OLG Köln NJW 1988 2485, 2486). Zu denken ist hier einmal an Fälle, in denen gegen § 136a StPO verstoßen worden ist, zum anderen an eine Mißachtung der Regeln der §§ 69 StPO, 396 ZPO, die so weit geht, daß es sich nur noch um die widerwillige oder willenlose Hinnahme eines fremden Diktats gehandelt hat, allgemein an Aussagen, die unter offensichtlicher Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erlangt worden sind (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 23) 44 Die Grenze ist hier, wie die etwas gequälten Darlegungen in RGSt. 65 273 zeigen, im Einzelfall häufig schwer zu ziehen. Die - entgegen der Regelung in § 69 StPO, § 396 ZPO - erfolgte Beschränkung auf eine bloße Bestätigung einer früheren Aussage, die der Aussageperson vorgelesen wird (vgl. BGHSt. 16 232), sollte im Gegensatz zur Meinung von Lenckner {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 22a) jedenfalls dann noch hingenommen werden, wenn die frühere (verlesene) Aussage in einer korrekten Vernehmung zustandegekommen war oder wenn ein von der Aussageperson selbst zu diesem Zweck verfaßtes Schriftstück auf deren ausdrücklichen Wunsch zum Gegenstand der Aussage gemacht worden ist (BGH 5 StR 797/52 vom 29.9.1953; vgl. LK § 153 Rdn. 4). - Zur Frage der Tatbestandserfüllung des § 154, wenn entgegen § 60 Nr. 1 StPO ein Eidesunmündiger vereidigt worden ist, vgl. LK § 154 Rdn. 10. Auf jeden Fall ist bei verfahrensrechtlich unkorrekten Vernehmungen der inneren Tatseite besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Verfahrensverstoß kann die Ursache eines Irrtums geworden sein, der für die Anwendung des sachlichen Rechts bedeutsam ist. Lassen verfahrensfehlerhaft zustandegekommene Falschaussagen deren Strafbarkeit - von den Rdn. 30 erwähnten Ausnahmefallen abgesehen - grundsätzlich unberührt, so ist es in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß die Strafzumessung nicht an Verfahrensverstößen vorbeigehen darf, zu denen es bei der Vernehmung gekommen ist 45 . Sie müssen erörtert und immer dann zu Gunsten des Verurteilten berücksichtigt werden, wenn ihre Einwirkung auf den Tatvorgang nicht auszuschließen ist. Die vom Staat mit der Inpflichtnahme der Aussageperson verlangte Leistung zu Gunsten der Rechtspflege fordert diese „Gegenleistung". Sie entspricht einem Gebot der Gerechtigkeit (BGHSt. 17 128, 136). Eine Berücksichtigung ist nicht angebracht, wenn eine Einwirkung des Verfahrensverstoßes auf den Tatvorgang nicht zu besorgen ist, z. B. wenn ein fälschlicherweise nicht über sein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht belehrter Zeuge auch bei erfolgter Belehrung so (wie geschehen) ausgesagt hätte 46 . Bleibt im übrigen ein Hindernis für die Vereidigung unbeachtet, so ist dies 44

45

Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 23; vgl. ferner LacknerlKühl Rdn. 6; Paulus KüchenhofT-Gedächtnisschrift S. 435, 453. BGHSt. 8 186, 189f; 17 128, 131, 133ÍT; 23 30, 32; 27 74; BGH LM StPO § 52 Nr. 8; BGH bei Dallinger M D R 1953 19; GA 1959 176; BGH bei Holtz M D R 1977 983 im Falle der Nichtbelehrung über ein Weigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO, obwohl die Belehrung hier nur ein nobile officium ist; BGH NStZ 1981 268 f; 1984 134; StV 1982 521; 1986 341; 1987 195, 196; 1988 427; 1995 249; wistra 1987 22, 23; 1993 258; NStZ 1991 280; NJW 1992 1054, 1055; wistra 1999 261; OLG Hamm M D R 1977 1034;

NStZ 1984 551; OLG Stuttgart NJW 1978 711, 712; OLG Hamburg JR 1981 158 m. Anm. Rudolphi; OLG Köln NJW 1988 2487; OLG Karlsruhe M D R 1993 368, 369; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 137; Sehl Schröder/Lencker Rdn. 24; Tröndle!Fischer § 154 Rdn. 27; LacknerlKühl Rdn. 6 und § 154 Rdn. 16; Maurachl SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 23; vgl. auch Vormbaum N K §154 Rdn. 54; Rudolphi SK Rdn. 12 und JR 1981 160, 162. 46

BGH NJW 1958 1832; JR 1981 248 m. Anm. Bruns; BGH 3 StR 342/90 vom 13.2.1991 bei Detter NStZ 1991 478; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 24; Lackner!Kühl § 154 Rdn. 16.

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Inverkehrbringen von Falschgeld

Vor § 153

auch dann zu berücksichtigen, wenn der Vernehmende hiervon keine Kenntnis hatte oder haben konnte (BGHSt. 23 30, 32)47. Bei krassen Unkorrektheiten wird, vor allem wenn nur eine Fahrlässigkeitstat in Betracht kommt, die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPG naheliegen. Es erscheint als Mangel des geltenden Rechts, daß es das Absehen von Strafe (§ 157) nicht auf diese Fälle ausgedehnt hat. Nach BGHSt. 27 74, 75 (auch BGHSt. 19 113, 115) soll diese Strafmilderung Anstiftern und Gehilfen ebenso wie in den Fällen des § 157 (vgl. dort Rdn. 3) nicht zugutekommen. Dem ist Lenckner JR 1977 77 entgegengetreten. Er betont, daß der Verfahrensmangel als rein tatbezogener Milderungsgrund auch dem Teilnehmer zugutekommen müßte und daß nur die Zwangslage, in der sich der Täter befunden hat, als besonderer selbständiger Milderungsgrund anzusehen ist, der nicht zu Gunsten des Teilnehmers wirken kann 48 . XI. Recht des Einigungsvertrages. Im StGB-DDR waren in dem Abschnitt 3 2 „Straftaten gegen die Rechtspflege" in § 230 die „Vorsätzliche falsche Aussage" und in §231 die „Falsche Versicherung zum Zwecke des Beweises" geregelt und unter Strafe gestellt. Nach § 230 Abs. 1 war mit Strafe bedroht, wer vorsätzlich vor Gericht als Zeuge, Sachverständiger oder Prozeßpartei falsche oder unvollständige Aussagen machte oder als Dolmetscher falsch übersetzte oder wer einen anderen zu einer bewußt falschen Aussage verleitete. Als Sanktion war vorgesehen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder öffentlicher Tadel. Ebenso wurde nach § 230 Abs. 2 bestraft, wer die Tat vor einem Notar, der Seekammer in einer Havarieverhandlung oder vor dem Patentamt beging. Erfaßt wurden also ausschließlich falsche Aussagen vor einem Gericht (Kreis-, Bezirks-, Militär-, Militärobergericht, Oberstes Gericht) und vor den in Absatz 2 des § 230 genannten staatlichen Stellen. Bei den Prozeßparteien kamen nur Aussagen in Betracht, die sie im Rahmen einer beschlossenen Vernehmung nach entsprechender Belehrung gemacht haben. Nach § 232 StGB-DDR konnte von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen werden, wenn der Täter die falsche Aussage so rechtzeitig berichtigte, daß schädliche Auswirkungen nicht eingetreten sind oder wenn er durch die wahrheitsgemäße Aussage sich oder einen nahen Angehörigen (vgl. § 226 Abs. 2 StGB-DDR) der Möglichkeit der Strafverfolgung ausgesetzt haben würde. In Rechtshilfeverfahren war auf Antrag eines Organs außerhalb des Staatsgebietes der D D R eine Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen möglich. Die Vereidigung erfolgte in der Weise, daß der Vernommene nach der Vernehmung die Formel zu sprechen hatte: „Ich schwöre, nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen zu haben" (§ 12 Abs. 1 und Abs. 2 Einführungsgesetz zum StGB und zur StPO der DDR). Bei Falschaussagen unter Eid erfolgte die Bestrafung ebenfalls nach der Vorschrift des § 230. Nach § 231 StGB-DDR wurde mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr gegenüber einer zur Abnahme einer besonderen Versicherung der Wahrheit gesetzlich befugten Stelle wissentlich falsche Angaben machte und ihre Richtigkeit in der dazu vorgeschriebenen Form versicherte. Die Vorschrift erfaßte vor allem Erklärungen, die die Zivilprozeßordnung zur Glaubhaftmachung in 47

BGHSt. 27 74, 75; NStZ 1981 268, 269; StV 1986 341; 1987 195, 196; NStZ 1988 497; StV 1995 249; wistra 1993 258; OLG Hamm M D R 1977 1034; insoweit noch anders BGHSt. 19 113; wie hier auch: Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 24; Vormbaum N K § 154 Rdn. 54; Rudolphi SK

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§ 154 Rdn. 12; Krümpelmann/Hensel JR 1987 39, 40. Ebenso Sch/SchröderlLenckner Rdn. 24; Krümpelmann/Hensel JR 1987 39, 40; Rudolphi SK § 154 Rdn. 12.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

einigen Fällen bei Begründung eines Anspruchs oder des Nachweises der Richtigkeit eines Sachverhalts zuließ. Um welche Stellen im Einzelnen es sich handelte, war im StGB-DDR nicht aufgeführt; ihre Berechtigung war in speziellen Einzelregelungen festgelegt. Die Stelle mußte zur Entgegennahme einer solchen Versicherung gesetzlich befugt sein. Die Erklärung mußte mit dem Ziel der Täuschung im Rechtsverkehr gemacht worden sein; bedingter Vorsatz reichte nicht aus. Auch bei § 231 konnte bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 232 von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen werden.

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Falsche uneidliche Aussage Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Schrifttum s. vor § 153 Entstehungsgeschichte Die Strafwürdigkeit der jetzt anstelle der 1933 hinfällig gewordenen Strafbestimmung über den falschen Parteieid an der Spitze des Abschnitts stehenden falschen uneidlichen Aussage war lange Zeit umstritten. Das RStGB war dem preußischen Vorbild gefolgt, als es im Gegensatz zu der Regelung in anderen deutschen Einzelstaaten auf einen entsprechenden Tatbestand verzichtete. Erst die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) nahm die Vorschrift nach dem Vorbild des österreichischen Rechts in das StGB auf. Näheres bei Rietzsch DStrR 1943 97, 105. Durch das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) wurde der frühere Absatz 2, der eine besondere Strafdrohung für den Versuch enthielt, gestrichen und damit der Versuch straflos gestellt. Das EStGB 1974 (Art. 19 II Nr. 60) beseitigte die besondere Mindeststrafdrohung von einem Jahr für schwere Fälle. Angesichts der obligatorischen Vereidigung im Strafverfahren ist die Vorschrift vor allem für den Zivilprozess bedeutsam. 1

I. Das Verhältnis der falschen uneidlichen Aussage des § 153 StGB zum nachfolgenden Meineid des § 154 StGB wurde schon in der 6./7. Aufl. des LK als das des Grunddelikts in § 153 StGB zum erschwerten (qualifizierten) Falle in § 154 verstanden. Die Rechtsprechung des BGH teilte diese Auffassung lange Zeit nicht 1 . Erst der Beschluß des Großen Senats v. 24.10.1955 (BGHSt. 8 301) Schloß sich ihr an. Eine abweichende Meinung wird jetzt nicht mehr vertreten. Vgl. auch vor § 153 Rdn. 1.

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II. Der Grundtatbestand der Vorschrift liegt in den Worten, daß der Täter falsch aussagt. Hierzu kann im wesentlichen auf das in den Vorbemerkungen (vor § 153 Rdn. 8 ff) Gesagte verwiesen werden. Ergänzend sei angefügt: Die Tatbegehung durch Verschweigen dogmatisch im Sinne des unechten Unterlassungsdelikts verstehen zu ' BGHSt. 1 241, 243; 1 380, 381; 2 233; 4 244, 247; 5 44; 7 186, 187.

Stand: 1.7. 1999

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Falsche uneidliche Aussage

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wollen, wäre verfehlt . Auch die durch Verschweigen wesentlicher Punkte unvollständige Aussage ist eben eine falsche Aussage; denn die Offenbarung des Verschwiegenen würde die Bedeutung des Erklärten verändern oder beeinträchtigen (vgl. KG JR 1966 189; Vormbaum NK Rdn. 97 f). Zum Gegenstand der Vernehmung gehörende Tatsachen darf ein Zeuge auch dann nicht verschweigen, wenn er nicht ausdrücklich danach gefragt worden ist. Steht ihm insofern ein Aussageverweigerungsrecht zu, muß er sich darauf berufen; tut er es nicht, verletzt er durch Verschweigen seine Wahrheitspflicht (BGHSt. 7 127). Aussagegegenstand sind beim Zeugen immer auch die Angaben zur Person3, ein- 3 schließlich der Angaben über den aktuell ausgeübten Beruf 4 . Dagegen soll sich beim Sachverständigen die Auskunftspflicht nicht auf Angaben zur Person erstrecken (RGSt. 20 235). Zu den im genannten Sinne wesentlichen Tatsachen, durch deren Nichtangabe der Zeuge seine Wahrheitspflicht verletzt, gehört es ferner, daß die Auskunftsperson die Quellen ihres Wissens aufdeckt, also insbesondere zum Ausdruck bringt, was auf eigener Wahrnehmung und Erinnerung beruht und was nur vom Hörensagen mitgeteilt werden kann (BGH LM StGB § 3 Nr. 2; OLG Bremen NJW 1960 1827). Fremde Wahrnehmungen dürfen nicht als eigene ausgegeben werden. Der Zeuge darf nichts „färben" oder irreführend qualifizieren 5 . Doch muß der Strafrichter sehr darauf achten, ob nicht Unerfahrenheit des Vernommenen und Ungeschick oder Flüchtigkeit des Vernehmenden im Zusammenwirken den Anschein einer Falschaussage zustande gebracht haben (vgl. vor § 153 Rdn. 17f). Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen die Offenbarungspflicht durch Verschweigen vorliegt, ist zu beachten, daß der Zeuge nicht verpflichtet ist, die Aussichten des Verfahrens, wie sie vom Standpunkt des erkennenden Richters zu beurteilen sind, in seine Überlegungen einzubeziehen 6 . Kein Verschweigen im Sinne der Aussagedelikte ist es ferner, wenn nicht der Eindruck erweckt wird, die Aussage sei vollständig, sondern wenn der Aussagende sich - sei es berechtigt oder unberechtigt - weigert, überhaupt Angaben zu machen oder gestellte Fragen zu beantworten (OLG Zweibrücken wistra 1993 231, 232; SehlSchröder!Lenckner vor § 153 Rdn. 17; Rudolphi SK vor § 153 Rdn. 27). Bei der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „falsch aussagen" die Abgabe von 4 mündlichen Bekundungen verlangt oder ob auch schriftliche Aussagen tatbestandserfüllend sein können, ist davon auszugehen, daß das Gesetz grundsätzlich eine mündliche Aussage voraussetzt 7 . Der Tatbestand des § 153 schließt zwar den Fall ein, daß der Sprachbehinderte sich im Gegenüber zu dem Vernehmenden mit schriftlichen Notizen verständlich macht (§ 186 GVG), er erfaßt jedoch nicht den Fall, daß die mündliche Aussage im ganzen durch eine schriftliche Erklärung ersetzt wird (OLG München M D R 1968 939 für den Fall schriftlicher Begutachtung, obwohl § 411 ZPO eine solche ausdrücklich zuläßt). Demgegenüber wird von Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 22 und Maurach! Schwederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 35 die Auffassung vertreten, daß auch eine schriftliche Äußerung unter den Tatbestand falle, sofern die Prozeßge-

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Rudolphi SK vor § 153 Rdn. 26 ff; SchlSchröder/Lenckner vor § 153 Rdn. 16; Vormbaum N K Rdn. 97 f; Schmidhäuser OLG Celle-Festschrift S. 207, 211; Voscherau Unerhebliche falsche Zeugenaussage S. 113 ff. RGSt. 2 44, 46; 60 407,408; BGHSt. 4 214. BGH AnwBl. 1964 52; Ein in der Anwaltsliste gelöschter RA bezeichnet sich weiter als RA.

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BGH bei Dallinger M D R 1953 596, 597; BGH JR 1960 382; BGH bei Holtz M D R 1990 294; 4 StR 85/53 vom 14.1.1954. BGH 4 StR 484/56 vom 13.12.1956 und 4 StR 185/58 vom 3.7.1958. OLG München M D R 1968 939; Rudolphi SK Rdn. 2; Vormbaum N K Rdn. 7; TröndlelFischer Rdn. 2; Otto JuS 1984 161, 166.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

setze die Abgabe schriftlicher Erklärungen gestatten 8 . Jedoch ist zu beachten, daß der Gesetzgeber, als er den Fall der falschen uneidlichen Aussage unter Strafe stellte, damit an das Tatbild der immer nur im Rahmen einer Vernehmung stattfindenden eidlichen Aussage anknüpfte und nur eine bei der Vernehmung gemachte Aussage erfassen wollte. Nur bei ihr können durch Vorhalte und Rückfragen Mißverständnisse und Widersprüche geklärt und nach Möglichkeit ausgeräumt werden. Die persönliche Anwesenheit des Aussagenden vor Gericht bildet die natürliche Voraussetzung für eine sich möglicherweise anschließende Vereidigung. In diesem Rahmen hält es sich nach BGH 5 StR 797/52 vom 29.9.1953 auch noch, wenn der Vernehmende in Nichtbeachtung des § 396 ZPO vom Zeugen eine als seine Aussage überreichte schriftliche Erklärung entgegennimmt, die verlesen wird. Soweit von der Gegenmeinung noch § 256 StPO und § 377 ZPO angeführt werden, ist außerdem darauf hinzuweisen, daß im Falle des § 256 StPO nicht eine natürliche Person in eigener Verantwortung wie der Zeuge und der Sachverständige, sondern eine öffentliche Behörde als Zeugnisgeber auftritt, und daß § 377 ZPO nur unter eidesstattlicher Versicherung abgegebene schriftliche Erklärungen als Ersatz der mündlichen Aussage gelten läßt. 5

III. Die falsche Aussage muß, um strafbar zu sein, vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle gemacht werden. Es genügt also nicht eine falsche Aussage als Zeuge oder Sachverständiger vor einer beliebigen Amtsperson. 1. Gerichte sind alle mit Richtern besetzten Organe der Rechtsprechung im Sinne der Art. 92 ff GG, also die Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichte, auch die Dienststrafgerichte, dagegen nicht die privaten Schiedsgerichte nach §§ 1025 ff ZPO (Rietzsch DStrR 1943 108). Aussagen im Rahmen einer von einem Rechtspfleger durchgeführten Vernehmung sind nicht vor einem Gericht i. S. des § 153 gemacht. Zwar nimmt der Rechtspfleger bei ihm nach §§ 3, 4 RpflG übertragenen Aufgaben richterliche Geschäfte wahr, doch werden von § 153 nur Aussagen erfaßt, die vor einer zur eidlichen Vernehmung zuständigen Stelle gemacht werden, und diese Voraussetzung auch bei dem Gericht vorliegen muß, vor dem die Angaben gemacht werden 9 ; dies ist bei Aussagen vor dem Rechtspfleger nicht der Fall. In welcher Lage sich das Verfahren befindet, ist gleichgültig. Strafbar ist deshalb die in einem strafprozessualen Vorverfahren vor einem Richter gemachte falsche Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen ebenso wie im Hauptverfahren, insbesondere der Hauptverhandlung, ferner im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren des Zivilprozesses, auch im Prozeßkostenhilfeverfahren (OLG Frankfurt NJW 1952 902), schließlich auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. hierzu jedoch Rdn. 10 a. E.)).

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2. Gleichgestellt ist dem Gericht jede andere zur eidlichen Vernehmung zuständige Stelle. Damit scheiden namentlich Polizei und Staatsanwaltschaft als Adressaten unter § 153 fallender Vernehmungen aus, auch alle Amtspersonen, die wie der zur Eidesabnahme nicht zugelassene Rechtspfleger (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 RPflG) 1 0 nur eides-

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Weitergehend H. Wagner GA 1976 257, 272, der die Abgabe einer schriftlichen Erklärung vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen stets für ausreichend ansieht. Rudolphi SK Rdn. 4; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 151 und N K Rdn. 46; Ostendorf JZ 1987 335, 337; aA OLG Hamburg N J W 1984 935 für eine in einem Verfahren nach § 75 KO

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vor einem Rechtspfleger gemachte Aussage; SehlSchröder! Lenckner Rdn. 6; Lackneri Kühl Rdn. 3; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 32. Abweichend für Aussagen, die der Rechtspfleger im Rahmen von ihm übertragenen richterlichen Geschäften entgegennimmt: SehlSchröderlLenckner Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 3.

Stand: 1. 7. 1999

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stattliche Versicherungen (§ 156) abnehmen dürfen. Durch OLG Hamburg NJW 1953 476 ist die Qualifikation ausdrücklich für die Spruchausschüsse der Arbeitsämter verneint worden. Dagegen trifft sie zu für Prüfungsstellen des Patentamts (PatG § 46), und für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Art. 44 G G und entsprechende Vorschriften der Landesverfassungen) 11 . 3. Gerichte fremder Staaten und nach fremdem Recht zur Abnahme von Eiden 7 zuständige Amtsstellen solcher Staaten sollen nach BGH LM StGB § 3 Nr. 2 unter die Vorschrift fallen, wenn ein Deutscher durch die falsche Aussage benachteiligt wird (ebenso OLG Düsseldorf NJW 1982 1242, 1243, ablehnend MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 68 Rdn. 8). Dem kann man nur folgen, wenn man als Zweck der Aussagetatbestände auch den Schutz der durch die Falschaussage betroffenen Personen ansieht (vor § 153 Rdn. 6). Hat man nur die Rechtspflege als Schutzgegenstand im Auge, so kommen bloß die vor § 153 Rdn. 3 behandelten Fälle in Betracht. Außer den von Gribbohm LK vor § 3 Rdn. 183 ff angeführten Einrichtungen wären hier auch die Gerichte der im Inland stationierten verbündeten Truppen zu nennen 12 . 4. Wird die Aussage vor einer Person gemacht, die für das Gericht fungiert, ohne 8 Träger richterlicher Funktionen zu sein, so fehlt es am Tatbestand (RGSt. 60 25; 65 206). Dagegen kann es ihn nicht ausschließen, daß der Richter nach prozessualen Vorschriften sein Amt in der betreffenden Sache nicht ausüben durfte (BGHSt. 3 235; 10 142). Diese Grundsätze sind entsprechend zu beachten, soweit es um Aussagen vor anderen zur Abnahme von Eiden befugten Stellen geht. Bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist es wesentlich, daß die mit der Untersuchung bezweckte Aufklärung allgemein zulässig ist, sich also im Rahmen des Untersuchungsauftrags hält. Tut sie das nicht, so ist der Untersuchungsausschuß keine „zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stelle" (H. Wagner GA 1976 271). IV. Als Zeuge oder Sachverständiger muß der Täter ausgesagt haben (s. dazu vor 9 § 153 Rdn. 16ff). Auf Parteivernehmungen nach § 445 ZPO erstreckt sich der Tatbestand nicht. Ob Dolmetscher als Sachverständige anzusehen sind, ist zweifelhaft. Im Schrifttum wird die Frage überwiegend verneint 13 und infolgedessen auch eine Anwendung des Tatbestandes auf Dolmetscher abgelehnt. BGHSt. 4 154 geht zwar davon aus, daß der vereidigte Dolmetscher, der bewußt unrichtig überträgt, einen Meineid begeht, doch wird auch in dieser Entscheidung der Dolmetscher nicht als Sachverständiger angesehen, sondern lediglich eine Ähnlichkeit in der prozessualen Stellung festgestellt, die es rechtfertige, den Eid des Dolmetschers ebenso wie den des Sachverständigen zu beurteilen. Aus § 191 GVG kann gefolgert werden, daß das Gesetz den Dolmetscher nicht als Sachverständigen ansieht. Er wird lediglich in mancher Beziehung (z.B. gebührenrechtlich) wie ein solcher behandelt (vgl. auch OLG Koblenz VRS 47 353, 354); die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen sind auf ihn entsprechend anzuwenden (§191 GVG). Er ist, wie Kleinknecht/Meyer-Goßner (§ 185 GVG Rdn. 7) zutreffend bemerkt, ein Beteiligter 11

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BGHSt. 17 128; W. Wagner NJW 1960 1936; H. Wagner G A 1976 257, bei dem unter Fn. 12 die einschlägigen Vorschriften der Landesverfassungen zusammengestellt sind; ferner Kohlmann JA 1984 670; O L G Koblenz StV 1988 531; OLG Köln N J W 1988 2485; krit. Vormbaum N K Rdn. 52. Nato-Truppenstatut vom 19.6.1951 i. Vbg. m. Zusatzabkommen vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II

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S. 1190, 1218); vgl. auch Rudoiphi SK vor § 153 Rdn. 4 und Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 §68 Rdn. 8. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4 a; Vormbaum N K Rdn. 3 und Schutz des Strafurteils S. 243 ff; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 185 GVG Rdn. 7; aA Willms Vorauf!. § 154 Rdn. 5.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

eigener Art. Die Vorschrift des § 153 kann auf ihn daher keine Anwendung finden; zur Anwendung des § 154 vgl. dort Rdn. 5. - Weder Zeuge noch Sachverständiger sind nach OLG Karlsruhe die regierungsamtlichen Berichtspersonen, die in mündlichen Verhandlungen vor dem BVerfG als Aufklärungshilfe dienen, indem sie dort aus eigener Kenntnis Einzelheiten über die Praxis von Behörden und Parlamenten wiedergeben (OLG Karlsruhe JR 1997 299, 301 m. krit. Anm. Kindhäuser). 9a Auf unverlangte Äußerungen und formlose Informationen erstreckt sich der Tatbestand nicht, sofern diese Angaben vom Vernehmenden nicht nachträglich zum Aussagegegenstand gemacht worden sind (vor § 153 Rdn. 19fi). Das gilt auch für spontane Zwischenrufe, die ein im Gerichtssaal anwesender Zeuge außerhalb seiner Vernehmung macht (vgl. vor § 153 Rdn. 28; ferner RG H R R 1940 Nr. 383). Werden im Rahmen des Freibeweises Tatsachen erfragt, so kann dies formlos geschehen, ohne daß damit eine Zeugenrolle des Befragten begründet wird (vgl. Willms HeusingerEhrengabe S. 397, 40Ö). Wenn ein Zeuge eine falsche gutachtliche Äußerung abgibt oder umgekehrt ein Sachverständiger falsche Tatsachen bekundet, so kann dies tatbestandsmäßig sein (RGSt. 55 183, 184; TröndlelFischer Rdn. 4), sofern der betreffende Punkt verfahrensrechtlich Gegenstand der Aussage geworden ist (vgl. vor § 153 Rdn. 19 fi). 10

Auf Aussagen eines (Mit-)Beschuldigten ist § 153 nicht anwendbar. Doch schließt die Tatbeteiligung als solche, wie den §§ 55, 60 Nr. 2 StPO zu entnehmen ist, die Zeugenrolle und damit auch die Anwendbarkeit des § 153 nicht aus. Die Entscheidung, ob ein Beteiligter Zeuge sein kann, richtet sich nach dem sog. formellen Beschuldigtenbegriff (BGHSt. 38 302, 306). In einem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren scheidet die Zeugenrolle für einen Beschuldigten aus, nicht aber in einem von vorneherein oder nach Abtrennung getrennt geführten Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten 14 , da es dann an der prozessualen Gemeinsamkeit der Verfahren fehlt. Ein dem „beschuldigten" Zeugen zustehendes Aussageverweigerungsrecht steht dann einer Bestrafung nicht entgegen, wenn er von diesem keinen Gebrauch macht. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens kann einen der Tat oder der Teilnahme an ihr Verdächtigen aber nicht willkürlich in die Rolle eines Zeugen drängen, um ihn womöglich sogar dem Eideszwang auszusetzen. In einem solchen Fall tritt der Tatbeteiligte von vorneherein nicht in die Zeugenrolle ein, seine Aussage bleibt die eines Beschuldigten, § 153 ist unanwendbar (BGHSt. 10 8, 11)15. Aus diesem Grunde ist es nicht statthaft und beseitigt die Beschuldigtenrolle nicht, wenn bei einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte das Verfahren gegen einen von ihnen vorübergehend zu dem Zweck abgetrennt wird, um ihn wegen des zugleich gegen ihn selbst erhobenen Vorwurfs als Zeugen zu vernehmen (BGH JR 1969 148 mit Änm. von Gerlach). Umgekehrt bedarf es nach BGH NJW 1964 1034 (Anm. von Gerlach NJW 1964 2397) jedoch der Abtrennung, wenn ein Mitangeklagter zu einem nur den anderen Angeklagten, nicht ihn selbst treffenden Anklagevorwurf als Zeuge gehört werden soll. Dem setzt von Gerlach mit Recht entgegen, daß ein Angeklagter in Punkten, deretwegen er nicht angeklagt ist und das Verfahren nicht eröffnet wurde, sich nicht in der Angeklagtenrolle befindet und deshalb insoweit auch ohne Abtrennung seines Verfahrens Zeuge sein könnte. 14

BGHSt. 10 8, 11 f; 10 186, 188; 18 238, 240; 27 139; BGH StV 1984 361 m. krit. Anm. Prlttwitz und Montenbruck JZ 1985 976; Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4a; krit. auch Ostendorf JZ 1987 335, 337.

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Ebenso Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4a; Vormbaum N K Rdn. 25.

Stand: 1. 7. 1999

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Falsche uneidliche Aussage

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Bei Vernehmung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse hängt es von der dem Auschuß gestellten Aufgabe ab, welche Rolle der gehörten Person nach dem Gegenstand des Untersuchungsauftrags zukommt (BGHSt . 17 128; H. Wagner GA 1976 257, 265 ff). Beteiligte in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit können nicht als Zeugen behandelt und vernommen werden (BGHSt. 12 56; OLG Hamm NStZ 1984 551).

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V. Vollendet ist die Tat mit dem Abschluß der sich u. U. über mehrere Termine 11 erstreckenden Vernehmung, die ganz verschiedene Tatkomplexe zum Gegenstand haben kann (BGHSt. 4 172, 177; 8 301, 314). Dieser tritt ein, wenn der vernehmende Richter, auch der ersuchte Richter (OLG Schleswig GA 1956 394), die Vernehmung im gegenwärtigen Rechtszug des Verfahrens als endgültig abgeschlossen ansieht, in der Regel also wenn eine Beantwortung von Fragen und eine Äußerung auf etwaige Vorhalte von dem Zeugen nicht mehr erwartet und zur Vereidigung oder zur Beschlußfassung über die Vereidigung geschritten wird (BGH NJW 1960 731 in Richtigstellung einer irrigen Ausdeutung von BGHSt. 8 301, 314; ferner OLG Köln StV 1983 508). Im gleichen Sinne war es zu eng, wenn OGHSt. 2 161 es schon als Beendigung ansehen wollte, daß der Richter den Zeugen Platz nehmen läßt oder sich einem andern Zeugen zuwendet, ohne die Möglichkeit einer Fortsetzung der Vernehmung erkennbar zu machen. Ebenso will BGH 4 StR 300/55 v. 6.10.1955 darauf abstellen, daß allen an der Vernehmung Mitwirkenden und Beteiligten aus den Anordnungen des die Verhandlung leitenden Richters erkennbar ist, ob dieser von dem Zeugen noch zu einem späteren Zeitpunkt weitere Auskünfte erwartet. Doch sollte gegenüber dem seiner Zeugnispflicht genügenden Staatsbürger nicht so kleinlich im Sinne einer Erweiterung des Wirkungsbereichs der Strafvorschrift gemessen und statt dessen grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Erwartung weiterer Auskünfte vorhanden ist, solange nicht zur Beschlußfassung über die Vereidigung geschritten wurde (vgl. BayObLG StV 1989 251). Freilich wird dabei die Ausnahme zu machen sein, daß eine vorbehaltlose Entlassung des Zeugen selbst dann als Anzeichen einer Beendigung der Vernehmung genügen muß, wenn eine Entscheidung über die Vereidigung (versehentlich) unterblieben ist. In einem solchen Fall würde dann eine Berichtigung vor nachgeholter Vereidigung den Tatbestand des § 153 nicht mehr ausräumen. Ob der Zeuge selbst seine Vernehmung als abgeschlossen ansieht, ist gleichgültig (BGH 4 StR 300/55 vom 6.10.1955). Zum Abschluß der Vernehmung bei pari. Untersuchungsausschüssen H. Wagner GA 1976 257, 276. Schließt die Vernehmung mit der Vereidigung ab, so scheidet § 153 aus und greift §154 ein. Daß BGHSt. 4 214 auch dann noch ein Vergehen nach §153 als möglich ansah, wenn der Zeuge davon ausging, daß sich der Eid auf einen bestimmten Punkt seiner Aussage (im gegebenen Fall das eigne Lebensalter) nicht erstrecke, war ersichtlich noch von der Vorstellung beeinflußt, daß im Eid mehr als bloß eine feierliche Bekräftigung der Aussage zu sehen sei, und beachtet nicht genügend, daß die am Beweisthema orientierte Aussage Gegenstand der Vereidigung ist. Jedenfalls kann der Entscheidung nur für den sehr fein gesponnenen Fall zugestimmt werden, daß im Vorstellungsbild des Zeugen einmal beides auseinanderläuft. Aber welcher Tatrichter möchte sich wohl zu der Uberzeugung bekennen, daß der Zeuge etwas als Gegenstand seiner Aussagepflicht ansieht, was er nicht zugleich als Gegenstand seiner eidlichen Versicherung betrachtet!

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Daß bei nachfolgendem Meineid die vorausgehende falsche uneidliche Aussage vom Tatbestand des § 154 aufgezehrt wird, trifft im übrigen nach BGHSt. 8 301, 312 nicht nur dann zu, wenn die Eidesleistung sich unmittelbar an die Vernehmung anschloß

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§153

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

und mit dieser einen einheitlichen Vorgang bildete, sondern auch dann, wenn einer schon abgeschlossenen uneidlichen Vernehmung im selben Rechtszug die eidliche Vernehmung nachfolgt (vgl. BGH StV 1990 404). Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Zeuge mit seinen falschen Angaben gewechselt hat. Gibt er freilich bei der Vereidigung der Wahrheit die Ehre, nachdem eine abgeschlossene uneidliche Aussage vorausging, so bleibt er nach § 153 strafbar (BGHSt. 8 301, 315)16. Im übrigen kann je nachdem eine Tatmehrheit verschiedener Delikte nach § 153 und § 154 oder eine einheitliche Tat gegeben sein, die dann im ganzen durch § 154 geprägt ist, wenn dieser Tatbestand auch nur bei einem Teilstück verwirklicht wurde (so schon BGHSt. 7 186). In BGHSt. 8 301, 312 sind alle denkbaren Varianten erörtert. Zum Verbrauch der Strafklage in solchen Fällen OLG München NJW 1967 2219. Im Gegensatz zum BGH vertreten Lenckner und Rudolphi die Auffassung, daß das Verfahren eines Rechtszuges alle in verschiedenen Terminen gemachten Aussagen immer zu einer Einheit zusammenschließt (rechtliche Handlungseinheit) und daß nur dann eine Zäsur eintritt, wenn eine Falschaussage Grundlage für eine Teilentscheidung wird 11 . Die Verbindung wird dadurch hergestellt, daß alle Aussagen des Zeugen insoweit als Grundlage ein- und derselben Entscheidung dienten. Das ist gewiß erwägenswert, weil damit wenigstens in diesem Rahmen Zäsuren vermieden werden, die, wie Lenckner richtig betont, weitgehend vom Zufall abhängen 18 , sollte aber auf Fälle eines Verfahrens beschränkt werden. Von einer einheitlichen Tat kann schwerlich gesprochen werden, wenn der Zeuge die Falschaussage in einem neuen Verfahren wiederholt. Zu denken ist dabei an solche Fälle, in denen die oder eine falsche Aussage eines Zeugen Anlaß zu weiteren Beweiserhebungen gibt, die nicht mehr innerhalb der Unterbrechungsfristen des § 229 StPO durchgeführt werden können, mit der Folge, daß mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden muß. Wiederholt der Zeuge im neuen Verfahren seine falsche Aussage, fällt es schwer, seine sämtlichen Aussagen, auch diejenigen im vertagten Verfahren, als Grundlage dafür anzusehen, daß nur eine Tat vorliegt. / 14

V. Wahlfeststellung. Hat sich der Zeuge zu demselben Tatsachenkomplex bei zwei verschiedenen Vernehmungen unterschiedlich geäußert und läßt sich nicht feststellen, welche der beiden Aussagen falsch war, so kann Verurteilung auf der Grundlage doppeldeutiger Feststellung (Tatsachenalternativität) in Betracht kommen (BGHSt. 2 351; OLG Braunschweig NJW 1952 38; RGSt. 72 339, 3420- Bei Gesetzesalternativität ist Wahlfeststellung für zulässig erachtet worden zwischen uneidlicher Falschaussage und Meineid (BGH NJW 1957 1886; BGHSt. 13 70, 72), zwischen Meineid und unbewußt fahrlässigem Falscheid (BGHSt. 4 340, 341), zwischen Meineid und falscher Versicherung an Eides Statt (OLG Hamm GA 1974 84), zwischen uneidlicher Falschaussage und falscher Verdächtigung (BGHSt. 32 146, 149; BayObLG NStZ 1991 405; OLG Braunschweig NJW 1959 1144f; vgl. auch BGH 2 StR 479/77 vom 20.1.1978) und zwischen Meineid und falscher Verdächtigung (BayObLG M D R 1977 860). Beim Zusammentreffen von uneidlicher und eidlicher Aussage ist dann wegen Vergehens nach § 153 zu verurteilen, jedoch eine mögliche mildere Bestrafung wegen Eidesnotstands bei der Alternative des § 154 zu beachten (BGHSt. 13 70, 72; Busch in

16

17

Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9, 16f; Tröndlel Fischer Rdn. 5 a; aA Vormbaum NK Rdn. 41 und JR 1989 133. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 14; Rudolphi SK Rdn. 11.

18

Dazu Meister JR 1950 389 gegen Lange NJW 1949 492.

Stand: 1. 7. 1999

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§154

Meineid

LM StGB § 153 Nr. 17). Zu den sich in diesem Zusammenhang aus § 264 StPO ergebenden Schwierigkeiten vgl. BGHSt. 32 14619. VI. Der Vorsatz des Täters muß sich darauf erstrecken, daß erstens die Aussage 1 5 falsch ist, sich also nicht mit dem wirklichen Geschehen deckt (vgl. Rdn. 3 und vor §153 Rdn. 9), daß sie zweitens einen Gegenstand betrifft, auf den sich seine Aussagepflicht bezieht (vor § 153 Rdn. 19ff), und daß sie drittens vor einer zuständigen Stelle stattfindet (vgl. Rdn. 5 ff). Bedingter Vorsatz genügt, so daß etwa Zweifel des Täters am Umfang seiner Aussagepflicht die Anwendung des Tatbestandes nicht ausschließen. VII. Über Teilnahme, insbesondere Beihilfe durch Nichtverhindern einer falschen 1 6 Aussage vgl. § 154 Rdn. 14. Da der Tatbestand die uneidliche falsche Aussage des Zeugen oder Sachverständigen ohne Einschränkung erfaßt, kann es nicht darauf ankommen, ob die Beweisperson im Einzelfall auch hätte vereidigt werden können und dürfen. Die Vereidigungsverbote des § 60 StPO und des § 393 ZPO berühren den Tatbestand nicht. Täter ist bei Erfüllung der Merkmale des Tatbestands immer auch der, der nicht vereidigt werden durfte (vgl. vor § 153 Rdn. 29; Sehl Schröder! Lenkner §153 Rdn. 10). Die Berücksichtigung dieser Tatsache bei der Strafzumessung steht auf einem andern Blatt (dazu § 157 und vor § 153 Rdn. 31). Ist der zum Meineid Angestiftete nur uneidlich vernommen worden, so ist wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum Meineid zu verurteilen. Eine Anstiftung zu § 153 kann zur tateinheitlich begangenen Beihilfe zum Meineid werden, wenn der Aussagende vereidigt wird (BGH NStZ 1993 489), während umgekehrt eine Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage in der Anstiftung zum Meineid aufgeht (BGHSt. 4 244). VIII. Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein wesentlicher sachlicher Gesichtspunkt sind Bedeutung und Folgen der Falschaussage (BGH bei Daliinger M D R 1972 16; BGH 2 StR 282/77 vom 22.7.1977). Bei der Vernehmung begangene Verfahrensmängel müssen bei der Strafzumessung Beachtung finden (vgl. vor 153 Rdn. 31).

17

IX. Zusammentreffen mit § 154 vgl. Rdn. 13 und 16. Beim Irrtum des Täters über 1 8 den Umfang seiner Aussagepflicht können § 153 und § 163 in Tateinheit zusammentreffen (BGHSt. 4 214, 215). Tateinheit ist ferner möglich mit §§ 164, 187, 257, 258 und (Anstiftung zum) Prozeßbetrug nach § 263 (vgl. BGHSt. 43 317; BGH VRS 83 185, 187).

§154 Meineid (1) Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. "

Vgl. ferner B G H N J W 1957 1886 m. A n m . Schmitt; N S t Z 1981 33; O L G H a m m G A 1974

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84; Fuchs N J W 1966 U l O f ; Gribbohm LK. § 1 (Anhang I) Rdn. 115, 135; Tröndle J R 1974 135.

Wolfgang Ruß

§ 154

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Schrifttum s. vor § 153 Entstehungsgeschichte Die jetzige Fassung des Tatbestands des Meineids, der seinem sachlichen Inhalt nach ursprünglich auf den § 153 (Parteieid) und den § 154 (Zeugen- und Sachverständigeneid) verteilt war, beruht auf der DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I S. 41) und trifft alle eidlich bekräftigten falschen Aussagen, die gesetzlich vorkommen können, wobei auch der jetzt auf den Sachverständigen im Zivilprozeß (§410 ZPO) beschränkte Voreid (sog. promissorischer Eid), der früher durch eine eigene Formulierung alternativ angesprochen war, mit erfaßt ist (RGSt. 70 366). Das EGStGB 1974 brachte in Art. 19 II Nr. 61 nur redaktionelle Angleichungen.

Übersicht I. II.

III. IV. V.

Rdn. Fassung und Stellung 1 Falsches Schwören 2 1. Zeugeneid 3 2. Sachverständigeneid 4 3. Parteieid 6 speziell freiwillige Gerichtsbarkeit 7 4. „Offenbarungseid" 8 Gericht oder zuständige Stelle . . . . 9 Täter, Eidesfähigkeit 10 Anstiftung 12

Rdn. VI. Beihilfe VII. Teilnahme durch konkludentes Verhalten VIII. Teilnahme durch Unterlassung IX. Vorsatz X. Notstand XI. Versuch XII. Strafe XIII. Wahlfeststellung XIV. Konkurrenzen

. 14

. . . .

15 17 20 21 21 22 22 22

1

I. Wegen der Beschränkung des §153 auf die uneidliche falsche Aussage des Zeugen und Sachverständigen hat § 154 eine eigenartige Doppelstellung. Soweit sich die Vorschrift auf die falsche Aussage des Zeugen oder Sachverständigen bezieht, behandelt sie nur eine erschwerte Form des in § 153 umschriebenen Tatbestandes (vgl. § 153 Rdn. 1). Im übrigen, nämlich hinsichtlich des Parteieids, zu dem bis zum Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I S. 911) als bedeutsame Variante der Offenbarungseid zu rechnen war, bildet sie einen selbständigen Tatbestand.

2

II. Die Tathandlung besteht bei allen Formen des Meineids im falschen Schwören, wobei mit dieser Bezeichnung die Leistung einer Falschaussage in der gesetzlich feierlichen Form zur besonderen Beteuerung ihrer Wahrheit umfaßt wird. In diesem Sinne entspricht das „falsch schwört" in § 154 durchaus dem „falsch aussagt" in § 153, nur daß noch die feierliche Beteuerung hinzutritt; zu diesem der Entscheidung BGHSt. 8 301, 309 zugrunde liegenden Verständnis des Tatbestandes s. insbes. Busch GA 1955 257 in Auseinandersetzung mit RGSt. 54 117, 121, wo die falsche Aussage als eine nur äußere tatsächliche Voraussetzung des Meineids bezeichnet war. Für die feierliche Beteuerungsform ist, wie der Wortlaut der Vorschrift anzeigt, unerläßlich (vgl. jedoch § 155) allein der Gebrauch der Worte „ich schwöre" (vgl. RGSt. 67 331,333). Die für den sachlichen Inhalt der eidlichen Beteuerung die Richtung weisende Eidesnorm wird von den Prozeßgesetzen bestimmt.

3

1. Der Zeugeneid hat nach § 66 c StPO und § 392 ZPO zum Inha.lt, daß der Zeuge „nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe". Er ist Nacheid. Daß der Zeuge vorher vorschriftsmäßig zur Wahrheit ermahnt und über seine Aussagepflicht belehrt worden ist, ist vom Tatbestand her nicht erforderlich. Stand: 1. 7. 1999

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§154

Meineid

Über den Gegenstand der Zeugenaussage im einzelnen vgl. vor § 153 Rdn. 16 ff und § 153 Rdn. 3, 9f. Ob die unter Eid erstattete Aussage der „reinen Wahrheit" entspricht, beurteilt sich nach den vor § 153 Rdn. 8 ff entwickelten Grundsätzen. Nach RGSt. 55 184 soll der Zeugeneid auch die Erstattung eines sachverständigen Gutachtens decken. Dem wird zuzustimmen sein, soweit es um das Bekunden von Tatsachen geht. Doch kommt es zugleich darauf an, daß eine entsprechende Beweisfrage gestellt ist (dazu Rdn. 19 vor §153). 2. Der Sachverständigeneid hat nach § 79 StPO zum Inhalt, daß der Sachverstän- 4 dige „das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet habe". Auch er ist Nacheid. Nach § 410 ZPO geht die Eidesnorm gleichfalls dahin, daß der Sachverständige „das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstatten werde oder erstattet habe". Der Eid ist Voreid oder Nacheid. Uber den Gegenstand der Aussage des Sachverständigen vgl. vor § 153 Rdn. 18 und § 153 Rdn. 3. Das wesentliche Merkmal des Sachverständigen ist, daß er als Auskunftsperson dem Prozeß kraft richterlichen Auftrags mit besonderer Sachkunde dient. Er tut dies, indem er entweder diese Sachkunde in abstracto dem Gericht übermittelt (ζ. B. auf dessen Verlangen ganz allgemein die Symptome einer Krankheit schildert), oder indem er mittels solcher Sachkunde bestimmte Schlußfolgerungen zieht (ζ. B. bei dem Verletzten das Vorliegen einer bestimmten Krankheit diagnostiziert), oder indem er mittels seiner Sachkunde einzelne Tatsachen als solche feststellt (ζ. B. den Untersuchungsbefund einer Beobachtung mit dem Augenspiegel darlegt). In allen diesen Richtungen handelt es sich regelmäßig zugleich um das Bekunden von Tatsachen. Jedoch kann sich der Sachverständigeneid nicht auf sog. Zusatztatsachen erstrecken, über welche die als Sachverständiger herangezogene Person als Zeuge zu vernehmen und zu beeiden ist (vgl. BGHSt. 13 1, 3; 13 250; vor § 153 Rdn. 18). Die Frage, ob auch Dolmetscher Sachverständige sind, ist umstritten und wird 5 überwiegend verneint (vgl. § 153 Rdn. 9). Weitgehend Übereinstimmung herrscht jedoch insoweit, daß Dolmetscher in mancherlei Beziehung wie Sachverständige behandelt werden. Beide sind auf Grund ihrer besonderen Fachkenntnisse Gehilfen des Richters bei der Urteilsfindung. Die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen sind entsprechend anzuwenden (§191 GVG). Dies rechtfertigt es nach BGHSt. 4 154, den Eid des Dolmetschers (ein Voreid), der dahin lautet, „daß er treu und gewissenhaft übertragen werde" (§ 189 Abs. 1 GVG), ebenso wie den des Sachverständigen nach § 154 zu berurteilen (vgl. auch OLG Koblenz VRS 47 353, 354). Da der Tatbestand des § 154 im Gegensatz zu § 153 nicht auf Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen beschränkt ist, sondern das falsche Schwören vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle erfaßt, kann auch ein Verstoß gegen den Dolmetschereid unter die Vorschrift subsumiert werden 1 . 3. Der Parteieid im Zivilprozeß folgt der Parteivernehmung, welche auf Antrag 6 des Prozeßgegners oder der Partei selbst (§§ 445, 447 ZPO) oder auf Anordnung des Gerichts auch ohne Antrag von Amts wegen (§ 448 ZPO) stattfindet, und wird vom Gericht nach § 452 ZPO angeordnet, falls das Ergebnis der nicht mit einer Strafsank1

Ebenso Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 7; Willms Voraufl. Rdn. 5 geht auch beim Dolmetscher von einem Sachverständigeneid aus; aA Vormbaum N K Rdn. 26, 28 und Schutz des Strafurteils S. 246 fT, der den

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Dolmetscher zwar auch zum Täterkreis des § 154 zählt, eine Anwendung des Tatbestandes aber deshalb ablehnt, weil es sich bei einer Übersetzung nicht um eine Aussage i. S. der Vorschrift handle.

Wolfgang Ruß

§154

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

tion abgesicherten unbeeidigten Aussage nicht ausreichend erscheint, das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Tatsache zu überzeugen. Die Eidesnorm lautet, „daß die Partei nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe" (§ 452 Abs. 2 ZPO). Sie entspricht also genau derjenigen des Zeugeneides. Es gilt daher alles oben Rdn. 3 Gesagte entsprechend. Parteivernehmung und Parteieid machen die Partei gewissermaßen zum Zeugen in eigener Sache. Aussagegegenstand und Umfang der Aussagepflicht bestimmen sich nach den gleichen Grundsätzen. Das äußert sich sowohl in der Bedeutung von gestellten Fragen (BGH 5 StR 247/60 v. 26.7.1960) wie in der Pflicht, im Sinne des Beweisthemas erhebliche Tatsachen auch ohne ausdrückliche Befragung mitzuteilen (BGH JZ 1968 570 = LM Nr. 69 zu § 154). Zur Abnahme eines Parteieids durch den Konkursrichter s. BGHSt. 3 309 und BGH 4 StR 603/54 vom 7.7.1955. Durch das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I S. 911) wurde der Inventureid des § 125 KO wie auch die Zulässigkeit einer eidlichen Vernehmung des Gemeinschuldners über sonstige Fragen im Rahmen der Abwicklung des Konkurses durch die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung ersetzt; auch nach Aufhebung der Konkursordnung und Inkrafttreten der Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866) ab 1.1.1999 hat der Schuldner an Eides Statt zu versichern, daß er die von ihm verlangten Auskünfte nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt habe und daß das auf Grund seiner Angaben erstellte Vermögensverzeichnis vollständig sei (vgl. § 98 Abs. 1, § 153 Abs. 2 InsO). 7

Ob und in welchem Umfang, nämlich insbesondere ob allgemein oder nur in Streitverfahren, die Vorschriften der ZPO über die Parteivernehmung und besonders den Parteieid in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anwendbar sind, ist streitig. Für die Anwendung haben sich RGSt. 76 21, BayObLG NJW 1952 789, OLG Stuttgart NJW 1952 943 und OLG Hamm NJW 1957 1816 in einem mangels Vorgreiflichkeit der Rechtsfrage nicht sachlich beschiedenen Vorlagebeschluß (BGH VII ZB 17/57 v. 22.1.1958), im Schrifttum vor allem Keidel JZ 1954 564 (ebenso Vormbaum N K Rdn. 26; TröndlelFischer Rdn. 3) mit weiteren Nachweisen ausgesprochen. Der BGH hat zunächst für nicht streitige Verfahren in BGHSt. 5 111, dann auch für streitige Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in BGHSt. 10 272 den gegenteiligen Standpunkt eingenommen (ferner BGHSt. 12 56, 58; OLG Hamm NStZ 1984 551). Er beruft sich besonders auf den engen Wortlaut des § 15 FGG. Dem ist vor allem deshalb beizutreten, weil angesichts der bestehenden Neigung zur Verminderung der Eide eine ausdehnende Interpretation des § 15 F G G verfehlt erscheinen muß und als Grundlage für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der ZPO über den Parteieid in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine klare Entscheidung des Gesetzgebers zu fordern wäre (vgl. auch Deichmann Grenzfälle S. 113 f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9). Eine ausdrückliche Regelung im Sinne der Zulässigkeit einer eidlichen Vernehmung enthält § 525 Abs. 2 HGB für das als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltende Verklarungsverfahren (hierzu RGSt. 61 226, 228).

8

4. Den bis dahin für die Anwendung des § 154 besonders bedeutsamen Offenbarungseid hat das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) in allen seinen Formen auf die Stufe der eidesstattlichen Versicherung herabgesetzt. Doch blieben nach altem Recht geleistete Offenbarungsmeineide als solche strafbar 2 . 2

BGH 1 StR 68/75 vom 8.4.1975; 4 StR 458/77 vom 24.11.1977; OLG Hamm NJW 1973 67; OLG Frankfurt GA 1973 154.

Stand: 1. 7. 1999

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§154

Meineid

III. Der Eid muß vor Gericht oder einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle 9 geschworen sein (siehe dazu § 153 Rdn. 5 fi). Daß die sich aus dem Tatbestand des § 153 ableitende Beschränkung „zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen" in § 154 fehlt, begründet keinen sachlichen Unterschied. Es handelt sich um ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, nicht um eine Bedingung der Strafbarkeit. Entscheidend ist, daß der Eid in einem Verfahren geschworen wird, in dem ein Eid dieser Art gesetzlich überhaupt zugelassen ist (BGHSt. 3 248, 5 111, 1130- An dieser Voraussetzung fehlt es bei Abnahme eines Parteieids von Personen mit parteiähnlicher Stellung in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Rdn. 7). Die Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften schließt das Zustandekommen eines falschen Eides nicht ohne weiteres aus, sofern nur die Eidesleistung selbst den Mindesterfordernissen an Förmlichkeiten genügte (vgl. Rdn. 2; BGHSt. 16 232, 235f; RGSt. 62 147, 149). Daß kein Urkundsbeamter mitwirkte, ist unschädlich (RGSt. 65 2060· I m übrigen vgl. vor§ 153 Rdn. 29. IV. Täter kann, da Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft ausgeschlossen sind (Rdn. 7 vor § 153), nur der Schwörende selbst sein (RGSt. 37 92, 93; 43 293, 295). Auch wer das eidesmündige Alter von 16 Jahren (§ 60 Nr. 1 StPO, § 393 ZPO) noch nicht erreicht hat, kann den Tatbestand des § 154 verwirklichen 3 . Zu denken ist dabei vor allem an den Fall, daß eine Person, die dieses Alter noch nicht erreicht hat, bei ihrer Vernehmung wahrheitswidrig ein höheres Alter angibt und darauf vereidigt wird. Die gegenteilige, vom RG mit der Entscheidung der Vereinigten Strafsenate in RGSt. 36 278, 284 aufgegebene Auffassung, wird heute noch überwiegend im Schrifttum beibehalten 4 . Sie haftet mit ihrer Berufung auf das „Wesen" des Eides noch am Verständnis des Eides als Religionsdelikt und ist, von allen schon früher gegen sie vorgebrachten Argumenten 5 abgesehen, deshalb überholt, weil einmal Jugendrecht, insbesondere § 3 J G G eingreift und sinnvolle Lösungen möglich macht und weil jetzt außerdem auf jeden Fall die uneidliche falsche Aussage strafbar bliebe und nicht einzusehen ist, daß ein Jugendlicher, der die Bedeutung der Wahrheitspflicht vor Gericht begreift, nicht auch sollte begreifen können, daß ein Verstoß gegen diese Pflicht dann schwerere Mißbilligung verdient, wenn der Täter die Wahrheit seiner falschen Aussage in besonders feierlicher Form bekräftigt hat. Das insbesondere von Quedenfeld (JZ 1973 238, 239) vorgebrachte Argument, es sei hier dem § 3 J G G vergleichbar verfahrensrechtlich eine besondere Schuldvoraussetzung für den Bereich des § 154 geschaffen worden, ist sicher eindrucksvoll, aber nicht zwingend.

10

Die Meinungsverschiedenheiten, die sich für den zugeschobenen, zurückgeschobe- 11 nen oder auferlegten Eid (§ 153 a. F.) ergaben, wenn an Stelle der eidespflichtigen Person eine andere unter Täuschung des Gerichts den Eid leistete (s. mit weiteren Angaben Frank § 153 Anm. II), sind jetzt gegenstandslos geworden. Hier liegt immer, und zwar zumindest deshalb Meineid vor, weil nach § 451 i. V.m. § 395 Abs. 2 S. 1 ZPO die Partei ebenso wie der Zeuge zutreffende Angaben über ihre Personalien machen muß und diese Angaben vom Eid mitumfaßt werden (vgl. § 153 Rdn. 3).

3

4

BGHSt. 10 144; TröndlelFischer Rdn. 11; LacknerlKühl Rdn. 2; Deichmann Grenzfálle S. 109fT. HruschkalKässer JuS 1972 709, 711; Quedenfeld JZ 1973 238; Rudolphi SK Rdn. 8 und G A 1969 129, 133, 140ff; SchlSchröderILenckner vor § 153 Rdn. 25; Vormbaum N K Rdn. 38; Otto Grund-

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5

kurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 40; Wessels! Hettinger BT 1 § 17 Rdn. 754; Krey BT 1 Rdn. 563; Binding Lehrb. 2 S. 148; Frank vor § 153 Anm. IV; Mezger LK 8 vor § 153 Anm. 4. Siehe insbes. Landsberg Der Meineid des Eidesunmündigen, Diss. Heidelberg 1912.

Wolfgang Ruß

§154 12

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

V. Anstiftung begeht, wer einen andern vorsätzlich zu einer wider besseres Wissen erstatteten falschen Aussage veranlaßt, wobei der Vorsatz meist die Möglichkeit der Bekräftigung durch den Eid einschließen wird. Wer jedoch die Auskunftsperson nur dazu bereden will, gutgläubig eine in seinem - des Verleitenden - Sinne falsche Aussage zu machen, kann nicht als Anstifter zur vorsätzlichen Falschaussage bestraft werden, auch wenn die Auskunftsperson ihrerseits dann wissentlich die Unwahrheit sagt (RGSt. 60 1). In diesem Fall ist vielmehr der Tatbestand des § 160 gegeben, und zwar nicht, wie TröndlelFischer Rdn. 23 meint, nur ein Versuch dieses Vergehens (BGHSt. 21 116, s. auch bei § 160 Rdn. 2).

Wird der Zeuge zur falschen eidlichen Aussage überredet, kommt es dann aber, da das Gericht von einer Vereidigung absieht, nur zu einer falschen uneidlichen Aussage, so liegt Anstiftung zu § 153 in Tateinheit mit erfolgloser Anstiftung (§ 30 Abs. 1) zu § 154 vor (BGHSt. 9 131 gegen BGHSt. 1 131 und unter Berufung auf BGHSt. 1 305). Umgekehrt hat die bloß versuchte Anstiftung zum Meineid nicht die Kraft, eine vollendete Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage aufzuzehren; auch in diesem Fall ist also Tateinheit gegeben (BGHSt. 9 131, 135; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 34; Vormbaum NK Rdn. 51). Wird der zu einer uneidlichen Aussage angestiftete Zeuge wider Erwarten des Anstifters vereidigt, so reichen die Anstiftung zu § 153 und bloßes Schweigen des Anstifters allein nicht aus, um einen Anstiftungsvorsatz zur Leistung des Meineids anzunehmen (vgl. BGH NStZ 1993 489); allerdings soll sich nach dieser Entscheidung der Anstifter (zur uneidlichen Falschaussage) einer tateinheitlich begangenen Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen schuldig gemacht haben. 13 Vollendete Anstiftung bleibt es, wenn der Zeuge mit seiner unwahren Aussage hinter der vom Anstifter gewünschten Falschaussage zurückbleibt, also etwa keine unrichtige Darstellung des beweiserheblichen Vorgangs gibt, sondern nichts mehr von der Sache wissen will, obwohl er sich noch erinnert (BGH LM Nr. 37 zu § 154 StGB). Das trifft jedoch nur dann ohne weiteres zu, wenn die vom Anstifter gewünschte und die dann erstattete falsche Aussage zueinander im Verhältnis des Mehr oder Weniger stehen wie vor allem in dem Fall, daß der Zeuge nicht zu allen, sondern nur zu einzelnen, jeweils ein anderes Rechtsverhältnis betreffenden Beweispunkten falsch aussagt und angenommen werden kann, daß die so eingeschränkte Falschaussage noch den Vorstellungen des Anstifters gemäß ist und von seinem Willen umfaßt wird; andernfalls kann nur § 30 oder § 159 eingreifen. BGH 1 StR 145/59 vom 12.5.1959 ließ deshalb eine Verurteilung wegen vollendeter Anstiftung zum Meineid in einem Falle nicht gelten, in dem die zur Leugnung jeglichen Verkehrs aufgeforderte Kindesmutter einmaligen Verkehr mit dem Anstifter innerhalb der gesetzlichen Empfangniszeit zugab, während sie in Wirklichkeit mehrere Male Verkehr hatte; das konnte kaum im Sinne des Anstifters liegen (vgl. auch Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 34). 14

VI. Beihilfe durch positives Tun wird geleistet, wenn der Gehilfe den Täter in seinem schon gefaßten Entschluß zur Falschaussage bestärkt oder für ihn äußere Umstände günstiger gestaltet oder Hindernisse aus dem Wege räumt oder fernhält (BGHSt. 2 129,17 321). Das ist ζ. B. der Fall, wenn eine Person, die sich zur Leistung einer falschen Aussage bereiterklärt, als Zeuge benannt wird (vgl. BGH VRS 83 185, 187), oder wenn einer schon als Zeuge benannten Person zugesichert wird, man werde ihre Falschaussage decken, oder wenn der Prozeßbeteiligte anläßlich der Vernehmung des Zeugen Erklärungen abgibt, die darauf abzielen, den Zeugen in seinem Vorhaben einer unwahren Aussage zu bestärken (BGH 5 StR 253/54 vom 14.9.1954). Nicht ausreichend dürfte es jedoch sein, wenn ein Zeuge lediglich zu einer unklaren BeweisStand: 1.7. 1999

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§154

Meineid

läge benannt wird, ohne daß eine vorherige Absprache stattgefunden hat, allein in der Hoffnung, der Zeuge werde eine günstige Aussage machen, und zwar auch dann nicht, wenn der Zeuge eine eindeutige Falschaussage macht (vgl. dazu auch Rdn. 15ff). VII. Anstiftung und Beihilfe können auch durch korkludentes Verhalten geleistet 1 5 werden. Die Benennung eines Zeugen für eine falsche Behauptung oder Einlassung wird oft von der Erwartung bestimmt sein, dieser werde durch die ihm mit der Ladung zuteil werdende Kenntnis von dieser Erwartung zu einer falschen Aussage bestimmt oder doch in seinem schon vorhandenen Vorhaben einer solchen Aussage bestärkt werden 6 . Die Entscheidung BGH 4 StR 306/55 vom 27.10.1955 will indessen eine tätige Beihilfe durch Benennung eines Zeugen nur für den Fall gelten lassen, daß diese Benennung auf Grund „geheimen Einvernehmens" erfolgt sei, und erklärt ausdrücklich, daß die Benennung eines Zeugen für eine unwahre Prozeßbehauptung allein den Beihilfevorwurf nicht begründen könne, weil dadurch höchstens die äußere Verfahrenslage für die Vernehmung des Zeugen geschaffen, aber weder auf seinen Tatentschluß eingewirkt noch die Ausführung des Entschlusses selbst in irgendeiner Weise vorbereitet oder sonst gefördert werde. Da Beihilfe durch Unterlassen immer erst zur Erörterung stehen kann, wenn eine Teilnahme durch tätiges Handeln ausscheidet (BGH 5 StR 253/54 vom 14.9.1954), sollte die Prüfung auf die Ermöglichung oder Förderung falscher Aussagen abzielender Prozeßhandlungen durchaus im Vordergrund der Untersuchungen stehen (in diesem Sinne BGH NJW 1958 956 m. Anm. Martin LM StGB § 154 Nr. 53). Soweit das tätige Handeln in einer Prozeßhandlung liegt, sind jedoch differenzierte Bewertungen veranlaßt. Für Prozeßhandlungen in einem Strafprozeß ist zu beachten, daß den Beschuldigten oder Angeklagten keinerlei Pflicht zur Mitwirkung trifft. Er darf schweigen und die ihm zur Last gelegte Tat leugnen. Anders als im Zivilprozeß trifft ihn keine Wahrheitspflicht. Wollte man sein Schweigen oder Leugnen im Angesicht eines zu seinen Gunsten falsch aussagenden Zeugen als Beihilfe zu dieser Falschaussage werten, so liefe das darauf hinaus, ihn im Gegensatz zu diesem in § 136 StPO zum Ausdruck kommenden verfahrensrechtlichen Grundsatz unter Strafdrohung zum Bekenntnis der Wahrheit zu verpflichten (BGH NJW 1958 956). Entgegen dieser Entscheidung (und BGH bei Dallinger M D R 1974 14) kann daher in der bloßen Weigerung eines Angeklagten, sich zu einer (falschen) Aussage eines Zeugen zu äußern, keine Bestärkung des Zeugen in seinem Verhalten und damit keine strafbare Beihilfe erblickt werden. Der Angeklagte hat mit seiner Weigerung zur Stellungnahme lediglich von dem ihm nach § 257 StPO zustehenden Recht Gebrauch gemacht 7 . Ebenso wäre es verfehlt, einem leugnenden Angeklagten deshalb den Vorwurf der Beihilfe zu machen, weil ein zur Falschaussage bereiter Zeuge hieraus den Schluß ziehen kann, daß seine Aussage mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmt und deshalb für das Gericht an Wahrscheinlichkeit gewinnt (SehlSchröder!Lenckner vor § 153 Rdn. 36; Rudolphi SK vor § 153 Rdn. 49; Vormbaum N K § 153 Rdn. 112).

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Für den Zivilprozeß ist von Bedeutung, daß Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß (§ 138 ZPO) abzugeben haben. Diese ihr obliegende Wahrheitspflicht verletzt eine Partei, wenn sie Tatsachen behauptet, von deren Unrichtigkeit sie sichere Kenntnis hat oder wenn sie davon

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In diesem Sinne BGH NJW 1954 1818 unter a), insoweit in BGHSt. 6 322 nicht abgedruckt. Insoweit auch OLG Hamm NStZ 1993 82 mit aus anderen Gründen - krit. Anmerkungen von Seebode NStZ 1993 83, Scheffler GA 1993 341,

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Bartholme JA 1993 220, Tenter wistra 1994 247, Brammsen StV 1994 134 (zugleich zu LG Münster StV 1994 134), Prittwitz StV 1995 270; Heinrich JuS 1995 1115.

Wolfgang Ruß

§154

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

überzeugt ist, daß die Behauptungen falsch sind. Entsprechendes gilt für das Bestreiten von Behauptungen der Gegenpartei (vgl. RGSt. 75 271, 273). Daß in wahrheitswidrigen. Parteierklärungen im Zivilprozeß für sich allein schon eine Beihilfe durch tätiges Handeln liegen kann, wenn der Vorsatz dahin ging, diese Erklärungen sollten auch zur Kenntnis des Zeugen gelangen (ζ. B. durch Mitteilung des Beweisthemas in der Ladung) und ihn im Sinne einer entsprechenden falschen Aussage beeinflussen, ist in dieser Entscheidung zutreffend bemerkt worden (vgl. auch BGH NJW 1954 1818 unter a ; ferner Rdn. 14)8. Zutreffend ist aber auch der Hinweis von Rudolphi (SK Rdn. 50; ebenso Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 36), daß eine Partei dann noch im Rahmen ihrer Wahrheitspflicht bleibt, wenn sie Zeugen für Behauptungen benennt, von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit sie selbst im Zweifel ist. 17

VIII. Bei konsequenter Beachtung des Grundsatzes, daß die Teilnahme durch tätiges Handeln der Tatbegehung durch Unterlassen vorausliegt und für deren Berücksichtigung keinen Raum läßt, kann die Aktualität der unechten Unterlassung bei den Aussagedelikten nur sehr gering sein. Bezeichnend ist, daß das RG sich erst seit 1936 mit der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen befaßt hat und daß das Problem seit der einschränkenden Entscheidung BGHSt. 17 321 aus dem Jahre 1962 in der Rechtsprechung, von einigen wenigen Entscheidungen abgesehen 9 , kaum von Bedeutung geworden ist (vgl. Rdn. 17 a). Bemerkenswert ist ferner, daß, wie schon Bockelmann NJW 1954 697 in seinem kritischen Resümee der Rechtsprechung vermerkte, in einem ganz erheblichen Teil der unter dem Aspekt des unechten Unterlassungdelikts behandelten Fälle ein tätiges Handeln zu verzeichnen war, das die Annahme einer Beihilfe oder gar einer Anstiftung hätte rechtfertigen können. Dabei kann dem Vorgehen des RG in dieser Hinsicht als Entschuldigung dienen, daß zur Zeit seiner einschlägigen Entscheidungen die uneidliche Aussage noch nicht unter Strafe gestellt war und sich noch die in RGSt. 54 121 niedergelegte Auffassung auswirkte, daß die uneidliche Aussage nicht eigentlich zum Tatbestand des Meineids gehöre, sondern nur seine äußere Voraussetzung sei. Beides macht begreiflich, daß eine gewisse Scheu bestand, in einer ,bloß' auf die Aussage mittelbar einwirkenden Tätigkeit schon eine Beihilfe oder gar Anstiftung zum späteren Meineid zu finden, weshalb man dann die Schuld des Täters lieber in der nach solcher Gefahrbegründung unterlassenen Verhinderung des Meineids suchte. Selbst Bockelmann, der NJW 1954 697, 699 das „vorschnelle Ausweichen" auf die Unterlassung so gründlich kritisiert, spricht dabei immerzu von Beihilfe oder Anstiftung zum Meineid statt zur uneidlichen oder eidlichen Falschaussage, und so mag es verständlich sein, daß auch die Rechtsprechung die Veränderung der Gesetzeslage nur zögernd verarbeitete und zunächst durchaus der Linie folgte, die das RG mit seinen vom Meineidstatbestand allein ausgehenden Entscheidungen eingeschlagen hatte 10 . Erst nach und nach und keineswegs einheitlich ist es im Anschluß an die von Maurach in DStrR 1944 1 und in SJZ 1949 541 und von Bockelmann NJW 1954 697 geübte Kritik zu einer einschränkenden Rechtsprechung gekommen.

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Sehl Schröder!Lenckner vor § 153 Rdn. 37; Bockelmann NJW 1954 697, 699; Brammsen StV 1994 134, 138; Maurach! SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 80; aA Rudolphi SK Rdn. 51; Vormbaum NK § 153 Rdn. 112; Otto JuS 1984 161, 169 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 73; Heinrich JuS 1995 1115, 1118 f; Prittwitz StV 1995 270, 272; vgl. auch BGH 4 StR 306/55 vom 27.10.1955.

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Vgl. BGH NStZ 1993 489; OLG Düsseldorf NJW 1994 272; OLG Hamm NStZ 1993 82; OLG Köln NStZ 1990 594; KG JR 1969 27; vgl. dazu Rdn. 17 a. Zu nennen sind RGSt. 70 82 (Anm. Schaffstein JW 1938 577 und Wolf ZAkDR 1938 351); 72 20; 74 38 (Anm. Mezger DR 1940 637); 74 283; 75 271; weitere Entscheidungen bei Maurach DStrR 1944 1.

Stand: 1. 7. 1999

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Meineid

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BGHSt. 3 18 hielt unter Berufung auf RGSt. 75 271 eine Prozeßpartei im Zivilprozeß für verpflichtet, den Meineid eines Zeugen durch Bekenntnis der Wahrheit zu verhindern, den der Prozeßgegner auf ihr wahrheitswidriges Bestreiten benannt hatte. In BGH 4 StR 682/52 b. Dallinger M D R 1953 272 wurde unter Berufung auf BGHSt. 3 18 das gleiche für die Beteiligten im Strafverfahren einschließlich des Beschuldigten ausgesprochen und dazu erklärt, die Selbstverteidigung des Beschuldigten müsse zurücktreten, wenn die strafrechtlich geschützte Rechtsordnung durch neues Unrecht angegriffen werde; im gleichen Sinn schon OLG Hamm HESt. 2 242 und erneut BGHSt. 4 218 und noch BGH 5 StR 253/54 vom 14.9.1954. Doch wurde schon bald ziemlich einhellig betont, daß aus § 138 ZPO für sich allein keine Handlungspflicht der Prozeßpartei zur Verhinderung falscher Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen zu entnehmen sei (BGHSt. 6 323 mit weiteren Hinweisen; LG Göttingen NJW 1954 731). Um weitergehende Einschränkung bemüht waren BGHSt. 1 27, wo gefordert wurde, daß sich der Zeuge in einer für die leugnende Partei erkennbaren Zwangslage befinde, ferner BGHSt. 2 133, wo bloßes Bestreiten und die Erklärung, die von der Gegenseite benannte Zeugin möge vernommen werden, als nicht ausreichend zur Begründung einer Rechtspflicht zum Handeln erachtet wurden. Im gleichen Sinne betonten die OLGe Köln NJW 1957 34 und Bremen NJW 1957 1246, daß das Bestreiten einer Klagebehauptung, welches die Benennung und Vernehmung des Zeugen auslöst, noch keine unangemessene Steigerung der dem Prozeß eigentümlichen Gefahrenlage für den Zeugen und damit keine Pflicht zum Einschreiten für die Prozeßpartei auslöse. BGHSt. 4 329 machte sich gleicherweise in einem Falle, in dem es um die Frage einer Beihilfe des Prozeßbevollmächtigten ging, die Forderung von Maurach (DStrR 1944 1) zu eigen, daß das Vorverhalten des Gehilfen den Zeugen einer prozeßunangemessenen (inadäquaten), besonderen Gefahr der Falschaussage ausgesetzt haben müsse. Der 4. Strafsenat des BGH gab schließlich in BGHSt. 17 321 in diesem Sinne unter Berufung auf BGHSt. 2 129 und 14 229 seine in BGHSt. 3 18 vertretene Meinung ausdrücklich auf. Dementsprechend sieht das OLG Düsseldorf in NJW 1994 273 das bloße Bestehen einer Liebesbeziehung ohne Hinzutreten weiterer Umstände als nicht ausreichend an, um dem Angeklagten eine Handlungspflicht aufzuerlegen. Auch das OLG Köln (NStZ 1990 594) verneint das Vorliegen einer besonderen, prozeßinadäquaten Gefahrenlage in einem Fall, in dem der Angeklagte vor der Zeugenvernehmung, bei der er anwesend war, eine schriftliche Sachdarstellung des Zeugen erhalten hat, aus der zu entnehmen war, daß dieser eine falsche Aussage machen werde; das OLG war der zutreffenden Meinung, daß das Verhalten des Angeklagten nicht über den bloßen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht hinausging. Eine Kehrtwendung zur früheren Auffassung enthält jedoch die Entscheidung des OLG Hamm (NStZ 1993 82). Sie geht zwar ebenfalls davon aus, daß eine strafbegründende Garantenpflicht aus Ingerenz nur anzunehmen ist, wenn durch das Vorverhalten eine prozeßinadäquate, besondere Gefahrenlage geschaffen wurde, erblickt eine solche Situation aber allein in der Benennung eines bislang unbekannten Mittäters als Entlastungszeugen und bejaht eine den Angeklagten treffende Rechtspflicht, die erwartete Falschaussage notfalls durch Bekennen der Wahrheit zu verhindern. Soweit in der Rechtsprechung das Vorliegen einer besonderen prozeßunangemessenen Gefahr der Falschaussage verlangt wird, um eine Garantenstellung zu begründen, bleibt indessen in der Begrenzung weitgehend unklar, was als prozeßinadäquate, besondere Gefahr zu werten sei. Auf die Frage, ob und unter welchen Umständen verwandtschaftlicher (KG JR 1969 27 mit krit. Anm. Lackner) oder ehelicher Bindung (BGHSt. 6 322) eine solche Bedeutung beizumessen sei, welche Rolle außereheliche Liebesbeziehungen zwischen dem Prözeßbeteiligten und dem Zeugen insofern zu spie(147)

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

len haben (BGHSt. 14 229, dazu kritisch Bindokat NJW 1960 2319; OLG Düsseldorf NJW 1994 273), findet man keine umfassenden und überzeugenden Antworten. Doch ist sicherlich Lackner (JR 1969 29, 30) darin zuzustimmen, daß derartige Verhältnisse und Beziehungen für sich allein immer nur sittliche, aber schwerlich rechtliche Pflichten zur Verhinderung der Falschaussage begründen können. Es blieben dann wohl nur die wenigen Fälle übrig, in denen nachweisbar nur eine begrenzte Anstiftung entweder zur (straflosen) Falschaussage vor der Polizei oder zur uneidlichen Falschaussage vor Gericht gegeben ist und der Anstifter es dann, statt aufklärend einzugreifen, zu der falschen uneidlichen oder eidlichen Aussage vor Gericht kommen läßt (BGH 1 StR 379/51 v. 18.9.1951; 2 StR 32/58 v. 19.2.1958) oder in denen sich eine starke persönliche Abhängigkeit (Hörigkeit) des ohne besonderes Zutun des etwaigen Gehilfen herangezogenen Zeugen mit einer irgendwie gearteten Verstrickung in ¿las Tatgeschehen verbunden hat (BGH 1 StR 504/60 vom 20.12. I960) 11 . 18

Über die besondere Frage der Bedeutung des Rechts zur Verweigerung der Aussage im Zusammenhang mit der Beihilfe zur Falschaussage durch pflichtwidriges Unterlassen liegt keine einheitliche Rechtsprechung vor. Das OLG Hamm (NStZ 1983 82, 83) mißt dem nach § 55 StPO bestehenden Aussageverweigerungsrecht im Hinblick auf die Garantenpflicht des Gehilfen keine Bedeutung bei. Die Entscheidung BGH NJW 1953 1399 verneinte zutreffend eine Rechtspflicht zum Handeln, wenn der „Gehilfe" dem Zeugen die Verweigerung der Aussage empfohlen hatte. Im Gegensatz dazu will BGHSt. 14 229 die aus dem Bestehen eines Liebesverhältnisses hergeleitete Rechtspflicht zum Eingreifen auch dann noch wirksam sein lassen, wenn ausdrücklich die Verweigerung der Auskunft durch die Ehebruchszeugin abgesprochen war. In gleicher Weise bedenklich erscheint KG JR 1969 27, wo die Pflicht des Vaters zur Verhinderung der Falschaussage bejaht wurde, obwohl dieser seinen als Zeugen vernommenen Sohn ausdrücklich um die Aussageverweigerung gebeten hatte. Der Kritik Lackners (JR 1969 29), daß hier falschlich eine sittliche Verpflichtung als Rechtspflicht begriffen worden sei, ist zuzustimmen.

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Die Frage, ob auch der als Prozeßbevollmächtigter oder Verteidiger am Verfahren beteiligte Rechtsanwalt Beihilfe durch Unterlassen zur Falschaussage eines Zeugen begehen kann, haben RGSt. 70 82 und BGHSt. 4 327 behandelt. RGSt. 70 82 wollte eine Rechtspflicht zum Handeln aus § 138 ZPO und dem Standesrecht ableiten. BGHSt. 4 327 ist dem mit Recht entgegengetreten, hatte es jedoch nur mit dem Fall zu tun, daß der Rechtsanwalt den Zeugen für eine wahre oder doch von ihm für wahr gehaltene Prozeßbehauptung benannt hatte. Immerhin läßt sich der Entscheidung ihrer Tendenz nach entnehmen, daß eine Ingerenz für den Rechtsanwalt auf Grund von ihm vorgenommener Prozeßhandlungen auszuscheiden hat. Es wäre, wie Vollmann (Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen S. 96) zutreffend betont, mit der prozessualen Stellung des Rechtsanwalts unvereinbar, ihn unter dem Druck der Meineidsstrafe zur Offenbarung und damit zugleich zur Verletzung seiner Treu- und Schweigepflicht zu zwingen. Folgerichtig sieht Vollmann nur dann eine Rechtspflicht 11

Vgl. hierzu auch die teilweise kritischen Ausführungen im Schrifttum: Rudolphi SK vor § 153 Rdn. 52f; SehlSchröder!Lenckner vor § 153 Rdn. 40; Vormbaum N K § 153 Rdn. 119; Lackneri Kühl vor § 153 Rdn. 7; TröndlelFischer Rdn. 24; Scheffler G A 1993 348; Seebode NStZ 1993 83; Tenter wistra 1994 247; Brammsen StV 1994 135; Prittwitz StV 1995 270; Heinrich JuS 1995 1115; Bartholme JA 1998 204; Otto Grundkurs

Strafrecht BT §97 Rdn. 76; Krey BT 1 Rdn. 578; Schünemann Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, Bd. 86 der Göttinger Rechtswiss. Studien (1971) S. 199; Vollmann Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen, Diss. München 1965; Welp Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, Schriften zum Strafrecht Bd. 9 (1968) S. 707 ff.

Stand: 1.7. 1999

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Meineid

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des Anwalts zum Eingreifen als vorliegend an, wenn der von der Gegenseite benannte Zeuge zu deren Gunsten falsch aussagt und der Anwalt von der Unwahrheit der Bekundung Kenntnis hat (S. 94). IX. Der Tatbestand erfordert Vorsatz (vgl. die Ausführungen zu § 153 Rdn. 15). 2 0 Der Vorsatz des Täters muß sich darauf erstrecken, daß die Aussage falsch ist, sich also nicht mit der Wirklichkeit deckt, daß sie ferner unter den Eid fallt und daß die Stelle, vor der er schwört, eine für die Eidesabnahme zuständige Stelle ist. Bedingter Vorsatz reicht aus. Beim Auftauchen von Irrtumsproblemen muß davor gewarnt werden, an Hand von Fällen des Offenbarungseids getroffene Entscheidungen wie etwa BGHSt. 2 76 einerseits und BGHSt. 14 350 andererseits zu verallgemeinern. Beim Offenbarungseid war der Aussagegegenstand gesetzlich fixiert, bei der Zeugenaussage wird er durch das von Fall zu Fall unterschiedliche und durch Fragestellungen im Sinne einer Erweiterung veränderliche Beweisthema bestimmt. Das schafft eine ganz andere Ausgangslage. Zum anderen sollte die Eidespflicht immer im engsten Zusammenhang mit der durch das Beweisthema begrenzten Aussagepflicht gesehen werden. Daß ein Zeuge sich hinsichtlich bestimmter Angaben für aussagepflichtig hält, aber zugleich die eidliche Beteuerung nicht auf diese Angaben bezieht, ist kaum vorstellbar (vgl BGHSt. 4 214 u. § 153 Rdn. 12). Beispiele für Fälle von Tatbestandsirrtum werden behandelt in BGHSt. 1 150, 3 226 (Irrtum über die Tragweite des Beweisthemas), BGHSt. 3 248 (Zuständigkeit des Gerichts zur Abnahme von Eiden), von Verbotsirrtum in BGHSt. 5 118 u. 10 15 (irrige Annahme der Befugnis zu einer Falschaussage). Wenn in BGHSt. 14 350 gesagt wird, die irrige Annahme des Täters, eine von ihm beschworene Falschaussage falle unter die Wahrheitspflicht, sei als Wahnverbrechen anzusehen, so ist dies nur in bezug auf den dort behandelten Fall des Offenbarungseids zutreffend. Für die Aussage des Zeugen oder der Partei muß unterschieden werden. Glaubt der Zeuge, daß etwas Gegenstand des Beweisthemas und damit seiner Aussagepflicht sei, was in Wahrheit gar nicht von ihm erfragt ist, so liegt darin ein Tatbestandsirrtum, während ein Wahndelikt nur in den Fällen gegeben ist, in denen der Zeuge rechtlich über das Maß seiner Aussagepflicht irrt, indem er etwa glaubt, daß jede auch nur beiläufig von ihm vermerkte Nebensächlichkeit (vgl. vor § 153 Rdn. 25) vom Tatbestand der Aussagedelikte und insbesondere der Eidespflicht erfaßt werde 12 . X. Ausnahmsweise kann der Meineid durch Notstand nach § 35 StGB entschuldigt 21 sein: RGSt. 66 98, 222, 397, 67 264, BGHSt. 5 371 (vgl. H. J. Hirsch LK § 35 Rdn. 27). XI. Der Versuch setzt beim Voreid den Beginn der Aussage, beim Nacheid den Beginn der Eidesleistung voraus: RGSt. 54 117, 120, OGHSt. 2 161, BGHSt. 4 176, bei stummen Personen entsprechend den Beginn der in § 66 e StPO u. § 483 ZPO vorgesehenen Förmlichkeiten. Auch der Gebrauch einer nicht gesetzesmäßigen Beteuerungsformel kann Versuch sein (RGSt. 67 333). Für den untauglichen Versuch sind die allgemeinen Regeln maßgebend (s. dazu die Rdn. 20 behandelten Fälle des Tatbestandsirrtums). Im Gegensatz zu RGSt. 60 27, 72 80, BGHSt. 3 253 ist mit OLG Bamberg NJW 1949 876 ein Wahndelikt anzunehmen, wenn der Eid von einer Stelle abgenommen wird, der die Befugnis zur Abnahme von Eiden in keiner Form zusteht, z. B. bei Vereidigung durch einen Polizeibeamten (dazu auch Roxin JZ 1996 981). Ist

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Vgl. dazu aber Demulh NJW 1974 757 in der Anmerkung zu BGHSt. 25 246 sowie Roxin JZ 1996 981.

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Wolfgang Ruß

§ 155

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

die Stelle an sich zur Abnahme von Eiden zu Beweiszwecken zuständig, war jedoch der abgenommene Eid im Einzelfall nicht statthaft oder unwirksam, da ihn ein dazu nicht befugter Angehöriger der Behörde abnahm, so liegt untauglicher Versuch vor: BGHSt. 12 58. Bei Rücktritt vom Versuch bleibt § 153 anwendbar (BGHSt. 8 315). 22

XII. Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Die Annahme eines minder schweren Falles wird vor allem in den Rdn. 29 vor § 153 erörterten Fällen fehlerhafter Vernehmung und Eidesabnahme naheliegen, im übrigen sind bei Vernehmung und Eidesabnahme begangene Verfahrensverstöße bei der Strafbemessung zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn den Vernehmenden kein Verschulden trifft (vgl. vor § 153 Rdn. 31)13. Ob der Eid in religiöser Form geleistet wurde oder nicht, darf für die Strafzumessung keine Rolle spielen (BGH 1 StR 515/56 v. 1.3.1957). XIII. Zur Wahlfeststellung s. § 153 Rdn. 14. Nach BGHSt. 4 341 ist die Verurteilung wegen fahrlässigen Falscheides nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Verdacht einer vorsätzlichen eidlichen Falschaussage fortbesteht. Wahlfeststellung ist nach OLG Hamm GA 1974 84 auch im Verhältnis von § 154 und § 156 möglich. Die Kritik in JA 1974 321 bezweifelt unter Berufung auf den sakralen Hintergrund des Eides, dem von Gesetzes wegen keine Bedeutung mehr zukommen kann, zu Unrecht die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit. Wahlfeststellung wurde ferner anerkannt zwischen uneidlicher Falschaussage und Meineid (BGH NJW 1957 1886; BGHSt. 13 70, 72) und zwischen Meineid und falscher Verdächtigung (BayObLG MDR 1977 860). Vgl. dazu Gribbohm LK § 1 (Anhang I) Rdn. 115. XIV. Über Konkurrenzen siehe § 153 Rdn. 16, 18.

§ 1 5 5

Eidesgleiche Bekräftigungen Dem Eid stehen gleich 1. die den Eid ersetzende Bekräftigung, 2. die Berufung auf einen früheren Eid oder auf eine frühere Bekräftigung. Schrifttum s. vor § 153 Entstehungsgeschichte Die zum Altbestand des StGB gehörende Vorschrift ist durch Art. 3 des Gesetzes zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3668) gänzlich neu gefaßt und den durch das genannte Gesetz veränderten Bestimmungen über die Abnahme von Eiden und ihnen gleichgestellten Bekräftigungen angepaßt worden. Sie war vorher in ihrer Nr. 1 so etwas wie eine Erinnerung an die Zeit der ausschließlichen Gel13

Vgl. dazu aus der Rechtsprechung: BGHSt. 8 186, 189f; 17 128, 133ff; 23 30, 32; 27 74; BGH NStZ 1981 268 f; 1984 134; StV 1982 521; 1986 341; 1987 195, 196; 1988 427; 1995 249; wistra 1987 22, 23; 1993 258; NStZ 1991 280 (selbständige Bedeutung neben § 157); NJW 1992 1054,

1055; wistra 1999 261; OLG Hamm MDR 1977 1034; NStZ 1984 551; OLG Köln NJW 1988 2487; OLG Karlsruhe M D R 1993 368, 369; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 137; aber: BGH NJW 1958 1832; JR 1981 248 m. Anm. Bruns; BGH bei Detter NSt2 1991 478.

Stand: 1.7. 1999

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Eidesgleiche Bekräftigungen

§155

tung des religiösen Eides geblieben, der auch noch nach der Einführung des weltlichen Eides durch die Weimarer Verfassung in den Prozeßordnungen eine wenigstens äußerlich vorrangige Stellung behauptete. Nach der Beseitigung auch dieses „Überhangs" durch das Gesetz vom 20.12.1974 war kein Raum mehr für eine Regelung übrig, die in ihrem Ursprung als Privilegierung bestimmter Religionsgemeinschaften zum Gebrauch ihrer eignen Beteuerungsformeln anstelle des allgemeinen religiösen Eides gedacht war. Dieser Sinngehalt einer Rücksichtnahme auf weltanschaulich begründete Bedenken gegen die allgemein vorgeschriebene Form des Eides ist jedoch bei der neuen Regelung in eigenartiger Verwandlung und Verbreiterung bestehen geblieben. Ging es früher darum, einzelnen religiösen Gruppen wie Mennoniten und Philipponen gerecht zu werden, so wird jetzt eine ganz umfassende Toleranz geübt und im Anschluß an BVerfGE 33 23 sogar solchen Skrupulanten Rechnung getragen, denen selbst der Eid in der weltlichen Form noch zu viel sakrale Färbung besitzt. Wenn es diesen jetzt auf Verlangen gestattet ist, die Frage nach der Bekräftigung der Wahrheit ihres Zeugnisses mit einem schlichten Ja zu beantworten, konnten ihnen nicht zugleich die an Eidesverletzungen geknüpften strafrechtlichen Sanktionen erspart bleiben. Ihr Ja bedurfte strafrechtlich der Gleichstellung mit dem Eid. I. Die Vorschrift enthält keinen selbständigen Tatbestand, sondern ersetzt und 1 umschreibt nur ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal des § 154 (RG JW 1938 3103). Man könnte sagen, daß sie den Begriff des Schwörens durch Anfügung zusätzlicher Varianten ergänzt. II. In §§ 154, 160 und 163 unmittelbar angesprochen ist die Eidesleistung, für welche die Verfahrensgesetze jetzt die weltliche und religiöse Form deutlich zur Wahl stellen (§§ 57 Satz 2, 66 c StPO, §§ 480, 481 ZPO). Dieser Eidesleistung strafrechtlich gleich zu achten ist nach § 155 Nr. 1 die neu eingeführte Bekräftigung gem. §66d StPO, § 484 ZPO, die einer Beweisperson abgenommen wird, welche aus Glaubensoder Gewissensgründen überhaupt keinen Eid leisten will, die also eine mit den Begriffen des Eides und des Schwörens bezeichnete Bekräftigung auch dort scheut, wo ihr der Gesetzgeber jeden religiös-sakralen Sinn nehmen wollte. In dieser für den Tatbestand des § 154 wie der Tatbestände des § 160 und § 163 bedeutsamen Gleichstellung erschöpft sich der Zweck der Vorschrift. Religiöse Bekräftigungsformeln besonderer Art können jetzt gemäß §§ 66 c Abs. 3, 66 d Abs. 3 StPO und § 481 Abs. 3, § 484 Abs. 3 ZPO von der Beweisperson nach ihrem Belieben jeder der drei vom Gesetz vorgesehenen Grundformen des Schwurs angefügt werden, ohne daß dies noch eine sachliche Bedeutung für eine Anwendbarkeit der strafrechtlichen Tatbestände haben könnte. Es handelt sich insofern nur noch um ein besonderes Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber den Beweispersonen und dem vernehmenden Richter, dem damit die Durchsetzung der Bekräftigungspflicht erleichtert sein kann, daß er auf solche Eigenheiten Rücksicht nimmt. III. Nach den Verfahrensgesetzen kann die Eidesleistung oder Bekräftigung unter 2 bestimmten Voraussetzungen durch die förmliche Berufung auf einen früheren Eid oder auf eine frühere Bekräftigung ersetzt werden. Dem trägt Nr. 2 Rechnung, indem sie die Berufung auf den früheren Eid etc. dem Eide gleichstellt. Die neue knappe Fassung ersetzt und umfaßt die zuvor in zwei Ziffern behandelte und mehr ins einzelne gehende Regelung. Zu unterscheiden sind drei Fallgruppen (vgl. BTDrucks. 7/2526 S. 26): l . a ) Im Vordergrund stehen die Fälle, in denen durch die Berufung eine sonst erforderliche zweite Eidesabnahme in ein- und demselben Verfahren ersetzt wird, (151)

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§ 155

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

also die Regelung für Zeugen in § 67 StPO, die nach § 72 StPO entsprechend für den Sachverständigen gilt, und die gleichartige Regelung für den Zeugen in § 398 Abs. 3 ZPO, die nach § 402 ZPO auf Vernehmungen des Sachverständigen und nach § 451 ZPO auf die Parteivernehmung entsprechend anzuwenden ist. Hier ist strittig, ob nur eine solche Berufung die in der Vorschrift bestimmte Gleichstellung mit dem Eid genießt, die verfahrensrechtlich statthaft ist (so Tröndlel Fischer Rdn. 3; Vormbaum NK Rdn. 7), oder ob es auf die prozessuale Zulässigkeit der Berufung nicht ankommt, sofern nur die Vereidigung in dem Verfahren vorgesehen ist (so SchlSchröderILenckner Rdn. 5; wohl auch Lackner/Kühl Rdn. 3). Die Meinungsverschiedenheit hat ihren Ursprung in der Rechtsprechung des RG, welche durch die frühere Fassung des § 155 Nr. 2 bedingt war, wo ausdrücklich von dem „bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid" gesprochen wurde. Willms hat hierzu in der 9. Auflage (§ 155 Rdn. 5) folgende Darstellung gegeben: 3

Den Begriff „derselben Angelegenheit" hat das RG als eigenen strafrechtlichen Begriff angesehen und in seiner sachlichen Tragweite nicht nach den entsprechenden (oben angeführten) verfahrensrechtlichen Vorschriften bemessen. So hat es für die Berufung auf einen früher geleisteten Eid in Zivilsachen ausgesprochen, daß hier unter derselben Sache stets und allein die durch Klageerhebung rechtshängig gewordene Streitsache, dagegen nicht das Beweisthema zu verstehen sei (RG HRR 1935 395, JW 1938 2197). Der in RGZ 48 386 vertretenen Auffassung, daß § 398 Abs. 3 ZPO nicht anwendbar und demgemäß die Berufung auf den früheren Eid unzulässig und rechtsunwirksam sei, wenn die zweite Vernehmung ein anderes Beweisthema betroffen habe, hat es deshalb für die Anwendung des § 155 Nr. 2 keine Bedeutung zuerkannt. In Strafsachen hat es als dieselbe Angelegenheit einerseits ganz allgemein dasselbe Verfahren, andererseits aber auch unabhängig hiervon „ein und denselben, die gleichen Personen und die gleiche Straftat betreffenden Hergang" verstanden. Es hat es darum als strafrechtlich irrelevant beurteilt, daß die Eidesleistung' in der Hauptverhandlung entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des § 67 StPO durch Berufung auf einen im Vorverfahren geleisteten Eid ersetzt wurde (RGSt. 17 409) oder daß die Eidesleistung in der Hauptverhandlung durch die Berufung auf einen Eid ersetzt wurde, den der Zeuge in einem schon abgeschlossenen Verfahren gegen einen wegen derselben Tat abgeurteilten Mitangeklagten geleistet hatte (RGSt. 30 131). Erst die Entscheidung RGSt. 70 200 hat sich unter der Hand von dieser Linie entfernt, indem sie die Frage der prozeßrechtlichen Wirksamkeit der ausgesprochenen Berufung nicht auf die Seite schob, sondern den in RGZ 48 386 behandelten sachlichen Gesichtspunkt ausschlaggebend sein ließ. In der Tat kann eine verfahrensrechtlich unzulässige und damit unwirksame Eidesleistung nicht als vollendeter Meineid bewertet werden. Hier kann immer nur, wie es RGSt. 67 332 für die im Offenbarungseidsverfahren unstatthafte Berufung auf den früheren Eid dargelegt und RGSt. 70 200 für die hier strittigen Fälle angedeutet hat, ein versuchter Meineid gegeben sein (vgl. auch BGH GA 1958 112). Die in der 8. Auflage ebenso wie im Schrifttum kritiklos hingenommene Rechtsprechung des RG praktizierte strafrechtliche Autonomie am falschen Platz und war dabei wohl auch vom überholten Verständnis des Meineids als eines Religionsverbrechens beeinflußt. Nachdem der Gesetzgeber die eigene Umschreibung des Gegenstands in § 155 aufgegeben hat, sollte es selbstverständlich sein, daß nur eine Berufung dem Eide gleichstehen kann, die verfahrensrechtlich statthaft war. Dreher hat sich in der 36. Auflage (§ 155 Rdn. 3) durch die Gesetzesänderung veranlaßt gésehen, seine für die alte Fassung vertretene gegenteilige Meinung aufzugeben, während sich Rudolphi SK Rdn. 4 Stand: 1.7. 1999

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Eidesgleiche Bekräftigungen

§155

ersichtlich schon für die alte Fassung der Vorschrift der hier vertretenen Meinung angeschlossen hatte. Hiernach kann in Fällen, in denen die Berufung abgenommen wurde, obwohl sie nach der verfahrensrechtlichen Regelung nicht an die Stelle der Vereidigung treten durfte, nur Versuch in Betracht kommen. b) Zur verfahrensrechtlichen Regelung im einzelnen ist zu sagen: Zwischen Zeu- 4 gen und Sachverständigen ist streng zu scheiden. Die Berufung des Zeugen auf einen vorher geleisteten Sachverständigeneid ist nicht statthaft, ebenso umgekehrt (OLG Köln M D R 1955 183). In Strafsachen ist die Berufung nur jeweils innerhalb des Vorverfahrens und des Hauptverfahrens zulässig, die Berufung eines im Hauptverfahren vernommenen Zeugen auf einen im Vorverfahren geleisteten Eid also ausgeschlossen (RGSt. 64 379). Das Hauptverfahren umfaßt die Zeit vom Eröffnungsbeschluß bis zum rechtskräftigen Abschluß, wobei ein Wechsel in der Zuständigkeit nichts verschlägt (BGHSt. 23 283, 285; RG GA Bd. 63 S. 439). In Zivilsachen gilt für Zeugen und Parteien, daß die Berufung nur im selben Verfahren und zum selben Beweisthema oder zu mit dem früheren Beweisthema in Verbindung stehenden Fragen, desgleichen zu Fragen, die sich auf persönliche Verhältnisse der Aussageperson beziehen, statthaft ist. Betrifft die neue Vernehmung ein ganz anderes Thema, so kommt eine Berufung nicht in Betracht (RGZ 70 200; 48 386, 391). c) In förmlicher Hinsicht ist zu beachten, daß es nicht genügt, wenn der vernehmende Richter bloß auf den früheren Eid hinweist (BGHSt. 4 140). Vielmehr muß der Zeuge usw., wenn auch nicht gerade mit den Worten des Gesetzes, eine ausdrückliche Versicherung unter Bezugnahme auf den früheren Eid abgeben (RGSt. 3 102). Es genügt, wenn er die Berufung auf den früheren Eid irgendwie zum Ausdruck bringt (RG JW 1938 2197), etwa durch Beantwortung der entsprechenden Frage des vernehmenden Richters mit Ja. 2. Die zweite Gruppe betrifft die Fälle, in denen Sachverständige für Gutachten der einschlägigen Art allgemein vereidigt sind (§ 79 Abs. 3 StPO, § 410 Abs. 2 ZPO). Hier ist die Berufung stets statthaft ohne Rücksicht darauf, um welches Verfahren und um welchen Verfahrensabschnitt es sich handelt. Für den Dolmetscher, dessen Eid wie der Eid eines Sachverständigen zu beurteilen ist (BGHSt. 4 154), obwohl er verfahrensrechtlich eine Sonderstellung hat (vgl. KleinknechtlMeyer-Goßner §185 GVG Rdn. 7), ist auf § 189 Abs. 2 GVG zu verweisen. Als Berufung genügt, wenn er sich bei der Vernehmung zur Person als „allgemein vereidigter Dolmetscher" bezeichnet (BGH Urt. vom 18.6.1974- 1 StR 138/74). 3. Die dritte Gruppe bilden die Beamten im staatsrechtlichen Sinne (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a), die einen Diensteid geleistet haben. Bei ihnen ist in vom Gesetz vorgesehenen Fällen die Berufung auf den Diensteid Eidesersatz. Dieser Fall hat kaum praktische Bedeutung. Bundesrechtlich ist eine Berufung dieser Art nur in § 386 Abs. 2 ZPO vorgesehen. Landesrechtlich ist eine entsprechende Regelung in Disziplinarsachen und in Forst- und Feldrügesachen möglich (§ 3 Abs. 3 EGStPO).

(153)

Wolfgang Ruß

§156

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

§156

Falsche Versicherung an Eides Statt Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Blomeyer Die falsche eidesstattliche Versicherung im Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung, JR 1976 441; St. Cramer Falsche Versicherung an Eides Statt durch Verschweigen entscheidungserheblicher Tatsachen, Jura 1998 337; H. J. Hirsch Ist die versuchte falsche eidesstattliche Versicherung noch strafbar? JZ 1955 234; Leibinger Zur Strafbarkeit der falschen Versicherung an Eides Statt, Rebmann-Festschrift S. 259; Martens Eidesstattliche Versicherung in der Sozialversicherung, Versorgung und Sozialgerichtsbarkeit, NJW 1957 1663; Michaelis Eidesstattliche Versicherung und Verletzung der Wahrheitspflicht durch Verschweigen, NJW 1960 663; Oswald Die eidesstattliche Versicherung, JR 1953 292; Prinzing Meineid durch unrichtige Angaben im Offenbarungseidsverfahren, NJW 1962 567; Schänke Zur Strafbarkeit falscher eidesstattlicher Versicherungen, SJZ 1948 299; Schubath Zur Strafbarkeit einer wissentlich falschen Versicherung an Eides Statt im Strafverfahren, M D R 1972 744; Zipfel Die Zuständigkeit zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen im Sinne des § 156 StGB, NJW 1951 950. - Vgl. ferner die Angaben vor § 153.

Entstehungsgeschichte Der Tatbestand hat sein Vorbild im § 129 des preuß. StGB und stellt eine Eigentümlichkeit des deutschen Rechts dar: Dazu im einzelnen Schänke SJZ 1948 299 u. RGSt. 19 414 (Vereinigte Strafsenate). Die Strafbarkeit des Versuchs war, wohl als Reaktion auf die einschränkende Rechtsprechung des RG zum Merkmal der „zuständigen Behörde", in der StrafrechtsangleichungsVO von 1943 ausdrücklich angeordnet; sie ist durch das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) Art. 2 Nr. 26 wieder beseitigt worden. Die Problematik der Grenzziehung auf Grund des Merkmals der unzuständigen Behörde ist damit nicht hinfallig geworden, sondern hat im Gegenteil höheres Gewicht erlangt, weil es jetzt nicht mehr bloß um den Ubergang zur möglicherweise geringeren Versuchsstrafe, sondern um den Übergang zur Straflosigkeit geht: Das EGStGB strich das Wort „wissentlich" (Art. 19 Nr. 62), beseitigte die Mindeststrafe von einem Monat (Art. 11) und brachte die wahlweise Androhung der Geldstrafe (Art. 12 Abs. 1). Vgl. im übrigen die Entstehungsgeschichte vor § 153. Übersicht Rdn.

Rdn. I. Wesen und Bedeutung II. Form der Versicherung III. Zuständige Behörde. Allgemeine Grundsätze IV. Zuständige Behörde speziell 1. im Strafverfahren 2. im Zivilprozeß 3. in der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . 4. bei anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit 5. in der öffentlichen Verwaltung . . . . 6. Einzelbeispiele aus der Rspr V. Zur zweiten Alternative des Tatbestands

VI. Falsche Aussage Speziell falsche Namensangabe . . . . . VII. Versicherung nach § 807 ZPO Istvermögen Angabe von zu viel Rechtstatsachen Begleitumstände VIII. Versicherung bei anderen Auskunftspfichten IX. Innere Tatseite X. Teilnahme XI. Zusammentreffen XII. Recht des Einigungsvertrages . . . . . .

Stand: 1. 7. 1999

17 18 19 20 21 22 23 24 26 27 28 29 (154)

Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

I. Die Versicherung an Eides Statt ist im Verhältnis zum Eid eine Form der Beteue- 1 rung der Wahrheit von minderem Gewicht. Sie steht als eigene Beteuerungsform selbständig neben dem Eid. Der Tatbestand des § 156 behandelt demgemäß keinen Sonderfall des Meineids, sondern betrifft einen selbständigen Gegenstand (RGSt. 67 169). Als eigene Beweisform dient die eidesstattliche Versicherung vorzugsweise der Glaubhaftmachung von Tatsachen z.B. in der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719, 769, 920, 936 ZPO), dem eigentlichen Beweise nur im Ausnahmefall (BGHSt. 5 71). Ein weites Feld der Anwendung ist ihr durch das Gesetz v. 27.6.1970 (BGBl. I S. 911), das mit dem 1.7.1970 in Kraft trat, mit der Ersetzung des Offenbarungseids durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen zugeschlagen worden. Im übrigen hat stets die Tendenz bestanden, den Anwendungsbereich der eidesstattlichen Versicherung auszuweiten. Diese Neigung hat sich vor allem nach dem zweiten Weltkrieg geradezu epidemisch geäußert (vgl. Zipfel NJW 1951 950) und zu einer Entwertung dieser Beweisform geführt, obwohl das RG und später OGHBZ und BGH bemüht waren, dem mit ihrer Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der „zuständigen Behörde" entgegenzuwirken. II. Was die Form der Versicherung an Eides Statt anlangt, so muß sich diese 2 objektiv, äußerlich und ihrem Inhalt nach, als solche darstellen. Sie muß wirklich „an Eides Statt ausgestellt, an Eides Statt abgegeben" sein. Das bloße Erbieten oder gar nur Vorhaben, etwas unter Eid oder an Eides Statt erklären zu wollen, genügt nicht (RGSt. 15 126, 130; 70 267). Im übrigen bestehen keine besonderen Vorschriften über die Form der eidesstattlichen Versicherung als solcher. Die Worte „an Eides Statt" bilden, wie sich RGSt. 15 130 ausdrückt, keine „sakramentale Form"; sie können durch gleichbedeutende Ausdrücke ersetzt werden, sofern nur der Sinn unzweifelhaft bleibt, ζ. B. durch die Worte: „an Stelle des Eides" Die eidesstattliche Versicherung kann mündlich oder schriftlich abgegeben werden 3 (RGSt. 22 267, 268). Mündlich geschieht dies, indem der Versichernde sie vor der zuständigen Behörde mit deren Einverständnis ausspricht und die Behörde die Versicherung, indem sie sie vor sich aussprechen läßt, entgegennimmt. Muß die Versicherung zu Protokoll der Behörde erklärt werden (vgl. BGH StV 1985 505), hat dies vor einem Vertreter der Behörde zu geschehen, der zur Aufnahme ermächtigt ist. Eine schriftliche Abgabe der Versicherung geschieht, indem das die Versicherung enthaltende Schriftstück dem Willen des Versichernden gemäß der Behörde überreicht wird und diese das Schriftstück entgegennimmt, so daß sie vom Inhalt Kenntnis erlangen kann (BGH wistra 1999 258) und zugleich an dem die eidesstattliche Versicherung verkörpernden Gegenstand Besitz ergreift (RGSt. 22 268; 32 436). Doch genügt es für die Verwirklichung des Tatbestandes, daß das Schriftstück der Behörde zugänglich gemacht wird (RGSt. 49 47, 49; vgl. auch OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265). Ist die eidesstattliche Versicherung in einer privatschriftlichen Urkunde nieder- 4 gelegt, so ist die Vorlegung in Urschrift erforderlich. Reicht ein Rechtsanwalt eine von ihm beglaubigte Abschrift ein, so tut er damit nur kund, daß ihm eine entsprechende urschriftliche Erklärung vorliegt und er diese einreichen könnte (RGSt. 70 130, 133; RG GA Bd. 59 313). Nur eine gerichtlich oder notariell beglaubigte Abschrift oder die Ausfertigung einer gerichtlichen oder notariellen Urkunde kann die Urschrift ersetzen (RGSt. 70 133). Die Einreichung durch einen Dritten genügt, muß jedoch mit 1

Sehl Schröder! Lenckner R d n . 4; Rudolphi R d n . 3: Lackner/Kühl R d n . 5; Vormbaum R d n . 22.

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SK NK

Wolfgang Ruß

§156

9. A b s c h n i t t . Falsche uneidliche Aussage u n d M e i n e i d

Wissen und Wollen des Erklärenden stattfinden (RGSt. 22 268; 32 436; 67 408). Doch zählt immer nur die Einreichung bei der Behörde, bei der die eidesstattliche Versicherung Beweiswirkung entfalten soll. Vgl. RGSt. 47 156, 158f: Aufnahme einer eidesstattlichen Versicherung durch einen Notar, die dann zur Unterstützung einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft eingereicht werden soll und BGH NJW 1953 994: Aufnahme einer eidesstattlichen Versicherung durch das Amtsgericht auf Ersuchen und für Zwecke einer Polizeidienststelle. Notar und Amtsgericht sind hier nur Werkzeuge bei der Abfassung, nicht Adressaten der eidesstattlichen Erklärung (vgl. BGH GA 1971 180, 181 ; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 294; auch OLG Düsseldorf NStZ 1991 38, 39; näheres Rdn. 9 a.E.). Zuständig ist aber auch die Behörde, die im Wege der Rechtshilfe auf Ersuchen eines Gerichts oder einer anderen Behörde tätig wird, die selbst originär zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen zuständig ist. Diese wird hier (ebenso wie der Notar in den Fällen der §§ 2356 Abs. 2, 2368 BGB kraft Gesetzes) als Organ der originär zuständigen Behörde tätig; bedenklich deshalb BGH LM Nr. 4 zu § 156 StGB, wo es als unerheblich bezeichnet wird, ob der Oberstaatsanwalt als Strafregisterbehörde selbst zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherurg zuständig gewesen wäre, um deren Abnahme er ein Amtsgericht im Wege der Rechtshilfe ersucht hatte. III. Die Versicherung muß vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde erfolgen. Hierin liegt ein echtes Merkmal des äußeren Tatbestandes, das vom Vorsatz des Täters umfaßt sein muß (BGHSt. 24 38) 2 . Erforderlich ist insofern eine „Parallelwertung in der Laiensphäre des Täters", so BGHSt. 3 253ff, 255 gegen BGHSt. 1 13, wo gefordert wurde, daß der Täter sich „Tatsachen vorstelle, die den Inhalt des Begriffs der zuständigen Behörde ausmachen". Behörde ist eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingefügte beständige Einrichtung von einer gewissen Selbständigkeit, die unter öffentlicher Autorität für die Erreichung dem Staat eigener oder vom Staat geförderter Zwecke tätig ist 3 . Für § 156 wird es genügen, einfach von Gerichten und anderen mit Staatsaufgaben befaßten Einrichtungen zu sprechen, da das nähere Erfordernis der Zuständigkeit mit der darin liegenden Einschränkung die kompliziertere Definition überflüssig macht. Für den Begriff der zuständigen Behörde in § 156 knüpfte das RG zunächst an den in § 154 gebrauchten gleichen Begriff an und wollte ihn wie dort im Sinne der allgemeinen Zuständigkeit verstehen (RGSt. 7 278). Schon bald hat es weitere Erfordernisse gesehen und die allgemeine Zuständigkeit zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen nicht mehr ohne weiteres genügen lassen (RGSt. 13 163; 58 148). In RGSt. 73 145 sind diese zusätzlichen Erfordernisse dahin formuliert, daß „die eidesstattliche Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, um das es sich handelt, der Behörde abgegeben werden darf und rechtlich nicht völlig wirkungslos ist" (vgl. RGSt. 74 126; 75 400). Dem RG hat sich grundsätzlich auch der BGH angeschlossen 4 . Die Formel ist auch im Schrifttum weitgehend Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 11; Tröndle!Fischer Rdn. 15; Vormbaum NK Rdn. 59; Krey BT 1 Rdn. 581 f; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 60; aA Niese NJW 1949 812; Objektive Strafbarkeitsbedingung; Welze! JZ 1952 133, 135; Rechtspflichtmerkmal, das den Regeln über den Verbotsirrtum unterliegt. In diesem Sinne BVerfGE 10 48; BGHZ 25 186 im Anschluß an RGSt. 18 246; 54 150; ferner

BGH M D R 1964 68, 69; BayObLG NStZ 1993 591, 592; Gribbohm LK § 11 Rdn. 99. BGHSt. 1 16; 2 222; 5 69; 7 1; 17 303; BGH NJW 1953 994; JR 1962 464; NJW 1966 1037; GA 1971 180, 181; 1973 109, 110; StV 1985 55; 1985 505; vgl. ferner BayObLG NStZ 1990 340; JR 1996 292, 294 m. Anm. VormbaumIZwiehoff; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265; OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1996 294; BayObLG wistra 1998 194.

S t a n d : 1. 7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

akzeptiert worden 5 . Mit der Tendenz, den Anwendungsbereich der eidesstattlichen Versicherung zu begrenzen, verdient sie sicher Zustimmung. Indessen ist sie in ihrer ersten Anforderung zum mindesten mißverständlich, während beim dritten Erfordernis zweifelhaft sein kann, ob man es mit einem echten Mittel der Einschränkung zu tun hat oder ob hier nicht bloß an sich schon falsche Ausuferungen in Grenzen gehalten werden sollen. Zum ersten Erfordernis ist zu sagen, daß es überhaupt nicht auf eine allgemeine Zuständigkeit zur Annahme eidesstattlicher Versicherungen ankommen kann und daß es eine solche allgemeine Zuständigkeit auch gar nicht gibt. Vielmehr kann es immer nur um die Frage gehen, ob eine bestimmte Behörde eine eidesstattliche Versicherung über einen bestimmten Sachbereich für ihre Zwecke als Beweismittel annehmen darf. Darin liegt dann zugleich die Antwort auf die von diesem Ausgangspunkt aus für sich genommen rechtlich bedeutungslose Frage, ob sie überhaupt zur Entgegennahme einer eidesstattlichen Versicherung befugt ist. Wollte man im gebräuchlichen Sinne eine allgemeine Zuständigkeit zur Entgegennahme eidesstattlicher Versicherungen für erforderlich halten, so müßte es konsequenterweise dem Gesetzgeber verwehrt sein, einer Behörde für einen ganz bestimmten Sachbereich, also gerade nicht allgemein die Befugnis zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zu übertragen. Das wäre ein absurdes Ergebnis. In der Tat ist nie in Zweifel gezogen worden, daß der Gesetzgeber für ein bestimmtes Verfahren in einem bestimmten Sachbereich die Zuständigkeit der betreffenden Behörde zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen begründen kann. Dies sind gerade die glattesten Fälle, bei denen niemandem nach einer allgemeinen Zuständigkeit zu fragen einfallt und bei denen auch die abstrakt gemeinte Frage, ob der Erklärung eine rechtliche Wirkung zukommen kann, überhaupt nicht auftaucht. Der Knoten löst sich, wenn man den eigentlichen Ausgangspunkt der Schwierigkeiten erkennt. Er ist darin zu finden, daß sich das Bedürfnis, mit eidesstattlichen Versicherungen zu arbeiten, immer wieder auch in Fällen zeigt, in denen es an einer solchen ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung gebricht, und daß es hierfür dann auf begrenzende Kriterien ankommt, wenn man einen die Einrichtung entwertenden uferlosen Gebrauch der eidesstattlichen Versicherung verhindern will (vgl. MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 62). Hier ist dann zutreffend als wesentlicher Gesichtspunkt angesehen worden, daß die betreffende Behörde überhaupt zu förmlicher Erhebung von Beweisen und nicht bloß, was es, wie bereits betont, allgemein gar nicht gibt, zur Annahme eidesstattlicher Versicherungen befugt ist und daß innerhalb der für diese Behörde geltenden Regeln über die Erhebung von Beweisen der eidesstattlichen Versicherung ein Platz mit rechtlicher Relevanz zukommt (vgl. Mezger SJZ 1949 709). So betrachtet gewinnt auch die Formel von der „nicht völligen rechtlichen Wir- 7 a kungslosigkeit" deutlichere Konturen. Sie zielt auf die Fälle, in denen es nur auf Glaubhaftmachung ankommt und nicht der Eid, sondern die eidesstattliche Versicherung das äußerste Bekräftigungsmittel sein soll, weiter auf die Fälle des Freibeweises, wo beide Bekräftigungsmittel zur Wahl stehen (vgl. Willms Heusinger-Ehrengabe S. 398). Doch kommt es immer auch darauf an, welche Grenzen nach den Regeln des jeweiligen Verfahrens sonst noch zu beachten sind, ob diese eine bestimmte Art von Verfahrensbeteiligten von der Abgabe eidesstattlicher Versicherungen überhaupt ausschließen (RGSt. 57 54) oder ob die Statthaftigkeit der eidesstattlichen Versicherung

5

Schänke SJZ 1948 299; Zipfel N J W 1951 950; Oswald JR 1953 292; Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 63; Krey BT 1 Rdn. 581 f;

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Rudolphi SK Rdn. 5; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8; Lackner/Kühl Rdn. 2; Vormbaum N K Rdn. 25 ff; TröndlelFischer Rdn. 5.

Wolfgang Ruß

§156

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

von ihrer Anforderung durch die zuständige Behörde abhängt 6 . Diese letzte Begrenzung ist besonders wichtig, wenn der fatalen Neigung zu spontanen eidesstattlichen Versicherungen wirksam begegnet werden soll (vgl. dazu BayObLG NJW 1998 1577). Sie hängt, was leider zu wenig beachtet wird, nicht einmal von einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift ab, sondern kann sich allein schon daraus ergeben, daß das beweiserhebende Organ nach den Grundsätzen des zu beachtenden Verfahrens Herr der Entscheidung darüber sein soll, ob eine ihm vorgetragene Aussage über Tatsachen mit einer besonderen Formel bekräftigt wird. So wie der Richter über die Abnahme des Eides entscheidet und ein ohne oder gegen seinen Willen vor ihm abgeleisteter Eid ein strafrechtlich irrelevanter Privateid bleibt, so kann auch eine eidesstattliche Versicherung ihm nicht ohne oder gegen seinen Willen aufgedrängt werden, sofern sie nicht nach der verfahrensrechtlichen Lage als Mittel der Glaubhaftmachung institutionell (mindestens auch) als spontaner Akt oder Beitrag des Verfahrensbeteiligten möglich ist. So bindet z. B. § 273 i.V.m. § 377 Abs. 3, 4 ZPO, wie Mezger in seiner Kritik an RGSt. 67 408 in JW 1934 300 zutreffend unterstrichen hat, die vorbereitende Entgegennahme einer eidesstattlichen Versicherung an eine Initiative des Richters, § 377 Abs. 4 ZPO sogar an die Zustimmung der Parteien, was BGH 5 StR 554/54 v. 30.11.1954 mit Recht als wesentlich angesehen hat, § 294 ZPO knüpft die der Glaubhaftmachung dienende eidesstattliche Versicherung der Partei ausdrücklich an eine Zulassung, was freilich die Praxis samt den einschlägigen Kommentaren nicht recht ernst nehmen will, sondern in ein bloßes Entgegennehmeil umdeutet 7 . Andererseits versteht § 2356 Abs. 2 BGB die eidesstattliche Versicherung institutionell als spontanen Akt, dessen Wirksamkeit nicht dadurch in Frage gestellt werden kann, daß das Gericht auf die Bekräftigung verzichtet hat. 8

BGH GA 1973 109 will die hier gemachte Unterscheidung zwischen institutionellen und (nicht als tatbestandsmäßig anzusehenden) willkürlichen Spontanerklärungen nicht anerkennen, sondern anscheinend jede Spontanerklärung als tatbestandsmäßig gelten lassen, die der Richter zu berücksichtigen vermag, sofern sie also für den Zweck tauglich ist, zu dem sie eingereicht wurde. In diesem Sinne wird dann die gebräuchliche Formel von der „nicht völligen rechtlichen Wirkungslosigkeit" als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verstanden, das mit der Zuständigkeitsfrage nichts zu tun hat (Schubath MDR 1972 744). 9 An Bemühungen, die aus dem Merkmal der zuständigen Behörde abgeleiteten Beschränkungen überhaupt beiseite zu schieben und die eidesstattliche Versicherung ganz allgemein zu einem Mittel zu machen, mit dem für Behörden Aufklärung verschafft und einer Beiweisnot abgeholfen werden kann, hat es nicht gefehlt. In der Rechtsprechung sind sie jedoch vereinzelt geblieben8 und alsbald zurückgewiesen worden9. Im Schrifttum ist für die Notare eine umfassende Zuständigkeit zur Abnahme, statt bloß zur Beurkundung eidesstattlicher Versicherungen aller Art beansprucht worden10. Jedoch ist dem § 22 BNotO so wenig wie vorher dem § 24 Abs. 2 6

1

8

9

RGSt. 73 349; BGH StV 1985 505; OLG Hamburg NJW 1960 113; OLG Bremen NJW 1962 2314. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 14 und BaumbachlLauerbach/Hartmann § 294 ZPO Rdn. 5; wie hier Rudolphi SK Rdn. 8. OLG Freiburg DRZ 1947 65; OLG Celle NdsRpfl. 1947 66; OLG Nürnberg SJZ 1949 708. OLG Tübingen DRZ 1947 267; OLG Kiel SJZ 1948 327; OLG Kassel NJW 1949 359 m. Anm.

10

Bödieker; OLG Karlsruhe NJW 1951 414; OLG Oldenburg NJW 1951 973; OGHSt. 2 186. In einzelnen Gesetzen ist die Zulässigkeit ausdrücklich verneint, z. B. § 19 Abs. 1 WehrpflG. Weber DNotZ 1950 51 und 1954 177; Barnstedt DNotZ 1958 471 und NJW 1960 2303 (Anm.); zur gleichen Frage hinsichtlich der gerichtlichen Beurkundung Koehne JR 1954 455.

Stand: 1. 7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

R N o t O und einschlägigem Landesrecht eine Zuständigkeit des Notars im Sinne des § 156 zu entnehmen". Anders verhält es sich kraft ausdrücklicher Vorschrift bei den Erklärungen nach §§ 2356 Abs. 2, 2368 BGB (BGH GA 1971 180, 181; RGSt. 18 246; 76 138; RG DR 1940 1095; vgl. auch Rdn. 4). Wie schon betont wurde, ist die Zuständigkeit im oben umschriebenen Sinne 1 0 abstrakt zu sehen, also zu fragen, ob zu einem bestimmten Fragenkomplex in einem bestimmten Verfahren und in einer bestimmten Verfahrenslage eidesstattliche Versicherungen statthaft sind. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Abgabe oder Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung im Einzelfall sachlich sinnvoll, geboten oder angemessen ist (RGSt. 13 164; 14 172; 47 37). Anders verhält es sich auch nicht, wenn die Erforderlichkeit der eidesstattlichen Versicherung in der Weise zu einer Prämisse der Zuständigkeit im Sinne des § 156 gemacht wurde, daß es ihrer ausdrücklichen Anforderung durch die Behörde bedarf und demgemäß die unverlangte (spontane) Abgabe der Versicherung ausgeschlossen ist (vgl. Rdn. 7 a. E). Denn auch hier kommt es nur auf die Anforderung der Versicherung durch die Behörde als formale Voraussetzung und nicht darauf an, ob diese Anforderung im Einzelfall auch sinnvoll und nach der Sachlage erforderlich war 12 . IV. Im einzelnen ist zu ergänzen: 1. Im Strafverfahren verbietet es die Stellung, die der Beschuldigte einnimmt, die- 11 sen zur Versicherung an Eides Statt zuzulassen, und zwar auch dann, wenn nur Freibeweis über verfahrensrechtlich relevante Tatsachen zu erheben ist (BGH GA 1973 109, HO)13. Das gilt für alle Verfahren, die an das Modell der StPO anknüpfen 14 . Eidesstattliche Versicherungen von Zeugen im Strafverfahren sind auf jeden Fall unstatthaft, soweit sie sich auf für die Sachentscheidung, insbesondere die Schuldfrage bedeutsame Tatsachen beziehen 15 . Gleiches gilt auch insoweit für Verfahren, die dem Vorbild der StPO folgen16. Der entscheidende Grund für diese Begrenzung ist, daß die StPO die eidesstattliche Versicherung hier nicht als mögliche und zulässige Beweisform kennt. Deshalb kann auch der in RGSt. 70 268 vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht gefolgt werden, die die Zulässigkeit der eidesstattlichen Versicherung dieser Art daraus ableiten will, daß sie einer anderen Beweisperson vorgehalten werden oder als Unterlage für die Entscheidung dienen kann, ob Ladung und Vernehmung eines damit präsentierten Zeugen erfolgen soll (im letzteren Sinne auch schon RG H R R 1932 Nr. 2324). BGHSt. 5 69 hat demgegenüber mit Recht darauf hingewiesen, daß eine einfache schriftliche Erklärung zu beidem ebenso dienlich ist. Man könnte auch daran denken, daß Fehlvorstellungen in Richtung des Freibeweises eine gewisse Rolle gespielt haben. Jedenfalls beschränkt sich der Gebrauch eidesstattlicher Versicherungen im Strafverfahren, soweit Zeugen in Betracht kommen, auf Fälle der Glaubhaftmachung und der Feststellung von Tatsachen als Grundlage von Nebenoder Zwischenentscheidungen wie Aussetzung der Vollstreckung (RGSt. 28 8, 11), 11

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RGSt. 74 126; 74 176; 76 138; BGH GA 1971 180, 181; OLG Stuttgart NJW 1960 2303; OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1996 294. Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 5e; Vormbaum NK Rdn. 30; Lackneri Kühl Rdn. 2. RGSt. 57 54; BGHSt. 25 89, 92; BGH bei Daliinger MDR 1972 923, 924; BayObLG NStZ. 1990 340; anders OLG Hamm MDR 1965 843 und OLG Hamburg JR 1955 274 m. abl. Anm. Mittelbach.

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RG JW 1939 222 für das damalige Steuerstrafverfahren; OLG Hamm NJW 1974 327 für das Bußgeldverfahren. RGSt. 28 8; 37 210; BGHSt. 17 303 speziell für den Fall der Zulassung der Wiederaufnahme gegen RG HRR 1934 Nr. 1723 und OLG Hamm NJW 1954 363; ferner BGHSt. 24 38; BGH GA 1973 109, 110; BGH bei Daliinger M D R 1972 923, 924; BayObLG NJW 1998 1577. RGSt. 47 394, 397; OLG Hamm NJW 1974 327.

Wolfgang Ruß

§156

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Aufhebung des Haftbefehls (RGSt. 58 148), Eröffnung des Hauptverfahrens (RG D R 1943 894), vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111 a StPO (BGH bei Dallinger M D R 1972 923f und BGH GA 1973 109)17. Indessen ist gerade hier, was das RG offenbar nicht beachtet hat, zu unterscheiden, daß die eidesstattliche Versicherung allein in Fällen der Glaubhaftmachung 1 8 als Spontanerklärung zulässig ist, während sie sonst nur angeboten werden kann und es in dem Rdn. 7 am Ende erörterten Sinne Sache des Gerichts bleibt, sich ihrer im Wege des Freibeweises zu bedienen, wenn es das als sinnvoll ansieht 19 . Die von Mamroth JW 1924 1602 beanstandete Divergenz zwischen der Statthaftigkeit einer dem Richter zur Begründung der Aufhebung eines Haftbefehls zugeleiteten eidesstattlichen Versicherung in RGSt. 58 148 und der Unzulässigkeit einer dem Staatsanwalt zum gleichen Zweck vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nach RGSt. 37 209, 47 156 (krit. insoweit Leibinger Rebmann-Festschrift S. 259, 265) verliert ihre Schärfe, wenn man nur die vom Richter abgeforderte eidesstattliche Versicherung gelten läßt, die es praktisch nicht geben wird. 12

2. Im Zivilprozeß hat BGHSt. 7 1 auf dem Wege über die Präklusionswirkung des § 295 ZPO eine Bresche geöffnet, die spontanen eidesstattlichen Versicherungen jeder Art zu praktisch unbegrenzter Wirksamkeit verhilft. Der Entscheidung kann nicht beigepflichtet werden (vgl. auch Jescheck GA 1956 97). Man darf die rechtliche Gültigkeit eines Aktes nicht danach bemessen, daß die abstrakte Möglichkeit besteht, etwas rechtlich Unstatthaftes fälschlich als statthaft zu behandeln, und daß aus Gründen verfahrensrechtlicher Ökonomie unterschiedliche Grenzen für die Abstellung und die Rüge von Rechtsfehlern abgesteckt wurden. Eine falsche Bewertung wird niemals dadurch richtig, daß der Fehler nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Im übrigen hat die Möglichkeit eines Vorhalts der aufgedrängten eidesstattlichen Versicherung als Vehikel ihrer rechtlichen Wirksamkeit im Zivilprozeß so wenig Raum wie im Strafverfahren 20 . Zu weitgehend auch 4 StR 433/52 v. 16.4.1953 mit der Zulassung spontaner eidesstattlicher Versicherungen, die dazu bestimmt und geeignet sind, irgendeinen Einfluß auf die Leitung des Verfahrens (Umfang der Beweisaufnahme) zu haben oder in irgendeiner Ermessensfrage (ζ. B. Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung) als Unterlage zu dienen. Hierzu und zu den eidesstattlichen Versicherungen nach §§ 273, 377 ZPO und § 294 ZPO s. Rdn. 7a. Im Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung sind (auch spontane) urkundlich beigebrachte eidesstattliche Versicherungen von Zeugen taugliche Beweismittel (RGSt. 7 287; 19 414). Die eidesstattliche Versicherung der Partei bedarf nach § 294 ZPO besonderer Anforderung durch das Gericht, die nach § 377 Abs. 4 ZPO allgemein nur mit Zustimmung der Parteien wirksam möglich ist. Zur eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe, dem früheren Armenrechtsverfahren, vgl. RG DRiZ 1930 245. Im Verfahren nach § 766 ZPO, wo es auf Beweis ankommt und Glaubhaftmachung nicht genügt, fehlt insoweit die besondere Zuständigkeit zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen (OLG Celle NdsRpfl. 1952 107 gegen RGSt. 23 170; 36 212). Wo es freilich nur um die einstweilige Einstellung der

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Vgl. BayObLG N J W 1998 1577; O L G Frankfurt NStZ-RR 1998 72; im Ergebnis ebenso Tröndlel Fischer Rdn. 5 a; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 12; Rudolphi SK Rdn. 7; Vormbaum N K Rdn. 35; krit. Leibinger Rebmann-Festschrift S. 259, 268fT. §§ 26 Abs. 2, 45 Abs. 2, 56 und 74 Abs. 3 StPO.

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Anders BGH G A 1973 109, wonach es genügen soll, daß der Richter die Erklärung zu berücksichtigen vermag. Dabei soll es stets auf den Zweck ankommen, der mit der Einrichtung verfolgt wird. Vgl. Rdn. 8. BGH JR 1962 264 und 5 StR 554/54 vom 30.11.1954 gegen RGSt. 22 267, 70 269, 73 144 und RG D R 1944 440.

Stand: 1. 7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

Zwangsvollstreckung geht und der Richter sich mit der Glaubhaftmachung der vorgetragenen Tatsachen begnügen kann, ist auch hier für die eidesstattliche Versicherung Raum (BGH 3 StR 64/53 v. 24.9.1953). 3. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind - auch spontane - eidesstattliche VerSicherungen zum Zwecke der Glaufhaftmachung möglich (§ 15 Abs. 2 FGG). Soweit das Gericht im Wege ihm obliegender Ermittlungen gemäß § 12 F G G die ihm geeignet erscheinenden Beweise zu erheben hat, kann es sich dabei auch des Mittels der eidesstattlichen Versicherung bedienen (OLG Celle FamRZ 1959 33). An Beispielen aus der Rechtsprechung sind zu nennen: RGSt. 39 225 (Nachlaßgericht), RGSt. 36 2 (Vormundschaftsgericht).

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4. In den Verfahren der anderen Zweige der Gerichtsbarkeit, also der Arbeitsgerichte, der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichte, der Disziplinar- und Verfassungsgerichte und des Bundespatentgerichts zeigt sich die eidesstattliche Versicherung ebenfalls in den beiden Hauptgruppen der Glaubhaftmachung und des Freibeweises. Zum Verwaltungsstreitverfahren BGHSt. 5 69.

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5. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung setzen das Verwaltungsverfahrensgesetz 1 4 (VwVfG) des Bundes vom 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253) bzw. die entsprechenden Gesetze der Länder und das SGB X deutliche Maßstäbe. In § 27 Abs. 1 VwVfG, § 23 SGB X ist bestimmt, daß die Behörde bei der Ermittlung des Sachverhalts eine Versicherung an Eides Statt nur verlangen und abnehmen darf, wenn die Abnahme der Versicherung über den betreffenden Gegenstand und in dem betreffenden Verfahren durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgesehen und die Behörde durch Rechtsvorschrift für zuständig erklärt worden ist. Es reicht also in diesen Geltungsbereichen fürder nicht schon hin, daß bei der Behörde überhaupt ein förmliches Beweisverfahren vorgesehen ist. Doch wird Sch/SchröderILenckner Rdn. 17, 18 darin zu folgen sein, daß dort, wo ausdrücklich Glaubhaftmachung vorgesehen ist, darin zugleich die Ermächtigung zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen liegt 21 . Einem Mißbrauch der Einrichtung wird auch dadurch vorgebeugt, daß § 27 Abs. 2 VwVfG den Kreis der Amtsträger eingrenzt, die zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen befugt sind. § 27 Abs. 3 VwVfG schreibt für die mündliche Abnahme der Versicherung die Formel vor: „Ich versichere an Eides Statt, daß ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe". Für unaufgefordert abgegebene, also spontane eidesstattliche Versicherungen ist kein Raum, sofern nicht eine spezielle Regelung eingreift, die den § 27 VwVfG zurückdrängt 22 . 6. An Einzelbeispielen aus der Rechtsprechung sind ergänzend zu nennen: RGSt. 1 5 73 136, OLG Hamburg NJW 1960 113 Finanzamt, dazu jetzt §§ 95, 284 AO; BGH 2 StR 92/74 vom 17.7.1974 Oberfinanzdirektion im Rückerstattungsverfahren, § 40 Abs. 3 BRüG; RGSt. 69 26 Patentamt (nicht zu billigende Hinnahme einer spontanen Versicherung), § 33 PatG; BGH NJW 1966 1037, BGH GA 1967 19 Konsulate §§ 20, 37 e KonsularG; BGH 1 StR 634/53 vom 5.5.1954, Standesamt, § 5 Abs. 3 PStG; RG DR 1941 987 Universität wegen Urheberschaft an Dissertation, bestimmt sich nach dem geltenden Hochschulrecht; BayObLG NJW 1957 33 mit Verweisung auf BGH NJW 1953 994 OLG-Präsident bei Gesuch um Aufnahme in Vorbereitungsdienst (zw.); OLG Düsseldorf NStZ 1982 290 und M D R 1991 272 Sparkassen in NordrheinWestfalen § 13 SparkassenVO NRW, Kraftloserklärung von Sparbüchern; keine 21

Anders Deichmann Grenzfälle S. 143 f; Vormbäum N K Rdn. 40.

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Vgl. für das Verfahren um Zubilligung einer KB-Rente OLG Bremen NJW 1962 2314.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

zuständigen Behörden sind Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften RGSt. 37 209, 47 156; BayObLG NJW 1998 1577; krit. hierzu Leibinger Rebmann-Festschrift S. 259, 263. Siehe auch Sehl SchröderILenckner Rdn. 18. 16

V. Die zweite Alternative des Tatbestandes besitzt nur untergeordnete Bedeutung. Sie entspricht der Regelung des § 155 Nr. 2 für den Eid und erfaßt demgemäß den Fall der Falschaussage unter Berufung auf eine früher geleistete eidesstattliche Versicherung. Ebenso wie im Falle des § 155 Nr. 2 (vgl. dort Rdn. 4 a.E.) genügt es nicht, wenn der Vernehmende bloß auf die früher abgegebene Versicherung an Eides Statt hinweist oder gar, wie in RG DJ 1937 1005 ausgeführt ist, nur der Tatsachengehalt der im Termin verlesenen früheren eidesstattlichen Versicherung zum Inhalt der Aussage gemacht wird. Wann eine Berufung auf die früher abgegebene eidesstattliche Versicherung zulässig und wirksam ist, bestimmt sich ebenso wie im Fall des § 155 Nr. 2 nach dem jeweils geltenden Verfahrensrecht. So ist ζ. B. im Falle des § 807 ZPO für sie kein Raum, weil § 807 Abs. 2 ZPO ausdrücklich eine originäre eidesstattliche Versicherung vorschreibt (RGSt. 67 332; BGH GA 1958 112).

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VI. Ob die eidesstattliche Versicherung eine falsche Aussage bekräftigt, bestimmt sich nach den Rdn. 8 ff vor § 153 erörterten Grundsätzen. Für die Grenzen der Aussage- und Wahrheitspflicht gelten die Regeln, die für das Verfahren bestehen, in dem die Versicherung an Eides Statt abgegeben wird (BGH NStZ 1990 123, 124; Rdn. 19 ff vor § 153). Nach ihnen bestimmt sich ebenso wie in den Fällen der uneidlichen und eidlichen Falschaussage auch für den Tatbestand des § 156, wann ein vorwerfbares Verschweigen von Tatsachen gegeben ist (§153 Rdn. 3 fi). Indessen ergibt sich hier eine neue Variante, da in der Praxis der eidesstattlichen Versicherung die Fälle häufig sind, in denen diese unverlangt angebracht wird, ohne von vornherein durch Gesetz, Beweisthema oder Fragestellung auf einen bestimmten Tatsachenkomplex fixiert zu sein. Hier kommt es darauf an, welches Beweisthema sich die Spontanäußerung selbst gestellt hat und ob von diesem Thema aus gesehen Tatsachen ausgeklammert und verschwiegen wurden, deren Mitteilung die Bedeutung des Erklärten grundlegend verändert hätte (BGH NStZ 1990 123, 124). Eine solche thematische Begrenzung der Aussagepflicht auch für spontane eidesstattliche Versicherungen ist notwendig, weil sonst die Rdn. 20 vor § 153 und Rdn. 4 zu § 153 behandelten Grenzen der Aussagepflicht überspielt würden 23 . Es geht, wie Michaelis NJW 1960 663 in seiner Kritik zu BGH NJW 1959 1235 (mit zust. Anm. Seydel) richtig bemerkt hat, nicht an, durch Heranziehung des § 138 ZPO einen weiteren Pflichtenkreis zu gewinnen, als ihn der Erklärende selbst mit seiner Äußerung vom Thema her angesprochen hat. Auch die sonst hierzu angeführten Entscheidungen RGSt. 63 232, 77 368, DR 1944 441 Nr. 5 u. KG JR 1966 189 stoßen zu diesem entscheidenden Punkt nicht vor. Dies bedeutet, daß nicht alles, was der Täter zum Beweisthema erklärt, der Wahrheitspflicht unterliegt, vielmehr haben diejenigen Tatsachenbehauptungen auszuscheiden, die für das konkrete Verfahren ohne jede mögliche Bedeutung sind. Eine Versicherung ist dann falsch, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die für das selbst gesetzte Beweisthema wesentlich sind und deren Verschweigen den Aussagegehalt der eidesstattlichen Versicherung zum gewählten Thema entscheidend verändert (BGH NStZ 1990 123, 124; vgl. auch OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1998 72; St. Cramer Jura 1998 337). Blomeyer (JR 1976 441), welcher der hier vertretenen Meinung grundsätzlich zustimmt, will die

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O L G Düsseldorf N J W 1985 1848, 1849; OLG Karlsruhe NStZ 1985 412; Rudolphi SK Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 3; Vormbaum N K

Rdn. 46; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 56; vgl. auch St. Cramer Jura 1998 337; Leibinger Rehmann-Festschrift S. 259, 271.

Stand: 1.7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

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Tatbestandsmäßigkeit innerhalb des Rahmens, den sich der spontan Erklärende selbst gesetzt hat, noch weiter einengen, indem er nur Tatsachen von „abstrakt" möglicher rechtlicher Relevanz Bedeutung beilegt und Äußerungen zu anspruchsneutralen Tatsachen ausscheidet. Er tritt in diesem Sinn für eine prozeßteleologische Begrenzung des Tatbestands ein. Das entspricht den auch hier vor § 153 Rdn. 25 vertretenen Grundsätzen und der in BGHSt. 25 244 verfolgten Linie, auf die er sich ausdrücklich bezieht. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5 sieht die Dinge anscheinend anders, indem er die hier vertretene Auffassung zur Meinung Biomeyers in Gegensatz bringt, so daß er wohl nur auf dem Umweg über die Annahme eines Tatsachenirrtums (oder auch Rechtsirrtums!) des Erklärenden im Ergebnis zur selben Eingrenzung gelangen kann. Durch Abgabe der Versicherung unter falschem Namen kann der Aussteller seine strafrechtliche Verantwortung für den unrichtigen Inhalt nicht beseitigen. Wird die eidesstattliche Versicherung unter einem fremden Namen abgegeben, so erfüllt sie den Tatbestand ebenso, wie wenn sie der Erklärende unter seinem richtigen Namen abgegeben hätte (RGSt. 52 74; RG H R R 1939 Nr. 655). Ist die unter falschem Namen abgegebene eidesstattliche Versicherung sachlich richtig, so scheidet nach RGSt. 69 117, 120 eine Anwendung des Tatbestands aus. Anders verhält es sich in dem Fall, daß Angaben zur Person ausnahmsweise für das Beweisthema oder für die Beweiskraft bedeutsam sind {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 5).

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VII. Besonders eingehend sind in der Rechtsprechung die gesetzlich bestimmten Aussagepflichten für die eidesstattliche Versicherung des Schuldners zur Offenbarung seines Vermögens nach § 807 ZPO behandelt worden. Die Grenzen der Aussagepflicht und damit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens im Sinne des § 156 werden hier ausdrücklich durch § 807 Abs. 1 bestimmt. Die in § 807 Abs. 2 ZPO vorgeschriebene Versicherung des Schuldners, „daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe", ist nur auf den durch Absatz 1 begrenzten Fragenkreis bezogen und beziehbar 24 . Er betrifft nicht etwaige sonstige aus diesem Rahmen herausfallende Fragen, die dem Schuldner bei der Abnahme der Versicherung gestellt werden oder die er ungefragt in der von ihm vorgelegten schriftlichen Vermögenserklärung beantwortet haben mag (BayObLG wistra 1999 398)25. Der vom OLG Braunschweig NdsRpfl. 1963 208 vertretenen, aus dem Wortlaut der Eidesformel abgeleiteten Auffassung, daß auf jeden Fall die Antwort auf alle vom Richter gestellten Fragen vom Tatbestand erfaßt werde, ist deshalb nicht beizutreten. Es ist kein sinnvoller Grund zu sehen, weshalb die sonst fehlende Tatbestandsmäßigkeit gerade hergestellt werden sollte, wo fehlerhaftes Vorgehen der die eidesstattliche Versicherung abnehmenden Amtsperson zugrunde liegt. Die Aussagepflicht entfällt nicht dadurch, daß der Täter durch eine wahrheitsgemäße Aussage Umstände offenbaren müßte, die eine von ihm begangene Straftat enthalten (BGHSt. 37 340, 342 f; vgl. auch BGHZ 41 318, 326); doch besteht hinsichtlich dieser Angaben ein strafrechtliches Verwertungsverbot 26 .

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Von der Strafnorm werden nur Angaben erfaßt, die sich auf das wirklich vorhandene Istvermögen beziehen (BGHSt. 2 74). Früheres Vermögen muß nur angegeben werden, soweit es durch die in § 807 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO genannten Verfügungen

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BGHSt. 8 399; 14 345; 19 126; BGH GA 1958 86; M DR 1964 69; NJW 1968 2251; BGH bei Holtz MDR 1980 813; RG HRR 1940 Nr. 1145; BayObLG wistra 1999 398. TröndlelFischer Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 14; Vormbaum NK Rdn. 50a;

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Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 22; Krey BT 1 Rdn. 583. BVerfGE 56 37: Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 22; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 64.

Wolfgang Ruß

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geschmälert worden ist. Aus diesem Grunde hat es BGHSt. 14 345 als nicht tatbestandsmäßig angesehen, daß der Schuldner auf Befragen wahrheitswidrig die Vernichtung statt die entgeltliche Veräußerung einer Sache behauptet hatte. Im gleichen Sinne hat sich BGH 5 StR 760/52 v. 11.6.1953 hinsichtlich abgetretener Forderungen ausgeprochen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei dieser Grenzziehung ist der Zweck der Offenbarung, dem Gläubiger Kenntnis über ihm nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge etwa mögliche Vollstreckungsmaßnahmen zu vermitteln. Deshalb sind Gegebenheiten, die für sich ohne greifbaren Vermögenswert sind, wie bloße Erwerbsmöglichkeiten 27 , das Betreiben eines Erwerbsgeschäfts an sich28, das Recht an einem nicht verwertbaren Firmenmantel (RGSt. 68 130, 71 300) nicht angabepflichtig. Unter diesem Aspekt ist auch die Frage zu beurteilen, ob und in welchem Umfang Angaben zur Person, insbesondere über den Beruf, unter die Aussagepflicht fallen 29 ; ebenso ob wertlose Vermögensbestandteile, die für Gläubiger offensichtlich uninteressant sind, der Angabepflicht unterliegen 30 . BGHSt. 13 346 betont, daß insofern ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dabei ist nicht auf das konkrete Interesse des betreibenden Gläubigers, sondern - wie Prinzing NJW 1962 567 in seiner Auseinandersetzung mit OLG Stuttgart NJW 1961 2319 zutreffend betont - auf das Interesse abzustellen, das bei objektiver Betrachtung überhaupt ein Gläubiger haben kann. Es kann nicht Sache des Schuldners sein, dem Gläubiger irgendwelche Wertmaßstäbe zu unterschieben oder gar den Kreis der Gegenstände zu bestimmen, die mit Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse und Bedürfnisse ausnahmsweise der Zwangsvollstreckung entzogen bleiben sollen. Deshalb sind grundsätzlich auch unpfändbare Gegenstände anzugeben, sofern die Unpfändbarkeit nicht mit Rücksicht auf die Art des Gegenstandes ganz außer Zweifel steht 31 . Anzugeben sind auch Forderungen, deren Realisierbarkeit zweifelhaft erscheint (BGH NJW 1953 390 mit Anm. Schmidt-Leichner, RGSt. 60 37), die bloße Möglichkeit der Aufrechnung mit einer Gegenforderung beseitigt die Offenbarungspflicht nicht (BGH 3 StR 79/56 v. 12.7.1956 bei Herían GA 1958 51). Erfaßt sind auch verschleierte Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 h ZPO (OLG Hamm GA 1975 180); ferner der Pfändung zugängliche künftige Ansprüche 32 , z. B. solche aus Dienstverträgen (BGH NJW 1958 427) oder künftige Ansprüche eines Steuerberaters gegen Mandanten oder Honoraransprüche eines Arztes oder eines Maklers auf Maklerlohn (BGHSt. 37 340, 341) oder aus einer Tätigkeit als Provisionsvertreter (BGH 4 StR 52/58 v. 8.5.1958), mag ihre Höhe und der Zeitpunkt ihres Entstehens auch noch ganz ungewiß sein, evtl. auch von einer Bedingung abhängen. Entscheidend ist das Bestehen des vertraglichen Verhältnisses, aus dem der Anspruch in der Zukunft erwachsen kann. Die Offenbarungspflicht erstreckt sich weiter auf Anwartschaften 33 und Optionsrechte (OLG Frankfurt GA 1972 154), desgleichen auf Ansprüche auf Rückübertragung fiduziarisch übereigneter Sachen oder übertragener Rechte; BGHSt. 13 345 gegen die großzügigere Entscheidung BGH GA 1958 213, wo 27

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BGHSt. 8 399, 400; 37 340; BGH GA 1958 86; 1966 243; StV 1990 111; BGH bei Holtz MDR 1980 813; OLG Frankfurt GA 1973 154; vgl. auch OLG Celle MDR 1995 1056. BGH GA 1966 117; 1 StR 150/65 vom 15.6.1965; 1 StR 319/65 vom 12.10.1965; 2 StR 431/67 vom 13.9.1967. BGHSt. 11 223; BGH NJW 1968 2251; 3 StR 187/68 vom 3.1.1968; OLG Hamm GA 1975 181; anders BayObLG NJW 1957 472. BGHSt. 13 345, 348f; BGH NJW 1952 1023; GA 1958 213; 1966 243; RGSt. 60 37; RG JW

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1934 2692; OLG Stuttgart NJW 1961 2318; BayObLGSt. 1992 134. BGH NJW 1952 1023; 1956 756; BGH LM § 807 ZPO Nr. 10; RGSt. 71 302, KG JR 1985 162.

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BGH GA 1966 243; 3 StR 178/68 vom 24.7. 1968; RGSt. 71 300. BGHSt. 15 128; BGH GA 1961 372; BGH LM StGB § 154 Nr. 17; BayObLG wistra 1993 73; OLG Köln NJW 1959 901.

Stand: 1. 7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

die Offenbarungspflicht bei minderem Wert der zur Sicherheit gegebenen Sache im Verhältnis zur abgesicherten Forderung verneint worden war (vgl. auch B G H N J W 1952 1023 u. G A 1957 53; KG J R 1985 161). Ebenfalls verneint hat das BayObLG M D R 1991 1079 die Offenbarungspflicht in einem Fall, in dem der Schuldner ein Bankguthaben verschwiegen hat, dessen Höhe nur einen Betrag erreichte, der unterhalb desjenigen lag, der zur Beschaffung von Vorräten des täglichen Bedarfs i. S. des § 811 Nr. 2 Z P O erforderlich war. Die Änderung des § 807 Z P O durch das Gesetz v. 20.8.1953 (BGBl. 1 S. 952) hat 2 1 dem Erfordernis der Vollständigkeit das Erfordernis der Richtigkeit der Angaben über das Vermögen hinzugefügt. Das hatte zur Folge, daß jetzt ein strafbarer Verstoß gegen die Offenbarungspflicht auch darin liegen kann, daß der Schuldner fälschlich Vermögenspositionen für sich in Anspruch nimmt, die er in Wahrheit nicht innehat 3 4 . Erfaßt wird, wie Badura G A 1957 398 zutreffend betont, nicht jede Unrichtigkeit, also insbesondere nicht eine unrichtige Angabe über angebliche Schulden, sondern nur eine das Aktivvermögen betreffende Unrichtigkeit. Doch können falsche Angaben über Verbindlichkeiten so eng auf bestimmte Teile des Aktivvermögens bezogen sein, daß darin zugleich eine unwahre Mitteilung über einen Gegenstand des Aktivvermögens zu finden ist (BGHSt. 10 149). Richtig muß deshalb auch die von dem in § 807 Abs. 1 Z P O geschützten Vollstreckungsinteresse umfaßte Auskunft über den Verbleib einer beweglichen Sache sein, mag sie nun dem Schuldner gehören oder mag sie nur Gegenstand einer Anwartschaft des Schuldners sein (BGHSt. 15 128). - In Fällen, in denen sich der Schuldner des Eigentums an Vermögensstücken berühmt, die ihm in Wirklichkeit gar nicht gehören, wird dies oft irrig geschehen und nur selten eine verständlich motivierte Täuschung festzustellen sein. Eine Besonderheit der Vermögensoffenbarung liegt darin, daß der Schuldner über Rechtstatsachen Auskunft geben muß. Daraus erwachsen so lange keine besonderen Schwierigkeiten, wie über Eigentum oder Nichteigentum, Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs oder Rechtes keine ernsthaften Zweifel bestehen können. Wo es jedoch solche Zweifel gibt und der Schuldner sich dessen bewußt ist, darf er sich nicht für die ihm vorteilhafter oder bequemer erscheinende Alternative entscheiden und nur in diesem Sinne aussagen, sondern muß er den gegebenen Sachverhalt mitsamt diesen Zweifeln offenbaren 3 5 . In BGHSt. 7 378 ist gerade auch im Hinblick auf die Neufassung des § 807 Z P O durch das Gesetz v. 20.8.1953 betont, daß der Schuldner seine Zweifel und ihre Gründe darlegen muß, wenn er sich nicht der Gefahr einer Falschaussage aussetzen will, und daß ihm dies billigerweise zuzumuten ist. Das hat, was BGHSt. 7 147 verkennt, mit der Problematik der subjektiven oder objektiven Aussagetheorie nichts zu tun. Vielmehr sind die rechtlichen Zweifel, deren Möglichkeit der Schuldner sieht und die er sich nicht zu eigen gemacht haben braucht, in diesem Fall durchaus ein Teil seines Offenbarungspflichtigen Wissens über die Rechtstatsache. Zur Offenbarungspflicht gehört in diesem Sinne also z.B. auch die Auskunft über die Rechtslage hinsichtlich zur Sicherung übereigneter Sachen (BGH G A 1957 53).

22

Die Offenbarungspflicht beschränkt sich nicht auf die bloße Angabe der Vermögensgegenstände, sondern umfaßt auch die Umstände, die für die Ermöglichung eines Zugriffs des Gläubigers unerläßlich sind (vgl. B G H G A 1966 243; O L G H a m m

23

34

BGHSt. 7 375; 15 128; OLG Hamm NJW 1961 421.

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15

RGSt. 60 37; RG JW 1931 2129; BGH NJW 1953 390; GA 1966 243; BGH LM StGB § 154 Nr. 2; vgl. auch BGH GA 1957 53.

Wolfgang R u ß

§ 156

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

GA 1975 181), also den Verwahrungsort von Sachen (RG DRpfl. - Rechtsprechungsbeilage - 1936 71 Nr. 102; BGHZ 7 287, 293), vor allem auch von beiseitegeschafften Sachen (BGH 1 StR 143/69 vom 30.10.1969 bei Herían GA 1971 38) oder von Sachen, die erst Gegenstand eines Anwartschaftsrechts sind (BGHSt. 15 130). Anzugeben sind Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber über die Verwendung des laufenden Verdienstes (BGHSt. 10 149), die näheren Umstände einer Sicherungsübereignung, insbesondere die Höhe des Auslösungsbetrages (BGH GA 1957 53), die Valutierung einer Hypothek (RG H R R 1939 Nr. 913). Geboten sind Angaben über den Stand einer Erbauseinandersetzung (BGHSt. 10 282). Bei Forderungen ist der Drittschuldner richtig zu bezeichnen (RG H R R 1929 Nr. 972), Grund und Höhe zutreffend anzugeben (RGSt. 71 228). 24

VIII. Als weitere Beispiele der eidesstattlichen Versicherung zur Bekräftigung von Auskünften vermögensrechtlicher Art sind zu nennen: Die Versicherung des Schuldners nach § 883 ZPO über den Verbleib einer Sache, „daß er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich befinde", wobei nach Absatz 3 der Vorschrift das Gericht eine der Sachlage entsprechende Änderung des Themas der Versicherung beschließen kann. Die Verneinung der Kenntnis des Wo schließt zugleich die Verneinung der Kenntnis von Anhaltspunkten für das Wo ein. Der Schuldner ist von vornherein verpflichtet, auch ihm bekannte der Auffindung der Sache dienliche Tatsachen mitzuteilen. Er muß dies nach dem Maß seines bereiten Wissens tun; eine besondere Nachforschungspflicht trifft ihn jedoch nicht 36 . §883 ZPO gilt entsprechend für die Forschung nach Verbleib einer Sache oder Person gem. § 33 Abs. 2 FGG, nach Verbleib eines Testaments (§ 83 Abs. 2 FGG), zur Auffindung einer Sache, deren Einziehung oder Unbrauchbarmachung angeordnet ist (§ 459 g Abs. 1 Satz 2 StPO i. Vbg. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 JBeitrO, § 90 Abs. 3 OWiG). Zu erwähnen sind ferner die Versicherungen des Schuldners im Insolvenzverfahren nach §§ 20, 97, 98 InsO; die Auskunftspflicht bezieht sich hier auf alle Angaben des Schuldners, die zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) erforderlich sind, sowie auf alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse, selbst wenn es sich dabei um Tatsachen handelt, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen (vgl. zum früheren Recht § 65 VerglO und § 125 KO sowie RG H R R 1938 Nr. 564).

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Die Versicherung über die vollständige Angabe des Bestandes bei der Erstellung des Verzeichnisses über einen Inbegriff von Gegenständen nach §§ 260,261 BGB. Die Eidesformel geht hier dahin, daß der Verpflichtete den Bestand nach bestem Wissen so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei. Sie kann durch einen Gerichtsbeschluß den Umständen entsprechend geändert werden. Nach der entsprechend gefaßten Eidesnorm, nicht nach Maßgabe der Offenbarungspflicht bei der Parteivernehmung bestimmt sich der Umfang der Offenbarungspflicht (vgl. den instruktiven Fall BGH LM Nr. 2 zu § 154 StGB). Im gleichen Sinn zum Sonderfall der Auskunftspflicht des Erbschaftsbesitzers nach § 2027 BGB RG JW 1937 3214 mit Anm. Schaffstein, der sich hier u.a. mit dem beim Abdruck der Entscheidung in RGSt. 71 360 aufgestellten Leitsatz befaßt, daß die Offenbarungspflicht sich nur auf den Aktivbestand, nicht auch auf die Schulden des Nachlasses beziehe. Zur Auskunftspflicht des Hausgenossen nach § 2028 BGB s. BGH LM Nr. 4 zu § 154 StGB m. zust. Anm. von Schrubbers. » RG DR 1942 169; BGH NJW 1952 711; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1950 26. Stand: 1. 7. 1999

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Falsche Versicherung an Eides Statt

§156

IX. Zur inneren Tatseite genügt bedingter Vorsatz sowohl hinsichtlich des Inhalts 2 6 der Versicherung wie ihres Gelangens an die zuständige Behörde (RGSt 70 267; RG JW 1926 2177 mit Anm. Mannheim). Hinsichtlich der zuständigen Behörde vgl. oben Rdn. 6. Die in BGHSt. 2 76 (untauglicher Versuch) und BGHSt. 14 350 (Wahndelikt) behandelte Irrtumsproblematik ist mit dem Wegfall der Strafbarkeit des Versuchs für § 156 bedeutungslos geworden. In welcher Eigenschaft - ob als Partei oder als Zeuge der Täter die Versicherung abzugeben meint, soll nach RGSt. 36 4 gleichgültig sein. Dem ist nur für den Fall zuzustimmen, daß es für. die Anwendung des Tatbestandes auf die Unterscheidung nicht ankommt. Wo nach der Gestaltung des Verfahrens nur die eidesstattliche Versicherung des Zeugen statthaft, die der Partei unzulässig wäre, müßte die irrige Annahme des Erklärenden, er sei Partei, den Vorsatz ausschließen. X. Mittelbare Täterschaft ist auch hier ausgeschlossen, da es sich um ein eigen- 2 7 händiges Delikt handelt (vgl. vor § 153 Rdn. 7). Nichts anderes hat, wie RGSt 37 92 für den Fall einverständlich von zwei Beschuldigten abgegebener eidesstattlicher Versicherungen gleichen Inhalts dargelegt hat, für Mittäterschaft zu gelten. In einem solchen Fall kann sich die täterschaftliche Begehung der Tat durch die eigene Versicherung allenfalls mit einer Beihilfe zur Tat des andern verbinden. Auch der Fall, daß ein und dieselbe schriftliche Erklärung von mehreren in einer Urkunde unterzeichnet worden ist, kann nicht anders beurteilt werden (aA TröndlelDreher Rdn. 16); Anstiftung und Beihilfe sind wie sonst möglich. So ist, wer einem Prüfungskandidaten, der die Selbständigkeit der Arbeit eidesstattlich versichert, bei der Arbeit hilft, u. U. wegen Beihilfe strafbar (RGSt. 75 112 mit Anm. Bockelmann D R 194 1987). XI. Konkurrenzen. Fortsetzungszusammenhang zwischen mehreren eidesstatt- 2 8 liehen Versicherungen kommt nach der Entscheidung des Großen Senats in BGHSt. 40 138 nicht mehr in Betracht. Auch der Umstand, daß mehrere falsche eidesstattliche Versicherungen in ein und demselben Verfahren abgegeben werden, vermag in der Regel die dadurch verwirklichten Verstöße gegen § 156 nicht zu einer tatbestandlichen Handlungs- oder Bewertungseinheit zu verbinden. Bei jeder Erklärung handelt es sich um einen selbständigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. Die mehreren Erklärungen sind hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses ebenso zu behandeln wie das Zusammentreffen mehrerer abgeschlossener uneidlicher Falschaussagen im Verfahren eines Rechtszuges, das zur Annahme selbständiger Taten führt (BGH wistra 1999 258). Die Entscheidung zieht nur dann eine abweichende Bewertung in Betracht, wenn zusätzliche Umstände vorliegen, die die mehreren eidesstattlichen Versicherungen materiell-rechtlich zu einer einheitlichen Tat verklammern, so wenn sie beispielsweise Teile eines einheitlichen versuchten Prozeßbetruges sind. - Idealkonkurrenz ist möglich mit § 283 Abs. 1 Nr. 1 (BGHSt. 11 135; BGH bei Holtz M D R 1982 969), ferner mit Betrug und Urkundenfälschung (RGSt. 52 74; 69 119), wobei der Gebrauch des falschen Namens die Urkundenfälschung und der falsche Inhalt die Straftat des § 156 begründen kann. Ist eine eidesstattliche Versicherung teilweise vorsätzlich, teilweise fahrlässig falsch abgegeben, so tritt das Vergehen nach § 163 zurück (RGSt. 60 58; 62 154; BGH 1 StR 193/55 vom 21.6.1955 mit weiteren Nachw.). XII. Recht des Einigungsvertrages. Anstelle der eidesstattlichen Versicherung war 2 9 in der D D R die „Falsche Versicherung zum Zwecke des Beweises" (§ 231 StGB-DDR) getreten. Auf die Ausführungen vor § 153 Rdn. 32 wird verwiesen.

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Wolfgang Ruß

§ 157

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

§157 Aussagenotstand (1) Hat ein Zeuge oder Sachverständiger sich eines Meineids oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) und im Falle uneidlicher Aussage auch ganz von Strafe absehen, wenn der Täter die Unwahrheit gesagt hat, um von einem Angehörigen oder von sich selbst die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. (2) Das Gericht kann auch dann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder ganz von Strafe absehen, wenn ein noch nicht Eidesmündiger uneidlich falsch ausgesagt hat.

Schrifttum Bemmann Zur Anwendbarkeit des § 157 StGB, H. Mayer-Festschrift S. 485; Kehr Dilemma des Zeugen, NStZ 1997 160; Montenbruck Tatverdächtiger Zeuge und Aussagenotstand, JZ 1985 976; Schmidt-Leichner Über das Wesen der Strafermäßigung nach § 157 StGB, DStrR 1941 190; Seibert Eidesnotstand und Strafzumessung, NJW 1961 1055; Ulsenheimer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei eigener Strafverfolgung, GA 1972 5. Vgl. ferner die Angaben zu §156 und vor §153.

Entstehungsgeschichte Die seit jeher als Aussagenotstand bezeichnete Vorschrift berücksichtigte in ihrer urspünglichen Fassung neben der Gefahr gerichtlicher Bestrafung für den Täter eine entsprechende Gefahr für einen Angehörigen des Täters nicht schlechthin, sondern für eine Person, hinsichtlich derer der Täter die Aussage ablehnen durfte, nur für den Fall, daß er über sein Recht zur Verweigerung der Aussage nicht belehrt worden war. Sie sah als obligatorische Folge die Ermäßigung der an sich verwirkten Strafe auf die Hälfte bis zu einem Viertel, nicht auch das gänzliche Absehen von Strafe vor. Grundlage der Ermäßigung war das Gegebensein der objektiven Konfliktslage. Die Neufassung der Vorschrift auf Grund der VO v. 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) beschränkte sich nicht auf die Einbeziehung des neuen Tatbestandes der uneidlichen Falschaussage. Sie ließ die Milderung nur noch fakultativ eintreten, ging dabei jedoch bis zum Absehen von Strafe. Sie stellte außerdem statt auf die objektive Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung auf die Absicht des Aussagenden ab, von einem Angehörigen oder sich selbst eine solche Gefahr abzuwenden. Daß bei Angehörigen keine Belehrung über ein Aussageverweigerungsrecht stattgefunden hatte, war nicht mehr zur Voraussetzung der Strafmilderung gemacht. Schließlich kam der neue Fall des Absatz 2 hinzu. Das EGStGB 1974 (Art. 19 Nr. 63) nahm die falsche Versicherung an Eides Statt aus der Vorschrift heraus, weil § 49 Abs. 2 insofern wegen der ohnehin zum gesetzlichen Mindestmaß gehenden Strafdrohung des § 156 ohne Bedeutung ist. Neu einbezogen wurde die Beachtlichkeit einer drohenden freiheitsentziehenden Maßregel. 1

1.1. Der Gesetzgeber hat die Rechtswohltat des § 157 ausdrücklich auf Zeugen und Sachverständige beschränkt. Sie bildet ein Äquivalent dafür, daß der einzelne sich im Interesse der Wahrheitsfindung als Zeuge oder Sachverständiger in gerichtliche Verfahren hineinziehen lassen muß, an denen er nicht in einer Parteirolle beteiligt ist, Stand: 1.7. 1999

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Aussagenotstand

§157

mit denen er also an sich nichts zu tun hat, und daß er damit einer Pflicht unterworfen ist, die durch Ordnungsstrafen sanktioniert ist und der er unter Berufung auf ein Recht zur Verweigerung der Auskunft nur mit der mißlichen Belastung entgehen kann, zur Glaubhaftmachung dieses Rechts verbunden zu sein (vgl. BGHSt. 1 22, 28; BGH bei Holtz M D R 1977 460; OLG Düsseldorf StV 1993 423). Wer im öffentlichen Interesse einer solchen persönlichen Beanspruchung unterworfen ist, soll dann, wenn er dadurch in die Zwangslage kommt, sich selbst oder einem Angehörigen mit einer wahrheitsgemäßen Aussage die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuzuziehen, und in dieser Lage falsch aussagt, milder bestraft oder ganz von Strafe freigestellt werden können (BGHSt. 7 2, 5; RGSt. 73 311; 75 38). Aus dieser ratio des Gesetzes folgt, daß ein Aussagenotstand immer von Amts wegen zu beachten ist; im Zweifelsfall ist von seinem Vorliegen auszugehen (BGH GA 1968 304; NStZ 1988 497; OLG Stuttgart NJW 1978 711; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusei). 2. Die Rechtsprechung hat Bestrebungen, den von § 157 begünstigten Personen- 2 kreis zu vergrößern, nicht übernommen, sondern stets an der unmißverständlichen Beschränkung auf Zeugen und Sachverständige festgehalten. So hat sie insbesondere für die Partei im Zivilprozeß, die sich nicht in einer vergleichbaren Zwangslage befindet, weil sie sich nach ihrem Belieben der Parteivernehmung und Eidesleistung entziehen kann und dabei nur wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen braucht, eine analoge Anwendung der Vorschrift abgelehnt'. Das Schrifttum ist ihr darin gefolgt 2 . Doch weist Bemmann H. Mayer-Festschrift S. 485, 491 zutreffend auf das Widersprüchliche einer Argumentation hin, welche die Berufung auf den Zwang zur Aussage nicht uneingeschränkt gelten lassen will. Er sieht mit anderem Akzent die Zwangslage darin, daß der Täter, mag er zur Aussage verpflichtet sein oder nicht, allein durch eine Falschaussage die Gefahr der Bestrafung abwehren kann. Die sich daraus ergebende praktische Folge einer analogen Anwendung des § 157 zugunsten des Offenbarungseidsschuldners ist freilich mit der Ersetzung des OfFenbarungseids durch die eidesstattliche Versicherung hinfallig geworden. Daß das Motiv, eine Bestrafung abzuwehren, auf jeden Fall als gewöhnlicher Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden kann, hat BGH 5 StR 597/75 vom 25.11.75 betont. 3. Auch Gehilfen und Anstiftern kann § 157 nicht zugute kommen, da die Vor- 3 schrift nur die spezifische Zwangslage der einer Aussagepflicht genügenden Person berücksichtigen will3. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es um eine Vortat ging, die dem Täter allein zur Last fiel, oder um eine Vortat, die der Gehilfe oder Anstifter begangen hatte oder an der er beteiligt war. Das leuchtet vor allem für die Fälle ein, in denen der Gehilfe oder Anstifter zugleich Partei oder Angeklagter in dem Verfahren ist, in dem der Zeuge falsch aussagt. Diese Fälle will denn auch Mezger DR 1941 380 (Besprechung von RGSt. 75 37) ausklammern, wenn er dafür eintritt, daß die Vorschrift dann auf Anstifter und Gehilfen anwendbar sein soll, wenn diesen gerichtliche 1

2

RGSt. 75 37, 40; RG JW 1938 1584; BGH LM StGB § 157 Nr. 3 m. Anm. Jagusch; BGHSt. 7 5; BGH N J W 1951 809; O L G Frankfurt NJW 1950 615. Tröndlel Fischer Rdn. 1; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3, Rudolphi SK Rdn. 3; LacknerlKühl Rdn. 1; Vormbaum N K Rdn. 10; Mäurach/ SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn 103; aA Bemmann H. Mayer-Festschrift S. 485, 491.

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3

RG Z A k D R 1940 133 m. Anm: Mager; D R 1944 367; BGHSt. 1 23, 28; 3 320; 7 2, 5; BGH NJW 1952 229; OGHSt. 2 164; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1955 43; Tröndlel Fischer Rdn. 1; LacknerlKühl Rdn. 1; Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder I Lenckner Rdn. 4; Vormbaum N K Rdn. 10; Maurach! Schroederl Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 105; aA Bemmann H. MayerFestschrift S. 485, 491; Heusei JR 1989 429; Schaffstein JW 1938 576; Mezger LK 8 Anm. 3.

Wolfgang Ruß

§157

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Bestrafung droht; dagegen will Kohlrauschi Lange Anm. VI nicht einmal diese Fälle ausscheiden. LG Dortmund NJW 1956 721 hat § 157 in einem Fall angewandt, in dem ein Zeuge, dem für die eigene Tat der § 157 zugute kam, einen andern zu einer vorsätzlichen Falschaussage gleichen Inhalts angestiftet hatte. Dem ist Liirken in seiner Anmerkung NJW 1956 721 zutreffend entgegengetreten; vgl. auch die weitere Besprechung von Seibert NJW 1956 1082. 4

II. Enumerativ beschränkt wie der begünstigte Personenkreis ist auch der Kreis der Aussagedelikte, für den die Vorschrift gilt. Für Fahrlässigkeitstaten nach § 163 gilt sie nicht (RGSt. 47 332). Im Ausschluß der §§ 159, 160 und entsprechend des § 30 mag man eine zusätzliche Bestätigung der Nichtanwendung auf Gehilfen und Anstifter finden. Andererseits steht der Anwendung des § 157 nicht entgegen, daß der Täter nur einen versuchten Meineid begangen hat (BGHSt 4 172, 175; RGSt. 63 174; 65 206, 208).

5

III. Die Anwendbarkeit des § 157 entfallt nicht, wenn der Zeuge oder Sachverständige die Auskunft verweigern konnte 4 . Belehrung über Weigerungsrecht schließt nach BGH bei Holtz M D R 1977 460 die Anwendung nicht aus (vgl. BGHStV 1995 249), weil auf Verlangen die Gründe der Auskunftsverweigerung anzugeben sind. Nicht anders verhält es sich, wenn der Zeuge sich selbst zur Vernehmung angeboten, ja aufgedrängt hat, da damit im entscheidenden Augenblick der Vernehmung gleichwohl die vom Gesetz vorausgesetzte Zwangslage besteht. Auch die Annahme eines minder schweren Falles nach § 154 Abs. 2 kann nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden, der Zeuge hätte den Meineid durch Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts vermeiden können (BayObLG NStZ-RR 1999 174). Vielmehr ist BGHSt. 7 332 im Gegensatz zu BGHSt. 5 269 darin uneingeschränkt zu folgen, daß die Anwendbarkeit der Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Täter den Eidesnotstand selbst verschuldet hat 5 . Abweichendes gilt auch nicht, wenn die Vortat in einem im selben Verfahren begangenen Aussagedelikt besteht (BGHSt. 2 234, 8 319, OLG Stuttgart NJW 1978 711). Bilden die mehreren Zuwiderhandlungen eine Tat im Rechtssinne, so kann jedoch das bei dem späteren Einzelakt hinzutretende Motiv, der Bestrafung wegen der vorausgehenden Zuwiderhandlung zu entgehen, die Anwendbarkeit des § 157 nicht begründen, und zwar in erster Linie deshalb, weil es sich nur um ein Teilstück einer einheitlichen Handlung handelt (BGHSt. 8 318, OLG Stuttgart NJW 1978 711). Das gilt auch dann, wenn mit dem ersten Einzelakt des Aussagedelikts, für den der Täter einer Bestrafung entgehen will, ein weiterer Tatbestand (etwa der Begünstigung oder des Betrugs) verwirklicht worden war (BGHSt. 9 121 m. Anm. Kaufmann JZ 1956 605). Ging jedoch ein Einzelakt voraus, der nur den idealkonkurrierenden Tatbestand betraf, wie etwa die unwahre Aussage vor der Polizei als Begünstigung, so ist § 157 wieder anwendbar, wenn der Wille zur Vermeidung einer Strafe hierauf abzielte (RGSt. 75 279, BGHSt 9 123, BGH 3 StR 131/68 v. 29.5. 1968).

4

5

RGSt. 59 61; BGH StV 1987 195, 196; 1995 250; BGHR StGB § 157 I Selbstbegünstigung 1, 4; BGH 4 StR 702/93 vom 15.12.1993; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 1999 174; ferner OLG Düsseldorf StV 1993 423; anders aber OLG Düsseldorf JR 1991 530 m. Anm. Heusei. Vgl. auch BGH bei Holtz M D R 1993 1039; StV 1995 250; O L G Köln StV 1988 538; O L G Stuttgart NJW 1978 711; Tröndle!Fischer Rdn. 6;

Lackneri Kühl Rdn. 1; Vormbaum N K Rdn. 25; aA für provozierte Fälle Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 11; auch Rudolphi SK. Rdn. 14, der unter Hinweis auf die Grundsätze der actio libera in causa § 157 dann nicht anwenden will, wenn der Täter den Aussagenotstand vorsätzlich herbeigeführt hat; vgl. auch Bergmann Milderung der Strafe S. 97 ff.

Stand: 1. 7. 1999

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Aussagenotstand

§157

Der Gegenmeinung, die eine Anwendung des § 157 in den Fällen ausschließen will, 6 in denen der Täter den Aussagenotstand durch sein Verhalten selbst geschaffen oder geradezu provoziert hat (vgl. Fußn. 5), ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Indessen ist zu bedenken, daß damit, wie O L G Stuttgart N J W 1978 711 hervorhebt, die Verschuldetheit der Notstandsaussage in einer mit dem Wortlaut der Vorschrift kaum noch zu vereinbarenden Weise überbetont und der Aspekt des neuen Entschlusses zu gering veranschlagt wird. Im übrigen erweisen die sich daraus ergebenden Konsequenzen als kaum bemerkenswert. Das die Anwendbarkeit des § 157 bejahende Gericht kann nach seinem Ermessen von einer besonderen Strafermäßigung nach dieser Vorschrift absehen und wird dies in der Regel tun, wenn der Angeklagte seine Zwangslage in so spezifischer Weise selbst herbeigeführt hat (BGH 1 StR 53/59 vom 10.3.1959). Zurückhaltung geboten ist jedoch bei Nichtausnutzung des Rechts auf Verweigerung der Auskunft (vgl. BayObLG N S t Z - R R 1999 174). Dies darf nur dann zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden, wenn er sich darin sicher war, daß sein Schweigen nach vorausgehender Belehrung im Sinne des § 55 StPO kein Anlaß für die Strafverfolgungsbehörde sein werde, gegen ihn Ermittlungen einzuleiten (BGH 4 StR 424/62 vom 18.1.1963), was sich kaum einmal feststellen lassen wird. Von vornherein unanwendbar war jedoch §157 entgegen dem Buchstaben bei spontanen schriftlich abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen (etwa zur Unterstützung von Anträgen auf Erlaß von einstweiligen Verfügungen), da hier ein Zeugniszwang, in keiner Weise zum Tragen kam (RGSt. 36 49; B G H bei Daliinger M D R 1968 551).

7

IV. Liegen die Voraussetzungen des § 157 nur für einen Teil der falschen Angaben 8 ein und derselben Aussage vor, weil zum andern Teil ein sachlicher Zusammenhang im Sinne einer Abstützung der unwahren Angaben (vgl. Rdn. 9) fehlt, so geht es nicht an, die Vorschrift für diesen Teil anzuwenden, für den andern jedoch außer Anwendung zu lassen; sie hat in solchen Fällen nach richtiger Auffassung vielmehr ganz auszuscheiden, jedoch kann der Umstand, daß für einen Teil der falschen Angaben das Motiv der Vermeidung einer Strafverfolgung wirksam war, unabhängig davon strafmildernd Berücksichtigung finden6. Die von Mezger J W 1931 57 vertretene gegenteilige Auffassung, daß § 157 auch zur Anwendung kommen soll, wenn nur ein Teil der unwahren Angaben einer Vermeidung der Strafverfolgung wegen einer früheren Tat dienlich war, ist vereinzelt geblieben und abzulehnen. Es ist nicht einzusehen, warum ein Täter besser gestellt sein sollte, bei dem zu einer falschen Aussage zum Beweisthema A, für die eine Anwendung von § 157 nicht in Betracht kommen kann, noch eine weitere falsche Aussage zum Beweisthema Β hinzukommt, für die bei isolierter Betrachtung § 157 zur Anwendung zu kommen hätte (BGH 1 StR 668/98 vom 20. Juli 1999). Verbindet sich beides in einer Tat, so ist nach dem Grundgedanken des § 52 immer der Teil dominant, für den eine Anwendung der Milderungsvorschrift ausscheidet. Welche unwahren Angaben im einzelnen dem § 157 zuzuordnen sind, ist Tatfrage. Punkte, die für sich genommen nichts Belastendes hätten, können es im Zusammenhang mit anderen gewinnen. Deshalb hat das RG für die Frage, ob auch neben einer 6

Vgl. RGSt. 27 369; 59 61; 60 56; 61 225; 61 310; RG JW 1930 3400 und 1931 57 m. Anm. Mezger; BGH bei Daliinger M D R 1952 658; BGH 2 StR 94/57 vom 10.4.1957 und 5 StR

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255/55 vom 19.7.1955; OLG Schleswig HESt. 2 253; Rudolphi SK Rdn. 12; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 5; Vormbaum N K Rdn. 23; Lackneri Kühl Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 6.

Wolfgang Ruß

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§157

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

in deutlicher Weise auf das Leugnen der Vortat gerichteten falschen Angabe zusätzliche falsche Angaben derselben Aussage gleichfalls unter § 157 fallen, zutreffend auf diesen Zusammenhang abgestellt und dies in RG JW 1930 3400 pointiert dahin formuliert, daß es darauf ankomme, ob der Zeuge durch die nach § 157 milder zu beurteilende unwahre Angabe auch zur Entstellung des Sachverhalts in anderen Punkten getrieben wurde. Die hieran anknüpfende Rechtsprechung des BGH ist in ihrer Begründung nicht ganz befriedigend, indem sie es in einer hier wohl übertriebenen Abneigung gegen ein obiter dictum offen ließ, ob § 157 auch bei Beziehbarkeit auf nur einen Teil der falschen Angaben anwendbar sein könne, und weil sie vor allem nicht hinreichend beachtet, daß es seit der Gesetzesänderung von 1943 nicht mehr auf eine Beurteilung des Zusammenhangs aus der Sicht eines neutralen Beobachters, sondern nur noch darauf ankommen kann, ob der Täter subjektiv alle seine falschen Einzelangaben unter dem Aspekt der Vermeidung einer Strafverfolgung wegen der Vortat gesehen hat. 10

V. Die Absicht des Täters, die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung von einem Angehörigen oder von sich selbst abzuwenden, ist im Sinne motivorientierten Handelns zu verstehen. Dabei kommt es in jeder Richtung auf die Vorstellungen an, die den Täter bei seiner Aussage leiteten, mögen diese auch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlgehen 7 . Gerade diese völlige Subjektivierung sollte mit der Gesetzesänderung von 1943 erreicht werden (Goetzeler ZStW 63 [1951] 98). Relevant in diesem Sinne ist also auch das Wahndelikt, ist die Unkenntnis, daß in einer wahren Aussage zugleich der strafbefreiende Rücktritt (§ 24) von der erst versuchten Vortat liegen würde, auf deren Verdeckung es dem Täter ankommt (BGH 1 StR 192/53 v. 5.5.1953), desgleichen die Unkenntnis davon, daß die Verfolgungsverjährung schon eingetreten (RG H R R 1927 Nr. 542) oder die Frist zur Stellung des Strafanfrags schon abgelaufen ist. Die Gefahr einer gerichtlichen Sanktion kann noch nach rechtskräftigem Freispruch bestehen, wenn eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu befürchten ist (BGH bei Holtz M D R 1983 280). Die Frage der Gefahr ist nicht mehr nach der an objektiven Kriterien orientierten Rechtsprechung des RG auf der Grundlage der ursprünglichen Fassung der Vorschrift zu beurteilen, die SehlSchröder/Lenckner Rdn. 6 in diesem Zusammenhang anführt. Vgl. auch oben Rdn. 9. Bleibt es unklar, ob der Angeklagte aus dem Motiv der Gefahrenabwehr gehandelt hat, ist nach dem Zweifelssatz zu verfahren (BGH NStZ 1988 497; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusei).

11

Die Gefahrabwendung braucht nicht das einzige Motiv des Täters und nicht der Endzweck seines Handelns zu sein8. Doch soll die Vergünstigung nach BGH 4 StR 893/53 vom 24.6.1954 und 5 StR 414/55 vom 8.11.1955 (angef. bei Wagner M D R 1959 807 Fußn. 9) dann a limine ausscheiden, wenn die Gefahrabwendung ein Beweggrund von ganz untergeordneter, nebensächlicher Bedeutung ist (so auch SchlSchröderlLenckner Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 11). An dieser Grenzziehung sollte jedoch so wenig festgehalten werden (vgl. Vormbaum N K Rdn. 13), wie an der Ausscheidung der Fälle, in denen nur eine ganz entfernte Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung besteht (RGSt. 64 105 im Anschluß an die alte Fassung). Die Einbeziehung der Über7

RGSt. 77 222; BGHSt. 8 317; BGH NJW 1988 2391; bei Detter NStZ 1990 223; OLG Hamburg NJW 1952 634; BayObLG NJW 1956 559; OLG Düsseldorf NJW 1986 1822.

8

BGHSt. 2 379; 8 317; BGH NJW 1953 1479; GA 1959 176; 1968 304; NJW 1988 2391; BGH bei Meyer-Goßner NStZ 1986 105; bei Detter NStZ 1992 479; bei Holtz MDR 1993 1039; StV 1995 249, 250; BGHR StGB § 157 I Selbstbegünstigung 1,2.

Stand: 1. 7. 1999

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Aussagenotstand

§157

tretungen in den Kreis der Vortaten durch die Gesetzesänderung von 1943 zeigt an, daß dem Gesetzgeber kleinliche Abgrenzungen fernlagen und daß er für die Beachtung solcher Gradunterschiede die Möglichkeit genügen lassen wollte, von der Strafminderung geringeren oder keinen Gebrauch zu machen. Jedoch rechtfertigt es die Anwendung des § 157 nicht, wenn der Täter keine ihm unmittelbar drohende Strafverfolgung abwenden will, sei es weil er die Gefahr nicht erkennt oder weil er positiv weiß, daß seiner Bestrafung oder Maßregelung ein rechtliches Hindernis entgegensteht; auch nicht, wenn es dem Täter nicht um die Abwendung der bestehenden Gefahr geht, er vielmehr mit seiner falschen Aussage nur die mittelbare Verhinderung eines möglichen Strafverfahrens etwa durch günstige Beeinflussung eines etwaigen Belastungszeugen oder Anzeigeerstatters bezweckt (BGHSt. 7 2; RGSt. 64 104; 73 310). Gerade die richtige Bekundung über das, was an der Aussage falsch ist, muß nach der Vorstellung des Täters zur Herbeiführung der Strafverfolgung geeignet sein. - Ist ein Strafverfahren wegen der Vortat schon eingeleitet, so bleibt im Sinne des § 157 doch das Bestreben des Täters bedeutsam, eine Förderung dieses Verfahrens mit einem für ihn ungünstigen Ausgang zu vermeiden (RG JW 1935 2960). Ausreichend ist es auch, wenn der Täter mit seiner Falschaussage nur darauf abzielt, die Strafzumessung zu seinen oder des Angehörigen Gunsten zu beeinflussen (BGHSt. 29 298) 9 .

12

VI. Als Bestrafung ist, was die Alternative der freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 63-66) verdeutlicht, allein die Verhängung einer Kriminalstrafe zu verstehen. Die Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit ist deshalb für die Anwendung der Vorschrift ohne Bedeutung (BayObLG NJW 1971 630 mit kritischer Anm. Gross NJW 1971 1620). Nichts anderes kann entgegen den überholten Entscheidungen BGH GA 1967 52 und BayObLGSt. 1962 9 für Dienstvergehen gelten, weil disziplinarrechtlichen Sanktionen der Strafcharakter fehlt 10 .

13

VII. Zum Begriff des Angehörigen ist auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 zu verweisen11. Die Einbeziehung anderer dem Täter nahestehender Personen - genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften - im Wege der Analogie 12 kann nicht in Betracht kommen. Der Wortlaut in § 157 weist gegenüber § 35 eine offensichtliche Differenz auf, die vom Gesetzgeber anläßlich der in den vergangenen Jahren vorgenommenen zahlreichen gesetzlichen Änderungen auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts nicht behoben worden ist, so daß von einer bewußten Beschränkung des Gesetzes ausgegangen werden muß (so zutr. Sch/SchröderlLenckner Rdn. 6).

14

VIII. Ob die Voraussetzungen des § 157 gegeben sind, hat der Tatrichter von sich 1 5 aus zu prüfen und festzustellen und in Zweifelsfallen zu Gunsten des Täters zu entscheiden (Rdn. 1, 10)13. Es kommt also nicht darauf an, ob sich der Täter ausdrücklich auf den Aussagenotstand berufen hat. Da Furcht vor Strafe nicht der einzige 9

10

11

Ebenso Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; Rudolph! SK Rdn. 11; Vormbaum N K Rdn. 17; Tröndlel Fischer Rdn. 8. TröndlelFischer Rdn. 8; Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 7; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 7; 1. Schriftl. Bericht d. Sonderausschusses des BT zum Entwurf des EGStGB, BTDrucks. 7/1261 S. 13. BayObLG NJW 1986 202; OLG Braunschweig NStZ 1994 344; OLG Celle N J W 1997 1084;

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12

13

Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 9; Tröndlel Fischer Rdn. 9. Rudolphi SK Rdn. 1; Vormbaum N K Rdn. 14; Ostendorf JZ 1987 338; Krümpelmann/Heusei JR 1987 41; Häuf NStZ 1995 35. BGH GA 1968 304; bei Dallinger M DR 1968 551; NStZ 1988 497; OLG Stuttgart NJW 1978 711; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusei.

Wolfgang Ruß

§157

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Beweggrund zu sein braucht (Rdn. 11), schließt auch die Angabe eines anderen Grundes durch den Täter die Anwendbarkeit des § 157 nicht unbedingt aus. 16

IX. Neben § 157 kann dem Täter zusätzlich § 158 zugute kommen (BGHSt. 4 176). Die Vergünstigung des § 157 kann für jede Tat nur einmal zugebilligt werden. Sind jedoch die Voraussetzungen der Vorschrift mehrfach erfüllt (ζ. B. Schutz mehrerer Angehöriger und des Täters), so kann das für das Ausmaß der Strafmilderung bedeutsam sein14. Ob der Richter eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 vornimmt oder - im Falle einer uneidlichen Falschaussage - ganz von Strafe absieht, unterliegt im übrigen seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dafür maßgebend sind u. a. die Intensität der Zwangslage, in der sich der Täter befunden hat und auch die Folgen, die durch sein Verhalten hervorgerufen worden sind. Zu weitgehend ist jedoch die Auffassung von Montenbruck (JZ 1985 976, 979ff), der bei einem offenkundig tatverdächtigen Zeugen eine Ermessensreduzierung auf Null annimmt und stets ein Absehen von Strafe für richtig hält. Von erheblicher Bedeutung für die tatrichterliche Entscheidung werden ferner die Umstände sein, durch die der Aussagende in die Konfliktsituation geraten ist. Hat er sich durch eigenes Verschulden in die Zwangslage gebracht oder diese gar provoziert, wird nur geringer oder gar kein Anlaß für eine Strafmilderung bestehen (vgl. OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusei; Rdn. 5, 6). Vgl. ferner hierzu Seibert NJW 1961 1055. - Wurde" die Konfliktlage zum Anlaß genommen für die Annahme eines minder schweren Falles gem. § 154 Abs. 2, ist eine nochmalige Strafmilderung nach § 157 Abs. 1 nicht mehr zulässig, wie sich aus § 50 ergibt. Waren jedoch andere Gründe für die Annahme des minder schweren Falles maßgebend, kann die Notstandslage zu einer weiteren Milderung des bereits ermäßigten Strafrahmens verwendet werden. Auf Tatbestände, die mit den Aussagedelikten ideell konkurrieren, findet §157 keine Anwendung (vgl. dazu §158 Rdn. 15). - Wurde von Strafe abgesehen, ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen (§ 260 Abs. 4 Satz 4 StPO).

17

X. Absatz 2 gewährt die Vergünstigung des §157 ohne weitere Vorbedingungen dem Eidesunmündigen, also dem noch nicht Sechzehnjähigen (§ 60 Nr. 1 StPO; § 393 Nr. 1 ZPO), wenn er uneidlich falsch ausgesagt hat. Die Vorschrift knüpft damit an den Regelfall an, daß bei Eidesunmündigen nach den Verfahrensvorschriften verfahren, also von Vereidigung abgesehen wird. Den Fall, daß gleichwohl eine Vereidigung stattfindet, übergeht das Gesetz. Das bereitet keinerlei dogmatische Schwierigkeiten, wenn man den Eid des Eidesunfähigen als strafrechtlich unbeachtlich ansieht (vgl. § 154 Rdn. 10), da dann die eidliche Aussage praktisch zu einer uneidlichen wird, auf die Absatz 2 seinem Wortlaut nach zutrifft. Die Regelung ist aber auch im anderen Fall praktisch bedeutungslos, da Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt und die Bestimmung obsolet gemacht hat. Weiterhin von Bedeutung ist sie jedoch im Hinblick auf die übrigen von § 60 Nr. 1 StPO betroffenen Personen, nämlich diejenigen, die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben (entsprechend für §393 ZPO); auf sie ist die Vorschrift analog anzuwenden.

BGHSt. 5 377 unter Hinweis auf RGSt. 64 219; BGH G A 1967 52; OLG Stuttgart N J W 1978 711.

Stand: 1. 7. 1999

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Berichtigung einer falschen Aussage

§158

§158 Berichtigung einer falschen Aussage (1) Das Gericht kann die Strafe wegen Meineids, falscher Versicherung an Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe absehen, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. (2) Die Berichtigung ist verspätet, wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder aus der Tat ein Nachteil für einen anderen entstanden ist oder wenn schon gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. (3) Die Berichtigung kann bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde erfolgen. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde ebenso wie § 157 durch die VO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) neu gefaßt. Die Neuerung bestand in der Ausdehnung auf die falsche uneidliche Aussage, in einer genaueren Umschreibung der rechtzeitigen Berichtigung (statt des früheren „Widerrufs") und in der fakultativen Anwendung bis zur Möglichkeit eines Absehens von Strafe. Das EGStGB 1974 beschränkte sich auf redaktionelle Anpassung. I. Die Berichtigung der falschen eidlichen oder uneidlichen Aussage oder der 1 falschen eidesstattlichen Versicherung eröffnet - weitergehend als § 157 - in sämtlichen Fällen der §§ 153 bis 156 die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen. Zweck der Vorschrift ist nach den Worten von RGSt. 67 83, „durch teilweisen oder ganzen Verzicht auf den entstandenen Strafanspruch den Widerruf falscher Angaben zu fördern, hierdurch der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und etwaige von der Eidesverletzung (usw.) drohende Nachteile abzuwenden" (vgl. auch BGH NJW 1951 727; OLG Hamburg JR 1981 383 m. Anm. Rudolphî). Mit Rücksicht auf diesen Zweck räumte die Rechtsprechung des RG diesem Strafmilderungs- und Strafaufhebungsgrund „die umfassendste Geltung ein, die sich überhaupt mit dem Wortlaut vereinigen läßt". Der BGH hat im gleichen Sinne geäußert, daß die Vorschrift „dem Täter goldene Brücken bauen will" (BGH NJW 1962 2164). II. Im Gegensatz zu § 157 ist die Anwendungsmöglichkeit nicht auf den Zeugen 2 und Sachverständigen beschränkt, sondern kommt auch der Partei bei eidlicher Parteivernehmung zugute. So schon RGSt. 16 29, ferner zum Offenbarungseid RG H R R 1938 Nr. 343. Sie gilt auch zu Gunsten von Anstiftern und Gehilfen, sofern sie die falsche Aussage berichtigen. Das RG hatte dies früher verneint (RG DJ 1936 290 und JW 1937 1329), in OGHSt. 2 165 wurde es summarisch für beide Fälle der Teilnahme anerkannt, der BGH hat es dann speziell für die Anstiftung in LM Nr. 1 (NJW 1951 727) und für die Beihilfe in BGHSt. 4 172 bejaht. Von der Vorschrift werden nicht nur vollendete Fälle der Falschaussage erfaßt, sondern auch solche - lediglich bei § 154 von praktischem Interesse - , die im Stadium des Versuchs stecken geblieben sind. Hier tritt § 158 neben § 24 (BGHSt. 4 175), wobei von Bedeutung ist, daß § 158 freiwilliges Handeln nicht zur Voraussetzung hat. III. 1. Berichtigung ist „Richtigstellung". Damit ist mehr verlangt als beim frühe- 3 ren Widerruf. Es genügt also nicht, daß der Täter bloß erkennbar macht, daß seine (175)

Wolfgang Ruß

§158

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Aussage falsch war (vgl. dazu OLG Hamburg JR 1981 383 m. Anm. Rudolphi) oder daß er auf die Frage nach der Richtigkeit seiner bisherigen Aussage die Antwort verweigert (BGHSt. 18 349). Umgekehrt kann es auch nicht ausreichen, wenn er nur neuerlich die Wahrheit sagt, ohne daß er damit die Zurücknahme der früheren falschen Aussage verbindet. Vielmehr muß beides geschehen und aufeinander bezogen sein (BGHSt. 9 99; 18 348; 21 115; RGSt. 64 216). Der Täter muß die Karten auf den Tisch legen. Doch braucht sich diese Offenheit nur auf die Tatsachen zu beziehen, für die seine Auskunft als Beweisperson erfragt war. Über die Motive und Anstöße, die ihn zur Falschaussage gebracht haben, braucht er keinen Aufschluß zu geben. Doch wird es regelmäßig für die Glaubwürdigkeit seiner Berichtigung sprechen, wenn er das von sich aus tut. Ist der Täter zeugnisverweigerungsberechtigt, so genügt ausnahmsweise seine Erklärung, daß seine frühere Aussage falsch war, wenn er zugleich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. BGH StV 1982 420). Würde auch in diesem Fall die Gewährung der Rechtswohltat davon abhängig gemacht, daß er eine berichtigende (richtige) Aussage macht, so würde er auf diese Weise zu etwas gezwungen, was ihm die Verfahrensgesetze erlauben. Die Inanspruchnahme seines Rechts auf Verweigerung des Zeugnisses enthebt ihn der Verpflichtung durch seine Aussage zur Sachaufklärung beizutragen, gleichgültig ob es um die erste Aussage geht oder nach einer falschen um die berichtigende Aussage (vgl. Rudolphi JR 1981 385). 4

Soweit in der Entscheidung BGHSt. 9 99 gefordert wird, der Täter müsse, um sich die Rechtswohltat des § 158 zu verdienen, die Gefahr einer unrichtigen Entscheidung tatsächlich beseitigen, und soweit sie Erklärungen darüber, ob der Täter nach den Umständen und seinen Fähigkeiten imstande war, die von ihm beschworene falsche Aussage in allen Punkten durch die Darstellung der Wahrheit zu ersetzen, generell für überflüssig erachtet, kann ihr nicht beigepflichtet werden. Von dem Täter kann vernünftigerweise und im recht verstandenen Sinn des § 158 nicht mehr an sachlichen Mitteilungen zum Beweisthema erwartet werden, als er von Anfang an zu leisten verbunden war. Darauf, welche Bedeutung seine nunmehr wahre Aussage für die Entscheidung hat, hängt nicht von ihm, sondern vorwiegend von andern Umständen, vor allem von der Rechtslage ab, für die seine Aussage im einen wie im andern Sinn letztlich unerheblich sein kann. Daß er zuerst die Unwahrheit gesagt hat, kann ihn nicht zu berichtigenden Mitteilungen über das Maß seiner Leistungsfähigkeit hinaus verpflichten. Etwas anderes wäre es allerdings, wenn er im Zusammenhang mit seiner Falschaussage (etwa durch die Vernichtung früherer Aufzeichnungen) Maßnahmen getroffen hat, die es ihm jetzt unmöglich machen, eine wahre Bekundung von gleichbleibender Sicherheit und Qualität zu machen, wie sie ihm im Zeitpunkt seiner Falschaussage noch möglich gewesen wäre. Doch sollte ihm auch in diesem Falle die Rechtswohltat des § 158 nicht a limine versagt werden.

5

Nach Maßgabe dieser Leistungsfähigkeit der Beweisperson muß die Berichtigung umfassend sein, sie darf keinen wesentlichen Punkt aussparen (BGHSt. 9 99). Ein Beispiel für die eine Anwendung des § 158 nicht ausschließende Ubergehung eines ganz unwesentlichen Punktes gibt BGH LM StGB § 158 Nr. 6 (NJW 1962 2164).

6

Ist das Gericht weder davon überzeugt, daß der seine Falschaussage berichtigende Täter sein Erinnerungsbild nunmehr zutreffend wiedergibt, noch davon, daß er eine Unwahrheit ganz oder teilweise durch eine andere ersetzt hat, so tritt die Frage auf, ob auch hier § 158 eingreifen kann. Zwei Fallgestaltungen sind zu unterscheiden: Zum ersten der Fall, daß die ursprüngliche Aussage als falsch erwiesen ist. Zum zweiten der Fall, daß die Unrichtigkeit der früheren Aussage nicht feststeht, dies aber deshalb Stand: 1. 7. 1999

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Berichtigung einer falschen Aussage

§158

nicht zum Freispruch führen kann, weil die zweifelhafte Berichtigung Gegenstand einer zweiten Aussage vor Gericht gewesen ist, so daß eine wahldeutige Verurteilung stattzufinden hat (vgl. § 153 Rdn. 14). Hier hat das BayObLG (NJW 1976 860) im Anschluß an Stree in dubio pro reo S. 29 entschieden, daß unter Anwendung dieses Grundsatzes von der Wahrheit der berichtigenden Aussage auszugehen und § 158 anzuwenden sei. Zum selben Ergebnis gelangt man hier, wenn man, wie Blei JA 1976 166 und Küper NJW 1976 1828 dargelegt haben, nur konsequent den für die wahldeutige Verurteilung geltenden Grundsatz zur Anwendung bringt, daß die Strafe auf jeden Fall dem mildesten Gesetz zu entnehmen ist (vgl. Gribbohm LK § 1 (Anhang I) Rdn. 139): Das ist hier § 153 in Verbindung mit § 158. Die Frage, ob man des Grundsatzes in dubio pro reo bedarf 1 , stellt sich unter diesen Umständen mit voller Schärfe nur im ersten Fall. Hier wird man seine Anwendung und damit auch die Anwendung des § 158 nicht ausschließen können, wenn man nicht in Widerspruch zur Lösung im zweiten Fall geraten will. In diesem Sinne auch Stree JR 1976 470, der die Notwendigkeit der Berufung auf den Grundsatz in dubio pro reo schon für eine Variante des Falles zwei nachweist. Die von Uibel NJW 1960 1893 im Anschluß an eine gegenteilige unveröffentlichte Entscheidung des LG Karlsruhe vorgetragenen Bedenken müssen demgegenüber zurücktreten. 2. Eine bestimmte Form ist für die Berichtigung nicht vorgeschrieben (BGHSt. 18 7 348). Sie kann durch mündliche oder schriftliche Erklärung erfolgen. Daß sie durch konkludentes Schweigen geschieht, ist bei einfachen Beweisfragen nicht ganz undenkbar 2 . Auch Abgabe der Erklärung durch Vermittlung eines Dritten, insbesondere eines Rechtsanwalts, ist möglich (RGSt. 28 162). 3. Der Kreis der Berichtigungsadressaten ist im Gesetz (Absatz 3) weit gezogen. 8 Die Berichtigung kann erfolgen nicht nur bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie in dem betreffenden Verfahren zu prüfen hat, sondern bei jedem Gericht, jedem Staatsanwalt und jeder Polizeibehörde. Im Falle der eidesstattlichen Versicherung gem. § 807 ZPO kann als Stelle, der die Angabe gemacht worden ist, im umfassenden Sinn auch der zuständige Gerichtsvollzieher als Organ der Zwangsvollstreckung gelten (LG Berlin JR 1956 432). Das Risiko rechtzeitigen Eingangs der Berichtigung trägt freilich der Täter (näher Rdn. 10). Es genügt aber der Eingang bei der Behörde, Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten ist nicht nötig (RGSt. 61 125,67 87). IV. An eine dreifache Voraussetzung ist die Wirksamkeit der Berichtigung im Sinne 9 der Vorschrift geknüpft. Das Gesetz drückt sich dahin aus, die Berichtigung müsse rechtzeitig erfolgen und schließt diese Rechtzeitigkeit in drei Fällen aus, in denen die Berichtigung als verspätet bezeichnet ist (Absatz 2). Diese Voraussetzungen wirken nach herrschender Meinung rein objektiv. Unkenntnis des Täters schadet nichts, irrtümliche Annahme ersetzt sie nicht 3 . Eine hiervon abweichende differenzierende Auffassung vertritt Lenckner (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7) unter Verweisung auf Schröder H. Mayer-Festschrift S. 384, der die zu anderen Rücktrittsvorschriften, insbesondere zu § 24 und § 31 entwickelten Grundsätze analog hierher übertragen will und deshalb § 158 nur dann als ausgeschlossen ansieht, wenn der Täter die gegen ihn 1

Die These, daß Wahlfeststellung und in dubio pro reo ihren jeweils eigenen Anwendungsbereich haben, ist vor allem von Otto In dubio pro reo und Wahlfeststellung, Peters-Festschrift S. 273 näher begründet worden.

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2

3

Vgl. RGSt. 58 381; BGHSt. 18 348 und dazu die Anm. Geier LM StGB § 158 Nr. 7. Frank Anm. II 1; TröndlelFischer Rdn. 6; Mäurach/ SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 124 f.

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§158

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

eingeleitete Maßnahme kennt 4 . Dies entspricht auch der in § 442 Abs. 3 E 1962 vorgesehenen Regelung, wonach die Berichtigung nur dann verspätet sein soll, „wenn der Beteiligte zuvor erfahren hat, daß gegen ihn eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist". Die amtliche Begründung betont dazu mit Recht, daß dies mehr dem Zweck der Vorschrift, die Wahrheitsfindung zu fördern, entspricht. Für die Durchsetzung dieses Gedankens bereits im geltenden Recht spricht zweifellos auch die Verwandlung des § 158 in eine Kann-Vorschrift. Zu den drei Voraussetzungen, die allesamt gegeben sein müssen, damit die Rechtswohltat anwendbar ist (RG Rspr. 9 282), ist im einzelnen folgendes zu sagen: 10

1. Es darf gegen den Täter noch keine Anzeige erstattet und noch keine Untersuchung eingeleitet sein. „Anzeige" ist nur als Strafanzeige zu verstehen, bei der die Tat in ihrer strafrechtlichen Bedeutung erkannt ist (RGSt. 62 305). Eine Selbstanzeige genügt nicht (RGSt. 67 88). Denn die Berichtigung schließt stets eine Selbstanzeige ein und kann demgemäß auch von einer Selbstanzeige eingeleitet werden. „Untersuchung" ist das Einschreiten einer zuständigen Behörde, das in der äußerlich erkennbaren Absicht erfolgt, ein Strafverfahren herbeizuführen (RGSt. 62 306). Diese Eigenschaft kommt auch einem Einschreiten des Zivilrichters nach § 183 GVG zu (RGSt. 73 336). Die Untersuchung muß wegen der falschen Bekundung gegen den Verdächtigen erfolgen (RGSt. 64 217). Auch Handlungen von Behörden und Beamten des Polizeiund Sicherheitsdienstes aus eigener Initiative (§ 163 StPO), nicht nur solche auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft, zählen hierher (RGSt. 67 89). Dagegen nicht die Protokollierung der verdächtigen Aussage in der Hauptverhandlung auf Antrag des Staatsanwalts (RGSt. 7 154, 155f)· Sie dient bloß der Erleichterung einer etwaigen Untersuchung.

11

2. Es darf aus der Tat noch kein Nachteil für einen andern entstanden sein. Das RG hat dieses Erfordernis ersichtlich unter dem Eindruck der ursprünglich zwingenden Herabsetzung des Strafrahmens weit ausgelegt. Es ging dabei davon aus, daß der Begriff des Nachteils (damals noch „Rechtsnachteil") jede Beeinträchtigung umfaßt, die der Betroffene in einem ihm zustehenden Rechte oder in seiner Rechtsstellung erfährt (RGSt. 45 302 unter Hinweis auf RGSt. 17 308). Immerhin hat schon das RG dazu übergeleitet, eine bloße Gefahrdung hier nicht als Nachteil gelten zu lassen (RGSt. 36 241), wo jedenfalls die mehr oder weniger entfernte Gefahrdung ausgeschlossen wurde. Von vornherein hat die sich aus jeder Falschaussage ergebende Verschlechterung der Beweislage als Nachteil auszuscheiden: BGH LM StGB § 158 Nr. 6 (NJW 1962 2164). Auf der gleichen Linie liegt es, daß eine ideelle Beeinträchtigung auszuscheiden hat; denn eine solche Beeinträchtigung liegt regelmäßig darin, daß mit der Falschaussage einer anderen wahrheitsgemäßen Darstellung das Odium der Lügenhaftigkeit angeheftet wird. Jedoch ist ein Vermögensna.chtsi\ nicht erforderlich (RGSt. 39 228). Enger ist die Auffassung von Vormbaum (NK Rdn. 24); nach ihm sollen nur Nachteile in Betracht kommen, die sich außerhalb des betreffenden Verfahrens auswirken. Im einzelnen sind als Nachteil angesehen worden: Erlaß eines ungünstigen Straf- oder Zivilurteils, Erhebung der öffentlichen Klage (dazu RGSt. 17 308), Erlaß einer einstweiligen Verfügung, Erteilung eines Erbscheins (RGSt. 39 225), Einstellung der Zwangsvollstreckung. Vor einer kleinlichen Anwendung sollte man sich hüten; wo die Berichtigung unmittelbar einer Wiederbeseitigung des eingetretenen Zustandes dienen kann, da ist der Nachteil noch nicht wirklich „entstanden". Die 4

Im gleichen Sinne Rudolphi SK R d n . 6; wohl auch Stree In dubio pro reo S. 29.

Stand: 1.7. 1999

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Berichtigung einer falschen Aussage

§158

Notwendigkeit für den Gläubiger, das Verfahren nach § 807 ZPO erneut zu betreiben und wieder Kosten aufzuwenden, wird deshalb für sich allein als Nachteil im Sinne der Vorschrift nicht genügen. Die Kosten müssen wirklich erwachsen und aufgewandt sein (vgl. RGSt. 70 144). Zu weitgehend in diesem Sinne wohl auch RG JW 1934 559, wo ein Nachteil schon in einer durch die Falschaussage verursachten, vor dem Widerruf erfolgten weiteren Beweiserhebung gesehen wurde (ebenso Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9); vgl. im übrigen die bei BGH N J W 1962 2164 angeführten weiteren Beispiele. „Aus" der Tat muß der Nachteil entstanden sein (RGSt. 16 32). Zwischen der falschen Aussage und dem Nachteil muß Kausalzusammenhang bestehen. Dies wurde auch in einem Fall angenommen, in welchem auf Grund der falschen Zeugenaussage im ersten Rechtszug verurteilt worden war, ohne Rücksicht darauf, daß bei geänderter Zeugenaussage auch im Berufungsrechtszug verurteilt wurde (RGSt. 29 303). Ebenso in einem Falle, in welchem die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung die Einleitung eines Hypotheken-Aufgebotsverfahrens zur Folge hatte, wobei ein Rechtsnachteil schon um deswillen als eingetreten erachtet wurde, weil sich der Gläubiger in die Notwendigkeit versetzt sah, sein Recht bei Vermeidung der Ausschließung geltend zu machen, also Zeit und u. U. Geld aufzuwenden, um die Erhaltung seines Rechts zu sichern (RGSt. 45 302). Ursächlicher Zusammenhang besteht nur dann, wenn sich die falsche Aussage nicht wegdenken läßt, ohne daß der Nachteil notwendigerweise mit ihr wegfiele. Nur mögliches Wegfallen genügt nicht, wohl aber die Tatsache, daß die falsche Aussage eine der Ursachen war (RGSt. 60 160; RG H R R 1928 Nr. 2236).

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„Für einen anderen" muß der Nachteil entstanden sein. Hierfür kommen nach 1 3 h. M. die Organe der Strafverfolgung nicht in Betracht 5 , Dem ist gegen RG DR 1939 1309 zuzustimmen. Dort wurde unter Bezugnahme auf RG JW 1932 1742 auch der Staat als Träger der Strafgewalt als „ein anderer" im Sinne der Vorschrift angesehen und ein Rechtsnachteil schon in der Einleitung und Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens und im Aufschub oder in der Unterbrechung der Strafvollstreckung als einer Schmälerung des staatlichen Strafanspruchs gesehen. 3. Bei der Entscheidung noch verwertbar muß die Berichtigung sein. Entscheidung in diesem Sinne ist nur eine den Rechtszug abschließende Entscheidung, die nicht rechtskräftig zu sein braucht (BGH JZ 1954 171; OLG Hamm HESt. 2 256). Nachdem ein Urteil auf Grund der falschen Aussage ergangen war, kann eine Berichtigung im zweiten Rechtszug die Anwendung des § 158 nicht mehr möglich machen. Beweisbeschlüsse und ähnliche bloß vorbereitende Entscheidungen können die Wirksamkeit der Berichtigung nicht ausschließen.

14

V. Die Anwendung der Vorschrift ist fakultativ. Zur Anwendung des § 49 Abs. 2 s. 1 5 dort, zum Urteilsspruch im Falle des Absehens von Strafe s. § 260 Abs. 4 Satz 4 StPO. Uber das Verhältnis zu § 157 s. dort Rdn. 16. Steht mit einem Aussagedelikt eine andere Straftat in Idealkonkurrenz, so wird § 158 dadurch nicht unanwendbar. Jedoch darf die für die ideell konkurrierende Tat angedrohte Mindesstrafe nicht unterschritten werden (OLG Celle JZ 1959 541 mit Anm. Klug; OLG Hamm JMB1NRW 1980 65). Über Ausnahmen von der Sperrfunktion siehe die Anmerkung von Klug und die dort behandelte Entscheidung des LG Göttingen (NdsRpfl. 1951 40), ferner Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11, wo die Erstreckung der Wirkungen des § 158 auf (wie ζ. B. die Begünstigung) in der gleichen Angriffsrichtung liegende, gegenüber dem

5

Sehl Schröder! Lenckner R d n . 9; Lackner/Kühl R d n . 5; Rudolphi SK R d n . 7; Vormbaum N K

(179)

R d n . 26; MaurachtSchroederlMaiwald R d n . 125.

Wolfgang Ruß

BT 2 § 74

§159

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Eidesdelikt nicht ins Gewicht fallende Delikte befürwortet wird; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11 will die Vergünstigung des § 158 auch auf in Tatmehrheit mit dem Aussagedelikt begangene Straftaten nach §§ 30, 159, die der Vorbereitung des Aussagedelikts dienten oder mit ihm in einer Linie liegen, übertragen. Man wird ihm darin kaum folgen können, da eine solche Vergünstigung im Vergleich zu dem Täter, der nur den § 159 verwirklicht hat, aber zum eigenen Aussagedelikt noch nicht fortgeschritten ist, kaum verantwortet werden kann (ebenso Rudolphi SK Rdn. 10; vgl. auch Vormbaum N K Rdn. 37).

§159

Versuch der Anstiftung zur Falschaussage Für den Versuch der Anstiftung zu einer falschen uneidlichen Aussage (§ 153) und einer falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156) gelten § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 entsprechend. Entstehungsgeschichte Ursprünglich traf § 159 mit unterschiedlichen Strafdrohungen das Unternehmen, einen anderen zur Begehung eines Meineids oder zur wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu verleiten. Die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) mit der 2. DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I S. 41) beseitigte diesen selbständigen Unternehmenstatbestand. Die ihn ersetzende neue Vorschrift bestimmte, daß die Regelung über die Bestrafung der erfolglosen Anstiftung und anderer Vorbereitungshandlungen bei Verbrechen (§ 49 a a. F.) entsprechend für alle Fälle der falschen uneidlichen Aussage, des Meineids und der wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu gelten habe. Das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) strich den Meineid, weil er Verbrechen ist und daher schon unmittelbar unter § 49 a fiel. Es hat im übrigen die entsprechende Anwendung des § 49 a auf die beiden Vergehenstatbestände insoweit beschränkt, als jetzt nur noch die erfolglose Anstiftung erfaßt wurde. Art. 19 II Nr. 65 EGStGB 1974 hat die Vorschrift ohne Veränderung ihres sachlichen Inhalts in Anpassung an die veränderten Bestimmungen des Allgemeinen Teils vollständig neu gefaßt. 1

I. Ist die versuchte Anstiftung zu einem versuchten Meineid durch § 30 Abs. 1 problemlos geregelt, weil § 154 ein Verbrechen ist, bei dem der Versuch immer strafbar ist, bereitet die für § 153 und § 156 in § 159 vorgesehene entsprechende Regelung Schwierigkeiten, wenn es nicht zur Vollendung dieser Taten kommt. Da der Versuch der uneidlichen Falschaussage und der falschen Versicherung an Eides Statt nicht strafbar ist, ist auch die (erfolgreiche) Anstiftung, die zu dem straflosen versuchten Vergehen geführt hat, straffrei. § 159 führt nun zu dem seltsam erscheinenden Ergebnis, daß im Gegensatz dazu die erfolglose Anstiftung zu Taten nach § 153 oder § 156 entsprechend der Regelung in § 30 Abs. 1 zu behandeln, also strafbar ist. Eine zusätzliche Merkwürdigkeit steckt in der weiteren Konsequenz, daß der erfolglose Anstifter zu einer Versuchstat nach § 153 oder § 156 nach § 159 strafbar, der Versuchstäter selbst aber, da es sich um versuchte Vergehen handelt, straffrei sein soll. Diese Ungereimtheiten sind, wie MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 86 mit Recht bemerkt, mit Mitteln der Auslegung nicht mehr befriedigend aufzulösen. Der BGH in Stand: 1.7. 1999

(180)

Versuch der Anstiftung zur Falschaussage

§159

1

BGHSt. 24 38 und ein Teil der Lehre erblicken die Lösung darin, daß sie § 159 nur dann als erfüllt ansehen, wenn die Tat, die der Verleitete begehen soll, alle Merkmale aufweist, welche der Tatbestand des § 153 oder des § 156 erfordert; denn nur eine Tat, mit der der Angestiftete, wenn er sie im Sinne der Vorstellung des Anstifters vollbrächte, den Tatbestand eines der beiden Vergehen in tauglicher Weise verwirkliche, könne auch den Tatbestand des § 159 erfüllen. Was vom Tatbestand der Vergehen nach §§ 153 und 156 her für den Täter straflos ist, könne nicht für den Anstifter und erst recht nicht für den erfolglosen Anstifter strafbar sein (so Willms Voraufl. Rdn. 1). Demgegenüber hebt die Gegenmeinung 2 auf den Wortlaut des § 159 ab, der die versuchte Anstiftung zu § 153 oder § 156 einschränkungslos unter Strafe stellt, gleichgültig ob es sich um einen tauglichen oder untauglichen Versuch handelt. Der Gegenmeinung ist zuzustimmen. Willms (Voraufl. Rdn. 1) betont zwar zutref- 1 Β fend, daß § 159 nur eine entsprechende Anwendung des § 30 vorschreibt und eine solche nicht eine schematische Gleichbehandlung bedeutet, sondern Beachtung der im gegebenen Zusammenhang erheblichen Besonderheiten des gesetzlichen Tatbestandes. Die zu beachtenden Besonderheiten liegen hier aber offensichtlich darin, daß eine für Verbrechen übliche Vorschrift ausnahmsweise auf Vergehen angewandt werden soll, nicht aber darin, daß die unterschiedliche Behandlung einer Rechtsfigur wie der Versuch in den Blick kommen soll, je nach dem, ob es sich um tauglichen oder untauglichen Versuch handelt. Im übrigen ist zu bemerken, daß sich die Streitfrage am Sachverhalt der Entscheidung BGHSt. 24 38 entzündet hat, wo es sich deshalb um einen untauglichen Versuch handelte, weil der Angestiftete eine Aussage vor einer unzuständigen Stelle abgeben sollte, also in einem Fall, der so auch mit anderen Beteiligten niemals zur Vollendung hatte gelangen können. Es gibt nun allerdings auch andere Fallgestaltungen, bei denen die Untauglichkeit auf den konkreten Fall oder Täter beschränkt ist, so daß der Gesichtspunkt der vom Täter ausgehenden Gefahr an Gewicht gewinnt. Deshalb ist SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3 a. E. zuzustimmen, daß für eine teleologische Reduktion zur Lösung des Problems hier kein Anlaß besteht, weil es im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes geboten ist, jeden Versuch einer Zeugenbeeinflussung von vorneherein zu unterbinden. Zur Erläuterung der Vorschrift im übrigen kann weitgehend auf die Ausführungen 2 von Roxin in LK § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 verwiesen werden. Ergänzend soll hier nur noch bemerkt werden: Von § 159 werden alle Anstiftungshandlungen erfaßt, die nicht zu einer vollendeten falschen uneidlichen Aussage oder falschen Versicherung an Eides Statt geführt haben. Dies trifft auch zu, wenn der Angestiftete gar nicht mehr zur Tat überredet zu werden braucht, sondern schon dazu entschlossen ist (RGSt. 74 304). Es ist im übrigen gleichgültig, aus welchem Grunde es nicht zu der erstrebten Falschaussage kommt. Als Beispiele sind zu nennen, daß der Zeuge entgegen dem Wunsch des Anstifters bei der Wahrheit bleibt (RGSt. 64 224), daß die Aufforderung des Anstifters ihn erst verspätet, nämlich nach der Vernehmung (RGSt. 59 272) oder gar nicht erreicht (RGSt. 59 370, 372; BGHSt. 8 262), daß der

1

Blei JA 1971 304, 445; Wessels BT 1 21. Aufl. Rdn. 760; Krey BT 1 Rdn. 585; Maurachl SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 86; Willms Voraufl. Rdn. 1; im gleichen Sinne schon Kohlrausch/Lange Anm. II; weitergehend noch Vormbaum NK. Rdn. 20 und G A 1986 369, nach dem die Anstiftung zum Versuch generell straflos sein soll.

(181)

2

Dreher M DR 1971 410; Schröder JZ 1971 563; Otto JuS 1984 161, 170 und Grundkurs Strafrecht BT §97 Rdn. 79; Wessels/Hettinger BT 1 § 17 Rdn. 781; ferner Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4; Lackneri Kühl Rdn. 3; TröndlelFischer Rdn. 4; vgl. auch Tröndle GA 1973 337; sowie die frühere Rechtsprechung: BGHSt. 17 303; RGSt. 72 81; 73 313.

Wolfgang Ruß

§160

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

Zeuge nur fahrlässig falsch (RGSt. 64 225) oder entgegen der Annahme des Anstifters gutgläubig falsch aussagt (OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141). 3

II. Der Vorsatz des Anstifters muß darauf gerichtet sein, daß der Angestiftete den Tatbestand des § 153 oder des § 156 nach der äußeren und inneren Tatseite verwirklicht (BGHSt. 9 379). Bedingter Vorsatz genügt. Der innere Tatbestand des § 159 ist daher auch erfüllt, wenn der Zeuge von seiner im Sinne des Anstifters gemachten Aussage überzeugt ist, während ihn der Anstifter für bösgläubig hält (OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141)3. Ist umgekehrt der Anstifter von der Gutgläubigkeit der Beweisperson überzeugt, so greift § 160 ein, auch wenn die Beweisperson in Wahrheit bösgläubig ist (vgl. § 160 Rdn. 2 und 8). Unzurechnungsfähigkeit des Angestifteten hindert die Anwendung des § 159 ebenfalls nicht (RGSt. 64 225).

4

III. Ein Versuch nach § 159 ist nach allgemeinen Regeln nicht möglich. Teilnahme kann in Form der Anstiftung geleistet werden. Verleitung mehrerer Personen kann durch eine Handlung geschehen (RG GA Bd. 49 264). Umgekehrt können in der wiederholten versuchten Anstiftung einer Person mehrere selbständige Handlungen zu finden sein (RG G A Bd. 44 261). Beihilfe zur versuchten Anstiftung soll nach BGHSt. 14 156 straflos sein (ebenso Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 8; Roxin LK § 30 Rdn. 48), doch ist der überzeugenden Gegenauffassung von Dreher GA 1954 18 und NJW 1960 1153 (auch Busch LK 9 § 49 a Rdn. 37) beizutreten. IV. Für den strafbefreienden Rücktritt gelten die Grundsätze des § 31 Abs. 1 Nr. 1.

§160 Verleitung zur Falschaussage (1) Wer einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schriftum Eschenbach Verleiten im Sinne des § 160 StGB, Jura 1993 407; Gallas Verleitung zum Falscheid, Engisch-Festschrift S. 600; Hruschka Anstiftung zum Meineid und Verleitung zum Falscheid, JZ 1967 210; vgl. ferner die Schrifttumsangaben zu § 156 und vor § 153.

Entstehungsgeschichte Durch die VO vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 339) wurde die falsche uneidliche Aussage in den Tatbestand einbezogen. Die Vorschrift ist also aus den §§ 153 bis 156 zu 3

Zum letzten ebenso LacknerlKühl Rdn. 3; Schi Schröder!Lenckner Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 2; Bockelmann G A 1954 199; Gallas Engisch-Festschrift S. 620; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 90 nimmt § 160 an; TröndlelFischer

§ 160 Rdn. 3 nimmt Anstiftung zum jeweiligen Aussagedelikt an; ebenso Sax M D R 1954 69; Hruschka JZ 1967 210 und Hruschka!Kässer JuS 1972 713 halten Tateinheit zwischen § 159 und § 160 für gegeben.

Stand: 1.7. 1999

(182)

Verleitung zur Falschaussage

§160

ergänzen. Durch Art. 12 EGStGB kam die wahlweise Androhung der Geldstrafe in die Vorschrift. Im übrigen entspricht der Tatbestand der ursprünglichen Fassung. Eine genauere Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Paragraphen muß davor warnen, ihm eine zu weitgehende Bedeutung, insbesondere für grundsätzliche Fragen wie ζ. B. den Begriff der Falschaussage und seine objektive oder subjektive Orientierung (vgl. Rdn. 8ff, 15ff vor § 153), beizulegen. Er ist erst das Ergebnis der 3. Lesung des Strafgesetzentwurfs im Reichstag. Das preuß. StGB von 1851 kannte in seinem § 130 nur eine dem § 159 a. F. entsprechende Vorschrift. Vorschläge im Sinne des jetzigen § 160 waren zwar schon zu den Entwürfen des preuß. StGB aufgetaucht, damals aber verworfen worden (Schütze, Lehrb. deut. Strafr. 1871 S. 313 Anm. 21). Den Weg für die neue Vorschrift im Sinne des „si quis deduxerit alium in perjurium ignorantem" der deutschen Rechtsbücher bereitete vor allem die Schrift von A. S. Schultze Die Verleitung zum falschen Eide als selbständiges Verbrechen, die 1870 erschienen war. Hier war allerdings statt der schon bald als widersinnig und unbegreiflich kritisierten Privilegierung im Strafmaß, wie sie die vom Reichstag angenommene Regelung brachte, strenge Bestrafung befürwortet. Näheres zur Entstehung u. a. bei Gallas Engisch-FestschriftS. 601. I. Die Vorschrift betrifft die Verleitung zum Falscheid, zur Ableistung einer falschen 1 Versicherung an Eides Statt und zur falschen uneidlichen Aussage. Sie füllt die Lücke, die sich daraus ergibt, daß es sich bei den §§ 153 bis 156 um eigenhändige Delikte handelt, die nicht in mittelbarer Täterschaft begangen werden können (vgl. Rdn. 7 vor §153)'. Während in den Fällen der Anstiftung zu den genannten Delikten und im Falle des § 159 der Wille des Verleiters dahin geht, daß die Aussageperson wissentlich falsch aussagt, ist dieser Wille hier darauf gerichtet, daß der zu Verleitende gutgläubig, wenn auch vielleicht fahrlässig, im Sinne des Verleiters falsch aussagt. Der Verleiter weiß und will, daß der zu Verleitende eine Aussage macht, die nach seiner - des Verleiters - Vorstellung unwahr ist, er weiß aber auch zugleich oder nimmt doch an, daß der Verleitete an die Wahrheit seiner Aussage glaubt (RGSt. 61 221). „Der Schwörende weiß nicht und der Wissende schwört nicht" (Frank Anm. I). Das „Gegebene" wäre, den Verleiter als „mittelbaren Täter" eines Meineids usw. zu bestrafen, weil er sich des anderen als gutgläubigen Werkzeugs bedient. Durch eine ausdrückliche Vorschrift dieses Inhalts hätte der Gesetzgeber das dogmatische Hemmnis der Eigenhändigkeit beiseite schieben und in diesem Sinne ,gleichziehen' können. Daß er es nicht getan hat und einen eigenständigen, nur äußerlich an den §§ 153 bis 156 orientierten Tatbestand mit milderer - vielleicht allzu milder - Strafdrohung schuf, erklärt Gallas EngischFestschrift S. 600, 607 mit dem Ausscheiden der Komponente des besonderen personalen Unrechts auf der Seite des gutgläubigen Verleiteten (vgl. dazu Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3). Die in diesem Sinne tatbestandsmäßig erhebliche Gutgläubigkeit des Verleiteten in bezug auf die Wahrheit seiner Aussage wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Verleitete den Tatbestand des § 163 verwirklicht haben kann oder sogar bestimmt verwirklicht hat 2 . II. Gutgläubigkeit des Verleiteten als wesentliches Element des Tatbestandes ist in 2 verschiedenen Beziehungen in Zweifel gezogen worden. Das zeigte sich einmal bei der Behandlung der Frage, ob in dem Fall, daß der Verleitete wider Erwarten bewußt 1

Vgl. Gallas Engisch-Festschrift S. 600, 606; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 1; Vormbaum NK Rdn. 14;

(183)

2

Rudolphi SK Rdn. 1 f; Heinrich JuS 1995 1115, 1118. RGSt. 25 213; 64 223; 68 278; 70 268.

Wolfgang Ruß

§160

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

falsch aussagt, eine bloß versuchte oder eine vollendete Tat nach § 160 gegeben ist. Im Gegensatz zum RG, das hier einen Versuch als gegeben ansah 3 und damit im Schrifttum auf Widerspruch stieß 4 , hat BGHSt. 21 116 ein vollendetes Vergehen nach § 160 angenommen, weil es allein darauf anzukommen habe, daß der die Rechtspflege gefährdende äußere Erfolg der Tat eingetreten sei und es für dieses Ergebnis keine Bedeutung habe, ob eine bewußt oder unbewußt falsche Aussage des Verleiteten vorlag. Mit der sich in diesem Zusammenhang ergebenden dogmatischen Problematik haben sich Hruschka JZ 1967 210 und Gallas Engisch-Festschrift S. 600 kritisch auseinandergesetzt. Hruschka kam dabei über die Zustimmung zur Entscheidung BGHSt 21 116 in ihrem Ergebnis zu einem ganz neuen Verständnis des § 160 und des Verhältnisses zwischen diesem Tatbestand einerseits und den §§ 48, 49 a (alter Fassung) in Verbindung mit den §§ 153 bis 156 und § 159 andererseits. Diese Tatbestände sollen sich nicht mehr, wie bisher allgemein angenommen, gegenseitig ausschließen, weil § 160 streng auf den Fall der gutgläubig falsch aussagenden Auskunftsperson beschränkt ist, sondern sie sollen sich unter Aufgabe dieses Kriteriums in dem Sinne überdecken, daß § 160 als Grundtatbestand alle Fälle der Veranlassung einer falschen Aussage durch einen Hintermann erfaßt (vgl. auch Hruschka!Kässer JuS 1972 709, 713; ebenso Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 300 und N K Rdn. 14), jedoch kraft Gesetzeskonkurrenz zurücktritt, wo mit der Anstiftung zu bösgläubiger Falschaussage ein rechtlich qualifizierter, einer höheren Strafdrohung unterliegender Fall der Verleitung gegeben ist. Gallas, der sich sowohl mit Hruschkas These wie mit der Einschätzung des § 160 als eines privilegierten Falles der Anstiftung zum Meineid durch Roxin (Täterschaft und Tatherrschaft S. 394f) auseinandersetzt, hält demgegenüber daran fest, daß §160 „nicht nur eine scheinbare, sondern eine tatsächlich bestehende Strafbarkeitslücke geschlossen hat und seinem sachlichen Grund nach nur als ein Sonderfall strafbarer Urheberschaft verstanden werden kann". Auf dieser Grundlage redet er weiterhin der Rechtsprechung des RG das Wort: Wo der Verleiterwille auf Leistung einer gutgläubigen Aussage gerichtet ist, nimmt die Aussageperson, die statt dessen nach dem Erkennen der bösen Absicht des Verleiters sein Ansinnen nicht zurückweist, sondern es durch eine bewußt unwahre Aussage übertrumpft, dem „Verleiter in freiem Entschluß den rechtsgutgefahrdenden Erfolg aus der Hand und macht ihn zu ihrem eigenen Werk". Damit bleibt es beim Versuch. - Allerdings lag es dem BGH durchaus fern, mit seiner Entscheidung an dem bisherigen Verständnis des Tatbestands zu rütteln. Ihn bestimmte, wie schon die früheren Kritiker der Rechtsprechung des RG, der Gedanke, daß das Verhalten des Verleiters durch diesen Umstand nicht weniger strafwürdig werden kann, weil es sich um eine Art ,maius' und nicht geradezu um ein ,aliud' handelt 5 . Zur Struktur des § 160 ferner Eschenbach Jura 1993 407. 3

Ähnlich zwiespältig waren die Auffassungen zu der Frage, ob §160 auch dann Platz greift, wenn der Anstifter zu einer falschen Aussage im Sinne der §§ 153 bis 156 weiß, daß der Angestiftete unzurechnungsfähig ist und deshalb zwar vorsätzlich, aber ohne strafrechtliche Schuld handeln wird. Gallas (Engisch-Festschrift S. 600, 606) machte 3

4

5

RGSt. 11 418; RG G A Bd. 64 369; RG JW 1934 1175. Frank Anm. IV; Kohlrausch/Lange Anm. III; Mezger8 Anm. 2. Im Sinne von BGHSt. 21 116 (vollendeter § 160): Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9; Lackneri Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 4; Vormbaum N K Rdn. 21 ff; Preisendanz Anm. 4a; Hruschka

JZ 1967 210; Hruschka!Kässer JuS 1972 709, 712; Heinrich JuS 1995 1115, 1118; aA (nur Versuch): Tröndle!Fischer Rdn. 3; Gallas EngischFestschrift S. 600, 619; Eschenbach Jura 1993 407; Wessels!Hettinger BT 1 § 17 Rdn. 783; Krey BT 1 Rdn. 572; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 92; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 §74 Rdn. 98f.

Stand: 1. 7. 1999

(184)

Verleitung zur Falschaussage

§160

gegenüber der Auffassung, die in diesem Fall § 160 anwenden wollte, mit Recht auf den sachlichen Unterschied aufmerksam, der zwischen den Fällen, in denen die Rechtspflege nur durch Herbeiführung einer unwahren Aussage gefährdet wird, und den anderen Fällen besteht, in denen eine (wenn auch schuldlose) Pflichtverletzung der Aussageperson als Gegenstand der Verleitung hinzutritt. Heute dürfte Übereinstimmung dahin bestehen, daß es unerheblich ist, ob die Beweisperson schuldhaft oder schuldlos handelt 6 . III. Zum Begriff der falschen Aussage vgl. vor § 153 Rdn. 8 ff. Die Divergenz zwisehen objektiver und subjektiver Theorie ist im Falle des § 160 von geringer praktischer Tragweite. Sie zeigt sich nur in dem kaum vorkommenden Fall, daß die vom Verleiter für unwahr angesehene Tatsache in Wirklichkeit wahr ist. Hier wäre nach der subjektiven Theorie weiterhin ein vollendetes, nach der objektiven nur ein versuchtes Vergehen nach § 160 gegeben. Die im Sinne des § 160 relevante Gutgläubigkeit der Aussageperson kann in Fällen dieser Art darin bestehen, daß sie sich als Zeuge in der Rolle eines Eideshelfers sieht, der einen Überzeugungseid zu leisten hat. Auf die Pflicht des vernehmenden Richters, solche Unklarheiten auszuräumen, kann nicht nachhaltig genug hingewiesen werden.

4

IV. Verleiten bezeichnet auch hier die zu einer selbständigen Straftat erhobene 5 Anstifttung, die Einwirkung auf den Willen eines anderen, welche diesen bestimmt, die vom Verleiter gewollte Tat zu verwirklichen 7 . Der Verleiter kann dabei entweder in der Weise tätig werden, daß er den schon im Irrtum über die Richtigkeit seiner Aussage befindlichen Zeugen bestimmt, diese unrichtige, vom Zeugen für richtig gehaltene Aussage zu leisten und gegebenenfalls zu beeiden, oder in der Weise, daß er das Wissen des Zeugen diesem unbewußt in falsche Bahnen lenkt und veranlaßt, daß der so in Irrtum versetzte Zeuge im Sinne des Verleiters unwahr aussagt (RG Recht 1917 1351). Wille und Vorstellung des Verleiters müssen darauf gerichtet sein, daß die Beweisperson in seinem Sinne eine Aussage macht, einen Eid leistet, ohne daß sie sich der Unrichtigkeit ihrer Aussage bewußt ist. Sie ist auch gutgläubig, wenn sie die Unrichtigkeit ihrer Aussage fahrlässig nicht erkennt. Eine Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt liegt nach RGSt. 34 298 daher auch vor, wenn der Unterzeichner einer entsprechenden schriftlichen Erklärung über deren wahren Inhalt getäuscht wird und infolgedessen gar nicht weiß, daß er eine eidesstattliche Versicherung unterschreibt (RGSt. 70 267; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7). Nicht ganz klar RG JW 1938 1159, wo Wissen und Einverständnis des Verleiters mit der Einreichung der eidesstattlichen Versicherung bei einer Behörde gefordert wird, es aber nicht darauf ankommen soll, ob er auch im Sinne des § 156 über die Zuständigkeit der Behörde unterrichtet ist. Zu verlangen ist, daß er die Zuständigkeit der betreffenden Behörde zum mindesten für möglich hält (vgl. § 156 Rdn. 5). Selbstverständlich kann das Verleiten auch durch Einschaltung eines (gutgläubi- 6 gen) Mittelsmannes geschehen. Allerdings reicht - im Gegensatz zu § 159 - die bloße Einwirkung auf einen Dritten mit dem Ziel, ihn entsprechend der zweiten Alternative des § 30 (Kettenanstiftung) als Verleiter zu gewinnen, nicht aus; dies wäre nur als (straflose) Vorbereitungshandlung anzusehen. Erst wenn der Mittelsmann zum Einwirken auf die Aussageperson ansetzt, ist bei § 160 das Stadium des Versuchs erreicht (RGSt. 59 371). 6

Vgl. Gallas Engisch-Festschrift S. 600, 606f; Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 2, 6; Heinrich JuS 1995 1115, 1118.

(185)

7

RGSt. 15 149; RG G A Bd. 52 245; OLG Köln N J W 1957 553; OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141.

Wolfgang Ruß

§163 7

9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

V. Der Versuch ist, wie sich aus Absatz 2 ergibt, strafbar (aA H. J. Hirsch JZ 1955 234). Die Regelung gilt f ü r alle Fälle, auch f ü r Fälle eines untauglichen Versuchs. Willms (Voraufl. R d n . 7) will die von BGHSt. 24 38 f ü r § 159 ausgesprochenen Erkenntnisse auf § 160 übertragen u n d demgemäß nur die Verleitung zu einer Aussage als tatbestandsmäßig gelten lassen, mit welcher die Aussageperson alle äußeren Merkmale eines der einbezogenen Tatbestände tauglich verwirklicht oder verwirklichen würde. D e m kann angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht zugestimmt werden. Im übrigen wird auf die Ausführungen zu der vergleichbaren Problematik bei §159 verwiesen (dort R d n . l f ) 8 . Versuch ist danach z.B. gegeben, wenn entweder die Bemühung des Täters zur Beeinflussung der Aussageperson scheitert oder wenn die Aussageperson zwar gewonnen wird, die Aussage d a n n aber aus anderen G r ü n d e n nicht zustande kommt oder wenn die Aussage wahr ist (RGSt. 15 148). In der erfolglosen Aufforderung eines Dritten, die Aussageperson im Sinne des Tatbestandes zu beeinflussen, liegt noch kein Versuch (RGSt. 45 282; vgl. R d n . 6).

8

VI. Zur inneren Tatseite ist Vorsatz erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. D o c h bleibt zu beachten, d a ß stets die Vorstellung des Verleiters, der Verleitete halte, wenn auch fahrlässig, seine Aussage für wahr, wesentlich ist. Sieht der Verleiter es als möglich an, d a ß der Verleitete im Sinne seiner eigenen - des Verleiters - Vorstellung vorsätzlich unwahr aussagt, so scheidet § 160 aus, wenn diese Erkenntnis von A n f a n g an bestand oder sich bis zum Ende der als Verleitung zu beurteilenden Einwirkung auf die Beweisperson einstellte. D a s gilt auch dann, wenn der Verleiter sich mit dieser A n n a h m e irrt u n d die Beweisperson in Wahrheit gutgläubig ist und bleibt. Hruschka (JZ 1967 210, 212) möchte aus seinem Verständnis des § 160 in diesem Fall ein Vergehen nach § 160 in Tateinheit mit erfolgloser Anstiftung nach §§ 154, 30 oder § 159 als gegeben ansehen. Dagegen will Preisendanz A n m . 4 nur § 160 anwenden.

§§

161,162

weggefallen

§163

Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt (1) Wenn eine der in den §§ 154 bis 156 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden ist, so tritt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ein. (2) Straflosigkeit tritt ein, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. Die Vorschriften des § 158 Abs. 2 und 3 gelten entsprechend.

Schrifttum Dedes Grenzen der Wahrheitspflicht des Zeugen, JR 1983 99; Engisch D i e Verletzung der Erkundigungspflicht, Z S t W 52 (1932) 661; Krehl Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei feh8

Im gleichen Sinne SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 8; LacknerlKühl Rdn. 3;

aA auch Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 302 und N K Rdn. 26.

Stand: 1. 7. 1999

(186)

Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt

§ 163

lender oder beeinträchtigter Erinnerung und mögliche Folgen ihrer Verletzung, NStZ 1991 416; Liepmann Der fahrlässige Falscheid des Zeugen, Hänel-Festgabe (1907) S. 339; Mannheim Fahrlässiger Falscheid, Frank-Festgabe II S. 315; Neumann Der fahrlässige Falscheid (1937); Nöldeke Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht, NJW 1979 1644; Sipmann Der fahrlässige Falscheid als Tatbestand des Strafrechts, Diss. Leipzig 1936. Vgl. ferner die Angaben vor § 153 und zu §§ 156, 160. Entstehungsgeschichte Die zum ursprünglichen Bestand des StGB gehörende Vorschrift hat nur geringe Änderungen erfahren. Der Tatbestand der falschen uneidlichen Aussage ist bewußt nicht in den Kreis der bei fahrlässiger Begehung strafbaren Handlungen des Abschnitts einbezogen worden (Art. 1 Nr. 6 der 2. DurchführungsVO zur StrafrechtsangleichungsVO vom 20.1.1944 - RGBl. I S. 41). Absatz 2 wurde durch Art. 2 Nr. 28 des 3. S t r R Ä n d G neu gefaßt: Geldstrafe statt Freiheitsstrafe wurde nach Art. 12 Abs. 1 E G S t G B möglich. I. Die Vorschrift behandelt den fahrlässigen Falscheid in Anknüpfung an §§154, 1 155 und die fahrlässige Versicherung an Eides Statt in Anknüpfung an § 156. Die unzutreffende Bezeichnung „fahrlässiger Meineid" (Binding Lehrb. 2 150) ist schon von RGSt. 32 118 abgelehnt worden und ganz außer Gebrauch gekommen. Der Tatbestand war von Anfang an umstritten. Mit besonderer Entschiedenheit wandte sich John im Entwurf mit Motiven zu einem StGB für den Norddeutschen Bund (1868) S. 377 gegen die Pönalisierung „fahrlässiger Unwissenheit". Später hat Mannheim Festgabe für Frank II S. 318 die wohl härteste Kritik geübt: „Der Tatbestand des fahrlässigen Falscheides ist an sich ,konstruierbar', und es mag auch gelegentlich ein Bedürfnis bestehen, den Täter zu bestrafen. Aber es hat sich - auch in den letzten Jahrzehnten - gezeigt, daß die Handhabung des Fahrlässigkeitsbegriffs gerade auf diesem Gebiet zu schwierig ist, als daß sie mit den unserer heutigen Rechtspflege zur Verfügung stehenden Mitteln bewältigt werden könnte. Man spricht von einer unvermeidlichen Betriebsgefahr bei der Ausübung der Rechtspflege. Aber wo diese Betriebsgefahr so stark ist, daß das öffentliche Interesse an der Fortführung des Betriebes hinter ihr gar zu sehr zurücktritt, da muß der Betrieb geschlossen werden. Der Betrieb des § 163 StGB ist augenblicklich für eine Schließung r e i f . Mannheims Erwartung, der E 1930 werde mit der Streichung und Ersetzung der Vorscnrift durch eine Strafbestimmung über die Verletzung der Erkundigungspflicht bald Gesetz werden, erfüllte sich freilich nicht, und schließlich hat der E 1962 nicht mehr auf den Tatbestand verzichten wollen, sondern sich mit dem Vorschlag begnügt, dem Übel durch die Beschränkung auf eine fahrlässige Begehung im Grade der Leichtfertigkeit beizukommen. Jedenfalls kann gesagt werden, daß auch spätere Erfahrungen das Verdikt von 1930 nicht entkräften konnten. Vorerst bleibt nichts übrig, als dem Richter äußerste Zurückhaltung bei der Anwendung der Vorschrift zu empfehlen und die Heranziehung des § 153 StPO überall anzuraten, wo Unzulänglichkeiten der Vernehmung im Spiel gewesen sein können (zust. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1 ; Vormbaum N K Rdn. 12). II. Der äußere Tatbestand ist zunächst durch die §§ 154 (155), 156 bestimmt. Dem- 2 nach ist erforderlich, daß jemand „vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört" oder „vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt". Was in diesem umfassenden Sinne „falsch aussagen" bedeutet, ist vor § 153 Rdn. 8 ff, 13 f näher darti 87)

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gelegt worden. Wie bei den vom Tatbestand erfaßten Delikten liegt eine Falschaussage vor, wenn sie der Wirklichkeit nicht entspricht (anders Willms Voraufl. Rdn. 2, der von der subjektiven Aussagetheorie ausgeht). 3

III. Die Handlung des § 163 muß aus Fahrlässigkeit begangen sein. Die Unkenntnis des Umstandes, welcher die Anwendung eines der in Bezug genommenen Tatbestände vorsätzlicher Tatbegehung ausschließt, muß auf Fahrlässigkeit beruhen. Ein bestimmter Grad des fahrlässigen Verschuldens wird nicht gefordert. Grundlage der Fahrlässigkeit bildet ein pflichtwidriges Unterlassen, das an die der Beweisperson auferlegte Wahrheitspflicht anknüpft, mit der sich je nachdem eine Pflicht zur Vorbereitung der Aussage verbinden kann. In der Begründung der Vorwerfbarkeit des Irrtums im Einzelfall liegt die Crux des Tatbestandes. Diese Vorwerfbarkeit hängt einmal wie auch sonst ab von den besonderen persönlichen Verhältnissen der beschuldigten Beweisperson, ihrer geistigen Spannkraft und Intelligenz, ihrem geistigen und körperlichen Zustand im Augenblick der Vernehmung. Sie kann darin liegen, daß der Aussagende sich der Unwahrheit seiner Aussage gar nicht bewußt ist oder daß er glaubt, seine Angaben gehörten nicht zum Beweisthema, würden also nicht von der Wahrheitspflicht erfaßt. Hierher ist auch der in RGSt. 34 298 entschiedene Fall zu rechnen, wo der Unterzeichner einer schriftlichen Erklärung, deren Inhalt falsch war, nicht erkannte, daß es sich um eine eidesstattliche Versicherung handelte (vgl. § 160 Rdn. 5). Schließlich kann die Fahrlässigkeit in dem in der Praxis nicht gerade häufigen Umstand begründet sein, daß der Täter die Stelle, vor der er aussagt oder vor der er eine eidesstattliche Erklärung abgibt, für nicht zuständig hält. Da die an den Aussagenden zu stellenden Anforderungen verschieden sein können, je nachdem in welcher prozessualen Situation er sich befindet (Zeugenvernehmung oder Parteivernehmung oder Abgabe einer möglicherweise spontanen Versicherung an Eides Statt), muß bei der Bewertung seines Verhaltens hierauf Bedacht genommen werden (vgl. Rdn. 5 ff).

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Mit den Eigenheiten des Fahrlässigkeitserfordernisses im Falle des § 163 hat sich insbesondere Boldt ZStW 55 (1936) 65ff befaßt, der diesen Tatbestand u.a. mit dem des früheren § 240 KO und des § 21 RPresseG in Vergleich setzt und zu einer Gruppe von dogmatischer Gleichartigkeit verbinden möchte. Darin spricht sich immer noch die Vorstellung aus, welche die Aussage und den sie bekräftigenden Eid nicht als Ganzes nimmt und den Schwerpunkt des Vorsatz-Tatbestandes nicht in der (feierlich bekräftigten) unwahren Aussage, sondern in der Eidesleistung als solcher findet. Von daher muß es dann (mit den Worten Boldts) als merkwürdige Anomalie empfunden werden, daß, wenn man als den von der Fahrlässigkeit umfaßten Erfolg „statt" des Eides die falsche Aussage nimmt, es nicht wie sonst bei anderen Fahrlässigkeitstatbeständen der gleiche körperliche Akt, nur unterschieden nach der subjektiven Willensrichtung, ist, der die Zurechnung einmal zu Vorsatz, das andere Mal zur Fahrlässigkeit begründet. Eine weitere Merkwürdigkeit besteht darin, wie verschieden in bezug auf § 163 die Bedeutung bewußter oder unbewußter Fahrlässigkeit eingeschätzt worden ist. Während Mezger in seiner Anm. zu RG JW 1929 778 betont, daß jede Feststellung dieser Schuldform eine bewußte „Kenntnis" des Täters von greifbaren Anhaltspunkten voraussetze, die seine Pflichtverletzung zu einer bewußten Pflichtverletzung mache und ihn die Bedeutung der verletzten Pflicht erkennen lasse, hat der BGH in GA 1973 375 betont, daß bewußte Fahrlässigkeit beim fahrlässigen Falscheid so gut wie unmöglich sei; denn sie würde den Zweifel des Täters an der Richtigkeit seiner Aussage voraussetzen, und die NichtofTenbarung des Zweifels müßte die Beurteilung als vorsätzliche Falschaussage begründen. Stand: 1. 7. 1999

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IV. Der wichtigste und zugleich besonders problematische Fall des § 163 ist der 5 fahrlässige Falscheid des Zeugen und der Prozeßpartei, der darin gefunden wird, daß die Aussage hinter der für die Beweisperson erreichbaren Kenntnis von dem zum Gegenstand ihrer Vernehmung gemachten Vorgang zurückbleibt. Hier ergibt sich eine wichtige Unterscheidung unter dem Aspekt der Frage, ob und in welchem Umfang die Beweisperson zu einer Vorbereitung auf ihre Aussage verpflichtet ist und inwieweit dem entsprechend eine Fahrlässigkeit darin gefunden werden kann, daß eine solche Vorbereitung unterblieben ist. Dagegen kann von vornherein kein Vorwurf daraus abgeleitet werden, daß die Beweisperson das Vorkommnis, über das sie aussagen soll, seinerzeit nicht genau genug beobachtet oder dabei nicht aufmerksam genug zugehört habe (RG DJ 1935 966; vgl. jedoch. Rdn. 8). 1. Der Zeuge ist sowohl im Zivil- wie im Strafprozeß grundsätzlich nicht verpflieh- 6 tet, sich auf seine Vernehmung vorzubereiten. Seine Rechtspflicht, sein Wissen und seine Erinnerung hervorzuholen und getreulich zu reproduzieren, beginnt erst mit der Aussage selbst.1 Ihm kann deshalb auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er auf den außerhalb seiner Vernehmung liegenden Teil der Gerichtsverhandlung, vor allem auf die Aussagen anderer Zeugen, bei denen er zugegen war, nicht achtgegeben hat (RG GA Bd. 50 399). Eine Erweiterung der Zeugnispflicht durch eine Pflicht zur Vorbereitung besteht auch nicht für den sachverständigen Zeugen (BayObLG NJW 1956 601) oder (mit der anschließend zu erörternden Ausnahme) für Personen, die kraft einer öffentlich-rechtlichen Funktion oder Aufgabe mit den Dingen befaßt waren, die Gegenstand des Beweises sind. 2. Eine der Vernehmung vorausgehende Vorbereitungspflicht ist jedoch grundsätz- 7 lieh für Zeugen zu bejahen, die in amtlicher Eigenschaft, sei es als Polizeibeamte im Rahmen der §§161, 163 StPO, sei es als Staatsanwälte, Ermittlungs- und Untersuchungsrichter in der Sache tätig gewesen sind und über die von ihnen hierbei gewonnenen Erkenntnisse vernommen werden sollen. Sie haben, soweit ihnen die bei dieser Tätigkeit angefallenen schriftlichen Unterlagen ohne weiteres zugänglich sind, sich dieser zur Auffrischung ihres Gedächtnisses zu bedienen. 2 Wesentlich ist die Vorbereitung außerdem für Zeugen, welche Wahrnehmungen, über die sie zu vernehmen sind, erst machen oder vertiefen sollen, die also als Zeugen über Erkenntnisse berichten, die sie von vornherein ausschließlich im Hinblick auf ihre Zeugenrolle gewonnen oder erweitert haben. Hierher gehören die Fälle, in denen ein Augenschein durch die Aussage eines Zeugen ersetzt wird, der die Ortlichkeit zu diesem Zweck besichtigt hat (vgl. BGHSt. 22 347).3 3. Eine Vorbereitungspflicht trifft auch die Prozeßpartei, soweit sie sich, was in 8 ihrem Belieben steht, zur eidlichen Parteivernehmung bereit findet. Dieser von der Rechtsprechung des RG vertretenen und vom BGH übernommenen Auffassung 4 ist

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RGSt. 37 399; 62 126; 65 28; RG JW 1936 260; RG H R R 1938 Nr. 631; BGH bei Daliinger M D R 1953 596; 1 StR 366/57 vom 15.10.1957; O L G Köln NJW 1966 1420; vgl. auch BGH G A 1973 376, 377; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 2; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 75; Bohnert JR 1984 426; Krehl NStZ 1991 416; vgl. auch Dedes JR 1983 100.

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Lackneri Kühl Rdn. 2; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 4; aA mit beachtlichen Gründen Krehl NStZ 1991 416 und Nöldeke NJW 1979 1644; ebenfalls Vormbaum N K Rdn. 28. Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; einschr. auf Fälle, die eine besondere Sachkunde erfordern Vormbaum NK Rdn. 34. Vgl. RG H R R 1938 Nr. 631; 1941 Nr. 1019; BGH 4 StR 158/57 vom 23.5.1957.

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die Lehre weitgehend beigetreten, 5 wobei sie gleicherweise auf die Stellung der Partei im Verfahren abhebt. Wenn der Partei verstattet wird, daß sie aus freien Stücken einen Beitrag von zeugenschaftlichem Gewicht zur Tatsachenfeststellung leistet, so muß dieser Beitrag umfassend und gründlich sein und im Rahmen des schon vorgegebenen Prozeßverhältnisses erbracht werden. 9

4. Soweit eine Vorbereitungspflicht für Parteien und Zeugen zu bejahen ist, zielt dies in der Regel nur darauf ab, daß die Beweisperson ihr ursprüngliches Wissen einschließlich etwaiger für die kritische Bewertung ihrer Sinneseindrücke bedeutsamen Umstände auffrischt. Es hat also - von dem Rdn. 7 a. E. behandelten Fall des „Zeugen kraft Auftrags" abgesehen - nicht den Sinn, daß die Beweisperson weiterreichende Ermittlungen betreiben und Dinge aufklären müßte, die sich ihrer ursprünglichen Erkenntnis entzogen haben. In diesem Sinne muß davor gewarnt werden, das vom OLG Celle NJW 1957 1609 für den Fall einer spontanen eidesstattlichen Versicherung Gesagte auf die mündliche Zeugenaussage vor Gericht zu übertragen. Wesentlich bleibt immer, daß die Beweisperson Art und Grenzen der Quellen ihres Wissens deutlich erkennbar macht und daß der Vernehmende in diesem Sinne auf sie einwirkt und bloße Mutmaßungen und Schlußfolgerungen auszuscheiden weiß. Wo der vernehmende Richter dies versäumt hat, darf ihm der Strafrichter keine Gefolgschaft leisten, indem er (vgl. BGH 1 StR 290/54 v. 19.10.1954) eine falsche Schlußfolgerung der Partei für eine Bekundung nimmt, welche die Partei bei Erfüllung ihrer Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht vermieden hätte. Im gleichen Sinne abwegig ist es, wenn das OLG Bremen NJW 1960 1828 es als tatbestandsmäßig im Sinne des § 163 ansah, daß eine (siebzigjährige!) Zeugin, die vom Hörensagen eine Schilderung ihres Neffen von dem beweisbedürftigen Vorgang zutreffend wiedergab, zugleich ihre Überzeugung von der Wahrheit dieser Darstellung zum Ausdruck brachte und es unterließ, auf mögliche Zweifel an deren Richtigkeit hinzuweisen. Vgl. auch Rdn. 17 vor § 153 und BayObLG NJW 1955 1690.

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V. Die Fahrlässigkeit des Zeugen oder der Prozeßpartei kann bei der eidlichen Falschaussage hinsichtlich des Aussageinhalts entweder darin liegen, daß die Beweisperson ihr Erinnerungsbild aus Nachlässigkeit nicht so wiedergibt, wie es in ihrem Gedächtnis noch vorhanden ist, oder darin, daß sie es in vorwerfbarer Weise verabsäumt, das in ihrem Bewußtsein vorhandene Erinnerungsbild zu prüfen und auf diese Weise ein besseres Erinnerungsbild zu gewinnen oder zum mindesten die Fragwürdigkeit des vorhandenen zu erkennen. 6

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1. Hauptbeispiel für die erste Alternative: Die Beweisperson sagt aufs Geratewohl aus und bekundet aus diesem Grunde etwas Falsches; sie wäre sich ohne weiteres der Wahrheit bewußt geworden, wenn sie nur nachgedacht und sich die Sache überlegt hätte (RGSt. 42 237). Weitere Beispiele: Die Beweisperson sagt unvollständig aus, indem sie etwas zum Beweisthema Gehöriges, was ihr vorschwebt und was sie an sich auch bekunden will, schließlich zu sagen vergißt (RGSt. 57 152). Sie gibt etwas als sicheres Wissen aus, obwohl sie sich darüber klar sein müßte, daß ihr das sichere Wis5

6

SehlSchröder/Lenckner Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudotphi SK Rdn. 9; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 74; aA Vormbaum NK Rdn. 35. RG JW 1936 260; RG HRR 1938 Nr. 631 ; BGH 3 StR 339/51 vom 2.8.1951; OLG Dresden JW 1930 3434 m. Anm. Alsberg; BGH bei Dallinger

M DR 1953 597; GA 1967 215; BayObLG NJW 1956 601; OLG Karlsruhe GA 1971 60; OLG Köln MDR 1980 421 ; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4; LacknerlKühl Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 5.

Stand: 1. 7. 1999

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sen fehlt (BGH b. Daliinger M D R 1953 597). Sie erkennt unter der Vernehmung, daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat und versäumt dann entgegen ihrem Vorhaben, es zu berichtigen (RGSt. 45 151). In der Entscheidung wird auf den vergleichbaren Fall verwiesen, der der Entscheidung RGSt. 30 54 zu Grunde lag; bedenklich ist allerdings die dort erkennbare Meinung, der Zeuge müsse bei der Vereidigung noch einmal alles Gesagte gedanklich rekapitulieren und handle nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig, wenn er dabei etwas vorher mit vollem Bewußtsein falsch Bekundetes nicht mit einbeziehe. Weiter noch: Die Beweisperson kombiniert zwei zeitlich weit auseinander liegende Vorgänge und begründet durch die Art der Verknüpfung eine falsche zeitliche Orientierung (RG JW 1928 721). Sie gibt nicht acht bei der Verlesung der Niederschrift mit der Folge der Nichtbereinigung eines Mißverständnisses des Vernehmenden oder eines eigenen Irrtums (RG JW 1932 3073 mit Anm. Mezger). Unaufmerksamkeit beim Diktieren des Protokolls durch den Richter wäre ihr noch nicht anzulasten (BGH NJW 1959 1834). Mangelhafte Konzentration kann auch in der Weise zur Verwirklichung des Tatbestands des § 163 führen, daß die Beweisperson sich verspricht oder sich mißverständlich ausdrückt. Doch sollte gerade in solchen Fällen die Psychologie der Alltagserfahrung besonders beachtet werden, die Engisch ZStW 52 (1932) 667 trefflich, wie folgt, formuliert hat: „Sorgloses Drauflosreden und SichVersprechen bedeuten nicht immer Leichtsinn, sondern häufig nur unkritische Harmlosigkeit oder Ungeschicklichkeit; innere Anstrengung des Gedächtnisses, Überlegung, Nachdenken taugen auch in Verbindung mit Stirnrunzeln nicht immer zur Produktion des ,besten' Wissens, sie taugen besonders wenig, wenn es sich um Auskünfte handelt, die ein abwartend dasitzender, mehr oder weniger einschüchternder Richter soeben im Termin verlangt." Zutreffend bemerkt Welzel §77 VI lc, daß willentliche Konzentration die Reproduktion der Vorstellungen in unkontrollierbarer Weise stören kann. 2. An der Spitze der zweiten Alternative, die kraft des Grundsatzes in dubio pro reo oft an die Stelle der ersten rückt, steht die immer wieder betonte, aber auch immer wieder unbeachtete Erkenntnis, daß ein unrichtiges Erinnerungsbild sich so fest einprägen kann, daß es durch bloße Anspannung des Gedächtnisses nicht zu korrigieren ist. Willensanstrengung allein ist nicht imstande, im Gedächtnis die Erkenntnis des Wahren zu wecken.7 Daß ein in dieser Weise verfestigtes Erinnerungsbild vorhanden war, wird angesichts der für ein Erkennen innerer Zustände und Vorgänge gegebenen Grenzen oft nicht auszuschließen sein; es kann auch vorliegen, wenn die Beweisperson bei der Wiedergabe ihres Wissens den Eindruck der Saloppheit hervorgerufen hat. Jedenfalls läßt sich aus solchem äußeren Verhalten nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Beweisperson ein in ihrem Bewußtsein noch gegenwärtiges besseres Erinnerungsbild durch mangelnde Überlegung und Sorgfalt entstellt wiedergegeben habe.

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Wo ein fixiertes Erinnerungsbild besteht oder nicht auszuschließen ist, kann ein Unterbleiben der Berichtigung des Bildes der Beweisperson nur dann als ein Verstoß gegen ihre Pflicht zur wahren Aussage vorgeworfen werden, wenn sie Anhaltspunkte oder Hilfsmittel, die ihr die Möglichkeit geben, sich von der Unrichtigkeit ihres Erin-

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7

Diese Erkenntnis wird einhellig in vielen Entscheidungen bekräftigt. Genannt seien: RGSt. 57 234; 63 370; RG JW 1929 778 m. Anm. Mezger; RG HRR 1941 Nr. 1019; BGH bei Daliinger MDR 1953 597; GA 1954 118; 1967 215; 1973 376; BayObLG NJW 1956 601 ; OLG Köln

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M D R 1980 421; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; vgl. ferner Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 5.

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nerungsbildes zu überzeugen oder doch wenigstens Zweifel an dessen Verläßlichkeit zu gewinnen, nicht benutzt, obwohl sie sich ihr anbieten. 8 Ob solche Hilfsmittel durch die Vernehmungsperson im Wege des Vorhalts an den Zeugen herangetragen werden oder diesem aus eigenem Wissen gegenwärtig sind, bleibt sich gleich, und die Wahrheitspflicht kann es gebieten, daß der Zeuge von sich aus auf Möglichkeiten hinweist, die - wie etwa das Vorhandensein von Tagebuchnotizen - der Vernehmungsperson bis dahin nicht bekannt sind. Jedoch kommt es immer entscheidend auf die weitere Frage an, ob die vorwerfbare Vernachlässigung der Pflicht zur Überprüfung der in der eigenen Erinnerung bestehenden Vorstellungen zum Beweisthema für die unrichtige Aussage oder ihr Fortbestehen ursächlich gewesen ist (RGSt. 62 129; BGH 5 StR 279/54 v. 31.8.1954). Der Strafrichter muß mit anderen Worten die Überzeugung gewinnen, daß eine gewissenhafte Benutzung des Hilfsmittels für den Zeugen mindestens bis dahin bestehende Zweifel an seinem Erinnerungsbild gemildert oder solche Zweifel verstärkt hätte. Die einschlägige Rechtsprechung hat diesem Punkt zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt. In RG H R R 1941 Nr. 1019 ist er ebenso wie in BGH 3 StR 339/51 und BGH GA 1967 215 nicht angesprochen. RG JW 1936 260 geht zu weit, wenn dort gesagt wird, die Hilfsmittel hätten den Zeugen zu einer objektiv richtigen Aussage führen müssen. Unrichtig auch BGH 4 StR 433/52 v. 16.4.1953, wenn es dort im umgekehrten Sinn heißt, daß bei wahrheitsgemäß bekundeter Unsicherheit des Erinnerungsbildes auch dann eine Anwendung des § 163 auszuscheiden habe, wenn der darin liegende Irrtum auf schuldhafter Vernachlässigung der Pflicht zur Gedächtniserforschung beruhte. Das Richtige trifft RG H R R 1938 Nr. 631 mit der Formel, daß es darauf ankomme, ob das außer acht gelassene Hilfsmittel den Zeugen bestimmt haben würde, seine falschen Vorstellungen zu berichtigen. 14

Darüber, nach welchen Kriterien solche Anhaltspunkte zu bestimmen sind, sind keine Regeln entwickelt worden. Nach RG DJ 1935 124 sollen Vorgänge nicht in Betracht kommen, die selbst ein Teil des Erinnerungsbildes sind; als solche wären sie allerdings regelmäßig ein Teil der gebotenen Aussage und für die Einschätzung der Sicherheit der Wahrnehmung und Erinnerung des Zeugen von Bedeutung. Andererseits hat RGSt. 25 124 Trunkenheit und Erregung des Zeugen bei dem beweisbedürftigen Vorgang, also mögliche Teile des Erinnerungsbildes, als Anhaltspunkte betrachtet. Auch den Ablauf einer längeren Zeitspanne seit dem in Frage stehenden Vorgang und das Vorliegen und Vorhalten gegenteiliger Behauptungen und Aussagen hat die Rechtsprechung nicht als Anhaltspunkte zur Erschütterung eines verfestigten Erinnerungsbildes gelten lassen (RGSt. 63 370; RG JW 1939 87). Umgekehrt ist zu beachten, daß es auch im entgegengesetzten Sinne wirksame Anhaltspunkte geben kann, die geeignet sind, das Erinnerungsbild in seiner Verfestigung zu erhalten. 9

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3. Eine Verwirklichung des Tatbestandes erscheint schließlich möglich in den Fällen, in denen der Täter vorsätzlich Unwahres bekundet hat, aber hinsichtlich anderer wesentlicher Tatumstände in einem Irrtum befangen war. Das kann zutreffen für einen Irrtum über den Umfang der Aussage- und Eidespflicht10 und für einen Irrtum über die Zuständigkeit der Behörde oder Stelle zur Entgegennahme des Eides oder der eidesstattlichen Versicherung; MaurachlSchroetter/Maiwald BT 2 § 74 Rdn. 78 führt 8

Siehe u. a. RGSt. 57 234; 65 126, 129; RG HRR 1938 Nr. 631; 1939 Nr. 393; BGH GA 1954 118; 1967 215; 1973 377; OLG Karlsruhe GA 1971 60; OLG Köln M DR 1980 421; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; Krehl NStZ 1991 416; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl

Schröder!Lenckner Rdn. 4; LacknerlKühl Rdn. 2; TröndletFischer Rdn. 5. » Das betonen RG H R R 1938 Nr. 631; 1939 Nr. 393; RG JW 1939 87. 10 BGHSt. 3 236; 4 214; RGSt. 60 407.

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als Beispiel die Verwechslung der Kammer für Handelssachen mit einem privaten Schiedsgericht an. Schwierigkeit bereitet hier die Ableitung des Verschuldens, da die Vorwerfbarkeit jedenfalls nicht unmittelbar aus der Verletzung der Wahrheits- und Eidespflicht begründet ist; denn diese Pflicht besteht gerade nicht gegenüber einer unzuständigen Stelle oder für Fragen außerhalb des Beweisthemas. Doch wird man sagen können, daß die wissentlich falsche Aussage in einem förmlichen, der Rechtsfindung dienenden Verfahren etwas ist, was für sich allein schon eine erhöhte Aufmerksamkeit in jenen Richtungen auferlegt und dazu nötigt, Anstößen zur Überprüfung der (irrigen) Auffassung nachzugeben. Als einen solchen Anstoß sieht RG JW 1925 794 mit Recht bereits den Umstand an, daß der Gerichtsvorsitzende die Frage zuließ und selbst aufgriff. Zum Irrtum über angebliche Notstandslage RGSt. 66 227. VI. Die eidliche Aussage des Sachverständigen ist fahrlässig falsch, wenn der Sach- 1 6 verständige bei der ihm zugänglichen Kenntnis der tatsächlichen Unterlagen und bei der ihm eigenen Sachkunde zu einer anderen Uberzeugung hätte kommen müssen, als er kundgetan hat (RG JW 1933 1070 mit Anm. Hellmuth Mayer, der die Strafvorschrift vor allem als Mittel zur Bewährung der Sachverständigen vor nachlässigem Arbeiten für wichtig hält, obwohl sie in dieser Richtung nur höchst selten einmal zur Anwendung kommt). Daß der Sachverständige sein Gutachten vor der Vernehmung vorzubereiten hat und daß ein Verstoß gegen diese Pflicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit für seine Falschaussage begründen kann, ist weitgehend anerkannt." VII. Bei der eidesstattlichen Versicherung gem. § 807 ZPO besteht eine umfassende Vorbereitungs- und Aufklärungspflicht des Schuldners, deren Verletzung den Fahrlässigkeitsvorwurf begründen kann. 12 Daß der Schuldner erst nach Verhaftung und Vorführung durch einen Gerichtsvollzieher zur Abgabe der Versicherung bereit ist, ändert daran nichts (RG LZ 1925 779). Die Erkundigungspflicht des Schuldners erstreckt sich auch auf zweifelhafte Rechtsfragen (RGSt. 27 267; BGH NJW 1955 639; Rdn. 22 bei § 156). Über unrichtiges Diktat des Vernehmenden BGH NJW 1959 1334. Auch die Versicherung nach § 883 ZPO kann falsch abgegeben werden. Die Fahrlässigkeit kann hier darin liegen, daß der Schwörende bei pflichtgemäßer Sorgfalt seine Verpflichtung erkennen konnte, alles, was er über den Verbleib der Sache wußte, anzugeben, und daß der Irrtum, eine solche Verpflichtung bestehe nicht, vorwerfbar ist (RGSt. 39 42; 46 140). Der Erklärende ist nicht verpflichtet, Erkundigungen nach dem Verbleib der Sache anzustellen, muß aber alle Anhaltspunkte angeben, die zur Auffindung dienen können (RG LZ 1925 1225). Zum schuldhaften Irrtum über den Umfang der Offenbarungspflicht RG H R R 1939 Nr. 345.

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VIII. Bei in schriftlicher Form abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen zeugenschaftlichen Inhalts besteht Vorbereitungs- und Aufklärungspflicht (KG JR 1966 189, 191), wie dies in Rdn. 9 für die eidliche Parteivernehmung näher dargelegt worden ist. Übernimmt es der Erklärende, sich eines bestimmten Wissens zu berühmen, das er bis dahin noch gar nicht oder doch nicht in diesem Umfange besitzt, so setzt eine solche Erklärung die vorherige Aneignung entsprechenden Wissens, also mehr als bloße Auffrischung der Erinnerung, voraus (Celle NJW 1957 1609; OLG Karlsruhe GA 1971 59). Freilich ist auch hier streng zwischen der Wiedergabe von Wissen aus unmittel-

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Rudolphi SK Rdn. 10; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 8; Vormbaum N K Rdn. 31; Tröndlel Fischer Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 2; Otto JuS 1984 161,169; Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 74 Rdn. 74; aA Frank Anm. I.

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RGSt. 27 267; RG HRR 1938 Nr. 1077; BGH LM § 163 Nr. 1 ; Sehl Schröder! Lertckner Rdn. 10; Rudolphi SK. Rdn. 11 ; Vormbaum NK Rdn. 36; LacknerlKühl Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 7; Otto JuS 1984 161, 169.

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9. Abschnitt. Falsche uneidliche Aussage und Meineid

barer eigener Wahrnehmung, der Wiedergabe des angeblichen Wissens Dritter vom Hörensagen und bloßen Folgerungen und Meinungen zu unterscheiden, die nach außen hin wie die Wiedergabe von echten sinnlichen Erkenntnissen erscheinen mögen und sachlich allenfalls insoweit bedeutsam sind, als sie über den Grad der Parteilichkeit des Zeugen Aufschluß geben können (vgl. Rdn. 9). Die angeführte Entscheidung des OLG Celle läßt eine entsprechende Prüfung der den Gegenstand der Verurteilung nach § 163 bildenden Erklärung, „die vor 27 Jahren angelegte Wasserleitung habe den Bedürfnissen des Hofes immer in vollem Umfang genügt", vermissen und kann deshalb nur distanziert als Beleg für die bei der Abgabe schriftlicher eidesstattlicher Versicherungen bestehende Erkundigungspflicht angeführt werden. 19

Im übrigen ist die Anwendung des Tatbestandes in den Fällen unproblematisch, in denen die Beweisperson ein ihr schon fertig geliefertes Schriftstück mit einer eidesstattlichen Versicherung unterzeichnet hat, ohne seinen Inhalt geprüft zu haben (RGSt. 70 267; 34 298), oder in denen sie gar eine Blankounterschrift für eine eidesstattliche Erklärung hergibt, die erst später von einer anderen Person nach Absprache eingefügt werden soll (RG GA Bd. 57 396). Zum Tatbestand wird es jedoch in solchen Fällen immer gehören müssen, daß der Täter mindestens mit der Möglichkeit rechnet, seine Unterschrift für eine eidesstattliche Versicherung zu geben, so wie er auch immer weiß, daß er nach der mündlichen Vernehmung einen Eid leistet oder die Richtigkeit des Erklärten an Eides Statt versichert. Hat er überhaupt keine Vorstellung, zu welcher Art von Schriftstück er seine Unterschrift leistet, etwa weil ihm mit Erfolg eine andersartige Urkunde vorgetäuscht wird, so ist in Übereinstimmung mit RGSt. 15 150 und gegen RGSt. 21 198 und 34 298 schon der äußere Tatbestand zu verneinen und bleibt auf jeden Fall dunkel, wie der spezifische Fahrlässigkeitsvorwurf des § 163 begründet werden könnte. Dagegen kann § 163 zutreffen, wenn der Unterzeichner nicht weiß, daß seine eidesstattliche Versicherung bei einer Behörde abgegeben werden soll (RG LZ 1915 913).

20

IX. Rechtzeitige Berichtigung. Der Absatz 2 ist dem § 158 angepaßt, auf dessen Erläuterungen verwiesen wird. Im Gegensatz zu der Kann-Vorschrift des § 158 ist aber hier die Straflosigkeit zwingend vorgeschrieben. X. Zusammentreffen: Fahrlässige Eidesverletzung geht in der vorsätzlichen auf (RGSt. 60 58). Zwischen vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage (§ 153) und fahrlässigem Falscheid kann Tateinheit gegeben sein (BGHSt. 4 214). Die Verurteilung auf doppeldeutiger Grundlage (Wahlfeststellung) nach §§ 154 oder 156 einerseits und § 163 andererseits hat BGHSt. 4 340 gebilligt; indessen geht es hier nicht um einen Fall der sog. Wahlfeststellung, sondern um eine Verurteilung wegen fahrlässigen Handelns auf Grund eines Stufenverhältnisses (vgl. Gribbohm LK § 1 - Anhang I - Rdn. 115, 117Γ)-

Stand: 1.7. 1999

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ZEHNTER ABSCHNITT Falsche Verdächtigung

§164 Falsche Verdächtigung (1) Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizufuhren oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.

Schrifttum Becker Die falsche Anschuldigung unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen Rechts, DStrR 1943 33; Bienko Nochmals: Zur Strafbarkeit einer verabredeten Falschverdächtigung im Anschluß an Verkehrsunfálle, NZV 1993 98; Blei Falschverdächtigung durch Beweismittelfiktion, GA 1957 139; Bockelmann Zur Auslegung des § 164 Abs. 5 StGB, NJW 1959 1849; Britsch Die falsche Verdächtigung, JZ 1973 351; Deutscher Falsche Verdächtigung eines Schuldigen durch falsche Beweismittel - BGH NJW 1988, 81, JuS 1988 526; Deutscher Grundfragen der falschen Straftatverdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) (1995); Evers Sprengung an der Celler Gefängnismauer: Darf der Verfassungsschutz andere Behörden und die Öffentlichkeit täuschen? NJW 1987 153; Exner Ehrenbeleidigung durch falsche Anschuldigung (1907); Fahrenhorst Grenzen strafloser Selbstbegünstigung, JuS 1987 707; Geerds Kriminelle Irreführung der Strafrechtspflege, Jura 1985 617; Geilen Grundfragen der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), Jura 1984 251 und 300; Heilborn Falsche Anschuldigung, VDB III 105; Hirsch Literaturbericht zu Langer: Die falsche Verdächtigung, ZStW 89 (1977) 930; Hirsch Zur Rechtsnatur der falschen Verdächtigung, Schröder-Gedächtnisschrift S. 307; Köhler Die falsche Verdächtigung GS 111 289; Kühne Forum: Die sog. „Celler Aktion" und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 188; Langer Die falsche Verdächtigung (1973); Langer Aktuelle Probleme der falschen Verdächtigung, GA 1987 289; Langer Zur falschen Verdächtigung eines Zeugen durch den Angeklagten, JZ 1987 804; Langer Verdachtsgrundlage und Verdachtsurteil - Zum Begriff des „Verdächtigens" gemäß § 164 StGB, Lackner-Festschrift S. 541; Langer Zur Falschheit des Verdächtigens gemäß § 164 Abs. 1 StGB, Tröndle-Festschrift S. 265; Milzer Ist die falsche Verdächtigung mit einem Privatklagedelikt immer von Amts wegen zu verfolgen? M D R 1990 20; Müller Anklagen wegen falscher Anschuldigung, DRiZ 1957 262; Oehler Neue strafrechtliche Probleme des Absichtsbegriffs, NJW 1966 1633; Otto Die Beteiligung des Betroffenen an der falschen Verdächtigung, Jura 1985 443; Rietzsch Die vorgetäuschte Straftat und die falsche Aussage, DStrR 1943 97; Schilling Die falsche Verdächtigung nach § 164 StGB, GA 1984 345; Schilling Zur Auslegung des § 164 StGB, A. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 595; Schmitt Zur Problematik der „Auf(195)

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§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

klärungsanzeige", NJW 1960 569; H. Schneider Zur Strafbarkeit einer verabredeten Falschverdächtigung im Anschluß an Verkehrsunfälle, NZV 1992 471; Schröder Zur Rechtsnatur der falschen Anschuldigung, NJW 1965 1888; H. Simon Das Wesen der falschen Anschuldigung, Diss. Berlin 1939; Straube Wann ist die Verdächtigung des § 164 StGB falsch? DJ 1940 645; Tiedemann Strafanzeigen durch Behörden und Rehabilitierung Verdächtiger, JR 1964 5; Olsenheimer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Gefahr eigener Strafverfolgung, GA 1972 1, 21; Velten Nicht nur ein Loch in der Mauer - rechtliche Überlegungen zum Sprengstoffanschlag des Verfassungsschutzes in Celle, StV 1987 544; Vormbaum Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils (1987); Welp Der praktische Fall: Die Falle, JuS 1967 507. Entstehungsgeschichte § 164 gehört zu den „ u n r u h i g e n " Vorschriften. Z u n ä c h s t richtete sich seine Strafd r o h u n g nur gegen den, der bei einer Behörde d u r c h eine Anzeige einen anderen wider besseres Wissen einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g o d e r der Verletzung einer A m t s pflicht beschuldigte. D a s Gesetz zur Ä n d e r u n g strafrechtlicher Vorschriften v o m 26. M a i 1933 (RGBl. I S. 295) m a c h t e diesem einfachen Tatbestand ein Ende. Die B e s c h r ä n k u n g auf Beschuldigungen d u r c h „Anzeigen" (aus eigenem Antrieb, o h n e behördliche Veranlassung g e m a c h t e Mitteilungen) entfiel. Die T a t h a n d l u n g e n erhielten in den A b s ä t z e n 1 u n d 2 der Bestimmung die im wesentlichen noch heute geltenden U m s c h r e i b u n g e n . In A b s a t z 3 w u r d e die in Vorteilabsicht begangene Tat mit e r h ö h t e r M i n d e s t s t r a f e bedroht, in Absatz 5 auch die mit dolus eventualis o d e r leichtfertig verübte falsche A n s c h u l d i g u n g unter Strafe gestellt. D a s 1. S t r R G v o m 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) hat den Q u a l i f i k a t i o n s g r u n d u n d die Strafbarkeit der nur vorsätzlich o d e r leichtfertig begangenen falschen A n s c h u l d i g u n g wieder beseitigt. D a s E G S t G B vom 2. M ä r z 1974 (BGBl. I S. 469) leistete einen Beitrag, der im wesentlichen nur redaktioneller A r t sein sollte: In A b s a t z 1 trat der „ A m t s t r ä g e r " a n die Stelle des „ B e a m t e n " , die „rechtswidrige T a t " ersetzte die „ s t r a f b a r e H a n d l u n g " , die Verletzung einer „ A m t s - oder D i e n s t p f l i c h t " w u r d e auf die Verletzung einer „Dienstpflicht" reduziert u n d die verfahrensrechtliche Regelung, die § 164 i. d. F. des 1. S t r R G in Absatz 3 enthielt, b e k a m ihren Platz in der S t P O (vgl. R d n . 35 u n d 36). M i t der Ersetzung der „ s t r a f b a r e n H a n d l u n g " d u r c h die „rechtswidrige T a t " hat der Gesetzgeber aus terminologischen H a r m o n i s i e r u n g s b e m ü h u n g e n (Hirsch Z S t W 89 [1977] 931) einen u n b e d a c h t e n Eingriff v o r g e n o m m e n , der nur d a n n unbedenklich ist, wenn in ihm lediglich eine Klarstellung gesehen wird, die besagt, d a ß im R a h m e n des § 164 Abs. 1 neben Dienstpflichtverletzungen nur strafrechtswidrige H a n d l u n g e n als Gegenstand einer Beschuldigung in Betracht k o m m e n . Wer die Formel „rechtswidrige T a t " j e d o c h wörtlich n i m m t (vgl. z.B. Rudolphi S K R d n . 15), findet in ihr allerdings eine E i n s c h r ä n k u n g des § 164 Abs. 1: D i e Vorschrift k a n n nicht m e h r jene Fälle erfassen, in welchen der D e n u n z i a n t einen anderen mit wahren A n g a b e n einer den Unrechtst a t b e s t a n d eines Strafgesetzes verwirklichenden H a n d l u n g verdächtigt u n d dabei U m s t ä n d e verschweigt, aus welchen sich o h n e weiteres u n d eindeutig ergäbe, d a ß die t a t b e s t a n d s m ä ß i g e H a n d l u n g a u s materiell- o d e r verfahrensrechtlichen G r ü n d e n keine strafrechtlichen Folgen h a b e n k a n n (vgl. d a z u R d n . 15). - Z u r Entstehungsgeschichte vgl. ferner Vormbaum N K R d n . 2 ff.

Stand: 1. 9. 1999

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Falsche Verdächtigung Übersicht Rdn. I. Schutzzwecke 1. Ansichten 2. Alternativität der Schutzzwecke . . 3. Falschverdächtigung und Ehrverletzung II. Tathandlung des § 164 Abs. 1 Verhältnis zu Absatz 2 1. Verdächtigen a) Beweismittelfiktion b) Formen des Verdächtigens, Leugnen c) Tatsächliches Vorbringen, Folgerungen d) Unwahrheit e) Wesentlicher Inhalt einer Verdächtigung, Ubertreibungen, Entstellungen f) Aufklärungszweck g) Verdächtigen durch Unterlassen 2. Gegenstand der Verdächtigung a) Rechtswidrige Tat . . . . b) Dienstvergehen c) Alternative Feststellung . 3. Verdächtigung eines anderen

§164 Rdn.

III. Tathandlung des § 164 Abs. 2 1. Tatsachenbehauptungen 2. Behördliche Verfahren und Maßnahmen 3. Unwahrheit der Behauptung . . . . IV. Adressaten der Verdächtigung 1. Behörde a) Einzelfragen b) Ausländische Behörde, Zugehen, Widerruf der Verdächtigung . . 2. Amtsträger 3. Öffentliche Verdächtigung V. Vorgänge im Behördenbereich VI. Innerer Tatbestand 1. Wider besseres Wissen 2. Absicht VII. Tatvollendung VIII. § 193, Petitionsrecht, Einwilligung . . . IX. Konkurrenzfragen, Wahlfeststellung zwischen Falschverdächtigung und Falschaussage X. Verfahrensrechtliches XI. Recht des Einigungsvertrages

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11 13 14 15 15 17 19 20

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I. Die Frage nach Schutzzweck und Schutzobjekt des § Γ 64 ist noch nicht eindeutig beantwortet. Man spricht von einer „Doppelnatur" und meint damit, daß die Vorschrift einerseits die staatliche Rechtspflege vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme, andererseits aber auch den einzelnen vor ungerechtfertigten Verfahren und anderen Maßnahmen irregeführter Behörden bewahren wolle. Das Verhältnis dieser Zwecke zueinander und ihre Bedeutung für die Grenzen des Tatbestands sind aber nach wie vor umstritten. 1. Das Reichsgericht nahm an, daß die falsche Anschuldigung wenn nicht ausschließlich 1 , so doch vorrangig 2 als Delikt gegen die Rechtspflege aufzufassen sei. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in NJW 1952 1385 die Auffassung vertreten, daß § 164 nicht nur und nicht einmal in erster Linie dem Schutz der Behörden gegen Irreführung diene. Weit wichtiger sei der Schutz des Menschen gegen Mißgriffe irregeführter Behörden. Zwischen dieser und der Akzentuierung des Reichsgerichts bewegen sich die späteren Entscheidungen des BGH und auch der Oberlandesgerichte 3 . Mit der von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung steht ein Teil der Literatur auf dem Standpunkt, daß die Falschverdächtigung ein Delikt gegen die Rechtspflege sei, sich daneben aber auch gegen schutzwürdige Individualinteressen richte. Durch die Vorschrift solle sowohl die ungerechtfertigte Beanspruchung und Irreführung der mit der Verfolgung von Straftaten befaßten Behörden verhindert, als auch der einzelne gegen Mißgriffe irregeleiteter Behörden geschützt werden 4 . Nicht notwendig ist ' RGRspr. 9 31; RGSt. 32 77, 78; 46 85, 87. RGSt. 23 371, 373; 29 54 f; 59 35; 60 317. 3 BGHSt. 5 66, 68; 9 240, 244; 18 333; BGH LM BGB § 823 (Be) Nr. 3; GA 1962 24; JR 1965 306; 5 StR 620/97 vom 4.12.1997; OLG Köln NJW 1952 117; JR 1955 273; OLG Düsseldorf NJW 1962 1263 f; KG JR 1963 351; OLG Karlsruhe Die Justiz 1966 158, 159; vgl. auch BayObLG NJW 1986 441, 442.

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Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1; Tröndlel Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 1; Frank Anm. I; Kohlrauschi Lange vor § 164 Anm. I; Schröder NJW 1965 1888; Geilen Jura 1984 251 und 300; Krey BT I Rdn. 589 f; WesselslHeltinger BT 1 Rdn. 686 ff.

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§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

es dabei, daß beide Schutzzwecke zugleich berührt sein müssen (so aber Frank Anm. I), vielmehr genügt die Verletzung eines von ihnen, um den Tatbestand zu erfüllen (vgl. Schröder N J W 1965 1888). Es wird aber auch die Auffassung vertreten, Schutzgut des § 164 sei nur die staatliche Rechtspflege, verstanden als derjenige Teil staatlicher Organisation und Funktion, der sich mit der Anwendung des Rechts in einem rechtlich geregelten Verfahren befasse 5 . Dem Individualrechtsgut komme bei Auslegung des § 164 keine eigenständige Bedeutung zu; für den einzelnen bewirke § 164 in Form eines „Schutzreflexes" lediglich einen mittelbaren Schutz. Die umgekehrte Ansicht, daß die falsche Verdächtigung sich nur gegen Individualinteressen richte und lediglich eine Reflexwirkung für Gemeinschaftsinteressen anzunehmen sei, findet sich bei Hirsch Schröder-Gedächtnisschrift S. 307, 316 und ZStW 89 (1977) 940 f sowie Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 450 ff und N K Rdn. 10 (vgl. auch Bottke JA 1980 98). 2

2. Nimmt man an, daß § 164 sowohl die inländische staatliche Rechtspflege als Gemeinschaftsgut wie auch Individualinteressen zugleich schütze und daß im konkreten Falle die Verletzung eines Schutzobjekts zur Verwirklichung des Tatbestands ausreiche - eine Vorstellung, die weder gegen die Denkgesetze verstößt noch dogmatisch unmöglich ist - dann ist die Frage des Vorrangs ohne Interesse. Ein solches Verständnis, nach welchem § 164 auch als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzuerkennen ist (BGH J R 1953 181; vgl. auch B G H Z 107 359, 366), ermöglicht es einerseits, unter dem Aspekt des Gemeinschaftsguts den Rechtsschutz auf Behörden der inländischen Staatsgewalt zu beschränken (RGSt. 60 317; B G H JR 1965 306, 307) und gestattet es andererseits im Individualinteresse, Verdächtigungen gegenüber einer nicht in das Gefüge der deutschen Staatsgewalt eingegliederten (ausländischen oder supranationalen) Behörde allgemein 6 oder jedenfalls unter der Voraussetzung, daß sie im Inland staatliche Befugnisse ausübt 7 , als tatbestandsmäßig anzusehen. Verstünde man die Schutzzwecke des § 164 in dem Sinne, daß „in jedem Einzelfalle die Doppelseitigkeit zum Ausdruck kommen m u ß " (Frank Anm. I), würde man also eine Schutzgutskumulation verlangen, dann käme die Verdächtigung bei ausländischen Behörden als tatbestandsmäßige Handlung nicht in Betracht. Tatbestandsmäßiges Handeln entfiele aber auch dann, wenn der Verdächtigte nicht schutzwürdig ist, weil er in die Verdächtigung eingewilligt hat, eine Konsequenz, die bisher nahezu ausschließlich verneint worden ist 8 . Die Unmaßgeblichkeit der Einwilligung des Verdächtigten läßt sich überzeugend nur begründen, wenn die Gefährdung auch nur eines Schutzobjekts als ausreichend angesehen wird (Theorie der sog. Alternativität der Schutzzwecke und Schutzobjekte) oder wenn man die Ansicht vertritt, Rechtsgut sei allein die Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege, der Schutz des von einer Falschverdächtigung Betroffenen sei nur eine „Komplementärerscheinung" (Maurach! Schwederl Mai5

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Rudolphi SK Rdn. 1; Langer Verdächtigung S. 64 und GA 1987 289, 295; Deutscher Straftatverdächtigung S. 22 ff, vgl. ferner JuS 1988 526, 528; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 99 Rdn. 5; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 1. BGHSt. 18 333; BGH NJW 1952 1385; LM BGB § 823 (Be) Nr. 3; JR 1965 306, 307; 3 StR 1034/51 vom 22.1.1953; O L G Köln N J W 1952 117; vgl. auch OLG Düsseldorf JR 1983 75 m. Anm. Bottke; Kohlrauschl Lange Anm. IV; Tröndle!Fischer Rdn. 8; LacknerlKühl Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 25.

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B G H N J W 1952 1385; OLG Celle HESt. 1 43, 45; vgl. auch O L G Köln NJW 1952 117; Maurach!Schroederl Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 11; Rudolphi SK Rdn. 23. RGSt. 59 35; BGHSt. 5 66, 68; O L G Düsseldorf N J W 1962 1263; O L G Hamm VRS 35 425, 427; Tröndle!Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 11, Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 23; Rudolphi SK Rdn. 20; Schröder N J W 1965 1888, 1889; Mäurach!Schroederl Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 6; aA in Konsequenz ihrer Auffassung als Vertreter der Individualgutstheorie Hirsch Schröder-Gedächtnisschrift S. 307, 318; Vormbaum N K Rdn. 66; Mitsch Jura 1988 203, 204.

Stand: 1.9. 1999

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Falsche Verdächtigung

§164

wald BT 2 § 99 Rdn. 5), eine „Reflexwirkung" (vgl. Rudolphi SK Rdn. 1). Auf der Grundlage jeder Auffassung erlangt die Einwilligung allerdings Bedeutung, wenn Adressat der Falschverdächtigung eine nicht zu den Angriffsobjekten zählende Behörde ist: In diesem Falle steht die Einwilligung einer Bestrafung nach § 164 entgegen (TröndlelFischer Rdn. 2; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 25), da ein Schutzinteresse nicht besteht. 3. Die Doppelnatur der Falschverdächtigung, ihres Schutzzwecks und ihres 3 Schutzguts, die sich einerseits aus der Stellung des § 164 im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs (RGSt. 23 371, 373; 29 54), andererseits aus § 165 ableiten läßt (in § 165 wird der Betroffene ausdrücklich als Verletzter bezeichnet), sollte nicht mit der Erwägung angezweifelt werden, daß der Betroffene durch die Beleidigungsvorschriften geschützt sei. Schröder (NJW 1965 1888, 1890), dessen Auffassung über die Rechtsnatur der falschen Verdächtigung hier zugrunde gelegt worden ist, weist mit Recht darauf hin, daß nach § 164 tatbestandsmäßige Handlungen nicht notwendig den „Charakter einer Ehrverletzung" haben 9 , und daß es auch dort, wo ihnen dieser Charakter nicht fehlt, nicht um den Schutz der Ehre, sondern darum geht, den Betroffenen vor ungerechtfertigten behördlichen Maßnahmen zu bewahren. Der Schutz der Ehre ist in der Tat, wie bei Maurach/SchroederlMaiwald BT 2 § 99 Rdn. 5 bemerkt, nur „reine (wenn auch häufige) Komplementärerscheinung".

II. Tathandlung des § 164 Abs. 1 § 164 umschreibt in den Absätzen 1 und 2 unterschiedliche Tathandlungen. Absatz 2 4 hat eine ergänzende Funktion. Er stellt Behauptungen bestimmter Art unter Strafe, die nicht den Vorwurf einer „rechtswidrigen Tat" (vgl. Rdn. 15) oder einer Dienstpflichtverletzung (vgl. Rdn. 17) zum Gegenstand haben (RGSt. 69 173, 174). Ist das der Fall, kommt nur die Anwendung des Absatzes 1 in Betracht. Kann, wenn ein anderer einer „rechtswidrigen Tat" oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt worden ist, nach § 164 Abs. 1 nicht bestraft werden, entfallt eine Bestrafung nach § 164 überhaupt, auch wenn der Täter eine Verdachtstatsache erfunden und behauptet hatte l 0 . 1. Verdächtigen im Sinne von § 164 Abs. 1 ist das Hervorrufen (Hinlenken), Umlenken oder Verstärken eines Verdachts (vgl. BGHSt 14 240, 246) a) Hier geht es nicht um ein auf bestimmte Handlungsmodalitäten beschränktes Äußerungsdelikt. Eine Auslegung, die aus dem Wortlaut des Absatzes 2 („...eine sonstige Behauptung tatsächlicher A r t . . . " ) den Schluß zöge, daß auch in Fällen des Absatzes 1 stets in Form von Tatsachenbehauptungen verdächtigt werden müsse, würde Handlungen eliminieren, durch die ein anderer mit Hilfe fingierter Indizien, insbesondere durch gegenständliche Sachverhaltshinweise, in Verdacht gebracht wird. Diese sog. isolierte Beweismittelflktion (Blei GA 1957 139; Welp JuS 1967 507, 510) 9

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RGSt. 21 101, 102; RG H R R 1939 Nr. 190; 1940 Nr. 1324. RG JW 1935 864 Nr. 14; RG H R R 1938 1568; BayObLGSt. 1930 78, 79; OLG Frankfurt HESt. 2 258; OLG Köln N J W 1952 117, 118; OLG Hamm VRS 35 425, 426; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 3; Wessels/ Hettinger BT 1 Rdn. 690.

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Lackner/Kühl Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 3; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 5: Rudolphi SK Rdn. 6; Geilen Jura 1984 251, 252; vgl. ferner Langer Lackner-Festschrift S. 541, 542 sowie GA 1987 289, 298, JZ 1987 804, 807 und Tröndle-Festschrift S. 265, 267; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 4; Maurachl Schroederl Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 12; WesselslHettinger BT 1 Rdn. 692.

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10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

kann für den Denunzierten besonders gefahrlich sein, wenn gegen ihn, „sicherer und zuverlässiger als der subjektive Aussagebeweis", der „objektive Charakter" des Sachbeweises (Peters Strafprozeß § 45 I) seine Wirkung entfaltet. Die ratio legis gebietet es, die der „kommunikativen Vermittlung eines Gedankeninhalts" {Welp JuS 1967 510) nicht bedürftige Beweismittelfiktion als taugliche Tathandlung anzusehen. Der Wortlaut gestattet es. In § 164 Abs. 1 ist lediglich von „Verdächtigen" die Rede. Das ist ein umfassender Begriff, dessen Einschränkung nicht deshalb geboten ist, weil § 164 Abs. 2 in irreführender Anknüpfung an einen Teilbereich des begrifflichen Inhalts von „sonstigen Behauptungen" spricht (aA Langer Falschverdächtigung S. 15 und Lackner-Festschrift S. 541, 542, 544). Schon in der Zeit, in welcher § 164 sich darauf beschränkte, denjenigen mit Strafe zu bedrohen, der einen anderen in einer Anzeige wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigte, stellte das Reichsgericht fest, daß die „Art und Weise, in welcher die falsche Anschuldigung gemacht ist, gleichgültig erscheint" (RGSt. 7 47, 49). Das Reichsgericht (RG H R R 1939 Nr. 464; RGSt. 69 173, 175) und der Bundesgerichtshof (BGHSt. 9 240, 241; vgl. auch BGHSt. 18 204) haben an dieser Auffassung festgehalten. Sie wird auch von der im Schrifttum herrschenden Meinung geteilt 12 . Infolgedessen verwirklicht auch derjenige den objektiven Tatbestand, der unter dem Namen des Verdächtigten dem Staatsanwalt einen Brief schreibt, in welchem der angebliche Verfasser sich selbst bezichtigt (RGSt. 7 47, 49) oder derjenige, welcher der Polizei nicht unterzeichnete Schriftstücke zuspielt, die auf einen bestimmten anderen als Verfasser hindeuten und die den scheinbaren Urheber durch ihren Inhalt gewisser Straftaten verdächtig erscheinen lassen (RG H R R 1939 Nr. 464). Der Täter kann, um den Verdacht auf einen bestimmten anderen zu lenken, bei einem Einbruch dessen Schuhe anziehen und damit deutliche Spuren verursachen, er kann ihm präparierte Fangbriefe zuspielen, damit er sich an den Händen „indiziell beflecke" (vgl. BGHSt. 9 240, 241) oder er kann, was er gestohlen hat, just vor der polizeilichen Durchsuchung in der Wohnung desjenigen verbergen, der, obgleich unschuldig, in Verdacht geraten ist. 6

b) Die Verdächtigung kann ausdrücklich oder in versteckter Weise (vgl. RGSt. 69 173, 175; BGHSt. 18 204, 206), auch in Form einer (mit Tatsachen motivierten) Vermutung (RG G A Bd. 56 S. 85) erfolgen. Der Täter kann offen hervortreten, anonym bleiben (vgl. RG H R R 1939 Nr. 464) oder unter falschem Namen handeln (vgl. RGSt. 69 173, 174). Die falsche Verdächtigung verlangt - anders als die Verleumdung kein Erkennbarwerden des Verdächtigenden (Welp JuS 1967 507, 511). Gleichgültig ist, ob der Täter aus eigenem Antrieb verdächtigt. Es genügt, daß er es im Verlaufe einer von ihm nicht veranlaßten Vernehmung (als Zeuge oder Beschuldigter) oder bei seiner Ergreifung, spontan oder auf Befragen tut 1 3 . Die Verdächtigung braucht infolgedessen weder Strafanzeige noch Privatklage oder Begründung eines Strafantrags zu sein. Mit Recht wendet sich daher Keller in seiner Anmerkung JR 1986 31 (ihm zustimmend Rudolphi SK Rdn. 9 a; Langer JZ 1987 804, 8 0 7 0 z u ¿er Entscheidung des BayObLG (NJW 1986 441) gegen dessen Auffassung, wonach ein tatbestandsmäßiges Verhalten offenbar erst anzunehmen sein soll, wenn der Täter einen Antrag auf Strafverfolgung stellt oder eine förmliche Strafanzeige i. S. des § 158 12

Tröndle!Fischer Rdn. 3; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 7; Frank Anm. II 1; Geilen Jura 1984 251, 252; Blei GA 1957 139; Welp JuS 1967 507, 510; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 4; Krey BT 1 Rdn. 592; Maurach!Schroetter!Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 13;

13

zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 4; aA Vormbaum NK Rdn. 20, 21; Geerds Jura 1985 618 Fn. 12; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 694. RGSt. 69 173, 175; BGHSt. 13 219, 221; 18 204, 206; BayObLGSt. 1960 192.

Stand: 1. 9. 1999

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Falsche Verdächtigung

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Abs. 1 StPO erstattet. Wer einen bei den Strafverfolgungsorganen bereits bestehenden Verdacht, daß eine Straftat begangen worden sei, auf einen anderen richtet und damit in der Frage der Täterschaft konkretisiert oder vertieft, verdächtigt trotz entlastender Angaben (OLG Hamm VRS 35 425, 426). Ob er mit der vom Gesetz geforderten Absicht handelt, ist eine andere Frage. Steht nach der Sachlage fest, daß einer von zwei Verdächtigen eine bestimmte Straftat begangen hat, darf auch derjenige, welcher der Täter ist, durch Leugnen seine Täterschaft abstreiten. Damit hält er sich im Rahmen strafloser Selbstbegünstigung 14 . Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Beschuldigte in einem solchen Fall über das bloße Bestreiten hinaus die andere als Täter in Betracht kommende Person ausdrücklich der Tat bezichtigt (OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. krit. Anm. Müsch JZ 1992 979; OLG Celle NJW 1964 733). Der gegenteiligen Auffassung des OLG Hamm (NJW 1965 62 und VRS 32 441, 442), wonach diese Bezichtigung ein unzulässiges, den Tatbestand verwirklichendes „Mehr" sein soll15, kann nicht zugestimmt werden. Wird die logische Folge des bloßen Leugnens durch ausdrückliche Beschuldigung eines anderen nicht verändert, kann weder von einem Hinlenken noch von einem Verstärken des Verdachts die Rede sein 16 . Etwas anderes ist es allerdings, wenn der eine Tatverdächtige die Beweislage zum Nachteil des anderen verfälscht oder wenn er zusätzlich irreführende auf die Täterschaft des Zeugen hinweisende Tatsachen behauptet 17 . In diesen Fällen ist ein den Tatbestand verwirklichendes „Mehr" gegeben. Eine verfahrensrechtlich statthafte Selbstbegünstigung kann daher auch dann nicht mehr anerkannt werden, wenn der Täter sich nicht mehr verteidigungsweise mit bloßem Leugnen unter Benennen des anderen als Täter begnügt, sondern wenn er angriffsweise den Verdacht gegen den anderen dadurch verstärkt oder untermauert, daß er ihn mit wahrheitswidrigen Behauptungen positiv einer Falschaussage bezichtigt (zutr. Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 697)18. c) Für behördliche Verfahren und andere behördliche Maßnahmen genügen keine 7 Vermutungen, Werturteile oder Schlußfolgerungen. Nur „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" können ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren auslösen (§ 152 Abs. 2 StPO), nur „Tatsachen" den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (§ 26 Abs.l BDO). Eine Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 liegt also nur vor, wenn das gesamte tatsächliche Vorbringen des Täters nicht nur nach seiner persönlichen Auffassung, sondern nach objektiv-richtiger Würdigung (RGSt. 71 167, 170) einen Verdacht hervorruft oder verstärkt (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38). Werturteile und (tatsächliche oder rechtliche) Folgerungen als solche, mögen sie auf richtige oder falsche Tatsachenbehauptungen gestützt sein, eignen sich nicht zur Ver-

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OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. Anm. Müsch JZ 1992 979; BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keller JR 1986 30; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 32 441 f; OLG Celle NJW 1964 733; Geilen Jura 1984 251, 255; Rudolphi SK Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 4; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 25; Langer Lackner-Festschrift S. 541, 560; Kuhlen JuS 1990 396, 399; aA Bockelmann BT 3 S. 41. Vgl. auch Langer Lackner-Festschrift S. 541, 562 f; Schneider NVZ 1992 471, 472; Deutscher Straftatverdächtigung S. 127 ff. Ebenso: Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 4; Vormbaum N K Rdn. 27; Geilen Jura 1984 251, 255;

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Keller JR 1986 30; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 697; Fahrenhorst JuS 1987 707, 708; Kuhlen JuS 1990 399; Fezer StreeAVessels-Festschrift S. 663, 674 fT; Bienko NVZ 1993 98. Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. Anm. Müsch JZ 1992 979; OLG Hamm VRS 32 441, 442; OLG Celle NJW 1964 733, 734; ferner Rudolphi SK Rdn. 9; Vormbaum NK Rdn. 25; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5; Kuhlen JuS 1990 396, 399; Geilen Jura 1984 251, 255; Wessels! Hettinger BT 1 Rdn. 697. Vgl. dazu BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keiler JR 1986 31; Rudolphi SK Rdn. 9a; ferner auch Langer JZ 1987 804, 807 f und Lackner-Festschrift S. 541, 567 ff.

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dächtigung 19 . Als Ausdruck subjektiver Vorgänge in der Gedankenwelt des Verdächtigenden können sie Verdachtstatsachen nicht ersetzen oder komplettieren (RGSt. 71 167, 170). Natürlich können einfache Rechtsbegriffe deskriptiv verwendet werden, in die Form von Werturteilen gekleidete Äußerungen („X ist ein Dieb") Tatsachenbehauptungen sein, wenn sie in äußerlich erkennbarer Weise zu „greifbaren, des Beweises fähigen Tatsachen" in Beziehung gesetzt werden (RGSt. 41 193, 194; 68 120, 122). Unter dem Gesichtspunkt des Verdächtigens sind allein diese Tatsachen (die ausdrücklich genannten und diejenigen, auf welche in äußerlich erkennbarer Weise angespielt wird) von Interesse. 8

Die auf Tatsachen gestützte Verdächtigung muß dem Denunzierten ein bestimmtes, durch individuelle Merkmale konkretisiertes Verhalten, eine „rechtswidrige Tat" oder eine Dienstpflichtverletzung (vgl. Rdn. 15 und 17), zur Last legen, auf dessen juristisch-technische Benennung durch den Täter es nicht ankommt (BayObLGSt. 1930 78, 79). Das bedeutet nicht, daß der Denunziant alle äußeren und inneren Merkmale eines strafgesetzlichen Tatbestands oder einer Handlung, die disziplinarisch geahndet werden kann, als verwirklicht darzulegen hat. Es genügt, wenn er ein Geschehen schildert oder im Wege der Beweismittelfiktion andeutet (Rdn. 5), das zu einem „Einschreiten" (§ 152 Abs. 2), zu einer „Aufklärung des Sachverhalts" (§ 26 Abs. 1 BDO) Anlaß geben kann (RGSt. 41 59, 60). Ist aus den Tatsachenbehauptungen des Verdächtigenden ohne weiteres zu ersehen, daß eine den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllende Handlung, also eine Handlung, welche die Merkmale der Verbotsmaterie aufweist (vgl. JeschecklWeigend § 25 I 2) oder eine Handlung, die disziplinarisch geahndet werden kann, nicht in Betracht kommt, fehlt es an der äußeren Tatseite des § 164 Abs. 1 (auf die Meinung des Täters, er lege dem Denunzierten eine mit Strafe bedrohte Handlung oder eine Dienstpflichtverletzung zur Last, kommt es nicht an. Der Versuch der Falschverdächtigung ist nicht mit Strafe bedroht) 20 . An der Rechtslage ändert sich nichts, wenn die Staatsanwaltschaft einer Anzeige ohne „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Straftat auf Grund unzutreffender rechtlicher Überlegungen Folge gibt (RG Recht 1911 1844; Rdn. 15).

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d) Die Verdächtigung muß in ihrem wesentlichen Inhalt (Rdn. 11) objektiv unwahr sein. Das ist eine Binsenwahrheit, die aus dem Erfordernis des Handelns wider besseres Wissen abgeleitet (Frank Anm. II 4) und von keiner Seite in Abrede gestellt wird 21 . Gewonnen ist mit dieser Aussage jedoch nichts, weil sie offenläßt, welcher Teil einer Verdächtigung im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen muß. Die Frage ist, ob über „wahr" und „unwahr" die Berechtigung des Vorwurfs, also das Ergebnis des Beweisverfahrens über die dem Verdächtigten zur Last gelegte Tat, entscheidet oder ob die vorgetragenen Tatsachen für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit maßgebend sind. Die Rechtsprechung, auch des Bundesgerichtshofs (BGHSt. 35 50; BGH 1 StR

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20

RGSt. 71 167, 170; RG JW 1938 1387 Nr. 2; RG HRR 1939 Nr. 1437; BayObLGSt. 1957 142; OLG Köln MDR 1961 618; OLG Neustadt GA 1961 184; KG JR 1963 351; OLG Celle NdsRpfl. 1965 260; OLG Frankfurt MDR 1966 1017; Müller DRiZ 1957 262; Schmitt NJW 1960 569; Langer Lackner-Festschrift S. 541, 557 ff; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 6. BayObLGSt. 1930 78, 79; 1957 142; OLG Köln MDR 1961 618; KG JR 1963 351; Tröndlel

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Fischer Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 12; Langer Tröndle-Festschrift S. 265, 268 f. Aus Judikatur und Rechtsprechung vgl. nur: RGSt. 71 167, 169; RG JW 1935 864 Nr. 14; RG HRR 1939 Nr. 1437; BGH bei Daliinger MDR 1956 270; OLG Köln NJW 1952 117; OLG Celle MDR 1961 619; Frank Anm. II 4; Kohlrausch/Lange Anm. VIII; TröndlelFischer Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 7; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 15; Rudolphi SK Rdn. 16; Vormbaum NK Rdn. 49; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 698.

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601/53 v. 24.11.1953), und ein Teil des Schrifttums 22 stehen auf dem Standpunkt, daß das Ergebnis des Beweisverfahrens über die dem Verdächtigten zur Last gelegte Tat entscheidet. Maßgebend nach dieser Auffassung ist daher nicht, was der Täter an Fakten verbal oder auf andere Weise unterbreitet hat, um einen anderen zu beschuldigen, sondern ob die Verdächtigung als solche nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens über die dem Verdächtigten vorgeworfene rechtswidrige Tat (oder Dienstpflichtverletzung) als widerlegt angesehen werden kann. Unabhängig von der Richtigkeit der behaupteten Bezichtigung kommt es darauf an, ob der Verdächtigte beispielsweise das Haus in Brand gesetzt hat (RGSt. 16 37, 38), am Postraub beteiligt war (RG H R R 1938 Nr. 1568) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (OLG Köln NJW 1952 117). Nur die eindeutige Feststellung, daß der Verdächtigte „unschuldig" sei, gestattet es, die Bezichtigung als objektiv falsch zu bewerten. Ein auch nur geringer Zweifel an der „Unschuld" des Denunzierten kommt dem Denunzianten zugute, auch wenn er zur Begründung des nicht erwiesenermaßen falschen Verdachts gelogen oder in raffinierter Weise Beweisanzeichen fingiert hat. Er ist nur strafbar, wenn seine Verdächtigung erweislich unwahr ist. Hält der Täter den Verdächtigten aus subjektiven Gründen für (möglicherweise) schuldig, entfällt ein Handeln wider besseres Wissen (vgl. RG HRR 1938 Nr. 1568; OLG Frankfurt. HESt. 2 258). Mit der h. L.23 ist der Gegenmeinung zu folgen, die eine ex post-Betrachtung bei der 1 0 Bewertung der Richtigkeit der Verdächtigung ablehnt. Sie geht davon aus, daß die Frage, ob die Verdächtigung objektiv wahr oder unwahr ist, der Verdachtsmaterie gegenüber erhoben werden muß, mit der Folge, daß es gleichgültig ist, ob der Täter im Ergebnis (unter dem Gesichtspunkt der Berechtigung des Vorwurfs) nicht nachweisbar falsch verdächtigt hat und ob seine Annahme, der Denunzierte sei (möglicherweise) schuldig, mehr oder weniger autistischem Denken entspringt. Die Auffassung, daß es nur um die Richtigkeit der Verdachtstatsachen gehe, hat die tatbestandsimmanente Logik für sich: Auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte werden behördliche Maßnahmen eingeleitet (fortgeführt). Um sie geht es bei den tatbestandsrelevanten (Beweis-)Behauptungen, die der Täter äußert oder bei den Beweislagen, die er schafft (Rdn. 5 und 7). Die Wahrheit oder Unwahrheit der vom Täter vorgebrachten Fakten ist infolgedessen das allein Ausschlaggebende. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Entscheidung BGHSt. 35 50, 53 geht ebenfalls davon aus, daß der Wortlaut der Vorschrift diese Auslegung nicht ausschließt. Auch die von Krey (BT 1 Rdn. 596 c) in dieser Richtung geäußerten Bedenken sind nicht begründet; denn auch derjenige, der weiß, daß der Verdächtigte eine bestimmte Straftat begangen hat, bezichtigt falsch im Sinne des § 164 Abs. 1, wenn er versucht, durch seine Falschdarstellung dessen Verurteilung zu erreichen, die auf ein mit rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht zu vereinbarendes Ermittlungsverfahren zurückzuführen ist (vgl. Deutscher JuS 1988 526, 528). Auch der Hinweis der h. L. auf § 164 Abs. 2 (vgl. Geilen Jura 1984 300, 303; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 16) zur Stützung ihrer Auffassung, daß die Mitteilung unrichtiger Anhaltspunkte unab22

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RGSt. 16 37, 39; 39 58, 59; RG JW 1935 864 Nr. 14; H R R 1938 Nr. 1568; D R 1942 1141; OLG Frankfurt HESt. 2 258; OLG Köln NJW 1952 117; TröndlelFischer Rdn. 6; Schilling G A 1984 345 und A. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 595 ff; Krey BT 1 Rdn. 596 c; Maurach/ SchroederiMaiwaid BT 2 § 99 Rdn. 14. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 16; Rudolphi SK Rdn. 16f; LacknerlKühl Rdn. 7; Vormbaum N K

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Rdn. 50 ff; Geilen Jura 1984 300, 303; Langer G A 1987 289, 302 und Tröndle-Festschrift S. 265, 278 fT; Deutscher JuS 1988 526; Fezer NStZ 1988 177; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 6; vgl. auch BGH 1 StR 509/84 vom 4.9.1984; RGSt. 71 167ff; OLG Frankfurt M D R 1966 1017; O L G Hamburg StV 1986 343.

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hängig vom Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung tatbestandsmäßig auch in Fällen des Absatzes 1 ist, kann nicht damit beiseite geschoben werden, daß es sich bei § 164 Abs. 2 um einen anderen Fall handle (vgl. BGHSt 35 50, 54); denn dies ändert nichts daran, daß aus der Fassung des Absatzes 2 ein für die Auslegung des Absatzes 1 geeignetes Kriterium entnommen werden kann (zutr. Deutscher Jus 1988 520, 528). Daraus folgt für den subjektiven Tatbestand, daß der Täter wider besseres Wissen handelt, wenn er weiß, daß seine Behauptungen der Wirklichkeit nicht entsprechen, die von ihm beigebrachten Indizien bloße Fiktionen sind. Im übrigen ist es die Konsequenz dieser Auffassung, daß sie auch den Verdächtigten und den Schuldigen schützt, wenn und solange er nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen mangels „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte" nicht in ein Verfahren verstrickt werden darf und daß sie den Denunzianten nicht schon deshalb vor Strafe bewahrt, weil er (möglicherweise) nicht wider die eigene Überzeugung in der Schuldfrage handelt, wenn er wissentlich lügt oder Beweismittel fälscht. Andererseits gilt: Wer (aus Irrtum oder auch wider bessere Einsicht) einen nach der Verdachtsmaterie haltlosen („falschen") Vorwurf erhebt, kann nicht auf Grund dieses Vorwurfs ohne Tatsachenbasis tatbestandsmäßig handeln (OLG Köln M D R 1961 618; KG JR 1963 351; Rdn. 7; BGH 1 StR 509/84 v. 4.9.1984). 11

e) Wahrheit oder Unwahrheit der Verdächtigung sind nur von Interesse, soweit es um den zur Begründung (Verstärkung) eines Verdachts wesentlichen Inhalt geht. Er muß im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen. Was (nach rechtlichem Maßstab) für die Beurteilung (Qualifizierung) unwesentlich ist, fallt auch unter dem Aspekt der Wahrheitsfrage nicht ins Gewicht. Übertreibungen, Entstellungen (die auch durch Verschweigen von Tatsachen zustande kommen können) und andere Unrichtigkeiten, die den auf der Grundlage des wahren Tatsachenvorbringens sich ergebenden Charakter des strafrechtswidrigen Verhaltens nicht zum Nachteil des Verdächtigten verändern, sondern „nur" für das Maß der Schuld und für die Strafzumessung Bedeutung gewinnen können, sind unerheblich 24 . Zur Falschverdächtigung werden sie, wenn dadurch die dem Denunzierten zur Last gelegte Handlung erst zu einer mit Strafe bedrohten Tat oder zu einer schwereren Verfehlung wird 25 , oder wenn das Geschehen, das sich aus den unwahren Fakten ergibt, zum wirklichen Geschehen in einem solchen Mißverhältnis steht, daß die Verdächtigung „der Hauptsache nach" falsch ist (RGSt. 27 229, 230; BGH bei Dallinger M D R 1956 270). Tatbestandsrelevant sind Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten auch dann, wenn dadurch der wahre Sachverhalt so verändert wird, daß der Anschein entsteht, der Verdächtigte habe weitere selbständige Straftaten (§ 53) begangen oder habe durch seine Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals (§ 52) verletzt 26 . Ich sehe keinen Grund, der dafür spräche, für die rechtliche Handlungseinheit etwas anderes anzunehmen; dasselbe mußte gelten für die - früheren (vgl. BGHSt. 40 138) - Fälle einer fortgesetzten Handlung.

12

Im Falle des Vorwurfs eines Meineids (fahrlässigen Falscheids), einer uneidlichen Falschaussage oder einer falschen Verdächtigung ergeben sich aus der Auffassung, daß 24

RGSt. 13 12, 13; 15 391, 395; 27 229; 28 390, 393; 41 59, 61; BGH JR 1953 181; BGH bei Dallinger MDR 1955 270; BayObLGSt. 1930 228, 229; 1952 274; 1955 225, 226f; OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 195, 196; Rudolphi SK Rdn. 18; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 7; Wessels/Hettinger BT 1 Rdn. 700.

25

26

RGSt. 15 391, 395; BGH bei Dallinger MDR 1956 270; Lackner/Kühl Rdn. 7; TröndlelFischer Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 18. RG GA Bd. 44 S. 136; GA Bd. 54 S. 422; BGH bei Dallinger MDR 1956 270.

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Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten in der Regel nur dann tatbestandsmäßig sind, wenn sie die strafrechtliche Qualifizierung der Tat zum Nachteil des Verdächtigten beeinflussen 27 , folgende Konsequenzen: Alle Bekundungen (Anschuldigungen), die im Falle ihrer Unrichtigkeit für die rechtliche Beurteilung eine Einheit bilden würden (einen Meineid, eine uneidliche Falschaussage, ein Vergehen nach § 164), bilden diese Einheit auch, wenn sie Gegenstand einer Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 sind. Trifft die Verdächtigung in einem Punkt (möglicherweise) zu, wird sie nicht deshalb zur falschen Verdächtigung, weil sie in anderen Punkten auf unwahre Tatsachen gestützt ist 28 . Tatbestandsmäßig ist sie aber dann, wenn der mit wahren Tatsachenangaben zutreffend als falsch beanstandete Punkt von völlig untergeordneter Bedeutung gegenüber den Punkten ist, die der Denunziant mit unwahren Fakten angreift (RGSt. 28 390, 394; BayObLGSt. 1952 274), wenn die Verdächtigung infolgedessen „der Hauptsache nach" unrichtig ist (RGSt. 27 229, 230; BGH bei Daliinger M D R 1956 270). - Für Dienstpflichtverletzungen gelten analoge Erwägungen: Tatbestandsmäßig sind Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten, wenn dadurch das dem Denunzierten vorgeworfene Fehlverhalten erst zu einer Dienstpflichtverletzung wird, wenn dadurch eine tatsächlich begangene Dienstpflichtverletzung eine wesentlich andere „Qualität" erhält (vgl. BayObLGSt. 1930 228, 230) oder wenn dadurch weitere Dienstvergehen fingiert werden (vgl. BayObLGSt. 1955 225, 226). f) Die Verdächtigung, die nur Aufklärung bezweckt, den Sachverhalt, der dem 1 3 Verdächtigenden bekannt ist, richtig und vollständig wiedergibt und Zweifel oder Ungewißheiten nicht verschweigt, ist entweder wahr oder zwar in einzelnen Punkten unwahr, aber nicht wider besseres Wissen geäußert. Aus dem einen oder anderen Grunde entfallt § 164 Abs. I 29 . Auf die Schlußfolgerungen des Verdächtigenden kommt es, wie schon dargelegt (Rdn. 7), nicht an. Beruht sein Wissen auf Informationen eines anderen und gibt er unter Benennung des anderen das wieder, was er von ihm erfuhr, sagt er nichts Falsches (Schmitt NJW 1960 569). Das bloße Weiterleiten einer fremden Verdächtigung (vgl. BGHSt. 14 240, 245; Langer Lackner-Festschrift S. 541, 548) ist in der Regel kein Verdächtigen. Dies gilt vor allem für das Weiterleiten innerhalb eines behördlichen Dienstbetriebes an den zuständigen Sachbearbeiter 30 . Weiß derjenige, der weiterleitet, daß das, was er erfahren hat, (ganz oder in wesentlichen Punkten) unrichtig ist, handelt er tatbestandsmäßig, wenn er die Information weitergibt, sein Wissen aber verschweigt (BGHSt. 14 240, 246; aA Langer LacknerFestschrift S. 541, 549). Denn mit der Weitergabe der fremden Behauptungen erklärt er konkludent, daß er sie für (möglicherweise) wahr hält, weil sie für ihn nur unter dieser Voraussetzung Anlaß zu dem von ihm erstrebten behördlichen Einschreiten sein können (vgl. SehlSchröder! Lenckner Rdn. 19; Rudolphi SK Rdn. 8). Nach BGHSt. 14 240, 246 macht derjenige, der so handelt oder bei der Weitergabe wesentliche Tatsachen entstellt, unterdrückt oder hinzudichtet, die fremde Verdächtigung zu seiner eigenen. Im Ergebnis ist das kein Unterschied.

27

RGSt. 13 12; 28 390, 393; BGH bei Dallinger M D R 1956 270; BayObLGSt. 1955 225. RGSt. 28 390, 393; BayObLGSt. 1930 228, 229 f; 1952 274; 1955 225, 227; OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 195, 196; Rudolphi SK Rdn. 18; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 17. » OLG Frankfurt M D R 1966 1017; OLG Karlsruhe NStE § 164 StGB Nr. 2; Seh!Schröder! 28

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30

Lenckner Rdn. 18; Rudolphi SK Rdn. 17; vgl. ferner Bockelmann NJW 1959 1849; Schmitt NJW 1960 559. Vgl. OLG München NStZ 1985 549; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 19f; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 8.

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10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

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g) Verdächtigt werden kann bei Bestehen einer Garantenpflicht auch durch Unterlassen, solange das in Gang gesetzte Verfahren fortdauert: In Betracht kommt vor allem eine Rechtspflicht zum Handeln auf Grund vorangegangenen gefährdenden Tuns: Wer unter Berufung auf unwahre Tatsachen, wenn auch nicht wider besseres Wissen, die Strafverfolgungsbehörde veranlaßt hat, gegen einen anderen einzuschreiten, hat den objektiven Unrechtstatbestand des § 164 Abs. 1 verwirklicht. Das dürfte genügender Anlaß sein von ihm zu verlangen, daß er sein Vorbringen korrigiert oder ergänzt, sobald er Kenntnis vom wahren Sachverhalt erlangt (vgl. BGHSt. 14 240, 246) 31 . Sicher ist nicht zu bestreiten, daß der Unrechtserfolg der Herbeiführung eines Verfahrens im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bereits eingetreten war. Aber das ist kein durchschlagendes Argument. Das Gesetz verbietet auch, daß man (durch Tun oder Unterlassen) ein Verfahren fortdauern läßt. In der Fortdauer und einem auf unwahren Fakten beruhenden Ergebnis des Verfahrens können die viel gravierenderen Unrechtserfolge liegen.

15

2. Einer „rechtswidrigen Tat" oder der Verletzung einer Dienstpflicht muß ein anderer in Fällen des § 164 Abs. 1 verdächtigt werden. a) Einer „rechtswidrigen Tat" wird ein anderer nicht nur und nicht stets dann bezichtigt, wenn ihm eine Handlung, die den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5), zur Last gelegt wird. Das Merkmal „rechtswidrige Tat" ist aus terminologischen Harmonisierungsbestrebungen an die Stelle des Merkmals „strafbare Handlung" gesetzt worden (vgl. Entstehungsgeschichte vor Rdn. 1). Der unbedachte Eingriff in die Verbotsmaterie gewinnt einen akzeptablen Sinn, wenn man in ihm nichts anderes als eine „Klarstellung" findet, die besagt, daß im Rahmen des § 164 Abs. 1 neben Dienstpflichtverletzungen nur strafrechtswidrige Handlungen als Gegenstand einer Beschuldigung in Betracht kommen 32 , nicht also Ordnungswidrigkeiten (vgl. BGHSt. 28 93, 94 f; BGH bei Holtz M D R 1978 623; BayObLG NJW 1981 772). An eine substantielle Aushölung der Vorschrift hat bei der Änderung ihres Wortlauts niemand gedacht. Er steht einer Interpretation nicht entgegen, die in Übereinstimmung mit der Auslegung des § 164 Abs. 1 a. F. maßgebliche Gesichtspunkte aus dem Zweck der Bestimmung gewinnt: Sie will verhindern, daß auf falscher Tatsachengrundlage Verfahren in Gang gesetzt oder fortgeführt werden, bei denen es um die Frage geht, ob gegen den, der einer „rechtswidrigen Tat" verdächtigt worden ist, strafrechtliche Sanktionen in Betracht kommen. Läßt schon die Verdächtigung ohne weiteres und eindeutig erkennen 33 , daß jedwede strafrechtliche Sanktion (auch eine Verurteilung nach § 330 a StGB, ein Schuldspruch unter Absehen von Strafe, die selbständige Anordnung einer Maßregel nach § 71 oder der Einziehung eines Gegenstands nach § 76a) entfällt, z.B. deshalb, weil die Antragsfrist abgelaufen, die Strafverfolgung verjährt oder der Verdächtigte wegen eines zu seinen Gunsten eingreifenden Strafausschließungsgrundes nicht strafbar ist, aber auch deshalb, weil der Denunzierte sich offensichtlich nur gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigte oder weil er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgab, so ist die Verdächtigung ungeeignet, ein Verfahren auszulösen oder fortdauern zu lassen. Im Falle ihrer objektiv-richtigen Behandlung (eine falsche Behandlung kann nicht zu Lasten des Verdächtigenden gehen 34 ) ist eine Rechtsgutsgefahrdung ausgeschlossen. Infolgedessen entfällt Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21; Geilen Jura 1984 251, 256; aA TröndlelFischer Rdn. 4; Rudoiphi SK Rdn. 10; Vormbaum N K Rdn. 22. Gribbohm LK § 11 Rdn. 84; Sehl Schräder/Eser § 11 Rdn. 42; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10.

33

34

Vgl. RGSt. 21 101, 103; RG JW 1934 169 Nr. 14; OLG Köln JR 1955 273. RGSt. 21 101, 104; RG Recht 1911 1844; OLG Köln JR 1955 273.

Stand: 1.9. 1999

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Falsche Verdächtigung

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der objektive Tatbestand 35 . Diese auf die ratio legis gestützten Überlegungen, die sich für § 164 Abs. 2 erübrigen, weil diese Vorschrift ausdrücklich verlangt, daß die verdächtigenden Behauptungen geeignet sind, behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, haben eine Kehrseite: Die objektiv-teleologische Interpretation muß § 164 Abs. 1 auf Fälle erstrecken, in welchen der Täter einen anderen mit wahren Angaben einer den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden Handlung verdächtigt, aber dabei Umstände verschweigt, aus welchen sich ohne weiteres und eindeutig ergäbe, daß die tatbestandsmäßige Handlung aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen keine strafrechtlichen Folgen haben kann 36 . In Fällen, in denen der Täter behauptet, ein anderer habe zu seinem Nachteil eine als Straftat zu ahndende üble Nachrede begangen, gehört zu diesen Umständen die Wahrheit dessen, was dem Denunziánten nachgeredet worden ist. Die Annahme, es sei nicht beweisbar, gestattet es ihm nicht, wenn er durch Falschverdächtigung zum Angriff übergeht, das Beweisrisiko des „Nachredenden" in der Weise zu seinen Gunsten auszuschlachten, daß er die Wahrheit unterdrückt (RGSt. 7 207, 209; 19 386, 389). Entscheidend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Verdächtigung. Entfällt durch 1 6 eine Gesetzesänderung die Strafbarkeit derjenigen Handlung, der ein anderer mit unwahren Angaben und wider besseres Wissen verdächtigt worden ist, so entfällt nicht die Strafbarkeit des Verdächtigenden 37 . Zwischen dem Unrechts- und Schuldgehalt seines Tuns und dem Wechsel in der Bewertung der von ihm aus verwerflicher Absicht fingierten Tat besteht keine „innere Abhängigkeit" (vgl. dazu BGHSt. 14 156, 158). b) Dienstpflichtverletzungen (vgl. § 77 BBG; § 23 SoldatenG), sind Handlungen 1 7 (Dienstvergehen), die bestimmte Merkmale aufweisen (Rdn. 18) und mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden können (vgl. §§ 2, 5 BDO; § 7 Abs. 1 WDO). Auch ein Verhalten außerhalb des Dienstes (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG; § 45 Abs. 1 Satz 2 BRRG; §§ 17, 23 SoldatenG) kann ein Dienstvergehen sein (RGSt. 33 29, 31). Was lediglich als Dienstvergehen gilt (vgl. § 77 Abs. 2 BBG; § 45 Abs. 2 BRRG; § 23 Abs. 2 SoldatenG), kommt als Dienstpflichtverletzung im Sinne von § 164 Abs. 1 nicht in Betracht (vgl. RGSt. 35 99, 100). Wer einem anderen wider besseres Wissen ein als Dienstvergehen geltendes Verhalten nachsagt, kann sich aber nach § 164 Abs. 2 strafbar machen. Ein Dienstvergehen liegt im schuldhaften Verstoß gegen eine Dienstpflicht oder 1 8 gegen mehrere Dienstpflichten. Mangelnde Eignung oder Bewährung sind keine Dienstvergehen. Dienstpflichten ergeben sich nur aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen. Standespflichten können nicht als „Dienstpflichten" angesehen werden. § 164 Abs. 1 a. F. sprach von „Amts- oder Dienstpflicht". Dieser Wortgebrauch ließ es als vertretbar erscheinen, Pflichtverletzungen von Rechtsanwälten oder Ärzten als „Amtspflichtverletzungen" einzubeziehen (vgl. RG JW 1936 1604 Nr. 10). Mit der Begrenzung des Gegenstands der Verdächtigung auf Dienstpflichtverletzungen ist die 35

36

BayObLGSt. 1930 78, 79; RGSt. 21 101, 103; RG JW 1934 169 Nr. 14; OLG Köln JR 1955 273; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38; Blei BT 108 I 1 a; Frank Anm. I 3; Kohlrausch/Lange Anm. VII; LacknerlKühl Rdn. 5; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn 14; Hirsch ZStW89(1977) 932. RGSt. 7 207, 209; 19 386, 387; 21 101, 103; 23 371, 373; RG JW 1934 169 Nr. 14; BGH bei

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37

Daliinger M DR 1956 270; BGHSt. 14 240, 246; Frank Anm. II 4; KohlrauschiLange Anm. VIII; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10; aA Rudolphi SK Rdn. 15. SchlSchröderl Lenckner Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 11; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 § 99 Rdn. 17; aA BayObLGSt. 1974 34 m. abl. Anm. K. Meyer JR 1975 69, 70.

Wolfgang Ruß

§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

Möglichkeit der Einbeziehung im Wege der Interpretation entfallen. Wer einem Arzt oder einem Rechtsanwalt mit unwahren Behauptungen eine Verletzung seiner Berufspflichten vorwirft, kann sich aber nach § 164 Abs. 2 strafbar machen (OLG Karlsruhe NStE § 164 StGB Nr. 2) 38 . 19

c) Der Täter braucht nicht zu sagen, ob er das Verhalten, das er einem anderen zur Last legt, als „rechtswidrige Tat" oder als Dienstpflichtverletzung beurteilt und verfolgt wissen möchte. Es genügt, daß die Verfolgung so oder so in Betracht kommt und gewollt wird. Eine Verurteilung mit der Feststellung, daß der Angeklagte wider besseres Wissen einem anderen entweder eine mit Strafe bedrohte Handlung oder ein Dienstvergehen vorgeworfen hat, ist möglich (vgl. auch RGSt. 20 268, 269; BayObLGSt. 1955 225, 226). Kommt es dem Verdächtigenden jedoch nur auf Strafverfolgung an und ist seine Verdächtigung insoweit nicht als eine den Tatbestand erfüllende Handlung anzusehen, darf nicht geprüft werden, ob seine Behauptungen den unwahren Vorwurf eines Dienstvergehens enthalten (BayObLGSt. 1930 78, 79).

20

3. „Ein anderer" muß verdächtigt werden. Das bedeutet, daß eine bestimmte, vorhandene und erkennbare, also verfolgbare Person beschuldigt werden muß (RGSt. 46 85, 87; 70 367, 368; BGHSt. 13 219, 220). Es reicht nicht aus, daß der Täter sich selbst oder eine nicht existierende Person bezichtigt. Solche Bezichtigungen wie auch die mit unwahren Tatsachenangaben begründete Anzeige ohne Benennung eines Beschuldigten sind Tathandlungen für § 145 d. Eine falsche Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 ist es jedoch, wenn derjenige, der eine Straftat erfunden und angezeigt hat, auf Befragen der Polizei einen bestimmten anderen als Täter „nachliefert" (RGSt. 42 18). Nicht erforderlich ist es, daß der Verdächtigte genau und richtig bezeichnet wird. Es reicht aus, daß er so weit erkennbar gemacht ist, daß er als der vom Verdächtigenden Gemeinte unschwer ermittelt werden kann (RGSt. 53 206, 207; RG GA Bd. 47 S. 287; OLG Brandenburg NJW 1997 141, 142; Geilen Jura 1984 300, 305). Der notwendige Grad der Konkretisierung ist erreicht, wenn der Denunziant zum Ausdruck bringt, daß der Verdächtigte einem abgegrenzten kleinen Personenkreis angehört, jeder aus diesem Kreise der Tat fähig sei und infolgedessen als verdächtig zu gelten habe 39 . Dagegen genügt es nicht, wenn der Verdächtigende sich darauf beschränken will und beschränkt, der Behörde einen Hinweis zu geben, in welchem Personenkreis sie den Schuldigen zu suchen habe und ihr das Weitere überläßt (RG JW 1930 3554 Nr. 13). Gerät ein anderer als derjenige, den der Denunziant verdächtigen wollte, in Verdacht, so ist das eine durchaus beachtliche Abweichung vom erstrebten Geschehensablauf (vgl. Rdn. 30).

III. Tathandlung des § 164 Abs. 2 21

1. Die Tathandlung des § 164 Abs. 2 unterscheidet sich von der des § 164 Abs. 1 zweifach: a) Der Denunziant stellt eine „sonstige" Behauptung tatsächlicher Art auf, d. h. er verdächtigt einen anderen nicht einer „rechtswidrigen Tat" oder einer Dienstpflichtverletzung. Wenn er das tut, kommt nur § 164 Abs. 1 in Betracht (Rdn. 4).

38

Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11; Rudolphi SK Rdn. 13; TröndlelFischer Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 45; Lackner/Kühl Rdn. 5.

39

RG JW 1930 3554 Nr. 13; Geilen Jura 1984 300, 306f; Rudolphi SK Rdn. 19; Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 22.

Stand: 1. 9. 1999

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Falsche Verdächtigung

§

164

b) Der Denunziant stellt eine „Behauptung" auf, d.h. er äußert Verdachtstatsachen, bringt sie in Form der Kundgabe eines gedanklichen Inhalts vor. Die nichtkommunikative Erzeugung eines Verdachts durch gegenständliche Sachverhaltshinweise (Rdn. 5) scheidet für § 164 Abs. 2 als Tathandlung aus. Die Bestimmung bringt im übrigen exakt zum Ausdruck, was für § 164 Abs. 1 erst im Wege der Interpretation klargestellt werden mußte: Nur Behauptungen „tatsächlicher Art" kommen als tatbestandsmäßige Handlung in Frage. Werturteile und Folgerungen ohne Tatsachengrundlage besagen nur etwas über Vorgänge im Kopfe des Denunzianten (Rdn. 7). Auch Behauptungen tatsächlicher Art sind für den Tatbestand ohne Interesse, wenn sie sich nicht dazu eignen, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen (vgl. Rdn. 15). 2. Zu den in § 164 Abs. 2 gemeinten behördlichen Verfahren oder anderen behörd- 2 2 liehen Maßnahmen gehören das Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, das z.B. durch eine wissentlich unrichtige Unfallschilderung ausgelöst werden kann (BGH bei Holtz M D R 1978 623), Ehrengerichtsverfahren gegen Ärzte und Rechtsanwälte (vgl. Rdn. 18), Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis, die Entziehung von Konzessionen, Approbationen oder akademischen Graden, die Einstellung von Sozialhilfe, die nicht auf eine Straftat gestützte Ausweisung oder Abschiebung eines Ausländers. Zivilprozessuale Verfahren und Entscheidungen sind für § 164 Abs. 2 ohne Bedeutung (RG JW 1938 2733 Nr. 5), jedoch sind Entscheidungen über Maßnahmen, die wegen Gefahrdung des Kindeswohls gem. §§ 1666, 1671 BGB zur Regelung der Personen- oder Vermögenssorge erforderlich werden, nach den Entscheidungskriterien als behördliche Maßnahmen im Sinne von § 164 Abs. 2 anzusehen (BayObLG NJW 1958 1103)40. 3. Die Tatsachenbehauptung muß wider besseres Wissen aufgestellt werden. Das bedeutet aus der Sicht des äußeren Tatbestands, daß sie objektiv unwahr sein muß (vgl. Rdn. 9 und 10). IV. Als Adressaten der Verdächtigung nach Absatz 1 oder der Behauptung nach Absatz 2 kommen Behörden und bestimmte Amtsträger oder militärische Vorgesetzte in Betracht. Tatbestandsmäßig ist es auch, wenn öffentlich verdächtigt (behauptet) wird. 1. Den Begriff der Behörde hat die Rechtsprechung einheitlich im staats- und verwaltungsrechtlichen Sinne entwickelt (BGHZ 3 110, 122). Behörde ist ein in seiner organisatorischen Stellung auf öffentlichem Recht beruhendes, in das Gesamtgefüge der Staatsverwaltung eingegliedertes, nach außen wirkendes Vertretungsorgan der Staatsgewalt, das eine vom Wechsel oder Wegfall physischer Personen unabhängige institutionelle Einheit bildet und dazu berufen ist, mit einer gewissen Selbständigkeit unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein 41 . Diese Definition wird inhaltlich auch vom Schrifttum anerkannt 42 . Auf die Art der übertragenen Aufgaben und die rechtlichen Formen ihrer Erledigung kommt es nicht entscheidend an. Die Behördeneigenschaft 40

41

Vgl. ferner Vormbaum NK Rdn. 77 f; Rudolphi SK Rdn. 29; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 13; Lackneri Kühl Rdn. 6. BVerfGE 10 20, 48; BGH MDR 1964 68, 69; BGHZ 3 110, 116 f; 25 185, 188 f; BGH NJW 1957 1673; GA 1968 84; BayObLG NStZ 1993 591, 592; OLG Frankfurt NJW 1964 1682; fer-

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42

ner RGSt. 18 246, 250; 33 383, 385; 39 391, 392; 40 161; 47 49; 47 394, 395; 52 198; 54 149, 150. Gribbohm LK § 11 Rdn. 99 f; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 25 f; SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 59 f; TröndlelFischer § 11 Rdn. 35, Rudolphi SK Rdn. 22; LacknerlKühl § 11 Rdn. 20; Vormbaum NK Rdn. 32 f.

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23

§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

einer Stelle darf nicht schon deshalb verneint werden, weil sie keine hoheitlichen Rechte ausübt oder weil ihre Tätigkeit sich in privatrechtlichen Formen vollzieht (BGHZ 3 110, 118; 25 186, 189). Für den Behördenbegriff ist es auch gleichgültig, ob eine Dienststelle kollegial oder monokratisch organisiert ist, ob nur eine physische Person die Befugnisse wahrnimmt oder ob das mehrere - wenn auch im Rahmen eines monokratischen Systems - tun. Die von den zuständigen Trägern der Organisationsgewalt bei den juristischen Personen (Gebiets- oder Personalkörperschaften, Anstalten und Stiftungen) des öffentlichen Rechts gebildeten organisatorischen Einheiten sind Behörden, wenn die für sie geltende Kompetenzzuweisung öffentliche Aufgaben umfaßt, die in den Bereich der staatlichen oder vom Staat geförderten Zwecke fallen, es sei denn, daß die maßgebliche gesetzliche Regelung der Subsumtion unter den Behördenbegriff entgegensteht (BGHZ 25 186, 194, 197). Die Organe privatrechtlich organisierter Gebilde können nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung Behörden gleichgestellt werden (BGHZ 3 110, 118, 121; 25 186, 192). Da die Gleichstellung nur in gewisser Beziehung erfolgt, spielt sie für § 164 keine Rolle. 24

a) Einzelfragen. Gemeinden und Gemeindeverbände nehmen nicht nur im Rahmen der staatlichen Auftragsangelegenheiten, sondern auch im Bereich der Selbstverwaltung an sich staatliche Aufgaben wahr. Ihre Organe sind jedenfalls dann Behörden, wenn sie vertretungsberechtigt sind und unmittelbare Verwaltungstätigkeit nach außen ausüben (OLG Frankfurt NJW 1964 1682)42a. Das Schöffengericht ist schon in RGSt. 19 260 als (Gerichts-)Behörde angesehen worden. Diese Auffassung stieß nicht deshalb auf Bedenken, weil Gerichte Akte der Rechtsanwendung setzen. Gerichte sind in das Gesamtgefüge der Träger der öffentlichen Gewalt eingegliederte Organe des Staates (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG). Die Wahrnehmung von Funktionen der Rechtsprechung ist ebenso wie die Wahrnehmung von Verwaltungsfunktionen eine behördliche Aufgabe (vgl. BGHSt. 9 20, 21). § 11 Abs. 1 Nr. 7 stellt nunmehr die Behördeneigenschaft von Gerichten ausdrücklich klar. Sie kommt den Gerichtseinheiten und ihren vertretungsberechtigten Organen, aber auch dem einzelnen Spruchkörper zu 43 . Auch die Behördeneigenschaft der Staatsanwaltschaften ist nicht zu bezweifeln. Die Rechtssprechung hat die Behördeneigenschaft der Präsidenten der Rechtsanwaltskammern und der Ehrengerichte für Rechtsanwälte (RGSt. 47 394; RG JW 1936 1604 Nr. 10), der selbständigen Strafvollzugsanstalten (BGH GA 1968 84), der Industrie- und Handelskammern (vgl. RGSt. 52 198), der Handwerkskammern (LG Tübingen M D R 1960 780), der Fakultäten und Fachbereiche der Universitäten (RGSt. 17 208, 210; 75 112, 114), der Vertretungsorgane der öffentlichen Sparkassen (RGSt. 6 247; 39 391; BGHSt. 19 19, 21), der deutschen Bundespost, auch in ihrem Teilbereich „Deutsche Bundespost Postbank" (BayObLG NStZ 1993 591), der Gerichtskasse (RG Rspr. 10 23), der Bundesdruckerei (vgl. RGSt. 19 264) bejaht. Polizeireviere sind als Unterabteilungen einer Behörde angesehen worden (RGSt. 39 359). Mit Recht werden kirchliche Dienststellen nicht als Behörden betrachtet (RGSt. 47 49; vgl. auch RGSt. 56 399). In BGHZ 25 186, 194, 197 ist auf Grund der Terminologie der maßgeblichen Gesetze die Behördeneigenschaft der Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Knappschaften und ihrer Organe verneint worden 44 . Die

«» Vgl. auch RGSt. 40 161; RG GA Bd. 37 S. 425; LG Köln JZ 1969 80, 83. 43 TröndlelFischer § 11 Rdn. 35; SchlSchröderlEser § 11 Rdn. 62; Gribbohm LK § 11 Rdn. 101; Rudolphi SK Rdn. 22; LacknerlKühl Rdn. 20; Vormbaum NK Rdn. 33.

« Ebenso Rudolphi SK Rdn. 22; aA RGSt. 74 268, 270; 76 105, 106; 76 209, 211; Gribbohm LK § 11 Rdn. 100; SchlSchröderlEser § 11 Rdn. 60; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 60; Tröndlel Fischer § 11 Rdn. 35; Martens NJW 1964 852; Haueisen NJW 1964 867.

Stand: 1.9. 1999

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Falsche Verdächtigung

§164

Entscheidung zeigt, daß es nicht stets genügt, nur danach zu fragen, ob die Merkmale des allgemeinen Behördenbegriffs gegeben sind. b) Adressat einer Verdächtigung im Sinne von Absatz 1 oder einer Behauptung im 2 5 Sinne von Absatz 2 kann auch eine ausländische Behörde sein45. Diese Möglichkeit folgt aus der Alternativität der Schutzzwecke und der Schutzobjekte des § 164 (Rdn. 2). Es kommt nicht darauf an, ob die Behörde, der gegenüber verdächtigt wird, selbst ein Verfahren einleiten oder Maßnahmen treffen kann. Es ist auch unerheblich, ob sie verpflichtet ist, eine Verdächtigung an die zuständige Behörde weiterzugeben (RGSt. 71 265, 267; anders Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 24; Rudolphi SK Rdn. 24; Vormbaum N K Rdn. 34). Die Verdächtigung gegenüber einem untergeordneten Beamten, der selbst zur Entgegennahme von Anzeigen nicht zuständig ist, wird zur Verdächtigung „bei einer Behörde", wenn und sobald der Beamte an sie weiterleitet, was ihm mitgeteilt worden ist und der Denunziant (in dem Bestreben, ein Verfahren gegen den Denunzierten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen) die Weiterleitung gewollt oder auch nur erwartet hat 46 . Entsprechendes gilt, wenn eine Privatperson die Verdächtigung der Behörde unterbreiten soll und das auch tut (RG G A Bd. 42 S. 236; BGH GA 1968 84). Bis die Verdächtigung an die Behörde gelangt, kann sie zurückgenommen (fallen gelassen, widerrufen) werden (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 24; Rudolphi SK Rdn. 21; Vormbaum N K Rdn. 70). Wenn das geschieht, kommt sie als Tathandlung selbst dann nicht mehr in Betracht, wenn derjenige, dem gegenüber die Verdächtigung vorgebracht wurde, trotz des Widerrufs dienstlich verpflichtet ist, sie weiterzuleiten (RG GA Bd. 52 S. 246; OLG Hamm JMB1NRW 1964 129). Die Vollendung der Tat wird auch dann verhindert, wenn Anzeige (Verdächtigung) und Widerruf zusammentreffen (OLG Hamm JMB1NRW 1964 129; TröndlelFischer Rdn. 10; Lackner/Kühl Rdn. 10), oder wenn der durch Angaben bei einer Vernehmung gegen einen anderen hervorgerufene Verdacht durch berichtigende Erklärungen vor dem Abschluß der Vernehmung entkräftet wird. Denn solange eine Vernehmung noch andauert, sind die Angaben des Vernommenen noch nicht als endgültige und abgeschlossene Bekundungen anzusehen. Solange fehlt es also an einer in sich abgeschlossenen definitiven Behauptung von Verdachtsgründen (OLG Hamm JMB1NRW 1964 129). Sobald die Behörde von einer Verdächtigung Kenntnis erlangt, die nicht durch Zurücknahme (Widerruf) ihre tatbestandsmäßige Bedeutung verloren hat, ist der äußere Tatbestand vollendet (differenz. Vormbaum N K Rdn. 68). Der Denunziant kann die Vollendung auch nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß er den zur Verfolgung des Verdächtigten erforderlichen Strafantrag zurücknimmt (RGRspr. 1 245, 246). 2. Zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Amtsträger (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2) 2 6 sind z.B. die Beamten der Staatsanwaltschaft und des Polizeidienstes (§ 158 Abs. 1 StPO) sowie Dienstvorgesetzte für Anzeigen von Dienstvergehen.

45

BGHSt. 18 333; BGH NJW 1952 1385; JR 1965 306, 307; OLG Celle HESt. 1 43, 45; OLG Köln NJW 1952 117; Kohlrauschi Lange Anm. IV; Lackner/Kiihl Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 25; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 23; Schröder NJW 1965 1888.

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46

RGSt. 8 5, 9; 27 51; 33 383, 385; 34 203, 205; RG GA Bd. 52 S. 246; BGH GA 1968 84; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 24; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 24; Vormbaum NK Rdn. 68 f.

Wolfgang Ruß

§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

3. Öffentlich wird verdächtigt, wenn die Beschuldigung für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis oder für einen nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen größeren, wenn auch bestimmten Kreis von Personen wahrnehmbar ist. Es kommt auf die Öffentlichkeit des Kreises, nicht des Ortes an (BGHSt. 11 282, 284; OLG Celle M D R 1966 347; vgl. ferner Herdegen LK § 186 Rdn. 13f; v. Bubnoff L K § 111 Rdn. 13 fi). 27

V. Vorgänge im Behördenbereich bieten keine Besonderheiten. Die schlichte Abgabe einer Anzeige an die zuständige Behörde ist nichts weiter als ein Übersendungsvorgang ohne tatbestandliche Bedeutung (BGHSt. 14 240, 244 ff; vgl. auch OLG München NStZ 1985 549, 550)47. Macht das Gesetz unabhängig von einer Anzeige die Abgabe an die Staatsanwaltschaft unter gewissen Voraussetzungen zur Pflicht (§ 41 Abs. 1 OWiG), bezweckt die Abgabe die weitere Aufklärung des aus den Akten erkennbaren Sachverhalts durch die zuständige Behörde. Mehr als die Erklärung, daß die Akten das bisherige Ermittlungsergebnis wiedergeben, ist der Abgabe nicht zu entnehmen. Diese Behauptung ist, wenn die Akten vollständig sind, wahr. Auf die - für die Staatsanwaltschaft unverbindliche (vgl. § 41 Abs. 2 OWiG) - Folgerung, es seien Anhaltspunkte für eine Straftat vorhanden, kommt es nicht an. Erhebt der Sachbearbeiter einer Behörde eine Anschuldigung auf Grund eigener Wahrnehmungen oder Feststellungen, gelten die allgemeinen Grundsätze (RGSt. 72 96, 97; SchlSchröder/Lertckner Rdn. 20).

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VI. Der innere Tatbestand erfordert, daß der Täter wider besseres Wissen in bestimmter Absicht verdächtigt. 1. Wider besseres Wissen handelt, wer im Zeitpunkt der Verdächtigung (BayObLGSt. 1963 218) die Unrichtigkeit der Verdachtstatsachen kennt oder für sicher hält (von der Unrichtigkeit überzeugt ist) 48 . Eventualvorsatz (Rechnen mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit der Verdachtstatsachen und Verdächtigen auch für diesen Fall) genügt nicht 49 . Dolus eventualis reicht aber für alle Merkmale aus, die außer den Verdachtstatsachen zum äußeren Tatbestand gehören, z. B. für das Erfordernis der Eignung der behaupteten Fakten oder der gegenständlichen Sachverhaltshinweise zur Herbeiführung eines Verfahrens (vgl. Rdn. 7, 15 und 21), für die Sachlage, die der Begriff „öffenlich" voraussetzt oder für die Adressateneigenschaft desjenigen, dem die Verdächtigung mitgeteilt wird 50 .

29

Die (in Rdn. 12) für den äußeren Tatbestand erörterte Rechtslage im Falle des Vorwurfs eines Meineids (fahrlässigen Falscheids), einer uneidlichen Falschaussage oder einer falschen Verdächtigung hat für den inneren Tatbestand die Konsequenz, daß der Täter nicht wider besseres Wissen gehandelt hat, wenn er eine der als falsch bezeichneten Bekundungen (eine der als falsch bezeichneten Anschuldigungen) für (möglicherweise) unwahr hielt und nicht mit falschem Tatsachenvorbringen dagegen 47

48

Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 20; Rudolphi SK Rdn. 8; LacknerlKiihl Rdn. 4; krit. Langer Lackner-Festschrift S. 548 ff; Tiedemann JR 1964 5, 7. RGSt. 18 88; 71 34, 36 f; RG JW 1935 864 Nr. 14; RG HRR 1939 Nr. 1437; BGH bei Daliinger MDR 1956 270; BayObLGSt. 1930 78, 80; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38 f; TröndlelFischer Rdn. 15; Vormbaum NK Rdn. 57: Lackner/Kühl Rdn. 8: SchlSchröderl Lenckner Rdn. 30; Rudolphi SK Rdn. 31.

49

50

BVerfG NJW 1991 1285; RGSt. 32 302, 303; 71 34, 37; BayObLGSt. 1930 78, 81; 1963 218; TröndlelFischer Rdn. 15; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 30; Rudolphi SK Rdn. 31. RGSt. 18 88; OLG Köln NJW 1953 1843; OLG Braunschweig NJW 1955 1935; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 31; Vormbaum NK Rdn. 57; Rudolphi SK Rdn. 32; Lackner/Kühl Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rdn. 15; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 24.

Stand: 1.9. 1999

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Falsche Verdächtigung

§164

anging (RGSt. 28 390, 393; BayObLG NJW 1953 353, 354; NJW 1956 273, 274). Eine andere Beurteilung ist allerdings am Platze, wenn in der Vorstellung des Täters der Aussagepunkt, den er für falsch hielt, von völlig untergeordneter Bedeutung (für das Beweisthema unwesentlich) war und seine (wenn auch laienhafte) Betrachtung der Sach- und Rechtslage entspricht (vgl. RGSt. 27 229, 230; 28 390, 394; BGH bei Daliinger M D R 1956 270; BayObLG NJW 1953 353, 354). Wer einen anderen der üblen Nachrede verdächtigt, handelt wider besseres Wissen, wenn er die Richtigkeit der nachgeredeten Tatsachen kennt. Seine Vorstellung über die Erweislichkeit dieser Tatsachen ist ohne Bedeutung (RGSt. 7 207, 209; 19 386, 389; Rdn. 15). Handeln wider besseres Wissen wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter 3 0 annimmt, der Verdächtigte sei schuldig (vgl. Rdn. 9 und 10). Das Bezugsmoment des inneren Tatbestands sind die Verdachtstatsachen. Glaubt der Täter, er dürfe mit allen Mitteln, auch um den Preis der Wahrheit, auf die Überführung eines anderen hinwirken, den er für schuldig hält, handelt er allerdings im Verbotsirrtum (zust. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 30; Rudolphi SK Rdn. 31). Weicht der Geschehensablauf von der Vorstellung des Täters ab und trifft der Verdacht einen anderen als den, den der Täter in Verdacht geraten lassen wollte, so soll dies nach BGHSt. 9 240, 242 im Hinblick auf die Alternativität der Schutzzwecke des § 164 eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf darstellen, mit der Folge, daß Tatvollendung anzunehmen ist. Dieser Auffassung folgt auch die h. M. 51 . Hierbei bleibt jedoch unbeachtet, daß derjenige, gegen den der Denunziant ein Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen erstrebt, auch derjenige sein muß, der bei einer Behörde oder bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger verdächtigt wird. Nach dem Gesetzeswortlaut muß der Täter einen anderen in der Absicht verdächtigen, ein behördliches Verfahren (oder andere behördliche Maßnahmen) gegen ihn, also den Verdächtigten, herbeizuführen. Es muß Identität bestehen zwischen dem tatsächlich Verdächtigten und demjenigen, auf den sich die Absicht bezieht (Herzberg ZStW 85 [1973] 867, 891 f; Roxin JZ 1991 680, 681; Krey BT 1 Rdn. 594). Trifft die Verdächtigung, die einen tauglichen Adressaten erreicht (vgl. Rdn. 23, 25 und 26), nicht denjenigen, auf den es der Täter abgesehen hat, sondern einen Dritten, so ist in Bezug auf den, der gemeint war, die Tat nicht vollendet worden, der Versuch (weil nicht mit Strafe bedroht) unter dem Gesichtspunkt des § 164 ohne Bedeutung. In Bezug auf den Dritten hat der Denunziant zwar den äußeren Tatbestand verwirklicht. Aber diese Verwirklichung geschah absichtslos. 2. In der Absicht, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnah- 31 men gegen ihn, den Verdächtigten (Rdn. 30), herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, muß der Denunziant einen anderen verdächtigen. Ob „Absicht" in dem Sinne zu verstehen ist, daß es dem Täter auf den Erfolg ankommen, er ihn (wenn auch nicht als Endzweck) erstreben muß oder ob es genügt, daß der Täter weiß oder für sicher hält, daß der Erfolg (als notwendige Folge oder unvermeidliche Nebenwirkung seines Tuns) eintreten wird, kann dem Sprachgebrauch des Gesetzes nicht ohne weiteres entnommen werden. Die Auslegung muß sich am Sinn und Zweck der Vorschrift orientieren, die den Absichtsbegriff gebraucht (Oehler NJW 1966 1633, 1637). § 164 kann sich nicht damit begnügen, nur das Erstreben des vom Gesetz genannten Erfolgs zu pönalisieren. Die Bestimmung kann ihre Schutzzwecke nur dann wirksam verfechten, 51

Rudolphi SK Rdn. 32; Lackner/Kühl Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 15; Maurach/Schroederl Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 24; im Erg. auch

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SchlSchröderILenckner 1983 110,131.

Wolfgang Ruß

Rdn. 31; Prittwitz

GA

§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

wenn auch die untere Stufe des dolus directus, der aus der Gewißheitsvorstellung folgende unbedingte Verwirklichungswille (LackneriKühl § 15 Rdn. 21; Oehler N J W 1966 1633), in den AbsichtsbegrifT einbezogen wird. Es genügt daher, daß der Täter weiß oder für sicher hält, seine Falschverdächtigung werde ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen (notwendig oder unvermeidlich) zur Folge haben oder fortdauern lassen (BGHSt. 13 219, 222) 52 . Kommt es dem Denunzianten auf diesen Erfolg an, erstrebt er ihn (handelt er also absichtlich im Sinne der oberen Stufe des dolus directus), braucht er die Erfolgsverwirklichung nicht als sicher anzusehen. Es genügt, daß er den Erfolgseintritt für möglich hält. U n d wenn der Täter weiß (oder für sicher hält), daß der Erfolg eintreten wird, braucht er ihn nicht zu erstreben. Er kann ihm innerlich gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüberstehen (BGHSt. 18 246, 248). Infolgedessen wird absichtliches Handeln im Sinne der unteren Stufe des dolus directus nicht dadurch ausgeschlossen, daß es dem Täter darum geht, den Verdacht von sich abzuwenden 53 . Wer die Personalien eines anderen angibt, handelt nicht ohne weiteres mit direktem Vorsatz in der einen oder anderen Form. Er fehlt ζ. B., wenn der Täter annimmt, sein wirklicher N a m e werde zwar unbekannt bleiben, aber er, nicht derjenige, dem die Personalien zukommen, werde (unter den angegebenen Personalien) verurteilt (BGHSt. 18 204, 206). Für absichtliches Handeln des Verdächtigenden genügt es, wenn er die Einleitung eines behördlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten erstrebt oder für sicher hält (vgl. O L G Düsseldorf N S t Z - R R 1996 198; O L G Brandenburg N J W 1997 141, 142). An einen Erfolg (z.B. an eine Bestrafung) braucht er nicht zu glauben (RG H R R 1938 Nr. 1206; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 32; Rudolphi SK Rdn. 34). 32

VII. Die Tat ist vollendet, wenn die Verdächtigung der Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten zugegangen ist. Nicht erforderlich ist, daß der Adressat Verdacht geschöpft hat 5 4 . Wird ein anderer im Rahmen einer behördlichen Vernehmung bezichtigt, ist die Tat nicht vollendet, solange die Vernehmung nicht abgeschlossen ist. Zur Vollendung kommt es nicht, wenn vor Zugang der Verdächtigung oder gleichzeitig mit ihr eine Zurücknahme oder Widerrufserklärung eingeht oder wenn vor Vernehmungsabschluß berichtigt wird (RG G A Bd. 52 S. 246; O L G H a m m JMB1NRW 1964 129; vgl. Rdn. 25). Auf die Berichtigung nach Tatvollendung soll nach Auffassung verschiedener Autoren 5 5 die Regelung des § 158 analog Anwendung finden. Zwar mögen Falschaussage und Falschverdächtigung unter dem Aspekt der von dieser Vorschrift verfolgten Zwecke vergleichbar erscheinen, doch weist Rudolphi (SK Rdn. 36) mit Recht darauf hin, daß der Gesetzgeber trotz Kenntnis des Problems anläßlich der durch das E G S t G B erfolgten Neufassung des § 164, wie übrigens auch anläßlich der durch das 6. StrRG vorgenommenen zahlreichen Änderungen (die Harmonisierung der Strafrahmen war mit ein erklärtes Anliegen des 6. StrRG), eine entsprechende 52

Ferner: BGHSt. 18 204, 206; 18 246, 248; BayObLGSt. 1960 192, 193; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 35 425, 427; BayObLG NJW 1986 441, 442; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 198; Lackneri Kühl Rdn. 9; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 32; Rudolphi SK Rdn. 33; Tröndlel Fischer Rdn. 16; Deutscher Straftatverdächtigung S. 83, 87 ff; Saal NZV 1998 218; Geilen Jura 1984 251, 252; Miehe JuS 1996 1000, 1007; aA Langer GA 1987 289, 302; JZ 1987 804, 808 f; Vormbaum NK Rdn. 62, 64.

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RGSt. 69 173, 175; BayObLGSt. 1960 192, 193; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 35 425, 427; BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keller JR 1986 30, 31; Rudolphi SK Rdn. 33; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 32; Miehe JuS 1996 1000, 1007. Lackneri Kühl Rdn. 10; Vormbaum NK Rdn. 68; Langer JZ 1987 804, 807; GA 1987 287, 300. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 35; Lackner/Kühl Rdn. 10; Vormbaum NK Rdn. 73; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 10; Herdegen Vorauf!. Rdn. 32.

Stand: 1.9. 1999

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Falsche Verdächtigung

§164

Regelung gerade nicht getroffen hat. Da er weder eine Regelung für eine „tätige Reue", noch eine solche nach § 158 oder § 258 Abs. 5 und Abs. 6 für angebracht gehalten hat, muß von einer bewußten Entscheidung ausgegangen werden, gegen die eine Analogie im vorgeschlagenen Sinne verstoßen würde (vgl. auch Deutscher Straftatverdächtigung S. 1740VIII. Rechtfertigung einer Falschverdächtigung nach § 193 kommt nicht in Be- 3 3 tracht 56 . Freilich ist es für den inneren Tatbestand von indizieller Bedeutung und für die Strafzumessung nicht gleichgültig, welche Interessen der Verdächtigende verfolgt hat (RGSt. 71 167, 171). Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) gibt keinen Freibrief zu unrichtigen Bezichtigungen im Rahmen von Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertretung 57 . Die Einwilligung des Betroffenen läßt die Strafbarkeit entfallen, wenn Adressat der Falschverdächtigung eine nicht zu den Angriffsobjekten zählende Behörde ist (Rdn. 2). Sie kann in diesem Sinne auch Bedeutung erlangen in sog. Selbsttäuschungsfällen des Staates bei verdeckten Ermittlungen (vgl. die Sprengung an der Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle durch Beamte einer Sondereinsatzgruppe des Bundesgrenzschutzes), bei denen es an der Tatbestandsmäßigkeit fehlt, soweit die staatliche Rechtspflege als Schutzobjekt in Betracht kommt, und die in Verdacht gebrachten Personen mit den Maßnahmen einverstanden sind {SehlSchröder/Lenckner Rdn. 33) 58 . In den Regelfallen der falschen Verdächtigung führt die Einwilligung des Verdächtigten jedoch im Hinblick auf das Schutzgut des § 164, die staatliche Rechtspflege vor ungerechtfertigter Beanspruchung zu schützen, nicht zur Straflosigkeit (BGHSt. 5 66, 68; OLG Düsseldorf NJW 1962 1263)59. IX. Mehrere falsche Verdächtigungen einer Person in einem Schriftstück oder bei 3 4 einer Vernehmung sind eine Tat im materiellen Sinne (RG H R R 1939 Nr. 190). Eine Tat wird auch anzunehmen sein, wenn eine bereits erfolgte Verdächtigung (zur Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Verfahrens) bei derselben Stelle wiederholt wird. Werden mehrere Verdächtigungen bei verschiedenen Stellen angebracht, wird in der Regel Tatmehrheit gegeben sein. Handelt es sich jedoch inhaltlich um dieselbe Verdächtigung, für die durch Weiterleitung ein Adressat zur Behandlung zuständig ist, ist von einer Tat auszugehen. Werden mehrere Personen in einem Schreiben oder bei einer Vernehmung verdächtigt, treffen die Beschuldigungen tateinheitlich zusammen (BGH GA 1962 24). Tateinheit kommt ζ. B. in Betracht mit den Aussagedelikten (§§ 153 ff); mit Verleumdung (RGSt. 21 101, 102; 53 206, 208; RG H R R 1940 Nr. 1324); mit Beleidigung (§ 185), soweit abfällige Werturteile (Folgerungen) nicht Bestandteil verleumderischer Behauptungen sind; mit übler Nachrede (§ 186), wenn in einer Verdachtsäußerung wider besseres Wissen gemachte unwahre und mit dolus eventualis gemachte unwahre oder nicht erweislich wahre, ehrenrührige Behauptungen aufgestellt werden (vgl. RG JW 1938 1387 Nr. 2; die Entscheidung OLG Hamburg H R R 1935 Nr. 541 betrifft 56

57

RGSt. 10 274, 275; 71 34, 37; 71 167, 171; 72 96, 98; TröndlelFischer Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 11; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 33; Rudolphi SK Rdn. 37; Vormbaum N K Rdn. 67. Vgl. BVerfGE 2 225, 229; BGH bei Herían G A 1959 338 f; OLG München N J W 1957 793, 794 m. Anm. Hamann: Tröndlel Fischer Rdn. 17; Rudolphi SK Rdn. 17; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 33; Vormbaum N K Rdn. 67.

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58

59

Vgl. Evers NJW 1987 153, 154f; Kühne JuS 1987 188, 190 ff; krit. hierzu Velten StV 1987 544, 550. AA Hirsch Schröder-Gedächtnisschrift S. 307, 318; Masch Jura 1988 203, 204 f; Vormbaum N K Rdn. 66 in Konsequenz ihrer Auffassung, daß von § 164 allein Individualinteressen geschützt werden und deshalb die Einwilligung stets rechtfertigende Wirkung habe.

Wolfgang Ruß

§164

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

nicht diese Kombination qualitativ unterschiedlicher Behauptungen); mit Freiheitsberaubung (§ 239) in mittelbarer Täterschaft (RG H R R 1939 Nr. 464); mit Begünstigung (§ 257) und Strafvereitelung (§ 258); mit (versuchtem) Betrug (RGSt. 53 206, 208); mit Urkundenfälschung (§ 267). - Wegen des gleichgerichteten Schutzzweckes liegt Gesetzeskonkurrenz vor bei einem Zusammentreffen mit § 344 ( B G H R StGB § 3441 Konkurrenzen 1; O L G Oldenburg M D R 1990 1135). Wahlfeststellung zwischen falscher Verdächtigung und Falschaussage (oder Meineid) ist zulässig (BGHSt. 32 146, 149; BayObLG N J W 1991 3163) 60 . Die Formel von der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit kann außer Betracht bleiben. § 164 und §§ 153, 154 stimmen im Rechtsgüterschutz weitgehend überein; im Kern des von ihnen erfaßten Handlungsunwertes (der Mißachtung der Wahrheit) sind sie identisch. Die zwischen den Vorschriften bestehenden Unterschiede sind nicht von zentraler Bedeutung. 35

X. Verfahrensrechtliches. § 164 a. F. enthielt in Absatz 3 eine Bestimmung prozessualer Natur, die besagte, d a ß „mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden soll, solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren anhängig ist". Die verfahrensrechtliche Regelung ist nunmehr in § 154 e StPO zu finden. Die durch Art. 21 Nr. 52 E G S t G B eingefügte Vorschrift bestimmt, d a ß von der Erhebung der öffentlichen Klage wegen Falschverdächtigung abgesehen werden soll, solange wegen der angezeigten oder behaupteten Handlung ein Straf- oder Disziplinarverfahren anhängig ist (Absatz 1) und daß, wenn die Staatsanwaltschaft bereits öffentliche Klage wegen falscher Verdächtigung erhoben hat, das Verfahren bis zum Abschluß des Straf- oder Disziplinarverfahrens einzustellen ist (Absatz 2). Die Vorschrift ordnet außerdem an, d a ß bis zu diesem Abschluß die Verjährung der Verfolgung der Falschverdächtigung ruht (Absatz 3). Wegen einer ausführlichen Erläuterung der Bestimmung des § 154 e StPO wird auf die strafprozessualen Erläuterungswerke verwiesen (dazu ferner Milzer M D R 1990 20). Hier soll lediglich folgendes bemerkt werden: § 164 Abs. 3 a. F. wurde trotz seines Wortlauts von der Rechtsprechung als eine zwingende Vorschrift angesehen mit der Folge, daß die Anhängigkeit des infolge einer falschen Anschuldigung eingeleiteten Verfahrens ein Prozeßhindernis bildete, das in jeder Prozeßlage von Amts wegen beachtet werden mußte (BGHSt. 8 133 bis 137; 8 151, 154; BayObLGSt. 1961 80). Das galt nur dann nicht, wenn das durch die Falschverdächtigung ausgelöste Verfahren erst anhängig wurde, nachdem die Tatsacheninstanz im Verfahren gegen den Denunzianten bereits entschieden hatte (RGSt. 26 365, 366). § 154 e StPO differenziert. Die Staatsanwaltschaft ist nicht gehindert, ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung einzuleiten, zu betreiben und durch Einstellungsverfügung oder durch Erhebung der öffentlichen Klage abzuschließen, auch wenn wegen der vom Denunzianten angezeigten oder behaupteten Handlung ein Straf- oder ein Disziplinarverfahren anhängig ist. Wenn für diese Sachbehandlung keine besonderen Gründe sprechen, wird die Staatsanwaltschaft dem Sinn und Zweck 60

Ferner BayObLGSt. 1977 35, 36 m. Anm. Hruschka JR 1978 26; OLG Braunschweig NJW 1959 1144; OLG Karlsruhe JR 1989 82 m. Bespr. Schlüchter JR 1989 48; vgl. auch BGH 2 StR 479/77 vom 20.1.1978; ebenso Tröndlel

Fischer Rdn. 18; Lackner/Kühl Rdn. 12; Gribbohm LK § 1 Rdn. 115; aA Vormbaum NK Rdn. 82; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 38; Rudolphi SK Rdn. 39 m. w. Nachw.

Stand: 1.9. 1999

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Aussagenotstand

§164

der gesetzlichen Regelung aber eher dadurch gerecht, daß sie ein Nebeneinander von Verfahren, die es mit ein und derselben quaestio facti zu tun haben und in denen diese Frage nicht einmal so und einmal anders beantwortet werden soll, dadurch vermeidet, daß sie alsbald das Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung bis zum Abschluß des Straf- oder Disziplinarverfahrens gegen den Verdächtigten vorübergehend einstellt. Nach Erhebung der öffentlichen Klage wegen falscher Verdächtigung ist die Anhängigkeit des anderen Verfahrens ein echtes, bis zum Abschluß dieses Verfahrens bestehendes Prozeßhindernis. Ihm wird, auch wenn es erst in der Hauptverhandlung Beachtung findet, durch Innehaltungsbeschluß (Einstellung des Verfahrens gegen den Denunzianten „bis zum Abschluß des Straf- oder Disziplinarverfahrens" § 154e Abs. 2 StPO) Rechnung getragen. In Fällen der Einstellung des ursprünglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft und Verweisung auf den Privatklageweg ist § 154 e StPO analog anzuwenden (StA Mosbach NStE StPO § 154 e Nr. 1 sowie Milzer M D R 1990 20). Ein Innehaltungsbeschluß erübrigt eine neue Anklage nach Wegfall des Hindernisses (BGHSt. 8 133, 136). Stellt das Revisionsgericht im Verfahren wegen falscher Verdächtigung fest, daß § 154 e Abs. 2 StPO unbeachtet blieb, hebt es das angefochtene Urteil mit den Feststellungen auf und verweist die Sache an das Tatgericht zurück (BGHSt. 8 151, 154; BayObLGSt. 1961 80). Wegen der angezeigten oder behaupteten Handlung wird ein Strafverfahren anhängig, wenn die polizeilichen Ermittlungen mit der Vernehmung des Verdächtigten bei der Staatsanwaltschaft eingehen oder wenn die Anklagebehörde eine verfahrenseinleitende Verfügung trifft (BGHSt. 8 151, 152/153). Ermittlungshandlungen, welche die Polizei vor Eintritt einer dieser Verfahrenslagen selbständig vornimmt, führen noch nicht zur Anhängigkeit (RG G A Bd. 48 S. 365; vgl. auch BGHSt. 8 151, 152Í)- Ein Disziplinarverfahren wird im Sinne von § 154 e Abs. 1 StPO mit der Einleitungsverfügung nach § 33 BDO anhängig. Bloße Vorermittlungen sind für die Tatund Rechtsfrage nicht von so wesentlicher Bedeutung, daß es geboten wäre, ihr Ergebnis abzuwarten (aA BayObLGSt. 1961 80; O L G Bremen StV 1991 252, 253), obgleich sie mit einer Disziplinarverfügung enden können (§ 28 BDO).

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Das Straf- oder Disziplinarverfahren gegen den Verdächtigten bleibt anhängig, solange es von der Behörde, die Herrin des Verfahrens ist, fortgeführt oder in der Schwebe gehalten wird. Es hört auf, anhängig zu sein, wenn diese Behörde ihm durch eine rechtswirksame Verfügung ein Ende setzt (vgl. dazu BGHSt. 10 88, 89/90). Ist nach § 171 S. 1 StPO ein Bescheid zu erteilen, so bleibt das Ermittlungsverfahren anhängig, bis es nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO eingestellt und die Einstellung unter Angabe der Gründe mitgeteilt wird. Ist der Anzeigeerstatter zugleich der Verletzte und liegen auch im übrigen die Voraussetzungen der förmlichen, befristeten Beschwerde und des KlageerzwingungsVerfahrens vor (§ 172 Abs. 1 und 2 StPO), bleibt das Ermittlungsverfahren anhängig, bis die Verfahrenseinstellung nicht mehr im Wege des § 172 StPO angegriffen werden kann (BGHSt. 8 151, 153). Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde ist ohne Bedeutung. XI. Recht des Einigungsvertrages. Die falsche Anschuldigung war im StGB D D R in § 228 geregelt. Danach wurde mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft, wer gegenüber einem staatlichen Organ wider besseres Wissen einen anderen der Begehung einer Straftat, d. h. eines Vergehens oder Verbrechens, beschuldigte. Die Vorschrift sollte dem Schutz der „verfassungsmäßig garantierten Grundrechte der Bürger" und der Sicherung der Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane dienen. Daß es sich dabei um ein Sicherheits- oder Justizorgan handelte, war nicht notwendig. Eine (217)

Wolfgang Ruß

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δ 165

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

Selbstbezichtigung fiel nicht unter den Tatbestand. Die Anschuldigung konnte schriftlich, mündlich oder anonym erhoben werden; die Angabe des Namens des Bezichtigten war nicht erforderlich. Es wurde als ausreichend angesehen, daß die Anschuldigung eine angeblich, beabsichtigte Begehung eines Vergehens oder Verbrechens betraf. Ein Handeln wider besseres Wissen setzte voraus, daß der Täter die Unrichtigkeit der Anschuldigung kannte. Auch bei objektiv falscher Anzeige war der Täter nicht strafbar, wenn er von der Tatbegehung des Angezeigten überzeugt war oder wenn er ausreichende Verdachtsgründe zu haben glaubte. Das vom Täter verfolgte Ziel - z.B. Irreführung der staatlichen Organe oder Verdunkelung einer anderen Straftat - war für die Tatbestandserfüllung unerheblich.

§165

Bekanntgabe der Verurteilung (1) Ist die Tat nach § 164 öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) begangen und wird ihretwegen auf Strafe erkannt, so ist auf Antrag des Verletzten anzuordnen, daß die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung auf Verlangen öffentlich bekanntgemacht wird. Stirbt der Verletzte, so geht das Antragsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. § 77 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend. (2) Für die Art der Bekanntmachung gilt § 200 Abs. 2 entsprechend. Entstehungsgeschichte Durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) sind die Vorschriften im StGB und im Nebenstrafrecht über die öffentliche Urteilsbekanntmachung einander angepaßt worden. Während nach früherem Recht der Verletzte lediglich die Befugnis zugesprochen erhielt, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen (vgl. § 165 Abs. 1 a. F. und § 200 Abs. 1 a. F.), es also ihm überlassen blieb, „sich sein Recht gewissermaßen selbst zu holen" (BTDrucks. 7/550 S. 235), ordnet nunmehr das Gericht auf Antrag die öffentliche Bekanntmachung einer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begangenen falschen Verdächtigung an, und diese Anordnung wird auf Verlangen des Antragstellers von Amts wegen vollzogen (§ 463 c Abs. 2 bis 4 StPO). 1

I. Die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung (vgl. dazu die krit. Ausführungen von Schomburg Z R P 1986 65 ff) wegen falscher Verdächtigung, die unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag angeordnet wird, ist bisher von der h. M. (vgl. BGHSt. 10 306, 310)' als Nebenstrafe aufgefaßt worden. Doch mehren sich neuerdings mit Recht die Stimmen, die darauf hinweisen, daß es nicht die Aufgabe eines Strafübels sein kann, einen Täter bloßzustellen. Mit Recht weist daher Tröndle (LK 10. Auflage vor § 38 Rdn. 38) darauf hin, daß die Bekanntgabe der Verurteilung nur in der Genugtuungsfunktion für den Verletzten ihre innere Rechtfertigung finden 1

RGSt. 73 24; BayObLGSt. 1954 71; 1961 141, 142; OLG Nürnberg NJW 1951 124; Herdegen Vorauf!. Rdn. 1 m. w. Nachw.; vgl. ferner die

Nachw. bei Tröndle LK 10. Auflage vor § 38 Rdn. 38; ferner Zaczyk N K § 200 Rdn. 1.

Stand: 1.9. 1999

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Bekanntgabe der Verurteilung

§

165

kann und daher als bloße Nebenfolge aufzufassen ist2. Sie kommt gegenüber Jugendlichen und bei Anwendung von Jugendstrafrecht auch gegenüber Heranwachsenden nicht in Betracht (§ 6 Abs. 1 Satz 2, § 105 Abs. 1 JGG).

II. Voraussetzungen der Bekanntgabe 1. Die falsche Verdächtigung muß auf bestimmte Weise, nämlich öffentlich (vgl. 2 § 164 Rdn. 26) oder durch Verbreiten von Schriften begangen worden sein. § 165 Abs. 1 verweist auf § 11 Abs. 3. Infolgedessen stehen den Schriften Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen gleich. Zur Erläuterung dieser Begriffe wird auf Gribbohm LK § 11 Rdn. 120 bis 132 Bezug genommen. Eine Schrift wird verbreitet, wenn sie der Substanz nach (körperlich) einem größeren, nicht notwendig unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird, der für den Verbreitenden nicht kontrollierbar ist (BGHSt. 13 257, 258; 18 63, 64). Die Aushändigung an eine Person genügt, wenn damit gerechnet wird, daß sie die Schrift weiteren Personen zugänglich machen werde (BGHSt. 19 63, 71) oder wenn die Aushändigung nur Teilakt einer Betätigung ist, die einen größeren, nicht kontrollierbaren Personenkreis umfaßt. 2. Wegen der auf bestimmte Weise begangenen falschen Verdächtigung (Rdn. 2) 3 muß auf Strafe erkannt werden. Setzt das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, so steht das der Anordnung der Bekanntgabe nicht entgegen. Denn auch in diesem Falle ist auf Strafe erkannt worden. Dagegen wird eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59) die Anordnung der Bekanntgabe nicht rechtfertigen können 3 . Zwar ist nicht zu verkennen, daß auch in diesem Fall ein Bedürfnis vorhanden ist, dem Verletzten die in der Bekanntgabe der Verurteilung liegende Genugtuung zu gewähren (so Herdegen Voraufl. Rdn. 3; vgl. auch SchlSchröderl Lenckner Rdn. 4), doch steht der Gesetzeswortlaut einer Auslegung in dieser Richtung entgegen: Bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt wird auf eine Strafe nicht erkannt, die Strafe vielmehr vorbehalten. Erfolgt in der Bewährungszeit keine Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, ist festzustellen, daß es bei der bloßen Verwarnung sein Bewenden hat (§ 59b Abs. 2). Hinzu kommt, daß bei den in § 59 Abs. 3 neben einer Verwarnung möglichen Maßnahmen die Bekanntgabe der Verurteilung nicht aufgeführt ist. Dies spricht für eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers dahin, daß eine Verurteilung zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt für die Anordnung der Bekanntgabe nicht ausreicht. - Bei Tateinheit kommt es nach § 52 Abs. 4 Satz 2 nicht darauf an, ob die Strafe dem § 164 zu entnehmen ist (RGSt. 73 148, 151; BGHSt. 10 306,311). 3. Der Verletzte muß die Anordnung der öffentlichen Bekanntgabe der Verur- 4 teilung beantragen. Verletzter ist der Denunzierte nur, wenn er nicht in die Tat eingewilligt hat (BGHSt. 5 66, 69)4. Das Antragsrecht geht im Falle des Todes des Verletzten auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. § 77 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend. In der Rechtsmittelinstanz kann der Antrag nicht mehr wirksam nach2

3

Ebenso Rudolphi SK Rdn. 1; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 1; LacknerlKühl § 200 Rdn. 1; Herdegen LK § 200 Rdn. 1 ; vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 4. SchlSchröderl Lenckner Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 2; Vormbaum NK Rdn. 6; Schomburg ZRP 1986 65; aA Herdegen Vorauflage Rdn. 3.

(219)

4

OLG Düsseldorf NJW 1962 1263; LacknerlKühl Rdn. 2; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 2; MaurachlSchroederlMaiwald BT 2 §99 Rdn. 6.

Wolfgang Ruß

§ 165

10. Abschnitt. Falsche Verdächtigung

geholt werden, wenn das Rechtsmittel vom Angeklagten oder zu seinen Gunsten eingelegt worden ist. Denn die Nichtanordnung der Urteilsbekanntmachung unterliegt als eine dem Angeklagten günstige Rechtsfolge dem Verbot der reformatio in peius (RG H R R 1933 Nr. 87; BayObLGSt. 1954 71). § 77 d Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend: Der Antrag kann bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens zurückgenommen werden 5 .

III. Die Anordnung der Bekanntgabe und ihr Vollzug 5

1. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, muß im Urteil (oder Strafbefehl - § 407 Abs. 2 StPO) die öffentliche Bekanntmachung einer Verurteilung wegen Falschverdächtigung angeordnet werden. Bleibt der Antrag des Verletzten aus Versehen oder wegen rechtsfehlerhafter Behandlung unberücksichtigt, ist das ein Anfechtungsgrund. Das Revisionsgericht kann die Anordnung selbst nachholen, wenn es die den Denunzianten am wenigsten beschwerende Form wählt (BGHSt. 3 73, 76; Rudolphi SK Rdn. 9). Nur die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung wird bekanntgemacht. Das bedeutet: Hat der Täter durch eine Handlung § 164 und ein anderes Strafgesetz verletzt (Fall der Tateinheit), darf das andere Gesetz nicht genannt werden (es sei denn, daß auch die Verletzung dieses Gesetzes bekanntzumachen ist). Das schließt jedoch nicht eine Bekanntgabe aus, die besagt, daß der Täter wegen Falschverdächtigung in Tateinheit mit einer anderen Straftat verurteilt worden ist. Auch die (nach § 52 gebildete) Strafe ist anzugeben (BGHSt. 10 306, 312)6. In Fällen der Tatmehrheit ist die Bekanntgabe auf die Verurteilung wegen Falschverdächtigung und die dafür verhängte (Einzel-)Strafe zu beschränken 7 .

6

2. Die Art der Bekanntmachung wird im Urteil bestimmt (Absatz 2 i. v. m. § 200 Abs. 2 S. 1). Das Gericht trifft die Bestimmung über das Wie; in Betracht kommen ζ. B. die Bekanntgabe in einer Tageszeitung oder der Aushang am Schwarzen Brett einer Strafanstalt (RG H R R 1939 Nr. 657) und über den Umfang der Bekanntmachung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Sie braucht sich nicht auf den Urteilseingang und den Urteilsspruch zu beschränken, sondern kann sich, wenn es das Genugtuungsinteresse des Verletzten erfordert, auf die Urteilsgründe erstrecken (RGSt. 20 l) 8 . Ist die Falschverdächtigung durch Veröffentlichung in einer Zeitung oder Zeitschrift begangen worden, so ist auch die Bekanntgabe der Verurteilung durch eine Zeitung oder Zeitschrift vorzunehmen. Nach Möglichkeit soll Publikationsorgan die Zeitung (Zeitschrift) sein, in der die Falschverdächtigung stand. Die Bekanntmachung auch auf andere Weise oder in einer weiteren Zeitung (Zeitschrift) wird dadurch nicht ausgeschlossen (RGSt. 20 1; OLG Stuttgart NJW 1972 2320). Bei Falschverdächtigung durch Veröffentlichung im Rundfunk gilt Entsprechendes (Absatz 2 i. V. m. § 200 Abs. 2 S. 2). Bei mehreren Verletzten ist die Bekanntgabe nach Art und Umfang für jeden von ihnen unter dem Aspekt seines Genugtuungsinteresses festzusetzen (RG D R 1941 1402; BayObLGSt. 1961 141, 142; OLG Hamm NJW 1974 466, 467). Das Gericht muß Art und Umfang der Bekanntmachung so konkretisieren, 5

6

SehlSchröder/Lenckner Rdn. 5; Lackner/Kühl § 200 Rdn. 3; Vormbaum NK Rdn. 7. Laekner/Kühl § 200 Rdn. 4; Sehl Sehröder ILenckner Rdn. 7; TröndlelFischer § 200 Rdn. 5; anders Rudolphi SK Rdn. 5 und Vormbaum NK Rdn. 9 (ohne Angabe der Strafhöhe).

7

8

RG JW 1937 3301 Nr. 7; BayObLGSt. 1960 192, 193 f; 1961 141, 142; Rudolphi SK Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 8; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9; Tröndlel Fischer § 200 Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 6.

Stand: 1.9. 1999

(220)

Bekanntgabe der Verurteilung

§

165

daß für die Vollziehung keine der Klärung bedürftigen Fragen offenbleiben. Ist die Verurteilung in eine Zeitung oder Zeitschrift aufzunehmen, so muß das Gericht (auch im Hinblick auf § 463 c Abs. 3 StPO) die Zeitung oder Zeitschrift bestimmen (BGH GA 1968 84; BayObLGSt. 1954 71). Hält das Gericht es für angebracht, daß die Bekanntmachung in dem Teil der Zeitung (Zeitschrift) und mit derselben Schrift wie der Abdruck der Falschverdächtigung erfolgt (vgl. § 200 Abs. 2 a. F.), so muß es auch dazu das Erforderliche sagen. 3. Vollzug. Ist die Bekanntmachung einer Verurteilung wegen falscher Verdächti- 7 gung angeordnet worden, so wird die Entscheidung dem „Berechtigten" (dem Antragsteller oder demjenigen, auf den das Antragsrecht übergegangen ist (vgl. § 77) förmlich zugestellt. Nur wenn er innerhalb eines Monats nach Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung die Bekanntgabe verlangt, wird ihre Anordnung vollzogen (§ 463c Abs. 1 und 2 StPO). Zur Durchsetzung einer die Bekanntmachung in einem Druckwerk oder im Rundfunk bestimmenden Anordnung sieht das Gesetz Zwangsgeld oder Zwangshaft vor (§ 463 c Abs. 3 und 4 StPO; ferner dazu Schomburg Z R P 1986 65, 66).

(221)

Wolfgang Ruß

ELFTER ABSCHNITT Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166 Schrifttum Abel Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit in Bezug auf die „Neuen Jugendreligionen", Diss. Hamburg 1981 - zit.: Abel Religionsfreiheit; Aebli Die Religionsdelikte, Diss. Zürich 1914; Ahrens Der strafrechtliche Schutz des religiösen Gefühls im geltenden Recht, im Vor-Entwurf und im Gegen-Entwurf, StrafrAbh. 159 (1912); Albrecht, A. Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie (1965) - zit.: A. Albrecht Staat; Anschiitz Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. (1933, Nachdruck 1960); Anwander Wörterbuch der Religion, 2. Aufl. (1962); Badura Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz (1989) - zit.: Badura Schutz; Badura Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, in: ListUPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1 2. Aufl. (1994) 211 - zit.: Badura HdStKiR; Badura Staatsrecht, 2. Aufl. (1996) - zit.: Badura Staatsrecht; Barion Kirchliches Strafrecht, in: Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6 3. Aufl. (1962) 407; Baur Die Religionsvergehen im deutschen Strafrecht, Diss. Heidelberg 1907; Beckmann J. Theologische Probleme der Strafrechtsreform, KiZt. 18 (1963) 467; Beisel Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen, R.v. Deckers rechts- und sozialwissenschaftliche Abhandlungen Bd. 69 (1997); BihlmayerlTiichle Kirchengeschichte, Dritter Teil: Die Neuzeit und die neueste Zeit, 20. Aufl. (1996); Blumensath Die Religion und ihr strafrechtlicher Schutz, Diss. Erlangen 1898; Bock Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AöR 123 (1998) 444; Bode W. Die Religionsdelikte im Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung des Vorentwurfs und Gegenentwurfs zum Strafgesetzbuch sowie der neueren Strafgesetzentwürfe in Österreich und der Schweiz, Diss. Würzburg 1914; Bott Zur Lehre von den Religionsvergehen mit besonderer Berücksichtigung von § 166 des Reichsstrafgesetzbuchs, Diss. Tübingen 1890; Brenner M. Staat und Religion, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 59 (2000) 264; Bruns Die Religionsvergehen im künftigen deutschen Strafrecht unter Zugrundelegung des Entwurfs von 1927, StrafrAbh. 301 (1932); Buch Die Religionsvergehen im Reichsstrafgesetzbuche, Diss. Leipzig 1903; Burkhard Die Religionsdelikte der §§ 166, 167 StGB und ihre Novellierung durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 30. Juni 1969, Diss. Köln 1971; v. Campenhausen Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, in: ListUPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 2. Aufl. (1994) 47 - zit.: v. Campenhausen HdStKiR; v. Campenhausen Staatskirchenrecht, 3. Aufl. (1996) - zit.: v. Campenhausen Staatskirchenrecht; v. Campenhausen Religionsfreiheit, in: IsenseelKirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6 2. Aufl. (2001) 369 - zit.: v. Campenhausen HdStR; Chen Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§§ 189 und 194 II S. 2 StGB), Diss. Frankfurt am Main 1986; Czermak „Religions(verfassungs)recht" oder „Staatskirchenrecht", NVwZ 1999 743; Czermak Religionsverfassungsrecht im Wandel, NVwZ 2000 896; Dickel Religionsvergehen, in: Brunette! Weber Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 3 2. Aufl. (1959) 607; v. DoemminglFüsslein/Matz Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JahrOR 1 (1951) 1; Dombois (1)

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Das kommende Strafrecht in der Sicht der evangelischen Ethik, KiZt. 18 (1963) 244; Ebers Staat und Kirche im neuen Deutschland (1930); Eisenberg Kriminologie, 4. Aufl. (1995); Eser Schutz von Religion und Kirchen im Strafrecht und im Verfahrensrecht, in: ListllPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 2. Aufl. (1995) 1019; Ettinger Zur Lehre von den Religionsvergehen, StrafrAbh. 203 (1919); Evangelische Studiengemeinschaft Gewissensfreiheit und Religionsdelikte, Stellungnahme der Strafrechtskommission der Evangelischen Studiengemeinschaft zur Behandlung der sogenannten Religionsdelikte bei der Strafrechtsreform, ZEE 10 (1966) 177; Exner Kriminologie, 3. Aufl. (1949); Feder Die Religionsvergehen im deutschen Strafgesetzen twurf, Festschrift für Franz v. Liszt (1911, Neudruck 1971) 54; v. Feuerbach Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl. (1847) zit.: v. Feuerbach Lehrbuch; v. Feuerbach Das Wesen der Religion, 2. Aufl. (1849) - zit.: κ Feuerbach Religion; Fischer E. Trennung von Staat und Kirche, 3. Aufl. (1984); Fischer Th. Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, Grundlagen und Entwicklung des Rechtsguts „öffentlicher Friede", insb. in den §§ 126, 130, 140 Nr. 2, 166 StGB, Diss. Würzburg 1986 - zit.: Th. Fischer Öffentlicher Friede; Fischer Th. Die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, NStZ 1988 159; Fischer Th. Das Verhältnis der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) zur Volksverhetzung (§ 130 StGB), G A 1989 445; Fischi Der Einfluß der Aufklärungsphilosophie auf die Entwicklung des Strafrechts in Doktrin, Politik und Gesetzgebung und Vergleichung der damaligen Bewegung mit den heutigen Reformversuchen, StrafrAbh. 169 (1913); Forrer Der Einfluß von Naturrecht und Aufklärung auf die Bestrafung der Gotteslästerung, Diss. Zürich 1973; Freymond Die Religionsdelikte des Deutschen Reichsstrafgesetzbuches, Diss. Leipzig 1906; Friesenhahn Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts? ZSR 94 (1975) 1; Fuld Die Gotteslästerung und das Strafgesetzbuch, GA 39 142; Fuss Kirche und Staat unter dem Grundgesetz, DÖV 1961 734; Gerschmann Beiträge zu einer Theorie vom strafrechtlichen Schutze des Gefühlslebens, 1. Teil: Der Schutz des Gefühlslebens nach dem Reichsstrafgesetzbuch, Diss. Heidelberg 1910; Giacometti Quellen zur Geschichte der Trennung von Staat und Kirche (1926, 2. Neudruck 1974); Glaser Die Religionsdelikte nach dem Vorentwurfe und nach dem Gegenentwurfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, ZStW 33 (1912) 825; Gödan Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters, StrafrAbh. Neue Folge 25 (1975); Gröber Religionsverbrechen, in: Bachem Staatslexikon, Bd. 4 (1911) 602; Gustavus Die Religionsvergehen, insbesondere die Gotteslästerung und die Beschimpfung von Religionsgesellschaften im amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, PrPfArch. 15 (1927) 97; Häberle „Staatskirchenrecht" als Religionsrecht der verfassten Gesellschaft, DÖV 1976 73; Hamann/ Lenz Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Aufl. (1970); Hamel Die Bekenntnisfreiheit, ZStsW 109 (1953) 54; Hamel Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner Die Grundrechte, Bd. 4 1. Halbbd. 2. Aufl. (1972) 37 - zit.: Hamel Glaubensfreiheit; Hardwig Die Behandlung der Vergehen, die sich auf die Religion beziehen, in einem künftigen deutschen Strafgesetzbuch, GA 1962 257; Hassemer Reform des Strafrechts, JuS 1969 496; Hassemer Theorie und Soziologie des Verbrechens (1973) - zit.: Hassemer Theorie; Hassemer Religionsdelikte in der säkularisierten Rechtsordnung, in: Vallauri/Dilcher Christentum, Säkularisation und modernes Recht (1981) 1309 = Hassemer Religionsdelikte in der säkularisierten Rechtsordnung, in: DilcherlStaff Christentum und modernes Recht (1984) 232 - zit.: Hassemer Religionsdelikte; Heckel Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, Z E K R 12 (1966/67) 1; Heckel Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter der Herausforderung der Moderne, Z E K R 44 (1999) 340; Heckel Luther und das Recht, N J W 1983 2521; Henkel Strafrecht und Religionsschutz, ZStW 51 (1931) 916; Hesse Schematische Parität der Religionsgesellschaften nach dem Bonner Grundgesetz? Z E K R 3 (1953/54) 188; Hesse Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien Bd. 19 (1956) zit.: Hesse Rechtsschutz; Hesse Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, JahrÖR 10 (1961) 3; Hienstorfer Der Schutz des religiösen Friedens, Diss. Erlangen 1928; Hinschius Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, Bd. 4 (1888); His Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928, Neudruck 1967) - zit.: His Geschichte; Hollerbach Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6 2. Aufl. (2001) 471; Holstein Die Religionsvergehen im Strafgesetzbuch, Diss. Kiel 1966; Holzgräber Die Gotteslästerung, Diss. Greifswald 1921; Höner

Stand: 1.7. 2003

(2)

Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

Die Religionsdelikte im geltenden und künftigen Recht, Diss. Göttingen 1935; Hugendubel Die Religionsverbrechen nach §§ 215, 216 des Entwurfs von 1919 verglichen mit dem geltenden Recht, Diss. Erlangen 1926; Hüttemann Gotteslästerung und Beschimpfung religiöser Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen und Gebräuche im geltenden und kommenden Strafrecht, Diss. Marburg 1964; Isensee Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, Festschrift für Josef Listi, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 33 (1999) 67; JanzlRademacher Islam und Religionsfreiheit, NVwZ 1999 706; Jauck Über strafrechtlichen Schutz des religiösen Empfindens, ZStW 24 (1904) 349; Jeand'Heurl Korioth Grundzüge des Staatskirchenrechts (2000); Kahl Religionsvergehen, Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. 3 (1906) 1 - zit.: Kahl VDB; Kahl Störungen des religiösen Friedens und der Totenruhe, Festschrift für Heinrich Brunner (1914) 230; Kahl Strafrechtsreform und Religionsschutz, Festgabe für Reinhard v. Frank (1930) 287; Kaiser Religion, Verbrechen und Verbrechenskontrolle, Festschrift für Wolf Middendorff (1986) 143; Kaufmann E. Religionsverbrechen, in: Erlerl Kaufmann Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4 (1990) 880; Keller A. Beleidigung Gottes, StimZ 217 (1999) 577; Kesel Die Religionsdelikte und ihre Behandlung im künftigen Strafrecht, Diss. München 1968; Klecatsky Religionsfreiheit und Religionsdelikte, ÖArchKR 21 (1970) 34; Klecatsky Die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Rechtsstellung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich, E u G R Z 9 (1982) 441; Klee Religion und Strafrecht, DStrR 1938 145; Klotz Die Religions- und Leichendelikte, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 2 (1955) 149; Knies Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, Münchener Universitätsschriften Bd. 4 (1967); Knopf Die Entwicklung der Religionsvergehen seit Anselm von Feuerbach, Diss. Halle-Wittenberg 1936; Koervers Jugendkriminalität und Religiosität, Forum zur Pädagogik und Didaktik Bd. 1 (1988); Kohler Vergehen gegen die Religion, Studien aus dem gesamten Strafrecht Bd. 1 (1890) zit.: Kohler Religionsvergehen; Kohler Strafrechtlicher Religionsschutz, GA 54 239; Kohlrausch Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften (1908); Korioth Loyalität im Staatskirchenrecht? Geschriebene und ungeschriebene Voraussetzungen des Körperschaftsstatus nach Art. 140 G G i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV, Gedächtnisschrift für Bernd Jeand'Heur Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 796 (1999) 221; Köttgen Kirche im Spiegel deutscher Staatsverfassung der Nachkriegszeit, DVB1. 1952 485; Kretschmer Der Grab- und Leichenfrevel als strafwürdige Missetat, Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspolitik Bd. 11 (2000); Krüger Verfassungsänderung und Verfassungsauslegung, DÖV 1961 721; Kuhn Religionsfreiheit und Kirchenfreiheit im Religionsunterricht, ZEE 23 (1979) 293; LeibholzlRincklHesselberger Grundgesetz, Loseblattausgabe 7. Aufl. 1993 Stand November 2000; Lenz Die Kirchen und das weltliche Recht (1956); Hermann Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, ÖArchKR 5 (1954) 207; Link Ein Dreivierteljahrhundert Trennung von Kirche und Staat in Deutschland, Festschrift für Werner Thieme (1993) 95; Link Religionsunterricht, in: Listl/Pirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 2 2. Aufl. (1995) 503 - zit.: Link HdStKiR; Link Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit? Z E K R 46 (2001) 257; Listi Strafrecht und Moral, StiZt. 179 (1967) 251; Listi Staat und Kirche in Deutschland, Civitas 6 (1967) 117; Listi Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 1 (1971) - zit.: Listi Religionsfreiheit; Listi Glaubens- Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Listl/Pirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1 2. Aufl. (1995) 439 - zit.: Listi HdStKiR; Listi Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Listi! Schmitz Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. (1999) 1239 - zit.: Listi H d K K R ; ListllHollerbach Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: ListUSchmitz Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. (1999) 1268; Mahrenholz Die Kirchen in der Gesellschaft der Bundesrepublik, 2. Aufl. (1972) - zit.: Mahrenholz Kirchen; Mahrenholz Kirchen als Korporationen, Z E K R 20 (1975) 41; Maihofer Die Gotteslästerung, in: Reinisch Die Deutsche Strafrechtsreform (1967); Manck Die evangelisch-theologische Diskussion um die Strafbarkeit von Gotteslästerung und Kirchenbeschimpfung in juristischer Sicht, Diss. Marburg 1966; Maurach Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 1 (1954) 231 - zit.: Maurach Materialien; Mayer H. Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchton, Festgabe für Julius Binder (1930) 77; Mayer-Scheu Grundgesetz und Parität von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Sozial Wis-

(3)

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

senschaftliche Bibliothek Bd. 5 (1970); v. Melliti Die Schutzobjekte der Religionsdelikte im Wandel der Zeiten in Deutschland, Diss. Greifswald 1920; Mensching Religion - Erscheinungsund Ideenwelt, in: Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5 3. Aufl. (1991) 961; Mergen Die Kriminologie, 3. Aufl. (1995); Meves Das Reichsstrafgesetzbuch in seinem Verhältnis zur Religion, GS 27 (1875) 321; Mey Wandlung der Wertung religiöser Straftaten seit dem Mittelalter in Deutschland, Diss. Hamburg 1950; Meyer-Teschendorf Der Körperschaftsstatus der Kirchen, AöR 103 (1978) 289; Meyer-Teschendorf Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, Jus Ecclesiasticum Bd. 26 (1979) - zit.: Meyer-Teschendorf Staat; Mezger Religionsdelikte und Störung der Totenruhe, in: Gürtner Das kommende Strafrecht Besonderer Teil (1935) 98; Middendorff Religion und Verbrechen, MschrKrim. 1956 34; Middendorff Religion und Strafrecht, Kriminalistik 1963 576; Middendorff Zu den Beziehungen zwischen Religion und Verbrechen, ZStW 76 (1964) 69; Middendorff Religion und Kriminologie, StimZt. 174 (1964) 115; Mikat Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin Heft 14 (1964) - zit.: Mikat Kirche; Mikat Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Bettermann/Nipperdeyl Scheuner Die Grundrechte Bd. 4 1. Halbbd. 2. Aufl. (1972) 111 - zit.: Mikat Grundrechte; Mikat Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, in: Benda/Maihoferl Vogel Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1994) 1425 - zit.: Mikat HdVerfR; Misch Der strafrechtliche Schutz der Gefühle, StrafrAbh. 133 (1911); Mommsen Römisches Strafrecht (1899, Neudruck 1955); Morloki Heinig Parität im Leistungsstaat - Körperschaftsstatus nur bei Staatsloyalität? NVwZ 1999 697; Moser Religion und Strafrecht - insbesondere: Die Gotteslästerung, StrafrAbh. 110 (1909); Muckel Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 29 (1997) - zit.: Muckel Freiheit; Mühlbayer Die Religionsvergehen in ihrer Beziehung zum Staatskirchenrecht unter Berücksichtigung des französischen Rechts, Diss. Tübingen 1951; Müller- Volbehr Staatskirchenrecht im Umbruch, Z R P 1991 345; Müller- Volbehr Das Grundrecht der Religionsfreiheit und seine Schranken, DÖV 1995 301; Müller-Volbehr Staatskirchenrecht an der Jahrtausendwende - Bestandsaufnahme und Ausblick, Z E K R 44 (1999) 385; Nagel W. H. Religion, in: Sieverts!Schneider Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. 3 2. Aufl. (1975) 30; Neumann Die Gotteslästerung mit besonderer Berücksichtigung der Entwürfe, Diss. Köln 1929; Obermayer Staatskirchenrecht im Wandel, DÖV 1967 9; Obermayer Staat und Religion, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin Heft 53 (1977) - zit.: Obermayer Staat; Ofterdinger Die Religionsvergehen, insb. Gotteslästerung, im kommenden Strafrecht, Diss. Köln 1937; Ott Christliche Aspekte unserer Rechtsordnung (1968) - zit.: Ott Aspekte; Ott Literatur und Religionsdelikte, in: Dankert/Zechlin Literatur vor dem Richter (1988) 283 - zit.: Ott Literatur; Pageis Die Zuerkennung der Rechte einer öffentlichrechtlichen Körperschaft an eine Religionsgemeinschaft - OVG Berlin NVwZ 1996, 478, JuS 1996 790; Peters H. Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 11 (1954) 177; Peters K. Glaube und Strafrecht, in: Heinitz/ Würtenbergerl Peters Gedanken zur Strafrechtsreform, Görres-Gesellschaft Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft Neue Folge Heft 4 (1965) 39; Pfannkuche Gegen den Religionsschutz durch das Strafgesetz (1907); Pirson Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: ListUPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1 2. Aufl. (1994) 3; Prothmann Glaubensstrafrecht oder Seelenschutz? (1937); Quaritsch Kirchen und Staat, Staat 1 (1962) 175, 289; Quaritsch Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, Staat 5 (1966) 451; Quaritsch Kirchenvertrag und Staatsgesetz, Hamburger Festschrift für Friedrich Schack (1966) 125; Quentel Religiöses Empfinden und Strafgesetz, Diss. Heidelberg 1914; Rengier Religionsdelikte, in: Görres-Gesellschaft Staatslexikon Bd. 4 7. Aufl. (1988) 819; Richter L. Religion - Begriff und Wesen der Religion, Rechtsphilosophisch, in: Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5 (1961)) 961, 968; Riecke Die Religionsdelikte des geltenden Rechts in kritisch-dogmatischer Behandlung mit besonderer Berücksichtigung des Vor- und Gegenentwurfs zum neuen deutschen Strafgesetzbuche, Diss. Erlangen 1912; Rissom Die Beschimpfung im Kampf der Konfessionen, D Z K R 15 (1905) 448; Rode Die Gotteslästerung, Diss. Rostock 1911; v. Rohland Historische Wandlungen der Religionsverbrechen, Festschrift der Albrecht-Ludwigs-Universität zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs Friedrich (1902) 119; Sauer Kriminologie als reine und angewandte Wissenschaft (1950) - zit.: Sauer Kriminologie; Schefßer Staat und Kirche, Varia

Stand: 1.7.2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

Juris Publici Bd. 42a (1973); Scheuner Auflösung des Staatskirchenrechts? ZEKR 2 (1952/53) 53; Scheuner Kirche und Staat, in: Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart Bd. 3 3. Aufl. (1959) 1327 - zit.: Scheuner Kirche; Scheuner Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, ZEKR 7 (1959/60) 225; Schilling Gotteslästerung strafbar? (1966); Schlief Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und seine Ausgestaltung im Bonner Grundgesetz, Diss. Münster 1961; Schiitt Die Religionsvergehen, insbesondere die Gotteslästerung und die Beschimpfung von Religionsgesellschaften im Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches von 1927 im Vergleich mit dem geltenden Recht, Diss. Bonn 1928; Schmied „Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren", Blasphemie und anderer Mißbrauch der Religion in der modernen Gesellschaft, in: Schmied! Wunden Gotteslästerung? Vom Umgang mit Blasphemien heute (1996) 11 - zit.: Schmied Blasphemie; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und Toleranzgebot, NJW 1996 873; Schmitz Straftaten gegen Religion und Weltanschauung §§ 166 — 168 StGB, Diss. Köln 1982; Schnieders Der strafrechtliche Schutz des öffentlichen Friedens im weltanschaulich-religiösen Bereich nach dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969, Diss. Berlin 1971; Schnorr Öffentliches Vereinsrecht (1965); Schoen Der Staat und die Religionsgesellschaften in der Gegenwart, VerwArch. 29 (1922) 1; Schoeps Religionen, Wesen und Geschichte (1961); Schöllgen Soziologie und Ethik des religiösen Ärgernisses mit besonderer Berücksichtigung des § 166 RStGB und der Strafrechtsreform, Abhandlungen aus Ethik und Moral Bd. 11 (1931); Schräg Gefühlszustände als Rechtsgüter im Strafrecht, Diss. Bern 1936; Schumacher Der strafrechtliche Schutz der Religion in geschichtlicher und rechtvergleichender Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der neueren Entwürfe von 1925 und 1927, Diss. Köln 1927; Schwander Von den Religionsdelikten, Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat Bd. 12 (1955); Sebott Religionsfreiheit und Verhältnis von Kirche und Staat, Analecta Gregoriana Bd. 206 (1977); SeeliglBellavic Lehrbuch der Kriminologie, 3. Aufl. (1963); SeifertlHömig Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. (1995) - zit.: SeifertlHömig!Bearbeiter-, Simon Zur strafrechtlichen Regelung der Religionsdelikte, KiZt. 20 (1965) 24; Skriver Gotteslästerung? Das aktuelle Thema Bd. 11 (1962); Smend Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, ZEKR 1 (1951) 4; Stein A. Zum Stand der Grundlagendiskussion im deutschen evangelischen Kirchenrecht, NJW 1983 2527; Steppacher Der § 166 R.St.G.B. und die Reform, Diss. Erlangen 1911; v. Stieglitz Rettung des Christentums? Anthroposophie und Christengemeinschaft (1965); Stuck Die Religionsvergehen im Reichsstrafgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung des Vorentwurfs zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Diss. Heidelberg 1912; Sturm Die Änderungen des Besonderen Teils des StGB zum 1. September 1969, NJW 1969 1606; Sturm Die Strafrechtsreform, JZ 1970 81; v. Tempski Die Religionsvergehen, Diss. Heidelberg 1908; Thomä Gotteslästerung und Glaubensschutz, Diss. Köln 1929; Thiimmel Der Religionsschutz durch das Strafrecht, § 166 des Strafgesetzbuches, 2. Aufl. (1927) - zit.: Thiimmel Religionsschutz; Thiimmel das neue Strafgesetzbuch und die Religionsvergehen, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart Bd. 53 (1927) - zit.: Thiimmel Religionsvergehen; Vater Die Schranken der Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Bonner Grundgesetzes und Artikel 9 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Diss. Köln 1964; Villinger Die Religionsdelikte in historisch-dogmatischer Darstellung mit Berücksichtigung des schweizerischen Rechts, Diss. Bern 1894; Villnow Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, GS 31 (1879) 509, 579; Wassermann Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare 2. Aufl. (1984), 3. Aufl. Loseblattausgabe (2001) - zit.: Bearbeiter AK-GG; Weber Herrn. Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 32 (1966) - zit.: Herrn. Weber Religionsgemeinschaften; Weber Herrn. Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, NJW 1983 2541; Weber Herrn. Grundrechtsbindung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listll Pirson Handbuch des Staatskirchenrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 2. Aufl. (1994) 573 - zit.: Herrn. Weber HdStKiR; Weber Herrn. Staat und Kirche - Juristisch, in: FahlbuschiLochmann/MbitilPelikan/Vischer Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 4 3. Aufl. (1996) 449 - zit.: Herrn. Weber EKL; Weber W. Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen Regimes in zeitgenössischer Betrachtung, Festschrift für Rudolf Smend (1952) 365; Weber W. Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 11 (1954) 153 - zit.: W. Weber Gegenwartslage; Weber W.

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Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Die kleinen Religionsgesellschaften im Staatskirchenrecht des nationalsozialistischen Regimes, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek (1955) 101; Webersinn Die geschichtliche Entwicklung des Gotteslästerungsdelikts, Diss. Breslau 1928; Weider Der strafrechtliche Schutz der Religion, Diss. Bern 1916; Weiß Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe, Diss. München 1927; Wilden Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, in geschichtlicher Entwicklung und rechtsvergleichender Darstellung des außerdeutschen europäischen Strafrechts unter Berücksichtigung der deutschen Strafgesetzentwürfe, Diss. Köln 1933; Wili Religion und Strafrecht, Kriminalistik 1964 175; Wolf E. Die Neuordnung der Religionsvergehen im kommenden deutschen Strafrecht, ArchEKR 1 (1937) 13; Worms Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien Bd. 11 (1984); Wulffen Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der Religion, in: Aschrotth. Liszt Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs Bd. 2 (1910) 120; Wullschleger Religion und Kriminalität, in: Schneider Kriminalität und abweichendes Verhalten, Kindlers „Psychologie des 20. Jahrhunderts" Bd. 2 (1983) 18; Würtenberger Das System der Rechtsgüterordnung in der deutschen Strafgesetzgebung seit 1532, StrafrAbh. 305 (1933) - zit.: Würtenberger Rechtsgüterordnung; Zipf Die Delikte gegen den öffentlichen Frieden im religiös-weltanschaulichen Bereich, NJW 1969 1944; Zippelius Kirche und Staat und die Einheit der Staatsgewalt, Z E K R 9 (1962) 42; Zippelius Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, Schriften zur Rechtstheorie Heft 163 2. Aufl. (1996) - zit.: Zippelius Recht. Im übrigen gelten die Angaben zu § 166, § 167, § 167 a und § 168. Im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführte Abkürzungen ÄB1BW - Ärzteblatt Baden-Württemberg; A f P - Archiv für Presserecht; AiKrH - Der Arzt im Krankenhaus und im Gesundheitswesen; AJP - The American Journal of Psychiatrie; AktNephr. - Fresenius Wissenschaftliche Informationen Aktuelle Nephrologie; Ä M - Ärztliche Mitteilungen; Anaesthesist - Der Anaesthesist; Anlnt. - Anästhesiologie und Intensivmedizin (vorm. Anästhesiologische Informationen); AnlntNot. - Anästhesie Intensivtherapie Notfallmedizin; AnlntPrax. - Anästhesiologische und intensivmedizinische Praxis; Anstöße - Anstöße aus der Arbeit der Evangelischen Akademie Hofgeismar; ÄP - Ärztliche Praxis; AR - Arztrecht; ArchAtl. - Archäologia Atlantica; ArchEKR - Archiv für evangelisches Kirchenrecht; ArchKKR - Archiv für katholisches Kirchenrecht; ArchklinChir. - Langenbecks Archiv für klinische Chirurgie; AuC - Arzt und Christ; AuKrH - Arzt und Krankenhaus; ÄZ - Ärztezeitung; BA - Blutalkohol; BayÄBl. - Bayerisches Ärzteblatt; BayVBl. - Bayerische Verwaltungsblätter; BeitrGerMed. - Beiträge zur gerichtlichen Medizin; BeitrPath. - Beiträge zur Pathologie; BerlÄ - Berliner Ärzte (vorm. Die Berliner Ärztekammer); BerlÄBl. - Berliner Ärzteblatt; BerlMed. Berliner Medizin; BerlThZ - Berliner theologische Zeitschrift; BGesBl. - Bundesgesundheitsblatt; BestG - Das Bestattungsgewerbe; BKK - Die Betriebskrankenkasse; BWNotZ - Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg; Chirurg - Der Chirurg; Concepte - Concepte, Magazin für Sozialethik und Sozialhygiene; Civitas - Civitas, Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung; Concilium - Concilium, Internationale Zeitschrift für Theologie; curare - curare, Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie; DÄB1. - Deutsches Ärzteblatt; DAVorm. - Der Amtsvormund (ab 2001 Das Jugendamt); DAZ - Deutsche Apotheker Zeitung; DBÄ - Die Berliner Ärztekammer; DdA - Der deutsche Arzt; D F K - Deutsche Friedhofskultur; D G W - Das deutsche Gesundheitswesen; DiA - Der informierte Arzt; D M J - Deutsches Medizinisches Journal; D M L - Deutsche Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart; D M W - Deutsche Medizinische Wochenschrift; DnA - Der niedergelassene Arzt; D n O - Die neue Ordnung; D Ö G - Das öffentliche Gesundheitswesen (vorm. Der Öffentliche Gesundheitsdienst); D O K - Die Ortskrankenkasse; D U D - Deutschland-Union-Dienst; DZgerMed. Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin; D Z K R - Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht; E E G - E M G - Zeitschrift für Elektroenzephalograhie Elektromyographie und verwandte Gebiete; E F G - Entscheidungen der Finanzgerichte; Ethica - Ethica, Wissenschaft und Verantwortung; EthMed. - Ethik in der Medizin; EuArchORL - European Archives of OtoRhino-Laryngologie; E u G R Z - Europäische Grundrechte Zeitschrift; EV - Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Her-

Stand: 1.7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

Stellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 mit Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 (BGBl. II 885, 889); EvKomm. - Evangelische Kommentare (vorm. Kirche in der Zeit und Evangelischer Literaturbeobachter); EvLitB - Evangelischer Literaturbeobachter (vorm. Kirche in der Zeit); FA - Der Frauenarzt; FemThPr. - Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis; ForKathTheol. - Forum Katholische Theologie; FortschrMed. - Fortschritte der Medizin; FortschrNeurPsych. - Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie; FR - Film und Recht; GelbH Die gelben Hefte, Immunbiologische Informationen; GesPol. - Gesundheitspolitik; GewArch. Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht; HambÄBl. - Hamburger Ärztblatt; HessÄbl. - Hessisches Ärzteblatt; HessBIVk. - Hessische Blätter für Volkskunde; HK - Herder Korrespondenz, Monatshefte für Gesellschaft und Religion; H Z - Historische Zeitschrift; Imago - Imago, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Naturund Geisteswissenschaften; IntMed. - Intensivmedizin und Notfallmedizin; Intern. - Der Internist; IPRax - Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts; JAMA - Journal of the American Medical Assoziation; JAmt - Das Jugendamt (bis 2000 Der Amtsvormund); JK Jura-Rechtsprechungskartei; KassA - Der Kassenarzt; K D - Der Krankendienst; K F W - Kriminalistik und forensische Wissenschaften; KirchE - Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946; KiZt. - Kirche in der Zeit; KJ - Kritische Justiz; KlerBl. - Klerusblatt; KlinA - Klinikarzt, Medizin im Krankenhaus; KlinW - Klinische Wochenschrift; KölnZ - Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Kompaß - Kompaß, Zeitschrift für Sozialversicherung im Bergbau; KorrBl. - Korrespondenzblatt der diakonischen Gemeinschaften von Neuendettelsau; KrH - Das Krankenhaus; KrHA - Der Krankenhausarzt; KrimMon. - Kriminalistische Monatshefte; KrimPol. - Die Kriminalpolizei; KritV - Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft; KuR - Kirche und Recht, Zeitschrift für die kirchliche und staatliche Praxis; LdA - Der Landarzt (ab 1969 Zeitschrift für Allgemeinmedizin); LegMed. International Journal of Legal Medicine (Continuation of Zeitschrift für Rechtsmedizin); LM Lutherische Monatshefte; LVM - Lebensversicherungsmedizin; Mabuse - Dr. med. Mabuse, Zeitschrift für Gesundheitswesen; MedKl. - Medizinische Klinik; MedSachv. - Der medizinische Sachverständige; MedW - Die Medizinische Welt; Merkur - Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken; M H J - Medizinhistorisches Journal; MitArb. - Die Mitarbeit; M M G - Medizin Mensch Gesellschaft; M M N - Materia Medica Nordmark; M M P - Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten; M M W - Münchener Medizinische Wochenschrift; Monat Der Monat, Eine internationale Zeitschrift; N D H - Neue Deutsche Hefte; NdsÄBl. - Niedersächsisches Ärzteblatt; NervA - Der Nervenarzt; NotA - Der Notarzt; NuR - Natur und Recht; ÖArchKR - Österreichisches Archiv für Kirchenrecht; ÖÄZ Osterreichische Ärztezeitung; ÖGemZ - Österreichische Gemeindezeitung; ÖJZ - Österreichische Juristenzeitung; Ö N Z Österreichische Notariatszeitung; ÖRiZ - Österreichische Richterzeitung; Paragrana - Paragrana, Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie; PastTh. - Pastoral-Theologie; Pathologe - Der Pathologe, Pathologie und Klinik; Pflege - Pflege, Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe; PflegeAkt. - Pflege Aktuell, Fachzeitschrift des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe; PflegeZ - Pflegezeitschrift, Fachzeitschrift für stationäre und ambulante Pflege (vorm. Deutsche Krankenpflege Zeitschrift); PolStud. - Politische Studien; PrähZ Prähistorische Zeitschrift; PrPfArch. - Preußisches Pfarrarchiv; Prisma - Prisma, Neues aus Wissenschaft und Forschung; Psyche - Psyche, Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen; PsychNeurW - Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift; RdJ - Recht der Jugend (ab 1968 Recht der Jugend und des Bildungswesens); RdJB - Recht der Jugend und des Bildungswesens (bis 1967 Recht der Jugend); R d M - Recht der Medizin; RGesBl. - Reichsgesundheitsblatt; RhÄBl. - Rheinisches Ärzteblatt; Rmed. - Rechtsmedizin; RhArch. - Rheinisches Archiv; RpflStud. - Rechtspfleger Studienhefte; RPS - Revue Pénale Suisse (Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht); RSJ - Revue Suisse de Jurisprudence (Schweizerische Juristenzeitung); RuP - Recht und Politik; RuZ - Raum und Zeit; SArchVk. - Schweizerisches Archiv für Volkskunde; SÄZ - Schweizerische Ärztezeitung; Scheidewege - Scheidewege, Jahresschrift für skeptisches Denken; SeuffArch. - Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte; SGB - Die Sozialgerichtsbarkeit; SJZ - Schweizerische Juristenzeitung (Revue Suisse Jurisprudence); SMW - Schweizerische Medizinische Wochenschrift; SozWt. - Soziale Welt; SRM Schweizerische Rundschau für Medizin; Staat - Der Staat, Zeitschrift für Staatslehre Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte; Standpunkte - Standpunkte, Das evangelische Maga-

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Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

zin; StimZt. - Stimmen der Zeit, Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart; StudG Studium Generale; SuS - Staat und Selbstverwaltung; SZS - Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Revue Pénale Suisse); TheolGA - Theologie der Gegenwart in Auswahl; TherW Therapiewoche; TrThZ - Trierer Theologische Zeitschrift; Umschau - Umschau in Wissenschaft und Technik; Universitas - Universitas, Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft; UA - Unser Auftrag, Handreichung für Mitarbeiter in der Gemeinde; VersM - Versicherungsmedizin (vorm. Lebensversicherungsmedizin); VerwArch. - Verwaltungs Archiv; VirchArch. Virchow's Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin; Vorgänge - Vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik; W K W - Wiener klinische Wochenschrift; W M W - Wiener Medizinische Wochenschrift; WW - Wechselwirkung; WzM - Wege zum Menschen; WzS - Wege zur Sozialversicherung; Z Ä F - Zeitschrift für ärztliche Fortbildung; ZAR - Zeitschrift für Ausländerrecht; ZBJV - Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins; ZBIChir. - Zentralblatt für Chirurgie; ZB1JR - Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt (ab 1984 Zentralblatt für Jugendrecht); ZBIPath. - Zentralblatt für allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie; ZEE - Zeitschrift für Evangelische Ethik; Z E K R Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht; ZfA - Zeitschrift für Allgemeinmedizin (bis 1968 Der Landarzt); ZfJ - Zentralblatt für Jugendrecht (bis 1983 Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt); ZfL - Zeitschrift für Lebensrecht; Z M E - Zeitschrift für medizinische Ethik; ZPhil. - Zeitschrift für Deutsche Philologie; ZPhilF - Zeitschrift für philosophische Forschung; Z R M - Zeitschrift für Rechtsmedizin; ZSavSt. - Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte; ZSR - Zeitschrift für Schweizerisches Recht; ZStsW - Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft; Z T M - Zeitschrift für Transplantationsmedizin; Z U M - Zeitschrift für Urheber· und Medienrecht; ZVglRW - Zeitschrift für vergleichende Rechts-Wissenschaft; ZVk. Zeitschrift für Volkskunde.

Entstehungsgeschichte Das StGB enthielt unter der Abschnittsüberschrift „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen", drei Tatbestände: Die Religionsbeschimpfung (§ 166), die Hinderung am Gottesdienst (§ 167) und den Unfug an Leichen und Gräbern (§ 168). Sie blieben über 80 Jahre unverändert. Erst das 3. StRÄndG änderte § 166 redaktionell, § 168 auch sachlich. Das 1. StrRG gestaltete die §§ 166, 167 teils durch Einschränkung, teils durch Erweiterung des Strafschutzes um und fügte § 167 a ein; die Abschnittsüberschrift erhielt die Fassung „Vergehen, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen". Vom 4. StrRG und dem EGStGB wurden jeweils redaktionelle Änderungen in § 166 vorgenommen, auch ersetzte das EGStGB in der Abschnittsüberschrift das Wort „Vergehen" durch das Wort „Straftaten". Das 24. StrÄndG erweiterte den Strafschutz des § 168. Durch das 6. StrRG wurden Absatz 1 des § 168 umgestaltet und ein neuer Absatz 2 eingefügt, der den Strafschutz erneut ausdehnte. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 828; 12 S. 552, 600f; E 1962 S. 43 f, 264, 342 ff; AE S. 7, 76 ff; BTDrucks. 1/3713; IV/650; V/32; V/2285; V/4094; 10/3758; 10/6568; 13/3468; 13/7164; 13/8587; Prot. V/121 S. 2421 ff, 2456aff; V/134 S. 2806ff, 2818; BTProt. V/230 S. 12782ff; 10/156 S. 11760; 10/253 S. 19758; BRDrucks. 164/97.

Stand: 1.7.2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166

ff

ΥθΓ §

166

Ubersicht Rdn.

Rdn.

I. Der Begriff Religionsdelikte . . . . 1 II. Religionsdelikte und Staatsrecht 2-6 1. Die Bedeutung des Verhältnisses des Staates zu den Trägern religiöser und weltanschaulicher Werte 2 2. Die Entwicklung des Staatskirchenrechts vom ottonischen Reichskirchentum zu strenger Trennung von Staat und Kirche 3 3. Die Konzeption des Grundgesetzes 4 4. Zusammenfassende Definition der derzeitigen staatskirchenrechtlichen Ordnung 5 5. Die besondere Bedeutung der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit 6 III. Zur historischen Entwicklung der Religionsdelikte 7-9 1. Prägung der Strafbarkeit durch den Tatbestand der Gotteslästerung 7 2. Die Abkehr von der metaphysischen Rechtfertigung der Religionsdelikte 8 3. Die Reformbemühungen bis zur Neugestaltung der Religionsdelikte durch das 4. StrRG . . . . 9 IV. Zur Systematik 10-13

1. Einordnung der Religionsdelikte in einen größeren Zusammenhang 10 2. Das System der Religionsdelikte selbst 11 3. Mittelbar dem Schutz der freien Religionsausübung dienende Tatbestände 12 4. Mit den Religionsdelikten in einem weiteren Zusammenhang stehender Strafschutz 13 Neufassung und Grundgesetz . . . . 14 Die Schutzgüter 15 Soziologische Bezüge 16 Zur Kriminologie 17-18 1. Mangelnde Erforschung des kriminologischen Beziehungsgeflechts zwischen Religion und Verbrechen 17 2. Ursachen des Defizits der Kriminologie 18 Religionsdelikte und Öffentlichkeit . 19 Kriminalpolitische Bedeutung . . . 20 Zur Notwendigkeit der Tatbestände 21-23 1. Notwendigkeit einer besonderen Rechtfertigung der Religionsdelikte 21 2. Fortdauer der Kritik an eigenständigen Religionsdelikten . . . 22 3. Gründe für die Beibehaltung der Religionsdelikte 23

V. VI. VII. VIII.

IX. X. XI.

I. Der Begriff Religionsdelikte stammt aus dem weltlichen Strafrecht und bezeich- 1 net dort die Straftatbestände, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen. D e m Kirchenrecht ist er unbekannt. Im Strafrechtssystem der römisch-katholischen Kirche finden sich Kirchenstrafen. Die evangelische Kirche kennt überhaupt nur einzelne Maßnahmen, etwa Kirchenzucht und Kirchenbann. Seine ursprüngliche Bedeutung, die daran anknüpfte, daß Religiöses unmittelbares Schutzgut strafrechtlicher Tatbestände war (vgl. Rdn. 7), hatte der Begriff verloren, schon bevor das Verfassungsprinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates 1 eine solche 1

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Der Grundsatz leitet sich aus der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 G G mit Art. 137 Abs. 1 WRV) und dem Benachteiligungs- oder Bevorzugungsverbot aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 G G ) her. Näher z.B. Badura, Schutz S. 80 f; HdStKiR S. 223; v. Campenhausen HdStKiR S. 77; Dreier/Morlok Art. 140 Rdn. 33 ff; JarasslPierothUarass Art. 4 Rdn. 4 a; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 166 ff; Listi Religionsfreiheit S. 15 f; H d K K R S. 1251; Leibholz/Rinck/Hesselberger Art. 4 Rdn. 1, Art. 140 Rdn. 16; Listi!Höllerbach S. 1274ff; Maurizi DüriglMaunz Art. 140 Rdn. 43 ff; Muckel Freiheit S. 7Iff; v. Münch!Kunig!Mager Art. 4

Rdn. 3; v. Münch!Kunig! Hemmr ich Art. 140 Rdn. 5; Obermayer Staat S. 9; Ott Literatur S. 287; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 4f; Herrn. Weber N J W 1983 2543; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 19; Recht S. 292 ff. Das Gebot hat unterschiedliche Aspekte. Dazu Mikat HdVerfR Rdn. 7 ff; aus neuster Sicht M. Brenner S. 270ff; ferner Janz! Rademacher mit der Fragestellung, ob angesichts fortschreitender Säkularisierung es notwendig werde, die Formel der weltanschaulichen und religiösen Neutralität restriktiver als bisher auszulegen (NVwZ 1999 706 fT). Zum Begriff der religiösen Neutralität BVerfGE 18 385, 386; 19 206, 216; 24 236, 246; 32 98, 106. Vgl. auch §166 Rdn. 18 mit Fn. 41, 42.

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Betrachtung endgültig ausschloß (vgl. Rdn. 8). Deshalb kann die Bezeichnung nur noch an den unmittelbaren und ausschließlichen Schutz des religiösen Friedens anknüpfen, wie er für die Religionsausübung von Kirchen und anderen Religionsgesellschaften von existentieller Bedeutung ist. Dem aber dienen von den Tatbeständen, die im 11. Abschnitt als „Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen", zusammengefaßt sind, nur die §§ 166, 167, die im religiösen Bereich die Beschimpfung von Bekenntnissen und von Religionsgesellschaften sowie die Störung des Gottesdienstes und die VerÜbung von beschimpfendem Unfug an einem dem Gottesdienst geweihten Ort unter Strafe stellen. Folglich kennzeichnet der Begriff Religionsdelikte nur diesen Kernbereich (Burghard S. 1; Eser S. 1019; Zipf NJW 1969 1944), dem aus der großen Gruppe der mittelbar dem Schutz des religiösen Friedens dienenden Tatbestände (dazu im einzelnen Rdn. 12, 13) die §§ 167 a, 168 wegen der geschichtlichen Verbindung ihrer Schutzgüter mit der Religion (vgl. Rdn. 15) zugeordnet sind. 2

II. Religionsdelikte und Staatsrecht stehen in einem engen, geschichtlich gewachsenen Zusammenhang. 1. Die Stellung des Staates zur Frage des strafrechtlichen Schutzes im Bereich von Religion und Weltanschauung wird bestimmt durch sein Verhältnis zu den Trägern der religiösen und weltanschaulichen Werte.2 Das sind in erster Linie die Kirchen als Organisationsformen des religiösen Lebens. Ob und wie weit ihr Anspruch auf einen Teil des öffentlichen Lebens anerkannt wird, entscheidet über Existenz und Ausgestaltung besonderer strafrechtlicher Tatbestände. Im Großen sind drei Gruppierungen zu erkennen {Klotz S. 149f; Maurach BT § 47 I Β 1; Sturm Prot. V/121 S. 2423). Identifiziert sich der Staat mit der herrschenden religiösen Bekenntnisform, 3 so werden Angriffe gegen diese Religion zugleich zu Verbrechen gegen den Staat (vgl. Rdn. 7). Der Strafschutz reicht weit. Die Strafandrohungen sind schwer (vgl. die Beispiele Rdn. 20 Fn. 87). Religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse außerhalb der Staatskirche genießen keinen oder nur dürftigen Schutz. Das Gegenstück ist die strenge Trennung von Kirche und Staat, bei der die Religionen aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt, bestenfalls geduldet werden. 4 Diesem Verhältnis entspricht es, daß Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, fehlen. Identifiziert sich das Staatsdogma mit einer bestimmten weltanschaulichen Auffassung, werden, umgekehrt zur Rechtslage bei Identifikation des Staates mit der herrschenden religiösen Bekenntnisform, Angriffe auf die das politische System tragende Weltanschauung zu Straftaten gegen die staatliche Ordnung und Religionsausübung zur Straftat (vgl. MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 9 mit Beispielen). Die dritte Art der Ausgestaltung liegt zwischen diesen Extremen. Hier sind Kirche und Staat rechtlich zwar getrennt, ihre Beziehungen aber von gegenseitiger Achtung und Anerkennung be-

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Bruns S. 2f; Hardwig G A 1962 257; Kahl VDB S. 6f, 82 f; Festschrift Brunner S. 254, 256; Hesel S. 1; Lenz S. 166; Maurach BT § 47 I 1; Quentel S. 6ff; Schwander S. 35; vgl. auch DreierlMorlok Art. 140 Rdn. 1; krit. Manck S. 123ff. Zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche allgemein Listi H d K K R S. 1239 ff; Listi/Hollerbach S. 127Iff; Mikat Grundrechte S. 124ff; Müller- Volbehr ZEK.R 44 (1999) 385; Schilling

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S. 149 ff; Schlief S. 6 ff; Schnorr § 2 Rdn. 36; Schwander S. 35; Herrn. Weber E K L Sp. 450ff. So in der Antike, im Judentum, vom Mittelalter bis zur Neuzeit, heute noch in zahlreichen islamischen Ländern. Modell einer feindlichen Trennung (Herrn. Weber E K L Sp. 452), wie es, in unterschiedlicher Intensität, in den Staaten Ost- und Südosteuropas herrschend war.

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V o r b e m e r k u n g e n z u d e n §§ 166 ff

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stimmt. 5 Diesem Verhältnis autonomer Partnerschaft statt Staatskirche oder absoluter Trennung kann es entsprechen, daß der Staat in bestimmten Grenzen den Schutz der Kirchen, auch strafrechtlicher Art, wahrnimmt. 2. Das deutsche Staatskirchenrecht6 hat sich im Laufe des zweiten Jahrtausends 3 vom ottonischen Reichskirchentum des hohen Mittelalters über den durch gegenseitige Bindungen und Einflußnahmen geprägten Dualismus zwischen weltlicher Herrschaft und Kirche bis zur strengen Trennung von Staat und Kirche mit völliger Verweltlichung des Staats auf der einen und der Verwirklichung moderner Religionsfreiheit auf der anderen Seite entwickelt. 7 Eine der signifikantesten Ausdrucksformen der Trennung von Staat und Kirche, der von der Aufklärung entwickelte Begriff der Religionsgesellschaft, wurde alsbald in das weltliche Recht übernommen (näher § 166 Rdn. 61). Die Kodifizierung des Staatskirchenrechts insgesamt aber stammt aus neuerer Zeit. Nach dem Scheitern der Frankfurter Paulskirchenverfassung (dazu v. Campenhausen HdStKiR S. 64f; Listi Civitas 6 [1967] 142ff) gelang es erst mit der Weimarer Reichsverfassung, die Religionsfreiheit und die institutionelle Ausgestaltung des Staatskirchenrechts verbindlich festzuschreiben. 8 Ihre Kirchenartikel vereinigen Momente der Trennung, so das Verbot der Staatskirche 9 und die Garantie des kirchlichen Selbstordnungsrechts, mit solchen öffentlichrechtlicher Privilegierung und Anbindung, wie das Besteuerungsrecht und gewisse staatliche Mitwirkungsbefugnisse.10 Im Prinzip war damit das alte System der Staatskirchenhoheit überholt (vgl. H. Peters S. 188). Doch blieb durch das staatskirchenrechtliche Kernstück der Rege-

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Modell einer freundschaftlichen Trennung (Jeand'HeurlKorioth Rdn. 30) im Sinne möglicher Verbindungen von Staat und Kirche, verwirklicht durch die Weimarer Reichsverfassung und das Grundgesetz. Ursprünglich „Kirchenstaatsrecht" genannt; die Bezeichnung Staatskirchenrecht hat sich erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts durchgesetzt (Pirson S. 11 mit Fn. 18; vgl. auch Scheuner ZEKR 2 [1952/53] 383). Definiert wird es als die Gesamtheit der vom Staat gesetzten oder verantworteten Rechtsnormen, deren Gegenstand die Rechtsstellung von Religionsgemeinschaften oder die Rechtsstellung des Einzelnen im Hinblick auf die Religion ist (Pirson S. 3f; ferner Höllerbach Rdn. Iff; Obermayer Staat S. 8; BK Art. 140 Rdn. 69; krit. Preuss A K - G G Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 1; neuerdings auch Czermak NVwZ 1999 743 [mit der Empfehlung, den Begriff durch „Religions- und Weltanschauungsrecht" zu ersetzen]; NVwZ 2000 896). Insgesamt zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche Scheffler S. 3 ff; Scheuner Z E K R 7 (1959/60) 231 ff, 247 f; Scheuner Kirche Sp. 1327 ff; Schlief S. 6 ff; Herrn. Weber E K L Sp. 450ff; zur Entwicklung in Deutschland ausführlich v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 7 ff; Heckel Z E K R 12 (1966/67) 1 ff; 44 (1999) 363 ff; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 5 ff; Listi Civitas 6 (1967) 118f; Pirson S. 3 ff, 12f; Preuss AKG G Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 2ff; W. Weber Festschrift Smend S. 383 ff; ferner

OVG Berlin ZEKR 3 (1953/54) 201, 203 ff; Anschütz Art. 137 Anm. 1; Badura HdStKiR S.218ff; v. Campenhausen HdStR Rdn. 6ff; E. Fischer S. 157f; Hollerbach Rdn. 6ff; Link Festschrift Thieme S. lOOff; Mahrenholz Kirchen S. 12 ff; v. Mangoldt/KIein/Starck Art. 4 A b s 1, 2 Rdn. 1; Obermayer BK Art. 140 Rdn. Iff; Scheuner Z E K R 2 (1952/53) 383 ff; Schilling Gotteslästerung S. 149 ff; Smend Z E K R 1 (1951) 4ff; W. Weber Gedächtnisschrift Jellinek S. 101 f; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 3ff; vgl. auch Dreierl Morlok Art. 4 Rdn. 1 ff; Harne! Glaubensfreiheit S. 37, 39ff; Muckel Freiheit S. 4Iff; Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. Iff; Sebott S. 246ff; Zippelius Recht S. 286ff. Einen Vergleich der unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bieten die Beiträge bei Robbers Staat und Kirche in der Europäischen Union (1995). 8

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Ausführlich zur Entstehung der staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung Badura HdStKiR S. 229 ff; v. Campenhausen Z E K R 46 (2001) 166 ff; Dreierl Morlok Art. 140 Rdn. lOf; Korioth Gedächtnisschrift Jean d'Heur S. 226ff; Mahrenholz Z E K R 20 (1975) 54 ff; Scheffler S. 77 ff. Zum Ausschluß jeglichen Staatskirchentums auch in Österreich Klecatsky E u G R Z 9 (1982) 444. Scheuner Kirche Sp. 1334f; Herrn. Weber HdStKiR S. 577; E K L Sp. 454; näher § 166 Rdn. 60, 67.

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

lungen, dem die Privilegierung der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften beibehaltenden Art. 137 Abs. 5 (dazu näher § 166 Rdn. 67, 68), vorkonstitutionelles Gedankengut insofern erhalten, als sich mit der Einfügung von Religionsgesellschaften in das öffentlichrechtliche Ordnungssystem, in dem der Staat die übergeordnete Verantwortung hat, ein Fortbestehen der Aufsicht über sie verband." Den Materialien 12 kann entnommen werden, daß der Verfassungsgeber mit den Kirchenartikeln eine „Friedensordnung" hat schaffen wollen.13 Ob die Regelungen sich als eine solche erwiesen haben (so Smend Z E K R 16 [1971] 246), oder sie im Hinblick auf das Verständnis der Kirchen von sich und der Verfassung kaum sichtbar geworden ist (Mahrenholz Z E K R 20 [1975] 57), mag dahinstehen. Jedenfalls war eine von liberaler Freiheit geprägte Ordnung entstanden, die zwar eine gewisse Distanz zwischen Kirche und Staat vorgab, 14 andererseits aber den Kirchen einen von staatlicher Einflußnahme freien Raum zur Entfaltung ihres wesentlichen Berufs sicherte.15 Diese Kennzeichnung des Grundverhältnisses zwischen Staat und Kirchen ist bis heute gültig.16 4

3. Die Konzeption des Grundgesetzes mußte zunächst die Veränderungen korrigieren, die das Staatskirchenrecht durch die religionsfeindlichen Tendenzen des nationalsozialistischen Staates (Entpolitisierung der Kirchen, Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens) mit zielgerichteten Verletzungen der Religionsfreiheit in vielfachen Ausprägungen erlitten hatte. 17 Durch sie war das tradierte System der ab11

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Das entsprach der „Korrelatentheorie" (zu deren Entwicklung Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 228), die an sich mit dem Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) und der Unabhängigkeit aller Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 3 WRV) nicht zu vereinbaren war (Ebers S. 302). Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, Anlage zu den Stenographischen Berichten Bd. 336 S. 191 ff. Mahrenholz Z E K R 20 (1975) 57 mit Auszügen aus dem Verhandlungsprotokoll (Rdn. 12) S. 55 f. Smend charakterisiert diese Seite als „innere Fremdheit", weil die Berührung zwischen Staat und Kirche nur noch an der Peripherie, ohne Beteiligung des Wesenskerns des einen oder des anderen Partners, stattfinde (ZEKR I [1951] 7); vgl. auch v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 96; LeipholzlRinkl Hesselberger Art. 140 Rdn. 1; schillings. 153. Link Festschrift Thieme S. 98; Pirson S. 10; Schilling S. 153; Herrn. Weber HdStKiR S. 575f, 579. Den die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung, namentlich die des Art. 137 Abs. 5, abwertenden Stimmen (vgl. die Zitate bei Pageis JuS 1996 792), ist überzeugend widersprochen worden (z.B. Friesenhahn ZSR 94 (1975) 20; Mahrenholz Z E K R 20 [1975] 57). Die schlagwortartigen Kurzformeln, wie das staatskirchenrechtliche Schrifttum sie zur Kennzeichnung der neuen Ordnung zahlreich hervorgebracht hat, etwa „modifiziertes Trennungssystem" (Obermayer BK Art. 140 Rdn. 30), „System der hinkenden Trennung"

(Link Civitas 6 [1967] 157f; Jeand'Heur!Korioth Rdn. 31; v. Mangoldt!Kleinh.Campenhausen Art. 140 Rdn. 13; Sachs/Ehlers Art. 140 Rdn. 7; Scheuner Z E K R [1952/53] 386; Kirche Sp. 1334), „System der abgeschwächten staatlichen Kirchenhoheit" (W. Weber Gegenwartslage S. 155), „gelockerte Fortsetzung der Verbindung von Staat und Kirche" (Scheuner Z E K R 7 [1959/60] 245) und „System der positiven Trennung von Staat und Kirche" (Mikat Grundrechte S. 146; Herrn. Weber Religionsgemeinschaften S. 24) mit mannigfachen Varianten wie „abgemilderte" oder „gemäßigte" Trennung, Trennung „eigener Art" und „balanciertere Trennung auf der Grundlage der Religionsfreiheit" (zum Ganzen Bielilz Kurzbegriffe zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nach dem Grundgesetz, Z E K R 29 [1984] 103 fl), sind eher mißverständlich, weil sie das System der Beziehungen zwischen Kirche und Staat derart verkürzt nicht eindeutig und adäquat bestimmen können (Listi!Hollerbach S. 1272; vgl. auch v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 419f; Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 229; Link Festschrift Thieme S. 109). 16

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So heißt es beispielsweise im Evangelischen Kirchenvertrag von Mecklenburg-Vorpommern von 1994, daß die Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation gebiete (vgl. v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 99). Dazu ausführlich BihlmeyerlTüchle S. 514ff; Jeand'Heur!Korioth Rdn. 42; Listi Civitas 6 (1997) 191 ff; Obermayer BK Art. 140 Rdn. 31 ff; Scheffler S. 82 ff; W. Weber Festschrift Smend S. 365 ff; ferner v. Campenhausen Staatskirchen-

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

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geschwächten Staatskirchenobrigkeit am Ende zerbrochen (Obermayer BK § 140 Rdn. 31). Das zwang die Kirchen, sich auf ihr letztes Wesen zu besinnen mit endgültiger grundlegender Wirkung für ihr künftiges Verhältnis zum Staat. 18 Zunächst galt es nach 1945 jedoch, den im Dritten Reich zerstörten Frieden wiederherzustellen. Dies geschah durch Restaurierung des älteren Landeskirchenrechts unter Beseitigung der reichskirchenrechtlichen Eingriffe der Zeit nach 1933 (Scheuner Z E K R 2 [1952/53] 387).19 Auch der Parlamentarische Rat vermochte nicht, neue staatskirchenrechtliche Regelungen zu schaffen, die der Phase, in die das Verhältnis von Staat und Kirche durch die Abwehr des Totalitätsanspruchs des nationalsozialistischen Regimes eingetreten war, gerecht geworden wären. 20 So gelangte das Grundgesetz zu der Verlegenheitslösung, 21 zum Stand von vor 1933 zurückzukehren, 22 indem es die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 WRV zu seinen Bestandteilen erklärte (Art. 140).23 Diese Normen sind vollgültiges Verfassungsrecht und stehen gegenüber anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Ranges. 24 Sie bestätigen eine gegenüber der Weimarer Republik unveränderte Verfassungsrechtslage (Krüger DÖV 1961 727), mithin auch deren Interpretation vom Fortbestehen der Staatsaufsicht über die Religionsgemeinschaften auf der Grundlage einer rechtlichen Überordnung des Staates (vgl. schon Rdn. 3). Ungeachtet dieser Festschreibung ist es vor dem gegenüber der „von konstitutionellen Eierschalen noch nicht ganz befreiten Weimarer Verfassung" (Friesenhahn ZSR 94 [1975] 17) deutlich veränderten Verfassungshintergrund des freiheitlichen Grundgesetzes der staatskirchenrechtlichen

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recht S. 43 ff; Friesenhahn ZSR 94 (1975) 11,17; Hollerbach Rdn. 17; Kotigen DVB1. 1952 487; Link Festschrift Thieme S. 109 mit Angaben zur Literatur über den Kirchenkampf (Fn. 84); v. MangoldllKleinlv. Campenhausen Art. 140 Rdn. 10; Mikat Kirche S. 9f; Preuss AK-GG Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 8; Quaritsch Staat 1 (1962) 181; Scheuner ZEKR 7 (1959/60) 250; A. Stein NJW 1983 2528; W. Weber Gegenwartslage S. 155 f; Gedächtnisschrift Jellinek S. 101 ff. Hesse ZEKR 3 (1953/54) 191; Smend ZEKR 1 (1951) 8; A. Stein NJW 1983 2527, 2528 ff; vgl. auch Fuss DÖV 1961 734; Schilling S. 153, 155. Zum starken politischen Geltungsanspruch, mit dem die Kirchen aus dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hervorgegangen waren, dazu als einzige Kraft mit intakt gebliebener Organisation, Quaritsch Staat 5 (1966) 455; Zippelius ZEKR 9 (1962) 42; vgl. auch Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 231; Manck S. 126; Müller- Volbehr ZEKR 44 (1999) 390. Das Kontrollratsgesetz Nr. 49 vom 20.3.1947 hatte das Staatskirchenrecht als domaine réservé des deutschen Volkes bestätigt. Näher DreierlMorlok Art. 140 Rdn. 12; Hollerbach Rdn. 22ff; Köngen DVB1. 1952 486; Schefßer S. 95 ff; vgl. auch Meyer-Teschendorf AöR 103 (1978) 290ff; Quaritsch Staat 5 (1966) 451,456. Die als Fortführung des Weimarer Verfassungskompromisses eigentlich eine doppelte Verlegenheitslösung war (Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 229); ferner dazu v. Campen-

hausen HdStR Rdn. 34; Fuss DÖV 1961 736; Listi Civitas 6 (1967) 164f; Mikat Kirche S. 1; Grundrechte S. 124; Smend ZEKR 1 (1951) 11; W. Weber Gegenwartslage S. 157; vgl. dagegen H. Peters S. 186; differenzierend auch Heckel ZEKR 44 (1999) 350; Hollerbach Rdn. 28; Link Festschrift Thieme S. 108; zur Entstehungsgeschichte des Art. 140 G G ferner Badura HdStKiR S. 215f, 236ff; E. Fischer S. 156f; Friesenhahn ZSR 94 (1975) 11 ff; Leipholzl RincktHesselberger Art. 140 Rdn. 46; Listi Religionsfreiheit S. 23 f; Mahrenholz Kirchen S.99ff; v. Mangoldt/Kleinlv.Campenhausen Art. 140 Rdn. 7; Mayer-Scheu S. 63 ff; Preuss AKG G Art. 1, 2 Rdn. 6, Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 9f. 22

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Was von kirchlicher Seite entsprechend zwiespältig empfunden wurde. Beispielhaft dafür ist die Mahnung von Smend, dies nicht als „Siegesgewinn" zu verstehen, sondern den eigentlichen, wesensmäßigen Anspruch der Kirchen auf Zulassung ihres Dienstes an der Öffentlichkeit in den Vordergrund zu stellen (ZEKR 1 [1951] 10); dazu v. Campenhausen HdStKiR S. 55 f; vgl. auch Scheuner ZEKR 2 (1952/53) 382 f. Einzelheiten der Entstehungsgeschichte bei v. DoemminglFüssleinlMatz JahrÖR 1 (1951) 899 ff. BVerfGE 19 206, 219; 53 366, 400; Badura Schutz S. 14; v. Campenhausen HdStR Rdn. 35; Hollerbach Rdn. 29; LeipholzlRincklHesselberger Art. 140 Rdn. 47; Obermayer BK Art. 140 Rdn. 66; Herrn. Weber NJW 1983 2543; Sachsl Ehlers Art. 140 Rdn. 2.

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Lehre 25 gelungen, den Wandlungen im Verhältnis von Staat und Kirchen durch die Entwicklung eines besonderen partnerschaftlichen Miteinanders Rechnung zu tragen. Theoretische Grundlage dieser Veränderung war das Interpretationsmodell einer gleichgeordneten Koordination von Staat und Kirche, dem die Auffassung zugrundelag, der Staat sei den Kirchen nicht übergeordnet, diese hätten vielmehr eigene, ursprüngliche Hoheitsgewalt, die vom Staat nicht verliehen, sondern nur anerkannt werde. Sie fußte auf der von Smend eingeführten (ZEKR 1 [1951] 4, 11) und von Hesse ausführlich begründeten (Rechtsschutz S. 28 ff; vgl. auch schon Z E K R 3 [1953/54] 190; JahrÖR 10 [1961] 23ff) These, daß die inkorporierten staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung im Rahmen des Grundgesetzes eine andere Bedeutung erlangt hätten, als sie sie im Zusammenhang der Weimarer Reichsverfassung hatten, und sie daher primär aus ihrer Einbettung in das gesamte Wertsystem des Grundgesetzes heraus unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Wandels des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen seit 1933 auszulegen seien.26 Ob es sich dabei weniger um einen Bedeutungswandel, der zu einer in der Tiefe neuen Ordnung geführt hat, handelt, sondern eher um eine Vertiefung des Verständnisses der Weimarer Artikel, die besser als Interpretationswandel bezeichnet werden sollte,27 oder ein solcher Vorgang überhaupt zu verneinen ist (z.B. Krüger DÖV 1961 727; Quaritsch Staat 1 [1962] 195; Herrn. Weber Religionsgemeinschaften S. 29f), dürfte letztlich bedeutungslos sein, weil Einigkeit jedenfalls insofern besteht, als, wie alle Verfassungsnormen, auch die staatskirchenrechtlichen Regelungen bei einem Wandel der sie prägenden Grundanschauungen Sinnesänderungen unterliegen, die dem Verfassungsstand entsprechend verfassungskonform interpretiert werden müssen (MüllerVolbehr Z R P 1991 349 Fn. 17).28 Freilich hat sich später die Auffassung durchgesetzt, daß die Koordinationslehre mit der Souveränität des Verfassungsstaats nicht vereinbar ist, und demnach ebenso wie die privatrechtlichen Religionsgemeinschaften auch die kirchlichen Korporationen getrennt vom Staat dem Bereich der Gesellschaft zuzuweisen sind (näher Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 230 f). Doch ist es bei dem Ergebnis jener Lehre der Verschiebung der Verhältnisordnung von Staat und Kirche durch Einräumung größerer Freiheiten der Kirchen noch weiter zum Trennungspol hin CFriesenhahn ZSR 94 [1975] 17; vgl. auch Manck S. 126f; Scheuner Z E K R 2 [1952/53] 387) geblieben. Dadurch ist den Kirchen unter dem Grundgesetz ein Freiheitsraum entstanden, wie er ihnen in diesem Umfang in früherer Zeit effektiv niemals

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Und zwar ausschließlich (Hesse JahrÖR 10 [1961] 22) ihr (vgl. auch Häberle DÖV 1976 74 mit Fn. 13). Diese Sicht fand breite Zustimmung. Vgl. schon BVerfGE 6 309, 343; ferner B G H Z 34 372, 373 f; OVG Berlin Z E K R 3 (1953/54) 201, 204f mit Bespr. Hesse Z E K R 3 (1953/54) 188ff; VG Düsseldorf Z E K R 11 (1964/65) 314, 315f; VG Hannover ArchKKR 132 (1963) 276, 278; Badura Schutz S. 14; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 50 mit Fn. 8; E. Fischer S. 159 ff; Fuss DÖV 1961 736; Hamann/Lenz Art. 40 Anm. A 1 b; Hollerbach Rdn. 19fT; Listi Civitas 6 (1967) 165; v. Mangold!Kleinh. Campenhausen Art. 140 Rdn. lOff; v. MangoldtlKlein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 8; Meyer-Scheu S. 63ff; Mikat Kirche S. lOff; v. Münch!KuniglHemmrich Art. 140 Rdn. 6; Ott Staat S. 110; H. Peters S. 177, 191; W. Weber Gedächtnisschrift Jellinek S. 157 ff, 173;

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vgl. auch Häberle DÖV 1976 73; Zippelius Z E K R 9 (1962) 67; einschr. Preuss A K - G G Art. 140/136-139, 141 WRV Rdn. l l f , 15; SchmidtBleibtreu/Klein Art. 140 Rdn. 2; ausführlich aus neuerer Sicht Jeand'Heur/ Korioth Rdn. 44 ff. Obermayer DÖV 1967 10 Fn. 11; im Ansatz ebenso Heckel Z E K R 12 (1966/67) 32; 34 (1999) 348 ff; vgl. auch die Bemerkung von Scheuner, daß die Weimarer Kirchenartikel auf dem Boden einer gewandelten Lage verstanden und interpretiert werden müßten (ZEKR 7 [1959/60] 252); ferner E. Fischer S. 159 fT; Friesenhahn Z E K R 94 (1975) 17. Ein signifikantes Beispiel solcher Interpretation ist die Annahme der vorbehaltlosen Gewährung des Grundrechts der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 G G ) ungeachtet des Vorbehalts der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten in Art. 136 Abs. 1 WRV. Näher dazu § 166 Rdn. 35.

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

zu Gebote gestanden hat (Listi/Hollerbach S. 1272; Scheuner ZEKR 7 [1959/60] 273; vgl. auch Jeand'Heur/Korioth Rdn. 31), und dies ohne gleichzeitig die auch Kirchen und Religionen gegenüber bestehende Ordnungsfunktion des Staates zu gefährden (Herrn. Weber NJW 1983 2554; vgl. aber auch Meyer- Teschendorf Staat S. 6 ff), deren Fortbestand umso notwendiger geworden erscheint, je mehr Angehörige anderer Religionen, die weder Religionsfreiheit noch einen Rechtsstaat kennen, nach Deutschland drängen (v. Campenhausen ZEKR 46 [2001] 178).29 4. Die derzeitige staatskirchenrechtliche Ordnung läßt sich zusammenfassend da- 5 hin definieren, daß sie auf der Grundlage einer institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche bei strikter Neutralität des Staates den Kirchen umfassende individuelle und korporative Religionsfreiheit sowie völlig freie Betätigung gewährt (Listi/Hollerbach S. 1272). Entsprechendes gilt für sämtliche übrigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die besondere Anerkennung der Stellung der Kirchen im Bereich des Öffentlichen kommt in dem durch die Verfassung selbst begründeten Körperschaftsstatus (näher § 166 Rdn. 67 bis 69) sowie in vielfaltigen Formen einer staatlich-kirchlichen Korporation einschließlich der Förderung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften durch den Staat zum Ausdruck (List IIHollerbach S. 1272). Teil dieser Ordnung ist schließlich auch der staatliche Rechtsschutz im kirchlichen Bereich.30 Mit Preuss lässt sich dieses System, auf eine Kurzformel gebracht, am ehesten als das einer selbständig, aber nicht unverbunden, neben den Grundrechten der Religionsfreiheit und der religiösen Vereinigungsfreiheit stehenden korporativen Kooperation zwischen Staat und Kirchen31 kennzeichnen (AK-GG Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 22).32 Freilich findet diese Ausformung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen nicht ungeteilte Zustimmung. Sie wird von denjenigen in Frage gestellt, die eine laizistische Ordnung wollen und deshalb die Forderung erheben, den Verfassungskompromiß des Art. 137 Abs. 5 WRV zum Nachteil der Kirchen zu revidieren.33 Ihre Zweifel begegnen, mit unterschiedlichen Akzenten, der Duldung mehrerer originärer Hoheitsgewalten durch den Staat,

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Zu Chancen und Gefahren aus der europäischen wie globalen Öffnung der Staatsgrenzen Isensee Festschrift Listi S. 72 ff. Er bildete im Gegensatz zu dem sonst weitgehenden allgemeinen Konsens in allen staatskirchenrechtlichen Bereichen eine, dazu äußerst umstrittene Ausnahme (vgl. z. B. noch v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 363 ff; Heckel Die staatliche Gerichtsbarkeit in Sachen der Religionsgesellschaften, Gesammelte Schriften Bd. 4 [1997] 1026; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 357ff; Kirchberg Staatlicher Rechtsschutz in Kirchensachen NVwZ 1999 734). Inzwischen hat jedoch der Bundesgerichtshof in einer grundlegenden Entscheidung alle Fragen, deren Beurteilung sich nach staatlichem Recht richtet, in die dem Staat obliegende Justizgewährungspflicht einbezogen, ohne daß es insoweit auf ein kirchliches Einverständnis ankomme oder die staatliche Gerichtsbarkeit etwa subsidiär sei (BGH N J W 2000 1555 mit zust. Bespr. Nolte NJW 2000 1844; beipflichtend ferner v. Campenhausen Neues zum staatlichen Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, ZEKR 45 [2000] 622).

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Vgl. auch die Bezeichnung verständige Kooperation (BVerfGE 42 112, 311). Mit dieser Kennzeichnung sieht Preuss (a.a.O. Fn. 65) sich in der Nähe der Auffassung von v. Mahrenholz, das deutsche Staatskirchenrecht sei ein System mit zwei Wurzeln, indem es zum einen in seinem klassischen Bestand auf den durch die Verfassung gewährleisteten Rechten mit Einbettung auch der kirchlichen Freiheiten in die grundrechtliche Sphäre, zum anderen auf der Ausbildung eines spezifischen staatlichen Verbandsrechts, das allgemeine Verbandspositionen umfasse, beruhe (ZEKR 20 [1975] 54). Z.B. E. Fischer S. 49ff, 156ff; Krüger Besprechung von Hesse Rechtsschutz, Z E K R 6 ( 1957/ 58) 72, 76ff; DÖV 1961 727; Meyer-Teschendorf AöR 103 (1978) 295ff; Staat S. 3ff; 119ff; Obermayer DÖV 1967 11; Quaritsch Staat 1 (1962) 175ff, 194ff; Staat 5 (1966) 45Iff; Festschrift Schack insb. S. 140f; vgl. auch die grundsätzlichen Zweifel bei Zippelius Z E K R 9 (1962) 42.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

der Begründung besonderer Partnerschaftsverhältnisse mit einzelnen Gruppen der Gesellschaft, der Vereinbarkeit der Privilegierung der großen Kirchen mit der Pflicht des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität sowie der Zulässigkeit der Bindung des Staates an solche Inhalte von Kirchenverträgen, die der fortlaufenden parlamentarischen Regelungsbefugnis unterliegen.34 Sie haben sich gegenüber der weit überwiegenden Anerkennung des Prinzips der partnerschaftlichen Kooperation nicht durchsetzen können.35 Freilich beendet dies die Diskussion nicht (Jeand'HeurlKorioth Rdn. 58). Denn die Entwicklung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse steht niemals still (so schon Scheuner ZEKR 7 [1959/60] 226). Deshalb hat das Staatskirchenrecht sich weiterhin den alten laizistischen Forderungen zu stellen, muß sich darüber hinaus aber auch gegenüber den zahlreichen unbestimmten und wechselnden Herausforderungen neuer Art behaupten. Dabei wird der Rückgriff auf die traditionelle Argumentation kaum mehr genügen. Erfolgschancen dürften vielmehr nur aus der Entwicklung einer neuen, an den Lebens- und Leistungsbedürfnissen des heutigen Gemeinwesens orientierten funktionalen Legitimation erwachsen können (Isensee Festschrift Listi S. 70 f). 6

5. Die für den strafrechtlichen Schutz im Bereich von Religion und Weltanschauung wichtigste staatskirchenrechtliche Grundnorm ist die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).36 Die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Absatz 1) gehört zum menschenrechtlichen Grundbestand der neuzeitlichen Grundrechtserklärungen (v.MangoldtlKlein/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 6; Pirson HdStKiR S. 39), was die weitere Bestimmung, daß die ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird (Absatz 2), unterstreicht.37 Eine spezifische Bedeutung dieses Grundrechts liegt in seiner Ausstrahlungswirkung in die gesamte übrige Rechtsordnung {Müller- Volbehr ZEKR 44 [1999] 395; vgl. auch Heckel ZEKR 44 [1999] 380). Auch Verwaltungs- und Strafgesetze können ihm nur als Ergebnis einer Güterabwägung nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems Grenzen ziehen (BVerfGE 32 98, 108; dazu auch § 166 Rdn. 34). Andererseits vermag das Grundrecht kraft seiner Ausstrahlungswirkung einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund zu begründen 34

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Zusammenfassung nach Obermayer DÖV 1967 11; vgl. auch Obermayer BK Art. 140 Rdn. 85. Vgl. etwa den schriftlichen Bericht der nach Art. 5 EV berufenen Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat vom 5.11.1993, in dem es heißt, daß eine grundsätzliche Neuordnung in diesem Sektor der Verfassung nicht angezeigt sei, weil sich das staatskirchenrechtliche System des Grundgesetzes bewährt habe (BTDrucks. 12/6000 S. 106ff); dazu v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 421; Korioth Gedächtnisschrift Jeand' Heur S. 235; Müller- Volbehr Z E K R 44 (1999) 385 f; SchmidtBleibtreulKlein Art. 140 Rdn. 11. Nachgebildet dem Art. 135 Abs. 1 WRV. Einzelheiten der Entstehungsgeschichte bei v. DoemminglFüssleinlMatz JahrÖR 1 (1951) 73ff. Das Grundgesetz verwendet an keiner Stelle den Begriff Religionsfreiheit, Standardbezeichnung vor allem im Schrifttum, sieht man von der Einbeziehung des Art. 136 WRV (dort Absatz 1)

durch Art. 140 G G ab. Als „Gesamtgrundrecht" (v. Campenhausen HdStR Rdn. 74; Listi HdStKiR S. 454) schließt es, durchaus im Sinne der Tradition des deutschen Staats- und Religionsrechts, ebenso die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, wie auch das Recht der freien und ungestörten Religionsausübung in allen individualrechtlichen, gemeinschaftlichen und korporativ-institutionellen Erscheinungsformen und Bezügen ein (Listi HdStKiR S. 499; vgl. auch v. Campenhausen HdStKiR S. 59; ListllHollerbach S. 1274 ff; Mikat HdVerfR Rdn. 7). Mit der Aufzählung einzelner Ausprägungen der Religionsfreiheit statt der einfachen Verwendung dieses Begriffs sollte auch aus der Abwehrhaltung gegenüber den Störungen der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Versuchen gewehrt werden, bei formaler Anerkennung der Religionsfreiheit einzelne ihrer Erscheinungsformen zu unterbinden (v. Campenhausen HdStR Rdn. 36).

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(Müller- Volbehr DOV 1995 308; vgl. § 166 Rdn. 89), etwa wenn der Täter sich in einer konkreten Situation durch seine Glaubensüberzeugung zu einem Tun oder Unterlassen bestimmen läßt (BVerfGE 32 98, 108 f 38 ). Selbst in Fällen, bei denen die durch ernste innere Auseinandersetzung gewonnene Entscheidung nicht in einer konkreten Situation stattfindet, sondern, wie etwa bei Zeugen Jehovas im Falle der Dienstflucht (§ 53 ZDG), auf einem von vornherein für allemal gefaßten Entschluß beruht, wirkt sich das Grundrecht der Gewissensfreiheit als „allgemeines Wohlwollensgebot" jedenfalls strafmildernd aus.39 Für den strafrechtlichen Schutz von Religion und Weltanschauung liegt die besondere Bedeutung des Grundrechts in dem ihm innewohnenden Verbots- und Sanktionsgebot (v. MangoldtlKlein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 19; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 108). Zwar gewährt Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, wie jedes andere Grundrecht, zunächst ein aus der „negativen Religionsfreiheit" resultierendes Abwehrrecht gegen vom Staat ausgehende Störungen, enthält aber, wie Art. 135 Satz 2 WRV,40 auch die Pflicht des Staates, Störungen durch Dritte nicht zuzulassen, also drohende Störungen zu verhindern und noch anhaltende Störungen zu unterbinden.41 Er hat, soweit in diesem Bereich die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr und zur eventuellen Ahndung von Rechtsbrüchen nicht ausreichen, die erforderlichen Gesetze zu schaffen. Die Bestimmungen des 11. Abschnitts des Strafgesetzbuchs sind eine Konkretisierung dieser Pflicht.42 Ihre Ausgestaltung ist durch den Interpretationswandel, der sich bei den im Grundgesetz inkorporierten Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung vollzogen hat (vgl. Rdn. 4), nachhaltig beeinflußt worden.43

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Hier war ein Ehemann, der mit seiner Ehefrau der religiösen Vereinigung des evangelischen Brüdervereins angehörte, die Krankenhausbehandlungen und insbesondere Bluttransfusionen ablehnt, wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 330c, jetzt § 323c) bestraft worden, weil er die dann zum Tod führende Entscheidung seiner Ehefrau, sich nicht behandeln zu lassen, mitgetragen hatte. BVerfGE 23 127, 134; BayObLGSt. 1980 15, 16; OLG Düsseldorf M D R 1996 409, 410; OLG Hamm NJW 1980 2425; OLG Stuttgart NJW 1992 3251. Dessen Wortlaut, die ungestörte Religionsausübung werde durch die Verfassung gewährleistet und stehe unter staatlichem Schutz, das Gebot eher deutlicher ausdrückt. Zur Auslegung Anschütz Art. 135 Anm. 5 mit Hinweis auf die einschlägigen Strafgesetze; ferner Ebers S. 211 ff. v. Mangoldtl Klein! Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 12, 17, 19, 121; ferner A. Albrecht Staat S. 144f; Badura HdStKiR S. 211 ff; Staatsrecht S. 140; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 96; ZEKR 46 (2001) 178; Hamann/Lenz Art. 4 Anm. A 3; JarasslPierothUarass Art. 4 Rdn. 14; Listi Religionsfreiheit S. 293f; v. Münch!KuniglMager Art. 4 Rdn. 39, 61 (unter Berufung auf die Verwendung der Begriffe „ungestört" und „gewährleistet" in Art. 4 Abs. 2 GG); Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 68; vgl. auch BVerfGE 41 29, 49;

BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Münster NVwZ 1991 176 mit Anm. Sachs JuS 1991 687; Badura Schutz S. 87 f; V. Campenhausen HdStKiR S. 60; Hollerbach Rdn. 109; List! Religionsfreiheit S. ISf; Mikat HdVerfR Rdn. 15; Sachs!Kokott Art. 4 Rdn. 65 and. MaunzlDüriglHerzog, der Staat habe nur die Verpflichtung, Eingriffe in das Grundrecht der freien Religionsausübung zu unterlassen, sei aber nicht gehalten, dem Einzelnen oder auch religiösen Vereinigungen die faktischen Möglichkeiten der Religionsausübung zu verschaffen (Art. 4 Rdn. 86, 108); ferner Seifert!Hornig! Bergmann Art. 4 Rdn. 10; vgl. auch Leibholz! Rinck!Hesselberger Art. 4 Rdn. 191. 42

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v. Mangoldtl Klein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 19; ebenso v. Münch!Kunigl Mager Art. 4 Rdn. 19 (für § 166), Rdn. 61 (für § 167); ferner E 1962 Begr. S. 342; Prot. V/134 S. 2807 (dazu Rdn. 14); vgl. auch BVerfGE 39 1, 44 ff (Einsatz des Strafrechts zur Realisierung der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG); SachslKokott Art. 68 mit Hinweis auf § 166. Auch im Zivilrecht ist der Schutz der Religionsfreiheit verankert. Die ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist ein sonstiges Recht im Sinne der §§ 823, 1004 BGB (v. MangoldtlKlein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 121; SachslKokott Art. 4 Rdn. 68).

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III. Die historische Entwicklung der Religionsdelikte44 ist geprägt durch die Auseinandersetzungen über ihre Rechtfertigung. 1. Beherrschender Tatbestand war zu allen Zeiten die Gotteslästerung. In ihm liegt nicht nur der Ursprung einer Strafbarkeit von Handlungen, die sich gegen Religion, religiöse Anschauungen und die Betätigung des kultischen Lebens richten; vielmehr hat er stets auch die Ausgestaltung anderer Religionsdelikte maßgeblich beeinflußt. Der Gedanke einer weltlichen Bestrafung der Blasphemie stammt aus dem Judentum. 45 In Athen wurde 434 v. Chr. eine Strafe für Gottesleugner eingeführt, was bereits bestehendem ungeschriebenem Priesterrecht entsprach (Skriver S. 16; vgl. auch Moser S. 7f; Webersinn S. 4 fi). Das spätrömische Recht zählte, nun bereits unter dem Einfluß christlicher Anschauungen, die Gotteslästerung zu den schwersten und strafwürdigsten Verbrechen (crimen laesae majestatis), bedroht mit dem Tode.46 Ebenso streng gestaltete die Lex Visigothorum den Tatbestand (Schilling S. 86). Dem älteren deutschen Recht waren weltliche Strafen wegen kirchlicher Delikte, auch dem der Gotteslästerung, zunächst fremd. 47 Seit dem 11. Jahrhundert jedoch forderte die Kirche mehr und mehr Unterstützung durch die weltliche Gewalt, namentlich gegenüber allen Vorstellungen und Handlungen des Aberglaubens. Das Ergebnis waren gesetzliche Strafdrohungen gegen Ketzerei, Zauberei, Meineid, Leichenraub 48 und, nunmehr deutlich auf anthropomorphischer Grundlage, gegen Gotteslästerung. Deren reichseinheitliche Regelung, eingeleitet durch die „Satzung von den Gotteslästern", dem Anfang des Wormser Reichsabschieds von 1495, verwirklicht dann durch die Bambergensis von 1507 (Art. 127), die Carolina von 1532 (Art. 106) und die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, geht unmittelbar auf die Novella 77 Justinians (vgl. Fn. 46) zurück. 49 Die Besorgnis vor dem Zorn Gottes war so groß, daß sogar die unterlassene Anzeige der Gotteslästerung schwer bestraft wurde, beispielsweise nach den Reichspolizeiordnungen (v. Hippel I § 14 XI 2 mit Fn. 1). Insgesamt bewirkten die Religionsdelikte, daß, wie schon im spätrömischen Recht, eine selbst nur geringfügige Abweichung von der Glaubenslehre der Kirche, jedes Verhalten, das auch nur mittelbar den kirchlichen Auftrag nach ihrem Selbstverständnis gefährdete, ein Religionsverbrechen war.50 Die Reformation änderte daran nichts (E. Fischer

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Der das Schrifttum stets seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, vgl. z. B. Abel Religionsfreiheit S. 58 ff; Barion Sp. 407 f; Binding Lehrbuch I § 42 I; Blei BT § 35 I 3; Eser S. 1042; Hamel ZStsW 109 (1953) 54 fT; Hesse Rechtsschutz S. 6 ff; Hinschius S. 790 fT; v. Hippel I § 88 I 2, II 2, § 9 III, § 13 IX 2, § 14 VI 1, XI 2, § 16 V 4; His Geschichte S. 108 ff; Holstein S. 10 ff; E. Kaufmann Sp. 880 ff; Kesel S. 4 ff; Kohlrausch S. 9 ff; v. Liszt!Schmidt BT § 117; Manck S. 55 ff; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 1; Mey S. 5 ff; Middendorf/ ZStW 76 (1964) 74 ff; Mommsen S. 567 ff, 595 ff, 760 ff; Moser S. 4 ff; H. W. Nagel S. 31 ff; Ott Aspekte S. 63 ff; v. Rohland S. 119ff; Sauer BT § 41 I 1; Schilling S. 83ff; Schmitz S. 4 ff; Schnieders S. 3 ff; Skriver S. 15 ff; Welzel Strafrecht Vorbemerkung zu § 65; Worms S. 89ff; dazu die historischen Uberblicke Prot. V/121 S. 2421, 2423 f; speziell zur Entwicklung der Schutztheorien Eser S. 1023 ff; rechtsvergleichend Hüttemann S. 94 ff; Kahl VDB S. 27 ff; Klotz S. 149 ff.

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v. LisztlSchmidt BT § 117 I 1; ebenso Bruns S. 24; Kahl VDB S. 9; vgl. auch Schmied Blasphemie S. 20f; Thümmel Religionsschutz S. 10; Webersinn S. 1 f; and. Moser S. 4. Belegt ist die Verurteilung des Israeliten Naboth zur Steinigung wegen Lästerung Gottes (1. Könige Kap. 21, 9. Jahrh. v. Chr.). Die 538 dem Codex Justinianeus I 9 hinzugefügte Novella 77 gab dafür die Begründung: „propter talia enim delicta et fames et terrae motus et pestilentiae fiunt". Ettinger S. 25; E. Kaufmann Sp. 882; Mühlbayer S. 14; vgl. dazu auch MaurachlSchroederl Maiwald2 § 61 Rdn. 1; WebersinnS. 16ff. Eine Ausformung der Störung der Totenruhe, einem ebenfalls uralten, schon dem römischen Recht bekannten Tatbestand (v. Hippel I § 88 II 2 Fn. 9; Welzel Strafrecht § 65 IV). V. Hippel I § 14 VI 1; Ott Literatur S. 285 f; Welzel Strafrecht Vorbemerkung zu § 65; and. Webersinn S. 77. Ettinger S. 29; E. Fischer S. 31; Hinschius S. 791;

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S. 24, 31). Zumindest in Sittlichkeitsdelikten wirkte sie sich eher strafverschärfend aus {Middendorf/ Kriminalistik 1963 578). Allerdings belebte die evangelische Theologie den alten Gedanken, wonach der Glaube non vi sed verbo seine Macht entfalte, neu (Heckel NJW 1983 1521, 1522). Den Verzicht der evangelischen Kirchen auf weltliche Strafgewalt glich am Ende aber das landesherrliche Kirchenregiment voll aus. Es entwickelte Kirchenordnungen (Agenden), die, über gottesdienstliche Regelungen weit hinausgehend, im Geiste des Absolutismus das gesamte Leben der Untertanen unter dem Blickwinkel „guter Sitten" zu regeln suchten und in ihrem Charakter allgemeinen Polizeiordnungen völlig entsprachen (E. Kaufmann Sp. 883 f mit Beispielen; vgl. auch Heckel NJW 1983 2521, 2524, 2526; Scheuner Kirche Sp. 13290- Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein hat die Novella 77 Justinians das deutsche Recht beeinflußt. Blasphemie galt weiterhin als das abscheulichste und größte Verbrechen. 51 Noch für Friedrich Wilhelm I. von Preußen war das Verbrechen Kränkung Gottes, der durch die Strafe versöhnt werden müsse, damit nicht sein Zorn über das Land komme. 52 Thümmel sieht selbst im E 1927 den Geist der Novella 77 lebendig (Religionsvergehen S. 15). Vor diesem Hintergrund scheint kaum überzogen, wenn Schmied feststellt, daß die Geschichte des Christentums eine Geschichte der Auseinandersetzung mit der Blasphemie ist (Blasphemie S. 21). 2. Die Abkehr von der metaphysischen Rechtfertigung des Religionsstrafrechts voll- 8 zog sich endgültig erst im 20. Jahrhundert. Bis dahin wurde es von der, meist in sich widersprüchlichen, Doppelwertigkeit beherrscht, die sich einerseits aus seiner Rechtfertigung durch das Göttliche, Religiöse, Übermenschliche, Übersinnliche, andererseits aus dem notwendigen Bezug auf irdisch spürbare Rechtsgutsverletzungen ergab (Hassemer Religionsdelikte S. 1312; [234]). In der Zeit der Aufklärung trat diese Ambivalenz vorübergehend zurück. Deren Vorstellungen von einem säkularen Staat schloß die Begründung von Strafrecht aus dem Göttlichen aus.53 Die Gesetze, führend das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 (II 20 §§ 214 bis 228) und der Code pénal von 1810 (art. 201 bis 206), wandten sich dem Zweck zu, das religiöse Gefühl und die Freiheit der Religionsausübung zu schützen. 54 Der Aber-

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Kahl VDB S. 11; Schmitz S. 9. Wili bemerkt hierzu, daß es im Wesen der Theokratie, also des Staates, nicht der Religion, lag, die Sünde zum Verbrechen zu stempeln (Kriminalistik 1964 175). Bruns S. 24f unter Hinweis auf ein Gutachten der theologischen und juristischen Fakultät der Universität Tübingen aus dem Jahre 1708; ForrerS. 41. Blei BT § 35 I 3; v. Hippe11 § 15 XIII 1; Forrer S. 42 ff; Sauer BT § 41 I 4; Schilling S. 85; Skriver S. 18, 23; vgl. auch Hinschius S. 793 Fn. 3; Schmied Blasphemie S. 17f; Thümmel Religionsschutz S. 11; Webersinn S. 7 ff. Maßgebend de Montesquieu, der jedes Gesetz in Religionssachen für schädlich hielt (De l'esprit des lois von 1748 XII. Buch Kapitel 4; näher Webersinn S. 49 f)· Bahnbrechend für die deutsche Aufklärung Thomasius (1655 bis 1728) mit seinem großen Naturrechtswerk, nach dessen Abschluß er sich Reformabhandlungen auf allen Gebieten der Rechtswissenschaft zuwandte. Sie sind als „Dissertationes" gesammelt (1773 bis

1780). Seine Kritik an den Religionsdelikten und ihrer Praxis findet sich in De Crimine Bigamiae (1685), Problema Juridicum An Haeresis sit Crimen? (1697), De Jure Principis circa Haereticos (1697) und De Crimine Magiae (1701). Die vorchristliche Überzeugung, die Gottheit bedürfe keines weltlichen Strafschutzes (Tacitus Ann. 1, 73: Deorum injuriae dies curae), erneuerte v. Feuerbach mit der überzeugenden Feststellung: „Daß die Gottheit injuriert werde, ist unmöglich; daß sie wegen Ehrenbeleidigung sich an Menschen räche, undenkbar; daß sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Torheit" (Lehrbuch § 303). Zur gleichwohl noch immer verbreiteten Vorstellung, Gott könne beleidigt werden, neuestens Λ. Keller unter Hinweis auf den Katechismus der katholischen Kirche von 1993, der ausdrücklich feststellt, die Sünde sei eine Beleidigung Gottes (StimZt. 217 [1999] 577 f). 54

Der Entwicklung in Preußen hat der berühmte, schon 1740 ergangene Bescheid Friedrichs II. den Weg gezeigt: „Die Religionen müssen alle

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glaube verlor jede rechtliche Relevanz. Häresie wurde von der Glaubensfreiheit verdrängt. Meineid, ein Religionsdelikt im engeren Sinne auch in neuerer Zeit (vgl. H. W. Nagel S. 32; Ott Aspekte S. 78 ff), reduzierte sich auf ein ordnungspolitisches Instrument des Strafprozesses (E. Kaufmann Sp. 884). Die Gotteslästerung, ihrer anthropomorphischen Grundlage bar, wandelte ihren Charakter von der Beleidigung Gottes zur Verletzung des religiösen Empfindens von Religionsgemeinschaften und wurde zum Teil überhaupt nur bestraft, wenn jemand an ihr Ärgernis nahm (ALR II 20 §217). Noch liberaler war die Regelung des unter dem Einfluß v. Feuerbachs entstandenen Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813, das auf den Tatbestand der Gotteslästerung völlig verzichtete und nur noch die Störung des Religionsfriedens durch Tätlichkeiten (Art. 336) oder in verbaler Form (Art. 424) unter Strafe stellte (näher Webersinn S. 53 f). Das Strafgesetzbuch vermied einen durchgreifenden grundsätzlichen Gesichtspunkt; es verhielt sich, wie schon die unbestimmte, aber umfassende Abschnittsüberschrift „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen," 55 erkennen läßt, möglichst neutral. Der Strafdrohung seines § 166 lag aber unverkennbar noch immer die Vorstellung zugrunde, Gott könne durch lästerliche Handlungen verletzt werden (Hassemer Religionsdelikte S. 1312 [234]). 9

3. Die Reformbemühungen seit der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert brachten zwar zahlreiche Gesetzentwürfe hervor; doch enthielten sie im Bereich der „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen" kaum wesentliche Neuerungen, sieht man von einer Veränderung der Grundauffassung dahin ab, in den Religionsdelikten Störungen des religiösen Friedens zu sehen.56 Mit dem E 1962 bahnte sich insofern eine tiefer greifende Reform an, als er mit der Begünstigung der christlichen Kirchen und der anderen Religionsgesellschaften 57 des öffentlichen Rechts zugunsten aller im Inland bestehenden Religionsgesellschaften (§ 188) brach und beim Strafzweck die Verteidigung Gottes durch den Schutz des religiösen Empfindens ersetzte, des allgemeinen bei der Gotteslästerung (§ 187), des der Angehörigen einer Religionsgesellschaft bei deren Beschimpfung (§ 188). Sich gänzlich von der Tradition der Ambivalenz zwischen dem Übersinnlichen und der irdisch spürbaren Rechtsgutsverletzung zu lösen, vermochte er nicht (Hassemer Religionsdelikte S. 1313 [234]; vgl. auch E 1962 Begr. Vor § 187 S. 342). Er war, insgesamt betrachtet, „mehr Ernte aus den vergangenen Jahrzehnten als neuer Weg" (Güde BTProt. V/230 S. 1217). Anders der AE. Er fühlte sich dem Gedankengut der Aufklärung und ihrer Idee einer säkularisierten, pluralistisch verfaßten Gesellschaft verpflichtet, der eigenständige Religionsdelikte fremd sein müssen. Dementsprechend stellte er dem E 1962 den Vorschlag entgegen, die auf den Kern greifbarer Rechtsgutsverletzungen reduzierten Tatbestände in anderem Zusammenhang einzuordnen, die Störung von Andachten in umschlossenen Räumen beim

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toleriert werden, und muß der Fiskal nur das Auge darauf haben, daß keine der anderen Abbruch tue; denn hier muß ein jeder nach seiner Fasson selig werden." Zu Preußen als „Schrittmacher der Religionsfreiheit" auch E. Fischer S. 25. Die Überschrift geht auf das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 zurück, das sich mit dieser Kennzeichnung von den übrigen Partikularstrafgesetzbüchern, die noch von „Vergehen gegen die Religion" sprachen, absetzte, nach v. Mellin (S. 27) eine Nachwirkung des Geistes Friedrichs II. ( vgl. Fn. 54).

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So in allen Entwürfen seit 1913, worin jedoch kaum mehr als die Rückkehr zur Charakterisierung der Religionsdelikte als „Beleidigung der Religionsgesellschaften" durch das ALR lag (v. Hippel I § 88 I). Zum Inhalt der Reformbestrebungen seit der Wende zum 20. Jahrhundert im einzelnen Schmitz S. 32 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung des Begriffs Religionsgesellschaft und seiner unterschiedlichen Bedeutung im kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Sprachgebrauch § 166 Rdn. 59,61.

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Hausfriedensbruch (AE S. 81 f) und die Entnahme von Leichen oder Leichenteilen in einem neuen Titel über Verletzungen des Pietätsempfindens oder einem solchen über den Schutz der Intimsphäre (AE S. 840, wie dies zuvor schon vielfach in ähnlicher Weise gefordert worden war,58 selbst von Seiten der Kirche. 59 Das 1. StrRG hat einen Kompromiß zwischen beiden Entwürfen gefunden. Mit der Ablehnung des Antrags, § 166 zu streichen (vgl. Prot. V/134 S. 2818; BTProt. V/230 S. 12782Í), verblieb es zwar bei eigenständigen Delikten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, doch wurden sie, namentlich durch den Verzicht auf einen besonderen Tatbestand der Gotteslästerung 60 und die Ausdehnung des Strafschutzes auf Weltanschauungsvereinigungen sowie die religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse Einzelner,61 in Richtung eines säkularisierten, pluralistischen Rechtsverständnisses weiterentwickelt. Vor allem setzte sich eindeutig der Gedanke durch, daß nicht Gott selbst, auch nicht das religiöse Gefühl des Einzelnen, zu schützen sind, sondern das friedliche Zusammenleben der Menschen verschiedener Bekenntnisse oder Anschauungen untereinander. Das entsprach der Zielsetzung der Strafrechtsreform, das deutsche Strafrecht von historisch ihm noch anhaftenden irrationalen Zügen zu befreien und auf die rationale Funktion des Schutzes der Gesellschaft zurückzudrängen, um so der Praxis mit dem neuen Recht die Chance zu eröffnen, im Anschluß an die gesellschaftliche Entwicklung zu einem zeitgemäßen Selbstverständnis zu gelangen (Sturm JZ 1970 81). Mag auch vielen die Reformen nicht weit genug gegangen sein, so zeigt sich dennoch, daß der Weg frei geworden ist für die Verwirklichung moderner Vorstellungen, die überkommene Einrichtungen auflösen, im Bereich des Glaubens beispielsweise die Verbindlichkeit des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen zugunsten der neuen, verallgemeinernden Verbindlichkeit des Ethikunterrichts. 62 IV. Die Systematik der Religionsdelikte erscheint ebenso im Grundsätzlichen, wie im Einzelnen fragwürdig.

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Beispielhaft Henkel mit den Vorschlägen, den Tatbestand d e r Gotteslästerung aufzugeben, die B e s c h i m p f u n g von Religionsgesellschaften als Angriff auf die Kollektivehre d e m Beleidigungstatbestand zuzuweisen u n d die übrigen Tatbestände den f ü r sie je nach ihrem Schutzobjekt in Frage k o m m e n d e n Deliktsgruppen anzugliedern ( Z S t W 51 [1931] 916fr, insb. 951). Ähnlich Binding L e h r b u c h I § 42 I; Ettinger S. 111; Feder S. 71 f; Glaser S. 826ff; Hugendubel S. 18, 27; Hüttemann S. 90; Kahl V D B S. 101; Festgabe v. F r a n k S. 309; Manck S. 123ff, Ergebnis S. 143f; Mey S. 203; ferner (für A b s a t z 1 oder Absatz 2 des § 166 a.F.) Bott S. 48; Bruns S. 32; Buch S. 12f; Gustavus P r P f A r c h . 15 (1927) 100; Kohlrausch S. 1, 102; Mühlbayer S. 78; Neumann S. 71 ff, 62; Schlitt S. 36f; Steppacher S. 49, 52. Z . B . J. B. Beckmann K i Z t . 18 (1963) 491; vgl. a u c h Fuld G A 39 146f; Listi StimZt. 179 (1967) 258; Maihofer S. 186; Simon S. 26; ferner die auszugsweise z u s a m m e n g e f a ß t e n Stellungnahm e n Prot. V/121 S. 2456 a fT. Diese kirchliche Meinungsbildung hat ebenfalls Geschichte; sie geht zumindest bis auf die Zeit u m die vorige J a h r h u n d e r t w e n d e zurück. Freilich waren dabei nicht zuletzt einseitige konfessionelle G r ü n d e

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m a ß g e b e n d , so etwa bei Rissom S. 458; Rode S. 41 ff; Schöllgen S. 106 fi"; Thümmel Religionsschutz S. 4 I f f , 59ff, a u c h schon in der 1. Aufl. (1906). Weitere Hinweise bei Schilling S. 101 ff; Skriver S. 58 ff; Stuck S. 59 f; Webersinn S. 64. Womit a u c h die Schwierigkeiten entfallen sind, die sich in subjektiver Hinsicht bei einem T ä t e r ergaben, der nicht a n die Existenz G o t t e s glaubt, u n d die ohnehin nur in der E r w ä g u n g zu überwinden gewesen waren, d a ß er durch Mißa c h t u n g der gläubigen Ü b e r z e u g u n g anderer den Frieden innerhalb einer gemischten Gesellschaft gestört hatte (K. Peters S. 49). Insofern ist die G o t t e s l ä s t e r u n g als Beschimpf u n g des religiösen Bekenntnisses anderer erhalten geblieben. N ä h e r d a z u § 166 R d n . 16 mit F n . 33. Hassemer Religionsdelikte S. 1315 (236); vgl. auch E. Fischer S. 301 ff; Jeand'Heur/Korioth R d n . 313fT; Kuhn Z E E 2 3 (1979) 297ff; Link H d S t K i R S. 508; Z E K R 46 (2001) 268 f. Z u r Verfassungsmäßigkeit des Ethikunterrichts BVerwG DVB1. 1998 1344 u n d die d a r a n a n k n ü p f e n d e n Aufsätze von J. Bader D Ö V 1999 452, Heckmann J u S 1999 228 u n d Renck N V w Z 1 9 9 9 713.

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

1. Vom Strafgesetzbuch sind zahlreiche Deliktsgruppen bislang noch nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt worden. Dies gilt in besonderem Maße für die Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen. Nach der Einordnung, wie sie in der neueren deutschen Strafrechtswissenschaft führend ist, bilden die Delikte des Elften Abschnitts mit den Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und Familie (§§ 169 bis 173), den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184c) und der unterlassenen Hilfeleistung (§ 330c) eine besondere Gruppe.63 Sie werden als „Kultur- und sozialpolitische Delikte" (Sauer BT Vierter Abschnitt), „Straftaten gegen die Sittenordnung" (Blei BT Zweiter Hauptteil; ebenso E 1962 BT Zweiter Abschnitt), „Verbrechen gegen die sittlichen Grundlagen des sozialen Lebens" (Welzel Strafrecht Drittes Buch Zweiter Abschnitt), „Straftaten gegen die ethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens" (Maurach BT 11. Kapitel; Materialien S. 242) oder „Delikte gegen die sozialethischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens" (Otto BT 3. Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt) zusammengefaßt.64 Es sind die Straftaten, die Grundsätze der Sittenordnung oder des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit oder des Einzelnen verletzen, wobei die Handlung selbst sich unmittelbar gegen Einrichtungen der Gemeinschaft, wie etwa die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166) und die Störung der Religionsausübung (§ 167) oder aber, wie vor allem die Straftaten gegen die Sittlichkeit, gegen den einzelnen Menschen richten kann (E 1962 S. 341). Das Gemeinsame aller Rechtsgüter, die durch diese Tatbestände geschützt werden, sind die „Grundlagen eines Lebens nach dem Menschenbild des Grundgesetzes" (Blei BT § 34). Dabei stand außer Diskussion, daß nach den Erfahrungen des Dritten Reiches die Religionsdelikte an der Spitze dieser Werte zu stehen hätten (Maurach Materialien S. 242). 11

2. Was das System der Religionsdelikte selbst betrifft,65 so dienen die Begriffe Religion und Weltanschauung nur als Anknüpfungspunkte der Einordnung. Mit den §§ 167 a, 168 enthält der Abschnitt Straftaten, die sich zwar nicht auf Religion und Weltanschauung „beziehen" (SehlSchröder/Lenckner Vorbem §§ 166 ff Rdn. 2; zu § 168 bereits Bruns S. 21 Fn. 77), die aber jedenfalls mittelbar dem Schutz des religiösen Friedens dienen (vgl. schon Rdn. 1). Außerdem wirkt bei diesen Tatbeständen die geschichtliche Verbindung mit der Religion nach. Dies gilt vor allem für die Störung der Totenruhe, aber auch für die Störung einer Bestattungsfeier und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (vgl. Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 55; Eser S. 1012). Daher ist es durchaus nicht fernliegend, diese Tatbestände gemeinsam mit dem Religiösen und Weltanschaulichen in einem Abschnitt zusammenzufassen, wobei sich als übergeordneter Gesichtspunkt das Pietätsempfinden anbietet (Kesel S. 29; Maurach BT § 47 I A; Otto BT Abschnittsbezeichnung § 64).66 63

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Der E 1962 (§§ 233, 234) ordnete ferner die Tierquälerei hier ein, weil sich diese Tat mindestens auch gegen die sittliche Haltung des Menschen gegenüber dem Tier richte (Begr. S. 264). Inzwischen ist diese Materie im Rahmen des Tierschutzgesetzes vom 24.7.1972 (BGBl. I 1277) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.8.1986 (BGBl. I 1320) geregelt. Gänzlich anders die Einordnung bei Arztl Weber BT. Dort finden sich die Delikte gegen den Gemeinschaftsfrieden und den religiösen Frieden in der Gruppe der Delikte gegen den Staat,

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gegen Amtsträger und durch Amtsträger (Teil VII), während die Delikte gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie mit den Sexualdelikten der Gruppe der Delikte gegen die Person (Teil I) zugeordnet sind. Dazu allgemein Ettinger Religionsvergehen S. 42, 57; Jauck S. 357; Kahl VDB S. 27 fF; Kesel S. 17 ff; in rechtsvergleichender Sicht Klotz S. 150ff. Ohne Anerkennung eines übergeordneten gemeinsamen Gesichtspunktes gerät die systematische Einordnung der §§ 166 bis 168 in kaum lös-

Stand: 1. 7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

3. Andererseits finden sich Vorschriften außerhalb des Elften Abschnitts, die dem 1 2 Schutz der freien Religionsausübung und damit mittelbar dem religiösen Frieden dienen. Der Tatbestand des Völkermords (§ 220 a) erstreckt sich auch auf religiöse Gruppen. Weitere Tatbestände sind als Qualifikationen bestimmter Grunddelikte eingestellt. Die Wegnahme einer dem Gottesdienst gewidmeten oder der religiösen Verehrung dienenden Sache aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude erscheint als besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 Nr. 4).67 Dem Kirchendiebstahl ähnlich ist die Kirchenbrandstiftung geregelt. Die Inbrandsetzung eines zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmten Gebäudes findet sich als schwerer Fall der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1). Zwei weitere den Schutz der Religionsausübung bezweckende Tatbestände sind als gemeinschädliche Sachbeschädigungen (§ 304 Abs. 1) qualifiziert, die Beschädigung oder Zerstörung von Gegenständen der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder von Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind,68 sowie die Beschädigung oder Zerstörung von Grabmälern.69 Nicht zuzuordnen sind dieser Deliktsgruppe die Zerstörung, Beschädigung, Unbrauchbarmachung oder Entziehung von Gegenständen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden (§ 133 Abs. 2) und der Mißbrauch von Amtsbezeichnungen, Titeln, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen dieser Institutionen (§132 a

bare Schwierigkeiten. Beispielhaft dafür sind MaurachlSchroederlMaiwald 2 und Schmidhäuser. Beide gehen davon aus, daß der öffentliche Friede Schutzgut nur des § 166 ist. Konsequent bringt Schmidhäuser allein § 166 bei den „Straftaten gegen den öffentlichen Frieden" ein (BT Kapitel 12), während MaurachlSchroederl Maiwald 2 mit § 166 auch § 167 dieser Deliktsgruppe zuordnen (3. Kapitel), allerdings „nur wegen der Zusammengehörigkeit der Angriffsobjekte" (§61 Rdn. 3), und die Vorschriften dort unter Einbeziehung der Beschädigung von sakralen und gottesdienstlichen Gegenständen aus dem Mischtatbestand des § 304 in einem Abschnitt „Beschimpfung von Bekenntnissen und Störung der Religionsausübung" (§ 61) behandeln. Schmidhäuser stellt die verbleibenden §§ 167, 167 a, 168 geschlossen als „Straftaten im Bereich von Religion und Weltanschauung" in das Kapitel „Straftaten gegen die sittlichen Grundlagen einzelner Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens" ein, mit der Vorbemerkung freilich, daß die Zusammenfassung der hier in Betracht kommenden Straftaten „eine gewisse Verlegenheit" ausdrücke (BT Kapitel 13 Rdn. 1). Demgegenüber ordnen MaurachlSchroederl Maiwald 2, die bei den §§ 167 a, 168 eine Verletzung des Pietätsempfindens nicht für erforderlich halten (§ 62 Rdn. 3), dennoch diese Vorschriften den „Straftaten gegen Pietät und Familie" (4. Kapitel) zu, wo sie unter Einbeziehung der Zerstörung oder Beschädigung von Grabmälern aus dem Mischtatbestand des § 304 in einem Abschnitt „Straftaten gegen die Totenruhe" (§ 62) behandelt werden. 67

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Das Regelbeispiel erfaßt, was zu bestimmen

vermutlich vergessen worden ist, nicht den Diebstahl vergleichbarer Kultgegenstände von Weltanschauungsvereinigungen; doch ist die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles im Wege der Analogie möglich (BTProt. V/122 S. 2471; Corvers Die ab 1. April 1970 geltenden Änderungen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, JZ 1970 156, 158; ferner Kindhäuser N K § 243 Rdn. 39; LacknerlKühl § 243 Rdn. 19; MaurachlSchroederl Maiwald 1 § 33 Rdn. 95; Ruß LK Rdn. 23; Sehl SchröderlEser § 243 Rdn. 34; TröndlelFischer49 § 243 Rdn. 29; and. Arzt Die Neufassung der Diebstahlsbestimmungen, JuS 1972 515, 516). 68

Der Schutz erfaßt über § 243 Abs. 1 Nr. 4 hinaus auch unbewegliche Sachen wie Kirchen und Kapellen einschließlich der Fensterscheiben (RG G A 57 226, 227; SchlSchröderlStree § 304 Rdn. 3; Tröndlel Fischer § 304 Rdn. 6). Die Einbeziehung der entsprechenden Kultgegenstände von Weltanschauungsgemeinschaften ist auch hier offensichtlich vergessen worden, eine Lücke, die durch Auslegung nicht geschlossen werden kann, so daß eine Berücksichtigung des erhöhten Unrechtsgehalts nur bei der Strafzumessung im Rahmen des § 303 möglich ist (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 22).

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Der Sinn dieser Vorschrift gegenüber § 168 ist, so mit Recht MaurachlSchroederl Maiwald 2 (§ 62 Rdn. 21), nicht einzusehen. Mit § 168 besteht allenfalls Tateinheit, nämlich dann, wenn die beschädigende Handlung nicht nur das Grabmal betrifTt, oder es sich auch um die VerÜbung beschimpfenden Unfugs handelt; sonst wird § 168 von dem spezielleren § 304 verdrängt (näher § 168 Rdn. 69).

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Abs. 3).70 Beide Tatbestände dienen nicht dem Schutz der freien Religionsausübung. Rechtsgut des § 133 ist ausschließlich der amtliche Verwahrungsbesitz (BGHSt. 38 381, 385), während § 132 a den Schutz der Allgemeinheit vor dem Auftreten von Personen, die sich durch den unbefugten Gebrauch falscher Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben, bezweckt (BVerfG ZEKR 31 90, 91 mit Anm. Quarch; BGHSt. 31 61, 62; v. BubnoffUL § 132 Rdn. 2; SchlSchröderICramerlSternberg-Lieben § 132a Rdn. 3).71 13

4. In einem weiteren Zusammenhang mit der freien Religionsausübung steht der Schutz der Sonn- und Feiertage, der nach Aufhebung des § 366 Nr. 1 durch landesgesetzliche Vorschriften gewährleistet wird (näher dazu § 167 Rdn. 7). Auch die Straflosigkeit eines Geistlichen, der eine geplante Straftat nicht anzeigt, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist (§ 139 Abs. 2), dient in einem weiteren Sinne dem Schutz des religiösen Friedens, obwohl hier nicht der Angriff eines Dritten unter Strafe gestellt wird; doch sichert die Vorschrift, indem sie die Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses verhindern will, auf ihre Weise den religiösen Frieden gegen Störungen aus dem Bereich der staatlichen Rechtspflege (Eser S. 1038 f mit ausführlichen Erläuterungen, auch zum prozessual privilegierten Personenkreis, zur Eigenschaft als Seelsorger und zum Rechtscharakter der Freistellung von der Anzeigepflicht).

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V. Die Neufassung der Vorschriften orientierte sich am Grundgesetz, wobei unterschiedliche Sichtweisen gegeneinander standen. Der E 1962 wollte deshalb grundsätzlich an der bestehenden Regelung festhalten, weil die Stellung des Strafgesetzbuchs zum Schutz der religiösen Uberzeugungen durch das Grundgesetz vorgezeichnet worden sei, indem es in Art. 4 Abs. 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als unverletzlich erklärt und durch Art. 4 Abs. 2 die ungestörte Religionsausübung gewährleistet habe, eine Vorgabe, der die früheren §§ 166 bis 168 weitgehend entsprächen (Begr. S. 342). Hiergegen konnte sich die an sich völlig zutreffende Auffassung des AE, nicht alles, was das Grundgesetz schütze, müsse auch durch Strafandrohungen garantiert werden, vielmehr widerspreche eben eine solche Auffassung gerade dem Geist dieser Verfassung, nicht durchsetzen (S. 77). Die Anknüpfung an die Grundrechte der Glaubens-, Gewissensund Bekenntnisfreiheit in Verbindung mit Art. 140 GG, 137 Abs. 7 WRV führte allerdings folgerichtig zur Einbeziehung der weltanschaulichen Bekenntnisse (§ 166 Rdn. 20) und damit zu einer erheblichen Ausdehnung des Strafschutzes (näher § 166 Rdn. 1). Der Sonderausschuß betrachtete namentlich § 166 in seiner neuen Fassung schließlich „als eine Art Ausführungsgesetz zu Art. 4 GG" (Prot. V/134 S. 2807; so,

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Als Ergänzung des § 132 a Abs. 3 gilt die Vorschrift des § 126 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, die mit Bußgeld bedroht, wer unbefugt eine Berufstracht oder ein Berufsabzeichen einer religiösen Vereinigung trägt, die von einer Kirche oder einer anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist (TröndlelFischer § 132a Rdn. 20, auch zur Besonderheit ihrer Entstehungsgeschichte). Den Schutz der freien Religionsausübung bezweckte ferner das Verbot der gewohnheitsmäßigen Gewerbsunzucht in der Nähe von Kirchen des früheren § 316 Nr. 6 a. Der E 1962

wollte den Übertretungstatbestand als Vergehen einstufen (§ 223 Nr. 1, Begr. S. 386 f)· Das 4. StrRG hob ihn auf, weil es zumindest zweifelhaft sei, ob die Religionsausübung wirklich durch derartige Verhaltensweisen beeinträchtigt werden könne, und ob sie eines so weitgehenden strafrechtlichen Schutzes gegen die Möglichkeit negativer äußerer Eindrücke bedürfe (vgl. BTDrucks. V/4094 S. 49 [Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses zu den Entwürfen eines Strafgesetzbuches BTDrucks. V/32 und V/2285]).

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Vorbemerkungen zu den §§ 166

ff

Vor §

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für § 167, auch Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 3). Die Erweiterung der Abschnittsüberschrift (vgl. Entstehungsgeschichte) geht ebenfalls auf diese Sicht zurück (Prot. V/121 S. 2440, V/132 S. 2743). VI. Die Schutzgüter der Vorschriften des Elften Abschnitts sind vielfaltig (Kind- 1 5 häuser BT § 10.1; SehlSchröder!Lenckner vor § 166 Rdn. 2). Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, es liege ihnen ein einheitliches Rechtsgut zugrunde. 72 Die Abschnittsüberschrift „Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen", macht deutlich, daß, ebensowenig wie das religiöse Gefühl (SehlSchröder! Lenckner vor § 166 Rdn. 2),73 Religion und Weltanschauung selbst als Rechtsgüter nicht in Erscheinung treten sollen (Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 61 Rdn. 1). Die Bestimmungen des Elften Abschnitts schützen primär aber auch nicht das sich aus Art 4 G G ergebende Gebot, die religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse Dritter zu achten (vgl. aber Rudolphi SK vor § 166 Rdn. 1). Die §§ 167 a, 168 jedenfalls können damit nicht erklärt werden. Auf sie trifft nicht einmal die Abschnittsüberschrift zu {SehlSchröder!Lenckner vor § 166 Rdn. 2). Schutzgut des § 166 ist der öffentliche Friede. Er trägt aber auch den Schutzzweck des § 167, obwohl sein Wortlaut dies nicht ausdrückt; freilich tritt die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung als weiterer Schutzzweck hinzu. Beim Schutzgut der §§ 167 a, 168 sind gegenwärtige religiöse oder weltanschauliche Bezüge nicht erkennbar. Auch hat der Gedanke des Friedensschutzes hier keine eigenständige Bedeutung. Geschützt werden vielmehr die Ehrfurcht vor dem Tode und das Pietätsempfinden, aber auch die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen, der noch nach seinem Tod Achtung verdient. Im Einzelnen dazu § 166 Rdn. 6 bis 11, § 167 a Rdn. 3 bis 5, § 168 Rdn. 2. VII. Soziologische Bezüge der Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschau- 1 6 ung beziehen, bestehen in erster Linie in Ähnlichkeiten mit der Beleidigung (vgl. § 166 Rdn. 13), namentlich in der Form von Schimpf und Spott. Aber auch zur Nötigung zeigen sich Parallelen. Gemeinsamkeiten bestehen ferner mit den politischen Straftatbeständen, erkennbar schon daran, daß Religionsdelikte oft mit politischen Straftaten zusammenfallen (näher, mit Blick auf § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 166 Rdn. 12). Hier steht der Überzeugungstäter im Vordergrund (vgl. Rdn. 17). Im übrigen herrscht der echte Gewalt- und Rohheitstyp vor, ersichtlich aus einem starken Überwiegen der jüngeren Altersklassen (vgl. Schmitz S. 117f), besonders der Männer, nicht selten mit entsprechenden Vorstrafen, wobei es sich meist um echte Augenblicksdelikte handelt (Sauer BT § 41 I 3a). VIII. Das Verhältnis der Kriminologie zu den Religionsdelikten ist nichts als defi- 1 7 zitär. 1. Eine Erforschung des kriminologischen Beziehungsgeflechts zwischen Religion und Verbrechen hat bislang kaum stattgefunden. 74 In den kriminologischen LehrSo Otto, das geschützte Rechtsgut der §§ 166 bis 168 sei der öffentliche Friede durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten (BT § 64 Rdn. 1); ähnlich Arzt/Weber, die §§ 166ff beträfen den Schutz des öffentlichen Friedens, insbesondere des religiösen Friedens (BT § 44 Rdn. 51). Vgl. aber v. Mangold/Klein/Starck, im Hinblick auf die Kunstfreiheit sei § 166 dahin auszulegen, daß nicht die Religion als objektiviertes Institut, (25)

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sondern das religiöse Empfinden des Menschen vor groben Verletzungen geschützt werde (Art 5 Abs. 3 Rdn. 311 ; ebenso Maurizi Dürig! Scholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 39). Der hierzu jeweils angeführten Entscheidung BGH UFITA 1962 181, 183 kann dies so freilich nicht entnommen werden. Ähnlich liegt es bei dem Zusammenhang zwisehen dem Inzesttabu und der Inzestbestrafung (vgl. § 173 Rdn. 5 Fn. 26).

Karlhans Dippel

Vor § 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

büchern wird es, wenn überhaupt, meist nur am Rande behandelt (beispielhaft GöppingerlBockt Böhm § 50 Rdn. 4; dazu auch Wullschleger S. 23 Anm. 2). Selbst das religionssoziologische Schrifttum schweigt zu dieser Frage. 75 Allerdings finden sich zahlreiche Statistiken, meist älteren Datums, zum Anteil einzelner Konfessionen an der Kriminalität entsprechend der Zugehörigkeit Straffälliger. 76 Ihre Aussagekraft ist gering, weil sie von der äußeren Mitgliedschaft ausgehen, damit gleichermaßen auch diejenigen berücksichtigen, die nur nominell einer Konfession angehören. 77 Freilich dürfte bei Befragungen, die zwischen Religionszugehörigkeit und Religiosität unterscheiden, der Aussagewert kaum wesentlich höher ausfallen. Sie könnten das psychologische Element der Religionszugehörigkeit nicht erfassen, weil diese weder ein anthropologisches noch ein biologisches Merkmal ist und auch nicht als ein solches behandelt werden kann (Mergen S. 305). Ein so komplexes Phänomen wie Religiosität gestattet daher bestenfalls eine Annäherung. 7 8 Sonst wird im kriminologischen Schrifttum noch das Verhältnis von Kriminalitätsbelastung und Religion angesprochen. Die Aussagen dazu erschöpfen sich in Vermutungen, bestenfalls Wahrscheinlichkeiten, wobei das Kriterium Religiosität ebenso als deliktshemmend (Exner S. 88), wie als deliktsfördernd (H. W. Nagel S. 34; Wullschleger S. 20), aber auch als für die Kriminalität bedeutungslos 7 9 eingeschätzt wird. 80 Freilich darf nicht außer Acht bleiben, daß Straftaten in der Befolgung von den allgemein geltenden Strafgesetzen widersprechenden Geboten einzelner Religionen und Sekten, wie sie beispielsweise der Scientology-Church (näher § 166 Rdn. 70 mit Fn. 197) und dem Opus Dei nachgesagt werden, 81 die zweite Hauptform der Überzeugungstäter neben den politischen, denen sie an Fanatismus oft überlegen sind, bilden (Sauer Kriminologie, S. 204 f; ferner Gödan S. 124ff; Vater S. 56ff). 82 Sie galten lange Zeit als Ausnahme. 83 Das hat sich mit dem Terrorismus unserer Tage geändert. Den ihm eigenen Selbstmordattentaten liegen auch und vor allem religiöse Überzeugungen zugrunde. 18

2. Die Ursachen des Defizits der Kriminologie in der Erforschung der Beziehung zwischen Religion und Kriminalität sind komplexer Natur. Neben dem Umstand, daß die Religiosität eines Menschen sich der Einordnung in statistische Begriffsnormen entzieht, dürfte ein G r u n d in der rechts- und kulturgeschichtlich gewachsenen völligen Abkehr von einer Auffassung liegen, die eine Verletzung religiöser Vorschriften

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Kaiser Festschrift Middendorff S. 144 Fn. 3; vgl. auch Middendorff ZStW 76 (1964) 70; StimZt. 174(1964) 122. Ausführliche Darstellungen bei Middendorff MschrKrim. 1956 34 ff; ZStW 76 (1964) 84; vgl. auch Mezger S. 221; SeeliglBellavic S. 232 f. Eisenberg § 50 Rdn. 9, 11; Mergen S. 305; Middendorff StimZt. 174 (1964) 123. Eine bemerkenswerte Ausnahme von der nicht differenzierenden Methode der Statistiken ist die Untersuchung zur Religiosität delinquenter Jugendlicher von Koervers. In dieser Erkenntnis geht auch Koervers davon aus, daß die Untersuchung keinesfalls beansprucht, Religiosität - theoretisch wie empirisch - festlegen zu können (S. 113 Fn. 1). Middendorff MschrKrim. 1956 46; StimZt. 174 (1964) 126, andererseits ZStW 76 (1964) 101 f; Sauer Kriminologie, S. 205; Seeligl Bellavic S. 231,233.

Vgl. zum Ganzen die Hinweise bei Kaiser Festschrift Middendorff S. 148; ferner Eisenberg § 50 Rdn. 11. Mergen S. 305; vgl. auch Exner S. 33; Kaiser Kriminologie § 28 Rdn. 15, 33; Festschrift Middendorff S. 159. Zur rechtfertigenden oder strafmildernden Auswirkung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit bei Gewissenstätern Rdn. 6. Ein kulturhistorisches Beispiel verbrechensfördernder Auswirkung religiöser Ideen, bei dem der Täter durch Ermordung einer beliebigen Person den Hinrichtungstod erstrebte, teilt Exner mit (S. 25 Fn. 1). Auch der „Kinderraub im göttlichen Auftrag" durch ein Mitglied der „Nature-Karta"-Sekte in Israel 1961 ( Vater S. 122f) dürfte ein Fall dieser Art sein.

Stand: 1. 7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

Vor § 166

mit kriminellem Verhalten gleichsetzt ( M i d d e n d o r f f MschrKrim. 1956 34; vgl. auch Kaiser Festschrift Middendorff S. 144). Der Kriminologie darüber hinaus anzulasten, überhaupt außerstande zu sein, die Zusammenhänge zwischen Religion und Kriminalität zu erfassen und darzustellen, wäre merkwürdig genug angesichts dessen, daß vielen Begriffen und Vorstellungen in der Strafjustiz religiöse, auch in einem säkularisierten System noch zur Geltung kommende Merkmale innewohnen und zahlreiche zentrale theologische Symbole in kriminologischen Sachverhalten verankert sind. 84 Richtig ist allerdings, daß über das Verhältnis von Kriminalität und Religion kaum gesprochen werden kann, ohne die heikle Frage zu beantworten, was Religion ist, 85 um so schwieriger für eine Wissenschaft, der mitunter schon die Bestimmung von Kriminalität, ihres Zwecks also, schwerfällt (H. W. Nagel S. 30). Es steht zu hoffen, d a ß trotz aller methodischen und definitorischen Schwierigkeiten die Kriminologie sich der Behandlung der Beziehung zwischen Religion und Verbrechen deutlicher zuwenden wird. Wenn es für die Kriminalitätsanalyse auf Wert, Wertorientierung und Wertewandel ankommt, können, weil vor und neben dem Recht die Religion die Wertorientierung am verbindlichsten formuliert, Konfession und religiöse Bindung auch kriminologisch nicht ignoriert werden (Kaiser Kriminologie § 28 Rdn. 16). IX. Religionsdelikte werden in besonderem Maße von der Öffentlichkeit beachtet. Seit je haben Vorkommnisse, die den Anstand in der religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzung gröblich verletzen oder als eine derartige Verletzung aufgefaßt werden, große Anteilnahme bei der Bevölkerung gefunden (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 2; Zipf N J W 1969 1944). Diese Anteilnahme kann, auf die Ebene des politischen und kulturellen Kampfes übertragen, bis hin zu Erschütterungen des Gemeinwesens führen. 8 6 Das besondere Interesse erklärt sich nur zum Teil aus der historischen Bedeutung der Religionsdelikte. Ursache ist viel mehr noch die Empfindlichkeit gegen jede Verletzung des Toleranzgebots in der pluralistischen Gesellschaft (Heimann-Trosieti L K 9 Rdn. 2), das, wenn auch ohne eigenständige Bedeutung im Verfassungsrecht (dazu ausführlich Muckel Freiheit S. 116ff), als Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme Verfassungsrang hat. 87 Für Religion und Weltanschauung ist es als N o r m objektiven Gehalts in Art. 4 Abs. 1, 2 G G enthalten (Mikat HdStKiR Rdn. 8). 84

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Vgl. dazu Wutlschleger S. 19 mit Anm. 5 unter Hinweis (Anm. 4) auf Geerds Gnade, Recht und Kriminalpolitik, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart Bd. 228/229 (1960) sowie auf neben anderen - Joest Gnade Gottes, in: Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2 3. Aufl. (1958) 1630. Vgl. etwa die von verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Aspekten ausgehenden Erklärungsansätze bei Nelson Der Drang zum Individuellen (1991) S. 30 ff sowie die Zusammenstellung von zwanzig verschiedenen Definitionen bei Brockmöller Industriekultur und Religion, 7. Aufl. (1965) S. 17f; ferner, zu den Antinomien philosophischer und sozialwissenschaftlicher Definitionen, Bock AöR 123 (1998) 454fT. Umschreibungen, wie „ . . . jede Vorstellung von Sinn und Bewältigung menschlichen Daseins, das in Kultformen seine Bezeugung findet" (Obermayer Staat S. 7), oder „ . . . erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwortendes Handeln des vom Heiligen

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existentiell bestimmten Menschen" (Mensching Sp. 961), beantworten die Frage, was Religion ist nicht, weil für eine Wesensbestimmung von Religion bloß formal-logische und objektive Kriterien nicht genügen (Richter Sp. 970), es aber offenbar ein fast unlösbares Problem bedeutet, statt solcher Einzelaspekte den vielschichtigen Bedeutungszusammenhang von Religion in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. auch Anwander S. 446). Dazu eingehend Henkel ZStW 51 (1931) 917 f, vor allem zum Fall Grosz („Christus mit der Gasmaske"), einem Höhepunkt in dem Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Strafrecht, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Wandel der Maßstäbe in der Kunstauffassung entzündet hatte (näher § 166 Rdn. 36 mit Fn. 96). Schmitt Glaeser N J W 1996 876; vgl. auch v. Campenhausen HdStKiR S. 62; Listi HdStKiR S. 142; Mikat HdVerfR Rdn. 8, 12; Zippelius Recht S. 300 f, 304.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Menschen, die verschiedenen Glaubens sind, müssen einen Weg finden, wie sie in Frieden zusammenleben können. Diesen Weg weist ihnen der Grundsatz der Toleranz, der erst eine allseitige und befriedigende Aktualisierung der Religionsfreiheit wie auch der übrigen Grundrechte bei den einzelnen Staatsbürgern und den religiösen Gemeinschaften ermöglicht (Listi Religionsfreiheit S. 11 f)· Unter diesem Aspekt wird Toleranz von allen Staatsbürgern im Verhältnis zueinander erwartet, und der Staat ist Hüter der Toleranz (v. Campenhausen HdStKiR S. 62). Daß dies im Bewußtsein der Menschen verankert ist und so jene Empfindlichkeit erklärt, ist nicht zuletzt der Anerkennung des hohen verfassungsrechtlichen Rangs des Toleranzgebots durch die Rechtsprechung zu verdanken (z. B. BVerfGE 32 98, 108; 41 29, 51; 47 46, 77; 52 223, 251). 20

X. Die kriminalpolitische Bedeutung der Religionsdelikte kennzeichnet ein ungemein großer Wandel ihres Gewichts. Die früher überragende praktische Bedeutsamkeit der Tatbestände entsprach einer Rechtsauffassung, die sie zu den schwersten und strafwürdigsten Verbrechen mit den entsprechend hohen Strafdrohungen zählte (vgl. Rdn. 7),88 andererseits aber auch harmlosesten Handlungsweisen bei noch so entferntem religiösem Bezug bereits mit drakonischen Sanktionen begegnete.89 Mit deren Wandel ging die Bedeutung der Verfahren wegen Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, zunehmend zurück. 90 Schon vor dem 1. StrRG fielen sie, wie die älteren Statistiken belegen, gegenüber der allgemeinen Kriminalität kaum noch ins Gewicht. 91 Hieran hat sich nach dem 1. StrRG nichts geändert. 92 Mit Blei war vorauszusehen, daß die Neufassung der §§ 166, 167 trotz der Erweiterung der Tat88

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Z. B. Feuertod für Ketzerei nach dem Sachsenspiegel (Art. 2, 13, 7) und der Bambergensis (Art. 130), Strafe „an leib, leben oder gliedern" nach der Carolina (Art. 106). Vgl. die Beispiele bei Middendorf Kriminalistik 1963 576 aus den Genfer Ratsprotokollen nach St. Zweig, Ein Gewissen gegen die Gewalt (1954) 76 f. Dazu Hardwig GA 1962 257; Kesel S. 30; Listl Religionsfreiheit S. 295; Rengier Sp. 820; Sauer BT § 41 I 3 a; Schmitz S. 118f; Zipf NJW 1969 1944. Verurteilungen nach den §§ 166 bis 168 1882 insgesamt 256; 1886 insgesamt 262; 1891 insgesamt 372; 1896 insgesamt 318; 1901 insgesamt 328; 1906 insgesamt 285 (278 nach den §§ 166/167, 7 nach § 168); 1911 insgesamt 224 (205 nach den §§ 166/167, 19 nach § 168); 1916 insgesamt 127 (108 nach den §§ 166/167, 19 nach § 168); 1921 insgesamt 145 (112 nach den §§ 166/167, 33 nach § 168); 1926 insgesamt 322 (283 nach den §§ 166/167, 39 nach § 168); 1931 insgesamt 251 (217 nach den §§ 166/167, 34 nach § 168); 1936 insgesamt 102 (79 nach den §§ 166/167, 23 nach § 168); 1951 (ohne Saarland und Berlin-West) insgesamt 77; 1956 (ohne Saarland und BerlinWest) insgesamt 75 (48 nach den §§ 166/167, 27 nach § 168); 1961 insgesamt 72 (58 nach den §§ 166/167, 14 nach § 168); 1966 insgesamt 54 (25 nach den §§ 166/167, 29 nach § 168). Quelle: Statistisches Bundesamt Strafverfolgungsstatistiken. Vgl. auch die Angaben in Prot. V/121

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S. 2423 sowie bei Holstein S. 209 und Sauer BT §41 I 3 Fn. 7. Verurteilungen nach den §§ 166 bis 168 1971 insgesamt 59 (28 nach den §§ 166/167, 31 nach den §§ 167a/168); 1976 insgesamt 51 (32 nach den §§ 166/167, 19 nach den §§ 167a/168); 1981 insgesamt 86 (33 nach den §§ 166/167, 53 nach den §§ 167a/168); 1986 insgesamt 49 (16 nach den §§ 166/167, 33 nach den §§ 167a/168); 1991 insgesamt 44 (16 nach den §§ 166/167, 28 nach den §§ 167a/168); 1992 insgesamt 60 (19 nach den §§ 166/167, 41 nach den §§ 167a/168); 1993 insgesamt 54 (11 nach den §§ 166/167, 43 nach den §§ 167a/168); 1994 insgesamt 74 (19 nach den §§ 166/167, 55 nach den §§ 167a/168); 1995 insgesamt 50 (24 nach den §§ 166/167, 26 nach den §§ 167a/168); 1996 insgesamt 67 (13 nach den §§ 166/167, 54 nach den §§ 167a/168); 1997 insgesamt 54 (19 nach den §§ 166/167, 35 nach den §§ 167 a, 168); 1998 insgesamt 69 (16 nach den §§ 166/167, 53 nach den §§ 167a/168); 1999 insgesamt 60 (16 nach den §§ 166/167, 44 nach den §§ 167a/168); 2000 insgesamt 176 (17 nach den §§ 166/167, 59 nach dem §§ 167a/168); 2001 insgesamt 55 (12 nach den §§ 166/167, 43 nach den §§ 167a/168). Alle Angaben beziehen sich auf das Bundesgebiet nach dem Gebietsstand bis zum 3.10.1990 einschließlich Berlin-West, ab 1996 auch einschließlich Berlin-Ost. Flächendeckende Angaben für die neuen Länder liegen nicht vor. Quelle: Statistisches Bundesamt Strafverfolgungsstatistiken.

Stand: 1 . 7 . 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff

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bestände durch Einbeziehung von Weltanschauungen nichtreligiösen Inhalts infolge fehlender Griffigkeit der Tatbestände zusammen mit gewandelten Auffassungen praktisch keine anderen Ergebnisse haben würde, wie sie auch zu verzeichnen gewesen wären, wenn der Gesetzgeber die Tatbestände gestrichen und die Handlungen dieser Art den sozialen Reaktionen der Gesellschaft überlassen hätte (BT § 35 I 3; vgl. auch Dambois KiZt. 18 [1963] 247 sowie Hardwig GA 1962 257). XI. Die Notwendigkeit der Tatbestände wird nach wie vor ernsthaft in Zweifel 21 gezogen 1. Einer besonderen Rechtfertigung bedurfte die grundsätzliche Beibehaltung der Religionsdelikte, seit die vom Gedankengut der Aufklärung geprägten Vorstellungen von einem säkularen Staat die Begründung von Strafrecht aus dem Göttlichen (vgl. Rdn. 8 mit Fn. 53) ausschloß (vgl. Schroth BT S. 23). Allerdings betrifft dies von den Strafbestimmungen des Elften Abschnitts nur die §§ 166, 167. Die §§ 167 a, 168 „beziehen" sich nicht auf die Religion (Rdn. 11), gegenwärtige religiöse Bezüge sind nicht erkennbar (Rdn. 15, § 167 a Rdn. 4). Über die Notwendigkeit des in § 168 normierten Strafgrundes, seit dem 1. StrRG § 167 a eingeschlossen, gab es aber auch nie ernsthafte Zweifel. Störung der Totenruhe gehört zu den sicherlich nicht allzu zahlreichen Straftatbeständen, deren Strafgrund universelle Akzeptanz genießt (vgl. auch § 173 Rdn. 4 zum Inzestverbot). Kretschmer gelangt in seiner umfassenden Historiogenese des Toten- und Leichenrechts 93 zu dem Ergebnis, daß in allen vergangenen und gegenwärtigen Rechtsordnungen dieser Welt Grab- und Leichenfrevel als strafwürdige Missetat 94 erachtet werden, 95 wobei er geradezu eine anthropologische Konstante in den Beweggründen sieht, die den Menschen antreiben, statt Grab und Leichnam den Umtrieben Einzelner zu überlassen, durch Strafdrohungen die gesellschaftlich gewollte Verhaltensweise abzusichern. Die Notwendigkeit der eigentlichen Religionsdelikte stützte die herkömmliche Lehre im wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte. Der eine entsprang der Überzeugung, daß der religiöse Friede und die Kultusfreiheit nur durch besondere Straftatbestände geschützt werden könnten (ζ. B. Bruns S. 16 ff. insb. S. 20). Im anderen artikulierte sich die Befürchtung, daß ihr Fehlen im Strafgesetzbuch die Bedeutung eines der wichtigsten und höchsten Kulturgüter des Volkes schmälern würde und leicht den Bestand und die Vertiefung gesunder Volksmoral gefährden könnte (insb. Kahl VDB S. 82; Festgabe v. Frank S. 303; Sauer BT § 40 I 2; ähnlich Niethammer I. Hauptstück Vorbem. zu H). Der E 1962 nahm zur Strafwürdigkeit nicht Stellung, sondern knüpfte daran an, daß der strafrechtliche Schutz der religiösen Überzeugung durch das Grundgesetz vorgezeichnet sei (Begr. S. 342; dazu schon Rdn. 6, 14). Damit ignorierte er nicht nur die im Schrifttum weit verbreitete Auffassung, daß eigenständige Religionsdelikte entbehrlich seien (vgl. Rdn. 9 mit Fn. 58, 59), sondern überging auch die von der modernen Strafrechtslehre befürwortetet Tendenz, das Strafrecht einzuschränken, es nicht als „Moralkodex" zu verstehen (näher Vor § 169 Rdn. 6), und deshalb, auch um des sozialen Friedens willen, im Bereich des religiösen Empfindens mit Strafschutz zurückhaltend zu bleiben. Dieses Konzept ver-

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S. 51 ff, speziell zum germanischen Rechtskreis von der schriftlosen Kultur über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis hin zu den Kodifikationen der Neuzeit S. 152 ff. Meist als Delikt gegen die öffentliche Ordnung ausgestaltet (S. 211 unter Hinweis auf Klotz S. 150ÍT, 163 fl).

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Sozialistische Staaten, die aufgrund ihrer materialistischen Philosophie Grab- und Leichenfrevel nicht gesondert als strafwürdiges Unrecht begreifen, ausgenommen (S. 212).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

folgte der AE, freilich nicht ohne die Bedeutung religiöser und weltanschaulicher Kräfte hoch einzuschätzen, auf ihren Strafschutz aber dennoch weitgehend zu verzichten, weil er einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft wenig angemessen sei und es nicht einmal im Interesse von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften liege, für geistige Auseinandersetzungen Strafrecht und Strafrichter zu bemühen (S. 77). 22

2. Die Kritik an eigenständigen Religionsdelikten ist auch nach dem 1. StrRG, nach wie vor gestützt auf höchst unterschiedliche Gesichtspunkte, nicht verstummt. Beisel meint, der Fortbestand des § 166 beruhe heute nur noch auf dem Lobbyismus von Religionsgesellschaften und konservativen Kreisen, weshalb er ersatzlos zu streichen sei (S. 360). Burghard stellt, ähnlich den früheren, an systematische Überlegungen anknüpfenden Vorschlägen (vgl. Rdn. 9) die Notwendigkeit der Religionsdelikte in Frage (S. 35, 62, 94fï). Th. Fischer spricht dem öffentlichen Frieden die Qualität eines selbständigen Rechtsguts ab (dazu auch § 166 Rdn. 10) mit der Folgerung, daß der Tatbestand des § 166, wenn sein einziges Rechtsgut der öffentliche Friede sei, im Strafgesetzbuch keinen Platz habe (NStZ 1988 162 ff; GA 1989 456 ff; dazu auch schon Öffentlicher Friede S. 635ff). Hassemer lehnt in der Tradition des Gedankenguts der Aufklärung jede Form strafrechtlichen Schutzes von Religion und Weltanschauung ab (Religionsdelikte S. 1309 [235]). Herzog greift im Hinblick auf die Auseinandersetzungen der katholischen Kirche mit den Kritikern ihrer Aussagen zu Geburtenkontrolle, Sexualität, Unfehlbarkeitsdogma und Zölibat, bei denen auch eine strafrechtliche Klärung der Grenzen gesucht worden sei, den Gedanken des AE (Rdn. 21) auf, daß es weder im Interesse einer lebendigen geistigen Auseinandersetzung noch in dem der Religionsgesellschaft selbst liegen könne, wenn mit den Mitteln des Strafrechts Diskussionen tabuisiert würden (Vor § 166 Rdn. 3). Schmitz empfiehlt den Wegfall der bisherigen Tatbestände im Hinblick auf ihre geringe objektive kriminalpolitische Bedeutung (S. 118f)· Schnieders formuliert gegenüber der Regelung des § 166 Abs. 1 verfassungsrechtliche, an den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 G G anknüpfende Bedenken (S. 143). Walloschke tritt für die Abschaffung des § 166 ein, weil er in der Praxis nur die großen Kirchen schütze, sich insgesamt aber auch gezeigt habe, daß er eine kritische Auseinandersetzung mit den Kirchen erschwere und auf Dauer nicht dazu geeignet sei, den sozialen Frieden in diesem Bereich zu sichern. 96 Wie gegensätzlich die Notwendigkeit eines strafrechtlichen Schutzes von Religion und Weltanschauung auch im politischen Raum gesehen wird, zeigen zwei Gesetzesinitiativen. Einerseits legte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzesantrag vor, der die ersatzlose Aufhebung des § 166 erstrebt (BTDrucks. 13/2087).97 Andererseits brachte der Freistaat Bayern im Bundesrat einen Gesetzentwurf ein, der das Ziel verfolgt, durch Streichung des den Tatbestand einschränkenden Merkmals „in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", auch die Achtung der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse einzubeziehen, den Strafschutz also auf den Bekenntnisinhalt selbst auszuweiten (BRDrucks. 367/86; 460/98).98 Die Initiative fand im Bundesrat keine Mehrheit (BRProt. 568/496, 497ff; BRRAussch. 574. und 575. Sitzung).99 96

97

98

Strafrechtsschutz der Kirche durch Gotteslästerungsparagraph 166, FoR 1994, 91-92, angeführt bei juris Aufsätze Kurzreferat Nr. ΒJLU061799440. Zu den Hintergründen dieser Initiative Schmied Blasphemie S. 12f, 41. Näher Schulz Bericht aus Bonn, Z R P 1986 295,

99

296 f. Zust. Katholnigg NStZ 1986 555 (Anm. zu OLG Karlsruhe NStZ 1986 363); abl. Th. Fischer NStZ 1988 164; Eser S. 1025, 1043; vgl. auch Ott Literatur S. 285; TröndlelFischer § 166 Rdn. 1. Zur Möglichkeit, aber auch zu den Schwierigkeiten eines Abbaus des Strafrechts in Bezug auf

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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3. Indessen gibt es aber auch weiterhin Gründe für die Beibehaltung der Reli- 2 3 gionsdelikte. Gegenüber der Auffassung, eigenständige Straftatbestände zum Schutz des religiösen Empfindens seien entbehrlich, kann angeführt werden, daß die Verweisung auf die Bestimmungen über die allgemeinen Delikte nur dem Angriff auf individuelle Rechte des Einzelnen gerecht wird, nicht aber die wesentlichen überindividuellen Zusammenhänge und Bindungen berücksichtigt, wie dies etwa auch der besondere Schutz von Personen des öffentlichen Lebens und der Verfassung selbst neben dem privaten Ehrenschutz erfordert (vgl. Evangelische Studiengemeinschaft ZEE 10 (1966) 178 = Nachtrag Prot. V/121 S. 2456r). Die Vorschriften über die Beleidigung treffen selbst in ihrem kollektiven Schutz (dazu § 166 Rdn. 13) nicht die Beschimpfung des sachlichen Inhalts eines Bekenntnisses, wenn nicht zugleich die Vereinigung als solche angegriffen wird (Corves/Dreher/Sturm Prot. V/121 S. 2427). Der Strafschutz des § 166 geht aber auch weiter als der des § 130 (vgl. schon Dreher Prot. V/134 S. 2808). Beide Vorschriften erstrecken ihren Schutz über den des öffentlichen Friedens hinaus auf die Würde des Einzelmenschen (näher § 166 Rdn. 12). Dadurch ergeben sich zwar Überschneidungen. Doch sind daneben zahlreiche Verhaltensweisen denkbar, die vielfach nur im Vorfeldbereich des § 130 liegen, von § 166 aber erfaßt werden (vgl. auch § 166 Rdn. 12). Insgesamt gesehen reicht die Bedeutung des § 166 mit seiner vom 1. StrRG konsequent auf die Lebenserfordernisse einer pluralistischen Gesellschaft, deren friedliches Zusammenleben sich auch in der religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzung bewähren muß, zugeschnittenen Fassung (vgl. Rdn. 19) weit über diejenige früherer Ausgestaltungen hinaus. Zusammen mit den übrigen Bestimmungen des Elften Abschnitts weist sie die Richtung für das allgemeine Verhältnis zwischen Staat, religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaft und Einzelnem. Wie kaum eine andere Deliktsgruppe lassen diese Vorschriften die Grundeinstellung des Gesetzes zu den Grenzen des Strafrechtsschutzes und der Individualrechtsentfaltung erkennen (ZipfNSW 1969 1944). So kann gelten, daß auch in einem säkularen Staat es durchaus im allgemeinen Interesse liegt, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen um ihres in menschlicher Persönlichkeitsentfaltung zum Ausdruck kommenden Sozialwertes willen einen besonderen Schutz zuzugestehen. 100

§166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften ( § 1 1 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

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die §§ 167, 167 a ohne Preisgabe schützenswerter Interessen Krelschmer S. 45 f. Eser S. 1045; vgl. auch Dombois KiZt. 18 (1963)

247f; Klecatsky ÖArchKR 21 (1970) 55; Knies S. 267; Listi StimZt. 179 (1967) 258; Rengier Sp. 820; Schroth BT S. 23; Schwander S. 17.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Schrifttum Abel Die Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubensgemeinschaften, N J W 1996 91; Abel Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, NJW 1999 331, 2001 410; Albrecht A. Die Verleihung der Körperschaftsrechte an islamische Vereinigungen, KuR 1 (1995) 25; Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft (1972); Arndt Die Kunst im Recht, NJW 1966 25, 26; Beck Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, StrafrAbh. Neue Folge 76 (1992); Beling Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, religiösen Einrichtungen und Gebräuchen, und die Reformbedürftigkeit des § 166 StGB, Festgabe für Felix Dahn, 3. Teil (1905) 1; Beling Beschimpfung von Religionsgesellschaften (1912) - zit.: Beling Beschimpfung; Benz Neue Religionen (1971); Berg Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, Schriften zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre Bd. 6 (1968); Berka Die Freiheit der Kunst (Art. 17a StGG) und ihre Grenzen im System der Grundrechte, JurBl. 1983 281; Berkemann!Hesselberger Die strafrechtliche Beurteilung anonymer Bombendrohungen, N J W 1972 1789; Berz Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz (1986); Biebl Zu dem Inhalt und den Grenzen der Grundrechte des Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes, Diss. Würzburg 1959; Bleckmannl Wiethoff Zur Grundrechtskonkurrenz, DOV 1991 722; Böckling Die Gotteslästerung und Beschimpfung von Religionsgesellschaften, Diss. Erlangen 1933; Bopp Der Anspruch der Religionsgesellschaften auf Verleihung der Rechtsstellung einer öffentlichen Körperschaft nach Art. 137 WRV i.Verb.m. Art. 140 BGG, DÖV 1952 516; Bopp Zur Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgemeinschaften gemäß Art. 137 WRV, Z E K R 3 (1953/54) 184; Borgmann Kann Pornographie Kunst sein? JuS 1992 916; Bottke Religionsfreiheit und Rechtsgüterschutz, ZEE 42 (1998) 95; BreuninglNocke Die Kunst als Rechtsbegriff, in: Dankert/Zechlin Literatur vor dem Richter (1988) 235; Brockelmann § 130 StGB und antisemitische Schriften, DRiZ 1976 213; Budisch Gotteslästerung, in: Reinsdorf Reinsdorf Zensur im Namen des Herrn (1997) 11; v. Campenhausen Neue Religionen im Abendland, Z E K R 25 (1980) 135; v. Campenhausen Körperschaftsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften, Z E K R 46 (2001) 165; Collardin Straftaten im Internet, CuR 1995 618; Conradi/Schlömer Die Strafbarkeit der Internet-Provider, NStZ 1996 366, 472; Denninger Freiheit der Kunst, in: Isensee/Kirchhof Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6 2. Aufl. (2001) 847; Derksen Strafrechtliche Verantwortung für in internationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt, N J W 1997 1878; Dickel Religionsgesellschaften, in: Brunette! Weber Evangelisches Staatslexikon, Bd. 3 2. Aufl. (1959) 588; Doose Die rechtliche Stellung der evangelischen Freikirchen in Deutschland, Diss. Marburg 1963; Dünnwald Kunstfreiheit und Strafgesetz, G A 1967 33; Enderlein Der Begriff der Freiheit als Tatbestandsmerkmal der Grundrechte, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 686 (1995); Erbel Kunst und Recht, Z U M 29 (1985) 283; Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Fechner Zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgesellschaften, Jura 1999 515; Fehlau Die Schranken der freien Religionsausübung, JuS 1993 441; Fezer Diskriminierende Werbung Das Menschenbild der Verfassung im Wettbewerbsrecht, JZ 1998 265; Fleischer Der Religionsbegriff des Grundgesetzes, Bochumer Juristische Studien Nr. 74 (1989); Fischer K. A. Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst (1995); Flechsig Haftung von Online-Dienstanbietern im Internet, ArchPR 1996 333; Franke Zum BegrifT des Presseinhaltsdelikts, GA 1982 404; Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB, GA 1984 452; Frommel Fremdenfeindliche Gewalt, Polizei und Strafjustiz, KJ 1994 323; Gallas Abstrakte und konkrete Gefährdung, Festschrift für Ernst Heinitz (1972) 171; Gascard Neue Jugendreligionen (1984); Geiger Die Diskussion über die Freiheit der Kunst, Festschrift für Gerhard Leibholz (1966) 187; Geiser Die Persönlichkeitsverletzung insbesondere durch Kunstwerke, Basler Studien zur Rechtswissenschaft Reihe A Bd. 21 (1990); Gerì Weltanschauung, in: Gasperl Müllerl Valentin Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, Herder spectrum Bd. 5528 (2000) 1136; Giehring Pazifistische radikale Kritik als Volksverhetzung, StV 1985 30; Gollwitzer Die Gotteslästerung im Strafrecht, EvLitB 1962 961; Groß Zum Begriff des Presseinhaltsdeliktes, NJW 1966 638; Groß Zum Pressestrafrecht, NStZ 1994 312, 313; Groß Presserecht, 3. Aufl. (1999); Guthmann Wird durch Gotteslästerung ein Rechtsgut verletzt oder gefährdet? Diss. Rostock 1919; Haack Jugendreligionen - Ursachen Trends Reaktionen, 2. Aufl. (1980); Häberle

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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Die Freiheit der Kunst im Verfassungsstaat, AöR 1985 575; Hamm Zur Strafbestimmung des § 166 StGB wegen Beschimpfung einer Religionsgesellschaft, D J Z 1905 274; v. Hart lieb Zum Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Recht, Z U M 30 (1986) 37; Hartmann Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht - BGH, NJW 1975, 1822, NJW 1976 649; Hassemer Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, Festgabe für Arthur Kaufmann (1989) 85; Hassemer Symbolisches Strafrecht und Rechtsgüterschutz, NStZ 1989 553; Heckel Staat Kirche Kunst (1968) - zit.: Heckel Staat; Heckel Die religionsrechtliche Parität, in: ListllPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 2. Aufl. (1994) 589 - zit.: Heckel HdStKiR; Heinz W. Kunst und Strafrecht, in: Mühleisen Grenzen politischer Kunst (1982) 44; Held Die kleinen öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik, JuS Ecclesiasticum Bd. 22 (1974); Henschel Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1990 1937; Heppacher § 166 RStGB und die Reform, Diss. Erlangen 1912; Hermuth Kritische Kunst und Kunstkritik, FuR 1983 197; HillgruberlSchemmer Darf Satire wirklich alles? JZ 1992 946; Hoffmann J. Kunstfreiheit und Sacheigentum, NJW 1985 237; Horn Konkrete Gefährdungsdelikte (1973) - zit.: Horn Gefährdungsdelikte; Hoyer Die Eignungsdelikte, StrAbh. Neue Folge 61 (1987); Hubmann Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. (1967); Huster Körperschaftsstatus unter Loyalitätsvorbehalt? JuS 1978 117; Ignor Der Straftatbestand der Beleidigung, Strafrecht in Deutschland und Europa Bd. 3 (1995); Ipsen Gotteslästerung und Beschimpfung der Religionsgesellschaften (1909); Isensee Wer definiert die Freiheitsrechte? Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 145 (1980) - zit.: Isensee Freiheitsrechte; Isensee Kunstfreiheit im Streit mit Persönlichkeitsschutz, ArchPR 1993 619; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985) 751; Jurina Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: ListllPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1 2. Aufl. (1994) 689; KantwilHRüppel Pfad der Glückseligkeit? Jugendsekten in der Bundesrepublik Deutschland, Kriminalistik 1979 468; Kästner Das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AöR 123 (1998) 408; Kästner Hyperthrophie des Grundrechts auf Religionsfreiheit? JZ 1998 974; Kaufmann Arth. Zur Frage der Beleidigung von Kollektivpersönlichkeiten, ZStW 72 (1960) 418; Kiewitz Die Strafbarkeit der Gotteslästerung nach § 166 StGB und den Entwürfen zu einem StGB, Diss. Saarbrücken 1969; Kind Die rechtlichen Grenzen der Glaubenswerbung, Diss. Bonn 1975; Kirchhof Die Garantie der Kunstfreiheit im Steuerstaat des Grundgesetzes, NJW 1985 225; Kirchhof Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: ListllPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1 2. Aufl. (1994) 651 - zit.: Kirchhof HdStKiR; Klee Soll der Gotteslästerungs-Paragraph fallen? DStrR 1938 378; Krauss Der strafrechtliche Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Kunstfreiheit, Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) 209; Krug Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, Schriften zum Strafrecht Bd. 3 (1965); Krüger M. Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, Kölner Kriminalwissenschaftliche Studien Bd. 35 (2000); Krüger-Nieland Persönlichkeitsschutz Verstorbener als Schranke der Freiheit der Kunst, GRUR 1968 523; Kuhl/Unruh Tierschutz und Religionsfreiheit am Beispiel des Schächtens, DÖV 1991 94; Kunigl Uerpmann Zum Verlust des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts am Beispiel der altkorporierten jüdischen Religionsgemeinschaft Adass Jisroël, DVB1. 1997 248; Lanckowski Die neuen Religionen (1974); Laufliütte Das Vierzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, M D R 1976 441; Lehmann J. Die kleinen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts im heutigen Staatskirchenrecht (1959); Lehmann Κ Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten (1993); Leiss Die Bedeutung künstlerischer Gestaltung für die Strafwürdigkeit einer Handlung, NJW 1962 2323; Leiss Kunst im Konflikt, Kunst und Künstler im Widerstreit mit der „Obrigkeit" (1971) - zit.: Leiss Kunst; Leiss Immer noch obrigkeitliches Unbehagen an der Kunst? JR 1972 184; Lemhöfer Ein breites Spektrum, Sekten und der Markt der Weltanschauungen, H K 52 (1998) 136; Lenckner Die Wahrnehmung berechtigter Interessen, ein „übergesetzlicher" Rechtfertigungsgrund? Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) 243; Liebl Scientology, in: Gasperl Müller/Valentin Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, Herder spectrum Bd. 5528 (2000) 962; Link Zeugen Jehovas und Körperschaftsstatus, Z E K R 43 (1998) 1; Locher Das Recht der bildenden Kunst (1970); Löhnig „Verbotene Schriften" im Internet, JR 1997 496; Lorenzen Die Strafbarkeit der Gotteslästerung, Diss. Hamburg 1939; Loschelder Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes, Essener

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Karlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 20 (1986) 149; Lynen Kunst im Recht (1994); Mahrenholz Freiheit der Kunst, in: Bendai Maihoferl Vogel Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1994) 1289 - zit.: Mahrenholz HdVerfR; Maiwald Kunst als Gegenstand einer Straftat, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 2 (1985) 67; Marhold Sekte, in: Fahlbusch/LochmannlMbitilPelikan! Vischer Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 4 3. Aufl. (1996) 194; Martens Kirchenglocken und Polizei, Festschrift für Gerhard Wacke (1972) 343; Mayer E. Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, Diss. Erlangen 1933; Mayer M. Religionsfreiheit und Schächtverbot, NVwZ 1997 561; Mayer R. Kirche, Freikirche, Sekten, Z E K R 7 (1959/60) 156; Mayerhofer Die Freiheit der Kunst vor staatlichen Eingriffen, ÖJZ 34 (1984) 197; Mayerhofer Die Freiheit der Kunst und die Schranken des Strafrechts, ÖJZ 36 (1986) 577; Meyer D. Kunstwerk und pornographische Darstellung, SchlHA 1984 49; Mosel Kunstfreiheit und Strafgericht, FuR 9 (1965) 178; Muckel Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995 311; Muckel Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Staat 38 (1999) 569; Muckel Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, Festschrift für Josef Listi, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 33 (1999) 239; Müller F. Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik (1969) - zit.: F. Müller Freiheit; Müller F. Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, JZ 1970 87; Müller Konr. Die Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 Abs. V Satz 2 WRV, Z E K R 2 (1952/53) 139, 381; Müller-Dietz Instrumentelle vs. sozialethische Funktionen des Strafrechts - am Beispiel der Pönalisierung von Verhaltensweisen, Festgabe für Arthur Kaufmann (1989) 95; Müller-Volbehr Neue Minderheitenreligionen - aktuelle verfassungsrechtliche Probleme, JZ 1981 41; Müller-Volbehr Rechtstreue und Staatsloyalitât: Voraussetzungen für die Verleihung des Körperschaftsstatus an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften? N J W 1997 3358; Müller- Volbehr Religionsfreiheit und Tierschutz: Zur Zulässigkeit religiös motovierten Schächtens, JuS 1997 223; Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965) 1; Oettinger Zum Sachverstand des Kunstsachverständigen, JZ 1974 285; Ott Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst, N J W 1963 617; Ott Ist die Strafbarkeit der Religionsbeschimpfung mit dem Grundgesetz vereinbar? NJW 1966 639; Ott Kunst und Staat (1968) - zit.: Ott Kunst; Otto H. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit in der Literatur, NJW 1986 1206; Otto H. Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, Jura 1997 139; Pache Tierschutz oder Schächten? Jura 1995 150; Park Die Strafbarkeit von Internet-Providern wegen rechtswidriger Internet-Inhalte, GA 2001 23; Pelz Die Strafbarkeit von Online-Anbietern, wistra 1999 53; Preisendanz Zur Korrelation zwischen Satirischem und Komischem, in: Preisendanzl Warning Das Komische (1976) 412 - zit.: Preisendanz Satire; v. Preuschen Beiträge zu dem Verbrechen der Blasphemie, durch Rechtsfälle erläutert, ArchKrim. 1841 292,1842 188; Preuss Verspottung fremder Religionen im Alten Testament (1971); Reilerl KrechiKleiminger Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, 5. Aufl. (2000); Reinsdorf Zensur im Namen des Herren: zur Anatomie des Gotteslästerungsparagraphen (1997); Reupke Die Religionskörperschaften des öffentlichen Rechts in der Wertordnung des Grundgesetzes, KuR 3 (1997) 91; Rittig Anmerkungen zu Satire und Justiz, in: DankertIZechlin Literatur vor dem Richter (1988) 203; Robbers Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, Festschrift für Martin Heckel (1999) 411; de Roo Godslastering, Rechtsvergelijkende Studie over blasfemie en andere religiedelicten (1970); Rothe Gegen den Gotteslästerungsparagraphen (1906); Rudolphi Notwendigkeit und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 1979 214; Ruppel Die Behandlung der Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Gesetzgebung, ArchEKR 5 (1941) 1; Ruppel Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: Brunette!Weber Evangelisches Kirchenlexikon Bd. 2 (1958) 951 - zit.: Ruppel EKL; Schick Kunstwerkgarantie und Strafrecht, dargestellt am Beispiel der Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung, Diss. Tübingen 1968; Schmieder Kunst als Störung privater Rechte, NJW 1982 628; Schöch Scientology ante portas? Festschrift für Heinz Müller-Dietz (2001) 803; Schröder Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte? JZ 1967 22; Schröder Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1979) 7; Schroeder Die Zusammenrechnung im Rahmen von Quantitätsbegriffen bei Fortsetzungstat und Mittäterschaft, GA 1964 225; Schroeder Die Straftaten gegen das Strafrecht, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft zu Berlin Heft 96 (1985) - zit.: Schroeder Straftaten; Schütze Hans Der Status der kleineren Religions-

Stand: 1.7.2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§166

gesellschaften des öffentlichen Rechts in Deutschland, Diss. Göttingen 1953; Seidel Handbuch der Grund- und Menschenrechte auf staatlicher, europäischer und universeller Ebene (1966); Sieber Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen, JZ 1996 429, 494; Sieber Strafrechtliche Verantwortung für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen, DuD 1996 550; Smend Zur Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 WRV, ZEKR 2 (1952/53) 374; Smend Glaubensfreiheit als innerkirchliches Grundrecht ZEKR 3 (1953/54) 113; Stange Pornographie im Internet, CuR 1996 424; Steffen E. Politische Karikatur und politische Satire im Spannungsfeld von Kunstfreiheitsgarantie und Persönlichkeitsschutz, Festschrift für Helmut Simon (1987) 359; Stolleis Eideszwang und Glaubensfreiheit, JuS 1974 770; Stratenwerth Zum Begriff des „Rechtsgutes", Festschrift für Theodor Lenckner (1998) 377; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Streng Das Unrecht der Volksverhetzung, Festschrift für Karl Lackner (1987) 501; Tag Zum Umgang mit der Leiche, MedR 1998 387; Thiede Scientologie und Grundgesetz, LM 23 (6/1993) 29; Thiede Problemfall Scientologie, Ethica 1 (1993) 339; Thomä Gotteslästerung und Glaubensschutz, Diss. Tübingen 1932; Thiising Kirchenautonomie und Staatsloyalität, DÖV 1998 25; Thüsing Ist Scientologie eine Religionsgemeinschaft? ZEKR 45 (2000) 592; Tillmanns Zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften, DÖV 1999 441; TrifftererlSchmoller Die Freiheit der Kunst und die Grenzen des Strafrechts, ÖJZ 43 (1993) 547, 573; Trute Das Schächten von Tieren im Spannungsfeld von Tierschutz und Religionsausübungsfreiheit, Jura 1996 462; Ursarski Die Stigmatisierung neuer spiritueller Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte Bd. 15 (1988); Veelken Das Verbot von Weltanschauungsund Religionsgemeinschaften, Diss. Münster 1999; Vonschrott Die Beschimpfung der christlichen Kirchen und das deutsche Strafrecht, ArchKKR 86 (1906) 379; Wach Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, DZKR 1 (1982) 161; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; Weber Herrn. Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften, ZEKR 34 (1989) 337; Weber Herrn. Körperschaftsstatus für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland? ZEKR 41 (1996) 172; Weber Herrn. Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: Fahlbusch/Lochmann/MbitilPelikan/Vischer Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 2 3. Aufl. (1989) 1453 - zit.: Herrn. Weber EKL; Weber Herrn. Körperschaftsstatus bzw. Rechtsfähigkeit von Religionsgesellschaften kraft Regierungsakts der ehemaligen DDR, NJW 1998 197; Weber W. Religionsgesellschaften, in Galling Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5 3. Aufl. (1961) 994 - zit.: W. Weber Religionsgesellschaften; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung, Nomos Universitätsschriften Bd. 149 (1994); Weiss Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe (1927); Wesenberg Der strafrechtliche Schutz der geheiligten Gegenstände, StrafrAbh. 158 (1912); Wiehert Zum Problem der Kunstfreiheitsgarantie, Diss. Köln 1973; Winter Scientology und neue Religionsgemeinschaften, ZEKV 42 (1997) 372; Wolf U. Spötter vor Gericht, Frankfurter öffentlich-rechtliche Studien Bd. 6 (1996); Wolfrum Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes, SchlHA 1984 2; Würkner „Was darf die Satire?" JA 1988 183; Würkner Wie frei ist die Kunst? NJW 1988 317; Würkner Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst (1994) - zit.: Würkner Freiheit; Würtenberger Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, Festschrift für Eduard Dreher (1977) 79; Würtenberger Kunst, Kunstfreiheit und Staatsverunglimpfung (§ 90 a StGB), JR 1979 309; Würtenberger Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; Würtenberger Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zaczyk Der verschuldete Verbotsirrtum - BayObLG, NJW 1989 1744, JuS 1990 889; Zechlin Gerichtliche Verbote zeitkritischer Kunst, KJ 1982 248; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091; Zöbeley Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985 254; Zöbeley Warum läßt sich Kunst nicht definieren? NJW 1998 1372.

Im übrigen gelten die Angaben Vor § 166.

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Karlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Entstehungsgeschichte In seiner ursprünglichen Fassung enthielt § 166 drei Tatbestände: Die Gotteslästerung, die Beschimpfung einer der christlichen Kirchen oder einer anderen mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden Religionsgesellschaft oder ihrer Einrichtungen oder Gebräuche sowie die Verübung beschimpfenden Unfugs in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort. Das 3. StRÄndG brachte eine Veränderung im zweiten Tatbestand durch die Fassung „eine andere im Staate bestehende Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts". Eine neue Ausgestaltung erhielt die Vorschrift durch das 1. StrRG. Der Tatbestand der eigentlichen Gotteslästerung fiel ersatzlos fort. Die Verübung beschimpfenden Unfugs wurde in § 167 eingestellt. In § 166 verblieb, nun allerdings unter Einbeziehung auch der weltanschaulichen Bekenntnisse, nur der Tatbestand der Beschimpfung im engeren Sinne. Das 4. StrRG fügte den Schriften, Tonträgern, Abbildungen und Darstellungen als Verbreitungsmittel für die Beschimpfung die Bildträger hinzu. Vom EGStGB schließlich wurde, dem neuen Sprachgebrauch des 2. StrRG entsprechend, die Aufzählung der Verbreitungsmittel durch die Verweisung auf § 11 Abs. 3 ersetzt, dessen Katalog das I u K D G (Rdn. 45 mit Fn. 121) um den Begriff Datenspeicher erweiterte. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 12 S. 552, 600; E 1962 S. 43, 264, 343f; AE S. 7, 78f; BTDrucks. IV/650; V/32; V/2285; V/4094; Prot. V/121 S. 2421 ff, 2426 ff, 2456 a ff; V/134 S. 2806ff, 2818; BTProt. V/230 S. 12782ff.

Übersicht Rdn.

Rdn.

I. Allgemeines 1-13 1. Systematische Veränderung und gewandelte Richtung 1 2. Deliktsform 2-5 a) Eignungsdelikt 2 b) Abstraktes oder konkretes Gefahrdungsdelikt 3 c) Potentielles Gefährdungsdelikt . 4 d) Eignung zur Schädigung . . . . 5 3. Rechtsgut 6-11 a) Festschreibung des öffentlichen Friedens 6-8 aa) erst im Gesetzgebungsverfahren 6 bb) als ausschließliches Rechtsgut 7 cc) in der umfassenden Bedeutung des Merkmals 8 b) Kritik 9-10 aa) am Normzweck und am Rechtsgutsbegriff 9 bb) an der Tatbestandsstruktur und der Ausdeutung des Rechtsguts 10 c) Ersetzung oder Modifizierung des Rechtsguts 11 4. Abgrenzung von verwandten Tatbeständen 12-13 a) Volksverhetzung 12

b) Beleidigung 13 II. Der äußere Tatbestand des Absatzes 1 14-58 1. Angriffsgegenstand 14-22 a) Bekenntnis 14 b) Inhalt des Bekenntnisses . . . . 15-17 aa) Einschränkende Wirkung des Merkmals 15 bb) Erweiternde Wirkung des Merkmals 16 cc) Abgrenzung von Teilen eines Bekenntnisses . . . . 17 c) Religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis 18-21 aa) Keine Bewertung von Inhalten 18 bb) Religiöses Bekenntnis . . . 19 cc) Weltanschauliches Bekenntnis 20 dd) Wahlfeststellung 21 d) Bekenntnis anderer 22-23 aa) Bekenntnis einer Gemeinschaft oder eines einzelnen . 22 bb) Eigenes Bekenntnis des Beschimpfenden 23 2. Die Tathandlung 24-50 a) Das Beschimpfen 24—37 aa) Der normative Begriff . . . 24 bb) Kein kritikfreier Raum . . . 25 cc) Verächtlichmachen 26

Stand: 1 . 7 . 2 0 0 3

(36)

Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

Rdn. Restriktive Auslegung . . . 27 Objektiver Aussagegehalt . 28 Schweregrad der Äußerung 29 Bewertungsmaßstab . . . . 30 Aussagegehalt eines Kunstwerks 31 ii) Kunst und Nicht-Kunst . . 32 jj) Die Grundrechtsträger . . 33 kk) Vorbehaltlosigkeit . . . . 34 11) Begrenzung durch die grundgesetzliche Wertordnung 35 mm) Einschränkung des § 166 selbst 36 nn) Karikatur und Satire . . . 37 b) Öffentliches Beschimpfen . . . . 38^10 aa) Der Begriff öffentlich . . . 38 bb) Äußerungen in einer Versammlung 39 cc) Möglichkeit der Kenntnisnahme Dritter 40 c) Schriften als Mittel des Verbreitens 41^17 aa) Der Begriff 41 bb) Schriften 42 cc) Tonträger 43 dd) Bildträger 44 ee) Datenspeicher 45 ff) Abbildungen 46 gg) Darstellungen 47 d) Das Verbreiten 48-50 aa) Größerer Personenkreis als Ziel 48 bb) Körperliche Weitergabe der Schrift 49 cc) Vermittlung des Inhalts von Datenspeichern 50 3. Der Taterfolg 51-58 a) Der Begriff des öffentlichen Friedens 51 b) Das Merkmal zur Friedensstörung geeignet 52-54 aa) Kein Eintritt der Störung 52 bb) Konkrete Geeignetheit zur Herbeiführung der Gefährdung 53 cc) Eintritt der konkreten Gefährdung 54 c) Störung des öffentlichen Friedens 55-58 aa) Vertrauen in den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit 55 bb) Befürchten des Bekanntwerdens der Beschimpfung 56 cc) Förderung der Bereitschaft Dritter zur Intoleranz . . . 57 dd) Interne Vorgänge in der Gemeinschaft der Betroffenen 58 III. Der äußere Tatbestand des Absatzes 2 59-88

Rdn.

dd) ee) ff) gg) hh)

(37)

166

IV. V. VI. VII.

1. Angriffsgegenstand a) Kirchen aa) Sprachgebrauch bb) Hervorhebung im Gesetz b) Religionsgesellschaften aa) Herkunft des Begriffs . . . bb) Heutiger Inhalt cc) Formelle Voraussetzungen . dd) Wirtschaftliche Betätigung ee Politische Betätigung . . . . ff) Doppelmitgliedschaft . . . gg) Altkorporierte Religionsgesellschaften hh) Verleihung der Körperschaftsrechte ii) Parität jj) Anerkannte Religionsgesellschaften kk) Nicht anerkannte Religionsgesellschaften c) Weltanschauungsvereinigungen aa) Äußere Merkmale bb) Inhaltliche Bestimmung . . cc Beispiele d) Einrichtungen und Gebräuche . aa) Unveränderte Übernahme der hergebrachten Begriffe . bb) Begriff der Einrichtungen . cc) Anerkannte Einrichtungen dd) Nicht anerkannte Einrichtungen ee) Begriff der Gebräuche . . . ff) Anerkannte Gebräuche . . e) Inland aa) Funktioneller Begriff . . . . bb) Ausländische Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen 2. Die Tathandlung a) Entsprechende Geltung der Erläuterungen zu Absatz 1 . . . b) Beschimpfung der Institutionen als solche oder mittelbare Beschimpfung aa) Die Entstehung der Streitfrage bb) Reformversuche cc) Kein Bedürfnis der Anerkennung zusätzlicher mittelbarer Beschimpfungen c) Fälle unmittelbarer Kirchenbeschimpfung 3. Der Taterfolg - Uneingeschränkte Geltung der entsprechenden Erläuterungen zu Absatz 1 . . . . Rechtswidrigkeit Der innere Tatbestand Verjährung Konkurrenzen

Karlhans Dippel

59-81 59-60 59 60 61-71 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72-74 72 73 74 75-80 75 76 77 78 79 80 81-82 81

82 83-87 83

84-87 84 85

86 87

88 89 90 91 92

§166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

I. Allgemeines 1

1. Die Systematik der Vorschrift hat durch ihre Neufassung an Klarheit gewonnen. Sie erfaßt in zwei sich teilweise überschneidenden (KG juris Rechtsprechung KORE 42257/2000 S. 6; Herzog N K Rdn. 25) Tatbeständen die Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses und die Beschimpfung von Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften und ihrer Einrichtungen oder Gebräuche. 1 Die Herausnahme des Tatbestandes der VerÜbung beschimpfenden Unfugs aus der Vorschrift und dessen Zusammenfassung mit dem Tatbestand der Gottesdienststörung in § 167 (siehe Entstehungsgeschichte) ist systematisch völlig sachgerecht. Mit der Reform hat sich die Zielrichtung der §§ 166, 167 gewandelt. Während bis 1969 nicht zweifelhaft war, daß § 166 a.F. den Schutz der überwältigenden Mehrheit gegen nicht tolerable Provokationen einer Minderheit bezweckte, schließt die Neufassung auch Minoritäten in den Schutz ein {Arzt!Weber BT § 44 Rdn. 51). Das gleichwertige Einbeziehen weltanschaulicher Bekenntnisse in den Strafschutz kann als herausragendes Ergebnis des Bemühens um Verifizierung religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates in der pluralistischen Gesellschaft (Rdn. 18 mit Fn. 421, Vor § 166 Rdn. 1 mit Fn. 1) gelten.2 Durch die Erweiterung ist der Strafschutz erheblich ausgedehnt worden (dazu schon Simon S. 25). Faktische Veränderungen ergeben sich aus dem Anwachsen von Religionsgesellschaften anderer Kulturkreise. Dadurch müssen die §§ 166, 167 zunehmend unterschiedliche Empfindlichkeiten auffangen {Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 53).

2

2. Nicht eindeutig klar ist die Deliktsform der Vorschrift seit ihrer Veränderungen durch das 1. StrRG. a) Die Zweifel ergeben sich daraus, daß § 166 ein Eignungsdelikt geworden ist. Während in § 166 a.F. die Gotteslästerung als reines Erfolgsdelikt und die Religionsbeschimpfung als abstraktes Gefahrdungsdelikt ausgestaltet waren (Maurach BT § 47 II Β 1), entzieht § 166 sich nun einer derart klaren Zuordnung. Als Eignungsdelikt gehört die Vorschrift zu einer besonderen Art der Gefahrdungsdelikte, die eine allseits überzeugende systematische Einordnung bislang noch nicht erfahren hat (vgl. Η oyer S. 18).

3

b) Im Schrifttum werden die Eignungsdelikte als abstrakte, konkrete, abstraktkonkrete oder potentielle Gefährdungsdelikte bezeichnet, dazu völlig uneinheitlich und häufig noch gefolgt von einer unzureichenden Abgrenzung der Merkmale Gefährdung und Störung des öffentlichen Friedens (Th. Fischer NStZ 1988 159, 161). Das ist freilich insofern verständlich, als die Eignungsdelikte begrifflich weder konkrete Gefahrdungsdelikte, bei denen der tatbestandliche Erfolg in der bloßen Gefährdung eines bestimmten Angriffsobjekts liegt (beispielhaft § 315c), noch abstrakte Gefahrdungsdelikte, für die das Gesetz nur die Bedingungen einer generellen Gefährlichkeit

1

2

Anfangs wurden vereinzelt in der Vorschrift drei verschiedene Tatbestände gesehen (ζ. B. Sehl Schröder! Lenckner's Rdn. 1). So auch Sehl Schröder!Lenckner Vorbem §§ 166 ff Rdn. 1. Einschränkend Otto, der die Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis als „recht dubios" ansieht, weil das religiöse Bekenntnis andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen aus-

gesetzt sei als ein weltanschauliches, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs (vgl. Rdn. 19, 20) sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt (BT § 64 Rdn. 4). Allgemein zur Bedeutung der Gleichstellung von Religion und Weltanschauung insb. Maihofer S. 187.

Stand: 1. 7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§166

beschreibt, ohne die Gefahrdung eines bestimmten Objekts im Einzelfall vorauszusetzen (so § 316), sind. 3 Ihre Besonderheit besteht darin, daß der Gesetzgeber, weil es ihm nicht möglich war, die Voraussetzungen der Gefahr selbst abschließend zu bestimmen, die Entscheidung zwar dem Richter überlassen, ihm zugleich aber aufgetragen hat, dabei nicht nach der konkreten Situation, sondern unter Anwendung genereller Maßstäbe zu urteilen (Schröder JZ 1967 25; ähnlich ZStW 81 [1979] 22). Damit liegen die Eignungsdelikte systematisch zwischen den konkreten und den abstrakten Gefahrdungsdelikten. c) Die Eignungsdelikte begründen keine echte Mischform der Gefährdungsdelikte,4 obwohl mit der Eignung zur Schädigung auch konkrete Umstände in die Bewertung einzubeziehen sind. Mit der Feststellung der allgemeinen Gefährlichkeit obliegt dem Richter dieselbe Wertung wie diejenige, die den gewöhnlichen abstrakten Gefahrdungsdelikten zugrundeliegt (Berz S. 60). Eine Gemeinsamkeit mit den konkreten Gefahrdungsdelikten besteht nur insofern, als die generellen Gefahrenmomente festzustellen sind, weil es auch hier nicht auf den Gefahrerfolg, sondern allein auf die (abstrakte) Gefährlichkeit der Tathandlung ankommt (Gallas Festschrift Heinitz S. 171; Lackneri Kühl Vor § 13 Rdn. 32). Dies allein reicht nicht aus, den Eignungsdelikten eine dogmatische Sonderstellung einzuräumen. Im Ergebnis sind sie den abstrakten Gefahrdungsdelikten zuzurechnen als eine „nur der Form nach unterschiedene Spezialart", 5 allgemein als potentielle Gefahrdungsdelikte bezeichnet. 6 d) Die generelle Gefährlichkeit des Verhaltens, das § 166 unter Strafe stellt, ist danach nicht lediglich gesetzgeberisches Motiv geblieben, vielmehr gehört sie mit der Eignung zur Schädigung zum gesetzlichen Tatbestand (Berz S. 59; vgl. aber Arzt! Weber BT § 35 Rdn. 61). Das bedeutet, daß zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich ist, die Geeignetheit der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, aber konkret im Einzelfall ermittelt werden muß (BGHSt. 46 212, 218; BGH NJW 1999 2129; Berz S. 59; Zaczyk JuS 1990 890) und so zur Tatbestandserfüllung gehört. Ist die Eignung zu verneinen, entfallt § 166 (Zipf NJW 1969 1944; vgl. auch Schnieders S. 86 f). Streitig bleibt, ob die erforderliche konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens eingetreten sein muß oder etwa die bloße Feststellung der konkreten Eignung der Handlung, diese Gefahrdung herbeizuführen, genügt (dazu Rdn. 53, 54). Beide Definitionen nach LackneriKühl § 11 Rdn. 32. Vgl. auch ArztlWeber BT § 35 Rdn. 89; Berz S. 55f, 57f; Horn Gefahrdungsdelikte S. 11 f, 20 f; Hoyer S. 20. Die erstmals von H. Schröder als „abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte" bezeichnet worden ist (JZ 1967 522); vgl. Berz S. 58; Horn Gefahrdungsdelikte S. 28. Der Terminus konnte sich nicht durchsetzen, weil die konkrete Gefährdung keine Voraussetzung der Eignungsdelikte ist (ArztlWeber BT § 35 Rdn. 84; vgl. auch den Hinweis bei Sehl Schröder! Heine Vorbem §§ 306 ff Rdn. 3 auf die Kommentierung noch in der 18. Aufl.). Gallas Festschrift Heinitz S. 175; grundsätzlich auch Müller-Dietz Festgabe Arth. Kaufmann S. 100; and. H. Schröder, der in den Eignungsdelikten eine besondere Kategorie von Gefährdungsdelikten erblickt (JZ 1967 525; ZStW 81 [1979] 22 f). (39)

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Z.B. BGHSt. 46 212, 218; BGH N J W 1994 2161; 1999 2119; ArztlWeber BT § 35 Rdn. 84; Berz S. 60; Th. Fischer G A 1989 447; Franke GA 1984 463; Giehring StV 1985 35; Horn SK Vor § 306 Rdn. 18 (besondere abstrakte Gefährdungsdelikte); Lackneri Kühl Vor § 13 Rdn. 32, § 126 Rdn. 7; Sehl Schröder! Heine Vorbem §§ 306 ff Rdn. 3; TröndlelFischer Vor § 13 Rdn. 13a. Zum Ganzen Berz S. 55 ff; Eser S. 1032; Th. Fischer NStZ 1988 161; GA 1989 445 ff; Gallas Festschrift Heinitz S. 171 ff; Horn Gefährdungsdelikte S. 20ff; Hoyer S. llOff mit dem Versuch einer umfassenden Systematisierung der Eignungsdelikte, insb. S. 134ff; Mäurach/Schroederl Maiwald 2 § 61 Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 2; SehlSchröder!Lenckner § 126 Rdn. 9; H Schröder JZ 1967 522 ff; ZStW 81 (1979) 7 ff; Streng Festschrift Lackner S. 516.

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3. Als Rechtsgut liegt § 166 der öffentliche Friede zugrunde, der weder durch rechtspolitische, noch durch rechtstheoretische Erwägungen zwingend in Frage gestellt wird. a) Bei der Neufassung der Vorschrift durch das 1. StrRG ist der öffentliche Friede als ihr ausschließliches Rechtsgut in der umfassenden Bedeutung dieses Merkmals festgeschrieben worden. aa) Allerdings hat sich die Auffassung, daß das geschützte Rechtsgut der öffentliche Friede ist, erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchgesetzt. Der E 1962 hatte ungeachtet der zum Teil äußerst strittigen Meinungen über das in § 166 a. F. geschützte Rechtsgut 7 grundsätzlich an der früheren Regelung festhalten wollen (§§ 187 bis 189, Begr. S. 344 f). Nachdem der Sonderausschuß sich darüber einig geworden war, daß jedenfalls nicht das religiöse Empfinden zu schützen sei (Prot. V/121 S. 2426, 2429, 2431), und auch das friedliche Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Bekenntnisse als Schutzgut keine breitere Zustimmung fand (Prot. V/121 S. 2434A), wurden zunächst der religiöse oder weltanschauliche Friede, dann, auf Vorstellungen der Länder (Prot. V/134 S. 2806f, 2818), der öffentliche Friede als das zu schützende Rechtsgut vorgeschlagen (vgl. dazu auch Rdn. 23).8 Den religiösen oder weltanschaulichen Frieden als Schutzgut anzusehen, fand vor allem deshalb keine Zustimmung, weil dieser schon durch harte Kritik, die nicht strafbar sein dürfe, 9 gestört würde. 10 So entschied der Sonderausschuß sich für den öffentlichen Frieden als das zu schützende Rechtsgut (Prot. V/134 S. 2808), wobei das Ergebnis seiner Beratungen, der öffentliche Friede werde in der Ausprägung geschützt, die er durch den Toleranzgedanken (näher Vor § 166 Rdn. 19) erfahren habe (Güde Prot. V/121 S. 2429; BTDrucks. V/4094 S. 29)," als authentische Auslegung gelten kann. 12

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bb) Der öffentliche Friede ist ausschließlich Schutzgut des § 166. Zwar hat die Anknüpfung des Sonderausschusses an den Toleranzgedanken vereinzelt zu der Deutung geführt, die Vorschrift solle Fairneß und Anstand in der religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzung schützen. 13 Dies mag in den Beratungen durchaus auch angeklungen sein; doch ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte insgesamt, daß der öffentliche Friede als rein weltliches Rechtsgut gemeint ist. Der Begriff war,

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Vgl. Jagusch L K 8 Anm. IIa, I l l a , IVa sowie die Zusammenstellung bei Manck S. 6Iff; dazu auch Vor §166 Rdn. 9,15. Der Entwicklung daher nicht ganz entsprechend die Darstellung bei Eser, der Sonderausschuß habe mit seinem Vorschlag, die Friedensschutzfunktion bereits durch eine Abschnittsüberschrift „Vergehen gegen den religiösen und weltanschaulichen Frieden" zum Ausdruck zu bringen, nicht durchdringen können (S. 1027). Dem trägt der auf die Grundrechte der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gestützte restriktive Maßstab bei der Auslegung des Begriffs Beschimpfen (näher Rdn. 27) Rechnung. Prot. V/134 S. 2807, 2818; vgl. auch Listi StimZt. 179(1967) 258. Ähnlich Otto, der öffentliche Friede sei Rechtsgut durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten (BT § 64 Rdn. 1); ebenso Joecks Rdn. 1; vgl. auch Schmidhäuser BT

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13/22; ablehnend TröndlelFischer, die Bestimmung des Rechtsguts als „Achtung des Toleranzgebots" verkenne, daß nicht das abstrakte Schutzgebot, sondern das individuelle religiöse Empfinden vor seiner Mißachtung geschützt werden solle, ein Unterschied zum „Gefühlsschutz" daher nicht bestehe (Rdn. 2). Vgl. dazu auch den Gesetzentwurf der C D U / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag BTDrucks. 14/4558, der für eine Umgestaltung der Vorschrift in ein Delikt zum Schutz der Achtung des religiösen und weltanschaulichen Toleranzgebots (unter Streichung des Erfordernisses der Eignung der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören) eintritt (dazu LacknerlKühl Rdn. 1, 6). So z.B. DreherlTröndle47 Rdn. 1; ähnlich Otto BT § 64 Rdn. 1; ferner Joecks Rdn. 1 (Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen).

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und zwar in ausdrücklicher Anlehnung an § 130, vor allem deshalb als Schutzgut vorgeschlagen worden, weil er enger ist als der Begriff des religiösen Friedens {Sturm Prot. V/134 S. 2808; vgl. schon Rdn. 6). Dieser kann, beispielsweise durch innerkirchliche Auseinandersetzungen, gestört werden, ohne daß darin eine Störung des öffentlichen Friedens liegt. Mithin wohnen Fairneß und Anstand in der religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzung wohl den in § 166 umschriebenen Tathandlungen inne, sind aber nicht Teil des geschützten Rechtsguts. 14 Ebenso liegt es bei der Menschenwürde des Einzelnen. Ungeachtet ihres Rangs als oberster Wert der grundrechtlichen Wertordnung (vgl. auch Rdn. 35) ist sie nicht neben dem öffentlichen Frieden Schutzgut des § 166. Verfahrensrechtlich folgt daraus, daß, anders als die Teilnehmer der durch die §§ 167, 167 a geschützten Veranstaltungen und die von einer Tathandlung nach § 168 betroffenen Angehörigen, 15 die einzelnen Mitglieder der Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft nicht unmittelbar Verletzte der Tathandlung des § 166 im Sinne des § 171 Satz 2 StPO sein können, mithin wohl der Vereinigung selbst,16 nicht aber einzelnen Mitgliedern einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft die Antragsbefugnis nach § 172 StPO (Klageerzwingungsverfahren) zusteht. 17 cc) Auch in § 166 hat das Merkmal öffentlicher Friede die umfassende Bedeutung, 8 die ihm in den §§ 126, 130, 140 Abs. 2 innewohnt. Daher gehört zum inneren Frieden nicht nur der Teil, den Beschimpfungen von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften dadurch treffen, daß sie Feindschaft und Gewalt hervorrufen, sondern auch jenes Maß an Toleranz, das in einer freiheitlich, pluralistischen Gesellschaft es dem Einzelnen ermöglicht, seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu leben, ohne befürchten zu müssen, deshalb diffamiert und ins Abseits gestellt zu werden. 18 b) Die rechtstheoretische Kritik am Rechtsgut öffentlicher Friede hat grundsätz- 9 liehen Charakter, soweit der Normzweck und die Struktur des Tatbestandes in Frage gestellt werden, erstrebt zum Teil aber auch nur eine Veränderung oder Umdeutung des Rechtsguts.

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So im Ergebnis auch Blei § 53 II; vgl. ferner LG Köln M D R 1982 771; Burghard S. 21 f; Preisendem: Anm. I; Sehl Schröder! Lenckner Vorbem §§ 166ÍT Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2; Würtenberger N J W 1982 615; Zipf NJW 1969 1944; zuvor schon Listi StimZt. 179 (1967) 258. OLG Frankfurt N J W 1975 217; O L G Hamburg M D R 1962 594; LöwelRosenberg!GraalmannScheerer § 172 Rdn. 74. OLG Hamburg M D R 1962 594; Kleinknecht/ Meyer-Goßner § 172 Rdn. 10; Löwel Rosenberg! Graalmann-Scheerer § 172 Rdn. 74; Plöd K M R § 172 Rdn. 34; Schmid KK § 172 Rdn. 23; Eb. Schmidt Lehrkommentar II Nachtragsband I § 171 Rdn. 9; and. DalckelFuhrmann!Schäfer StPO § 172 Rdn. 3. KG juris Rechtsprechung KORE 42478/2001 S. 1; OLG München NJW 1985 2430; KirchE 33 54, 55; O L G Nürnberg NStZ-RR 1999 338, 339 mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; O L G Stuttgart Justiz 1992186; KleinknechtlMeyer-Goßner §172

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Rdn. 34; Löwel Rosenberg! Graalmann-Scheerer § 172 Rdn. 74; Schmid K K § 172 Rdn. 23; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 24; and. OLG Karlsruhe N J W 1986 1272. BVerwG N J W 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1176; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240; Sehl Schröder/Lenckner Vorbem §§ 166 ff Rdn. 2; dazu auch schon Vor § 166 Rdn. 19, ferner, zum Wesen des öffentlichen Friedens, Rdn. 51. And. Beisel, der nicht genügen lassen will, daß die Angehörigen eines bestimmten Bekenntnisses in ihrem Gefühl, ihre religiöse oder weltanschauliche Überzeugung werde nicht respektiert, beeinträchtigt werden (S. 356), sondern den Schutz auf die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben der einzelnen Gläubigen beschränkt (S. 306), wonach § 166, weil die Handlungen von § 130 Abs. 1 Nr. 1 erfaßt würden (dazu Rdn. 12), in der Tat überflüssig wäre (vgl. auch Vor § 166 Rdn. 23).

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aa) Die Kritik am Normzweck greift in die Lehre vom Rechtsgut ein. Diese geht davon aus, daß Sinn und Zweck des Strafrechts darin bestehen, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen (BVerfGE 45 187, 253 f; im Einzelnen dazu Hassemer N K Vor § 1 Rdn. 243 fi). Der von ihr entwickelte Rechtsgutsbegriff soll, negativ und gesetzeskritisch, sicherstellen, daß der Gesetzgeber nur dasjenige Verhalten unter Strafe stellt, durch das ein Rechtsgut bedroht wird (Hassemer NStZ 1989 557). Er hat eine Funktion als methodisches Instrument für die teleologische Auslegung und Anwendung des positiven Rechts.19 Dieser systemimmanenten Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs läuft seine Entmaterialisierung in der modernen Strafgesetzgebung zuwider, die durch Konstituierung begrifflich unscharfer Universalrechtsgüter sich vom klassischen strafrechtlichen Verständnis, die Strafbarkeit menschlichen Verhaltens grundsätzlich auf den Schutz präzis und konkret formulierter Rechtsgüter des Individuums zu beschränken, entfernt mit der Folge, daß das Strafrecht sich zunehmend in den Bereich der Vorfelddelinquenz ausdehnt. 20 Ein Teil der Lehre befürwortet daher einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff, der als überpositive und vorstrafrechtliche Vorgabe eine strafbarkeitslimitierende Funktion wahrnehmen könnte. 21 Vor diesem Hintergrund gelangt Worms zu der Auffassung, daß der öffentliche Friede nicht den Anforderungen der Rechtsgutslehre entspricht (S. 78ff, 105ff). Er schlägt als neues Schutzgut der Beschimpfung von Bekenntnissen ein persönliches Anerkennungsverhältnis als personale Entfaltungsmöglichkeit vor (S. 132 ff). Jakobs zählt § 166, wie auch § 173 (vgl. dort Rdn. 14 Fn. 50), zu den Normen, die ohne Vermittlung über den Schutz von Gütern direkt den sozialen Frieden schützen sollen (1. Buch 1. Kapitel 2. Abschn Rdn. 19). Im Anschluß an Amelung (S. 344ff, 371 ff) und Hassemer (Theorie S. 16 ff, 160 ff; Festgabe Arth. Kaufmann S. 87, 92) hält er die im Strafgesetzbuch auffindbaren Vorfeldkriminalisierungen zu nennenswerten Teilen in einem freiheitlichen Staat nicht für legitimierbar, stellt aber die Frage, ob nicht die Illegitimität der Kriminalisierung von Vorfeldverhalten durch den Schutz vorgelagerter Rechtsgüter neutralisiert werden könne (ZStW 97 [1985] 751, 773ff). 10

bb) Die Struktur des § 166 für grundsätzlich verfehlt erachtet Th. Fischer, der dem öffentlichen Frieden die Eignung abspricht, selbständiges Rechtsgut sein zu können 19

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Hassemer Theorie S. 19; M. Krüger S. 17; Stratenwerth Festschrift Lenckner S. 378; vgl. auch Worms S. 78 ff. Völlig zu Recht hat daher die Problematik der Vorfeldkriminalisierung (vgl. auch den anschließend vorgestellten Reformgedanken von Jakobs) im Schrifttum breite Beachtung gefunden, vgl. z. B. Beck S. 20 („Vorverlagerung der Strafbarkeit"); Berz S. 62 („Verfolgung bereits im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung"); Brockelmann DRiZ 1976 214 („wesentliche Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes"); Franke G A 1984 462 („Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes"); Giehring StV 1985 462 („Vorfeldschutz durch Kontrolle der Kommunikation"); Laufhütte M D R 1976 441 („Vorfeld der eigentlichen Rechtsverletzung"); MüllerDietz Festgabe Arth. Kaufmann S. 99 („Besetzung des Vorfelds .eigentlicher' oder besser: konkreter Rechtsgutsverletzungen"); Roxin AT I § 2 Rdn. 26 („Vorfeldkriminalisierungen"); Rudolph,i Z R P 1979 214 („Vorverlagerung des

Strafrechtsschutzes"); Schroeder Straftaten S. 21, 28 („Vorverlagerung der Strafbarkeit in ein vor der Verletzung liegendes Stadium"); Stree NJW 1976 1177 („Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten"); Streng S. 10 („Vorverlagerung des Schutzes von [anderen] Rechtsgütern"). Rechtsvergleichend Jescheck Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefahrdungs- und Unternehmensdelikte, Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (1987) mit Referaten für das deutsche (U. Weber S. 1 ff), das österreichische (Platzgummer S. 37 fï), das italienische (Grasso S. 57fî), das ungarische (Györgyi S. 97fl) und das polnische (Spotowski S. 125ff) Strafrecht. 21

So insb. Hassemer NStZ 1989 557; Z R P 1992 381; N K Vor § 1 Rdn. 265 ff; ferner z. B. Roxin AT I § 2 Rdn. 7; deutlich reduktionistisch auch die Auffassung des 12. Strafverteidigertages 1988, Ergebnisse StV 1988 275ff; kritisch setzt sich M. Krüger mit dem neuen Rechtsgutsbegriff auseinander (S. 62 ff).

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(vgl. schon Vor § 166 Rdn. 22), gibt unter Hinweis auf die Diskussion um das Schutzobjekt strafrechtlicher Tierschutz (Arzt/Weber BT § 1 Rdn. 9; Hassemer Theorie S. 154; Roxin AT § 2 Rdn. 21) aber zu erwägen, ob die Legitimation der Strafdrohung des § 166 entgegen der herrschenden Auffassung auf den Schutz von Gefühlen gestützt werden könne (NStZ 1988 165). Ebenso stellen JeschecktWeigend die Struktur des § 166 prinzipiell in Frage, indem sie sein Schutzgut allein in den in der Gesellschaft verwurzelten Wertüberzeugungen sehen, die sich zwar allenfalls auch als Rechtsgüter definieren ließen, wobei Strafgrund aber nicht ein durch die Tat bewirkter sozialer Schaden sei, sondern die Wahrung bestimmter Überzeugungen der Sozialmoral, die als solche durch die Strafaktion geschützt werden sollen (§ 26 I 3 a). Κ. A. Fischer kommt über eine Strukturanalyse der Norm zu dem Ergebnis, daß neben dem öffentlichen Frieden das Ansehen von Bekenntnissen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als gleichrangiges Schutzgut des § 166 zu betrachten sei (S. 137). Stratenwerth schließlich hält die Friedensstörung für ein bloß sekundäres Phänomen, da im Vordergrund die Frage stehe, warum die mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen geeignet seien, den Frieden zu stören, worauf die Antwort nur lauten könne: weil sie massiv gegen die Normen verstießen, die in unserer pluralistischen Gesellschaft für den Umgang mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis anderer als verbindlich angesehen würden; indessen sei es nicht möglich, den dabei maßgeblichen Bezirk höchstpersönlicher Überzeugungen inhaltlich zu umschreiben, ihn zu materialisieren, so daß das Bestreben begründet sei, bei der Suche nach dem Rechtsgut auf den öffentlichen Frieden als die zwar eben sekundäre, aber substantiellere Erscheinung auszuweichen (Festschrift Lenckner S. 386). c) Einen überzeugenden Grund, das Rechtsgut des öffentlichen Friedens zu ersetzen oder seine ausschließliche und umfassende Bedeutung auch nur zu relativieren, gibt es danach nicht. Zwar kommt dem subjektiven Willen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten selbst dann keine bindende Bedeutung zu, wenn dieser Wille, wie hier der des Sonderausschusses, so zweifelsfrei klar zum Ausdruck gekommen ist. Sonst wäre eine inhaltliche Fortentwicklung der Gesetzesbegriffe durch Wissenschaft und Praxis, beispielsweise auf der Grundlage neuer, erst nach dem Erlaß des Gesetzes entstandener Fragen, nicht möglich. Doch auch nach den Auslegungen, die zwischen der subjektiv-historischen und der objektiv-teleologischen Methode zur richtigen Umschreibung führen (vgl. dazu Sehl Schröder! Eser § 1 Rdn. 44; ferner Worms S. 88), bleibt es hier bei jenem Ergebnis. Gegenüber den Erwägungen des Sonderausschusses gibt es keine neuen rechtspolitischen Gesichtspunkte, die es rechtfertigen könnten, von seinem Ergebnis abzuweichen. Dies gilt gleichermaßen für die rechtstheoretische Kritik, die sich gegen die Struktur des Tatbestandes richtet oder dem Rechtsgut eine andere Bedeutung geben will. Einzig die Erwägungen, die den Normzweck in Frage stellen, gründen sich auf einen neuen rechtpolitischen Gesichtspunkt, die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff durch die zunehmende Konstituierung besonders vage und großflächig formulierter Universalrechtsgüter in der modernen Strafgesetzgebung. Sie betrifft jedoch vornehmlich die Gebiete Wirtschaft, Umwelt, Steuer, Datenverarbeitung, Drogen, Terrorismus, überhaupt die organisierte Kriminalität (.Hassemer NStZ 1989 557; Z R P 1992 381; Roxin AT § 2 Rdn. 29). Es gibt aber seit jeher neben Rechtsgütern des Einzelnen auch kollektive Interessen schützende Rechtsgüter in klassischen Tatbeständen, so der öffentliche Friede, ebenso wie im Nebenstrafrecht und selbst im Wirtschaftsstrafrecht (näher dazu M. Krüger S. 66 ff). Im übrigen ist es den Befürwortern eines systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs bislang nicht gelungen, eine selbst nur im Grundsatz akzeptierte Definition des neuen (43)

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Ansatzes zu bilden (M. Krüger S. 18; ferner Th. Fischer NStZ 1988 163 mit Fn. 51). So wird mit Recht nach wie vor weit überwiegend angenommen, daß allein der öffentliche Friede Rechtsgut des § 166 ist.22 12

4. Verwandte Bezüge weist die Vorschrift insbesondere zu den Tatbeständen der Volksverhetzung und der Beleidigung auf. a) Mit Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2) gibt es Überschneidungen (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 23). Sie beruhen auf der weitgehenden Kongruenz der beiderseitigen Schutzgüter. Durch § 130 wird neben dem Rechtsgut des öffentlichen Friedens mittelbar auch die Menschenwürde der Betroffenen geschützt. 23 Für § 166 ist anzunehmen, daß sein Schutz mit dem individuellen religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis einer Person, das von ihr als unmittelbar konstituierend für den eigenen Wert erlebt wird, den Kernbereich ihrer personalen Würde und Freiheit erfaßt (Tröndle/Fischer Rdn. 2). Hieraus folgt, daß der Schutz des § 166 teils enger, teils weiter als der des § 130 ist. Als enger erweist er sich, wenn Beschimpfungen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse (§ 166 Abs. 1) oder religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche (§ 166 Abs. 2) zugleich Beschimpfungen der dazugehörenden Bevölkerungsteile sind, und sie sich außerdem als Angriffe auf die Menschenwürde der Betroffenen darstellen (Manck S. 141; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1). Weiter ist er jedoch, wenn die Beschimpfungen sich nicht zugleich gegen die durch das gemeinsame Bekenntnis oder die betreffenden Institutionen verbundenen Personen richten oder nicht die besondere Qualität eines Angriffs auf die Menschenwürde haben (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 1; vgl. auch Th. Fischer GA 1989 463 f). In diesem Sinne sind, etwa im Zusammenhang mit den Auswirkungen von religiösem und weltanschaulichem Fanatismus, der den Anspruch einer Person, den Inhalt ihres individuellen religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses als unmittelbar konstituierend für den eigenen Wert zu erleben, bestreitet, zahlreiche evident gefährliche Verhaltensweisen denkbar, die vielfach nur im Vorfeld des § 130 liegen, von § 166 aber erfaßt werden {Tröndle!Fischer Rdn. 2). Näher zu den Konkurrenzen Rdn. 92.

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b) Rechtsgut der Beleidigung (§§ 185-188) ist die persönliche Ehre {Lackner !Kühl Vor § 185 Rdn. 1). Daher ist das individuelle Bekenntnis durch die Vorschriften über die Beleidigung mittelbar geschützt. Aber auch mehrere Personen können unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt werden. 24 Inwieweit danach Gemeinschaften als solche beleidigungsfahig sind, ist jedoch umstritten (vgl. die Nachweise bei Eser S. 1021 Fn. 8). Für eine Personenmehrheit, die eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche 22

23

Z.B. OLG Celle N J W 1986 1275, 1276; O L G Karlsruhe NStZ 1986 363, 364; OLG Köln N J W 1982 657; O L G München FuR 1984 595; Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 51; Eser S. 1027; Herzog N K § 166 Rdn. 1; Kindhäuser BT I § 10.1; Knies S. 268; Lackneri Kühl § 166 Rdn. 1; Mäurach! Schroeder/Maiwald 2 § 61 Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 1; Preisendanz Anm. 1; Rudolphi SK Rdn. 1; Scheffler S. 368; Schmidhäuser BT Kapitel 12 Rdn. 11, Kapitel 13 Rdn. 22; SchlSchröder/Lenckner Vorbem §§ 166ÍF Rdn. 2; Tröndle! Fischer Rdn. 2; Zipf NJW 1969 1944; zuvor schon Schilling S. 113fT; vgl. auch Kretschmer S. 273 f. Brockelmann

DRiZ 1976 214; v. Bubnoff

24

§ 130 Rdn. 4; Lackner/Kühl § 130 Rdn. 1; vgl. auch Beisel S. 338 ff. Streng nimmt sogar an, daß § 130 ganz unmittelbar auf den Schutz der Menschenwürde abzielt (Festschrift Lackner S. 506 ff). Nach Frommel konstruiert § 130 ein personal vermitteltes Universalrechtsgut (KJ 1995 408, 410); vgl. auch Hassemer NStZ 1989 557. So ζ. B. Herdegen LK 1 0 Vor § 185 Rdn. 20; Ignor S. 70; Krug S. 15 ff; Küper BT S. 72 f; Lackner ! Kühl Vor § 185 Rdn. 3; H. Otto Jura 1997 146f; SchlSchröderILenckner Vorbem §§ 185ff. Rdn. 5; Tröndle/Fischer Vor § 185 Rdn. 9; Wehinger S. 17.

LK

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Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann, hat die Rechtsprechung dies schließlich angenommen (BGHSt. 6 186, 191),25 nachdem zuvor schon Personenmehrheiten, die mit staatlicher Billigung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind, ein eigener Ehrenschutz zugebilligt worden war (RGSt. 70 141; 74 269).26 Geht man von der Auffassung des Bundesgerichtshofs aus, dann dürfte für Religionsgesellschaften die Beleidigungsfahigkeit bejaht werden können, da sie in aller Regel die genannten Voraussetzungen erfüllen.27 Wird die Vereinigung als solche angegriffen, trifft die Beschimpfung auch den sachlichen Inhalt des Bekenntnisses (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 23). Allerdings wird etwa eine Äußerung, Protestanten oder Katholiken seien Lügner und Betrüger, nicht einmal als beleidigend anzusehen sein (TröndlelFischer Vor § 185 Rdn. 11); sie entlarvt vielmehr den Äußernden als Schwätzer (H. Otto NStZ 1996 128; Jura 1997 147). Ungeachtet der Erweiterung des Strafschutzes, der in der Anwendbarkeit der §§ 185 ff liegt, darf aber auch die Verteidigung gegen den Vorwurf ehrenrührigen Verhaltens nicht zum Aufbau einer die Kirchen über die §§ 166, 167 hinaus umgebenden Respektzone führen (vgl. Arzt/ Weber BT § 44 Rdn. 53 im Anschluß an OLG Stuttgart JZ 1969 7 zur „Ollenhauer-Trauerfeier"). Weitaus größere Zweifel an der Beleidigungsfahigkeit bestehen bei Weltanschauungsvereinigungen (Dreher Prot. V/121 S. 2427). Dort tritt die Voraussetzung, daß die Personenmehrheit eine rechtlich anerkannte Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann, noch weniger hervor. Die Gleichstellung, die das Gesetz vollzogen hat, dürfte für die Anwendung der §§ 185 ff in Fällen der Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse oder religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche ohne Bedeutung sein, weil in § 166 der Ehrenschutz auch nicht nebenbei mitspricht. Näher zum Verhältnis zwischen § 166 und § 185 Burghard S. 30ff, 53 ff; Manch S. 137ff; vgl. auch LG Köln MDR 1982 771. Zu den Konkurrenzen Rdn. 92. II. Der äußere Tatbestand des Absatzes 1 verlangt, daß der Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses in bestimmter Weise beschimpft wird. 1. Angriffsgegenstand ist der Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer. a) Bekenntnis bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch das Bezeugen der eigenen Anschauung, den Akt des individuellen oder kollektiven Bekennens. Rechtlich wird der Begriff definiert als das über die bloße Überzeugung hinaus sich auch

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Vom Schrifttum weitgehend gebilligt, ζ. B. LackneriKühl Vor § 185 Rdn. 5; Maurach/Schroeder/ Maiwald 1 § 24 Rdn. 17 ff; Sehl Schröder/Lenckner Vorbem §§ 185 ff Rdn. 3; TröndlelFischer Vor § 185 Rdn. 12; Wessels!Hettinger Rdn. 468. Zur mehrfachen Wende der Rechtsprechung sowohl des Reichsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs und ihrer Reflektion im Schrifttum Ignor S. 71 ff. Burghard S. 53ff, 55f; Eser S. 1021; Arth. Kaufmann ZStW 72 (1960) 442 f; Manck S. 138. Kein ausreichend klar bestimmter Personenkreis sind „die Christen" (LG Köln M D R 1982 771) und „der aus gläubigen Christen bestehende Teil der Hörerschaft" (OLG Köln KirchE 101 102, 104), weil bei der Vielzahl christlicher Glaubens-

bekenntnisse eine Abgrenzung durch äußere Kriterien nicht möglich ist. Diese Rechtsprechung erlaubt indessen den Gegenschluß, daß die Angehörigen einer bestimmten Religionsgesellschaft ein ausreichend klar umgrenzter Personenkreis sind (dazu Wehinger S. 35, 44, 48). Krug nimmt im Anschluß an BGHSt. 11 207 an, daß die Juden aufgrund ihres gemeinsamen, vom NS-Staat auferlegten Schicksals in der Allgemeinheit als eng umgrenzte Gruppe erscheinen, während beispielsweise die Katholiken kein vergleichbares Ereignis zu einer aus der Allgemeinheit hervortretenden Einheit verbunden hat (S. 30f; vgl. dazu auch Tröndlel Fischer Vor §185 Rdn. 10).

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§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

nach außen manifestierende Durchdrungensein von übergeordneten Vorstellungen, denen sich der Bekennende verpflichtet fühlt (TröndlelFischer Rdn. 4 im Anschluß an BVerfGE 12 45, 55). Der Glaubenssatz einer Religionsgemeinschaft, jedem sei erlaubt, so zu leben, wie er wolle, dürfte dem nicht genügen (vgl. VG Gelsenkirchen KirchE 22 204, 205). Ausdruck findet das Bekenntnis in der durch Art. 4 Abs. 2 G G gewährleisteten ungestörten Religionsausübung. Sie erstreckt sich über die Inhalte der Kultusfreiheit hinaus auf das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Überzeugung gemäß zu handeln (BVerfGE 32 98, 106; 93 1, 15; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 86). Geschützt sind daher nicht nur die Pflege der spezifischen Glaubensinhalte, wie sie sich beispielsweise in Gebet und Gottesdienst, in Symbolen, dem Kreuz und dem Kreuzzeichen etwa, in Sakramenten und Prozessionen, in liturgischem Glockenläuten, 28 dem Gebetsruf des Muezzins (näher Rdn. 77) und den rituellen Waschungen des Leichnams nach islamischen Vorschriften (VG Berlin NVwZ 1994 617) manifestieren, sondern auch äußerlich neutrale, aber subjektiv religiös motivierte Verhaltensweisen (Jeand'Heur/Korioth Rdn. 79). 15

b) Der Inhalt des Bekenntnisses, nicht das Bekenntnis selbst, wird geschützt. Hierin liegt zugleich eine Einschränkung wie auch eine Erweiterung des Tatbestandes. aa) Eingeschränkt wird der Tatbestand insofern, als das Bezeugen der eigenen Anschauung, der Akt des individuellen oder kollektiven Bekennens, als Objekt der Handlung ausscheidet. Vielmehr macht das Merkmal Inhalt deutlich, daß der Strafschutz nur das Wesen der das betreffende Bekenntnis tragenden Lehren, der jeweiligen Dogmenlehre etwa (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 10), erfaßt. Insoweit ist eine restriktive Auslegung des Merkmals geboten (Lackner/Kiihl Rdn. 2). Das Wesen eines Bekenntnisses liegt in der Gesamtheit der Werte, die von dem Einzelnen oder einer Mehrheit als etwas absolut Gültiges und Verpflichtendes anerkannt werden. 29 Dabei kann es sich um formulierte Lehren und Regeln einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung ebenso wie um individuelle Glaubensvorstellungen Einzelner (dazu Rdn. 22) handeln. Auf eine Form kommt es nicht an. Der so manifestierte Inhalt des Bekenntnisses kann als Ganzes Objekt des Beschimpfens sein.30 Bei einem solchen, das Bekenntnis als Ganzes treffenden Angriff ist nicht erforderlich, daß der Inhalt näher konkretisiert wird. 31

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Liturgisches (sakrales, kultisches) Glockenläuten ist eine jahrhundertalte kirchliche Lebensäußerung, die, wenn sie, wie das morgendliche Angelus-Läuten oder das abendliche Gebets-Läuten, nach Zeit, Dauer und Intensität sich im Rahmen des Herkömmlichen hält, auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen ist (BVerwGE 68 62, 67 f; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 105). Keinen liturgischen Charakter haben beispielsweise das Zeitschlagen von Kirchenglocken (BVerwG N J W 1994 956) und das Läuten zu Angelegenheiten, die keinen spezifischen kirchlichen Bezug haben, etwa für Konzerte (VG Stade NVwZ 1989 497, 499). Die Eigenschaft, liturgischen Zwecken zu dienen, erlangen Glocken durch Widmung (vgl. Rdn. 67). Sie währt solange, wie das Glockenläuten mit der

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Nutzung des betreffenden Gebäudes zu liturgischen Zwecken in Zusammenhang steht (BayVGH KirchE 31 67, 68). Die Rechtsnatur des liturgischen Glockenläutens ist umstritten (vgl. dazu ζ. B. BVerwG N J W 1994 956; OLG Frankfurt NJW-RR 1986 735, 736f; Jeand'Heur! Korioth Rdn. 246 ff; Martens S. 348 ff). Eser S. 1028 f; Hamel Glaubensfreiheit S. 56; Herzog N K Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2; Sehl Schröder!Lenekner Rdn. 4; Vater S. 43; Zipf N J W 1969 1944. Eser S. 1028; Sehl Schröder! Lenekner Rdn. 4; and. Lackner/Kühl Rdn. 2 (nur essentielle Bestandteile des Bekenntnisses); vgl. auch Herzog N K Rdn. 6; Z ; / / N J W 1969 1944. OLG Koblenz N J W 1993 1808 (zur Äußerung „protestantische Scheiße"); Sehl Schröder!Lenekner Rdn. 4; and. Lackner/Kühl Rdn. 2.

Stand: 1.7.2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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bb) Die Erweiterung des Tatbestandes liegt darin, daß Inhalt des Bekenntnisses auch Teile des Glaubensgutes sein können. Daher muß sich der Angriff nicht notwendigerweise gegen das Bekenntnis als Ganzes richten. Die Beschimpfung von Teilen genügt, wenn es sich um wesentliche Aussagen handelt, bei religiösen Bekenntnissen um Glaubenssätze von prägender Bedeutung, bei weltanschaulichen Bekenntnissen um tragende Sachaussagen. 32 Zu den essentiellen Bestandteilen religiöser Bekenntnisse zählt in erster Linie der von Religionsgesellschaften, aber auch von einem Einzelnen geglaubte Gott (Preisendanz Anm. I; Tröndle48 Rdn. 2; vgl. auch BTDrucks. V/4094 S. 28).33 Prägende christliche Glaubenssätze sind ferner die Christusverehrung, 34 der Trinitätsgedanke (Herzog N K Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4) und, für die katholische Kirche, die Mutter Jesu.35 Auch eine regional begrenzte Heiligenverehrung gehört, ungeachtet der in der katholischen Kirche nach Umfang und Ausgestaltung sehr unterschiedlichen Erscheinungen dieser Art, hierzu (Eser S. 1028). Die Auffassung, die Einbeziehung solcher Randerscheinungen laufe den Intentionen des Gesetzgebers zuwider (Zipf NJW 1969 1944), findet in den Materialien keine Stütze. Wenn Einigkeit bestand, daß selbst abwegige und verworrene Bekenntnisse Einzelner zu schützen seien (vgl. Rdn. 22), so kann eine wesentliche religiöse oder weltanschauliche Auffassung mehrerer, auch wenn sie nur lokale Bedeutung hat, nicht ausgenommen sein. Eine gewisse objektive Bedeutung muß aber auch einer individuellen Glaubensvorstellung innewohnen. Sonst führt schon die gebotene restriktive Auslegung des Merkmals zu der Feststellung, daß mit ihrer Beschimpfung nicht der Inhalt des Bekenntnisses getroffen wird (vgl. Eser S. 1028).

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cc) Die Abgrenzung essentieller Bestandteile von unwesentlichen Sachaussagen 1 7 eines Bekenntnisses kann im Einzelfall schwierig sein.36 Auszugehen ist davon, daß bei der Feststellung, ob bestimmte Teile eines Bekenntnisses als wesentlich anzusehen sind, es nicht auf irgendwelche objektive Kriterien (Rudolphi SK Rdn. 4), sondern auf die Vorstellungen und Überzeugungen der jeweiligen Anhänger des beschimpften Bekenntnisses ankommt (Rudolphi SK Rdn. 4; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4).37 Mit Recht befürchtet Eser, daß der Schutz individueller Glaubensvorstellungen ausgehöhlt würde, wenn für die Wesentlichkeit von Teilaussagen eines Bekenntnisses objektive Gesichtspunkte bestimmend wären (S. 1028). Irrelevant sind daher auch die Einschätzungen Außenstehender, die Meinung etwa, es handele sich um „abergläubische

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Eser S. 1028; Herzog N K Rdn. 3; Rudolphi SK Rdn. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; Tröndle! Fischer Rdn. 4. In dieser besonderen Form der Beschimpfung ist die Gotteslästerung, obwohl als eigener Tatbestand gestrichen, noch immer strafbar (Eser S. 1028; Herzog N K Rdn. 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4; Sturm N J W 1969 1607; ferner Schmied Blasphemie S. 22). Ein Beispiel dafür ist der Streit um die Inschrift eines 1933 entfernten, später wieder aufgestellten Denkmals des materialistischen Philosophen Ludwig Feuerbach'. „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde"; vgl. dazu BayVerfGHE 9 147, 148f und die Darstellung bei Listi Religionsfreiheit S. 299 f.

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LG Düsseldorf NStZ 1982 290 (zur Äußerung „Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben"); Herzog N K Rdn. 6; Sch/Schröder!Lenckner Rdn. 4. Vgl. schon RGSt. 26 294, 295 zur Frage, ob in einem Angriff auf das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes eine Beschimpfung der katholischen Kirche liegt. Dem entspricht die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, daß bei der Beurteilung dessen, was als Ausübung der Religion zu betrachten ist, das Selbstverständnis der Religionsgesellschaft berücksichtigt werden muß (BVerfGE 24 236, 248; Isensee Freiheitsrechte S. 12 ff; vgl. auch Hamann!Lenz Art. 4 Anm. Β 5; Hartmann JuS 1976 651; Schwander S. 107).

LG Köln M D R 1982 771; Eser S. 1028; Herzog N K Rdn. 6; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 4; Zipf NJW 1969 1944.

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§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

oder folkloristische Ausprägungen eines Glaubens" {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; and. jedoch Herzog NK Rdn. 6). Von der Überzeugung Einzelner her betrachtet kann selbst spezifischen Äußerungen wie dem Beitritt zu und dem Austritt aus einer religiösen Vereinigung ein so starker Erklärungswert innewohnen, daß sie dem engeren Begriff des Bekenntnisses zu subsumieren sind.38 Hingegen liegt in äußeren Umständen eines Religionswechsels, die nicht auf Vorschriften der Religionsgemeinschaft oder sonst auf religiösen Motiven beruhen, schon keine Religionsausübung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 G G (BVerfGE 17 302, 305; Berg S. 137). Ebenso genießt ein Strafgefangener, der Mitgefangenen für die Lösung von ihrem Glauben Tabak verspricht, nicht den Schutz der Glaubensfreiheit. Diese erstreckt sich zwar auch auf die Werbung für den eigenen Glauben und die Abwerbung von einem fremden Glauben, so daß sie wesentliche Teilaussagen des Bekenntnisses sein können. Doch handelt es sich hier um eine mißbräuchliche, von dem Grundrecht der Religionsfreiheit nicht mehr gedeckte Form der Glaubenswerbung, weil sie die besonderen Verhältnisse des Strafvollzugs ausnutzt. 39 Schließlich fällt auch rituelles Schächten als Religionsausübung von Juden und Moslems unter den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 G G (E. Fischer S. 144f; Muckel Festschrift Isensee S. 250; Müller-Volbehr JuS 1997 224 mit Fn. 10).40 In Zweifelsfallen ist dem Tatrichter anzuraten, einen Sachverständigen hinzuzuziehen (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 3; krit. Schmitz S. 51f).

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Zippelius BK Art. 4 Rdn. 95; vgl. auch BVerfGE 44 37, 49, 53; Eser S. 1028; v. Mangoldtl Klein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 42; and. Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 3. Zur höchstpersönlichen Natur der Erklärung Listi Religionsfreiheit S. 189 f. BVerfGE 12 1, 4; 102 370, 394, 397; Berg S. 137, 160; Kind S. 43f, 158; LeibholzlRincklHesselberger Art. 4 Rdn. 101; Listi S. 54 ff unter ausführlicher Darstellung auch der Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Glaubenswerbung; MaunzlDüriglHerzog Art. 4 Rdn. 84; SchmidtBleiblreulKlein Art. 4 Rdn. 4. Allerdings steht betäubungsloses Schlachten, nachdem sein Verbot durch das Gesetz über das Schlachten von Tieren vom 21.4.1933 als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht seit 1960 nicht mehr angewendet wird, nunmehr in Widerstreit mit dem Betäubungsgebot für Schlachtungen warmblütiger Tiere nach § 4a Abs. 1 TSchG (Vor § 166 Rdn. 10 Fn. 63). Ausnahmen sind zulässig, wenn zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft das Schächten fordern oder den Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten (§ 4 a Abs. 2 Nr. 2 TSchG). Das wird Juden zugestanden, Muslime aber erhielten Genehmigungen bislang nicht, weil weder der Islam insgesamt, noch seine sunnitische Glaubensrichtung die entsprechenden zwingenden Regeln enthielten (z.B. BVerwGE 99 1, 9; O L G Hamm NVwZ 1994 623; OVG Hamburg NVwZ 1994 592; VG Gelsenkirchen KirchE 30 240, 244 ff; VG Koblenz NVwZ 1994 615; and. M. Mayer NVwZ 1997 562; Pache Jura 1995 152; Trute Jura 1996 462; vgl. auch Jeand'Heur/Korioth Rdn. 139; Muckel Fest-

schrift Isensee S. 248 f). Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht jedoch entschieden, daß auch muslimischen Metzgern das Schächten zu erlauben ist (NJW 2000 636 mit Bespr. Caspar N u R 2002 402; Faller KJ 2002 227; Häußler JA 2002 548; Kästner JZ 2002 491; Oebecke NVwZ 2002 302; Rux ZAR 22 [2002] 152; Spranger N J W 2002 2074). Die Entscheidung stützt sich in erster Linie auf eine Verletzung des aus dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) abgeleiteten Grundrechts der Berufs/re¿/¡e¡( (die Freiheit der BerufswaW garantiert Art. 12 G G allein deutschen Staatsangehörigen), während dem Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG), für dessen Anwendung genügt, daß der Schächter und seine Kunden einer der Zahl nach unbestimmten konkreten Gruppe innerhalb des Islam angehören, deren Bekenntnis die Beachtung des Schächtgebots zwingend verlangt, Bedeutung nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung beigemessen wird. Dadurch hat auch der Gesichtspunkt des Tierschutzes, dessen Kollision mit dem vorbehaltlos gewährten (dazu Rdn. 34) Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit ein zentraler Punkt der Diskussion war (vgl. KuhUUnruh DÖV 1991 9ff; ferner DreierlMorlok Art. 4 Rdn. 96; E. Fischer S. 144; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 140; Kästner AöR 123 [1998] 408; JZ 1998 982; Muckel Freiheit S. 19f; Müller-Volbehr Jura 1997 225f; Pache Jura 1995 153f; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 63, 120; Trute Jura 1996 466f), an Relevanz verloren. Die Möglichkeit einer Einschränkung der Religionsausübungsfreiheit könnte jetzt freilich anders zu bewerten sein, nachdem

Stand: 1. 7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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b) Das Bekenntnis, dessen Inhalt Objekt der Beschimpfung ist, muß ein religiöses oder weltanschauliches sein.

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aa) Jeder Versuch, den Begriff Religion und Weltanschauung inhaltlich zu bestimmen, steht unter der Prämisse, daß es dem zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat verwehrt ist, Glaubens- und Überzeugungsinhalte zu bewerten. 41 Er darf nicht darüber befinden, was Religion oder Weltanschauung ist. Hieraus ergibt sich jedoch kein umfassendes staatliches Definitionsverbot. Auch der religiös und weltanschaulich neutrale Staat muß grundsätzlich die betreffenden verfassungsrechtlichen Begriffe interpretieren und das tatsächliche Verhalten einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung, selbst wenn es letztlich religiös motiviert ist, beurteilen können, dies allerdings nach allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten unter Wahrung des religiösen oder weltanschaulichen Selbstverständnisses der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Interesse ihrer verfassungsrechtlich gewährten Eigenständigkeit.42 In diesem Sinne darf er entscheiden, was er in seiner Rechtsordnung als Religion anerkennt (Kästner JZ 1998 978). Nur so ist er imstande festzustellen, ob es sich bei einzelnen Zusammenschlüssen unabhängig davon, wie sie sich bezeichnen, tatsächlich um Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 G G mit Art. 137 Abs. 3 WRV) handelt (näher Rdn. 62 bis 66), wobei es durchaus auch auf das rein subjektive Selbstverständnis der Gemeinschaft als Abgrenzungskriterium ankommen kann. 43 bb) Religiös ist ein Bekenntnis dann, wenn sein Inhalt durch den Glauben an ein 1 9 höheres göttliches Wesen (Monotheismus) oder an mehrere solche Wesen (Polytheismus) geprägt ist, mithin Ge- und Verbote, die für den Bekennenden Maxime seines Handelns sind, als göttliche erachtet werden. 44 Im Kern geht es um den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund (Joecks Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 4).45 Grundlage ist ein Transzendenzverständnis, das sich unter dem Wort Gott personal-ideologisch erschließt (E. Fischer S. 29). Durch die Bindung des Menschen an Gott wird die

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durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.7.2002 (BGBl. I 2862) der Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen worden ist (Erweiterung des Art. 20 a GG). OVG Berlin OVGE 10 105, 107; NVwZ 1999 786, 787; v. Campenhausen HdStKiR S. 49; Staatskirchenrecht S. 126; Friesenhahn ZSR 94 (1975) 5; Fuss DÖV 1961 735; Jurina S. 697f; Kirchhof HdStKiR S. 666, 668; Listi HdStKiR S. 449; Mayer-Scheu S. 241 ff; Meyer-Teschendorf Steal S. 124 ff; Pageis JuS 1996 794; Reupke KuR 3 (1997) 11; Herm.Weber Z E K R 41 (1996), 218; vgl. auch schon Vor § 166 Rdn. 1 mit Fn. 1. BVerfGE 24 236, 247f; 102 370, 394; BVerfG NJW 2002 2626, 2627; Fleischer S. 125, 177; Isensee Freiheitsrechte S. 12, 60; Kästner AöR 123 (1998) 410f; Mayer NVwZ 1997 561 f; Mucke! Freiheit S. 121 f; Müller-Volbehr DÖV 1995 302 ff; Preuß A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 13; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 14 f; Veelken S. 30 f.

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BVerfGE 83 341, 353; Badura Staatsrecht S. 139f; vgl. Fechner Jura 1999 516; Heckel Z E K R 44 (1999) 367 f; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 86; Listi HStKiR S. 453 ff; Mucke! Festschrift Isensee S. 243 f; Thüsing Z E K R 45 (2000) 595; Trute Jura 1996 465. Zur Tendenz einer objektivierenden Auslegung Müller- Volbehr ZRP 1991 349; Z E K R 44 (1999) 399. Rudolphi SK Rdn. 2; SchlSchröderILenckner Rdn. 2; Seidel S. 152; SeifertlHömig!Bergmann Art. 4 Rdn. 4; vgl. auch Bock AöR 123 (1998) 453 f, 458 f; DreierlMorlok Art. 4 Rdn. 42; Hamel Glaubensfreiheit S. 65; Heckel Z E K R 44 (1999) 373; Kind S. 2f; Maunz/DüriglHerzog Art. 4 Rdn. 66; Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 14; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 17; Vater S. 43; Veelkens S. 41 f; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 73. Vgl. auch Herzog, der unter religiösen Bekenntnissen solche Weltanschauungssysteme versteht, die Gott, mehrere Götter, oder eine metaphysische Größe als letzten Weltgrund ansehen ( N K Rdn. 3).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Gottesvorstellung selbst zum Inhalt des religiösen Bekenntnisses ( Welzel Strafrecht § 65 12). 20

cc) Weltanschaulich ist demgegenüber ein Bekenntnis, das ohne Rückgriff auf ein göttliches Wesen das Jenseits oder die Transparenz des Weltganzen universell zu begreifen und die Stellung des Menschen in der Welt zu erkennen und zu bewerten sucht, und das die sich zu ihm Bekennenden als ihnen übergeordnet und sie verpflichtend anerkennen. 46 Uberzeugungen zu einzelnen Teilaspekten des Lebens genügen nicht. Auch ist, anders als beim religiösen Bekenntnis, dem weltanschaulichen Bekenntnis ein metaphysischer Bezug nicht wesentlich (Joecks Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 4). Bei ihm handelt es sich um ein rein diesseitiges Phänomen (vgl. BVerfGE 32 98, 108; BVerwGE 90 112, 115; Thüsing Z E K R 45 [2000] 595). Weltanschauungen, die unter den Schutz des Art. 4 fallen, müssen über eine ähnliche Geschlossenheit verfügen, wie die im abendländischen Kulturkreis bekannten Religionen, 47 was allerdings nicht bedeutet, daß etwa auch die inneren Organisationsstrukturen von Weltanschauungsgemeinschaften denjenigen der Religionsgesellschaften christlicher Tradition (vgl. Rdn. 68) entsprechen müßten. Beispiele weltanschaulicher Bekenntnisse in diesem Sinne sind der theoretische Marxismus, die ökonomische Theorie des Ordoliberalismus oder des Keynesianismus (Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 14), die Psychoanalyse, der Darwinismus (v. Mangoldt/Klein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 3), der Monismus (Rudolphi SK Rdn. 2), der Pantheismus, der Determinismus (Schnorr § 2 Rdn. 40), der Rationalismus, der Skeptizismus (Hamel Glaubensfreiheit S. 64; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 30), die Existenzphilosophie (Eser S. 1029; Rudolphi SK Rdn. 2), die Anthroposophie, aber auch areligiöse und glaubensfeindliche (VG Mainz NVwZ 1985 136, 137) Gesamtanschauungen wie der Atheismus, der Materialismus und der humanitäre Idealismus. 48 Politische Auffassungen können ebenfalls in diesem Sinne weltanschauliche Bekenntnisse sein (Burghard S. 27; vgl. jedoch Sturm NJW 1969 1607 Fn. 16). Die Programme der politischen Parteien aber sind es nicht, weil sie keine einheitliche Gesamtkonzeption der Welt im Ganzen ausdrücken, sondern stets nur Ausschnitte des Lebens erfassen. 49

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dd) Die Unterscheidung zwischen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen stößt im Einzelfall vor allem deshalb auf Schwierigkeiten, weil es dem Sprachgebrauch entspricht, einer von jemandem geglaubten Sinndeutung der Welt im Ganzen und der Stellung des Menschen in ihr „religiöse" Bedeutung beizumessen, obwohl ein solches Bekenntnis richtigerweise als „weltanschaulich" anzusehen ist

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BVerwGE 89 368, 370f; Herzog N K Rdn. 4; ferner Anschälz Art. 137 Anm. 12; Badura Staatsrecht S. 142; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 127; DreierlMorlok Rdn. 43; Eser S. 1029; Hollerbach Rdn. 137; Kind S. 3; Kirchhof HdStKiR S. 680 f; MaunzlDüriglHerzog Art. 4 Rdn. 67; MaunzlDüriglMaunz Art. 140 Rdn. 20; Mikat Grundrechte S. 150; Relier! KrechtKleiminger S. 1023; Rudolphi SK Rdn. 2; Schöch Festschrift Müller-Dietz S. 806; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; Schnorr § 2 Rdn. 40; Seidel S. 153; Seifert/Hömig/Bergmann Art. 4 Rdn. 4; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 94; vgl. auch Dreher Prot. V/121 S. 2433; K. Peters S. 39; Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 14; Sachs!

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Kokott Art. 4 Rdn. 20; Veelken S. 43; krit. Blei §35 II. Zur Geschichte des Begriffs Weltanschauung Gerì Sp. 1136 f. BVerwGE 89 368, 371; v. Campenhausen HdStR Rdn. 43; v. Mangoldt!Klein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 31; MaunzlDürigl Herzog Art. 4 Rdn. 67; vgl. auch Hollerbach Rdn. 137. Vgl. dazu im Einzelnen die ausführliche Darstellung bei Schnieders S. 76 ff, zusammengefaßt S. 128 ff. Näher zu Weltanschauungsvereinigungen Rdn. 74. Herzog N K Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 2; Schi SchröderILenckner Rdn. 6; ferner Dreher Prot. V/121 S. 2433; Seifert!Hömig!Bergmann Art. 4 Rdn. 4. Vgl. dazu auch Rdn. 65.

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(Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 6; vgl. auch v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 127). Besondere praktische Bedeutung haben die Abgrenzungsschwierigkeiten indessen nicht. Bleibt zweifelhaft, ob das Bekenntnis ein religiöses oder ein weltanschauliches ist, so darf der Richter im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung sich im Urteil auf die Feststellung beschränken, daß das eine oder das andere vorliegt.50 c) Schließlich muß es sich um das Bekenntnis anderer handeln, wobei nicht nur das Bekenntnis einer Gemeinschaft, sondern auch das eines Einzelnen in Betracht kommt.

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aa) Gegen die Berücksichtigung individueller Überzeugungen (vgl. schon Rdn. 15, 17) sind im Gesetzgebungsverfahren ebenso systematische, wie auch kriminalpolitische Bedenken erhoben worden {Dreher Prot. V/121 S. 2429).51 Doch hat sich der Gedanke durchgesetzt, daß auch der Einzelne „in den letzten, delikatesten geistigen und moralischen Positionen" (Nellen Prot. V/121 S. 2430 f) zu schützen sei. Ohne deren Einbeziehung wäre der Schutz des religiösen und weltanschaulichen Friedens (als Teil des öffentlichen Friedens) zu sehr eingeschränkt. Hinzu kommt, daß Einzelne, obwohl an sich zu keiner organisatorischen Bindung bereit, nur um dieses Schutzes willen sich zur Identifikation mit einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppe veranlaßt sehen könnten (Horstkotte Prot. V/121 S. 2430; vgl. auch Preisendanz Anm. II la). Deshalb erfaßt der Tatbestand selbst abwegige und verworrene Bekenntnisse, mit denen ein Einzelner völlig allein dasteht. 52 Die Befürchtung, diese Auslegung werde zu einer Ausuferung des Tatbestandes führen (Schnieders S. 138; Zipf NJW 1969 1945), ist unbegründet; denn die Beschimpfung einer derartigen Auffassung dürfte regelmäßig nicht geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören (Eser S. 1028; vgl. auch Müller-Emmert Prot. V/121 S. 2432). Obwohl auch hier Wert und Wahrheit des Bekenntnisses außerhalb der Beurteilung bleiben, so besteht unter dem Blickwinkel des öffentlichen Friedens doch ein Unterschied zu den Fällen, in denen eine Gemeinschaft betroffen wird (Giide Prot. V/121 S. 2432). Aus dieser Sicht schwinden auch die praktischen Schwierigkeiten, auf die, an sich mit Recht, Schwander hinweist (S. 106 f)· bb) Regelmäßig wird der Täter dem Bekenntnis, das er beschimpft, selbst nicht 2 3 angehören. Deshalb war die vom Sonderausschuß in erster Lesung beschlossene Fassung, wonach die Beschimpfung geeignet sein sollte, das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Bekenntnisse zu stören (Prot. V/121 S. 2435f), in zweiter Lesung nach Vorstellungen der Länder geändert worden (vgl. schon Rdn. 6); sie hatten, mit Recht, geltend gemacht, diese Eignungsklausel erfasse nicht den Fall, daß ein Bekenntnisloser die Bekenntnisse beschimpft, weil dessen Beschimpfung, statt den religiösen Frieden zu stören, eher die gegenteilige Wirkung eines engeren Zusammenschließens bewirke (Prot. V/134 S. 28060· Dessen ungeachtet liegt eine Beschimpfung des Bekenntnisses anderer aber auch dann vor, wenn der Täter selbst dem betref-

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Eser S. 1029; Herzog N K R d n . 5; SchlSchröderlLenckner R d n . 6; ferner v. Mangold/Klein! Starck Art. 4 Abs. 1, 2 R d n . 48; Schnieders

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Wobei der Blick auf die österreichischen Bemühungen um die Erneuerung der Religionsdelikte, bei denen der Gedanke, den Schutz auf die private Religionsausübung eines Einzelnen auszudehnen, als offensichtlich zu weitgehend nicht näher verfolgt worden ist (vgl. Klecatsky

S. 119fr.

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Ö A r c h K R 21 [1970] 44), sowie auf die Auslegung des dem Anwendungsbereich des § 166 entsprechenden Art. 261 SchwStGB (Schwander S. 106f) eine Rolle gespielt haben mag. Rudolphi SK R d n . 3, 15; wohl auch Eser S. 1029; ferner Bühler Prot. V/121 S. 2430, 2432; Meyer Prot. V/121 S. 2428 f; Müller-Emmert Prot. V/121 S. 243 l f ; Otto BT § 64 R d n . 3; and. Diemer-Nicolaus Prot. V/121 S. 2430, 2432.

Karlhans Dippel

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fenden Bekenntnis angehört; es genügt, daß außer ihm noch andere sich dazu bekennen (Eser S. 1029; Rudolphi SK Rdn. 3; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 7). 24

2. Die Tathandlung erfordert ein Beschimpfen des Bekenntnisses, das unter bestimmten erschwerenden Umständen, nämlich öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3), vorgenommen werden muß. a) Beschimpfen ist jede durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Mißachtung. aa) Der normative Begriff der Beschimpfung ist derselbe wie in § 90 a. Für § 166 schlägt sich in ihm trotz der Einbeziehung von Minoritäten in seinen Schutz (vgl. Rdn. 1) nach wie vor die Bewertung der Mehrheit der Rechtsgemeinschaft nieder (Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 51). Der Angriff muß nicht gegen bestimmte Inhalte der Glaubenslehre gerichtet sein; vielmehr genügt eine Tathandlung, die ohne konkreten Inhaltsbezug das Bekenntnis als Ganzes angreift (OLG Koblenz NJW 1993 1808, 1809; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; and. Lackneri Kühl Rdn. 2). Das folgt daraus, daß der öffentliche Friede durch das pauschale Verächtlichmachen eines Bekenntnisses insgesamt gleichermaßen bedroht wird, wie durch herabsetzende Äußerungen über einzelne Glaubensinhalte (KG juris Rechtsprechung KORE 42257/2000 S. 8). Der Begriff des Beschimpfens erfaßt nicht jede herabsetzende Äußerung, sondern nur eine besonders verletzende Kundgebung der Mißachtung. 53 Sie kann sowohl in der Behauptung einer schimpflichen Tatsache,54 als auch in einem abfalligen Werturteil55 bestehen. Das besonders Verletzende der Kundgabe der Mißachtung liegt entweder in der Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes.56 Dadurch hebt sich das Beschimpfen von bloß geringschätzigen oder beleidigenden Äußerungen ab. Zu eng ist aber, das Verletzende nur in der Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes zu sehen.57 Denn es kann auch dadurch zum Ausdruck kommen, daß die von den Anhängern des Bekenntnisses als heilig angesehenen geistigen Inhalte in den

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BGHSt. 7 110; BGH NJW 1961 1932, 1933; RGSt. 57 209, 211; 61 308; 64 121, 124; 67 373, 375; OLG Celle NStE § 166 Nr. 1; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Hamburg GA 1962 345, 347 („Nato unser"), besprochen bei Listi Religionsfreiheit S. 295 f und Skriver S. 120 ff; OLG Karlsruhe NStZ 1986 364; LG Frankfurt NJW 1982 658, 659; v. Bubnoff LK Rdn. 22; Eser S. 1030; Giehring StV 1985 33; Herzog NK Rdn. 7; Joecks Rdn. 4; Küper BT S. 84; Otto BT § 64 Rdn. 3; Preisendanz Anm. II 1 b (unter Gleichsetzung des Schweregrads mit dem des Tatbestandsmerkmals „Verunglimpfen" in den §§ 90a Abs. 1 Nr. 2 und 90b Abs. 1); Rudolphi SK Rdn. 9; Schmied S. 22; Schnieders S. 143 ff; Sch/SchröderlStree § 90 a Rdn. 5; Tröndle/ Fischer § 90a Rdn. 5; vgl. auch Sturm Prot. V/121 S. 2426, 2434.

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BGH GA 1956 316; Herzog N K Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 9; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9. RGSt. 67 373 mit Anm. Kern JW 1934 424 (Bezeichnung der Taufe als Vorstrafe); OLG Celle NStE § 166 Nr. 1; KG juris Rechtsprechung KORE 42257/2000 S. 8 (Bezeichnung der

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jüdischen Religion als „faschistisch"); Herzog N K Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9; Zipf NJW 1969 1944. » BGHSt. 7 110; RGSt. 28 403, 406; 57 185; OLG Celle NStE 166 Nr. I; OLG Schleswig SchlHA 1977 179; Herzog N K Rdn. 9; Küper BT S. 84 f; Rudolphi SK Rdn. 9; Tröndle/Fischer § 90 a Rdn. 5; Welze! Strafrecht § 65 I 2. Vgl. zu den Kriterien Roheit des Ausdrucks und Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes die scharfsinnige, noch immer aktuelle Kritik von Beling, der seinem Inhalt nach rohe Angriff, in sachlicher Form vorgetragen, sei gegenüber der bloß groben Äußerung privilegiert (Festgabe Dahn S. 28; ebenso Kohlrausch S. 62). 57 So aber, worauf Seh!Schröder!Lenckner mit Recht hinweisen (Rdn. 9), OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit zust. Anm. Ott und abl. Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555 (Beschimpfung durch eine bösartige satirische Verfremdung der Eucharistie); ebenfalls abl. Lackneri Kühl Rdn. 4; vgl. auch Th. Fischer NStZ 1988 162 Fn. 47.

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Schmutz gezogen oder grob diffamiert werden.58 Mitunter erfüllt ein und derselbe Vorgang all diese Kriterien. 59 bb) Andererseits schafft das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungs- 2 5 freiheit keinen kritikfreien Raum. Im Vorfeld des § 166 genießen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ebenfalls nur denjenigen Schutz, der auch sonst für Persönlichkeitsverletzungen anerkannt ist. Daher ist die bloße Verneinung dessen, was als heilig verehrt wird, ebensowenig bereits ein Beschimpfen wie ablehnende, selbst scharfe Kritik daran. 60 Handelt es sich um eine Veröffentlichung, müssen Belege und Grundlagen für einen kritischen und warnenden Hinweis nicht vollständig in diesen selbst angeführt werden; vielmehr genügt, daß das negative Werturteil auf einem im wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerechten und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht, der sich auch aus Umständen außerhalb der Veröffentlichung ergeben kann (OVG Münster NJW 1996 3355, 3356). Ebenso ist nicht erforderlich, daß die beschimpfende Äußerung sich als unwahr erweist oder wenigstens eine Formalbeleidigung darstellt (BGH NJW 1961 1932, 1933; RGSt. 61 308). Auch die Wiedergabe fremder Äußerungen kann ein Beschimpfen sein. Voraussetzung dafür ist, daß der Täter sich die Äußerungen zu eigen macht. 61 cc) Zu § 166 a. F. ist angenommen worden, dem Beschimpfen wohne die Tendenz 2 6 des Verächtlichmachens inne (vgl. z.B. RGSt. 10 146, 1480- Hiervon kann im Prinzip auch nach der Neufassung der Vorschrift ausgegangen werden. In dem durch das 6. StRÄndG eingefügten § 130 ist bei der Umschreibung der gegen die Menschenwürde gerichteten Tathandlungen (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2) das Merkmal „verächtlich macht" neben den Begriffen „beschimpft" und „verleumdet" eigens genannt, freilich mit dem Zusatz „böswillig". Jedenfalls mit dieser Einschränkung behält deshalb das 58

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BVerfG KirchE 27 71 (Darstellung des mit einem Schaf kopulierenden Papstes); BayObLG NJW 1989 1744 (Darstellung des Kruzifix als Mausefalle, bei der die sie auslösende Maus durch den Oberkörper des Gekreuzigten erschlagen wird), mit zust., den Sachverhalt insoweit aus dem Originalurteil ergänzender Bespr. Zaczyk JuS 1990 889; OLG Düsseldorf NJW 1983 2211 (Bezeichnung des Gekreuzigten als „junger Mann, der im vollen Glanz diese ganze Scheiße hier unter sich läßt"); OLG Köln NJW 1982 657 (Karikatur mit einem Dialog zwischen Maria, Josef und Gott über die Beendigung der Schwangerschaft Marias durch Abtreibung); OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239 mit Bespr. Olio JK OO § 166/1 (Darstellung eines an ein Kreuz genagelten Schweines); LG Bochum NStE § 166 Nr. 2 mit ausführlichem Sachverhalt NJW 1989 727 (Darstellung Gottes als langmähnige Marionette in der Hand eines katholischen Geistlichen); LG Düsseldorf NStZ 1982 290 („Maria hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben"); LG Köln KirchE 20 140, 141 und 21 243, 244f (obszöne sexuelle Darstellung der Empfängnis des Christuskindes); Lackner/Kühl Rdn. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9; vgl. auch Tröndlet Fischer Rdn. 12.

mit ausführlichem Sachverhalt NJW 1986 1275 (zuvor LG Göttingen NJW 1985 1652): Die Bezeichnung der christlichen Kirche als „eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt" ist eine Roheit des Ausdrucks. In der Darstellung des gekreuzigten Christus mit der Umschrift „Masochismus ist heilbar" liegt die Bewertung des Leidens Christi als einen Vorgang perverser Sexualität und damit der Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens. Mit der Äußerung „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis" wird der als heilig empfundene Marienkult grob diffamiert. Um dieselbe Bezeichnung und eine Herabwürdigung der Jungfrauengeburt („Maria-Syndrom") geht es bei OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1175 mit insoweit zust. Anm. Bamberger GewArch. 43 (1997) 359. 60

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BVerfG DVB1. 1993 1204; OLG Celle NStE § 166 Nr. 1; LG Bochum NStE § 166 Nr. 2; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 12; Wekel Strafrecht § 65 I 2. BVerfG KirchE 27 71, 76; NJW 1995 1953, 1954; RGSt. 61 308; OLG Frankfurt NJW 1983 1207; NJW 1995 876, 877; OVG Münster NJW 1997 1176, 1177; LG Köln KirchE 34 212, 215; Herzog NK Rdn. 7; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9.

Beispielhaft dafür OLG Celle NStE § 166 Nr. 1 Karlhans Dippel

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„Verächtlichmachen" auch für § 166 seine Bedeutung als „Beschimpfen" (Sch/SchröderILenckner Rdn. 9). Vom Beschimpfen zu unterscheiden ist das Verspotten. Es bezweckt nicht ein Verächtlichmachen, sondern ist darauf gerichtet, den Verspotteten der Lächerlichkeit preiszugeben (RGSt. 10 146, 148; Sehl SchröderILenckner Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 12). 27

dd) Für die Auslegung des Begriffs Beschimpfen gilt grundsätzlich ein restriktiver Maßstab. Das folgt aus den Grundrechten der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG), denen einschränkende allgemeine Gesetze unterzuordnen sind. So liegt es hier. Denn wenn die Meinungsfreiheit gewährleistet bleiben soll, darf § 166 nicht zu einer Unterbindung von Auseinandersetzungen über religiöse und weltanschauliche Fragen, sei es selbst in Form harter Kritik, führen. 62 So würde beispielsweise die Kritik am Zölibat als „die dem Natur- und Menschenrechte wie dem Priesterthume hohnsprechenden Papstverbote" (RGRspr. 1 521, 523) heute schon nach diesem Maßstab als ein Beschimpfen auszuscheiden haben. Ohne Bedeutung ist Art. 5 Abs. 2 G G freilich insofern, als eine Äußerung in beschimpfender Form keine wissenschaftliche sein kann, während sachliche Kritik kein Beschimpfen ist (vgl. LacknerlKühl Rdn. 3). Ähnlich liegt es bei der Werbung mit religiösen Begriffen, Bildern und Symbolen. Sie liegt im Spannungsfeld zwischen der in die Schutzbereiche der Meinungsäußerungsfreiheit sowie der Berufs- und Eigentumsfreiheit fallenden, wettbewerbsrechtlich zulässigen und daher legitimen Verfolgung kommerzieller Interessen und dem durch die Glaubens- und Religionsfreiheit verfassungsrechtlich ebenso gesicherten (vgl. Rdn. 35) Gebot, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis anderer zu achten. Auch wenn religiöse Themen in der Werbung als ein politisches und soziales Anliegen kommunikativ transportiert werden dürfen und dabei die religiöse Vorstellungswelt nicht der Maßstab für die Konsumgütergesellschaft sein kann, so verlangt die gebotene Achtung der Religiosität anderer, diese nicht in der Werbung verächtlich zu machen. 63 Hat die werbliche Formgebung künstlerischen Charakter, fällt der Vorgang auch in den Schutzbereich der Freiheit der Kunst (vgl. dazu Rdn. 32 mit Fn. 75).

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ee) Grundlage der Bewertung der Äußerung ist deren objektiver Aussagegehalt. Es kommt nicht darauf an, was der Täter sagen wollte (RG JW 1930 2139). Auch bleibt ohne Bedeutung, wie der oder die Hörer die Äußerung verstanden haben; maßgeblich ist vielmehr, wie sie objektiv bei vernünftiger Würdigung der Sachlage vom unbefangenen Hörer verstanden werden mußte (vgl. BGHSt. 11 11, 14 mit Anm. Jagusch LM StGB § 96 Abs. 1 Nr. 4; RGSt. 61 151, 155; OLG Köln AfP 14 (1983) 285, 286).

29

ff) Ebenso ist bei der Beurteilung des Schweregrades der Äußerung für irgend eine subjektivierende Betrachtung, sei es vom angegriffenen Kreis oder vom Täter her, kein Raum. Da nämlich die Vorschrift den öffentlichen Frieden schützt, muß auch bei

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Eser S. 1030; vgl. auch BVerfG NVwZ 1994 159, 160; 1995 471; ferner Diemer-Nicolaus Prot. V/121 S. 2432; Meyer Prot. V/121 S. 2428; Sturm Prot. V/134 S. 2807. Fezer JZ 1988 273 mit Beispielen: Wettbewerbsrechtlich zulässig das Bild einer den Papst küssenden Nonne der Benelton-Werbekampagne, unzulässig hingegen jegliche Werbung unter Verwendung der Abbildung des Gekreuzigten, die Darstellung des reisenden Papstes für die

/"«yï-Software „Management auf Reisen", aber auch die subtile Werbung von Media-Markt „Ihr sollt keine anderen Anzeigen lesen neben dieser hier", auf der Grenze liegend die Darstellung des Abendmahls mit barbusigen Frauen für die Werbung der Jeans von Otto Kern. Vgl. auch O L G Frankfurt KirchE 32 39, 40f zur Werbung mit biblischen Motiven in einem Modekatalog.

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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der Frage, ob die Äußerung den Schweregrad einer Beschimpfung erreicht, auf ihre friedensstörende Wirkung abgestellt werden. Deshalb kommt es nur darauf an, ob sich die herabsetzende Äußerung nach dem objektiven Urteil eines auf Wahrung der religiösen und weltanschaulichen Toleranz bedachten Betrachters als eine so schwerwiegende Herabsetzung des Bekenntnisses darstellt, daß sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. 64 Unter dieser Voraussetzung sind entsprechende Äußerungen nicht mehr durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, zumal § 166, da er im Hinblick auf die in Art. 4 G G garantierte Freiheit der Religionsausübung Friedensschutz bezweckt, selbst wieder grundrechtsschützenden Charakter hat (OLG Celle NStE § 166 Nr. 1; ebenso Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9). Danach kann sogar bei ehrenhaften Beweggründen und Absichten eine Beschimpfung vorliegen (Hardwig S. 270). Auch religiöse Motive schließen eine Beschimpfung nicht aus, weil die Auseinandersetzung zwischen Bekenntnissen ebenfalls nur in Formen geschehen darf, denen keine grobe Herabwürdigung der angegriffenen Überzeugung innewohnt (vgl. Tröndle48 Rdn. 1). gg) Der Bewertungsmaßstab dafür, ob eine herabsetzende Äußerung den für die 3 0 Annahme einer Beschimpfung erforderlichen Schweregrad erreicht, hat sich gewandelt. Er war allerdings schon früher nicht einheitlich. Das Reichsgericht stellte teilweise allein auf die Wirkung der Äußerung bei denjenigen überzeugten Anhängern des betreffenden Bekenntnisses, die sich ebenso von übergroßer Reizbarkeit wie von Gleichgültigkeit fern halten, ab (z.B. RGSt. 64 121, 126), bezog in anderen Entscheidungen aber auch die Persönlichkeit des Täters ein (z.B. RGSt. 57 185). Dieser Judikatur gegenüber hat sich bereits Mittermaier für einen objektiven Maßstab, der unabhängig von den Vorstellungen des Täters und den Auffassungen des angegriffenen Kreises zu ermitteln ist, ausgesprochen (Anm. RG JW 1929 1148). Dementsprechend hat die spätere Rechtsprechung, und zwar unter ausdrücklicher Abkehr von dem Verständnis und dem religiösen Empfinden der Angehörigen des betroffenen Bekenntnisses als Anhalt für den Schweregrad der Äußerung (BGH GA 1961 240; BayObLG NJW 1964 1149, 1150 mit insoweit zust. Anm. Ott; vgl. auch OLG Hamburg GA 1962 345, 346), eine Beschimpfung verneint, wenn beispielsweise der Täter aus Unmut, Gedankenlosigkeit, Oberflächlichkeit oder ohne den gedanklichen Inhalt seiner Äußerung voll zu verstehen, gehandelt hat (BGHSt. 7 110f)· hh) Eine im Aussagegehalt eines Kunstwerks liegende religiöse Beschimpfung ist 31 grundsätzlich tatbestandsmäßig, kann aber durch die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G garantierte Freiheit der Kunst 65 gerechtfertigt sein.66 Ihre Abgrenzung von dem grundgesetzlich gebotenen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen oder anderer

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OLG Celle NStE § 166 Nr. 1; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; OLG Köln NJW 1982 657; LG Bochum NStE § 166 Nr. 2; LG Frankfurt NJW 1982 658; Eser S. 1030; Rudolph! SK Rdn. 10; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 9. Einzelheiten der Entstehungsgeschichte dieses Grundrechts bei v. Doemming/Füsslein/Matz S. 89 ff. Allerdings wird die besondere Straflosigkeit von Beschimpfungen, die im Aussagegehalt eines Kunstwerks liegen, strafrechtsdogmatisch unterschiedlich eingeordnet. Ein Teil der Lehre findet

über eine verfassungskonform einengende Interpretation des Toleranzgebots die Lösung auf der Tatbestandsebene (so insb. Trifftererl Schmoller ÖJZ 43 (1993) 551 ff; ferner Beisel S. 163). Mit Recht hat demgegenüber bereits Noll darauf hingewiesen, daß es sich nicht um ein Tatbestands- sondern um ein Rechtswidrigkeitsproblem handelt (ZStW 77 [1965] 34 f; ebenso z.B. Κ. A. Fischer S. 69, 142f; Lackneri Kühl § 193 Rdn. 14; Lenckner Gedächtnisschrift Noll S. 254; Würtenberger NJW 1982 612). Näher Rdn. 89.

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verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter ist schwierig, dazu im Hinblick auf die dynamische Fortentwicklung der öffentlichen Wahrnehmung der Kunst in abschließenden Formeln nicht möglich (Tröndle/Fischer § 193 Rdn. 35), wobei vor allem die nicht minder problematische Frage steht, wann eine schöpferische Leistung den Rang eines Kunstwerks hat. Die bei der Auseinandersetzung darüber anzutreffende Unversöhnlichkeit der Standpunkte erklärt sich aus dem durch gegensätzliche gesellschaftliche Funktionen vorgegebenen Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Recht. Während das Recht das Rationale, Normative mit der Notwendigkeit von Macht und Zwang verkörpert, steht die Kunst für das Irrationale, Emotionale bis hin zu Unordnung und Chaos (v. Hartlieb Z U M 30 [1986] 37). Namentlich das Verhältnis zwischen Kunst und Gotteslästerung ist ein Thema von historischer Brisanz (Krauss S. 209; vgl. auch Knies S. 15; Schmieder NJW 1982 628). Es lenkt zum einen den Blick auf den Umgang einer modernen Rechtsordnung mit Religion und Weltanschauung (Hassemer Religionsdelikte S. 1311 [233]). Zum anderen führt es aber auch zu der Frage, wie Staat und Gesellschaft mit den Provokationen moderner Kunst fertig werden (Krauss S. 209). In beiderlei Richtung ist festzustellen, daß inzwischen ein Maß gesellschaftlicher Toleranz entstanden ist, das vor einem halben Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre. So wie auf sexuellem Gebiet viele Tabuvorstellungen früherer Generationen aufgegeben worden sind, ist auch die vom Staat offiziell gestützte christliche Weltanschauung zugunsten einer überwiegend von pragmatisch-materialistischen Ideen und Idealen geprägten Meinungsvielfalt zurückgedrängt worden (Schmieder NJW 1982 628). Dadurch hat das Verhältnis zwischen Kunst und der Beschimpfung von Bekenntnissen und den sie tragenden Gemeinschaften bei weitem nicht mehr die Brisanz der Zeit, da Gotteslästerung strafbar war. Die Grundproblematik aus der Antinomie, daß die Kunstfreiheit einerseits von der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet wird, also unter keinem Schrankenvorbehalt steht, sie sich andererseits aber nur in einer Rechtsordnung verwirklichen kann, die Schutz und Schranke ist (Sachs!Bethke Art. 5 Rdn. 182), birgt jedoch kaum weniger Konfliktstoff. 32

ii) Was Kunst ist und wie Kunst sich von Nicht-Kunst unterscheidet, läßt sich verbindlich nicht umschreiben, weil eine Definition von Kunst deren eigentlichem Wesen widerspricht (JarassIPierothlJarass Art. 5 Rdn. 67) und jede Einschränkung des Begriffs zum Widerspruch mit dem Sinn der Freiheitsgewährung führt (DreierlPernice Art. 5 III [Kunst] Rdn. 17). Hinzu kommt, daß seit dem Auszug der Schönheit aus dem Bereich der Ästhetik, mit dem die Kunst auch den für die klassische Auffassung kennzeichenden Bezug zur Welt des Sittlichen verloren hat, 67 absolute Beliebigkeit der Gestaltung Maxime allen künstlerischen Schaffens ist. Kunst kann unzüchtig (so schon RGSt. 37 315), obszön, sogar pornographisch 68 sein. Dementsprechend ist der für das Strafrecht maßgebliche Kunstbegriff außerordentlich umstritten (vgl. die Übersicht bei SehlSchröder!Lenckner § 193 Rdn. 19). Als allgemeine Meinung kann gelten, daß es nicht möglich ist, Kunst generell zu definieren. 69 Vielfach wird sogar die

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Würtenberger Festschrift Dreher S. 84; vgl. dazu auch Berka JurBl. 1983 284; BreuninglNocke S. 239; Geiger Festschrift Leibholz S. 188; Ignor S. 129; J. Hoffmann N J W 1985 240; Leiss Kunst im Konflikt S. 7 ff; Maiwald S. 75; D. Meyer SchlHA 1984 51. BVerfGE 83 130, 138f; BGHSt. 37 55, 57, 59 („Opus Pistorum"); Leibholz/RincklHesselberger Art. 5 Rdn. 1026; v. Mangoldt/Klein/Starck

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Art. 5 Abs. 3 Rdn. 283; Schmidt-BleibtreulKlein Art. 5 Rdn. 15b; vgl. auch Enderlein S. 8f; zweifelnd Borgmann JuS 1992 916. BVerfGE 67 213, 224f („Anachronistischer Zug") mit Bespr. Zöbeley N J W 1985 254; 75 369, 377; BGHSt. 37 55, 58; krit. Würkner N J W 1988 317; vgl. auch Denninger Rdn. 1; Erbel Z U M 29 (1985) 295; Geiser S. 2; Hamann!Lenz Art. 5 Anm. Β 13; v. Hartlieb Z U M 30 (1986)

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Auffassung vertreten, Art. 5 Abs. 3 G G enthalte, weil seine Freiheitsgarantie jeglicher material-qualitativen Ausfüllung des grundrechtlichen Kunstbegriffs widerstreite, ein Definitionsverbot. 70 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß Kunst, die sich nicht bestimmen läßt, auch nicht geschützt werden kann. 71 Daher sollte Kunst als Bestandteil einer nicht nur subjektiven Ordnung einen definierbaren Standort innerhalb des Wertesystems finden {Kirchhof NJW 1985 227; vgl. auch Dünnwald GA 1967 38 f)· Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu einem formalisierten (offenen) Kunstbegriff bekannt, nach dem für das Kunstwerk eine irgendwie geartete schöpferische Formgestaltung unter Verzicht auf jegliche Niveaukontrolle genügt, sofern die bloße Gattungsanforderung eines bestimmten Werktyps erfüllt ist.72 Dennoch gibt es zahlreiche Ausdeutungsversuche, so etwa die Umschreibung, für den Kunstbegriff seien zwei Strukturmerkmale entscheidend, die Formensprache und das sich notwendigerweise auf die äußere Gestaltung beziehende Eigenschöpferische, 73 wobei mit Blick auf die Definition von Dreher, Kunst sei die gültig geformte Auseinandersetzung zwischen Künstler und Welt (so Schwarz!Dreher11 § 184 Anm. 1 A c bis DreherITröndle45 § 184 Rdn. 11), die einmal Leitbild war ( Wiirtenberger Festschrift Dreher S. 89), vielfach noch immer davon ausgegangen wird, daß Kunst neben einer eigenwertigen Form nach bestimmten Gesetzen die Gestaltung eines seelisch-geistigen Gehalts („Brockhaus-Formel") bedinge.74 Weitgehende Zustimmung hat dabei die künstlerintrovertierte (Isensee AfP 24 [1993] 624) Sicht gefunden, daß der Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G sich sowohl auf den „Werkbereich", die eigentliche künstlerische Betätigung, als auch den „Wirkbereich", in dem der Öffentlichkeit, sei es auch nur durch Werbung (BVerfGE 77 240, 251; Dreierl Pernice Art. 5 Abs. 3 [Kunst] Rdn. 25),75

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37; Hartmann JuS 1976 649; Henschel N J W 1990 1938; Oettinger JZ 1974 285; Ott Literatur S. 288; Seidel S. 135; Zöbeley NJW 1998 1372. Z.B. Knies S. 215, 217; J. Hoffmann NJW 1985 238; F. Müller Freiheit S. 35 ff; Wolfrum SchlHA 1984 4; vgl. auch Hartmann JuS 1976 651; Zechlin N J W 1984 1092; ferner BreuninglNocke mit dem Bemerken, die Frage sei nicht, ob der Jurist die Kunst definieren könne, sondern ob er sie definieren dürfe (S. 238 ff, insb. S. 241). So schon Arndt N J W 1966 28; ebenso Dreier/ Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 441; Isensee Freiheitsrechte S. 35; Kirchhof N J W 1985 227. Nach MaunzlDüriglScholz statuiert Art. 5 Abs. 3 G G kein Definitions verbot, sondern im Gegenteil sogar ein Definitionsgebot (Art. 5 Abs. 3 Rdn. 25; ebenso v. MangoldtlKlein!Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 276; Sachs/Bethke Art. 5 Rdn. 183; vgl. auch BVerfGE 75 369, 377. Mahrenholz erklärt im Anschluß an Knies (S. 215, 217) den Streit darum, ob Art. 5 Abs. 3 G G abstrakt ein Definitionsgebot oder -verbot enthalte, für „müßig" (HdVerfR Rdn. 25 mit Fn. 24); vgl. auch Denninger Rdn. 2. BVerfGE 67 213, 226f; 81 278, 289; 83 130, 138. Umfassend krit. Isensee A f P 24 (1993) 619fT; ferner Enderlein S. 194ff, insb. S. 201; Ignor S. 136; vgl. auch Pohl Äußerungsfreiheit durch Kunst, 73. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit am 14./15.5.1993 in Dresden, AfP 24 (1993) 639 ff.

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K. A. Fischer S. 43; ferner Beisel S. 108; Denninger Rdn. 7, 12; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 19f; Erhardt S. 86; E. Steffen S. 365f; Würkner JA 1988 185. Vgl. unter diesem Blickwinkel auch Tag zur Frage, ob der Körper Verstorbener bei der Piastination Gegenstand künstlerischen Schaffens ist (MedR 1998 391 f)Z. B. Arndt NJW 1966 26 f; Hamann/Lenz Art. 5 Anm. Β 13; Lenckner Gedächtnisschrift Noll S. 254; Lynen S. 53; H. Otto NJW 1986 1206, 1209; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 5 Rdn. 15; Würkner Freiheit S. 127; Würtenberger NJW 1982 610, 614; 1983 1114, 111S f; vgl. auch den Ansatz von Mahrenholz, unter den verfassungsrechtlichen Kunstbegriff könne subsumiert werden, was auf menschliche Initiative rückführbar sei und zu einer vorwiegend sinnlich-ästhetischen Kommunikation aufrufe (HdVerfR Rdn. 37); ferner MaunzlDürigl Scholz Art. 5 Abs. 3 („Akt sinnlich-anschaulicher Formgebung"); beispielhaft für die Rechtsprechung OVG Münster NJW 1959, 1890, 1891; krit. zu den Definitionsversuchen Zöbeley NJW 1998 1372 f. Von der Werbung für ein Kunstwerk ist die Werbung mit einem Kunstwerk zu unterscheiden. Sie fallt ebenfalls in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 G G (vgl. schon Rdn. 27), weil die Qualität eines Gegenstandes oder Vorgangs als Kunstwerk mit einem technischen oder anderen Zweck verbunden sein kann („Heterogonie der Zwecke"). Auch werblichen Formgebungen fehlt

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Zugang zu dem Werk verschafft wird, erfaßt. 76 Ein religiös motiviertes Kunstwerk steht sowohl unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 G G (religiöse Motivierung und Wirkungsabsicht) als auch dem des Art. 5 Abs. 3 G G (künstlerische Gestaltung), weil beides ideal konkurrierend verwirklicht werden kann (v. MangoldtlKlein!Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 287; ebenso MauriziDürig!Scholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 50; vgl. aber auch Bleckmann/ Wiethoft DÖV 1991 724). 33

jj) Breit ist auch der Kreis der Grundrechtsträger. Zu ihnen gehören entgegen der Formulierung in Art. 5 Abs. 3 Satz 1, die Kunst ist frei, in erster Linie der Mensch, der künstlerisch tätig ist (v. Mangoldtl Klein! Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 297; Hamann/Lenz Art. 5 Anm. Β 13; vgl. auch Henschel NJW 1990 1937). Daneben steht die Kunstfreiheit uneingeschränkt aber auch den Vermittlern der Kunst zu, seien es Galeristen, Buchhändler, Theater- und Museumsdirektoren oder Personen, die in der Kunstwerbung tätig sind. 77 Dies gilt auch dann, wenn es sich um juristische Personen oder bloße Personenvereinigungen handelt, wie Verlage und Schallplattenhersteller oder private Träger von Orchestern, Theatern und Museen. 78 Nicht in den personellen Schutzbereich des Grundrechts fallen Kunstkritiker {DreierlPernice Art. 5 III [Kunst] Rdn. 28; and. Haberle A ö R 1985 606) und alle sonst die Kunst nur rezipierende Personen, wie die Besucher von Kunstveranstaltungen (v. Mangoldtl Klein! Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 297; Seidel S. 135; and. J. Hoffmann N J W 1985 241), obwohl die „Begegnung mit dem Werk" an sich im Mittelpunkt des Wirkbereichs steht (vgl. BVerfGE 36 321, 331; Denninger Rdn. 23). Aber Kunstkritik und Kunstgenuß reagieren nur auf Werk und Wirken und sind deshalb selbst keine Kunst (vgl. BVerfG N J W 1993 1462). Bei Einbeziehung des Publikums in den subjektiv-rechtlich geschützten Personenkreis wäre außerdem insoweit eine Abgrenzung nicht mehr möglich. Die Beschränkung des Schutzes auf den durch den künstlerischen Gestaltungsprozeß und das Werk einschließlich seiner Präsentation und Verbreitung umgrenzten Kernbereich der Freiheitsgarantie macht den bloßen Kunstrezipienten indessen keineswegs schutzlos. Der Kunstkritiker ist schon durch Art. 5 Abs. 1 G G geschützt (BVerfG N J W 1993 1462). Im übrigen bleibt der Kunstrezipient „Destinatär" der objektiv-rechtlichen Garantie (Denninger Rdn. 23; ebenso v. Mangoldtl Klein! Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 297).

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es daher weder im Grundsatz noch regelmäßig an der typischen Eigenschaft künstlerischer Gestaltungen (Denninger Rdn. 15 gegen Lerche Werbung und Verfassung [1967] S. 50; ferner Dreierl Pernice Art. III [Kunst] Rdn. 24; v. Münch/KuniglWendt Art. 5 Rdn. 94). Die Terminologie geht auf F. Müller zurück (Freiheit S. 99 f) und ist vom Bundesverfassungsgericht übernommen worden (BVerfGE 30 173, 188f „Mephisto"); vgl. ferner z.B. BVerfG E 77 240, 251 mit Bespr. Würkner N J W 1988 327, 328; 82 1, 4; Denninger Rdn. 7, 20; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 14; Enderlein S.6f; Haberle AöR 1985 606, 615; W. Heinz S. 52; Henschel N J W 1990 1939, 1942; Herdegen LK § 193 Rdn. 9; J. Hoffmann N J W 1985 238, 241; JarassIPieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 68; Kirchhof N J W 1985 226; Lackneri Kühlem Rdn. 14; Mahrenholz HdVerfR Rdn. 48; v. Mangoldtl KleinlStarck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 283, 285; Maunz/DüriglScholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 65; F.

Müller JZ 1970 90f; SachslBethke Art. 5 Rdn. 188, 196; Schmidt-BleibtreulKlein Art. 5 Rdn. 15; Sehl Schröder!Lenckner § 193 Rdn. 19; Seidel S. 135; vgl. auch U. Wolf S. 38 f; Würkner JA 1988 185; Freiheit S. 86 Fn. 158; krit. z.B. Wiehert S. 37f; Zechlin KJ 1982 252f. Zur Wirkung der Garantie der Kunstfreiheit über die Zeiten zum Schutz der Kunstwerke vor Zerstörung und zur Bewahrung ihrer freien künstlerischen und weltanschaulichen Aussage vor einer Verfälschung ihres Wesens Heckel Staat S. 76ff, 95. 77

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Denninger Rdn. 20; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 27; Henschel N J W 1990 1940; JarassIPieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 69; Seidel S. 135. Denninger Rdn. 22; Dreier/Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 27; JarassiPieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 69; v. Mangoldtl KleinlStarck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 297; vgl. auch BVerfGE 30 173, 191.

Stand: 1.7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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kk) Die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G garantierte Freiheit der Kunst unterliegt 3 4 keinem Vorbehalt. Sie ist weder durch Art. 5 Abs. 2 G G eingeschränkt, noch gilt für sie der allgemeine Gemeinschaftsvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG, so daß sie auch nicht an den Rechten anderer, an der verfassungsmäßigen Ordnung und im Sittengesetz ihre Grenze findet.79 Den elementaren Werten der Sittlichkeit erwächst Geltung nur insoweit, als sie, weltanschaulich neutral, integrierende Bestandteile der Menschenwürde sind (Dünnwald GA 1967 40). Doch folgt daraus nicht, daß das Freiheitsrecht schrankenlos gewährt ist. Die Vorbehaltlosigkeit hat vielmehr nur die Bedeutung, daß in allen Fällen einer echten, weil unvermeidlichen, Grundrechtskollision die Grenzen des Rechts sich allein aus der Verfassung ergeben, die Kunstfreiheit also nur durch die grundgesetzliche Wertordnung selbst begrenzt wird. 80 Allein eine unmittelbare Verfassungsgüterabwägung sichert der Kunstfreiheit wirksamen Schutz vor Aushöhlung der Garantie bei gleichzeitiger Gewährleistung aller anderen von der Verfassung anerkannten Rechtsgüter, 81 wobei gegenüber der schwächeren Norm der schonendste Ausgleich (Maunz/DiiriglMaunz Art. 140 Rdn. 8; vgl. auch Jeand'Heurl Korioth Rdn. 127) zu suchen ist (BVerfGE 39 1, 43; 41 29, 50; 52 223, 246; BVerfG NJW 2002 2227, 2228). 11) Im Falle der strafbaren Beschimpfung nach § 166 durch die Aussage eines 3 5 Kunstwerks gerät die Kunstfreiheitsgarantie in Konflikt mit dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich. Zu ihm gehören nicht nur die in Art. 1 Abs. 1 G G garantierte Würde des Menschen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht, 82 sondern auch das in Art. 4 G G Abs. 1 und 2 niedergelegte,

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BVerfGE 30 173, 192f; vgl. demgegenüber noch BGH GA 1961 240; BVerwGE 1 303, 307; BayObLG NJW 1964 1149 mit insoweit abl. Anm. Ott\ OVG Koblenz DVB1. 1966 576, 580; Eser S. 1030f; Maunz/Dürig/Scholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 61, 63, dazu Zechlin N J W 1984 1092 Fn. 23. BVerfGE 52 223, 246f; Denninger Rdn. 39; W. Heinz S. 53ff; Henschel NJW 1990 1941; Ignor S. 129ff; Lackner/Kühl Rdn. 4, § 193 Rdn. 14; Lenckner Gedächtnisschrift Noll S. 253; Mahrenholz HdVerfR Rdn. 5, 71 ff; Mikat HdVerfR Rdn. 20; Müller-Volbehr DÖV 1995 306 f; Schmieder N J W 1982 628; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 10; SeifertlHömig!Bergmann Art. 5 Rdn. 30; TröndlelFischer Rdn. 16; Würkner Freiheit S. 86ff; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 86; vgl. auch v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 68. Umfassend zur Bedeutung des Problems von Konkurrenzen innerhalb der Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt und seiner Lösungen schon Berg S. Iff. Zur komplizierteren, im Ergebnis aber gleichen Lösung der Schrankenproblematik im österreichischen Recht Berka JurBl. 1983 286ff. Ζ. B. Denninger Rdn. 41; Erbel Z U M 29 (1985) 295; Würkner Freiheit S. 86. Zechlin hält gegenüber der „Güterabwägung" es für den methodisch richtigeren und genaueren Ansatz, die kollidierenden Normen im Wege der praktischen Konkordanz zu einem Ausgleich zu brin-

gen (NJW 1984 1093); ebenso Degenhart BK Art. 5 Abs. 1 und 2 Rdn. 68; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 34; Fleischer S. 187 ff; MaunzlDüriglScholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 66 („Prinzip des verhältnismäßigen Ausgleichs"); Tröndlel Fischer § 193 Rdn. 37; ferner BVerfGE 77 240, 255; 83 130, 143, 146; ähnlich BVerwG JZ 1993 790, 792 („Opus Pistorum") mit Anm. Geis; OVG Münster N J W 1997 1176, 1177; vgl. auch Listi HdStKiR S. 443; Schmitt Glaeser N J W 1996 877. Grundlegend and. Preuss, nach dessen Auffassung das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 G G gesellschaftliche Freiheit organisiere (und nicht eine Spezifikation personaler Freiheits- und Würdeentfaltung sei), es deshalb durch die normative Reichweite seiner begrifflichen Elemente begrenzt werde, so daß es derartiger Abwägungen nicht bedürfe (Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 29); im Ergebnis ähnlich Hamel, der die Schranken der Bekenntnisfreiheit durch das jeweilige Bekenntnis selbst bestimmen lassen will (Glaubensfreiheit S. 69ff). 82

BVerfGE 30 173, 193; 32 98, 106; 75 369, 380; vgl. auch BVerwGE 1 303, 307; Bamberger GewArch. 43 (1997) 359, 360 (insoweit krit. Anm. zu OVG Koblenz NJW 1997 1174); K. A. Fischer S. 90; Hartmann N J W 1976 651; Hillgruberl Schemmer JZ 1992 948; Lackner/Kühl § 193 Rdn. 15; Listi HdStKiR S. 446; v. MangoldtlKIeinlStarck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 307; £. Steffen S. 371.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

durch § 166 geschützte (vgl. vor § 166 Rdn. 6) Grundrecht der Religionsfreiheit.83 Es konkurriert mit der Kunstfreiheitsgarantie ebenbürtig, weil es, woran der Wortlaut keinen Zweifel läßt, ebenfalls schrankenlos gewährt ist. Indessen fehlen dem Schutzbereich jegliche Konturen, so daß die Gefahr einer ausufernden Inanspruchnahme besteht. Bemühungen der Rechtsprechung,84 ihr entgegenzuwirken, haben sie nicht nachhaltig vermindern können. Deshalb greift ein großer Teil der Lehre auf die Schrankenregelung des Art. 136 Abs. 1 WRV zurück, wonach die bürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Ihr Argument ist, daß die Vorschrift, durch Art. 140 GG zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt, vollgültiges Verfassungsrecht geworden ist (vgl. Vor § 166 Rdn. 4), als solches aber auch respektiert werden müsse.85 Die Klärung, welche bürgerlichen Rechte und Pflichten im Einzelnen Vorrang hätten, soll nach dieser Auffassung einer wertenden Auslegung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 Abs. 2 GG entwickelte Wechselwirkung zwischen Schrankeninterpretation und Grundrechtsgehalt (vgl. Rdn. 36) überlassen bleiben.86 Die Gegenmeinung macht geltend, daß mit der Lösung der Religionsfreiheit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung und ihrer Aufnahme in den an der Spitze des Grundgesetzes stehenden Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte ihre Tragweite gegenüber der Ausgestaltung in Art. 135 WRV erheblich verstärkt worden sei, was zu einer inhaltlichen Veränderung des Art. 136

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B G H G A 1961 240; BVerwG N J W 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; BayObLG N J W 1964 1149; Eser S. 1030f; £ Fischer S. 69; Geiger Festschrift Leibholz S. 199; Hamann-Lenz Art. 4 Anm. Β 15; Maiwald S. 80; Maunz/Dürigl Scholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 69; Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 10; abw. Hermuth FuR 1983 204; Wiehert S. 106. So insbesondere des Bundesverfassungsgerichts durch verstärkte Anforderungen auf der Beweisebene (BVerfGE 34 164, 195; 47 327, 385; 50 256, 262), die Versagung des Schutzes für Verhaltensweisen, die sich nur bei Gelegenheit einer Religionsausübung einstellen (BVerfGE 17 302, 305; 19 129, 133) und die Auslegung, das Grundgesetz habe nicht irgendeine, wie immer auch geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat (BVerfGE 24 226, 246; ähnlich schon BVerfGE 12 1, 4), wobei die Kulturadäquanzformel ungeachtet weitgehender Zustimmung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. die Nachweise bei Fehlau JuS 1993 443 Fn. 26) sich namentlich im Hinblick auf das Prinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates (vgl. Vor § 166 Rdn. 1 mit Fn. 1) dazu noch als verfassungsrechtlich bedenklich erweist (Fehlau JuS 1993 443; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 97; ferner v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 151 Fn. 58; Heckel Z E K R 44 [1999] 353; Kästner JZ 1998 978 f; Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur

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S. 240; Link Z E K R 43 [1998] 22; Veelken S. 69), vom Bundesverfassungsgericht inzwischen auch zumindest relativiert worden ist (vgl. insb. BVerfGE 41 29, 50). Bock AöR 123 (1998) 467 f, 471 f; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 81; HdStR Rdn. 82; Heckel Z E K R 44 (1999) 353; Jarassl Pieroth/Jarass Art. 4 Rdn. 17, Art. 140/Art. 136 WRV Rdn. 2; Kästner JZ 1998 980, 981 f; AöR 123 (1998) 435; v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rdn. 76; Martens S. 352; Muckel Freiheit S. 227 f; Festschrift Isensee S. 253 ff; Staat 38 (1999) 591; Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 30, Art. 140/Art. 136-139, 141 WRV Rdn. 38; Sachs/Ehlen Art. 140 Rdn. 4; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 89; vgl. auch Stolleis, der einerseits davon ausgeht, das Grundgesetz habe auf einen Gesetzesvorbehalt bei Art. 4 verzichtet, andererseits aber meint, im Hinblick darauf, daß Art. 136 WRV geltendes Verfassungsrecht sei, müsse der Vorrang staatsbürgerlicher Pflichten wenigstens im Grundsatz anerkannt werden (JuS 1974 773 f). Im Zusammenhang mit dieser Auffassung wird, durchaus konsequent, die Forderung erhoben, in Art. 4 Abs. 2 G G eine ausdrückliche Schrankenregelung aufzunehmen (Fehlau JuS 1993 446 mit Formulierungsvorschlag; vgl. auch Kästner JZ 1998 981; AöR 123 [1998] 435). Ob diese zu denselben Ergebnissen führt, wie sie beim Einsatz der Religionsfreiheit als schrankenlos gewährtes Rechtsmittel zu verzeichnen sind (v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 77), ist freilich zu bezweifeln (so mit guten Gründen Kuhl/Unruh S. 99).

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Abs. 1 WRV geführt habe, durch die diese Verfassungsnorm nach Bedeutung und innerem Gewicht im Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung von Art. 4 Abs. 1 G G überlagert werde.87 Diese Interpretation verdient gegenüber einer rein formalen Betrachtung den Vorzug.88 Unterliegt aber das Grundrecht der Religionsfreiheit, wie andere vorbehaltlos gewährte Grundrechte, einzig den aus der Verfassung selbst entwickelten Schranken, 89 wird die Verbreitung eines Kunstwerks, das durch die ihm innewohnende Aussage das Gebot des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis anderer zu achten, in so grober Weise verletzt, daß dies geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, durch das hier als schwächer einzustufende (vgl. Rdn. 34) Grundrecht der Freiheit der Kunst nicht mehr gedeckt. 90 Dies gilt zu Lasten der Kunstfreiheit selbst dann, wenn die gebotene Rücksicht auf Kosten der Vollständigkeit der künstlerischen Aussage geht (BayObLG NJW 1964 1149, 1150 mit insoweit zust. Anm. Ott).91 mm) Allerdings wird § 166 in seiner das Grundrecht der Kunstfreiheit begrenzen- 3 6 den Wirkung insofern selbst wieder eingeschränkt, als bei seiner Auslegung die Bedeutung berücksichtigt werden muß, die dieses Grundrecht im freiheitlich demokratischen Staat hat. 92 Diese „Wechselwirkung" 93 gebietet, bei künstlerischen Äußerungen höhere Anforderungen an das Beschimpfen zu stellen, als an sonstige Aussagen oder Gebilde. 94 Dem wird dadurch Rechnung getragen, daß nur besonders rohe Äußerungen der Mißachtung als Beschimpfung genügen (OLG Köln NJW 1982 657, 658; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 10).95 Bei der Beurteilung stets zu beachten ist das Wesen 87

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BVerfGE 33 23, 30; Badura Schutz S. 15; Dreierl Morlock Art. 4 Rdn. 90, Art. 136 WRV/Art. 140 Rdn. 12; Fehlau JuS 1993 445 f; E. Fischer S. 65 ff; KuhllUnruh DÖV 1991 96; Leibholz/ RincklHesselberger Art. 140 Rdn. 102; v. Münch/ KuniglHemmrich Art. 140 Rdn. 7; Pache Jura 1995 153; Sachs!Kokott Art. 4 Rdn. 114; Veelken S. 193; vgl. auch Fleischer S. 33ff; Jeand'Heurl Koriolh Rdn. 126f; M. Mayer NVwZ 1997 563; Schmidt-BleibtreulKlein Art. 140 Rdn. 2; Trute Jura 1996 466. Zumal weitere Umstände angeführt werden können, die ihr zusätzliche Überzeugungskraft verleihen, so der Verzicht des Grundgesetzes, das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 135 WRV, das einen Gesetzesvorbehalt hat, zu inkorporieren, die Beschränkung des Art. 136 Abs. 1 WRV auf die Religionsfreiheit, während Art. 4 Abs. 1, 2 G G auch die Gewissensfreiheit erfaßt, die Entscheidung über die Inkorporierung des Art. 136 WRV zu einem Zeitpunkt, als ein Gesetzesvorbehalt innerhalb des Art. 4 G G bereits abgelehnt worden war (zu alledem Dreier/Morlok Art. 4 Rdn. 90, Art. 140/ Art. 136 WRV Rdn. 4 mit Fn. 8, 12), schließlich die eigentliche Bedeutung des Art. 136 Abs. 1 WRV als Diskriminierungsverbot (Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 113). Mit einer Grundrechtskollision, deren Lösung allein in unmittelbarer Verfassungsgüterabwägung (dazu ausführlich Rdn. 34) zu suchen ist. Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 10; ferner Erbel Z U M 29 (1985) 295; Leib-

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hohl Rinckl Hesselberger Art. 5 Rdn. 1061 (für den Fall der Ehrenkränkung). Zur wesentlich einfacheren Behandlung des Problems des Verhältnisses von Kunstfreiheit und begrenzendem Gesetz nach Art. 142 Satz 1 WRV, dem Vorbild von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, im Wege der von Anschütz mit Blick auf die Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 118 Abs. 1 Satz 1 WRV und der Religionsfreiheit des Art. 135 WRV entwickelten „Analogielösung" (Art. 142 Anm. 2) ausführlich Knies S. 26 ff; vgl. auch Ott Kunst S. 106 f. BVerfGE 12 113, 124f mit krit. Anm. SchmidtLeichner NJW 1961 819, 820; BGH G A 1961 240; LacknerlKühl Rdn. 4, § 193 Rdn. 14; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10. Vgl. schon BVerfGE 7 198, 207; ferner Degenhardt BK Art. 5 Abs. 1 und 2 Rdn. 70; LacknerlKühl § 193 Rdn. 1; Lenckner Gedächtnisschrift Noll S. 254; Krüger-Nieland G R U R 1968 525; Schmidt Glaeser N J W 1996 874. BayObLG N J W 1964 1149, 1150 mit Anm. Ott; O L G Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katho/nigg NStZ 1986 555; Eser S. 1030; Krüger-Nieland G R U R 1968 525; Locher S. 37; Schick S. 67. So erweist sich beispielsweise die verfremdete Kreuzesdarstellung im Bühnenbild einer alternativen Karnevalssitzung durch Ersetzung der Inschrift „ I N R I " mit dem Namenszug „Tünnes" als roh, aber nicht besonders roh im Ausdruck (AG Köln KirchE 31 353, 355).

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der zeitgenössischen Kunst 96 und zwar auch dann, wenn dieses Wesen nicht ganz leicht verständlich ist, etwa dem Leser eines Gedichts schwierigere Überlegungen zumutet. 97 Das bedeutet, daß es weder auf die Empfindungen ankommt, die das Werk bei an zeitgenössischer Kunst nicht interessierten Menschen auslöst, noch auf die Deutungen, die Personen mit gründlichen Kenntnissen auf dem betreffenden Gebiet ihm geben. Entscheidend ist vielmehr der Eindruck des Kunstwerks, wie er sich nach seinem objektiven Sinngehalt auf einen künstlerisch aufgeschlossenen, zumindest um Verständnis bemühten, wenn auch künstlerisch nicht notwendig vorgebildeten Menschen ergibt. 98 Verfehlt wäre, bei der Beschimpfung zunächst darauf abzuheben, was, auch nach dem Selbstverständnis des Urhebers (dazu Isensee Freiheitsrechte S. 16f), der zum Ausdruck gekommene Sinn der Darstellung ist (so aber Tröndle48 Rdn. 8), weil dadurch in die objektive Betrachtungsweise ein subjektives Element gelangen würde. Starre Richtlinien, wo bei künstlerischen Darstellungen die Grenze zwischen dem erlaubten und dem verbotenen Eingriff in fremde Persönlichkeitsspähren verläuft, lassen sich kaum aufstellen (Krüger-Nieland GRUR 1968 525; vgl. schon Rdn. 31). Als allgemeine Regel kann gelten, daß die Kunstfreiheit ihre Grenze im Neminem-laedere-Gebot findet (Isensee AfP 24 [1993] 626). Um im Einzelfall zum Ausgleich zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem Toleranzgebot des § 166 zu

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BGH GA 1961 240 („missa profana") = UFITA 1962 181 und KirchE 5 311, jeweils mit vollständigem Abdruck; Text auch bei Leiss Kunst S. 419; Ott Kunst S. 123f; dazu die ausführliche Darstellung bei Skriver S. 102 ff. Mit dieser Entscheidung vollzog der Bundesgerichtshof die Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsgerichts, wie sie sich in der Strafsache gegen den Maler George Grosz wegen mehrerer Blätter aus der Kunstmappe „Hintergrund, 17 Zeichnungen zur Aufführung des Schwejk in der Piscatorbühne" von 1927, insbesondere des Bildes Nr. 10, das den gekreuzigten Christus mit einer Gasmaske vor dem Gesicht und Soldatenstiefeln an den Füßen darstellt und den Schriftzug trägt „Maul halten und weitermachen" (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 19 mit Fn. 85), verfestigt hatte (RGSt. 64, 121, 125 ff), daß nämlich für das Verständnis der verletzenden Darstellung und für die Umgrenzung des geschützten Rechtsguts es auf das schlichte Gefühl des einfachen, religiös gesinnten Menschen ankomme, dem gegenüber die künstlerische Intention und der künstlerische Wert der Darstellung grundsätzlich bedeutungslos sei. Vgl. dazu die scharfsinnige Würdigung bei Noll ZStW 77 (1965) 34 f; ferner Beisel S. 27ff; Erhardt S. 123, 201; W. Heinz S. 60; Henkel ZStW 51 (1931) 917f; Krams Gedächtnisschrift Noll S. 229; Leiss N J W 1962 2324; Kunst S. 379ff; Locher S. 38ff, insb. S. 43; Lynen S. 281; Maunz/DüriglScholz Art. 5 Abs. 3 Rdn. 69; Maurach!SchroedertMaiwald 2 § 61 Rdn. 13; Oettinger JZ 1974 285; Schick S. 2, 5; Skriver S. 102 ff (mit einem Abdruck der wörtlichen Wiedergabe der Vernehmung von Grosz im „Tagebuch" Nr. 9, Berlin 1928, S. 2210 ff);

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Würkner Freiheit S. 30 ff; Würtenberger Festschrift Dreher S. 86f; N J W 1982 613. Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Fragen der strafrechtlichen Beurteilung von Kunst seit 1893 Ott Kunst S. 116fT. So etwa im Fall RGSt. 61 151, in dem es um ein im Unterhaltungsteil einer Tageszeitung veröffentlichten Gedicht von Carl Zuckmayer aus der Reihe „Märzgesänge" geht, das die sich unter Schmerzen erneuernde Natur im Frühjahr mit der ebenfalls unter Weh sich vollziehenden geistigen Erneuerung im Erlösungswerk Christi vergleicht (dargestellt auch bei Leiss Kunst S. 358 f). BGH G A 1961 240; BayObLG N J W 1964 1149, 1150 mit insoweit zust. Anm. Ott; OLG Koblenz N J W 1997 1175; O L G Köln N J W 1982 657, 658; Herzog N K Rdn. 9; Locher S. 44f; Noll ZStW 77 (1965) 34 f; Rudolphi SK Rdn. 11; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 10; Würtenberger Festschrift Dreher S. 87; vgl. auch Tröndle/ Fischer § 90 Rdn. 7b. Krauss meint dazu kritisch, in Wirklichkeit gehe es nicht um die tatsächlichen Meinungen und Anschauungen des Durchschnittsbürgers, sondern um das Abbild, das sich die Strafverfolgungsbehörden vom Durchschnittsbürger machen und vorweisen, um ihre Einstellung und ihr Verhalten bei der Verfolgung künstlerischer Betätigungen zu legitimieren (Gedächtnisschrift Noll S. 229); ähnlich Zechlin KG 1982 257 f; ebenfalls krit. Ignor S. 136f; Oettinger JZ 1974 286. Zum Ganzen auch Hüttemann S. 29 ff; Kiewitz S. 73 ff; Leiss N J W 1962 2323 f; Listi Grundrecht S. 298.

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gelangen, bedarf es sorgfaltiger Abwägung unter Würdigung aller Umstände." Dabei kann gelten, daß die Beachtung des Wertesystems des Grundgesetzes und die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertordnung nur selten zu einem Vorrang der Kunstfreiheit führen wird, weil die religiöse Beschimpfung den existentiellen Lebensbereich in seinem Glaubensbezug verletzt (Otto BT § 64 Rdn. 7). Oft sind ungeachtet aller Vorbehalte gegen ein staatliches Kunstrichtertum auch qualitative Differenzierungen nach dem künstlerischen Wert des Werkes nicht zu vermeiden. 100 Dann kommt die Hilfe eines Sachverständigen in Betracht, 101 dem das Gericht sich freilich nicht bedingungslos anvertrauen darf. 102 Beachtenswert könnte eine zur Rechtsanwendung in Österreich entwickelte Auffassung sein. Mayerhofer räumt ein, daß auch dort gewisse Wertungen im Rahmen der Rechtfertigung von Werken der Kunst nicht zu umgehen seien (ÖJZ 34 [1984] 197). Er hält es an Hand der Tendenzen in der Judikatur zur Einstufung eines Werkes als Kunst aber für genügend, wenn dem Schöpfer nach objektiven Kriterien zugebilligt werden könne, er glaube als Künstler gehandelt zu haben, wobei das Werk jedoch darüber hinaus irgend etwas mit Kunst zu tun haben müsse (ÖJZ 34 [1984] 198; 36 [1986] 580), eine Vorgabe, die, weil sie eine Wertung der Qualität des Geschaffenen vermeidet, die Zuziehung eines Sachverständigen überflüssig machen würde (ÖJZ 36 [1986] 580).103 nn) Dem weiten Bereich der Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G zuzuordnen sind auch Karikaturen und satirische Darstellungen.104 Ihnen ist eine Verfremdung wesenseigen, die regelmäßig darin liegt, daß der zum Ausdruck gebrachte Gedanke inhaltlich nach dem „Prinzip der transparenten Entstellung" (Preisendanz Satire S. 143) bewußt verzerrend über den wirklich gemeinten Gedankenkern erstreckt wird.105 Daraus ergeben sich zwei Auslegungsebenen, die eigentliche Aussage, also der

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BVerfGE 81 278, 289 f; BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Koblenz NJW 1997 1174; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10; vgl. auch Wolfrum SchlHA 1984 5; krit. Zechlin KJ 1982 251 f. Lenckner Gedächtnisschrift Noll S. 253 f; vgl. auch Mahrenholz HdVerfR Rdn. 36; Zöbeley NJW 1998 1373 mit praktischen Hinweisen, wie die juristische Interpretation eines Sachverhalts unter das nie mit letzter Sicherheit zu bestimmende Tatbestandsmerkmal Kunst möglicherweise doch vermieden werden kann. BGH GA 1961 241, 242; BVerwG NJW 1967 1483, 1485 f; OLG Hamburg NJW 1964 559, 560; Denninger Rdn. 8; Geiger Festschrift Leibholz S. 190, 193; Hermulh FuR 27 (1983) 202; Knies S. 162 ff; Noll ZStW 77 (1965) 34; Maiwald S. 81; Mosel FuR 9 (1965) 179f; Ott Kunst S. 127f; Tröndle48 Rdn. 8; Würtenberger Festschrift Dreher S. 87 f; JR 1979 309; einschränkend W. Heinz S. 53; v. MangoldtlKlein!Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 281; Wiehert S. 47; differenzierend auch Haberle AöR 1958 606f. F. Müller meint in diesem Zusammenhang, daß Sachverstand zwar aufschlußreiche Aspekte an Kunst und Kunstwirkung aufdecken, sie aber weder erklären noch meßbar machen könne (JZ 1970 90). Zöbeley NJW 1985 256; krit. auch Isensee, der

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anmerkt, daß das Dilemma sich nur verschiebe, nämlich auf die Frage, wer Kunstsachverständiger ist (AfP 24 [1993] 622); ferner Beisel S. 76; Denninger Rdn. 8; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 23; Knies S. 164; Oettinger JZ 1974 286 f; Ott Kunst S. 112, 127f; Würtenberger Festschrift Dreher S. 85, 87; extrem and. Schick S. 129 ff (Übernahme des Sachverständigenurteils ohne richterliche Uberprüfung). Vgl. zum Ganzen auch Berka, der sich einerseits gegen jede Beurteilung der Qualität eines Kunstwerks in der Rechtsanwendung ausspricht, andererseits aber zugesteht, daß sie sich bei der Abgrenzung zwischen dem Kunstwerk und dem schieren Machwerk einer solchen Wertung nicht wird entziehen können (JurBl. 1983 2840Dies entspricht allgemeiner Auffassung, wie sie zumindest inzident den entsprechenden Entscheidungen und Meinungsäußerungen zum Konflikt zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich zugrundeliegt; vgl. aber Rittig S. 212. Zur Entwicklungsgeschichte von Satire und Karikatur Erhardt S. 124 ff. Erstmals RGSt. 62 183, 184; ferner BVerfGE 75 369, 377 f; 81 278, 294; 86 1, 11; BGHSt. 37 57, 60; BGH NJW 2000 1036; BayObLG NJW 1957 1607; UFITA 1966 356; OLG Celle NdsRpfl. 1961 181; NJW 1986 1275; OLG Düssel-

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Sinngehalt dessen, was tatsächlich gemeint ist (Aussagekern) und die karikierende oder satirische Einkleidung, die das Werk zur Karikatur oder Satire macht. 106 Die Würdigung des Aussagekerns folgt den Maßstäben, wie sie für die Beurteilung eines jeden Kunstwerks gelten (RGSt. JW 1924 1526, 1527; Würtenberger NJW 1982 613). Die karikierende oder satirische Einkleidung hingegen darf nicht an den allgemeinen Maßstäben gemessen werden. 107 Grenzen gibt es aber auch hier, etwa unter dem Blickwinkel der Unantastbarkeit der Menschenwürde (vgl. BVerfG NStZ 1988 21, 22 mit Anm. Wiirkner, E. Steffen S. 376 f). Allgemein kann gelten, daß eine Karikatur, die in den durch Art. 1 Abs. 1 G G geschützten Kern menschlicher Ehre eingreift, durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht gedeckt ist (BVerfGE 75 369, 379 f; Leibholz/RincklHesselberger Art. 5 Rdn. 1062). Prüfstein für die Richtigkeit der Grundrechtsauslegung ist die Verallgemeinerungsfahigkeit des Ergebnisses, die sich etwa daran zeigt, daß es Bestand behielte, wenn der Angegriffene eine beliebige andere Person wäre oder Täter und Opfer ausgewechselt würden. 108 Voraussetzung dafür, daß das Werk nach den besonderen Maßstäben dieser Kategorie der Kunst gemessen werden kann, ist freilich die Erkennbarkeit der vom Aussagekern trennbaren karikaturistischen oder satirischen Einkleidung (vgl. Mahrenholz HdVerfR Rdn. 43). Es gibt aber Darstellungen, bei denen diese Beschaffenheit wegen der Plumpheit des Ganzen kaum auszumachen ist.109 Deren Würdigung unterliegt als Gesamtwerk den allgemein für Kunstwerke geltenden Maßstäben. 110 38

b) Das öffentliche Beschimpfen des Bekenntnisses unterliegt enger Begrenzung. aa) Grundsätzlich ist eine Beschimpfung öffentlich, wenn sie unbestimmt von welchen und wie vielen (RGSt. 37 289, 290) nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen (RGSt. 40 262, 263) anderen wahrgenommen werden kann. 111 Diesem rein dorf N J W 1983 1211; OLG Hamburg M D R 1967 146; N J W 1985 1654 mit Bespr. Geppert JR 1985 430; O L G Hamm N J W 1982 659, 660; O L G Karlsruhe NStZ 1986 364; KG NStZ 1992 385, 386 mit Bespr. Lieschinglv. Münch NStZ 1999 85; O L G Köln AfP 14 (1983) 285, 286; LG Bochum NStE § 166 Nr. 2; LG Düsseldorf NStZ 1982 290; LG Frankfurt N J W 1982 658, 659; LG Köln NStZ 1982 290; LG Saarbrücken N J W 1963 1071, 1072; AG Hamburg N J W 1989 410; AG Köln KJ 1982 198, 203; Dreierl Pernice Art. 5 III (Kunst) Rdn. 37; Erhardt S. 120ff; W.Heinz S. 61 f; Herdegen LK 1 0 § 185 Rdn. 23, 24; HillgruberlSchemmer JZ 1992 946; Ignor S. 131 f; Lackneri Kühl Rdn. 4; Lynen S. 61; Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; E. Steffen S. 360; U. Wolf S. 36 f; Würkner JA 1988 187; Würtenberger N J W 1982 610; 1983 1145; Zechlin KJ 1982 256f; N J W 1984 1093; vgl. auch TröndlelFischer § 185 Rdn. 8, §193 Rdn. 38. 106

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K. A. Fischer S. 62 f; Erhardt S. 122f; W. Heinz S. 61 f; Ignor S. 132 ff; Isensee AfP 24 (1993) 624; Maiwald S. 72; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; E. Steffen S. 360, 372; Würkner JA 1988 187f; Würtenberger N J W 1982 612f; krit. Rittig S. 216, 221. So schon RGSt. 62 183, 184f; ferner BayObLG N J W 1999 1982 mit Anm. Foth JR 1998 384;

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O L G Hamburg M D R 1967 146, 147; N J W 1985 1654; O L G Köln JMB1NRW 1983 36, 39. Isensee AfP 24 (1993) 627 mit Beispielen, bei denen dies zu verneinen sein dürfte; vgl. auch die Kritik bei Schmitt Glaeser N J W 1996 874 fT. Foth JR 1989 387 (Anm. zu BayObLG N J W 1999 1982); Seh!Schröder/Lenckner Rdn. 10; vgl. dazu auch K. A. Fischer S. 62 f; Schmied S. 52; Würtenberger N J W 1982 612f. Als Beispiele dieser Art dürften die Fälle O L G Karslruhe NStZ 1986 363 (Schilderung der Erstkommunion als „weiß blutige Hochzeit") und LG Frankfurt N J W 1982 658 („Seitengänger"-Ratschlag für das Bekreuzigen) anzusehen sein (vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10). Zu vergleichbaren Fällen in Österreich Triffterer/Schmoller ÖJZ 43 (1993) 575 fr. Zur kriminalpolitischen Bedeutung von Beschimpfungen durch Karikatur und Satire detaillierte Angaben bei Wolf Seit 1949 (bis 1992) sind 44 veröffentlichte Entscheidungen zu solchen Sachverhalten ergangen (S. 61 mit Fn. 141), davon 10 zu § 166 (S. 63 mit Fn. 151). So das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung, z. B. RGSt. 65 112, 113; RGSt. 72 67, 68; 73 90. Zuvor hatte es das Wesen der Öffentlichkeit in der Unbestimmtheit des anwesenden Personenkreises gesehen (z. B. RGSt. 10 296, 297; 38 207, 208; 63 432). Die jüngere Rechtspre-

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quantitativen Öffentlichkeitsbegriff liegt der Gedanke zugrunde, daß eine herabsetzende Äußerung in einem nicht übersehbaren und abgrenzbaren Zuhörerkreis besonders gefährlich ist (Beisel S. 347; Rudolphi SK Rdn. 12; Schroeder GA 1964 231). Dementsprechend fehlt es an der Öffentlichkeit ebenso bei der Wahrnehmung durch einen unbeteiligten Dritten (RGSt. 65 112, 114), wie durch einen nach Individualität bestimmten Personenkreis (RGSt. 21 254, 256), so beispielsweise den versammelten Mitgliedern eines Clubs (Horn SK § 74d Rdn. 5; vgl. aber OLG Hamm NJW 1973 817, 818), den im Warteraum eines Krankenhauses anwesenden Patienten und Besuchern (OLG Hamm GA 1980 222, 224) oder den im Aufenthaltsraum einer Landespolizeischule feiernden Polizeischülern, wobei das Hinzutreten von drei nicht zu diesem Kreis gehörenden Personen Öffentlichkeit herstellt (OLG Celle NStZ 1994 440, 441). Eine im vertrauten Kreis vorgenommene Beschimpfung wird auch dann nicht zu einer öffentlichen, wenn sie später ohne den Willen des Äußernden in die Öffentlichkeit dringt (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 11). Macht derjenige, der die Äußerung verbreitet, sie sich zu eigen, so kann jedoch dieser nach § 166 strafbar sein (vgl. schon Rdn. 25). bb) Äußerungen in Versammlungen erfüllen den Tatbestand ebenfalls nur bei 3 9 öffentlicher Tatbegehung. Da anders als etwa in den §§ 80 a, 86 a, 90, 90 a und 90 b die auf eine Versammlung abstellende Alternative nicht in den Tatbestand aufgenommen ist,112 scheiden Äußerungen in geschlossenen Versammlungen von vornherein aus. Beschimpfungen in Betriebsversammlungen, Mitgliederversammlungen und ähnlichen Veranstaltungen sind daher selbst dann nicht öffentlich, wenn viele Personen teilnehmen (Rudolphi SK Rdn. 12). So ist eine in einer Schule ausgesprochene Beschimpfung nicht öffentlich verübt, wenn die Schule nur von den Schülern und den Schulbeamten betreten wird (RGRspr. 9 151, 152). Es reicht auch nicht allein schon aus, daß die Versammlung an einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort stattfindet (OLG Celle NdsRpfl. 1960 234, 235). Deshalb stellt nicht jede in einer öffentlichen Gerichtssitzung vorgenommene Beschimpfung eine öffentliche dar.113 Dagegen genügen Beschimpfungen vor Arbeitern einer Fabrik in einem Raum, in dem nur die, aber auch alle, Beschäftigten Zutritt gehabt hätten (RGSt. 22 241), sowie beschimpfende Äußerungen in einem Eisenbahnabteil, das mit Personen besetzt ist, die nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind (RGSt. 58 53, 54; 65 112, 114). cc) Öffentliche Begehung dadurch, daß Dritte von der Äußerung Kenntnis nehmen 4 0 können, setzt Umstände voraus, nach denen diese Möglichkeit naheliegt. Wäre eine Kenntnisnahme eher ungewöhnlich, ist öffentliche Begehung zu verneinen, so bei Beschimpfungen auf einer Postkarte, weil es sicher nicht der Regel entspricht, daß Karten beim Durchlaufen des Postbetriebs von Postbediensteten gelesen werden (Laufhütte LK § 90 Rdn. 7).114 Öffentlichkeit entsteht aber auch nicht durch Zusam-

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chung des Reichsgerichts hat noch immer absolute Gültigkeit (vgl. ζ. B. BayObLGSt. 1956 187, 188; OLG Celle NdsRpfl. 1960 234, 235; KG JR 1984 249; Franke G A 1984 458; Eser S. 1031; Holstein S. 155f; Rudolphi SK. Rdn. 12; Schroeder GA 1964 231; TröndlelFischer § 111 Rdn. 5). Wohl wollte der E 1962 neben dem Beschimpfen in öffentlicher Form sowie durch Verbreiten von Schriften auch das Beschimpfen in einer Versammlung unter Strafe stellen (§ 188, Begr. S. 344). Doch hat das 1. StrRG bewußt hierauf

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verzichtet (Prot. V/121 S. 2427; BTDrucks. V/4094 S. 290RGSt. 63 431, 432; BayObLG LZ 1914 1136, 1137; OLG Hamm JMB1NRW 1951 164; Sehl Schröder/Lenckner § 186 Rdn. 19. Unrichtig daher RG H R R 1932 Nr. 1798; O L G Kiel JW 1931 2523, 2524 mit Anm. Engelhard. Richtig hingegen RGSt. 37 289, 290 f (für den Fall der Versendung einer beleidigenden Drucksache).

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menrechnung der sukzessiven Kenntnisnahmen mehrerer Personen bei der fortgesetzten Handlung, wenn der Täter diesen die Äußerung aufgrund eines Gesamtvorsatzes nacheinander mitteilt. 115 Hingegen genügt es, wenn eine Äußerung zur unmittelbaren Wahrnehmung durch einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis angeboten wird {LackneriKühl § 80 a Rdn. 2), beispielsweise durch Sprechfunk auf einer von vielen empfangenen Frequenz (OLG Celle M D R 1966 347), im Bildschirmtextverfahren (Walther NStZ 1990 523), im Internet (OLG Nürnberg C u R 1998 686) oder in einem nicht speziell gesicherten Mailbox-Bereich (OLG Frankfurt wistra 1999 30, 31 mit Anm. Rückert). 41

c) Schriften als Mittel des Beschimpfens durch Verbreiten sind auch in abgewandelten Formen anerkannt. aa) Der Begriff Schriften ist auf alle Darstellungen ausgedehnt, die wie Schriften geeignet sind, die Vorstellungen von Sinnzusammenhängen zu vermitteln. Das stellt, wie auch in anderen Vorschriften, beispielsweise den §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 1, 184 Abs. 1, der Hinweis auf § 11 Abs. 3 klar. Diese Fassung, die bei der Beschimpfung durch Verbreitung von Schriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen praktisch Öffentlichkeit unterstellt (Eser S. 1031), hat den früheren Streit darüber, ob eine Äußerung auch in bildlichen Darstellungen liegen kann (verneinend KohlrauschiLange Anm. III, bejahend RGSt. 64 121, 122) entschieden. Schriften stehen deshalb stellvertretend für die übrigen in § 11 Abs. 3 genannten Medien (Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen), weil sie der praktisch häufigste Anwendungsfall des Verbreitens sind (E 1962 Begr. S. 121). Den eigentlichen Oberbegriff bildet jedoch die Darstellung (so bereits RGSt. 47 223, 224; 47 404, 405 f), was seit der Verwendung des Wortes „andere" als Verbindung nicht mehr zweifelhaft ist (Lackner/Kühl § 11 Rdn. 28; Sehl Schröder! Eser § 11 Rdn. 91; TröndlelFischer § 11 Rdn. 33). Welches der Medien vorliegt, hängt von der Art ihrer Gegenständlichkeit sowie davon ab, wie diese wahrgenommen werden kann.

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bb) Schriften bestehen aus einer Zusammenstellung verkörperter Zeichen, die durch Augen oder Tastsinn wahrnehmbar sind und unmittelbar Worte, mittelbar Gedanken darstellen. 116 Für die Wahrnehmbarkeit reicht aus, daß sie erst unter Einsatz technischer Hilfsmittel möglich ist." 7 Vom gesprochenen Wort unterscheiden sie sich ihrem Wesen nach dadurch, daß sie jederzeit nachgelesen, vervielfältigt und weitergegeben werden können (BGHSt. 13 375, 376; 18 63, 64). Wer nur an einen einzelnen Empfanger schreibt, stellt keine Schrift im Sinne des § 166 Abs. 2 her (BGHSt. 13 375, 376). Auf die Herstellungsweise und den Inhalt kommt es nicht an. Ebenso wie ein handschriftlich verfaßtes Einzelstück sind auch Geheim-, Kurz- oder Bilderschriften in Betracht zu ziehen (SehlSchröderIEser § 11 Rdn. 78). Ob eine Zusammenstellung den vorgesehenen Endzustand als Schrift erreicht hat, ist ohne Bedeutung. 115

So aber Schroeder G A 1964 235 mit dem Beispiel des Vorstandsmitglieds, das nach dem Ausfall einer Vereinssitzung die Mitglieder zwecks Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsache nacheinander einzeln aufsucht (wobei eine Äußerung in der Versammlung schon nicht öffentlich gewesen wäre). Vgl. andererseits § 167 Rdn. 14 zur Zusammenrechnung des Gewichts von einzelnen gleichartigen Handlungen, die für sich allein keine Störung darstellen, zu einer groben Störung.

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BGHSt. 13 375, 376; RGSt. 47 223, 224; Lackner/Kühl § 11 Rdn. 27; Sch/SchröderlEser § 11 Rdn. 78; Tröndlel Fischer § 11 Rdn. 34. Derksen N J W 1997 1878, 1881; Franke G A 1984 452, 454 f; Pelz wistra 1999 53; Sehl Schröder/ Eser § 11 Rdn. 78; Sieber JZ 1996 494, 495; Tröndlel Fischer § 11 Rdn. 36; Walther NStZ 1990 523.

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So können schon Platten, Drucksätze, Negative und Matritzen verbreitet werden (BGHSt. 32 1, 4; Lackneri Kühl § 11 Rdn. 27). Datenträger der Internet-Berichte {Homepage) stellen nicht schon als solche Schriften dar {SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 78),118 stehen ihnen jedoch gleich (§ 11 Abs. 3; dazu auch Rdn. 45). cc) Als Tonträger gelten Gegenstände, die technisch gespeicherte bestimmte 4 3 sprachliche oder musikalische Laute enthalten und durch Wiedergabegeräte für das Ohr wahrnehmbar gemacht werden können {SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 78; Tröndle! Fischer § 11 Rdn. 35). Dazu gehören Magnetbänder, Magnetkassetten, Magnetplatten, Schallplatten und Walzen (vgl. RGSt. 47 223, 224; 47 404, 405f; OLG Düsseldorf NJW 1967 1142), aber auch elektronisch lesbare binär codierte Informationspeicher wie Compact Discs und Datenträger {Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 35). dd) Auf Bildträgern sind statt Tonfolgen Bilder, Bildfolgen, Grafiken oder Texte 4 4 gespeichert, die durch technische Einrichtungen für das Auge wahrnehmbar gemacht werden können. Hierzu zählen Magnetbänder, Magnetkassetten und Magnetplatten, Video-Recorder oder ähnliche Kassetten, wie sie für privates Fernsehen oder im Bildschirmtextverfahren verwendet werden, ferner vor allem auch die Kombinationen von Bild- und Tonträgern wie Videobänder und Bildplatten, pornographische Filme eingeschlossen.119 ee) Im Hinblick auf die Auffassung, daß die Darstellung nur ein körperliches 4 5 Gebilde von gewisser Dauer ist (vgl. Rdn. 47), hat Art. 4 Nr. 1 IuKDG 1 2 0 den Katalog des § 11 Abs. 3 um den Begriff Datenspeicher erweitert. Damit kommt es auf die Art der Fixierung, ob elektronische, elektromagnetische, optische, chemische oder sonstige Datenspeicher, nicht mehr an.121 Erfaßt werden auch Inhalte, die nur vorübergehend in elektronischen Arbeitsspeichern bereitgehalten werden, nicht aber kurzfristige Zwischenspeicherungen, bei denen es an der erforderlichen, auf einige Dauer angelegte Fixierung fehlt. Näher zum Ganzen LacknerlKühl § 11 Rdn. 28; Sehl Schröder! Eser § 11 Rdn. 78; Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 36, 36a. ff) Abbildungen sind Wiedergaben von körperlichen Gegenständen oder Vorgän- 4 6 gen der Außenwelt, die unmittelbar durch Gesichts- oder Tastsinn wahrgenommen werden können. Hierzu zählen namentlich Zeichnungen, Gemälde, Fotos und Diapositive {SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 78; Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 37), in der Regel auch Filme (RGSt. 39 183; 46 392). gg) Der farblose (E 1962 Begr. S. 121) Oberbegriff Darstellung hat die Funktion, 4 7 die als Schriften, Ton- oder Bildträger, Datenspeicher und Abbildungen nicht erfaßten Vergegenständlichungen aufzufangen. Dementsprechend gilt als Darstellung jedes sinnlich wahrnehmbare körperliche Gebilde, das eine Vorstellung oder einen Gedanken ausdrückt {Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 33), sofern seine Verkörperung nicht nur 118

119

120

(67)

Mißverständlich daher OLG Nürnberg CuR 1998 686, 687; NStZ-RR 1999 238, 240 mit Bespr. Otto J K O O § 166/1; Pelz wistra 1999 53; Rudolph, SK Rdn. 13. Zum Ganzen O L G Koblenz NStZ 1971 45; OLG Stuttgart NStZ 1992 38; LG Duisburg NStZ 1987 367; LacknerlKühl § 11 Rdn. 28; Sehl Schröder! Eser § 11 Rdn. 78; Stange CuR 1996 424, 426; Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 35; Walther NStZ 1990 523. Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen

121

für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und KommunikationsdiensteGesetz) vom 22.7.1997 (BGBl. I 1870; RegE BTDrucks. 13/7385). BTDrucks. 13/7385 S. 36. Zuvor schon OLG Stuttgart NStZ 1992 38; Derksen NJW 1997 1881 mit Fn. 43; Flechsig AfP 27 (1996) 342; Löhnig JR 1997 497; Sieber JZ 19% 495, 506; Walther NStZ 1990 523; vgl. auch Collardin CuR 1995 619; Franke G A 1984 461; Sieber D u D 1996 551 ; Stange CuR 1996 43.

Karlhans Dippel

§166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

vorübergehend besteht, sondern von einiger Dauer ist (RGSt. 47 404, 406; Rudolphi SK § 11 Rdn. 39; Sieber JZ 1996 495). Rein schauspielerische Aufführungen scheiden deswegen von vornherein aus (Rudolphi SK § 11 Rdn. 56; SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 78), daher wohl auch Pantomimen (and. Herzog NK Rdn. 11). Beispiele für Darstellungen sind abstrakte Bilder, Handstickereien, Plastiken (Herzog NK Rdn. 11; LacknerlKühl § 11 Rdn. 28), auch Porzellanfiguren (RG GA 57 400; Herzog NK Rdn. 11), Datenspeicher und Bildschirmtexte ( Walther NStZ 1990 523; vgl. auch Rdn. 44, 45). Die Grenzen sind fließend. So können beispielsweise Plastiken oder Handstickereien auch als Abbildungen gelten (SehlSchröder!Eser § 11 Rdn. 78). 48

d) Das Verbreiten von Schriften ist ungeachtet neuer Formen engen Voraussetzungen unterworfen, die bei Datenspeichern allerdings außerhalb des herkömmlichen Begriffs liegen. aa) Verbreiten ist eine Tätigkeit, die darauf abzielt, den Gegenstand einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen (finales Element).122 Dieser braucht nicht notwendig nach Zahl und Individualität unbestimmt zu sein,123 darf vom Täter jedenfalls aber nicht mehr kontrolliert werden können.124 Vorbereitungshandlungen können bereits vollendetes Verbreiten sein, so das Versenden eines Schriftstücks, weil der Täter es damit in einer Weise auf den Weg gebracht hat, daß er die Kenntnisnahme durch Dritte nicht mehr zu verhindern vermag (Entäußerungstheorie).125 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Gegenstand wirklich an eine größere Personenzahl gelangt ist (SehlSchröder/LencknerlPerron § 184 Rdn. 57). Verbreitet wird die Schrift auch dann, wenn der Täter sie dem anderen „vertraulich" zuleitet (BGHSt. 13 257, 258; RGSt. 7 113, 114). Wer Schriften zur Verbreitung entgegennimmt, kann sich schon dadurch an der Verbreitung beteiligen (BGHSt. 8 165, 166; LacknerlKühl § 74 Rdn. 5). Durch die Aushändigung nur an eine Person wird eine Darstellung selbst dann nicht verbreitet, wenn Zweck der Übergabe die Veröffentlichung ist (SchlSchröder!Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57).126 Anders kann es liegen, wenn der Gegenstand nicht vertraulich behandelt werden soll und der Täter damit rechnet, dies aber auch will, daß er an weitere Personen weitergegeben wird.127 Von dieser „KettenverbreiBGHSt. 13 257, 258; 13 375, 376; 19 63, 71; RGSt. 7 113, 114; 16 245, 246; RG HRR 1940 Nr. 1150; BayObLGSt. 1951 417, 422; 1958 18, 19; 1963 37, 38; BayObLG NJW 1979 2162; NStZ 1983 120, 121 mit Anm. Keltsch; NStZ 1996 436, 437; OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; OLG Köln NStZ 1990 241, 242; OLG München MDR 1989 180, 181; Franke GA 1984 467; Herzog NK Rdn. 12; Horn SK § 74 d Rdn. 5; LacknerlKühl § 74d Rdn. 5; Sehl Schröder!Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57; Tröndle!Fischer § 74d Rdn. 4; Walther NStZ 1990 524f. BGHSt. 13 257, 258; RGSt. 36 330, 331; LacknerlKühl § 74d Rdn. 5; Sehl Schröder!Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57. BGHSt. 13 257, 258 f; BayObLG NStZ 1983 120, 121 bei zutreffendem rechtlichen Ausgangspunkt aber zweifelhafter Subsumtion mit insoweit abl. Anm. Keltsch-, BayObLG NStZ 1996 436, 437; OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428; OLG Köln NJW 1982 657, 658; LacknerlKühl § 74d Rdn. 5; Sehl Schröder! Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57.

125

126

127

OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129; OLG Köln NStZ 1990 241, 242; OLG München MDR 1989 180, 181; Sehl Schröder! Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57. Vgl. auch OLG Frankfurt StV 1990 209, 210 zur Übersendung einer Pressemitteilung nur an bestimmte Redakteure, worin kein Verbreiten liegt, weil der Täter nicht beeinflussen kann, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang, die Nachricht veröffentlicht wird (SehlSchröderI Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57; zweifelnd Tröndle!Fischer § 74d Rdn. 4). BGHSt. 19 63, 71; RGSt. 7 113, 115; 15 118, 119; 16 245, 246; 30 224, 225; 55 276, 277; RG HRR 1940 Nr. 1150; BayObLG NJW 1979 2162; NStZ 1983 120, 121 mit Anm. Keltsch; OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428; OLG Hamm NJW 1970 1754, 1756; Eser S. 1031 f; Horn SK § 74d Rdn. 5; LacknerlKühl § 74d Rdn. 5; Sehl Schröder!Lencknerl Perron § 184 Rdn. 57; einschränkend Franke GA 1984 467.

Stand: 1. 7. 2003

(68)

Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

166

tung" eines Einzelstücks ist die „Mengenverbreitung" 128 einer Mehrzahl zur Verbreitung bestimmter Schriften zu unterscheiden. Sie beginnt mit der ersten Weggabe.129 Ob die Empfanger den Inhalt der Schrift zur Kenntnis genommen oder ihren Sinn begriffen haben, ist bei alledem ohne Bedeutung (Lackner/Kühl § 74d Rdn. 5; and. Franke GA 1984 465). bb) Die Sache muß ihrer Substanz nach weitergegeben werden, nicht etwa nur der 4 9 Inhalt. 130 Daher genügt Vorlesen ebensowenig 131 wie die Aushändigung zum Lesen (RG H R R 1940 Nr. 1150; Herzog N K Rdn. 12). Durch bloße Bekanntgabe, wie sie im Anschlagen, Ausstellen oder Auslegen liegt, wird ein Schriftstück nicht schon verbreitet, 132 wohl aber durch den Verkauf, beispielsweise eines Plakats (Jähnke LK § 78 Rdn. 16). Die Einreichung und Zustellung einer Klageschrift erfüllt das Merkmal nicht (BayObLG OLGSt. a.F. § 186 S. 5, 7; Tröndle/Fischer5" § 74d Rdn. 4). Aufkleber mit strafbarem Inhalt sind zwar Druckwerke und damit Schriften; doch liegt in ihrem Führen, beispielsweise im Straßenverkehr, kein Verbreiten. 133 Ebenso wird eine Schrift durch gedankenloses Liegenlassen, etwa in einem Eisenbahnabteil, nicht verbreitet (BayObLG OLGSt. a. F. § 186 Nr. 5; TröndlelFischer50 § 74 Rdn. 4). cc) Bei Datenspeichern (Rdn. 42, 45) kommt ein Verbreiten mangels gegenständ- 5 0 licher Gewahrsamsübertragung regelmäßig nicht in Betracht. Doch können sie als körperliche Gegenstände in Computernetzen, beispielsweise dem Internet, einem größeren Personenkreis die Kenntnisnahme von ihrem Inhalt vermitteln, 134 wobei es genügt, daß die Internet-Adresse nur an einen kleinen Personenkreis weitergegeben wird (OLG Nürnberg CuR 1998 686). Die Form der strafrechtlichen Verantwortlichkeit richtet sich nach der von den Beteiligten jeweils wahrgenommenen Funktion. Wer selbst strafbare Inhalte einspeist, die von Dritten abgerufen werden können (ContentProvider), hat sich als Begehungstäter zu verantworten (ConradUSchlömer NStZ 1966 472; Lackneri Kühl § 184 Rdn. 7 a; Tröndlel Fischer § 9 Rdn. 7), wobei die Strafverfolgung jedoch vielfach an praktischen Hinderungsgründen scheitern dürfte (vgl. Flechsig AfP 27 [1996] 341; Löhnig JR 1997 497). Hingegen sind Anbieter, die fremde

128

Beide Bezeichnungen gehen, soweit ersichtlich, auf Keltsch NStZ 1983 121 (Anm. zu BayObLG

Lencknerl Perron § 184 R d n . 57; Tröndlel Fischer

NStZ 1983 120) zurück. '» BGHSt. 25 347, 352; 27 18, 21; 33 271, 274; BayObLG NJW 1987 1711; OLG Hamm NJW

131

1970 1754, 1756; Keltsch NStZ 1983 121 (Anm. zu BayObLG NStZ 1983 120); Lackneri Kühl

132

§ 74d 130

Rdn.

5;

L G S t . 1951 417, 422; Sehl Schröder! Perron § 184 R d n . 57.

SehlSchröder!LencknerlPerron

§ 184 Rdn. 57. BGHSt. 18 63, 64; RGSt. 15 118, 119; 47 223, 226; BayObLGSt. 1951 417, 422; 1958 18, 19; 1963 71, 72; BayObLG NJW 1979 2162; NStZ

Lencknerl

OLG Hamburg NStZ 1983 127, 128; OLG Köln NStZ 1990 241, 242; OLG München MDR 1989 180, 181; Sehl Schröder! Lencknerl Perron § 184 R d n . 57; and. Franke G A 1984 470.

133

OLG Frankfurt NJW 1984 1128, 1129; OLG

1983 121, 122 mit Anm. Keltsch; NStZ 1996

Hamburg JR 1983 298, 299 mit Anm. Bottke und Anm. Franke NStZ 1984 126; OLG Hamm NStZ 1989 578, 579; Jähnke LK § 78 Rdn. 16;

436, 437; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; OLG Hamburg MDR 1963 1027; JR 1983 298,

differenzierend OLG Köln NStZ 1990 241, 242; KG JR 1990 124, 125; and. BayObLG NJW

299 mit A n m . Bottke

u n d A n m . Franke

1987 1711; OLG Schleswig bei

NStZ

OLG München M D R 1989 180, 181; Blei BT II § 26 IV 2; Franke G A 1984 459; Groß N S t Z 1994 315; Herzog N K R d n . 12; Horn S K § 74 R d n . 5; Jähnke L K § 78 R d n . 16; Lackner/Kühl § 74d R d n . 5; Pelz wistra 1999 53; SchlSchröderl

ErnestilLorenzen

SchlHA 1984 86, 87.

1984 126; OLG Hamm NStZ 1989 578, 579;

(69)

§ 74 d Rdn. 4, 6. BGHSt. 18 63, 64f; RGSt. 15 118, 121; BayOb-

134

Lackner/Kühl § 7 4 d R d n . 5, § 184 R d n . 7a; ferner Derksen N J W 1998 1881; Pelz wistra 1999 54; Sieber D u D 19% 551; vgl. a u c h Coliardin

CuR 1995 619; ConradUSchlömer

367.

Karlhans Dippel

NStZ 1996

§ 166

11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich a u f Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

Inhalte abrufbar halten (Service-Provider) oder auch nur den Zugang zu ihnen vermitteln (Access-Provider), grundsätzlich nur als Unterlassungstäter strafbar. 135 Die Garantenstellung kann aus der Pflicht erwachsen, den Zugriff auf bestimmte Netzangebote zu sperren oder überhaupt schon zu verhindern, daß Urheber von Netzangeboten mit verbotenem Inhalt ihre Angebote in das Netz einspeisen. Freilich wird sie regelmäßig nicht feststellbar sein.136 Anders kann es liegen, wenn der Provider es Dritten, etwa durch eine Hompage, ermöglicht, unkontrolliert Daten für andere zugänglich zu machen. Hier dürfte eine Garantenstellung sich aus dem Gesichtspunkt der Herrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben, weil die von dem Provider beherrschten, an ein weltweites Computernetzt angebundenen Rechner, sofern sie die eingespeisten Daten allgemein und ständig verfügbar halten, zum Mittel einer erleichterten Tatausführung werden (LackneriKühl § 184 Rdn. 7 a; Park GA 2001 33). Schwierige strafrechtliche Fragen knüpfen sich an das Verweisen auf Seiten mit rechtswidrigem Inhalt durch Hyperlinks (Querverweise durch interaktive Verknüpfung elektronischer Seiten im Internet), weil hier nicht lediglich der Zugang zu beliebigen fremden Inhalten vermittelt, sondern darüber hinaus an Hand gegebener Auswahlmöglichkeiten durch Hinweise auf ganz bestimmte fremde Inhalte und technische Erleichterungen des Zugriffs darauf steuernd auf das Nutzerverhalten eingewirkt wird (Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7 a). Für solche Linkanbieter kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ebenso in Form täterschaftlicher Begehung oder der Beihilfe durch Förderung der Verbreitung rechtswidriger Inhalte, wie auch durch Unterlassung der Kontrolle als Beteiligter bei der Begehung eines Verbreitungsdelikts in Betracht. 137 Diese begrenzte strafrechtliche Verantwortlichkeit wird durch § 5 TDG 1 3 8 für Anbieter von Telediensten und § 5 MDStV 1 3 9 für Anbieter von Mediendiensten weiter eingeschränkt. 140 Nach den allgemeinen Gesetzen bleiben Dienstanbieter nur für zur Nutzung bereitgehaltene eigene Inhalte verantwortlich (§ 5 Abs. 1 TDG/MDStV). 141 Hingegen ist für 135

136

137

Eingehend zu den Abgrenzungskriterien zwischen Tun und Unterlassen des Internet-Providers Pete wistra 1999 54ff; vgl. dazu den vielbeachteten Fall „CompuServe", zunächst AG München NJW 1998 2836, dann LG München NJW 2000 1051 mit Anm. Moritz CuR 2000 119 und Bespr. Heghmanns ZUM 2000 463. Zur Verantwortlichkeit von Host-Providern (ServiceProvider mit Hosting-Funktion), die durch die Einrichtung von Nutzerforen über den Server auch eigene oder fremde Inhalte anbieten, LG München NJW 2000 2214 mit Bespr. GounalakislRhode NJW 2000 2168; TröndlelFischer § 9 Rdn. 7. ConradilSchlömer NStZ 1996 473; Derksen NJW 1997 1883; Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7a; Sieber JZ 1996 499. Eingehende strafrechtsdogmatische Einordnung bei Vassilaki Strafrechtliche Verantwortlichkeit durch Einrichtung und Aufrechterhaltung von elektronischen Verweisen (Hyperlinks), CuR 1999 85ff; ferner Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7a; Sehl Schröder! Lenckner! Perron § 184 Rdn. 66i. Zur Tatbeteiligung in Form von Beihilfe vgl. auch ConradilSchlömer NStZ 1996 367, 472 ff; Derksen NJW 1997 1882f; Flechsig AfP 27 (1996) 342f; Löhnig JR 1997 497f; Park GA 2001 3033 f.

138

139

140

141

Gesetz über die Nutzung von Telediensten (Teledienstegesetz) i. d. F. von Art. 1 IuKDG (Rdn. 45 Fn. 120), letztes ÄndG vom 27.6.2000 (BGBl. I 897). Mediendienste-Staatsvertrag vom 20.1. bis 12.2. 1997 (z.B. GBlBaWü. S. 181). Die Rechtsnatur dieser Haftungsbeschränkungen (rechtsgebietsübergreifende „Vorfilter" oder integrierter Teil der allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen) ist umstritten (dazu im Einzelnen Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7a; Pelz wistra 1999 57 f; Sehl Schröder! Lenckner! Perron § 184 Rdn. 66e). Zweck der im wesentlichen gleichlautenden Vorschriften ist, durch Freistellung des Betriebs und der Benutzung der modernen Kommunikationsmittel von unkalkulierbaren Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in diesem Bereich zu sichern (SehlSchröder!Lenckner!Perron § 184 Rdn. 66 b unter Hinweis auf BTDrucks. 13/7385 S. 16). Ausführliche Erläuterung des Begriffs zur Nutzung bereitgehaltenen eigenen Inhalte einschließlich der aus der Vielgestaltigkeit der tatsächlichen Phänomene erwachsenden rechtlichen Probleme bei SchlSchröderILencknerIPerron Rdn. 66g; näher auch Pelz wistra 1999 58.

S t a n d : 1 . 7 . 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

166

die zur Nutzung bereitgehaltenen fremden Inhalte ein Dienstanbieter nur dann verantwortlich, wenn er Kenntnis von diesen Inhalten hatte und ihm eine Verhinderung der Nutzung technisch möglich und zumutbar war (§ 5 Abs. 2 TDG/MDStV). 142 Von jeder Verantwortung befreit ist der Dienstanbieter, wenn er lediglich den Zugang zur Nutzung fremder Inhalte vermittelt (§ 5 Abs. 3 Satz 1 TDG/MDStV) oder die Leistung sich auf die automatische und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte auf Grund Nutzerabfrage (Proxy-Cache-Privileg) beschränkt (§ 5 Abs. 3 Satz 1 TDG/ MDStV). 1 4 3 Es dürfte naheliegen, § 5 MDStV als verfassungswidrig anzusehen, weil eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Bundesstrafrecht von den Ländern wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz nicht eingeschränkt werden kann (Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7a mit Nachweisen; vgl. auch SehlSchröderILencknerlPerron § 184 Rdn. 66c). Da es aber sachlich nicht gerechtfertigt wäre, entgegen dem erklärten Willen von Bund und Ländern Anbieter von Mediendiensten schlechter zu stellen, als Anbieter von Telediensten, sollte für diesen Fall § 5 T D G analog auf Anbieter von Mediendiensten erstreckt werden {SehlSchröderILencknerl Perron § 184 Rdn. 66 c; vgl. auch Lackneri Kühl § 184 Rdn. 7 b). Die Geltung des deutschen Strafrechts auch in Internet-Fällen ergibt sich aus § 3, weil bei abstrakt-konkreten Gefahrdungsdelikten (vgl. Rdn. 3, 4) ein Erfolg im Sinne des § 9 dort eingetreten ist, wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit für das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann (BGHSt. 46 212, 221; Collardin CuR 1965 618). 3. Als Taterfolg muß das Beschimpfen geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu 51 stören. a) Der öffentliche Friede ist hier in seiner religiösen und weltanschaulichen Ausprägung gemeint, wie er sie durch den Toleranzgedanken (vor § 166 Rdn. 19) erfahren hat (Rdn. 6). Er liegt im Wertkonsens der Mehrheit, die gegen nicht mehr tolerable Provokationen geschützt wird {Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 10). Ungeachtet der Unschärfe des Begriffs (Schroeder Straftaten S. 12) ist der öffentliche Friede Rechtsgut des § 166 in der ausschließlichen Bedeutung, wie sie dem Merkmal in anderen Eignungsdelikten des Strafgesetzbuchs, so den §§ 126, 130, 140 Abs. 2, innewohnt (Rdn. 8). Daher gilt für das Wesen des öffentlichen Friedens die Ausdeutung, wie sie sich während einer langen Entwicklung in der Rechtsprechung und im Schrifttum herausgebildet hat. Ihre Grundlage bildet noch immer das dualistische objektiv-subjektive Friedensverständnis des Reichsgerichts, dessen objektive Seite der tatsächliche Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ist, während der subjektive Aspekt in dem darauf bezogenen Friedensgefühl der Bevölkerung liegt.144 Die Umschreibungen in der neueren Rechtsprechung und im Schrifttum lassen sich zusammenfassen als Zustand eines von der Rechtsordnung gewährleisteten, frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Bürger und deren Vertrauen auf seine Fortdauer, sei es auch nur bei den Teilen der Bevölkerung, die durch einen Angriff auf diesen Zustand bedroht erscheinen oder deren Neigung zu Rechtsbrüchen angereizt werden kann. 145 142

143

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Umstritten ist hier vor allem der Begriff der Kenntnis (dazu eingehend Sch/SchröderlLenckner/Perron § 184 Rdn. 66a; ferner Lackner/Kühl § 184 Rdn. 7a; Pelz wistra 1999 58f; vgl. auch LG München NJW 2000 2214, 2216 mit Bespr. GounalakislRhode NJW 2000 2168). Zum weitgehend noch unklaren Anwendungsbereich der Vorschrift SchlSchröderILencknerl Perron § 184 Rdn. 66i.

144

145

Vgl. z.B. RGRspr. 7 108, 109; RGSt. 15 116, 117; 18 406, 499; 26 349, 350; 34 268, 271; 54 26, 27; 71 248, 249; ausführlich dazu Th. Fischer Öffentlicher Friede S. 189 ff; femer Wehinger S. 74 ff. So z. B. BGHSt. 16, 49, 56; 29 26 mit Anm. Wagner JR 1980 119; 22 282, 286; BGH NJW 1978 58, 59; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Düsseldorf NJW 1986 657; OLG Hamburg

Karlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

In das Merkmal über das friedliche Nebeneinander hinaus auch das einträchtige Mitund Nebeneinander einzubeziehen (so aber v. Bubnoff LK § 125 Rdn. 41), würde zu einer Überforderung des Rechts führen, weil ein solches Verhalten, wenn überhaupt rechtlich faßbar, jedenfalls nicht erzwungen werden könnte (SehlSchröder!Lenckner § 126 Rdn. 1). 52

b) Die Auslegung des Merkmals zur Friedensstörung geeignet ist in Ansätzen unproblematisch, in seiner an die dogmatische Einordnung des Delikts anknüpfende Kernaussage jedoch streitig. aa) Zunächst folgt aus dem Wort geeignet zweifelsfrei, daß die Beschimpfung eine Störung des friedlichen Zusammenlebens nicht schon bewirkt haben muß (vgl. Laufhütte M D R 1976 441; Schafheutie Das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1960 470, 472), es vielmehr genügt, daß berechtigte Gründe vorliegen, es werde zu einer Störung kommen (BGHSt. 16 49, 56 mit krit. Anm. Wagner JR 1980 119; BGH NJW 1978 58, 59). Insoweit ist das Merkmal eindeutig (Sturm Prot. V/134 S. 2807). Es trägt, wie in den §§ 126, 130, mit dieser Ausgestaltung dem Umstand Rechnung, daß der Erfolg einer tatsächlichen Friedensstörung vielfach nur von reinen Zufälligkeiten abhängt (Kretschmer S. 272; Stree NJW 1976 1180; vgl. auch Arzt!Weber BT § 35 Rdn. 62). Dazu wird es den praktischen Schwierigkeiten gerecht, die der Feststellung, ob eine Friedensstörung eingetreten ist, häufig begegnen (vgl. Arzt/ Weber BT § 35 Rdn. 55; BerkemannlHesselberger NJW 1972 1791; Hassemer NStZ 1989 558). Einigkeit besteht auch darin, daß zur Verwirklichung dieser Voraussetzung nicht schon eine rein abstrakte Gefahrdung ausreicht. Das ergibt sich daraus, daß die Eignung der Handlung zur Schädigung zum gesetzlichen Tatbestand gehört (vgl. Rdn. 5). Anders liegt es jedoch bei der Frage, ob die Tatbestandsverwirklichung den Eintritt der konkreten Gefahrdung des öffentlichen Friedens erfordert oder nur festgestellt zu werden braucht, daß die Beschimpfung konkret geeignet ist, diese Gefahrdung zu bewirken.

53

bb) Überwiegend wird die Meinung vertreten, daß die konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens nicht eingetreten zu sein braucht, es vielmehr genügt, wenn Art und Inhalt der Handlung unter den Umständen ihrer Vornahme die konkrete Besorgnis rechtfertigt, der Angriff werde den Friedenszustand (Rdn. 51) oder das Vertrauen in seine Fortdauer (Rdn. 55 bis 58) erschüttern. 146 Dieser Auffassung liegt der Ge-

NJW 1975 1088 mit Bespr. Geilen NJW 1976 279; MDR 1981 71; OLG Koblenz GA 1984 575, 576 mit Bespr. Giehring StV 1985 30; OLG Köln NJW 1982 657; OLG München FuR 28 (1984) 595; OLG Schleswig M D R 1978 333; Berkemannl Hesselberger NJW 1972 1790f; Eser S. 1032; Frommel KJ 1994 337; Giehring StV 1985 35 (Bespr. OLG Koblenz GA 1984 575); Herzog N K Rdn. 13; Hoyer S. 134; Lackneri Kühl § 126 Rdn. 4; Laußütte M D R 1976 444 f; Preisendanz Anm. II Id; Rudolphi SK Rdn. 15; Z R P 1979 220; Schroeder Straftaten S. 12; Sehl Schröder!Lenckner § 126 Rdn. 8, § 130 Rdn. 11; TröndlelFischer § 126 Rdn. 2; Welzel Strafrecht § 74 III. Vgl. auch die ausführliche Darstellung der jüngeren Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung bei Th. Fischer Öffentlicher Friede S. 384 ff, 434 fT. Zu abweichenden Auffassungen Rdn. 9 bis 11.

146

BGHSt. 16 49, 56; 29 26 mit Anm. Wagner JR 1980 119; 34 329, 331; 46 36; BGH NJW 1978 58, 59; RGSt. 50 324, 326; 54 26, 27; OLG Celle NJW 1970 2257; 1986 1276; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Hamburg NJW 1975 1088 mit Bespr. Geilen NJW 1976 279; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; OLG Koblenz MDR 1977 334; GA 1984 575, 576 mit Bespr. Giehring StV 1985 30; OLG Köln NJW 1982 657; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 241 mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; OVG Koblenz NJW 1997 1176; LG Frankfurt NJW 1982 658; LacknerlKühl § 126 Rdn. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 14; vgl. auch RGSt. 50 325; 54 28; Th. Fischer GA 1989 453; Hoyer S. 134; Wehinger S. 100, 112; einschr. Beck S. 190.

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

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danke zugrunde, daß der Rechtsschutz nicht erst im Entstehen eines Klimas offener oder latenter Feindschaft, das sich jederzeit in Gewalt und Gegengewalt entladen könne, eingreifen dürfe, sondern schon dann, wenn Menschen das Bewußtsein genommen werde, in dieser Gesellschaft ohne die Furcht leben zu können, um ihres Glaubens oder ihrer weltanschaulichen Auffassung willen diskriminiert zu werden und Schmähungen ausgesetzt zu sein, gegen die sich letztlich niemand wehren könne.147 Ob die Auslegung der Eignungsformel durch die Mehrheitsmeinung das Bewußtsein der Allgemeinheit oder auch nur einzelner Bevölkerungsteile in diesem Sinne zu prägen vermag, erscheint zweifelhaft. Ihr Gefühl, in einem von der Rechtsnorm garantierten Zustand der allgemeinen Rechtssicherheit zu leben und das Vertrauen auf seinen Fortbestand wird durch die Überzeugung bestimmt, daß niemand ungestraft ihre religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse beschimpfen darf. Das Wissen darüber, daß eine Beschimpfung schon bestraft werde, wenn sie konkret geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören und nicht erst dann, wenn eine solche Gefahrdung eintrete, dürfte dabei kaum eine zusätzliche Bedeutung haben. cc) Für die Gegenmeinung, wonach durch die Beschimpfung der öffentliche 5 4 Friede konkret gefährdet sein muß, 148 sprechen Gründe, die sich vor allem aus dem Deliktscharakter herleiten. Zunächst liegt bei Tatbeständen nach Art der §§ 130, 166 grundsätzlich die Annahme nahe, daß das Gesetz, indem es das Urteil über die Gefährlichkeit der Tat dem Richter überließ, die Berücksichtigung der individuellen Umstände und damit eine dem Einzelfall gerecht werdende Entscheidung ermöglichen wollte (Schröder ZStW 81 [1979] 10). Inhalt der Äußerung, Art, Ort oder andere Umstände spielen, wenn es um die Feststellung der konkreten Eignung der Tat, den öffentlichen Frieden zu stören, geht, eine weitaus geringere Rolle als bei der Feststellung, ob eine konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens eingetreten ist. Hier können neben den ex ante erkennbaren Umständen in besonderem Maße auch die ex post feststellbaren zu berücksichtigen sein (Rudolphi SK Rdn. 14). Sodann ist zu fragen, ob der ausdrücklichen Aufnahme des der Verletzung unmittelbar zugänglichen individuellen Rechtsguts in das Gesetz nicht eine tiefere Bedeutung zukommt. Die Annahme, sie könne auch den Sinn haben, deutlich zu machen, daß die Handlung auf eine konkrete Gefahrdung dieses Rechtsguts abzielt, ist jedenfalls nicht fernliegend.149 Demgegenüber bleibt bei der Mehrheitsmeinung unklar, wie die Eignungsformel konstruktiv erfaßt werden soll.150 Schließlich spricht auch eine kriminalpolitische Überlegung für die Auslegung der Mindermeinung. Die Eignung der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, bedeutet gegenüber dem Erfordernis eines entsprechenden Erfolgs eine erhebliche Erweiterung des Strafbereichs. Das ist jedoch nur dann bedenkenfrei, wenn die Eignungsklausel für die Allgemeinheit ungefährliche Tathandlungen hinreichend auszuklammern vermag und nicht einen vorschnellen Schluß von der Beschimpfung auf die erforderliche Eignung zu-

"" OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 240 mit Bespr. Otto JK OO § 166/1 ; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; vgl. auch schon Rdn. 8. 148 Ζ. B. Gallas Festschrift Heinitz S. 181 f; Maurach BT Nachtrag 1970 § 45 II Β 2d; Rudolphi SK Rdn. 14; Stree NJW 1976 1177, 1180; Zaczyk JuS 1990 890; Z i p / N J W 1969 1944. 149 MaurachlSchröder!Maiwald 2 § 60 Rdn. 12, § 61 Rdn. 14f; vgl. auch Gallas Festschrift Heinitz S. 182. 150 BGHSt. 16 49, 56 beschränkt sich auf die Fest(73)

stellung, es sei nicht erforderlich, daß der öffentliche Friede schon gefährdet worden ist. Im Schrifttum wird meist nur von der konkreten Eignung der Tat, den Frieden zu stören, gesprochen (ζ. B. TröndlelFischer § 130 Rdn. 13; Welze! Strafrecht § 47 III). Nach Gallas läuft diese Auffassung wohl eher auf die Annahme eines konkreten Gefährdungsdelikts in der Form eines Versuchsdelikts (unechten Unternehmensdelikts) hinaus (Festschrift Heinitz S. 182 Fn. 21).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

läßt. 151 Dieser Schluß liegt aber bei der Feststellung der konkreten Eignung der Tat, den öffentlichen Frieden zu stören, näher als bei der Feststellung des Eintritts dieser Gefahrdung. Daher bleibt bei der Rechtsanwendung im Sinne der Mehrheitsmeinung zweifelhaft, ob die Eignungsklausel die ihr zugeschriebene Restriktionswirkung in der Praxis tatsächlich hat (verneinend Th. Fischer NStZ 1988 162; GA 1989 454 f). 55

c) Eine konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens wird durch die Möglichkeit begründet, daß die Äußerung das Vertrauen der Betroffenen in den Zustand der allgemeinen Rechtssicherheit (Rdn. 51) stört. aa) Dies ist anzunehmen, wenn die Beschimpfung geeignet ist, bei den unmittelbar betroffenen Angehörigen einer Religionsgesellschaft oder Weltanschuungsgemeinschaft das Gefühl aufkommen zu lassen, ihr Bekenntnis werde nicht mehr respektiert.152 Dieses Gefühl würde die in dem Vertrauen in den Zustand der allgemeinen Rechtssicherheit sich äußernde positiv-integrierende kollektive Bewußtseinslage der Mitglieder einzelner Bevölkerungsgruppen (Frommel KJ 1994 337) und deren Überzeugung von der Friedfertigkeit der sozialen mit-menschlichen Umwelt (BerkemannlHesselberger NJW 1972 1791) beeinträchtigen. Hingegen wird in Fällen von Bekenntnissen Einzelner oder weniger anderer, namentlich bei Anschauungen abwegiger Art, die Möglichkeit einer Störung des öffentlichen Friedens regelmäßig von vorn herein auszuschließen sein (dazu schon Rdn. 22). Unter Umständen kann aber gerade die Beschimpfung des Bekenntnisses einer Minderheit sich in besonderem Maße als eine Gefahr für den öffentlichen Frieden erweisen, dann nämlich, wenn weitere Kreise dadurch das Vertrauen in die allgemeine Rechtssicherheit verlieren würden (Rudolphi SK Rdn. 15). Bei der Bewertung im Einzelfall ist auf das Sicherheitsgefühl eines vernünftigen, auf Wahrung der Toleranz bedachten Bürgers, der also weder überängstlich noch sorglos erscheint, abzustellen (Herzog N K Rdn. 14; Laufhütte M D R 1976 442; Rudolphi SK Rdn. 15).

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bb) Die beschimpfende Äußerung muß nicht an den Personenkreis gerichtet sein, in dem sie eine Störung des öffentlichen Friedens bewirken kann; vielmehr reicht aus, daß die Befürchtung besteht, sie werde in diesem Kreis bekannt werden (OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1175; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12). Unter dieser Voraussetzung kann selbst Handeln gegenüber einem Einzelnen genügen (BGHSt. 29 26; Lackneri Kühl § 126 Rdn. 4), wie auch die Verbreitung einer einzelnen Schrift (OLG Köln NJW 1982 657). Die Veröffentlichung in einer Zeitschrift, deren Leser ohnehin schon ähnlich denken, oder die Kundgabe in einem Personenkreis, der die betreffende Ausdrucksweise kennt und zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der Äußerung fähig ist, reicht nur dann aus, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist.153 So liegt es auch bei Leserbriefen an Zeitungsredaktionen, die in der Erwartung eines kommentarlosen Abdrucks übersandt werden. Zu

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Herzog N K Rdn. 16; Stree N J W 1976 1180 (zur Angleichung des § 126 an die §§ 130, 166 durch das 14. StrRÄndG); vgl. auch Schnieders S. 147 f. Vgl. z. B. BGHSt. 16 49, 56; RGSt. 34 268, 270f; O L G Celle N J W 1970 2257; 1986 1276; O L G Düsseldorf N J W 1983 1211; Preisendanz Anm. II l d . Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; im Ansatz auch

LG Bochum NStE Nr. 2 zu § 166; ferner O L G Karlsruhe NStZ 1986 363, 365 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; vgl. auch OLG München zu einem Spielfilm mit (möglicherweise) den Inhalt eines religiösen Bekenntnisses beschimpfenden Szenen, der abseits vom kommerziellen Filmbetrieb nur einem kleinen Kreis aufnahmebereiter und aufgeschlossener Cineasten zugänglich wird (FuR 28 [1984] 596).

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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weit gehen dürfte aber, dies auch dann anzunehmen, wenn ein Publizität erzeugender Artikel über den Vorgang zu erwarten ist.154 cc) Die Beschimpfung kann auch insofern geeignet sein, den öffentlichen Frieden 5 7 zu stören, als sie möglicherweise bei Dritten die Bereitschaft zu Intoleranz gegenüber den Anhängern des beschimpften Bekenntnisses fördert. 155 In diesem Falle ist es unerheblich, an wen die herabsetzenden Äußerungen gerichtet sind, und ob überhaupt Angehörige des beschimpften Bekenntnisses die Beschimpfung wahrgenommen haben {Rudolphi SK Rdn. 16). Es genügt beispielsweise die Verhetzung eines aufnahmebereiten Publikums, etwa die Diffamierung von Protestanten in rein katholischen Gegenden und umgekehrt. Entscheidend bleibt allein, daß die Zuhörer durch die Beschimpfung in einer Weise beeinflußt werden können, die weitere Beschimpfungen oder sogar tätliche Ausschreitungen befürchten läßt. dd) Auf interne Vorgänge in der Gemeinschaft der Betroffenen kommt es grund- 5 8 sätzlich nicht an. So ist ohne Bedeutung, ob die Betroffenen gegen die Beschimpfung etwas unternommen, beispielsweise eine Strafanzeige erstattet haben, weil der Verzicht hierauf andere individuelle Gründe als das Fehlen von Betroffenheit haben kann {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12; and. OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555). Dient die pauschale Beschimpfung eines Bekenntnisses erkennbar nur als Mittel für eine Individualbeleidigung, und wird der Betroffene tatsächlich auch nicht wegen seines Bekenntnisses beschimpft, ist eine Eignung zur Friedensstörung nicht anzunehmen (OLG Koblenz NJW 1993 1808; Sehl SchröderILenckner Rdn. 12). Vorgänge, die innerhalb der Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung Beunruhigung oder Störungen bewirken können, werden von dem Tatbestand nur insofern erfaßt, als sie darüber hinaus auch den öffentlichen Frieden tangieren (Sturm NJW 1969 1608). III. Der äußere Tatbestand des Absatzes 2 verlangt, daß eine Kirche, eine andere 5 9 Religionsgesellschaft, eine Weltanschauungsvereinigung, die alle im Inland bestehen müssen, eine ihrer Einrichtungen oder einer ihrer Gebräuche in bestimmter Weise beschimpft wird. 1. Angriffsgegenstände sind alle im Inland bestehenden Kirchen, andere Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften, ihre Einrichtungen und Gebräuche, eine gegenüber § 166 a.F., der nur die christlichen Kirchen oder andere im Staate bestehende Religionsgesellschaften mit ihren Einrichtungen und Gebräuchen schützte, erhebliche Ausdehnung des Strafschutzes (vgl. schon Rdn. 1). a) Das Gesetz sieht Kirchen, wie die Verbindung durch die Wörter „und andere" zeigt, nur als Unterfall der Religionsgesellschaften. aa) Mit dieser Ausgestaltung ist der Sprachgebrauch übernommen worden, wie er sich im Sinne eines nivellierenden Allgemeinbegriffs, der sowohl die großen Kirchen, als auch die sonstigen Religionsgesellschaften umfassen sollte, im deutschen Staatskirchenrecht entwickelt hat und so schon in der Frankfurter Paulskirchenverfassung (Art. V), dann auch in der Weimarer Reichsverfassung, deren Artikel 137 sogar nur von Religionsgesellschaften spricht, verwendet wurde (näher Rdn. 61). Anders der 154

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So aber BGHSt. 29 26 mit krit. Anm. Wagner JR 1980 120; ebenfalls zweifelnd Lackneri Kühl § 126 Rdn. 4. BGHSt. 16 49, 56; OLG Celle N J W 1970 2257;

1986 1276; Herzog N K Rdn. 15; Rudolphi SK Rdn. 16; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 12; vgl. auch TröndlelFischer § 130 Rdn. 2.

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kirchliche S p r a c h g e b r a u c h . E r unterscheidet terminologisch zwischen den Kirchen (römisch-katholische Kirche, evangelische Landeskirchen) auf der einen Seite sowie den sonstigen Religionsgesellschaften auf der anderen Seite, u n d zwar so deutlich, d a ß die Verwendung des Begriffs die großen Kirchen ausschließt ( W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 994; vgl. auch E. Fischer S. 49). D e r S o n d e r a u s s c h u ß hat sich b e w u ß t in Gegensatz zu diesem Sprachgebrauch gesetzt (Heimann-Trosien L K 9 R d n . 18; Sehl Schröder!Lenckner R d n . 15). 60

bb) Als Hauptbeispiele der Religionsgesellschaften sind die Kirchen in § 166 Abs. 2 ihrer historischen B e d e u t u n g wegen vorangestellt worden. D i e Reichskirche war lange Zeit h i n d u r c h staatstragend (dazu vor § 166 R d n . 3). Vor diesem H i n t e r g r u n d entwickelten die großen Kirchen besondere, eigen- u n d einzigartige Rechte u n d Pflichten, die zu ihrer Privilegierung als öffentlichrechtliche K ö r p e r s c h a f t e n ( R d n . 67) u n d , nicht zuletzt auch d u r c h die n u r mit ihnen geschlossenen Kirchenverträge u n d K o n kordate, zu einer öffentlichen Rechtsstellung f ü h r t e n , die ü b e r die der anderen Religionsgesellschaften hinausgeht. 1 5 6 Eine prinzipiell rechtlich bevorzugte Kategorie von Religionsgesellschaften sind sie d e n n o c h nicht (Obermayer B K Art. 140 R d n . 47; vgl. auch Quaritsch Staat 1 [1962] 196).

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b) A n d e r e Religionsgesellschaften sind, wie Kirchen, in b e s t i m m t e n F o r m e n organisierte religiöse Vereinigungen. aa) D e r Begriff Religionsgesellschaft 1 5 7 s t a m m t aus der A u f k l ä r u n g (vgl. schon vor § 166 R d n . 3). E r war u n d ist A u s d r u c k der Weltlichkeit u n d der religiös-weltanschaulichen N e u t r a l i t ä t des Staates. D a m a l s stand er f ü r die E i n f ü g u n g der Kirchen u n d sonstigen religiösen G e m e i n s c h a f t e n als K o r p o r a t i o n e n weltlichen Rechts in die staatliche O r d n u n g (vgl. Obermayer B K Art. 140 R d n . 37), ungeachtet ihres Selbstverständnisses als außerweltlich begründeter G l a u b e n s g e m e i n s c h a f t e n (Badura H d S t K i R S. 236). Seit der Ü b e r n a h m e des Begriffs in d a s Allgemeine L a n d r e c h t f ü r die Preußischen Staaten von 1794 (II 11 § 17 „Kirchengesellschaften") gehört er zu den K e r n a u s s a g e n des deutschen Staatskirchenrechts. D e r in A r t . 7 Abs. 2 Satz 2 G G gebrauchte Begriff Religionsgemeinschaft steht synonym zur Religionsgesellschaft, 1 5 8 unterscheidet sich von diesem Begriff also nur in der Terminologie, nicht aber in der Sache. A u c h im Landesverfassungsrecht wird der Begriff Religionsgemeinschaft weithin verwendet, d o r t vor allem f ü r kleinere religiöse G r u p p i e r u n g e n in A b g r e n z u n g zu den großen Religionsgesellschaften (Müller-Volbehr JZ 1981 41 mit Beispielen F n . 2; weitere Hinweise bei Held S. 18f)·

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bb) Bestimmendes M e r k m a l aller Religionsgesellschaften ist der Glaube an ein höheres Wesen. Dies gilt seit E i n f ü h r u n g der religiösen Vereinigungsfreiheit (Art. 137 Abs. 2 WRV). Sie b e s c h r ä n k t den Begriff der Religionsgesellschaft auf diejenigen religiösen Vereinigungen, die sich der religiösen Anliegen ihrer Mitglieder n a c h A r t der Kirchen universell a n n e h m e n ( W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 994) u n d sie o d e r 156

Näher dazu insb. Kirchhof HdStKiR S. 70ff; Ruppel F.KL Sp. 952; ferner Mikat Grundrechte S. 149 f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 15; Smend Z E K R 2 (1952/53) 374ff; W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 995; vgl. auch Friesenhahn ZSR 94 (1975) 3 ff, 20 ff. Ein umfassender Nachweis des gemeinsamen Rechtsbestandes der verschiedenen evangelischen Landeskirchen findet sich bei Ruppel ArchEKR 5 (1941) Iff. Zur Her-

157

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aushebung der Kirchen in zahlreichen Landesverfassungen Heckel HdStKiR S. 616. Von Röttgen als „farbloser Sammelbegriff" bezeichnet (DVB1. 1952 488). Fechner Jura 1999 516 unter Hinweis auf BayVerfGH BayVBl. 1999 144; ferner OVG Berlin NVwZ 1999 786; Maunz/Dürig/Maunz Art. 140 Rdn. 18.

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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auch die Mitglieder eines verwandten Glaubensbekenntnisses zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgabe (Rdn. 19) zusammenfassen. 159 Vor allem dadurch unterscheiden sie sich von anderen religiösen Vereinen wie Orden, Missionsvereinen und karitativen Vereinigungen, die ihr religiöses Leben nicht durch die umfassende Bezeugung eines sie prägenden religiösen Bekenntnisses pflegen, sondern nur eine partielle Zielsetzung haben. 160 Ihre Religion, ihre Lehre und ihr Verständnis von Gott zu definieren, ist allein Sache der betreffenden Religionsgemeinschaft. Dem Staat ist jeglicher Eingriff in diesen Bereich verwehrt (näher dazu schon Rdn. 18). Allein die Behauptung einer Gemeinschaft, sie bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, genügt freilich nicht, die Berufung auf die Freiheitsgewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, 2 G G zu rechtfertigen (BVerfGE 83 341, 353; Winter ZEKR 42 [1997] 374f)· Entgegen einer früher vertretenen Auffassung (Nachweise bei Held S. 110 Fn. 10) ist nicht erforderlich, daß jede Religionsgemeinschaft sich in ihrer Lehre von allen in ihrem Wirkungsbereich bestehenden Religionsgemeinschaften unterscheiden muß. 161 In Widerspruch zu den Grundentscheidungen des Verfassungsgebers, etwa durch Verfolgung auch des Ziels, die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes zu verändern, darf ein Bekenntnis sich nicht setzen (näher dazu Rdn. 68). cc) Besondere formelle Voraussetzungen müssen privatrechtliche Religionsgemein- 6 3 Schäften, anders als Religionsgesellschaften in der Form der Körperschaft des öffentlichen Rechts (Rdn. 67), im allgemeinen nicht erfüllen (vgl. andererseits Rdn. 68). Es genügt ein Minimum organisatorischer Regelung (BVerwG NJW 1992 2496, 2497; OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787). Sie braucht nur den Zusammenhalt zu gewährleisten, der die Religionsgemeinschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben befähigt (Jurina S. 690). Letztlich ist der Zusammenschluß als solcher entscheidend, nicht seine Festigkeit oder Eindeutigkeit (Müller- Vorbehr JZ 1981 42; anders noch Bopp DÖV 1952 516f)· Auch eine bestimmte Mitgliederzahl ist nicht erforderlich. Es muß sich nur um eine der Zahl nach unbestimmte Gruppe von Menschen handeln (vgl. auch Rdn. 68). Juristische Personen können einer Religionsgesellschaft nicht angehören. Dies folgt aus dem durch das gemeinsame Bekennen geprägten Wesen einer Religionsgesellschaft, läßt sich aber auch schon aus dem Begriff der Mitgliederzahl in Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ableiten (Muckel DÖV 1955 312). Daher sind beispielsweise Dachverbände, denen nur juristische Personen angehören können, keine Religionsgesellschaften (Fechner Jura 1999 516), Zusammenschlüsse mehrerer öffentlichrechtlicher Religionsgesellschaften zu einem Verbände ausgenommen (Art. 137 Abs. 5 Satz 3 WRV).162 159

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BVerwGE 99 1, 3; OVG Berlin NVwZ 1999 786 f; Anschütz Art. 137 Anm. 2; Badura S. 226; Eser S. 1033; Fechner Jura 1999 516; Held S. 111 f; Jurina S. 691; v. Mangoldt!Kleinh. Campenhausen Art. 140 Rdn. 17; MaunzlDürigl Maunz Art. 140 Rdn. 19; Muckel DÖV 1995 312; Müller- Volbehr JZ 1981 42; Obermayer BK Art. 140 Rdn. 39; Pageis JuS 1996 791; Rudolphi SK Rdn. 5; Schnorr § 2 Rdn. 37, 38; SchlSchröderlLenckner Rdn. 15; vgl. auch E. Fischer S. 29f; Mikat Grundrechte S. 148f; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 73. Anschütz Art. 137 Anm. 2; Bopp DÖV 1952 517; v. Campenhausen HdStKiR Rdn. 74; Doose S. 102 f; Held S. 110; J. Lehmann S. 38; Mikat

161

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Grundrechte S. 150; Müller-Volbehr JZ 1981 41; Obermayer BK Art. 140 Rdn. 150ff (mit einer Zusammenstellung der wichtigsten religiösen Vereine); vgl. auch Rdn. 71. OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787; Doose S. 101 f; Hamann/Lenz S. 739; Held S. llOf; I Lehmann S. 40 f; Mikat Grundrechte S. 157. Anlaß für die Aufnahme dieser Bestimmung waren die damaligen Bestrebungen der evangelischen Landeskirchen, sich organisatorisch zu vereinigen, die der Verfassungsgeber fördern wollte (Held S. 139; vgl. auch Dreier/Morlok Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 100; krit. v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 152).

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dd) Wirtschaftliche Betätigung einer Gruppierung außerhalb des engen religiösen Bereichs steht ihrer Qualifizierung als Religionsgesellschaft grundsätzlich nicht entgegen. Doch muß der Schwerpunkt der Tätigkeit auf der Pflege und der Förderung des religiösen Bekenntnisses der Gemeinschaft liegen; die wirtschaftliche Tätigkeit darf immer nur Nebenzweck, die religiöse oder wirtschaftliche Lehre nicht lediglich Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen sein.163 Dementsprechend verliert eine Religionsgesellschaft ihren Schutz aus Art. 4 Abs. 1, 2 G G nicht, wenn sie zu ihrer bisherigen Tätigkeit auch wirtschaftlich tätig wird, ohne dabei den Bezug zu ihrer Religion zu verlieren (OVG Münster NVwZ 1986 400). Ein Wirtschaftsunternehmen wird nicht dadurch zu einer Religionsgesellschaft, daß es sich als eine solche bezeichnet (v. Campenhausen HdStR Rdn. 73), da dies noch nicht sein äußeres Erscheinungsbild, seinen geistigen Gehalt und sein stetiges Handeln als religiös prägt (v. MangoldtlKlein/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 50).

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ee) Ähnlich liegt es bei politischer und gesellschaftlicher Betätigung einer Gruppierung (vgl. dazu schon Rdn. 20). Geht es der Vereinigung überwiegend darum, ihr Programm politisch umzusetzen und eine Veränderung von Staat und Gesellschaft herbeizuführen, so daß an diesem eigentlichen Ziel gemessen das Religiöse nur Randerscheinung bleibt, ist sie auf den Schutz anderer Grundrechte als das des Art. 4 Abs. 1, 2 G G zu verweisen (v. Campenhausen HdStR Rdn. 73; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 94). Da andererseits aber, weil zu einer pluralistischen Gesellschaftsordnung politisches Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte gehört, auch Religionsgesellschaften ein Öffentlichkeitsauftrag eingeräumt werden muß (vgl. BVerwGE 37 344, 363; Hollerbach Rdn. 97 fi), ist bei politischen Aufgaben eine weitherzige Auslegung zugunsten der Gemeinschaft am Platze {Schnorr § 2 Rdn. 39; ähnlich v. Mangoldtl Klein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 49). Dementsprechend führt eine später von der Gemeinschaft aufgenommene politische Betätigung, solange sie den Bezug zur Religion wahrt, nicht zu einem Verlust ihrer Qualifizierung als Religionsgesellschaft (BVerwGE 37 344, 362 f).

66

ff) Doppelmitgliedschaft durch Zugehörigkeit auch zu einer anderen Religionsgesellschaft, wie neue, überkonfessionell orientierte Gemeinschaften dies vielfach erlauben, schadet nicht. Darüber befindet allein die Gestaltung der Mitgliedschaftsrechte der beteiligten Gemeinschaften, die der zu religiöser Neutralität verpflichtete Staat (Rdn. 18 mit Fn. 41; Vor § 166 Rdn. 1 mit Fn. 1) nicht einengen darf. 164 Es ist kein staatliches Interesse erkennbar, religionsrechtliche Doppelmitgliedschaften zu verhindern (v. Campenhausen ZEKR 25 [1980] 135).

163

BVerfGE 19 129, 133; 83 341, 353; BVerfG E u G R Z 1990 195; BVerwGE 61 152, 160f; BAG 79 319, 337ff; OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787; Badura Staatsrecht S. 140; v. Campenhausen HdStR Rdn. 73; Dreierl Morlock Art. 4 Rdn. 46; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 92; Kästner AöR 123 (1998) 416f; v. Mangoldtl Kleinl Starck Art.4 Abs. 1, 2 Rdn. 50 (mit der weiteren Einschränkung, daß der Bezug zur Religion der betreffenden Gemeinschaft in der Art und Weise der wirtschaftlichen Tätigkeit oder in der Nutzung des wirtschaftlichen Ergebnisses für ideelle Zwecke sichtbar sein müsse); Thiising Z E K R 45

164

(2000) 596; ferner Jurina S. 708; Preuss A K - G G Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 27; Müller-Volbehr DÖV 1995 303; SachslKokott Art. 4 Rdn. 18, 64; Seidel S. 151; Veelken S. 47 ff. Zu den Abgrenzungskriterien auch OLG Düsseldorf NJW 1983 2574, 2575 f; VG Darmstadt N J W 1979 1056, 1057; VG München GewArch. 30 (1984) 329, 331 f. Held S. 110; Müller-Volbehr JZ 1981 43; R. Mayer Z E K R 7 (1959/60) 165; differenzierend Veelken S. 76f; and. Bopp DÖV 1952 518; W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 994.

Stand: 1. 7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

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gg) Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts,165 soweit sie solche bisher waren (Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV). Das betrifft die großen christlichen Kirchen und eine Reihe weiterer Religionsgesellschaften. 166 Der Grund für das Bestreben, die Institution der mit Körperschaftsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften in die neue staatliche Ordnung zu übernehmen, lag in der mehrheitlichen Überzeugung der Nationalversammlung, daß die Integrationskräfte namentlich der Kirchen, die den Bereich des Partikularen überschreiten und denen eine das Gesellschaftsganze umgreifende Bedeutung zukommt (vgl. auch Rdn. 60), bewahrt werden müßten. 167 Außerdem ergab sich daraus ein wesentliches Argument gegen die Verdrängung des Staatskirchenrechts in das staatliche Vereinsrecht als sedes materiae. Trotz des Paritätsgebots (Rdn. 69) hat das Grundgesetz sich ebenfalls in diesem Sinne entschieden (vgl. dazu schon Vor § 166 Rdn. 4).168 Religionsgesellschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts allerdings nicht im Sinne des staats- und verwaltungsrechtlichen Begriffs einer mit eigener Rechtsfähigkeit bekleideten genossenschaftlich oder anstaltlich organisierten Verwaltungseinheit, die in mehr oder weniger großer Abhängigkeit von unmittelbaren staatlichen Behörden öffentliche Aufgaben erfüllt, die ansonsten vom Staat selbst wahrgenommen werden müssten. Sie würden dem öffentlichrechtlichen Sonderstatus, wie ihn Art. 137 Abs. 5 WRV gewährt, nicht gerecht, weil Religionsgesellschaften dieser Art zwar öffentliche, aber keine staatlichen öffentlichen Aufgaben erfüllen und dementsprechend auch keiner staatlichen Kontrolle unterliegen (so schon BVerfGE 18 385, 386f). Der Begriff muß für sie daher in einem weiteren, verfassungsrechtlichen Sinn verstanden werden, der zum Ausdruck bringt, daß Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus dem organisatorischen Gefüge des Staates nicht eingeordnet, sondern nur zugeordnet sind.' 69

165

166

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Der Begriff geht, sieht man von gelegentlicher Verwendung der Ausdrücke „corpus" und „corporation" im Staatskirchenrecht seit der Reformation ab, auf das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 zurück, das zwischen den vom Staat „aufgenommenen" (II 11 § 17) privilegierten und den vom Staat lediglich „genehmigten" (II 11 § 20) Kirchengesellschaften unterscheidet (Muckel Staat 38 [1999] 570; Kirchhof HdStKiR S. 659; vgl. auch Koriolh Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 225 f; Meyer-Teschendorf KöR 103 [1978] 290; Mikal Kirche S. 2; Robbers S. 417). Ausführlich zur Geschichte Hans Schütze S. 16 ff; Herrn. Weber Religionsgemeinschaften S. 51 ff. Beispiele altkorporierter Religionsgesellschaften bei W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 995. Zur 1935 einsetzenden Auflösung von Sekten und Weltanschauungsvereinigungen, systematisiert durch das Reichsgesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusgemeinden vom 28.3.1938 (RGBl. I 338), W. Weber Gedächtnisschrift Jellinek S. 107f mit einer Auflistung der von Auflösungsdekreten betroffenen Vereinigungen S. 108 f. Der zwangsweise Entzug der Körperschaftsrechte wurde durch Verleihungsakte der Länder vielfach rückgängig gemacht. Vgl. auch den Streit um die Israelitische Synagogengemeinschaft Adass Jisroël zu Berlin (BVerwG NJW 1998 253; OVG Berlin NVwZ

167

168

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1997 396; KuniglUerpmann DVB1. 1997 248 ff; Herrn. Weber NJW 1998 197 f.) Dies kommt in den Redebeiträgen der Abgeordneten Mehrfeld und Katzenstein (Verhandlungsprotokoll [Vor § 166 Rdn. 3 Fn. 12] S. 188, 201, wiedergegeben bei Mahrenholz Z E K R 20 [1975] 54 f, 55), sowie den Voten des Regierungsvertreters v. Harnack und des Abgeordneten v. Delbrück (Verhandlungsprotokoll S. 192f, 197) zum Ausdruck. Vgl. auch Mikal HdStKiR Rdn. 23; Muckel Staat 38 (1999) 574; ferner BVerfGE 19 129, 134; BVerwG N J W 1997 2396, 2398; v. Campenhausen HdStKiR S. 58; Friesenhahn ZSR 94 (1975) 6; Haberle DÖV 1976 76; Huster JuS 1998 2396 f; Kirchhof HdStKiR S. 655f, 658, 665, 667; Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 226; Link Festschrift Thieme S. 158; Listi Civitas 6 (1967) 158; Meyer-Teschendorf AöR 103 (1978) 325; SeifertlHömiglBergmann Art. 140 Rdn. 12; Thüsing DÖV 1998 26; Tillmanns S. 443 f. Zu der dem deutschen Recht vergleichbaren kooperativen Religionsfreiheit der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich Klecatsky E u G R Z 9 (1982) 443 ff. Friesenhahn ZSR 94 (1975) 15f unter Verwendung des (verfassungsrechtlichen) Begriffs „Religionskörperschaft"; vgl. auch Tillmanns DÖV 1999 43; ferner BVerfGE 19 129, 133f; 42 312,

Karlhans Dippel

§166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Durch den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts bestehen bei den betreffenden Religionsgesellschaften sowohl unter dem Gesichtspunkt ihres Öffentlichkeitsanspruchs (vgl. schon Rdn. 65), als auch nach ihrem tatsächlichen organisatorischen Erscheinungsbild gewisse Parallelen zur Herrschaftsordnung des Staates verbunden mit bestimmten öffentlichrechtlichen Befugnissen (BVerwG NJW 1997 2396, 2397). Dazu gehören weitreichende Gestaltungsrechte, wie die öffentlichrechtliche Dienstherrenfähigkeit mit Disziplinargewalt und Vereidigungsrecht, die autonome Organisationsgewalt mit Wirkung für den weltlichen Bereich, die über das allen Religionsgemeinschaften nach Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht (Autonomie) hinausgehende Befugnis zu öffentlichrechtlicher Rechtsetzung, das in Art. 137 Abs. 6 WRV gesondert garantierte kirchliche Besteuerungsrecht, das Parochialrecht, die Befugnis, Sachen, die dem gottesdienstlichen Gebrauch dienen (vgl. § 167 Abs. 1 Nr. 2), durch Widmung zu res sacrae zu erklären, sowie die als „Privilegienbündel" bezeichnete vielerlei Rechtsvergünstigungen, wie sie auch andere Körperschaften des Verwaltungsrechts genießen. 170 68

hh) Anderen (privatrechtlichen) Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag 171 die Korporationsrechte zu verleihen, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV 172 ), wobei die Erhebung in den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sich im Hinblick auf den rechtsgestaltenden Charakter des Aktes nicht stillschweigend ergeben kann (VG München KirchE 20 149, 153f). Eine Satzung genügt den Anforderungen, wenn sie eine vereinsähnliche Organisationsstruktur im Inneren mit einem zur Vertretung befugten Organ nach außen normiert, 173 ohne daß es, anders als nach § 166 a.F., der nur die Religionskörperschaften des öffentlichen Rechts schützte, auf eine Rechtsform ankäme. 174 Was die erforderliche Zahl der Mitglieder betrifft, so läßt sie sich generell

321; 53 366, 387; Badura Schutz S. 23; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 142f; Dreierl Morlok Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 77; Jarassl PierothlJarass Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 7; Jeand' HeurlKorioth Rdn. 220; Mucke/ Staat 38 (1999) 578; v. Münch!KuniglHemmrich Art. 140 Rdn. 22; Kuppel E K L Sp. 952; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 19; Scheuner Z E K R 7 (1959/60) 258; Seifert/Hömig/Bergmann Art. 140 Rdn. 12. Die Notwendigkeit einer Differenzierung hat bereits Anschätz dargestellt (Art. 137 Anm. 8). Insgesamt zum neuen Grundverständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche als System der Zuordnung statt der Trennung im Sinne der Weimarer Neutralität Meyer-Teschendorf Steal S. 3; Mikat Grundrechte S. 146. 170

Ausführlich zu den einzelnen Korporationsrechten v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 287 ff (zum „Privilegienbündel" S. 307 fï); M. Brenner S. 285 mit Fn. 84; Dreier/Morlok Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 86ff; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 240ff; Muckel Staat 38 (1999) 575ff; ferner Bopp DÖV 1952 516; Robbers S. 416; Hans Schütze S. 163ff; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 17; Til/manns DÖV 1999 444; Herrn. Weber N J W 1983 2549 ff (insb. mit Blick auf die öffentlichrechtliche Dienstherrenfahigkeit); vgl. auch schon Vor § 166 Rdn. 3. Zur Grundrechts-

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bindung der Religionsgesellschaften bei Wahrnehmung dieser Gestaltungsrechte Kirchhof HdStKiR S. 676 ff; Herrn. Weber HdStKiR S. 577 ff. Dazu Fechner Jura 1999 516; Held S. 114f; Pageis J u s 1996 791 f; Hans Schütze S. 98; Herrn. Weber Z E K R 34 (1989) 349. Zur Entstehung dieser Vorschrift vom Entwurf des Verfassungsausschusses bis zur endgültigen Fassung durch das Plenum der Nationalversammlung Muckel Staat 38 (1999) 585f; vgl. auch Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 227. Hieran ermangelt es nach bisheriger Rechtsauffassung durchweg den muslimischen Religionsgemeinschaften (v. Campenhausen Z E K R 25 [1980] 142; Staatskirchenrecht S. 92; Fechner Jura 1999 522; Hollerbach Rdn. 135; Muckel DÖV 1995 317; Müller-Volbehr JZ 1981 46 mit Fn. 67; Tillmanns DÖV 1999 445; Herrn. Weber NJW 1983 2553; vgl. auch OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787; H. Albrecht KuR 1 [1995] 29). Dazu ausführlich Kirchhof HdStKiR S. 684ff; ferner v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 148 f; Fechner Jura 1999 516; Held S. 117; Hollerbach Rdn. 135; Muckel DÖV 1995 314; Pageis JuS 1996 791; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 20; abw. Bopp DÖV 1952 517f.

Stand: 1. 7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

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nicht festlegen (vgl. schon Rdn. 63). Es gibt kleine, aber intensiv tätige Gemeinschaften, die sich selbst von massiver Gegnerschaft nicht von ihren Zielen abbringen lassen, andererseits aber auch schlagartig mobilisierte Massenbewegungen, die ebenso schnell erlöschen, wie es bei einigen der „Jugendreligionen" der 70er Jahre (näher Rdn. 70) zu beobachten war (Fechner Jura 1999 517; vgl. auch Held S. 115). So lassen sich weder absolute Zahlen, noch bestimmte Prozentsätze festlegen.175 Ein entscheidender Anhalt kann sich beispielsweise aus der Bedeutung der räumlichen Verteilung der Mitglieder im Verleihungsland (Müller- Volbehr JZ 1991 46) und der größeren Mitgliedsdichte in einem anderen Bundesland oder einem ausländischen Kulturkreis (VG München ZEKR 29 [1984] 632; Pageis JuS 1996 791) ergeben. Ob aus beiden Kriterien die Gewähr auf Dauer hergeleitet werden kann, hängt letztlich von dem tatsächlichen Gesamtzustand (BVerfGE 102 370, 385) der jeweiligen Gemeinschaft ab, wie ihn die Summe ihrer Lebensbeziehungen in einem weiten Sinne, wozu ihre Geschichte, der Zeitraum ihrer Bewährung im Rechtsleben als gefestigte Organisation, 176 ihre Vermögensverhältnisse aber auch die Intensität der religiösen Aktivitäten ihrer Mitglieder gehören, widerspiegelt. 177 Ungeschriebene Voraussetzung für die Verleihung der Köperschaftsrechte ist Rechtstreue, manifestiert in der grundsätzlichen Bereitschaft der Religionsgesellschaft, die staatliche Rechtsordnung anzuerkennen und deren allgemeine Gesetze zu befolgen. 178 Das läßt sich zwanglos bereits der Bestimmung des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb des für sie alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet, entnehmen. Demgegenüber sollte die Verleihung der Körperschaftsrechte nicht auch von der Fähigkeit und Bereitschaft der Vereinigung zu grundgesetzkonformer Wahrnehmung der Hoheitsrechte, wie Kirchhof dies fordert (HdStKiR S. 682 fi), abhängig gemacht werden. Das wäre kaum damit zu vereinbaren, daß keine Pflicht besteht, die verliehenen Hoheitsrechte auszuüben, die Prüfung dieser inhaltlichen Anforderungen außerdem im Verleihungsverfahren eine Prognoseentscheidung verlangen würde (näher Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 237 f). Umstritten ist, ob über Rechtstreue hinaus eine positive Grundhaltung zum Staat in Form einer gewissen Staatsloyalität

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v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 149; Held S. 120; Jeand'Heur!Korioth Rdn. 231; Link ZEKV 43 (1998) 19; MuckeI DÖV 1995 315; Tillmanns DÖV 1999 446; Herrn. Weber ZEKR 34(1989) 354. Obwohl sich, ähnlich wie bei der Mitgliederzahl, eine Mindestbestandszeit überzeugend nicht festlegen lässt (Held S. 117f; vgl. aber Bopp DÖV 1952 516; J. Lehmann S. 50; Konr. Müller ZEKR 2 (1952/53) 151; Herrn. Weber ZEKR 34 [1989] 351 f). In diesem Sinne Doose S. 155; Fechner Jura 1999 516; Held S. 116f; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 230; J. Lehmann S. 49f; Muckel DÖV 1995 312; Konr. Müller ZEKR 2 (1952/53) 153; Müller-Volbehr JZ 1981 47; Pageis JuS 1996 791; Smend ZEKR 2 (1952/53) 378; Herrn. Weber ZEKR 41 (1996) 196; dazu im Einzelnen auch Dreier/Morlock Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 98. BVerfGE 102 370, 390ff; BVerwGE 37 344, 363 f; 61 152, 162; OVG Berlin NVwZ 1999 786, 788; Abel NJW 1997 2371; A. Albrecht KuR 1 (1995) 26 f; v. Campenhausen ZEKR 46 (2001)

174, 176; Fechner Jura 1999 517; Held S. 122; Hesse ZEKR 3 (1953/54) 192; Hollerbach Rdn. 136; Huster JuS 1998 118; Jeand'Heur/ Korioth Rdn. 132; Kirchhof HdStKiR S. 683; Korioth Gedächtnisschrift Jeand'Heur S. 236 f; J. Lehmann S. 52; Link ZEKR 43 (1998) 20 ff; 46 (2001) 280 f; Mikat Grundrechte S. 157; Muckel DÖV 1995 316; Müller-Volbehr JZ 1981 47; NJW 1997 3358; Pageis JuS 1996 792; Reupke KuR 3 (1997) 99; Robbers S. 415 f; Sachs!Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 20; Smend ZEKR 2 (1952/53) 376; Tillmanns DÖV 1999 447 f; Herrn. Weber ZEKR 34 (1989) 356, 369; 41 (1996) 200 ff; Winter ZEKR 42 (1997) 386 f. Dreier!Morlok leiten das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Rechtstreue daraus ab, daß der Verleihung der Körperschaftsrechte an eine Religionsgesellschaft keine Rechtsgüter Dritter entgegenstehen dürfen (Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 99). Grundsätzliche methodische Bedenken finden sich bei MorloklHeinig NVwZ 1999 699 ff.

Karlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

oder Staatstreue179 verlangt werden kann.180 Das Bundesverfassungsgericht hat dies inzwischen verneint, im wesentlichen mit der Begründung, dass eine derartige rechtliche oder tatsächliche Bindung an den Staat die Unabhängigkeit und den geistlichen Auftrag der Religionsgesellschaften gefährden würde.181 Im übrigen liegt auf der Hand, daß der Staat bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Verleihung der Körperschaftsrechte 182 bereits bei der Frage, ob überhaupt eine Religionsgesellschaft vorliegt, mit seiner Neutralitätspflicht im religiösen Bereich, die ihm jegliche Bewertung von Glaubensinhalten verbietet (vgl. schon Rdn. 62), in Widerstreit gerät.183 Andererseits ist der Staat schon im Hinblick auf den Schutzpflichtengedanken (vgl. Vor § 166 Rdn. 6) zu einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung verpflichtet.184 ii) Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus unterliegen dem verfassungsrechtlichen Prinzip der strengen individualistischen religiös-weltanschaulichen Parität,185 das zusammen mit den Prinzipien der religiösen Neutralität (Rdn. 18 mit Fn. 41; Vor § 166 Rdn. 1 mit Fn. 1) und der Toleranz (Vor § 166 Rdn. 19) zu den tragenden

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N o c h weiter ginge ein „abendländischer Kulturv o r b e h a l t " (A. Albrecht K u R 1 [1995] 26; vgl. a u c h Kirchhof H d S t K i R S. 668 f, 683 f). Er ist gänzlich unakzeptabel (Dreierl Morlok A r t . 140/ A r t . 137 W R V R d n . 99 F n . 287; ferner v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 151 F n . 58; Korioth Gedächtnisschrift J e a n d ' H e u r S. 239 f; Link Z E K R 4 3 [1998] 22; MorloklHeinig S. 697fT; Muckel Staat 38 [1999] 592). Bejahend B V e r w G E 105 117, 125f mit zust. A n m . Hollerbach J Z 1997 1114, 1117 u n d zust. Bespr. Abel N J W 1997 2370; A. Albrecht K u R 1 (1995) 27; v. MangoldtlKleinlv. Campenhausen A r t . 140 R d n . 150; Hollerbach R d n . 136; Kirchhof HdStKiR S. 682 fT; Muckel D Ö V 1995 316; Thüsing D Ö V 1998 26 f; vgl. a u c h das M i n d e r heitsvotum der E n q u e t e - K o m m i s s i o n „Sogen a n n t e Sekten u n d P s y c h o g r u p p e n " des D e u t schen Bundestages z u r Ü b e r p r ü f u n g , o b eine ausdrückliche A u f n a h m e der Kriterien d e r Rechtstreue u n d d e r Loyalität als Voraussetzungen f ü r die A n e r k e n n u n g einer Religionsgemeinschaft als K ö r p e r s c h a f t des öffentlichen Rechts angebracht ist (BTDrucks. 13/10950 S. 156); einschränkend Loschelder S. 165; Pageis J u S 1996 790, 796; Reupke K u R 3 (1997) ff; SachslEhlers A r t . 140/Art. 137 W R V R d n . 20 F n . 119; ablehn e n d O V G Berlin O V G E 10 105, 107; V G Berlin N V w Z 1994 609, 611 ; M. Brenner S. 287; Dreierl Morlok A r t . 140/Art. 137 W R V R d n . 99; Fechner Jura 1999 519f; Huster J u S 1998 120f; Jeand'HeurlKorioth R d n . 233 ff; Korioth Gedächtnisschrift J e a n d ' H e u r S. 224, 241 ff; MorloklHeinig N V w Z 1999 702 f; Müller- Volbehr N J W 1997 3358, 3359; Robbers S. 419f; Herrn. Weber Z E K R 34 (1989) 357; 51 (1996) 129. B V e r f G E 102 370, 395 ff. O f f e n geblieben ist freilich, o b der betreffenden Religionsgesellschaft, den Z e u g e n Jehovas, die begehrten Körperschaftsrechte aus a n d e r e n G r ü n d e n zu versagen sind, etwa weil die von ihnen empfohlenen

E r z i e h u n g s m e t h o d e n das Wohl d e r K i n d e r beeinträchtigen oder austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder mit sonst v o m G r u n d g e s e t z missbilligten Mitteln in der G e m e i n s c h a f t festgehalten werden; dazu Abel N J W 1999 332; v. Campenhausen Z E K R 46 (2001) 176 ff; vgl. a u c h R d n . 70 mit F n . 192. 182

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N ä h e r z u m Verleihungsverfahren v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 150f; Held S. 126 ff; Kirchhof H S t K i R S. 686 f; Herrn. Weber Z E K R 34 (1989) 363fT. N i c h t zuletzt d a r a u f f u ß t die Kritik a n den als zu weitgehend e m p f u n d e n e n A n f o r d e r u n g e n , die das Bundesverwaltungsgericht a n die Verleih u n g der Körperschaftsrechte stellt (Müller- Volbehr N J W 1997 3358 f; Reupke K u R 3 [1997] 97); ferner Heckel H d S t K i R S. 490; Herrn. Weber Z E K R 34 [1989] 357).

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D a z u n ä h e r Fechner J u r a 1999 520; ferner Pageis J u S 1996 794; Reupke K u R 3 (1997) 100; vgl. aber a u c h die Kritik von W. Weber a n der ausgeuferten Verleihungspraxis in einzelnen Bundesländern (Religionsgesellschaften Sp. 995). Eine ausführliche Z u s a m m e n s t e l l u n g der kleinen öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaften in den alten B u n d e s l ä n d e r n findet sich bei Held S. 149ff; Hans Schütze A n h a n g u n d Ü b e r sichtsblätter I bis V; einen Überblick über die Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts geben J. Lehmann S. 23 ff u n d Kirchhof H d S t K i R S. 678 f.

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U m f a s s e n d dargestellt bei Heckel H d S t K i R S. 589 ff; ausführliche A n g a b e n a u c h bei M. Brenner S. 280 ff; DreierlMorlok A r t . 140/Art. 137 W R V R d n . 37 ff; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 168 ff; Listi!Hollerbach S. 1277 ff; Maunz! Dürigl Maunz A r t . 140 R d n . 47; Mayer-Scheu S. 13 ff; Muckel Freiheit S. 82 ff; Herrn. Weber Religionsgemeinschaften S. 40ff. Krit. z u r Aufrechterhalt u n g des Paritätsgrundsatzes im Staatskirchenrecht Obermayer B K A r t . 140 R d n . 87.

Stand: 1. 7. 2003

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§166

Grundsätzen des deutschen Staatskirchenrechts gehört (vgl. BVerfGE 19 1, 8; 24 236, 246; 32 98, 106), und dessen Einhaltung durch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 3 G G sowie die in Art. 33 Abs. 3 G G vorgeschriebene Unabhängigkeit der Inanspruchnahme bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte von einem religiösen Bekenntnis garantiert wird (Listi!Höllerbach S. 1277). Die absolute Geltung dieses Grundsatzes für altkorporierte ebenso wie für durch spätere Verleihung inkorporierte Religionsgesellschaften ist in einem weltanschaulich neutralen, dem allgemeinen Gleichheitssatz verpflichteten demokratisch verfaßten Staat ein unabweisbares Gebot (.Friesenhahn ZSR 94 [1975] 13; vgl. auch Smend Z E K R 2 [1952/53] 380). Demgegenüber vermag die Auffassung, ungeachtet der, ohnehin nur virtuellen, Parität aller öffentlichrechtlicher Religionsgesellschaften in Art. 137 Abs. 5 und 6 WRV könne nach dem noch bestehenden Verständnis des Staatskirchenrechts und seiner vorherrschenden Auslegung wohl nicht festgestellt werden, daß der Staat altkorporierte Kirchen und Freikirchen sowie Sekten als jüngere Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Gestalt von Religionsgesellschaften unterschiedslos gleichstellen möchte, 186 nicht zu überzeugen. Freilich dürften, worauf diese Meinung sich wohl reduzieren läßt, in der staatskirchenrechtlichen Praxis gewisse sachlich begründete Differenzierungen, die das Prinzip selbst nicht in Frage stellen, unvermeidlich sein.187 jj) Der Kreis der Religionsgesellschaften, der insgesamt unter den Schutz des § 166 70 Abs. 2 fallt, ist so vielfaltig,188 daß er sich kaum gliedern läßt. Eine grobe Einteilung führt von den christlichen Kirchen über Freikirchen und Sekten zu den nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften (Badura HdStKiR S. 226; vgl. auch die Systematisierung bei ReilerlKrech!Kleiminger S. 29 fi). Zu den christlichen Kirchen gehören neben den großen Volkskirchen die alt-katholische, die griechisch-katholische, die griechisch-orthodoxe, die russisch-orthodoxe, die serbisch-orthodoxe und die anglikanische Kirche. Als Freikirchen verstehen sich Religionsgesellschaften, die sich um die Erneuerung urchristlichen Gemeindelebens bemühen, beispielsweise die Verbündeten Evangelisch-lutherischen Freikirchen, darunter die Altlutheraner, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, zu dem die Baptisten (vgl. RGSt. 31 237) gehören, die Evangelisch-methodistische Kirche, die Evangelische Gemeinschaft, die Brüdergemeinden, die Kirche des Nazareners, die Mennoniten, die Pfingstbewegung, die Quäker und die Heilsarmee (dazu RGSt. 39 388; Held S. 109 Fn. 4; J. Lehmann S. 34).189 Zwischen Freikirchen und Sekten stehen Sondergemeinschaften, die zwar Beziehungen zu den Kirchen unterhalten, aber Sonderlehren vertreten, die zum Teil sektiererische Züge tragen {ReilerlKrech!Kleiminger S. 177), so etwa die Weltweite

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R Mayer Z E K R 7 (1959/60) 179; vgl. aber auch Ruppel E K L Sp. 952; W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 995. BVerfGE 41 29, 51; BVerwGE 87 115, 127; DreierlMorlok Art. 4 Rdn. 124; Hesse Z E K R 3 (1953/54) 193f; Jeand'HeurtKorioth Rdn. 227; ListllHollerbach S. 1277 f; u MangoldllKlein! Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 8; v. MünchlKunigl Mager Art. 4 Rdn. 3; Obermayer BK Art. 140 Rdn. 87; Scheuner Z E K R 7 (1959/60) 270 f; Seifertl Hömigl Bergmann Art. 140 Rdn. 5, 12; Herrn. Weber Religionsgemeinschaften S. 44f; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 29; vgl. auch schon BVerfGE 19 129, 134f zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Besserstellung unterschiedslos

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aller Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus gegenüber anderen Religionsgesellschaften; zweifelnd M. Brenner S. 286. Eine Aufstellung sämtlicher Religionsgesellschaften im deutschsprachigen Europa mit knappen Angaben über Entstehung, Geschichte und Organisation, bei Sondergruppen auch mit wertenden Gedanken aus christlich-evangelischer Sicht, findet sich bei Eggenberger Die Kirchen, Sondergruppen und religiösen Vereinigungen, 6. Aufl. (1994). Insgesamt zu den Freikirchen ReilerlKrechlKleiminger S. 29 ff; W. Weber Religionsgesellschaften Sp. 994.

Karlhans Dippel

§ 166

11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich a u f Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

Kirche Gottes, die Gemeinschaft der Siebenten-Tage-Adventisten, die Tempelgesellschaft und die Lorberianer. Sekten stehen dem reformatorischen Kirchenwesen deutscher Prägung noch ferner als Freikirchen und Sondergemeinschaften.190 Es sind religiöse Organisationen, die mit christlichen Überlieferungen wesentliche außerbiblische Wahrheiten und Offenbarungsquellen verbinden,191 beispielsweise die Neuapostolische Kirche, die Christian Science, die Darbyisten (Herzog NK Rdn. 21), die Christengemeinschaft, die Johannitische Kirche, die Unitarier, die Zeugen Jehovas192 und der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands.193 Der Übergang ist fließend (R Mayer ZEKR 7 [1959/60] 162; IV. Weber Religionsgesellschaften Sp. 994). Zu den nichtchristlichen Religionsgemeinschaften gehören zunächst diejenigen, die durch Wanderbewegungen nach Deutschland gekommen sind, so vor allem alte Religionen wie das Judentum,194 der Islam,195 der Hinduismus und der Buddhismus, aber auch neuere Erscheinungsformen wie die Bahá'i-Gemeinschaft, eine aus dem schiitischen Islam enstandene Glaubensrichtung.196 Von den übrigen nichtchristlichen Gemeinschaften haben überwiegend religiösen Charakter die synkretistischen Neureligionen und die missionierenden Religionen des Ostens; hingegen sind die esoterischen und neusynoptischen Bewegungen trotz ihrer religiösen Funktionen durchweg Weltanschauungsvereinigungen (vgl. Rdn. 73), während es sich bei Organisationen, die Techniken zur Lebensbewältigung anbieten (beispielsweise die Landmark Education) oder Psychotechniken unterschiedlicher Herkunft gebrauchen, um das Leben ihrer Mitglieder zu beeinflussen (so die äußerst umstrittene Scientology Church197), regel190

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Zum grundlegend anderen Verhältnis der großen Kirchen zu den Freikirchen als dem zu den Sekten R. Mayer ZEKR 7 (1959/60) 163 ff. Relier/Krech/Kleiminger S. 245. Zum Begriff und zur Typenbildung der Sekten auch Marhold Sp. 194 ff; ferner Lemhöfer H K 52 (1998) 137. Dazu aus neuerer Zeit BVerfGE 102 370, 395; BVerwG NJW 1997 2396; OLG Köln NJW 1984 404; OVG Berlin NVwZ 1996 478; VG Berlin NVwZ 1994 609; Abel NJW 1997 2372; Fechner Jura 1999 520 ff; Gödan S. 128 ff; Link ZEKR 43 (1998) 14ff (Ergebnis S. 53f); Reilerl KrechlKleiminger S. 370ff; Lemhöfer HK 52 (1998) 137f; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 15; vgl. auch schon Rdn. 68 mit Fn. 181. In 1950 erneuerter, erstmals 1859 vollzogener Zusammenschluß des Deutschkatholizismus und der (protestantischen) Lichtfreunde. Nach freireligiöser Auffassung ist der Mensch nicht Sünder vor Gott, sondern nur sich selbst verantwortlich, und das Böse nur Durchgang zum Guten. Der Anteil der Angehörigen jüdischer Religionsgemeinschaften betrug 1987 nur (oder wieder) 0,1 % der Bevölkerung der Bundesrepublik (Listi!Hollerbach S. 1269). Islamische Gemeinden haben sich in kurzer Zeit von völliger Bedeutungslosigkeit zur drittstärksten religiösen Kraft entwickelt. Allein bis 1987 ist der Anteil ihrer Angehörigen an der Bevölkerung der Bundesrepublik auf 2,7% angewachsen (Listi!Hollerbach S. 1269). Zur Religionsfreiheit für den Islam näher Janz!Rademacher NVwZ 1999 706 ff; v. Campenhausen ZEKR 25

(1980) 137; Staatskirchenrecht S. 88ff. Vgl. ferner Marré/Stüting Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Heft 20 (1986) mit den Vorträgen von Johansen Staat, Recht und Religion im sunnitischen Islam - Können Muslime einen religionsneutralen Staat akzeptieren? (S. 12); A. Albrecht Religionspolitische Aufgaben angesichts der Präsenz des Islam in der Bundesrepublik Deutschland (S. 82) und Loschelder Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes (S. 149). 196

Vgl. dazu BVerfGE 83 341, 354f; OVG Berlin NVwZ 1999 786; Badura Staatsrecht S. 139; M. Brenner S. 281; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 133ff; Benz Neue Religionen S. 56ff; Gerì Sp. 1138; Lanczkowski S. 106ff; v. MangoldtlKlein!Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 48; Relier!Krech!Kleiminger S. 925 ff; Winter ZEKR 42 (1997) 377, 382f. 19 ' Sie gilt, erst 1971 auch in Deutschland gegründet, als aggressivster Anbieter auf dem Markt derjenigen Bewegungen, die Selbsterlösung durch Therapie versprechen (Lehmhöfer H K 52 [1998] 140). Fragwürdig sind ebenso die Zielsetzung wie auch die Methoden der Organisation. Ihre Qualifikation als „Kirche", die sie erst 1984 zu begründen versucht hat (vgl. VG Hamburg NVwZ 1991 806; Liebl Sp. 965), wird vielfach nur als Ummäntelung ihrer rein wirtschaftlichen Tätigkeit angesehen. Dazu Abel Religionsfreiheit S. 25ff; NJW 1999 332, 335; 2001 412ff; Badura Schutz S. 64 ff; Staatsrecht S. 140; v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 85 Fn. 99; Gascard S. 16; Haack S. 147 ff; Jeand'Heur!

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

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mäßig weder um Religionsgemeinschaften noch um Weltanschauungsvereinigungen handelt (vgl. ReilerlKrechlKleiminger S. 387 ff, 501 ff, 687 ff, 939 fi). Als synkretistische Neureligionen gelten Gemeinschaften, die Elemente verschiedener Religionen und Weltanschauungsysteme miteinander verbinden. Zu ihnen gehören die Children of God,198 die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen), die ungeachtet ihres Namens einen christlichen Hintergrund kaum erkennen läßt, die Vereinigungskirche (Munbewegung),199 der Orden Fiat Lux, der nach dem Vorbild der katholischen Kirche organisierte Caodaismus und das Universelle Leben, eine deutsche Neugründung, die besonders auffallig geworden ist.200 Unter die missionierenden Religionen des Ostens fallen vor allem die Jugendreligionen,201 die in den 1970er Jahren große Verunsicherungen hervorgerufen haben. Ihnen ist eine synkretistische Lehre, die Verehrung einer zentralen Führergestalt mit messianischem Anspruch (Guru), eine totalitäre organisatorische Struktur, Elitebewußtsein sowie strikte Lebens- und Gütergemeinschaft gemeinsam.202 Bekannteste Beispiele sind die Transzendentale Meditation,203 die Divine Light Mission,204 die Internationale Gesellschaft für Krishna Bewußtsein,205 die Ananda Marga206 und die Osho (Rajneesh) Be-

Korioth Rdn. 93; KantwilliRiippel Kriminalistik 1979 471 f; Liebl Sp. 998f; v. Mangoldl/Kleinl Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 50; Muckel Freiheit S. 133f; Thiede Ethica 1 (1993) 339ff; LM 23 (6/1993) 29; Thäsing Z E K R 45 (2000) 612ff; Reiteri Krechl Kleiminger S. 978 ff; Schach Festschrift Müller-Dietz S. 807 f, 820; Veelken S. 80ff; Winter Z E K R 42 (1997) 372ff; vgl. auch schon Vor § 166 Rdn. 17 mit Fn. 81. Das Bundesarbeitsgericht hat der Scientology Church den Charakter einer Religionsgemeinschaft abgesprochen (BAGE 79 319, 337ff). Aus der Rechtsprechung im übrigen BVerwG NJW 1998 1166; O L G Düsseldorf NJW 1983 2574, 2575 f; OLG München NVwZ 1994 203, 204; VG Hamburg NVwZ 1991 806, 808 ff; VG Stuttgart NVwZ 1994 612, 613fT; vgl. auch BVerfG NJW 2002 2227, 2228. Zu rechtlichen Reaktionen ausländischer Staaten Abel NJW 1999 336f; 2001 419f; M. Brenner S. 269 Fn. 18; Liebl Sp. 969 (Australien); ferner Thiising Z E K R 45 (2000) 597ff. 198

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Dazu Abel Religionsfreiheit S. 32ff; Gascard S. 19f; Haack S. 266ff; KantwilHRüppel Kriminalistik 1979 471; Reiteri Krechl Kleiminger S. 403 ff. Abel Religionsfreiheit S. 13 f; Badura Schutz S. 70f; Gascard S. 18; Haack S. 93 ff; Kantwill/ Rüppel Kriminalistik 1979 473; Lemhöfer H K 52 (1998) 138; Reilerl Krechl Kleiminger S. 426 ff; vgl. auch Abel NJW 2001 414. Einzelheiten bei Lemhöfer H K 52 (1998) 137; vgl. auch BVerfG DVB1. 1993 1204; NVwZ 1995 471; VGH München BayVBI. 1993 692, 693; NVwZ 1995 502; 1995 793; OVG Münster NVwZ 1986 400; O L G Frankfurt KirchE 32 90; N J W 1995 876. Zur Entstehung des Begriffs und der Kritik, die ihm begegnet, Haack S. 7 ff; ferner OVG Münster NVwZ 1986 400, 401 (abwertende Bedeu-

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tung); Veelken S. 1 Fn. 4; vgl. aber auch BVerfG NJW 2002 2626, 2627 (verfassungsrechtlich unbedenklich). Das Schrifttum zum Thema Jugendreligionen ist umfangreich (vgl. nur die Auflistung bei Haack S. 412ff, die auch das nicht deutschsprachige europäische und das amerikanische Schrifttum in Auswahl erfaßt). Einen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der Problematik vermitteln die Beiträge bei H. W. Baumann „Jugendsekten" und neue Religiosität, 2. Aufl. (1984), das Nachschlagewerk von Hauth Jugendsekten und Psychogruppen von A bis Z, 2. Aufl. (1983), das Kompendium von Nannen Die himmlischen Verführer (1979) mit Erfahrungsberichten zu einzelnen Bewegungen u . a . von Bizer (S. 47 fi), Dörfler (S. 21 ff), Juppenlatz (S. 105 ff), Maaß (S. 203 ff), Petschull (S. 171 ff), Urriewski (S. 139 fi) und Zander (S. 79 ff), sowie die Informationen, Analysen und Alternativen bei Schöll Handbuch der Jugendreligionen, 2. Aufl. (1985). Mit Glaubensgemeinschaften außerhalb der Kirche insgesamt beschäftigen sich die Beiträge bei Reimer Stichwort Sekten (1977). Dazu BVerfG NJW 1989 3269, 3270; BVerwGE 82 76, 84ff; femer Abel Religionsfreiheit S. 46ff; Badura Schutz S. 67 ff; Gascard S. 17; Haack S. 183 ff; Kantwilli Rüppel Kriminalistik 1979 472 f; Lanczkowski S. 97 f; Reilerl Krechl Kleiminger S. 794 ff. Näher Abel Religionsfreiheit S. 54; Gascard S. 20 f; Haack S. 244ff; Kantwilli Rüppel Kriminalistik 1979 469; Lanczkowski S. 98 f. Dazu Badura Schutz S. 63 f; Gascard S. 21 f; Haack S. 82ff; Lemhöfer H K 52 (1998) 139; Kantwilll Rüppel Kriminalistik 1979 469ff; Lanczkowski S. 99 f; ReilerlKrechlKleiminger S. 757 ff. Näher Abel Religionsfreiheit S. 56f; Gascard

ICarlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

wegung. 207 Sie wurden durchweg als Religionsgesellschaften anerkannt, werden teilweise aber auch als Weltanschauungsgemeinschaften angesehen (vgl. die Einstufungen bei Badura Schutz S. 58fl). Einschränkungen des Schutzbereichs von Art. 4 GG, die durch ein Handeln solcher Gemeinschaften im Hinblick auf die Integrität anderer Rechtsgüter notwendig erscheinen, sind konstruktiv über die Schranken des Grundrechts zu bewirken, nicht durch eine Verengung seines Schutzbereichs (Dreier/Morlock Art. 4 Rdn. 45). 71

kk) Keine Religionsgesellschaften sind Vereine und Gemeinschaften, die nur bestimmte religiöse Einzelzwecke verfolgen (Dickel Sp. 589; Jurina HdStKiR S. 693; Mikat Grundrechte S. 150); auch Art. 140 G G mit Art. 137 WRV gilt hier nicht (Dickel Sp. 590; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 15). Zu dieser Gruppierung gehören etwa Vereinigungen zum Abhalten von Bibelstunden oder solche Gemeinschaften, die in erster Linie den helfenden Zweck der Religion pflegen (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 15), wie die Innere Mission oder die Caritas (Eser S. 1033; Rudolphi SK Rdn. 5). Letztere unterstützen zwar Ausschnitte aus dem Bekenntnis, sind diesem aber nicht gleichzusetzen. Sie werden zu Religionsgesellschaften auch dann nicht, wenn sie sich aus Mitgliedern verschiedener Religionsgesellschaften zusammensetzen (Anschütz Art. 137 Anm. 2; Dickel Sp. 589).

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c) Neben den Religionsgesellschaften sind Weltanschauungsvereinigungen Angriffsgegenstand. aa) Als Weltanschauungsgemeinschaften gelten esoterische und neugnostische Bewegungen, Weltdeutungssysteme mit religiösen Funktionen, deren Mitglieder ihrem Bekenntnis teils mit, teils ohne Kultgemeinschaft leben (RellingerlKrechlKleiminger S. 501). Da Weltanschauungsvereinigungen den Religionsgesellschaften gleichgestellt sind (Art. 140 G G mit Art. 137 Abs. 7 WRV), unterliegen sie grundsätzlich denselben Anforderungen. Daher gelten zunächst die Erläuterungen dort, namentlich zu den inhaltlichen Kriterien (Rdn. 62), zur Ordnungsstruktur und der Mitgliederzahl (Rdn. 63), zu wirtschaftlicher oder politischer Tätigkeit einer Vereinigung (Rdn. 64, 65) sowie zur Doppelmitgliedschaft (Rdn. 66), entsprechend.

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bb) Weltanschauungsvereinigungen sind Zusammenschlüsse von Personen zu dem Zweck, ihre durch die gemeinsame Weltanschauung gesetzten Aufgaben, die in einer Sinndeutung der Welt im Ganzen, wenn auch ohne religiöse Beziehung (Rdn. 20), liegen, umfassend zu erfüllen (BVerwGE 89 368, 370f; dazu Listi HdStKiR S. 453). Im Hinblick auf die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 G G ist der Begriff Weltanschauung dem der Religionsgesellschaft entsprechend ebenfalls in einem weiten Sinne zu interpretieren (Listi HdStKiR S. 453). Vereinigungen, die nur Ausschnitte aus ihrer Gesamtschau verwirklichen wollen, werden aber auch hier nicht erfaßt. 208 Ohne Bedeutung ist, wenn die Vereinigung nicht nur areligiös ist, sondern sogar eine religionsfeindliche Lehre vertritt (Mikat Grundrechte S. 150; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 16; Seidel S. 153). Körperschaften des öffentlichen Rechts sind

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S. 18f; Haack S. 216ff; KantwilURüppel Kriminalistik 1979 468 f; Relier!KrechlKleiminger S. 714fT. Dazu BVerfG NJW 2002 2626, 2627; BVerwG NJW 1991 1770; OVG Münster NVwZ 1991 174, 176 mit Anm. Sachs JuS 1991 770; Badura Schutz S. 61 ff; Lemhöfer HK 52 (1998) 138.

208 MaunzlDürig/Maunz Art. 140 Rdn. 20 (mit dem Beispiel der Freikörperkulturbewegung); Obermayer BK Art. 140 Rdn. 41; Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16; Zippelius BK Art. 4 Rdn. 108.

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B e s c h i m p f u n g v o n Religionsgesellschaften u n d W e l t a n s c h a u u n g s v e r e i n i g u n g e n

§ 1 6 6

unter den Weltanschauungsvereinigungen bislang nicht bekannt (Obermayer BK Art. 140 Rdn. 46). cc) Beispiele anerkannter Weltanschauungsgemeinschaften sind die Freimaurer, 7 4 die Humanistische Union (zweifelnd neuerdings Schöch Festschrift Müller-Dietz S. 806 f), die Rosenkreuzer, der Humanistische Verband Deutschlands, die Anthroposophische Gesellschaft, die Theosophen (mit New Age und Universale Kirche), die Esperantisten, der Bund für naturgemäße Lebensweise, der Bund für Freikörperkultur, Vereinigungen, die den Satanismus (etwa die Ecclesia Gnostica Catholica und die First Church of Satan) und den Spiritismus (beispielsweise die Geistige Loge Zürich) pflegen, der Deutsche Monistenbund, die Deutschen Unitarier, der Deutsche Freidenkerverband, die Gralsbewegung sowie die deutschgläubigen und völkisch-religiösen Gruppen wie der Bund für Deutsche Kirche, die Geistchristliche Religionsgemeinschaft und der Bund für Gotterkenntnis (früher Deutsche Gotterkenntnis Haus Ludendorff). 209 Nicht als Weltanschauungsvereinigungen gelten beispielsweise die Klubs der Rotarier und der Lions, weil sie zwar ein höheres Ziel, nicht aber eine bestimmte Gesamtschau der Welt zu verwirklichen suchen (vgl. dazu schon Rdn. 20). Auch politische Parteien scheiden danach als Weltanschauungsvereinigungen aus (,SehlSchröder/I^enckner Rdn. 16; TröndlelFischer Rdn. 7; näher schon Rdn. 20). d) Geschützt sind ferner die einzelnen Einrichtungen und Gebräuche der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften. aa) Die Begriffe Einrichtungen und Gebräuche sind in die Neufassung des § 166 ungeachtet der Kritik, mit der ihnen in der Lehre begegnet worden ist, und die zum Teil sogar die rechtliche Leistungsfähigkeit der Enumerationsmethode verneint hat (insb. Bruns S. 40 ff; Kahl Festgabe v. Frank S. 306 ff), mit dem gleichen Inhalt übernommen worden, den sie nach der alten Fassung der Vorschrift hatten. Damit besteht die seit je zumindest als zu weitgehend empfundene (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 21; vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 17), nahezu unbegrenzte Anwendungsmöglichkeit der Begriffe fort. Der Gesetzgeber hat dies, weil gesehen (vgl. Miiller-Emmert Prot. V/121 S. 2433, 2435), gewollt.210 Der Vorschlag, den Strafschutz auf wesentliche Einrichtungen und Gebräuche zu beschränken (Güde Prot. V/121 S. 2434), ist an dem Einwand gescheitert, daß dadurch praktische Schwierigkeiten entstünden, insbesondere wenn der Täter geltend mache, er habe die Einrichtung nicht für eine notwendige gehalten, und dieser Irrtum dürfe ihm nicht zur Last gelegt werden (Dreher Prot. V/121 S. 2435). Deshalb hat eine restriktive Auslegung der Vorschrift in diesem Sinne auszuscheiden. Der Gefahr einer Ausuferung kann die Praxis nur dadurch entgegenwirken, daß sie in Fällen der Beschimpfung untergeordneter oder nur vereinzelt geübter Einrichtungen und Gebräuche eine Gefährdung des öffentlichen Friedens ver-

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Dazu BVerwGE 37 344, 366; Veelken S. 8 f; Winter ZEKR 42 (1997) 387. Zur Privilegierung dieser Bewegung im Dritten Reich Weber Gedächtnisschrift Jellinek S. 112. Im Gesetzgebungsverfahren ist darüber hinaus sogar eine das frühere Recht erweiternde Auslegung bei der Rechtsanwendung befürchtet worden. Daß der Gesetzgeber es für notwendig gehalten habe, die Einrichtungen und Gebräuche besonders zu nennen, könne zu dem Schluß Anlaß geben, er sei von der Vorstellung ausge-

gangen, es handele sich um solche Einrichtungen und Gebräuche, die nicht bereits Inhalt des Bekenntnisses seien (Horstkotte Prot. V/121 S. 2435). Dem ist jedoch mit Recht entgegengehalten worden, daß die Begriffe Bekenntnis einerseits sowie Einrichtungen oder Gebräuche andererseits sich überschneiden und daher die Beschimpfung allenfalls nur von beiden Begriffen erfaßt wird (Dreher Prot. V/121 S. 2435; Sturm Prot. V/121 S. 2435).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

neint (Burghard S. 50; Eser S. 1035; Rudolphi SK Rdn. 6) oder die Strafbarkeit am Vorsatz scheitern läßt (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 21).211 76

bb) Einrichtungen sind die von den dazu befugten Stellen der Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften geschaffenen Ordnungen und Formen für die innere und äußere Verfassung der Vereinigungen sowie für die Ausübung ihres Bekenntnisses.212 Bei Kirchen handelt es sich um die Ordnungen und Formen, die eine ihrer Autoritäten ins Leben gerufen und bestätigt hat.213 Zu eng ist, nur auf diejenigen tatsächlichen Übungen abzustellen, die den äußeren Ablauf eine Gottesdienstes oder einer Weltanschauungsfeier ausmachen (so aber Eser S. 1034). Andererseits genügt nicht, daß die Einrichtung von berufener Stelle in Bezug auf die Existenz, die Erhaltung und Entwicklung der betreffenden Gemeinschaft geschaffen worden ist, wenn sie nur äußerlich mit ihr zusammenhängt; vielmehr muß sie mit deren Wesen verbunden sein, bei Kirchen auch religiösen Inhalt haben,214 bei Weltanschauungsgemeinschaften in ihrem Ritual in Erscheinung treten. Einrichtungen sind hier als Elemente der Verfassung einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft und nicht im Sinne einer räumlichen Organisation zu verstehen (BayObLGSt 1954 144, 145; Herzog NK Rdn. 18; Rudolphi SK Rdn. 7). Einzelne Kirchenlehren und bestimmte kirchliche Personen, wie Luther, Maria, Päpste, sind ebenso wenig Einrichtungen wie Tatsachen und Vorgänge (BayObLGSt. 54 144, 148; Welzel Strafrecht § 65 I 2; vgl. auch Rdn. 77).

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cc) Anerkannte Einrichtungen sind, historisch bedingt, vor allem kirchliche: Die Christusverehrung; 215 die Menschwerdung Christi (LG Köln MDR 1982 771); die Leiden Christi (OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239f mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; LG Göttingen NJW 1985 1652); die Marienverehrung (RGSt. 2 428, 429; LG Düsseldorf NStZ 1982 290; LG Köln MDR 1982 771); die Evangeliumsverkündigung durch die Predigt (RGSt. 5 354, 357; BayObLGSt. 1954 144, 145; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211); die Taufe (RGSt. 67 373, 375); die Konfirmation (RGSt. 5 128; 5 188, 190); das Meßopfer; 216 die Spendung des Abendmahls (RGSt. 5 354, 355); die Eucharistie (OLG Karlsruhe NStZ 1986 364); die Beichte (RGSt. 33 221, 222); der Ablaß (RG GA 56 68); der Versehgang des Pfarrers zu einem Kranken (RGSt. 45 11, 12); die Predigt (RGSt. 9 158, 160; 26 39,40; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211); das Glaubensbekenntnis (RGRspr. 3 755; RG LZ 1925 375); das Vaterunser (RG Recht 211

212

Eser weist in diesem Zusammenhang (im Anschluß an Kahl VDB III S. 91; ebenso Kohlrausch S. 48 ff; Stuck S. 44; Thümmel Religionsschutz S. 43) auf die vergleichsweise Besserstellung der katholischen Kirche wegen ihres stärker ausgeprägten Brauchtums hin (S. 1035 Fn. 98); doch kann dieser Gesichtspunkt nicht zu einer modifizierten Anwendung der Vorschrift führen, weil sie grundsätzlich und unterschiedslos alles Brauchtum einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung erfaßt, wie es in der jeweiligen Auffassung begründet ist; vgl. dazu auch Bruns S. 40; Holsteins. 211\ Wilden S. 33. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 17; vgl. ferner RGSt. 26 435, 436; Herzog N K Rdn. 18; Joecks Rdn. 3; Lackner/Kühl Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 7; Tröndle!Fischer Rdn. 8.

213

214

215

216

RG JW 1915 42; BayObLGSt. 1954 144, 145; Frank Anm. II 2; Heimann-Trosien LK9 Rdn. 21. Eser 1034 Fn. 81 im Anschluß an Holstein S. 166 und unter Hinweis auf RGSt. 5 188, 190; vgl. auch RGRspr. 3 767; Frank Anm. II 2; Kahl VDB III S. 42 f. RGSt. 2 428, 429; 64 121, 123, 128; BayObLGSt. 1954 144, 146; OLG Düsseldorf N J W 1983 1211; O L G Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239 f mit Bespr. Otto J K O O § 166/1; LG Köln M D R 1982 771. RGSt. 33 221, 222; BayObLG DRiZ 1928 423 (Nr. 939); O L G Düsseldorf N J W 1983 1211; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 17/18; Tröndle! Fischer Rdn. 9.

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§166

1915 Nr. 2614; OLG Hamburg GA 1962 345, 347); der „englische Gruß" (RG GA 60 80); das Singen von Kirchenliedern (RG GA 37 362; RG H R R 1928 Nr. 1063); das Predigtamt (RGSt. 5 354, 355; 26 39, 40; 64 121, 123); das katholische Priestertum; 217 die Konzile (RGRspr. 1 521); die Fastenhirtenbriefe der katholischen Bischöfe (RG Recht 1932 Nr. 521); das evangelische Lehramt (RGRspr. 8 692); das Institut der kirchlich approbierten Orden (RGSt. 33 221, 222); die Sonntagsheiligung (RGRspr. 8 692); die kirchliche Ehe und der Zölibat (TröndlelFischer Rdn. 9). Die Rechtsprechung hat auch die Bibel, das Apostolikum, das Papsttum und die römische Kurie als kirchliche Einrichtungen anerkannt (vgl. RGSt. 9 158, 160; 40 262; OLG Dresden LZ 1926 1154). Das dürfte im säkularisierten, der Meinungsfreiheit verpflichteten Gemeinwesen nicht aufrechtzuerhalten sein (Herzog N K Rdn. 21; vgl. schon Rdn. 76).218 Eine Einrichtung des Judentums ist das Laubhüttenfest (RGSt. 47 142). Als Einrichtung des Islam dürfte der Gebetsruf des Muezzins (dazu schon Rdn. 14) anzusehen sein. Er ist zwar nicht ausschließlich religiös motiviert, hat aber bekenntnishaften Charakter und dient zumindest auch einem genuin religiösen Interesse (Muckel Festschrift Isensee S. 246; vgl. auch Jeand'Heur/Korioth Rdn. 79). Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften sind beispielsweise die Jugendweihe und das Zeremoniell der Freimaurer. dd) Als kirchliche Einrichtungen haben keine Anerkennung gefunden: Die Zehn 7 8 Gebote (RGSt. 26 435, 436); der Hochaltar (BayObLGSt. 1954 144, 145); die Kanzel, sofern nicht als Synonym für Predigtamt oder Predigt verwendet (RGSt. 26 39, 40; BayObLGSt. 1954 144, 145); die Monstranz (BayObLGSt. 1954 144, 145); der Rosenkranz (RG JW 1915 42); der Konfirmationsschein, wenn seine Beschimpfung nicht auch die Konfirmation betrifft (RGSt. 5 188, 1890; der katholischen Priesterstand als Inbegriff gewisser oder aller Priester (RGSt. 27 284, 285); die einzelnen kirchlichen Orden (RGSt. 33 221, 223). ee) Gebräuche sind die in der jeweiligen Auffassung einer Religionsgesellschaft 7 9 oder Weltanschauungsvereinigung begründeten und von ihr allgemein praktizierten tatsächlichen Übungen. 219 Dabei ist es gleichgültig, ob sie auf Gewohnheit oder Satzung beruhen (Eser S. 1034). Gebräuche müssen allgemein praktiziert werden, dürfen also nicht, wie persönliche Gewohnheiten oder örtliche Gepflogenheiten, nur im Einzelfall üblich sein (RGSt. 45 11; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 19). Andererseits läßt sich entgegen Eser (S. 1034) auch hier (vgl. schon Rdn. 76) eine Einengung auf diejenigen tatsächlichen Übungen, die den äußeren Ablauf eines Gottesdienstes oder einer Weltanschauungsfeier ausmachen, kaum rechtfertigen. Nur der Gebrauch selbst und nicht etwa die einzelne aufgrund des Gebrauchs vorgenommene Handlung fallt unter den Strafschutz. Deshalb genügt die Beschimpfung einer einzelnen einer allgemeinen Übung entsprechenden Handlung nur dann, wenn damit zugleich der Gebrauch als solcher getroffen werden soll (RGSt. 45 11; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 19).220 Zu einer sinnvollen Begrenzung des Tatbestandsmerkmals Tröndlel Fischer Rdn. 11. 217

218

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RGSt. 27 284, 285; 33 221, 222; 64 121, 123; RG Recht 1933 Nr. 193; BayObLGSt. 1954 144, 145; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211. Freilich kann der Glaube an solche Einrichtungen zum Inhalt des religiösen Bekenntnisses gehören (vgl. Triff lerer/Schmoller ÖJZ 43 (1993) 576 zu einem Druckwerk, in dem der Papst und Nonnen ungeachtet von deren Keuschheits-

gelöbnis unter anderem mit Gruppensex in Verbindung gebracht werden). Herzog N K Rdn. 19; Joecks Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rdn. 11; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 19. 220 Vgl. dazu bei den von der Rechtsprechung nicht anerkannten kirchlichen Einrichtungen 219

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§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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ff) Im kirchlichen Bereich sind als Gebräuche anerkannt: Die Reliquienverehrung (RGSt. 22 238, 239; 24, 12, 16); das Sichbekreuzigen (RGSt. 33 221, 222; and. LG Frankfurt NJW 1982 658); der Gebrauch des Weihwassers (RG GA 48 130, 131); die Erteilung des Segens (RG Recht 1914 Nr. 2786; RG H R R 1932 Nr. 1272; BayObLGSt. 1954 144, 145); das Kollektenwesen (RGRspr. 2 581, 582); die rituellen Formen und Gebete bei Beerdigungen (RGSt. 31, 133, 134); die Amtstracht des Geistlichen (RGSt. 6 88, 90). Für das Judentum gelten als Gebräuche die tatsächlichen Übungen, in denen die Pflichten gegen Gott kultisch-zeremoniellen Ausdruck finden, so in der Observanz der Sabbatfeier und der Festtage, in der Beschneidung (als Zeichen des heiligen Bundes zwischen Gott und Israel) und in der Befolgung der differenzierten Reinheits- und Speisegesetze, wie dem von Kultusbeamten vorgenommenen Schächten (vgl. dazu Rdn. 17 Fn. 40). Gebräuche des Islam beruhen auf zwingenden Verhaltensvorschriften des Korans. Dazu gehören beispielsweise das Fastenbrechen nach dem Ramadan und das Opferfest während der Wallfahrt nach Mekka, die Beschneidung (als Symbol der Aufnahme in die islamische Gemeinschaft), die rituellen Waschungen des Leichnams (vgl. VG Berlin NVwZ 1994 617), das Verbot des Genusses von Schweinefleisch und Wein (durch den Kijas auf alle alkoholischen Getränke ausgedehnt) sowie ebenfalls das Schächten (vgl. auch insoweit Rdn. 17 Fn. 40).

81

e) Die Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen, die selbst und in ihren Einrichtungen oder Gebräuchen geschützt sind, müssen im Inland bestehen. aa) Der funktionelle Begriff Inland umfaßt das Gebiet, in dem das deutsche Strafrecht aufgrund hoheitlicher Staatsgewalt seine Ordnungsfunktion geltend macht (BGHSt. 30 1, 4). Seit Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1 EV) deckt er sich mit dem staatsrechtlichen Inlandsbegriff und bezieht sich auf die in der Präambel des Grundgesetzes genannten Länder (LackneriKühl Vor §§ 3 bis 7 Rdn. 4). Näher, namentlich auch zu den Strafanwendungsproblemen nach der Vereinigung, Tröndlel Fischer Vor § 3 Rdn. 3Iff.

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bb) Der Inlandsbezug bedeutet nicht, daß ausländische Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen gänzlich ungeschützt seien. Eine ausländische Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung besteht auch im Inland, wenn sich einige ihrer Mitglieder dort zum Zwecke der gemeinsamen Pflege ihrer Religion oder Weltanschauung zusammengeschlossen haben (Jurina HdStKiR S. 690; Rudolphi SK § 167 Rdn. 4; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 20). Dabei ist es nicht notwendig, daß es sich um eine bedeutende Zahl von Mitgliedern handelt; denn es gibt keinen Grund, die Mitglieder einer im Inland bestehenden ausländischen religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung anders zu behandeln als die einer inländischen.221 Freilich

221

(Rdn. 78) die Beispiele Kanzel (RGSt. 26 39, 40; BayObLGSt. 1954 144, 145) und Konfirmationsschein (RGSt. 5 188, 189). Rudolphi SK § 167 Rdn. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 20; vgl. auch Seidel S. 151. And. Heimann-Trosien unter Hinweis auf die Auffassung des E 1962, Zusammenschlüsse weniger Mitglieder könnten kaum als Religionsgesellschaft bezeichnet werden (LK 9 § 167 Rdn. 6); doch bezieht sich diese nur auf Vereinigungen, deren Glaubensvorstellungen und Gebräuche für die

große Zahl der Bevölkerung seltsam, unverständlich oder gar anstößig sind (Begr. S. 344). Die Entscheidungen RGSt. 39 388 (Heilsarmee) und RGSt. 31 237 (Baptisten) sagen zu einer Mindestmitgliederzahl nichts aus. Eine andere Frage ist, ob mit ähnlichen Erwägungen, wie bei der Beschimpfung von Bekenntnissen Einzelner (Rdn. 22) sowie von untergeordneten oder nur vereinzelt geübten Einrichtungen und Gebräuchen (Rdn. 76, 79), bei nur wenigen Mitgliedern der betreffenden Vereinigung die Eignung der

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

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wird eine im Inland bestehende Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung dann nicht anzunehmen sein, wenn die ausländische Vereinigung zwar im Inland tätig wird, beispielsweise durch abgesandte Mitglieder für ihre Überzeugung wirbt oder hier lebende Mitglieder betreut, diese Mitglieder sich aber nicht zusammengeschlossen haben (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 20). 2. Die Tathandlung besteht im öffentlichen oder durch Verbreiten von Schriften 8 3 vorgenommenen Beschimpfen von Kirchen, anderen Religionsgesellschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, ihrer Einrichtungen und Gebräuche (Rdn. 59 bis 80). a) Beschimpfen ist dasselbe Handeln wie in § 166 Abs. 1. Daher gelten die Erläuterungen zum Beschimpfen des Inhalts des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer (Rdn. 24 bis 50) entsprechend. b) Streitig ist, ob das Beschimpfen sich gegen die Religionsgesellschaft oder die 8 4 Weltanschauungsvereinigung als solche richten muß (SehlSchröderILenckner Rdn. 21) oder deren mittelbare Beschimpfung ausreicht, etwa indem wesentliche Grundsätze der Gemeinschaft (Rdn. 16), ohne die sie ihren Sinn und Inhalt verlieren würde, angegriffen werden (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 20). aa) Für die Ansicht, daß sich das Beschimpfen gegen die Vereinigung als solche richten muß, spricht der Wortlaut der Bestimmung. Da nämlich jede Beschimpfung einer Einrichtung oder eines Gebrauchs mittelbar zugleich eine Beschimpfung der betreffenden Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung ist, folgt aus der Einstellung der Einrichtungen und Gebräuche als besondere Angriffsobjekte, daß das Gesetz andere Formen der mittelbaren Beschimpfung nicht treffen will. Dennoch hat die Rechtsprechung seit je den gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 166. Sein Schutz sollte sich nach dem Vorbild von § 135 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 auch auf die „Lehren" der Religionsgesellschaften sowie auf die „Gegenstände ihrer Verehrung" erstrecken. Diese Merkmale aber wurden vom Reichstag gestrichen, damit Kritik und Forschung nicht zu sehr beschränkt würden (Bruns S. 44; Stuck S. 44 f). Die daraus folgende Schutzlosigkeit selbst grundlegender Glaubenslehren, während andererseits Angriffe auch auf nebensächliche Einrichtungen und Gebräuche strafbar waren, glaubte die Rechtsprechung nicht hinnehmen zu können; sie hat die vermeintliche Lücke durch die Anerkennung der Möglichkeit einer mittelbaren Beschimpfung der Religionsgesellschaften ausgefüllt. 222 Im Schrifttum jedoch ist dieser Rechtsanwendung, weil weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes vereinbar, entschieden widersprochen worden (ζ. B. Binding Lehrbuch I S. 180; Bruns S. 45).

222

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Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, verneint werden kann. Z.B. Beschimpfung der christlichen Kirchen und der jüdischen Religionsgesellschaft durch Beschimpfung der Zehn Gebote (RGSt. 26 435, 436), der christlichen Kirchen auch durch Beschimpfung der Bibel (RGRspr. 7 658, 659; RGSt. 40 262, 264), des apostolischen Glaubensbekenntnisses (RGRspr. 3 755) und der göttlichen Natur (RG G A 49 280); Beschimpfung der katholischen Kirche durch Beschimpfung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des

Papstes (RG III 1481/83 vom 28.6.1883, teilweise abgedruckt in RGRspr. 5 676 Fn. 1; RGSt. 26 294, 296), der lutherischen Kirche durch Beschimpfung der Person Luthers (RGSt. 9 158, 160); Beschimpfung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariä als Beschimpfung der Einrichtungen des Marienkults und der Christusverehrung (RGSt. 2 428, 429); Beschimpfung der Lehre des Wunderglaubens als Beschimpfung des Gebrauchs der Reliquienverehrung (RGSt. 24 12, 21); vgl. auch RGSt. 70 94, 98 f; 70 245, 248 f.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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bb) Angesichts dieses Widerspruchs hat es an Reformversuchen nicht gefehlt. Der E 1925 beschränkt den Tatbestand auf die Bestrafung der Beschimpfung von Religionsgesellschaften und ihres Glaubens in der Erwägung, daß mit dieser Gleichstellung Vorschriften über die Gotteslästerung und über die Beschimpfung der „Einrichtungen und Gebräuche" entbehrlich seien (§ 167, Begr. S. 84). Im E 1927 wird den Religionsgesellschaften sowie ihren Einrichtungen und Gebräuchen der Glaube als weiterer Angriffsgegenstand hinzugefügt, damit der Tatbestand der Gotteslästerung entfallen könne (§ 180, Begr. S. 92). Im E 1962 ist der Tatbestand der Gotteslästerung (§187) beibehalten, gleichwohl aber im Tatbestand der Beschimpfung einer Religionsgesellschaft (§ 188) den bereits bestehenden Angriffsgegenständen der Glaube hinzugefügt worden, weil diese Erweiterung sachgemäß sei, durch sie aber auch die Schwierigkeiten vermieden würden, die im geltenden Recht bei der Feststellung bestünden, ob die Beschimpfung des Glaubens einer Religionsgesellschaft mittelbar eine Beschimpfung der Religionsgesellschaft selbst enthalte (Begr. S. 344). Mit der Kritik an der Ausweitung des Tatbestandes auf die Beschimpfung des Glaubens 2 2 3 hat sich in den Beratungen zum 1. StrRG der Vorschlag der Strafrechtskommission der Evangelischen Studiengemeinschaft durchgesetzt, statt des Glaubens den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zu schützen, in einem besonderen Tatbestand deshalb, damit das individuelle Bekenntnis des Einzelnen unabhängig davon, ob er es mit anderen teilt, erfaßt wird (ZEE 10 [1966] 180 = Prot. V/121 Nachtrag S. 2456r; vgl. auch Sturm Prot. V/121 S. 2426). Die Begriffe Glaube und Bekenntnis aber decken sich in gewissem Sinne (vgl. Meyer Prot. V/121 S. 2428).

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cc) Durch die Erweiterung des Tatbestandes ist ein Bedürfnis, andere als die genannten Formen einer mittelbaren Beschimpfung der Vereinigung in die Strafbarkeit einzubeziehen, entfallen. Es läßt sich auch nicht mit dem Hinweis begründen, daß bei § 166 Abs. 1 der Angriff auf Teile des Bekenntnisses genügt, wenn es sich um wesentliches Glaubensgut handelt, ohne welches das Bekenntnis seinen Sinn und Inhalt verlieren würde, weil dies eine Auslegung des Begriffs Bekenntnis (Rdn. 16) ist, die nicht zur Anerkennung einer mittelbaren Beschimpfung herangezogen werden kann. Sie entspricht der Auslegung des Begriffs Gebräuche, wonach die Beschimpfung einer einzelnen einer allgemeinen Übung entsprechenden Handlung genügt, wenn damit zugleich der Gebrauch als solcher getroffen werden soll (Rdn. 79).

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c) Fälle unmittelbarer Beschimpfung von Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften sind weniger häufig als die ihrer mittelbaren Beschimpfung über ihre Einrichtungen oder Gebräuche. Der Fall einer Kirchenbeschimpfung ist in der Äußerung gesehen worden, Christentum und Kirchen seien Inbegriff und leibhaftige Verkörperung und absoluter Gipfel welthistorischen Verbrechertums, neben dem selbst ein hypertropher Bluthund wie Hitler oder Stalin noch fast wie ein Ehrenmann erscheine, weil er doch von Anfang an die Gewalt gepredigt habe und nicht, wie die Kirche, den Frieden. 224 Im Kern mit dieser Beschimpfung identisch, wenn auch mit weniger herabwürdigender Umschreibung, ist die Bezeichnung der christlichen Kirche als eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt. 225 In diesen

223

224

Insb. Schilling Gotteslästerung S. 139ff; ferner Öffentlichkeitsausschuß der Rheinischen Landeskirche Prot. V/121 Nachtrag S. 2456m. AG Nürnberg Beschluß 22 JS 146/69 vom 4.5. 1971, mitgeteilt und besprochen bei Listi Religionsfreiheit S. 296 f.

225

O L G Celle NStE §166 Nr. 1 mit ausführlichem Sachverhalt NJW 1986 1275; OVG Koblenz NJW 1997 1175, 1176; vgl. schon Rdn. 24 mit Fn. 59.

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Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

§

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Rahmen gehört auch die Bezeichnung der christlichen Kirche als „bluttriefende Bestie".226 3. Der Taterfolg ist derselbe wie in § 166 Abs. 1. Die Beschimpfung muß geeignet 8 8 sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Ohne Einschränkung gelten dazu die Erläuterungen zu § 166 Abs. 1 (Rdn. 51 bis 58). IV. Die Rechtswidrigkeit der Beschimpfung folgt grundsätzlich ihrer Tatbestands- 8 9 mäßigkeit. Doch werden die Rechtfertigungsbestimmungen des § 193 angewendet werden können, freilich mit zumeist großen Schwierigkeiten bei der Interessenabwägung (Arzt/ Weber BT § 44 Rdn. 53). Besonderheiten ergeben sich für herabsetzende Äußerungen, die im Aussagegehalt eines Kunstwerks, namentlich einer Karikatur oder einer satirischen Darstellung (Rdn. 37), liegen. Bei der Abwägung, welchem der beiden konkurrierenden Grundrechte, der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) oder dem sich aus Art. 4 G G ergebenden und durch § 166 geschützten Gebot, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis anderer zu achten, Vorrang gebührt, handelt es sich nämlich nicht um ein Tatbestands- sondern um ein Rechtswidrigkeitsproblem (vgl. schon Rdn. 31 mit Fn. 66). Noll gelangt zu einem entsprechenden Rechtfertigungsgrund über § 193 und eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Wahrnehmung berechtigter Interessen, wenn die durch die Äußerung geschaffenen Werte bedeutender sind, als die Verletzung jener religiösen oder sittlichen Gefühle, die einer Verletzung solcher Art überhaupt ausgesetzt sind (ZStW 77 [1965] 32; vgl. auch Arzt! Weber BT § 44 Rdn. 53). Wiirtenberger empfiehlt unter Ablehnung eines Gewohnheitsrechts sowie einer Lösung aufgrund der erklärten oder vermuteten Einwilligung des Betroffenen die Annahme eines „übergesetzlichen" Rechtfertigungsgrundes (NJW 1982 612). Überzeugend erscheint demgegenüber die Auffassung von Lenckner, daß die Rechtfertigung unmittelbar aus dem Grundrecht und der Verfassung selbst folgt, nachdem sich in Konfliktsfällen schon bei der im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 G G gebotenen Abwägung (dazu Rdn. 34) ergibt, ob und inwieweit strafrechtlich geschützte Rechtsgüter verletzt werden dürfen. 227 Wird bei der Feststellung der erforderlichen Eignung einer im Aussageghalt eines Kunstwerks liegenden Beschimpfung zur Friedensstörung auf die Reaktion weiterer Kreis, statt auf die eines künstlerisch aufgeschlossenen, zumindest um Verständnis bemühten, wenn auch künstlerisch nicht notwendig vorgebildeten Menschen abgehoben (Tröndle 48 Rdn. 8; Wiirtenberger NJW 1982 615), greift für Beschimpfungen unterhalb der von der grundgesetzlichen Wertordnung bestimmten Grenzen ebenfalls Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G als Rechtfertigungsgrund ein (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10). V. Der innere Tatbestand verlangt Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt, 228 an 9 0 dem es jedoch beispielsweise fehlen kann, wenn die beschimpfende Äußerung schon von anderen Personen aufgestellt und publiziert worden war, ohne daß dies zu strafrechtlichen Beanstandungen geführt hatte.229 Der Vorsatz muß sich auf alle Merkmale 226

227

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In der im Dezember 1969 in der satirischen Zeitschrift „Pardon" veröffentlichten „Rede wider das Christentum" von Deschner, abgedruckt und kommentiert in LM 9 (1970) 46 f. Noll-Gedächtnisschrift S. 254; im Ergebnis ebenso Κ Α. Fischer S. 69, 142f; Lackneri Kühl § 193 Rdn. 14; Meyer-Volbehr DÖV 1995 308; Otto BT § 64 Rdn. 7; Tröndle/Fischer Rdn. 16; vgl. auch BVerfGE 32 98, 108f; dazu schon Vor § 166 Rdn. 6 mit Fn. 36.

228

229

OLG Köln NJW 1982 657, 658; KirchE 22 101, 102f; OLG Koblenz N J W 1993 1808, 1809; Herzog N K Rdn. 24; Lackner/Kühl Rdn. 7; Maurach BT Nachtrag 1970 § 45 Β 3; Preisendanz Anm. III; Rudolphi SK Rdn. 17; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 22; Tröndle/Fischer Rdn. 15. Zaczyk JuS 1990 890 (zu BayObLG NJW 1989 1744); ferner Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 22; vgl. auch OLG Köln N J W 1982 657.

Karlhans Dippel

§ 166

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

des Tatbestandes erstrecken, so auf die Öffentlichkeit und den beschimpfenden Charakter der Äußerung. 230 Auch muß der Täter wissen und billigend in Kauf nehmen, daß seine Äußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. 231 Dieses Bewußtsein kann bei einer unbedachten, impulsiven Äußerung fehlen, selbst wenn diese sich als besonders grob mißachtend darstellt (Herzog N K Rdn. 24; Preisendanz Anm. III). Zu berücksichtigen ist auch, daß Angriffe auf Bekenntnisse, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften oder ihre Einrichtungen und Gebräuche, die für den Angegriffenen sich als Beschimpfung darstellen, dem Angreifer hingegen als Ausdruck seines gerechten Zorns erscheinen können. 232 An dem für § 166 vorausgesetzten Vorsatz fehlt es, wenn sich die Beschimpfung nicht gegen ein bestimmtes religiöses Bekenntnis, sondern vor allem gegen eine bestimmte Person, die diesem Bekenntnis anhängt, richtet (OLG Koblenz NJW 1993 1808, 1809; Tröndlel Fischer Rdn. 15). Einer besonderen Absicht bedarf es, anders als in § 167 Abs. 1 Nr. 1 (vgl. dort Rdn. 17), nicht. 233 Unerheblich ist, ob der Täter von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugt ist (RGSt. 28 403, 408; 63 20; Herzog N K Rdn. 24; Tröndlel Fischer Rdn. 15). Sein Bildungsgrad kann insofern von Bedeutung sein, als er den beschimpfenden Charakter der Äußerungen nicht erkennt, beispielsweise weil es sich für ihn um alltägliche Ausdrücke handelt (RGSt. 24 12, 21; Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 24). 91

VI. Die Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen (§§ 78 fi). Doch können Beschimpfungen von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen besonderen Verjährungsvorschriften unterliegen, soweit es sich bei ihnen um Presseinhaltsdelikte handelt. Presseinhaltsdelikte sind Straftaten, bei denen die Strafbarkeit nicht im Verstoß gegen Vorschriften über Zeit, Ort oder Art des Vertriebs liegt, sondern im Inhalt des verbreiteten Druckwerks selbst ihren unmittelbaren Grund hat. 234 Zu ihnen gehören nicht nur die Tatbestände, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften als Presseinhaltsdelikte ausgestaltet sind,235 sondern jedwede Allgemeindelikte, die, wie § 166 Abs. 1, 2, auch mittels Verbreitung einer Druckschrift begangen werden. 236 Ihre Verjährung richtet sich nach den gegenüber § 78 kürzeren Fristen der Pressegesetze der Länder. 237 230

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RGSt. 9 158, 159; 22 238, 240; Herzog NK Rdn. 24; Preisendanz Anm. III; Tröndlel Fischer Rdn. 15. Herzog NK Rdn. 24; Lackner/Kühl Rdn. 7; Maurach BT Nachtrag 1970 § 45 Β 3; Zaczyk JuS 1990 890. Arztl Weber unter Hinweis auf bestimmte Inhalte der Thesen Luthers von 1517, die massiv die katholische Kirche und ihre Einrichtungen beschimpfen, Äußerungen, die den früheren Tatbestand der Gotteslästerung nicht erfüllt hätten, nach § 166 Abs. 2 aber strafbar wären (BT §44 Rdn. 52, 53). RGSt. 9 158, 159; 30 194, 195; RG HRR 1935 Nr. 396; Herzog NK Rdn. 24; Preisendanz Anm. III; Rudolphi SK Rdn. 17; SehlSchröder ILenckner Rdn. 22; TröndlelFischer Rdn. 15. Näher zum Begriff des Presseinhaltsdelikts einschließlich seiner extensiven oder restriktiven Interpretation Franke GA 1982 404 ff; Groß NJW 1966 638; NStZ 1994 313; Groß Presserecht Rdn. 653; TröndlelFischer § 78 Rdn. 8; vgl.

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auch OLG Frankfurt AfP 1984 40, 41; KG JR 1966 124, 125; OLG Koblenz NStZ 1991 45. Dazu Jähnke LK Vor § 78 Rdn. 4, 5; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 78 Rdn. 9; Tröndlel Fischer § 78 Rdn. 8; ferner LacknerlKühl § 78 Rdn. 8. Zusammenstellung der Pressegesetze der Länder bei GöhlerlBuddendieklLenzen Lexikon des Nebenstrafrechts (Stand September 2000) Rdn. 619; Groß NStZ 1994 312. BGHSt. 18 63, 65; 26 40, 46; OLG Oldenburg NJW 1960 303, 305; Franke GA 1982 408; Jähnke LK § 78 Rdn. 14. BGHSt. 33 271 mit Anm. Bottke JR 1987 167; BGHSt. 40 385; BGH NJW 1996 2585; 1999 508; BayObLG NJW 1987 1711; OLG Celle JR 1998 79 mit Anm. Popp-, OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 59; OLG Hamburg JR 1983 298 mit Anm. Bottke und Anm. Franke NStZ 1984 126; OLG Hamm NStZ 1989 578, 579; Groß Presserecht Rdn. 678 ff unter Angabe der einzelnen Regelungen; Jähnke LK § 78 Rdn. 14; Seh!Schröder!StreelSternberg-Lieben § 78 Rdn. 9

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Störung der Religionsausübung

§167

VII. Bei den Konkurrenzen ergeben sich keine besonderen Probleme. Soweit die 9 2 Tatbestände des § 166 sich überschneiden, etwa das Beschimpfen einer Einrichtung nach § 166 Abs. 2 mit dem Beschimpfen des Bekenntnisses nach § 166 Abs. 1, liegt nur eine einheitliche Tat vor (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 18). Im übrigen ist zwischen den Tatbeständen des § 166 Tateinheit möglich (TröndlelFischer Rdn. 17). Jeder der Tatbestände des § 166 kann tateinheitlich mit den §§ 130, 167, 167a, 168, 185, 186, 187, 304 konkurrieren. 238 Bei § 130239 ist zu differenzieren. Wegen der erhöhten Eignung zur Friedensstörung besteht trotz der Identität der Rechtsgüter Tateinheit, wenn die Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse (§ 166 Abs. 1) oder religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche (§ 166 Abs. 2) sich nicht zugleich gegen die durch das gemeinsame Bekenntnis oder die Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft verbundenen Personen richtet, oder sie nicht die besondere Qualität eines Angriffs auf deren Menschenwürde hat (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 23). Sind derartige Beschimpfungen jedoch zugleich solche der dazugehörigen Bevölkerungsteile und liegt in ihnen außerdem ein Angriff auf die Menschenwürde der Betroffenen, hat § 166 keine eigene Funktion mehr und tritt hinter dem strengeren § 130 zurück (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 1, 23). Auch § 185240 ist nicht schon stets mit der Strafbarkeit nach § 166 erfüllt (LG Köln M D R 1982 771, 772).

§167

Störung der Religionsausübung (1) Wer 1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder 2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Dem Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich.

Schrifttum Baldus Gottesdienstliche Handlungen als Störungen der Sonntagsruhe, DÖV 1971 338; Burtscheidt Das Sonn- und Feiertagsrecht nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919 (1932); van Calker Vom Grenzgebiet zwischen Notwehr und Notstand, ZStW 12 (1892) 443; Dirksen Das Feiertagsrecht, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien Bd. 39 (1961); Feller Das kirchliche und staatliche Recht der Sonn- und Feiertage in der Bundesrepublik, Diss. Marburg 1952; Häberle Der Sonntag als Verfassungsprinzip, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 551 (1988); Hoeren!Mattner Feiertagsgesetze der Bundesländer (1989); Huber Hans Geist und Buch-

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mit Beispielen kurzer Fristen; Tröndlel Fischer Rdn. 17, §78 Rdn. 7. Herzog N K Rdn. 25; Preisendanz Anm. IV; Rudolphi S K Rdn. 17; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 23; Tröndlel Fischer Rdn. 17.

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Zur Abgrenzung des § 166 von § 130 Abs. 1 Nr. 2 vgl. Rdn. 12. Zur Abgrenzung des § 166 von den §§ 185 fT vgl. Rdn. 13.

Karlhans Dippel

§ 167

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

stabe der Sonntagsruhe, Studia Theologiae Moralis et Pastoralis Tomus IV (1958); Kästner Der Sonntag und die kirchlichen Feiertage, in: ListUPirson Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 2. Aufl. (1995) 337 - zit.: Kästner HdStKiR; Knoll Sonntag in industrieller Gesellschaft, TheolGA 15 (1972) 225; Kunig Der Schutz des Sonntags im verfassungsrechtlichen Wandel, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin Heft 113 (1989); Mattner Sonn- und Feiertagsrecht, Studien zum öffentlichen Wirtschaftsrecht Bd. 3 2. Aufl. (1991); v. Muralt Wahnsinniger oder Prophet? Darstellung und Diskussion eines mit Psychotherapie behandelten Falles von Gottesdienststörung (1946); Plöchl Kirchliche Sonnund Feiertagsgesetzgebung und Arbeitsruhe, Festschrift für Hans Schmitz Bd. 1 (1967) 284; Rotering Sonn- und Feiertagsruhe, GS 52 (1901) 82; Schröder H. Die Addition strafloser Handlungen zu einer Straftat, JZ 1972 651; Seebald Nachweis der modifizierenden Kausalität des pflichtwidrigen Verhaltens, GA 1969 193; Strätz Sonn- und Feiertage, in: FriesenhahnlScheuner Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (1975) 801 - zit.: Strätz HdStKiR; Zahn Geschichte des Sonntags vornehmlich in den alten Kirchen (1978). Im übrigen gelten die Angaben Vor § 166 sowie zu § 166 und § 167 a.

Entstehungsgeschichte In seiner ursprünglichen Fassung stellte § 167 die durch Tätlichkeit oder Drohung bewirkte Hinderung der Ausübung des Gottesdienstes sowie in einem weiteren Tatbestand die Verhinderung oder Störung des Gottesdienstes oder einzelner gottesdienstlicher Verrichtungen, bewirkt durch Erregung von Lärm oder Unordnung, unter Strafe. Der E 1962 wollte an dieser Regelung grundsätzlich festhalten. Nach ihm sollten die Verhinderung des Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung und die Hinderung, daran teilzunehmen (§ 189 Abs. 1), sowie die Störung eines Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung und, insoweit entnommen aus § 166 a. F., die Verübung beschimpfenden Unfugs an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort (§ 189 Abs. 2) strafbar sein, ein Vorschlag, der sich auch auf die Erwägung gründete, daß der Nötigungstatbestand (§ 190) die Fälle schon deshalb nicht ausreichend erfassen würde, weil seine Mittel sich auf Gewalt und gefährliche Drohung beschränkten. Dem folgte das 1. StrRG nur teilweise. Es strich, und zwar ersatzlos, den ersten Tatbestand des § 167 a. F. und aus dem zweiten Tatbestand des § 167 a. F. den Fall der Verhinderung des Gottesdienstes. Erhalten blieb die Strafbarkeit der Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung als Nr. 1 des neuen § 167. Hinzu trat als Nr. 2 der Tatbestand der Verübung beschimpfenden Unfugs an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort. In beiden Tatbeständen wurden dem Gottesdienst die ihm entsprechenden Feiern von Weltanschauungsvereinigungen gleichgestellt. Aus den Gesetzesmaterialien. Niederschriften Bd. 12 S. 552, 601; E 1962 S. 43, 264, 344f; AE S. 7, 78ff; BTDrucks. IV/650; V/32; V/2285; V/4094 S. 3, 29f; Prot. V/121 S. 2421 ff, 2436ff, 2456aff; V/134 S. 2808f, 2818; BTProt. V/230 S. 12783ff. Übersicht Rdn.

Rdn. I. Allgemeines 1. Zwei getrennte Tatbestände . . . 2. Umfang des Strafschutzes . . . . a) Einschränkung der früheren Strafbarkeit b) Erweiterung der früheren Strafbarkeit

1- 7 1 2- 3 2 3

3. Deliktsform 4. Rechtsgut 5. Abgrenzung zum Versammlungsgesetz 6. Schutz der Sonn- und Feiertage II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2

Stand: 1. 7. 2003

4 5 6 7 8-17 (96)

Störung der Religionsausübung Rdn. 1. AngrifTsgegenstand 8-11 a) Eine im Inland bestehende Kirche, andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung 8 b) Die geschützten Kulthandlungen 9-11 aa) Gottesdienst 9 bb) Gottesdienstliche Handlung 10 cc) Weltanschauungsfeier . . . . 11 2. Die Tathandlung 12-15 a) Grundsätze 12 b) Einzelne Handlungen 13 c) Absichtlich und in grober Weise 14 d) Eignung zur Friedensstörung . . 15 3. Rechtswidrigkeit 16 4. Der innere Tatbestand 17

§167 Rdn.

III. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 mit Absatz 2 1. AngrifTsgegenstand a) Kirche, andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung b) Dem Gottesdienst gewidmete Orte aa) Grundsätze bb) Einzelfragen c) Weltanschaulichen Feiern gewidmete Orte 2. Die Tathandlung a) Grundsätze b) Einzelfálle 3. Der innere Tatbestand IV. Konkurrenzen

18-24 18-21

18 19-20 19 20 21 22-23 22 23 24 25

I. Allgemeines 1. Die Vorschrift enthält zwei Tatbestände. Der erste Tatbestand stellt die Störung 1 des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung, die von einer im Inland bestehenden Kirche oder einer im Inland bestehenden anderen Religionsgemeinschaft ausgeübt werden, unter Strafe (§ 167 Abs. 1 Nr. 1). Im zweiten Tatbestand wird der beschimpfende Unfug an Orten, die dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet sind, mit Strafe bedroht (§ 167 Abs. 1 Nr. 2). In beiden Fällen stehen dem Gottesdienst die entsprechenden Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich (§ 167 Abs. 2). 2. Der Umfang des Strafschutzes ist gegenüber dem früheren § 167 teils eingeschränkt, teils erweitert worden. a) Die Einschränkung der Strafbarkeit des Tatbestandes der Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung (Absatz 1 Nr. 1) durch Verzicht auf den Fall, daß jemand einen anderen gewaltsam oder durch Androhung eines Übels 1 daran hindert, einen Gottesdienst abzuhalten oder an einem Gottesdienst teilzunehmen, ist nur bedingt sachgerecht. Er beruht auf der vom AE (S. 79) vorgegebenen, vom Sonderausschuß übernommenen (vgl. Sturm Prot. V/121 S. 2436; BTDrucks. V/4094 S. 29) Auffassung, die betreffenden Handlungen seien überwiegend als Nötigung strafbar (so Preisendanz Anm. I; vgl. auch Tröndle!Fischer Rdn. 1), wobei spezielle Handlungstendenzen der Verhinderung eines Gottesdienstes sich als schulderhöhend auswirken müßten (Sturm Prot. V/121 S. 2436; Zipf S. 1944). Hierin liegt insofern eine Fehlauffassung (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 17), als neben der Verhinderung eines Gottesdienstes durch Erregung von Lärm oder Unordnung, die nicht zugleich Nötigungshandlungen sind (vgl. Entstehungsgeschichte), auch der Fall straflos bleibt, daß die potentiellen Teilnehmer eines Gottesdienstes angesichts von zu erwartenden Störungen von vornherein auf dessen Abhaltung verzichten. Eine Unstimmigkeit dieser Auffassung liegt außerdem darin, daß es nach ihr auch des Störungstatbestandes nicht bedurft hätte, weil die betreffenden Handlungen als ver1

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Womit § 167 als Fall einer „erfolgsvermeidenden Kausalität" (Seebald GA 1969 194) ausscheidet. Karlhans Dippel

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§ 167

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

suchte Nötigungen geahndet werden könnten (Maurach/SchroederlMaiwald Rdn. 17).

2 § 61

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b) Die Erweiterung des Tatbestandes auf beschimpfenden Unfug an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort (Absatz 1 Nr. 2) ist, nicht zuletzt auch aus systematischer Sicht (vgl. Vor § 166 Rdn. 11), uneingeschränkt sachgerecht. Mit der Einbeziehung der Feiern von Weltanschauungsvereinigungen in den Strafschutz und ihrer Gleichstellung mit dem Gottesdienst, wie er von Kirchen oder Religionsgesellschaften ausgeübt wird, folgt die Vorschrift der entsprechenden Ausgestaltung des § 166. Beide Tatbestände des § 167 schließen einander aus.

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2. Die Deliktsform der Bestimmung ist kaum zweifelhaft. Während § 166 nach seiner Neugestaltung als Eignungsdelikt den abstrakten Gefahrdungsdelikten nur im Ergebnis zugeordnet werden kann (vgl. § 166 Rdn. 2 bis 5), gehört § 167 deutlich zu dieser Deliktsform. Mit der absichtlichen und groben Störung von Kulthandlungen und dem beschimpfenden Unfug an einer Kultstätte umschreibt das Gesetz eine generelle Gefährlichkeit, ohne die Gefahrdung eines bestimmten Objekts im Einzelfall vorauszusetzen (vgl. § 166 Rdn. 3). Die Strafbarkeit setzt nicht eine Feststellung über die Eignung des betreffenden Verhaltens zur Friedensstörung voraus, sondern stellt die umschriebenen Verhaltensweisen unter der gesetzlichen Vermutung dieser Eignung unter Strafe. Mithin ist § 167 ein abstraktes Gefahrdungsdelikt, dem die unwiderlegliche Vermutung zugrunde liegt, daß Störungen des Gottesdienstes, einer gottesdienstlichen Handlung oder einer Weltanschauungsfeier und Entwürdigungen ihnen gewidmeter Stätten eine besonders friedensstörende Wirksamkeit innewohnen. 2

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3. Das Rechtsgut der Vorschrift hat denselben Grundcharakter, wie er auch § 166 innewohnt. Daher gelten zunächst die Erläuterungen dort (Rdn. 6 bis 11). Bei § 167 tritt allerdings ein eigenständiger weiterer Schutzzweck hinzu. Die Tatbestände des § 167 zielen darauf ab, den ungestörten Verlauf des Gottesdienstes, einzelner gottesdienstlicher Handlungen oder weltanschaulicher Feiern zu gewährleisten (Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2) und die Stätten des Gottesdienstes oder weltanschaulicher Feiern vor beschimpfendem Unfug zu schützen (Absatz 2 Nr. 2, Absatz 2). Auch sie sollen Handlungen verhindern, die das Toleranzgebot in grober, zu Störungen des öffentlichen Friedens geeigneter Weise verletzen. Dementsprechend ist primäres Schutzgut des § 167 der öffentliche Friede. 3 Anders als in § 166 ist in § 167 die Gefahr der Frie2

So ausdrücklich Herzog N K Rdn. 1, 15; Joecks BT Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 8 (für § 167 Abs. 1 Nr. 2); Schnieders S. 183, 211; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 8, 13; sinngemäß auch Eser S. 1027; Rudolphi SK Vor § 166 Rdn. 2. Grundsätzlich and. MaurachlSchroederl Maiwald 2, § 167 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 sei, weil tatsächlich Störungen des Gottesdienstes oder der kultischen Zeremonie durch das Verhalten des Täters nicht eingetreten sein müßten, ein Erfolgsdelikt (§ 61 Rdn. 17), während es sich bei § 167 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, da der Tatbestand keinen Erfolg im Sinne einer raum-zeitlich unterscheidbaren Außenwirkung voraussetze, um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt handele (§ 61 Rdn. 20); ebenso ZipfNJW 1969 1945; für § 167 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 auch Schmidhäuser BT 13/24 (Erfolgsdelikt mit Zielunwert).

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Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 51; Bucher BTProt. V/ 230 S. 12783; Eser S. 1027; Herzog N K Rdn. 1; Otto BT § 64 Rdn. 1; Rudolphi SK Vor § 166 Rdn. 1; Schnieders S. 183; and. Maurachl Schroederl Maiwald 2, als Schutzgut müsse die freie Religionsausübung angesehen werden, weil die Anerkennung des öffentlichen Friedens nur über den Gedanken der abstrakten Gefährdung möglich wäre, bei Tatbeständen, die, wie § 167, ein konkretes Rechtsgut schützten, die Heranziehung abstrakt gefährdeter hintergelagerter Rechtsgüter aber nicht nur unnötig, sondern sogar irreführend sei (§ 61 Rdn. 3); ähnlich Schmidhäuser, der allein auf die Störung der Religionsausübung abstellt (BT 13/23, 24); ebenfalls krit. Burghard S. 83 f.

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Störung der Religionsausübung

§167

densstörung als Strafbarkeitserfordernis allerdings nicht ausdrücklich aufgenommen worden. Dies erklärt sich jedoch allein dadurch, daß der Gesetzgeber die Tathandlungen des § 167 generell als geeignet erachtet hat, den öffentlichen Frieden zu stören (Rudolphi SK Vor § 166 Rdn. 2). Als Strafbarkeitsgrund ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zugleich Strafbarkeitsfilter (Eser S. 1027). Das hat insofern Bedeutung für die Auslegung, als die Tatbestände des § 167 von vornherein im Wege der teleologischen Reduktion so zu interpretieren sind, daß sie grobe Störungen der Kulthandlungen und Entwürdigungen der Kultstätten nur erfassen, wenn diese Verhaltensweisen die Gefahr einer Friedensstörung begründen (Rudolphi SK Vor § 166 Rdn. 2).4 Zum öffentlichen Frieden tritt als weiterer Schutzzweck die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung, soweit diese durch ihre Institutionalisierung ein besonderes Gewicht erhält (vgl. auch schon Vor § 166 Rdn. 15).5 Dieses Rechtsgut hat, anders als der Schutz der Menschenwürde des Betroffenen in § 166, der dort nur mittelbar erfaßt wird (vgl. § 166 Rdn. 7), neben dem öffentlichen Frieden selbständige Bedeutung. 6 4. Überschneidungen bestehen mit dem Versammlungsgesetz (VersG).7 Es berührt 6 Gottesdienste und gottesdienstliche Handlungen, soweit sie außerhalb der Kirche stattfinden. In § 17 VersG, der bestimmte öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge von der Anmeldepflicht (§ 14), der Befugnis der zuständigen Behörde zum Verbot, zur Erhebung von Auflagen und zur Auflösung (§ 15) und der Pflicht zur Respektierung der Bannkreise (§ 16) ausnimmt, sind in erster Linie Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge, Wallfahrten und gewöhnliche Leichenbegängnisse genannt. Hieraus läßt sich schließen, daß auch für diese Veranstaltungen die Straf- und Bußgeldvorschriften des Gesetzes gelten. Nach § 21 VersG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, einer Strafdrohung also, die der des § 167 entspricht, bestraft, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht. Die Vorschrift ist wesentlich enger als § 167, der zwar die Absicht zu stören, nicht aber die Absicht, die Versammlung oder den Aufzug zu verhindern oder zu sprengen, voraussetzt {Sturm Prot. V/121 S. 2439). Ohne diese Absicht ist die Tat als Ordnungswidrigkeit nur mit einer Geldbuße bedroht (§ 29 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VersG). Von den unterschiedlichen Sanktionen abgesehen, ist dieser Tatbestand gegenüber § 167 aber auch insoweit enger, als seine Verwirklichung die wiederholte Zurechtweisung des Störers durch den Leiter der Versammlung oder einen Ordner voraussetzt. Aus diesen Vorschriften herleiten zu wollen, daß § 167 entbehrlich sei, ist abwegig (so aber Schmitz S. 87 ff). Abgesehen davon, daß sie mit Gottesdiensten unter freiem Himmel, Prozessionen und kirchlichen Beerdigungen nur einen

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Ausführlich zur teleologischen Reduktion durch das Erfordernis der Eignung zur Friedensstörung Schmitz S. 84 f. Sehl Schröder/Lenckner Vorbem §§ 166ff Rdn. 2; grundsätzlich ebenso Lackner/Kühl und Tröndle/Fischer, wobei die Ansicht, die Vorschrift schütze zur Wahrung des öffentlichen Friedens die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung (LackneriKühl Rdn. 1) beide Schutzzwecke gleich gewichtet, während die Auflassung, § 167 diene der ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung und

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dadurch auch der Wahrung des öffentlichen Friedens (Tröndlel Fischer Rdn. 1), den Rang der beiden Rechtsgüter umkehrt; vgl. auch Kindhäuser BT I 10.1. Kritisch zur ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung als weiteres Schutzgut Schmitz S. 80. Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24.7.1953 (BGBl. I 684) i.d.F. vom 15.11.1978 (BGBl. I 1789), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.6.1989 (BGBl. I 1059); Text bei Tröndlel Fischer Anh. 11.

Karlhans Dippel

§167

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

verhältnismäßig kleinen Teil des kirchlichen Lebens abdecken, bietet ihr Strafschutz bei weitem keine Entsprechung. Im übrigen ist auch das Rechtsgut des § 167 ein anderes als das durch § 21 VersG geschützte. Bei § 167 geht es um den religiösen Frieden, bei § 21 VersG um die ungehinderte Durchführung nicht verbotener Versammlungen irgendwelcher Art, so daß es auch grundsätzlich unangemessen wäre, kirchliche Veranstaltungen im Freien auf den neutralen Schutz des Versammlungsgesetzes zu verweisen (Dreher Prot. V/121 S. 2437, 2439). Ein Unterschied der Regelungen liegt schließlich auch darin, daß entsprechende Veranstaltungen von Weltanschauungsgemeinschaften nicht privilegiert sind. In § 17 VersG sind neben den kirchlichen Versammlungen und Aufzügen nur Hochzeitsveranstaltungen und hergebrachte Volksfeste genannt. 7

5. Mit dem Schutz der Sonn- und Feiertage steht die durch § 167 geschützte ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung jedenfalls insofern im Zusammenhang, als sie die Störung von Sonn- und feiertäglichen Gottesdiensten oder weltanschaulichen Feiern betrifft. 8 Der Strafschutz in diesem Bereich des religiösen Lebens hat eine weit zurückreichende Geschichte. 9 Schon die ersten Vorschriften zum Sonntag in den germanischen Volksrechten (Lex Salica, dann Leges Alemannorum und Baiuvariorum) drohten drakonische Strafen für sonntägliche „Knechtsarbeit" an. 10 In späteren Gesetzen steigerten sich die Strafdrohungen bis hin zur Todesstrafe (Dirksen S. 9; E. Fischer S. 248; Zahn S. 42). Erst unter dem Einfluß der Aufklärung wurden die Strafdrohungen deutlich gemildert. Das Strafgesetzbuch schließlich bedrohte in dem aus § 340 Nr. 8 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851 hervorgegangenen § 366 Nr. 1 mit Geldstrafe oder Haft, wer den gegen die Störung der Feier der Sonn- und Feiertage erlassenen Anordnungen zuwiderhandelte, wobei grundsätzlich Fahrlässigkeit genügte. Die Vorschrift schützte nicht nur die christlichen, sondern ebenso die weltlichen Feiertage und bezog auch die kirchlichen Feiertage, die nicht als gesetzliche Feiertage anerkannt waren, ein (Dirksen S. 148 f). Nach Aufhebung des § 366 Nr. 1 (durch Art. 19 Nr. 206 EGStGB) ist der unmittelbare Schutz der Sonn- und Feiertage landesgesetzlichen, im wesentlichen als Ordnungswidrigkeiten nach Maßgabe der im Sonn- und Feiertagsrecht normierten Sanktionsvorschriften ausgestalteten Tatbeständen anvertraut worden, wobei schon vorher speziellere, meist landesgesetzliche Regelungen die Vorschrift substituiert hatten. 11 Die Regelungen der Feiertagsgesetze sind nicht unumstritten. So hält E. Fischer - am Beispiel des Gesetzes des Landes Baden-Württemberg über die Sonntage und Feiertage i. d. F. vom 28.11.1970 - zahlreiche Bestimmungen für verfassungswidrig, weil sie die Kirchen in unzulässiger Weise privilegierten (S. 245ff). Die Einwendung von Ott, der staatliche Schutz der Sonn- und Feiertage trage rein christlich-kultischen Charakter (Christliche Aspekte S. 83), ist freilich schon durch ihre Verkürzung verfehlt, die außer Acht läßt, daß die Regelungen zumindest ebensosehr einem sozialen Bedürfnis gerecht werden, nämlich der verfassungsrechtlich möglichen Ausformung der sozialpolitischen Zwecke der Gewährung von Arbeitsruhe und der Ermöglichung seelischer Erhebung. 12 Damit wird nicht nur die Religionsausübung garantiert, sondern der Staat

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E. Fischer S. 249; Kästner HdStKiR S. 358; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 7; Rengier Sp. 819; Strätz HdStKiR S. 802, 810. Insgesamt zur Entwicklung seit vorchristlicher Zeit Dirksen S. 34 f; Fellner S. 7 ff, 29; Hans Huber S. 91 ff; Mattner S. 7ff, 15ff; Mattner in HoerenlMatlner S. 1 f.

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Burtscheidt S. 8; Hans Huber S. 140ff; Mattner S. 16; Mattner in Hoerenl Mattner S. 1. Texte der Feiertagsgesetze der alten Bundesländer bei Hoerenl Matlner S. 125 ff, Ergänzungen bei Kästner HdStKiR S. 359 Fn. 89; vgl. ferner Mattner^. 180ff. Strätz HdStKiR S. 814; ferner Jeand'Heurl

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Störung der Religionsausübung

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zugleich verpflichtet, die Religionsausübung vor unzumutbaren Störungen zu schützen (Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 141 WRV Rdn. 7). Subjektive Rechte lassen sich daraus jedoch nicht herleiten, weil es sich bei dem Schutz der Sonn- und Feiertage nach Art. 140 GG/139 WRV um eine objektiv-rechtliche Institutionsgarantie handelt (BVerwGE 79 236, 238; Jean d'Heur/Korioth Rdn. 154f; Kästner HdStKiR S. 339 fi). II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 allein oder in Verbindung mit Absatz 2 verlangt die grobe Störung religiöser und bestimmter weltlicher Kulthandlungen.

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1. Angriffsgegenstände sind die Kulthandlungen einer im Inland bestehenden Kirche, anderen Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsvereinigung. a) Bei den Merkmalen Kirche, Religionsgesellschaft, Weltanschauungsvereinigung und Inland handelt es sich um dieselben wie in § 166 Abs. 2. Insoweit gelten daher die Erläuterungen zu § 166 Rdn. 59 und 60 (Kirche), 61 bis 71 (Religionsgesellschaft), 72 bis 74 (Weltanschauungsvereinigung) sowie 81 und 82 (Inland). b) Als geschützte Kulthandlungen nennt der Tatbestand den Gottesdienst, eine 9 gottesdienstliche Handlung und die dem Gottesdienst entsprechende Weltanschauungsfeier. aa) Gottesdienst ist eine Veranstaltung, bei der sich Mitglieder einer Religionsgesellschaft versammeln, um sich durch gemeinsame Andacht, Verehrung und Anbetung Gottes nach den Vorschriften, Gebräuchen und Formen ihrer Vereinigung religiös zu erbauen. 13 Im Gegensatz zum früheren Recht (§ 166 a. F. 3. Tatbestand, § 167 a. F. 2. Tatbestand) kommt es nicht mehr auf einen bestimmten Ort an; vielmehr kann der Gottesdienst ebenso in einem ihm eigens gewidmeten Raum, so vor allem in einer Kirche oder in einem Bethaus, abgehalten werden, wie auch in anderen Räumen, auf dem Deck eines Schiffes oder sonst im Freien, etwa bei Kirchentagen (Güde Prot. V/121 S. 2439; Kern BTProt. V/230 S. 12784) und als Feld- oder Waldgottesdienst. 14 Die Andacht eines Einzelnen ist kein Gottesdienst (Preisendanz Anm. II 1 b). Doch bedarf es nicht stets mehrerer Teilnehmer (and. RGSt. 17 316; Eser S. 1035 mit Fn. 101). So hat das Zelebrieren der Messe in einer Kirche auch dann den Charakter eines Gottesdienstes, wenn Gläubige nicht anwesend sind (Herzog N K Rdn. 4); es genügt, daß die Veranstaltung auf die Anwesenheit anderer angelegt ist (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 4). Stets muß aber das Ziel die Andacht sein (RGSt. 17 316, 317; Rudolphi SK Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2). Fehlt es hieran, so wird dadurch, daß die Veranstaltung in einem dem Gottesdienst gewidmeten Raum stattfindet, diese nicht schon zu einem Gottesdienst, beispielsweise der Religionsunterricht, die Unterweisung von Konfirmanden, Vorträge religiösen Inhalts, Bibelstunden und nur der Belehrung dienendes Vorlesen aus heiligen Schriften in einer Kirche (RGRspr. 7 363, 364). In Grenzfallen ist es Tatfrage, ob ein Gottesdienst vorliegt (TröndlelFischer Rdn. 2). So gilt die Christuslehre (Katechisation) als Gottesdienst, obwohl sie eher auf Belehrung abzielt (RG GA 40 325). Vorlesungen aus der Thora erweisen sich je nach Lage des Einzelfalls als Gottesdienst (RGRspr. 8 18) oder als religiöse Unterweisung (RGRspr. 7 363). Eine zunächst nicht religiöser Erbauung dienende Ver-

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Korioth Rdn. 15; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 139 WRV Rdn. 5, 7; Seidel/Hürnig!Bergmann Art. 140 Rdn. 16. RGRspr. 7 373 (vgl. auch die Anmerkung der Redaktion zu RG GA 39 210); OLG Celle NJW 1997 1167; Eser S. 1035; Herzog NK Rdn. 4;

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Joecks BT Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Preisendanz Anm. II 1 a; Rudolphi SK Rdn. 2 ; Seh/Schröder/Lenckner Rdn. 4. Dreher Prot. V/121 S. 2437; Eser S. 1035 f; Frank Anm. 1; Herzog NK Rdn. 5; Preisendan: Anm. II la.

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anstaltung kann sich zum Gottesdienst wandeln, beispielsweise eine kirchliche Lehrveranstaltung, wenn sie mit einem gemeinsamen Gebet abgeschlossen wird. Kirchliche Prozessionen auf öffentlichen Straßen sind gottesdienstliche Handlungen (Rdn. 10), können partiell aber zu Gottesdiensten werden (vgl. Sturm Prot. V/121 S. 2436), so in Form der Andachten an dafür bestimmten Orten der Karfreitags- und der Fronleichnamsprozession. Maßgebend dafür, ob ein Gottesdienst vorliegt, sind letztlich das Kirchenrecht, die Satzung oder das Selbstverständnis der Religionsgesellschaft {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 2).15 Dabei kann die tatsächliche Übung in einer bestimmten Gemeinde ausschlaggebend sein. Durch Ungehörigkeiten einzelner Personen, sei es selbst des Religionsdieners (RGSt. 10 42, 43), verliert der Gottesdienst sein Wesen im Allgemeinen nicht. Doch fehlt es an einem Gottesdienst für die Dauer eines offensichtlichen Kanzelmissbrauchs, der beispielsweise bei rein politischer Polemik vorliegt (Eser S. 1036; Herzog N K Rdn. 4), nicht aber schon dann, wenn der Geistliche in seiner Predigt aus der Sicht seiner Religion zu politischen Fragen Stellung nimmt (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 2). Politische Demonstrationen, die in religiösen Formen durchgeführt werden, wie das „Mahngebet" vor einer „Abtreibungsklinik" (TröndlelFischer Rdn. 2) oder die als „Mahnwache" bezeichnete „Ökumenische Andacht" in der Nähe eines Heims rechtsgerichteter Kreise (OLG Celle NJW 1997 1167), sind Gottesdienste nur dann, wenn der Zweck der Andacht und Verehrung nicht gegenüber dem politischen Demonstrationszweck zurücktritt. 16 Ähnlich liegt es bei den Kundgebungen halbreligiöser Art wie die der „Katholischen außerparlamentarischen Opposition (KAPO)" im Vorfeld von Kirchentagen und den von Christen verschiedener Konfessionen veranstalteten „Politischen Nachtgebeten" (vgl. dazu Nellen Prot. V/121 S. 2422; Tröndlel Fischer Rdn. 2). 10

bb) Gottesdienstliche Handlungen'7 sind nicht die einzelnen Bestandteile des Gottesdienstes (v. Olshausen Anm. 2a), sondern nach Inhalt und Form dem Ritus der jeweiligen Religionsgesellschaft entsprechende, auf ihrem Kult beruhende Akte der Religionsausübung, die neben dem gemeinsamen Gottesdienst den besonderen religiösen Bedürfnissen Einzelner dienen. 18 Ein sakramentaler Charakter der Handlung ist nicht notwendig (RGSt. 23 199, 200 f). Doch verlangt der Begriff die zumindest passive Assistenz eines Geistlichen oder einer Person, die dessen Funktion entspricht. 19 Daher ist das andachtsvolle Verharren der Gemeinde vor dem Erscheinen des Geistlichen für sich allein keine gottesdienstliche Handlung (and. HeimannTrosien L K 9 Rdn. 4); es kann aber schon Teil des Gottesdienstes sein (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 5). Als gottesdienstliche Handlungen gelten die Taufe, die Konfirmation, die Kommunion, die kirchliche Trauung, die Beichte, der Gemeindegesang (RG JW 1915 346) und die Abhaltung des im jüdischen Kultus gebräuchlichen Kadisch15

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An dem entsprechenden Selbstverständnis mangelt es häufig bei den Anhängern neuer Formen des religiösen Gemeinschaftslebens. O L G Celle N J W 1997 1167; Lackneri Kühl Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 2. Der Begriff gottesdienstliche Handlung ist an die Stelle des früheren Ausdrucks gottesdienslliche Verrichtung getreten. Die Veränderung hat nur sprachliche, keine sachliche Bedeutung (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 4; Schnieders S. 199 Fn. 2).

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Eser S. 1036; Herzog N K Rdn. 6; Lackner/Kühl Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 3; Schmitz S. 81 f; Schnieders S. 199; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 5. Herzog N K Rdn. 9; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5; Tröndlel Fischer Rdn. 3; and. Eser S. 1036; Rudolphi SK Rdn. 3 unter Berufung auf RGSt. 10 42, dies jedoch zu Unrecht, weil dort (wie auch in RGRspr. 9 169) nur das Erfordernis einer aktiven Beteiligung des Geistlichen verneint wird.

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Gebets (RG GA 39 210). Auch kirchliche Prozessionen gehören hierher,20 soweit sie nicht Gottesdienste sind (vgl. Rdn. 9). Unter besonderen Umständen kann die Einführung eines Kirchenvorstehers eine gottesdienstliche Handlung sein (RGSt. 23 199, 200). Kirchliche Beerdigungen sind gottesdienstliche Handlungen und daher ungeachtet des weiterreichenden (näher § 167 a Rdn. 2) besonderen Schutzes des § 167 a, der für alle Bestattungsfeiern gilt, auch nach § 167 Abs. 1 Nr. 1 geschützt.21 Die Annahme einer gottesdienstlichen Handlung ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß ihr polizeiliche Vorschriften entgegenstehen. So ist eine Beerdigungsfeier eine solche Handlung auch dann, wenn der sie vollziehende Prediger sie nur mit Genehmigung hätte vornehmen dürfen (RGSt. 34 264, 266). cc) Dem Gottesdienst entsprechende weltliche Feiern sind Veranstaltungen einer Weltanschauungsvereinigung, die der gemeinsamen kultischen Pflege ihrer Gesamtschau der Welt dienen.22 Dem entsprechen die Jugendweihe, die Feiern der Anthroposophen und die Zeremonien der Freimaurer,23 neuerdings auch die Namens-, Jugend- und Trauerfeiern des Humanistischen Verbandes Deutschlands. Keine Weltanschauungsfeiern sind bloße Versammlungen und Diskussionsveranstaltungen, wie überhaupt rein weltliche Veranstaltungen, Bälle beispielsweise (vgl. Herzog NK Rdn. 7); ihnen fehlt, so wie Lehrveranstaltungen in der Kirche keine Gottesdienste sind (Rdn. 9), die dem gottesdienstlichen Charakter ähnliche Besonderheit der feierlichen Pflege eines bestimmten weltanschaulichen Wertes (LacknerlKühl Rdn. 4; MaurachtSchwederl Maiwald 2 § 61 Rdn. 18; SehlSchröder!Lerickner Rdn. 6/7).24 Den gottesdienstlichen Handlungen entsprechende einzelne feierliche Akte der Weltanschauungsvereinigung sind in § 167 Abs. 2 nicht genannt, dies freilich nicht deshalb, weil sie übersehen oder gar bewußt vom strafrechtlichen Schutz ausgenommen worden seien; vielmehr bedurfte es ihrer Einbeziehung nicht, weil solche feierlichen Akte regelmäßig als weltanschauliche Feiern anzusehen sind {MaurachtSchroeder!Maiwald 2 § 61 Rdn. 18; vgl. auch Schnieders S. 202f)· Daher stellt sich weder die Frage, ob die Gleichstellung feierlicher Akte von Weltanschauungsvereinigungen mit gottesdienst-

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RGSt. 28 303; O L G Tübingen D R Z 1948 398; Blei BT § 36 III 1; Dreher Prot. V/121 S. 2437; Eser HStKiR S. 1036; Herzog N K Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Schmitz S. 82; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 3. Güde Prot. V/2440; Herzog N K Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiv/M 2 § 61 Rdn. 16; Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 5, 12; Sturm Prot. V/121 S. 2440; vgl. auch TröndlelFischer Rdn. 3; and. Eser S. 1036; wohl auch Blei BT § 36 I („Totengottesdienst"). In der Einordnung der kirchlichen Beerdigung als gottesdienstlicher Handlung liegt gegenüber dem früheren Recht eine erhebliche Verminderung des Strafschutzes. Friedhöfe galten als andere zu religiösen Versammlungen bestimmte Orte im Sinne des § 166 a. F. selbst dann, wenn keine Beerdigung stattfand (RGRspr. 7 195, 196; RGSt. 27 296; RG H R R 1932 Nr. 576; Jagusch L K 8 § 166 Anm. IVa). Die Einschränkung des Strafschutzes ist hinnehmbar, weil insoweit vielfach § 168 eingreift (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12).

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LacknerlKühl Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 81; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6/7; Tröndlel Fischer Rdn. 2. Vgl. Dreher Prot. V/121 S. 2439f; Eser S. 1036 Fn. 112; Herzog N K Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6/7. Herzog wendet gegen diese, an das Merkmal feierliche Pflege anknüpfende Unterscheidung ein, daß es aber Bestandteil einer Weltanschauung gerade sein könne, sich kultischer Veranstaltungen zu enthalten, was die Frage aufwerfe, ob eine solche Weltanschauung sich nicht selbst aus dem Schutz des § 167 verabschiede und damit Beleg für den misslungenen Versuch sei, durch § 167 Abs. 2 eine Säkularisierung des Tatbestandes vorzunehmen (NK Rdn. 7). So zutreffend die Überlegung im Ansatz ist, die an sie geknüpfte grundsätzliche Folgerung vermag sie überzeugend jedoch nicht zu begründen. Sie übersieht nämlich, daß § 167 weder die Aktivitäten von Religionsgesellschaften allein noch die Weltanschauungsvereinigungen als solche schützt (so mit Recht Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6/7).

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liehen Handlungen durch ergänzende Auslegung nachgeholt werden kann, 25 noch scheidet die Strafbarkeit der Störung derartiger Akte stets aus, weil sie ungeschützt geblieben seien.26 Abgrenzungsschwierigkeiten können sich ergeben, wo religiöse oder kultische Handlungen substantieller Teil weltlich-staatlicher, beispielsweise rechtlicher, Institute sind (TröndlelFischer Rdn. 3). 12

2. Die Tathandlung besteht im groben Stören des Gottdienstes, der gottesdienstlichen Handlung oder der Weltanschauungsfeier. a) Stören ist jede Behinderung oder Erschwerung des vorgesehenen Ablaufs einer bereits stattfindenden Veranstaltung (Joecks BT Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8), nicht dagegen die Verhinderung einer erst bevorstehenden (Herzog N K Rdn. 8; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 8; vgl. auch schon Rdn. 2). Im Gegensatz zu der ursprünglichen Fassung der Vorschrift, bei der auf die Erregung von Lärm oder Unordnung abgestellt war, bleibt gleichgültig, welches Mittel zur Störung angewendet wird.27 Auch ist ohne Bedeutung, von wo die Störung kommt und wo der Täter sich befindet. So kann es sich ebenso um einen Eingriff von außen (RGSt. 5 258;28 37 15029), wie um eine Aktion aus der Mitte der Versammlung, also auch von Angehörigen des geschützten Personenkreises (OLG Celle NJW 1997 1167), handeln. 30 Gestört sein muß die Feierlichkeit selbst (vgl. RGSt. 10 42, 43). Deshalb genügt es nicht, wenn nur ein einzelner Teilnehmer betroffen ist; vielmehr muß die Störung eine weiterreichende Wirkung haben, beispielsweise zu einer allgemeinen Störung führen {TröndlelFischer Rdn. 4). Nicht notwendig ist jedoch, daß alle Teilnehmer berührt werden (RGSt. 17 316; RG GA 39 210, 211; TröndlelFischer Rdn. 4). Zu einer Unterbrechung oder gar Aufgabe der Ritualhandlung braucht es nicht zu kommen (Eser S. 1037; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8); es genügt, wenn die Andacht oder die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden gestört werden (RGSt. 17 316, 317; Hoeren in HoerenlMattner S. 120; Tröndlel Fischer Rdn. 4).

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b) Typische Tathandlung ist nach wie vor die früher vom Gesetz ausdrücklich angesprochene (vgl. Entstehungsgeschichte) Erregung von Lärm oder Unordnung. Die meisten sonstigen Störungen verbinden sich zumindest in den Auswirkungen mit diesen Mitteln. Beispiele hierfür sind lautes Sprechen (RG GA 39 210, 212; Eser S. 1037; Herzog N K Rdn. 9), die physische Behinderung von Teilnehmern (Eser S. 1037; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8), das Auslegen von Stinkbomben, 31 die Verbreitung von Tränengas (Eser S. 1037; Herzog N K Rdn. 8; Rudolphi 25

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Was als Analogie zuungunsten des Täters ohnehin unzulässig wäre (Eser S. 1036; vgl. auch Schmitz S. 94). So aber Eser S. 1036; Heimann-Trosien LK9 Rdn. 5; Rudolphi SK Rdn. 5; Schmitz S. 94; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6/7. Die Fassung entspricht dem Vorschlag des E 1962 (§ 189 Abs. 2). Das Bundesministerium der Justiz (Formulierungshilfe vom 12.11.1968, Prot. V/121 S. 2449) hatte in Anlehnung an frühere Entwürfe dasselbe Ergebnis durch die Einfügung „oder auf andere Weise" erreichen wollen, um eine möglichst plastische Vorschrift zu schaffen (Sturm Prot. V/121 S. 2437). Das ist im Gesetzgebungsverfahren als überflüssig angesehen worden (vgl. Diemerl Nicolaus Prot. V/121 S. 2437).

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Vom Täter waren auf seinem an den Kirchhof angrenzenden elterlichen Hof die Grabgesänge und die Rede des Geistlichen bei einer Beerdigungsfeier laut schreiend nachgeahmt worden. Hier hatte der Täter in seiner gegenüber der Kirche gelegenen Gastwirtschaft ein Orchestrion während des Gottesdienstes stark störend spielen lassen. Lackner/Kühl Rdn. 3; Herzog N K Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; vgl. auch Tröndlel Fischer Rdn. 4. Herzog N K Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8; Sturm Prot. V/121 S. 2436.

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SK Rdn. 6), eine für die übrigen Versammelten unzumutbare Art der Teilnahme an der Veranstaltung (Herzog N K Rdn. 9), wenn beispielsweise kurz vor Beginn des Gottesdienstes eine Gruppe in Badehosen in die Kirche marschiert und sich still hinsetzt (Dreher Prot. V/121 S. 2438), das den Ablauf der Feier hindernde Betreten bestimmter Einrichtungen, so der Kanzel oder des Altarraums der Kirche, 32 die Ablenkung der Andacht der Teilnehmer, etwa durch Transparente und Plakate namentlich bei Veranstaltungen im Freien, beispielsweise den Schlußgottesdiensten bei den Kirchentagen (Herzog N K Rdn. 9; Kern BTProt. V/230 S. 12784) und der Versuch, statt des vorgesehenen Verlaufs einer Feier eine Diskussion, sei es selbst über religiöse und weltanschauliche Fragen, zu erzwingen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8; vgl. auch die Beispiele bei Sturm Prot. V/121 S. 2438). Ein Grenzfall, der nach den jeweiligen besonderen Umständen zu beurteilen sein wird, ist die Äußerung der Gemeinde, sie wolle die Messe lieber auf deutsch gefeiert haben (vgl. Nellen Prot. V/ 121 S. 2423). Als Störung erweist sich jedenfalls aber nicht schon, wenn die Gemeinde auf das „Dominum vobiscum" des Geistlichen deutsch antwortet (vgl. Sturm Prot. V/ 121 S. 2437). Von den besonderen Umständen des Einzelfalls dürfte auch abhängen, ob ein Zwischenruf während der Predigt, etwa die Bitte um die Präzisierung einer vorgetragenen These, als Störung anzusehen ist (vgl. Zipf NJW 1969 1945). c) Die Störung muß absichtlich und in grober Weise geschehen. Durch die kumulative Verwendung dieser beiden Merkmale ist der Tatbestand auf besonders empfindliche und nachhaltige Beeinträchtigungen beschränkt (Joecks BT Rdn. 2; Lackneri Kühl Rdn. 3), geringfügige Fälle sind ausgeschlossen (Sturm NJW 1969 1608).33 Die danach erforderliche besondere Schwere der Störung kann durch verschiedene Umstände eintreten. Oft ist schon die Art des angewandten Störungsmittels ausreichend, so wenn Stinkbomben geworfen (vgl. schon Rdn. 13 mit Fn. 31), Maßnahmen der Gewalt angewendet (Herzog N K Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 4) oder besonders verwerfliche Hetzreden gehalten werden (Rudolphi SK Rdn. 7). Sodann wird die grobe Weise der Störung sich aus ihrer Dauer, durch ihren Zeitpunkt, beispielsweise wenn sie einen besonders herausgehobenen Teil der Feierlichkeit, etwa die Wandlung in der katholischen Messe, trifft, aber auch aus ihrem Erfolg, so dem erzwungenen Abbruch der Feierlichkeit, ergeben können. 34 Schließlich kann eine Handlung, die für sich allein keine grobe Störung darstellt, etwa das Anschlagen eines Tones der Kirchenorgel während der Predigt, durch eine hic et nunc ständige Wiederholung sich qualitativ so verändern, daß sie in ihrer Addition eine Störung des Gottesdienstes in der von 32

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Herzog N K Rdn. 9: Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8. Vgl. dazu auch den zu literarischer Berühmtheit gelangten Fall einer Störung des Gottesdienstes, bei dem der Täter nach Beendigung der Predigt drei Stufen gegen den Altar emporstieg und sich in einer kritischen Ansprache an die Gemeinde wandte, bis er vom einsetzenden Orgelspiel übertönt wurde (v. Muralt S. 20). Der Notwendigkeit, die Strafbarkeit erst bei besonders gravierenden Störungen eintreten zu lassen, wollte der E 1962 dadurch Rechnung tragen, daß nur die absichtliche und wissentliche Störung den Tatbestand erfüllen sollte (§ 189 Abs. 2 Nr. 1). Der Sonderausschuß hielt diese Einschränkung nicht für ausreichend und entschied sich für das die Strafbarkeit bedeutend

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mehr einschränkende Merkmal böswillig (Prot. V/121 S. 2438, 2809; BTDrucks. V/4094 S. 29; BTProt. V/230 S. 12784). Mit der Gesetz gewordenen Fassung absichtlich und in grober Weise hat der Bundestag sich für eine Begrenzung entschieden, die zwischen absichtlich und böswillig liegt (BTProt. V/230 S. 12785). Das ist jedenfalls insofern zu begrüßen, als dadurch die praktischen Schwierigkeiten vermieden werden, die bei der tatrichterlichen Feststellung der Böswilligkeit als eines Gesinnungsmerkmals entstanden wären. Zum Ganzen auch Preisendan: Anm. II ld; ferner Eser S. 1037; Herzog NK Rdn. 10. 34

Herzog NK Rdn. 10; Rudolphi SK Rdn. 7; Sehl SchröderI Lenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 4.

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§ 167 Abs. 1 Nr. 1 geforderten Weise darstellt. 35 Noch keine grobe, sondern eine nur unerhebliche Störung liegt in bloßem Schwätzen oder unterdrücktem Lachen einiger Anwesender (Blei BT § 35 III 1; Herzog N K Rdn. 10). Auch die bloße Störung von Andacht oder Aufmerksamkeit (vgl. Rdn. 13) wird selten schon grob sein (TröndlelFischer Rdn. 4). Sind Störungen nach Form oder Dauer als besonders erheblich anzusehen, so ist ohne Bedeutung, ob das Verhalten sonst erlaubt wäre, wie Demonstrationen oder laute Meinungsäußerungen (TröndlelFischer Rdn. 5; zur Rechtswidrigkeit insoweit Rdn. 16), oder es von guten Absichten, religiös motivierten etwa (Burghard S. 85; Güde Prot. V/121 S. 2438), getragen war (Eser S. 1037; vgl. dazu auch Rdn. 17). 15

d) Die Eignung der Störung, den öffentlichen Frieden zu gefährden, Auslegungsmerkmal im Sinne einer teleologischen Reduktion (vgl. Rdn. 5), liegt in der besonderen Schwere der Störung. Sie muß den normalen Ablauf der betreffenden Kulthandlung nachhaltig behindern und damit das Toleranzgebot in so grober Weise verletzen, daß der Bestand des öffentlichen Friedens beeinträchtigt zu werden droht (Rudolphi SK Rdn. 7). Einer besonderen Feststellung dazu bedarf es nicht (dazu schon Rdn. 5).

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3. Die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Täter zu der Störung befugt ist (RGSt. 16 15). So ist ein durch erlaubten Gewerbebetrieb verursachter Lärm keine Störung im Sinne des § 167, solange die Grenze einer ordnungsmäßigen Ausübung eingehalten und Schikane nicht geübt wird (RGSt. 37 150, 151).36 Selbst so bedeutende Rechtsgüter wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht als solche können Störungen gegenüber dem Recht auf ungestörte Religionsausübung nicht rechtfertigen (Hoeren in HoerenlMattner § 9 Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 5; vgl. auch schon Rdn. 14). Ausgeschlossen wird die Rechtswidrigkeit jedoch durch rechtfertigenden Notstand (§ 34). Dazu gehören beispielsweise der Falle der Unterbrechung des Gottesdienstes durch das Alarmieren der zum Gottesdienst versammelten Mitglieder der Feuerwehr nach Ausbruch eines Brandes, 37 oder wenn zur Versorgung eines Verletzten am Unfallort ein am Gottesdienst teilnehmender Arzt gerufen wird (Preisendanz Anm. le). Auch kann im Einzelfall selbst eine grobe Störung durch die Wahrnehmung eines Grundrechts gerechtfertigt sein (Tröndlel

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II. Schröder JZ 1972 652; and. Schroeder, in derartigen Fällen sei eine Zusammenrechnung des Gewichts von einzelnen Handlungen nicht möglich, weil das Merkmal grob keine bloße Quantität, sondern eine Qualität ausdrücke, und daher eine Einzelhandlung des Täters als solche von besonderem Gewicht kennzeichne (GA 1964 236), was in einem gewissen Widerspruch zu der Ansicht steht, Öffentlichkeit im Sinne des § 166 Abs. 1, 2 entstehe auch dadurch, daß mehrere Personen bei fortgesetzter Handlung sukzessive von der Äußerung Kenntnis nehmen (GA 1964 235; vgl. dazu schon § 166 Rdn. 40 mit Fn. 115). Heimann-Trosien hat gegen diese Entscheidung (zum Sachverhalt Rdn. 12 Fn. 29) eingewendet, daß hier der Verpflichtung, den Gottesdienst nicht zu stören, als dem höherwertigen Rechtsgut gegenüber dem an sich erlaubten Tun der Vorrang hätte gegeben werden müssen (LK 9 Rdn. 9), eine Auffassung, die in der Begründung

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der Entscheidung (S. 151) selbst eine Stütze findet. Freilich stellt sich hier auch die Frage, ob es rechtens war, die gewerbliche Erlaubnis unter den gegebenen Umständen uneingeschränkt zu erteilen. Deshalb wird bei Sehl Schröder! Lenckner die Lösung dieser Fälle nicht zu Unrecht auf der subjektiven Tatseite gesucht (Rdn. 9, 10); vgl. dazu auch Rdn. 17. RGSt. 5 258, 259; MaurachlSchroeder!Maiwald 2 § 61 Rdn. 19; Rudolphi SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 5. Die Auffassung von Zipf (NJW 1969 1954), wonach Fälle gerechtfertigter Störung nach der Neufassung der Vorschrift schon nicht mehr tatbestandsmäßig seien, dürfte auf der irrigen Voraussetzung beruhen, daß, wie im Gesetzgebungsverfahren erwogen (dazu ausführlich Rdn. 14 Fn. 33), zur Strafbarkeit Böswilligkeit des Täters erforderlich sei. Blei läßt die Strafbarkeit derartiger Vorgänge an der Absicht scheitern (BT § 35 III 1).

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Fischer Rdn. 5). Gewandelt hat sich die Rechtsauffassung zu der Frage, wie die Abwehr beleidigender Angriffe in der Predigt des Geistlichen zu beurteilen ist. Obwohl Notwehr daran scheitern muß, daß nicht nur in die Rechte des angreifenden Geistlichen eingegriffen wird (Joecks BT Rdn. 5), ging die Rechtsprechung von Notwehr aus und hielt den mit der Abwehr des Angriffs verbundenen Eingriff in ein Rechtsgut unbeteiligter Dritter, nämlich der nicht betroffenen Teilnehmer am Gottesdienst, ausnahmsweise ebenfalls für gerechtfertigt (RGSt. 21 168, 170f 38 ). Dessen bedurfte es, weil der rechtfertigende „übergesetzliche Notstand" erst später Anerkennung gefunden hat (RGSt. 61 242; jetzt § 34). Seitdem aber ist die Verteidigung gegen beleidigende Angriffe in der Predigt 39 danach gerechtfertigt. 40 4. Der innere Tatbestand verlangt für die Störung Absicht. Das bedeutet, daß es dem Täter im Sinne zielgerichteten Handelns auf den Störungserfolg ankommen muß. 41 Der Endzweck kann freilich ein anderer gewesen sein (TröndlelFischer Rdn. 6). So ist eine Störung, die nach Form und Dauer zu einer besonders empfindlichen und nachhaltigen Beeinträchtigung geführt hat, auch dann strafbar, wenn der Täter in guter Absicht gehandelt hat (vgl. schon Rdn. 14). Sicheres Wissen um den Eintritt der Störung begründet noch keine Absicht; so genügt beispielsweise nicht, wenn der Täter, wie bei handwerklichen Arbeiten in der Nähe eines Gotteshauses, die Störung nur als notwendige Folge seines Handelns voraussieht (Herzog N K Rdn. 11; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9). Geht die Störung von einem uneingeschränkt erlaubten Gewerbebetrieb aus, so fehlt es, wenn nicht schon die Widerrechtlichkeit zu verneinen ist (vgl. Rdn. 16 mit Fn. 36), an der erforderlichen Absicht (SehlSchröder /Lenckner Rdn. 10). Im übrigen ist unsicheres Tatbewusstsein für alle Merkmale ausreichend (Schmidhäuser BT 13/25). Es genügt zumindest bedingter Vorsatz, beispielsweise für die Kenntnis, daß es sich um eine geschützte Feierlichkeit handelt. 42 Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter das Wesen der Handlung als gottesdienstlich nicht erkennt {TröndlelFischer Rdn. 6). Die irrige Meinung, stören zu dürfen, kann, je nach den Umständen des Einzelfalls, Irrtum über die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (§ 16) oder Annahme eines nicht oder nicht in dem geplanten Umfang anerkannten Rechtfertigungsgrundes (§ 17) sein (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 10; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9). Hingegen ist der Irrtum etwa über die Reichweite des Rechts der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) Verbotsirrtum (TröndlelFischer Rdn. 6).

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Hier hatte der in der Predigt beleidigte Teilnehmer am Gottesdienst dem Pfarrer zur Abwehr weiterer Angriffe „Ruhe, Ruhe" zugerufen und danach mit einigen anderen die Kirche verlassen. Ausführlich dazu van Calker ZStW 12 (1892)443 ff. Weitere Fälle dieser Art: Störung der in die Messe eingefügten Vereidigung der neu gewählten Kirchenvorsteher wegen des vermeintlichen Rechts eines der Gewählten auf Vereidigung in polnischer Sprache (RGSt. 23 199, 201). Lautstarkes Abrücken einer zum Gottesdienst befehligten Truppe nach kritischen Äußerungen des Geistlichen an einer Entscheidung der obersten Behörde der Landeskirche (RMilGE 17 41). Unterbrechung einer Predigt in der Karwoche durch Zwischenrufe auf die Erklärung des Geistlichen, die Verfolgung, die das jüdische

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Volk im Laufe seiner Geschichte zu erdulden gehabt habe, seien eine Strafe Gottes für die Schuld am Tode Christi (Kern BTProt. V/230 S. 12784). So inzwischen Joecks BT Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 8; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 19; Rudolphi SK Rdn. 3; SehlSchröder! Lenckner Rdn. 10. Notwehr nehmen dagegen weiterhin an Preisendanz Anm. III 1 e; Tröndlel Fischer Rdn. 5. Eser S. 1037; Herzog N K Rdn. 10; Joecks BT Rdn. 4 LacknerlKühl Rdn. 7; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 9; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 9; vgl. auch Sturm Prot. V/121 S. 2436. Tröndlel Fischer Rdn. 6; vgl. auch RGSt. 23 199, 201; 37 150, 152; Joecks BT Rdn. 4; Otto BT § 64 Rdn. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

III· Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 allein oder in Verbindung mit Absatz 2 stellt das Verüben beschimpfenden Unfugs an bestimmten Orten unter Strafe. 1. Angriffsgegenstände sind Orte, die dem Gottesdienst oder ihm entsprechenden Weltanschauungsfeiern gewidmet sind. a) Bei den Trägern dieser Orte handelt es sich, wie im Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1, um im Inland bestehende Kirchen, andere Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, Angriffsobjekte auch des § 166 Abs. 2. Daher gelten hier ebenfalls die Erläuterungen zu § 166 Rdn. 59 und 60 (Kirchen), 61 bis 71 (Religionsgesellschaften), 72 bis 74 (Weltanschauungsvereinigungen) sowie 81 und 82 (Inland).

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b) Geschützt sind zunächst dem Gottesdienst gewidmete Orte einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft. aa) Gewidmet43 ist dem Gottesdienst (Rdn. 9) ein Ort, wenn, wie bei Kirchen, Synagogen und Moscheen, sein wesentlicher Zweck darin besteht, dem Gottesdienst zu dienen. 44 Eine tatsächliche, auf zufälliger Veranlassung beruhende Verwendung genügt dafür nicht (RGSt. 29 334, 336; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 12). In den Fällen genereller Widmung reicht aber aus, daß es die überwiegende Zweckbestimmung ist; die gelegentliche Verwendung des Ortes zur Erfüllung auch anderer Aufgaben, etwa der Veranstaltung von Vorträgen oder Konzerten, bleibt dann unschädlich (Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12). Aus der Widmung eines gemieteten Gebäudes als res sacra erwächst kein unbeschränktes Besitzrecht, wenn von vornherein Einigkeit bestand, daß die Überlassung zu gottesdienstlichen Zwecken nur von vorübergehender Dauer sein sollte (AG Bonn KirchE 22 121, 123). Geschützt sind dem Gottesdienst gewidmete Orte unabhängig davon, ob zur Zeit der Tat ein Gottesdienst abgehalten wird. 45 Die Aufgabe eines Ortes, einzelnen gottesdienstlichen Handlungen (Rdn. 10) zu dienen, genügt dem Tatbestandsmerkmal ebenso wenig, wie seine Bestimmung als Stelle religiöser Versammlungen. 46 Eine vereinzelte, auf einer zufälligen Veranlassung beruhende Verwendung eines sonst anderen Zwecken dienenden Ortes zum Gottesdienst reicht für sich allein selbst dann nicht aus, wenn die religiöse Versammlung an diesem Ort regelmäßig wiederholt wird. 47 Doch kann ein solcher Ort vorübergehend dem Gottesdienst gewidmet sein ( Welze! Strafrecht § 65 II 2; vgl. aber auch RGSt. 29 334, 336), darf dann aber in der betreffenden Zeit nicht zugleich anderen Zwecken dienen (RGSt. 28 303, 304; OLG Tübingen D R Z 1948 398;

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Vgl. dazu die zu den Korporationsrechten (im Einzelnen § 166 Rdn. 67) gehörende Befugnis, Sachen, die dem gottesdienstlichen Gebrauch dienen sollen, im Wege der Widmung zu res sacrae zu erklären (näher dazu v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 298 ff; Jeand'HeurlKorioth Rdn. 246ff). RGSt. 28 303 f; 29 334, 336; R G G A 39 210, 212; Eser S. 1037; Lackner/Kühl Rdn. 4; Mäurach! Schroederl Maiwald 2 Rdn. 20; Herzog N K Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 10; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 7; Welzel Strafrecht § 65 112. RGSt. 32 212 f; Herzog N K Rdn. 13; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 7; Welzel Strafrecht § 65 II 2. Eser S. 1038; Lackner/Kühl Rdn. 3; Rudolphi

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SK Rdn. 10; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 7. Hingegen erstreckte sich der dritte Tatbestand des § 166 a. F. ausdrücklich auch auf zur Abhaltung religiöser Versammlungen bestimmter Orte. Der E 1962 (Begr. S. 345) ist jedoch mit Recht davon ausgegangen, daß insoweit der durch seinen § 188 (§ 166 n. F.) gewährte Strafschutz ausreicht (vgl. auch SchlSchröderl Lenckner Rdn. 12). Herzog N K Rdn. 13. Beispiele: Teile einer Ortsstraße, die herkömmlicherweise von einer kirchlichen Prozession berührt werden (RGSt. 28 303; vgl. dazu auch Rdn. 20). Unbebauter Platz zwischen städtischen Straßen, auf dem ein religiöser Verein Versammlungen abhält (RGSt. 29 334).

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Schi Schröder! Lenckner Rdn. 12). Eine vorübergehende Widmung liegt nicht schon darin, daß ein Gottesdienst tatsächlich stattfindet; 48 vielmehr müssen äußerliche Maßnahmen getroffen sein, die den vorübergehenden Zweck erkennen lassen.49 Dies ist beispielsweise der Fall bei den betriebseigenen Trauerräumen von SeebestattungsReederein, in denen besondere Gedenkgottesdienste vor Gedächtnisfahrten zu den Stellen der Urnenversenkung stattfinden. 50 Es trifft ferner zu bei der Herrichtung eines Fabriksaales an bestimmten Tagen als gottesdienstlichen Raum für Gastarbeiter (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10). Schließlich kann es auch bei Friedhöfen anzunehmen sein, wenn dort im Einzelfall Gottesdienste stattfinden, 51 vorausgesetzt, daß äußerlich Maßnahmen getroffen sind, die sie von gewöhnlichen kirchlichen Beerdigungen, die keine Gottesdienste, sondern gottesdienstliche Handlungen sind (vgl. schon Rdn. 10), unterscheiden. cc) Das Merkmal dem Gottesdienst gewidmet ist Gegenstand vielfacher Einzel- 2 0 fragen. Bei Kirchen sind dem Gottesdienst auch solche Vor- und Nebenräume gewidmet, auf die sich das religiöse Gefühl und die Andachtsstimmung der verweilenden oder sich entfernenden Teilnehmer an Gottesdiensten mitzuerstrecken pflegt. 52 So liegt es beim Windfang als dem vorbestimmten Weg, auf dem die Gläubigen in das Kircheninnere und damit zum Gottesdienst gelangen. 53 Nicht dazu gehören Türme, das Dachgeschoß, eingebaute Wohnungen und der Heizungskeller, Räumlichkeiten also, die nicht zum Zweck der Andacht betreten werden. Auch die Sakristei fallt entgegen verbreiteter Auffassung 54 nicht unter den Schutz. Sie ist für den Gottesdienst nicht bestimmt, dient ihm vielmehr nur indirekt. Den gewöhnlichen Teilnehmern am Gottesdienst bleibt sie verschlossen, so daß sich deren Andachtsgefühl nicht auf sie erstrecken kann. Daher entspricht dieser Raum nur dann dem Tatbestandsmerkmal, wenn er entweder im Einzelfall dem Gottesdienst gewidmet ist, oder er äußerlich erkennbar in den im Kirchenraum stattfindenden Gottesdienst einbezogen wird (so schon Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 11; zweifelnd auch Lackner/Kühl Rdn. 4). Für die Nebenräume von Synagogen und Moscheen gelten diese Grundsätze entsprechend. Wie Kirchen sind Kapellen dem Gottesdienst gewidmet, auch kleine Gnadenkapellen, beispielsweise an Wallfahrtsorten (Nellen Prot. V/121 S. 2423), und Hauskapellen. 55 Betsäle, auch der Heilsarmee {Maurach! Schroeder!Maiwald 2 § 61 Rdn. 20), unterliegen dem Schutz, wenn sie dem Gottesdienst und nicht nur religiösen Versammlungen dienen. 56 Öffentliche Straßen einer Stadt, durch die sich eine Prozession

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So ist ein Gemeindesaal nicht schon geschützt, nur weil er für eine kirchliche Trauung zur Verfügung gestellt wird (Blei BT § 35 III 2). And. Rudoiphi, der Räumlichkeiten, die der Erfüllung mehrerer Aufgaben dienen, während der Zeit, in der ein Gottesdienst stattfindet, ohne weiteres den Schutz des § 167 Abs. 1 zugesteht (SK Rdn. 10). Näher zur Urnen-Seebestattung § 167a Rdn. 14, § 168 Rdn. 54. Die Gedenkgottesdienste sind, im Gegensatz zu Trauerfeiern bei der Urnenversenkung, keine Bestattungsfeiern (§ 167a Rdn. 14 Fn. 94), wohl aber unter den genannten Voraussetzungen Gottesdienste. Rudoiphi SK Rdn. 10; Sehl Schröder I Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 7; and. Herzog NK Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald 2 §61 Rdn. 20; Welzel §65 112.

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BGHSt. 9 140, 141 mit Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; Eser HStKiR S. 1037; Herzog NK Rdn. 13; Pfeiffer/Maul/Schulte § 166 Anm. 3; Rudoiphi SK Rdn. 10; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 7. 53 BGHSt. 9 140, 141 mit. Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; Herzog NK Rdn. 13; Sch/Schröder! Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 7. 54 Beispielsweise BGHSt. 21 64, 65; RGSt. 45 243, 246; RG GA 59 335; Kesel S. 89; vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12. 55 Eser S. 1037; Herzog NK Rdn. 13; LacknerlKühl Rdn. 4; Rudoiphi SK Rdn. 10; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 7. » Eser S. 1037f; Herzog NK Rdn. 13; Lackneri Kühl Rdn. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; enger Schnieders, der Betsäle als Mehrzweckräume nur dann als geschützt ansieht, wenn zur

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

bewegt, sind stets und zugleich auch anderen Zwecken offen und unterliegen dem Schutzbereich der Vorschrift selbst dann nicht, wenn die Prozession diesen Weg herkömmlicherweise nimmt. 57 Anders liegt es bei Kalvarienbergen und anderen religiösen Gedächtnisstätten unter freiem Himmel (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 20). Friedhöfe, auf denen im Einzelfall Gottesdienste stattfinden, fallen unter den Schutz der Bestimmung nur dann, wenn sie jeweils dazu besonders hergerichtet worden sind (vgl. schon Rdn. 19). 21

c) Geschützt sind ferner Orte, die dem Gottesdienst entsprechenden Weltanschauungsfeiern gewidmet sind. Solche Feiern (Rdn. 11) müssen dem Gottesdienst (Rdn. 9), nicht bloßen gottesdienstlichen Handlungen (Rdn. 10), gleichstehen (Absatz 2), also Feiern von herausgehobener Bedeutung sein (TröndlelFischer Rdn. 7). Sie finden in Kultstätten der Freimaurer und der Anthroposophischen Gesellschaft, wie auch an entsprechenden Orten anderer Weltanschauungsgemeinschaften statt.

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2. Die Tathandlung besteht im Verüben beschimpfenden Unfugs an einem der genannten Orte. a) Beschimpfender Unfug ist ein grob ungehöriges Verhalten, das die Mißachtung der Heiligkeit oder der entsprechenden Bedeutung des Ortes in besonders roher Weise ausdrückt. 58 Die Auffassung, beschimpfender Unfug sei eine jede zur Verletzung des religiösen Gefühls geeignete Herabwürdigung des geheiligten Ortes,59 wird dem Tatbestand jedenfalls nicht mehr gerecht, seit er den Schutz des öffentlichen Friedens bezweckt (Rdn. 5), dessen Gefahrdung eine Verletzung des Toleranzgebots in besonders schwerwiegender Form voraussetzt (Rudolphi SK Rdn. 11; ähnlich Eser S. 1038).60 Nicht erforderlich ist, daß die Handlung an dem geschützten Ort verübt wird (so aber wohl Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 13); vielmehr bleibt die notwendige räumliche Nähe stets schon dann gewahrt, wenn in dem beschimpfenden Unfug die Mißachtung gegenüber dem herausgehobenen Charakter des Ortes zum Ausdruck kommt (Herzog N K Rdn. 15; TröndlelFischer Rdn. 8). Daher ist es unerheblich, ob die Tat von anderen in der Religionsausübung begriffenen Personen wahrgenommen wird; sie muß weder öffentlich noch im Beisein anderer begangen werden, wenn sie nur nach außen erkennbar ist.61 Auch ein Diener der betreffenden Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung kann Täter sein (RG JW 1915 345;62 Heimann-Trosien L K 9 R d n . 14). Da die Tat abstraktes Gefahrdungsdelikt ist (dazu schon

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Zeit der Tat gottesdienstliche Verrichtungen stattfinden oder vorbereitet werden (S. 209); and. auch RGSt. 29 334. RGSt. 28 303; O L G Tübingen D R Z 1948 398; Eser S. 1038; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 61 Rdn. 20; vgl. auch Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 12. RGSt. 31 410, 411; 43 201, 202; Eser S. 1038; Herzog N K Rdn. 15; Joecks BT Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8. BGHSt. 9 140 mit Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 61 Rdn. 20; Schmidhäuser BT 13/25; vgl. auch Blei BT §35 l i l a ; Lackneri Kühl Rdn. 5; Preisendanz Anm. II 2 b. Vgl. auch Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 14, der

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das Erfordernis des Ausdrucks der Mißachtung in besonders roher Form schon der Bedeutung des Wortes „beschimpfen" entnimmt. RGSt. 32 212, 213; 43 201, 202; RG G A 59 335; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 20; Tröndlel Fischer Rdn. 8. Das Reichsgericht hat klargestellt, daß seine Auffassung, es müsse der Unfug für andere erkennbar und dem ihn Verübenden bewußt die Herabwürdigung des heiligen Ortes zum Ausdruck bringen (RGSt. 43 201, 202), mit der Erkennbarkeit für andere nicht die Wahrnehmung des Unfugs durch andere während seiner Verübung meint (RG G A 59 335). Hier ging es um den persönlichen Streit des zur Herstellung der Ordnung bestellten zweiten Vorstehers einer Synagogengemeinde mit einem Teilnehmer am Gottesdienst.

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Rdn. 4), braucht ein bestimmter Erfolg nicht einzutreten (Joecks BT Rdn. 4; Otto BT § 64 Rdn. 9). b) Zahlreiche Einzelfälle werden, teils kontrovers, erörtert. Als beschimpfender 2 3 Unfug an geheiligten Orten gelten sexuelle Handlungen, 63 Verwüstungen {Herzog N K Rdn. 15; Preisendanz Anm. II 2 b), üble Verunreinigungen, etwa durch Urinieren, 64 das Beschmieren der Wände, beispielsweise mit unzüchtigen Zeichnungen, obszönen Ausdrücken oder politischen Parolen wie Hakenkreuzen, 65 und das Absingen pornographischer Lieder (Rudolphi SK Rdn. 11; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8). Auch die Abhaltung einer politischen Versammlung an dem geschützten Ort kann beschimpfender Unfug sein, wenn dabei Inhalt und Sinn des Bekenntnisses der betreffenden Religionsgesellschaft oder der Weltanschauungsvereinigung in grob ungehöriger Form geleugnet werden (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 14). Nicht unter den Tatbestand fallen dagegen das Rauchen (Herzog N K Rdn. 15; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8), das Aufbehalten des Hutes, mag es auch „geflissentlich" geschehen, 66 und die Weigerung eines Teilnehmers am Gottesdienst, bestimmte Zeremonien, etwa das Niederknien, mitzuvollziehen (Herzog N K Rdn. 15; TröndlelFischer Rdn. 8). Schließlich reichen auch lautes Schreien und Krakeelen oder sonstiges lautes Lärmen jedenfalls nicht ohne weiteres aus.67 3. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz und zwar für alle Tatbestandsmerkmale 2 4 {Rudolphi SK Rdn. 12). Vor allem muß er sich auf den beschimpfenden Charakter der Handlung erstrecken, also darauf, daß sie als besonders rohe Herabwürdigung des geheiligten Orts empfunden wird. 68 Weiter gehört zu ihm das Bewußtsein der herausgehobenen Bestimmung des Ortes {TröndlelFischer Rdn. 9) sowie der Eignung der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören {Herzog N K Rdn. 16). Bedingter Vorsatz genügt, wiederum für alle Tatbestandsmerkmale. 69 Das bedeutet insbesondere, daß es nicht auf das Bewußtsein des Täters ankommt, durch die Verhaltensweise werde ein Gottesdienst gestört, es vielmehr ausreicht, wenn er dies für möglich hält {Herzog N K Rdn. 16). Der Absicht zu beschimpfen bedarf es nicht (RGSt. 23 103, 105). Auch braucht der Täter keine feindliche Einstellung gegen die Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung zu hegen {Herzog NK Rdn. 16; Tröndlel Fischer Rdn. 9). IV. Die Konkurrenzen beider Tatbestände betreffen ausschließlich tateinheitliches Zusammentreffen. Wegen der unterschiedlichen Schutzrichtungen ist es mit den 63

BGHSt. 9 140; RGRspr. 7 195; RG G A 59 335; Eser S. 1038; Herzog N K Rdn. 15; Preisendanz Anm. II 2 b; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8. 64 Dreher Prot. V/121 S. 2439; Herzog N K Rdn. 15; Maurach/SchroederlMaiwald 2 Rdn. 20; Preisendanz Anm. II 2 b. « Dreher Prot. V/121 S. 2430; Eser S. 1038; Herzog N K Rdn. 15; Preisendanz Anm. II 2 b; Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8. 66 Eser S. 1038; Herzog N K Rdn. 15; Sch/Schröder!Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8; and. Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 14; Maurachl SchroederlMaiwald 2 Rdn. 20. 67 Eser S. 1038; Herzog N K Rdn. 15; SchlSchrö-

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der!Lenckner Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8; and. noch RGSt. 23 103, 105; ferner HeimannTrosien L K 9 Rdn. 14; Maurach/Schroederl Maiwald 2 Rdn. 20; vgl. auch die Fälle RGSt. 31 410, 41 l f (Zuschlagen der Synagogentür mit äußerster Gewalt) und RGSt. 43 201, 202 f (Verlassen des Chors der Kirche mit polternden, dröhnenden Schritten). Herzog N K Rdn. 16; Preisendanz Anm. II 2c; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 9. Herzog N K Rdn. 16; Lackneri Kühl Rdn. 7; Preisendanz Anm. II 2c; Schmidhäuser Kapitel 13 Rdn. 25; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 9.

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§§ 166, 1 6 7 a 7 0 möglich, 7 1 f e r n e r m i t § 168, 72 u n d den §§ 185 bis 187. 73 M i t § 240 k o m m t Tateinheit beispielsweise d a n n in B e t r a c h t , w e n n die S t ö r u n g des G o t t e s d i e n s t e s o d e r der Weltanschauungsfeier z u m Abbruch der Veranstaltung f ü h r t (Herzog N K R d n . 17; Rudolphi S K R d n . 6; SehlSchröder!Lenckner R d n . 15). Schließlich k a n n Tateinheit n o c h m i t d e n §§ 303, 304 b e s t e h e n 7 4 sowie mit § 21 V e r s G (vgl. R d n . 6).

§ 167 a Störung einer Bestattungsfeier Wer eine Bestattungsfeier absichtlich oder wissentlich stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Andreas-Hellriegel Pathologische Trauerreaktionen unter Berücksichtigung tiefenpsychologischer und transkultureller Gesichtspunkte, Diss. Aachen 1980; Andrortikos Totenkult, Archaeologia Homérica Bd. 3 (1968); Ariès Geschichte des Todes (1996); Assmann Totengedenken als kulturelles Gedächtnis, in: Beck Der Tod (1995) 15; Ausel Das christliche Totenverständnis im Spiegel der Friedhofs- und Grabmalsgestaltung, in: Richter Der Umgang mit den Toten, Quaestiones Disputate Bd. 123 (1990) 93; Bachmann Abgrenzung zwischen Lebend- und Totgeburt, StAZ 8 (1955) 118; Baudrillard Der Tod tanzt aus der Reihe (1979); Bauer F. J. Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit, H Z 254 (1992) 1; Baumgartner Christliches Brauchtum im Umkreis von Sterben und Tod, in: Becker/Einig!Ullrich Im Angesicht des Todes, Pietas Liturgia 3 (1987) 91; Bendann Death Customs (1930, Neudruck 1969); Benz Die Todesvorstellungen der großen Religionen, in: Schlemmer Was ist der Tod (1969) 147 - zit.: Benz Todesvorstellungen; Berg!Rollet Seemann Der Archäologe und der Tod (1981); Berger P. Religiöses Brauchtum im Umkreis der Sterbeliturgie in Deutschland, Forschungen zur Volkskunde Heft 41 (1966); BergerlLieban Kulturelle Wertstruktur und Bestattungspraktiken in den Vereinigten Staaten, KölnZ 12 (1960) 224; Bieler Persönlichkeitsrecht, Organtransplantationen und Totenfürsorge, JR 1976 224; Bieri Der strafrechtliche Schutz des Totenfriedens (Art. 262 StGB), Diss. Freiburg (Schweiz) 1954; Birkholz Angst vor dem Tod in Abhängigkeit von religiösen Einstellungen und Fortlebenserwartungen, Diss. Köln 1992; Bizer Postmortaler Persönlichkeitsschutz? NVwZ 1993 653; Blendingerl Hanselmann Der christliche Friedhof und seine Gestaltung, UA 10 (1959) 4; Boehlke Kirchhof - Gottesacker - Friedhof, in: BecklEinig!Ullrich Im Angesicht des Todes, Pietas Liturgia 3 (1987) 163; Boscardin Die Bestattung als Rechtsproblem, Diss. Basel 1981; Brox N. Magie und Aberglaube an den Anfängen des Christentums, TrThZ 83 (1974) 157; Brunner H. Das rechtliche Fortleben des Toten bei den Germanen, D M L 12 (1907) 18; Brunner W. Das Friedhofs- und Bestattungsrecht (1927); Bucher Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. Aufl. (1999); Buschmann Zur Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tode,

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Durch § 166 wird ausschließlich der öffentliche Friede (§ 166 Rdn. 6 bis 8) und durch § 167 neben dem öffentlichen Frieden auch die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung (Rdn. 5) geschützt, während § 167 a dem Schutz der Ehrfurcht vor dem Tode, dem Pietätsempfinden der Angehörigen und der Allgemeinheit sowie der Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen dient (§ 167 a Rdn. 3). Herzog

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Störung einer Bestattungsfeier

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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§ 167a

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

FahlbuschlLochmannlMbitHPelikan! Vischer Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 4 3. Aufl. (1996) 919; Zulliger Beiträge zur Psychologie der Trauer und Bestattungsbräuche, Imago 10 (1924) 178. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 166 und zu § 168.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch das 1. StrRG eingefügt worden. Sie geht auf § 190 E 1962 zurück. Dort war in Angleichung an dessen § 189, soweit dieser die Verhinderung und Störung eines Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung betraf, in zwei Tatbeständen die Bestrafung der Verhinderung und der Störung einer Bestattungsfeier vorgesehen. Der Neuregelung des § 167 entsprechend ist auf den Tatbestand der Verhinderung einer Bestattungsfeier verzichtet und nur deren Störung unter Strafe gestellt worden. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 12 S. 552, 601; E 1962 S. 43 f, 264, 345 f; AE S. 7, 82 f; BTDrucks. IV/650; V/32; V/2285; V/4094 S. 3, 30; Prot. V/121 S. 2240; V/134 S. 2809; BTProt. V/230 S. 12783 ff.

I. Allgemeines 1. Rechtspolitische Bedeutung . . . . 2. Umfang des Strafschutzes 3. Rechtsgut a) Pietätsempfinden, Ehrfurcht vor dem Tode, Nachwirkung des Persönlichkeitsrechts b) Religiöse oder weltanschauliche Bezüge und der Gedanke des Friedensschutzes c) Kritik und Gegenansichten . . . II. Der äußere Tatbestand 1. Angriflfsgegenstand: Bestattungsfeier a) Bestattung aa) Ursprung des Brauchs . . . bb) Christliche Prägung der Bestattungsbräuche cc) Heutige Bestattungsbräuche

Rdn. 1-5 1 2 3-5 3 4 5 6-18 6-16 6-12 6 7 8

Rdn. dd) Recht der Bestattung . . . . 9 ee) Bestattungszwang, Bestattungsfrist, Beisetzungszwang 10 ff) Friedhofszwang, Friedhofsnutzungsrecht 11 gg) Bestattungspflicht 12 b) Feier 13-16 aa) Hintergrund des Brauchs . . 13 bb) Form und Inhalt 14 cc) Zeitpunkt 15 dd) Dauer 16 2. Die Tathandlung: Stören 17-18 a) Geltung der Erläuterungen zu § 167 17 b) Unterschiedlichkeit zu § 167 18 III. Der innere Tatbestand 19 IV. Konkurrenzen 20

I. Allgemeines 1

1. Die rechtspolitische Bedeutung der Vorschrift ist in zweierlei Richtung zu sehen. Sie liegt einmal darin, daß durch sie der Schutz von Bestattungsfeiern gegenüber § 167 a. F., in dem sie als gottesdienstliche Verrichtungen 1 erfaßt waren (vgl. Jagusch LK 8 § 167 Bern. II 1), grundsätzlich statuiert worden ist, wie das schon lange gefordert worden war (beispielsweise E 1927/30 § 182, E 1936 § 235; vgl. auch Dreher Prot. ' Den Begriff gottesdienstliche Verrichtung hat das 1. StrRG durch den Ausdruck gottesdienstliche

Handlung ersetzt. Dazu schon § 167 Rdn. 10 mit Fn. 17.

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Störung einer Bestattungsfeier

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V/121 S. 2440). Zum anderen, und darin liegt eine noch wesentlichere Verbesserung, ist der Strafschutz auf alle, selbst private, Bestattungsfeiern, auch wenn sie entgegen früherem Recht nicht an einem zu religiösen Veranstaltungen bestimmten Ort stattfinden, ausgedehnt worden (näher Rdn. 2, 14). Damit hat die Vorschrift eine für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich gewesene Privilegierung beseitigt; denn das Gefühl für die Majestät des Todes ist allen Menschen eigen, nicht nur denen, die einer Religionsgesellschaft angehören. 2. Der Umfang des Strafschutzes der Vorschrift ist erheblich größer als der des 2 § 167 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2. Das ergibt sich schon aus den unterschiedlichen Angriffsrichtungen. Der Schutzzweck, der durch den öffentlichen Frieden und die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung umgrenzt wird (§ 167), ist enger als der, den die Ehrfurcht vor dem Tod, das Pietätsempfinden und die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen kennzeichnen. Indem § 167a den Schutz von Bestattungsfeiern über diejenigen an der Beisetzungsstelle oder einem dem Gottesdienst oder der Feier einer Weltanschauungsvereinigung gewidmeten Ort hinaus auf alle, auch private, Feiern erstreckt, werden beispielsweise auch Bestattungsfeierlichkeiten im Trauerhaus und der Leichenzug erfaßt (näher Rdn. 16). Schließlich setzt die Vorschrift keine grobe Störung voraus. Das folgt daraus, daß statt der Formulierung des § 167 Abs. 1 Nr. 1 „absichtlich und in grober Weise stört" die Fassung „absichtlich oder wissentlich stört" Gesetz geworden ist (vgl. auch Prot. V/134 S. 2809). Entgegen einer früher vertretenen Auffassung (so z.B. DreherlTröndle40 Rdn. 1) erfaßt § 167a auch die in religiösen Formen verlaufenden Bestattungsfeiern. 2 Das ergibt sich zwar aus den Beratungen des Sonderausschusses nicht ausdrücklich; doch ist er ersichtlich nicht davon ausgegangen, religiöse Feiern seien allein durch § 167 geschützt (vgl. Prot. V/121 S. 2440). Für deren Einbeziehung in § 167a spricht dessen weitergehender Strafschutz. Es kann nicht gewollt sein, daß religiöse Bestattungsfeiern geringer geschützt sind als andere Bestattungsfeiern (vgl. auch Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1). 3. Das Rechtsgut der §§ 167 a, 168 hat gegenüber dem der §§ 166, 167 einen völlig 3 anderen Grundcharakter. Während diese dem Schutz des öffentlichen Friedens, § 167 auch dem der ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung, dienen (vgl. Vor § 166 Rdn. 15, § 166 Rdn. 6 bis 8, § 167 Rdn. 5), geht es bei den §§ 167 a, 1683 darum, den Toten, seine Ruhe und das Andenken an ihn zu schützen. a) Schutzgedanken, die das Rechtsgut der §§ 167 a, 168 begründen können, sind gleichermaßen die Ehrfurcht vor dem Tode, das Pietätsempfinden und die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen. Ein bestimmtes Rechtsgut oder auch nur eine eindeutige Schutzrichtung lassen sich nicht nachweisen. Das beruht darauf, daß die Vorschriften, die den Toten selbst, seine Ruhe und das Andenken an ihn schützen wollen (neben den §§ 167 a, 168 auch § 189), das Tabu 4 der Toten berühren, eines der 2

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So die inzwischen einhellige Auffassung, ζ. B. Herzog N K Rdn. 1; Lackneri Kühl Rdn. 1; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 1; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 1; TröndlelFischer Rdn. 1; vgl. auch schon § 167 Rdn. 10 mit Fn. 21. Zur langen Geschichte der Strafbarkeit von Grab- und Leichenfrevel ausführlich Kretschmer S. 51 fT (vgl. die Zusammenfassung vor § 166 Rdn. 21). Ursprünglich ein Begriff der polynesischen Reli-

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gionen, der dort ein Mittel zur Aufrechterhaltung des gesicherten Lebens kennzeichnet. Von der Sozialpsychologie werden Tabus als Sonderfalle von Normen aufgefaßt, nach denen sich in Gruppen oder Gemeinschaften das Verhalten von Individuen richtet. Die Psychoanalyse erklärt das Auftreten von Tabus mit der aus Triebkonflikten resultierenden Verdrängung attraktiver, doch verbotener Handlungstendenzen (dazu Freud S. 66ff, Zusammenfassung S. 83).

Karlhans Dippel

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Tabuphänomene, die Freud ausführlich dargestellt und analysiert hat,5 und das die Fixierung auf einen Schutzgedanken nicht zuläßt. 6 Nur ein Tabuphänomen zu schützen kann nicht in Betracht kommen. Ebenso deutlich scheidet der Schutz des Toten aus, nachdem es ihn als Rechtspersönlichkeit nicht mehr gibt, der Leichnam im säkularen Recht aber kein eigenes Integritätsinteresse hat (eingehend dazu Kretschmer S. 228 ff). Auch das Totenfürsorgerecht der Angehörigen (§ 168 Rdn. 36 bis 40) wird reflexartig geschützt (Kretschmer S. 253 ff). Als Ansatz bleibt so nur das Interesse der Lebenden, das in deren Erwartung liegt, auch nach ihrem Tode für die Nachwelt unverletzlich zu sein.7 Es vermag zwar ein Individualrechtsgut nicht zu begründen; doch dokumentiert sich darin ein allgemeines Interesse, das im Wege normativer gesellschaftlicher Verständigung ein Universalrechtsgut rechtfertigt.8 Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung von Rechtsprechung und Lehre zu sehen, die zwar mit unterschiedlicher Gewichtung, aber doch nebeneinander die Ehrfurcht vor dem Tode 9 und das Pietätsempfinden, das der Angehörigen des Verstorbenen 10 als Ausdruck für die über den Tod des nahestehenden Menschen hinaus sich fortsetzende Verbundenheit 11 ebenso wie das der Allgemeinheit, 12 von der jedenfalls ein erheblicher Teil so

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Neben dem Tabu der Toten (S. 72, 102ff) das Tabu der Feinde (S. 85 ff), das Tabu der Herrscher (S. 72, 81 f, 90ff, 123 f) und das Inzesttabu (S. 47ff, 172ff). Nachwirkungen des Tabus der Herrscher sind beispielsweise in den §§ 90, 90 a und 90 b zu erkennen (Hassemer Theorie S. 171). Zum Inzesttabu § 173 Rdn. 4. Dazu insb. Hassemer Theorie S. 177 ff; zum Ganzen auch Andreas-Hellriegel S. 12; Birkholz S. 19ff; Boehlke S. 165 („gewandelte Tabuisierung des Todes"); Caselitz ArchAtl. 3 (1980) 112f; W. Fuchs S. 8, 12; A. Hahn S. 101 f; Helmers S. 27, 34ff; Kretschmer S. 215ff; Kunt Curare 8 (1985) 46; Plack S. 230f; Schmied Sterben S. 34, 36ff; Blasphemie S. 14ff; Worms S. 43. In neueren Forschungen wird der Tod als Tabu begriffen, das die Sexualität als gesellschaftliches Tabu abgelöst habe (Gorer Monat 8 [1956] 60f; ferner Culmann S. 18; J. E. Meyer Anstöße 20 [1973] 4; Winau S. 24; vgl. auch Kalish S. 159ff). Die Gegenwärtigkeit des Phänomens im Bewußtsein der Bevölkerung spiegeln die Ergebnisse der umfangreichen Befragung „Auskünfte über ein Tabu" von Baum (Der verborgene Tod [1979] 19f!) wider. Ähnlich Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 55 („Pietätserwartung der Hinterbliebenen"); vgl. auch Dettmeyer S. 102; Rüping GA 1977 301; Schmidhäuser BT 13/28. Hassemer Theorie S. 177ff, insb. S. 184f; Festgabe Arth. Kaufmann S. 9Iff; krit. Maurach! SchroederlMaiwald 2, in der Annahme, die Vorschriften zum Schutz der Toten seien die Rückversicherung der Lebenden für eine angemessene Behandlung nach dem Tode, liege ein „eigenartiger utilitaristischer Umweg" (§ 62 Rdn. 3); zust. jedoch Samson NJW 1974 2030; Zimmermann NJW 1979 573. Vgl. zum Ganzen schon § 166 Rdn. 9,11 zur Entmaterialisierung des Rechtsgutsbegriffs in der modernen Straf-

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gesetzgebung und zur Entwicklung eines systemtranszendenten Begriffs des Rechtsguts. Dazu Crusen S. 5f; Gerschmann S. 101 f; Laturner S. 26 f; Misch S. 81. Hassemer sieht, völlig zutreffend, in dieser Bezeichnung nicht nur die Projektion auf den Tod und die Toten ausgedrückt, sondern zugleich auch das Heilige, Hoheitsvolle, Unheimliche, Bedrohende, das Freud diesem Tabu attestiert hat (Theorie S. 185Í). Der Begriff dürfte auch die von Herzog hervorgehobene besondere Bedeutung einschließen, die Beerdigung und Totenruhe in unserer Kultur für die Allgemeinheit haben (Rdn. 1, §168 Rdn. 1 im Anschluß an LG Hamburg NStZ 1982 511). Hingegen wertet Kretschmer die Bezeichnung als eine nur wenig ergiebige Umdeutung des christlich geprägten Begriffs Pietät (S. 278). So z.B. RGSt. 39 155, 156; OLG Frankfurt NJW 1975 271, 272 mit zust. Anm. Geilen JZ 1975 379, 380 (dazu krit. Blei JA 1975 523) und Martens NJW 1975 1686 sowie Bespr. Roxin JuS 1976 505, 506; KG NJW 1990 782; OLG München NJW 1976 1805, 1806 mit krit. Anm. Linck NJW 1976 2310; LG Hamburg NStZ 1982 511,512; Blei BT § 36; Eser S. 1020; Glaser ZStW 33 (1912) 841; Hardwig GA 1962 260; Joecks § 168 Rdn. 1; Kahl Festschrift Brunner S. 233; Lackner/Kühl Rdn. 1, § 168 Rdn. 1; MehrhofßMüller MedR 1990 125; SchlSchröder/ Lenckner Vorbem §§ 166ff Rdn. 2; Schroth BT S. 242; v. Tobel S. 22 f; TröndlelFischer § 168 Rdn. 2; vgl. auch Arztl Weber BT § 44 Rdn. 55; ferner E 1962 S. 342, 346. So z.B. v. Bubnoff GA 68 72; Buschmann NJW 1970 2081, 2084; Hubmann S. 342; Samson NJW 1974 2030. RGSt. 39 155, 156; LG Hamburg NStZ 1982 511, 512; Bieri S. 122f; Bochumer Erläuterungen § 168 Rdn. 4; Bohne Festgabe R. Schmidt S. 125;

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Störung einer Bestattungsfeier

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empfindet, aber auch die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen, der in dem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tod nicht herabgewürdigt werden darf,13 als die Schutzgüter der §§ 167 a, 168 betrachtet (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 11, 15). Die Anerkennung auch der Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen als Schutzzweck der §§ 167 a, 168 mußte die Auffassung überwinden, der Schutz des Toten selbst wohne den Straftatbeständen nicht einmal als Grundgedanke inne, weil nach geltendem Recht nur der lebende Mensch Träger eines Rechts sein könne, der Tote daher nach keiner Richtung hin eine strafrechtlich relevante Rechtspersönlichkeit sei (ζ. B. Maurach BT § 47 II F 1), es aber ein Recht ohne Rechtssubjekt nicht gebe.14 Obwohl nach wie vor unbestritten ist, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Tod des Rechtssubjekts eine einschneidende Veränderung erfahrt, weil alle Ausstrahlungen enden, die der Existenz einer handelnden, sich entfaltenden und in Kommunikation mit anderen stehenden Person eigen sind, hat sich in der Rechtsprechung15 und im Schrifttum16 zunehmend die Auffassung durchgesetzt, daß das

Eser S. 822; Glaser ZStW 33 (1912) 841; Grahlmann S. 65; Kahl Festschrift Brunner S. 233; Korthals S. 139; Misch S. 81 ff; Mittelstein GA 34 180; Trecket S. 25, 91, 148; ferner Kohlhaas DMW 89 (1964) 1604; Rüping GA 1977 299; Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 61 Fn. 193; TröndlelFischer Rdn. 1 (Pietätsempfinden der an der Bestattungsfeier Teilnehmenden); für Art. 262 SchwStGB Bieri S. 125 f. Kindhäuser sieht als Schutzzweck des § 167 a nur das allgemeine Pietätsempfinden an (§ 10.2). Kritisch Hassemer, die Formel „Pietätsgefühl der Allgemeinheit" sei so allgemein gehalten, daß sie allenfalls Hinweis-, aber keinen Erklärungswert habe (Theorie S. 179 Fn. 223 zu § 189); femer MaurachlSchroederlMaiwald 2 mit dem Hinweis auf die „groteske" Ausspielung eines angeblichen Pietätsgefühls der Allgemeinheit gegen den Willen des Verstorbenen und der Angehörigen bei LG Hamburg NStZ 1982 511, 512 (§ 62 Rdn. 1); ablehnend auch Kretschmer im Hinblick auf die im säkularen Staat problematische besondere Betonung der Pietät (S. 274 ff). 13

KG NJW 1990 782; OLG München mit insoweit zust. Anm. Linck NJW 1976 2310; Bieter JR 1976 224, 227; Buschmann NJW 1970 2081, 2083f; Herzog N K § 168 Rdn. 2 (im Anschluß an die Erwartungen der Lebenden, nach ihrem Tod für die Nachwelt unverletzlich zu sein); Kaiser Transplantation S. 79 f; MedKl. 62 (1967) 646; Tod S. 38; Kindhäuser § 10.2 (für § 168); LeibholzlRincklHesselberger Art. 5 Rdn. 1060; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 2; Sehl Schröder!Lenckner § 166 Rdn. 2; vgl. dazu auch Wust S. 208 und die Definitionsversuche bei Seinsch S. 19 und Sörries LM 34 (11/1995) 2.

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Kretschmer unter Ablehnung („freihändige Konstruktion") der teilweise vertretenen (Hilchenbach S. 89 ff; Hubmann S. 340 ff) Annahme eines subjektlosen Rechts (S. 243). Insb. BVerfGE 30 173, 194 („Mephisto"); BVerfGE NJW 1994 783; BGHZ IS 249, 259

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mit zust. Anm. Ulmer JZ 1955 211 („Cosima Wagner"); 50 133, 137 mit zust. Anm. Neumann-Duesberg JZ 1968 697 („Mephisto"); KG Ufita 30 (1960) 105, 108 („Joseph Schmidt"); LG Berlin Ufita 34 (1961-11) 233, 236 („Renate Müller"); and. RGZ 41 43, 50 („Richard Wagner"). Z. B. W. G. Becker JR 1951 330; Bieler JR 1976 224; Bizer NVwZ 1993 654; Brox § 1 V 2b; AcP 1992 172f; Bucher S. 55 Rdn. 222; Buschmann NJW 1970 2081; Dettmeyer S. 121 ff; Deutsch ZRP 1982 175; AcP 1992 172f; Festschrift Richterakademie S. 90; Medizinrecht Rdn. 407; Edlbacher ÖJZ 20 (1965) 453; Forkel JZ 1974 598; Jura 2001 74; v.Gamm NJW 1955 1826; Gareis Festgabe Schirmer S. 59 ff; SeuffBl. 70 (1905) 316ff; Geiger Festschrift Stein S. 95; Hamann/Lenz Art. 1 Anm. Β 2; Heinitz S. 26; Heldrich Festschrift Lange S. 163; Heun JZ 1996 217; H. J. Hirsch S. 128 ff; Hoch S. 66 f; Hubmann S. 340 ff; Kaiser Tod S. 37 f; Kern Transplantation S. 2/804; Kießling NJW 1969 536; Koebel NJW 1958 936; Krüger-Nieland GRUR 1968 523 f; Kühler S. 62; Kächenhoff AR 8 (1973) 143; Festschrift Geiger S. 50f; Locher S. 107; Laufs VersR 1972 8; H. Maurer DÖV 1980 10; MaunzlDüriglHerzog Art. 1 Abs. 1 Rdn. 23, 26; Kn. Müller S. 81, 159ff; R. Müller S. 56f; Peters Strafprozeß § 40 1; Rausnitz Recht 1903 593 f; Reimann Festschrift Küchenhoff S. 347; Samson NJW 1974 2030; Rechtliche Probleme S. 29; Schmidt-BleibtreulKlein Art. 1 Rdn. 1; Chr. Schreiber S. 77f; H.-L. Schreiber Internist 15 (1974) 552, 554; F. Seifert NJW 1999 1893 ff; Solbach DRiZ 1978 206; £ Steffen NJW 1979 1620; Wetzet Strafrecht S. 305; Westermann FamRZ 1969 561; Wölkart WKW 68 (1956) 114; Ziegler S. 106 f; Zimmermann NJW 1979 573; Zippelius BK Art. 1 Rdn. 54; and. Bohne Festgabe R. Schmidt S. 135; de Boor Urheberrecht und Verlagsrecht (1971) 185; B. Lehmann S. 9 ff, 120; May NJW 1958 2101, 2102; Neu-

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Lebensbild eines Menschen mit dem Augenblick, in dem er die Augen für immer schließt, nicht schutzlos werden dürfe, Zivil- und Strafrecht deshalb aufgerufen seien, das Lebensbild des Verstorbenen eine Zeit lang vor unangemessener Verzerrung zu bewahren. Die dogmatischen Begründungen für diesen Anspruch werden dem Grundgesetz entlehnt. Ein Ansatz geht von den Fortwirkungen aus, die das in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Persönlichkeitsrecht des Lebenden auch nach dem Tod noch entfaltet, etwa durch Anordnungen, die er für die Dauer eventueller lebensverlängernder Maßnahmen, die Sektion oder die Beerdigung getroffen hat (z.B. Deutsch AcP 1992 171 f; Taupitz Tod S. 8f)· Das gewichtigere Argument aber liegt in der aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Folgerung, daß der Staat verpflichtet ist, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde auch nach seinem Tod zu gewähren. Am überzeugendsten definiert sich dieser Fortbestand in der Weise, daß das Persönlichkeitsrecht, obwohl als höchstpersönliches Recht prinzipiell nicht übertragbar und unvererblich, doch treuhänderisch auf die nahen Angehörigen übergeht.17 Wer diese Überbrückung des durch den Tod entstandenen Einschnitts mit den bürgerlichen Regeln über Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit nicht zu vereinbaren vermag, kann zu dem gewünschten Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus in der Erwägung gelangen, daß zwar lediglich die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen geschützt sind, diesen aber gleichzeitig spezielle, an den Tod geknüpfte Pflichten erwachsen ( Westermann FamRZ 1969 566 ff). Ein anderer Ausweg besteht darin, ein postmortales Persönlichkeitsrecht „in vorsichtiger Analogie" zu § 22 KUG anzuerkennen.18 Die Einbeziehung auch der Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts in den Rechtsgüterschutz der §§ 167a, 168 entspricht der Tendenz bei § 189.'9 4

b) Religiöse oder weltanschauliche Bezüge haben für das Rechtsgut der §§ 167 a, 168 ebensowenig unmittelbare Bedeutung wie der Gedanke des Friedensschutzes. Zwar ist es richtig, daß die Rechtsgutsbestimmung auch im materialistischen Staat sich nicht gänzlich von den religiösen Wurzeln zu lösen vermochte (Kretschmer S. 228). Doch schon vor dem 1. StrRG wurde die Störung der Totenruhe als ein Angriff auf die humanitäre Pietät, der mit den Angriffen auf die religiöse Pietät, also die Frömmigkeit, nur noch geschichtlich verbunden ist (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 61 Rdn. 5), angesehen. Der Rechtsgutsqualität ist dieser Bezug damit entrückt (Eser HdStKiR S. 1020; SehlSchröder!Lenckner Vorbem §§ 166 Rdn. 20- Ähnlich liegt es beim Gedanken des Friedensschutzes. Er hat zwar, wie bei jedem Straftatbestand, mittelbare Bedeutung, stellt hier aber ebenfalls kein eigenständiges Rechtsgut dar (Kretschmer S. 273; SehlSchröder/Lenckner Vorbem §§ 166 Rdn. 2f)· Die Gegenmeimann-Duesberg D a s gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht (1949) 158; P. Schäfer S. 65 ff; Schreuer Festschrift Bergb o h m S. 242 ff; Schünemann S. 48 ff, 230; Schwerdtner Persönlichkeitsrecht S. 101 ff; JuS 1978 292; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 660 f; A. Siein F a m R Z 1986 8; Trockel Rechtswidrigkeit S. 43, 73; M D R 1969 812; Weiser S. 17; Wolperi Ufita 34 (1961) 159ff, 164f; zweifelnd Schlachter JA 1990 37f; ablehnend Kretschmer S. 232ff. Z u r die Anerkennung postmortaler Persönlichkeitsrechte verneinenden Andenkenschutzlehre des schweizerischen Rechts KnellwolfS. 4f, 80f. 17

Deutsch Medizinrecht R d n . 503; G. Hirsch Festschrift Heimlich S. 960; Kern Transplantation 2/805; Laufs Arztrecht S. 150; Chr. Schreiber

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S. 78; H.-L. Schreiber Festschrift Klug S. 350; Stentenbach S. 42 f; Taupitz Tod S. 172 f. Vgl. dazu auch § 168 R d n . 17 mit Fn. 135 zur Bedeutung des postmortalen Persönlichkeitsrechts für die Entscheidung der nächsten Angehörigen nach § 4 Abs. 1 TPG. Schwerdtner Persönlichkeitsrecht S. 101 ff; ferner Schünemann, der über § 22 K U G hinaus die §§28, 83 U r h G in die Überlegungen einschließt (S. 256Π). Dazu insb. Herdegen L K § 189 R d n . 4; H. J. Hirsch S. 125 ff, 143; Maurachl Schroederl Maiwald 1 § 25 R d n . 34; Sehl Schröder! Lenckner § 189 R d n . 1; TröndlelFischer § 189 R d n . 1; vgl. auch V.Gamm N J W 1955 1826; Koebel N J W 1958 936f; Westermann F a m R Z 1969 566.

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Störung einer Bestattungsfeier

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nung (Rudolphi SK Vor § 166 Rdn. 3) gründet sich auf die Gefahr, die Bürger könnten, würde der Staat nicht seine Strafgewalt einsetzen, selbst versuchen, dem Gebot die erwünschte Beachtung zu sichern (in diesem Sinne auch Riiping GA 1977 299 f)· Das trifft insofern zu, als der öffentliche Friede nicht zuletzt dadurch beeinträchtigt werden kann, daß die durch die Verletzung ihres religiösen Gefühls oder die Mißachtung ihrer weltanschaulichen Uberzeugung Betroffenen die Respektierung ihres Glaubens oder ihrer Überzeugung im Wege der Selbsthilfe durchsetzen (vgl. OLG Köln NJW 1982 657). Bei der Verletzung der Ehrfurcht vor dem Tode und des Pietätsempfindens besteht diese Gefahr aber kaum mehr als in den Fällen anderer Straftaten, denen der Gedanke des Friedensschutzes als eigenständiges Schutzgut ebenfalls nicht zugrunde liegt. Herzog sieht in diesen Auffassungen keinen Widerspruch; sie stünden nicht gegeneinander, da mit einer entsprechend starken Erschütterung des Pietätsgefühls regelmäßig Reaktionen einhergingen, die als Friedensstörung anzusehen seien ( N K § 167 a Rdn. I).20 c) Kritik und abweichende Ansichten sind vielschichtig. Stratenwerth sieht auch 5 hier (vgl. schon § 166 Rdn. 10) in dem Normbruch als solchem, nämlich der Zuwiderhandlung gegen die in unserer Kultur anerkannten Verhaltensstandards, einem Toten Respekt zu bezeugen, das Unrecht, so daß es unnötig sei, sich auf die Suche nach Pietätsgefühlen von Angehörigen zu begeben, die verletzt sein könnten, oder erneut den öffentlichen Frieden zu bemühen (Festschrift Lenckner S. 386 f)· Hassemer hält den Begriff Pietätsempfinden angesichts der Schwierigkeit zu definieren, was Pietät sei, und der Unsicherheit darüber, wer alles Pietät empfinden könne, für „nichtssagend", will damit aber wohl vor allem seine Bevorzugung des Begriffs Ehrfurcht vor dem Tode unterstreichen (Theorie S. 185). Bei Maurach/SchroederlMaiwald 2 findet sich der Einwand, daß sich die §§ 167 a, 168 auf einen Schutz des Pietätsempfindens nur um den Preis einer erheblichen und den Anwendungsbereich verfehlenden Abstrahierung stützen lasse, da eine Verletzung des Pietätsempfindens nicht erforderlich sei (§ 62 Rdn. 3). Die dafür angeführten Beispiele treffen zu. In der Tat ist die Störung einer Bestattungsfeier auch dann strafbar, wenn die dazu abkommandierten Soldaten dies amüsant finden, wie umgekehrt der Verstorbene über die Pietätsempfindung der Angehörigen hinweg bestimmte Verfügungen treffen kann, so über seine Leiche, oder indem er beispielsweise für seinen Todestag ein Hippie-Fest an seinem Grab bestellt. Auch können Angehörige durchaus sich selbst nach § 168 strafbar machen. 21 Hinzuzufügen ist, daß Hinterbliebene in Verhandlungen über Explantate vom Verstorbenen sich ihre Pietät mitunter abkaufen lassen (Rüping GA 1977 300, 302). All dies bleibt ohne Bedeutung, solange das Pietätsempfinden der Allgemeinheit als Rechtsgut der §§ 167 a, 168 anerkannt ist, abgesehen davon, daß durch Einzelfalle, in denen ausnahmsweise ein Pietätsempfinden fehlt, dessen grundsätzliche Bedeutung als Rechtsgut kaum zweifelhaft werden kann. 22 Vereinzelte Bedenken beispielsweise bei Hassemer (Theorie S. 183) und Westermann (FamRZ 1969 561 ff), den §§ 167a, 168 fehle das 20

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Den öffentlichen Frieden erachtet auch Schmitz als das alleinige Rechtsgut des § 167 a, freilich ohne es zu begründen, von der lapidaren Bemerkung abgesehen, auf das Pietätsgefühl der Hinterbliebenen abzustellen, wäre überflüssig oder falsch, weil individueller Gefühlsschutz nicht Aufgabe des Strafrechts sei (S. 960Beispielsweise im Fall RGSt 71 323 (vgl. § 168 Rdn. 1 Fn. 4), bei dem Abkömmlinge des Verstorbenen die Täter waren.

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Bei MaurachlSchroederlMaiwald 2 finden sich denn auch das Zugeständnis, daß die Kritik am Rechtsgut Pietätsempfinden, radikal zu Ende gedacht, weitreichende Konsequenzen hätte, etwa dazu führen müßte, die §§ 167 a, 168 als Straftaten gegen den Einzelnen, mindestens gegen dessen Nachwirkungen, anzusehen (§ 62 Rdn. 4).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

erforderliche Rechtssubjekt, übersehen, daß auch der lebende Mensch Rechtssubjekt nur kraft der Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft ist (so mit Recht Maurachl SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 3). Schließlich wird noch der soziologische Befund angeführt, daß Verstorbene entsprechend ihrem Status zu Lebzeiten unterschiedliche Behandlung erfahren.23 Er trifft zu, hätte Bedeutung aber nur, wenn der Rechtsgutscharakter der §§ 167 a, 168 an einen allgemeinen Standard des Totengedenkens anknüpfen würde. Zu einem eigenständigen Rechtsgut gelangt Rüping, der den Schutz des hinter den Gefühlen stehenden Brauchtums des Totenkults als letztlich entscheidend ansieht (GA 1977 302);24 doch muß diese Auffassung sich entgegenhalten lassen, daß damit auf eine materiale Rechtsgutsbestimmung verzichtet wird.25 Kretschmer gelangt nach seiner profunden Kritik an den in Rechtsprechung und im Schrifttum überwiegend angenommenen Rechtsgütern (S. 288 fi) zu dem Vorschlag, den Schutz des Gefühls der individuellen Unvergänglichkeit in seinem Bezug zum Grab- und Leichenfrevel als Schutzgut des § 168 anzusehen (S. 278ff). Er geht dabei von dem Kontinuitätsgefühl der Menschen in ihrer jeweils eigenen Existenz aus, das den Tod als Nichts nicht denken läßt (S. 285) und dazu führt, daß eine Mißachtung der Toten nicht nur deren Unsterblichkeit negiert, sondern zugleich das Gefühl der Lebenden an die eigene Unvergänglichkeit verletzt (S. 303). Ähnliche Überlegungen zu Verhaltensweisen, die ebenfalls im Widerstreit mit den Vorstellungen von einem geordneten Zusammenleben innerhalb einer sozialen Gesellschaft stehen und deshalb von ihr nicht hingenommen zu werden brauchen, sind beispielsweise schon bei Hassemer (Theorie S. 184 fi), Samson (NJW 1974 2030) und Zimmermann (NJW 1979 573) zu finden (vgl. bereits Rdn. 3 mit Fn. 7). Es dürfte kaum etwas dagegen sprechen, den Schutz des Gefühls der individuellen Unvergänglichkeit den genannten Schutzgütern (Rdn. 3) hinzuzufügen. 6

II. Der äußere Tatbestand verlangt die Störung einer Bestattungsfeier. 1. Bestattungsfeier ist jede Veranstaltung, bei der in feierlicher Form von einem Toten Abschied genommen wird.26 a) Bestattung ist das förmliche Verbringen des menschlichen Leichnams an seine letzte Ruhestätte (Strätz Bestattung S. 338) und die Übergabe der Leiche27 an die drei Elemente Feuer, Wasser, Erde.28 Sonderformen der Bestattung, wie die Beisetzung in Sarkophagen (näher dazu z. B. Andronikos S. 102 ff), ausgenommen. 23

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Rüping G A 1977 300 unter Bezugnahme unter anderen auf Gruber ZblAllgPath. 86 (1950) 422; Gütgemannl Käufer D M W 96 (1971) 613; Kuckuk JR 1974 414f. Ähnlich die Auffassung von Arzt/Weber, durch die §§ 167 a, 168 werde der öffentliche Friede im Sinne der Ausübung des Totenkultes, meist mit Bezug auf Religionsausübung, zunehmend aber auch ohnedies, geschützt, von § 168 insbesondere im Blick auf die in der Gesellschaft herrschende Vorstellung über die Respektierung der Totenruhe; mit den gesellschaftlichen Erwartungen würden bei den §§ 167 a, 168 auch die Pietätserwartungen der „Hinterbliebenen" in den Schutz einbezogen (BT § 44 Rdn. 55). SchlSchröderILenckner Vorbem §§ 166 Rdn. 2; ablehnend auch Kretschmer S. 278 Fn. 171 und Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn 3 in der Erwägung, daß das Rechtsgut damit durch eine

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formale Institution ersetzt würde, nach deren Sinn wieder gefragt werden müßte, und dem Hinweis auf den ebenfalls über den Tod hinaus reichenden Schutz der Ehre (§ 189) und der Geheimsphäre (§ 203 Abs. 4). Herzog N K Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2; Schmitz S. 96; SchlSchröderILenckner Rdn. 3; vgl. auch Gaedke Hdb. S. 154, 156. Die Begriffe Leichnam und Leiche sind rechtlich bedeutungsgleich. Ein Unterschied besteht nur in etymologischer Beziehung (Bieri S. 19; vgl. auch Engìert S. 114 mit geschichtlicher Herleitung; E. Merkel Leichenraub S. Iff). In § 168 ist der Begriff Leiche durch den Begriff Körper eines verstorbenen Menschen ersetzt worden (dazu § 168 Entstehungsgeschichte mit Fn. 1 ). Bieler JR 1976 226; Gaedke Hdb. S. 113; Hanke S. 127; Liedhegener S. 2; Scheffler S. 359 Fn. 2.

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aa) Der Ursprung des Brauchs, die Toten zu bestatten, liegt in vorgeschichtlicher Zeit. Die Kenntnisse darüber, wie auch über die der Frühgeschichte und des frühen Altertums gründen sich im wesentlichen auf Überreste von Bestattungen. Aus den ältesten Perioden der Menschheit sind keine Bestattungen bekannt. Der Urmensch befand sich noch weitgehend in triebhafter Übereinstimmung mit den Vorgängen in der Natur.29 Die Toten wurden, als die Menschen noch kein Feuer entzünden konnten und auch noch nicht die Werkzeuge hatten, um tiefe Gruben auszuheben, im Wasser versenkt oder einfach der Luft ausgesetzt, was, je nach Klima, zu Fäulnis oder Mumifizierung führte (Kretschmer S. 30). Erst in der Übergangsstufe von der Horde zur Gentilgesellschaft finden sich Erdbestattungen (Schienther S. 209), vielfach in Form der Hockerbestattung, wofür deren geringerer Platzbedarf maßgeblich gewesen sein dürfte (vgl. Ebert PrähZ 13 [1921] 7f; Kretschmer S. 30 Fn. 96), die aber auch der Vorstellung vom „schlafenden lebenden Leichnam" entsprach (Kahlke S. 122). Rituelle Formen sind seit dem Moustérien bekannt (Ott Vorgänge 36 [2/1997] 56). Von Anfang an wurden die Bestattungsbräuche von zwei gegensätzlichen Motiven geprägt, der Angst vor der Wiederkehr des Toten und der Teilhabe an seinem Weiterleben in der Gemeinschaft der Ahnen, beide entstanden aus der Grundvorstellung vom „lebenden Leichnam".30 Die Angst führte zu Erscheinungsformen der Totenabwehr, die Vorstellung vom Weiterleben zu Verhaltensweisen der Totenpflege.31 Handlungen, die eine Wiederkehr des Toten verhindern sollten, sind aus frühesten Zeiten belegt durch archäologische Zeugnisse von Verstümmelungen, Pfählungen oder Fesselungen32 von Toten,33 oft das Werk von Grabschändern, die so den Toten zur Rache unfähig machen wollten (Kretschmer S. 160). Auch die Brandbestattung, spätestens in der Jungsteinzeit entstanden und in der Bronzezeit im europäischen Raum sogar die vorherrschende Form, könnte auf die Vorstellung zurückgehen, daß die Verbrennung des Toten seine Wiederkehr gänzlich unmöglich macht.34 Sie brach mit den Anschauungen über das Dasein der Toten, die den Körper als das Wesentliche am Toten sorgsam pflegen und bestatten ließ (Frölich HessBIVk. 43 [1952] 51). Die Verbrennung geschah im Grab selbst oder auf besonderen Plätzen.35 Knochenreste (Leichenbrand) wurden frei in der Erde oder in Urnen beigesetzt (Brandgrab). Mitunter beschränkte sich die Verbrennung auf einzelne Leichenteile oder darauf, die Leiche nur anzusengen.36 Dem seit vorgeschichtlicher Zeit und in » Hampel DÄB1. 71 (1974) 3415; Kretschmer S. 61; Schienther S. 209; vgl. auch Gundolf S. 68 f. 30 Zu diesem Begriff ausführlich P. Fischer S. 46 ff; Häusler S. 101 ff; Kretschmer S. 453ff; Schreuer ZvglRW 33 (1916) 343 ff; vgl. auch Frölich HessBIVk. 43 (1952) 41 ff; E R. Lange S. 6. 31 Wobei die Wissenschaft noch nicht klären konnte, welches der beiden Elemente das ursprünglichere ist (vgl. P. Berger S. 22). Ihr Gewicht scheint sich jedenfalls zur Seite des Abwehrbrauchtums verlagert zu haben (Frölich HessBIVk. 43 [1952] 56). 32 Eine andere Ursache für die Fesselung als die Angst vor einer Wiederkehr des Toten sieht Kahlke darin, daß die Maßnahme notwenig war, um die Hockerbestattung zu verwirklichen (S. 122), läßt aber ebenso den Befund der Totenfurcht gelten (S. 123); vgl. auch Anwander S. 68; E. R Lange S. 7; Meyer-Orlac S. 144 ff; Schlenther S. 211; Wißmann S. 731, 733. 33 Selbst dem Kannibalismus liegt neben der Vor(123)

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stellung, die Kräfte des Toten aufzunehmen, das Motiv der Totenabwehr zugrunde ( Wulf S. 262). Zum Glauben an eine fortdauernde, wie auch immer geartete Handlungsfähigkeit des Toten bei Sekundärbestattungen Macho Paragrana 7 (1998)49. E. Hoffmann S. 108; vgl. auch Hampel DÄB1. 71 (1974) 3415; Schiette S. 17; zweifelnd Kretschmer, weil die Liebe zum Toten trotz alledem gegenüber der Furcht vor ihm überwogen haben dürfte (S. 168f). Vgl. die Beschreibung der Höhle, die als Ort der ältesten Leichenverbrennung im Vorderen Orient gilt, bei Schienther S. 1. Spezielle geschichtliche Hinweise zur Feuerbestattung finden sich bei Andronikos S. 5Iff; Anwander S. 67; BerglRolle!Seemann S. 78; Gaedke Hdb. S. 231; Helmers S. 114; His Geschichte S. 401; £'. Hoffmann S. 99ff; James S. 98f; Maser S. 36f; Meyer-Orlac S. 117ff; Nolle S. 73; Spiegel S. 106ff; Strasser S. 5f.

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§ 167a

11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich a u f Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

bestimmten Religionen herrschende Glauben an ein Fortleben der Menschen nach Erlöschen der Lebensfunktionen entsprach der Wunsch nach weiterem Verkehr mit dem Toten. So stand am Anfang der Entwicklung seine Bestattung an zentraler Stelle der Behausung, wodurch er in der Hausgemeinschaft verblieb.37 Die Verlegung der Bestattung an einen Begräbnisplatz außerhalb der Hütte, wofür nicht zuletzt hygienische Überlegungen maßgeblich gewesen sein mögen, markiert eine erste einschneidende Veränderung in der Einstellung zu den Toten, weil sie die unmittelbare Gemeinschaft mit ihnen aufhob. Doch ließen die Menschen nun im Grab die Behausung des Toten sehen, in der er wohnt und es den Lebenden ermöglicht, mit ihm zu verkehren {Kretschmer S. 33). Das Errichten von Hügel- und Kegelgräbern (tumuli) geht auf diese Vorstellung zurück. Die Megalithgräber des Neolithikums sind ins Großartige gesteigerte Nachahmungen von Wohnbauten {Gundolf S. 61, 63).38 7

bb) Die weitere Entwicklung der Bestattungsbräuche im ersten und zweiten Jahrtausend wurde vor allem durch christliche Vorstellungen geprägt. Zunächst entsprach es den Heils- und Jenseitserwartungen des frühen Christentums, den Märtyrern als den mächtigen Fürsprechern bei Auferstehung und Endgericht, deren Gebeine immer häufiger in die Kirchen gebracht wurden, möglichst nahe zu sein; dort sei Gott hilfsbereiter und der Himmel näher. 39 Die depositio ad martyres stieß bald an faktische Grenzen. Überbelegt mit Leichen waren die Kirchen erfüllt vom Geruch der Verwesung, der aus dem Boden und aus den Grüften drang (F. J. Bauer HZ 254 [1992] 7f). So wurde der Platz um die Kirche einbezogen. Der Kirchhof, auch Gottesacker, Totenacker genannt, 40 war als Begräbnisplatz entstanden. Obwohl dort bald ebenso drangvolle Enge herrschte, kam es lange nicht zu einer Veränderung (vgl. Boehlke S. 170f)· Schließlich waren Kirchen und Kirchhöfe als Begräbnisstätten Ausdruck dessen, was mehr als ein Jahrtausend zum Kernbestand christlicher Existenzweise gehörte, die räumliche Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.41 Im Zuge der Aufklärung jedoch vollzog sich ein gewaltiger Umbruch, der durch systematische Verdrängung 42 des Todes aus dem modernen säkularen Bewußtsein mit diesem Grundkonsens brach. 43 Signifikantestes äußeres Zeichen dieser Verdrän37

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P. Berger S. 23: Frölich HessBIVk. 43 (1952) 51; Hampel DÄB1. 71 (1974) 3415; vgl. auch Kretschmer S. 29. Im Ganzen zu den Bestattungsbräuchen der Vor- und Frühzeit, insbesondere ihrer Prägung durch die Vorstellung vom Weiterleben der Toten mit den Lebenden und der Angst vor der Wiederkehr der Toten, Anwander S. 66 f; Berg/ RolletSeemann S. 66 fT; Deutsche Bischofskonferenz S. 24f; Emminghaus KlerBl. 66 (1986) 259; Engelhardt Bestattung Sp. 153; Englert S. 14f; W. Fuchs S. 31f, 38f, 42f, 143f; Gaedke Hdb. S. lf; Gundolfs. 39 ff; Hampel DÄB1. 71 (1974) 3415; Häusler S. 106ff; His Totenglaube S. 19; Ε. H off mann S. 107f; James S. 121; Kretschmer S. 841 ff; Leroi-Gourhan S. 63; Meyer-Orlac S. 103ff, 155ff; Ott Vorgänge 36 (2/1997) 56; Preuss S. 4, 11, 17; Scherke S. 15f, 167, 208; Schienther S. XI f, 209 ff; Schiette S. 16f; Schreuer ZVglRW 33 (1916) 333fT; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 660f; Seinsch S. 16f; Steck Sp. 386ff; Strätz Bestattung S. 338; Wiegelmann ZVk. 62 (1966) 166 ff; Winau S. 17; Wißmann S. 733; Zinser Sp. 922.

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N. Brox TrThZ 83 (1974) 177; Kretschmer S. 36, 181, 186; vgl. auch Boehlke S. 164, 166; Culmann S. 11; J. Sauer ArchKKR 78 (1898) 171; Winau S. 18; Wulf S. 264. Zur Vielschichtigkeit der Motive Ellger Die Michaelskirche zu Fulda als Zeugnis der Totensorge, Diss. Freiburg im Breisgau 1989 S. 117f. 40 Zu weiteren Bezeichnungen, allgemeine wie ortsgebundene, Boehlke S. 168. « f i Bauer HZ 254 (1992) 4f; ferner AndreasHellriegel S. 4; Benz Todesvorstellungen S. 161; N. Brox S. 177; Culmann S. 12; Derwein S. 30 ff; Emminghaus KlerBl. 66 (1986) 257; Gaedke Hdb. S. 4f; Kretschmer S. 846ff; RösslerlKoch Sp. 1176 f; J. Sauer ArchKKR 78 (1898) 171; Schmied Sterben S. 182; Spiegel S. 115; Steck Sp. 386ff. 42 Zum Begriff und zum Mechanismus der Verdrängung Wittkowski^. 125 ff. 43 Benz Todesvorstellungen S. 160f; vgl. auch Baudrillard S. 10, 17; F. J. Bauer HZ 254 (1992) 12 ff; Baumgartner S. 92, 120 ff; Birkholz S. 21 f; Boehlke S. 164f; Culmann S. 15; Menne Vorgänge 17 (6/1978) 85; J.-E. Meyer Anstöße 20

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gung ist die Verlegung der Friedhöfe möglichst weit weg von dem Bereich der Lebenden. 44 cc) Die heutigen Bestattungsbräuche lassen noch immer frühere Rituale erkennen. 8 Vor allem der Umgang mit dem Tod ist ungeachtet gravierender Unterschiede, die in archaischen und modernen Gesellschaften in der Einstellung zum Tod und in der Bewältigung der Todesproblematik bestehen, von alten Motiven und Vorstellungen geprägt. 45 Zwar haben sich bestimmte, bis an Grab- und Leichenfrevel heranreichende Verhaltensweisen, deren Entstehung auf die Bedeutung der Toten in der Volksmedizin (Kretschmer S. 428 fi), für Zauberei, Hexerei und Satanismus (Kretschmer S. 444 ff, 453 fi) zurückgeht, 46 überlebt. Doch sind jene Grundvorstellungen noch wirksam. Nach wie vor ist die alte Dualität vorhanden, Angst und Grauen vor dem Toten, gepaart mit dem Bedürfnis, die vermeintlich von ihm ausgehenden Gefahren abzuwehren, sich durch Abwehrzauber vor ihnen zu schützen, auf der einen Seite, der Wunsch, mit dem Toten verbunden zu bleiben, ihn zu pflegen, um mögliche Kräfte von ihm auf den Lebenden übergehen zu lassen, auf der anderen Seite (Κ. Lehmann S. 277; Schott S. 9). Der Ehering wird dem Verstorbenen abgezogen, damit er den Gatten nicht nachziehen soll; Trauerkleider dienen dem Verstecken vor dem Geist des Toten. 47 Der Abschluß der Grablege durch das Werfen von Erde auf den Sarg und das Besegnen mit Weihwasser sind Kümmerfomen der ursprünglichen Beerdigung, an der sich jeder Trauergast beteiligte zum Zeichen der endgültigen Trennung des Toten von den Lebenden mit dem Ziel, ihn in seinem Grab festzuhalten und sich selbst dadurch seinem Zugriff zu entziehen. 48 Das Kreuz auf dem Grab dient als Abwehrzeichen, der Grabstein als Beschwerung, um den Toten im Grab zu halten (Spiegel S. 111).49 Selbst bei der äußeren Gestaltung der Bestattung und der Beisetzungsstätte, die zunehmend pompöser bis zur Maßlosigkeit geworden ist, wie auch bei den Bemühungen um einen möglichst perfekten Schutz der Leiche und des Grabes, dürfte die Angst vor dem Toten, das Bedürfnis ihn zu versöhnen, gepaart mit einem bewußten oder unbewußten schlechten Gewissen, Motivation sein (Kretschmer S. 2160· Andererseits besitzt der Leichnam noch immer etwas von der Identität des ehemals Lebenden, und das Grab ist die Ruhestätte des Toten, sein Haus, über das er die Verbindung mit den

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(1973) 4; Plack S. 60fT; Schmied Sterben S. 124 ff; Wittkowski S. 127 ff; Wulf S. 265 ff. Krit. W. Fuchs S. 7ff, 2Iff, 219ff; ferner Nassehil Weber SozWt. 39 (1988) 387 ff, Zusammenfassung S. 393 („kulturkritisches Vorurteil"); Tod S. 157 ff, 277 ff; Nolle S. 79 ff. Zur Verleugnung und Verkleidung des Todes in den heutigen Bestattungspraktiken der Vereinigten Staaten BergerlLieban S. 224 ff; Gahin Psyche 3 (1950) 799. Näher, auch zu den diese Entwicklung begleitenden gesetzlichen Maßnahmen, F. J. Bauer HZ 254 (1992) 12 ff; ferner Boehlke S. 164, 171 ff; Derwein S. 94ff; Kötting S. 7 ff, 24ff; J. Sauer ArchKKR 78 (1898) 171 ff; Sperling ZEK.K 24 (1979) 346ff; Steck Sp. 388; Vovelle S. 21 Iff. Zur Vergeblichkeit der Verdrängung des Todes aus dem säkularen Bewußtsein Benz Todesvorstellungen S. 163; vgl. auch Schmied Sterben S. 32. Rössler/Koch Sp. 1177; ferner Baumgartner S. 91; Berg!Rolle!Seemann S. 66; W. Fuchs

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S. 144f, 154ff; A. Hahn S. 69ff; Hartinger S. 178f; Höhn S. 219; vgl. dazu beispielsweise die Bedeutung des überlieferten Glaubens an den „lebenden Leichnam" bei der Konfrontation mit dem Hirntod (§ 168 Rdn. 11 Fn. 69). Dabei war es wiederum die Vorstellung vom „lebenden Leichnam", die in besonderem Maße derartige Erscheinungen hervorgerufen hat (dazu, mit zahlreichen Beispielen, Kretschmer S. 485 ff; ferner Wiegelmann ZVk. 62 [1966] 166 ff). Andreas-Hellriegel S. 14; ferner W. Fuchs S. 149f; Hartinger S. 180; v. Hentig S. 7; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 661; vgl. auch Kunt Curare 8 (1985) 48; Nolle S. 62. Kyll RhArch. 81 (1972) S. 76 f; ebenso AndreasHellriegel S. 14; Galvin Psyche 3 (1950) 799; Helm. Huber S. 158; Nolle S. 64. Weitere Beispiele bei Frölich HessBIVk. 43 (1952) 55; Helm. Huber S. 144f, 158f, 164; Kunt Curare 8 (1985) 48; vgl. auch Rdn. 13.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Lebenden aufrecht erhält.50 Die traditionelle Form des Sargdeckels könnte dem Dach eines Wohnhauses nachempfunden sein; Grabinschriften drücken nicht selten die Gewißheit aus, daß der Verstorbene die Rolle des Fürsprechers bei Gott übernimmt (Ausel S. 102). Die Trauerzeit geht auf das Erfordernis zurück, die lebenden Verwandten der Toten in der Zeit der realen Verwesungsdauer auf zahlreiche Abwehrmaßnahmen und Vorkehrungen zu verpflichten (Macho Paragrana 7 [1998] 55). Ambivalent sind die Gefühle beim Berühren der Leiche; sie werden einerseits als unrein und schädigend, andererseits als heilend empfunden (Schott S. 9). Durch die fühlbare Gegenwart des Verstorbenen ist für eine Gesellschaft, eine Sippe oder eine Familie vielfach die Bestattung noch immer das Ritual, in dem sie sich nach dem Tod eines ihrer Mitglieder durch dramatische Darstellung der positiven und negativen Momente der Einstellung zum Tod und zum Toten neu konstituiert und ihr weiteres Funktionieren trotz der Lücke in ihren Reihen sicherstellt.51 Wie vielgestaltig im Laufe der Menschheitsgeschichte die Bestattungsriten gewesen sein mögen, stets ging es um mehr als die bloße Beseitigung des Leichnams.52 Nie wurde die Leiche nur als Kadaver aufgefaßt (A. Hahn S. 3; Schmied Sterben S. 124). Mag das traditionelle Brauchtum derzeit mehr als je zuvor in einem nachhaltigen Wandel begriffen sein, so werden die Menschen auch weiterhin eine würdige, pietätvolle Form suchen und finden, in der sie von ihren Toten Abschied nehmen {Helm. Huber S. 170). 9

dd) Das Recht der Bestattung lag lange Zeit ausschließlich bei den Familien (Engelhardt HdStKiR S. 105; F. Merkel S. 744), beschränkt nur durch polizeiliche Vorschriften hinsichtlich des Begräbnisplatzes. Dann waren Bestattungs- und Friedhofswesen über Jahrhunderte Angelegenheiten der Kirchen bis, beginnend mit dem Entzug der alleinigen Entscheidung über das „ehrliche Begräbnis",53 das Bestattungswesen in die Hände des Staates und der politischen Gemeinden überging.54 Allein das Friedhofswesen ist nicht gänzlich Angelegenheit des Staates geworden. Das liegt daran, daß die Vornahme der Bestattung und die Totenruhe zugleich in unmittelbarer Beziehung zu den Kirchen stehen, das Friedhofswesen also ebenso die staatliche, wie die kirchliche Interessenssphäre berührt, wobei eine strenge Abgrenzung der weltlichen und der geistlichen Belange nicht möglich ist. Da dem nur eine kooperative Aufgabenerfüllung gerecht werden kann, gilt das kommunale Friedhofswesen als gemeinsame Angelegenheit55 von Staat und Kirchen mit primärer Wahrnehmungskompetenz des Staates bei primärer Zweckbeziehung beider.56 Kirchliche Friedhöfe hingegen sind eigene Angelegenheiten der Kirchen im Sinne des Art. 140 GG/Art. 137 3 WRV, freilich mit Bindung an die Bestimmungen der Gesundheitspolizei, der Ortsplanung und des Landschaftsschutzes.57 Die Gesetzgebungskompetenz für das Bestat-

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Schmied Sterben S. 124; ähnlich Culmann S. 16; K. Lehmann S. 278; Winau S. 23; vgl. auch schon Rdn. 6. Steck Sp. 386; Strati Bestattung S. 338; vgl. auch Kretschmer S. 98 insb. Fn. 104; Nassehil Weber Psyche 39 (1988) 392. Kretschmer S. 41, 73, 97; F. Merkel S. 743; Nassehil Weber Tod S. 245f; vgl. auch Caselitz ArchAtl. 3(1980) 111. Näher dazu Gaedke Hdb. S. 152 ff; Scheffler S. 360; Sperling Z E K R 24 (1979) 346. Zum Ganzen auch Engelhardt Bestattung Sp. 153; HdStKiR S. 105f; Jeand'Heur Rdn. 240; Steck Sp. 386 ff.

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Zum Begriff ausführlich v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 220; ferner Jeand'Heur! Korioth Sp. 289 f. v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 207, 254; Gaedke Hdb. S. 34 (dazu Christoph Z E K R 38 [1993] 123, 124); Hesse Rechtsschutz S. 155; Jeand'Heur/Korioth Rdn. 340; Sperling Z E K R 24 (1979) 345; vgl. auch Ebers S. 287; and. E. Fischer der allerdings davon ausgeht, das Bestattungsv/esen werde als gemeinsame Angelegenheit angesehen (S. 146). v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 207; Engelhardt HdStKiR S. 109; Gaedke Hdb. S. 34; Jeand'Heur!Korioth Rdn. 340; vgl. auch OVG

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Störung einer Bestattungsfeier

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tungswesen lag und liegt im wesentlichen bei den Ländern. Nachdem die Reichsverfassung von 1871 dem Reich eine Gesetzgebungskompetenz nur über Maßregeln der Medizinalpolizei zugestanden hatte (Art. 4 Nr. 15), billigte ihm die Weimarer Verfassung auch die Befugnis zu, allgemeine Grundsätze zum Bestattungswesen festzulegen (Art. 9 Nr. 2, 10 Nr. 5). Das Grundgesetz wies die Gesetzgebungsbefugnis über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen mit Ausnahme der Sorge für die Kriegsgräber und die Gräber anderer Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Art. 74 Nr. 10a GG) 58 den Ländern zu, während in der ehemaligen D D R das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen einheitlich normiert wurde.59 Von den Ländern sind inzwischen überwiegend neue Regelungen getroffen worden.60 Sie werden ergänzt durch die Friedhofssatzungen oder Friedhofsbenutzungsordnungen der Städte und Gemeinden.61 Der Bund hat neben der Ausnahmebefugnis nach Art. 74 Nr. 10a GG gewisse Möglichkeiten einer Einflußnahme aus anderen Gesetzgebungsbereichen, so dem Personenstandswesen (Art. 74 Nr. 2 GG), der Legitimation zu Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten (Art. 74 Nr. 19 GG), 62 dem

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Hamburg KirchE 27 106, 112ff. Ob die Religionsgemeinschaften mit der von ihnen zu verantwortenden Verwaltung auch eine staatliche Funktion erfüllen, ist umstritten. Zur Problematik und zum Schrifttum insoweit v. Campenhausen Staatskirchenrecht S. 207 ff; Jeand'Heur/ Korioth Rdn. 341. Realisiert durch das Gesetz über die Erhaltung von Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 29.1.1993 (BGBl. I 178). Verordnung über das Bestattungs- und Friedhofswesen vom 17.4.1980 (GBl. I 159) mit Durchführungsbestimmungen vom 17.4.1980 (GBl. I 162) und 2.6.1980 (GBl. I 164). Die wichtigsten derzeit geltenden Gesetze und Verordnungen: Baden Württemberg Gesetz über das Friedhofs- und Leichenwesen vom 21.7. 1970 (GBl. S. 395). Bayern Bestattungsgesetz (BestG) vom 24.9.1970 (GVB1. S. 417). Berlin Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz) vom 2.11.1973 (GVB1. S. 1830). Brandenburg Weitergeltung des früheren Rechts (Fn. 59) nach Maßgabe der Rechtsbereinigungsgesetze vom 3.9.1997 (GVB1. I S. 105) und 21.12.1998 (GVB1. I S. 254). Bremen Gesetz über das Friedhofs und Bestattungswesen in der Freien Hansestadt Bremen vom 16.10.1990 (GBl. S. 303); Gesetz über das Leichenwesen vom 27.10.1992 (GBl. S. 627). Hamburg Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen vom 14.9.1988 (GVB1. S. 167). Hessen Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen vom 17.12.1964 (GVB1. S. 225); Verordnung über das Leichenwesen vom 12.3.1965 (GVB1. S. 63). Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Bestattungsgesetz - BestattG M-V) vom 3.7.1998 (GVB1. S. 617). Niedersachsen Gesetz über das Leichenwesen vom 29.3.1963 (GVB1. S. 142); Verordnung über die Bestattung von Leichen

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vom 29.10.1964 (GVB1. S. 183). NordrheinWestfalen Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794 II 11 §§ 183 bis 190, 764 (bei Gaedke Hdb. S. 596f); Décret du 23 prairial XII sur les sépulture vom 12.6.1804 Art. 1 bis 4 (bei Gaedke Hdb. S. 598 ff); Ordnungsbehördliche Verordnung über das Leichenwesen vom 3.12.2000 (GVB1. S. 757); ein Gesetz über das Friedhofsund Bestattungswesen (Bestattungsgesetz BestG NRW) steht vor der Verabschiedung (Drucks. 13/2728 vom 17.6.2002). RheinlandPfalz Bestattungsgesetz vom 4.3.1983 (GVB1. S. 69); Landesverordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes vom 20.6.1983 (GVB1. S. 133). Saarland Polizeiverordnung über das Bestattungs- und Leichenwesen vom 18.12.1991 (ABl. S. 1414). Sachsen Sächsisches Gesetz über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen vom 8.7.1994 (GVB1. S. 1321). Sachsen-Anhalt Weitergeltung des früheren Rechts (Fn. 59) nach Maßgabe des Rechtsbereinigungsgesetzes vom 26.6.1996 (GVB1. S. 210). Schleswig-Holstein Landesverordnung über das Leichenwesen vom 30.11.1995 (GVB1. S. 395). Thüringen Weitergeltung des früheren Rechts (Fn. 59) nach Maßgabe der Bekanntmachung vom 2.10.1998 (GVB1. S. 349) sowie der Durchführungsbestimmungen vom 2.10.1998 (GVB1. S. 352). Zu Gesetzesänderungen und ergänzenden Regelungen vgl. die Angaben bei Gaedke Hdb. S. 3421Γ, Hanke S. 114f mit Fn. 431 und Madea S. 304ff 61

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Dazu Leitfassung des Deutschen Städtetages für eine Friedhofssatzung (Stand; 1.1.1999) und Muster-Satzung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes über das Friedhofs- und Bestattungswesen vom 8.2.1 989 (bei Gaedke Hdb. S. 721, 741). Vgl. das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) i. d. F. vom 18.12. 1979 (BGBl. I 2262).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Naturschutz und der Landschaftspflege (Art. 75 Nr. 3 GG) sowie der Raumordnung (Art. 75 Nr. 4 GG), schließlich dem Strafrecht (§§ 166 bis 168, 189, 243 Abs. 1 Nr. 4, 304) und dem Strafprozeßrecht (§§ 87 bis 91, 159 StPO). 10

ee) Nach allen Gesetzen und Verordnungen des Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesens besteht Bestattungszwang, von dem Ausnahmen nur in besonderen Fällen zugelassen sind.63 Er gründet sich rational auf die Notwendigkeit, der schädlichen Einwirkung der Verwesung auf die Lebenden vorzubeugen, ein zu den Seuchenzeiten der Vergangenheit überragender, heute aber überzogener (Kretschmer S. 27 f; Schott S. 4f) Aspekt, der für das Bewußtsein der Betroffenen jedenfalls in nördlicheren Breiten keine vorrangige Rolle mehr spielt (Strätz Bestattung S. 338; vgl. auch Hanke S. 119). Der tiefere Grund für den Bestattungszwang liegt aber darin, daß es allgemein als unerträglich empfunden würde, menschliche Leichen unbestattet der Verwesung anheim fallen zu lassen (Engelhardt HdStKiR S. 108; vgl. auch E Fischer S. 146). Dem Bestattungszwang unterliegen alle menschlichen Leichen, also die Körper derjenigen, die durch Lebendgeburt Rechtsfähigkeit erlangt hatten, sowie Totgeburten, die ohne Lebenszeichen zur Welt gekommen sind, ab einem bestimmten Körpergewicht.64 Bei Fehlgeburten, deren Gewicht unter dem Minimum liegt, kann die Bestattung, soweit sie nicht schon gesetzlich zugelassen65 oder durch die Friedhofssatzung erlaubt ist, im Einzelfall gestattet werden.66 Die gesetzliche Bestattungsfrist sieht vor, daß grundsätzlich nicht früher als 48 Stunden nach dem Tod bestattet werden darf, die Bestattung jedoch bis 96 Stunden nach dem Tod vorgenommen worden sein soll (Gaedke Hdb. S. 150f mit Nachweisen). Entsprechend dem Bestattungszwang67 für Leichen und Totgeburten besteht bei der Kremation (§ 168 Rdn. 53) Beisetzungszwang für die Asche.

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ff) In engem Zusammenhang mit dem Bestattungs- und Beisetzungszwang steht der Friedhofszwang.68 Er verpflichtet zur Beerdigung oder der Beisetzung der Asche auf einem öffentlichen Begräbnisplatz,69 dem Friedhof.70 Sie einzurichten gehört zur Daseinsvorsorgepflicht der Gemeinden, die zum Teil noch immer von den Kirchen 63

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Vgl. die N o r m i e r u n g in § 9 Abs. 1 des Feuerbestattungsgesetzes (Rdn. 12 F n . 75). Ausführlich zu den Regelungen der Bestattung Fehlgeborener Rixen F a m R Z 1994 418ff, Z u sammenfassung S. 424 f; ferner Bachmann S t A Z 1955 118; Spann D M W 1985 1095; Spranger N V w Z 1999 857; Ulimann DAVorm. 65 (1992) 1047 f. Beispielsweise in Art. 6 Abs. 1 BayBestattG i.d. F. des Änderungsgesetzes vom 10.8.1994 (GVB1. S. 770), § 9 Abs. 1 BestattG M - V und §§ 9 Abs. 1 SächsBestattG. N ä h e r zum Ganzen Deutsche Bischofskonferenz S. 33; Gaedke Hdb. S. 113; Hanke S. 119f; Spranger N V w Z 1999 856. N a c h Rixen haben die Eltern auch in diesen Fällen schon de lege lata einen BestattungsanspracA ( F a m R Z 1994 417). Krit. zur Fehlgeburts-Definition nach dem Personenstandsrecht und den Bestattungsgesetzen der Länder Ulimann DAVorm. 65 (1992) 1047 fT. Dessen Verfassungsmäßigkeit ist wiederholt in Frage gestellt worden. N ä h e r dazu Gaedke Hdb. S. 113, 244f; Engelhardt H d S t K i R S. 108.

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Der zweifelsfrei verfassungsrechtlich zulässig ist (BVerfGE 50 256, 262; DreierlMorlok Art. 4 R d n . 103; Zippelius B K Art. 4 R d n . 107). Diese Eigenschaft wird begründet durch Widm u n g (vgl. dazu § 166 R d n . 67). Sie ist ein Verwaltungsakt des Friedhofsträgers, bei der römisch-katholischen Kirche in Form der Benediktion. Beendet wird die Zweckbestimmung durch Schließung, die nur die Möglichkeit weiterer Bestattungen ausschließt, oder Aufhebung, die den Friedhöfen auch ihre Eigenschaft als Ruhestätte nimmt (BVerwG DVB1. 1993 217; Gaedke Hdb. S. 62 f)· O b die Glaubensregeln einer Religionsgemeinschaft die Entwidmung erlauben, unterliegt nicht der Kontrolle staatlicher Gerichte ( O L G H a m b u r g N V w Z 1992 1212). Der aus dem Althochdeutschen stammende N a m e frithof (zu vriten, hegen) deutet an, d a ß es sich um eine von alters her unter besonderem öffentlichen Schutz stehende Anlage handelt (vgl. Boehlke S. 167).

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erfüllt wird. Handelt es sich bei dem kirchlichen Friedhofsträger um eine öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaft, so ist der Friedhof eine öffentlichrechtliche Anstalt (BVerwG KirchE 16 266; Gaedke Hdb. S. 19). Bei Gemeinden mit mehreren kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen erstreckt sich der Friedhofszwang regelmäßig nicht auf die ausschließliche Benutzung eines bestimmten Friedhofs. Hat eine Gemeinde nur einen Begräbnisplatz (Monopolfriedhof), steht er, auch wenn es sich um einen kirchlichen handelt, unterschiedslos allen Gemeindegliedern offen (vgl. dazu auch Rdn. 14). Ein Gemeindeglied kann sich dem Friedhofszwang nicht deshalb entziehen, weil seine Weltanschauung die Bestattung auf einem mit christlicher Symbolik ausgestalteten Friedhof nicht zulasse und zwischen ihm und seinem Grundstück eine besondere Verbundenheit bestehe (BVerfGE 50 256, 260, 263 f; E. Fischer S. 147). Gegenstück des Benutzungszwangs ist das Friedhofsnutzungsrecht. Es fußt auf dem Rechtsanspruch jedes Menschen, auf einem Friedhof der Gemeinde, in der er seinen Wohnsitz hat, bestattet zu werden. 71 Mit dem Tod erwächst daraus der Anspruch des Totenfürsorgeberechtigten (vgl. dazu Rdn. 12), die Bestattung des Verstorbenen dort vornehmen zu lassen.72 Er schließt ein unentziehbares Recht auf würdige Ausstattung des Begräbnisplatzes ein (Haferland DJZ 1931 1380). Um den Flächenbedarf einzudämmen, ist das Friedhofsnutzungsrecht im allgemeinen zeitlich beschränkt, kaum weniger als auf 15, meist auf 30 Jahre. gg) Der Bestattungszwang konkretisiert sich in der Bestattungspflicht. Sie trägt 1 2 über die den Bestattungszwang rechtfertigenden Gründe (Rdn. 10) hinaus dem Bedürfnis Rechnung, die Toten würdig 73 zu bestatten. Eine Normierung der Bestattungspflicht gab es lange Zeit nicht. 74 Erst mit der gesetzlichen Regelung der Feuerbestattung 75 entstanden Vorschriften über die Bestattungspflicht. Inzwischen ist sie in allen neueren Bestattungsgesetzen (vgl. Rdn. 9 Fn. 60) festgelegt. Als öffentliche Aufgabe ist die Bestattungspflicht öffentlichrechtlicher Natur. 76 Doch überläßt der Staat die Bestattung grundsätzlich zunächst den Angehörigen und anderen Personen, die sich dem verstorbenen Menschen verpflichtet fühlen (Gaedke Hdb. S. 175; Hanke S. 163).77 Dabei handelt es sich um die Personen, die als Inhaber des Totenfürsorgerechts die zum Gewahrsam an der Leiche Berechtigten im Sinne des § 168 Abs. 1 1. Alt. sind. Daher gelten, auch zur Rechtsnatur des Totenfürsorgerechts, zu seinem 71

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Gaedke Tod S. 178, Hdb. S. 19, 167; Klingshirn Erl. XII Rdn. 12, XV Rdn. 5; Rixen FamRZ 1994 419; Seeger S. 25 f, 51 f; WertherlGipp S. 7. BayVGH JW 1939 680, 681. Der Streit, ob, weil der Tote nicht mehr rechtsfähig ist, das Recht in der Person des Totenfürsorgeberechtigten begründet wird (Engelhardt HdStKiR S. 120), oder er im Hinblick auf die Einwohnergebundenheit der Friedhofsnutzung nur eine mit dem Friedhofsnutzungsrecht zugleich gewährte Ermächtigung ausübt (Rixen FamRZ 1994 419), hat praktisch keine Bedeutung. Art. 53 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung von 1874 spricht von „schicklich"; vgl. auch Hanke S. 119, 127. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 ausgenommen, in dem bestimmt ist (II 11 §§ 434, 435), der überlebende Ehegatte müsse den verstorbenen „anständig begraben lassen" (vgl. Gaedke Hdb. S. 117 Fn. 9). Gesetz über die Feuerbestattung vom 15.5.1934

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(RGBl. I 380), ergänzt durch Regelungen über den Betrieb von Feuerbestattungsanlagen und Durchführungsbestimmungen. Das Gesetz gilt als Landesrecht weiter, soweit es von den Ländern nicht aufgehoben worden ist. Dazu im Einzelnen Gaedke Hdb. S. 329 ff. Ein historischer Rückblick zum Feuerbestattungsgesetz findet sich bei Penners DÖG 47 (1985) 154. BVerwG DVB1. 1974 681, 683; Bader S. 369; Engelhardt HdStKiR S. 108; Gaedke Hdb. S. 117; Tietz S. 85 f. Von der öffentlichen Hand wird sie nur übernommen, wenn, wie bei den anonymen Bestattungen (dazu § 168 Rdn. 53), Bestattungspflichtige fehlen, sie ihren Obliegenheiten nicht nachkommen, durch ihre Behandlung der Leiche die öffentliche Gesundheit gefährdet wird oder die Art ihres Umgangs mit dem Totenfürsorgerecht das sittliche Gefühl größerer Kreise verletzt (Gaedke Hdb. S. 117, 125).

Karlhans Dippel

§ 167a

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Inhalt, zum Kreis der Totenfürsorgeberechtigten, zu ihrer Rangfolge, zu ihrer Bindung an den Willen des Verstorbenen und zum Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten unter ihnen, die Erläuterungen zu § 168 (Rdn. 36 bis 40). Die Bestattungspflicht beginnt mit dem Eintritt des Todesfalles, dessen Zeitpunkt durch die medizinische Feststellung des Todes78 bestimmt wird.79 Wesentlicher Inhalt des Totenfürsorgerechts ist die Umsorgung des Leichnams zur Vorbereitung der Bestattung und der Bestattungsfeier.80 Sie erfordert zunächst das sichere Verwahren der Leiche, die Veranlassung der Leichenschau entsprechend den Vorschriften der Bestattungsgesetze (Rdn. 9 Fn. 60),81 unter Umständen auch die Zustimmung zu einer Obduktion oder einer Organentnahme, eine Entscheidung, deren Last besonders groß ist, weil sie den Totenfürsorgeberechtigten meist als erste abverlangt wird (näher § 168 Rdn. 9 mit Fn. 47, 48, Rdn. 40 mit Fn. 261). Es folgt die Besorgung der Leiche mit Reinigen, Ankleiden und Einsargung, wenn der Tote in der Wohnung verstorben oder dorthin gebracht worden ist,82 die Mitteilungen an das Standesamt zur Beurkundung des Todes nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes,83 die Verfügung über Gegenstände, die dem Toten gehörten, gegebenenfalls auch die Entscheidung darüber, ob bildliche Darstellungen des Leichnams vorgenommen werden dürfen.84 Sodann ist über die Form der Bestattung (zu den einzelnen Bestattungsformen § 168 Rdn. 52 bis 57), den Bestattungsort (Rdn. 11) und die Ausführung der Bestattung zu bestimmen. Bei der Erdbestattung (§ 168 Rdn. 53) gehören dazu die Auswahl der Grabstelle, die Festlegung des Zeitpunktes der Bestattung, die Benachrichtigung der Verwandten, Freunde und Bekannten sowie die Absprache von Einzelheiten der Bestattungsfeier, wie die Ausschmückung der Feierhalle, Schmuck des Sarges, Gedenkreden und musikalische Begleitung. 13

b) Die Feier der Bestattung, gleichgültig ob schlicht oder pompös, weltlich, weltanschaulich oder religiös, hebt den Vorgang über den einer bloßen Beseitigung der Leiche hinaus (vgl. schon Rdn. 8). aa) Zeremonielles Verhalten dem Leichnam gegenüber gibt es, wie die Bestattung selbst, seit vorgeschichtlicher Zeit und bei allen Völkern.85 Es wurzelt im Tabu der

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Ausführlich zum Todeszeitpunkt und dessen Feststellung § 168 Rdn. 10 bis 12; speziell unter dem Aspekt der Bestattung Hanke S. 121 ff. Ein vor der medizinischen Todesfeststellung liegender Zeitpunkt für das Einsetzen des Totenfürsorgerechts läßt sich mit dem BegrifT des sozialen Todes begründen, dessen Eintritt angenommen wird, sobald die sozial relevanten Attribute des Sterbenden für den Umgang mit ihm bedeutungslos geworden sind (Schmied Sterben S. 116 f unter Hinweis auf Sudnow Organisiertes Sterben [1973] 98). Praktische Bedeutung hat diese Auffassung für eine eventuelle Zustimmung zur Organentnahme. Zum weiteren Inhalt des Totenfürsorgerechts über die Sorge für den Leichnam und dessen würdige Bestattung hinaus § 168 Rdn. 38. Die den Kreis der Anzeigepflichtigen über den der Totenfürsorgeberechtigten (§ 168 Rdn. 39) hinaus erweitert haben, beispielsweise auf Wohnungsinhaber und Hausbesitzer (vgl. Gaedke Hdb. S. 136; Hanke S. 155f; Scheinost RpflStud.

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11 [1987] 35). Näher zur Leichenschau § 168 Rdn. 3. Zum Brauchtum insoweit eingehend Baumgartner S. 103 ff; ferner P. Berger S. 118 ff; Kyll RhArch. 81 (1972) 19ff. In der Fassung vom 8.8.1957 (BGBl. I 1125). Auch hier ist der Kreis der Anzeigepflichtigen gegenüber dem der Totenfürsorgeberechtigten erweitert worden, so auf diejenigen Personen, in deren Wohnung sich der Sterbefall ereignet hat, sowie auf jede Person, die bei dem Tod zugegen war (vgl. Gaedke Hdb. S. 132; Scheinost RpflStud. 11 [1987] 37). Vgl. R G SeuffArch. 79 158; Johnsen S. 77f; Klusemann S. 44; Weiser S. 51. Vgl. dazu Gundolfs. 71 ff; ferner Dokumentation Concilium Nichtchristliche Begräbnisriten, Concilium 4 (1968)134 mit Beiträgen von Theuws Tod und Begräbnis in Afrika (S. 134), Nader Die vier Hauptrichtungen im mohammedanischen Begräbnisritus (S. 136), Hafiz Die Muslim-Mission und das Begräbnis (S. 139), Papali

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Toten (Rdn. 3), der Vorstellung von der unheimlichen Macht, die von Gestorbenen ausgeht, und die es entweder zu vermeiden oder zu nutzen gilt (dazu schon Rdn. 6). Doch war der Tote nie nur das gefahrliche Numinosum; vielmehr blieb er auch als Leiche der, der er zu Lebzeiten war (A. Hahn S. 3, 102; vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz S. 39). Daraus erklärt sich, daß im Brauchtum kein anderes Phänomen einen so großen Raum einnimmt, wie der Totenkult. Auf kaum einem anderen Gebiet der materiellen und geistigen Kultur wird aber auch mit solcher Beharrlichkeit an Althergebrachtem festgehalten (Schienther S. XII). Verwoben mit religiösen Gedanken betrifft der Totenkult nicht nur die Leiche und den Totengeist, sondern ergreift auch Vorstellungen von einem Leben im Jenseits (näher Schmied Sterben S. 120fl). Teilweise leben die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstandenen Bräuche des Totenkults in der Gegenwart auch bei christlichen Völkern noch fort (zu Einzelheiten Rdn. 8). Der würdevolle Abschied von Verstorbenen, wie er sich in der Bestattungsfeier ausdrückt, wurzelt in diesen Bräuchen. Sie ist der Höhepunkt der „Rites des Passages" (Noll S. 60). Freilich hat, vor allem im städtischen Milieu, diese Bedeutung der Zeremonie in dem Abschiednehmen der Familie, das mit der Aufbahrung der Leiche beginnt, im Leichenbegängnis gipfelt und mit dem anschließenden Leichenmahl endet (vgl. Rdn. 8), zugunsten geschäftsmäßiger Kurzbestattungen stark abgenommen. 86 Festzuhalten bleibt, daß die Ermöglichung einer angemessenen Totenehrung sowie der hiermit verbundenen Grabgestaltung als zentraler Aspekt der Würde des Verstorbenen (BVerwG NVwZ 1991 375; Gaedke Hdb. S. 186 ff) überragende Bedeutung für das menschliche Sein hat (Spranger NVwZ 1999 857). bb) Über Form und Inhalt der Bestattungsfeier, wie schon darüber, ob überhaupt 1 4 ein feierliches Abschiednehmen von dem Toten (vgl. Rdn. 8, 13) stattfinden soll, entscheidet, wenn nicht schon der Verstorbene eine Bestimmung getroffen hatte, der Inhaber des Totenfürsorgerechts (Engelhardt HdStKiR S. 107; näher Rdn. 12, § 168 Rdn. 38, 40). Wesentlicher Inhalt der Feier ist das Gedenken an den Toten durch Besinnung auf ihn (vgl. dazu Zdralek S. 17).87 Wie andere Feiern verläuft sie in gewissen äußeren Formen (Herzog NK Rdn. 2). Doch sind insoweit keine strengen Anforderungen zu stellen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3). Insbesondere wird ein bestimmtes Zeremoniell, Ansprachen beispielsweise, nicht verlangt (Rudolphi SK Rdn. 2). Daher kann eine stille weltliche Besinnung eine Bestattungsfeier sein (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 3). Es bedarf auch nicht der Gegenwart einer Mehrzahl von Personen (Rudolphi SK Rdn. 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; TröndlelFischer Rdn. 2). So genügt dem Tatbestand beispielsweise, wenn nur ein Leidtragender dem Sarg folgt und auf diesem Weg belästigt wird (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 3). Ein bestimmtes Zere-

Die Begräbnisriten der Hindus (S. 140), TsingSing Das Begräbnis im chinesischen Konfuzianismus (S. 142), Yün-Hua Der buddhistische Begräbnisritus (S. 144), Suitsu Die Verbrennung im japanischen Buddhismus (S. 147), Werblowski Jüdische Riten und Bräuche beim Begräbnis (S. 149) und Mury Die Beerdigung aus marxistischer Sicht (S. 150). Alle Riten verstehen sich im allgemeinen als Protestäußerungen der Menschen gegen den Tod, den sie als endgültiges Ende nicht bejahen, sind damit zugleich aber auch ein Ausdruck für die positive Integration des Todes in das menschliche Leben (Schlußüberlegungen S. 154). (131)

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Ausführlich zu diesem Wandel Strati S. 340; ferner Baumgartner S. 125 ff; Boehlke S. 176f; Kalish S. 160; Culmann S. 20; F. Merkel S. 750; Nassehi/ Weber Tod S. 249 ff; Sörries LM 34 (11/ 1995) 3; Winau S. 24. So auch bei der sozialistischen Trauerfeier. Ausführlich dazu Freidank Alles hat am Ende sich gelohnt, in: Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR Material für weltliche Trauerfeiern (o.J.); K. Richter Der Umgang mit Tod und Trauer in den Bestattungsriten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), in Beckerl Einig! Ullrich Im Angesicht des Todes, Pietas Liturgia 3 (1987)229,241 ff.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

moniell kennzeichnet die kirchliche Bestattungsfeier. Sie ist eine öffentliche gottesdienstliche Handlung (§ 167 Rdn. 10), mit der die christliche Gemeinde ihre Toten zu Grabe geleitet (F. Merkel S. 749; ReilerlKrechlKleiminger S. 1017). Der zur Bestattung verpflichtete Friedhofsträger muß die kirchliche Bestattungsfeier dulden, der kirchliche auch dann, wenn sie nicht seinem Bekenntnis entspricht. 88 Ihre wesentlichen Merkmale liegen in der Teilnahme des Geistlichen und der Gestaltung der Bestattung nach kirchlichem Ritus (Jordahn S. 3f, 28ff; vgl. auch Gaedke Hdb. S. 156). Zum Begräbnis nach den liturgischen Gesetzen der römisch-katholischen Kirche 89 gehören die Erhebung des Leichnams, dessen Überführung in die Kirche, das Abhalten der Exequien mit anschließendem erstem feierlichem Totenamt, die Begleitung des Leichnams auf den Friedhof und seine Beisetzung in der zur Beerdigung der Gläubigen bestimmten geweihten Erde.90 Im Mittelpunkt der Liturgie steht der Tote, der von der Gemeinde an allen eschatologischen Gefahren vorbei auf seinem Weg begleitet wird (Mauder Sp. 395; Steck Sp. 388; Volgger S. 198). Das evangelische Begräbnis ist in den Lebensordnungen der evangelischen Landeskirchen niedergelegt (vgl. Gaedke Hdb. S. 156).91 Es besteht in der Regel aus der Leichenrede, der Begleitung im Ornat zum Grab und dem Gebet des Pfarrers. 92 Die protestantischen Liturgien wenden sich nahezu ausschließlich an die Lebenden (Maser S. 3; Mauder Sp. 395; Sperling D F K 75 [1985] 63); die Bestattungsfeier dient nicht mehr dem Seelenheil der Toten, sondern dem Glauben der Lebenden (Steck Sp. 387). Zum kirchlichen Begräbnis gehört das Grabgeläut (Gaedke Hdb. S. 157; Volgger S. 192).93 Allerdings muß inzwischen auch weltliches Begräbnisgeläut erlaubt sein (E. Fischer S. 162; vgl. auch BVerwG DÖV 1964 633). Die Beisetzung in der Form der anonymen Bestattung (dazu § 168 Rdn. 53), die das Friedhofsamt vornimmt, findet regelmäßig ohne jede Begleitung durch Angehörige und unter Verzicht auf jegliches Zeremoniell statt, doch mit Bedacht, Achtung und Pietät, die anonym zu Bestattenden gleichermaßen gebühren, nicht zu verletzen (Deutsche Bischofskonferenz S. 31). Demgegenüber kann bei der Urnen-Seebestattung (dazu § 168 Rdn. 54), namentlich wenn Angehörige die letzte Fahrt begleiten, eine Trauerfeier stattfinden. 94 Die Strafbarkeit der Störung einer solchen Feier folgt, wenn sie, was regelmäßig der Fall ist, außerhalb des deutschen Staatsgebietes abgehalten wird, aus § 4. 15

cc) Der Zeitpunkt der Feier fallt meist mir der Beerdigung oder der Einäscherung zusammen (TröndlelFischer Rdn. 2). Doch kann eine Bestattungsfeier auch ohne Gegenwart eines Leichnams oder seiner Asche abgehalten werden, wenn nur ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Tod und der Totenruhe des Verstorbenen

«8 Engelhardt HdStKiR S. 107; E. Fischer S. 146f; Laforet S. 494; and., mit ausführlicher Begründung, W. JungS. 106 ff. 89 Vgl. Codex des kanonischen Rechts 1983 (auszugsweise bei Gaedke Hdb. S. 673 ff) Can. 1176

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Gaedke Hdb. S. 157f; Laforet S. 494; Liedhegener S. 6; Volgger S. 194 ff; vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz S. 43, 49 f, 60 f; F. Merkel S. 744 ff, 754 f; H. J. F. Reinhardt S. 10. Einzelheiten bei F. Merkel S. 751 ff. Zu dogmatischen und kultischen Wandlungen durch das protestantische Begräbnis Schweizer S. 99 ff; zur Geschichte der Beerdigung im Protestantismus Maser S. 11 ff, ferner F. Merkel S. 746 f.

Dir schauer S. 166 ff; Engelhardt Bestattung Sp. 154; Gaedke Hdb. S. 157; Liedhegener S. 50; vgl. auch F. Merkels. 146f. Zum liturgischen Glockenläuten als Religionsausübung § 166 Rdn. 14 mit Fn. 28. Keine Bestattungsfeiern sind die Gedenkgottesdienste vor Gedächtnisfahrten zu den Stellen der Urnenversenkung, die in Kirchen, so in Kiel-Holtenau oder in der Inselkirche Helgoland, aber auch in betriebseigenen Trauerräumen der Seebestattungs-Reedereien abgehalten werden (vgl. Deutsche Bischofskonferenz S. 32). Hier greift bei Störungen § 167 ein (vgl. § 167 Rdn. 19).

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besteht und der Charakter der Feier als eines Abschieds von dem Toten gewahrt ist (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3; TröndlelFischer Rdn. 2). Dies gilt beispielsweise auch für einen Staatsakt (Herzog N K Rdn. 4; Schmitz S. 96) oder eine akademische Feier für einen möglicherweise bereits bestatteten Toten (Blei BT § 36 I). Kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Bestattung besteht bei bloßen Gedächtnisfeiern, etwa zur Würdigung des Lebenswerks des Verstorbenen, Seelenmessen, soweit sie nicht im Anschluß an die Bestattung abgehalten werden, und sonstigen Gedenken oder Ehrungen, beispielsweise einer Gedenkminute während einer Veranstaltung oder dem Aufstehen und Verharren der Anwesenden während einer Vereinsversammlung, wenn die Namen der in der letzten Zeit verstorbenen Mitglieder genannt werden. 95 Hingegen kann eine Bestattungsfeier ausnahmsweise vorliegen, ohne daß eine Bestattung stattgefunden hat und vielleicht nie stattfinden wird, wenn etwa in feierlicher Form an die nach einem Schiffsuntergang Vermißten oder bei einem Grubenunglück Verschütteten gedacht wird. 96 dd) Als Bestattungsfeier gilt das gesamte feierliche Abschiednehmen von dem 1 6 Toten. Dazu gehört die im Trauerhaus abgehaltene Gedenkfeier ebenso wie der Leichenzug 97 und die Feier an der Stätte der Bestattung. 98 Beendet ist die Bestattungsfeier mit dem Auseinandergehen der Versammelten, so auf dem Friedhof mit der Auflösung des Trauergefolges, wie sie regelmäßig unmittelbar nach Abschluß der Bestattung zu geschehen pflegt (Gaedke Hdb. S. 156). Keinen Teil oder auch nur den Abschluß des Leichenbegängnisses bildet daher beispielsweise der geschlossene Rückmarsch einer Gruppe des Trauergefolges, etwa des Vereins, dem der Tote angehört hatte (KG DJZ 1904 1188). 2. Die Tathandlung bestehet darin, daß der Täter die Bestattungsfeier stört.

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a) Stören ist jede Verhaltensweise, die den Fortgang der Bestattungsfeier und das allgemeine Pietätsempfinden nicht nur beeinträchtigt (Herzog N K Rdn. 4). Der Begriff entspricht grundsätzlich demjenigen des § 167 Abs. 1 Nr. 1, der ebenfalls bloßes Stören meint. Daher gelten zunächst die Erläuterungen zu § 167 Rdn. 12 und 13. Die Tathandlung kann sowohl aus einer willentlichen Betätigung wie aus bloßer Nichtunterdrückung hervorgehen, so, wenn es infolge unnötigen und lauten Lachens zur Störung der Bestattungsfeier kommt (Herzberg GA 1996 S. 10). Das Pietätsempfinden der bei der Bestattungsfeier Anwesenden muß konkret nicht beeinträchtigt sein (Schmidhäuser BT 13/26). b) Im Unterschied zu § 167 Abs. 1 verlangt § 167 a jedoch keine grobe Störung 1 8 {Herzog N K Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 2), so daß der Strafschutz des § 167 a weiter reicht als der des § 167 Abs. 1 (vgl. Rdn. 2), der nicht nur erst bei besonders empfindlichen und nachhaltigen Störungen einsetzt (§ 167 Rdn. 14), sondern dazu noch die

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Herzog N K Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; Tröndlel Fischer Rdn. 2. Dementsprechend erfüllt auch eine grobe Störung des Gottesdienstes am Ewigkeitssonntag während der Verlesung der im abgelaufenen Kirchenjahr verstorbenen Gemeindemitglieder nicht zugleich § 167a. Herzog N K Rdn. 4; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 2; Schmitz S. 96; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 3.

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Zu seiner von Überlieferungen besonders stark bestimmten einstigen, rudimentär aber noch immer wirksamen Gestaltung Kyll RhArch. 81 (1972) 70fT. Joecks BT Rdn. 1; Lackneri Kühl Rdn. 2; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 6; Otto BT § 64 Rdn. 11 ; Preisendanz Anm. 1 ; Rudolphi SK Rdn. 2; Schmitz S. 96; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3; Sturm NJW 1969 1608; Tröndlel Fischer Rdn. 2; vgl. auch E 1962 S. 346.

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Eignung der Störung, den öffentlichen Frieden zu gefährden (§ 167 Rdn. 15), verlangt." Für § 167 a genügt daher jede über eine bloße Beeinträchtigung hinausgehende Störung der Bestattungsfeier. Doch scheiden geringfügige Störungen, die das Pietätsgefühl kaum beeinträchtigen können, nach dem Zweck der Vorschrift aus (Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 4). 19

III. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz. Der Täter muß bezüglich der Störung absichtlich oder wissentlich handeln {Herzog N K Rdn. 5; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 5). Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf diesen Erfolg ankommt, obwohl er nicht weiß, ob er ihn erreicht {LackneriKühl § 15 Rdn. 20; SehlSchröder!CramerlSternberg-Lieben § 15 Rdn. 66 f; TröndlelFischer § 15 Rdn. 6); wissentlich geschieht sein Handeln, wenn er weiß oder als sicher voraussieht, daß der Erfolg eintritt, obwohl es ihm nicht darauf ankommt {LackneriKühl § 15 Rdn. 21; Sehl Schröder! Cramerl Sternberg-Lieben § 15 Rdn. 68; Tröndlel Fischer § 15 Rdn. 7). Im übrigen, also für das Tatbestandsmerkmal Bestattungsfeier, genügt bedingter Vorsatz.100

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IV. Die Konkurrenzen sind unproblematisch. Zwischen § 167 a und § 167 besteht keine Spezialität, vielmehr ist wegen der unterschiedlichen Angriffsrichtungen 101 Tateinheit anzunehmen. 102 Ferner kann 167a beispielsweise mit den §§ 166, 168, 189, 240 tateinheitlich zusammentreffen. 103

§168 Störung der Totenruhe (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt. (3) Der Versuch ist strafbar.

99

100

101

Krit. Schmitz, der diese Differenzierung für so unscharf hält, daß sie allenfalls dazu dienen könne, das jeweils subjektiv gewünschte Ergebnis formal zu begründen (S. 96). O L G Koblenz N J W 1993 1808; Lackner/Kühl Rdn. 7; SchlSchröderILenckner Rdn. 5; Tröndlel Fischer Rdn. 3. Durch § 167a werden die Ehrfurcht vor den Toten, das Pietätsempfinden der Angehörigen und der Allgemeinheit sowie die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts geschützt (Rdn. 3, 4), während § 167 dem Schutz des öffentlichen

102

103

Friedens, daneben auch der ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung dient (§ 167 Rdn. 5). Herzog N K Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 6; Rudolphi SK Rdn. 5; SchlSchröderILenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 1. Herzog N K Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 4; Preisendanz Anm. 4; Rudolphi SK Rdn. 5; SchlSchröderILenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 4.

Stand: 1. 7. 2003

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Störung der Totenruhe

§168

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§ 168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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KritJ 1994 67; Hoerster Das angebliche Menschenrecht des Embryos auf Leben, JR 1955 51; Hoeveler Leichendiebstahl, Kriminalistik 1965 93; Hoffmann Κ F. Das Gold im Munde der Toten und die zahnärztliche Leichenschau, DZgerMed. 18 (1932) 96; Hülsmann Strafrechtliche Aspekte höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften, JZ 1992 1106; Hülsmann Fetozid: Bemerkungen aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1992 2331; Humberti Josef Nochmals: Das Recht, den Inhalt der Grabschrift zu bestimmen, JW 1925 2108; Iiihardt Wem gehört der Mensch? Erwägungen über Besitzrechte am eigenen Körper, Berliner Medizinethische Schriften Heft 3 (1996); Jaeger Über das Geschäft der Erben mit dem Sterben, MDR 1998 R 1; Jaeger Schmerzensgeldbemessung bei Zerstörung der Persönlichkeit und bei alsbaldigem Tod, MDR 1998 450; Joël Die Rechtsverhältnisse am toten menschlichen Körper, Diss. Göttingen 1930; Johnsen Die Leiche im Privatrecht, Diss. 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Störung der Totenruhe

§168

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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Zur Leichenschau - Neueres Schrifttum und Ergänzung der Angaben in der Vorauflage zum älteren Schrifttum AdlerlDrexlerlStaeudingerlSandritter Autopsie und klinische Diagnose, Umschau 81 (1981) 460; Albani Der plötzliche Säuglingstod: Eine absolute Obduktionsindikation, MedR 1991 243; Artelt Die ältesten Nachrichten über Sektionen menschlicher Leichen im mittelalterlichen Abendland, Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Heft 34 (1940) 1; Bachler Gesetzliche Regelung der klinischen Obduktionen notwendig? K r H 59 (1967) Stand: 1. 7. 2003

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§168

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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Kriminalistik 1985 172; Vorberg Häufigkeit klinischer Obduktionen und Diskrepanz zwischen klinischen Diagnosen und Autopsie-Diagnosen im akademischen Krankenhaus Uelzen von 1984 bis 1994, Diss. Hannover 1997; Wagner H.-J. Ärztliche Leichenschau, DÄB1. 87 (1990) B-2426; Walcher Vorschriften für das Verfahren bei der gerichtlichen Untersuchung menschlicher Leichen, DZgerMed. 35 (1942) 295; Walter R. Die Leichenschau und das Sektionswesen, Diss. Düsseldorf 1971; Wegener Praxis und Gesetz der Leichenschau der ehem. Deutschen Demokratischen Republik, in: Oehmichenl Klose! Wegener „Rechtsmedizin in Deutschland - Ost und West", Rechtsmedizinische Forschungsergebnisse Bd. 1 (1991) 47; Wegener Zur Rechtslage und Praxis der Obduktion in der früheren

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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für Medizinrecht (1990) 4; Bulla Grundsätzliches zur Lebendspende, in: Albert Praxis der Nierentransplantation III (1989) 57; v. Bülow Aufgaben des Gesetzgebers, in: Wersche!Hirsch!GrafBaumann Rechtliche Fragen der Organtransplantation, Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (1990) 79; Bunzel Herztransplantation: Ethische Probleme bei der Patientenauswahl aus psychosozialer Sicht, EthMed. 5 (1993) 127; Clade Transplantationsgesetz, DÄB1. 89 (1992) B-2649; Cohen Spenderorganmangel im Eurotransplantbereich, Z T M 5 (1993) 99; Conrads Eurotransplant und U N O S - Modelle der Organallokation? MedR 19% 300; Conrads Rechtliche Aspekte der Organallokation unter besonderer Berücksichtigung der strafrechtlichen Verantwortung des Arztes, in: ¡Mchmannl Meuter Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 69; Conti-Reichel Auch Transplantationsgegner würden ein fremdes Organ annehmen, Di A 16 (1995) 958; Dahl Hat der schwarze Kutscher recht? Organtransplantation und die Folgen, Scheidewege 16 (1986/87) 168; Dannecker!Görtz-Leíble Die rechtliche und rechtspolitische Situation im Bereich von Transplantation und Sektion, in: Oberender Transplantationsmedizin, Gesundheitsökonomische Beiträge Bd. 23 (1995) 161; Däubler-Gmelin Die Beratung des neuen Transplantationsgesetzes im Deutschen Bundestag, in: Hofßin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 401; Decker „Was bleibt von mir übrig?" Seelische Probleme nach der Organtransplantation, Mabuse 25 (127/2000) 43; Dekkers The Debate on Transplant Legislation in the Netherlands and the Role of the Churches, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 111; Deutsch Die rechtliche Seite der Transplantation, Z R P 1982 174; Deutsch Rechtliche Aspekte der Organtransplantation, AuC 35 (1989) 137; Deutsch Zum geplanten strafrechtlichen Verbot des Organhandels, Z R P 1994 179; Deutscher Richterbund Organtransplantation bedarf der gesetzlichen Regelung, DRiZ 1995 29; Drees/Scheid Herztransplantation - ethische und juristische Aspekte, in: Toellner Organtransplantation, Medizin-Ethik Bd. 3 (1991) 27; Dietrich Eurotransplant in Leiden/Holland - eine zentrale Sammelstelle für Organe, in: Dietrich Organspende Organtransplantation (1985) 75; Dringenberg Organtransplantation (1992); Eder-Rieder Die gesetzliche Grundlage zur Vornahme von Transplantationen, ÖJZ 39 (1984) 289; Eigler Problematik der Organbeschaffung, BayÄBl. 34 (1991) 239; Eigler Probleme der Organtransplantation, MedR 1992 88; Eigler Organtransplantation, in: Grenzziehungen in der Transplantationsmedizin, Schriften des Arzterates im Bistum Essen Bd. 16 (1994) 13; Eigler Organ-Allokation aus ärztlicher Sicht, in: Lachmann/Meuter Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 1; Eisele Organspende: Die Informationslösung soll den Ärzten mehr Rückhalt geben, ÄZ 172 (1991) 2; Elsässer Transplantationsgesetz ist längst überfällig, NdsABl. 65 (23/1992) 22; Elsässer Ethische Probleme bei Lebendspende von Organen, Z T M 5 (1993) 65; Emmrich Hirntod und Organtransplantation, Mabuse 22 (106/1997) 22; Erhard!Daul!Eigler Organspende und Organkonservierung, DABI. 92 (1995) A-43; Esser Schreckliche Erfahrungen, Organtransplantation aus der Sicht einer Angehörigen, EvKomm. 28 (1995) 423; Etzl Organentnahme aus Leichen, Organentnahme beim lebenden Spender, in: Plöchl Ware Mensch (1996) 27, 75; Feyerabend Das Organkartell, Mabuse 20 (96/1995) 44; Feuerstein Das Transplantationssystem (1995); Frei Organtransplantation in der Krise? 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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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ZRP 1994 111; Gutmann Rechtliche und philosophische Aspekte der Lebendspende von Organen, PolSt. 46 (1995) 100; Gutmann Rechtsphilosophische Aspekte der Lebendspende von Organen, in: AlbertiLandIZwierlein Transplantationsmedizin und Ethik, Beiträge zur Transplantationsmedizin Bd. 20 (1995) 131; Gutmann Probleme einer gesetzlichen Regelung der Lebendspende von Organen, MedR 1997 147; Haeffner Hirntod und Organtransplantation, StimZt. 214 (1996) 807; Hammer Aspekte der xenogenen Herztransplantation, ZTM 5 (1993) 147; Hammerl Eberbach Zukunfstperspektiven der Organtransplantation, in: HierschelHirschl Graf-Baumann Rechtliche Fragen der Organtransplantation (1990) 12; Hanack Todeszeitbestimmung, Reanimation und Organtransplantation, in: Eser Recht und Medizin, Wege der Forschung Bd. 650 (1990) 234; Hauck!Müller Zur Sache: Organspende (1994); Haupt J. C. Hirntod - Organspende, PflegeZ 47 (1994) 401; Haus/Gubernatis!Pichlmayr Chirurgische Aspekte der Organtransplantation, der Transplantationsergebnisse und der Organspende, in Hiersche! Hirsch/Graf-Baumann Rechtliche Fragen der Organtransplantation (1990) 28; Heberer Aktuelle Fragen zur Organtransplantation und zur Gesetzgebung in Deutschland, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie - Mitteilungen 24 (1995) 153; Hecker/Zimmermann Organtransplantationen bei Säuglingen und Kleinkindern, BayÄBl. 73 (1991) 24, 130; Heinz M. Der Handel mit Organen aus strafrechtlicher Sicht, in: Plöchl Ware Mensch (1996) 101; Heinze Juristisch-ethische Grundsatzfragen in der Transplantationsmedizin, Festschrift für Günter Schewe (1991) 61; Heinze Allokationsprobleme in der Transplantationsmedizin aus zivilrechtlicher Sicht, in: Lachmannl Meuter Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 83; Henne-Bruns et al. Historische, rechtliche und ethische Aspekte der Organtransplantation, in: Koch/Neuser Transplantationsmedizin aus psychologischer Perspektive, Jahrbuch der Medizinischen Psychologie Bd. 13 (1997) 11; Herrmann Auf dem Weg zu einem Transplantationsgesetz, in Herrmann!Dommel Die Seele verpflanzen? (1996) 110; Heuer!Conrads Aktueller Stand der Transplantationsgesetzgebung, MedR 1997 195; Hilger Tag der Organspende, DOK 77 (1995) 382; Hirsch G. Anenzephalus als Organspender: Rechtsfragen, in: HierschelHirschlGraf-Baumann Rechtliche Fragen der Organtransplantation (1990) 118; Hirsch G. Fortschritte der Medizin - Herausforderung an das Recht, Festschrift für Herbert Helmrich (1994) 953; Hirsch!Schmidt-Didczuhn Transplantation und Sektion, Die rechtliche und rechtspolitische Situation nach der Wiedervereinigung, Motive - Texte - Materialien Bd. 60 (1992); Hirschl!Laggner Medizinische Betreuung von Organspendern, in: Kleinberger!Lenz!Ritz! Schuster!Stockenhuber Transplantation, Intensivmedizinisches Seminar Bd. 8 (1995) 13; Hoffmann G. Über das Leben nach der Herztransplantation, WzM 48 (1996) 247; Höfling Plädoyer für eine enge Zustimmungslösung, Universitas 50 (1995) 357; Höfling Um Leben und Tod: Transplantationsgesetzgebung und Grundrecht auf Leben, JZ 1995 26; Höfling Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, ZBJV 132 (1996) 786; Höfling!Rixen Verfassungsfragen der Transplantationsmedizin (1996); Hoheisel Organtransplantation aus jüdischer, islamischer und anthroposophischer Sicht, in: Herrmann!Dommel Die Seele verpflanzen? (1996) 89; Hofmann! Kirschneri Schneebergerl Land Das Problem der Organspende, MMW 136 (1994) 476; HolczabeklKopetzki Rechtsgundlagen von Organtransplantationen, WKW 98 (1986) 417; Holzgreve Stand: 1. 7. 2003

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Überlegungen zum Problem der Organtransplantationen von anencephalen Spendern, Medizinethische Materialien Heft 53 (1989); Holznagel Die Vermittlung von Spenderorganen nach dem geplanten Transplantationsgesetz, DVB1. 1997 393; HöppnerlGrosse!Dreikorn Aktuelle Überlegungen zum Thema Lebendspende, ZTM 6 (1994) 217; House/Thompson Psychiatric Aspects of Organ Transplantation, JAMA 260 (1982) 535; Hümmerich Die Sozialpflicht zur Organspende, EuArchORL Suppl. (1/1992) 41; IsemerILilie Rechtsprobleme bei Anencephalen, MedR 1988 66; IsemerILilie Arztliche und juristische Probleme im Umgang mit dem Organspenderausweis, AuC 35 (1989) 143; Jörns Leib und Tod, Organspende - eine Christenpflicht? EvKomm. 25 (1992) 593; Jörns Gibt es ein Recht auf Organtransplantation? Veröffentlichung der Joachim Jungius Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg Nr. 74 (1993); Jörns Organtransplantation: eine Anfrage an unser Verständnis von Sterben, Tod und Auferstehung, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 350; Jörns!Kernstock-Jörns Thesen zur Ethik der Organtransplantation und zu einem Transplantationsgesetz, in: Greinertl Wuttke Organspende, 2. Aufl. (1993) 190; Kalchschmidt Die Organtransplantation, Juristische Schriftenreihe Bd. 103 (1997); Karl Todesbegriff und Organtransplantation gezeigt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, der ehemaligen DDR und Österreich (1995); Kern Zivilrechtliche Gesichtspunkte der Transplantation, in: Gramberg-Danielsen Rechtliche Grundlagen der augenärztlichen Tätigkeit (1992) 2/800 - zit.: Kern Transplantation; Kern Die rechtliche Grundlage für die Organtransplantation - Zur Gesetzeslage in den neuen Bundesländern, DtZ 1992 348; Kern Zum Entwurf eines Transplantationsgesetzes (der Länder?), MedR 1994 389; Kernstock-Jörns!Jörns Thesen zur theologischen Ethik der Organtransplantation und zu einem Transplantationsgesetz, BerlÄ 30 (10/1993) 34; Ketzler Zum Stand der Organtransplantation DOK 69 (1987) 318; Ketzler Möglichkeiten und Grenzen der Organtransplantation, KrH 82 (1990) 201; Kimbrell Ersatzteillager Mensch: Die Vermarktung des Körpers (1997); Kirste Organspende als Selbstverständlichkeit in einer Sozialgemeinschaft, in: Evangelische Akademie Baden Organspende, Herrenaiber Protokolle Bd. 102 (1994) 86; Kirste Rationale Diskussion über Transplantationsmedizin und Transplantationsgesetz ist notwendig, Prisma 5 (3/1995) 7; Kirste Organlebendspende unter Nichtverwandten, DÄB1. 93 (1996) A-2756; Klein M. Organspende - Geschenk eines Sterbenden, in: Herrmann!Dämmet Die Seele verpflanzen? (1996) 22; Kliemt „Gerechtigkeitskriterien" in der Transplantationsmedizin, in: Nagel!Fuchs Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (1993) 262; Klinkhammer An der Widerspruchslösung scheiden sich die Geister, DÄB1. 89 (1992) A-441; Kloth Anenzephale als Organspender, MedR 1994 180; Kloth Todesbestimmung und postmortale Organentnahme, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 2039 (1996); Kluthl Sander Verfassungsrechtliche Aspekte einer Organspendepflicht, DVB1. 1996 1285; Koch H.-G. Jenseits des Strafrechts - mitten im Medizinrecht: Über einige Regelungsprobleme der Organtransplantation, in: Arnold!Burkhardt! GroppiKoch Grenzüberschreitungen, Beiträge zum 60. Geburtstag von Albin Eser (1995) 317; Kollhosser Persönlichkeitsrecht und Organtransplantation, in: Erichsenl Kollhosser! Welp Recht der Persönlichkeit, Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Bd. 100 (1996) 147; Kopetzki Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation, Forschungen aus Staat und Recht Bd. 82 (1988); Korn Erlebnisse und Erfahrungen im Umgang mit hirntoten Patienten, in: Striebel/Link Ich pflege Tote (1991) 43; Körner Thesen zur theologischen Ethik der Organtransplantation und zu einem Transplantationsgesetz, BerlÄ 30 (12/1993) 37; Körner Hirntod und Organtransplantation - die umstrittene Verfügung über das Sterben, ZÄF 88 (1994) 195; Körner Hirntod und Organtransplantation, Fragen zum menschlichen Leben und zum menschlichen Tod, 2. Aufl. (1995); Kracht/Tapp Allokationsprobleme aus der Sicht des Patienten, in: LachmannlMeuter Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 39; Krähe Angeknüpftes Leben, LM 34 (11/1995) 14; Kramer H.-J. Rechtsfragen der Organtransplantation, Rechtswissenschaftliche Forschung und Entwicklung Bd. 117 (1987); Krautkrämer Lebendspende für einen Unbekannten - der pure Altruismus? FortschrMed. 114 (27/1996) 14; Kiifner Rechtsphilosophische Aspekte moderner Medizintechniken am Beispiel der Organtransplantation und der Intensivmedizin, Europäische Hochschulschriften, Reihe II Bd. 2119 (1997); Lamb Transplants and Ethics (1990); Land Organtransplantation: Entwicklung, Möglichkeiten, sozioökonomische Aspekte, VersMed. 41 (1989) 7; Land Das belohnte Geschenk? Überlegungen zur Organspende von gesunden Menschen, Merkur 45 (1991) 120; Land Medizinische Aspekte der Lebendspende: Nutzen/Risiko-Abwägung, ZTM 5 (1993) 52; Land/Baur Organisation der postmortalen Organspende: Eine öffentliche Aufgabe, DÄB1. 88 (147)

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

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(1996); Liebhardtl Wilske Die Rechtslage zu Organspende, -entnähme und -Übertragung, Chirurg 59 (1988) 441; Lilie Zur Verbindlichkeit eines Organspenderausweises nach dem Tode des Organspenders, MedR 1983 131; Lilie Juristische Aspekte der LebendOrganspende, in: Albert Praxis der Nierentransplantation III (1989) 89 - zit.: Lilie LebendOrganspende; Linke Hirngewebstransplantation als ethisches Problem, EthMed. 3 (1991) 59; Linke Hirnverpflanzung (1996); Linßen Ersatzteillager Mensch, EvKomm. 25 (1992) 133; Lockemann/Püschel Organ-Transplantationen, Kriminalistik 1992 797; Low Die moralische Dimension von Organtransplantationen, Scheidewege 17 (1987/88) 16; Löw-FriedrichlSchoeppe Transplantation (1996); Lührs Überlegungen zur einheitlichen Kodifizierung des Transplantationswesens, Z R P 1992 302; Lütz Organspende ist keine Tötung auf Verlangen, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 496; Margreiter Die Widerspruchslösung zur Regelung von Organentnahmen in Österreich aus der Sicht eines Transplantationschirurgen, EthMed. 4 (1992) 185; Mebel Die Einwilligungslösung ist kein Fortschritt, BerlÄ 30 (10/1993) 35; Meffert Ethische Probleme bei der Organempfängerauswahl aus psychosozialer Sicht, in: Kleinberger!Lenz!Ritz!Schuster!Stockenhuber Transplantation, Intensivmedizinisches Seminar Bd. 8 (1995) 1; Mogge-Grotjahn Die Befreiung der Moral aus den Experten-Ghettos, WzM 48 (1996) 225; Möller Organtransplantationen, in: StriebellLink Ich pflege Tote (1991) 77; Möx Zur Zulässigkeit von Organentnahmen, Kompaß 103 (1993) 652; Murauer Organtransplantation, Diss. München 1982; Muthny Das Gespräch mit den Angehörigen Verstorbener als ethische Aufgabe und als Schlüssel zur Organspende, in: Hauss/Vogt Organspende: Organisation, Kooperation und Verteilung (1996) 167; Nagel E. Anmerkungen zu Bemühungen der gesetzgebenden Instanzen um ein Transplantationsgesetz, EthMed. 5 (1993) 203; Nagel E. Möglichkeiten und Grenzen der Organtransplantation, in: Oberender Transplantationsmedizin, Gesundheitsökonomische Beiträge Bd. 23 (1995) 199 - zit.: E. Nagel Möglichkeiten; Nagel!Pichlmayr Transplantationslösung als sinnvoller Kompromiß? EthikMed. 4 (1992) 195; Nagel!Pichlmayr Zum heutigen Stand der Organtransplantation, PflegeZ 47 (1994) 406; Nagel/Schmidt Transplantation (1996); Nickel Verfassungsrechtliche Probleme der Transplantationsgesetzgebung am Beispiel des Gesetzesbeschlusses des rheinland-pfälzischen Landtags, MedR 1995 139; NidaRümelin Verteilungsgerechtigkeit aus philosophischer Sicht, in: Nagel!Fuchs Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (1993) 250; Nöthe Förderung der Organspende durch die gesetzlichen Krankenversicherungsträger, Kompaß 101 (1991) 1; Nonhoff Ethische Probleme bei Hirngewebstransplantationen, EthMed. 7 (1995) 87; Opderbecke Mediko-legale Voraussetzungen der Organentnahme, Anlnt. 27 (1986) 389; Parson!Matthewman Transplantation - Increasing the supply of donor organs respecting ethical considerations, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 103; Pater/Raman Organhandel (1991); Persijn Organspende und Transplantation bei Eurotransplant - aktuelle Entwicklung bis 1995, in: Hauss/Vogt Organspende: Organisation, Kooperation und Verteilung (1996) 13; Peter Organbeschaffung per Gesetz? Aktuelle und rechtliche Probleme bei Transplantation, FemThPr. 38 (1994) 65; Pichlmayr Leben mit fremden Organen, KassA 25 (1985) 36; Pichlmayr Möglichkeiten und Probleme der Organtransplantation, AuC 35 (1989) 129; Pichlmayr Organtransplantation, Publikationen der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung Bd. 1 (1989) 20; Pichlmayr Stand und Entwicklung der Organtransplantation, DÄB1. 87 (1990) B-2679; Pichlmayr Ethische und juristische Fragen aus transplantationschirurgischer Sicht, in: Toellner Organtransplantation, Medizin-Ethik Bd. 3 (1991) 21; Pichlmayr!Nagel Warum ein Transplantationsgesetz? in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 53; Pichlmayr!OldhoferlRodeck Organtransplantation beim Kind, DÄB1. 92 (1995) A-49; Pichlmayr!Pichlmayr Lebenschance Organtransplantation (1991); Piechowiak

Stand: 1. 7. 2003

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Lebendspende von Organen - nur als Ultima ratio akzeptabel, FortschrMed. 114 (1996) 305; Plieth Hirnhund Mensch, Menschenwürde in der Transplantationsmedizin, LM 33 (12/1994) 26; Pohlmann-Eden Gegenwärtiger Stand und Perspektiven in der Xenotransplantation, Z T M 4 (1992) 159; Pollwoda Die Römisch-Katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland angesichts der bevorstehenden Transplantationsgesetzgebung, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 141; Pritzel Die rechtliche Regelung der Organtransplantation ist dringend, BerlÄBl. 108 (1995) 138; Probst Problematik der Organbeschaffung, BayÄBl. 34 (1991) 234; Rapaport A rational approach to a common goal: The equitable distribution of organs for transplantation, JAMA 257 (1987) 3118; Reichart Herzchirurgie 1992 - Von Grenzen und Wartelisten, M M W 134 (1992) 237; Reiter Organtransplantation und Moraltheologie, in: Grenzziehungen in der Transplantationsmedizin, Schriften des Ärzterates im Bistum Essen Bd. 16 (1994) 33; Reiter Strittige Voraussetzungen, Zur Diskussion über Todeszeitpunkt und Organtransplantation, H K 49 (1995) 123; Renner Probleme der Lebendspende, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 127; Rohling Juristische Aspekte der Organspende, in: Initiative Fortbildung in der Krankenpflege Organspende - Organtransplantationen, Tagungsband vom 14. März 1992 (1993) 71; Sandvoß Anforderungen an ein Transplantationsgesetz, AR 31 (1996) 151; Sasse Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbener und Lebender, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 1888 (1996); Schlich Medizingeschichte und Ethik der Transplantationsmedizin, in: AlbertiLand!Zwierlein Transplantationsmedizin und Ethik, Beiträge zur Transplantationsmedizin Bd. 20 (1995) 11; Schlich Chancen und Risiken der Organtransplantation, in: Schott Meilensteine der Medizin (1996) 508; Schlich Wissenschaftsgeschichte und Ethik in der Medizin, in: ToellnerlWiesing Geschichte und Ethik in der Medizin, Medizin-Ethik Bd. 10 (1997) 35; Schmidt V. H. Zu einigen ungelösten Problemen der Organallokation, Z T M 8 (1996) 39; Schmidt V. H. Politik der Organverteilung (1996); Schmidt V. H. Ist die Verteilung knapper Gesundheitsgüter ein medizinisches Problem? in: Lachmann/Meuter Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 49; Schmidt-Didczuhn Transplantationsmedizin in Ost und West im Spiegel des Grundgesetzes, Z R P 1991 264; Schneewind Psychologische Aspekte der Lebendnierenspende, ZTM 5 (1993) 89; Schneider V. Rechtsmedizinische Aspekte der Organtransplantation, DBÄ 22 (1985) 269; Schoeller Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der Organspende vom lebenden Spender, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 1533 (1994); Schöning Rechtliche Aspekte der Organtransplantation unter besonderer Berücksichtigung des Strafrechts, Zürcher Studien zum Strafrecht Bd. 28 (1996); Schreiber H.-L. Rechtliche Fragen der Organentnahme - auch der Lebendspende, in: Gesellschaft Gesundheit und Forschung e. V. Ethik und Organtransplantation (1989) 39; Schreiber H.-L. Legal Implication of the Prinzipale Primum Nihil Nocere As it Applies to Live Donors, in: Land/Dossetor Organ Replacement Therapy: Ethics, Justice, Commerce (1991) 13; Schreiber H.-L. Für ein Transplantationsgesetz, in: Toellner Organtransplantation, Medizin-Ethik Bd. 3 (1991) 97 - zit.: H.-L. Schreiber Transplantationsgesetz; Schreiber H.-L. Rechtliche Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit im Sozialstaat, in: ΝagellFuchs Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (1993) 302; Schreiber H.-L. Wann darf ein Organ entnommen werden? Festschrift für Erich Steffen (1995) 451; Schreiberl Wolfslast Rechtsfragen der Transplantation, in: Dietrich Organspende Organtransplantation (1985) 33; Schreiberl Wolfslast Ein Entwurf für ein Transplantationsgesetz, MedR 1992 189; Schroeder Gegen die Spendenlösung bei der Organgabe, Z R P 1997 265, geringfügig veränderte Fassung bei Brudermüllerl Seelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 173; Schroth Auf dem Wege zu einem neuen Transplantationsrecht, Vorgänge 36 (2/1997) 46; Schulz!AngstwurmlLand Organisatorische Voraussetzungen zur Erfassung von Organspendern in einem Flächenstaat, Anlnt. 28 (1987) 19; Schwarz Chr. Praktische Aspekte der Transplantationsmedizin, in: SchwärztBonelli Der Status des Hirntoten (1995) 197; SchweidtmannlMuthny Einstellung von Ärzten zur Organtransplantation, Z T M 9 (1997) 2; Schwemmer Die Auswahl der Patienten, in: LachmannlMeuter Zur Gerechtigkeit der Organverteilung, Medizin-Ethik Bd. 8 (1997) 89; Seehofer Gesellschafts- und rechtspolitische Aspekte der Organtransplantation, PolStud. 46 (1995) 5; Seewald Regelung der postmortalen Organspende: Die Kernprobleme, DÄB1. 89 (1992) B-702; Seewald Zustimmungs-, Erklärungs- oder Widerspruchsmodell, PolStud. 46 (1995) 20; Seewald Ein Organtransplantationsgesetz im pluralistischen Verfassungsstaat, VerwArch. 88 (1997) 199; SenglerlSchmidt

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Organentnahme bei Hirntoten als „noch Lebenden"? MedR 1997 241; Smit Organisatorische Aspekte der Organspende, PflegeZ 41 (1988) 486; Spann Voraussetzungen der Explantation, in: HierschelHirsch! Graf-Baumann Rechtliche Fragen der Organtransplantation (1990) 21; Spirgatis Leben im Fadenkreuz, Transplantationsmedizin zwischen Machbarkeit, Menschlichkeit und Macht (1997); Stiebeier Transplantationsprobleme aus juristischer Sicht, in: Gramberg-Danielsen Rechtsophthalmologie, Bücherei des Augenarztes Heft 104 (1985) 72; Stochek „Organübertragung von lebenden Spendern ist ehrlich", ÄZ 147 (1997) 9; Storkebaum Jetzt ist's ein Stück von mir! Alles über Organtransplantationen (1997); Storkebaum Psychische Belastung von Organempfängern, in: Höglingerl Kleinen Hirntod und Organtransplantation (1998) 135; Stroh Organentnahmen in der ethischen Anfrage, Pathologe 15 (1994) 193; Stroh Nächstenliebe zwischen medizinischen Möglichkeiten und den Grenzen der Hilfspflicht, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 25; Stroh Theologische und psychosoziale Probleme bei Explantationen und Implantationen von Spenderorganen, PolStud. 46 (1995) 89; Student Wenn die Zeit zum Abschied fehlt ... Transplantationsmedizin und Trauer, in: Herrmann/Dommel Die Seele verpflanzen? (1996) 43; Struck!Sebening Problematik der Organbeschaffung, BayÄBl. 34 (1991) 232; Taupitz Um Leben und Tod: Die Diskussion um ein Transplantationsgesetz, JuS 1997 203; Thiel G. Organspende ist Solidarität mit den Schwerkranken, Di A 16 (1995) 875; Uhlenbruck Rechtliche Grenzen einer Rationierung in der Medizin, MedR 1995 427; Ullrich Leben mit der Todesdrohung: Der Mensch lebt nicht von Medizin allein, WzM 43 (1991) 293; Ulrich Neun Thesen zur Organentnahme bei „Hirntoten", BerlÄ 32 (12/1995) 28; Ulsenheimer Organspende von nicht überlebensfähigen Neugeborenen aus juristischer Sicht, DÄB1. 90 (1993) C-2117; Vießtues Ethische Probleme der Transplantation, in: Gesellschaft Gesundheit und Forschung e. V. Ethik und Organtransplantation (1989) 63; VogtlKarbaum Transplantation - geschichtliche Trends und Entwicklungswege, in: Toellner Organtransplantation Medizin-Ethik Bd. 3 (1991) 7; Vollmann Medizinethische Probleme bei der Lebendspende von Organen, FortschrMed. 114 (1996) 39; Vollmann Todeskriterien und Interessen bei der Organentnahme, EthMed. 8 (1996) 114; Vultejus Der Mensch ad cadaver, Z R P 1993 435; Wagner E. Geschichtlicher Abriß der Organtransplantation, in: Pichlmayr Transplantationschirurgie (1981) 11; Wawersik Konflikte des medizinischen Fortschritts, Festschrift für Günter Schewe (1991) 160; Wegener Eine mögliche Entscheidung oder die größere Liebe? Stellungnahmen der E K D zur Organtransplantation 1989 bis 1995, WzM 48 (1996) 254; Weber/Lejeune Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994 2392; Weiß!Weiß!Janisch Betreuung von Organspendern und Organempfängern aus der Sicht des Pflegepersonals, in: Leinbergerl Lenz! Ritz! Schuster! Stockenhuber Transplantation, Intensivmedizinisches Seminar Bd. 8 (1995) 21; Wellendorf Mit dem Herzen eines anderen leben? Die seelischen Folgen der Organtransplantation (1993); Wellendorf Der Zweck heiligt die Mittel? Erfahrungen aus der Arbeit mit Organempfängern, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 385; Wellendorf Seelische Aspekte der Organtransplantation, in: Herrmann! Dommel Die Seele verpflanzen? (1996) 56; Wessiau!Krüger!May Überlegungen zu einem deutschen Transplantationsgesetz aus der Sicht des in der Intensivmedizin tätigen Personals, Z T M 4 (1992) 212; Wessiaul May!Krügerl Vogler Quo vadis Organspende in Deutschland? BerlÄ 32 (6/1995) 21; Weißauer Zur derzeitigen Situation der Gesetzgebung bei der Organentnahme, BayÄBl. 34 (1991) 209; Winkler Organtransplantation, hirntote schwangere Frauen und die Hirntoddefinition aus feministischer Perspektive (1995); Wolbert Ein Recht auf den Leib des anderen? StimZ 209 (1991) 331; Wolfslast Rechtliche Aspekte der Organtransplantation, PflegeZ 41 (1988) 507; Wolfslast Transplantationsrecht im europäischen Vergleich, Z T M 1 (1/1989) 43; Wolfslast Organtransplantation: Recht und Ethik, ZblChir. 117 (1992) 623; Wolfslast Organtransplantationen, DÄB1. 92 (1995) A-39; Wolfslast Rechtliche Grundlagen der Organentnahme von Verstorbenen, in: AlbertiLand/Zwierlein Transplantationsmedizin und Ethik (1995) 99; Wolfslast Notwendigkeit eines Transplantationsgesetzes in Deutschland, in: Haussl Vogt Organspende: Organisation, Kooperation und Verteilung (1996) 159; Wolfslast ! Rosenau Zur Anwendung des Arzneimittelgesetzes auf die Entnahme von Organ- und Gewebetransplantaten, NJW 1993 2348; WolfslastISmit Argumente für die Zustimmungslösung zur Regelung von Organentnahmen, EthMed. 4 (1992) 191; Wonigeit Transplantationsimmunologie, in: Pichlmayr Transplantationschirurgie (1981) 29; Wuttke Der ökonomische Aspekt der Organtransplantation, WzM 48 (1996) 236; Zenker Ethische und rechtliche Probleme der Organtransplantation,

Stand: 1.7. 2003

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Störung der Totenruhe

§168

in: Pichlmayr Transplantationschirurgie (1981) 3; Zwierlein Organtransplantation und Hirntod, in: Alberti Land!Zwierlein Transplantationsmedizin und Ethik, Beiträge zur Transplantationsmedizin Bd. 20(1995) 185. Zur Organtransplantation - Schrifttum seit ErlaB des Transplantationsgesetzes Ach Ersatzteillager Tier, in: AchlQuante Hirntod und Organverpflanzung Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 291; AchlWiesing Ethische Aspekte des Organhandels und der Organverteilung, in: Brudermüllerl Seelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 139; Baluchi Randhawa Attitude Measures, Personality Traits and the Role of Persuasion in Organ Donation, ZTM 10 (1998) 102; Baumann E. Organspende unter Lebenden: Über den Vorrang der Mißbrauchsverhütung, EthMed. 10 (1998) 43; Baumann H.G. Erläuterungen zum Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG), Das Deutsche Bundesrecht IK 76 794. Lieferung (Februar 1998) 17; Baureitheil Bergmann Herzloser Tod, Das Dilemma der Organspende (1999); Bavastro Das Hirnversagen und das Transplantationsgesetz, ZRP 1999 114; Beckmann J.P. Zu anthropologischen und ethischen Fragen der Xenotransplantation, ZTM 11 (1999) 131; Bender Organtransplantation und AMG, VersR 1999 419; Bergmann Zerstückelter Körper - zerstückelter Tod, in: Fuchs)Schachtschneider Spenden was uns nicht gehört, Das Transplantationsgesetz und die Verfassungsklage (1999) 79; BickeböllerlGossmannlKramerl Scheuermann „Sich in besonderer Verbundenheit offensichtlich nahestehen", Eine Interpretation des Gesetzestextes zur Lebendnierenspende im Sinne der personalen Freundschaft, ZME 44 (1998) 325; Birnbacher Organtransplantation - Stand der ethischen Debatte, in: Brudermüllerl Seelbach Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 13; Birnstein Der Streit ums Schweineherz, Standpunkte 3 (1998) 5; Bock N. Rechtliche Voraussetzungen der Organentnahme von Lebenden und Verstorbenen, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 2625 (1999); Böhler Grenzen der Möglichkeiten zur Lebendspende: Medizinische Aspekte, in: Kirste NierenLebendspende (2000) 125; Bovenschulte/Kiper Seehofie's World, Transplantation von Tierorganen auf den Menschen, Mabuse 23 (112/1998) 45; Carsten Zur Auslegung des Begriffes „Handeltreiben" nach dem Transplantationsgesetz, MedR 1999 214; Conrads Rechtliche Aspekte der Richtlinienfeststellung nach § 16 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Transplantationsgesetz, in: Dierksl Neuhäusl Wienke Die Allokation von Spenderorganen (1999) 35; Deutsch Das Transplantationsgesetz vom 5.11.1997, NJW 1998 777; Deutsche Arbeitsgemeinschaft Xenotransplantation, Tagungsbericht Zweites Minisymposium am 16.4.1999, BGesBl. 42 (1999) 877; Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e. V. Einbecker Empfehlungen zur Allokation von Spenderorganen, zur Zulassung eines Krankenhauses als Transplantationszentrum und zur Qualitätssicherung, in: Dierksl Neuhäusl Wienke Die Allokation von Spenderorganen (1999) 73; Dippel Zur Entwicklung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) vom 5.11.1997, Festschrift für Ernst-Walter Hanack (1999) 665; Dufkovä Die Zulässigkeit und Strafbarkeit der Organentnahme zu Transplantationszwecken im Vergleich zu klinischen Sektionen, MedR 1998 304; Dufkovä Zivil- und strafrechtliche Auswirkungen des Transplantationsgesetzes vom 5.11.1997 auf Verwaltungs- und klinische Sektionen bei Organentnahmen und hierbei zu Transplantationszwecken entnommenen Geweben, MedR 1999 454; Dujmovits Das Österreichische Transplantationsrecht und die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin, in: BartalKalchschmidt! Kopetzki Rechtliche Aspekte des Transplantationsrechts, Schriftenreihe Recht der Medizin Bd. 6 (1999) 55; Dumoulin Organtransplantation in der Schweiz (1998); Herztransplantation, M M P 22 (1999) 313; Edelmann Ausgewählte Probleme bei der Organspende unter Lebenden, VersR 1999 1065; Eibach Organspende von Lebenden: Auch unter Fremden ein Akt der »Nächstenliebe«? ZME 45 (1999) 271; Eigler „Organtransplantation - Routine oder Experiment?" in: AchlQuante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 125; Feuerhack/ Conrad Hirntod und Organtransplantation aus der Sicht von Pflegenden, Mabuse 24 (119/1999) 54; Furger Probleme der Transplantationsmedizin aus theologischer Sicht, in: AchlQuante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 101; Gräfgen Das Dilemma zwischen humanem Anspruch und ökonomischer Knappheit im Gesundheitswesen, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 3 (1998) 149; Gruber Chr. Meldepflicht potentieller

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Organspender, Z R P 1998 127; Gubernatis Transplantationsgesetz, D M W 123 (1998) A 11 (Sonderdruck); GubernatislKliemt Solidarität und Rationierung in der Organtransplantation, Z T M 11 (1999) 4; Gutmann Gesetzgeberischer Paternalismus ohne Grenzen? Zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Lebendspende von Organen, NJW 1999 3387; GutmannlLand Ethische und rechtliche Fragen der Organverteilung: Der Stand der Debatte, in: Brudermüllerl Seelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 87; Hammer Tierorgane für Menschen, Berliner Medizinethische Schriften Heft 32 (1999); Heger Erwiderung auf Schroth Die strafrechtlichen Tatbestände des Transplantationsgesetzes (JZ 1997, 1149 fï), JZ 1998 506 mit Schlußwort Schroth; Heimbach Die Nierentransplantation aus urologischer Sicht, MedW 50 (1999) 348; Held W. Transplantation: Spenden und Empfangen, Materialien für den Dienst in der Evangelischen Kirche von Westfalen Reihe Β Heft 10 (1998); Herrig Die Gewebetransplantation nach dem Transplantationsgesetz, Recht und Medizin Bd. 52 (2002); Höfling Verfassungsrechtliche Grundfragen des Transplantationswesens, in: Höglingerl Kleinen Hirntod und Organtransplantation (1998) 83; Holznagel/Holznagel Rechtslage in der Transplantationsmedizin, Sicherheit, Transparenz und Kontrollierbarkeit, DÄB1. 95 (1998) A-1718; Hylton The Law and Ethics of Organ Sales, Jahrbuch für Recht und Ethik Bd. 4 (1996) 115; Kalchschmidtl Barta Rechtpolitische Überlegungen zur Organtransplantation, in: Bartal KalchschmidtlKopetzki Rechtspolitische Aspekte des Transplantationsrechts, Recht der Medizin Bd. 6 (1999) 13; Kintzi Transplantationsgesetz in Kraft, DRiZ 1997 499 mit Erwiderung Weise DRiZ 1998 85; Kirste Zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland - Stellungnahme der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Z T M 11 (1999) 2; Kliegel Das Verhältnis von Abtreibung und Transplantation fetalen Hirngewebes: Eine Mittel-Zweck-Beziehung? EthikMed. 11 (1999) 162; Kliemt Wem gehören die Organe, in: Ach/Quante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 271; Klingel Schiette Das „widersprüchliche" Transplantationsgesetz, Jura 1997 642; Klinkhammer Transplantationsgesetz - Endlich Rechtsklarheit, DÄB1. 94 (1997) A-1833; Klinkhammer Transplantationsmedizin - Gleiche Chancen für alle Patienten, DÄB1. 95 (1998) A-1503; Koch H. G. Rechtsfragen der Organübertragung vom lebenden Spender, ZBIChir. 124 (1999) 718; Koch H.-G. Aktuelle Rechtsfragen der Lebend-Organspende, in: Kirste Nieren-Lebendspende (2000) 49 - zit.: H.-G. Koch Lebend-Organspende; König P. Strafbarer Organhandel, Criminalia 22 (1999) - zit.: P. König Organhandel; König P. Das strafbewehrte Verbot des Organhandels, in: Roxin/Schroth Medizinstrafrecht, 2. Aufl. (2001) 291 - zit.: P. König Medizinstrafrecht; Kopetzki Rechtliche Aspekte der Widerspruchslösung, in: Barta/Kalchschmidt!Kopetzki Rechtpolitische Aspekte des Transplantationsrechts, Recht und Medizin Bd. 6 (1999) 43; Kraus-Zatecky Hohe Zustimmungsrate zur Organspende bei speziell geschulten Ärzten, ÄZ 89 (1999) 127; Krefft M. Juristische Probleme der Transplantationsmedizin, in: Acht Quante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 215; Kühn Die Motivationslösung, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 750 (1998) - zit.: Kühn Motivationslösung; Kühn Das neue deutsche Transplantationsgesetz, MedR 1998 455; Künsebeckl Harborth/ Wilhelm Einfluß psychosozialer Faktoren auf Einstellungen zur Organspende bei Gesundheitsberufen und in der Bevölkerung, ZTM 11 (1999) 121; Künsebeck/Muthny Einstellungen zur Organspende und ihre klinische Relevanz (2000); Largiadèr Checkliste Organtransplantation, 2. Aufl. (1999); Laufs Arzt und Recht - Fortschritte und Aufgaben, NJW 1998 1750; Laufs Arzt, Patient und Recht am Ende des Jahrhunderts, NJW 1999 1758; Laufs Nicht der Arzt allein muß bereit sein, das Notwendige zu tun, NJW 2000 1757; Lilie Transplantationsgesetz - was nun? Medizin-Recht-Ethik Rechtsphilosophische Hefte Bd. 8 (1998) 89 - zit.: Lilie Transplantationsgesetz; Lilie Ist das Local-Donor-Prinzip mit dem Transplantationsgesetz (TPG) vereinbar? in: DierkslNeuhäusl Wienke Die Allokation von Spenderorganen (1999) 53; Lilie Wartelistenbetreuung nach dem Transplantationsgesetz, Festschrift für Erwin Deutsch (1999) 643; Lilie Transplantation und Gewebeentnahme, in: Fischer/Lilie Ärztliche Verantwortung im europäischen Rechtsvergleich, Hallesche Schriften zum Recht Bd. 7 (1999) 127 - zit.: Lilie Transplantation; Lopau/ Heidbrederl Wanner Eurotransplant und die Entwicklung des Organbedarfs in Mitteleuropa, in: Höglingerl Kleinen Hirntod und Organtransplantation (1998) 101; Mauthe Einstellung zur Organspende, Diss. Freiburg im Breisgau 1999; MiserokiSasse/Krüger Transplantationsrecht des Bundes und der Länder mit Transfusionsgesetz (2001); Muthny Das Gespräch mit den Angehörigen plötzlich Verstorbener als ethische Aufgabe und wichtige Voraussetzung für die postmortale Organspende, in: Achl Quante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3

Stand: 1. 7. 2003

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2. Aufl. (1999) 107; Nagel Die Zukunft der Organtransplantation: Was macht das Leben lebenswert? Berliner Medizinethische Schriften Heft 34 (1999); Nickel Die Entnahme von Organen und Geweben bei Verstorbenen zum Zwecke der Transplantation, Diss. Bonn 1999 - zit.: Nickel Entnahme; Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler Transplantationsgesetz (2000); Niedermair Körperverletzung mit Einwilligung und die Guten Sitten, Münchener Universitätsschriften Bd. 139 (1999); Paul Zur Auslegung des Begriffs „Handeltreiben" nach dem Transplantationsgesetz, MedR 1999 214; Rampß-Platte Das Transplantationsgesetz, Chirurg 38 (1999) 278; Randhawa Targeting the UK's Young Potential Donors: Placing Organ Donation on the School Agenda, ZTM 10 (1998) 38; Reiter Transplantationsgesetz: Festhalten an bisheriger Praxis, HK 51 (1997) 386; ReiterTheil Altruismus mit ethischen Komplikationen? ZME 45 (1999) 139; Rixen Datenschutz im Transplantationsgesetz, DuD 22 (1998) 75; Rixen Die Regelung des Transplantationsgesetzes zur postmortalen Organspende vor dem Bundesverfassungsgericht, NJW 1999 3389; Rotondo »Organspende« ... in Frage gestellt, BioSkop-Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften e. V. Publikation (1999); SchachtschneiderlSiebold Die „erweiterte Zustimmungslösung" des Transplantationsgesetzes im Konflikt mit dem Grundgesetz, DÖV 2000 130; Schlaudraff Organtransplantation - Die Entwicklung nach Verabschiedung des Transplantationsgesetzes, in: KonradAdenauer-Stiftung Organtransplantation - Ethik, Recht und Akzeptanz, Interne Studie Nr. 175 (1998) 71; Schlich Die Erfindung der Organtransplantation (1998); Schmidt V. H. Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin: Was kann die Soziologie beitragen? EthMed. 10 (1998) 5; Schmidt!Madea Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht am Ende des Lebens, MedR 1998 406; Schockenhoff Helfen über den Tod hinaus? - Zu den ethischen Aspekten der Transplantationsmedizin, in: Konrad-Adenauer-Stiftung Organtransplantation - Ethik, Recht und Akzeptanz, Interne Studie Nr. 175 (1998) 55; Schott M. Patientenauswahl und Organallokation, Basler Studien zur Rechtswissenschaft Reihe Β Bd. 63 (2001); Schreiber Chr. Rechtliche Aspekte der Organtransplantation, in: Kaufmann Moderne Medizin und Strafrecht, Motive - Texte Materialien Bd. 47 (1989) 73; Schreiber H.-L. Richtlinien und Regeln für die Organallokation, in: DierkslNeuhäuslWienke Die Allokation von Spenderorganen (1999) 65; Schreiber H.-L. Recht und Ethik der Lebend-Organtransplantation, in: Kirste Nieren-Lebendspende (2000) 38; Schreiber/Haverich Richtlinien für die Warteliste und für die Organvermittlung, DÄB1. 97 (2000) A385; Schroth Das Gemeinwohl als verfassungsrechtliche Legitimation strafrechtlicher Eingriffe in die Freiheit altruistischen Handelns, KritV Sonderheft (2000) 176; Schroth Das Organhandelsverbot, Festschrift für Claus Roxin (2001) 869; Schroth Die strafrechtlichen Tatbestände des Transplantationsgesetzes, JZ 1997 1149, aktualisierte Fassung bei BrudermüllerlSeelmann Organtransplantationen, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 159; Schroth Stellungnahme zu dem Artikel von Bernhard Seidenath: „Lebendspende von Organen - Zur Auslegung des § 8 I 2 TPG", MedR 1998, 253, MedR 1999 67; Schroth Die strafrechtlichen Grenzen der Lebendspende, in: RoxinlSchroth Medizinstrafrecht, 2. Aufl. (2001) 271 - zit.: Schroth Medizinstrafrecht; Schuster Organhandel, in: KorfflBecklMikat Lexikon der Bioethik Bd. 2 (1998) 805; Seehofer Transplantationsgesetz und gesundheitspolitische Aspekte der Organtransplantation, in: Konrad-Adenauer-Stiftung Organtransplantation - Ethik, Recht und Akzeptanz, Interne Studie Nr. 175 (1998) 9; Seelmann Organtransplantation - die strafrechtlichen Grundlagenprobleme, in: BrudermüllerlSeelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 29; Seidenath Lebendspende von Organen - Zur Auslegung des § 8 Abs. 1 S. 2 TPG, MedR 1998 253; Sengler/Schmidt Verfassungsrechtliche Fragen einer gesetzlichen Regelung des Transplantationsrechts, DÖV 1997 718; Siegmund-Schultze Organtransplantation (1999); SmitlSasselMalzahnl Schulin Organspende und Transplantation in Deutschland 1998, Deutsche Stiftung Organtransplantation (1999); Stapenhorst Unliebsame Betrachtungen zur Transplantationsmedizin (1999) - zit.: Stapenhorst Betrachtungen; Thiel E. Ethische und rechtliche Aspekte der Xenotransplantation, DÄB1. 96 (1999) A-1839; Tröndle Keine Organentnahme ohne Einwilligung des Spenders, in: Firnkorn Hirntod als Todeskriterium (2000) 52 - zit.: Tröndle Organentnahme; Ugowski Rechtsfragen der Lebendspende von Organen, Diss. Münster 1998; Uhlenbruck Die zivilrechtliche Problematik der Organtransplantation, in: Laufs Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl. (1999) 1040; Ulsenheimer Strafrechtliche Aspekte der Organtransplantation, in: Laufs Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl. (1999) 1164; Walter U. Organentnahme nach dem Transplantationsgesetz: Befugnisse der Angehörigen, FamRZ 1998 201, gekürzte Fassung bei Brudermüller/Seelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000)

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§ 168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

181; Weber F. Einstellung zur Organspende 1994 und 1998 - Die öffentliche Diskussion und ihre Wirkung, Z T M 11 (1999) 116; Wiesing Werden Spenderorgane nach medizinischen oder ethischen Kriterien verteilt? in: AchlQuante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 227; Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer Stellungnahme zur Xenotransplantation, DÄB1. 96 (1999) A-1920, 97 (2000) A-320; Wolffgang/Ugowski Das Dilemma mit den Nieren, Jura 1999 593. Zu Todesbegriff, Todeszeitpunkt und Todesfeststellung - Neueres Schrifttum (Angaben in der Vorauflage bis 1983) Angstwurm Der vollständige und endgültige Hirnausfall (Hirntod) als sicheres Todeszeichen des Menschen, in: Hoff!in der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 41; Angstwurm Der Einfluß der modernen Diagnostik auf die Definition des Todeszeitpunkts - aus neurologischer Sicht, MedR 1994 467; Angstwurm Arztliche Gedanken zum Gespräch mit Theologen über das sichere Todeszeichen „Hirntod", in: Albert!Land!Zwierlein Transplantationsmedizin und Ethik, Beiträge zur Transplantationsmedizin Bd. 20 (1995) 175; Angstwurm Hirntod - Befund und Auswirkung, in: Konrad-Adenauer-Stiftung Organtransplantation - Ethik, Recht und Akzeptanz, Interne Studie Nr. 175 (1998) 25; Balkenohl Der umstrittene Hirntod, in: Ramm Organspende 2. Aufl. (1995) 9; Balkenohl Ist der sogenannte „Hirntod" der Tod des Menschen? in: Bäumer/v. Stockhausen Zur Problematik von Hirntod und Transplantation (1998) 47; Baltzer Transplantationsgesetz und Rechtsschutz, SGB 45 (1998) 437; Baust Sterben und Tod (1992); Bavastro Der umstrittene „Hirntod" (1996); Bayertz Was heißt es, den Tod zu definieren? in: Sandkühler Freiheit, Verantwortung und Folgen in der Wissenschaft, Philosophie und Geschichte der Wissenschaften Bd. 23 (1994) 111; Beckmann R. Ist der hirntote Mensch eine „Leiche"? Z R P 1996 219; Beller/Czaia Hirnleben und Hirntod erklärt am Beispiel des anenzephalen Feten, Zentrum für medizinische Ethik Bochum Medizinische Materialien Heft 17 (1988); Bernat Anfang und Ende des menschlichen Lebens, Eine international juristische Bibliographie, Juristische Schriftenreihe Bd. 80 (1994) Abschnitt „Der Tod als Rechtsbegriff" (S. 185fï); BesserIWeilemann Der Hirntod, MedKl. 82 (1987) 318; Betschart Die Hirntoddiagnose, Richtlinien in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Anaesthesist 42 (1993) 259; Beulke Mensch im Sinne des Strafrechts, in: Tilch Deutsches Rechtslexikon Bd. 2 2. Aufl. (1992) 989; Binderl Pinter! Helscher Medizinische Aspekte der Hirntod-Diagnostik, in: Schwarz/Bonelli Der Status des Hirntoten (1995) 113; Birnbacher Hirntodkriterium: Anthropologisch-ethische Aspekte, MedR 1994 469; Birnbacher Einige Gründe, das Hirntodkriterium zu akzeptieren, in: Hoff lin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 28 - zit.: Birnbacher Hirntodkriterium; Birnbacher Fünf Bedingungen für ein akzeptables Todeskriterium, in: AchlQuante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 49 - zit.: Birnbacher Todeskriterium; Böckle Ethische Probleme der Organtransplantation, AuC 35 (1989) 150; Böhmer Rechtliche Überlegungen im Grenzbereich von Leben und Tod, Festschrift für Willi Geiger (1989) 181; Bonelli Die Begriffe Leben und Tod aus der Perspektive der modernen Medizin, Schriften der Wiener Katholischen Akademie Bd. 3 (1994); Brinkmann!Piischel Definition natürlicher, unnatürlicher, unklarer Tod, Todesursachenerklärung, Derzeitige Praxis MedR 1991 233; Burchardi/HennigeslDralle Feststellung des Individualtodes, NdsÁBl. 60 (10/1987) 50; Emmerich Hirntod und Organtransplantation, Mabuse 22 (2/1997) 22; Evers/Byrne Hirntod - Sind Organspender wirklich tot? in: Ramm Organspende, 2. Aufl. (1995) 37; Frowein Die Feststellung des Hirntodes, Anlnt. 27 (1986) 389; Funck Der Todeszeitpunkt als Rechtsbegriff, MedR 1992 182; Geilen Das Leben des Menschen in den Grenzen des Rechts, in: Eser Recht und Medizin, Wege der Forschung Bd. 650 (1990) 200; Geisler Ärztliche Sicht des Hirntodes, in: Herrmann/Dommel Die Seele verpflanzen? (1996) 80; Goetze-Clarén Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen, EthMed. 10 (1998) 58; Golser Die Diskussion um den Hirntod aus der Perspektive eines katholischen Moraltheologen, Ethica 5 (1997) 29; Grewel Gesellschaftliche und ethische Implikationen der Hirntodkonzeption, in: Hoff/in der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 332; Griindel Theological Aspects of Brain Death with Regard to the Death of a Person, in: Land!Dossetor Organ Replacement Therapy: Ethics, Justice, Commerce (1991) 245; Gubernatis Tod auf Verabredung - eine Provokation oder ein möglicher Weg zum gesellschaftlichen Konsens in der Hirntoddiskussion, MedKl. 91 (1996) 47; Haupt W. F. Hirntod, MedKl. 91 (1996) 46; Haupt!Schober!Angstwurm!Kunze Die Feststellung des Todes durch den

Stand: 1.7.2003

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§168

irreversiblen Ausfall des gesamten Gehirns - („Hirntod"), DÄB1. 90 (1993) A-3004; Henßge/ Madea/Gallenkemper Todeszeitbestimmung - Integration verschiedener Teilmethoden, ZRM 95 (1985) 184; Heun Der Hirntod als Kriterium des Todes des Menschen - Verfassungsrechtliche Grundlagen und Konsequenzen, JZ 1996 213 mit Erwiderung Höfling JZ 1996 615 und Schlusswort Heun JZ 1996 618; v. Heyl Wohnt die Seele im Gehirn? Die Hirntod-Problematik aus seelsorgerlicher Sicht, in Hildt/Hepp Organtransplantationen (2000) 96; Hoff Das „Hirntod"kriterium und die Achtung vor der Unverletztlichkeit des anderen, in: Evangelische Akademie Baden Organspende, Herrenalber Protokolle Bd. 102 (1994) 25; Hoff/in der Schmitten Kritik der „Hirntod"-Konzeption, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 153 - zit.: Hofßin der Schmitten Kritik; Hofßin der Schmitten Hirntote Patienten sind sterbende Menschen, Universitas 50 (1995) 313; Höfling Hirntodkonzeption und Transplantationsgesetzgebung, MedR 1996 6; Höfling Medizinischer Todesbegriff und verfassungsrechtlicher Lebensschutz, in: Hampel Wann ist der Mensch tot? (1997) 30 - zit.: Höfling Todesbegriff; Honnefelder Hirntod und Todesverständnis: Das Todeskriterium als anthropologisches und ethisches Problem, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 3 (1998) 65; Horndasch Der Todeszeitpunkt und seine Feststellung, in: Kaufmann Moderne Medizin und Strafrecht, Motive - Texte - Materialien Bd. 47 (1989) 87; Huber W. Organtransplantation, Hirntod und Menschenbild, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 462; Jansen Chr. Das Ende des Lebens aus juristischer Sicht, AuKrH (1988) 278; Joerden Tod schon bei „alsbaldigem" Eintritt des Hirntodes? NStZ 1993 268; Jörns Leib und Tod, EvKomm. 25 (1992) 593; Jörns Der „Hirntod" ist nicht der Tod des Menschen, in: GutjahrIJung Sterben auf Bestellung (1997) 119 - zit.: Jörns Hirntod; Klein M. Hirntod: Vollständiger und irreversibler Verlust aller Hirnfunktionen? EthMed. 7 (1995) 6; Klüth Die Hirntodkonzeption: Medizinisch-anthropologische Begründung, verfassungs- rechtliche Würdigung, Bedeutung für den vorgeburtlichen Lebensschutz, ZfL 5 (1996) 3; Knoche Der andere Tod, Mabuse 20 (97/1995) 32; Koch H.-G. Hirntod und Schwangerschaft, Festschrift für Jan Stepán (1994) 187; König B. Todesbegriff, Todesdiagnostik und Strafrecht, Kieler Schriften zum Strafrecht Bd. 9 (1989); Kopetzki Hirntod und Schwangerschaft, RdM 1 (1994) 67; Körner Hirntod und Organtransplantation, 2. Aufl. (1995) - zit.: Körner Hirntod; Körtner Der sogenannte Ganztod, LM 34 (3/1995) 12; Kupatt An der Schwelle des Todes (1994); Kurthen Ist der Hirntod der Tod des Menschen? Ethica 2 (1994) 411; KurthenlLinke Vom Hirntod zum Teilhirntod, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 82; KurthenlLinke!Moskopp Teilhirntod und Ethik, EthMed. 1 (1989) 134; KurthenlLinke!Reuter Hirntod, Großhirntod oder personaler Tod? MedKl. 84 (1989) 483; Laufs Juristische Probleme des Hirntodes, NervA 56 (1985) 399; Lieserl Schleich Am Ende menschlichen Lebens (1998); Lilie Eine Sache von Leben und Tod - Was muß der Anästhesist über juristische und ethische Aspekte des Hirntodes wissen? in: Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung Aktuelles Wissen für Anästhesisten, refresher course Nr. 26 (2000) 167 - zit.: Lilie Leben und Tod; Linke Der Tod und die Medizin, DnO 42 (1988) 172; Linke „Hirntod" und die Folgen, in: Thomas Menschlichkeit der Medizin (1993) 97 - zit.: Linke Hirntod; Linke Die dritte kopernikanische Wende, Transplantationsmedizin und personale Identität, Ethica 1 (1993) 53; LinkelKurthen Nekrose des Hirns oder der Funktionen? in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 255; Linke!KurthenlReuter!Hamilton Der Hirntod: Testung, Kriterienfindung, Definition, Attribution und Personkonzept, in: Toellner Organtransplantation (1991) 73; Loos Wann ist der Mensch tot? Standpunkte 2 (1997) 26; Lütz Organspende ist keine Tötung auf Verlangen, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot (1995) 496; MadealHenssgelDettmeyer Hirntod als allgemeiner Todesbegriff, MedR 1999 162; Manzei Hirntod, Herztod, ganz tot? Mabuse Wissenschaft 36 (1997); Margreiter Hirntod und Transplantation, in: Schwarz!Bonelli Der Status des Hirntoten (1995) 191; Mayer J. G. Zeichen und Zeitpunkt des Todes, in: HöglingerlKleinen Hirntod und Organtransplantation (1998) 1; MeranlPoliwoda Der Hirntod und das Ende menschlichen Lebens, EthMed. 4 (1992) 165; Merkel R. Hirntod und kein Ende, Jura 1999 113; Metzler/List Hirntodfeststellung und intensivmedizinische Betreuung des Organspenders, in: List/Osswald Intensivmedizinische Praxis, 2. Aufl. (1992) 503; Meyer K. Der andere Tod, Mabuse Wissenschaft 34 (1998); Mieth Zur Anthropologie des Todes angesichts der Diskussion um den sogenannten Hirntod, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 458; Mitsch Grundfälle zu den Tötungsdelikten, JuS 1995 787; Müller I. Gehirntod und Menschenbilder, in: Greinertl Wuttke Organspende, 2. Aufl. (1993) 67; Oduncu Hirntod - Tod des Menschen? StimZt. 215 (1997) 678; Oduncu Der „Hirntod" als Todeskriterium, in: Roxin/Schroth (155)

Karlhans Dippel

§ 168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Medizinstrafrecht, 2. Aufl. (2001) zit.: - Oduncu Medizinstrafrecht; Otto H. Tot oder untot? ZfL 6 (1997) 7; Patzelt Die Hirntodproblematik aus rechtsmedizinisch-biologischer Sicht, in: HöglingerlKleinen Hirntod und Organtransplantation (1998) 17; Pendi Der Hirntod (1986); PohlmannEden Zur Problematik der Hirntod-Diagnose, DMW 116 (1991) 1523; Pohlmann-Eden Medizinisch-naturwissenschaftliche Grundlagen der Hirntoddiagnose, in: Brudermüllerl Seelmann Organtransplantation, Schriften des Instituts für angewandte Ethik Bd. 2 (2000) 65 - zit.: Pohlmann-Eden Hirntoddiagnose; Prange Ist hirntot wirklich tot? in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 67; Probst Ch. Hirntod und Organtransplantation, in: Bäumerlv. Stockhausen Zur Problematik von Hirntod und Transplantation (1998) 7; Quante „Wann ist der Mensch tot?" ZPhF 49 (1995) 167; Quante Todesdefinition, Hirntodkriterium und Organentnahme: eine philosophische Skizze, ZTM 9 (1997) 211; Quante „Hirntod" und Organverpflanzung, in: Ach/Quante Hirntod und Organverpflanzung, Medizin und Philosophie Bd. 3 2. Aufl. (1999) 21; Raszeja Kriterien des Hirntodes im Lichte der Transplantationspraxis in Polen, Festschrift für Wolfgang Spann (1986) 453; Rego-Pedro When is a Person Dead?: the Answer of the European Philosophers and Poets, in: LandlDossetor Organ Replacement Therapy: Ethics, Justice, Commerce (1991) 264; Rimpau Wann ist der Mensch tot? Mabuse 21 (100/1996) 73; Rixen Todesbegriff, Lebensgrundrecht und Transplantationsgesetz, ZRP 1995 461; Rixen Der hirntote Mensch: Leiche oder Rechtssubjekt? in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 434; Rixen Im Zweifel für das Leben, EvKomm. 29 (1996) 136; Rixen Lebensschutz am Lebensende, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 795 (1999) - zit.: Rixen Lebensschutz; Rohling/Link Zur Diagnose des Hirntodes, in: StriebellLink Ich pflege Tote (1991) 111; Römelt Hirntod und Organspende, ZME 43 (1997) 3; RoosenlKlein Kriterien und Diagnostik des Hirntodes, in: Gesellschaft Gesundheit und Forschung e. V. Ethik und Organtransplantation (1989) 29; Roth/Dicke Das Hirntodproblem aus der Sicht der Hirnforschung, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 51; Rötschi Bachmann Scheintot oder Hirntot? Vor Organverpflanzung wird dringend gewarnt! RuZ 69 (1994) 5; Russegger Der Hirntod als Individualtod, in: Joerden Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin, Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für Ethik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder (1999) 283; Salomon Wann ist der Mensch tot? in: Evangelische Akademie Baden Organspende, Herrenaiber Protokolle Bd. 102 (1994) 9; Sass Philosophical Arguments in Accepting Brain Death Criteria, in: LandlDossetor Organ Replacement Therapy: Ethics, Justice, Commerce (1991) 249; Sass Hirntod und Hirnleben, in: Sass Medizin und Ethik (1999) 160; Schadt Unmöglichkeit der Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des Menschen mit Anmerkungen zum Transplantationsgesetz (1997); Schick Todesbegriff, Sterbehilfe und aktive Euthanasie, in: Bemal Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod, Grazer Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien Bd. 50 (1993) 121; SchlakelRoosen Der Hirntod - Tod des Menschen, in: HöglingerlKleinert Hirntod und Organtransplantation (1998) 25; Schlich Ethik und Geschichte: Die Hirntoddebatte als Streit um die Vergangenheit, EthMed. 11 (1999) 79; Schmidt-Jortzig Wann ist der Mensch tot? Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. Heft 20 (1999); in der Schmitten Kritik der Für-tot-Erklärung gemäß dem „Hirntod"kriterium, in: Evangelische Akademie Baden Organspende, Herrenaiber Protokolle Bd. 102 (1994) 25; in der Schmitten/Hoff Hirntote Patienten sind sterbende Menschen, BerlÄ 32 (5/1995) 28; Schneider H. Der Hirntod, Nerv A 41 (1970) 381; Schöne-Seifert Vernunft und Unvernunft im Streit um den Hirntod, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 477; Schreiber H.-L. Der Hirntod als Grenze des Lebensschutzes, Festschrift für Walter Remmers (1995) 593; Schreiber H.-L. Die Todesgrenze als juristisches Problem, in: Schlaudraff Transplantationsgesetzgebung in Deutschland, Loccumer Protokolle 54/94 (1995) 87; Schreiber H.-L. Wann ist der Mensch tot? - Rechtliche Perspektive, in: HöglingerlKleinert Hirntod und Organtransplantation (1998) 91; Schreiner Organtransplantation und Hirntod, Pflege 10 (1997) 151; Schuh Kriterien des Hirntodes, AR 17 (1982) 260; Schulte-MattlerlLindner/Zierz Der Hirntod, in: Haussl Vogt Organspende: Organisation, Kooperation und Verteilung (1996) 51; Seifert Erklären heute Medizin und Gesetze Lebende zu Toten? in: Ramm Organspende (1995) 51; Sonnenfeld Wer oder was ist tot beim Hirntod? ForKathTheol. 10 (1994) 30; Spittler Hirntod - Tod des Menschen, Spectrum 1995 12/108; Spittler Der Hirntod - Tod des Menschen, EthMed. 7 (1995) 128; Spittler Der Hirntod ist der Tod des Menschen, Universitas 50 (1995) 313; Spittler Sterbeprozeß und Todeszeitpunkt, Zentrum für medizinische Ethik Bochum Medizinische Materialien Heft 112 (1996); Spittler Der

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menschliche Körper im Hirntod, ein dritter Zustand zwischen lebendem Menschen und Leichnam? JZ 1997 747; Spittler Die Diskussion um den Hirntod - ein Perpetuum mobile? EthMed. 10 (1998) 60; Stapenhorst Über die biologisch-naturwissenschaftlich unzulässige Gleichsetzung von Hirntod und Individualtod und ihre Folgen für die Medizin, EthMed. 8 (1996) 79; Steigleder Die Unterscheidung zwischen dem „Tod der Person" und dem „Tod des Organismus" und ihre Relevanz für die Frage nach dem Tod eines Menschen, in: Hofflin der Schmitten Wann ist der Mensch tot? (1995) 95; Stein R. Sterbende als Organ-„Spender"? BerlÄ 31 (9/1994) 48; Steinbreitner Hirntod und Intensivmedizin, in: Schwarz!Bonelli Der Status des Hirntoten (1995) 69; SternberglLieben Tod und Strafrecht, JA 1997 80; Sticht Schon Mensch - noch Mensch - nicht mehr Mensch? KorrBl. 120 (1986) 190; 121 (1987) 6; Stoecker An den Grenzen des Todes - ein Plädoyer für die moralphilosophische Uberwindung der Hirntod-Debatte, EthMed. 9 (1997) 194; Stoecker Der Hirntod, Alber-Reihe Praktische Philosophie Bd. 59 (1999); Stroh Der Hirntod ist der Tod des Menschen, AP 47 (46/1995) 5; Thomas H. Sind Hirntote Lebende ohne Hirnfunktionen oder Tote mit erhaltenen Körperfunktionen? EthMed. 6 (1994) 189; Thomas H. Hirntod, Tod und Elemente der Unbestimmbarkeit in der Medizin, ZfL 5 (1996) 40; Tröndle Der Hirntod als Voraussetzung für die Organentnahme, ZfL 6 (1997) 3; Tröndle Der Hirntod, seine rechtliche Bedeutung und das neue Transplantationsgesetz, Festschrift für Hans Joachim Hirsch (1999) 781; Truog Ist das Hirntod-Kriterium obsolet? in: Firnkorn Hirntod als Todeskriterium (2000) 83; Türk Der Hirntod in philosophischer Sicht, Z M E 43 (1997) 17; Unger Das Coma egressum der irreversible Hirnausfall, M M W 137 (1995) 510; Vollmann Medizinische Probleme des Hirntodkriteriums, MedKlin. 91 (1996) 39; Vollmann Ethische Probleme des Hirntods in der Transplantationsmedizin, Medizin-Ethik Bd. 11 (1998); Wagner W. Gemeinsamkeiten zwischen Hirntodkonzept und traditionellen Todeszeichenkonzepten, EthMed. 7 (1995) 193; Wagner W. Zur Bedeutung des Hirntodes als Todeszeichen des Menschen, Z M E 44 (1998) 57; Wagner!Brocker Hirntodkriterium und Lebensgrundrecht, Z R P 1996 226; Walker Cerebral death, 3. Aufl. (1985); Wawersik Dissozierter Hirntod, in: Lawin Praxis der Intensivbehandlung, 6. Aufl. (1994) 323; Weber R. Der Hirntodbegriff und der Tod des Menschen, ZfL 11 (2000) 94; Wiesemann Grenzen des Lebens, Grenzen der Person? in: FrewerlRödel Person und Ethik, Erlanger Studien zur Ethik in der Medizin Bd. 1 (1993) 67; Wiesemann Hirntod und Gesellschaft, EthMed. 7 (1995) 16; Wolbert Zur neuen Diskussion über den Gehirntod, EthMed. 8 (1996) 6; Wolfslast Grenzen der Organgewinnung, MedR 1989 163; Wolkinger Todesbegriff, Sterbehilfe und aktive Euthanasie, in: Bernat Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod, Grazer Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien Bd. 50 (1993) 43; Wuermeling Sicheres Kriterium, Standpunkte 2 (1997) 27. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 166, zu § 166 und zu § 167a.

Entstehungsgeschichte In ihrer ursprünglichen, bis 1953 geltenden Fassung stellte die Vorschrift die Wegnahme einer Leiche, die Zerstörung oder Beschädigung eines Grabes und die Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe, jeweils nur in vollendeter Begehung, unter Strafe. Das 3. StRÄndG dehnte die Strafbarkeit auf die Wegnahme von Leichenteilen und die Wegnahme der Asche eines Verstorbenen, auf beschimpfenden Unfug auch hieran sowie, in einem neuen Absatz 2, auf den Versuch der Taten aus. Dabei wurde der Tatbestand der Zerstörung oder Beschädigung einer Beisetzungsstätte entgegen der ursprünglichen Fassung nach dem der Verübung beschimpfenden Unfugs an den geschützten Gegenständen eingestellt. Außerdem gab es sprachliche Veränderungen, die bei der Verwendung früherer Rechtsprechung bedeutsam sein können. Das 24. StRÄndG bezog unter Neufassung des Absatzes 1 die tote menschliche Leibesfrucht und Teile einer solchen in den Strafschutz ein. Schließlich nahm das 6. StrRG Änderungen vor und faßte die Vorschrift neu. Es ersetzte, inhaltlich neutral, die Begriffe Leiche und Leichenteile durch die Begriffe Körper und Teile des (157)

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Körpers eines verstorbenen Menschen.1 Die VerÜbung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte und deren Zerstörung stellte es unter Einbeziehung der Schutzobjekte Aufbahrungsstätte und öffentliche Totengedenkstätte in einen neuen Absatz 2 ein und ersetzte dabei das bisherige Wort „an" durch das Wort „dort". Die Strafbarkeit des Versuchs wurde ein neuer Absatz 3. Aus den Gesetzesmaterialien: Zum 3. StRÄndG: BTDrucks. 1/1307; 1/3713; 1/4250; 1/4614; 1/4640; BTRAusschDrucks. 1/51; BTProt. 1/236 S. 10869; 1/265 S. 12992ff; 1/269 S. 13264ff; 1/270 S. 13310; 1/280 S. 14072f; BRProt. 1/282. Zum 24. StRÄndG·. BTDrucks. 10/3758; 10/6568; BTRAusschDrucks. 10/64; 10/66; 10/70; 10/100; BTJFGAusschDrucks. 10/77; BTProt. 10/156 S. 11760f; 10/253 S. 19758; BRDrucks. 10/43-85; 10/593-86; BRUAusschProt. vom 22723.5.1985 und 2.12.1986; BRRAusschProt. 10/547; 10/550; 10/575; BRJFGAusschProt. 10/227; 10/229; BRDrucks. 164/97; BRProt. 10/552; 10/572. Zum 6. StrRG: BTDrucks. 13/3468 S. 3, 4f; 13/7164 S. 4, 22 f; 13/8587 S. 5, 30f; 13/8991 S. 14; 13/9064 S. 7, 10; BTRAusschProt. 10/88; BTProt. 13/ 163 S. 14626 ff; 13/204 S. 18431 fT, 18438, 18440, 18452; BRDrucks. 13/164-97; 13/93197; BRProt. 13/720. Übersicht I. Allgemeines 1. Umfang des Strafschutzes . . . . 2. Rechtsgut 3. Die Problematik im Zusammenhang mit Fragen der Leichenschau a) Leichenöffnung und Sektion b) Rechtliche Folgen eigenmächtiger Sektionen c) Reform 4. Transplantationsrecht a) Entstehung und Gegenstand der Problematik b) Ausmaß der Reformdiskussion c) Kriterien erlaubter postmortaler Organentnahme . . . aa) Die Rechtfertigungsmodelle bb) Würdigung d) Todeszeitpunkt aa) Todesbegriff bb) Todesfeststellung cc) Anerkennung des Hirntodkriteriums e) Gesetzgebungsverfahren . . . aa) Der gescheiterte erste Entwurf 1

Rdn. 1-20 1 2 3-5 3 4 5 6-20 6 7 8-9 8 9 10-12 10 11 12 13-15 13

Namentlich diese Änderungen brachten dem Gesetzgeber des 6. StrRG den Vorwurf der „legislatorischen Kosmetik" (TröndlelFischer49 Vorwort S. VII) ein, insoweit durchaus berechtigt, da nie in Frage stand, daß § 168 Abs. 1 a. F. nicht Tierkadaver, sondern Menschenleichen meinte (Rixen ZRP 2001 376 Fn. 25). Bei Mäurach! Schroeder! Maiwald 2 wird der neue Wort-

Rdn. bb) Die Bemühungen um einen erneuten Reformversuch cc) Der Weg des Transplantationsgesetzes f) Die strafrechtliche Bedeutung des Transplantationsgesetzes . aa) Strafbarkeit des Handeltreibens mit Organen . . . bb) Strafbarkeit unbefugter Organentnahmen und des Verstoßes gegen datenrechtliche Vorschriften cc) Die Bedeutung der Regelungen für den Anwendungsbereich des § 168 dd) Weitere Auswirkungen im Bereich des materiellen Strafrechts ee) Unterlassene strafrechtsrelevante Regelungen . . . II. Der äußere Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 1 1. Die Angriffsgegenstände a) Körper eines verstorbenen Menschen aa) Begriffsbestimmung und Beginn der Eigenschaft . .

14 15 16-20 16

17 18

19 20 21-45 21-28 21-23 22

laut als „geschraubter Ausdruck" bezeichnet (§ 62 Rdn. 9). Unverständnis artikuliert auch Kretschmer S. 313f. Vgl. dazu auch Oduncu, der darlegt, daß es den menschlichen Körper als solchen isoliert nicht gebe, daher, wenn der Mensch tot sei, nur vom Toten oder vom Leichnam die Rede sein könne, nicht aber vom toten Körper (StimZt. 215 [1997] 688f)·

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Rdn. bb) Beginn des Schutzes beim totgeborenen Kind . . . . 23 cc) Dauer des Schutzes . . . . 23 b) Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen 24-26 aa) Auslegung des Begriffs . . 24 bb) Einzelfalle 25 cc) Dauer des Schutzes . . . . 26 c) Tote Leibesfrucht und Teile einer solchen 27 d) Asche eines Verstorbenen . . . 28 2. Die Tathandlung 29^t5 a) Wegnahme 29 b) Gewahrsam 30-35 aa) Rechtliche Ausgangslage 30 bb) Notwendigkeit einer faktischen Komponente . . . 31 cc) Rein normatives Merkmal im Sinne eines Obhutsrechts 32 dd) Aufgabe der Ansicht in der Vorauflage 33 ee) Gewahrsamsinhaber vor der Bestattung 34 fl) Gewahrsamsinhaber nach der Bestattung 35 c) Berechtigter 36-40 aa) Berechtigung und Berechtigte - Totenfürsorgerecht 36 bb) Rechtliche Herleitung des Totenfürsorgerechts . . . . 37 cc) Inhalt des Totenfürsorgerechts 38 dd) Der Kreis der Totenfürsorgeberechtigten . . . 39 ee) Rangfolge der Totenfürsorgeberechtigten . . . 40 d) Unbefugt 41^5 aa) Die Befugnis ist Rechtfertigungsgrund 41 bb) Rechtfertigung aus Gewohnheitsrecht 42 cc) Rechtfertigung durch behördliche Erlaubnis . . . 43 dd) Rechtfertigung aufgrund einer Einwilligung 44 ee) Rechtfertigung wegen Notstands 45

Rdn. III. Der äußere Tatbestand der zweiten Alternative des Absatzes 1 1. Die Angriffsgegenstände 2. Die Tathandlung a) Beschimpfender Unfug . . . . b) Angriffsrichtung c) Der Berechtigte als Täter . . . IV. Der äußerer Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 2 1. Die Angriffsgegenstände a) Aufbahrungsstätte aa) Begriffsbestimmung und Beispiele bb) Anwesenheit einer Leiche . b) Beisetzungsstätte aa) Letzte Ruhestätte verstorbener Menschen . . . . bb) Die gebräuchlichsten Formen der Bestattung . . cc) Weniger gebräuchliche Bestattungsformen . . . . dd) Das Pietätsgefühl der Bürger als Voraussetzung des Strafschutzes ee) Umfang des Strafschutzes ff) Erlöschen des Strafschutzes c) Totengedenkstätte aa) Hintergrund der Strafbarkeit bb) Begriffsbestimmung und Beispiele cc) Keine Totengedenkstätten 2. Die Tathandlung a) Zerstören b) Beschädigen V. Der äußere Tatbestand der zweiten Alternative des Absatzes 2 1. Entsprechende Anwendung der Erläuterungen zu ersten Alternative des Absatzes 2 2. Die Tathandlung a) Angriffsrichtung des beschimpfenden Unfugs . . . . b) Begriffsbestimmung und Beispiele VI. Rechtswidrigkeit VII. Der innere Tatbestand VIII. Versuch IX. Konkurrenzen

46-49 46 47^49 47 48 49 50-62 50-60 50-51 50 51 52-57 52 53 54 55 56 57 58-60 58 59 60 61-62 61 62 63-65 63 64-65 64 65 66 67 68 69

I. Allgemeines 1. Die Entwicklung, die der Umfang des Strafschutzes des § 168 genommen hat, ist 1 insofern bemerkenswert, als der Tatbestand ungeachtet der allgemeinen Tendenz moderner Reformen, das Strafrecht von historisch ihm noch anhaftenden irrationalen Zügen zu befreien und auf die rationale Funktion des Schutzes der Gesellschaft zurückzuführen (vgl. Vor § 166 Rdn. 9), stetig erweitert worden ist. Freilich hatte der (159)

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ursprüngliche Strafschutz (siehe Entstehungsgeschichte) vielfach als völlig unzulänglich gegolten (Maurach BT 1. Aufl. [1952] § 47 II F 1, 2a). Namentlich die fehlende Strafbarkeit der Schändung einer Leiche war seit je Gegenstand massiver Kritik (so schon Binding Lehrbuch I § 45 1 I [„schweres Unrecht"]; Kahl VDB III S. 65; vgl. auch Schorn DZgerMed. 14 [1930] 381). Verschiedene in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Vorfälle dieser Art bewogen schließlich weite Kreise, nicht zuletzt auch den Bayerischen Landtag, eine Verstärkung des Schutzes der Totenruhe zu fordern (vgl. BTDrucks. 1/3713 S. 37). Das 3. StRÄndG kam mit der Erstreckung des Strafschutzes auf Leichenteile und die Asche eines Verstorbenen den Reformwünschen nur in geringem Umfang nach. Der weiter anhaltenden Kritik trug der E 1962 mit den Vorschlägen Rechnung, den Beisetzungsstätten die Aufbahrungs- und Totengedenkstätten gleichzusetzen, der VerÜbung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte die VerÜbung beschimpfenden Unfugs auf einem Friedhof hinzuzufügen und in einem neuen Tatbestand die unbefugte Wegnahme von Grabschmuck unter Strafe zu stellen (§ 191). Der AE hingegen sah mit Ausnahme der Entnahme von Leichen und Leichenteilen alle geltenden und darüber hinaus geforderten Tatbestände durch die allgemeinen Strafvorschriften hinreichend erfaßt (S. 83). Das 1. StrRG, das die §§ 166, 167 teils durch Einschränkung, teils durch Erweiterung des Strafschutzes umgestaltete (vgl. § 166 Rdn. 1, § 167 Rdn. 2) und § 167 a einfügte, ließ § 168 unberührt. Erst das 24. StrÄndG ergänzte erneut den Strafschutz, wiederum auf Drängen der Öffentlichkeit, nachdem spektakuläre Fälle kommerzieller Verwertung von aus Schwangerschaftsabbrüchen herrührenden Embryonen und Feten bekannt geworden waren (vgl. BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6568 S. 3).2 Ähnlich lag es bei der Einfügung des Tatbestandsmerkmals öffentliche Totengedenkstätte durch das 6. StrRG. Mit ihr reagierte der Gesetzgeber auf rechtsextremistische Ausschreitungen in Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus, die weltweit Aufsehen erregt hatten.3 Die Vorschrift stellt nunmehr in vier verwandten, aber untereinander selbständigen Tatbeständen zunächst die Wegnahme des Körpers oder von Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen, einer toten Leibesfrucht, Teilen einer solchen oder der Asche eines verstorbenen Menschen, des weiteren das Verüben von beschimpfendem Unfug an solchen Gegenständen, sodann das Zerstören und Beschädigen einer Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentlichen Totengedenkstätte und schließlich das Verüben von beschimpfendem Unfug an diesen Stätten unter Strafe. Die erheblichen Erweiterungen des Strafschutzes sind sämtlich sachgerecht. Der ursprüngliche Strafschutz der Toten war unzulänglich, weil das in § 168 geschützte Pietätsempfinden gegenüber der sterblichen Hülle eines Menschen Teile des toten Körpers und die Asche des Verstorbenen einschließt. Die Erstreckung des Strafschutzes auf tote Leibesfrüchte

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Der Entwurf des Bundesrates (BRDrucks. 43/45) ging auf einen Gesetzesantrag Bayerns zurück, der allerdings nicht die unbefugte Wegnahme toter Embryonen und Feten, sondern deren mißbräuchliche Verwendung als Tathandlung vorgesehen hatte (Schulz Bericht aus Bonn Z R P 1985 203, 204) und damit in die im Schrifttum und in der Rechtsprechung höchst umstrittene Frage, wer an Leichen und Leichenteilen während der Zeit, in der sie sich in einer Klinik befinden, Gewahrsam hat, nicht eingegriffen hätte (vgl. dazu auch Rdn. 18).

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BTDrucks. 13/8587 S. 23; Bochumer

gen § 168 Rdn. 1; Kreß N J W 1968 641; vgl. dazu auch die kriminologische Analyse in Bundeskriminalamt Die Schändung jüdischer Grabstätten seit 1948, MschrKrim. 1968 132. Die betreffenden Vorfälle waren schon Anlaß der Gesetzesinitiative des Bundesrates vom 11.1.1996 (BTDrucks. 13/3468), die in § 168 einen neuen Absatz 1 einfügen wollte, wonach ebenso wie nach Absatz 1 zu bestrafen sei, wer an einer Totengedenkstätte für Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft beschimpfenden Unfug verübt.

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und Teile davon trägt der erforderlichen Strafbarkeit der mißbräuchlichen Nutzung von Embryonen und Feten Rechnung (zur Ergänzungsbedürftigkeit der Regelung Rdn. 20). Die Schutzlücke, die darin bestand, daß Aufbahrungs- und Totengedenkstätten keine Beisetzungsstätten sind, war seit langem bekannt. 4 Sie zu schließen wäre auch ohne den aktuellen Anlaß sachgerecht gewesen. Alle Erweiterungen stehen mit einem auf die rationale Funktion des Schutzes der Gesellschaft zurückgedrängten Strafrechts in Einklang. 2. Rechtsgut der Vorschrift sind die Ehrfurcht vor dem Tode und das Pietätsemp- 2 finden nicht nur der Angehörigen, sondern auch der Allgemeinheit, aber auch die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrecht des Menschen, der noch nach seinem Tode Achtung verdient. Es sind dieselben Schutzgüter wie in § 167 a. Die betreffenden Erläuterungen dort gelten daher auch hier, namentlich zur Herleitung dieser Rechtsgüter als Teil der Kulturordnung und zu den Rechtssubjekten (Rdn. 3), ihrer Abgrenzung gegenüber anderen Bezügen (Rdn. 4) sowie zu abweichenden Ansichten (Rdn. 5). Sie erfassen alle Schutzobjekte der Vorschrift, die sterbliche Hülle eines Menschen, Teile davon und Überreste des Verstorbenen, den Embryo, dem auch als ungeborenem Leben der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 G G zukommt (BVerfGE 39 1, 41; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1), Teile eines Embryos sowie Stätten, die der Ruhe und dem Andenken Verstorbener dienen. 3. Eine besondere Problematik verbindet sich mit Fragen der Leichenschau, bei 3 der in den Formen der Leichenöffnung und der Sektion regelmäßig Teile vom menschlichen Körper abgetrennt werden, die, wie die Leiche selbst, prinzipiell Schutzobjekte der Vorschrift sind. a) Auf die Leichenschau beziehen sich mehrere Begriffe mit zum Teil unterschiedlicher Ausdeutung. Leichenöffnung ist ein rechtlicher Begriff. Er kennzeichnet die innere Leichenschau nach § 87 Abs. 4 StPO, die erforderlich ist, wenn fremdes Verschulden am Tod in Betracht kommt und Todesursache oder Todeszeitpunkt festgestellt werden müssen (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 87 Rdn. 9).5 Verfassungsrechtlich bedenklich ist die Leichenöffnung nicht. Eine solche Untersuchung würdigt grundsätzlich weder den Toten in seinem allgemeinen Achtungsanspruch (näher § 167 a Rdn. 3) herab, noch erniedrigt sie ihn. Deshalb steht, wenn die Voraussetzungen des § 87 StPO vorliegen, eine Verfügung des Verstorbenen, die eine Leichenöffnung, etwa im Hinblick auf die Spende seines Körpers zur Piastination (vgl. dazu auch Rdn. 20, 47), untersagt, ihrer Durchführung nicht entgegen (LG Mainz NStZ-RR 2000 43,44). Ebensowenig liegt darin eine Verletzung des im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) grundrechtlich anerkannten und gesetzlich geschützten Totenfürsorgerechts der Angehörigen (Rdn. 4, 37), das in den ebenfalls zur ver4

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So bezeichnet schon das Reichsgericht im Falle eines rohen pietätlosen Handelns an einer in der Halle eines Friedhofs aufgebahrten Leiche die mangelnde Tatbestandsmäßigkeit als „unbeabsichtigte Lücke des § 168 StGB" (RGSt 71 323, 325). Dazu auch Bochumer Erläuterungen § 168 Rdn. 1 ; Kreß NJW 1998 641. Ferner ist die innere Leichenschau Gegenstand der §§ 32 Abs. 3, 33 des Bundes-Seuchengesetzes i.d.F. vom 18.12.1979 (BGBl. I 2262; 1980 I 151). Danach kann die zuständige Behörde bei den in § 31 Abs. 1 genannten Verstorbenen die

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innere Leichenschau anordnen, wenn dies vom Gesundheitsamt für erforderlich gehalten wird. Auch darf nach § 3 Abs. 2 des Feuerbestattungsgesetzes (§ 167 a Rdn. 12 Fn. 75) der Amtsarzt, der eine zweite Leichenschau durchführen muß, eine Obduktion veranlassen, wenn die Todesursache weder durch die erste Leichenschau noch aufgrund der Angaben des behandelnden Arztes geklärt ist. Zur Bedeutung der Sektion für das Unfallversicherungsrecht Grüner MedSachv. 82 (1986) 99.

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fassungsrechtlichen Ordnung gehörenden strafprozessualen Vorschriften über die Leichenöffnung eine Grenze findet (BVerfG NJW 1994 783). Der Begriff Sektion kommt aus der Medizin und bedeutet dort kunstfertige Leichenöffnung und Zergliederung.6 Die nach Sektion am häufigsten verwendete Bezeichnung Obduktion kennzeichnet nach medizinischem Verständnis die gerichtlich angeordnete Sektion und ist danach identisch mit der Leichenöffnung nach § 87 Abs. 4 StPO.7 Im rechtlichen Sprachgebrauch werden klinische Sektion und innere Leichenschau gleichgesetzt und als ärztlich fachgerechte Öffnung einer Leiche mit Entnahme und Untersuchung von Teilen sowie äußerer Wiederherstellung des Leichnams verstanden. 8 Stets sind, soweit der Zustand der Leiche es gestattet, Kopf-, Brust- und Körperhöhle zu öffnen (§ 89 StPO), Leichenteile sollen entnommen werden (vgl. RiStBV Nr. 35).9 Bei nicht gerichtlich angeordneten Sektionen entspricht dieser Umfang der Untersuchung medizinischer Praxis. Die richterliche Beschlagnahmeanordnung kann ebenso wie die richterliche Anordnung der Leichenöffnung nach § 304 Abs. 1, 2 StPO von den Hinterbliebenen mit der Beschwerde angefochten werden. Das durch Beschlagnahme begründete Recht des Staates zum Besitz der Leiche und der Leichenteile endet mit dem Abschluß des Strafverfahrens. Sie sind alsdann an die Totenfürsorgeberechtigten (Rdn. 39) herauszugeben. 10 Weiterbesitz bedarf ihrer Einwilligung, wobei an einen stillschweigenden Verzicht auf die Herausgabe strenge Anforderungen zu stellen sind (Rixen ZRP 2001 375). Eine nicht gerichtlich angeordnete Sektion ist grundsätzlich nur rechtmäßig bei Einwilligung des Verstorbenen" oder des Totenfürsorgeberechtigten (näher dazu Rdn. 40). Fehlt es daran, ist die Entnahme von Teilen der Leiche unbefugt (Rdn. 34, 41), ihr Besitz unrechtmäßig und der Leiter des Krankenhauses zur Herausgabe verpflichtet. Dies gilt auch dann, wenn der Berechtigte die Einwilligung zurückgenommen hat. 4

b) Die rechtlichen Folgen von Verletzungen des Totenfürsorgerechts im Zusammenhang mit Leichenöffnungen sind begrenzt. Dies gilt vor allem für die strafrechtliche Seite. Eine Strafbarkeit nach § 189 scheidet aus, weil die Vorschrift die Leiche selbst nicht erfaßt. Zwar ist das Rechtsgut des § 189 umstritten. Teils wird es im Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit gesehen (LackneriKühl § 189 Rdn. 1). Andere erblicken in Anlehnung an die im Zivilrecht herrschende Theorie des postmortalen Persönlichkeitsschutzes darin das Pietätsempfinden der Angehörigen und die über den Tod hinauswirkende Menschenwürde (TröndlelFischer § 189 Rdn. 1) oder eine Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit, die in der postmortalen Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen zum Ausdruck kommt (SehlSchröder!Lenckner § 189 Rdn. 1). Schließlich findet sich, ebenfalls im Einklang mit der zivilrechtlichen Theorie, die Ansicht, daß das Rechtsgut die fortwirkende Ehre des Verstorbenen ist, wobei sich der verdiente Achtungsanspruch nach dem personalen Geltungswert im Zeitpunkt des Todes bestimmt (Herdegen LK § 189 Rdn. 1). Welche dieser Auffassungen auch immer den Vorzug verdient, gewiß ist, daß

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Der selten verwendete medizinische Ausdruck Nekropsie hat dieselbe allgemeine Bedeutung. Desgleichen bezieht sich der, ebenfalls weniger häufig gebrauchte, medizinische Begriff Autopsie auf die richterliche äußere Leichenschau. So ausdrücklich § 1 Satz 2 BerlSektG (vgl. Rdn. 5 Fn. 26). Hingegen beschränkt sich die äußere Leichenschau nach § 87 Abs. 1 StPO auf die Besichti-

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gung der Beschaffenheit der Leiche, wie sie auch nach den Bestattungsgesetzen (vgl. § 167 a Rdn. 9 mit Fn. 60) zu veranlassen ist. Einzelheiten zur Durchführung der Sektion bei Kretschmer S. 524ff Die selten ist, aber vorkommt, etwa als Spende des Leichnams an die Anatomie (Deutsch Medizinrecht Rdn. 409).

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die Vorschrift nicht den Schutz der Unversehrtheit der sterblichen Hülle des Verstorbenen bezweckt (Kopp MedR 15 [1997] 545). Auch der Tatbestand des § 223 bleibt trotz grundsätzlich geeigneter Tathandlung von vorn herein außer Betracht, weil der Tod mit der Rechtsfähigkeit auch das Personsein beendet (vgl. Rdn. 10) und der tote Körper deshalb kein taugliches Tatobjekt einer Körperverletzung sein kann {Kretschmer S. 362f). Ebenso liegt es bei den §§ 242 und 303. In beiden Tatbeständen ist Gegenstand der Tat eine fremde Sache. Der strafrechtliche Sachbegriff entspricht regelmäßig dem zivilrechtlichen (§ 90 BGB). Danach ist die menschliche Leiche zwar eine Sache, aber jedenfalls nicht eigentumsfähig. 12 Die früher starke Auffassung, die in der Leiche einen „Rückstand der Persönlichkeit des Verstorbenen" sah, 13 hat kaum noch Anhänger. 14 Gehalten hat sich auch die Ansicht, die Leiche bilde einen Vermögensbestandteil der Erbschaft des Verstorbenen und falle nach § 1922 BGB in das Eigentum der Erben. 15 Nach ihr wäre die Wegnahme des Körpers eines verstorbenen Menschen stets nach § 242 in Tateinheit mit § 168 Abs. 1 1. Alt. strafbar, allein nach § 168 Abs. 1 1. Alt. nur dann, wenn der Täter ohne Zueignungsabsicht gehandelt oder keinen neuen Gewahrsam begründet hat. 16 Ist die Leiche nicht eigentumsfähig, fehlt es an der Fremdheit. 17 Dies gilt auch für Leichenteile. Danach kommt eine Strafbarkeit nur nach § 168 Abs. 1 in der Alternative der unbefugten Wegnahme von Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen aus dem Gewahrsam des Berechtigten in Betracht, obwohl dieser Tatbestand keineswegs auf Sektionen, durch die erst die betreffenden Teile vom Körper getrennt werden, zugeschnitten ist. Die Problematik des Strafschutzes nach dieser Vorschrift ergibt sich aus dem Erfordernis, daß ein anderer, als der Täter, den Gewahrsam haben muß. Ist bei Leichen, solange sie sich im Herrschaftsbereich einer Klinik befinden, Gewahrsamsinhaber, wie es inzwischen überwiegender Auffassung entspricht (näher Rdn. 18, 34; vgl. auch schon Rdn. 1 mit Fn. 2), allein der Leiter der Klinik, kann im Rahmen der eigenmächtigen Sektion der Gewahrsam des Berechtigten nicht gebrochen werden. Das Handeln bleibt straflos. Das Zivilrecht bietet für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung des Totenfürsorgerechts im Zusammenhang mit eigenmächtigen Leichenöffnungen zwar eine

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KG NJW 1990 782, 783; Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 56; Bieler JR 1976 225; Bier i S. 66; Binding Lehrbuch I § 45 I; Blei BT § 45 I; ν. Blume AcP 112 (1914) 375; Κ. Bode ZBlAllgPath. 86 (1950) 370; Bohne S. 131 f; Brandenburg JuS 1984 48; v. Bubnoff G A 1968 65; Forkel Jura 2001 73; Gaedke Hdb. S. 120; Görgens JR 1980 141; Hoyer SK § 242 Rdn. 4; R. Kaufmann S. 94; Kemmer DZgerMed. 18 (1932) 433; Kohlhaas NJW 1967 1491; Lackneri Kühl § 242 Rdn. 7; Leopold Festschrift Saiger S. 685; Otto BT § 40 Rdn. 14; Peters Strafprozeß § 40 I; Kretschmer S. 367; Misch S. 82f; Λ Müller S. 56; Ruß LK § 242 Rdn. 10; Samson SK Rdn. 4; Sch/SchröderlEser § 242 Rdn. 10; Chr. Schreiber S. 75; Stentenbach S. 35, 88 f; Striemer MedWelt 3 (1969) 1373; Trockel Rechtswidrigkeit S. 40 f; TröndlelFischer § 242 Rdn. 8; Zimmermann NJW 1979 570. Z.B. RGZ 100 171; OLG Hamburg DJZ 1929 718; Gribbohm JuS 1971 200f; Eh Schmidt Strafrecht S. 71; Wassermann MedWelt 2 (1928) 1722. And. Deutsch Medizinrecht Rdn. 488; ferner

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Joecks § 168 Rdn. 1 Vor § 242 Rdn. 8; Maurachl SchroederlMaiwald 1 § 242 Rdn. 4; Kn. Müller S. 102ff; vgl. auch Kießling, der die Leiche als fiktive bzw. mystische Person ansieht (NJW 1969 5740Angaben zum älteren Schrifttum in RGSt. 64 313, 315 Fn. 1; ferner J. Brunner NJW 1953 1173; Peuster Eigentumsverhältnisse S. 93; MedKl. 67 (1972) 682; P. Schäfer S. 101; Weiser S. 38. Peuster Eigentumsverhältnisse S. 108; MedKl. 67 (1972) 683. Zur Anwendung des § 303 nach dieser Auffassung Peuster Eigentumsverhältnisse S. 109. And. Kretschmer über die Konstruktion einer primären Berechtigung im Sinne einer totenfürsorgerischen Treuhandschaft, die bei der eigentumsfähigen Leiche an die Stelle des primären Eigentumsrechts trete mit der Folge, daß die Leiche eine fremde Sache und damit taugliches Objekt von Diebstahl und Sachbeschädigung sein könne (S. 377; ebenso H. Otto Jura 1998 139; BT § 40 Rdn. 14, § 47 Rdn. 4).

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relativ klare Anspruchsgrundlage. Sie stützt sich auf das über den Tod hinaus fortwirkende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Menschen (zur Herleitung eingehend § 167a Rdn. 3), das als absolutes und gegen jedermann wirkendes Recht durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird.18 Darüber hinaus ist Art. 1 GG ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (.Küchenhoff Festschrift Geiger S. 49, 59). Doch bleibt der Schutz durch § 823 BGB meist folgenlos (Ehlers MedR 1991 229; Kn. Müller S. 142). Da den Angehörigen selbst durch die unerlaubte Sektion kein materieller Schaden entsteht,19 kommt einzig ein auf sie übergegangener Schmerzensgeldanspruch in Betracht (Einzelheiten bei Jaeger MDR 1998 450fï). Diesem Anspruch aber läßt sich entgegenhalten, daß ein solches Schmerzensgeld im Ergebnis auf eine Bezahlung hinausläuft und damit einer bedenklichen Kommerzialisierung Vorschub leistet.20 Hiervon abgesehen billigt die Rechtsprechung in Fällen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aber auch nur bei besonders schwerwiegenden Eingriffen zu (Taupitz Tod S. 99). Das erfordert im Einzelfall über das Vorliegen einer objektiv erheblich ins Gewicht fallenden Beeinträchtigung hinaus die Feststellung, daß den Schädiger der Vorwurf einer schweren Schuld trifft (BGHZ 35 363, 369; Taupitz AcP 1991 227). Ihn zu begründen wird bei eigenmächtigen Sektionen angesichts meist unzureichender Rechtskenntnisse des Arztes, aber auch im Hinblick auf das Motiv seines Handelns kaum einmal möglich sein. 5

c) Eine bundeseinheitliche21 gesetzliche Regelung der Sektion wird seit langem gefordert, namentlich von der Ärzteschaft, die, vom unzulänglichen Schutz der Totenfürsorgeberechtigten vor eigenmächtigen Sektionen abgesehen, vor allem von der fehlenden Rechtssicherheit in diesem Bereich betroffen ist.22 Rechtspolitisch dürfte die Forderung kaum weniger dringlich sein, als es der Ruf nach einem Transplantationsgesetz war, in dessen Zusammenhang der Gesetzgeber die Regelung stets gestellt hat.23 Sektionen und Transplantationen ist gemeinsam, daß dieselben Eingriffe an der 18

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Auch das Totenfürsorgerecht (näher Rdn. 36 bis 40) fallt als sonstiges Recht in den Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB (OLG München N J W 1976 1805; LG Bonn JW 1928 2294, 2296; JZ 1971 56, 58; LG Kiel FamRZ 1986 56, 58; Ehlers MedR 1991 228; Haas N J W 1988 2929; Maurer DÖV 1980 13f; MiserokiSasselKrüger § 4 Rdn. 59; Schünemann S. 243; Stentenbach S. 37; Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 64; Kn. Müller S. 142; Trockel Rechtswidrigkeit S. 84; Zimmermann N J W 1979 571). Eine Ausnahme könnte der Fall sein, daß ein ahnungsloser Angehöriger beim Anblick der sezierten Leiche, etwa bei der Öffnung des Sarges vor der Leichenfeier, einen Schock erleidet (vgl. dazu die Sachverhalte KG N J W 1990 782 und LG Bonn JW 1928 2294 mit Anm. Ebermeyer und Straßmann, dazu auch Geilen JZ 1971 45 Fn. 45; ferner Brandenburg JuS 1984 49; Zimmermann N J W 1979 575; krit. Kn. Müller S. 143). Kern Transplantation S. 2/823; Mertens JuS 1962 268; Penning!Liebhardt Festschrift Spann S. 445; Schwerdtner Persönlichkeitsrecht S. 265; Taupitz Tod S. 9. Die Mentalität, um die es dabei gehen kann, schildert Jaeger (MDReport 16/1998 R 1) unter dem Blickwinkel der recht-

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lichen Möglichkeiten, die sich seit dem 1.7.1990 durch die Streichung des früheren § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben („Geschäft der Erben mit dem Sterben"); vgl. dazu auch B G H M D R 1998 1029 mit Anm. Jaeger. In der ehemaligen D D R waren schon früh einheitliche Vorschriften geschafTen worden (Anordnung über die ärztliche Leichenschau des Ministers für Gesundheitswesen vom 4.12.1978 (GBl. 1979 I 4). Einzelheiten bei Dettmeyer S. 80 f. Vgl. beispielsweise die Einbecker Empfehlungen zu Rechtsfragen der Obduktion der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (MedR 1991 76) und die (erneute) Forderung eines Obduktionsgesetzes durch den 96. Deutschen Ärztetag 1993 (DÄB1. 90 [1993] C-992); dazu auch Deutsch Medizinrecht Rdn. 412; Dettmeyer S. 79f. Z.B. schon in Entschließungen der Justizminister und -Senatoren der 42. und 44. Konferenz (angeführt in BTDrucks. 8/2681 S. 5, 18) sowie der 47. Konferenz (Bericht DRiZ 1976 242); vgl. auch BTDrucks. 8/2681 S. 17 (Bundesrat); BTProt. 8/148 S. 11813 (Voget); 8/148 S. 11816 (Bardens)\ zust. Würdigung der Tendenz bei Kuriert Jura 1979 350, 356.

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Leiche vorgenommen werden, bei Sektionen regelmäßig, vor Transplantationen stets (vgl. Stentenbach S. 18 f)- Allerdings unterscheiden sie sich in einem ganz wesentlichen Punkt. Transplantationen sind ausnahmslos ärztliche Heilmaßnahmen, Sektionen nie. Daraus ergeben sich, auch mit Blick auf das Arztrecht, besondere rechtliche Probleme bei der Sektion.24 Allerdings hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für eine umfassende Regelung des Sektionsrechts (innere Leichenschau, Leichenöffnung, Obduktion). Sie fällt in die Zuständigkeit der Länder.25 Daher müßte, wie dies am Ende der Bemühungen um ein Transplantationsgesetz für dessen Bereich schon geschehen ist (vgl. Rdn. 15 mit Fn. 100), zunächst auch insoweit die Gesetzgebungsbefugnis auf den Bund übertragen werden. Auf Landesebene gibt es ein Gesetz bisher nur in Berlin.26 Es erfaßt die nicht sonst durch Gesetz geregelten Fälle der klinischen Sektion (§ Iff) sowie die anatomische Sektion (§ 7 fi) und die Sektion zu therapeutischen Zwecken (§ 10), während den Zulässigkeitsvoraussetzungen (Rdn. 8, 9) die erweiterte Zustimmungslösung zugrunde liegt (§§ 3, 8, 10).27 Im übrigen sind Erörterungen mit dem Ziel, einheitliche spezialgesetzliche Regelungen des Sektionswesens zu schaffen, im Gange. Die Vertreter der Länder haben auf Fachebene in ihrer 159. Sitzung am 27./28.4.1995 die von einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Landes Baden-Württemberg erarbeiteten Eckpunkte für eine landesgesetzliche Regelung des Sektionsrechts zur Kenntnis genommen und dabei die Auffassung vertreten, daß auf der Basis der Eckpunkte ein Mustergesetz erarbeitet werden soll (Antwort der Bundesregierung a.a.O. S. 7). Wann eine bundeseinheitliche Regelung erreicht sein wird, ist noch nicht abzusehen. Wie dringlich freilich eine Verbesserung des Schutzes der Totenfürsorgeberechtigten vor rechtswidrigen Sektionen aus der Sicht der Betroffenen wäre, hat neuerdings Rixen am Beispiel zahlreicher Verstöße gegen Regeln des für Sektionen geltenden Rechts im Rahmen einer vom Bundesforschungsministerium 1996 in Auftrag gegebenen Studie zur Erforschung der Ursachen des plötzlichen Kindstodes (sudden infant death syndrom), die folgenlos geblieben sind, dargelegt (ZRP 2000 374),28 mit der Anregung, vor der beabsichtigten gesetzlichen Gesamtlösung einer Verbesserung des Schutzes menschlicher Überreste (vgl. Rdn. 20 mit Fn. 173) wenigstens den ihrer Situation29 durch eine die Auswirkungen des Transplantationsgesetzes auf den Anwendungsbereich des § 168 Abs. 1 1. Alt. ergänzende weitere Änderung der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. Rdn. 18 und den konkreten Vorschlag dort). 24

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So hat die Bundesregierung von einer Einbeziehung der Materie in ihren ersten Gesetzesvorschlag zur Regelung der Organtransplantation (dazu Rdn. 13) „wegen der Vielschichtigkeit der mit der inneren Leichenschau, der anatomischen Sektion und den wissenschaftlichen Leichenversuchen zusammenhängenden Fragen" abgesehen (BTDrucks. 8/2681 S. 7). Ausführlich zur Gesetzgebungskompetenz Dettmeyer S. 195 ff. Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion der SPD zur Anordnung und Durchführung von Obduktionen nach der Strafprozeßordnung (BTDrucks. 13/10731) vom 5.6.1998 (BTDrucks. 13/10926 S. 4, 7). Gesetz zur Regelung des Sektionswesens und therapeutischer Gewebeentnahme (Sektionsgesetz) vom 18.6.1996 (GVB1. S. 237).

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Ausführlich zum Inhalt Dietel BerlÄ 33 (9/1996) 19 ff; vgl. auch Dettmeyer S. 77; H. Müller hZ 86 (1996) 8. Soweit nach § 10 Abs. 3 die Regelung der Entnahme von Gewebeteilen im Rahmen einer Sektion zu therapeutischen Zwecken auch für die Übertragung der Gewebe auf andere Menschen gilt, wird die Bestimmung insoweit nach Art. 30, 72 Abs. 1 G G durch das Transplantationsgesetz verdrängt (Nickel Entnahme S. 60). Demgegenüber sind der Bundesregierung (bis Mitte 1998) Klagen von Hinterbliebenen über die Art und Weise der Durchführung oder den Umfang der Leichenöffnung nicht bekannt geworden (Antwort der Bundesregierung a. a. O. S. 3). Vgl. dazu auch Saternus Abschiednehmen beim plötzlichen Kindstod, Z M E 45 (1999) 45 ff.

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4. Ungeachtet der geringen kriminalpolitischen Bedeutung des § 168 (vgl. vor § 166 Rdn. 20 mit den statistischen Angaben Fn. 91, 92) erlangte die Vorschrift ungeahnte Publizität (Rüping GA 1977 298; vgl. auch Herzog NK Rdn. 2) durch das Transplantationsrecht, dessen jahrzehntelange Reformdiskussion vor dem Hintergrund der möglichen Strafbarkeit eigenmächtiger Organentnahmen nach der ersten Alternative seines Absatzes 1 30 geführt worden ist, und die mit dem Transplantationsgesetz31 einen zumindest vorläufigen Abschluß gefunden hat. a) Ausgelöst wurde die Diskussion um ein Transplantationsgesetz durch die rasanten Fortschritte der medizinischen Wissenschaft auf dem Gebiet der homologen Transplantationsmedizin. Ihre Anfange reichen weit zurück. Hinweise auf entsprechende chirurgische Techniken finden sich bereits in frühen ägyptischen Papyri (The Encyclopädia Americana, Volume 27 [1995] 18) sowie in Beschreibungen der altchinesischen32 und altindischen33 Medizin. Freilich wäre verfehlt, die ersten Versuche, menschliche Gewebe und Organe zu verpflanzen, als geradlinige Vorstufen unserer heutigen Transplantationsmedizin zu verstehen (Herrig S. 42 f). Deren eigentliche Geschichte beginnt mit dem Übergang von der plastischen Chirurgie zur Transplantation, den Ende des 19. Jahrhunderts die Erkenntnis einleitete, daß eine Krankheit, die auf dem Versagen eines Organs beruht, durch die Einbringung eines gesunden fremden Organs, das die Funktion des kranken Organs ersetzt, geheilt werden kann {Schlich S. 11, 15). Freilich war es bis zu erfolgreichen Organtransplantationen beim Menschen noch ein weiter Weg. Nach Entwicklung der erforderlichen Operationstechniken galt es vor allem, die immunologischen Voraussetzungen bei Allotransplantationen entscheidend zu verbessern. Letzteres gelang ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Inzwischen ist die Übertragung von Blutkonserven, Hornhaut, Knochen, Knorpel, Haut, Knochenmark, Fett und Teilen anderer Gewebe längst medizinische Routine. Auch die Verpflanzung ganzer Organe nahm zu, nachdem die Funktionsdauer der Transplantate immer mehr verlängert werden konnte. Sie sind ebenfalls alltägliche Realität.34 Mit dem Siegeszug der Organtransplantation wuchs der Bedarf an Transplantaten.35 Die Notwendigkeit ihrer Beschaffung ließ Konflikte entstehen, denen das geltende Recht nicht oder nur bedingt gewachsen war. Es fehlte jede rechtliche Möglichkeit, der drohenden Kommerzialisierung einer Zustimmung zur Explantation wie überhaupt dem Handel mit Organen entgegenzuwirken. Vor allem aber bestand große Unsicherheit, wie eigenmächtig vorgenommene postmortale Organentnahmen straf- und zivilrechtlich einzuordnen sind. Die Rechtslage war dieselbe, wie sie für die Beurteilung der Entnahme von Leichenteilen bei eigenmächtigen

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Dessen Schutz in diesem Bereich ebenso unzulänglich war, wie er es der bei unerlaubten Sektionen noch immer ist (vgl. Rdn. 4). Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz TPG) vom 5.11.1997 (BGBl. I 2613). Kühn Motivationslösung S. 20 f; Nagel Möglichkeiten S. 199, 200; Nagel!Schmidt S. 1 ; £ Wagner S. 11. Diepgen Geschichte der Medizin, Bd. 1 (1949) S. 44; ferner Leopold S. 675; PaterlRaman S. 13; VogtlKarbaum S. 7; E. Wagner S. 11. Für die indische Technik ist bemerkenswert, daß sie ihre Ausbildung dem indischen Strafrecht verdankt.

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Indem es bestimmte Taten mit dem Abschneiden von Nase und Ohren ahndete, war die Wiederherstellungschirurgie gefordert, deren Resultat als „indische Rhinoplastik" medizinische Berühmtheit erlangt hat (Diepgen a. a. O.). Ausführlich zur Geschichte der Organtransplantation Dippel Festschrift Hanack S. 666 ff; vgl. auch Gragert S. 3 ff; NickellSchmidt-Preisigkel Sengler Einführung Rdn. 1. So berichtet Heberer schon 1995, daß 34000 Wartende einem Angebot von 2000 Organen gegenüberstehen, was bei entsprechender Hochrechnung dem gesamten Spendenangebot der nächsten 17 Jahre entspreche (S. 154).

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Sektionen noch immer gilt. Auf die Erläuterungen dazu (Rdn. 4) kann verwiesen werden. b) Das Ausmaß der Reformdiskussion entsprach der Bedeutung ihres zentralen 7 Streitpunktes, den Voraussetzungen, unter denen die postmortale Entnahme von Leichenteilen erlaubt sein soll,36 verbunden mit der alles beherrschenden Frage des Todeszeitpunktes. Das außerordentliche Interesse, das dem Thema entgegengebracht wird, erklärt sich aus seinem kulturell-psychologischen Hintergrund. Es dringt vor in den Grenzbereich menschlicher Existenz und durchbricht dabei das Tabu, sich mit dem eigenen Tod zu befassen (vgl. § 167 a Rdn. 3, 7). Das erklärt die Scheu vor der Zuordnung von Teilen des menschlichen Körpers gleich Sachgütern. Organe werden gespendet, statt verkauft und empfangen, statt erworben. Urängste der Menschheit klingen hier an, wie sie sich etwa mit Anthropophagie, Menschenopfer, kirchlichem Bann gegen Sektion und Fetozid (Deutsch Medizinrecht Rdn. 498) verbinden. Dazu treffen mit Blick auf Spender und Empfänger zwei völlig gegensätzliche, der Organtransplantation eigene emotionale Ebenen aufeinander, auf der einen, der Spenderseite, geprägt von Unglück und Tod, auf der anderen, der Empfangerseite, getragen von Glück und Leben (Philipp BTProt. 13/92 S. 8818). Das alles initiiert neben den medizinischen, metaphysischen und rechtlichen Fragen Zweifel und Unsicherheiten ethischer, philosophischer, theologischer, nicht zuletzt auch mitmenschlicher Art. Zahlreiche Diskussionsbeiträge, namentlich zum Todeszeitpunkt, machen deutlich, daß oft gefühlsbestimmte Grundeinstellungen die Sachargumente überlagern, so wenn beispielsweise das auf Lebensrettung und Leidensüberwindung ausgerichtete Motiv der Organtransplantation in die Nähe der, völlig anders strukturierten, Euthanasie gerückt wird. 37 All das führte zur Entstehung eines Schrifttums beispiellosen Ausmaßes, 38 dem freilich zu verdanken ist, daß das Ziel der gesetzlichen Regelung, die Organspende und Organentnahme zum Zwecke der Übertragung auf andere Menschen zivil- und strafrechtlich unter Berücksichtigung auch gesundheitsrechtlicher Belange abzusichern, auf breitester Argumentationsbasis erreicht werden konnte. c) Die Kriterien einer erlaubten postmortalen Organentnahme bestimmen sich nach dem jeweiligen Rechtfertigungsmodell. aa) Von den zahlreich denkbaren Rechtfertigungsmodellen sind für die gesetzliche Regelung am Ende ernsthaft die Widerspruchslösung, die Informationslösung und die Zustimmungslösung in ihrer engen und erweiterten Form in Betracht gezogen worden. 39 Widerspruchslösung und enge Zustimmungslösung lassen nur das nachwir-

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Andere Streitpunkte, etwa die Abgrenzung der zu erfassenden Organe und Gewebe, die Lebendspende und ihr Zusammenhang mit dem Organhandel oder das Problem einer gerechten Verteilung der Organe, traten eher zurück. So noch Grevel Z R P 1995 219; hiergegen Lang Z R P 1995 461 unter Hinweis auf die ebenso diskriminierende, mit der These von der auch unter Christen noch immer lebendigen „Blutfrömmigkeit" unserer religiösen Vorzeit begründeten Behauptung von Jörns, die Gesellschaft erzeuge vorsätzlich die Unfallopfer, die sie zur Ausschlachtung für Transplantationszwecke benötige (Krieg auf unseren Straßen, Die Menschenopfer der automobilen Gesellschaft [1992] 72);

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vgl. auch Höfling MedR 19% 8; Rixen Z R P 1995 462. Vgl. allein die Angaben LK. Voraufl. „Zur Organtransplantation" und „Insbesondere: Zum Todeszeitpunkt" für die Zeit der ersten Reformdiskussion. Andere Modelle sind die Notstandslösung, die Rechtfertigung durch Sozialadaequanz, das Erklärungsmodell und die Club- oder Solidarlösung, wobei das Notstandsmodell, das unabhängig vom Willen des Verstorbenen ausschließlich die Interessen des Organempfängers berücksichtigt, trotz selbst verfassungsrechtlicher Bedenken (N. Bock S. 217ÍT; Kühn Motivationslösung S. 99ff; Kn. Müller S. 2160, noch

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kende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen gelten, erweiterte Zustimmungslösung und Informationslösung beziehen für den Fall, daß der Verstorbene eine Erklärung zur Organspende nicht abgegeben hat, die Angehörigen in den Entscheidungsprozeß ein. Nach der Widerspruchslösung ist eine Organentnahme bereits erlaubt, wenn ihr der Verstorbene zu Lebzeiten nicht widersprochen hatte. Sein Schweigen wird wie eine Zustimmung gewertet. Dem Widerspruchsmodell völlig gegensätzlich sind die Voraussetzungen der engen Zustimmungslösung. Sie erlaubt die Organentnahme nur dann, wenn der Organspender selbst ihr ausdrücklich zugestimmt hat. 40 Fehlt eine solche Erklärung, wird dies wie eine Ablehnung gewertet. Anders als die enge Zustimmungslösung wertet die erweiterte Zustimmungslösung das Fehlen einer Erklärung des Verstorbenen weder als Zustimmung noch als Ablehnung. Doch können die Angehörigen durch ihre Zustimmung die Nichterklärung des Verstorbenen ersetzen. Die Informationslösung verknüpft Elemente der erweiterten Zustimmungslösung und der Widerspruchslösung. Sie sieht vor, daß die Angehörigen, der erweiterten Zustimmungslösung entsprechend, über eine beabsichtigte Organentnahme unterrichtet werden, sie aber innerhalb einer bestimmten, ihnen mitgeteilten oder mit ihnen vereinbarten Frist der Organentnahme widersprechen müssen. Tun sie das nicht wird, der Widerspruchslösung gleich, ihr Schweigen als Zustimmung gewertet. 4 ' 9

bb) Den Vorzug verdient die erweiterte Zustimmungslösung. Zwar bietet von allen Modellen die Widerspruchslösung die transplantationsfreundlichsten Voraussetzungen, weil sie weitestgehend die Gewinnung möglichst vieler lebensfähiger Organe ermöglicht. Doch begegnen ihr durchgreifende Bedenken. Ihre Grundlage ist die Hypothese, ein jeder sei damit einverstanden, daß seine Organe im Sinne einer menschlichen Solidarität nach dem Tod verwendet werden. 42 Das ist ein hoher Anspruch, der von der allgemeinen Akzeptanz der Organtransplantation und dem generellen Bewußtsein ihres hohen Stellenwerts gedeckt sein müßte. Ob dies angenommen werden kann, ist zweifelhaft (verneinend Deutsch Z R P 1982 177; Kießling NJW 1967 537). Zudem liegt der Lösung die Vermutung der Zustimmung zugrunde. Die Lehre vom Schweigen als Zustimmung gewährt diese Rechtsfolge aber nur in sehr differenzierter Form, etwa bei der Hinnahme eines Bestätigungsschreibens oder allgemein bei einer zuvor geschaffenen Vertrauensbeziehung, die einen Widerspruch herausgefordert hätte. 43 Dies allein mit dem Hinweis auf das Empfängerinteresse und die meist vorliegende Notwendigkeit alsbaldiger Transplantation zu überspielen, kann kaum rechtens sein. Ein Gesetz, das die Bereitschaft aller Bürger, ihre Organe zu

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die meiste Beachtung gefunden hat (vgl. ζ. B. Lilie Transplantation S. 130; Linck Z R P 1975 251; Wolfslast ZTM 1 [1/1989] 44), in Österreich zunächst sogar die bevorzugte Lösung war (.Eder-Rieder ÖJZ 39 [1984] 290; Holczabeckl Kopetzki WKV 98 [1986] 417). Eine Darstellung und Erläuterung aller Rechtfertigungsmodelle findet sich bei Dippel Festschrift Hanack S. 676 ff. Als Ausnahme ist einzig die Organentnahme bei verstorbenen Kindern denkbar, sofern das Sorgerecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 G G ) die Befugnis zur „stellvertretenden" Einwilligung umfaßt (näher Höfling ZBJV 132 [1996] 806; vgl. auch Däubler-Gmelin S. 411). Zu Zweifeln, die sich dann, wenn der Hirntod nicht Tbifeïkriterium, sondern nur Entnahme-

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kriterium ist, gegen die Widerspruchslösung wie auch gegen die erweiterte Zustimmungslösung und die Informationslösung aus dem Einwand ergeben, daß der Verstorbene mit der Zustimmung zu einer Organentnahme in seine Tötung (Widerspruchslösung), die Angehörigen mit ihrem Einverständnis in eine Fremdtötung eingewilligt hätten, Rdn. 12. So die Erläuterung zu Art. 10 § 4 des belgischen Gesetzes über die Entnahme und Verpflanzung von Organen von 1986 (Wolfslast Z T M 1 [1/ 1989] 45). Deutsch Z R P 1982 177; Kunert Jura 1979 354; and. Chr. Schreiber mit der Erwägung, daß an das Schweigen zu Lebzeiten des Betroffenen keine Rechtsfolge geknüpft werde (S. 83).

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spenden, unterstellt und dem Einzelnen eine ausdrückliche Erklärung abverlangt, wenn er verhindern will, daß aus seinem Körper ab dem Todeszeitpunkt Organe entnommen werden, dürfte allgemeinem Rechtsempfinden widersprechen. 44 Gegen die Informationslösung bestehen die gleichen Bedenken, weil auch ihr eine solche Unterstellung zugrunde liegt. Sie könnte daher nur akzeptiert werden, wenn sie, wie die erweiterte Zustimmungslösung, von dem Grundsatz der ausdrücklichen Zustimmung der Angehörigen ausgeht, ausgenommen vielleicht der Fall, daß die Unterstellung dem erklärten Willen der entscheidungsbefugten Person entspricht. Die enge Zustimmungslösung trägt den Bedürfnissen der Transplantationsmedizin am wenigsten Rechnung. Sie würde die Basis für Transplantationen unerträglich verschlechtern, die Transplantationschirurgie möglicherweise weitgehend zum Erliegen bringen {Chr. Schreiber S. 82), was auch bei gewissen Erweiterungen, etwa durch ein „Botenmodell" ( H ö f l i n g ZBJV 132 [1996] 804), wonach bestimmte Angehörige den nicht dokumentierten Willen des Verstorbenen zum Ausdruck bringen können, kaum wesentlich anders wäre. Die erweiterte Zustimmungslösung räumt, wie die Widerspruchslösung und die enge Zustimmungslösung, im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Verstorbenen und denen des Organempfangers dem Nachwirken des Persönlichkeitsrechts Vorrang ein, indem sie vorsieht, daß die Entscheidung der Angehörigen als nur stellvertretende Befugnis sich an dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu orientieren hat. Solchermaßen die Einwilligung, wie sie zuletzt ihre dogmatische Ausgestaltung bei Roxin gefunden hat (BT I S. 454 bis 497), 45 der Lösung zugrundezulegen, ist das rechtlich sicherste, aber auch den widerstreitenden Interessen angemessenste Fundament für eine Organentnahme. 46 Freilich verlangt diese Lösung aktives Handeln der Angehörigen in der besonderen Situation, wie sie durch die Konfrontation mit der Todesnachricht geprägt ist.47 Doch wird ein erfahrener Arzt in einem einfühlsamen Gespräch ihr gerecht werden können. 48

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Vgl. jedoch Roxin Schutz S. 109; auch ist bemerkenswert, daß das Widerspruchsmodell, vom Europäischen Parlament in einer Entschließung empfohlen (vgl. BTDrucks. 8/2840; Kn. Müller S. 218), mit Ausnahme von Großbritannien, der Türkei und einigen Kantonen der Schweiz allen europäischen Transplantationsgesetzen zugrunde liegt, teilweise freilich eingeschränkt durch mögliche und zu respektierende Hinderungsmöglichkeiten der Angehörigen (Lilie Transplantation S. 130, 136; Wolfslast ZTM 1 [1/1989] 44 ff). Vgl. dazu auch Herrig speziell zur dogmatischen Einordnung der Einwilligung als Gestaltung der Transplantatentnahme (S. 112 0Sie entspricht der bisherigen Praxis, auf die sich die Ärzteschaft verständigt hatte, festgehalten im Transplantationskodex der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren in der Bundesrepublik Deutschland e.V. von 1987, der die maßgeblichen medizinischen, ärztlichen, ethischen und juristischen Grundsätze zusammenfaßt (abgedruckt in der überarbeiteten Fassung von 1992 ZTM 7 [1995] 154; ferner bei Deutsch Arztrecht 2 S. 269). Regel Nr. 2 lautet: „Die Organentnahme wird in Übereinstimmung mit den gegenwärtig geltenden Rechtsgrundsätzen

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nur bei Einwilligung des Verstorbenen oder seiner Angehörigen vorgenommen." Vgl. dazu ζ. B. auch II A 1 der Medizinisch-ethischen Richtlinien für die Organtransplantationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SÄZ 76 [1995] 1389). Nach Wolfslast birgt das Informationsmodell, bei dem die Angehörigen sich, wenn sie wollen, passiv verhalten können, gegenüber der erweiterten Zustimmungslösung insofern eine Entlastung für sie, als in der durch die Konfrontation mit der Todesnachricht geprägten Situation es leichter sein dürfte, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen, als aktiv zu werden, um die erwartete positive Entscheidung zu treffen (ZTM 1 [1/1989] 46). Zu den praktischen Schwierigkeiten der Gesprächsführung mit den Angehörigen BrunsI Debong!Andreas AR 33 (1998) 285; Eibach Menschenwürde S. 497f; Eigler M M W 122 (1980) 1117; Fuchs Tod S. 57; Opderbecke AnInt. 27 (1986) 389; Penning!Liebhardt S. 441; Pichlmayr Chirurg 51 (1980) 347; Stapenhorst Betrachtungen S. 86; Roxin Schutz S. 102; vgl. dazu die Empfehlung der Richtlinien zur Definition und Feststellung des Todes im Hinblick auf die Organtransplantation der Schweizeri-

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d) Der Todeszeitpunkt bestimmt sich nach dem normativen Todesbegriff und den medizinisch-beweismäßigen Todesfeststellungskriterien. aa) Der Tod ist das Ende des Menschseins. Da der Tod nicht alle Teile des Körpers zur gleichen Zeit und in gleichem Umfang erfaßt, tritt er nicht in einem bestimmten Moment ein, sondern im Laufe eines Prozesses, der sich in verschiedenen Stufen vollzieht. 49 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, durch eine Setzung innerhalb des Sterbevorgangs (Funck MedR 1992 184; Herrig S. 83) einen Todeszeitpunkt festzulegen, an den sich Rechtsfolgen knüpfen können, so der Erbfall, die Beendigung familienrechtlicher und vertraglicher Beziehungen, beispielsweise des Dienstverhältnisses und des Versicherungsschutzes, der Beginn der Rentenzahlungen an Hinterbliebene, die Zulässigkeit der Explantation, der Sektion und der Sterbehilfe sowie das Ende strafrechtlicher Verantwortung. 50 Anders als den Beginn der Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) hat das Gesetz die Grenze der natürlichen Rechtsfähigkeit, den Zeitpunkt des Todes, nirgendwo näher bestimmt. 51 Es gibt gute Gründe, es dabei zu belassen. 52 Soweit die Todeskriterien in Frage stehen, könnte eine Regelung selbst nur von Mindestvoraussetzungen durch die Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über kurz oder lang überholt sein. Allein den Todesbegriff festzuschreiben besteht kein Bedürfnis. 53 Hiervon abgesehen ist aber auch zweifelhaft, ob der Gesetzgeber dazu befugt wäre. Darüber ist in der Reformdiskussion heftiger Streit entstanden. Die Befürworter halten eine gesetzliche Bestimmung des Todeszeitpunktes für notwendig, weil sonst Organentnahmen unter die Tötungstatbestände, insbesondere § 216, fielen und ein Tor für aktive Euthanasie öffnen könnten. 54 Es dürfte aber bereits fraglich sein, ob dieser Einwand, wäre er sachlich richtig, sich rein gesetzesdefinitorisch ausräumen ließe.55 Er trifft indessen nicht einmal zu. Denn der Verstorbene willigt mit seiner zu Lebzeiten erklärten Bereitschaft zur Organspende nicht in seine Tötung ein,

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sehen Akademie der Wissenschaften (SÄZ 77 [1996] 1774). Trotz der situationsbedingten besonderen Erschwernis soll die Bereitschaft der Angehörigen, in eine Organentnahme einzuwilligen, sehr hoch sein (Chr. Schreiber S. 81). Dazu ausführlich Eibach Menschenwürde S. 68 ff; Oduncu Medizinstrafrecht S. 229 ff; vgl. auch Horndasch S. 88; Lilie Leben und Tod S. 167, 169; Kn. Müller S. 54; Schroth Vorgänge 36(2/1997) 46. Deutsch Medizinrecht Rdn. 405; Herrig S. 89; Lilie Leben und Tod S. 167, 170; TröndlelFischer Vor §211 Rdn. 5. Herrig S. 74; Kießling N J W 1969 536; Kretschmer S. 247; Kn. Müller S. 54; Schroth Vorgänge 36 (2/1997) 48; Stapenhorst Betrachtungen S. 84; Stratenwerth Festschrift Engisch S. 544. Bucher bemerkt zur derselben Lage im schweizerischen Recht, das in Art. 31 Satz 1 Z G zwar bestimmt, daß die Persönlichkeit mit dem Tod endet, jedoch ebenfalls keinerlei Hinweis zum Begriff des Todes und zur Bestimmung des Todeszeitpunktes enthält, daß der Gesetzgeber damit auf den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaften verweisen wollte (S. 54 Rdn. 216). Vgl. schon den vergeblichen Versuch, in § 1 BGB auch das Ende der natürlichen Rechtsfähigkeit zu regeln und die Motive des Gesetz-

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gebers, davon abzusehen, dargestellt bei Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 8f mit Fn. 11. Hanack DÄB1. 66 (1969) 1323; Samson Rechtliche Probleme S. 37: Tröndlel Fischer Rdn. 15; and. Sehl Schröder lEser Vorbem §§ 21 Iff Rdn. 20; vgl. auch BayIRömer S. 17; Blei JA 1970 271; Bokkelmann Strafrecht S. 118; v. Bubnoff G A 1968 77; Carstens Z R P 1979 147; Englert S. 86fT; Geilen Legislative Erwägungen S. 319f; Heinitz S. 19f; Hilchenbach S. 258; Kaiser Tod S. 47; Kollmann FamRZ 1969 575; Lüttger JR 1971 319; Roxin Problematik S. 302; Saerbeck S. 137; Samson Rechtliche Probleme S. 22, 37; Sternberg-Lieben JA 1997 87; Stratenwerth S. 547; Wagner!Brocker Z R P 1996 230; Wawersik DÄB1. 66(1969) 1318. Heun JZ 1996 213, 618; Kluth ZfL 5 (1996) 3; KluthlSander DVB1. 1996 1285; Sengler/Schmidt MedR 1997 243; vgl. auch H.G. Baumann S. 21; Englert S. 89ff; Funck MedR 1992 184; Merkel Jura 1999 122; J.G. Meyer Zeichen S. 9; Müsch JuS 1995 790; Oduncu StimZt. 215 (1997) 680; Sehl Schröder!Eser Vorbem §§ 21 Iff Rdn. 19; Sternberg-Lieben JA 1997 87. Tröndlel Fischer Rdn. 15; vgl. auch v. Bubnoff G A 1968 65; Hanack DÄB1. 66 (1969)1323; Henninger S. 43; Höfling ZBJV 132 (1996) 802; Lüttger JR 1971 319.

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sondern nur in die Lebensverlängerung während des Sterbeprozesses, sobald dieser in ein unumkehrbares Stadium getreten ist, damit im Interesse einer Lebensrettung oder Leidensminderung Dritter Organe entnommen werden können. 56 Tod als Ende des Lebens ist ein rechtlicher Begriff (Herrig S. 77; TröndlelFischer Vor § 211 Rdn. 5). Ihn zu definieren kann daher nicht allein Vorgegebenheiten aus den empirischen Wissenschaften überlassen bleiben. 57 Letztlich beruht der Todesbegriff auf einer normativen Konvention,58 Aber auch die Festlegung der vom TodesbegrifT streng zu unterscheidenden (SehlSchröder!Eser Vorbem §§ 21 Iff Rdn. 18; vgl. auch Merkel Früheuthanasie S. 113f) Todesfeststellungskriterien fallt nicht in die Monopolstellung der Medizin, weil sie auch normativen Bewertungen unterliegt (Höfling ZBJV 132 [1996] 796 f; Birnbacher S. 15; vgl. jedoch Lilie Leben und Tod S. 171). Mag daher dem Gesetzgeber auch die Legitimation fehlen, den Todeszeitpunkt gesetzlich festzulegen, so hat er jedenfalls aber die Befugnis, wenn nicht sogar die Pflicht zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch für das Recht als tot zu behandeln ist.59 Für das Strafrecht ist dabei nach wie vor an einem einheitlichen Todeszeitpunkt festzuhalten. 60 bb) Bei den für die Todesfeststellung maßgeblichen medizinisch-beweismäßigen 11 Kriterien ergab sich so lange kein Problem, als es ausreichte, sichere Todeszeichen, wie Totenflecke, Totenstarre und Fäulnis, im Sinne des durch den völligen Ausfall jeglicher biologischer Lebensregungen gekennzeichneten Totaltods (dazu Eibach Menschenwürde S. 68; Gerlach AR 17 [1982] 262; Kn. Müller S. 64) abzuwarten. Daher hatte in der alten Medizin der unmittelbare Zeitpunkt des Todes keine vordergründige

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Hofflin der Schmitten Universitas 50 (1995) 330; Höfling MedR 1996 8; ZBJV 132 (1996) 804 (T; Höfling!Rixen S. 97; Kn. Müller S. 54 f; Tröndle ZfL 6 (1997) 4; Tröndlel Fischer, dazu mit dem Hinweis, daß der Einwand die Organtransplantation überhaupt diskriminiert (Rdn. 15); ferner Lütz S. 496 ff; Mieth S. 461; ¡Volbert EthMed. 8 (1996) 16. Dazu R. Beckmann Z R P 1996 220; Deutsch Medizinrecht Rdn. 405; Funck MedR 1992 184; Gallwas JZ 1996 851; Höfling JZ 1995 26; ZBJV 132 (1996) 975; Kretschmer S. 507; Kn. Müller S. 56; Rixen Z R P 1995 462; Tröndlel Fischer Vor § 211 Rdn. 5; vgl. auch Knoche BTProt. 13/8875. Seh!Schröder!Eser Vorbem §§ 21 Iff Rdn. 19; ferner Herrig S. 77; Heun JZ 1996 214; Horndasch S. 90; Laufs NervA 56 (1985) 399; Lilie Leben und Tod S. 169; Kn. Müller S. 56; H.-L. Schreiber JZ 1983 593. Lilie Transplantationsgesetz S. 94; Leben und Tod S. 168; E. Steffen N J W 1967 1619; Tröndlel Fischer Vor § 211 Rdn. 5. Extrembeispiel ist die Todeserklärung von Verschollenen, durch die nur um der Wiederheirat des Ehepartners oder der Zuordnung des hinterlassenen Vermögens willen Menschen, die möglicherweise noch leben, als tot betrachtet werden (TröndlelFischer Vor § 211 Rdn. 4). Andere Rechte lösen das Problem weniger radikal. So kann in der Schweiz eine verschollene Person, deren Tod wahrscheinlich ist, nicht für tot erklärt werden; doch gibt es eine Verschollenheitserklärung, die bewirkt, daß

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diejenigen, die aus dem Tod Rechte ableiten können, vom Beweis des Todes befreit sind (Bucher S. 57 Rdn. 230, S. 59 Rdn. 239). Den Gedanken an unterschiedliche Todeszeitpunkte hat die verschiedenartige Interessenlage bei Reanimationsbedürfnissen und Belangen der Organtransplantation (näher dazu Sch/Schröder/Eser Vorbem §§ 21 Iff Rdn. 16, 17) mit einerseits einem möglichst späten, andererseits einem möglichst frühen Todeszeitpunkt aufkommen lassen (Saerbeck S. 123ff; vgl. auch Deutsch Medizinrecht Rdn. 408; Englert S. 71 ff; Horndasch S. 89; Kn. Müller S. 65 f; Schönig NJW 1968 189; WeißauerlOpderbecke BayÄbl. 28 [1973] 17). Derartige interessenorientierte Todesbegriffe sind jedoch bereits mit der Resolution 613 Nr. 4 der Versammlung des Europarats vom 29.1.1976 abzulehnen. Dies gilt auch für den Kortikaltod, wie er, einer Tendenz im angelsächsischen Recht (vgl. Tröndlel Fischer Vor § 211 Rdn. 7; ferner J. G. Mayer S. 9; Oduncu Medizinstrafrecht S. 218; Wiesemann EthMed. 7 [1995] 19; Wolbert EthMed. 8 [1996] 9) folgend, von einigen Autoren mit dem Eintritt des unumkehrbaren Bewußtseinsverlusts als eigenständiger Todeszeitpunkt anerkannt wird (Dencker NStZ 1992 311,313 [Bespr. von BGH NStZ 1992 333]; Funck MedR 1992 187f; dagegen Joerden NStZ 1993 268 ff; Müsch JuS 1995 790 f; Otto BT § 2 Rdn. 11; JK § 226/4; Puppe JR 1992 513 [Anm. zu BGH JR 1992 510 = NStZ 1992 333]).

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Bedeutung.61 Als unsichere Todeszeichen gelten dann aber bereits schon die Symptome des als klassischen Todesbegriff bezeichneten klinischen Todes, also Atem- und Herzstillstand, Pulslosigkeit, Abfall der Körpertemperatur, Hautblässe und Pupillenstarre (vgl. Herrig S. 84f; J. G. Mayer S. 6; Saerbeck S. 106f). Eine neue Situation entstand, als es mit den Methoden der modernen Intensivmedizin gelungen war, den dem irreversiblen Stillstand von Atmung und Kreislauf folgenden klinischen Tod zu überbrücken. Es bot sich nun ein Todeskriterium an, das vor dem klinischen Tod liegt, der Hirntod.62 Er knüpft an den Stand des Sterbeprozesses an, ab dem jede Reanimation sinnlos erscheint und versteht sich als irreversibles Erloschensein der Gesamtfunktionen des Großhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz- und Kreislauffunktion.63 Der irreversible Ausfall des Großhirns (Kortikaltod) genügt nicht.64 Zeitpunkt des Hirntodes ist derjenige Moment, in dem die endgültigen diagnostischen Feststellungen getroffen worden sind (Kn. Müller S. 64). Das Hirntodkonzept65 stieß zum Teil auf heftige Ablehnung. Selten ist eine Auseinandersetzung, dazu quer durch die wissenschaftlichen Disziplinen, mit solcher Leidenschaft geführt worden, wie die um den Hirntod. Seine Definition war von Anfang an dem, immer wieder zitierten, Einwand des Philosophen Jonas ausgesetzt, den er als unmittelbare Reaktion auf das Harvard-Gutachten 1968 formuliert hatte, es beruhe auf pragmatischen Erwägungen und ermangele einer theoretisch überzeugenden Begründung.66 Dieser Einwand ließ sich leicht auf die Formel bringen, die neue Definition des Todes sei nichts anderes als eine Konstruktion zum Zwecke des frühen Zugriffs auf einen komatösen, noch lebenden Menschen im Interesse der Transplantationsmedizin.67 Den tieferen Grund des Streits hat R. Keller herausgearbeitet.68 Er vertritt die These, daß moderne Wissenschaft und Technik mit der ihnen immanenten Tendenz, sozial als solche anerkannte Gegenstände analysierend

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Zu den Vorstellungen über Tod und Todeszeitpunkt in der antiken Medizin und ihren Veränderungen im Mittelalter und in der Neuzeit ausführlich J. G. Mayer S. 1 ff; ferner Culmann S. 53 ff; vgl. dazu auch § 167 a Rdn. 6, 7, 13. Der Begriff ist nicht neu. Als erster hat ihn Ende des 18. Jahrhunderts Bichat im Zusammenhang der Erkenntnis, daß der Tod nicht alle Lebensfunktionen zu gleicher Zeit erfaßt, verwendet (Oduncu Medizinstrafrecht S. 232). Eine wissenschaftliche Umschreibung („coma dépassé") gelang 1959 Mollaret und Goulon (Hofflin der Schmitten Kritik S. 155; J. G. Mayer S. 7), wobei nach dem damaligen Todesverständnis solche Patienten aber nicht als tot galten (Höfling ZBJV 132 [1996] 792). Normativ wurde der Hirntod von medizinischen Autoritäten 1968 definiert (Beecher et al. A Definition of Irreversible Coma, Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death, JAMA 205 [1968] 85fl), sieben Monate nach der von weltweitem Aufsehen begeleiteten ersten Verpflanzung des Herzens einer jungen Frau, der Tage zuvor das Gehirn bei einem Unfall zerstört worden war, durch Barnard. Die Kriterien des Gutachtens sind aufgeführt z.B. bei Spirgatis S. 55; Stapenhorst Betrachtungen S. 18.

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So die seit je weit überwiegende Auffassung (Fundstellen LK Vorauf!. Rdn. 10 Fn. 19, zu Verfechtern des Kortikaltodes Rdn. 10 Fn. 20). Deren Voraussetzungen und Vorbedingungen ständig weiterentwickelt werden (vgl. dazu Rdn. 12 mit den Hinweisen Fn. 72 bis 74). Zum neusten Stand des prinzipiellen Vorgehens bei der Diagnosestellung Pohlmann-Eden Hirntoddiagnose S. 67 ff. Jonas Gehirntod und menschliche Organbank, Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in: Jonas Technik, Medizin und Ethik, Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, 3. Aufl. 1990 S. 223, 233; zuletzt ausführlich gewürdigt bei V. Heyl S. 99ff; J.G.Mayer S. 8; Stapenhorst Betrachtungen S. 20 ff. Culmann spricht, ganz in diesem Sinne, von „theoretischer Willkür" (S. 135). Vgl. etwa Höfling, die Festschreibung des Hirntodkonzepts propagiere im BegrifTskostüm der Ganzheitsmedizin in Wirklichkeit eine partikularistische, eindimensionale Zerebralideologie (JZ 1995 32). Der Verlust von orientierungskräftiger Gegenständlichkeit im Strafrecht und der Normativismus, ZStW 107 (1995) 457.

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zu zerlegen, relativ beliebig neu zu komponieren und zu vervielfältigen, durch solche Überlagerung des sozialen Lebens zunehmend die strafrechtliche Wahrnehmung von Gegenständen erschwere und die strafrechtliche Bedeutung von Gegenständen mindere (a. a. O. S. 460). So habe die wissenschaftliche Analyse des Körpers es ermöglicht, von dem, was der sinnlichen Wahrnehmung als Prozeß des Sterbens erscheine, einen per se der Wahrnehmung entzogenen Teilaspekt, den irreversiblen Ausfall der Gehirnströme, artifiziell zu isolieren und zum Kriterium des Todes bei artiflziell aufrechterhaltenem leiblichen Leben zu erklären (a. a. O. S. 470). Dementsprechend sei die Kritik der Orientierung am Hirntod, indem für die Kritiker der durchblutete Körper auch nach Ausfallen der Gehirnfunktionen noch entscheidende Zeichen eines lebenden Menschen trägt, 69 der nicht durch Transplantationseingriff in Teilen vergegenständlicht werden sollte, als Festhalten an der Bedeutung, die in sinnlicher Wahrnehmung eines Gegenstandes erfaßt werde, zu verstehen, 70 während Vertreter des Hirntodes wissenschaftlich-technisch vermittelten Zeichen und Vergegenständlichungen folgten (a. a. O. S. 471). Dieses Phänomenon dürfte letztlich auch der gedankliche Hintergrund der leidenschaftlichen Ablehnung des Hirntodkonzepts durch Jonas sein. Nur kommt R. Keller, anders als Jonas, zu dem Schluß, daß die Hirntod-Orientierung des Strafrechts sich als zeitgemäß und in einem weiteren Sinne funktional erweise, weil für das Überleben in der verwissenschaftlichen und technisierten Welt der Körper zunehmend weniger wichtig als Intellekt und Gefühl sei (a.a.O. S. 471 f)· Das wird von denjenigen verkannt, die R. Keller auch im Ergebnis als Gegner des Hirntodkriteriums reklamieren. cc) Ungeachtet aller Einwände hat sich das Hirntodkonzept weltweit durchgesetzt. Es ist in allen westeuropäischen Ländern rechtlich anerkannt (Lilie Transplantation S. 128f), weithin auch in Deutschland. 7 ' Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat es übernommen und Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes für die deutsche Ärzteschaft erarbeitet. 72 Sie wurden mehrfach ergänzt und 69

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Was verstärkt jenes Unbehagen auslöst, das in der volkskundlichen Tradition der Vorstellung vom „lebenden Leichnam" wurzelt (Schott Z M E 45 [1999] 8f»; vgl. dazu auch § 167a Rdn. 6 und 8. Dies bringt besonders deutlich Höfling zum Ausdruck (ZBJV 132 [1996] 8000Z.B. Birnbacher MedR 1994 469ff; Hirntodkriterium S. 28 ff; Todeskriterium S. 49 ff; Böckle AuC 35 (1989) 150; Deutsch Medizinrecht Rdn. 405; Eibach Menschenwürde S. 71; Funck MedR 1992 182; Gössel I § 2 Rdn. 15; Günther S. 19; Herzog N K Rdn. 4; Heun JZ 1996 213 ff mit Erwiderung Höfling JZ 1996 615 und Schlußwort Heun JZ 1996 618; Hilgendorf JuS 1999 98; Horn SK § 212 Rdn. 5; Horndasch S. 89; Jähnke LK Vor § 211 Rdn. 8f; Joerden NStZ 1993 268; Klinge S. 125, 147; Kiesecker S. 149; Körner Z Ä F 88 (1994) 195; Hirntod S. 6 pass.; Kluth ZfL 5 (1996) 3; KluthlSander DVB1. 1996 1285; Küper BT S. 278; Lang Z R P 1995 457; Laufs Arztrecht Rdn. 278; Leopold Festschrift Salger S. 680; Lilie Leben und Tod S. 169f; Lüttger JR 1971 311; Madea/Henssgel Dettmeyer MedR 1999 162; R. Merkel Früheuthanasie S. 112, 166ff; Jura 1999 113ff; Nickeil

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Schmidt-PreisigkelSengler § 3 Rdn. 7; Otto BT § 2 Rdn. 10; Sehl Schröder! Eser Vorbem §§ 211 ff Rdn. 19; Chr. Schreiber S. 75; H.-L. Schreiber Festschrift Remmers S. 593; Festschrift Steffen S. 453; Schroth Vorgänge 36 (2/1997) 48f; Sengler/ Schmidt MedR 1997 241; Spittler Universitas 50 (1995) 313ff; EthMed. 7 (1995) 128; E. Steffen N J W 1997 1619; Sternberg-Lieben JA 1997 80 ff; Wagneri Brocker Z R P 1996 226; R. Weber ZfL 11 (2002) 99; Wessels/Hetlinger Rdn. 21; vgl. auch TröndlelFischer Vor § 211 Rdn. 6, 7 (seit Schwarz!Dreher29 Vor § 211 Anm. 2 A mit der ersten juristischen Definition des Hirntodes). Vgl. ergänzend die Angaben LK Voraufl. Rdn. 8 Fn. 18. Die Rechtsprechung hat den Eintritt des Gesamthirntodes zumindest im Erbrecht als Todeszeitpunkt anerkannt (OLG Frankfurt FamRZ 1998 190; O L G Köln FamR Z 1992 860. 72

Stellungnahme zur Frage der Kriterien des Himtodes (DÄB1. 79 [1982] A/B^t5). Teilweise war das Himtodkonzept schon früher befürwortet worden, so in den Empfehlungen der Kommission für Reanimation und Organtransplantation der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (Chirurg 39 [1968] 196; DABI. 65 [1968] 1113),

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fortgeschrieben,73 zuletzt nach Erlaß des Transplantationsgesetzes.74 Im Hinblick insbesondere auf die Zweifel, die auch in der medizinischen Wissenschaft gegen das Hirntodkonzept erhoben werden,75 wird die Feststellung des Hirntodes als Kriterium des Todes für Organentnahmen nach den Grundsätzen der erweiterten Zustimmungslösung weiterhin in Frage gestellt und ihr nur die Bedeutung eines Entnahmekriteriums im Rahmen der engen Zustimmungslösung zugemessen. Ausgehend von der Erfahrung des Todes als eines oft langsam voranschreitenden Prozesses mit allmählichem und unterschiedlich schnell ablaufendem Absterben der verschiedenen Organe und Funktionen des menschlichen Körpers (Rdn. 10), der sich nicht schon in der Funktionsunfähigkeit eines einzelnen Organs manifestiert, sondern erst in dem unwiderruflichen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des menschlichen Organismus als Einheit wesentlich beteiligt sind, nämlich Herz, Lunge und Gehirn, sehen die Vertreter dieser Auffassung die Grenze zwischen Leben und Tod im Sinne des noch Lebend- und dem bereits Tot-Seins nicht als eindeutig geklärt an und folgern daraus, daß Hirntote Sterbende im Zustand unumkehrbaren Hirnversagens seien, denen der Schutz des Art. 2 Satz 1 GG nicht versagt bleiben könne.76 Diese Sicht muß sich mit dem Einwand auseinandersetzen, daß dann die Einwilligung in die Organentnahme durch den Spender auf die Anerkennung einer privatautonomen Verfügung über das Leben und eine Ermächtigung der Ärzte zu tatbestandlichem Töten hinauslaufe, die sich bei solcher Einwilligung und im Wissen um das Leben des Patienten mit der Organentnahme einer (versuchten) Tötung auf Verlangen schuldig machten (§ 216).77 Er läßt sich kaum mit dem Argument entkräften, die auf der Grundlage des

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Wiederbelebung (Chirurg 39 [1968] 197) und der Deutschen EEG-Gesellschaft zur Bestimmung der Todeszeit (EEG-EMG 1 [1970] 53); vgl. dazu auch die Erklärung von Sydney des Weltärztebundes vom 19.8.1968 (DÄB1. 65 [1968] 1865); ferner die Richtlinien für die Definition um die Diagnose des Todes der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften (SJZ 65 [1969] 248), zuletzt fortgeschrieben als Richtlinien zur Definition und Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen (SÄZ 77 [1996] 1773; dazu Bucher S. 54 Rdn. 216). So 1986 (DÄB1. 83 [1986] A-2940); 1991 (DÄB1. 88 [1991] A-4396); 1993 (DÄB1. 90 [1993] A2933 und 1997 (DÄB1. 94 [1997] A-1296); ebenfalls weiterführend die gemeinsame Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Anaesthesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Physiologischen Gesellschaft von 1994 (zit. bei Höfling ZBJV 132 [1996] 798 f und Stapenhorst Betrachtungen S. 25). Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz (TPG), DÄB1. 95 (1998) A-1861. Z.B. Bavastro Z R P 1999 114ff; Gerlach M M W 111 (1969) 732; Hofflin der Schmitten Kritik S. 190 ff; Universitas 50 (1995) 331 ff; Linke D n O 42 (1988) 172ff; EthMed. 3 (1991) 59ff; Hirntod S. 97ff; Hirnverpflanzung S. 123; Lütz S. 496ff; Roth!Dicke S. 5Iff; Stapenhorst Eth-

Med. 8 (1996) 79ff; Betrachtungen S. 26fT; Truog S. 83 ff; vgl. dazu auch die Darlegung der medizinischen Kritik bei Rixen Lebensschutz S. 205fr und Trancile Festschrift H. J. Hirsch S. 790 f, der dazu noch auf die ablehnenden Stellungnahmen der im Gesetzgebungsverfahren angehörten medizinischen Sachverständigen Bavastro, Börner und Geisler (BTGesAProt. 13/17 S. 360, 364, 429) hinweist. 76

In diesem Sinne R. Beckmann Z R P 1996 219ff; Dreierl Schulze-Fielitz Art. 2 Abs. 2 Rdn. 16; Gattwas JZ 1996 852; Grewel Z R P 1995 219; Hoff S. 25 ff; Hofflin der Schmitten Kritik S. 153ff; Universitas 50 (1995) 313ff; Höfling JZ 1995 26 f; JZ 1996 616 (Erwiderung auf Heun JZ 1996 213; Universitas 50 (1995) 358fT; MedR 1996 6 ff; Höfling!Rixen S. 97; Rixen Z R P 1995 461 ff; EvKomm. 29 (1996) 136; Lebensschutz S. 247ff (Zusammenfassung S. 389ff); Jörns EvKomm. 25 (1992) 594; Mieth S. 458 ff; Plieth LM 33 (12/1994) 26fT; Schmidt-Jortzig S. 7ff; in der Schmitten S. 25 ff; in der Schmitten!Hoff BerlÄ 32 (5/1995) 28flf; Tröndle ZfL 5 (1996) 40ff; Organentnahme S. 53fT; Festschrift H. J. Hirsch S. 78Iff; ferner, aus seelsorgerischer Sicht, R. Weber ZfL 11 (2002) 99; v. Hey! S. 101 f; krit. auch schon Geilen Festschrift Heinitz S. 373 ff; Stratenwerth Festschrift Engisch S. 528 ff.

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Heun JZ 1996 213, 618; Kluth ZfL 5 (1996) 9; KluthlSander DVB1. 1996 1286 Fn. 16; Wagner! Brocker Z R P 1996 230.

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zuvor erklärten Einverständnisses vorgenommene Organentnahme bei einem Sterbenden werde bereits vom Normzweck des § 216, der lediglich vor Voreiligkeit schützen wolle, nicht erfaßt (Höfling MedR 1996 8). Denn § 216 dient eher primär dem Schutz des Verbots aktiver Fremdtötung und reicht damit weit über den Schutz des Lebens Sterbewilliger hinaus. Aber selbst wenn der Schutz vor Voreiligkeit sich als das einzige Motiv des Gesetzgebers nachweisen ließe, wäre es irrig, darin allein die Funktion des § 216 zu sehen, weil auch derjenige, bei dem Voreiligkeit schlechterdings auszuschließen ist, nicht allein auf sein Verlangen hin getötet werden darf (R. Merkel Jura 1999 120). Anders dürfte es bei dem Argument liegen, daß der Verstorbene mit der zu Lebzeiten rechtswirksam erklärten Zustimmung zur Organspende eben nicht in seine Tötung eingewilligt hat (vgl. schon Rdn. 10 mit Fn. 56). Seine Grundrechte behält ein Mensch bis zum Tod. Auch einem Sterbenden kann das Recht, über den Modus seines eigenen unumkehrbar gewordenen Sterbeprozesses selbst zu bestimmen, nicht versagt werden (TröndlelFischer Rdn. 15; ferner Höfling ZBJV 132 [1996] 804f; vgl. auch Stern III/2 S. 907ff). Im übrigen läßt sich sogar die Auffassung vertreten, daß es sich nicht einmal um aktives Töten handelt, sondern um ein Unterlassen der Weiterbehandlung, das dem Arzt nicht vorgeworfen werden kann, weil nach Feststellung des Hirntodes eine Pflicht, den Patienten in das Leben zurückzuholen, nicht mehr besteht (.Kretschmer S. 511). c) Im Gesetzgebungsverfahren führte erst ein zweiter Reformversuch zum Erfolg. aa) Den ersten Entwurf einer bundeseinheitlichen Regelung des Transplantationsrechts 78 legte die Bundesregierung am 13.9.1978 vor, als andere europäische Staaten die Organtransplantation bereits weitgehend gesetzlich geregelt hatten 79 und auch im anderen Teil Deutschlands schon Rechtssicherheit auf diesem Gebiet geschaffen worden war.80 Allerdings beruhte er auf umfangreichen Vorarbeiten. 81 Wegen berechtigter Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (vgl. insb. Link JZ 1973 765) war

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Entwurf eines Gesetzes über Eingriffe an Verstorbenen zu Transplantationszwecken (Transplantationsgesetz), BTDrucks. 8/2681 S. 3 ff (Anlage 1). Angaben bei Bockelmann Strafrecht des Arztes S. 117f; Bruggerl Kühn S. 100 ff; v. Bubnoff G A 1968 79ff; Carstens S. 32ff; Hände! MedKl. 66 (1971) 400 ff; Heinitz S. 26 ff; H. R. Hoffmann D ö G 12 (1950/51) 26f; Kübler S. 32; Pribilla Z R M 78 (1976) 217ff; Reitelmann A R 5 (1970) 5; Siegrist M M W 111 (1969) 744 mit Anm. 33, 61 bis 66; Sturm J Z 1979 699 Fn. 13; dazu auch Calne Journal of The Royal Society of Medicine 1978 480 (Großbritannien - H u m a n Tissue Act 1961); Ernst Transplantationsstreit in England, M M W 122 (1980) 1749; N. N. D R i Z 1968 21 l f (Dänemark); ferner Strauß Transplantation menschlicher Organe und Gewebe: Die neue südafrikanische Gesetzgebung, Z S t W 85 (1973) 741; United Nations Report E/CN.4/1172/ Add. 1 vom 19.6.1975; aus neuerer Zeit Höfling ZBJV 132 (1996) 788ff; A. Jung Die französische Rechtslage auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin, M e d R 1996 355; Kühn Motivationslösung S. 31 ff; Lilie Transplantation

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S. 127 ff; Nickel E n t n a h m e S. 22 ff; NickelI Schmidt-PreisigkelSengler S. 6ff; Wolfslast Z T M 1 (1/1989) 43 ff; WeigendIZielinska Das neue polnische Transplantationsgesetz, M e d R 1996 445. Verordnung über die D u r c h f ü h r u n g von Organtransplantationen vom 4.7.1975 (GBl. I 597). Ihr folgten die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die D u r c h f ü h r u n g von Organtransplantationen vom 29.3.1977 (GBl. I 142) und die Zweite Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen vom 5.8.1987 (GVB1.1 199). Der Regelung liegt die Widerspruchslösung zugrunde. Im Fehlen einer Regelung in der Bundesrepublik sahen DDR-Juristen ein Eingeständnis f ü r das Unvermögen, kommerzielle Schranken zu überwinden (vgl. J. Mandel Konferenz über medizinisches Recht, N J 1985 71, 72). Ausführliche Angaben, auch zu vorausgegangenen Entwürfen der Länder und der von der 42. Konferenz der Justizminister und -Senatoren gebildeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe (vgl. R d n . 5 F n . 23), LK Vorauf!. R d n . 5 Fn. 14.

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er als strafrechtliches Nebengesetz konzipiert. 82 Seine Regelung der Voraussetzungen für die erlaubte Entnahme von Teilen des menschlichen Körpers beruht auf der Widerspruchslösung. Der Bundesrat nahm in Form eines vollständigen Gegenentwurfs Stellung, dem die erweiterte Zustimmungslösung zugrunde liegt.83 In ihrer Gegenäußerung verteidigte die Bundesregierung die Widerspruchslösung mit dem Hinweis darauf, daß nicht genügend Menschen von sich aus ihre Einwilligung in die Transplantatentnahme erklärten, um allen auf ein Transplantat angewiesenen Patienten helfen zu können; solange dafür aber keine Gewähr bestehe, erscheine es nicht unzumutbar, von demjenigen Bürger eine Erklärung zu erwarten, dem die körperliche Integrität seines Leichnams in jedem Falle unverzichtbar erscheine.84 Dennoch stieß die Widerspruchslösung im weiteren Gesetzgebungsverfahren überwiegend auf Ablehnung. 85 Hinzu kam, daß der Entwurf auch sonst hinter der erwarteten Zielsetzung, in strafrechtlichen und bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen das medizinische Interesse Einzelner wie auch der Allgemeinheit an der Verpflanzung möglichst junger und lebensfähiger Organe mit den Forderungen des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde sowie den Interessen der Hinterbliebenen eines Verstorbenen in Einklang zu bringen, weit zurückgeblieben war. Er klammert beispielsweise die schwierige Frage der Zulässigkeit der Lebendspende aus, betrachtet die Frage der Übertragung nicht durchbluteter Gewebe als ein Problem allein des Sektionsrechts und verzichtet auf eine Pönalisierung des kommerziellen Organhandels. 86 Als am Ende selbst Protagonisten der Transplantationsmedizin, von deren Seite vor allem die vom Entwurf vorgeschlagenen Regelungen nachdrücklich gefordert worden waren, zu erkennen gaben, daß eine Lösung, die nur gegen große Widerstände durchgesetzt werden könne, sicher nicht im Sinne der Transplantationstherapie sei, im übrigen die Transplantationspraxis durch das Ausbleiben des Gesetzes aber auch nicht beeinträchtigt werde,87 ließ die Bundesregierung eine Besinnungs- und Überlegungspause eintreten, um weitere Erfahrungen zu sammeln ( Vogel Ν J W 1980 629; vgl. auch Däubler-Gmelin S. 401). Mit dem Ende der 8. Legislaturperiode am 4.11.1980 verfiel der Gesetzentwurf der Diskontinuität. 14

bb) Mit dem Scheitern des ersten Reformversuchs gerieten die weiteren Bemühungen um ein bundeseinheitliches Transplantationsgesetz zwar ins Stocken, nahmen aber bald wieder eindringliche Gestalt an (vgl. Großmann RuP 1992 60). Allerdings waren es zunächst allein Vertreter der einzelnen Wissenschaften 88 und von Interessenverbänden, 89 die, unterstützt auch von den großen christlichen Kirchen 90 weiter eine gesetz82

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Nickel Entnahme S. 62; Nickel!Schmidt-Preisigke/Sengler Einführung Rdn. 18; vgl. auch Rdn. 15 mit Fn. 100). BRDrucks. 8/395-78; BRProt. 8/465-78 S. 438 ff; BTDrucks. 8/2681 S. 13 ff (Anlage 2). BTDrucks. 8/2681 S. 18 (Anlage 3). Zur Fragwürdigkeit dieser Argumentation Rdn. 9. So vor allem auch bei der Anhörung von Sachverständigen (BTRAusschProt. 8/76). Dippel Festschrift Hanack S. 682; vgl. auch die Würdigung bei Kunert Jura 1979 350 ff Eigler M M W 122 (1980) 1118; Pichlmayr Chirurg 51 (1980) 347; zustimmend Kern S. 2/ 803; H.-L. Schreiber Festschrift Klug S. 342; and. Penning/Liebhardt Festschrift Spann S. 440 f. Die vor allem für ein erneutes starkes Anwachsen der Veröffentlichungen zum Thema sorgten;

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vgl. nur die umfangreichen Angaben LK Vorauf!. „Zur Organtransplantation - Schrifttum der zweiten Reformdiskussion" und bei Taupitz Tod S. 38 ff (für 1990 bis 1996); dazu auch Lemke MedR 9 (1991) 282. Zu nennen vor allem die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren e. V. und der Interessenverband der Dialysepatienten und Nierentransplantierten Deutschlands e. V. Organtransplantationen, Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 31.8. 1990, Sonderdruck des Arbeitskreises Organspende, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bonn/

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liehe Klärung anmahnten. Bei der Bundesregierung hielt die Enttäuschung darüber, daß der gut vorbereitete Versuch einer Gesetzgebung gescheitert war, lange an (H.-L. Schreiber Transplantationsgesetz S. 99 f; vgl. auch schon Festschrift Klug S. 343). Noch 1988 sah die Bundesregierung keinen Anlaß, erneut initiativ zu werden (v. Biilow S. 83).91 Selbst als seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten durch das Fortbestehen der Transplantationsregelungen der DDR (Rdn. 13 Fn. 80) in den neuen Bundesländern (Art. 9 Abs. 1 EV) gespaltenes Recht in Deutschland galt,92 hielt die Bundesregierung es nicht für angebracht, erneut ein Transplantationsgesetz vorzubereiten.93 Um so stärker engagierten sich die Länder. Schon im September 1989 richtete die Konferenz der Gesundheitsminister und -Senatoren eine Ad-Hoc-Arbeitsgruppe „Transplantationsgesetz" ein, die sich unter anderem an den öffentlichen Erörterungen des im Dezember 1990 von der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren e.V. vorgelegten Entwurfs eines Transplantationsgesetzes94 beteiligte. Später erteilte sie der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten (AGLMB) den Auftrag, eine gesetzliche Regelung der Organtransplantation vorzubereiten. Im April 1991 forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der den kommerziellen Organhandel und die gewinnorientierte Vermittlung von Transplantaten verbietet (BRDrucks. 12/119-91). Dem kam das Bundesministerium der Justiz mit einem Referentenentwurf nach, der die Einführung eines § 302 in das Strafgesetzbuch vorsieht.95 Der Entwurf genügte, auch in veränderter Form, den Erwartungen nicht (Deutsch ZRP 1994 179 ff; Laufs NJW 1995 1593). In eigener Gesetzgebungskompetenz wurden die Länder Niedersachsen96 und Rheinland-Pfalz 97 initiativ. Einen von der Arbeitsgemeinschaft Leitender Mini-

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Hannover 1990. Vgl. zum Inhalt die Einschränkung bei Däubler-Gmelin S. 408 Fn. 10 (S. 415f). Was freilich vereinzelt auch sonst kompetenter Auffassung entsprach, beispielsweise von Laufs noch NJW 1995 2398; and. dann NJW 1997 1617. Näher dazu P. König S. 92 ff; Hirsch/SchmidtDidczuhn S. 30 ff; Nickel MedR 1995 147; Schmidt-Didczuhn ZRP 1991 268; ferner Danneckerl Görtz-Leíble S. 184; G. Hirsch Festschrift Heimlich S. 960; Lemke MedR 1991 282; Leopold Festschrift Saiger S. 675 f; Schreiberl Wolfslast MedR 1992 190. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die Grünen im Deutschen Bundestag BTDrucks. 11/2980 (S. 20, die ausdrücklich auch bezweckt hatte, dem Bundesgesetzgeber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung vor Augen zu führen (Einleitung S. 2). Zu entsprechenden Antworten auf weitere Anfragen, auch der Fraktion der SPD (BTDrucks. 11/3759; 11/3993; 11/6145; 11/ 7980), Nickel Entnahme S. 62 mit Fn. 268. Abgedruckt und kommentiert bei Schreiberl Wolfslast MedR 1992 190 ff; Grundsätze auch bei Lemke MedR 1991 285 ff. Diesem Entwurf liegt die Informationslösung zugrunde. Hingegen favorisierte ein Entwurf der Arbeitsgruppe Organspende in der Interessengemeinschaft der Dialysepatienten und Nierentransplantierten in Bayern e.V. das „Selbstbestimmungslösung" genannte Widerspruchsmodell (erwähnt bei

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Lemke MedR 1991 287; Schreiberl Wolfslast MedR 1992 190). ZRP-Gesetzgebungsreport ZRP 1994 288; Abdruck der Vorschrift auch bei Danneckerl Görtz-Leible S. 101; Deutsch ZRP 1994 179; Lührs ZRP 1992 302. Gesetzesantrag der SPD-Fraktion des niedersächsischen Landtags auf der Grundlage der Informationslösung (ausführlich dargestellt bei Lührs ZRP 1992 3040, der im Hinblick auf die zu erwartende bundeseinheitliche Regelung jedoch keine Mehrheit fand (vgl. BTDrucks. 13/422; 13/1126; 13/1133; ferner Nickel Entnahme S. 640Transplantationsgesetz für das Land RheinlandPfalz, beschlossen auf der Grundlage eines Entwurfs der SPD-Fraktion des rheinland-pfälzischen Landtages (LTDrucks. 12/2094/5037) mit den Kriterien der Widerspruchslösung als Entnahmevoraussetzungen (ausführlich zum Inhalt Weber/Lejeune NJW 1994 2392 ff; Angaben auch bei Kern MedR 1994 392; Nickel MedR 1995 147; Entnahme S. 620· Unter dem Eindruck heftiger Ablehnung in der Öffentlichkeit hob der Landtag das Gesetz noch vor seiner Verkündung auf (Beschluß Ziffer 1 zu LTDrucks. 12/5174/5181/ 5234/5291; dazu Deutsch NJW 1998 77; Kern MedR 1994 392; Laufs NJW 1995 1593; Nickel MedR 1995 139; Entnahme S. 63; Nickeil Schmidt-Preisigke/Sengler Einführung Rdn. 19).

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sterialbeamter nach einer öffentlichen Anhörung im hessischen Landtag erstellter Entwurf eines Mustergesetzes der Länder über die Entnahme und Übertragung von Organen, der von der Informationslösung ausgeht,98 brachten nach seiner Billigung durch die Konferenz der Gesundheitsminister und -Senatoren die Ländern Bremen und Hessen in überarbeiteter Fassung im Bundesrat ein (BRDrucks. 12/682-94). Er konnte dort im Hinblick auf das bevorstehende Ende der 12. Legislaturperiode und die Einbindung der Länder in die Vorarbeiten eines interfraktionellen Gesetzentwurfs jedoch nicht mehr abschließend behandelt werden (Nickel Entnahme S. 66; Nickeil Schmidt-Preisigkel Sengler Einführung Rdn. 20)." 15

cc) Der Weg des Transplantationsgesetzes wurde formalrechtlich durch gesetzliche Klärung der gegen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestehenden Bedenken geebnet.100 Danach brachte die Bundesregierung zunächst den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Organhandel, eine Weiterentwicklung des früheren Referentenentwurfs (Rdn. 14), ein (BTDrucks. 13/587). Am 27.4.1995 jedoch verständigte sich die Fraktion der CDU/CSU mit den Fraktionen der SPD und F.D.R sowie mit den Bundesländern, einen fraktionsübergreifenden Entwurf eines Transplantationsgesetzes zu erarbeiten, um der Gefahr vorzubeugen, das Ziel des Gesetzes, die Akzeptanz der Organspende und auch der Organübertragung zu erhöhen, durch parteipolitische Auseinandersetzungen zu verfehlen.101 Zur Vorbereitung des Entwurfs führte der Ausschuß für Gesundheit gemeinsam mit dem Rechtsausschuß am 28.6.1995 eine breit angelegte öffentliche Sachverständigenanhörung durch, um zu den beiden zentralen Punkten des erstrebten Gesetzes, dem Todeszeitpunkt und dem Rechtfertigungsmodell, eine vertiefte Grundlage für die Beratung zu schaffen.102 Die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen erachtete nach den Ergebnissen der Anhörung das Hirntodkonzept als Todeskriterium für widerlegt (Knoche BTProt. 13/8825) und brachte am 7.11.1995 den Entwurf eines Gesetzes über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) ein, der das Hirntodkonzept zur Feststellung des Todes verwirft und sich zur engen Zustimmungslösung bekennt.103 Am 16.4.1996 folgten die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und 98

Eingehende Darstellung des Inhalts bei Kern MedR 1994 389 ff mit Kommentar von Eigler MedR 1994 393 und Stellungnahme Opderbecke MedR 1995 152; vgl. auch Nickel! Schmidt-Preisigke/Sengler Einführung Rdn. 20. 99 Zu den Bemühungen um einen erneuten Reformversuch vgl. ergänzend die ausführliche Darstellung bei Dippel Festschrift Hanack S. 683 ff; eingehend auch Gragert S. 56. ,0 ° Einfügung einer neuen Nummer 26 in Art. 74 Abs. 1 GG, die dem Bundesgesetzgeber die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Transplantation von Organen und Geweben überträgt, durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I 3146). Zuvor bestanden an der Kompetenz des Bundesgesetzgebers zumindest Zweifel. Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Entwurf der Bundesregierung von 1978 war sie allerdings nicht in Frage gestellt worden (vgl. Schmidt-Didczuhn ZRP 1991 270 Fn. 40; Vogel NJW 1980 629; dazu schon Rdn. 13). Doch ließ sich die Materie der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes kaum zuordnen, auch nicht, weil ihr

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Schwergewicht im Gesundheitsrecht liegt, der konkurrierenden Gesetzgebung (näher Großmann RuP 1992 65 f). Die Grundgesetzänderung geht auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat (BTDrucks. 12/8423) zur Umsetzung der Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat zur Änderung des Grundgesetzes (BTDrucks. 12/6000) zurück. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 G G Nickel Entnahme S. 48 fl). Philipp BTProt. 13/99 S. 8819. Im Hinblick darauf sah die Bundesregierung von der Vorlage eines Regierungsentwurfs ab. Vgl. zum Ganzen auch Däubler-Gmelin S. 404f. BTGesAusschProt. 12/17 (S. 356 bis 433) mit zahlreichen Ausschußdrucksachen. Ausführliche Darstellung der Ergebnisse bei Nickel Entnahme S. 67 ff; vgl. auch die Würdigung bei Däubler-Gmelin S. 407ff; R. Fuchs Tod S. 55ÍT. BTDrucks. 13/2926. Näher zum Inhalt Nickel Entnahme S. 75; NickellSchmidt-Preisigke/Sengler Einführung Rdn. 24.

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F.D.P. mit dem gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG).104 Die gemeinsame Gesetzesvorlage steckt in den Hauptstreitpunkten, dem Todeszeitpunkt und der Beteiligung der Angehörigen an dem Entscheidungsprozeß, wenn der Verstorbene eine Erklärung zur Organspende nicht abgegeben hat, unter Vorbehalt der Ausfüllung im weiteren Gesetzgebungsverfahren nur den Rahmen ab.105 Zum Zeitpunkt des Todes schreibt der Entwurf den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion und den endgültigen, nicht behebbaren Stillstand von Herz und Kreislauf fest; doch bleibt offen, ob der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion ein sicheres Zeichen für den eingetretenen Tod des Menschen ist oder lediglich ein Zeichen für die Unumkehrbarkeit des Sterbeprozesses (BTDrucks. 13/4355 S. 12f). Bei den übrigen Voraussetzungen für die postmortale Organentnahme lehnt er die Widerspruchslösung und die Informationslösung ab, entscheidet sich bei der danach allein in Betracht kommenden Zustimmungslösung aber weder für ihre enge, noch für ihre erweiterte Form (BTDrucks. 13/4355 S. 13). Zwei Gruppenanträge 106 vom 14.3.1996107 und 17.4.1996108 ergänzten die Lücken mit alternativen Antworten auf die schwierigen rechtlichen und ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Organtransplantation selbst (Schmidt-Jortzig BTProt. 13/8839). Am 19.4.1996 fand die erste Lesung im Bundestag mit der Verweisung der Gesetzesvorlagen an den Ausschuß für Gesundheit (federführend), den Innenausschuß, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung statt.109 Der Ausschuß für Gesundheit führte zwei weitere umfangreiche Anhörungen von Sachverständigen durch, am 25.9.1996 zur Frage des Hirntodkonzepts (BTGesAusschProt. 13/64; Auszüge BTDrucks. 13/8017 S. 27ff) und am 9.10.1996 zu den anderen regelungsbedürftigen Fragen (BTGesAusschProt. 13/67). Am 17.12.1996 wurde ein weiterer Gruppenantrag eingebracht,110 den der Bundestag ebenfalls an die Ausschüsse verwies (vgl. BTDrucks. 13/8017 S. 24). Der mitberatende Rechtsausschuß hörte zur Organentnahme bei Verstorbenen nochmals Sachverständige an, die sich weit überwiegend gegen den Hirntod als Todeskriterium und für eine enge Zustimmungslösung mit dem Hirntod als Entnahmekriterium aussprachen." 1 Zur zweiten Lesung der Gesetzesentwürfe legte der federführende Gesundheitsausschuß Beschlußempfehlung und Bericht vom 23.6.1997 (BTDrucks. 13/8017) vor. Dazu wurden eine Reihe weiterer Änderungsanträge eingebracht.112 Am 25.6.1997 behandelte der Bundestag die Gesetzesvorlagen in zweiter Lesung (BTProt. 13/183 S. 16410ff). Ihr Verlauf wich dank der Aufhebung des Fraktionszwangs von den gewohnten Konfronta-

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BTDrucks. 13/4355. Er beruht in weiten Teilen auf dem Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Gesundheit vom 17.3.1995 (näher dazu Nickel Entnahme S. 67; NickellSchmidtPreisigkelSengler Einführung Rdn. 21, 23; vgl. auch Däubler-Gmelin S. 404 mit Fn. 2 [S. 414] und nahm den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Organhandel vom 19.4.1995 vollständig in sich auf (Schmidt-Jortzig BTProt. 13/99 S. 8838). Sogenanntes Omnibusmodell·, zur Entstehung des Begriffs und seiner Bedeutung Nickel Entnahme S. 73 Fn. 118. Zum Begriff Gruppenantrag Däubler-Gmelin S. 405 Fn. 4 (S. 415).

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BTDrucks. 13/4114 (Kriterien für die Übertragung und Entnahme menschlicher Organe). BTDrucks. 13/4368 (Spende, Entnahme und Übertragung von Organen). BTProt. 13/99 S. 8871 ff. Krit. zum Verfahren der ersten Lesung R. Fuchs Tod S. 79. BTDrucks. 13/6591 (Eckpunkte für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen). BTRAusschProt. 13/72, Auszug BTDrucks. 13/ 8017 S. 40; vgl. auch NickeilSchmidt-Preisigkel Sengler Einführung Rdn. 25; TröndlelFischer Rdn. 18. BTDrucks. 13/8025 bis 8028, 8030 und 8031, sämtlich erläutert bei Nickel/Schmidt-Preisigkel Sengler Einführung Rdn. 26.

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tionslinien ab. Gesundheitsminister und Justizminister, entgegengesetzte Positionen vertretend, fanden sich in den Reihen der Abgeordneten, die ihrerseits nicht in Fraktionen, sondern in Gruppen, denen jeweils Abgeordnete verschiedener Parteien angehörten, zu den Gesetzesanträgen Stellung nahmen. Die Genugtuung über dieses Verfahren, das ohne parteipolitische Grenzziehung die unbeeinflußte Hingabe an das gemeinsame Ziel gewährleistete, kam vielfach zum Ausdruck.113 Dem entsprach die Qualität der Beratung. Sie war durchdrungen vom Respekt vor der Meinung des Andersdenkenden, getragen von der spürbaren Gewißheit, daß es in den entscheidenden Punkten dieses in die sensibelsten Bereiche menschlichen Lebens greifenden Regelungen einfache Wahrheiten nicht gibt. Die Debatte hat das Ansehen des Parlaments gestärkt (Schmidt-Jorzig BTProt. 13/99 S. 8838). Darüber waren sich auch die Medien in ihren Reflektionen einig.114 Der zweiten Lesung folgten namentliche Abstimmungen zu § 3 (Todeszeitpunkt) und § 4 TPG (enge oder erweiterte Zustimmungslösung) des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf der Grundlage der eingebrachten Änderungsanträge 115 sowie die dritte Lesung mit namentlicher Schlußabstimmung.116 Alle Entscheidungen fielen mit großer Mehrheit. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz in seiner 716. Sitzung am 26.9.1997 zu." 7 Am 5.11.1997 wurde es verkündet (BGBl. I 2613) und trat am 1.12.1997 in Kraft. 118 Zugleich traten die Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen vom 4.7.1975 und die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen vom 29.3.1977 (Rdn. 13 Fn. 80) außer Kraft. 16

f) Die strafrechtliche Bedeutung des Transplantationsgesetzes liegt zum einen in den zur Sicherung seiner zentralen Bestimmungen geschaffenen neuen Tatbeständen, der Strafbarkeit des Handeltreibens mit Organen (§ 18 TPG) und der Strafbarkeit unbefugter Organentnahmen einschließlich des Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften (§ 19 TPG), zum anderen in den Auswirkungen, die seine Regelungen auf den Anwendungsbereich des § 168 und sonst auf das materielle Strafrecht entfalten, freilich aber auch darin, daß das Gesetz hinter dem strafrechtlichen Regelungsbedarf zurückgeblieben ist. aa) Die Ausgestaltung des strafbewehrten Verbots des Organhandels (§ 18 TPG), seit 1991, zunächst allerdings nur auf die Lebendspende bezogen, gefordert,119 ist vor dem Hintergrund des Geschäfts mit Organen120 und dessen internationaler Ächtung121 zu sehen. Sie hatte zu einer nahezu globalen Gesetzgebungswelle geführt (Gut113

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Z.B. Philipp (BTProt. 13/99 S. 8818), SchmidtJorzig (BTProt. 13/99 S. 8838), Däubler-Gmelin (BTProt. 13/99 S. 8843). Beispielhaft Schäffer Keine einfachen Wahrheiten und keine doktrinäre Selbstgewißheit, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 145/26 vom 26.6.1997 S. 3. BTProt. 13/183 S. 16453, 16456; endgültige Ergebnisse und Namenslisten BTProt. 13/183 S. 16479ff (Liste 1), BTProt. 13/183 S. 16491 ff (Liste 2). BTProt. 13/183 S. 16456; endgültiges Ergebnis und namentliche Abstimmung BTProt. 13/183 S. 16503ÍT (Liste 3). Dazu BRDrucks. 13/635-97 vom 5.9.1997 mit Berichtigung BRDrucks. 13/635-97 (2) vom 11.9. 1997. Ausgenommen die Regelungen des § 8 Abs. 3

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Satz 2 und 3 TPG für die Prüfung der nach Landesrecht zuständigen Kommission, ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand verbotenen Handeltreibens nach § 17 TPG ist. Sie erlangten am 1.12.1999 Geltung. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift P. König Organhandel S. 99fT; vgl. auch schon Rdn. 14. Zum Ausmaß der kommerzialisierten Organspende und deren kriminellen Variante, dem Organraub, Spirgatis S. 23; PaterlRaman S. 19 ff. Vgl. auch Dujková MedR 16 (1998) 305; Heberer S. 153; ZRP-Gesetzgebungsreport, ZRP 1994 288. Vgl. dazu die Hinweise bei Gragert S. 60 f (World Health Organisation - WHO - Guiding

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mann M e d R 1997 154; Schroth J Z 1997 1150). Der deutsche Gesetzgeber stand in der G e f a h r einer Überreaktion und ist ihr erlegen. Obwohl es an dämpfenden Stimmen nicht gefehlt hat (z.B. Deutsch Z R P 1994 149; Gutmann M e d R 1997 153ff; Schroeder Z R P 1997 266 f), sind viel zu weit reichende Vorschriften entstanden. D a s ergibt sich bereites aus der Tathandlung des Handeltreibens. Sie lehnt sich an die BegrifTlichkeit des Betäubungsmittelrechts an und erstreckt sich dementsprechend auf jede eigennützige, auf Güterumsatz gerichtete Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei nur u m gelegentliches, einmaliges oder vermittelndes Tun handelt. 1 2 2 Bezieht sich aber das Verbot auf jegliches Austauschverhältnis, fallen darunter beispielsweise auch die Überkreuz-Lebendspende, 1 2 3 bei der o f t ebenfalls materielle Interessen im Hintergrund stehen, 124 und die Spende einer Niere f ü r den transplantationsbedürftigen Elternteil gegen die Einsetzung als Alleinerbe (Schroth J Z 1997 1151; P. König Medizinstrafrecht S. 292). 125 Die dem Tatbestand zugeschriebenen Rechtsgüter, Verhinderung der Ausbeutung von Notlagen sowohl auf Seiten des potentiellen Empfangers als auch auf Seiten des Spenders, 126 Gewährleistung beider Menschenwürde, Schutz des Pietätsgefühls der Allgemeinheit, Bewahrung der Integrität der Transplantationsmedizin (vgl. BTDrucks. 13/4355 S. 15, 29), vermögen die allumfassenden Strafdrohungen nicht zu legitimieren (P. König Organhandel S. 109 ff, 256 f; Schroth J Z 1997 1150f; Festschrift Roxin S. 270 ff). Sie geben keine Antwort auf die grundsätzliche Frage, w a r u m es ausnahmslos Unrecht sein soll, wenn für ein Organ eine materielle Gegenleistung gewährt wird. 127 Auch erklären sie nicht die Durchbrechung des Verbots durch die Herausnahme bestimmter Organe (§ 1 Abs. 2 TPG), seine Verengung durch die Arzneimittelklausel (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 T P G ) und die Beschränkung auf Organe, die einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TPG). 1 2 8 Namentlich dem zumeist angeführten Schutzzweck der Verhin-

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prinziples of human organ transplantation, The Lancet vom 15.6.1991 S. 1470); Gutmann MedR 1997 148 (WHO, Human Organ Transplantation, A report in development under the auspices of the WHO, 1987 - 1991; Council of European Health Ministers, 16.-17.11. 1987); Schroeder Z R P 1997 267 (WHO, Resolution 44.25 vom 13.5.1991; Europäisches Parlament, Entschließung vom 14.9.1993). Angaben auch im Gesetzentwurf vom 16.4.1996 (BTDrucks. 13/4355 S. 15). So BGHSt. 25 290, 29 lf; 28 308, 309;29 239, 240; LG München NJW 2002 2655; ferner HG. Baumann S. 29; H.-G. Koch ZBlChir. 124 (1999) 67; P. König Organhandel S. 150ff; Nickel! Schmidt-PreisigkelSengler § 17 Rdn. 4; Schroth MedR 1999 67; Medizinstrafrecht S. 280; Festschrift Roxin S. 822ff; Tag MedR 1998 393. Auch Vorbereitungshandlungen, die den Umsatz von Organen fördern, werden damit bereits erfaßt, so daß völlig überflüssig ist, den Versuch, wie in § 18 Abs. 3 T P G geschehen, für strafbar zu erklären, es sei denn, daß auch der Versuch der Vorbereitung des Handeltreibens strafbar sein soll, was jedoch als eine einen Tatbestand entgrenzende richterliche Auslegung verfassungswidrig wäre (Schroth JZ 1977 1151 ; Medizinstrafrecht S. 278; vgl. auch P. König Organhandel S. 177).

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Hier eignen sich die Nieren der zur Spende bereiten Lebenspartner zweier transplantationsbedürftiger Personen jeweils nicht oder nur unzureichend zur Übertragung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 TPG). Über Kreuz jedoch sind die medizinischen Kriterien erfüllt. Ausführlich dazu Nickel/Schmidt-Preisigkel Sengler § 18 Rdn. 4; ferner König S. 177; Eibach ZEE 45 (1999) 227; Holznagel/Holznagel DÄB1. 95 (1998) A-1722; H.-G. Koch ZBlChir. 124 (1999) 720f; Lebend-Organspende S. 54ff; P. König Organhandel S. 177; Kühn MedR 1998 458; Reiter-Theil Z M W 45 (1999) 140f; Seidenath MedR 1998 255; Schroth JZ 1997 1151; Vorgänge 36 (2/1997) 54; MedR 1999 67f; Medizinstrafrecht S. 280 f, 288 f. R. Merkel kennzeichnet das „schwerlich akzeptable Ausmaß" der Strafbarkeit als „legislatorischen Mißgriff" (Früheuthanasie S. 114 Fn. 44). Wobei der Blick insbesondere auch auf die OrganbeschafTung aus armen Ländern fällt, dazu krit. Schroeder, der in der Anknüpfung an Vorgänge in der Dritten Welt eine „Hybris der westlichen Welt" sieht (ZRP 1997 2660; Stapenhorst Betrachtungen S. 71 ff. Schroth JZ 1997 1150; ferner Paeffgen N K § 228 Rdn. 48; Schroeder Z R P 1997 266 f; vgl. auch H. G. Hirsch Festschrift Helmrich S. 960. Zur Arzneimittelklausel und der dem Organ

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derung der Ausbeutung von Notlagen würde eher als eine Bestrafung des Organhandels bis hin zu einem Sonderstrafrecht für Ärzte (§§17 Abs. 2, 18 Abs. 1 TPG) 129 ein besonderer, etwa der Struktur des Wuchers nachgebildeter Straftatbestand gerecht werden. 130 Im übrigen treffen die Pönalisierungen des § 18 TPG mit ihrer undifferenzierten Reichweite auch Personen, die keine Notlagen ausbeuten, beispielsweise den Spender, der den Geldbetrag einzig als Ausgleich für berufliche oder gesundheitliche Beeinträchtigungen annimmt (vgl. Schroth JZ 1997 1150). Ausgenommen ist einzig ein angemessenes Entgelt für Maßnahmen, die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung geboten sind, so für die Entnahme, die Konservierung, die weitere Aufbereitung einschließlich des Infektionsschutzes, die Aufbewahrung und die Beförderung der Organe (§17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TPG; dazu krit. P. König Medizinstrafrecht S. 306ff). 131 Daß der Gesetzgeber wegen der weitreichenden Sanktionierung des Organhandels schließlich selbst ein schlechtes Gewissen (Schroth JZ 1997 1151; Medizinstrafrecht S. 278) hatte, zeigt die im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Bundestagsausschusses für Gesundheit eingefügte (vgl. Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler § 18 Rdn. 9) Bestimmung, wonach bei Organspendern und Organempfängern von einer Bestrafung abgesehen oder die Strafe gemildert werden kann (§ 18 Abs. 4 TPG). Doch wird in bestimmten Fällen, so gerade bei dem zur Begründung der Ausnahmereglung angeführten Beispiel lebensbedrohlicher Erkrankung (BTDrucks. 13/8017 S. 44), der Empfänger des Organs schon nach § 34 gerechtfertigt (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auch Rdn. 17) oder nach § 35 entschuldigt sein.132 Auch sieht diese Vorschrift sich dem Einwand mangelnder Bestimmtheit ausgesetzt. 133 Insgesamt betrachtet erweist sich das strafbewehrte Verbot des Organhandels als eine mehr „symbolische Gesetzgebung" (Gutmann Z R P 1994 114; Schroth JZ 1997 1152; vgl. auch P. König Organhandel S. 131fl). Soweit sie auch die eigene Menschenwürde des Organspenders schützt, ist sie hart paternalistisch. 134

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verliehenen Zweckbestimmung der Heilbehandlung vgl. die ausführlichen, teils kritischen Darstellungen bei P. König Organhandel S. 142, 147 ff. Dessen es nicht bedurft hätte, weil der Arzt, der als Täter oder Mittäter Organhandel betreibt, sich auf jeden Fall strafbar macht, ohne einen solchen Tatbeitrag bei vorsätzlicher Übertragung eines involvierten Organs aber Teilnehmer des Organhandels ist (Schroth Medizinstrafrecht S. 277; vgl. auch P. König Organhandel S. 201). Doch will der Gesetzgeber bereits die mittelbare Förderung der Kommerzialisierung durch Organumsatz, wie sie in dem unverzichtbaren Beitrag des Arztes zur Organtransplantation liegt (Niedermair S. 225) verhindern. Seine Strafbarkeit als Täter hebt den besonderen Unwert solchen ärztlichen Verhaltens hervor (BTDrucks. 13/4355 S. 31; Nickel! Schmidt-Preisigkel Sengler § 18 Rdn. 3). Niedermair S. 225; Schroeder Z R P 1997 266; Schroth JZ 1997 1150; Festschrift Roxin S. 878; eingehend auch P. König Organhandel S. 240 ff mit dem Formulierungsvorschlag „Organwucher" (S. 249). Entsprechend diesen Grundsätzen dürfte auch die Weitergabe von Plastinaten gegen eine Ver-

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gütung der Herstellungskosten für zulässig erachtet werden können (Tag MedR 1998 393). P. König Organhandel S. 203; Nickel!SchmidtPreisigkel Sengler § 19 Rdn. 9; Schroth Festschrift Roxin S. 839 f; vgl. auch Deutsch, der neben einer Anerkennung schuldausschließenden Notstandes zu erwägen gibt, dem Organempfänger den Gesichtspunkt subjektiver Unzumutbarkeit zugute zu halten (Medizinrecht Rdn. 521). Freilich würde dadurch der Rechtsprechung, wonach der Empfänger keinen Anspruch auf Erstattung für Aufwendungen hat, die ihm durch Selbstbeschaffung des zu transplantierenden Organs entstehen (BSG N J W 1997 3114, 3115 f; SG Lüneburg NJW 1994 1614, 1616; Holznagel/Holznagel DÄB1. 95 [1998] A-1721); P. König Organhandel S. 30f) in diesen Fällen die Grundlage entzogen. Näher Schroth JZ 1997 1151; Medizinstrafrecht S. 278; ferner Ρ König Organhandel S. 214; Medizinstrafrecht S. 305; Nickel!Schmidt-Preisigke/Sengler § 19 Rdn. 9. Gutmann MedR 1997 154; P. König Organhandel S. 115, 117; Niedermair S. 225; Paeffgen N K § 228 Rdn. 48; Schroth JZ 1997 1153f; KritV Sonderheft (2000) 170f; Festschrift Roxin S. 855 ff.

Stand: 1.7.2003

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Ihre zu weit reichenden Strafdrohungen sind der Verwirklichung des Ziels der Gesetzgebung, die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen, eher kontraproduktiv, weil nun regelmäßig kein Organ mehr entnommen werden wird, wenn auch nur ein gewisser Anschein besteht, zwischen dem Organempfánger und dem Organspender könne ein Handel stattgefunden haben (Gutmann MedR 1997 154; Schroth JZ 1997 1152, 1154). bb) Die strafrechtliche Sicherung der Entnahmevoraussetzungen einschließlich der 1 7 Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften normiert § 19 T P G in drei Tatbeständen, der Strafbarkeit unbefugter postmortaler Organentnahmen (Absatz 1), der Strafbarkeit unbefugter Organentnahmen bei Lebenden (Absatz 2) und der Strafbarkeit bei Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen (Absatz 3). Nach § 19 Abs. 1 T P G wird bestraft, wer einem Verstorbenen entgegen § 3 Abs. 1 oder 2 oder § 4 Abs. 1 Satz 2 TPG ein Organ entnimmt. Den Vorschriften liegt die erweiterte Zustimmungslösung (vgl. Rdn. 8, 9) zugrunde. Unzulässig ist eine Organentnahme bei einem zu Lebzeiten erklärten Widerspruch des Verstorbenen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG), zulässig bei seiner ausdrücklich erklärten Einwilligung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG). Liegt weder ein schriftlicher Widerspruch noch eine schriftliche Einwilligung des Verstorbenen vor, was der Arzt durch Befragung des nächsten Angehörigen festzustellen hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1TPG), wird eine Organentnahme auch durch dessen Zustimmung zulässig, wobei ein mutmaßlicher Wille des möglichen Organspenders zu beachten ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2, 3 TPG). Zur Entscheidung befugt ist der nächste Angehörige nur dann, wenn er durch persönlichen Kontakt in den letzten zwei Lebensjahren des Verstorbenen dessen mutmaßlichen Willen einschätzen kann, worüber der Arzt sich ebenfalls informieren muß (§ 4 Abs. 2 Satz 2, 3 TPG). 135 Durchgeführt werden darf die Organentnahme erst dann, wenn der Tod des Organspenders eindeutig und zweifelsfrei ärztlich festgestellt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 TPG; näher Rdn. 19). Der Eingriff muß durch einen Arzt vorgenommen werden (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 TPG). Als Schutzzweck des § 19 Abs. 1 T P G läßt sich aus dem Zusammenhang der Regelungen das Selbstbestimmungsrecht der in Betracht kommenden Person und das subsidiäre Recht anderer Personen, über eine Organentnahme zu entscheiden, entnehmen (NickellSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 3; krit. Schroth JZ 1997 1152; Seelmann S. 31f)· Trifft der nächste Angehörige mangels irgendwelcher Anhaltspunkte eine eigene Entscheidung, dürfte insoweit auch das Totenfürsorgerecht dieses Angehörigen Rechtsgut sein (Nickel! Schmidt-Preisigkel Sengler § 19 Rdn. 9).136 Offen geblieben ist,

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Danach hat der Streit, ob die Entscheidungsbefugnis der Totensorgeberechtigten ein eigenes, eine Bindung an eventuelle Vorgaben des Verstorbenen ausschließendes Recht darstellt, oder sie etwa nur treuhänderisch ein über den Tod fortwirkendes Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ausüben (Rdn. 37; vgl. auch schon § 167a Rdn. 3), für Organtransplantationen keine Bedeutung mehr. Mit der Bindung an einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders ist die Entscheidungsbefugnis, wenn ein solcher mutmaßlicher Wille sich ausmachen läßt, ein Pflichtrecht (Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 7; U. Walter FamRZ 1998 207), und der es wahrnehmende nächste Angehörige nur Sachwalter des über den Tod hinauswirkenden Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen (H. G. Baumann

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S. 21; Holznagel/Holznagel DÄB1. 95 [1988] A1718, 1720). Fehlen indessen Anhaltspunkte für einen bestimmten mutmaßlichen Willen des Verstorbenen, ist der nächste Angehörige zu einer eigenen, ethisch verantwortlichen Entscheidung im Rahmen des Totensorgerechts berufen (MiserokiSasse/Krüger § 4 Rdn. 59; U. Walter FamRZ 1998 208; im Ergebnis ebenso Schroth JZ 1997 1152). Freilich erweist sich die Bindung an den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen dadurch als „Leerformel", die den eigenen ethischen Vorstellungen des Angehörigen Platz macht (U. Walter FamRZ 1998 208; vgl. auch SchlSchröderILenckner Rdn. 8; Seelmann S. 38 f). 136

Zur Konkurrenz des § 19 Abs. 1 T P G mit § 168 Abs. 1 1. Alt. Rdn. 18,69.

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ob auch der Arzt sich strafbar macht, der in der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung des Verstorbenen, die sich nicht auf die Information des nächsten Angehörigen, sondern auf die eines Dritten gründet, der ehemaligen Geliebten etwa, die von der positiven Einstellung des Verstorbenen zu einer Organentnahme weiß, oder eines Rettungssanitäters, dem gegenüber die Verstorbene sich noch in diesem Sinne geäußert hat, ein Organ entnimmt. 137 Unklar bleibt ferner, wie zu verfahren ist, wenn sich herausstellt, daß der befragte Angehörige sich seine Entscheidungsbefugnis durch unwahre Angaben erschlichen hat (SehlSchröderILenckner Rdn. 8). Erledigt hat sich der früher überwiegend angenommene (vgl. LK Vorauf!. Rdn. 30) Rechtfertigungsgrund einer zu Lebzeiten erklärten Einwilligung des möglichen Organspenders. Liegt eine solche vor, ist die Organentnahme nunmehr schon nicht tatbestandsmäßig (Rdn. 29, 44). Grundsätzlich anwendbar bleibt auch für § 19 Abs. 1 TPG der Rechtfertigungsgrund des § 34,138 wie dies in Fällen eigenmächtiger Organentnahmen in einem Krankenhaus zum Zwecke einer konkret notwendigen Transplantation ebenfalls zuvor schon vielfach bejaht worden ist, teilweise unter Annahme der Gegenwärtigkeit der Gefahr selbst bei Explantationen zur Vorratshaltung in Gewebebanken oder zur Weiterleitung an Organverteilungszentren jedenfalls dann, wenn deren Versorgung Lücken hat. 139 Kann das benötigte Organ nicht über eine Organspende beschafft werden, besteht daher nach wie vor eine nicht anders als durch die Organentnahme abwendbare Gefahr für Leib oder Leben des Transplantationsbedürftigen und damit eine Notstandslage. Doch werden die weiteren Voraussetzungen des § 34 jetzt regelmäßig zu verneinen sein, weil die vom Transplantationsgesetz an den Widerspruch des möglichen Organspenders oder die Versagung der Zustimmung des nächsten Angehörigen geknüpfte Unzulässigkeit einer beabsichtigten Organentnahme keinesfalls durch eine Interessenabwägung verdrängt werden kann. 140 Wenn überhaupt kämen für die mögliche Annahme eines rechtfertigenden Notstands nicht Mängel an Totenspenden im Versorgungssystem, sondern nur Fälle ganz anderer Art in Betracht (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8), etwa eine konkrete Notlage bei einem bestimmten Patienten, dessen Leben nur durch diese Organübertragung gerettet werden kann (TröndlelFischer Rdn. 15; vgl. auch NickeilSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 8).141

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Verneinend Schroth in der zutreffenden Erwägung, daß die gegenteilige Auffassung strafrechtliches Systemdenken zerstören würde (JZ 1997 1152); ferner U. Walter FamRZ 1998 206; wohl auch Sehl Schröder ILenckner Rdn. 8 (dann als Rechtfertigungsgrund); and. Deutsch N J W 1998 778; krit. auch Seelmann S. 37 f. Besondere strafrechtliche Relevanz wird das Problem nicht gewinnen, weil die subjektive Bewertung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen einer objektiven Überprüfung durch den Arzt kaum zugänglich sein dürfte (NickellSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 5) Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler § 19 Rdn. 8 unter Hinweis auf den im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffenen Vorschlag des Gesetzentwurfs BTDrucks. 13/2926 (vgl. Rdn. 15 mit Fn. 100), die Anwendung des rechtfertigenden Notstandes bei einer Organentnahme ohne vorliegende Einwilligung auszuschließen (§ 7, Begr. S. 16); vgl. dazu auch Nickel S. 180 mit Fn. 736).

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Vgl. LK Vorauf! Rdn. 32 bis 34 mit ausführlichen Nachweisen, ferner Chr. Schreiber S. 78 ff; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8. Lackner/Kühl Rdn. 4; Rudolphi SK Rdn. 8 a; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rdn. 15; im Ergebnis ebenso Deutsch Medizinrecht Rdn. 17; Kretschmer S. 515; Niedermair S. 223; Seelmann S. 40 f; für den Fall ausdrücklich versagter Einwilligung des Verstorbenen auch Heinitz S. 26; Herzog N K Rdn. 14; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 13; Riiping GA 1978 136; Trockel M D R 1969 812. Verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen des Transplantationsgesetzes zur Zulässigkeit der postmortalen Organspende (dazu ζ. B. Schachtschneiderl Siebold Verfassungsbeschwerde, in: FuchslSchachtschneider Spenden was uns nicht gehört [1999] 151 ff; Schadt Zum Lebend-Status des Menschen im Zustand des isolierten Hirntodausfalls [dissoziierter Hirntod], Expertise zur Verfassungsbeschwerde gegen § 4 des Transplantationsgesetzes [1999] 3 ff) hat das Bundesverfas-

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In § 19 Abs. 2 TPG wird mit Strafe bedroht, wer entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a (Entnahme bei noch nicht Volljährigen oder Einwilligungsunfähigen), Buchstabe b (Entnahme ohne Aufklärung und Einwilligung des Organspenders), Nr. 4 (Entnahme unter Mißachtung des Arzterfordernisses) oder Satz 2 (Entnahme zum Zweck der Übertragung auf eine nicht zum zulässigen Empfängerkreis gehörende Person) ein Organ entnimmt.142 Als Rechtsgut des § 19 Abs. 2 TPG wird zum Teil das Selbstbestimmungsrecht angesehen; der Schutz der Gesundheit sei nur die Motivation des strafbewehrten Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht (Nickel/ Schmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 17). Dies dürfte dem Grundcharakter der Vorschrift nicht gerecht werden. Wie die Blutentnahme zum Zwecke der Transfusion ist auch die Organentnahme vom Körper eines lebenden Menschen eine vorsätzliche Körperverletzung, die der rechtfertigenden Einwilligung bedarf.143 Daher kann das Rechtsgut kein anderes sein als das der §§ 223 ff, die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit eines anderen Menschen (H. J. Hirsch LK § 228 Rdn. 46; vgl. auch Schroth JZ 1997 1153).144 Im Ganzen wie auch im Einzelnen ist die Vorschrift nicht unumstritten. So fragt sich schon, ob ein so umfassender Tatbestand notwendig ist, nachdem die körperliche Integrität, die Einwilligung und die hinreichende Aufklärung des Organspenders bereits durch die §§ 223 ff geschützt sind (Schroth JZ 1997 1153). Die Vorschrift, wonach sich der Personenkreis bei der Lebendspende von Organen, die sich nicht wieder bilden können, auf Verwandte, Ehegatten, Eingetragene Lebenspartner, Verlobte und Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, beschränkt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG), ist hart paternalistisch, weil sie anderen, als den genannten Personen verwehrt, sich altruistisch als Organspender zu verwirklichen.145 Ihre Einbeziehung in die Strafbarkeit erscheint zudem auch insoweit nicht unbedenklich, als beim Merkmal „offenkundig

liche Behandlungsmaßnahme den äußeren Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, den erfolgreichen und den lege artis ausgeführten Heileingriff (in mancherlei Abweichungen im Einzelnen) nicht als tatbestandliche Körperverletzung einstuft (ausführliche Darstellung und Nachweise bei SehlSchröder!Eser § 223 Rdn. 29ff), weil beim Spenden sich der Heilzweck nicht auf den Spender, sondern auf Dritte bezieht (H. J. Hirsch LK § 228 Rdn. 46), die Handlung kein Heileingriff, sondern „Heilhilfe" ist (P. König Organhandel S. 44; Lilie MedR 1983 133).

sungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, weil im Hinblick auf die Möglichkeit, noch zu Lebzeiten einen Widerspruch gegen eine postmortale Organentnahme zu erklären, der eine postmortale Organentnahme unzulässig macht, es an der für eine Verfassungsbeschwerde gegen die §§ 3 und 4 T P G erforderlichen unmittelbaren Betroffenheit fehle (BVerfG NJW 1999 858; FamRZ 1999 777; N J W 1999 2403; NickellSchmidl-PreisigkelSengler Vor § 3 Rdn. 3; krit. hierzu Rixen NJW 1999 3389 fT; Schachtschneiderl Siebold DÖV 2000 130ÍI). 142

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Ausführlich zu den Voraussetzungen erlaubter Organentnahmen bei lebenden Organspendern Nickel! Schmidt-Preisigkel Sengler § 8 Rdn. 5ÍT; ferner Forkel Jura 2001 77 f; H J. Hirsch LK § 228 Rdn. 46. Z.B. H.J.Hirsch LK 228 Rdn. 46; Kohlhaas NJW 1971 1871; P. König Organhandel S. 44f; Medizinstrafrecht S. 311; Kühn MedR 1998 456; Lackneri Kühl § 223 Rdn. 10, § 228 Rdn. 23; Lilie Lebend-Organspende S. 89f; Sasse S. 123; H.-L. Schreiber Festschrift Steffen S. 452; Sch/SchröderlEser § 223 Rdn. 50c; Seidenath MedR 1998 253; Tag MedR 1998 374; TröndlelFischer § 223 Rdn. 9. Dies gilt auch auf der Grundlage der Auffassung, die entgegen der (seit RGSt. 25 375) ständigen Rechtsprechung, wonach jede in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärzt-

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Daraus ergeben sich Konkurrenzfragen. Zu ihrer Lösung Rdn. 19. Bruns/Debong/Andreas AR 1998 286; Gutmann MedR 1997 153f; Schroth Vorgänge 36 (2/1997) 51 f; JZ 1997 1153; vgl. auch Deutsch Medizinrecht Rdn. 507; Forkel Jura 2001 75, 77; Heger JZ 1998 506; H.-G. Koch ZblChir. 124 (1999) 720 mit bedenkenswerten Beispielen; ferner Seidenath, der die weitgehende Ermöglichung altruistischer Lebendspenden durch verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 2 T P G zu gewährleisten sucht (MedR 1999 253 ff), hiergegen Schroth MedR 1999 67 f. Zur Organspende unter Fremden ausführlich Eibach Z M E 45 (1999) 217fT.

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nahestehen" nicht klar ist, wann eine persönliche Verbundenheit sich als offenkundig erweist, für wen sie offenkundig sein muß, wodurch eine persönliche Verbundenheit zu einer „besonderen" wird 146 und ob sie bereits vor dem Eintritt der Transplantationssituation bestanden haben muß {BickeböllerlGössmannlKramerlScheuermann Z M E 44 [1998] 332) oder sich auch daraus erst entwickelt haben kann (H.-G'. Koch ZBIChir. 124 [1999] 720).147 An sich zu begrüßen sind die hohen Anforderungen an Inhalt und Umfang der Aufklärung des Organspenders (§ 8 Abs. 2 TPG); doch hätte, wenn schon über die ärztliche Aufklärungspflicht bei der Einwilligung in eine Körperverletzung, die für die Rechtfertigung zentrale Bedeutung hat {TröndlelFischer § 228 Rdn. 13), hinaus eine spezielle Regelung notwendig erscheint, die Beantwortung mancher praktischer Fragen, beispielsweise die einer obligatorischen Heranziehung psychologischen Sachverstandes bei der Evaluation von Freiwilligkeit und Motivation des Organspenders, 148 nicht unbedingt allein der Rechtsprechung hätte überlassen bleiben sollen.149 Schließlich wird nach § 19 Abs. 3 T P G bestraft, wer entgegen § 2 Abs. 4 Satz 1 oder 3 T P G eine Auskunft erteilt oder weitergibt oder entgegen § 13 Abs. 2 T P G Angaben verarbeitet oder nutzt oder entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1 bis 3 TPG personenbezogene Daten offenbart, verarbeitet oder nutzt, wenn die Tat nicht schon in § 203 mit Strafe bedroht ist.150 Der Einwand, die Regelung enthalte insofern einen Wertungswiderspruch, als sie Ärzte, bei denen nach Verstreichung der Antragsfrist des § 205 eine Bestrafung nicht mehr stattfinden könne, gegenüber Personen, die vom Anwendungsbereich des § 203 nicht erfaßt würden, besserstelle (Heger JZ 1998 56), ist unbegründet. Dem Willen des Gesetzgebers entspricht vielmehr die, auch mit dem Gesetzeswortlaut vereinbare, Auslegung, daß § 19 Abs. 3 T P G nur dann nicht anzuwenden ist, wenn die Bestrafungsvoraussetzungen des § 203 tatsächlich vorliegen (NickeilSchmidtPreisigkelSengler § 19 Rdn. 16; Schroth Schlußwort JZ 1998 56; vgl. auch Rixen D u D 1998 78 Fn. 28). 18

cc) Das Transplantationsgesetz hat zwar in die Vorschrift des § 168 nicht eingegriffen, doch entfaltet es erhebliche Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der ersten Alternative seines Absatzes 1. Sie liegen darin, daß eine Strafbarkeitslücke des § 168 Abs. 1 1. Alt. beim Schutz der Totensorgeberechtigten vor eigenmächtiger Ent-

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Zu alledem Deutsch N J W 1998 779; H.-G. Koch Lebend-Organspende S. 52f; P. König Organhandel S. 23Iff; NickellSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 10; Reiter-Theil S. 24f; Seidenath MedR 1998 253; Schroth JZ 1997 1153; MedR 1999 67 f; vgl. auch Miserok/SasselKrüger § 4 Rdn. 150. BickeböllerlGössmannl Kramerl Scheuermann interpretieren den Begriff „sich in besonderer Verbundenheit offensichtlich nahestehen" über die juristische Legitimation des Gesetzes hinaus ethisch im Sinne personaler Freundschaft (ZME 44 [1998] 326ff). Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Gutmann (MedR 1997 151 f) und Kiste (MedR 1998 266). Zu den Prinzipien der Begutachtung ReiterTheil S. 26 ff. Verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen der Lebendspende hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht zur Entscheidung ange-

nommen, dazu unter anderem ausgeführt, daß das Bestimmtheitserforderais beim Begriff der „besonderen persönlichen Verbundenheit" mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könne und die Beschränkung des Personenkreises deshalb keinen durchgreifenden Bedenken begegne, weil es auch im Bereich autonomer personaler Selbstbestimmung ein legitimes Gemeinwohlanliegen sei, Menschen davor zu bewahren, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; BVerfG N J W 1999 3339 mit zust. Anm. Seidenath MedR 2000 28,33; ferner NickellSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 10; and. Gutmann N J W 1999 3387f; vgl. auch Eibach Z M E 45 (1999) 217ff; Forkel Jura 2001 78; Schroth Medizinstrafrecht S. 286; KritV Sonderheft (2000) 178 ff. 50

Zu den Datenschutzbestimmungen des Transplantationsgesetzes eingehend Rixen D u D 1998 75 ff.

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nähme von Leichenteilen zum Teil geschlossen worden ist. Die Besonderheit dieser Lücke besteht darin, daß ihr Umfang von der Auslegung des Begriffs Gewahrsam des Berechtigten des § 168 Abs. 1 1. Alt. abhängt. Ist Gewahrsam in der Modifizierung dieses Tatbestandes als rein normatives Merkmal im Sinne eines Obhutsrechts zu verstehen, sind Inhaber des Gewahrsams an einer Leiche auch während der Zeit, in der sie sich im Herrschaftsbereich der Krankenanstalt befindet, die Totenfürsorgeberechtigten, so daß die unerlaubte Wegnahme der Leiche oder eines ihrer Teile den objektive Tatbestand verwirklicht; 151 gehört zum Gewahrsamsbegriff hingegen stets ein Moment der Faktizität im Sinne eines tatsächlichen Obhutsverhältnisses, steht der Gewahrsam in dieser Zeit regelmäßig dem Anstaltsleiter zu mit der Folge, daß die Handlung schon nicht tatbestandsmäßig ist, weil die Leiche oder ein Leichenteil nicht aus dem Gewahrsam des Berechtigten weggenommen wird (ausführlich Rdn. 34 mit Nachweisen). Der Gesetzgeber des 24. StRÄndG hat im Zusammenhang mit der Erweiterung der Tatobjekte des § 168 Abs. 1 1. Alt. um die tote Leibesfrucht und Teile einer solchen in die Streitfrage eingegriffen. In der Begründung der Gesetzesänderung tritt er ausdrücklich der Auffassung bei, wonach der Leiter des Krankenhauses, in dem sich der Leichnam befindet, hieran berechtigten Gewahrsam hat (BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6586 S. 3).152 Notwendig war dies nicht. Denn bei toten Leibesfrüchten besteht eine grundsätzlich andere Ausgangslage. Sie fallen durch Schwangerschaftsabbrüche oder Fehlgeburten an, so daß hier eine Gleichsetzung des Gewahrsams mit dem Obhutsrecht der Totensorgeberechtigten von vornherein ausscheidet.' 53 Die Haltung des Gesetzgebers ist daher mit Recht mißbilligt worden. Insbesondere Tröndle hat geltend gemacht, daß der Gesetzgeber durch seine unnötige, in bewußter Inkaufnahme der Lückenhaftigkeit des Schutzes im Bereich der Sektionen und Transplantationen vorgenommenen Parteinahme in der bislang offenen154 Frage seiner verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung zuwidergehandelt habe (StGB 48 Rdn. 6). Eine gesetzliche Klärung der Streitfrage, wie sie danach nahegelegen hätte, ist unterblieben. Der Gesetzgeber hat sie selbst im 6. StrRG unterlassen, obwohl darin nicht nur der Strafschutz des § 168 Abs. 1 1. Alt. erneut verbessert, sondern die Vorschrift insgesamt neu gefaßt worden ist. Auch das Transplantationsgesetz berührt die Streitfrage nicht. Nach der Struktur seines § 19 Abs. 1 kommt es auf einen Gewahrsam des Berechtigten nicht an. Er knüpft die Strafbarkeit allein daran, daß ein Organ entgegen den im Transplantationsgesetz bestimmten Voraussetzungen entnommen wird (näher Rdn. 17). Ein Fortschritt liegt in dieser Regelung vor allem deshalb, weil § 168 Abs. 1 1. Alt. sowohl von seinem Rechtsgut als auch von seiner Tatbestandsstruktur her für unbefugte Organentnahmen kein angemessener Tatbestand ist (Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 56; P. König Organhandel S. 72; Schroth JZ 1997 1152). Sie hat aber auch rechtspolitische Bedeutung, nachdem die frühere Rechtslage vor allem deshalb als unbefriedigend empfunden worden war, weil sie entgegen den Geboten der Pietät und des nachwirkenden Persönlichkeitsrechts einen von dem Verstorbenen geäußerten Willen, auch nach seinem Tod nicht Organspender zu werden, außer Acht gelassen hatte

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Was bei Explantationen ausnahmslos galt, weil die Entnahme auch nicht dadurch zu einer Wegnahme aus dem Gewahrsam des Berechtigten wird, daß der Verstorbene seine Einwilligung versagt hatte {LackneriKühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6; and. v. Bubnoff GA 1968 73). Anders der vorausgegangene Gesetzesantrag Bayerns, der die Streitfrage nicht berührt hätte

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(näher dazu Rdn. 1 Fn. 2; vgl. auch P. König Organhandel S. 85). LacknerlKühl Rdn. 3; Sch I Schröder / Lenckner Rdn. 6; and. Sternberg!Lieben NJW 1987 2062; krit. auch H.-P. Koch NJW 1988 2286. Nicht einmal von einer herrschenden Meinung konnte beim damaligen Meinungsstand die Rede sein (Chr. Schreiber S. 75).

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(SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; vgl. auch Rdn. 33). Ob eine gesetzliche Klärung der Streitfrage, wie sie nach wie vor als dringlich erachtet wird (Lackner/Kühl Rdn. 3), noch erwartet werden kann, dürfte nach der bisherigen Haltung des Gesetzgebers zweifelhaft sein, dies um so mehr, als durch § 19 Abs. 1 TPG ihre praktische Bedeutung wesentlich geringer geworden ist. Diese Vorschrift erfaßt nämlich sämtliche auf Transplantationen abzielende Entnahmen von Organen, Organteilen und Geweben lebender und verstorbener Menschen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 TPG). Ausgenommen sind nur Körpersubstanzen, die diesen Begriffen nicht unterfallen oder für die das Transplantationsgesetz nicht gilt (§ 1 Abs. 2 TPG). Insoweit behält freilich zusätzlich zu allen nicht zu Transplantationszwecken vorgenommenen Organentnahmen, die Streitfrage Bedeutung. Was Organe, Organteile und Gewebe sind, bestimmt sich nach den in der Medizin gebräuchlichen Definitionen (näher P. König Organhandel S. 140f). Dem Körper eingefügte künstliche Produkte wie Herzschrittmacher oder Endoprothesen gehören dazu nicht, können aber Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen sein (dazu Rdn. 25). Schon begrifflich scheiden Ei- und Samenzellen, die keine Gewebe sind,155 Gene und sonstige DNA-Teile (P. König Organhandel S. 141) aus. Durch § 1 Abs. 2 TPG werden ausdrücklich Blut und Knochenmark sowie embryonale und fetale Gewebe und Organe von der Anwendung ausgeschlossen. 156 Neu eröffnen würde sich die Möglichkeit zu einer gesetzlichen Klärung der Streitfrage allerdings im Falle einer Regelung der Sektion im Rahmen der beabsichtigten Gesamtlösung einer Verbesserung des Schutzes menschlicher Überreste (vgl. Rdn. 20 mit Fn. 173). Hiervon abgesehen gibt es aber auch Vorschläge für eine spezialgesetzliche Lösung durch eine neuerliche, den Schutz der Totenfürsorgeberechtigten verbessernden Änderung des § 168 Abs. 1 1. Alt. Rixen unterbreitet mit ausführlicher Begründung den Entwurf einer entsprechenden Neufassung der Vorschrift (vgl. schon Rdn. 5), der vorsieht, daß bei einer eigenmächtigen Wegnahme von Leichenteilen bereits die Mißachtung des Willens der Totenfürsorgeberechtigten die Sanktion auslöst (ZRP 2001 376). Dieselbe Zielrichtung verfolgt der Änderungsvorschlag von U. Steffen, der auf die „mißverständliche Formulierung des Doppelmerkmals Gewahrsam des Berechtigten" vollständig verzichten und nur an die Berechtigtenstellung anknüpfen will (S. 157 f).157 Gänzlich anders strukturiert ist der Vorschlag von Stellpflug, es zunächst bei der bisherigen Fassung der Vorschrift zu belassen, jedoch in Anlehnung an § 190 ÖStGB die Handlungsalternative „wer einen Leichnam oder eine tote Leibesfrucht mißhandelt" einzufügen (S. 152f, 158).158 Eine derartige Änderung des § 168 Abs. 1 könnte die vorgese-

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Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler § 1 Rdn. 4; Schroth Medizinstrafrecht S. 270; BTDrucks. 13/4355 S. 6; and. BTDrucks. 13/2926 S. 3, wo auch insoweit ein ausdrücklicher Ausschlußtatbestand vorgeschlagen wird; abw. ferner Deutsch, der für möglich hält, die Entnahme des Spermas im Zusammenhang mit einer inseminatio post mortem als „Vorbereitung dieser Maßnahme" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 T P G anzusehen (Medizinrecht Rdn. 502; N J W 1998 778; vgl. auch Kühn MedR 1998 455; dagegen P. König Organhandel S. 141 Fn. 657; Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler § 1 Rdn. 4). 156 Für Feten und Embryonen ist ein völliges Verbot ihrer Entnahme und Übertragung erstrebt worden (vgl. BTDrucks. 13/2926 S. 15). Doch hat der Gesetzgeber die Regelung einer späteren gesetzlichen Maßnahme vorbehalten (BT-

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Drucks. 13/8017 S. 40; vgl. auch H.G. Baumann S. 19). Die Bundesregierung ist aufgefordert worden, sobald wie möglich einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen (BRDrucks. 13/635-97). Vgl. dazu auch die Überlegung eines Arbeitskreises von Strafrechtslehrern, das Gewahrsams· bzw. Wegnahmeerfordernis mit Blick auf die Schutzintention entfallen zu lassen und statt dessen darauf abzustellen, daß eine Leiche, Leichenteile etc. „dem Totensorgeberechtigten entzogen" werden (Freund ZStW 109 [1997] 486). In diesem Sinne auch Kretschmer S. 514. Eine Neufassung des § 168 Abs. 1 1. Alt. befürworten ferner Kn. Müller (S. 90); ebenso KG N J W 1990 782, 783 f.

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hene gesetzliche Gesamtlösung einer Verbesserung des Schutzes menschlicher Überreste einleiten. dd) Als weitere Auswirkungen der Regelungen des Transplantationsgesetzes im Bereich des materiellen Strafrechts 159 sind, von der Bedeutung des § 203 bei der Auslegung der Subsidiaritätsklausel des § 19 Abs. 3 T P G (vgl. Rdn. 17) abgesehen, die Änderung des § 5, die Konkurrenzprobleme zwischen § 19 Abs. 2 TPG und den §§ 223 ff sowie die allgemeine Bedeutung der Regelungen zum Todeszeitpunkt für alle Tatbestände, die Rechtsfolgen an den Tod des Menschen knüpfen, hervorzuheben. Die Erweiterung des Katalogs der Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter durch Einfügung einer neuen Nummer 15 in § 5 bewirkt, daß strafbare Handlungen nach § 18 TPG auch dann dem deutschen Strafrecht unterliegen, wenn sie von deutschen Staatsangehörigen im Ausland begangen werden, unabhängig davon, ob die Tat nach dem Recht des Tatorts mit Strafe bedroht ist (SehlSchröder!Eser § 5 Rdn. 24; TröndlelFischer § 5 Rdn. 1, 15).160 Die Vorschrift richtet sich gegen den „Transplantationstourismus" (Deutsch Medizinrecht Rdn. 521). Sie soll sicherstellen, daß ein hinreichend effektiver Schutz gegen länderübergreifenden, das Interesse der Bundesrepublik berührenden Organhandel namentlich im Bereich der Vermittlungstätigkeiten erreicht wird (LackneriKühl § 5 Rdn. 3; krit. P. König Organhandel S. 217f). Konkurrenzfragen zwischen § 19 Abs. 2 TPG und den §§ 223 ff ergeben sich deshalb, weil eine bei einem Lebenden entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a (Volljährigkeit und Einwilligungsfahigkeit des Spenders) oder b (Einwilligung ohne vorherige Aufklärung nach § 8 Abs. 2 Satz 1) T P G vorgenommene Entnahme auch den Tatbestand des § 223 erfüllt (vgl. schon Rdn. 17). Nach § 228 rechtfertigt die Einwilligung die Körperverletzung nicht, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Kommerzielle Motive des Spenders machten die Organentnahme nach bisheriger Auffassung nicht sittenwidrig; sie berühren allenfalls die Einwilligung, nicht aber die Tat, die Heilhilfe (dazu Rdn. 17 Fn. 143) zugunsten eines anderen bleibt.161 Das könnte sich dadurch geändert haben, daß das absolute Verbot der Entnahme und Übertragung gehandelter Organe nach den Motiven des Gesetzgebers (Rdn. 16) zugleich einen Verstoß gegen die guten Sitten markiert. 162 Damit würde der Einwilligung die rechtfertigende Wirkung genommen, so daß in jedem Falle eine vorsätzliche Körperverletzung vorläge, was eine Anwendbarkeit auch der Qualifikation der §§ 224 ff zur Folge hätte mit mehr als ungereimten (P. König Organhandel S. 226; Schroth JZ 1997 1152), sachwidrigen (H. J. Hirsch LK Rdn. 26) Ergebnissen. So müßten beispielsweise der Arzt, der Hoden transplantiert, im Wertungswiderspruch zu sonstigen Fällen einer freiwilligen Kastration, wegen schwerer Körperverletzung (Nie159

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Für die zivilrechtliche Bewältigung unbefugter zu Transplantationszwecken vorgenommener Organentnahmen (zur Rechtslage insoweit, die der bei unbefugten Wegnahmen im Rahmen eigenmächtiger Sektionen entspricht, Rdn. 4) hat sich durch das Transplantationsgesetz eine Veränderung nur insoweit ergeben, als ihre Einstufung als rechtswidrig keiner Begründung mehr bedarf, nachdem sie in § 19 Abs. 1 T P G unter Strafe gestellt sind (vgl. Nickel!SchmidtPreisigkelSengler § 3 Rdn. 4). Die Folgeprobleme (vgl. Rdn. 4) sind geblieben. Der noch weiter gehende Vorschlag, den strafbaren Organhandel in § 6 (Auslandstaten gegen

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international geschützte Rechtsgüter) einzustellen, hat im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit gefunden (Nickel/Schmidl-PreisigkelSengler § 24 Rdn. 1; vgl. dazu auch Deutsch Medizinrecht Rdn. 519). Z.B. v. Bubnoff GA 1968 70; Horn SK § 228 Rdn. 8a; P. König Organhandel S. 63; Sehl Schröder/Stree § 228 Rdn. 9; Tröndlel Fischer §228 Rdn. 24. Lackner/Kühl § 228 Rdn. 23; ebenso P. König Organhandel S. 226 („Sittenwidrigkeitsverdikt"); Medizinstrafrecht S. 310f; Schroth JZ 1997 1152; and. Niedermair S. 223, 230; Paeffgen N K § 228 Rdn. 48.

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dermair S. 238)163 und derjenige, dem bei einer Transplantation ein Kunstfehler unterläuft, infolge dessen der Organempfänger stirbt, nicht nur wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge (P. König Organhandel S. 226) bestraft werden.164 Um solche Ergebnisse zu vermeiden sollten die §§17 Abs. 2, 18 Abs. 1 TPG als Spezialvorschriften betrachtet werden, die in ihrem Anwendungsbereich § 223 und damit auch die §§ 224, 226, 227 verdrängen.165 Unberührt bliebe die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung mit denkbaren weiteren Konkurrenzfragen (P. König Organhandel S. 227; Medizinstrafrecht S. 3II). 166 Zum Todeszeitpunkt hat das Transplantationsgesetz sich nicht für oder gegen eine bestimmte Todesdefinition entschieden, zur Feststellung des Todes aber Regelungen getroffen, denen jedenfalls auch das Hirntodkonzept zugrunde liegt. In § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG wird bestimmt, daß die Organentnahme erst zulässig ist, wenn der Tod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Auf einen bestimmten Todesbegriff stellt die Vorschrift nicht ab. Demnach kann das Feststellungsverfahren prinzipiell von jedem der verschiedenen Todesbegriffe ausgehen. Das bedeutet aber nicht, daß der Gesetzgeber der medizinischen Wissenschaft damit auch die Entscheidung über den maßgeblichen Todesbegriff anvertraut habe.167 Sie läge außerhalb der medizinisch-naturwissenschaftlichen Zuständigkeit (vgl. Rdn. 10). Dementsprechend geht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer in seinen Ergänzungen zur Dritten Fortschreibung 1997 der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes gemäß Transplantationsgesetz (DÄB1. 95 [1998] A-1861) nicht von einer solchen Kompetenzzuweisung aus, sondern beschränkt sich, wie zuvor, auf die medizinisch-diagnostische Frage, wann ein bestimmter Mensch hirntod ist. Im Gegensatz zu § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG ist in § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG jedoch ausdrücklich vom Hirntod die Rede. Dort wird bestimmt, daß die Organentnahme unzulässig ist, wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organspender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der

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Anders bei der Entnahme und Übertragung innerer Organe, die keine wichtigen Glieder im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 sind (BGHSt. 28 100, 101 f; Horn SK § 226 Rdn. 8; LackneriKühl § 226 Rdn. 6; TröndlelFischer § 126 Rdn. 3; Wessels!Hettinger Rdn. 288; and. OLG Neustadt NJW 1961 2076; krit. auch Sehl Schröder! Stree § 226 Rdn. 2). Teilweise wird die Auffassung vertreten, daß die Konkurrenzprobleme, namentlich nach ihrer Vereinfachung durch die Einführung der Strafbarkeit des Versuchs in § 223 Abs. 2 durch das 6. StrRG, ohne gravierende Wertungswidersprüche zu lösen seien (Heger JZ 1998 506; Nickel!Schmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 15). P. König Organhandel S. 227; Niedermair S. 223 f („Derogation der Strafbarkeit nach allgemeinen Körperverletzungsvorschriften für den Normsektor Organtransplantation"); ebenso H. J. Hirsch, allerdings in der Variante, daß die Spezialregelung bei Vorliegen der Strafschärfung der §§ 224 ff zurücktritt (LK Rdn. 46); vgl. auch Gutmann MedR 1997 153. Dagegen nehmen Nickel! Schmidt-Preisigkel Sengler Idealkon-

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kurrenz an, wie für das Zusammentreffen von §19 Abs. 1 TPG und § 168 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. wiederum in der Erwägung, daß die Schutzgüter der konkurrierenden Tatbestände verschieden seien (§ 19 Rdn. 15). Aus den Materialien zum Transplantationsgesetz ergeben sich keine Anhaltspunkte, wie die Konkurrenzproblematik zwischen § 19 Abs. 2 TPG und den §§ 223 ff zu lösen sei. Zwar findet sich der Hinweis, daß ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe a oder b TPG auch als Körperverletzung strafbar sein könne (BTDrucks. 13/4355 S. 31), was auf Idealkonkurrenz hindeutet. Doch hat der Gesundheitsausschuß ihn ausdrücklich nicht aufrecht erhalten, weil die Klärung des Konkurrenzverhältnisses Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen bleiben solle (BTDrucks. 13/8017 S. 44). R. Merkel (Jura 1999 115) in der Auseinandersetzung mit der möglicherweise hiervon ausgehenden Auffassung von Deutsch (NJW 1998 778); vgl. auch Lilie Transplantationsgesetz S. 92.

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Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Indessen liegt darin keine Entscheidung für den Hirntod als den allein maßgeblichen Todesbegriff. Vielmehr markiert die Bestimmung nur eine zwingende untere Grenze, vor der eine Organentnahme auf keinen Fall stattfinden darf, läßt aber völlig offen, ob und wann der Eingriff erlaubt ist, direkt nach dem Hirntod oder deutlich später, etwa nach dem Herz-Kreislauf-Tod. 168 Hat der Gesetzgeber den Hirntod als Todeszeitpunkt im Transplantationsgesetz auch nicht allgemein festgeschrieben, sondern nur als Voraussetzung für eine zulässige Organentnahme vorgegeben, so liegt darin jedenfalls aber seine Anerkennung als ein maßgebliches Kriterium für den Tod des Menschen (TröndlelFischer Vor § 211 Rdn. 7). Damit ist die Kontroverse um den Hirntod zwar nicht im Grundsatz entschieden worden. Doch sind diejenigen unterlegen, die den Hirntod nur als Entnahmekriterium ansehen (Rdn. 12). Angesichts der Zweifel, die dem Hirntod selbst in der medizinischen Wissenschaft zunehmend begegnen (auch dazu Rdn. 12), hat der Gesetzgeber gut daran getan, den Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen. Deshalb kann von einem „legislativen Abtauchen" nicht die Rede sein, wenn es auch sicherlich zutrifft, daß es keiner prophetischen Gabe für die Prognose bedarf, der alte Streit um den Hirntod werde sich als ewig junger demnächst zurückmelden. 169 ee) Hinter den strafrechtlichen Erwartungen zurückgeblieben ist das Transplan- 2 0 tationsgesetz in mehrfacher Hinsicht. Zunächst hat es den Bereich der klinischen Sektionen (vgl. Rdn. 3 bis 5) nicht einbezogen, obwohl gerade auch der Gesetzgeber dessen Regelungsbedarf stets im Zusammenhang mit dem Transplantationsrecht gesehen hat (Rdn. 5 mit Fn. 23). Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein formales Hindernis dürfte in der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Rdn. 5) gelegen haben. Materiell sind die gegenüber dem Transplantationsrecht bestehenden besonderen Schwierigkeiten hervorgehoben worden (vgl. Rdn. 5 mit Fn. 24). Dabei wird auch bedacht worden sein, daß in den Zusammenhang der Normierung über den engeren Bereich klinischer Sektionen hinaus jedenfalls eine Regelung der Zulässigkeit einer Entnahme von Leichenteilen für wissenschaftliche Versuche,170 die nach wie vor unter § 168 Abs. 1 1. Alt. fallen {Herzog N K Rdn. 14), möglicherweise aber auch die der Voraussetzungen für die Herstellung und die Weitergabe von Plastinaten, 171 gehören. Unterlassen hat das Transplantationsgesetz ferner weitergehende Regelungen zum Schutz der toten Leibesfrucht. Mit der Änderung des § 168 Abs. 1 durch das 24. StrÄndG (vgl. Rdn. 1) ist er nur unvollständig verwirklicht worden. Die Erstreckung des Strafschutzes auf tote Leibesfrüchte und Teile davon erfaßt zwar die mißbräuchliche Nutzung von Embryonen und Feten. Doch liegen die Gefahren des Embryonenhandels nicht nur in der unbefugten Wegnahme von Leibesfrüchten und Teilen davon, sondern auch in ihrer von kommerziellen Interessen bestimmten Wegnahme durch den zum Gewahrsam Berechtigten (dazu Rdn. 34), die Weitergabe zur Verwertung und der Verwertung selbst, tote Produkte extrakorporaler Befruchtungen,

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R. Merke! Jura 1999 115; ebenso Otto § 2 Rdn. 13; vgl. auch Kretschmer S. 507 („Minimalvoraussetzung der Transplantation"); Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler § 3 Rdn. 18 („Mindestvorgabe für die Todesfeststellung"). Κ Merkel Jura 1999 115; vgl. auch Lilie Transplantationsgesetz S. 94; Leben und Tod S. 171;

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MiserokiSasse/Krüger § 3 Rdn. 28; Stapenhorst Betrachtungen S. 87. Lackner/Kühl Rdn. 4; Kretschmer S. 530fT; Pluischl Heifer NJW 1994 2377 ff; Sehl Schröder/ Lenckner Rdn. 7 Vgl. dazu Lackner/Kühl Rdn. 4; Kretschmer S. 309; Tag MedR 1998 387 ff; ferner Rdn. 47.

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die nicht als Leibesfrüchte gelten (Rdn. 27), und daher nahezu schutzlos sind,172 eingeschlossen. Der Regelungsbedarf auch insoweit war dem Gesetzgeber bewußt. Doch hielt er es nicht für vertretbar, die Erweiterung des Strafschutzes auf die unbefugte Wegnahme toter Leibesfrüchte erst im Rahmen der beabsichtigten gesetzlichen Gesamtlösung zur Verbesserung des Schutzes menschlicher Überreste,173 zu der nicht zuletzt die Problematik unbefugter Organentnahmen gehörte, vorzunehmen.174 Obwohl also jene Erweiterung des § 168 nur als erste, noch der Weiterführung bedürftige gesetzliche Maßnahme gegen die mißbräuchliche Verwertung toter menschlicher Embryonen gedacht war,175 hat der Gesetzgeber die Lücke bislang nicht geschlossen. Eine Regelung dazu ist weder im Embryonenschutzgesetz176 getroffen worden,177 noch hat das Transplantationsgesetz die Strafbewehrung seines Verbots des Organhandels (§ 18) auf Embryonen erstreckt. Möglicherweise bedarf es wiederum die Öffentlichkeit erregender Mißbrauchsfälle, bis der Gesetzgeber den Strafschutz in diesem Bereich vervollständigt.178 Gegen die Regelung des Anwendungsbereichs des Transplantationsgesetzes wird eingewendet, daß sie zu eng sei, weil sie geringfügige nicht durchblutete Gewebeteile, etwa die Hornhaut des Auges (Cornea), die harte Hirnhaut (Dura) oder sonstiges geringes Körpermaterial nicht ausgenommen habe. Ein Bedürfnis der Praxis, sie ohne ausdrückliche Einwilligung zu Transplantationszwecken entnehmen zu können, scheint zu bestehen. So hat die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) in ihre Empfehlungen zur Transplantation den Satz aufgenommen, gegen eine Gewebsentnahme bestünden ohne weitere Erfordernisse keine Bedenken, wenn sie nach den Prinzipien der Güterabwägung im Verhältnis zu einer inneren Leichenschau nicht ins Gewicht falle (mitgeteilt bei Laufs Arztrecht S. 148 Fn. 48).179 Auch sonst findet sich im Schrifttum die Auffassung, daß derart unerhebliche Verletzungen und Entnahmen unter dem Blickwinkel mutmaßlicher Einwilligung oder Sozialadaequanz als zulässig zu erachten seien,180 soweit nicht angenommen werde, unbedeutende Blut- und Gewebeproben unterfielen schon nicht dem Begriff Teil des Körpers verstorbener Menschen (dazu näher Rdn. 25). Eine Auslegung des § 1 TPG in diesem Sinne ist nicht möglich. Im Bemühen um Vollständigkeit konzipiert, erfaßt er alle Organe, Organteile und Gewebe 172

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Hülsmann JZ 1999 1111; SchlSchröderILenckner Rdn. 1, 7; Schänemann S. 206 ff, 287; näher dazu Rdn. 27. Die so ausdrücklich beschlossen worden war (BTDrucks. 10/6568 S. 2; BTProt. 10/253 S. 19762) und einen schon lange bestehenden Konsens bestätigte (vgl. ζ. B. Bardens BTProt. 8/1116). SchlSchröderILenckner Rdn. 1 unter Hinweis auf die Ausführungen von Eser und H.-L. Schreiber in ihrer Anhörung durch den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (Prot. Nr. 70) sowie einen weitreichenden Gesetzesantrag von Bayern (BRDrucks. 42/85). Zum Regelungsbedarf auch Rudolphi SK Rdn. 2. LacknerlKühl Rdn. 1; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 1; Sternberg-Lieben NJW 1987 2062. Krit. zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes H.-P. Koch NJW 1988 2286. Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl. I 2746). Dessen Straftatbestand der mißbräuchlichen

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Verwendung von Embryonen (§ 2) erfaßt tote Embryonen nicht. Vgl. dazu SchlSchröderl Lenckner Rdn. 1 ; ferner LacknerlKühl Vor § 211 Rdn. 2 mit Hinweis auch auf die strafrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik i. d. F. vom 16.12.1993 (BGBl. I 2066). Insgesamt zu Defiziten des Embryonenschutzgesetzes und zur Notwendigkeit eines Gesamtkonzepts BRDrucks. 12/745-90; zu Wertungswidersprüchen der Bestimmungen mit anderen Regelungen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod Kutzer M D R 2002 24 ff. So auch Kretschmer S. 267 (zum „unerreichbaren Desiderat" der Regelung der Sektion). Zu entsprechenden, umfangreichen Vornahmen der unauffälligen, meist kaum sichtbaren Eingriffe in der medizinischen Praxis Gragert S. 49; HeiferIPluisch Rmed. 1 (1991) 73. Deutsch Z R P 1982 175; Medizinrecht Rdn. 502; NJW 1998 778; Kern S. 2/814f; Laufs Arztrecht S. 148; H.-L. Schreiber Festschrift Klug S. 348f; vgl. auch Gragert S. 48; and. P. König Organhandel S. 73.

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mit Ausnahme von Blut und Knochenmark sowie embryonaler und fetaler Organe und Gewebe (vgl. Rdn. 18), damit auch nicht durchblutete Körpersubstanzen. So wird vereinzelt bereits als erste Anderungsnovelle die Herausnahme bestimmter Gewebeteile aus dem Anwendungsbereich des § 1 TPG erwartet (Deutsch NJW 1998 782).181 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß das Transplantationsgesetz, bei dem es um die Erbringung von Leistungen, deren Gegenstände nur in beschränktem Umfang zur Verfügung stehen, geht, keine Bestimmungen zum Rechtsschutz der unmittelbar an einer Organtransplantation beteiligten Personen, namentlich der potentiellen Organempfanger, getroffen hat. Die Rechtsfragen, die sich dazu stellen, sind vielfaltig.182 Angesichts der knappen Ressourcen liegt der Gedanke nicht fern, daß zur Lösung eines sich daraus ergebenden Konflikts die Anrufung des Gerichts in Betracht gezogen werden könnte. Aus den Gesetzesmaterialien zum Transplantationsgesetz: BTDrucks. 8/2034; 8/2681; 8/2840; 10/3758; 10/6568; 106586; 11/2980; 11/3993; 11/6145; 11/7980; 12/6000; 12/8423; 13/567; 13/731; 13/2926; 13/3759; 13/3993; 13/4114; 13/4355; 13/4368; 13/6145; 13/6591; 13/8017; 13/8025; 13/8026; 13/8027; 13/8028; 13/8030; 13/8031; 13/8825; 13/8838; 13/ 8839; 13/10929; BTGesAusschProt. 13/17; 13/64; 13/67; BTRAusschProt. 8/76; 13/64; 13/ 67; BTProt. 8/148 S. 1181 Iff; 13/99 S. 8817ff; 13/183 S. 16401ff; BRDrucks. 8/395-78; 12/119-91; 12/682-94; 12/745-90; 13/635-97; BRProt. 8/465-78. II. Der äußere Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 1 verlangt die unbe- 21 fugte Wegnahme eines der geschützten Gegenstände. 1. Angriffsgegenstände sind der Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines Verstorbenen. a) Der Körper eines verstorbenen Menschen ist das ursprünglich einzige, damals als Leiche bezeichnete Tatobjekt unbefugter Wegnahme. aa) Der Begriff enthält gegenüber der früheren Bezeichnung keinerlei sachliche Veränderung. Körper eines verstorbenen Menschen war die Definition von Leiche, Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen die von Leichenteilen, die der Gesetzgeber bloß in den Tatbestand aufgenommen hat.183 Es wird nicht einmal deutlich, daß die „sprachliche Anpassung" klarstelle, § 168 Abs. 1 1. Alt. gelte auch für die unbefugte Entnahme von Körpersubstanzen unmittelbar nach Feststellung des Todes (so aber Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 1), nachdem dies schon bei den Begriffen Leiche und Leichenteile nicht zweifelhaft war. Körper eines verstorbenen Menschen ist dessen nach dem Eintritt des Todes verbleibende entseelte Hülle (Binding Lehrbuch I § 45 1 I). Der Beginn dieser Eigenschaft richtet sich nach dem Todeszeitpunkt. Er bestimmt sich nach dem normativen Todesbegriff und den medizinischbeweismäßigen Todesfeststellungskriterien (Rdn. 10 bis 12). Der Gesetzgeber hat sich bei der Regelung der Voraussetzungen für die Entnahme von Organen bei einem Ver181

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Ausführlich zu dieser Problematik auch Dippel Festschrift Hanack S. 694. Eingehend dargestellt bei Baltzer Transplantationsgesetz und Rechtsschutz, SGB 45 (1998) 437 ff. Zum Anspruch auf Transplantation allgemein sowie zu vertraglichen zivilrechtlichen Ansprüchen auf Zuteilung eines bestimmten Organs im Besonderen Herrig S. 56ff, 160f. Vgl. ferner Rampß-Platte Chirurg 38 (1999) 286.

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Herzog N K Rdn. 3; krit. dazu Entstehungsgeschichte mit Fn. 1. Die früheren Bezeichnungen werden im Schrifttum vielfach weiterverwendet. Die Begriffe Leiche und Leichnam sind bedeutungsgleich (§ 167a Rdn. 6 Fn. 27). Ein Unterschied besteht nur in etymologischer Beziehung (Bieri S. 19; vgl. auch E. Merkel S. Iff).

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storbenen für keinen bestimmten Todesbegriff entschieden. Die Todesfeststellung kann sich nach den Kriterien des Herz-Kreislauf-Todes richten; doch wird auch der Hirntod als Todeskriterium anerkannt (Rdn. 19). Dem ist allgemein für das Strafrecht zu folgen.184 22

bb) Als Körper eines verstorbenen Menschen gilt entgegen einer früher verbreiteten Auffassung185 auch ein tot geborenes Kind.186 Der dem Merkmal entsprechende Daseinszustand soll dann erreicht sein, wenn die Frucht so weit entwickelt war, daß ein Leben außerhalb des Mutterleibes an sich möglich gewesen wäre.187 Diese Betrachtung ist nach dem Schutzzweck des § 168 zu eng. Er erstreckt sich auf diejenigen menschlichen Relikte, hinsichtlich deren das Gefühl der Pietät und der Verbundenheit entstanden und noch nicht erloschen ist (Herzog NK Rdn. 3). Gegenüber einer Leibesfrucht entwickelt sich ein solches Gefühl regelmäßig aber bereits vor demjenigen Reifegrad, der die extrauterine Lebensfähigkeit188 begründet. Häufig nehmen die Angehörigen auch in solchen Fällen, in denen eine Bestattungspflicht noch nicht besteht,189 Beisetzungen vor, pflegen die Grabstätte und bringen ihr Pietät entgegen (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 4).190 Deshalb kann ein tot geborenes Kind bereits bei einem früheren Reifegrad als demjenigen, von dem an es an sich lebensfähig gewesen wäre, als Körper eines verstorbenen Menschen anzusehen sein.191 Auch bei einer mißgestalteten Leibesfrucht kommt es auf die Lebensfähigkeit nicht an (Bieri S. 24; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29). Kein Körper eines verstorbenen Menschen ist ein unentwickelter Embryo.192 Dazu wird er erst, wenn die Frucht die einem neugeborenen Kind entsprechenden Formen angenommen hat (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 4). Der Streit, ob ein totgeborenes Kind dem Begriff Körper eines verstorbenen Menschen schon bei Erreichen dieser Entwicklungsstufe genügt oder erst dann, wenn es so weit entwickelt war, daß ein Leben außerhalb des Mutterleibes an sich möglich

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Zur Ablehnung unterschiedlicher Todeszeitpunkte im Strafrecht Rdn. 10 mit Fn. 60. Z.B. Bader SJZ 1923/24 367; Binding Lehrbuch I § 45 1 I; Cramer S. 21; Crusen S. 31; Mittelstem G A 3 4 178. Frank Anm. I; Herzog N K Rdn. 3; Lackneri Kühl Rdn. 2; Kohler Religionsvergehen S. 205; Kretschmer S. 313 Fn. 5; Maurach/Schroederl Maiwald2 § 62 Rdn. 9; v. Olshausen Anm. 1 b; Rudolphi SK Rdn. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3. RGSt. 69 287, 288; BayObLGSt. 19 205; H. R. Hoff mann D Ö G 12 (1950/51) 22; Johnsen S. 81; v. Olshausen Anm. 2 a; Wölkert WklinW 68 (1956) 113. Vgl. dazu auch Lüttger JR 1971 133 ff (zur Zäsur des Übergangs vom Leibesfruchtcharakter zur Menschqualität). D a f ü r werden als Mindestwerte angegeben: Intrauterine Entwicklung von 27 Wochen, Geburtsgewicht von 1000 Gramm, Körperlänge von 24 cm, Brustumfang von 22,5 bis 23 cm, Kopfumfang von 26,5 bis 27 cm (Krauß S. 109; vgl. auch Schmidt-Matthiesen Gynäkologie und Geburtshelfer, 5. Aufl. [1982] S. 190; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29 Fn. 6). Zur Bestattungspflicht bei Totgeburten ab einem bestimmten Körpergewicht und zum Bestattungsrecht bei Fehlgeburten, deren Ge-

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wicht unter dem Minimum liegt, § 167 a Rdn. 10 mit Fn. 64 bis 66. Deshalb billigt Bieri selbst dem unentwickelten Fötus den Schutz des Art. 262 SchwStGB zu (S.23); ebenso Clerc Cours élémentaire sur le Code pénal suisse, Partie spéciale, Tome II (1945) 314f. Der Hinweis auf die im Codex Juris Canonici vorgeschriebene Taufe eines Fötus hat auch nach dessen Neufassung vom 27.11.1983 noch Gewicht. Jetzt bestimmt c. 871, daß die vorzeitig ausgestoßene Leibesfrucht, sei es bei einer Fehlgeburt oder bei einer Frühgeburt, falls Lebenszeichen vorhanden sind, getauft werden soll, soweit dies geschehen kann (Hierold in ListllMüllerlSchmitz Handbuch des katholischen Kirchenrechts [1983] 665). Vgl. demgegenüber für die ehemalige D D R § 4 Abs. 2 der Anordnung über die ärztliche Leichenschau (Rdn. 5 Fn. 21): Keine menschliche Leiche ist eine Leibesfrucht mit einem Gewicht unter 1000 g, bei der nach vollständigem Verlassen des Mutterleibes weder Herztätigkeit noch Lungenatmung oder nur eines dieser Lebenszeichen vorhanden war. Frank Anm. I; Kahl VDB III S. 63; Herzog N K Rdn. 4; Kaiser MedKl. 62 (1967) 647; v. Lisztl Schmidt BT § 118 V 1; Trockel Rechtswidrigkeit S. 28; Weiser S. 14.

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gewesen wäre, hat an praktischer Bedeutung verloren, seitdem die tote Leibesfrucht schlechthin Angriffsgegenstand ist (SehlSchröderILenckner Rdn. 3). cc) Wie lange ein Körper als der eines verstorbenen Menschen gilt, läßt sich nach 2 3 dem Schutzzweck des § 168 beantworten. Gegenstand der Verbundenheit und Pietät kann der Körper so lange sein, wie der Zusammenhang seiner Teile zur Einheit einer menschlichen Gestalt im wesentlichen vorhanden, seine Individualität noch erkennbar ist.193 Dem steht eine Zergliederung des Körpers, gleichgültig ob zu wissenschaftlichen Zwecken oder auf andere Weise geschehen, etwa im Zusammenhang mit einem Lustmord oder durch das Ereignis, das den Tod herbeigeführt hat, nicht entgegen, wenn nur die gemeinsame Bestattung aller Teile beabsichtigt bleibt.194 Auch das Fehlen einzelner Teile des Körpers ist ohne Bedeutung.195 Erst durch den Verwesungsprozeß oder eine andere Art völliger Zerstörung wird dieser Zusammenhang aufgehoben. 196 Daher ist ein Skelett keine Leiche,197 von der es sich schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch (F.-W. Koch S. 22f; Kretschmer S. 334), aber auch dadurch unterscheidet, daß die Fleischhülle, die etymologisch den Leichnam ausmacht (Kretschmer S. 334; Herb. Weber S. 6f; Weiser S. 14), verwest ist. Im übrigen kann der Schutz des § 168 Abs. 1 entfallen, wenn die Leiche nicht mehr Gegenstand des Gefühls, der Verbundenheit und Pietät ist. Das gilt vor allem für solche Leichen die, etwa durch den Erwerb für medizinische Heil-, Forschungs- oder Lehrzwecke, Gegenstand des Rechtsverkehrs geworden sind.198 Die Gegenmeinung (z.B. Kretschmer S. 314f; Tietz S. 37 ff; Weiser S. 16) hat den Gesetzeswortlaut für sich, läßt aber den tieferen Grund für den Wegfall des Strafschutzes außer Acht, der nicht etwa allein in der modifizierten Zweckbestimmung, sondern darin liegt, daß infolge der Umwidmung die Leiche nicht mehr Objekt der Verbundenheit und Pietät ist. Gleichwohl sind auch sie noch pietätvoll zu behandeln (Gaedke Hdb. S. 119).199 Derartige Körper können im Gegensatz zu den zunächst nicht eigentumsfähigen Leichen (Rdn. 4) als fremde Sachen

1« AG Berlin-Tiergarten N J W 1996 3092; Funken S. 4; Herzog N K Rdn. 5; Joecks Rdn. 3; Kahl VDB III S. 63; Kretschmer S. 333; Lackneri Kühl Rdn. 2; v. LisztlSchmidt BT § 118 V 1; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 369; Schünemann S. 224; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658; Tietz S. 56 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 27; TröndlelFischer Rdn. 4; Wachenfeld § 1211; Weiser S. 16; Wilden S. 57. 154 RGSt. 69 287, 288; Bader SJZ 1923/24 366; Frank Anm. I; Gaedke Hdb. S. 119; Kaiser Med Kl. 62 (1967) 647; v. Lisztl Schmidt BT § 118 V 1; v. Olshausen Anm. 2 a; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 369; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658; Trockel Rechtswidrigkeit S. 28; einschränkend Crusen S. 41; Kretschmer S. 335; Wüst S. 26 f. 1,5

196

Bieri S. 27; Bohne S. 131; Brechenmacher S. 37; Crusen S. 41; Frank Anm. I; Kahl VDB III S. 63; F.-W. Koch S. 22f; Kretschmer S. 334 Fn. 69 (mit Einzelheiten); Trockel Rechtswidrigkeit S. 28. Bieri S. 25; Crusen S. 34; Herzog N K Rdn. 5; Josef Gruchot 65 317; Kretschmer S. 334; Maurachl Schroeder! Maiwald 2 § 62 Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; Tröndlel Fischer Rdn. 3; Welzel Strafrecht § 66 IV 1.

(195)

1,7

198

199

Bader SJZ 1923/24 366; Bieri S. 29; Binding Lehrbuch I § 45 1 I; Deutsch Medizinrecht Rdn. 488; Herzog N K Rdn. 5; Gaedke Hdb. S. 119; Kahl VDB III S. 63; Kretschmer S. 334; Rausnitz Recht 1903 594; Stentenbach S. 12. Bader SJZ 1923/24 366; Bieler JR 1976 228; v. Olshausen Anm. 2c; Rudolphi SK Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 4; Kaiser Transplantation S. 8; MedKl. 62 (1967) 643; Trockel M D R 1968 812; JR 1974 597; v. Schwerin SeufTBl. 70 (1905) 658 (für den wissenschaftlich zerlegten Körper). Vgl. dazu beispielsweise den Runderlaß des niedersächsischen Sozialministers zur Ablieferung von Leichen für den anatomischen Unterricht an der Universität Göttingen und der Medizinischen Hochschule Hannover vom 8.3. 1962 (MB1. S. 280)/15.4.1965 (MB1. S. 385) und den Runderlaß des nordrhein-westfalischen Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 4.4.1985 zur Überlassung von menschlichen Leichen für den Anatomieunterricht an Medizinstudierende (MBI. S. 537), die den Anatomischen Instituten die Pflicht auferlegen, den Leichnam würdevoll zu bestatten, wenn er für medizinische Zwecke nicht mehr benötigt wird.

Karlhans Dippel

§ 168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Objekte von Diebstahl und Unterschlagung sowie von Sachbeschädigung sein.200 Keine tauglichen Objekte des § 168 Abs. 1 sind ferner Moorleichen und Mumien. 201 Schon ihr äußeres Erscheinungsbild ist nicht mehr das des Körpers eines verstorbenen Menschen. Auch hier stützt sich die, allerdings wesentlich stärkere, Gegenmeinung 202 auf den Wortlaut Körper eines verstorbenen Menschen, dem die Einheit, die diese menschlichen Gestalten trotz der im Laufe der Zeit auch bei Mumien eingetretenen Veränderungen noch immer mehr oder weniger aufweisen, durchaus entspricht. Letztlich ist aber auch hier entscheidend, daß ihnen nicht mehr das für das Tatbestandsmerkmal entscheidende Gefühl der Verbundenheit und Pietät entgegengebracht wird, dies eher deutlicher, als bei Anatomieleichen, denen bis zu ihrer Umwidmung dieses Gefühl noch galt. 24

b) Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen sind Gegenstände, die vom Körper abgetrennt oder ihm entnommen worden sind. aa) Der Begriff erfordert, daß mit der Loslösung vom Körper in die Substanz des Körpers eingegriffen, ihm Essentielles entzogen wird (Kretschmer S. 335). Eine restriktive Auslegung dieses Erfordernisses, um geringfügige Substanzen auszuschließen, wäre nicht dadurch verwehrt, daß das Rechtsgut des Schutzes des Pietätsgefühls in den Tatbestand selbst keinen Eingang gefunden hat; denn jede teleologische Auslegung geht in erster Linie vom geschützten Rechtsgut aus, das damit ungeachtet des geschriebenen oder ungeschriebenen Tatbestandes Leitlinie der Auslegung sein kann CBlei JA 1975 241; Roxin JuS 1976 506; and. OLG Frankfurt NJW 1975 272). Doch läßt die Beschaffenheit des Rechtsguts quantitative Abstufungen nicht zu (Roxin JuS 1976 506; vgl. auch Blei JA 1976 167). Allgemein setzt auch das Merkmal Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen voraus, daß in seiner Gesamtheit ein menschlicher Körper noch vorhanden ist.203 Skelettreste genügen dafür nicht (Herzog N K Rdn. 6; SchlSchröderILenckner Rdn. 3; and. Kretschmer S. 342). Auch Reliquien von Märtyrern scheiden aus. Sie genießen zwar Verehrung; doch gilt ihnen nicht das für den Strafschutz erforderliche spezifische Gefühl der Verbundenheit und Pietät. Als res sacrae unterliegen sie indessen ohnehin besonderen Regeln (Schiinemann S. 78). Der weggenommene Leichenteil muß nicht allein Gegenstand der Pietät sein können. Auch braucht der Eingriff den Leichnam nicht verunstaltet zu haben (so aber Blei JA 1975 241). Ebensowenig kommt es darauf an, ob das Pietätsgefühl vernünftigerweise beeinträchtigt sein kann (vgl. aber SchlSchröderILenckner Rdn. 3; ferner Kohlhaas D M W 89 [1964] 1604). 200

201

Arzt/Weber BT § 13 R d n . 30, § 44 R d n . 56 im Anschluß an BayObLGSt. 26 173 („Grabstraußfall"); Herzog N K R d n . 26; Joecks R d n . 10; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 R d n . 10; Roxin JuS 1976 506 Fn. 2; Rudolphi SK R d n . 2; SchlSchröderILenckner R d n . 3; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 372f; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 668; Stellpflug S. 11; Tröndlel Fischer R d n . 3; f ü r Sachbeschädigung im Ergebnis auch Kretschmer S. 379. Binding Lehrbuch I § 45 I; Crusen S. 31; Deutsch Medizinrecht R d n . 488; Forke! J Z 1974 593; Gaedke Hdb. S. 214; Joecks R d n . 3; Johnsen S. 80; Lackner/Kühl R d n . 3; Maurachl Schroeder/Maiwald 2 § 62 R d n . 10; E. Merkel Leichenr a u b S. 7; Mittelstein G A 34 180; Rausnitz Recht 1903 594; Rudolphi SK R d n . 2; Schroth

202

203

BT S. 242; Seinsch S. 22; Tröndlel Fischer R d n . 3. Gaedke Hdb. S. 120f; Henne S. 4; Josef G r u c h o t 65 314f, 317; Kahl V D B III S. 63; F.-W. Koch S. 21; Kretschmer S. 332f; v. LisztlSchmidt BT § 118 V 1; Schultheis S. 40; Tietz S. 35; Wilden S. 55f; differenzierend Bieri S. 28; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658. Vgl. schon R d n . 23 mit Nachweisen Fn. 193; and. Kretschmer, der die Eigenschaft als Leichenteil gänzlich vom weiteren Schicksal der verbliebenen Leiche unabhängig erachtet, so d a ß als Leichenteile alle körperlichen Substrate anzusehen wären, denen das vormalige Menschsein anhaftet (S. 342); ferner Blei BT S. 132; Funken S. 4; Laturner S. 43; v. Olshausen A n m . 2 c; Tietz S. 30

Stand: 1. 7. 2003

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bb) Die Einzelfälle sind vielfaltig und meist umstritten. Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen sind zunächst Transplantate, 204 denen vor allem das praktische Interesse gilt. Ebenso fallen diejenigen dem Körper künstlich eingefügten Teile unter den Begriff, die organisch mit dem Körper verbunden sind und nicht ohne Gewalt oder Verletzung des Körpers weggenommen werden können, beispielsweise Zahnbrücken und Plomben, Knochenplastiken wie Kniescheiben, Hüftgelenke und Rippen, Luft- und Speiseröhren, als Ersatz der Schädeldecke dienende Silberplatten sowie Herzschrittmacher. 205 Sie haben durch die Einbeziehung in die Körperfunktionen ihres Trägers die Sachqualität verloren und unterfallen dadurch ebenso dem besonderen Persönlichkeitsrecht am Körper wie die natürlichen Körperteile. 206 Indem diese Gegenstände als dem Körper zugehörig empfunden werden, erstreckt sich, worauf es bei dem Tatbestandsmerkmal ankommt, auch auf sie das Gefühl der Verbundenheit und Pietät. 207 Dem Körper nur angefügte Gegenstände, wie Perücken, Hörgeräte, künstliche Augen, Gebisse und sonstige Prothesen gehören dazu nicht. Sie sind Sachen geblieben, damit keine Körperteile geworden und können deshalb nach dem Tod ihres Trägers auch keine Leichenteile sein.208 Vielfach wird das dem Toten für eine Blutprobe entnommene Blut als Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen angesehen. 209 Dem läßt sich jedoch entgegenhalten, daß die Blutprobe zwar ein menschliches Substrat ist, sie aber nichts Essentielles enthält, an dem eine verletzende Handlung möglich wäre, die ihre Anerkennung als Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen zu rechtfertigen vermöchte. 210 Allenfalls könnte eine Tatbestandsver204

205

206

Bockelmann ArchKlinChir. 322 (1968) 50; Herzog N K Rdn. 5; Kiesecker S. 151; LacknerlKühi Rdn. 2; Peuster MedKl. 67 (1972) 683; TröndlelFischer Rdn. 5; and. v. Kress S. 7. Bieri S. 73 ff; Funken S. 27 f; Gaedke Hdb. S. 214f; Herzog N K Rdn. 6; Schroth BT S. 242; SchlSchröderILenckner Rdn. 3; Stentenbach S. 87 fî; Tietz S. 61 f; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Weimar JR 1979 363; mit Ausnahme von Herzschrittmachern auch Brandenburg JuS 1984 48; Görgens JR 1980 141; Gropp JR 1985 183; and. OLG Gera HESt. 2 296; Bringewat JA 1984 62; Joecks Rdn. 4; R. Kaufmann S. 94; Lackner/Kühl Rdn. 2; Rudolphi Jura 1979 39, 46f (Examensklausur Strafrecht); Rudolphi SK Rdn. 2; Schorn DZgerMed. 14(1930) 380. Auch zivilrechtlich besteht insoweit Einigkeit, als künstliche Körperteile wie natürliche das rechtliche Schicksal des Leichnams teilen. Streitig bleibt indessen, ob der Leichnam zwar eine Sache, aber jedenfalls nicht eigentumsfähig ist (vgl. Rdn. 4) mit der Folge, daß er samt den fest mit ihm verbundenen künstlichen Teilen in niemandes Eigentum steht, keinem Aneignungsrecht unterliegt und nicht vererbt werden kann. Mit dieser Auffassung würden die Erben auch an den fest mit dem Körper verbundenen oder verbunden gewesenen künstlichen Teilen kein Eigentum erlangen. Dabei ist im Detail wiederum streitig, ob Herzschrittmacher zu diesen Teilen gehören. Das bejahendenfalls auch insoweit bestehende Aneignungsrecht wird teils den totenfürsorgeberechtigten Angehörigen, teils den Erben zuerkannt. Vgl. zum Ganzen die ausführ-

(197)

liche Darstellung der Rechtslage bei Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 52ff; ferner Brandenburg JuS 1984 47f; Eichholz N J W 1968 2272ff; Görgens JR 1980 142f; Gropp JR 1985 182ff; Kallmann F a m R Z 1969 2721T; R. Kaufmann S. 94f; Κ Müller S. 73ff; Ruß § 242 Rdn. 10; Sch/Schröder/Eser § 242 Rdn. 21; Schünemann insb. S. 226ff; 279f; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 653 ff; Weimar JR 1979 363 f. 207 Woran es beispielsweise prinzipiell mangelt, wenn etwa eine gesetzlich vorgeschriebene zahnärztliche Leichenschau bezwecken soll, der Volkswirtschaft die Erhaltung des Zahngoldes zu sichern (K F. Hoffmann DZgerMed. 18 [1932] 97 unter Hinweis auf Werkenthin Das Gold der Toten, Zahnärztliche Rundschau 1925 Nr. 39; vgl. auch Gropp JR 1985 184). 208 £) a s ¡ s t freilich sehr streitig. In diesem Sinne beispielsweise auch Herzog N K Rdn. 5; SchlSchröderILenckner Rdn. 3; Tröndlel Fischer Rdn. 5; and. LacknerlKühi Rdn. 4; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 10; Otto BT Rdn. 12; Rudolphi SK Rdn. 2. 2M

210

OLG Frankfurt N J W 1975 271, 272 mit zust. Anm. Geilen JZ 1975 379, 380 (dazu krit. Blei JA 1975 523) und Martens N J W 1975 1668; NJW 1977 859 mit zust. Anm. Brackmann BA 14 (1977) 347; Grebing G A 1979 96; Herzog N K Rdn. 6; LacknerlKühi Rdn. 2; Preisendanz Anm. 2a; Roxin JuS 1976 505, 506; Rudolphi SK Rdn. 2; Stentenbach S. 13f; Tröndlel Fischer Rdn. 4. Kretschmer S. 335; im Ergebnis ebenso Blei BT § 36 II 1; JA 1975 241; 1976 667; Mäurach!

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11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich a u f Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

wirklichung in einer allzu rohen Gewinnung der Blutprobe liegen (Kretschmer S. 335). Dasselbe wird für geringfügige Gewebeproben gelten müssen. 211 In anderen Fällen der Entnahme von „Kleinstteilen" kann die Grenze zum Essentiellen hin überschritten sein, so bei zu Forschungszwecken entnommenen Knochenpartikeln (Roxin JuS 1976 506 Fn. 8 gegen Blei JA 1975 241), Gehörknöchelchen, Augenhornhäuten und Hypophysen,212 wobei Art und Maß des Substanzverlustes von Fall zu Fall festzustellen sein wird (Kretschmer S. 336). Noch keine Eingriffe in die Substanz des toten Körpers sind jedenfalls die Rasur, der Haarschnitt oder das Beschneiden der Fingernägel (Blei JA 1975 241; Kretschmer S. 336; Roxin JuS 1976 506), abgesehen davon, daß diese Handlungen der Pietät eher dienen als ihr abträglich zu sein pflegen (vgl. Roxin JuS 1976 506). 26

cc) Die Dauer des Schutzes von Teilen des toten Körpers entspricht der Dauer des Schutzes des toten Körpers selbst (Rdn. 23). Er besteht daher grundsätzlich ebenfalls nur solange, wie die Integrität der Leiche, also ihre Ganzheit und Vollkommenheit, erhalten bleibt (Herzog N K Rdn. 6; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3). Allerdings genießen nach allgemeiner Empfindung Teile, die vom toten Körper losgelöst sind, das Gefühl der Pietät nicht in dem hohen Ausmaß, das der Leiche selbst zuteil wird, weil insoweit das Pietätsgefühl immer nur auf der gedanklichen Verbindung des Toten mit dem Lebenden beruht (Herzog N K Rdn. 6). Eine solche Verbindung stellt sich bei bestimmten vom toten Körper gelösten Teilen in der Regel nicht ein, so beispielsweise gegenüber Hirnhäuten, die Toten nach der Obduktion entnommenen worden sind, und die einer gesonderten Beseitigung zugeführt werden sollen.213 Da eine Leiche, die zum Skelett geworden ist, keine Integrität mehr besitzt (Rdn. 23), fallt auch die Wegnahme von Skeletteilen nicht unter den Tatbestand (Herzog N K Rdn. 6). Dasselbe gilt für die Aneignung von dem früheren toten Körper zugehörigen künstlichen Teilen, die beim Ausheben aufgelassener Gräber oder bei anderer Gelegenheit weggenommen werden, beispielsweise das Ausbrechen von Goldplomben eines aus einem aufgelassenen Grab stammenden skelettierten Kiefers.214

27

c) Die Erstreckung des Strafschutzes auf die tote Leibesfrucht215 und Teile einer solchen ist die strafrechtliche Konsequenz aus der Auffassung, daß Embryonen und Feten als Teile der Werteordnung des Grundgesetzes selbst Träger von Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 G G sind, die sich schon an die Befruchtung der Eizelle knüpft (Stern III/l S. 1057), spätestens jedoch mit der Nidation (BVerfGE 39 1, 41; 88 203, 252) beginnt und, wie die des geborenen Menschen (BVerfGE 30 173, 194), über ihren Tod hinaus fortwirkt. 216 Durch die Erweiterung ist eine Strafbarkeits-

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SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 3. Kohlhaas D M W 89 (1964) 1604; 93 (1968) 1612 (Hautteile); Kretschmer S. 335; and. KG NJW 1990 782, 783; Rudolphi SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 3. Kopp MedR 1997 544; Kretschmer S. 336 Fn. 82; LacknerlKühl Rdn. 2; Rudolphi SK Rdn. 2. AG Berlin-Tiergarten NJW 1996 3092 mit abl. Anm. SchmeissnerlWolfslast NStZ 1997 548; Herzog N K Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 2; and. Rudolphi, der den Schutz erst entfallen läßt, wenn die Leichenteile befugtermaßen zu Objekten des Rechtsverkehrs gemacht worden sind (SK Rdn. 2).

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215

2,6

Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 7 gegen Jagusch LK 8 Anm. 1 b; Kohlrauschi Lange Anm. II; vgl. dazu auch die zivilrechtliche Sicht bei LG Köln MDR 1948 365 und Dotterweich JR 1953 174; and. Gaedke Hdb. S. 215. Wozu bemerkenswert erscheint, daß der Begriff der Leibesfrucht, den die Reform des § 218 bewußt nicht mehr verwendet hat, hier in das Strafrecht zurückgekehrt ist (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 11). So zuletzt beispielsweise Gropp GA 2000 6; Harks NJW 2002 717; Spranger MedR 1999 210, 211; NVwZ 1999 857; vgl. aber auch Zuck NJW 2000 869. Ob Embryonen und Feten als ungeborene Menschen darüber hinaus aus

S t a n d : 1. 7. 2003

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lücke des § 168 Abs. 1 1. Alt., die entstanden war, weil die Rechtsprechung tote Leibesfrüchte, jedenfalls im Frühstadium, nicht als Leichen ansieht (vgl. Rdn. 22), geschlossen worden, wenn auch nicht im erwünschten Ausmaß (Rdn. 1, 20). Immerhin erfaßt der Strafschutz nunmehr über den bis zu drei Monaten alten Embryo hinaus auch den danach bestehenden Fötus. Er beginnt nach einhelliger strafrechtlicher Auffassung ungeachtet der verfassungsrechtlichen Diskussion mit dem Abschluß der Einnistung der befruchteten menschlichen Eizelle in die Gebärmutter der Frau (Nidation). 217 Zuvor muß eine Schwangerschaft im Sinne eines symbiotischen Verhältnisses von Embryo und werdender Mutter bestanden haben. 218 Deshalb fallen durch extrakorporale Befruchtung entstandene Embryonen nicht unter den Begriff (vgl. schon Rdn. 20). Die Schwangerschaft nimmt, biologisch gesehen, mit der Besamung der Eizelle und der nachfolgenden Befruchtung, also vor der Nidation (Progestationsphase) ihren Anfang. Wenn gleichwohl sie als der für den Beginn des Strafschutzes maßgebliche Zeitpunkt angesehen wird, so mag das damit zusammenhängen, daß vom mütterlichen Organismus her betrachtet erst mit ihr die eigentliche Schwangerschaft beginnt (Gestationsphase). Praktisch hat die Unterscheidung keine Bedeutung, weil eine Entnahme der Eizelle schon in der Progestationsphase zwar denkbar ist, aber wohl kaum vorkommen dürfte (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3). Embryonen als Ergebnis einer extrakorporalen Befruchtung nehmen erst durch ihre Implantation am Strafschutz der §§ 168 Abs. 1 1. Alt., 218 teil (BTDrucks. 10/6568 S. 3; Rudolphi SK Rdn. 2; Seht Schröder!Lenckner Rdn. 3). Bis dahin sind sie völlig schutzlos (dazu schon Rdn. 20). Das Embryonenschutzgesetz (Rdn. 20 Fn. 176) erfaßt nur lebende Embryonen (Rdn. 20 Fn. 177). Allerdings bleibt die befruchtete Eizelle auch extrakorporal durch das Persönlichkeitsrecht der Mutter gebunden, die deshalb Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen kann (Schünemann S. 287). d) Asche eines Verstorbenen sind die Verbrennungsreste seines Körpers, auch wenn 2 8 sie nicht vollständig sind.219 Zur Asche gehören auch organisch mit dem Körper fest verbunden gewesene nicht fremde Bestandteile (Rdn. 25), soweit sie nicht verbrennbar sind (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 4). Die Tathandlung dürfte sich der Sache nach gegen die aschegefüllte Urne richten (Herzog N K Rdn. 7). Bei der Asche tritt eine Beendigung des Schutzes, wie ihn beim Körper eines verstorbenen Menschen der Verwesungsprozeß bewirkt (Rdn. 23), nicht ein. Daher wird die Asche eines Verstorbenen gewöhnlich länger geschützt sein, als es sein Körper gewesen wäre. Es gibt keinen Anhalt dafür, daß das Gesetz mit der Ausdehnung des Strafschutzes auf die Asche eines Verstorbenen das Recht, wie es für Leichen besteht, verändern oder die Asche entgegen ihrer natürlichen Beschaffenheit der rechtlichen Beurteilung von Leichen hat gleichsetzen wollen. Daher bleibt die Asche eines Verstorbenen regelmäßig so lange geschützt, wie das ihr geltende Pietätsempfinden noch nicht erloschen ist. 2. Die Tathandlung besteht in der unbefugten Wegnahme des Körpers oder von Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen, einer toten Leibesfrucht oder von

217

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 G G ein eigenes Lebensrecht besitzen, ist umstritten (vgl. etwa die Kontroverse von Weiß JR 1992 182 und Hoerster JR 1955 51); bejahend neuestens Gropp GA 2000 6. BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6568 S. 4; Herzog N K Rdn. 8; LacknerlKühl Rdn. 2; Maurach/ Schröder!Maiwald 2 § 62 Rdn. 11; Rudolphi SK Rdn. 2; Schroth BT S. 242; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3; Tröndle!Fischer Rdn. 5. Näher zum

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2,8

219

Begriff Nidation LacknerlKühl § 218 Rdn. 8; SehlSchröder!Eser § 218 Rdn. 6; Tröndle!Fischer §218 Rdn. 4. Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 3 unter Hinweis auf Eser BTRAusschProt. 13/70 Ani. S. 16. Herzog N K Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 2; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 3; Tröndle /Fischer Rdn. 7.

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Teilen einer solchen oder der Asche eines verstorbenen Menschen aus dem Gewahrsam des Berechtigten. Mit dem Erfordernis der Wegnahme aus dem Gewahrsam des Berechtigten ist der Tatbestand diebstahlsähnlich (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 12) ausgestaltet. Daraus ergeben sich Gemeinsamkeiten beider Tatbestände, aber auch dogmatische Probleme, die zu einer gewissen Schutzlosigkeit des Berechtigten gegenüber dem Inhaber des Gewahrsams (näher Rdn. 30 bis 32) führen. a) Wegnahme ist hier der Bruch des Gewahrsams, ohne daß im Unterschied zu § 242 (vgl. z. B. Ruß LK Rdn. 40) notwendigerweise neuer Gewahrsam begründet werden muß. 220 Das folgt aus dem Sinn der Vorschrift; denn für den Erfolg des Angriffs auf das Pietätsempfinden macht es keinen Unterschied, ob der Täter die Leiche in einen anderen Gewahrsam bringt oder es bei dem bestehenden Gewahrsam beläßt. Ebenso wie bei § 242 (vgl. auch dazu ζ. B. Ruß LK Rdn. 35) setzt die Aufhebung des Gewahrsams begrifflich jedoch ein Handeln gegen oder ohne Willen des zum Gewahrsam Berechtigten, der tatsächlich auch den Gewahrsam ausübt, voraus (Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4). Bei mehreren Berechtigten ist der Wille des in der Rangfolge (dazu Rdn. 40) höheren maßgeblich. Hat ein Berechtigter nicht zugleich wenigstens Mitgewahrsam, so ist für das Merkmal Wegnahme sein Wille ohne Bedeutung (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4). Das wirksame Einverständnis des Berechtigten schließt bereits den Tatbestand aus, weil die Wegnahme entfallt. 221 Dies gilt auch bei entgegenstehendem Willen des Verstorbenen (LackneriKühl Rdn. 4). Er bindet den Berechtigten ebenso wie seine vor dem Tod ausdrücklich erklärte Einwilligung in eine Transplantatentnahme. Relevant wird diese Bindung jedoch nur bei Uneinigkeit, und wenn wenigstens einer der Angehörigen den Willen des Verstorbenen gegen die anderen durchzusetzen sucht (näher Rdn. 40). Die Auffassung, die Angehörigen könnten bei entgegenstehendem Willen des Verstorbenen ihre Einwilligung wirksam nicht erklären, 222 übersieht, daß der Wille des Verstorbenen so weit nicht trägt. Er vermag zwar eine sonst unbefugte Wegnahme zu rechtfertigen, ist auch imstande, einen bestimmten Gewahrsam herbeizuführen (vgl. Rdn. 40), kann aber die Ausübung des einmal entstandenen Gewahrsams direkt nicht mehr beeinflussen, beispielsweise nicht verhindern, daß der Berechtigte den Gewahrsam aufgibt. Die praktisch häufigsten Fälle unbefugter Wegnahmen sind, nachdem es bei Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation auf den Gewahrsam des Berechtigten nicht mehr ankommt (dazu Rdn. 18), die nicht Transplantationszwecken dienenden Entnahmen von Leichenteilen im Rahmen klinischer Sektionen einschließlich derjenigen, die wissenschaftlichen Zwecken dienen. 223 Die Frage, ob der Tatbestand 224 bei kleinsten, kaum sichtbaren

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223

RGSt. 28 139; BayObLG NJW 1981 1745, 1746; Herzog N K Rdn. 12; Joecks Rdn. 5; Küper BT S. 243; Lackner/Kühl Rdn. 3; H. Otto Jura 1992 667 f; BT § 64 Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 6; Schroth BT S. 243; Sehl Schröder ¡Lenckner Rdn. 4; Stellpflug S. 19; TröndlelFischer Rdn. 8. Herzog N K Rdn. 15; Rudolphi SK Rdn. 7; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; Stellpflug S. 62; TröndlelFischer Rdn. 11. v. Bubnoff G A 1968 73; Laufs VersR 1972 8; ferner Deutsch Z R P 1982 176; Geiger Festschrift Stein S. 95. Allgemein zur Strafbarkeit unbefugter Sektionen Rdn. 4, ferner Rdn. 20 (zu einer künftigen gesetzlichen Regelung, auch der Zulässigkeit wissenschaftlicher Versuche); and. Eb. Schmidt,

alle Sektionen, gleich welchen Zwecken sie dienen, würden schon nicht in das Bewahrungsrecht der Angehörigen eingreifen, weil am Leichnam nichts geschehe, was unter religiösen oder sittlichen Gesichtspunkten zu beanstanden sei (KrHA 25 [1952] 2140; Arzt S. 73f); zust. Schöllgen K r H 45 (1953) 100; ähnlich Welzel die Sektion zu Ausbildungszwecken sei stets zu gestatten (Strafrecht § 65 IV 1); ferner schon Striemer MedW 3 (1929) 1376; vgl. dazu auch Bieri S. 91; Kretschmer S. 528 f; Linck N J W 1976 1806. Zur Behandlung der Sektion als Rechtfertigungsgrund Rdn. 42. 224

Nach anderer Auffassung (vgl. BGHSt. 23 228) die Rechtswidrigkeit.

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Eingriffen, etwa der Entnahme geringsten Knochenmaterials zum Aufbau von Hörorganen, durch Sozialadaequanz ausgeschlossen sein kann, sollte für Entnahmen im Rahmen eigenmächtiger Sektionen nicht anders gesehen werden, als bei solchen zum Zwecke der Transplantation (Rdn. 20; vgl. dazu auch Rdn. 25). Keine Wegnahme ist die medizinische Weiterbehandlung einer Toten. 225 Hingegen wird mit der Entfernung der Leiche aus dem Grab der Gewahrsam des Inhabers der Grabstelle (Rdn. 35) gebrochen. Den regelmäßig bestehenden Mitgewahrsam der Friedhofsverwaltung (Rdn. 35) kann der Gewahrsamsinhaber selbst brechen, beispielsweise indem er ohne das Einverständnis der Friedhofsverwaltung eine Umbettung der Leiche oder eine Umsetzung der Aschenurne (Rdn. 38) vornimmt. Abgesehen von der unrichtigen Annahme von Alleingewahrsam der Friedhofsverwaltung (vgl. dazu Rdn. 35), hat daher das Landgericht Hamburg den Fall der eigenmächtigen Umsetzung einer Aschenurne durch den Berechtigten im Ergebnis richtig entschieden (LG Hamburg NStZ 1992 51l). 226 b) Der Begriff Gewahrsam in der Modifizierung des § 168 Abs. 1 1. Alt. (Doppelmerkmal Gewahrsam des Berechtigten) ist umstritten.

30

aa) Einigkeit besteht allerdings in der rechtlichen Ausgangslage. Der Begriff Gewahrsam ist im Sinne der tatsächlichen Herrschaftsbeziehung zu verstehen, wie sie den §§ 242, 246 zugrunde liegt. Der Körper eines verstorbenen Menschen als Gegenstand des Gewahrsams läßt jedoch eine solche Beziehung nicht zu (Geilen JZ 1971 43; vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6). Jede Parallele zur Aneignung von Sachwerten wäre „geschmacklos, ungenau und unrichtig" (Sauer BT § 41 II 4). Fest steht deshalb, daß der Begriff des Gewahrsams des § 168 Abs. 1 1. Alt. nicht mit dem der §§ 242, 246 völlig gleichgesetzt werden kann. Er erweist sich ihm gegenüber als „tatferner und rechtsnäher" (Maurach/Schroeder!Maiwald 2 § 62 Rdn. 12). Gemeint ist daher nicht „Gewahrsam", sondern die Obhut über die Leiche im Sinne eines Aufsichts- oder Bewachungsverhältnisses. 227 Streit besteht, ob daraus folgt, daß der Begriff als rein normatives Merkmal im Sinne eines Obhutsrechts, das tatsächlich auch von anderen ausgeübt werden kann, zu verstehen ist, oder zum Gewahrsamsbegriff stets ein Moment der Faktizität im Sinne eines tatsächlichen Obhutsverhältnisses gehört (vgl. dazu schon Rdn. 18). Beide Auffassungen haben seit je gewichtige Stimmen für sich. Von einer herrschenden Meinung oder einer überwiegenden Auffassung konnte jedenfalls bis zum Eingriff des Gesetzgebers in die bislang offene Streitfrage (dazu ausführlich Rdn. 18) und dessen Auswirkung auf die Meinungsbildung keine Rede sein (Hanack StudG 23 [1970] 434 Fn. 5). bb) Für die Ansicht, daß der Berechtigte tatsächlich Gewahrsam gehabt haben 3 1 muß, spricht entscheidend und nicht widerlegbar der Gesetzeswortlaut. Aus ihm ergibt sich die selbständige kumulative Bedeutung des Gewahrsams und damit die Notwendigkeit einer zusätzlichen faktischen Komponente. 228 D a ß der Wortlaut der 225

226

227

R. Beckmann MedR 1993 122; Kiesecker S. 201; Kretschmer S. 532; LacknerlKühl Rdn. 3. Zur Strafbarkeit nach der zweiten Alternative des Absatzes 1 Rdn. 47. Die Kritik sieht in dieser Entscheidung eine bedenkliche Ausschaltung der Angehörigen gegenüber der Friedhofsverwaltung (Maurachl Schroeder/Maiwald 2 §62 Rdn. 13). In diesem Sinne z.B. Herzog N K Rdn. 11; Küper BT S. 423; Maurach! Schroeder! Maiwald 2

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§ 62 Rdn. 12; H. Otto Jura 1992 667; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 8. So insb. O L G Karlsruhe Justiz 1977 313; O L G Zweibrücken JR 1992 412 mit zust. Anm. Laubenthal'; Geilen JZ 1971 43; 1975 381 (Anm. zu OLG Frankfurt JZ 1975 379); HeiferlPluisch Rmed. 1 (1991) 78f; Korthals S. 113f; Otto BT § 64 Rdn. 13; Roxin JuS 1976 507; Rudolphi SK Rdn. 8.

Karlhans Dippel

§168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

Bestimmung auch eine andere Auslegung zulasse, stützt die Gegenmeinung (so ζ. B. MaurachlSchwederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 12; LK Voraufl. Rdn. 24) auf die Motive zu dem mit § 168 Abs. 1 1. Alt. im Wortlaut gleichen § 137 des Preußischen Strafgesetzbuches vom 14.4.1851, wo es heißt, unter den Tatbestand fallen solle „auch die Wegnahme von Leichen, oder von Theilen derselben lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken, also durch Aerzte, Anatomen usw". 229 Dies belegt aber noch nicht, daß vom Gesetzgeber des Strafgesetzbuchs selbst die „teleologische Umformung des Gewahrsams" (Geilen JZ 1975 381 [Anm. zu OLG Frankfurt JZ 1975 379]) in diesem Sinne vorgenommen worden ist, abgesehen von der im Hinblick auf die tiefgreifende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse seit Mitte des 19. Jahrhunderts überhaupt nur geringen Relevanz dieser Argumentation (vgl. Stentenbach S. 73 f).230 Umgekehrt läßt sich aus dem Verhalten des späteren Gesetzgebers schließen, daß er die Ausgestaltung des Tatbestandes als tatsächliches Obhutsverhältnis gebilligt hat, weil ihm bei der Erweiterung der Strafbarkeit durch das 3. StrÄndG die Problematik zumindest im Hinblick auf die Leichensektion bekannt war (Geilen JZ 1971 44). Mag die Überprüfung des Tatbestandes auch in dieser Richtung für das 3. StrÄndG vielleicht noch als Vermutung angesehen werden können, so ist sie bei der Neufassung der Vorschrift durch das 24. StRÄndG jedoch gewiß (vgl. dazu Rdn. 18).231 32

cc) Die Gegenmeinung gelangt zu einem tatsächlichen Obhutsrecht, indem sie das Rechtsgut der „humanitären Pietät" (Hanack StudG 23 [1970] 434) als obersten Richtpunkt der Auslegung (krit. dazu Bockelmann Strafrecht S. 106; Geilen JZ 1971 44) nimmt. Dogmatischer Kern dieser Konstruktion ist die Annahme, daß das Doppelmerkmal Gewahrsam des Berechtigten eine begriffliche Einheit zur Kennzeichnung des geschützten Obhutsverhältnisses zum Leichnam darstellt und das geschützte Obhutsverhältnis des Berechtigten zu dem Leichnam kennzeichnet (v. Bubnoff GA 1968

229

230

231

Goltdammer Die Materialien z u m S t r a f = G e setzbuche f ü r die Preußischen Staaten, Theil II: D e n besonderen Theil enthaltend (1852) S. 273 unter Hinweis auf Ständ. A u s s c h u ß III, S. 345, 346 u n d Revision III, S. 14. Eine ausführliche N o r m g e n e s e namentlich a n H a n d der Rechtstatsachen, die vermutlich zur A b k e h r von der seit d e m Allgemeinen L a n d recht f ü r die Preußischen Staaten von 1794 in allen Partikulargesetzbüchern u n d zunächst a u c h n o c h in den E n t w ü r f e n z u m Preußischen Strafgesetzbuch enthaltenen pauschalen Erfassung der E n t w e n d u n g von Leichen g e f ü h r t haben, findet sich bei Kretschmer S. 255 f. D e n f ü r den Verlust des Leichnams als selbständiges AngrifTsobjekt gewonnenen berechtigten Gew a h r s a m an der Leiche bezeichnet Binding als „Ersatz zweifelhafter G ü t e u n d B e d e u t u n g " (Lehrbuch I S. 184). Als Vertreter dieser Auffassung sind zu n e n n e n Bieler J R 1976 227; Blei B T § 36 II 1; Bockelmann Strafrecht S. 106f; ArchKlinChir. 322 (1968) 51 f; AT. Bode ZBlAllgPath. 86 (1950) 370; Brenner O r g a n t r a n s p l a n t a t i o n S. 131; Bucherl Louisell S. 135 (unter Hinweis auf die entsprechende Auslegung der den gleichen normativen G e h a l t aufweisenden Bestimmung des A r t . 262 Nr. 2 S c h w S t G B ; DalckelFuhrmann! Schäfer

A n m . 3; Engisch C h i r u r g 38 (1967) 252f; Geilen J Z 1971 43 f; 1975 381 ( A n m . zu O L G F r a n k f u r t J Z 1975 379); Heifer!Pluisch Rmed. 1 (1991) 78f; Heinitz S. 23; Joecks R d n . 5; Kaiser M e d K l . 62 (1967) 647; Kiesecker S. 151 f; Kohlhaas S. 114f; Korthals S. 113f; Küper BT S. 423; Laufs VersR 1972 8 F n . 54; Kn. Müller S. 89; Otto BT § 64 R d n . 13; Penning-Liebhardt Festschrift S p a n n S. 446; Preisendanz A n m . 2b; Roxin J u S 1976 507; Schutz S. 101; Rudolphi S K R d n . 3; Rüping G A 1977 303; 1978 130; Samson Probleme S. 25; Sauer BT § 41 II 4; Sch/SchröderlLenckner R d n . 6; H.-L. Schreiber Internist 51 (1974) 251; Festschrift K l u g S. 346; Siegrist M M W 111 (1969) 745 (zu A r t . 262 Nr. 2 SchwStGB); Spann!Liebhardt M M W 109 (1967) 673; Trochei Rechtswidrigkeit S. 29 f; M D R 1969 812; TröndlelFischer R d n . 8. Ihnen folgt ganz überwiegend die Rechtsprechung z. B. O L G K a r l s r u h e Justiz 1977 313; O L G M ü n c h e n N J W 1976 1805 mit zust. A n m . Linck\ O L G H a m burg G A 73 72; O L G S t u t t g a r t Justiz 1977 313; O L G Zweibrücken J R 1992 412 mit zust. A n m . Laubenthal·, vgl. auch O L G F r a n k f u r t N J W 1975 271 mit zust. A n m . Geilen J Z 1975 379 u n d Marten N J W 1975 1686; N J W 1977 859 mit zust. A n m . Brackmann BA 14 (1977) 347.

Stand: 1. 7. 2003

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72).232 Da die Angehörigen primär obhutsberechtigt sind (vgl. Rdn. 36), wäre ihr tatsächliches Obhutsrecht gegenüber dem der anderen Berechtigten vorrangig, ihm vorgelagert (Penning!'Liebhardt Festschrift Spann S. 446), woraus sich beispielsweise ergäbe, daß diese den Gewahrsam auch dann für die in Betracht kommenden Angehörigen ausüben, wenn die Leiche, etwa nach einem tödlichen Unfall oder beim Ableben in einer Klinik, zunächst ohne deren Wissen in ihre Obhut gerät (Hanack DÄB1. 66 [1969] 1330f). Das praktisch bedeutsamste Ergebnis dieser Auslegung bestünde darin, daß Konsequenzen aus der „unerfreulichen Tatbestandskonstruktion" (Kohlhaas NJW 1967 1491) vermieden würden, die nicht gewollt sein können, beispielsweise, daß es einen Unterschied macht, ob die Entnahme in der Klinik oder außerhalb der Klinik (Wohnung, Leichenhalle) durchgeführt wird (Geilen JZ 1971 44 Fn. 21).233 Im übrigen hat sie auch dem rechtspolitischen Gedanken Rechnung tragen können, im Hinblick auf das moderne Phänomen der Organtransplantation um eine möglichst weitgehende Vorverlagerung des Strafschutzes bemüht zu sein (Geilen JZ 1975 381 [Anm. zu OLG Frankfurt JZ 1975 379]), eine Überlegung, die durch das Transplantationsgesetz freilich überholt ist.234 dd) Die Auffassung in der Vorauflage dieses Kommentars wird aufgegeben. Die 3 3 Umdeutung des Begriffs Gewahrsam des Berechtigten in ein rein normatives Merkmal im Sinne eines Obhutsrechts läßt sich überzeugend nicht mehr vertreten, nachdem der Gesetzgeber der Gegenansicht beigetreten ist, mag dies auch noch so unangebracht gewesen sein (dazu ausführlich Rdn. 18). Hinzu kommt, daß die praktische Bedeutung der Streitfrage sich entscheidend verringert hat. Sie ist für Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation, bei denen das Unbehagen über eine den Geboten der Pietät und der Bedeutung des nachwirkenden Persönlichkeitsrechts widersprechende Mißachtung eines vom Verstorbenen geäußerten entgegengesetzten Willens besonders groß war (vgl. Rdn. 18), durch § 19 Abs. 1 TPG fast gegenstandslos geworden. Nur Körpersubstanzen, die den Begriffen Organe, Organteile oder Gewebe im Sinne des § 1 Abs. 1 T P G nicht entsprechen (näher Rdn. 18) oder nach § 1 Abs. 2 T P G ausdrücklich von der Anwendung des Gesetzes ausgenommen sind, können insoweit noch Objekte des § 168 Abs. 1 1. Alt. sein. Verblieben sind als Anwendungsfalle der Vorschrift im Bereich unbefugter Wegnahmen von Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen danach im wesentlichen nur die nicht Transplantationszwecken dienenden Organentnahmen im Rahmen klinischer Sektionen (vgl. schon Rdn. 29). Daher wird die Streitfrage nahezu ganz hinfallig werden, wenn die beabsichtigte bundeseinheitliche Regelung des Sektionswesens der Vorgabe des Berliner Sek232

233

Zu Bedenken gegen diese Auslegung aus dem Analogieverbot Bockelmann Strafrecht S. 106; Geilen JZ 1971 43 f; 1975 381 (Anm. zu O L G Frankfurt JZ 1975 379); Gribbohm JuS 1971 201; F. Klein K r D 25 (1952) 297; Korthals S. 113f; Kn. Müller S. 80; Roxin JuS 1976 507. Vgl. auch den Änderungsvorschlag des E 1962, der in Anlehnung an die entsprechende Regelung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs erreichen wollte, daß der Angehörige eines Verstorbenen, der den Leichnam z. B. ohne Einwilligung der Krankenhausverwaltung aus deren Gewahrsam wegnimmt, künftig von der Vorschrift nicht mehr erfaßt werde, hingegen derjenige, der unbefugt den Leichnam einem Dieb wegnimmt, im Gegensatz zum geltenden Recht

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in Zukunft unter den Tatbestand falle (Begr. S. 44, 346). Die den Gewahrsam umformende Auslegung vertreten v. Bubnoff G A 1968 71 f; Forke! JZ 1974 596; Grahlmann S. 62; Gribbohm JuS 1971 201 f; Hanack DÄB1. 66 (1969) 1330f; StudG 23 (1970) 434; Kallmann FamRZ 1969 575; Kopp MedR 1997 547; Lackner/Kühl Rdn. 3; Mäurach! Schroeder! Maiwald 2 § 62 Rdn. 12; Stellpflug S. 17; Sternberg-Lieben N J W 1987 2062; Wetzel Strafrecht § 65 IV 1. Dem folgen in der Rechtsprechung KG NJW 1990 782; in der Tendenz auch O L G Koblenz NStE § 168 Nr. 2 (in der Annahme der Vorrangigkeit dieser Auffassung).

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§168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

tionsgesetzes (vgl. Rdn. 5), was kaum fraglich sein dürfte, folgt. Eine gesetzliche Klärung der Streitfrage durch eine vorweggenommene spezielle Maßnahme ließe ebenfalls keine andere als die vom Gesetzgeber bereits vorgegebene Regelung erwarten. Nach alledem hat ein Festhalten an der bisher vertretenen Auffassung seinen Sinn verloren (vgl. auch Kretschmer S. 515 f). 34

ee) Wer den Gewahrsam an dem Körper eines verstorbenen Menschen in der Zeit vor der Bestattung hat, hängt, weil das den Gewahrsam ausmachende Obhutsverhältnis nicht ohne weiteres mit dem Tod entsteht, sondern ein Moment der Faktizität hinzukommen muß (Rdn. 31), von den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten ab. Inhaber des Gewahrsams sind die Angehörigen, wenn der Leichnam in deren Haus verwahrt wird oder in der Leichenhalle aufgebahrt ist.235 Kennen die Angehörigen, wie vielfach bei tödlichen Unfällen, den Aufenthaltsort des verstorbenen Familienmitglieds nicht, erlangen sie keinen Gewahrsam; 236 er liegt zunächst bei denen, die zufällig Gewahrsamsinhaber werden, das sind meist die Polizei, Rettungseinrichtungen und Krankenhäuser (vgl. Stentenbach S. 68; TröndlelFischer Rdn. 8). Befindet sich die Leiche im Herrschaftsbereich eines Krankenhauses, hat dessen Leiter den ausschließlichen Gewahrsam, so daß die autorisierte Wegnahme von Teilen solcher Leichen nicht tatbestandsmäßig ist.237 Auch ihm gegenüber kann, etwa bei der Entnahme eines Leichenteils durch nicht autorisiertes Krankenhauspersonal, eine Wegnahme möglich sein, weil er zugleich Berechtigter ist (vgl. Rdn. 36). Die Angehörigen erlangen hier den Gewahrsam nicht schon mit der Nachricht des Krankenhauses, die verstorbene Person könne abgeholt werden, sondern erst dann, wenn die Leiche an sie oder ein von ihnen beauftragtes Bestattungsinstitut herausgegeben wird. 238 Gewahrsam an der Leibesfrucht, bei der eine Gleichsetzung des Begriffs mit dem Obhutsrecht der Angehörigen von vornherein ausscheidet (Rdn. 18 mit Fn. 153), hat, wenn der Schwangerschaftsabbruch oder die Fehlgeburt, was zumeist der Fall ist, in einem Krankenhaus stattfinden, allein dessen Leiter, so daß beispielsweise ein von ihm zu

235

O L G Frankfurt N J W 1975 271, 272 mit zust. Anm. Geilen N J W 1975 271 und Martens N J W 1975 1668; Roxin JuS 1976 507; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 6; Stentenbach S. 65. 236 Roxin JuS 1976 507; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 8; and. bei der Annahme eines vorgelagerten tatsächlichen Obhutsrechts der Angehörigen (Rdn. 32 mit den Nachweisen Fn. 234). 23 ' So z.B. OLG München N J W 1976 1805 mit zust. Anm. Linck; O L G Stuttgart Justiz 1977 313; OLG Zweibrücken JR 1992 212 mit zust. Anm. Laubenthal; Blei BT § 36 II 1 ; Bockelmann Strafrecht S. 105f; Engisch Chirurg 38 (1967) 252 f; Geilen JZ 1971 43; Heinitz S. 23; Kohlhaas N J W 1967 1491; Kretschmer S. 512f; Lackneri Kühl Rdn. 4; Otto BT § 64 Rdn. 13; Penning! Liebhardt Festschrift Spann S. 448; Roxin JuS 1976 506; Rudolphi SK Rdn. 3; Riiping GA 1977 303; Stellpflug S. 62; Stentenbach S. 66, 72 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29 f; vgl. auch schon Rdn. 18. Bei SchlSchröderILenckner findet sich im Hinblick auf die, auch in der Rechtsprechung vertretene, gegenteilige Auslegung des Begriffs Gewahrsam des Berechtigten (vgl.

Rdn. 32), nach der Gewahrsamsinhaber auch in diesen Fällen die Angehörigen sind und die Wegnahme daher den Tatbestand erfüllt, der Vorschlag, bei einer ohne ihre Einwilligung vorgenommenen Obduktion einen unvermeidbaren Verbotsirrtum anzunehmen (Rdn. 14 im Anschluß an O L G Koblenz NStE § 168 Nr. 2, das die Entscheidung der Rechtsfrage offen gelassen hat, weil der Angeklagte mangels Unrechtsbewußtseins jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt habe). 238

OLG München N J W 1976 1805 mit zust. Anm. Linck; O L G Stuttgart Justiz 1977 313; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 12; zweifelnd LacknerlKühl Rdn. 3; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 6; and. KG N J W 1990 782 (Mitgewahrsam spätestens schon durch die Mitteilung des Krankenhausarztes, die verstorbene Person könne abgeholt werden); in erster Linie ebenso Tröndlel Fischer Rdn. 8; ferner Otto BT Rdn. 13 (Übergang des Gewahrsams, wenn die Angehörigen nach der Benachrichtigung vom Tode dem Gewahrsamsinhaber gegenüber zum Ausdruck bringen, die Obhut zu übernehmen).

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verantwortender Handel mit toten Feten durch § 168 Abs. 1 1. Alt. nicht erfaßt wird. 239 ff) Den Gewahrsam an den geschützten Gegenständen nach der Bestattung hat der Inhaber der Grabstelle (Herzog N K Rdn. 10; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; Stentenbach S. 67), nicht der Eigentümer 2 4 0 oder Mieter des Begräbnisplatzes. Bei öffentlichen Friedhöfen steht kraft ihres übergeordneten Herrschaftsverhältnisses Gewahrsam auch der Friedhofsverwaltung zu. Vom Reichsgericht ist in einer frühen Entscheidung allerdings die Auffassung vertreten worden, daß der Gewahrsam allein bei der Friedhofsverwaltung liegt (RGSt. 28 139, 140). Demgegenüber hat Gareis nachzuweisen versucht, daß das Verfügungsrecht über die Leiche auch nach der Beerdigung bei den totenfürsorgeberechtigten Angehörigen bleiben müsse (SeuffBl. 70 [1905] 316). Gleichwohl ist das Oberlandesgericht Hamburg der Ansicht des Reichsgerichts beigetreten (JW 1912 540, 541), später ebenso das Landgericht Hamburg (NStZ 1982 511, 512). Auch das Schrifttum hat sich dieser Ansicht angeschlossen. 241 Indessen sind angesichts der Beschränkung des Verfügungsrechts des Inhabers der Grabstelle durch die für den betreffenden Friedhof geltende Benutzungsordnung (vgl. LG Hamburg N S t Z 1982 511, 512) keine durchschlagenden Gründe für die Meinung erkennbar, daß der Gewahrsam, den er vor der Bestattung an der Leiche hat, mit der Bestattung der Leiche enden müsse.

35

c) Der Berechtigte muß den Gewahrsam an den weggenommenen Schutzobjekten gehabt haben.

36

aa) Grundsätzlich ist, soweit es sich um sterbliche menschliche Überreste (Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 6; Stentenbach S. 61) handelt, bis zur Bestattung Berechtigter, wem das Totenfürsorgerecht242 zusteht. Das sind primär die Angehörigen. 243 Die Berechtigung zum Gewahrsam ist allerdings von der Frage des tatsächlichen Gewahrsams· und Obhutsverhältnisses zu trennen (TröndlelFischer Rdn. 9). Das Merkmal bezweckt, die Tathandlung von der Wegnahme aus dem Gewahrsam Unberechtigter, derjenigen etwa, die durch eine Straftat die Herrschaft über den geschützten Gegenstand erlangt haben, abzugrenzen (Stellpflug S. 19). Die Entziehung des Gegenstandes aus solchem Gewahrsam ist nicht tatbestandsmäßig. Anders liegt es bei den Zufallsgewahrsamsinhabern (Rdn. 34). Solange sie zum Gewahrsam berechtigt sind, ist nur ihnen gegenüber eine tatbestandliche Wegnahme möglich. 244 Insbesondere gilt dies für

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Otto BT § 64 Rdn. 14; vgl. auch BVerfG NJW 2002 2861, 2862; ferner BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6556 S. 3. Zu den Eigentumsverhältnissen an Friedhöfen E. Fischer S. 160fT; Gaedke Hdb. S. 21 ff; Gareis SeuffBl. 70 (1905) 309f. Ζ. B. Bockelmann Strafrecht S. 122 Fn. 32; Kohlrausch/Lange Anm. III; κ Olshausen Anm. 3 b; Rudolphi SK Rdn. 4; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 366 f; Wilden S. 65; bei Tröndlel Fischer wird zusätzlich die Friedhofsverwaltung genannt, dabei aber der Friedhofswärter und der Totengräber ausgeschlossen (Rdn. 9); Stellpflug hingegen führt in erster Linie die Friedhofsverwaltung an (S. 17). Vielfach wird statt dieses Begriffs die Bezeichnung Totensorge verwendet, beispielsweise deshalb, um die Parallele zum familienrechtlichen

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Begriff Personensorge zum Ausdruck zu bringen (so Trockel Rechtswidrigkeit S. 99). So z.B. Bien S. 80; Blei BT § 36 II 1; Deutsch Festschrift Richterakademie S. 90; Gaedke Hdb. S. 117f; Geilen JZ 1971 44 f Fn. 20; Heifer/ Pluisch Rmed. 1 (1991) 76; Herzog N K Rdn. 11; v. Hippel II § 88 IV 1; Kiesecker S. 151; Küchenhoff AR 8 (1973) 143; Lackner/Kühl Rdn. 4; v. Liszt/Schmidt BT § 118 V 1 Fn. 19; Mäurach/Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 13; Preisendanz Anm. 2 c; Rixen FamRZ 1994 417; Roxin Schutz S. 100; Rudolphi SK Rdn. 5; Schroth BT S. 243; Seh! Schröder !Lenckner Rdn. 5; Sauer BT § 41 II 4a; Solbach DRiZ 1978 206; Stellpflug S. 17; Stentenbach S. 21; Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 16f, 58f; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Wölkart W K W 68 (1956) 114. P. König Organhandel S. 74 f; Lackner ! Kühl

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

den Leiter des Krankenhauses, solange sich die Leiche in seinem Herrschaftsbereich befindet. Würde er nicht als Berechtigter angesehen, wären, soweit nicht § 19 TPG eingreift (Rdn. 18) Organentnahmen durch nicht autorisiertes Krankenhauspersonal (vgl. schon Rdn. 34) ebenfalls nicht tatbestandsmäßig. Andererseits liegt darin insofern eine Lücke im Strafschutz der ersten Alternative des Absatzes 1, als ein rechtsgutverletzender Umgang des Zufallsgewahrsamsinhabers selbst nicht erfaßt wird (TröndlelFischer Rdn. 10). Abhilfe könnte hier nur die Ersetzung des Gewahrsamserfordernisses etwa durch das Merkmal, daß der geschützte Gegenstand dem Totenfürsorgeberechtigten entzogen wird, schaffen (Freund ZStW 109 [1997] 486; vgl. auch schon Rdn. 18 Fn. 157). 37

bb) Die rechtliche Herleitung des Totenfiirsorgerechts ist unklar. Da es persönlichkeitsrechtlich geprägt ist, weist es Parallelen zum Erbrecht auf, hat, weil sittliche Pflichten berührt werden, auch familienrechtliche Bezüge jedenfalls insoweit, wie sie auch im Erbrecht relevant sind, während sachenrechtliche Gesichtspunkte ausscheiden. 245 Gesetzliche Bestimmungen, die eine Anerkennung des Totenfürsorgerechts enthielten, gibt es indessen weder im Erbrecht noch im Familienrecht. 246 Auch andere Rechtsgebiete enthalten keine entsprechenden Vorschriften. Daher wird angenommen, daß das Totenfürsorgerecht sich gewohnheitsrechtlich aufgrund der Volkssitten und -gebräuche (vgl. dazu § 167 a Rdn. 6 bis 8) herausgebildet hat (so ζ. B. Stellpflug S. 17).247 Jedenfalls ist es allgemein anerkannt und gilt als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB (Rdn. 4 mit den Nachweisen Fn. 18). Eine Totenfürsorge/j/7/cßi läßt sich daraus jedoch nicht begründen. Sie müßte schließlich gegenüber Totenfürsorgeberechtigten, die sich, aus welchen Gründen auch immer, verweigern, durchsetzbar sein. So bleibt eine auf der Wirkung der Persönlichkeitsanerkennung beruhende moralische Pflicht der Berechtigten (vgl. Gaedke Hdb. S. 117; Lilie MedR 1983 131). Da die Totenfürsorge keinen eigennützigen Charakter hat, wird das Totenfürsorgerecht, wie die Entscheidungsbefugnis des nächsten Angehörigen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 TPG, aber als Pflichtrecht angesehen (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 5; vgl. auch schon Rdn. 17 Fn. 135). Nach der Bestattung ist, wie beim Gewahrsam (Rdn. 35), Berechtigter der Inhaber der Grabstelle, mitberechtigt die Friedhofsverwaltung. Bei toten Leibesfrüchten, die als Tot- oder Fehlgeburten zu bestatten sind oder noch bestattet werden können, 248 wird primär derjenige Berechtigter sein, der es im Falle der Lebendgeburt gewesen wäre. Anders liegt es bei toten Leibesfrüchten, die nicht bestattungsfahig sind. Hier ist Berechtigter, wer entsprechend den Vorschriften der Bestattungsgesetze für ihre hygienisch einwandfreie, mit dem sittlichen Empfinden im Einklang stehenden Beseitigung zu sorgen hat (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 5), bei klinischem Fruchtabgang in der Regel der Leiter des Krankenhauses.

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Rdn. 4; Kn. Müller S. 88; Rudolphi SK Rdn. 3; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 10. Ausführlich zum Ganzen Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 16 ff, Zusammenfassung S. 65 f; ferner V. Albrecht S. 39; Bieler JR 1976 226f; v. Blume AcP 1914 385 f; J. Brunner NJW 1953 1173; Dettmeyer S. 179f; Edlbacher ÖJZ 20 (1965) 453 f; Eichholz NJW 1968 2274; Gaedke Hdb. S. 118; Hirsch!Schmidt-Didczuhn S. 49; Hubmann S. 226 f; Kemmer DZgerMed. 18 (1932) 434; Kießling N J W 1969 536; B. Lehmann S. 87f; Lilie MedR 1983 133; Linck Z R P 1975 251; H. Maurer DÖV 1980 14; Kn. Müller

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S. 136 ff; Stellpflug S. 17; Stentenbach S. 61; Tietz S. 22; Trockel M D R 1969 811. Eine historische Ausnahme ist die Regelung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, daß, wenn der Verstorbene keine Bestimmung getroffen hat, den „Hinterlassenen" die Wahl des Begräbnisortes obliegt (II 11 §§ 445, 460; vgl. Stellpflug S. 17). Abweichend U. Steffen, der es explizit aus dem Doppelmerkmal Gewahrsam des Berechtigten herleitet (S. 1050Dazu im Einzelnen § 167a Rdn. 10 mit Fn. 64 bis 66; vgl. auch schon Rdn. 22.

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cc) Wichtigster Inhalt des Totenfürsorgerechts ist die Umsorgung des Leichnams 3 8 zur Vorbereitung der Bestattung und der Bestattungsfeier (dazu schon § 167 a Rdn. 12). Aus den beschriebenen Obliegenheiten folgt, daß dem Totenfürsorgerecht ein Anspruch auf den Besitz des Leichnams innewohnt; denn sie können nicht erfüllt werden, ohne die Leiche zu besitzen. Es ist ein absolutes Familienrecht, das analog § 1632 BGB einen Anspruch des Totenfürsorgeberechtigten begründet, der es ihm ermöglicht, von jedem, der ihm die Leiche vorenthält, die Herausgabe zu verlangen und damit dessen Zufallsgewahrsam zu beenden (vgl. TröndlelFischer Rdn. 9); nur Einwendungen aus einem andersartigen Willen des Verstorbenen, der deutlich zum Ausdruck gekommen sein muß, sind hiergegen beachtlich (RG JW 1912 540; Gaedke Hdb. S. 118). Zum Inhalt des Totenfürsorgerechts gehören weiter die Gestaltung und Pflege der Grabstätte 249 sowie das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen die Umbettung der Leiche oder die Umsetzung der Aschenurne zu verlangen. 250 dd) Der Kreis der Totenfürsorgeberechtigten geht über die primär berufenen An- 3 9 gehörigen (Rdn. 36), die nicht notwendigerweise auch die Erben sein müssen,251 hinaus. Zu verstehen ist darunter derjenige Personenkreis, der im allgemeinen Sprachgebrauch als Hinterbliebene bezeichnet wird (so Josef Gruchot 65 [1921] 306f; Laufs VersR 1972 8f; Zdralek S. 15), regelmäßig der Ehegatte, der Eingetragene Lebenspartner und die Verwandten, aber auch mit dem verstorbenen Menschen nicht verwandte Personen, die ihm im Leben besonders eng persönlich verbunden waren, Lebensgefährten etwa oder beste Freunde, und die dementsprechend, mit Angehörigen vergleichbar, ebenfalls zu den Hinterblieben gerechnet werden können (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2001 2980). ee) Eine Rangfolge der Totenfürsorgeberechtigten legte, unter dem Blickwinkel der 4 0 zur Bestattung Verpflichteten, erstmals § 2 Abs. 2 Satz 2 des Feuerbestattungsgesetzes (§ 167 a Rdn. 12 Fn. 75) fest. Ihm folgten entsprechende Vorschriften in den Bestattungsgesetzen (§ 167a Rdn. 9 Fn. 60). Obwohl die Auflistungen dieser Regelungen voneinander abweichen, läßt sich in etwa eine Rangfolge entnehmen, die mit den Ehegatten und den eingetragenen Lebenspartnern beginnt, gefolgt von den Kindern, den Eltern, den Geschwistern, den Großeltern, den Enkelkindern und den Partnern einer auf Dauer angelegten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. 252 Dennoch sollte diese Rangfolge für die Totenfürsorgeberechtigten entgegen vielfacher Befürwortung 253 schon wegen gravierender Abweichungen in den Gesetzen 254 nicht als maßgeblich 249

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Fritz BWNotZ 58 (1992) 137; Gaedke Tod S. 174; Hdb. S. 191 f; Scheinost RpflStud. 11 (1987) 36; Schmied Sterben S. 117; Strätz Bestattung S. 340; Weiser S. 51. B G H M D R 1978 299; RGZ 71 22; 154 269; OLG Karlsruhe N J W 2001 2980; OLG Zweibrücken NJW-RR 1993 1482 mit Anm. Harder ZfJ 81 (1994) 54; OVG Berlin DÖV 1964 557; VG Braunschweig BestG 40 (1988) 198; Gaedke BestG 27 (1975) 32; 28 (1976) 288; Humberti Josef JW 1925 2108f; Josef LZ 1929 125; Specovius JW 1925 344; F. Stein D F K 50 (1976) 108 f; Weiser S. 51. Zu den zahlreichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Verlangen nach Umbettung der Leiche oder Umsetzung der Aschenurne insb. Gaedke Hdb. S. 218 ff. RG Recht 1915 306; RGSt. 64 313, 315; KG NStZ 1990 185; Gaedke Hdb. S. 117f; Gareis

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SeuffBl. 70 (1905) 321; Laforet S. 513; Sehl SchröderILenckner Rdn. 5; Stentenbach S. 61; Zdralek S. 41; and. Peuster MedKJ. 67 (1972) 685 Anm. 8. Für die ehemalige D D R bestimmte § 5 Abs. 1 der Verordnung über das Bestattungs- und Friedhofswesen (§ 167 a Rdn. 9 Fn. 59), daß Ehegatten, volljährige Kinder, Eltern oder Großeltern sowie deren Nachkommen in dieser Reihenfolge als Angehörige bestattungspflichtig sind. Z. B. Görgens JR 1980 140; Kalimann FamRZ 1969 575; Kn. Müller S. 59; Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 59, 66; vgl. auch Geilen JZ 1971 45; Laufs VersR 1972 8 Fn. 59. So bestimmt, von den Unterschieden in den Regelungen der Bestattungsgesetze (vgl. Gaedke Hdb. S. 117) und des Transplantationsgesetzes

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11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich a u f Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

angesehen werden. Den Ausschlag gibt ohnehin der, selbst nur mutmaßliche (OLG Schleswig NJW-RR 1987 72), Wille des Verstorbenen, 255 der für das gesamte Bestattungsrecht der beherrschende Maßstab ist (Dettmeyer S. 45; Gaedke Hdb. S. 123; vgl. auch RGZ 154 270). Auf den Willen der Angehörigen kommt es erst an, wenn eine Bestimmung des Verstorbenen fehlt. 256 Die danach vorgegebene Individualität in der Bestimmung der Reihenfolge der Totenfürsorgeberechtigten sollte erhalten bleiben, statt sie in die starre Form einer schematischen Folgeordnung zu zwängen. 257 Sie ermöglicht, wenn eine Anordnung des Verstorbenen fehlt, beispielsweise die Festlegung, daß eine mit dem Verstorbenen nicht verwandte Person den Erben oder Verwandten vorgeht, etwa wenn diese den Verstorbenen über längere Zeit bis zum Tode gepflegt hat, jene sich um ihn aber nicht gekümmert haben. 258 An Anordnungen des Verstorbenen ist der Totenfürsorgeberechtigte gebunden. 259 Allerdings wird diese Bindung durch § 138 BGB begrenzt (Gaedke Hdb. S. 122), wobei die Beantwortung der Frage, ob eine Anordnung gegen die guten Sitten, die Pietät oder die Menschenwürde verstößt, sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Totenfürsorgeberechtigten oder des Verstorbenen selbst beantwortet, 260 sondern allein nach objektiven Gesichtspunkten (Gaedke Tod S. 176).261 Strafbewehrt ist ein Handeln gegen den Willen des Verstorbenen freilich nicht. Daher gibt es gegen die Einigkeit aller Totenfürsorgeberechtigten, die Nichtbefolgung einer Anordnung des Verstorbenen zu tolerieren, kein Mittel. Doch können Totenfürsorgeberechtigte, die mit einer den Anordnungen des Verstorbenen widersprechenden Verfügung nicht einverstanden sind, die Vollziehung des letzten Willens im ordentlichen Rechtsweg erzwingen. 262 d) Die geschützten Gegenstände müssen unbefugt weggenommen werden. Unbefugt handelt, wer keinen Rechtfertigungsgrund für die Wegnahme hat. aa) Die Befugnis ist kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, sondern Rechtfertigungsgrund. 263 Der Wortlaut scheint allerdings für die Gegenmeinung (ζ. B. Heimannabgesehen, beispielsweise § 11 Abs. 1 Nr. 1 a die Reihenfolge der Angehörigen völlig anders als § 2 Abs. 2 Satz 2 des Feuerbestattungsgesetzes (vgl. dazu schon Bockelmann Strafrecht S. 106). 255 RGZ 100 171, 172; 108 217, 220; 154 269, 279; OLG Zweibrücken NJW-RR 1993 1482 mit Anm. Harder ZfJ 81 (1994) 54; Engelhardt HdStKiR S. 106; Fritz BWNotZ 58 (1992) 139; Gaedke Hdb. S. 122f; Kretschmer S. 23; vgl. auch § 3 TPG. 256 BGH FamRZ 1978 15; 1992 657; RGZ 154 269, 270f; LG Bonn NJW-RR 1994 522; Engelhardt HdStKiR S. 106; Gaedke Hdb. S. 122. 257 Stellpflug S. 118 in Anlehnung an Bieri S. 81; κ Blume AcP 1914 367; vgl. auch Dettmeyer S. 182f. 258 Vgl. dazu W.G. Becker JR 1951 331; Bieri S. 81; v. Blume AcP 1914 393; Bohne Festgabe R. Schmidt S. 152ff; Dettmeyer S. 182; Gareis SeuffBl. 70 (1905) 320ff; H. R. Hoffmann D Ö G 12 (1950/51) 23; Kn. Müller S. 59; Philipsborn JW 1930 1554; v. Tobel S. 29 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 88; ferner § 4 TPG. 2 » BGHZ 61 238; RGZ 100 171, 172; KG SeuffArch. 73 371; Engelhardt HdStKiR S. 106; Gaedke Hdb. S. 121 f; Lilie MedR 1983 133; Laforet S. 43.

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Vgl. den (gedachten) Fall der Bestimmung des Verstorbenen, an seinem Todestag ein HippieFest am Grab zu veranstalten (MaurachlSchroeder/Maiwald 2 § 62 Rdn. 3; dazu schon § 167 a Rdn. 5). Ein typischer Grenzfall dürfte die Anordnung sein, bestimmte Organe für Transplantationen zur Verfügung zu stellen oder gar, den ganzen Leichnam im Interesse von Forschung und Lehre an ein wissenschaftliches Institut zu übergeben. Solche Verfügungen sind an sich zulässig (Kretschmer S. 24). Doch wird es objektiver Sicht entsprechen, den Angehörigen zuzugestehen, sie nicht befolgen zu müssen, wenn dadurch ihr Pietätsgefühl ernsthaft verletzt würde (Gaedke Hdb. S. 118f; Strätz Zivilrechtliche Aspekte S. 339; vgl. auch V. Albrecht S. 47; Lilie MedR 1983 1320BGHZ 61 238; BVerwG 45 224; OLG Frankfurt BestG 41 (1989) 427; 43 (1991) 210; OLG Schleswig FamRZ 1986 1093; LG Berlin BestG 39 (1987) 340; Fritz BWNotZ 58 (1992) 139; Gaedke Hdb. S. 122; vgl. auch Dettmeyer, der eine Anwendung der Kollisionsregelung des § 2 Abs. 4 des Feuerbestattungsgesetzes für möglich hält (S. 183). Blei BT § 65 IV 1; Joecks Rdn. 8; Lackner/Kühl

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Trosien L K 9 Rdn. 14) zu sprechen. Doch ist die Rechtswidrigkeit allgemeines Verbrechensmerkmal auch dann, wenn der abschließend beschriebene Tatbestand, wie in der ersten Alternative des Absatzes 1, einen Hinweis auf den Widerspruch der Handlung zum Recht enthält oder das Unrecht gar abschließend beschrieben wird {LackneriKühl § 15 Rdn. 6). Daher ist die Wegnahme, wenn der Täter zu ihr befugt ist, schon nicht tatbestandsmäßig. Daraus folgt, daß eine irrtümliche Annahme der Befugnis, den allgemeinen Irrtumsregeln entsprechend, vorsatzausschließender Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes oder Verbotsirrtum sein kann (Rudolphi SK Rdn. 7). Rechtfertigungen sind denkbar durch Gewohnheitsrecht, behördliche Erlaubnis, Einwilligung und Notstand. bb) Die Entwicklung übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe durch Gewohnheits- 4 2 recht ist allgemein anerkannt (vgl. Tröndle/Fischer § 1 Rdn. 9). Eine früher verbreitete Auffassung nimmt die Entstehung eines solchen Rechts, das entsprechend einem vermeintlichen ärztlichen Berufsrecht klinische Sektionen ohne Einwilligung erlaube, an, wobei freilich zumeist auch schon die Tatbestandsmäßigkeit verneint wird.264 Doch kann insoweit von einer dauernden und ständigen, gleichmäßigen und allgemeinen, von allen Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannten Übung, wie die Entstehung von Gewohnheitsrecht sie voraussetzt, selbst bei Ärzten nicht die Rede sein. Eine gewohnheitsrechtliche Befugnis ist daher ebenso wie der Ausschluß der Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit durch soziale Adäquanz (vgl. Rdn. 20), abzulehnen. 265 cc) Rechtfertigungsgründe durch behördliche Erlaubnis können sich aus öffentlich- 4 3 rechtlichen Vorschriften ergeben (Tröndle/Fischer Rdn. 29). Hier sind in erster Linie die Befugnisse durch die Anordnung der inneren Leichenschau nach § 87 Abs. 2 bis 4 StPO (vgl. dazu schon Rdn. 3) und der Untersuchung beim Verdacht einer Vergiftung nach § 91 StPO zu nennen. Ferner zählt dazu § 1559 Abs. 4 RVO,266 wonach neben den Polzeibehörden auch die Sozialversicherungsträger im Falle des Todes eines Versicherten zur Feststellung von für die Berechtigung von Erstattungspflichten relevanter Tatsachen die Entnahme von Blutproben anordnen können. Mit dieser Bestimmung 267 hat der Gesetzgeber in der umstrittenen Frage, ob dies nach der früheren Fassung zulässig war,268 wegen ihrer großen praktischen Bedeutung Rechtsklarheit geschaffen (vgl. BTDrucks. 8/2034 S. 34). dd) Eine Rechtfertigung der Wegnahme durch Einwilligung könnte auf einer 4 4 Erklärung des Berechtigten oder einem zu Lebzeiten geäußerten entsprechenden Willen des Verstorbenen 269 beruhen. Die Einwilligung des Berechtigten scheidet als

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Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 13; Preisendanz Anm. 6; Rudolphi SK Rdn. 7; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8; TröndleI Fischer Rdn. 12; Welzel Strafrecht § 65 IV 1. W. Fischer ZBIPath. 86 (1950) 419; Gräff ZB1Path. 88 (1952) 184; Gruber ZBIPath. 86 (1950) 422; KrHA 25 (1952) 158; Eb. Schmidt KrHA 25 (1952) 214f; Arzt S. 72 f; Schöllgen KrH 45 (1953) 100; Striemer MedW 3 (1929) 1376. Z.B. F. Berger S. 31f; K. Bode ZBIPath. 86 (1950) 371 f; Bohne Festgabe R. Schmidt S. 161; Gucht JR 1973 235; Philipsborn JW 1930 1553; Stentenbach S. 89, 102f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 130f; Uhlenbruck MedKl. 67 (1972) 1160.

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Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 i.d.F. vom 5.12.1924 (RGBl. I 779) mit späteren zahlreichen Änderungen. Eingefügt bei Einführung des Sozialgesetzbuchs X durch Gesetz vom 18.8.1980 (BGBl. I 1469). Zum Streitstand LK Vorauf!. Rdn. 29 mit Nachweisen zu der dies verneinenden Auffassung. Zivilrechtlich ist das Einverständnis des Verstorbenen eine Vorausverfügung über eine künftige Sache (Bohne Festgabe R. Schmid S. 140f; Kemmer DZgerMed. 86 [1970] 435; Trockel Rechtswidrigkeit S. 108, 114; vgl. auch Reimann Festschrift Küchenhoff S. 342 ff). Sie muß als psychische Realität (Eb. Schmidt Arzt S. 72

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Rechtfertigungsgrund jedoch aus, weil sie ohne weiteres bereits den Tatbestand ausschließt (Rdn. 17, 29). Bei Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation gilt dies ebenso für die zu Lebzeiten erklärte Einwilligung des Verstorbenen (Rdn. 17). Im übrigen kann sie Rechtfertigungsgrund sein (Rudolphi SK Rdn. 8; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 8), sofern achtbare Gründe vorliegen und keine vorgehenden Gewahrsamsrechte verletzt werden {TröndlelFischer Rdn. 12). Ein gegenteiliger Wille der Angehörigen hat dabei keine Bedeutung. 270 Ob die Einwilligung durch Billigung der Allgemeinen Vertragsbedingungen in Krankenhausaufnahmeverträgen rechtswirksam erklärt werden kann, ist streitig. Anfangs war angenommen worden, daß zu ihrer Verbindlichkeit schon der allgemeine Hinweis auf sie genüge (z.B. Oberhoff S. 35; Philipsborn JW 1930 1553) oder gar ihr bloßes Vorhandensein ausreiche ( W. G. Becker JR 1951 332 f). Diese Auffassung hat sich jedoch nicht durchsetzen können.271 Seit die Sektionsklauseln sich an den Vorschriften des AGBG 272 messen lassen müssen, geht das Schrifttum nur noch vereinzelt von ihrer Zulässigkeit aus (z.B. Heifer/Pluisch Rmed. 1 (1991) 75f), lehnt dies weit überwiegend jedoch ab.273 Die Rechtsprechung nimmt teilweise ihre Wirksamkeit (BGH NJW 1990 2313, 2314 mit abl. Anm. Deutsch sowie Ackmann JZ 1990 925 und Giesen/Kloth JR 1991 203; OLG Koblenz NJW 1989 2950, 2952 f), teilweise aber auch ihre Unwirksamkeit (OLG Hamm VersR 1983 1131; LG Mainz VersR 1980 724, 725 f) an. Der ablehnenden Auffassung ist zuzustimmen. Die Sektionsklauseln tragen in der Situation, in der sie regelmäßig vereinbart werden, Überraschungscharakter (§ 3 AGBG), der zugleich eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende unangemessene Benachteiligung der Patienten bewirkt (§ 9 Abs. 1 AGBG). Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Anordnung und Durchführung von Obduktionen nach der Strafprozeßordnung (BTDrucks. 13/ 10924) enthält (entgegen TröndlelFischer Rdn. 12) keinen Hinweis zur Anwendbarkeit der Sektionsklauseln auf die Leichenöffnung nach § 87 StPO. Im Berliner Sektionsgesetz (Rdn. 5 Fn. 26) ist die Zulässigkeit von Sektionen abschließend geregelt. 45

ee) Hauptanwendungsfall der Rechtfertigung durch Notstand war die Gefahr für Leib und Leben eines Organempfangers, die nur durch die Entnahme und Übertragung des Organs abgewendet werden konnte (vgl. LK Vorauf!. Rdn. 32 bis 34). Er hat sich durch die abschließende Regelung der Voraussetzungen, unter denen Organe eines Verstorbenen zum Zwecke der Transplantation entnommen werden dürfen, durch das Transplantationsgesetz erledigt. Zwar ist der Rechtfertigungsgrund des § 34 auch dort grundsätzlich anwendbar geblieben; doch fehlt es, wenn die Notstandslage des Organempfängers wie bisher anzunehmen ist, regelmäßig an den übrigen Voraus-

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Fn. 5) gegeben sein, kann daher wohl konkludent geschehen, darf aber nicht fingiert werden. V. Bubnoff G A 1968 73; G. Brenner Organtransplantation S. 131; Eichholz N J W 1968 2275; HR Hoffmann D Ö G 12 (1950/51) 23; Kemmer DZgerMed. 18 (1932) 435; Laufs VersR 1972 8; Reimann Festschrift KüchenhofT S. 348; Samson N J W 1974 2031; Eb. Schmidt K r H A 25 (1952) 210; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 377; Wawersik DÄB1. 66 (1969) 1319; vgl. auch BGH JR 1978 110; O L G Frankfurt N J W 1977 859 mit zust. Anm. Brackmann BA 14 (1977) 347; and. ζ. Β. v. Blume AcP 1914 405 f; Edlbacher ÖJZ 20 (1965)449. K. Bode ZBlAllgPath. 86 (1950) 374; Deutsch Medizinrecht Rdn. 411; Geiger Festschrift Stein

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S. 95 f; Gucht JR 1973 234; v. Hippel I § 88 IV 1 Fn. 6; Kretschmer S. 528; Peuster Eigentumsverhältnisse S. 114f; Samson N J W 1974 2031; Schläger DÄB1. 71 (1941) 421; Eb. Schmidt K r H A 25 (1952) 212; Stentenbach S. 122; Trockel Rechtswidrigkeit S. 109f; MedKl. 64 (1969) 666; Zimmermann N J W 1979 569. Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9.12.1976 (BGBl. 13317). Ehlers MedR 1991 229 f; Haas N J W 1988 2933 f; Solbach MedR 1991 28; Stentenbach S. 128f; Tröndlel Fischer Rdn. 12; differenzierend Hirsch/ Schmidt-Didczuhn S. 28 f; Rudolphi SK Rdn. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; vgl. auch Kiesecker S. 154.

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Setzungen des § 34, so daß überhaupt nur noch ganz ungewöhnlich gelagerte Fälle einer Rechtfertigung durch Notstand denkbar sind (näher Rdn. 17). Bei der eigenmächtigen Wegnahme von Leichenteilen im Zusammenhang mit Sektionen scheidet eine Rechtfertigung durch Notstand ebenfalls grundsätzlich aus. Allerdings wird auch die Auffassung vertreten, daß Notstand in Betracht komme, wenn die zu rechtfertigende Maßnahme der Vervollkommnung der medizinischen Erfahrungen und Kenntnisse und damit einem sozial so hochwertigen Interesse der Allgemeinheit dienen könne, und sie deshalb im Konfliktsfall den Vorrang vor dem individuellen Interesse an ihrem Unterbleiben haben müsse.274 Diese Ansicht hat jedoch keine allgemeine Anerkennung gefunden. Dagegen läßt sich schon einwenden, daß von der Öffnung einer bestimmten Leiche wohl nur selten die Fortentwicklung der Medizin abhängt. 275 Entscheidend aber ist, daß sie sich nicht mit § 34 Satz 2 vereinbaren läßt, wonach die Rechtfertigung durch Notstand nur gilt, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. Der Regelung des § 34276 liegt insoweit auch der Gedanke zugrunde, daß es nicht Rechtens sein könne, einen anderen über seine Freiheitsrechte und seine verantwortliche sittliche Entscheidung hinweg zu zwingen, seinen Körper als bloßes Mittel zur Erreichung eines, wenn auch wünschenswerten, Zwecks verwenden zu lassen (E 1962 Begr. S. 160; vgl. auch BTDrucks. V/4095 S. 15). Daher kann § 34 in solchen Fällen nicht eingreifen. 277 Ein, freilich höchst umstrittener, Anwendungsfall des § 34 war, da das dem Toten entnommene Blut vielfach als Leichenteil angesehen wird (vgl. Rdn. 25), die Beweiszwecken im Sozialversicherungsrecht dienende Entnahme von Leichenblut, beispielsweise, wenn Trunkenheit am Steuer die Zahlung der Hinterbliebenenrente ausschließt. 278 Er hat sich bereits vor dem Transplantationsgesetz durch den § 1559 RVO eingefügten Absatz 4 (näher dazu Rdn. 43) erledigt. Mit ihm ist gegenüber § 34 eine abschließende Rechtsgrundlage geschaffen worden (Rudolphi SK Rdn. 8 b; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8. III. Der äußere Tatbestand der zweiten Alternative des Absatzes 1 erfaßt die VerÜbung beschimpfenden Unfugs an einem Toten oder seinen Überresten, einem totgeborenen Kind oder einem Teil davon. 1. Die Angriffsgegenstände sind der Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, die tote Leibesfrucht oder Teile einer solchen und die Asche eines Verstorbenen. Es sind dieselben Tatobjekte, wie die der ersten Alternative des Absatzes 1. Daher gelten ohne Einschränkung die Erläuterungen dort, zum Körper eines verstorbenen Menschen, als der auch ein tot geborenes Kind gilt, und zur Dauer dieser Eigenschaft Rdn. 21 bis 23, zu Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen und der Dauer des Schutzes hieran Rdn. 24 bis 26, zur toten Leibesfrucht und zu Teilen einer solchen Rdn. 27 sowie zur Asche eines Verstorbenen Rdn. 28. Für die Ver-

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Bohne Festgabe R. Schmidt S. 163f; Linck JZ 1973 706; Eb. Schmidt K r H A 25 (1952) 213 f; Arzt S. 73; Schöllgen KrH 45 (1953) 100; Trockel Rechtswidrigkeit S. 147ff; MedKl. 64 (1969) 667; Welzel Strafrecht § 65 IV 1; vgl. auch Rüping G A 1978 303. Z.B. H.R. Hoffmann D Ö G 12 (1950/51) 27; F. Klein K D 25 (1952) 298; vgl. ferner Geiger Festschrift Stein S. 95. Die Vorschrift, eingefügt durch das 2. StrRG unter wörtlicher Übernahme des § 39 Abs. 1 E 1962, hat den bis dahin nur gewohnheits-

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278

rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstandes gesetzlich fixiert. So auch Maurach/SchroederlMaiwald 2 zur ausdrücklichen Ablehnung der Organentnahme durch den Verstorbenen angesichts der Fortwirkung von dessen Persönlichkeitsrecht (§ 62 Rdn. 13). Ausführlich zum früheren Streitstand LK Voraufl. Rdn. 36. Zur Anordnung der Entnahme einer Blutprobe im Verfahren zur Feststellung der Abstammung neuerdings OLG Dresden FPR 8 (2002) 570.

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§168

11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

wirklichung des Tatbestandes ist ohne Bedeutung, wo sich die Gegenstände befinden.279 Ferner bleibt ohne Belang, ob der Körper des Verstorbenen sichtbar ist, so daß auch der in einem verschlossenen Sarg befindliche Leichnam Tatobjekt sein kann (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9). Im übrigen erfaßt der Tatbestand auch diejenigen der genannten Angriffsgegenstände, die in niemandes tatsächlicher Obhut stehen (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 16). Der Schutz endet mit der Bestattung des Leichnams oder der Übergabe der Asche an die vorbestimmte Ruhestelle, bei Teilen des Körpers und der toten Leibesfrucht mit deren anderweitigen Beseitigung. Nach der Bestattung des Leichnams oder der Beisetzung der Aschenurne greift insoweit § 168 Abs. 2 ein. 47

2. Die Tathandlung besteht in der VerÜbung beschimpfenden Unfugs an den genannten Gegenständen. a) Beschimpfender Unfug ist, wie beim Tatbestand des § 167 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. dort Rdn. 22), eine grob ungehörige, von einer besonders rohen Gesinnung gekennzeichneten Handlung, durch die der Täter im Angesicht eines Toten dem Gegenstand oder dem Verstorbenen seine Verachtung zum Ausdruck bringt. 280 Der dem Toten damit angetane „Schimpf kann in Schmähungen und Beschimpfungen, in Hohn und Spott, aber auch in bloßen ungehörigen Handlungen, wie dem Urinieren über der Leiche (Hilgendorf JuS 1993 98), und selbst nur darin bestehen, daß der Täter zum Ausdruck bringt, mit der Leiche „in solcher Weise" umgehen zu können (vgl. Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 10). Voraussetzung ist bei all dem eine auf die mißbräuchliche, tabuverletzende (vgl. § 167 a Rdn. 1) Behandlung der Leiche oder des Leichenteils abzielende Motivation des Täters (TröndlelFischer Rdn. 16); er muß die besondere Mißachtung wollen (RGSt. 42 145, 146f; 48 299, 300 f; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 17). Daher genügt zur Verwirklichung des Tatbestandes ebensowenig die Zerstückelung einer Leiche, nur um sie unauffällig fortschaffen zu können, 281 wie für sich allein die kommerzielle Verwertung von Leichenteilen (dazu jetzt § 18 TPG) oder von toten Leibesfrüchten (Lackner/Kühl Rdn. 5; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; and. Sternberg!Lieben NJW 1987 2062) und der wissenschaftlichen Zwecken dienende Leichenversuch, selbst wenn die Leiche dabei verunstaltet wird (Pluisch!Heifer NJW 1994 2379; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 10). Auch ungewöhnliche, skurrile Beisetzungsriten genügen nicht (TröndlelFischer Rdn. 16). Kein beschimpfender Unfug ist ferner die bloße medizinische Weiterbehandlung einer hirntoten Schwangeren zur Rettung des Kindes, 282 so daß, nachdem darin schon keine Wegnahme liegt (Rdn. 29), Absatz 1 279

AG Solingen M D R 1968 65 (beschimpfender Unfug am Körper eines verstorbenen Menschen im Leichenkeller eines Krankenhauses); Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9 (mit dem Beispiel der in freier Landschaft liegenden Leiche eines von einem tödlichen Schlaganfall Getroffenen); Tröndlel Fischer Rdn. 21; Welzel Strafrecht § 65 IV 2. Vgl. auch RGSt. 71 323 (rohes pietätloses Handeln an einer in der Halle eines Friedhofs aufgebahrten Leiche); dazu schon Rdn. 1 mit Fn. 4.

280

Beispielhaft für diese Wertung RGRspr. 9 399, 400; RGSt. 39 155, 157; 42 145, 146; 43 201, 202 f; 48 299, 300; BayObLGSt. 1949-51 17, 24; ferner Binding Lehrbuch I § 45 1 III 2 b; Crusen S. 67; Herzog N K Rdn. 13; Hilgendorf JuS 1993 98; Joecks Rdn. 7; Kretschmer S. 360f; Lackneri Kühl Rdn. 23; MaurachlSchroederl Maiwald 2

§ 62 Rdn. 17; Otto BT § 64 Rdn. 9, 15; Rudolphi SK Rdn. 10; Sauer BT § 41 III 4b; Schroth BT S. 243; SehlSchröderlLenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 16; Wachenfeld § 121 II 1; abweichend Riiping G A 1977 303, wonach der beschimpfende Unfug nicht in der Manifestation einer rohen Gesinnung zu erblicken ist, es vielmehr genügt, auf solche Verletzung der Tabus abzustellen, die durch den Bezug auf die Beisetzungsstätte ihren Sinn erhalten und so zwischen deren unmittelbarer Beeinträchtigung und der bloß ideellen Wirkung des § 189 stehen. 281

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BGH NStZ 1981 300; Herzog N K Rdn. 13; Kretschmer S. 361; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 16. Vgl. dazu auch R. Beckmann MedR 1993 122; Hilgendorf JuS 1993 98; Kiesecker S. 208; Kretschmer S. 532; Tröndlel Fischer Rdn. 16.

Stand: 1. 7. 2003

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hier völlig ausscheidet. 283 Stets muß es sich bei den Handlungsobjekten um wirkliche Leichen oder Leichenteile handeln; fiktive Darstellungen sind allenfalls nach den §§131, 184 Abs. 3 und, wenn es um Gewalt oder Pronographie geht, nach § 185 strafbar (TröndlelFischer Rdn. 16). Die Zurschaustellung von Plastinaten erfüllt deshalb nicht die zweite Alternative des Absatzes 1, weil, mag eine solche Veranstaltung auch geschmacklos sein, weder die Besucher noch die Veranstalter den Leichen einen Schimpf antun. 284 b) Entgegen der früher überwiegend vertretenen Auffassung, wonach die Hand- 4 8 lung sich unmittelbar gegen den geschützten Gegenstand selbst richten muß, 285 reicht es aus, wenn sie in seiner unmittelbaren Nähe und erkennbar in Beziehung auf ihn verübt wird. 286 Beispiele beschimpfenden Unfugs sind das Ausreißen der Bepflanzung des Grabes (RGRspr. 9 399; Rudolphi SK Rdn. 10), Schnapstrinken am geöffneten Sarg und der Versuch, der Leiche Schnaps einzuflößen (RGSt. 71 323, 324; Herzog N K Rdn. 13), Nekrophilie (AG Solingen M D R 1968 65; Herzog N K Rdn. 13), das Beschmieren des Grabsteins mit Hakenkreuzen (Herzog NK Rdn. 17), die Zerstörung des Grabsteins (RGSt. 39 399; Rudolphi SK Rdn. 10), Beschimpfen des Verstorbenen an offenen Grab (RGSt. 48 299; Herzog N K Rdn. 13; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10) sowie das Absingen anstößiger Lieder in unmittelbarer Nähe des Grabes (.Herzog N K Rdn. 13; Rudolphi SK Rdn. 10). c) Der Berechtigte (Rdn. 36) selbst kann Täter sein. Dies folgt daraus, daß der 4 9 Tatbestand nur verlangt, daß in räumlicher Beziehung zu den geschützten Gegenständen eine grob ungehörige, gesinnungsrohe, ihnen Verachtung bezeugende Handlung vorgenommen wird. Sie aber kann auch derjenige vornehmen, der die Berechtigung zum Gewahrsam an den geschützten Gegenständen hat. 287 IV. Der äußere Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 2 erfordert die ZerStörung oder Beschädigung einer der geschützten Stätten. 1. Angriffsgegenstände sind Aufbahrungsstätten, Beisetzungsstätten und öffentliche Totengedenkstätten. a) Die Aufbahrungsstätte ist der Beisetzungsstätte durch das 6. StrRG hinzugefügt worden, wodurch eine seit langem bekannte unbeabsichtigte Lücke im Strafschutz des § 168 geschlossen worden ist (näher dazu Rdn. 1 mit Fn. 4). Eher könnte, umgekehrt, in der Nichtweiterbehandlung ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch gesehen werden (so R. Beckmann MedR 1993 125; Hilgendorf JuS 1993 102f). D a ß das Austragen eines Kindes durch eine Hirntote gegen deren postmortale Menschenwürde verstoßen könnte (DreierlDreier Art. 1 Rdn. 54) ist abwegig (Kretschmer S. 5 3 3). Kretschmer S. 309 Fn. 250 (am Beispiel der Ausstellung „Körperwelten" des Landesmuseums für Technik und Arbeit Mannheim im Jahre 1997); and. Stellpflug für die entgeltliche Leichenschau in einem pathologischen Institut (S. 650· So z.B. RGSt. 21 178, 179; 48 299, 301; Kohlrausch/Lange Anm. IV; v. Liszt/Schmidt BT § 118 Β 3; Wachenfeld § 121 II 2; and. jedoch schon Binding Lehrbuch I § 45 1 III 2b; Crusen S. 68; Frank Anm. III; v. Hippel I § 88 IV 2 (213)

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Fn. 2. Zu beachten ist dabei allerdings, daß § 168 a. F. den Tatbestand auf die Veriibung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe beschränkte, Angriffe gegen eine Leiche, Leichenteile oder die Asche eines Verstorbenen also nicht erfaßte (vgl. dazu auch BayObLGSt. 1951 455, 457; AG Solingen M D R 1968 65). Vgl. Blei BT § 36 II 2; Herzog NK Rdn. 17; Lackner/Kühl Rdn. 5; Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 17; Sauer BT § 41 II 4c; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 16. RGSt. 42 145, 147; Frank Anm. II; Herzog N K Rdn. 13; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; Tröndle/Fischer Rdn. 16; ferner Maurach!Schroeder! Maiwald 2, allerdings unter Berufung darauf. daß Schutzobjekt nicht das Pietätsgefühl der Hinterbliebenen, sondern die nachwirkende Würde des Verstorbenen sei (§ 62 Rdn. 17).

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aa) Aufbahrungsstätten sind sakrale oder profane Räumlichkeiten oder Teile von Räumlichkeiten, die dazu dienen, die Verstorbenen vor deren Beisetzung aufzubahren, damit die um sie Trauernden von ihnen Abschied nehmen können. 288 Der Schutz gilt in erster Linie Aufbahrungen vor und während der Trauerzeremonie, erfaßt darüber hinaus aber auch Aufbahrungen im Vorfeld der Beerdigung (Herzog N K Rdn. 18). Anders als bei Totengedenkstätten (vgl. Rdn. 59), bleibt ohne Bedeutung, ob eine solche Stätte für die Öffentlichkeit zugänglich oder nicht zugänglich ist (Sch/SchröderILenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 19). Daher gehören zu den Aufbahrungsstätten nicht nur die eigens für Aufbahrungen geschaffenen Räumlichkeiten, wie die Leichenhallen in gemeindlichen Einrichtungen, sondern auch zur Aufbahrung bestimmte Räume in Krankenhäusern, daneben aber auch jeder Ort, an dem aus einem besonderen Anlaß, beispielsweise beim Tod einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, im Vorfeld der Beisetzung eine Leiche aufgebahrt wird (Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 19). Deren Anwesenheit in dem angegriffenen Raum rechtfertigt den Strafschutz. Durch die Gegenwart einer Urne mit der Asche eines Verstorbenen kann eine Räumlichkeit ebenfalls zur Aufbahrungsstätte werden. Voraussetzung dafür ist, daß eine dem Leichnam ähnliche Aufbahrung stattfindet {Seh!Schröder ¡Lenckner Rdn. 12). Keine Aufbahrungsstätten sind Räume, in denen Leichen, etwa auf einer Bahre, wie dies in gerichtsmedizinischen Instituten üblich ist, bloß gelagert werden (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 18) und zwar auch dann nicht, wenn es sich um spezielle Aufbewahrungsräume handelt, wie beispielsweise pathologische Institute sie in Form der Leichenkammern besitzen (Herzog N K Rdn. 18; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12). Sie dienen nicht dem Zweck, Personen die Anteilnahme am Tod des Verstorbenen zu ermöglichen (Herzog NK Rdn. 18). Außerdem verlangt eine Aufbahrungsstätte eine gewisse Feierlichkeit (Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 18), an der es bei einer bloßen Lagerung der Leiche mangelt. 51

bb) Voraussetzung der Strafbarkeit ist, daß sich in der Aufbahrungsstätte zur Tatzeit eine Leiche befindet oder wenigstens Vorbereitungen für eine bestimmte Aufbahrung getroffen sind {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 19; vgl. auch Otto BT Rdn. 16). Denn der besondere, bei Zerstörung oder Beschädigung des Angriffsgegenstandes über den des § 303 hinausgehende Schutz knüpft sich an die Funktion der Stätte als Ort der Aufbahrung einer Leiche {TröndlelFischer Rdn. 19). Nur die Gegenwart oder die unmittelbar bevorstehende Gegenwart eines Leichnams rechtfertigt aus Pietätsgründen den strafrechtlichen Schutz der Stätte {SehlSchröder! Lenckner Rdn. 12), wie sie ihn andererseits, so in dem angeführten Fall der Aufbahrung einer Leiche in einer an sich anderen Zwecken dienenden Räumlichkeit, die ausnahmsweise im Einzelfall dazu bestimmt worden ist (Rdn. 50), aber auch gebietet. Deshalb muß, ebenfalls im Gegensatz zur Strafbarkeit eines Angriffs auf Totengedenkstätten, an denen sich keine Toten zu befinden brauchen {Otto BT Rdn. 16; vgl. auch Rdn. 58), zur Tatzeit eine Leiche aufgebahrt sein. Eine leere Leichenhalle ist ebensowenig eine Aufbahrungsstätte, wie ein leeres Grab eine Beisetzungsstätte {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12; näher dazu Rdn. 52, 56, 57). Ohne den Zusammenhang mit einer konkreten Aufbahrung erfüllt der Angriff auf eine solche Stätte, mag er, wie beispielsweise das mutwillige Einwerfen der Fensterscheibe einer Leichenhalle, noch so schwerwiegend sein, den Tatbestand nicht {TröndlelFischer Rdn. 19).

288

Herzog N K Rdn. 18; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 19; im Ansatz

auch Joecks Rdn. 9; Rudolphi Schroth BT S. 243.

Stand: 1.7. 2003

SK Rdn. 11;

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b) Die Beisetzungsstätte ist der ursprünglich einzige, zunächst als Grab bezeichnete Angriffsgegenstand der Vorschrift (vgl. Entstehungsgeschichte).

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aa) Beisetzungsstätten sind die meist, nicht aber notwendig, für ihre Bestimmung erkennbar gemachten letzten Ruhestätten menschlicher Leichname oder ihre Reste.289 Ihre derzeitigen Formen sind das Ergebnis einer langen, schon in vorgeschichtlicher Zeit beginnenden Entwicklung des Brauchs, die Toten zu bestatten, der von Anfang an und wirksam bis heute von zwei Hauptmotiven geprägt worden ist, der Angst vor der Wiederkehr des Toten und der Vorstellung von seinem Weiterleben in der Gemeinschaft der Ahnen. Sie haben nicht nur die Bestattungsbräuche, sondern im wesentlichen auch die Formen der Bestattung bestimmt. Ausführlich zur Entwicklung allgemein § 167 a Rdn. 6 bis 8, zum Recht der Bestattung § 167 a Rdn. 9, zum Bestattungszwang, der gesetzlichen Bestattungspflicht und dem Beisetzungszwang für die Asche § 167 a Rdn. 10, zum Friedhofszwang und zum Friedhofsnutzungsrecht § 167 a Rdn. 11, zur Bestattungspflicht und zum Beisetzungszwang für die Asche § 167 a Rdn. 12. bb) Die gebräuchlichsten Formen der Bestattung sind das Erdbegräbnis als Körper- 5 3 bestattung 290 und die Feuerbestattung (Kremation), 291 die dem Erdbegräbnis grundsätzlich gleichgestellt ist, aber einem besonderen Zulassungsverfahren, erstmalig geregelt in § 3 des Feuerbestattungsgesetzes (§ 167a Rdn. 12 Fn. 75), unterliegt. Die Erdbestattung gilt mit der Versenkung der Leiche in die Erde, durch die sie dem Zugriff wilder Tiere entzogen und der Verwesung anheim gegeben wird, als beendet (Gaedke Hdb. S. 113 f). Bei der Feuerbestattung ist zu unterscheiden zwischen der Einäscherung der Leiche und der Übergabe der Asche, die in einer Urne verschlossen sein muß (Urnenzwang), an die vorbestimmte Ruhestelle. Da nach der Einäscherung der Leiche von einer Bestattung nicht mehr die Rede sein kann, wird diese Übergabe als Beisetzung bezeichnet. Erst mit ihr ist die Feuerbestattung abgeschlossen. Urnen werden auf einem öffentlichen Begräbnisplatz in Urnen- oder Erdgräbern auf Urnengemeinschaftsfeldern beigesetzt oder in Urnenhallen oder -mauern (Kolumbarien) aufgestellt. Urnengemeinschaftsgrabstätten können unterschiedlich gestaltet sein, mit Kennzeichnung der Verstorbenen oder mit deren Namen auf einem gemeinsamen Mal, zuweilen auch in einem Gedenkbuch. In manchen Gemeinden ist das namenlose Ausstreuen der Asche durch Einbringung der Aschenreste unter eine Rasendecke zugelassen (vgl. Deutsche Bischofskonferenz S. 29; Gaedke Hdb. S. 163, 246). Für die Wahl der Feuerbestattung waren früher vornehmlich weltanschaulich-ideologische Grunde maßgebend, während heute praktische Motive, menschlich-ästhetische, ethische, hygienische, ökonomische und finanzielle, überwiegen. 292 Die Bestattung auf Urnengemeinschaftsgrabfeldern ist nahezu ausnahmslos auch die Form der modernen anonymen Bestattung. 293 Ihre Wahl nimmt zu. Zumeist sind dafür Kostengründe oder

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Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Crusen S. 55; Kohler Religionsvergehen S. 216; Kretschmer S. 344; ähnlich Gaedke Hdb. S. 161; ferner Hegemann, der jedoch die äußerliche Erkennbarkeit für nötig hält (S. 62). Zum Umfang und zur Dauer des Schutzes Rdn. 55 bis 57. Zur christlichen Sicht der Erdbestattung Deutsche Bischofskonferenz S. 43 f mit speziellen historischen Hinweisen S. 25; femer Engelhardt HdStKiR S. 106; H. J. F. Reinhardt S. 1017. Speziell zur Geschichte der Feuerbestattung

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§ 167a Rdn. 6. Zur christlichen Sicht der Feuerbestattung Deutsche Bischofskonferenz S. 44 f; Derwein S. 164fT; Emminghaus KlerBl. 66 (1986) 259; Engelhardt HdStKiR S. 106f; Kretschmer S. 195 ff; F. Merkel S. 743 f; Nolle S. 74 f; H. J E Reinhardt S. 1017; Sirätz S. 340; Volgger S. 200 f. Zu Vorbehalten gegen die Feuerbestattung vgl. Deutsche Bischofskonferenz S. 27; Weiser S. lOf. Sie gibt es, zumeist freilich als Körperbestattung, seit langem. So wurden bis weit in das 19. Jahrhundert die überwiegende Zahl der

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

einfach der Gedanke, den Angehörigen Belastungen fernzuhalten, maßgebend. Oft handelt es sich aber auch um vereinsamte oder verbitterte Menschen, Alkoholiker, Drogenabhängige und Aids-Kranke, die in dieser Form den Abbruch der Solidarität mit den Lebenden vollziehen. Eine Kennzeichnung solcher Grabstätten gibt es nicht. Beisetzungsstätten sind sie auch ohnedies, so daß sie am Schutz des § 168 Abs. 2 teilhaben. Zur Durchführung anonymer Bestattungen § 167 a Rdn. 14. 54

cc) Weniger gebräuchliche Bestattungsformen sind die Beisetzung in Grabgebäuden (Mausoleen) oder Grüften (ausgemauerte Grabstätten, Grabgewölbe) sowie die Seebestattung (Versenken der Leiche oder der Urne mit der Asche des Verstorbenen im Meer). Grabgebäude und Grüfte werden aus Gründen der Sicherheit und der Hygiene nur noch in besonderen Fällen und unter strengen Auflagen zugelassen (Gaedke Hdb. S. 42, 53, 163; vgl. auch Engelhardt HdStKiR S. 106). Beides sind, wenn und so lange sie Leichen bergen, Beisetzungsstätten im Sinne des § 168 Abs. 2. Anders liegt es bei der Seebestattung. Sie war früher Besatzungsmitgliedern eines Schiffes, die an Bord oder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sterben, vorbehalten,294 ist heute aber auch sonst zulässig. Gewünscht wird sie von Personen, denen eine Bestattung in ihrer früheren Heimat versagt bleibt, findet jedoch darüber hinaus allgemeines Interesse, das unterschiedliche Gründe haben kann, Urlaubserinnerungen etwa oder das Vorbild von auf See bestatteten prominenten Personen, vielfach sogar nur motiviert von der an die Charonsmythe anklingende Wunschvorstellung, für immer diesem Element anzugehören. 295 Als Ausnahme von § 9 Abs. 1 des Feuerbestattungsgesetzes (§ 167 a Rdn. 12 Fn. 75) bedarf auch sie einer Genehmigung, deren Erteilung an enge Voraussetzungen geknüpft ist.296 Beisetzungsstätten entstehen bei Seebestattungen naturgemäß nicht. Zur Strafbarkeit der Störung einer auch hier möglichen Bestattungsfeier § 167a Rdn. 14.

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dd) Als Beisetzungsstätte gilt ein Ort nur dann, wenn das Pietätsgefühl der Bürger ihn als solche empfindet (Herzog N K Rdn. 17). Noch keine Beisetzungsstätte ist daher die ausgehobene Gruft. Sie wird erst dann zur Beisetzungsstätte, wenn der Tote

Toten ohne Kennzeichnung der individuellen Grablege anonym, wenn auch unter Teilnahme der Öffentlichkeit, bestattet. Ebenso lag es bei den Gräbern nicht getaufter Kinder, Selbstmördern und Vagabunden. Urnen, die längere Zeit nach der Einäscherung, von auswärtigen Angehörigen etwa, nicht abgeholt werden, finden auch heute noch im anonymen Sammelgrab ihre letzte Ruhestätte. Bewußt gewünscht werden anonyme Bestattungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Vgl. zum Ganzen Deutsche Bischofskonferenz S. 28, 30 mit Hinweisen zu christlicher Sicht der anonymen Bestattung S. 46ff. Ausführliche Darstellungen der modernen anonymen Bestattung bei N. Fischer Auf dem Weg zum anonymen Grab: Aufbahrung und Bestattung im Norden Deutschlands aus sozialhistorischer Perspektive, in: Stefenelli Körper ohne Leben (1998) 262ÍT; Helmers S. 120f; Noll S. 70ff; zu den Motiven für die Wahl dieser Bestattungsform auch Kretschmer S. 38 f. 294

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Vgl. die Beispiele bei Schmied Sterben und Trauer S. 173. Von der römisch-katholischen Kirche wird die Urnen-Seebestattung, weil ihre Wahl eine romantisch-pantheistische Lebensauffassung vermuten lasse, nicht befürwortet (Deutsche Bischofskonferenz S. 46). Vgl. die neuerliche Regelung dieser Bestattungsart in Nordrhein-Westfalen: Seebestattungen Ausnahmen von § 9 Abs. 1 des Feuerbestattungsgesetzes, RdErl. des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit vom 3.1.2000 (MB1. S. 148). Einzelheiten zum Verfahren bei Seebestattungen, auch im Hinblick auf das Hohe See-Einbringungsgesetz vom 11.2.1977 (BGBl. II 165), bei Gaedke Hdb. S. 245; vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz S. 32; K. Walter S. 289; Sperling DFK 75 (1985) 63; zum Ablauf ausführlich Helmers S. 130f; über Zuständigkeitsfragen informiert Katt StAZ 39 (1986) 107.

Geregelt in den §§ 75, 76, 78 Abs. 1 des Seemannsgesetzes vom 26.7.1957 (BGBl. II 713). Stand: 1. 7. 2003

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oder die Urne mit der Asche des Verstorbenen in ihr bestattet ist (vgl. Gaedke Hdb. S. 213). Das dürfte mit dem Ende des dem jeweiligen Brauch entsprechenden Bestattungsaktes anzunehmen sein, so bei kirchlichen Begräbnissen, wenn die Leiche mit dem Sarg in die Gruft versenkt ist, der Geistliche sie eingesegnet hat, die Leidtragenden der Sitte gemäß einige Hände voll Erde auf den Sarg geworfen und sich dann entfernt haben (vgl. auch § 167a Rdn. 14, 16). Jede Anknüpfung an eine vor oder nach der Beendigung des Bestattungsaktes liegende Phase in der Entwicklung der Beisetzungsstätte wäre hieran gemessen willkürlich. Daher trifft auch nach der Neufassung der Vorschrift noch die Auffassung zu, daß das Grab, um als Beisetzungsstätte zu gelten, nicht zugeschüttet sein muß. 297 Keine Beisetzungsstätte ist ferner der Begräbnisplatz als Ganzes, weil der Schutz des § 168 Abs. 2 sich auf das Pietätsempfinden und den Pietätsanspruch der Angehörigen bestimmter Verstorbener bezieht (Tröndlel Fischer Rdn. 25). Dasselbe gilt für Grabfelder und Massengräber, in denen Verstorbene anonym eingebracht werden, und die daher ebenfalls nicht der Ruhe und dem Andenken bestimmter Verstorbener dienen (OLG Jena NJW 2001 1078, 1079; Lackner/Kühl Rdn. 7). Das Einscharren der Leiche, etwa durch den Mörder, schafft keine Beisetzungsstätte im Sinne dieses Tatbestandsmerkmals (Herzog N K Rdn. 17); nicht jede Grube wird zum Grab, nur weil sich darin ein Toter befindet (Kretschmer S. 344 Fn. 102).298 Hingegen läßt eine unbefugte Beerdigung oder die unbefugte Beisetzung einer Urne mit der Asche eines Verstorbenen auf fremdem Privateigentum eine Beisetzungsstätte entstehen (Binding Lehrbuch I § 45 1 II; 299 and. Herzog N K Rdn. 17; v. Olshausen Anm. 5 a). Auch fallen vorläufige Gräber, etwa von Gefallenen, unter den Begriff,300 mag auch eine alsbaldige Überführung zur endgültigen Ruhestätte beabsichtigt sein (Crusen S. 58). Keine Beisetzungsstätten sind jedoch Orte, an denen sich ungeborgene Leichen befinden, beispielsweise ein auf dem Meeresgrund liegendes, mit der Besatzung gesunkenes Unterseeboot. 301 ee) Der Schutz einer Beisetzungsstätte umfaßt die gesamte der Ruhe und dem 5 6 Andenken des Verstorbenen dienende Stätte mit allem, was mit ihr in einem wesentlichen oder künstlichen Zusammenhang steht und dauerhaft mit ihr verbunden ist.302 » 7 RGSt. 12 168, 169; 28 139, 140; Bien S. 108; Frank Anm. II; Herzog N K Rdn. 17; v. Hippel I § 88 IV 2 Fn. 1; v. Olshausen Anm. 5a; Wachenfeld § 121 II 1. Hierzu gerät die Ansicht, entgegen RGSt. 28 139, 140 sei das bloße Herausnehmen des Sarges aus dem offenen Grab keine Zerstörung einer Beisetzungsstätte (MaurachI SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 20; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 13) nicht notwendigerweise in Widerspruch (vgl. dazu Rdn. 61). 298 Mißverständlich Kohler, wenn er „unehrlich Verscharrten" strafrechtlichen Grabesschutz zuspricht (Religionsvergehen S. 216). Ist dabei Verscharren im Wortsinn gemeint, trifft diese Auffassung nicht zu. Anders liegt es jedoch, wenn die Wendung sich auf die im Gegensatz zum „ehrlichen Begräbnis" (dazu schon § 167 a Rdn. 9) vorgenommene, meist anonyme Bestattung beispielsweise von nicht getauften Kindern, Selbstmördern und Vagabunden (näher Rdn. 53 Fn. 293) bezieht; dort entstehen, wenn auch nicht für ihre Bestimmung erkennbar gemacht, Beisetzungsstätten. Gänzlich ablehnend Kretschmer S. 344 Fn. 102. (217)

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Widersprüchlich jedoch insofern, als der Eigentümer dadurch nicht am vollen Gebrauch seines Eigentums und damit nicht an der Entfernung der ihn störenden Beisetzungsstätte gehindert sein soll. 300 Bieri S. I l l ; Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Kahl VDB III S. 70; Tietz S. 67; Wachenfeld § 121 II 1. *» BGH N J W 1994 2613; Rudolphi SK Rdn. 11; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 20. 302 So schon RGRspr. 9 399 und RGSt. 39 155, 156, wobei es in beiden Entscheidungen zwar noch um den Begriff Grab des § 168 a. F. geht, sie aber schon ausdrücken, was durch die neue Bezeichnung Beisetzungsstätte klargestellt werden soll, nämlich daß das Merkmal den ganzen, dem Andenken des Verstorbenen dienenden Platz mit allem, was dazu gehört, erfaßt; ebenso E 1962 Begr. S. 346; ferner OLG Jena N J W 2001 1078, 1079; nahezu einhellig in diesem Sinne auch das Schrifttum, z. B. Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Herzog N K Rdn. 17; v. Hippel I § 88 IV 2 Fn. 1; Joecks Rdn. 9; Kohlrauschl

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Insbesondere gehören dazu Sarg und Leiche (RGSt. 12 168; 28 139, 140), Urne und Asche, alles mit dem diese Gegenstände umgebenden Teil des Erdbodens (Grabhügel), Kreuz oder Grabmal (RGSt. 39 155, 156) sowie die Umfriedung ( Herzog NK Rdn. 17; Riiping GA 1977 303). Bei einem Erdbegräbnis ist der gesamte eingefriedete Teil geschützt, auch wenn beispielsweise bei einem Sondergrab (Familienbegräbnis) erst ein Teil belegt ist.303 Ferner sind der Beisetzungsstätte zugehörig eingepflanzte Blumen 304 und sonstiger Aufwuchs (Gaedke Hdb. S. 162; Herzog N K Rdn. 17), weil auch sie den feierlichen Charakter der Stätte ausmachen (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 18), nicht aber Kränze oder andere lose aufgelegte Gebinde, Kerzen und ähnlicher Schmuck, denen eine dauernde Verbindung mit dem Grab fehlt.305 Letzteres gilt auch für Ruhebänke und zwar selbst dann, wenn sie fest verankert sind.306 Diese Gegenstände kommen als Angriffsobjekte des § 303, aber auch als Mittel beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte in Betracht (vgl. Rdn. 65). 57

ff) Auch die Dauer des Strafschutzes richtet sich nach dem Pietätsgefühl der Bürger. Beisetzungsstätten sind schützenswertes Gut, solange ein tatsächliches Pietätsoder sonstiges emotionales Interesse an ihrem Weiterbestehen erkennbar wird (RGSt. 42 116, 117; Kretschmer S. 345; Wolff LK § 304 Rdn. 6). Daraus folgt, daß der Schutz bei solchen Stätten entfallt, auf die sich das Pietätsgefühl nicht mehr erstreckt. Entgegen verbreiteter Auffassung 307 dürfte dies für prähistorische Gräber nicht schlechthin anzunehmen sein. Solange sie die Rückstände der in ihnen bestatteten Leichen bergen (Rdn. 52, 56), sind sie ungeachtet der seit ihrer Errichtung verstrichenen Zeit Beisetzungsstätten (Kretschmer S. 345), auch wenn sie, wie Hügel- und Hünengräber, inzwischen kulturhistorische Denkmäler geworden sind und als solche in den Schutzbereich des § 304 fallen;308 denn nicht mit dem kulturellen Zugewinn, sondern erst dadurch, daß die in ihnen Bestatteten nicht mehr vorhanden sind, verlieren sie ihre eigentliche Zweckbestimmung (Kretschmer S. 345). Im übrigen entfallt der Schutz beispielsweise nicht schon dann, wenn nur noch die Friedhofsverwaltung sich um die Erhaltung der Beisetzungsstätte bemüht (Bieri S. 114; Grüsen S. 56; v. Liszt/Schmidt BT § 118 V 2), wohl aber nach erlaubtem Entfernen der menschlichen Überreste aus dem Grab oder durch dessen widerrechtliche Zerstörung (Bieri S. 114), vielfach auch bei aufgelassenen Gräbern, um die niemand sich kümmert (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 18).309 Unabhängig von einem etwa noch bestehenden Gefühl der Pietät verliert

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Lange Anm. II; Lackner/Kühl Rdn. 7; v. Ophausen Aran. 5 b; Otto BT Rdn. 16; Rudolphi SK Rdn. 11; Rüping G A 1977 303; Sauer BT § 41 II 4c; Schroth BT S. 243; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 20; and. Kohler Religionsvergehen S. 214. R G G A 60 66; Bieri S. 198; Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Crusen S. 58; Herzog N K Rdn. 17; Kahl VDB III S. 70; v. Olshausen Anm. 5a; Tietz S. 66 f; Tröndlel Fischer Rdn. 20. RGRspr. 9 399; RGSt. 42 145; Gaedke Hdb. S. 213; Rudolphi SK Rdn. 11; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 20; Wachenfeld § 121 II 1; and. Frank Anm. II; differenzierend Crusen S. 61. RGSt. 21 178, 179; 42 145; Blei BT § 36 II 3; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 20; Welze! Strafrecht § 65 IV 3. V. Olshausen Anm. 5b cc; Rüping G A 1977 303;

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Tröndlel Fischer Rdn. 20; and. Rudolphi SK Rdn. 11. Bieri S. 108; Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Crusen S. 56; Herzog N K Rdn. 17; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 18; v. Olshausen Anm. 5c; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; Wachenfeld § 121 II 1. RG G A 51 49; OLG Celle N J W 1974 1291, 1292 ; Rüping G A 1977 304 Fn. 34; Wolff LK § 304 Rdn. 7. Zu Auflassungen zwingt die Raumnot, wie sie in der christlichen Gemeinschaft erstmals durch die Bestattungen ad sanetos (§ 167 a Rdn. 7) entstanden war. Das Grab auf Zeit ist heute die Regel (vgl. § 167a Rdn. 11). Hingegen läßt der jüdische Glaube Auflassungen nicht zu. Jüdische Gräber erhalten den Toten ihre Ruhestatt auf ewig (vgl. Kretschmer S. 184 mit Fn. 434, S. 345).

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die Beisetzungsstätte ihre Eigenschaft mit der Auflösung des Friedhofs, beispielsweise durch seine Umwandlung in einen öffentlichen Park (Herzog N K Rdn. 17; Sauer BT §41 II 4c). c) Die öffentliche Totengedenkstätte ist ebenfalls durch das 6. StrRG der Beisetzungsstätte hinzugefügt worden.

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aa) Konkreter Hintergrund dieser Gesetzesänderung waren rechtsextremistische Ausschreitungen in Gedenkstätten für Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. 310 Allerdings hatte bereits der E § 1962 die Strafbarkeitslücke erkannt und sie in der Erwägung schließen wollen, daß der Gedanke des Schutzes der Pietät, die dem Toten entgegengebracht wird, es rechtfertigt, Totengedenkstätten in den Strafschutz einzubeziehen, auch wenn diese nicht notwendig mit der Ruhestätte eines Toten verbunden sind (§191 Abs. 4, Begr. S. 346). Diesen Grundgedanken hat das 6. StrRG aufgegriffen. Es rechtfertigt die Erstreckung des Strafschutzes auf öffentliche Totengedenkstätten mit der Erwägung, daß die Erinnerungszeichen, die dem Andenken Einzelner oder einer, auch unbekannten, Vielzahl Verstorbener und den Geschehnissen, die zu ihrem Tod führten, Naturkatastrophen etwa, Kriege, Terroranschläge oder die Inhaftierung in Konzentrationslagern, gewidmet sind, nach dem Zweck des §168 Abs. 2 dessen besonderen Schutz verdienen. 311 bb) Die Stätten müssen dem Gedenken an diese Toten und an die betreffenden 5 9 Geschehnisse gewidmet sein (TröndlelFischer Rdn. 26). Deshalb sind sie, anders als Denkmäler und Mahnmale, räumlich abgegrenzt, um eine Atmosphäre der Stille und Besinnlichkeit zu schaffen, in der das Pietätsgefühl gegenüber denen, derer gedacht werden soll, sich entfalten, der Besucher aber auch zur Auseinandersetzung mit dem historischen Ereignis anreget werden kann (Herzog N K Rdn. 20). Ihre Begrenzung auf öffentliche Totengedenkstätten lehnt sich an den Begriff öffentliches Denkmal in § 304 Abs. 1 an, verbunden mit der an die Auslegung, die dieser Begriff erfahren hat (vgl. z. B. Sehl Schröder! Stree § 304 Rdn. 4; Tröndlel Fischer § 304 Rdn. 7; Wolff L K § 304 Rdn. 7), geknüpften Erwartung, daß das Merkmal öffentlich aufgrund seines normativen Charakters nur solche Gedenkstätten erfaßt, die ihrer Bedeutung nach schützenswert sind. 312 Außerdem bedeutet öffentlich, daß die Totengedenkstätten allgemein zugänglich sein müssen. 313 Beispiele für öffentliche Totengedenkstätten sind in erster Linie Gedenkstätten f ü r Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft, 314 wobei Gräberfelder ehemaliger Straflager, in die Verstorbene anonym eingebracht worden sind (vgl. Rdn. 56), zu Totengedenkstätten gewidmet werden können (OLG Jena N J W 2001 1078, 1079), ferner Gedenkstätten für die Opfer von Naturkatastrophen {Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 19; Rudolphi SK Rdn. 13), Denkmäler für Opfer von Flucht und Vertreibung (Maurachl

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Kreß NJW 1998 641; BTDrucks. 13/3468 S. 4 mit Hinweisen auf die betreffenden Vorfälle; vgl. dazu schon Rdn. 1 mit Fn. 3 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Lackneri Kühl Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 13; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 21. BTDrucks. 13/8587 S. 31; vgl. auch Lackneri Kühl Rdn. 7; Schroth BT S. 243; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 12. BTDrucks. 13/8587 S. 31; Joecks Rdn. 9; Lackneri Kühl Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 13; Schroth BT S. 243; Tröndlel Fischer Rdn. 21.

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BTDrucks. 13/8587 S. 30; Joecks Rdn. 9; Lackneri Kühl Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 13; Schroth BT S. 243; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 21; grundsätzlich auch Maurach/Schroederl Maiwald 2, jedoch mit Bedenken gegen die generelle Einbeziehung von ehemaligen Konzentrationslagern (BTDrucks. 13/3468 S. 4; 13/8587 S. 23) als zu weitgehend (§ 62 Rdn. 19).

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11. Abschnitt. Straftaten, welche sich auf Religion u. Weltanschauung beziehen

SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 19) sowie Gedenkstätten für durch Terroranschläge Getötete (Joecks Rdn. 9; Rudolphi SK Rdn. 13; Schroth BT S. 243), so das 1995 in München eingeweihte Denkmal für die Opfer des Terroranschlags auf die israelische Olympiamannschaft (BTDrucks. 13/8587 S. 30; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12). Geschützt sind aber auch die, vom E 1962 noch als einziges Beispiel genannten (Begr. S. 346), Denkmäler für die Gefallenen beider Weltkriege.315 Deren generelle Einbeziehung in den Strafschutz war im Gesetzgebungsverfahren allerdings umstritten. Dagegen hatte sich der Einwand erhoben, daß dadurch die Ehre von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen aufgewertet werde (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 8; Kreß NJW 1998 641). Die Absicht, Stätten des Andenkens an sie vom Strafschutz auszunehmen, ist jedoch mit Recht (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 21) gescheitert. 60

cc) Keine Totengedenkstätten sind Erinnerungszeichen, die nicht das gewisse Maß an Bedeutung besitzen, das durch das Merkmal öffentlich gewährleistet wird. Das gilt beispielsweise für Marterln und Kreuze für Verkehrsopfer (Maurach!SchroederlMaiwald 2 § 62 Rdn. 19). Ferner fallen Denkmäler und Erinnerungsstätten allgemeiner Art, auch wenn sie auf bestimmte, gleichfalls mit dem Tod von Menschen verbundene Geschehnisse hinweisen, jedoch nicht in besonderer Weise dem Andenken an Verstorbene dienen, vielmehr das betreffende Ereignis in den Vordergrund stellen, nicht unter den Tatbestand (Seh! Schröder! Lenckner Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 21). So liegt es bei einem Siegesdenkmal auf einem früheren Schlachtfeld (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12) sowie den als Denkmäler geschützten Teilen ehemaliger DDR-Grenzanlagen (TröndlelFischer Rdn. 21). Auch Ausstellungen über Kriegszerstörungen oder Kriegsverbrechen gehören nicht dazu, Mahnmale für die dabei Getöteten ausgenommen (TröndlelFischer Rdn. 21).

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2. Die Tathandlung besteht im Zerstören oder Beschädigen eines der geschützten Objekte. a) Zerstört ist eine Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder öffentliche Totengedenkstätte, wenn ihre Beschädigung so weit geht, daß sie ihrem Zweck, dem Toten eine würdige Ruhe- oder Gedenkstätte zu sein, nicht mehr dienen kann. 316 Bei der Beisetzungsstätte meint die Tathandlung die eigentliche Grabschändung, also den zerstörerischen Angriff auf das Grabmal und die Umfriedung oder den Sarg und die Urne selbst (Herzog N K Rdn. 21). Obwohl das noch nicht zugeschüttete Grab bereits als Beisetzungsstätte gilt (Rdn. 56), liegt in dem bloßen Herausnehmen des Sarges mit der Leiche aus dem offenen Grab, weil diese sonst nichts beschädigende Handlung den feierlichen Charakter, wie er dem noch nicht zugeschütteten Grab eigen ist, nicht beeinträchtigt, keine Zerstörung einer Beisetzungsstätte (Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 20; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 13; and. RGSt. 28 139, 140; Rudolphi SK

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BTDrucks. 13/8587 S. 30; Lackner/Kühl Rdn. 7; Rudolphi SK Rdn. 13; Schroth BT S. 243; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 26; and. Herzog in der Erwägung, daß trotz der gerade in kleinen Gemeinden bestehenden tiefen Verbindung mit den durch die örtlichen Kriegerdenkmäler gedachten Personen und des hohen pietätsvollen Respekts, der ihnen gezollt wird, sie gegenüber den anderen geschützten Örtlichkeiten der Aufbahrungs-, Be-

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gräbnis· und Totengedenkstätten nur wenig in Beziehung mit den Toten und deren Schicksal stehen, weswegen ihre Einbeziehung in den Strafschutz zu einer nicht tolerierbaren Unbestimmtheit des Tatbestandes führen würde (NK Rdn. 20). RGSt. 8 33; 28 139; 39 224, 225; Herzog N K Rdn. 21; Samson SK § 303 Rdn. 9; Sehl Schröder/Stree § 303 Rdn. 11; Wolff LK § 303 Rdn. 16.

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Rdn. 11), wohl aber eine Grabschändung, die so weit reicht, daß eine würdige Ruhestätte danach nicht mehr vorhanden ist (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13). b) Beschädigt ist eine Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder Totengedenkstätte, wenn 6 2 auf ihre Substanz in einem Umfang eingewirkt wurde, der die Brauchbarkeit zu ihrem bestimmten Zweck nicht nur geringfügig beeinträchtigt, und es nicht nur unerheblicher Bemühungen bedarf, um sie wieder herzustellen. 317 Das Beschädigen von Kränzen oder sonst lose aufgelegtem Grabschmuck genügt nicht, weil sie mangels einer dauernden Verbindung nicht Teile der Beisetzungsstätte sind (Rdn. 56); doch kann eine solche Handlung beschimpfender Unfug im Sinne der zweiten Alternative des Absatzes 2 sein (vgl. Rdn. 65, 67). Richtet sich der Angriff gegen Bepflanzungen, muß es sich, wenn der Tatbestand verwirklicht sein soll, um eine erhebliche Beschädigung handeln (Herzog N K Rdn. 22; v. Hippel I § 88 IV 2 a Fn. 1; Welzel Strafrecht § 65 IV 3). Durch das Herausnehmen des Grabsteins wird nicht stets auch die Beisetzungsstätte beschädigt (RG GA 53 441; Herzog N K Rdn. 22). Ist das Grabmal allein betroffen, geht § 304 vor (näher Rdn. 69), dessen Strafschutz, weil Grabmäler Beisetzungsstätten überdauern können, im übrigen über den der ersten Alternative des Absatzes 2 hinausreicht. Eine Beschädigung der Beisetzungsstätte kann unter Umständen im Abnehmen des Sargdeckels liegen (RGSt. 12 168, 169;318 Herzog N K Rdn. 22). V. Der äußere Tatbestand der zweiten Alternative des Absatzes 2 verlangt die VerÜbung beschimpfenden Unfugs an einer Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder öffentlichen Totengedenkstätte.

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1. Die Angriffsgegenstände sind dieselben wie die der ersten Alternative des Absatzes 2. Daher gelten insoweit uneingeschränkt die Erläuterungen dort, zur Aufbahrungsstätte Rdn. 50 und 51, zur Beisetzungsstätte Rdn. 52 bis 57 und zur Totengedenkstätte Rdn. 58 bis 60. 2. Die Tathandlung besteht in einem auf die Tatobjekte bezogenem Verüben beschimpfenden Unfugs. a) Angriffsrichtung des beschimpfenden Unfugs muß nicht die Stätte selbst als gegenständliches Tatobjekt sein; vielmehr genügt, wenn die Handlung in unmittelbarem räumlichem Zusammenhang mit dem geschützten Ort und inhaltlich bezogen auf seine besondere Eigenschaft vorgenommen wird {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13; TröndlelFischer Rdn. 22). Das folgt aus dem Wort „dort", das bei der Neufassung der Vorschrift durch das 6. StrRG an die Stelle des Wortes „an" gesetzt worden ist (vgl. Entstehungsgeschichte). Der Gesetzgeber hat dadurch klargestellt, daß neben Tathandlungen an einer Gedenkstätte auch diejenigen in einer Gedenkstelle erfaßt werden und solche grob ungehörigen Handlungen den Tatbestand erfüllen können, die nicht der Gedenkstätte, sondern, wie etwa bei Beschimpfungen am Grab, der Person des Verstorbenen gelten,319 also dessen Würde verletzen (Herzog N K Rdn. 23).320

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BGHSt. 13 207, 208; RGSt. 43 204, 205; 74 13, 14; Herzog N K Rdn. 22; Samson SK § 303 Rdn. 4 ff; Sehl Schröder! Stree § 303 Rdn. 8; Wolff LK § 303 Rdn. 4. Hier ging es um Taten, die sich im Zusammenhang mit der Einlegung von Särgen in ein Familiengrab ereigneten. Um den erforderlichen Platz zu schaffen, brachen auf Anweisung der Angeklagten Friedhofsarbeiter die Deckel der

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unteren Särge los und entfernten sie. Auf die so bloß gelegten bestatteten Leichen schaufelten sie Erde und piazierten hierauf die neuen Särge. So Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 10; ferner Joecks Rdn. 9; Lackneri Kühl Rdn. 7. Das Ergebnis dieser Klarstellung entsprach für das Tatobjekt Beisetzungsstätte freilich schon früher einer verbreiteten Meinung (z. B. Sehl

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b) Die Begriffsbestimmung des beschimpfenden Unfugs ist dieselbe wie bei der Tatmodalität der zweiten Alternative des Absatzes 1. Daher kann zunächst auf die Erläuterungen dazu (Rdn. 47), wie auch ergänzend auf diejenigen zu § 167 Abs. 1 Nr. 2 (Rdn. 22 dort) verwiesen werden. An den Schutzgegenständen vorgenommene Handlungen beschimpfenden Unfugs sind beispielsweise das Umwerfen oder Beschmieren von Grabsteinen oder Erinnerungstafeln (Herzog N K Rdn. 23; TröndlelFischer Rdn. 22) sowie das Aufstellen einer „Gedenktafel" mit Beschimpfungen des Verstorbenen auf einer Beisetzungsstätte und das „Schmücken" eines Denkmals für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit der Hakenkreuzfahne {SehlSchröder! Lenckner Rdn. 13; ferner Hilgendorf JuS 1993 98). In unmittelbarem räumlichem Zusammenhang mit der geschützten Örtlichkeit stehen das Halten von Schimpfreden oder das Singen zotiger Lieder an einer Beisetzungsstätte, verhöhnende und provokative Gesten Rechtsradikaler an einer Gedenkstätte für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft {TröndlelFischer Rdn. 21)321 und das Singen nationalsozialistischer „Kampflieder" vor oder in einer solchen Gedenkstätte {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13). Bei einer Totengedenkstätte genügt es, wenn die beschimpfende Handlung nur gegen eine bestimmte Gruppe des Personenkreises gerichtet ist, dessen Andenken insgesamt diese Stätte dient {TröndlelFischer Rdn. 22), so etwa das Hinausschreien der einstigen Naziparole „Juda verrecke" an einer Gedenkstätte für alle Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13). Ähnlich liegt es bei Erinnerungsstätten, die dem Andenken namentlich genannter Einzelpersonen gewidmet sind, wenn der Täter nur eine dieser Personen beschimpft {Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 13). Ob in dem Beschädigen einer Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder Totengedenkstätte zugleich ein beschimpfender Unfug liegt, hängt von den besonderen Umständen des Falles ab.322 Das Wegwerfen oder Beschädigen von Kränzen und sonstigem lose aufgelegtem Schmuck, das von der ersten Alternative des Absatzes 2 nicht erfaßt wird, weil diese Gegenstände mangels einer dauernden Verbindung nicht zu diesen Stätten gehören (Rdn. 55), bleibt als Störung der Totenruhe straflos, sofern darin nicht ein beschimpfender Unfug im Sinne der zweiten Alternative des Absatzes 2 gesehen werden kann. 323 Ein besonderer Umstand, der diese Handlung auch als beschimpfenden Unfug qualifizieren könnte, läge beispielsweise darin, daß die Handlung mit einer Verwüstung der Stätte verbunden ist {HeimannTrosien LK 9 Rdn. 18; vgl. auch v. Hippel I § 88 IV 2b Fn. 2; Wachenfeld § 121 II 1).

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VI. Die Rechtswidrigkeit kann durch die Befugnis zum Handeln ausgeschlossen sein.324 Als Rechtsgrundlage erlaubten Handelns kommen öffentlichrechtliche Vorschriften (Rdn. 43), die Satzung oder Benutzungsordnung des Begräbnisplatzes {TröndlelFischer Rdn. 23; vgl. auch RGSt. 12 168, 169; 28 139, 141), Einwilligung des Verstorbenen,325 freilich in einem sehr eingeschränkten Umfang (ausführlich dazu Rdn. 44), und Notstand, dies ebenfalls nur noch in ganz außergewöhnlich gelagerten

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Schröder!Lenckner25 Rdn. 11; LK Voraufl. Rdn. 43), allerdings gegen eine starke gegenteilige Auffassung (vgl. die Nachweise dort Rdn. 48 Fn. 263). So posierten beispielsweise Anfang 1994 vor dem Krematorium des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald mit braunen Hemden bekleidete und mit Feuerhaken ausgerüstete Rechtsradikale (BTDrucks. 13/8587 S. 23). Praktische Bedeutung hätte die Strafbarkeit

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nach beiden Alternativen des Absatzes 2 freilich nicht, weil auf jeden Fall nur eine Tat vorläge {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13). Sonst kommen bei bloßer Wegnahme allenfalls Diebstahl oder Unterschlagung in Betracht. Die hier nicht die Tatbestandsmäßigkeit beseitigt (Rdn. 41 mit den Nachweisen Fn. 263). Die Einwilligung des Berechtigten schließt bereits den Tatbestand aus (Rdn. 17, 29 mit den Nachweisen Fn. 221 Rdn. 44).

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Störung der Totenruhe

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Fällen (Rdn. 17, 45), in Betracht. Bei irrtümlicher Annahme der Befugnis sind vorsatzausschließender Irrtum oder Verbotsirrtum denkbar (vgl. schon Rdn. 41). Einzelfälle beschimpfenden Unfugs können durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) gerechtfertigt sein, bei Angriffen gegen Tatobjekte der zweiten Alternative des Absatzes 2 freilich eher als bei Angriffen gegen Tatobjekte der zweiten Alternative des Absatzes 1 (TröndlelFischer Rdn. 23). VII. Der innere Tatbestand erfordert bei allen Begehungsformen Vorsatz, wobei 6 7 bedingter Vorsatz genügt. 326 Am Vorsatz mangelt es beispielsweise in Fällen pietätloser Prozeduren im Zusammenhang mit Sektionen (Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 56). Bei den Tatbeständen des Verübens beschimpfenden Unfugs (zweite Alternative des Absatzes 1 und zweite Alternative des Absatzes 2) ist zu beachten, daß der „doppelte SteigerungsbegrifF" (Maurach BT § 47 II F 2 b) die Mißachtung in so krassem Maß kennzeichnet, daß dies auf der subjektiven Seite seine Entsprechung finden muß (Herzog N K Rdn. 24). Daher gehört hier zum Vorsatz auch das Bewußtsein der besonderen Pietätslosigkeit und des schimpflichen Charakters der Handlung, 327 wobei der Täter selbst diese Wertung nicht zu vollziehen braucht (TröndlelFischer Rdn. 24). Die Absicht, eine Pietätsverletzung zu begehen, ist nicht erforderlich. 328 Politische Überzeugungen oder sonstige Motivationen, in Fällen der ersten Alternative des Absatzes 1 etwa kommerzielle oder sexuelle Erwägungen, sind für den Vorsatz unerheblich (TröndlelFischer Rdn. 24). Ebensowenig schließt beim Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 1 ein wohlmeinender Zweck 329 den Vorsatz aus, wie beim Tatbestand der ersten Alternative des Absatzes 2 die Absicht, die zerstörte oder beschädigte Beisetzungsstätte wieder herzustellen (RG H R R 1927 66; Frank Anm. II). VIII. Der Versuch der Straftat ist durchgehend strafbar (Absatz 3). Für die Fälle 6 8 der Wegnahme eines der geschützten Gegenstände (erste Alternative des Absatzes 1) kann auf die Regeln beim Diebstahl (vgl. Ruß LK § 242 Rdn. 72 bis 78) verwiesen werden. Bei der Verübung beschimpfenden Unfugs an den geschützten Gegenständen liegt der Beginn der Ausführung darin, daß der Täter unmittelbar zur Einwirkung ansetzt. Untauglicher Versuch liegt auch vor, wenn der Täter irrig die tatsächliche Voraussetzung eines der geschützten Gegenstände annimmt oder irrig eine tatsächlich vorliegende Einwilligung nicht kennt (TröndlelFischer Rdn. 25). IX. Für die Konkurrenzen gilt allgemein, daß, wenn der Körper eines Verstorbenen 6 9 (erste und zweite Alternative des Absatzes 1) Gegenstand des Rechtsverkehrs geworden ist, er nur noch Tatobjekt der §§ 242, 246 und 303 sein kann (vgl. Rdn. 23 mit den Nachweisen Fn. 200). Soweit die erste Alternative des Absatzes 1 bei Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation anwendbar ist, tritt sie gegenüber § 19 Abs. 1 TPG als dem spezielleren Gesetz zurück, so daß eine Strafbarkeit auch nach § 168 Abs. 1 1. Alt. ausscheidet. 330 Allerdings wird für dieses Zusammentreffen im Hinblick 326

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328

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Herzog N K Rdn. 24; LacknerlKühl Rdn. 9; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 24. BGH NStZ 1981 300; RGSt. 42 146; 43 203; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 14; Tröndlel Fischer Rdn. 24. RGSt. 42 145, 146; Frank Anm. II; v. Liszt! Schmidt BT § 118 V 2; Seh!Schröder! Lenckner Rdn. 14. Vgl. etwa das Motiv des angeklagten Totengräbers in dem der Entscheidung RGSt. 28 139

(223)

330

zugrunde liegenden Fall. Er hatte, nur um den Wunsch des Vaters eines verstorbenen Kindes zu erfüllen, den Sarg mit der Leiche eines eben bestatteten anderen Kindes nur deshalb aus dem noch offenen Grab herausgenommen und in eine weitere Gruft versenkt, um zu ermöglichen, daß jenes Kind in diesem Grab, das neben dem eines früher dahingeschiedenen Kindes der Familie lag, beigesetzt werden konnte. Heger JZ 1998 506; P. König Organhandel S. 73; Kretschmer S. 515; LacknerlKühl Rdn. 4a; Mau-

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§ 168

11. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n , welche sich auf Religion u. W e l t a n s c h a u u n g beziehen

auf die unterschiedlichen Schutzzwecke (vgl. Rdn. 2, 17) zum Teil Idealkonkurrenz für möglich gehalten (NickellSchmidt-PreisigkelSengler § 19 Rdn. 9). Diese Auffassung übersieht, daß im Anwendungsbereich des Transplantationsgesetzes (§ 1 TPG) keine Fälle unbefugter zu Transplantationszwecken vorgenommener postmortaler Organentnahmen denkbar sind, die nicht durch § 19 Abs. 1 TPG erfaßt und abgegolten würden. Die zweiten Alternativen der Absätze 1 und 2 können mit den §§ 166, 167 und 167 a tateinheitlich zusammentreffen, 331 unter Umständen auch mit den §§123 und 130 {TröndlelFischer Rdn. 26). Streitig ist das Verhältnis der ersten Alternative des Absatzes 2 zu § 304. Tateinheit kann bestehen, wenn durch die Zerstörung oder Beschädigung eines Teils der geschützten Stätte, Umstürzen des Grabmals einer Beisetzungsstätte beispielsweise, auch andere Teile des Objektes, der Grabhügel und die Einfriedung etwa, zerstört oder beschädigt werden, 332 oder der Täter zugleich beschimpfenden Unfug dort verübt. 333 Hält sich der Angriff jedoch im Rahmen der in § 304 genannten Handlungen, so geht, wenn die Beschädigung sich auf den angegriffenen Teil beschränkt, § 304 vor.334 Gegenüber § 189 treten die zweiten Alternativen der Absätze 1 und 2 zurück, weil sie neben dem nachwirkenden Persönlichkeitsrecht auch das allgemeine Pietätsempfinden schützen (§ 167a Rdn. 3 mit den Nachweisen Fn. 12) und deshalb mit einer höheren Strafdrohung versehen sind {SehlSchröder! Lenckner § 189 Rdn. 5; and. Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 55; Maurach/SchroederlMaiwald 2 §62 Rdn. 17).

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rächtSchroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 14; Schroth JZ 1997 1152; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16; TröndlelFischer Rdn. 26; vgl. auch Herzog N K Rdn. 14, wonach die Strafbarkeit nach § 19 Abs. 1 TPG und § 168 Abs. 1 sich tatbestandlich ausschließt. Frank Anm. III (für die frühere zweite Alternative des Absatzes 1); Herzog N K Rdn. 26; Lackner/Kühl Rdn. 10; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16; TröndlelFischer Κάτι. 16, 26. RG GA 53 441; 56 76, 77; OLG Celle NdsRpfl. 1966 225; Lackneri Kühl Rdn. 10; Preisendanz Anm. 7; Sehl Schröder!Stree § 304 Rdn. 13; TröndlelFischer § 304 Rdn. 17; Wolff LK § 304 Rdn. 17.

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RGSt. 39 155, 157f; Sehl Schröder! Stree § 304 Rdn. 13; TröndlelFischer § 304 Rdn. 17; Wolff LK § 304 Rdn. 17. RG GA 53 441; 56 76, 77 ; OLG Celle NdsRpfl. 1966 225 ; Blei BT § 36 II 3; Herzog N K Rdn. 26; v. Hippel I § 88 IV 2 Fn. 2; Lackneri Kühl Rdn. 10; Sehl Schröder! Stree § 304 Rdn. 13; TröndlelFischer § 304 Rdn. 17; vgl. auch v. Hippel I § 88 IV 2 Fn. 2; and. (stets Tateinheit) Arztl Weber BT § 44 Rdn. 56; Joecks Rdn. 10; Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 62 Rdn. 17; Rudolph! SK Rdn. 12 (unter Hinweis auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen der Tatbestände); Samson SK § 304 Rdn. 10; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13.

S t a n d : 1. 7. 2003

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ZWÖLFTER ABSCHNITT Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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(1989); Eyferth Gefährdete Jugend, Pädagogische Bücherei Bd. 16 (1950); Gebauer Familie und Staat (1961); Fnaw/Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - das Beispiel von Ehe und Familie, NJW 1986 2595; Geckeier Die Familie im Konflikt der Generationen, in: Biermann Familie und Kind in der Gesellschaft unserer Zeit, Beiträge zur Kinderpsychotherapie Bd. 22 (1975) 59; Geiger Die Bewertung der Familie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Verfassung, F a m R Z 1973 225; Gerì Die besonderen persönlichen Merkmale im Sinne des § 28 StGB, Diss. Berlin 1975; Gernhuber Kindeswohl und Elternwille, FamRZ 1973 229; Giesen Zur Strafwürdigkeit der Delikte gegen Familie und Sittlichkeit, FamRZ 1965 248; Goode Die Struktur der Familie, 3. Aufl. (1967) - zit.: Goode Struktur; Goode Soziologie der Familie, Grundfragen der Soziologie Bd. 8 6. Aufl. 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Stand: 1. 7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

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Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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(1990); Redlich/Kamin Strafbestimmungen zum Schutze der Jugend und der Familie, NJ 1967 149; Reif Die Familie in der Geschichte (1982); Richter H.-E. Die Familie im gesellschaftlichen Wandel - Abbild oder Korrektiv? BezDyn. 1 (2000) 75; Richter I. Die Reformen des Kindschaftsrechts und die Schulen, Gedächtnisschrift für Bernd Jeand' Heur, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 796 (1999) 255; Rietzsch Die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft, DJ 1943 228, 241; Roeder Exclusiver Täterbegriff und Mitwirkung am Sonderdelikt, ZStW 69 (1957) 223; Rosenbaum Familie als Gegenstruktur zur Gesellschaft, 2. Aufl. (1978) - zit.: Rosenbaum Familie; Rosenbaum Formen der Familie, 7. Aufl. 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Bismarck Die Familie in der christlichen Gemeinde (1955) 7 - zit.: Schelsky Familie; Schelsky Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, 5. Aufl. (1967) zit.: Schelsky Wandlungen; Schmid Die Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 564 (1989); Schmitt Der strafrechtliche Schutz der Familie, in: v. CaemmererlZweigert Deutsche Landesreferate zum VII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Uppsala 1966, Sonderveröffentlichung von Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1967) 513; Schneider H. J. Ehe und Familie, in: Sieverts Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. 1 2. Aufl. (1966) 147; Schneidewin Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 1: Gutachten der Strafrechtslehrer (1954) 173; Schöch Verwarnung statt Strafe - Zum Aufblühen der Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB, Festschrift für Jürgen Baumann (1992) 255; Schroeder Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem Entwurf eines 4. StrRG, Z R P 1971 14; Schulz W. Von der Institution ,Familie' zu den Teilbeziehungen zwischen Mann, Frau und Kind, SozW 34 (1983) 401; Schwab D. Zur Geschichte des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie, Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch (1976) 893; Schwab D. Konkurs der Familie? Familienrecht im Umbruch, Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. Heft 12 (1994) - zit.: D. Schwab Konkurs; Schwab D. Familienrecht, 11. Aufl. (2001) - zit.: D. Schwab Familienrecht; Schwägler Soziologie der Familie, Heidelberger Sociologica 9 (1970); Segalen Die Familie - Geschichte, Soziologie, Anthropologie (1990); SeifertlHömig Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 6 (Schutz von Ehe und Familie, nichteheliche Kinder), 5. Aufl. (1995); Seuffert Übersicht über die Strafgesetzgebung des Deutschen Reiches im Jahre 1894, ZStW 15 (1895) 807; Shorter Die Geburt der modernen Familie (1983); Siebert Die Entwicklung des deutschen Jugendrechts im Kriege, D R 1944 868; Simson/Geerds Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht (1969); Spiro Is the family universal? AmAnthr. 56 (1954) 839; Steinemann Die Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten gemäß Art 184 des Entwurfs eines schweizerischen Strafgesetzbuches vom 23. Juli 1918, Diss. Zürich 1922; Steiger Verfassungsgarantie und sozialer Wandel: Das Beispiel von Ehe und Familie, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 45 (1987) 55; Stracke Der Rechtsstatus als Angriffsobjekt von Verbrechen, Diss. Münster 1917;

Stand: 1.7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

Streng Schuld, Vergeltung, Generalprävention, ZStW 92 (1980) 637; Sturm Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts, 1. Teil, JZ 1974 1; Toebelmann Angriffe auf die Ehe und Verletzung von Familien- und Unterhaltspflichten im ausländischen Strafrecht, Diss. Göttingen 1954 — zit.: Toebelmann Angriffe; Toebelmann Angriffe auf die Ehe und Verletzung von Familien- und Unterhaltspflichten, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 2: Zusammenstellung der am Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg angefertigten rechtsvergleichenden Arbeiten (1955) 169 - zit.: Toebelmann Materialien; Trost Die Erziehungskraft der Familie, in: Röhrs Die Sozialpädagogik und ihre Theorie, Akademische Reihe (1968) 97; v. Trotha Zum Wandel der Familie, KölnZ 42 (1990) 452; v. Trotha Kind und Familie, ZSE 19 (1999) 227; Trube-Becker Sexueller Mißbrauch von Kindern aus rechtsmedizinischer Sicht, Forensia 9 (1988) 67; Tyrell Die Familie als ,Urinstitution': Neuerliche spekulative Überlegungen zu einer alten Frage, KölnZ 30 (1978) 611; Tyrell Familie und gesellschaftliche Differenzierung, in: Pross Familie wohin? (1979) 13 zit.: - Tyrell Familie; v. Unzner Familie und Familienrecht, in: S tierSomlolElster Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 2 (1927) 383; van Ussel Die Kleinfamilie, in: Ciaessens/Milhoffer Familiensoziologie (1980) 129; Vívelo Handbuch der Kulturanthropologie, 2. Aufl. (1995); Weber-Kellermann Die deutsche Familie (1974); Werle Zur Reform des Strafrechts in der NS-Zeit: Der Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs 1936, NJW 1988 2865; Westermarck Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe (1909); Willutzki Kindeswohl zwischen Elternrecht und staatlichem Wächteramt, DAVorm. 73 (2000) 377; Wingen Der Beitrag der Familienpolitik für die Erziehungskraft der Familie, in: Kulturbeirat beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken Die Erziehungskraft der Familie, Bericht und Dokumentation (1967) 62; Woesner Generalklausel und Garantiefunktion der Strafgesetze, NJW 1963 273; Woesner Strafrechtlicher und sittlicher Schuldvorwurf, NJW 1964 1; Wolf E. Der Begriff Familienrecht, FamRZ 1968 493; Würtenberger Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen Bd. 7 2. Aufl. (1959); Wulffen Vergehen in Beziehungen auf die Ausübung der Religion, Verbrechen und Vergehen gegen die Ordnung der Ehe und des Personenstandes und gegen die Sittlichkeit im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, in: Aschrotth. Liszt Die Reform des Reichsstrafgesetzbuches, Kritische Betrachtung des Vorentwurfs, Bd. 2 (1910) 120; Wurzbacher Wandel und Bedeutung der Familie in der modernen Gesellschaft, in: Karrenberglv.Bismarck Die Familie im Umbruch der Gesellschaft, Kirche im Volk Heft 13 (1954) 4; Zacher Elternrecht, in: Isenseel ífiVíMo/Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6 2. Aufl. (2001) 265; Zippelius Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - Das Beispiel von Ehe und Familie, DOV 1986 805; Zoras Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, Diss. Freiburg i. Br. 1978; Zuleeg Verfassungsgarantie und sozialer Wandel - das Beispiel von Ehe und Familie, NVwZ 1986 800. Weitere schon Vor § 169 verwendete spezielle Literatur bei den Angaben zu den einzelnen Bestimmungen. Im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführte Abkürzungen ActPaed. - Acta Paedo psychiatrica; ActPsychKob. - Acta psychiatrica et neurologica Kobenhagen; AktGer. - actuelle gerontologie; AmAnthr. - American Anthropologist, Journal of the American Anthropological Association; AmEthn. - American Ethnologist; AmJDisCh. - American Journal of Diseases of children; AmJOrth. - American Journal of Orthopsychiatry; AmJPsychiat. - American Journal of Psychiatry; AmJPsychol. - American Journal of Psychology; AmJSoc. - American Journal of Sociology; AmPsych. - American Psychologist; AmSocRev. - American Sociological Review; AnKJPsych. - Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie; AnnPs. - The Annual of Psychoanalysis; AnnSoc. - L'Année Sociologique; Apfl. - Altenpflege: Organ der Fachkräfte in ambulanter und stationärer Altenhilfe; ArchFamPs. - Archives of Family Psychiatric; ArchGenPs. - Archives of General Psychiatric; ArchRassBiol. - Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie; AuNZPs. - Australien and New Zealand journal of Psychiatry; AzPsych. - Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie; BehBrSc. Behavioral and Brain Sciences; BehScRes. - Behaviour Science Research: Journal of Comparative Studies; BewH - Bewährungshilfe; BetrJ - Betrifft Justiz; BezDyn. - Beziehungsdynamik: (229)

Karlhans Dippel

Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Zeitschrift für psychoanalytische Paar-, Familien- und Sozialtherapie (ab 2001 Psychoanalytische Familientherapie); BlWPfl. - Blätter der Wohlfahrtspflege; BrJPsychiat. - British Journal of Psychiatry; BrJPsychol. - British Journal of Psychology; BrJSoc. - British Journal of Sociology; CanJPs. - Canadian journal of psychiatry; CanPsAssJ - Canadian psychiatric association journal; ChAbNegl. - Child Abuse and Neglect; ComprPs. - Comprehensive psychiatry; ContPs. - Contemporary psychoanalysis; CurrAnthr. - Current Anthropology: A world journal of the science of man; DEuFamR - Deutsches und Europäisches Familienrecht; D I J u F - Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrechte e.V. (bis Februar 2000 Deutsches Institut für Vormundschaftswesen e.V.); DIV - Deutsches Institut für Vormundschaftswesen e.V. (ab März 2000 Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.); D N o t Z - Deutsche Notar-Zeitschrift; DStZ - Deutsche Steuer-Zeitung; EthSoc. - Ethology and Sociobiology; ExcCrim. Excerpta criminológica; FamDyn. - Familiendynamik, Interdisziplinäre Zeitschrift für Praxis und Forschung; FamPr. - Family Process; F F E - Forum Familien- und Erbrecht; FolPsychNeerl. - Folia psychiatrica, neurologica et neurochirurgica Neerlandica; Forensia - Forensia, Interdisziplinäre Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie und Recht; ForPsych. Forum der Psychoanalyse; FPR - Familie Partnerschaft Recht; FRES - Entscheidungssammlung zum gesamten Bereich von Ehe und Familie; FrFrag. - Frauenfragen; FuV - Familie und Volk; FuR - Familie und Recht; GesFürs. - Gesundheitsfürsorge Gesundheitsvorsorge; Homo Homo, Zeitschrift für vergleichende Forschung am Menschen; HumHer. - Human Heredity; IntJPsAn. - The international journal of psychoanalysis (an Bulletin of the international psycho-analytical Association); IntZPsych. - Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse; JAmAcChPs. - Journal of the American Academy of Child Psychiatry; JAmPsAss. - Journal of the American Psychoanalytic Association; JAnthrlnst. - Journal of the Royal Anthropological Institute; JAnthrRes. - Journal of Anthropological Research; JBelgNeurPs. - Journal belge de neurologie et de psychiatrie; JFamHist. - Journal of Family History; JMentDefRes. - Journal of Mental Deficiency Research; JNMDis. - Journal of nervous and mental disease; JPed. - The Journal of Pediatrics; JPolSoc. - The Journal of the Polynesian Society; JSexRes. - Journal of Sex Research: The Publication of the Society for the Scientific Study of Sex; KdAn. - Kinderanalyse: Zeitschrift für die Anwendung der Psychoanalyse in Psychotherapie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters; KdPrax. - Kindschaftsrechtliche Praxis; KölnZ - Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; KS A - Kinderschutz aktuell (bis 1973 Schutz dem Kinde); KuV - Kindesmißhandlung und -Vernachlässigung; LavMed. - Laval Medical; Man Man, the journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland; MatPsych. - Materialien zur Psychoanalyse und analytisch orientierten Psychotherapie; MB1GV Maandblad voor de geestelijke volksgezondheit; MschrKH - Monatsschrift für Kinderheilkunde; NDV - Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge; NewSoc. - New Society, The social science weekly; NJWE-FER - NJW Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht; NPrax. - neue praxis, Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik; NZA - Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht; PartnBer. - Partnerberatung, Zeitschrift für Ehe-, Familien- und Sexualtherapie; Pediat. - Pediatrics; PFTh. - Psychoanalytische Familientherapie (in 2000 Beziehunsgdynamik); PNB1. - Psychiatrisch neurologische Blätter; PNP Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychologie; Polizei - Die Polizei; PraxPsych. - Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik; ProFam. - pro familia magazin Sexualpädagogik und Familienplanung; PsychH - Psychologie heute; PsychPrax. - Psycho-therapeutische Praxis; PsychAnQ - Psychoanalytic Quaterli; PsychR - Psychoanalytic Review; PsychTh. - Psychotherapeut; PsychQ - Psychiatric Quaterly; recht - Informationen des Bundesministers der Justiz; Rechtsth. - Rechtstheorie, Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts; R h N o t Z - Rheinische Notar-Zeitschrift; R h Z f Z - Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht; SArchNP - Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie; SdK - Schutz dem Kinde (ab 1974 Kinderschutz aktuell); SES - Social and Economic Studies; SexPr. - Sexualprobleme, Zeitschrift für Sexualwissenschaften und Sexualpolitik; SocEx. - social extra; SocPr. - Social Problems; SocRev. - The Socological Review; SocScInf. - Social Science Information; SozPol. - Sozialistische Politik; SZP - Schweizerische Zeitschrift für Psychiatrie; UJ - Unsere Jugend; VschrWP - Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik; ZAP - Zeitschrift für die Anwaltspraxis; ZEV - Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge; ZfBev. - Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft; Z f F - Zeitschrift für das Fürsorgewesen; ZfH - Zeitschrift

Stand: 1. 7. 2003

(230)

Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

für das Heimatwesen; ZfS - Zeitschrift für Soziologie; ZfSf. - Zeitschrift für Sexualforschung; ZfSh. - Zeitschrift für Sozialhilfe (bis 1996 Zeitschrift für öffentliche Fürsorge); ZfZ - Zeitschrift für Zivilstandswesen; ZmVK - Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre; ZNeurPsych. - Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie; ZöF - Zeitschrift für öffentliche Fürsorge (ab 1997 Zeitschrift für Sozialhilfe); ZPäd. - Zeitschrift für Pädagogik; ZSE - Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation. Ergänzend gilt das Verzeichnis im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführter Abkürzungen Vor § 166.

Entstehungsgeschichte Das Strafgesetzbuch enthielt in seiner ursprünglichen Fassung keinen besonderen Abschnitt über Straftaten gegen Ehe und Familie. Sein Zwölfter Abschnitt war überschrieben mit „Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand". Er enthielt nur zwei Tatbestände, die Personenstandsfälschung (§ 169) und die Eheerschleichung durch das Verschweigen von Ehehindernissen (§ 170). Daneben gab es zwei Übertretungstatbestände, § 361 Abs. 1 Nr. 5, der mit Haft bedrohte, wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingab, daß er in den Zustand geriet, in dem zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet war, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden mußte, und § 361 Nr. 9, der dieselbe Strafe gegen denjenigen vorsah, der einen noch nicht Achtzehnjährigen, dessen Beaufsichtigung ihm oblag, nicht gehörig beaufsichtigte, wenn der zu Beaufsichtigende eine als Übertretung mit Strafe bedrohte Handlung beging, die der Aufsichtspflichtige durch gehörige Aufsicht hätte verhindern können. Dem § 361 Nr. 5 stellte das Gesetz betreffend die Änderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuches vom 12.3.1894 (RGBl. 259) § 361 Abs. 1 Nr. 10 zur Seite, wonach die Strafe der Haft auch denjenigen traf, der, obschon er in der Lage war, diejenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet war, zu unterhalten, sich der Unterhaltspflicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzog, daß durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden mußte. Durch den mit § 361 Abs. 1 Nr. 9 inhaltlich gleichen § 4 der Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechts des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 4.10.1940 (RGBl. I 1336) wurde unter Androhung von Gefängnis die Strafbarkeit der Verletzung der Aufsichtspflicht auch auf Fälle erstreckt, in denen der Jugendliche eine als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung beging (Absatz 1), wobei als aufsichtspflichtig im Sinne dieser Vorschrift galt, wem die Sorge für die Person des Jugendlichen oblag oder dem der Jugendliche zur Erziehung und Pflege ganz oder überwiegend anvertraut war (Absatz 2). Art. I der Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 9.3.1943 (RGBl. I 140) schuf unter der Überschrift „Angriffe auf Ehe, Familie und Mutterschaft" vier neue Tatbestände, die Verschleuderung von Familienhabe (§ 1), die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 2), die Versagung der Hilfe gegenüber einer Geschwängerten (§ 3) und die Vernachlässigung eines Kindes (§ 4). Aufgrund der Ermächtigung in Art. III § 9 Abs. 2 stellte die Verordnung zur Durchführung der Verordnung zum Schutz von Ehe und Familie des Reichsministers der Justiz und des Reichsministers des Inneren vom 18.3.1943 (RGBl. I 169) die neuen Tatbestände als §§ 170a bis 170d in den Abschnitt ein, fügte ihnen die bis dahin dem Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" zugeordneten §§171 (Doppelehe 1 ) und 172 (Ehebruch) hinzu, hob § 361 Abs. 1 Nr. 10 (231)

Karlhans Dippel

Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

auf und gab dem Zwölften Abschnitt die Überschrift „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie". Durch § 3 der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Jugendstrafrechts (JugendstrafrechtsVO) des Reichsministers der Justiz vom 6.11.1943 (RGBl. I 635) wurde § 4 der Verordnung vom 10.4. 1940 mit im Wesentlichen gleicher Fassung als § 139 b in das Strafgesetzbuch übernommen. 2 Das 3. StRÄndG benannte § 139b in § 143 um, faßte den Tatbestand neu, paßte § 361 Abs. 1 Nr. 9 dieser Fassung an, strich § 361 Abs. 2, beseitigte bei § 170a die Strafbarkeit des Versuchs und gestaltete ihn als Antragsdelikt. Durch das 1. StrRG wurde § 172 gestrichen. Mit der Aufhebung des Neunundzwanzigsten Abschnitts des Besonderen Teils durch Art. I Nr. 30 2. StrRG beziehungsweise Art. 19 Nr. 206 EGStGB i. V.m. Art. 18 III EGStGB entfiel § 361 Nr. 5. Das 4. StrRG hob die §§ 143, 170, 170a, 170c und 361 Nr. 9 auf, faßte die §§ 169, 170b, 170d (unter teilweiser Übernahme des § 143) und 171 neu, wobei die Anwendungsbereiche eingeschränkt, Vereinfachungen vorgenommen und durchweg die Strafdrohungen gemildert wurden, und stellte den bis dahin dem Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" zugeordneten § 173 (Blutschande3) unter Verzicht auf die Strafbarkeit des Verschwägerteninzests4 und auch sonst neu gefaßt in den Abschnitt ein. Durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.8. 1995 (BGBl. 1 1050) wurden der bisherige § 170b Absatz 1 und in einem neuen Absatz 2 die verwerfliche Unterhaltspflichtverletzung gegenüber einer Schwangeren mit der Folge eines Schwangerschaftsabbruchs unter Strafe gestellt. Schließlich benannte das 6. StrRG § 170b in § 170, § 170d in § 171 und § 171 in § 172 um.

1

Gleichbedeutend mit Bigamie. Der Begriff Doppelehe bezeichnet den Tatbestand nur ungenau, ist eher sogar „falsch" (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 77), weil der Umstand, daß das Eherecht zum Schutz des neuen Partners die Ehe mit einem für tot Erklärten bei einer Wiederverheiratung auflöst (vgl. § 172 Rdn. 8). Dies gilt auch für den zuweilen gebrauchten Begriff „mehrfache Ehe" (ζ. B. § 219 des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1861; V. Liszt/Schmidt BT § 115), weil in diesem Fall eine solche gerade nicht besteht. Indessen ist die Verwendung des geschichtlich fest gewordenen Sprachgebrauchs unschädlich (so schon Mittermaier S. 85).

2

Die Einordnung der Strafvorschrift in den Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung" beruht darauf, daß der Zweck des § 361 Nr. 9 nicht der Schutz von Ehe und Familie, sondern ein verstärkter Schutz der öffentlichen Sicherheit vor Straftaten von Kindern und Jugendlichen war (vgl. Rdn. 2). Erst der E 1962 trug bei seiner Systematik dem Umstand Rechnung, daß der Tatbestand im Wesentlichen die Verletzung einer familienrechtlichen Aufsichtspflicht zum Gegenstand hat (Begr. S. 347; dazu auch AE S. 69).

3

Der Begriff Blutschande, inhaltsgleich mit Inzest, bezeichnet geschlechtlichen Verkehr zwischen nahen Verwandten und Verschwägerten.

Inzest ist abgeleitet vom lateinischen incestare (beflecken, verunreinigen); incestus als Gegenatz von castus (rein) meint im römischen Recht ursprünglich daher wohl die den religiösen Ordnungen zuwiderstreitenden Keuschheitsverletzungen, aber auch das gegen die religiösen Pflichten der Vestapriesterinnen verstoßende stuprum sowie die Teilnahme des Mannes an dem den Frauen vorbehaltenen religiösen Akt (Mommsen S. 682 f Fn. 1; vgl. auch Wirtz Seelenmord S. 14). Der Ausdruck Blutschande dürfte eine Übersetzung der Wörter sanguinis contumelia in lex 38, § 1, Dig. Ad legem Juliam de adulteriis sein (Toebben S. V). Er bezeichnet zunächst jede Hintansetzung der Ehrerbietung, die man den Eltern schuldig ist (Grimm Deutsches Wörterbuch, 2. Bd. [1860] Sp. 190). Neuhochdeutsch seit Luther (Deutsches Rechtswörterbuch, Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaft [1932-35] Bd. II Sp. 387), tauchte der Begriff alsbald auch im deutschen Recht auf. Als erstes Gesetz verwendeten ihn die Sächsischen Konstitutionen von 1572. Der emotionell klingende und allmählich veraltende Ausdruck wird zunehmend von dem Begriff Inzest verdrängt (Simsonl Geerds S. 412). 4

Zutreffend daher jetzt die Überschrift Beischlaf zwischen Verwandten.

Stand: 1. 7. 2003

(232)

Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 65, 230, 307ff; Bd. 8 S. 199, 206, 343f, 357ff, 369f, 378ff, 381 f, 386ff, 405ff, 455ff, 461 ff, 614ff, 663; Bd. 12 S. 601 f; E 1962 S. 44f, 347f, 349, 352f, 354ff; AE S. 7, 58f, 60f, 68f, 71 ff; BTDrucks. VI/1552 S. Uff, 40, 41, 46; VI/3521 S. Iff, 17ff, 72f; 7/80 S. 10; 7/514 S. 4f, 19f; Prot. VI/28 S. 853, 885, 918; VI/29 S. 932, 942, 990, 1002, 1024, 1098, 1114, 1135; VI/33 S. 1193ff, 1202f, 1211 ff, 1221 ff; VI/34 S. 1227ff, 1244ff; VI/35 S. 1253ff, 1262f, 1278 ff, 1284; VI/36 S. 1289 ff, 1297; VI/37 S. 1328; VI/40 S. 1381; VI/71 S. 2927 ff, 2044f, 2046, 2107; VI/72 S. 2113; 7/2 S. 3, 5, 7; BTProt. VI/105 S. 6100ff; 7/12 S. 424ff; 7/39 S. 2197 ff; 7/64 S. 3767 ff; BRProt. VI/357-70 S. 227 ff; 7/396-73 S. 243 ff; 7/398-73 S. 342ff.Angaben zum SFHÄndG bei § 170.

Rdn. I. Die Entwicklung des Strafschutzes von Familienordnung und Familienpflicht 1. Der rechtspolitische und pragmatische Hintergrund 2. Das Entstehen der Familiendelikte a) Die Ausgestaltung nach klassisch-liberaler Auffassung . . b) Die Wandlung zur Anerkennung von Ehe und Familie als Grundlage des Gemeinschaftslebens . . c) Die Umsetzung der veränderten soziologischen Auffassung im Strafrecht 3. Die Neugestaltung durch das 4. StrRG a) Die verfassungsrechtliche Ausgangslage b) Die Reformdiskussion c) Das Gesetzgebungsverfahren . . II. Zur Systematik

1-7 1 2- 4 2

3

4 5-7 5 6 7 8-10

Rdn. 1. Die ursprüngliche Gestaltung . . . 8 2. Die zugeordneten Vorschriften . . . 9 3. Nicht eingegliederte Tatbestände mit familienrechtlichem Bezug . . . 10 III. Schutzgüter und Strafwürdigkeit . . . 11-15 1. Personenstandsfälschung 11 2. Verletzung der Unterhaltspflicht . . 12 3. Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht 13 4. Doppelehe 14 5. Beischlaf zwischen Verwandten 15 IV. Kriminalpolitische Bedeutung . . . . 16-20 1. Personenstandsfälschung 16 2. Verletzung der Unterhaltspflicht 17 3. Vernachlässigung eines Kindes/ Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht 18 4. Doppelehe 19 5. Blutschande/Beischlaf zwischen Verwandten 20

I. Der Strafschutz von Ehe und Familie5 hat sich seit der Schaffung des Strafgesetz- 1 buches von nahezu völliger Zurückhaltung gegenüber Eingriffen in das familiale Leben selbst zu einer nachhaltigen Absicherung der Familienordnung und der Familienpflichten hin entwickelt. 5

Familie ist ein Urgut der gesellschaftlich lebenden Menschheit (R König Soziologie S. 121), so alt wie der Mensch selbst (Gebauer S. 9). Sie steht ganz wesentlich mit am Beginn der menschlichen Kulturentwicklung (Tyrell KölnZ 30 [1978] 614). Es scheint sogar, daß der Mensch die Familie bereits als Erbteil der höheren Tierarten übernommen hat (R. König Soziologie S. 121). Die Wurzeln liegen vor allem in der sehr langen Erziehungs- und Schutzbedürftigkeit der nachwachsenden Generation (vgl. Oeter Zukunft S. 80 f; Schelsky Wandlungen S. 26; H. J. Schmidt S. 148). Der Wortsinn des lateinischen familia ist „Hausgenossenschaft", erhalten in

(233)

den Begriffen „Hausgemeinschaft", „häusliche Gemeinschaft", „elterlicher Hausstand" (vgl. Neuhaus FamRZ 1982 1; E. Wolf FamRZ 1968 496). In der römischen Rechtssprache kennzeichnete das Wort den Hausverband als Ganzes mit seinen Personen und Sachen (ausführlich dazu Schmid S. 42fi). Im germanischen Raum entwickelten sich Begriffe wie Stelle und Haus. Sie bezeichneten, dem mit familia verwandten Wort famulus näherstehend, die Gesamtheit der dem Grundherrn unterstehenden Leibeigenen (Rottacher S. 3; Schmid S. 37ff). Das Wort Familie drang in die deutsche Umgangssprache erst im 18. Jahrhundert ein (Brun-

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Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

1. Rechtspolitischer und pragmatischer Hintergrund der Entstehung von Familiendelikten 6 sind zwei unterschiedliche Grundvorstellungen. Die rechtspolitische besteht in der Anschauung darüber, welchen Wert Ehe und Familie für die Rechtsgemeinschaft hat. Sie ist abhängig von den jeweils herrschenden politischen Grundanschauungen und dadurch ursächlich für die wechselvolle Geschichte der Familiendelikte (MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 1; vgl. auch R. König Grundbegriffe S. 65; Rosenbaum Familie S. 108 ff). Wird der Wert für die Rechtsgemeinschaft gering erachtet, bleibt das familiale Leben selbst von strafrechtlichen Eingriffen frei; ist seine Einschätzung hoch, kommt es zu Strafdrohungen, deren Ausmaß wiederum die jeweilige politische Grundanschauung bestimmt. 7 Die zweite Grundvorstellung ergibt sich aus der Fragestellung, inwieweit strafrechtliche Normierungen geeignet sind, auf die Ordnung innerhalb der Beziehungen von Ehe und Familie einzuwirken. Insoweit herrscht seit jeher die Überzeugung, daß mit strafrechtlichen Mitteln weder die Sozialisationsleistung der Familie zum Wohl der Kinder und im Interesse der Gemeinschaft gesichert, noch eine verloren gegangene familiäre Stabilität zurückgewonnen werden kann (näher Bottke S. 101 ñ). Der Ablauf der Dynamik, die sich nach der deutschen idealistischen Philosophie 8 aus der Komplexität und der Verflochtenheit der drei Verhältnisse innerhalb der Familie, der Eltern-, Eltern-Kind- und Geschwistersphäre, im Geistigen, Sozialen, Geschlechtlichen, Sittlichen und Religiösen ergibt, läßt sich durch Strafdrohungen kaum beeinflussen. 9 Sie vermögen vor allem zur Erfüllung der wichtigsten Postulate im Bereich der Familie, etwa der ethischen Forderung, Kinder zu lieben und ihre bestmögliche Entwicklung zu wollen, nicht beizutragen. 10 2

2. Die Entwicklung der Familiendelikte bis zu ihrer Reform durch das 4. StrRG spiegelt die Abhängigkeit ihrer Ausgestaltung von den jeweiligen Grundanschauungen über Ehe und Familie wider.

ner S. llOf; Oeter Wandlungen S. 23). Zur Familie gehörten in älterer Zeit neben den Eltern und ihren Kindern (Kleinfamilie), auch die Verwandtschaft (Generationen-Großfamilie) und das ledige Gesinde. Später hat sich allgemein der Typus der unabhängigen, aus dem weiteren Familien-, Verwandtschafts- und Stammesverband herausgelösten Kernfamilie durchgesetzt (ausführlich beschrieben und analysiert bei Ciaessens S. 54ff; vgl. auch Bahrdt S. 144ff; Barabas!Erler S. 31, 245f; Brandt RdJ 10 [1962] 209; Gernhuber/Coester- Waltjen § 1 I 2; Goode Struktur S. 76 ff; Huhn S. 113; Lauterbach S. 272; Lüderitz Rdn. 50; Mitterauer S. 83ff; E. W. Müller KölnZ 11 [1959] 670 f; Peuckert S. 20 ff; Rottenecker S. 15; Schmid S. 29; D. Schwab Familienrecht Rdn. 4; Shorter S. 235 ff; Schwägerl S. 151 ff; Tyrell Familie S. 17 ff; van Ossel S. 129 ff; Weber-Kellermann S. 97 ff; Zuleeg NVwZ 1986 803 f). Die von Murdock entwickelten Thesen, die Kernfamilie (nuclear family) sei universal (S. lf), hat sich als ethnozentrisches Vorurteil erwiesen; nicht sie, sondern die Mutter-Kind-Dyade ist irreduktibler K e m aller Familienformen (Eikelpasch ZfS 3 [1974] 323ff, 336f; V. Trotha ZSE 19 [1999] 227, 239; vgl. auch

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Anderson S. 33 ff; Hubbard S. 12 ff; Neidhardt S. 11 f; Vívelo S. 247). Krit. zum Begriff eines „Familiendelikts" Geerds, der Gesichtspunkt des Schutzes der Familie sei als ein für die strafrechtliche Systematik wenig glücklicher und geeigneter Anknüpfungspunkt anzusehen (Anm. zu BGH JZ 1964 592, 595); ebenso Simson!Geerds S. 419. Derartige Abhängigkeiten kennt die Kriminologie auch sonst. Beispielsweise unterliegen die Empfindlichkeiten der Bevölkerung und die Verletzbarkeit der Gesellschaft gegenüber bestimmten Verhaltensweisen dem sozialen Wandel (Kaiser § 37 Rdn. 56). Insb. seit Hegels Phänomenologie des Geistes (1807); vgl. auch Diederichsen Festschrift Beitzke S. 176 mit Fn. 14; ferner Holzhauer JZ 2000 1077 f. Wie auch umgekehrt die Auswirkungen familienrechtlicher Verbote auf das Strafrecht gering sind (vgl. dazu H. -L. Günther Festschrift Herrn. Lange S. 877 ff, insb. 894). Dazu Walt. Becker M D R 1973 633; Hanack ZEE 16 (1972) 323 f; vgl. auch Lenckner JuS 1968 306; Schefßer S. 304; Würtenberger S. 81 f; Zorns S. 37 ff.

Stand: 1. 7.2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

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a) Die klassisch liberale Auffassung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu einer Ausbreitung familienkonservativen Denkens (D. Schwab Festschrift Bosch S. 902 f). Ihm widersprach es, in das familiale Leben selbst einzugreifen. Dabei vollzog sich gerade in dieser Zeit ein grundlegender Strukturwandel der Familie. Die fortschreitende Industrialisierung und das Aufkommen der Großstädte nahm ihr den Charakter des „Ganzen Hauses" als patriarchalische Haus- und Fürsorgegemeinschaft, in der Produktion und Konsumation mit dem menschlichen Zusammensein in den verschiedenen Arbeits- und Lebensbeziehungen verflochten waren. 11 Der Verlust des „Hausfriedens", der diese Gemeinschaft trug und schützte, einst sogar vorrangiger Gegenstand vieler Städtestatuten (Rot tacher S. 16), ließ vermehrt kriminogene Familien entstehen mit der Folge eines starken Anwachsens der Strafialligkeit Jugendlicher, dessen Ursache nicht zuletzt in negativen Einflüssen aus der Familie lag.12 Dennoch Heß jene familienpolitische Auffassung keine Bestrebungen zu, die darauf abzielten, die Inhaber der Familiengewalt bei Verletzung ihrer Pflichten strafrechtlich verantwortlich zu machen. Die Elternrechte an den Kindern und mit ihnen die Familiengewalt galten weiterhin der privaten Rechtssphäre zugehörig, in die niemand, am wenigsten der Staat, eingreifen durfte (Isermeyer S. 6; vgl. auch D. Schwab Konkurs S. 16). So erklärt sich die Zurückhaltung, die den Strafgesetzgeber von 1871 im Bereich der Familiendelikte auszeichnet. Mit der Personenstandsfälschung 1 3 und der Eheerschleichung durch das Verschweigen von Hindernissen beschränkte er sich darauf, formale Ordnungsprinzipien des Personenstandes und der Eheschließung zu schützen. Die Bestimmungen des § 361 Abs. 1 Nr. 5 und 10 laufen zwar auf die partielle Anerkennung der Wichtigkeit finanzieller Fürsorge hinaus. Doch war dafür nicht der Gedanke des Schutzes von Familienordnung und Familienpflicht maßgebend, sondern das allgemeine Interesse, Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand möglichst gering zu halten. Ähnlich lag es bei § 361 Nr. 9. Er knüpfte die Strafbarkeit an die Verletzung einer familienbezogenen Pflicht. Doch stand auch hier nicht der Schutz von Familienstrukturen im Vordergrund. Vielmehr ging es um die öffentliche Sicherheit im Bereich krimineller Handlungen von Kindern und Jugendlichen (vgl. dazu auch Entstehungsgeschichte Fn. 2). Beide Reglungen zeigen also keinesfalls schon, daß das legislatorische Augenmerk sich allgemein der Sanktionierung von Sozialleistungen der Familie gefährdenden Verhaltensweisen, fehlenden oder falschen Erziehungsmaßnahmen etwa, zugewandt habe (vgl. Bottke S. 104). Vereinzelt unternommene Versuche, Ehe und Familie gleich dem Eigentum und anderen fundamentalen Systembegrifïen mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen (vgl. D. Schwab Festschrift Bosch S. 902 ff) scheiterten. So blieb es zunächst dabei, daß Angriffe in diesem Bereich in erster Linie als gegen den Einzelnen gerichtet angesehen wurden, des-

"

R. König kennzeichnet die fortschreitende Herauslösung der familiären Verhaltensweisen aus den Aufgaben der Gesamtgesellschaft treffend als „Desintegration" (Grundbegriffe S. 66, 68, 7Iff; Soziologie S. 136); dazu Brunner S. 108f; Diederichsen Festschrift Beitzke S. 172; Schelsky Wandlungen S. 17. Zum Strukturwandel der Familie durch Funktionsabgabe ferner Brandl RdJ 10 (1962) 210; BarabaslErler S. 37 ff; Cehak FuV 1 (1952) 49; Dobritz/Gärtner S. 7; Gossenbacher FrFrag. 13 (1990) 3f; Hagen GesFürs. 13 (1963) 26, 31; Höpflinger S. 27 f; Jostock StimZt. 153 (1953) 334f; F.-X. Kaufmann S. 31; Kaufmann! HerlthlQuitmannlSimml Strohmeier

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ZfBev. 8 (1982) 523; Nave-Herz KölnZ 50 (1998) Sonderheft S. 289; Neuhaus FamRZ 1982 2; Neidhardt S. 22 ff; Oeter Familie S. 7 ff; Zukunft S. 23 ff; OpielkalOstner SocEx. 10 (1986) 6/16, 19; D. Schwab Familienrecht Rdn. 5; Rottacher S. 16; v. Trotha S. 454f; Vívelo S. 140ff; Wurzbacher S. 5 ff. Zum Einfluß des Strukturwandels der Familie auf die Jugenddelinquenz ausführlich Rottenecker S. 51 ff; ferner Brandt RdJ 10 (1962) 209, 231; vgl. auch H. J. Schneider S. 149. Die es schon in früheren Kodifikationen gegeben hatte (näher § 169 Rdn. 1).

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Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

sen Schutz grundsätzlich andere Maßnahmen als Strafdrohungen ausreichend sicherstellen konnten (vgl. beispielsweise die Systeme bei v. Hippel I § 66; v. Liszt/Schmidt BT § 112). 3

b) Der soziologische Wandel zur Anerkennung von Ehe und Familie als Grundlage des Gemeinschaftslebens bahnte sich im bürgerlichen Recht an.14 Indem es die elterliche Gewalt, ähnlich der vormundschaftlichen, als Schutzgewalt ansah, brach es in die bis dahin herrschende Auffassung von der Unantastbarkeit des elterlichen Erziehungs- und Sorgerechts ein. Es verpflichtete den Staat, in die elterliche Erziehungsgewalt einzugreifen, wenn die Eltern ihre Rechte mißbrauchen oder ihre Pflichten vernachlässigen (§ 1666 BGB15). Der liberalen Grundhaltung des Reichstags, wie sie auch das Schrifttum jener Zeit bestimmte, entsprach es jedoch, den richterlichen Eingriff nur unter ganz besonderen Umständen zuzulassen.16 Grundsätzlich blieb es bei der Eigenverantwortlichkeit in der Ausübung ihrer Rechte und Pflichten, wodurch dem Erziehungsanspruch der Kinder gegen die Eltern nach bürgerlichem Recht das Risiko der Abhängigkeit von der Verantwortlichkeit der Eltern anhaftete. Das änderte sich durch die Entwicklung im öffentlichen Recht, wo der Gedanke der Notwendigkeit von Jugendfürsorge zunehmend Bedeutung gewann und bald auch gesetzlich Ausdruck fand.17 Er führte nicht nur zur Unterstützung der Erziehungsleistungen der Eltern die öffentliche Jugendhilfe ein, sondern stellte neben die Einzelverantwortung der Eltern für die Erziehung der Kinder die Gesamtverantwortlichkeit von Staat und Gesellschaft.18 Die Verschränkung von Familie, Gesellschaft und Staat fand alsbald auch verfassungsrechtlichen Schutz, zunächst in Art. 119 bis 121 WRV,19 dann in der noch deutlicheren Ausformung des Art. 6 GG, der sowohl eine Institutionsgarantie, wie ein Grundrecht auf Schutz vor störenden Eingriffen des Staates enthält,20 darüber hinaus aber auch eine wertentscheidende Grundsatznorm für das gesamte Ehe und Familie betreffende Recht darstellt (BVerfGE 6 55, 71 f; 24 119, 135). In allen diesen Beziehungen sind Ehe und Familie21 als ein geschlossener, eigenständiger, gegen den Staat abgeschirmter Autonomie- und Lebensbereich zu verstehen, geschützt durch die Verpflichtung des Staates, diese Einheit und Selbstverantwortlichkeit der Familie zu respektieren und zu fördern.22

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Ausführlich zur Entwicklung des Familienrechts von der Respektierung der „Familie als rechtsfreiem Raum" zur „Verrechtlichung des familiären Innenraums" durch die Familienrechtsreform SachßelTennstedt S. 88 ff. Ergänzt durch Art. 135 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 604), wonach die landesgesetzlichen Vorschriften über die Zwangserziehung Minderjähriger unberührt blieben. Gemhuber FamRZ 1973 234f am Beispiel religiösen oder politischen Verhaltens. Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt (RJWG) vom 9.7.1922 (RGBl. I 633). Die Bezeichnung Jugendfürsorge wurde später als negativ belastet durch den BegrifT Jugendhilfe ersetzt. An die Stelle des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes trat, nachdem es den gewandelten Anforderungen der Gesellschaft an die Jugend in weiten Teilen nicht mehr entsprach, das Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.4.1977 (BGBl. I 633, 795).

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Als auch mit dessen Maßnahmenkatalog neu entstandenen Problemlagen für Kinder und Jugendliche nicht mehr begegnet werden konnte, wurde es durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163) in der Neufassung der Bekanntmachung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vom 8.12.1998 (BGBl. I 3546) ersetzt. Der ersten Regelung dieser Art in einer europäischen Verfassung überhaupt (v. Münch Rdn. 1 ; Scheffler S. 247). Zur Entwicklungsgeschichte V. Campenhausen S. 11 ff; Schmid S. 244 ff; D. Schwab Festschrift Bosch S. 894 ff. Nicht zuletzt eine Reaktion auf die staatliche Willkür in der Zeit des Dritten Reiches (näher dazu Giesen FamRZ 1977 594). Schutzobjekt ist allerdings nicht die Generationen-Großfamilie sondern ausschließlich die moderne Kleinfamilie (näher Rdn. 5; vgl. auch schon Rdn. 1 Fn. 5). BVerfGE 24 119, 135; BVerwGE 91 130, 134; Burgi Staat 39 (2000) 495 ff; Jarass/Pieroth Art. 6

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Vorbemerkungen zu den §§ 169fF

Vor § 169

c) Das Strafrecht brauchte zur Umsetzung der gewandelten soziologischen Auflas- 4 sung über den Wert, den Ehe und Familie für die Rechtsgemeinschaft darstellen, wesentlich länger als das bürgerliche und das öffentliche Recht. Zwar hatte schon Binding beklagt, daß die Alimentations- und Erziehungspflichten im Strafgesetzbuch kaum Schutz gefunden hätten und den geringen nur in verklausulierter Art (Lehrbuch I S. 235). Auch gab es bereits früh den Vorschlag für einen konkreten Tatbestand, der mit Strafe bedrohte, wer seinen elterlichen, vormundschaftlichen oder pflegschaftlichen Fürsorgepflichten zuwider das Wohl eines Minderjährigen gefährdet oder verletzt (Duensing S. 79). Doch blieben diese Stimmen weithin ungehört. Erst allmählich führte die allgemeine Anerkennung von Ehe und Familie als Grundlage des Gemeinschaftslebens zu einer Veränderung auch der Einstellung zur Strafwürdigkeit von Störungen in diesem Bereich. Mit der Vorstellung, daß ein Angriff, der Rechtsgüter von hoher unmittelbarer Bedeutung für die Gemeinschaft verletzt, schwerer wiegt, als eine Verletzung nur von Privatinteressen oder Einzelempfindungen, entstand das Bedürfnis, im Interesse der Allgemeinheit die Ordnung von Ehe und Familie zu schützen und mit den Mitteln des Strafrechts zur Erfüllung der ihnen eigenen sittlichen Pflichten beizutragen. So sahen der E 1922 (Entwurf Radbruch), der E 1925 (amtlicher Entwurf der Reichsregierung) und der E 1927 (Reichstagsvorlage) im Bereich der Familiendelikte als neue Tatbestände die Verletzung der Unterhaltspflicht 23 und das Verlassen eines Kindes vor. Der E 1930 (Entwurf Kahl) fügte, allerdings im Abschnitt Körperverletzung, den Tatbestand der Gefährdung der Gesundheit eines Kindes oder Jugendlichen hinzu. Dieser Vorschlag fand sich im E 1936 (Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission) 24 nicht mehr. Sein Abschnitt „Angriffe auf Ehe und Familie" sah neben den Tatbeständen der Schmähung von Ehe und Mutterschaft, der Doppelehe, des Ehebetrugs, des Ehebruchs, des Muntbruchs und der Personenstandsverletzung die Strafbarkeit des Beiseiteschaffens der Familienhabe, der Verletzung der Unterhaltspflicht und des Verlassens Schwangerer vor (dazu Lorenz S. 104 ff, Zusammenfassung S. 113 ff). Diese wurden mit nur geringen Änderungen, aber unter Hinzufügung des weiteren neuen Tatbestandes der Vernachlässigung eines Kindes, in die Verordnung vom 9.3.1943 übernommen (vgl. Entstehungsgeschichte). 25 Ungeachtet des unbezweifelbaren Gesamtcharakters des E 1936 als Zwischenstation auf dem Weg zu einem nationalsozialistischen Strafrecht ( Werle NJW 1988 2867), beruhen die neu geschaffenen familienrechtlichen Tatbestände im Wesentlichen auf den Veränderungen, durch die Ehe und Familie dem Bereich des Höchstpersönlichen entwachsen sind, ohne jedoch den Zusammenhang mit ihm verloren zu haben. 26 Ihre nach langer zögerlicher Behandlung relativ schnelle Verabschiedung in 1943 dürfte vor allem der Überlegung zuzuschreiben sein, daß kriegsbedingte Erscheinungen die Gefahr einer Lockerung des Gefühls für den Ernst der Pflichten, die aus Ehe und Mutterschaft erwachsen, mit sich brächten (vgl. Isermeyer S. 12; Rietsch DJ 1943 228). Freilich fie-

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Rdn. 1; vgl. auch Gusy JA 1986 183f; Lüderitz Rdn. 21 f; Ott NJW 1998 117ff; Pauly N J W 1997 1955 f. Zu den frühen Reformbemühungen im Bereich des Strafschutzes gegen die Verletzung von Unterhaltspflichten vgl. § 170 Rdn. 1. Dieser Entwurf war, wie alle Strafgesetzentwürfe aus der Zeit von 1933 bis 1939 lange Zeit nicht allgemein zugänglich (näher Werte N J W 1988 2865). Erst die von Schubert! Reggel Rieß/ Schmid 1988 herausgegebenen Quellen zur Re-

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form des Straf- und Strafprozeßrechts (Abt. II Bd. 1: Entwürfe eines Strafgesetzbuches, Teil 1: Entwürfe von 1933 bis 1936) haben die Lücke geschlossen. Insgesamt zu den Bemühungen, Teile des E 1936 (in der Fassung von 1938/39) in Kraft zu setzen, Werle NJW 1988 2866. Maurach BT § 49 Ib; vgl. auch Blei FamRZ 1961 138 („transpersonale Rechtsgüter mit Auswirkungen beim Einzelnen"); ferner Schmitt S. 519.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

len, weil in erster Linie konkrete staatspolitische Zwecke verfolgt wurden, die Eingriffe in Ehe und Familie zeitbedingt zu stark aus.27 Aus politisch-ideologischen Gründen ist jedoch keine der neuen Bestimmungen ernsthaft infrage gestellt worden (vgl. auch § 169 Rdn. 1). Eine schädliche Auswirkung des Übermaßes blieb zudem aus. Es führte nicht nur alsbald zu einer ungewöhnlich einschränkenden Auslegung der neuen Vorschriften (vgl. Sauer BT § 42 I 1 Fn. 1 a; § 42 III), von ihm ging vielmehr auch die erste grundsätzliche Skepsis gegenüber der Regelung aus (z.B. KohlrauschlLange38 Anm. zu § 170 a), die schließlich zu ihrer umfassenden Erneuerung führte. 28 5

3. Die Neugestaltung der Familiendelikte durch das 4. StrRG vollzog sich im Rahmen der Bemühungen um eine Gesamterneuerung des Strafrechts. a) Getragen wurde die Reform der Familiendelikte von dem Konsens über den Wert von Ehe und Familie, wie er Art. 6 G G zugrunde liegt. Ungeachtet aller gesellschaftlichen Veränderungen, die Kriegs- und Nachkriegszeit mit sich gebracht hatten, aber auch der Kritik, von der die Familie seit ihrer strukturellen Verselbständigung begleitet und unter dem Einfluß einer verbreiteten Richtung der Soziologie 29 inzwischen zumindest in ihrer herkömmlichen Gestaltung als überholt angesehen wurde, 30 war weit überwiegend die Uberzeugung geblieben, daß sie nach wie vor der erste und bedeutendste Erziehungsfaktor ist, unvergleichbar mit anderen Einrichtungen, weil ihre prägende Kraft früher einsetzt und regelmäßig lange andauert. 31 Die These über den „Zerfall der Familie" hat sich eher als ihr Gegenteil erwiesen.32 Noch immer gilt die Familie als der einzige Ort, wo es möglich ist, alle individuellen Mitglieder mit ihren konkreten Eigenarten sozial umfassend zu inkludieren (Eggen FPR 7 [2001] 446). Ähnlich liegt es bei der Ehe. Sie kann als Basis für das gemeinsame Wagnis, Kinder zu haben und miteinander zu erziehen, durch die neuen Formen auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften nicht ersetzt werden, weil es kaum möglich ist, durch Verträge, so solche überhaupt geschlossen werden, die rechtliche Solidarität, die sie der gerichtlichen Intervention zugunsten des Schwächeren öffnet, gleichwertig zu begründen (D. Schwab Konkurs S. 35 ff). Im übrigen hat Art. 6 G G außer Streit gestellt, daß die Familie für das Leben der Gesellschaft wichtig ist. Diese Wertentscheidung haben alle Gruppen der Gesellschaft, auch diejenigen, die dadurch in einer für sie wesentlichen Auffassung gekränkt werden, zu respektieren. Daher war die Anerkennung von Ehe und Familie als Grundlage des Gemeinschaftslebens in der Reformdiskussion auch niemals zweifelhaft. 33 Uber den Begriff Familie bestand 27

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Dazu ausführlich Hellmer ZStW 70 ( 1958) 386 f; ferner Bader S. 51; Walt. Becker FamRZ 1954 209; Eggert S. 9; Welzel Strafrecht § 63 III vor 1; vgl. auch den Bericht über die Erörterungen der zweiten internationalen Tagung der Leiter des Justizwesens und von Vertretern der Rechtswissenschaft vom 3. bis 6.12.1946 in Wiesbaden (DRZ 1947 27). Zu entsprechenden Entwicklungen im Ausland vgl. die Hinweise bei Sauer BT § 42 I 3; Sturm JZ 1974 1; Toebelmann Materialien S. 169. Vgl. dazu die breit angelegte, kritische Auseinandersetzung mit grundlegenden theoretischen Ansätzen der westdeutschen Familiensoziologie bei Rosenbaum Familie S. 6 ff. Vgl. DorbritzlGärtner S. 8f; Geiger FamRZ 1973 225 f; Goode Soziologie S. 16 ff; Hoffmann-Nowotny S. l l f ; Holzhauer JZ 200« 1080f; Höpf-

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linger S. 26; Lecheler S. 5f; Losche ¡der FamRZ 1988 333f; Nave-Herz KölnZ 50 (1998) Sonderheft S. 290 f; F F E 3 (2000) 40; Peuckert S. 42 ff; v. Trotha KölnZ 42 (1990) 459 ff; Tyrell S. 60; Zippelius DÖV 1986 808 ff. Eyfert S. 28f; ebenso Geiger FamRZ 1973 225; vgl. auch Burgi Staat 39 (2000) 488; Cehak SozW 3 (1951) 5; Gernhuber/Coester-Waltjen § 1 I 1; Lauterbach S. 303f; Münder S. 133ff; NaveHerz FEE 3 (2000) 41, 43; Neuhaus F a m R Z 1982 1, 5f; PawlowskiiZ 2000 765; DEuFamR 2 (2000) 28; Pöggeler S. 35 ff; Preller S. 11 ff; Rosenbaum Familie S. 163ff; Trost S. 97ff; Wingen S. 62 ff. Ausführlich analysiert und begründet bei NaveHerz KölnZ 50 (1998) Sonderheft S. 286ff. Demgegenüber wurde die Reform der Familiendelikte in der D D R von der sozialistischen

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

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ohnehin kein Streit. Die Familiensoziologie beschreibt sie als Gruppe, die ihre Mitglieder in einem Zusammenhang des intimen Gefühls, der Kooperation und der gegenseitigen Hilfe verbindet, wobei die Beziehungen der Familienmitglieder den Charakter der Intimität und der Gemeinschaft innerhalb der Gruppe haben ( R König Materialien S. 119; zustimmend Schelsky Wandlungen S. 27). Das Bundesverfassungsgericht definiert sie als umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen.34 Es hat auch klargestellt, welche Form der Familie Art. 6 GG meint, nicht die Generationen-Großfamilie (BVerfGE 48 327, 339), sondern ausschließlich die moderne Kleinfamilie (vgl. dazu schon Rdn. 1 Fn. 5, Rdn. 3 mit Fn. 21), also Eltern und ihre Kinder, sowie Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder (BVerfGE 18 97, 105 f; and. Jarassl Pieroth § 6 Rdn. 4), aber auch das Verhältnis des nichtehelichen Kindes zu seiner Mutter (BVerfGE 8 210, 218), die Gemeinschaft des nichtehelichen Kindes mit seinem Vater (BVerfGE 45 104, 123) und die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem biologischen Vater (BVerfG NJW 2003 2151 mit Anm. Huber FamRZ 2003 825 und Bespr. Binschus ZfF 55 [2003] 158). b) Am Beginn der Reformdiskussion standen die Vorschläge des seit 1953 erarbei- 6 teten E 1962. Sie sahen, die bestehenden Tatbestände vermehrend, als Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand Blutschande (§ 192), Ehebruch (§ 193), Doppelehe (§ 194), Ehebetrug (§ 195), Muntbruch (§ 196), Verlassen eines Kindes (§ 197), Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 198), Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 199), Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 200), Verletzung der Hilfspflicht gegenüber einer Schwangeren (§ 201), Personenstandsfalschung (§ 202) und künstliche Samenübertragung (§ 203) vor.35 Im Prinzip entsprachen alle diese Bestimmungen der veränderten Auffassung von der Strafwürdigkeit der Angriffe gegen Ehe

Alternative zur bürgerlichen Familienpolitik beeinflußt, die eine familiäre Struktur nur unter Beachtung des Bedürfnisses erwachsener Menschen nach einer sexuellen Dauerbeziehung anerkennt mit der, folgerichtigen, Möglichkeit, die Beziehung vorübergehend oder endgültig abzubrechen, wenn sie den Beteiligten eine sexuelle Befriedigung nicht oder nicht mehr ermöglicht (vgl. Haensch SozPol. 1 [1969] 81 fT; Familienpolitik S. 15ff, 120 fi). Das Strafgesetzbuch der D D R vom 12.2.1968 i.d.F. der Bekanntmachung vom 19.12.1974 (GBl. I 1975 Nr. 3 S. 14) erfaßte als Straftaten gegen Jugend und Familie solche gesellschaftswidrigen oder gesellschaftsgefährlichen Handlungen, die Kinder oder Jugendliche beziehungsweise die Familie als kleinste Zelle der sozialistischen Gesellschaft mehr oder minder schädigen (StGB-Lehrb.D D R BT S. 104). Dazu gehörten Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 141), Verletzung von Erziehungspflichten (§ 142), Vereitelung von Erziehungsmaßnahmen (§ 143), Entführung von Kindern oder Jugendlichen (§ 144), Verleitung zu asozialer Lebensweise (§ 145), Verbreitung von Schund- und Schmutzerzeugnissen (§ 146), Verleitung zum Alkoholmißbrauch (§ 147), Sexueller Mißbrauch von Kindern (§ 148) und

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Jugendlichen (§§ 149 bis 151), Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten (§ 152), unzulässige Schwangerschaftsunterbrechung (§§ 153 bis 155) sowie die Doppelehe (§ 156). Dieses Strafrecht war dann anzuwenden, wenn die fehlerhafte Verhaltensweise und deren Folgen schuldhaft so bedeutsam waren, daß der Schutz der Jugend und Familie gesichert und zugleich ein künftig verantwortungsbewußtes Verhalten des Täters erreicht werden mußte (StGB-Komm.-DDR Vorbem. vor § 141; vgl. dazu auch Gebauer S. 35). Zur korrespondierenden Entwicklung des Familienrechts in der D D R seit 1949 Limbach! Willutzki S. 7fi";Peuckert S. 15 ff. 34

,s

BVerfGE 10 59, 66; seitdem in ständiger Rechtsprechung, z. B. 49 286, 300; 53 224, 245; 62 323, 330. Vgl. zum Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 G G auch v. Campenhausen S. 2Iff; Haberle S. 24ff; Lecheler FamRZ 1979 Iff; Loschelder FamRZ 1988 335; Schmid S. 29f. Verzichtet wurde hingegen einzig auf den Tatbestand der Verschleuderung von Familienhabe (§ 170 a), der praktisch keine nennenswerte Bedeutung erlangt hatte, die strafwürdigen Fälle vielfach aber auch durch bestehende Tatbestände erfaßt wurden (E 1962 Begr. S. 347; BTDnicks. VI/1552 S. 12).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

und Familie.36 Doch waren sie, wie der Entwurf insgesamt (dazu schon Vor § 166 Rdn. 9), eher rückwärts gewandt. Der Schuldvergeltungstheorie nahestehend (vgl. etwa E 1962 Begr. S. 96), verfolgten sie auch den Schutz der Moral menschlichen Zusammenlebens,37 eine kriminalpolitische Konzeption, die zu Gunsten einer Auffassung zu überwinden, die im bloßen Schutz der Moral oder der Sittlichkeit keine legitime Aufgabe des Strafrechts mehr sieht, die neuere Strafrechtslehre im Begriff war. Diese, inzwischen herrschende (vgl. Roxin AT I § 2 Rdn. Iff, 9, 12), Lehre begreift die Aufgabe des Strafrechts nur noch darin, generell rechtswidrigen und intolerablen Gefahrdungen oder Verletzungen von Rechtsgütern unter Wahrung des Bestimmtheitsgebots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entgegenzutreten.38 An diesem Maßstab, verbunden mit der Grundüberlegung, daß Strafdrohungen nicht geeignet sind, die Ordnung innerhalb der Familie und die Erfüllung familiärer Pflichten zu beeinflussen (Rdn. 1), wurden die Vorschläge des E 1962 gemessen. Sie sahen sich alsbald dem grundsätzlichen Einwand ausgesetzt, daß in den Bereich Ehe, Familie und Erziehung nur sehr sparsam mit Strafvorschriften eingegriffen werden dürfe. Diese Auffassung gewann an Boden, als bei den Beratungen der Straftaten gegen Familie und gegen die Sittlichkeit durch den 9. Internationalen Strafrechtskongreß der Association internationale de droit pénal vom 24. bis 30.8.1964 in Den Haag sehr deutlich die Tendenz nach einer Beschränkung der Strafbarkeit auf diesem Gebiet hervortrat.39 Ihr trug der AE umfassend Rechnung. Er stellte den weit gespannten Vorschlägen des E 1962 ein Konzept entgegen, das die Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand so weitgehend einschränkte, daß er sogar auf den Titel verzichten konnte (S. 59). Nicht nur Ehebruch, Ehebetrug, Verlassen eines Kindes, Verletzung der Aufsichtspflicht, Verletzung der Hilfspflicht gegenüber einer Schwangeren und künstliche Samenübertragung sollten entfallen, sondern auch Blutschande, Doppelehe, Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht und Verletzung der Unterhaltspflicht. Die wenigen vom E 1962 übernommenen Bestimmungen ordnete der AE in die neu vorgesehenen Titel Jugendschutz (Muntbruch als Beeinträchtigung der Personensorge) sowie Schutz des Personenstandes (Doppelehe und Personenstandsfalschung) ein. Seine Erwägung, daß der Strafschutz gerade im Bereich von Ehe und Familie leicht mehr Schaden als Nutzen stiftet, weil sich die Ordnung der Beziehungen innerhalb der Ehe und Familie mit strafrechtlichen Normierungen kaum garantieren läßt, jeder Eingriff aber Spannungen zwischen den beteiligten Personen schafft oder fördert, an denen einem auf Schutz von Rechtsgütern ausgerichteten und auf Befriedung bedachten Strafgesetz nicht gelegen sein kann,40 wurde der Leitgedanke für die Reform der Familiendelikte.41 Sie zwang den Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für oder gegen eine Pönalisierung in besonderem Maße zu einer exak-

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Vgl. dazu etwa das System bei Niethammer I. Hauptstück Vorbem. zu H; ferner beispielsweise Walt. Becker F a m R Z 1954 208 ff. Beispielhaft dafür ist die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit des Ehebruchs, dessen Strafmaß sogar erhöht werden sollte (E 1962 Begr. S. 349). Dazu beispielsweise Bottke S. 105; Günther JuS 1978 9, 11 ff; Rudolphi Festschrift Honig S. 160. Freilich ist in Wahrheit eine völlige Trennung von Strafrecht und Moral genau so unmöglich wie eine gänzliche Emanzipation des Strafrechts von der Psychologie (Bockelmann Gedächtnisschrift Radbruch S. 259). So die entsprechende Entschließung der Vollver-

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sammlung (ZStW 77 [1965] 680); ferner Blau FamRZ 1965 244; MschrKrim. 1966 18 ff; Giesen FamRZ 1965 248 ff; vgl. dazu auch schon die Ergebnisse der vorbereitenden Tagung der Landesreferenten vom 8. bis 12.9.1963 in Bellagio (dazu Blau FamRZ 1964 242ff). AE S. 59; dazu Jahn BTProt. VI/105 S. 6102; außerdem Franke-Gricksch S. 109; H. Jung MschrKrim. 60 (1977) 98; K. Peters ZStW 77 (1965) 491; vgl. auch Günther JuS 1978 9f, l l f , 14; Hanack Gutachten Rdn. 33; Z E E 16 (1972) 326; Roxin JuS 1966 382. Günther SK Vor § 169 Rdn. 1; vgl. auch BTDrucks. VI/1552 S. 9f; Sturm JZ 1974 1.

Stand: 1. 7. 2003

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V o r b e m e r k u n g e n z u d e n §§ 169 ff

Vor § 169

ten und rational nachprüfbaren Begründung. So führte, nachdem das 1. StrRG vorweg bereits § 172 (Ehebruch) gestrichen hatte,42 die Neugestaltung durch das 4. StrRG ausnahmslos zu Kompromissen, bei deren Erarbeitung der Gedanke einer sittenbildenden und sittenstärkenden Kraft des Strafrechts (dazu Giesen FamRZ 1965 248; Arth. Kaufmann JZ 1963 142) nicht völlig ignoriert wurde, und die dennoch große Mehrheiten fanden (Sturm JZ 1974 lf; vgl. auch BTDrucks. VI/1552 S. 3). Eher ein Schritt zurück in die Zeit vor dem 4. StrRG ist demgegenüber freilich der durch das SFHÄndG (vgl. Entstehungsgeschichte) auf Initiative des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88 203, 298) eingefügte § 170b Abs. 2. Er verhilft dem vom 4. StrRG gestrichenen § 170 c, wenn auch in wesentlich veränderter Form, zu neuem Leben (•Günther SK Vor § 169 Rdn. 3; vgl. § 170 Rdn. 3,4). c) Das Gesetzgebungsverfahren leitete der Entwurf eines Vierten Strafrechts- 7 reformgesetzes (BTDrucks. VI/1552) ein. Er wurde nach dem ersten Durchgang im Bundesrat schon am 4.12.1970 dem Bundestag zugeleitet, der ihn in erster Lesung an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform (federführend) sowie an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (mitberatend) überwies (BTProt. VI/105 S. 6100ff). Der Sonderausschuß behandelte den Entwurf in 42 Sitzungen. Seine Beratungen begannen mit einer öffentlichen Anhörung zu den gesamten Vorschlägen, wobei Sachverständige aus den Bereichen, die der Entwurf in besonderem Maße berührt, also Soziologen, Sexualwissenschaftler, Psychiater, Psychologen, Pädagogen, Gerichtsmediziner, Kriminologen, Kriminalpolizeibeamte, Theologen, Philosophen und Juristen, zu Wort kamen (Prot. VI/28 bis 30 S. 843 ff). Speziell über Probleme, die sich aus Verletzungen von Aufsichtspflichten (vgl. die früheren §§ 143, 361 Abs. 1 Nr. 9), von Unterhaltspflichten (§ 170 b und der frühere § 361 Abs. 1 Nr. 5 und 10) sowie von Fürsorge- oder Erziehungspflichten (§§ 170c, 170d) für die Jugendhilfe und die Justiz ergeben, unterrichtete sich der Sonderausschuß durch Praktiker auf diesen Gebieten (Prot. VI/35 S. 1253 ff). Die ebenfalls erwogene Anhörung von Sachverständigen über die medizinischen, psychologischen und genetischen Voraussetzungen, die für die strafrechtliche Regelung des Beischlafs zwischen Verwandten von Bedeutung sind, hielt der Sonderausschuß im Hinblick auf die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung und die vorhandene aufschlußreiche Literatur für entbehrlich (dazu § 173 Rdn. 9). Er legte den Entwurf mit einem Schriftlichen Bericht (BTDrucks. VI/3521) am 14.6.1972 dem Bundestag vor. Doch kam es wegen dessen vorzeitiger Auflösung zu keiner abschließenden Behandlung mehr. In der 7. Wahlperiode brachten die Fraktionen der SPD und FDP den Entwurf unverändert neu ein (BTDrucks. 7/80). Entsprechend schnell folgten Bericht und Antrag des Sonderausschusses vom 2.5.1973 (BTDrucks. 7/514). Nach einem Vermittlungsverfahren 43 stimmte der Bundesrat am 9.11.1973 dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz zu. Es trat am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. 42

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Zusammenfassung der dafür maßgeblichen Gründe bei Sturm Die Änderungen des Besonderen Teils des StGB zum 1. September 1969, N J W 1969 1606 f. Die bis zuletzt umstritten gebliebenen kriminalpolitisch bedeutsamen oder die Öffentlichkeit stark bewegenden Punkte, wegen deren Behandlung der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen hatte, gehörten sämtlich in den Bereich des Sexualstrafrechts (vgl. Hanack N J W 1974 lf; Sturm JZ 1974 1). Im Bereich der Familiendelikte ging es nur noch um die Beibehal-

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tung des § 143 (in Anlehnung an die Fassung des § 169 E 1962) und die Erhöhung der Höchststrafe in § 170 b auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; ersteres wurde abgelehnt, letzteres fand Zustimmung (vgl. BTDrucks. 7/1166; BTProt. 7/64 S. 3767 f). Nur im Hinblick darauf ist der Eindruck gerechtfertigt, daß die Änderung im Bereich der Straftaten gegen den Personenstand, Ehe und Familie „im Schatten der Reform des Sexualstrafrechts standen" (H. Jung JuS 1974 126).

Karlhans Dippel

Vor § 169

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

II. Die Systematik des Zwölften Abschnitts spiegelt den Wandel der Bedeutung von Ehe und Familie für die Rechtsgemeinschaft seit der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Sie hat sich von der ursprünglichen Beschränkung auf nur formale Ordnungsprinzipien des Personenstandes und der Eheschließung schützende Vorschriften (vgl. Rdn. 2) zur Zusammenführung nahezu aller dem Schutz von Ehe und Familie dienenden Tatbestände entwickelt. Obwohl zum Teil ganz unterschiedliche Rechtsgüter geschützt werden (vgl. Rdn. 11 bis 15), ist die Zusammenfassung äußerlich sachgerecht (SehlSchröder!Lenckner Vorbem §§ 169 fi). 1. Die ursprüngliche Gestaltung des Abschnitts entsprach auch bei familienrechtlicher Betrachtung dem Zweck der beiden Bestimmungen. Seit je schützt § 169 nicht den Personenstand, sondern den begrifflich wesentlich engeren Familienstand (dazu ausführlich § 169 Rdn. 5). Bei dem früheren § 170 standen Angriffe gegen die Familie sogar im Vordergrund. Die ursprüngliche Abschnittsüberschrift wurde unter diesem Blickwinkel also weder dem einen, noch dem anderen Delikt gerecht. Ihre Änderung war um so mehr geboten, als mit den durch die Verordnung vom 9.3.1943 geschaffenen, von der Durchführungsverordnung vom 18.3.1943 in den Abschnitt übernommenen Tatbeständen (vgl. Entstehungsgeschichte) Delikte hinzugekommen waren, die vor allem dem Schutz der Familie dienten, ihm, soweit sie erhalten geblieben sind, noch immer dienen. Der Tatbestand des § 169 könnte wegen der Ähnlichkeit vom Tattyp wie vom Tätertyp mit denen der Fälschungsdelikte und seinem über den Schutz von Ehe und Familie hinausreichenden Zweck seinem kriminellen und strafwürdigen Gehalt nach allerdings auch diesen zugerechnet werden (Sauer BT §§ 17 I, 42 III 1). Doch tritt die familienbezogene Wesensart der Vorschrift keineswegs hinter ihrem den Fälschungsdelikten ähnlichen Charakter zurück. Eine andere Auffassung rechnet die Fälschung des Familienstandes, dem auf römischen Rechtsvorstellungen beruhenden ursprünglichen deutschen Recht folgend (vgl. § 169 Rdn. 1), zum Betrug (Reis S. 59), was weniger sachfremd sein dürfte als die Einbeziehung unter die Fälschungsdelikte, weil das Mittel zur Entziehung der mit dem Personenstand gegebenen Familienrechte nicht der Mißbrauch einer Beglaubigungsform, sondern die Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen ist (v. Liszt!Schmidt BT § 113 I). Da aber keine dieser Ansichten letztlich überzeugt, spricht viel für die Richtigkeit des geltenden Rechts, den familiären Personenstand als ein eigenständiges Angriffsobjekt anzusehen (vgl. dazu auch § 169 Rdn. 6). Im übrigen rechtfertigt gerade der Doppelcharakter, der den durch die Vorschriften pönalisierten Angriffen durchweg innewohnt, ihre Zusammenfassung in einem Abschnitt. Die Tatbestände sind so eher der Gefahr entrückt, daß die eine oder andere Richtung zugunsten einer einseitigen und so das Wesen dieser Delikte verfehlenden Betrachtungsweisen vernachlässigt wird (vgl. Blei FamRZ 1961 138).

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2. Die Zuordnung der neu geschaffenen Vorschriften ist gänzlich, die von bereits bestehenden Tatbeständen zumindest überwiegend sachgerecht. Der familienbezogene Charakter der neuen Tatbestände steht außer Zweifel.44 Was die §§ 170 b (Verletzung der Unterhaltspflicht, jetzt § 170) und 170d (Vernachlässigung eines Kindes, jetzt § 171 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht) anlangt, so bezwecken sie zwar mehr als den Schutz der Familie (näher § 170 Rdn. 7, 8, § 171 Rdn. 3). Doch

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Für § 170 b anders die Auflassung von Geerds, die Vorschrift gehöre „in die Nähe des § 330 c" (Anm. zu B G H JZ 1964 592, 595). Schmitt

wiederum meint, § 170d sei jedenfalls kein Familiendelikt (S. 524).

Stand: 1. 7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

steht bei § 171, selbst soweit in ihm ein Teil des früheren § 143 erhalten geblieben ist, dieser Zweck im Vordergrund. Auch die Einbeziehung des § 171 (Doppelehe, jetzt §172) und des früheren § 172 (Ehebruch) bedeutete systematisch einen erheblichen Fortschritt (vgl. schon Mittermaier S. 8, 84 f, 91; Wulffen S. 6, 7 ff). Die Maßnahme war der erste Schritt der Aufnahme von Tatbeständen des früher mit „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" überschriebenen Dreizehnten Abschnitts in den Kreis der Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie. Diese „Abschiebung" (Schroeder Z R P 1971 21) markiert den Beginn der mir der Übernahme auch des § 173 (Beischlaf zwischen Verwandten) in den Zwölften Abschnitt dann fortschreitenden Läuterung der Straftaten gegen die Sittlichkeit zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wie die Abschnittsüberschrift seit dem 4. StrRG lautet, und bestätigt die Voraussicht des Gesetzgebers von 1871, die es ermöglicht hat, die bisherige systematische Stellung der Deliktsgruppe beizubehalten (vgl. MaurachlSchroeder!Maiwald 1 § 17 Rdn. 20; 2 § 63 Rdn. 2). So deutlich sachgerecht wie die Aufnahme der früheren §§ 171, 172 in den Abschnitt erweist sich die Hinzufügung des § 173, obschon sie in der Wissenschaft Geschichte hat, 45 allerdings nicht. Gegen den Beweggrund der Maßnahme, der an die vermuteten familienzerstörerischen Wirkungen der Blutschande anknüpft, 46 wird eingewendet, daß die Störung der Familienverhältnisse eher die Ursache als die Folge einer Inzestbeziehung sei (ausführlich dazu § 173 Rdn. 13 mit Fn. 48), einer Strafbarkeit des Inzests letztlich jedenfalls die Mißbilligung eines bestimmten Sexualverhaltens zugrunde liege.47 Dieser Auffassung ist mit dogmatischen Argumenten kaum zu begegnen, nachdem der Strafgrund des Inzestes in der Tat nicht ohne weiteres hervortritt (vgl. § 173 Rdn. 8). Auch kann ernsthaft nicht bezweifelt werden, daß die Tat die Sittlichkeit in geschlechtlicher Hinsicht berührt. Ebenso unabweisbar ist aber auch, daß von ihr die Integrität der Familie betroffen wird. Ungeachtet bereits gestörter Familienverhältnisse als mögliche Ursache von Inzest bedeuten inzestuöse Beziehungen regelmäßig eine schwere Belastung für die Familie. Sieht man darin den Hauptgrund für die Strafbarkeit, so ist es aber auch sachgerecht, dies systematisch deutlich zu machen. 48 3. Den Familiendelikten nicht zugeordnet sind die Tatbestände der §§ 235 (Ent- 1 0 ziehung Minderjähriger) und 236 (Kinderhandel), obwohl sie von der Sache her deutlich in diesen Zusammenhang gehören. Wie § 171 und überwiegend auch § 170 schützt § 235 Ansprüche Minderjähriger gegen Fürsorgepflichtige und begründet damit 45

«

So die Einordnung bei Allfeld (Sechster Abschnitt § 91) und Binding Lehrbuch I (Sechstes Kapitel § 60); vgl. auch die Hinweise bei Stracke S. 23 ff. Nach v. Liszt!Schmidt bildet Blutschande den Übergang zu den strafbaren Handlungen gegen die Familienrechte (BT § 111 II). Niethammer meint, § 173 schütze die körperliche und sittliche Gesundheit der Familie (S. 166). BTDrucks. VI/1552 S. 18; ferner schon E 1962 S. 347 mit Hinweis auf Art. 213 SchweizStGB. Dreher sieht im Beischlaf zwischen Verwandten sogar ein „Sexualdelikt par excellence", dessen neue systematische Zuordnung aber auch insofern widersprüchlich ist, als die weit weniger gewichtige bloße sexuelle Handlung des Vaters an der Tochter nach wie vor zu den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§ 174 Abs. 1 Nr. 3) gehört (JR 1974 47).

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Vgl. Sehl Schröder!Lenckner19 Vorbem §§ 169 ff; ferner Baurmann S. 63; Gerì S. 131 f; Göppinger S. 610; Lautmann Z R P 1980 45; Sauer BT § 42 III 2, § 49 V 1; H. J. Schneider S. 177; Simsonl Geerds S. 412,416. Hanack N J W 1974 2 Fn. 21; Schmitt S. 517; Sturm JZ 1974 3; vgl. auch Hanack Gutachten Rdn. 5; Kaiser § 64 Rdn. 2; H. J. Schneider S. 177; zweifelnd TröndlelFischer Rdn. 2. Das StGB der D D R (vgl. Fn. 33) stellte den Tatbestand bei den Straftaten gegen Jugend und Familie ein, auch andere Länder rechnen die Strafvorschriften den Familiendelikten zu, so Dänemark, Grönland, Island, Italien, Kuba, Rumänien, im allgemeinen auch das frühere Jugoslawien und die Schweiz (SimsonlGeerds S. 419 mit Fn. 223).

Karlhans Dippel

Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die E h e u n d die Familie

Pflichten für Familienangehörige, während § 236 umgekehrt Ansprüche der Erziehungsberechtigten gegen Außenstehende sichert (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 4; vgl. auch Schneidewin S. 200). Der E 1962 hatte ganz selbstverständlich seinen § 196 (Muntbruch), der die früheren §§ 235 (Kinderraub) und 237 (Entführung mit Willen des Entführten) vereinigt und vereinfacht, in den Abschnitt Straftaten gegen Ehe, Familie und Personenstand eingestellt (Begr. S. 347; zust. Schmitt S. 2510· Auch die Lehre bevorzugt weitgehend diese Einordnung.49 Freilich wohnt den Vorschriften ebenso deutlich der Charakter von Straftaten gegen die persönliche Freiheit inne, denen die Regelungen seit je zugeordnet sind. Auch das 6. StrRG, das § 235 neu faßte und § 236 anstelle des § 236 a. F. (Entführung gegen den Willen des Entführten) einfügte, beließ es bei dieser Zuordnung. Eindeutig sachgerecht ist demgegenüber die Einstellung des § 247 (Haus- und Familiendiebstahl) in den Abschnitt Diebstahl und Unterschlagung. Es wäre systematisch nicht vertretbar, die familienbedingte Privilegierung bei Diebstahl und Unterschlagung als eigenständigen Tatbestand den Familiendelikten zuzuordnen. 11

III. Schutzgüter und Strafwürdigkeit der Vorschriften sind ungeachtet dessen, daß ihre Zusammenfassung in einem Abschnitt systematisch sachgerecht ist (Rdn. 9), unterschiedlich. Zwar dienen alle Vorschriften dem Schutz von Personenstand, Ehe und Familie. Doch weisen die einzelnen Tatbestände verschiedene Rechtsgüter auf. Dementsprechend beurteilt sich auch die Strafwürdigkeit der Angriffe nicht einheitlich. 1. Der Tatbestand der Personenstandsfalschung schützt den Familienstand als die formelle Grundlage der familienbezogenen Rechte und Pflichten. Rechtsgut ist der Personenstand als das familienrechtliche Verhältnis einer lebenden oder verstorbenen Person zu einer anderen in allen seinen Beziehungen (näher § 169 Rdn. 4). Als rechtlicher Status mit rechtlichen Wirkungen verdient er den Schutz des Strafrechts {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 1). Die Strafwürdigkeit erscheint, wie sonst bei den Fälschungsdelikten, denen § 169 ähnelt (vgl. Rdn. 8), hoch. Sie wird, wenn die Auffassung eines reinen Angriffsdelikts zugrundegelegt wird, leicht unterschätzt (Sauer BT § 17 11).

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2. Die Strafbarkeit der Verletzung der Unterhaltspflicht sichert aus dem Familienrecht erwachsende Rechte. Der Tatbestand des § 170 Abs. 1 dient dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor Gefährdung des Lebensbedarfs, soll daneben aber auch die Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme bewahren (inzwischen allgemeine Meinung, näher § 170 Rdn. 7). Trotz Betonung des individuumschützenden Einschlags der Vorschrift erscheint ihre Berechtigung, zumindest aber ihre Zweckmäßigkeit, zweifelhaft. Vom Standpunkt des Unterhaltsberechtigten ist die Bestrafung des Unterhaltsverpflichteten eher unerwünscht. Angesichts des hohen Anteils Sozialunangepaßter an der Gesamtzahl derjenigen, die hier straffällig werden, ist zu fragen, ob durch die Bestrafung nicht allzu oft der Weg für zweckmäßigere Maßnahmen verstellt wird (vgl. § 170 Rdn. 71). Von diesem Ansatz her betrachtet lag dem früheren § 361 Nr. 5, der bei den Übertretungen im Bereich der Asozialität angesiedelt war (vgl. § 170 Entstehungsgeschichte), ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zugrunde (K. Peters ZStW 77 [1965] 489; vgl. auch Göppinger S. 540, 544). Dement-

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Z. B. Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 V (Abschnitt Straftaten gegen den Familienstand, familienrechtliche Rechte und Pflichten); Otto

BT § 65 VI, VII (Delikte gegen die familiäre Ordnung).

Stand: 1. 7. 2003

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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

sprechend war der Tatbestand nicht nur in der Reformdiskussion höchst umstritten, sondern wird im Schrifttum, wenn nicht schon grundsätzlich, so doch jedenfalls in seiner Ausgestaltung infrage gestellt (näher § 170 Rdn. 3). Durch § 170 Abs. 2 hat die Vorschrift einen zusätzlichen familienrechtlichen Schutzzweck erhalten. Die Qualifikation dient der Sicherung der gegenüber einer Schwangeren und ihrem ungeborenen Kind bestehenden speziellen Fürsorgepflicht. Die Strafwürdigkeit der Verletzung steht außer Frage. Ihre Pönalisierung als strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht ist jedoch verfehlt (dazu näher § 170 Rdn. 6). 3. Auch der Tatbestand der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht dient, wie § 170, dem Schutz von aus dem Familienrecht erwachsenden Rechten. Hier geht es um die Gewährleistung der durch entsprechende Fürsorge- und Erziehungsansprüche abgesicherten gesunden körperlichen und psychischen Entwicklung von Jugendlichen unter sechzehn Jahren. Allein hierin wird allgemein das Rechtsgut der Vorschrift gesehen (vgl. § 171 Rdn. 3). Allerdings sanktioniert § 171 die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht gegenüber Jugendlichen unter sechzehn Jahren allgemein und weitet damit das Rechtsgut, das dem Schutz der jugendlichen Entwicklung innewohnt, schlechthin aus, wodurch die Vorschrift in das Spannungsfeld rückt, das zwischen den verfassungsrechtlichen Prinzipien des Jugendschutzes und des freiheitsverbürgenden Elternrechts liegt (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 4, 49; vgl. auch Rdn. 3). Im Grunde genommen bedürfte es zur Rechtfertigung der Strafwürdigkeit des von § 171 sanktionierten Handelns der Einbeziehung der aus den familienrechtlichen Fürsorge- und Erziehungspflichten erwachsenden Ansprüche in den Schutzzweck nicht. Es gibt in diesem Bereich so schwerwiegende und gefährliche Verhaltensweisen (vgl. dazu nur BTDrucks. VI/3521 S. 15f), daß auch ohne dies die Pönalisierung der Angriffe gerechtfertigt wäre. Wenn gleichwohl schon der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) nur die drohende kriminelle oder körperliche Verwahrlosung zu erfassen vorschlägt (Begr. S. 130 und der AE auf eine Strafbarkeit unterhalb der Schwelle der Körperverletzung überhaupt verzichten wollte (S. 69), so deshalb, weil, wie auch immer der Tatbestand ausgestaltet würde, die Gefahr seiner Ausuferung namentlich durch unangemessene Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrechte besteht. Trotz der außerordentlichen Bemühungen des Sonderausschusses, der unter dem Eindruck der von ihm angehörten Sachverständigen 50 die Bedenken überwunden und die Gesetz gewordene, über den Regierungsentwurf hinausgehende Fassung vorgeschlagen hat (BTDrucks. VI/3521 S. 15), bleiben Zweifel (näher zum Ganzen § 171 Rdn. 2).

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4. Das Verbot der Doppelehe schützt die staatliche Eheordnung, die auf dem 1 4 Grundsatz der Einehe (§ 1306 BGB) beruht, mithin ein Rechtsgut der Gesamtheit (vgl. § 172 Rdn. 3). Die Strafwürdigkeit des Angriffs ist grundsätzlich nicht zweifelhaft (Schmitt S. 516; Würtenberger S. 83). Kriminalpolitisch fragwürdig war und ist nur die Bestrafung in tragischen Fällen. Hier hat das 4. StrRG insofern Abhilfe geschaffen, als der Strafrahmen jetzt die Einstellung nach den §§ 153, 153 a StPO ermöglicht. Geblieben sind aber die Vergehen, in denen der Täter nur mit bedingtem Vorsatz handelt. Sie wären, wie vom AE vorgeschlagen, durch eine Beschränkung der Strafbarkeit auf wissentliches Handeln gegenstandslos geworden (S. 61 f). Die mögliche Anwendung der §§ 153, 153a StPO und des § 59 (dazu E. Horn NJW 1980 106ff) 50

Vgl. Rdn. 7 und § 170 Rdn. 3, hier bedeutsam Prot. VI/28 S. 855flT; VI/29 S. 942; VI/35 S. 1253ff, 1262f, 1265 ff, 1276, 1278 ff, 1284, 1286 f.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

sollte zum gerechten Ausgleich führen (Hanack NJW 1974 2; vgl. auch § 172 Rdn. 13 mit § 171 Rdn. 19). 15

5. Rechtsgut und Strafwürdigkeit des Beischlafs zwischen Verwandten gehören zu den umstrittensten Themen der Strafrechtsliteratur. Ob die Antworten, die das geltende Recht gibt, richtig sind, ist offen, die Zweifel zu klären bleibt, wenn überhaupt möglich, schwierig. Die Betrachtung der kulturell-ethnologischen Wurzeln des Inzesttabus (§ 173 Rdn. 4), der vielfaltigen theoretisch-wissenschaftlichen Erklärungsversuche seiner Entstehung (§ 173 Rdn. 5) und der Bedeutung, die es im Zusammenleben archaischer Gesellschaften gehabt haben mag (§ 173 Rdn. 6), verbunden mit einem Blick auf die Geschichte der Strafbarkeit des Inzests (§ 173 Rdn. 1) und die geltenden Regelungen anderer Nationen (§ 173 Rdn. 15) vermitteln zwar einen Eindruck von der Universalität der Erscheinung und den Schwierigkeiten, sie rechtlich zu bewältigen, weisen aber nicht den Weg zu einem konkreten Rechtsgut. Den Schutzzweck in der Freihaltung der engsten Familie von sexuellen, mit der Ehe unvereinbaren Beziehungen zu sehen (BGHSt. 39 326, 329), kann allein nicht zufrieden stellen. Ihn auch auf die familienzerstörenden Wirkungen inzestuöser Beziehungen und die mit ihnen verbundenen aktuellen und potentiellen Gefahren, die sich auf die Möglichkeit genetischbiologischer und psychischer Schäden beziehen, zu stützen (LackneriKühl Rdn. 1), überzeugt nicht, weil verbreitete wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Gesetzgebungsverfahren des 4. StrRG nicht widerlegt worden sind, Gegenteiliges besagen, die Gefahren zumindest aber nicht bestätigen (§ 173 Rdn. 9, 12, 13). Als Ergebnis bleibt, daß ein kulturgeschichtlich mächtiges Tabu zum Schutzgut erhoben worden ist (§ 173 Rdn. 14). Ob es in der gesellschaftlichen Entwicklung seine soziale Funktion weitgehend eingebüßt hat und daher die Strafbarkeit nicht mehr legitimieren kann (TröndlelFischer § 173 Rdn. 2), ist allerdings zu bezweifeln. Empirische Untersuchungen sind freilich auch dazu nicht unternommen worden (vgl. § 173 Rdn. 9).

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IV. Die kriminalpolitische Bedeutung der einzelnen Familiendelikte spiegelt sich in den Zahlen der Aburteilungen und der Verurteilungen sowie in der Art und der Höhe der ausgesprochenen Strafen wider.51 1. Die Anzahl der Aburteilungen und Verurteilungen wegen Personenstandsfälschung haben sich auf ein sehr niedriges, nahezu gleichbleibendes Niveau zurückentwickelt, wobei die Begehung durch Frauen bei dem Delikt häufiger ist als die Begehung durch Männer. 52 Sanktionsmittel ist weit überwiegend Geldstrafe, nur in wenigen Fällen Freiheitsstrafe. 53 51

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Quellen aller nachfolgenden statistischen Angaben sind, soweit nicht besonders genannt, die Strafverfolgungsstatistiken des Statistischen Bundesamts. Die Nachweise beziehen sich auf das Bundesgebiet (1955 ohne Saarland und ohne Berlin-West) nach dem Gebietsstand bis zum 30.10.1990 einschließlich Berlin-West. Berlin-Ost ist ab 1986 einbezogen. Für die neuen Bundesländer liegen flächendeckende Angaben nicht vor. Zum Verständnis der nachfolgenden Angaben: Die erste Zahl nach der Jahreszahl nennt die Gesamtzahl der Aburteilungen, die zweite die Anzahl der Verurteilungen; dazu steht in Klammern jeweils der Anteil der Frauen. Abgeurteilte sind Angeklagte, gegen die Strafverfahren nach

53

Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil, Strafbefehl oder Einstellungsbeschluß rechtskräftig abgeschlossen worden sind (Begriffsbestimmung Statistisches Bundesamt). 1950 140 (70), 97 (47); 1955 101 (44), 78 (35); 1960 99 (12), 94 (10); 1965 47 (28), 38 (21); 1970 17 (10), 13 (8); 1975 9 (5), 9 (5); 1980 6 (5), 4 (3); 1985 5 (3), 4 (2); 1990 10 (6), 10 (6); 1991 6 (4), 4 (2); 1992 3 (0), 3 (0); 1993 8 (5), 6 (4); 1994 9 (5), 6 (4); 1995 11 (3), 5 (2); 1996 12 (9), 9 (7); 1997 10 (0), 10 (0); 1998 10 (7), 7 (5); 1999 8 (3), 5 (1); 2000 16 (10), 12 (8); 2001 5 (2), 2 (1). Bei den insgesamt 61 Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht in den 10 Jahren von 1991 bis 2000 wurden 53 Geldstrafen und nur 8 Freiheitsstrafen, 7 mit Strafaussetzung, verhängt.

Stand: 1. 7. 2003

(246)

Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff

Vor § 169

2. Die mit Abstand höchsten Aburteilungs- und Verurteilungsziffern verzeichnen die Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht. Sie sind bis 1954 stetig angestiegen und liegen seitdem mit denjenigen wegen Straftaten im Straßenverkehr, Diebstahls, Körperverletzung, Betrugs, Steuer- oder Zollzuwiderhandlungen und Urkundenfälschung in der Strafverfolgungspraxis an vorderster Stelle (vgl. auch Ostendorf JuS 1982 427 Fn. 19). Allerdings haben sich ihre Zahlen, die zwar im Jahresdurchschnitt bei den Aburteilungen mehr als 14 000, bei den Verurteilungen mehr als 10000 betrugen, in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts halbiert, sind in dieser Höhe aber wieder gleichbleibend. Der Anteil der Frauen am Delikt der Verletzung der Unterhaltspflicht ist sehr gering.54 Geldstrafen spielen bei den Verurteilungen eine weitaus geringere Rolle als die Freiheitsstrafe. Das entspricht dem Wesen der Straftat, die vorwiegend von wirtschaftlich schwachen Tätern begangen wird.55 Die Zahl der hohen, teils sogar sehr hohen Freiheitsstrafen läßt erkennen, daß es sich bei der Verletzung der Unterhaltspflicht um eine Straftat handelt, die von den Gerichten oft als schwerwiegend angesehen wird.56

17

3. Eine nicht ganz geringe kriminalpolitische Bedeutung hat die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (bis zum 4. StrRG Vernachlässigung eines Kindes) behalten, nachdem die Zahl der Verfahren bis 1955 stark zurückgegangen war (vgl. Franke-Gricksch S. 109ff; H. Jung MschrKrim. 1977 9 1 0 · Das Delikt wird von weit mehr Frauen als Männern begangen.57 Wie bei der Verletzung der Unterhalts-

18

54

Davon lagen 4 unter 6 Monaten, 3 lauteten auf 6 Monate, 1 ging auf mehr als 6 Monate bis einschließlich 1 Jahr. Vgl. zunächst den Hinweis in Fn. 52. Bis einschließlich 1953 werden die Aburteilungen wegen Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b) und Vernachlässigung eines Kindes (§ 170d) in den Strafverfolgungsstatistiken gemeinsam ausgewiesen: 1950 2834 (449), 1963 (319); 1951 4681 (667), 3568 (345); 1952 7069 (915), 5991 (789); 1953 8601 (1962), 6027 (910). Seitdem sind die Statistiken beider Delikte getrennt. Aburteilungen und Verurteilungen wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b, § 170 b Abs. 1, § 170 Abs. 1) allein: 1954 11271 (1119), 7751 (449); 1955 11355 (1412), 9061 (1209); 1960 13861 (1819), 11524 (1585); 1965 15403 (1920), 12603 (1649); 1970 14416 (1475), 11242 (1159); 1975 14055 (1051), 11005 (798); 1980 13442 (711), 9075 (430); 1985 9144 (468), 4990 (221); 1990 6797 (261), 3952 (116); 1991 6842 (221), 4009 (100); 1992 6995 (250), 4156 (106); 1993 6820 (204), 4075 (82); 1994 6945 (1983), 4424 (87); 1995 6853 (188), 4210 (81); 1996 6922 (148), 4212 (67); 1997 § 170 b Abs. 1 7031 (168), 4325 (73); § 170b Abs. 2 23 (0), 15 (0); 1998 § 170 Abs. 1 6852 (137), 4166 (49); § 170 Abs. 2 17 (17), 6 (6); 1999 § 170 Abs. 1 6485 (157), 4022

Abs. 1 nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten erhielten nur 3030 Geldstrafen, hingegen 38005 Freiheitsstrafen, davon 34868 mit Strafaussetzung. Die Dauer der Freiheitsstrafen ist in den niedrigeren Bereichen am höchsten. Auf unter 6 Monaten wurde in 22947, auf 6 Monate bis einschließlich 1 Jahr in 2050 Fällen erkannt. Die Zahl hoher Freiheitsstrafen ist gleichwohl verhältnismäßig groß. Mehr als 9 Monate bis einschließlich 1 Jahr in 2050 Fällen, mehr als 1 Jahr bis einschließlich 2 Jahre in 357, mehr als 2 bis einschließlich 3 Jahre in 2 Fällen verhängt. Eine Verurteilung lautet sogar auf mehr als 10 bis einschließlich 15 Jahre. Von diesem Bild weichen die in den Jahren 1997 bis 2000 wegen § 170b Abs. 2/170 Abs. 2 nach allgemeinem Strafrecht ergangenen Urteile ab. Von den nur 86 Verurteilten erhielten immerhin 26 Geldstrafen. Bei den 70 Freiheitsstrafen, davon 64 mit Strafaussetzung, lagen 29 unter 6 Monaten, 20 lauteten auf 6 Monate, 13 auf mehr als 6 bis einschließlich 9 Monate, 6 auf mehr als 9 Monate bis einschließlich 1 Jahr und zwei auf mehr als 1 Jahr bis einschließlich zwei Jahre. 56

(70); § 170 Abs. 2 131 (1), 61 (1); 2000 § 170

Abs. 1 6278 (136), 3822 (59); § 170 Abs. 2 14(1), 5 (0); 2001 § 170 Abs. 1 6544 (165), 3967 (63); §170 Abs. 2 18(0), 11 (0). 55

Von den insgesamt 41035 in den 10 Jahren von 1991 bis 2000 wegen § 170b/170b Abs. 1/170

(247)

57

Ebenso K. Peters ZStW 77 (1965) 488 auf der Grundlage der Verurteilungen in 1961 und 1962. Vgl. im übrigen auch die Angaben bei Walt. Becker NJW 1955 1906; Laußütte Prot. VI/33 S. 1203; H. Mayer Strafrechtsreform S. 103. Vgl. zunächst den Hinweis in Fn. 52. Bis einschließlich 1953 werden die Aburteilungen und Verurteilungen wegen Vernachlässigung eines Kindes (§ 170d) mit denen wegen Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b) in den Strafverfol-

Karlhans Dippel

Vor § 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

pflicht überwiegen auch hier die Freiheitsstrafen gegenüber den Geldstrafen sehr deutlich.58 19

4. Die Kriminalität der Doppelehe war früher zeitweise nicht unbedeutend. Sie stieg nach dem ersten Weltkrieg bis zu 220 Verurteilungen im Jahre 1921, durch die noch stärkere Binnenwanderung und noch größere Unsicherheit der Verhältnisse, namentlich infolge des Verlusts vieler Register, auf eine wesentlich höhere Zahl in der ersten Zeit nach dem zweiten Weltkrieg (Sauer BT § 42 I 2). Nach stetiger Abnahme bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind die Verfahren gleichbleibend selten geworden. Der Anteil der Frauen liegt im Jahresdurchschnitt überwiegend in der unteren Hälfte der Zahl der Begehungen durch Männer.59 Wie bei den Personenstandsfälschungen treten auch bei Doppelehen die Verurteilungen zu Freiheitsstrafen weit hinter denen zu Geldstrafen zurück.60

20

5. Der Beischlaf zwischen Verwandten, bis zum 4. StrRG auch zwischen Verschwägerten (Blutschande), hatte einmal etwa die kriminalpolitische Bedeutung der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht. Die Anzahl ihrer Verfahren ist jedoch noch stärker zurückgegangen. Zwar gibt es nach wie vor mehr Verfahren wegen Beischlafs zwischen Verwandten als wegen Personenstandsfalschung und wegen Doppelehe; doch reicht ihre Zahl inzwischen längst nicht mehr an die Verfahren wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht heran,61 wobei der Anteil der Frauen gungsstatistiken gemeinsam ausgewiesen. Die Zahlen insoweit sind in Fn. 56 angegeben. Aburteilungen und Verurteilungen wegen § 171 dl 170 (Vernachlässigung eines Kindes, seit dem 4. StrRG Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht) allein: 1954 809 (347), 338 (260); 1955 393 (307), 288 (255); 1960 277 (212), 206 (159); 1965 304 (233), 233 (185); 1970 230 (171), 159 (115); 1975 198 (137), 138 (96); 1980 129 (82), 62 (39); 1985 72 (45), 45 (32); 1990 89 (51), 49 (31); 1991 78 (50), 34 (24); 1992 54 (35), 29 (18); 1993 83 (52), 39 (27); 1994 57 (37), 42 (27); 1995 71 (46), 38 (24); 19% 59 (37), 39 (22); 1997 81 (55), 54 (39); 1998 87 (57), 57 (37); 1999 68 (46), 48 (33); 2000 49 (27), 38 (22); 2001 74 (48), 46 (29). 58

Bei den in den 10 Jahren von 1991 bis 2000 nach allgemeinem Strafrecht wegen § 170d/171 insgesamt ergangenen 403 Urteilen erkannten 143 auf Geldstrafen und 260 auf Freiheitsstrafen, davon 245 mit Strafaussetzung. Unter 6 Monaten liegen 81 Erkenntnisse, 61 lauten auf 6 Monate und 38 auf mehr als 6 Monate bis einschließlich 9 Monate. Hohe Freiheitsstrafen verhängten 90 Urteile, 52 mehr als 9 Monate bis einschließlich 1 Jahr, 27 mehr als 1 Jahr bis einschließlich 2 Jahre und 1 mehr als zwei Jahre bis 3 Jahre.

59

Vgl. zunächst den Hinweis in Fn. 52. Aburteilungen und Verurteilungen wegen § 171/172: 1950 694 (106), 541 (67); 1955 237 (45), 165 (25); 1960 188 (21), 138 (13); 1965 61 (7), 50 (6); 1970 29 (4), 24 (2); 1975 7 (0), 5 (0); 1980 11 (3), 6 (2); 1985 9 (2), 6 (1); 1990 12 (1), 11 (1); 1991 14 (3), 10 (5); 1992 14 (3), 8 (3); 1993 10 (4), 6 (2); 1994

60

61

19 (9), 13 (7); 1995 26 (12), 17 (7); 1996 33 (19), 23 (16); 1997 23 (8), 16 (5); 1998 23 (11), 22 (11); 1999 36 (15), 29 (12); 2000 21 (12), 14 (10); 2001 15 (8), 7 (4). Von den in den 10 Jahren von 1991 bis 2000 wegen § 171/172 nach allgemeinem Strafrecht insgesamt ergangenen 149 Urteilen erkannten nur 24 auf Freiheitsstrafe, davon 21 mit Strafaussetzung, hingegen 125 auf Geldstrafe. Bei den Verurteilungen zu Freiheitsstrafen liegen 10 unter 6 Monaten, 8 gehen auf 6 Monate, 3 lauten auf mehr als 6 Monate bis einschließlich 9 Monate, 2 auf mehr als 9 Monate bis einschließlich 1 Jahr und 1 auf mehr als 3 Jahre bis einschließlich 5 Jahre. Freilich dürfte die Dunkelziffer beim Inzest zu den höchsten Dunkelziffern überhaupt gehören (Trube-Becker Forensia 9 [1988] 71). Die meisten Opfer sind Mädchen, die von ihrem Vater, oft aber auch von ihrem Bruder mißbraucht werden. Das Geschehen wird zumeist verschwiegen. Zur Scheu gegenüber dem Öflentlichwerden alles Sexuellen tritt die von der Familie errichtete „Verheimlichungszone" (dazu eingehend Κ König Materialien S. 340; vgl. auch v. Hentig Straftat S. 118; Maisch Beiträge S. 51; Wagner S. 43; Wittmann S. 151 ). So gelangen die wenigsten Fälle ungeachtet dessen, daß sie sich über Jahre fortsetzen und bei den Opfern möglicherweise zu schweren psychischen Schäden führen, zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden (v. Hentig ArchKrim. 1962 7f; Kaiser S. § 61 Rdn. 11; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 8; vgl. auch § 173 Rdn. 13).

Stand: 1.7.2003

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Personenstandsfalschung

§ 1 6 9

der geringste aller Familiendelikte ist, in zahlreichen Jahren sogar bei Null liegt.62 Die Häufigkeit der beiden Strafmittel gleicht der bei den Verurteilungen wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, indem weit mehr Freiheitsstrafen als Geldstrafen ausgesprochen wurden. Das Strafmaß ist überwiegend sehr hoch. 63

§169

Personenstandsfälschung (1) Wer ein Kind unterschiebt oder den Personenstand eines anderen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstands zuständigen Behörde falsch angibt oder unterdrückt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Schrifttum ArnoId-SchusterlHansen-Tilgner Das neue Kindschaftsrecht, AnwBl. 1998 71; BärleinlRixen Babywiegen - Ein Hilfskonzept eigener Art, Kriminalistik 2001 54; J. Baumann Der strafrechtliche Schutz des Personenstandes, StAZ 1958 225; J. Baumann Strafbarkeit von In-vitro-Fertilisation und Embryonentransfer? In: Günther!Keller Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik Strafrechtliche Schranken? 2. Aufl. (1991) 177 - zit.: J. Baumann Strafbarkeit; J. Baumann Ein Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Festschrift für Arthur Kaufmann (1993) 537; Becker H.-J. Nochmals: Die Verfassungswidrigkeit des § 67 des Personenstandsgesetzes, FamRZ 1957 40; Bernal Statusrechtliche Probleme im Gefolge medizinisch assistierter Zeugung, MedR 1986 245; Bohnert Strafrecht: Der entwendete Säugling, JuS 1977 746; Bornhofen Die Reform des Personenstandsrechts, StAZ 1996 16; Bornhofen Neuregelung der Fortführung des Familienbuches getrenntlebender Ehegatten und der Beurkundung von Totgeburten durch das Eheschließungsrechtsgesetz, StAZ 1998 273; Boschan Personenstandsrecht, in: Stier-Somlol Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. 4 (1927) 440; Brandis/Maßfeiler Kommentar zum Personenstandsgesetz (1938); Brüggemann Intimsphäre und außereheliche Elternschaft, Diss. Bonn 1964; Busse Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung bei heterologer künstlicher Befruchtung (Samenspende, Eispende, Embryonenspende), Diss. Münster 1988; Büttner H. Was im Abstammungsverfahren zu beachten ist, F F E 3 (2000) 13; Coester Neues Kindschaftsrecht in Deutschland, DEuFamR 1 (1999) 3; Coester- Waltjen Zum Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, Jura 1989 520; Danner Wie sind Geburt und Tod eines neugeborenen Kindes, bei dem weder die Lebend- noch die Totgeburt nachgewiesen ist, standesamtlich zu behandeln? StAZ 1957 352; Deichfuß Recht des Kindes auf Kenntnis seiner

62

Vgl. zunächst den Hinweis in Fn. 52. Aburteilungen und Verurteilungen wegen § 173: 1950 615 (206), 436 (122); 1955 545 (179), 432 (134); 1960 269 (134), 220 (108); 1965 132 (51), 111 (43); 1970 98 (27), 68 (18); 1975 19 (2), 10 (1); 1980 30 (7), 18 (3); 1985 10 (1), 9 (1); 1990 12 (1), 11 (1); 1991 18 (6), 13 (0); 1992 13 (3), 10 (3); 1993 15 (2), 12 (1); 1994 13 (0), 13 (0); 1995 5 (0), 4 (0); 19% 8 (1), 6 (1); 1997 8 (4), 7 (4); 1998 7 (2), 5 (1); 1999 7 (2), 6 (2); 2000 15 (1), 10 (0); 2001 20 (3), 13(2).

63

Bei den nach allgemeinem Strafrecht in den

(249)

10 Jahren von 1991 bis 2000 insgesamt ergangenen 80 Urteilen wurde nur in 27 Fällen auf Geldstrafe, hingegen in 53 Fällen auf Freiheitsstrafe, 41 davon mit Strafaussetzung, erkannt. Von den Freiheitsstrafen liegen 20 im niedrigeren Bereich, 11 unter 6 Monaten, 8 lauten auf 6 Monate und 3 auf mehr als 6 bis einschließlich 9 Monate, während 33 hohe Freiheitsstrafen aussprechen, 10 mehr als 9 Monate bis einschließlich 1 Jahr, 14 mehr als 1 Jahr bis einschließlich 2 Jahre, 8 mehr als zwei Jahre bis 3 Jahre und 1 mehr als 3 Jahre bis 5 Jahre.

Karlhans Dippel

§ 169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

blutsmäßigen (genetischen) Abstammung, N J W 1988 113; Deichfuß Abstammungsrecht und Biologie, Mannheimer rechtswissenschaftliche Abhandlungen Bd. 13 (1991) - zit.: Deichfuß Abstammungsrecht; Dörndorfer Einführung in das neue Kindschaftsrecht, ZfJ 85 (1998) 202; Edenfeld Das neue Abstammungsrecht der Bundesrepublik Deutschland im nationalen und internationalen Vergleich, F u R 3 (1996) 190; Edlbacher Eimutter, Ammenmutter, Doppelmutter, OJZ 43 (1988) 417; Emig Personenstandsgesetz mit der Ersten Ausführungsverordnung, der amtlichen Begründung sowie dem Namensrecht und anderen einschlägigen Vorschriften, 2. Aufl. (1938); Enders Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, N J W 1989 881; Frank Rain. Legitimation durch nachfolgende Eheschließung bei offenkundig falscher Vaterschaftsanerkennung, FamRZ 1969 626; Frank Rain. Die wissentlich falsche Vaterschaftsanerkennung aus zivil- und strafrechtlicher Sicht, ZB1JR 59 (1972) 260; Frank/Helms Der Anspruch des nichtehelichen Kindes gegen seine Mutter auf Nennung des leiblichen Vaters, FamRZ 1997 1258; Frank/Helms Rechtliche Aspekte der anonymen Kindesabgabe in Deutschland und Frankreich, FamRZ 2001 1340; Gaul H. F. Die Neuregelung des Abstammungsrechts durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz, FamRZ 1997 1441; Giesen Genetische Abstammung und Recht, JZ 1989 364; Goeschen Zur Strafbarkeit der Personenstandsfälschung, Z R P 1972 108; Goltdammer Die Materialien zum Straf= Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, Theil II: Den besonderen Theil enthaltend (1852); Gottwaldt Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Festschrift für Heinrich Hubmann (1985) 111; Gressmann Neues Kindschaftsrecht, 2. Aufl. (1998); Grün Das neue Kindschafts- und Unterhaltsrecht in der anwaltlichen Praxis (1998); Hafkesbring Das Dauerverbrechen, Diss. Münster 1913; Haibach/Haibach Das neue Kindschaftsrecht in der anwaltlichen Praxis (1998); Hassenstein Der Wert der Kenntnis der genetischen Abstammung, FamRZ 1988 120; Helms Reform des deutschen Abstammungsrechts, FuR 7 (1996) 178; Hepting „Babyklappe" und „anonyme Geburt", FamRZ 2001 1573; Hepting/Gaaz Personenstandsrecht, Stand: 37. Lieferung (November 2001); Herold Die Rechtspflichten des Arztes nach dem Personenstandsgesetz, StAZ 1960 29; Heyers Zivilrechtliche Institutionalisierung anonymer Geburten, JR 2003 45; HinschiuslBoschan Das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6.2.1875, 4. Aufl. (1909); Hochgrebel Reichard Oer Personenstand, 2. Aufl. (1981); Johansson!Sachse Anweisungs- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen (1996); Kirchmeier Einführung in das neue Abstammungsrecht, F F E 2 (1999) 14; Kleineke Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, Diss. Göttingen 1976; Koch E. Der Anspruch des Deszendenten auf Klärung der genetischen Abstammung - ein Paradigmenwechsel im Abstammungsrecht, FamRZ 1990 569; Kohlrausch Personenstandsdelikte, Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. 4 (1906) 465; Krüger Uneheliche Kinder, in: Neumann!NipperdeylScheuner Die Grundrechte, Bd. 4 2. Hlbbd. 2. Aufl. (1972) 325; Kurt Unterdrückung und Fälschung des Personenstandes als strafbare Handlung des schweizerischen Strafgesetzbuches, ZfZ 12 (1944) 49; Lange Ist das Verschweigen des Namens des Erzeugers durch die Mündelmutter eine Unterdrückung des Personenstandes? JW 1937 597; Leduc Ist die personenstandsrechtliche Beurkundung einer Totgeburt notwendig? StAZ 1952 108; Lurger Das Abstammungsrecht bei medizinisch assistierter Zeugung nach der deutschen Kindschaftsrechtsreform im Vergleich mit dem österreichischen Recht, DEuFamR 1 (1999) 210; Maier B. Macht sich die Mutter eines nichtehelichen Kindes durch bloßes Verschweigen des Erzeugers nach § 169 StGB strafbar? M D R 1971 883; Mansees Jeder Mensch hat ein Recht auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft, NJW 1988 2984; Maßfeller Das neue deutsche Personenstandsgesetz, DJ 1937 1768; Mast Strafbare Personenstandsfälschung durch die uneheliche Mutter? UJ 2 (1950) 411; Mittenzwei „Aktion Moses" - Rechtsfragen der anonymen Abgabe neu geborener Kinder, ZfL 9 (2000) 37; Morf Über den reichsrechtlichen Begriff des Personenstandes und über die Personenstandsdelikte, Diss. Greifswald 1904; Moritz Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen seine Mutter auf Nennung des Namens seines leiblichen Vaters, Jura 1990 134; Mühlens Einführung in das neue Kindschaftsrecht, KdPrax. 1 (1998) 3, 35, 67; MühlenslKirchmeier/Gressmann!Knittel Kindschaftsrecht, 2. Aufl. (1998); Müller K. Zeugnispflicht bei heterologer Fertilisation, FamRZ 1986 635; Muschelerl Beisenherz Das neue Abstammungsrecht, JR 1999 356, 407; Muschelerl Bloch Das Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung und der Anspruch des Kindes gegen die Mutter auf Nennung des leiblichen Vaters, FPR 8 (2000) 339; Mutschier Interessenausgleich im Abstammungsrecht, FamRZ 1996 1381; Neuheuser Steht den Betreuern von

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Personenstandsfälschung

§169

„Babyklappen" ein Zeugnisverweigerungsrecht zu? ZfL 10 (2001) 59; Neuheuser Begründet die Weggabe eines Neugeborenen in eine „Babyklappe" den Anfangsverdacht einer Straftat? NStZ 2001 175; Neuheuser Babyklappenkonzepte - Guter Wille wider Rechtsordnung, ZfL 11 (2002) 94; Oberloskamp Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, FuR 2 (1991) 263; Pfeifferl Strickert Personenstandsgesetz (1961); Rauscher Vaterschaft auf Grund Ehe mit der Mutter, F P R 8 (2002) 352; Rauscher Vaterschaft auf Grund Anerkennung, FPR 8 (2002) 359; Reinke Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft, Diss. Bayreuth 1991; Reis Die Unterdrückung und Veränderung des Personenstandes, Diss. Tübingen 1888; Roxirt An der Grenze von Begehung und Unterlassung, Festschrift für Karl Engisch (1969) 380; Rusca Die Delikte in Bezug auf den Personenstand unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen Rechts, Diss. Zürich 1939; Sauer K. Das deutsche Personenstandsgesetz in seiner neuen Fassung (1924); Sachse Umschreibung des Geburtsdatums bei Nachbeurkundungen, StAZ 1988 7; Scheiwe Babyklappe und anonyme Geburt - wohin mit Mütterrechten, Väterrechten, Kinderrechten, Z R P 2001 368; Schmidt-Didczuhn (Verfassungs)Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, JR 1989 228; Scheyhing Zur Verfassungsmäßigkeit des § 67 des Personenstandsgesetzes, FamRZ 1957 4; Schulte Langforth Personenstandsunterdrückung durch die uneheliche Mutter, ZB1JR 29 (1937/38) 375; Schwab! Wagenitz Einführung in das neue Kindschaftsrecht, FamRZ 1997 1377; SchweinochlSchultheis!Simader Rechtsquellen und Organisation des Personenstandswesens in der Bundesrepublik Deutschland, StAZ 1984 149; Schwenzer Die Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes, FamRZ 1992 121; v. Sethe Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der Sicht des Kindes, Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Bd. 93 (1995); v. Sicherer Personenstand und Eheschließung in Deutschland (1879); Smid Recht auf Kenntnis der eigenen blutsmäßigen Abstammung, JR 1990 221 ff; Steiner Ausgewählte Rechtsfragen der Insemination und Fertilisation, ÖJZ 42 (1987) 513; Stolze! Personenstandsgesetz, 6. Aufl. (1944); Stuber Personenstandswesen (1999) - zit.: Swientek Wiederentdeckung; Swientek Die Wiederentdeckung der Schande, Babyklappen und anonyme Geburt (2001) - zit.: Swientek Wiederentdeckung; Swientek Warum anonym - und nicht nur diskret? Babyklappen und anonyme Geburt, FPR 7 (2001) 353; Thomsen H. System des Personenstandsrechts (1962); Weber K. Das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (1875); Wichmann Zum Stand der Reform des Kindschaftsrechts, NDV 76 (1996) 41; Willutzki Kindschaftsrechtsreform - Versuch einer wertenden Betrachtung, KdPrax. 1 (1998) 8, 37, 103; Wohn Medizinische Reproduktionstechniken und das neue Abstammungsrecht, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht Bd. 195 (2001); Wolf Alfr. Babyklappe und anonyme Geburt - Fragen zu einer neuen Entwicklung, FPR 7 (2001) 345; Zumstein Nichtehelichenrecht - ein Auslaufmodell! Zur Reform des Abstammungsrechts, FPR 2 (1996) 225. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 169.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich lautete § 169 Abs. 1: Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich verwechselt, oder wer auf andere Weise den Personenstand eines anderen vorsätzlich verändert oder unterdrückt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, und wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde, mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahren bestraft. Die Neufassung durch das 4. StrRG ist die erste Änderung der Bestimmung. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 308; Bd. 8 S. 405ff 461, 620ff; Bd. 12 S. 602; E 1962 S. 45, 355f; AE S. 7, 72f; BTDrucks. VI/1552 S. l l f ; VI/3521 S. 10ff, 72; 7/514 S. 4, 19; Prot. VI/33 S. 121 Iff; VI/34 S. 1227ff; VI/71 S. 2027 ff, 2044 f; 7/2 S. 3 f.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie Übersicht

I. Allgemeines 1. Geschichtliches 2. Altes und neues Recht 3. Deliktsnatur 4. Rechtsgut 5. Personenstandsrecht II. Der äußere Tatbestand 1. Angriffsgegenstand - Familienstand a) Familienstand und Personenstand aa) Unterscheidung bb) Zusammenfallen b) Familienstand des Verstorbenen c) Vorstrafrechtliche Anforderungen d) Die Familienstandsverhältnisse im Einzelnen aa) durch Naturvorgänge entstandene bb) durch Rechtsakte begründete e) Familienstand eines anderen . 2. Die Tathandlungen a) Unterschieben eines Kindes . aa) Sonderstellung im Tatbestand bb) Unterschieben cc) Die angebliche Mutter als Täterin dd) Kind ee) Beispielsfalle b) Falsche Angabe des Personenstandes gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde

Rdn. 1-5 1 2 3 4 5 6-28 6-12 6-7 6 7 8 9 10-11 10 11 12 13-28 13-17 13 14 15 16 17

Rdn. Grundsatz 18 Das Merkmal angeben 19 Das Merkmal falsch . . . 20 Zur Führung von Personenstandsbüchern und zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde . . . . 21 ee) Vorgenommen gegenüber der Behörde 22 ff) Beispiele strafbarer falscher Angabe des Personenstandes 23 gg) Vom Tatbestand nicht erfaßte Verhaltensweisen 24 c) Unterdrückung des Personenstandes gegenüber bestimmten Behörden 25-28 aa) Unterdrücken 25 bb) Gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde 26 cc) Fälle der Unterdrückung des Personenstandes . . . 27 dd) Fälle keiner Unterdrückung des Personenstandes 28 Rechtswidrigkeit 29 Der innere Tatbestand 30 Irrtum 31 Tatvollendung 32 Versuch 33 Täterschaft und Teilnahme 34 Verjährung 35 Konkurrenzen 36 aa) bb) cc) dd)

III. IV V. VI. VII. VIII. IX. X.

18-24

I. Allgemeines 1

1. Die Geschichte des Tatbestandes der Verletzung des Personenstandes in der weiten Bedeutung des geltenden Rechts ist verhältnismäßig jung. Seine Wurzeln freilich liegen im römischen Recht. Es enthielt unter dem Begriff des falsum eine ganze Reihe unterschiedlicher Fälschungsdelikte (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 1, § 64 Rdn. 1 ; Oehm S. 39). Doch strafte es nur einen Fall der Personenstandsfalschung, die Unterschiebung eines neugeborenen Kindes (suppositio partus) auf den Titel des crimen falsi als unverjährbares Delikt {Binding Lehrbuch I § 61 I; Mommsen S. 676, 860 Fn. 1), weil nur sie der ausschließlichen Betonung des unlauteren Mittels entsprach (Kohlrausch S. 466; Stracke S. 9Γ). Daneben war nur noch die Anmaßung eines falschen Namens (adseveratio falsi nominis vel cognominis) als quasifalsa mit der poena falsi bedroht (Allfeld § 89 II mit Fn. 3; v. LisztlSchmidt § 113 I). Dem frühen deutschen Recht ist das Delikt anscheinend unbekannt. Die Rechtsquellen des MittelStand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfálschung

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alters bis hin zur Carolina (1532) schweigen (v. Hippel I § 66 Fn. 1; MaurachlSchroedertMaiwald 2 § 63 Rdn. I). 1 Das gemeine Recht hält sich an die römischen Bestimmungen. 2 Dementsprechend rechnet das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, wie die Mehrzahl der Partikulargesetze, die Kindesunterschiebung zum Betrug (II 20 §§ 1436 bis 1439). Im Bayrischen Strafgesetzbuch von 1813 erscheint das Delikt als Betrug am Familienstand (Art. 282). Vom Personenstand 3 spricht zuerst das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 (§ 138).4 Eine Erklärung für den Wechsel findet sich nicht. Doch ergeben die Motive, daß die Bezeichnung dem Begriff état civil des personnes des französischen Rechts nachgebildet ist, der seinem Sinn nach nur den Familienstand in sich begreift (Goltdammer S. 273; Stracke S. lOf) Bei dem durch § 138 PrStGB 1851 begründeten Standpunkt ist es bis heute geblieben, obwohl es keinen G r u n d gab, den nicht zutreffenden Ausdruck Personenstand, dem früheren Recht entsprechend, durch den zutreffenden Begriff Familienstand zu ersetzen (so schon Stracke S. 15), den auch das Bürgerliche Recht verwendet (§ 1773 Abs. 2 BGB). Vor dem E 1962 sind wesentliche sachliche Veränderungen des § 169 nicht vorgeschlagen worden, ausgenommen der E 1936. Er mißt im Hinblick auf die nationalsozialistische Betonung des Rassegedankens der Vorschrift zentrale Bedeutung bei, was sich nicht nur in einer Erhöhung des Strafmaßes, sondern vor allem darin ausdrückt, daß auch die Fälschung und Unterdrückung des eigenen Personenstandes (vgl. Rdn. 12) strafbar sein soll (.Lorenz S. 111 f; vgl. auch Mast UJ 2 [1950] 4130· 2. Der Unterschied zwischen altem und neuem Recht besteht rein äußerlich darin, daß die Vorschrift gegenüber früher eigentlich vier Tatbeständen (J. Baumann StAZ 1958 226), der Kindesunterschiebung, der Kindesverwechslung, der Personenstandsveränderung und der Personenstandsunterdrückung, nunmehr die Angriffe gegen den familiären Personenstand in drei Tatvarianten unter Strafe stellt, dem Unterschieben eines Kindes sowie der Irreführung der zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörden durch zwei Tathandlungen, der falschen Angabe des Personenstandes und der Unterdrückung des Personenstandes. Materiell-rechtlich verfolgt die Neufassung den Zweck, das Interesse der Allgemeinheit an der Feststellung der biologischen Abstammung hinter das Interesse an der konstitutiven Wirkung der Anerkennung der Vaterschaft zurücktreten zu lassen. 5 Die Veränderungen im Einzelnen sind nur zum Teil sachlich bedeutsam. Der Verzicht auf die Erwähnung der vorsätzlichen Verwechslung eines Kindes als Beispielsfall der ersten Alternative berührt den sachlichen Gehalt der Vorschrift nicht. Ein Fall des Unterschiebens eines Kindes liegt nämlich auch dann vor, wenn zwei zu gleicher Zeit geborene Kinder jeweils der anderen Mutter zugeordnet werden (dazu auch Rdn. 14). Auf das Beispiel durfte daher als überflüssig verzichtet werden (BTDrucks. VI/3521 S. 10; Sturm J Z 1974 2). Sachlich bedeutungslos ist auch, daß bei der zweiten Tatvariante die Handlung anders bezeichnet worden ist, statt verändern, falsch angeben. 1

Die Auffassung, dies sei im Klagspiegel anders (v. LisztlSchmidt BT § 113 I) bedarf insofern der Klarstellung, als diese Rechtsquelle unter dem Titel De partu agnoscendo zwar sowohl dem „allein natürlichen Kind" als auch dem leiblichen Vater ein Klagerecht auf Anerkennung der Vaterschaft gibt, jedoch keine Schutzbestimmung gegen eine Verletzung dieser Beziehungen enthält (Mast UJ 2 [1950] 412 nach Rieht. Clagspiegel, Der Erst Teyl, Bl. XLVII, Straßburg 1516).

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v. Liszt/Schmidt § 113 mit Nachweisen; vgl. auch die Angaben bei Kohlrausch S. 466f; Maurachl Sehr oeder! Maiwaid 2 § 63 Rdn. 1; Oehm S. 39 f. Zur Abgrenzung des Personenstandes vom wesentlich engeren Familienstand Rdn. 6; vgl. auch schon Vor § 169 Rdn. 11. Binding Lehrbuch I § 61 I Fn. 1; v. Hippel I § 66 Fn. 1; Reis S. 35; Stracke S. 10. Vgl. BTDrucks. VI/3521; 7/80; 7/514; J. Baumann Festschrift Arth. Kaufmann S. 538 Fn. 2.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Nach wie vor bewirkt sie, wie das Unterdrücken, eine Fälschung des Familienstandes.6 Die auf den Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) zurückgehende Änderung hat nur redaktionelle Bedeutung (Sturm JZ 1974 2). Hingegen schränkt bei der zweiten und dritten Tatvariante das Erfordernis, daß die Handlungen gegenüber bestimmten Behörden vorgenommen werden müssen, den Tatbestand wesentlich ein. Nach § 169 a. F. war neben dem Unterschieben oder Verwechseln eines Kindes eine auf andere Weise bewirkte Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes eines anderen strafbar (zur Geschichte Rdn. 13). Dadurch wurden auch falsche Angaben im gesellschaftlichen Bereich, etwa die Einführung der Freundin als Ehefrau oder die Bezeichnung des Pflegekindes als leibliches Kind, 7 erfaßt. Dies schloß der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552), wie schon der E 1962 (§ 220), durch die Aufnahme des Zusatzes aus, daß die Fälschung in einer die behördliche Feststellung des Personenstandes gefährdenden Weise geschehen müsse. Dem Sonderausschuß ging dies jedoch nicht weit genug. Er verlangte die Gesetz gewordene Einschränkung, daß das Fälschen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde vorgenommen werden muß. Das schließt ein, daß eine Gefährdung der Feststellung des Personenstandes eintritt (näher Rdn. 14).8 Außerdem verband der Sonderausschuß den Vorschlag mit der zutreffenden (vgl. Rdn. 21) Auffassung, daß beispielsweise das Einwohnermeldeamt, die Polizei und das Finanzamt zu diesen Behörden nicht gehören (BTDrucks. VI/1552 S. 11). Anders als bisher dürften aber auch das Aussetzen eines Kleinkindes im Wartesaal eines Bahnhofs oder in einem Warenhaus und die Fälle, in denen ein anderes Gesetz einen Widerspruch zwischen der Abstammung und dem rechtlich ausgewiesenen Familienstand zuläßt, außerhalb des Tatbestandes liegen (Sturm JZ 1974 2; ferner BTDrucks. VI/3521 S. 11). Schließlich liegen sachliche Veränderungen darin, daß auf die Bildung schwerer Fälle verzichtet, die Strafe ermäßigt und wahlweise Geldstrafe angedroht wird. 3

3. Die Deliktsnatur der Bestimmung kann, da durch die Tathandlungen ein widerrechtlicher Zustand herbeigeführt wird, die eines Dauerdelikts oder eines Zustandsdelikts sein. Ein Dauerdelikt, das zur Annahme nur einer Tat führt, liegt vor, wenn der Täter den von ihm in deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrechterhält oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so daß sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes bezieht (BGHSt. 36 255, 257; 42 215, 216; TröndlelFischer Vor § 52 Rdn. 35). Das Zustandsdelikt unterscheidet sich hiervon dadurch, daß der tatbestandliche Vorwurf nur an die Herbeiführung, nicht aber an die Aufrechterhaltung des widerrechtlichen Zustands anknüpft (Rissing-van Saan LK Vor § 52 Rdn. 35; SehlSchröder/Stree Vorbem §§ 52 ff Rdn. 82), die Aufrechterhaltung 6

Deshalb verwendet der E 1962, wie schon der E 1925 (§ 284), der E 1927 (§ 316), der E 1930 (§316) und der E 1936 (§ 198), weil „genauer", das Wort fälschen (§ 202, Begr. S. 355). D a s entsprach der Auffassung von Binding, eine exakte Strafgesetzgebung müsse den Tatbestand „nach A r t der Fälschungen formulieren" (Lehrbuch I §61 II 4); dagegen freilich v. Liszt/Schmidt BT § 113 I F n . 1 und Stracke S. 20. Völlig anders der AE, der beide Bezeichnungen, Fälschen u n d Unterdrücken, durch die Umschreibung verbindet, d a ß jemand es unternimmt, die unrich-

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tige behördliche Feststellung der familienrechtlichen A b s t a m m u n g eines anderen herbeizuführen (S. 72, Begr. S. 73). BTDrucks. VI/1552 S. 11; Bohnert JuS 1977 748; Hanack N J W 1974 2; Sturm J Z 1974 2. Dieser Vorschlag blieb freilich immer noch hinter dem des A E zurück, nur den zu bestrafen, der durch aktive Einwirkung es wissentlich unternimmt, auf D a u e r die unrichtige behördliche Feststellung der familienrechtlichen Abstammung eines anderen herbeizuführen (S. 72 f; vgl. dazu auch R d n . 30).

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Personenstandsfalschung

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des durch die Tat geschaffenen Zustandes also keine selbständige Bedeutung hat {LackneriKühl Vor § 52 Rdn. 11). So liegt es bei § 169. Daher ist die Tat Zustandsdelikt, nicht Dauerdelikt. 9 4. Das Rechtsgut der Vorschrift ist das familienrechtliche Verhältnis eines Men- 4 sehen zu anderen (vgl. Rdn. 6). Geschützt wird ein besonderes Beweisinteresse bezüglich familienrechtlicher Verhältnisse (Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 30), die Grundlage vielfaltiger und weittragender Rechte und Pflichten sind. Aufgabe der Vorschrift ist, Rechtsleben und Rechtsverkehr vor den Gefahren zu bewahren, die entstehen, wenn der Familienstand einer Person unrichtig erscheint und andere dadurch veranlaßt werden können, rechtserhebliche Handlungen vorzunehmen (OLG Stuttgart NJW 1968 1341). Sie dient in erster Linie dem Interesse der Allgemeinheit an der Feststellbarkeit der familienrechtlichen Verhältnisse eines Menschen zu anderen, daneben aber auch dem des Einzelnen, seine eigene Abstammung und familienrechtliche Einordnung zu kennen 10 und als im Einzelfall Interessierter vor den Gefahren aus falschen behördlichen Personenstandsfeststellungen geschützt zu sein {LackneriKühl Rdn. 1). Der Erhalt sozialisationstauglicher familialer Strukturen gehört, so wichtig und unmittelbar sozialisationsnützlich die formelle Wahrheit der Merkmale des Familienstands auch ist, nicht zu den Aufgaben der Vorschrift {Bottke S. 107). 5. Ergänzt wird die Vorschrift durch das Personenstandsrecht, niedergelegt vor 5 allem im Personenstandsgesetz (PStG) 11 und in der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (PStV). 12 Nach § 67 PStG begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer eine kirchliche Trauung oder die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vornimmt, ohne daß zuvor die Verlobten vor dem Standesamt erklärt haben, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, es sei denn, daß einer der Verlobten lebensgefahrlich erkrankt und ein Aufschub nicht möglich ist, oder daß ein auf andere Weise nicht zu behebender schwerer sittlicher Notstand vorliegt, dessen Vorhandensein durch die zuständige Stelle der religiösen Körperschaft des öffentlichen Rechts bestätigt ist. In § 67 a PStG ist ergänzend bestimmt, daß auch derjenige ordnungswidrig handelt, der eine kirchliche Trauung oder die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vorgenommen hat, ohne daß zuvor die Verlobten vor dem Standesamt erklärt hatten, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, wenn er dem Standesbeamten nicht unverzüglich schriftliche Anzeige erstattet. Schließlich handelt nach § 68 PStG ordnungswidrig, wer den in den §§ 16 bis 19 (Geburt eines Kindes), 25 (Findelkind) und 32 bis 34 (Tod

'

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BGHSt. 40 402; RGSt. 34 24, 25; 36 137; OLG Nürnberg M D R 1951 119; Frank Anm. V; Frommel N K Rdn. 3; Günther SK Rdn. 3; Hafkesbring S. 38; KohlrauschiLange Anm. VI; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 23; v. Olshausen Anm. 12; Pfeiffer!MaullSchulte Anm. 2; Rissing-vart Saan LK Vor § 52 Rdn. 35; Schmidhäuser BT 13/2; StuB 5/143; Tröndlel Fischer50 Rdn. 7; Welzel Strafrecht § 63 I 5; and. Stracke S. 38. So die überwiegende Auffassung, ζ. B. Frommel N K Rdn. 2; Günther SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 1; Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40; Otto BT § 65 Rdn. 1; Tröndlel Fischer Rdn. 2. Das Allgemeininteresse allein sehen als geschützt an J. Baumann StAΖ 1958 225; Bohnert JuS 1977 748 Fn. 30; Joecks Rdn. 1; Schmidhäuser BT

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13/2; SehlSchröder!Lenckner Vorbem §§ 169 ff). Die Ansicht, beide Interessen, das der Allgemeinheit und das des Individuums, würden gleichrangig geschützt, wird von Maurach! SchroederlMaiwald 2 vertreten (§ 63 Rdn. 5), wohl auch von Kindhäuser (BT I § 4 A 4.1). Vom 3.11.1937 (RGBl. I 1146) i.d.F. der Bekanntmachung vom 8.8.1957 (BGBl. I 1125). Allgemein zur Geschichte des Personenstandsrechts Boschan S. 441; Stuber S. 13 f. Zur Entwicklung des Personenstandsrechts in der D D R Bornhofen StAZ 1996 162; vgl. dazu auch die Überleitungsregelung EV Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet Β Abschnitt III Nr. 2. Vom 12.8.1957 (BGBl. I 1139) i.d.F. der Bekantmachung vom 25.2.1977 (BGBl. I 377).

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

eines Menschen) vorgeschriebenen Anzeigepflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt. Ist ein Verhalten gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit, so wird nur das Strafgesetz angewendet (§ 21 Abs. 1 OWiG). Jedoch kann die Handlung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn eine Strafe nicht verhängt wird (§ 21 Abs. 1 OWiG). Vgl. auch Rdn. 36. 6

II. Der äußere Tatbestand verlangt die Unterschiebung eines Kindes oder die Irreführung bestimmter Behörden durch falsche Angabe oder Unterdrückung eines fremden Personenstandes. 1. Angriffsgegenstand ist der familiäre Personenstand eines anderen lebenden oder verstorbenen Menschen. a) Ungeachtet der Bezeichnung des Gesetzes handelt es sich nicht um den Personenstand, sondern um den Familienstand als das familienrechtliche Verhältnis eines Menschen zu anderen. 13 aa) Der Unterschied zwischen Personenstand und Familienstand, ihrer Funktion nach beides statistische Ordnungsmerkmale, liegt in der Qualität der Verhältnisse, auf die sie sich jeweils beziehen. Familienstand ist eine notwendig wechselseitige menschliche Beziehung. Der Personenstand hingegen kennzeichnet die Einordnung eines Menschen in die Gemeinschaft, etwa durch Name, Stand und Staatsangehörigkeit, und ist ausschließlich auf den betreffenden Menschen bezogen. Dieses Verhältnis schützt § 169 ganz offensichtlich nicht. Es entspricht daher weit überwiegender Auffassung, daß der Begriff Personenstand in § 169 den wesentlich engeren Familienstand meint, 14 offiziell definiert als die urkundlich durch das Familienstandswesen fixierte Stellung einer Person zur rechtlichen Institution der Ehe (DorbritzlGärtner S. 3).

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bb) Familienstand und Personenstand können zusammenfallen, wenn sie aus demselben Entstehungsgrund, etwa der Abstammung, erwachsen. So gehört beispielsweise das Geschlecht eines Menschen zu beiden. 15 Für die engere Voraussetzung des Familienstandes folgt dies daraus, daß das Geschlecht, indem es etwas über das Sohn- oder Tochterverhältnis zu den Eltern aussagt, ein auf Wechselseitigkeit gegründetes Beziehungsverhältnis ist, das durch den späteren Fortfall eines der Beteiligten nicht geändert wird. 16 Ähnlich liegt es beim Alter, das ebenso ein Merkmal des Familienstandes wie des Personenstandes ist.

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b) Auch der Verstorbene hat einen familiären Personenstand, an den sich noch Rechtsfolgen knüpfen können. 17 Dazu muß der Tod eines Menschen selbst dem Per13

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Zur wechselnden, völlig willkürlichen Verwendung der Begriffe in den Partikulargesetzen Rdn. 1. RGSt. 25 188, 190f; AG Köln StAZ 1981 148 mit Anm. Dörner, J. Baumann StAZ 1958 225 f; Binding Lehrbuch I § 61 II; Blei FamRZ 1961 140; Bohnert JuS 1977 748; Bottke S. 106; Frommel NK Rdn. 2; Günther SK Rdn. 3; Joecks Rdn. 1; Kindhäuser BT I § 4 A 4.3; Mast UJ 2 (1950) 411; Lange JW 1937 597; Mäurach/ SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 11 (mit dem völlig zutreffenden Hinweis, daß die Fassung des Gesetzes insoweit irreführend ist); Pfeiffer/ Maul/Schulte Anm. 1; Schmitt S. 523; Seh/ Schröder!Lenckner Rdn. 1; Stracke S. 19f, 15;

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Welzel Strafrecht § 63 I 1 ; vgl. auch schon Rdn. 1; zweifelnd Sachse StAZ 1988 7. Gleichgesetzt werden Personenstand und Familienstand bei LackneriKühl Rdn. 1; Sturm 1974 2; Tröndlei Fischer Rdn. 3. BTDrucks. VI/3521 S. 10; Frommel NK Rdn. 2; Günther SK Rdn. 3; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 2; Tröndlei Fischer Rdn. 3; vgl. auch RGSt. 56 134. MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 13; vgl. auch schon Binding Lehrbuch I § 61 II 3 b; Frank Anm. I. So schon das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung seit RGSt. 25 188, 190; zuvor hatte es nur auf das familienrechtliche Verhältnis unter

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Personenstandsfälschung

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sonenstand nicht zwingend zugerechnet werden, nachdem § 167 verstorbene Personen bereits erfaßt (Frommel N K Rdn. 3). Anders liegt es bei einem tot geborenen oder in der Geburt verstorbenen Kind. Beide waren als lebende Menschen überhaupt nicht vorhanden. Ein Familienstand konnte deshalb nicht entstehen. 18 c) Der Familienstand ist Angriffsgegenstand in allen seinen Beziehungen (RGSt. 25 9 188, 189; 43 402, 403; Bohnert JuS 1977 748; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 2). Daher muß vorrechtlich feststehen, welche persönlichen Beziehungen und auf Abstammung zurückzuführende Merkmale offenliegen müssen, um familienrechtlich relevante Rechtsfolgen wie Eheverbote, Unterhaltsrechte, Unterhaltspflichten oder Erbrechte feststellen zu können (BTDrucks. VI/3521 S. 10; Günther SK Rdn. 3). Die Rechtsgrundlagen finden sich im Familienrecht, insbesondere dem Abstammungsrecht und dem Eherecht. Sie knüpfen sich zum Teil an Naturvorgänge (Zeugung und Geburt). Im übrigen liegen ihnen Rechtsakte zugrunde. 19 Naturvorgänge begründen unwandelbare, Rechtsakte veränderbare Beziehungen. 20 Durch außerrechtliche Umstände können auch im Bereich bestehender Regelungen neue rechtliche Anforderungen entstehen. Beispiele dafür sind die in der modernen Fortpflanzungsmedizin entwickelten Methoden und Techniken. 21 In solchen Fällen muß die Gesamtrechtsordnung darüber befinden, welche Folgerungen sich an den Vorgang, sei er natürlicher Art oder von Menschen manipuliert, knüpfen sollen.22 Aufgabe des Strafrechts ist, die vorrechtliche

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Lebenden abgestellt (RGSt. 13 129, 130; 19 405; 21 411). Dies ist auch einhellige Auffassung im Schrifttum. RGSt. 43 402, 403 f; Binding Lehrbuch I § 61 II 3 a; Boschan S. 440; Blei BT § 37 II 1; Frommel N K Rdn. 2; Hanke S. 35f; Lackneri Kühl Rdn. 1; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 13; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 2; Oehm S. 40; v. Olshausen Anm. 3 a; TröndlelFischer Rdn. 3 mit Hinweis auf § 29 PStV (Rdn. 5 Fn. 10), der die Begriffe Lebendgeburt (Absatz 1 ), Totgeburt (Absatz 2) und Fehlgeburt (Absatz 3) definiert; Wachenfeld § 112 I; and. J. Baumann StAZ 1958 225; Günther SK Rdn. 3 unter Bezugnahme auf § 1923 Abs. 2 BGB, wonach tot geborene oder in der Geburt verstorbene Kinder nicht als erbberechtigt fingiert werden, und § 24 PStG, der bis zu seiner Aufhebung durch Art. 2 des Eheschließungsrechtsgesetzes vom 4.5.1998 (BGBl. I 833) die Anzeigepflicht bei Totgeburten regelte. Der AE wollte Rechtsakte als Entstehungsgründe familienrechtlicher Beziehungen ungeschützt lassen (S. 72 f). Vgl. schon die Unterscheidung von Binding zwischen dem unwandelbaren absoluten Personenstand, der darin besteht, daß jemand einer bestimmten Familie angehört (oder angehört hat), und dem durch eigentümliche Art der Zugehörigkeit gekennzeichneten, dem Wandel unterworfenen relativen Personenstand (Lehrbuch I § 61 II 3b, c 4). Umfassend beschrieben bei Wohn (S. 21 ff) unter ausführlicher Darstellung der Rechtslage bei der künstlichen homologen Insemination (S. 74ff), der künstlichen heterologen Insemination (S.

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83 ff), der Eispende oder Embryonenspende (S. 97ff), der Leihmutterschaft (S. 117ff), der Ersatzmutterschaft (S. 124 ff), des Klonens (S. 127 ff) und der Chimärenbildung (S. 153 ff). Zu den statusrechtlichen Problemen im Gefolge medizinisch assistierter Zeugung Bernal MedR 1986 245ff. Das ist im Falle der Leihmutterschaft geschehen. Sie ist durch die §§ 13c, 13d des Adoptionsvermittlungsgesetzes i. d. F. vom 27.11. 1989 (BGBl. I 2014) und § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl. I 2746) verboten worden. Die Regelung des § 1591 BGB (vgl. Rdn. 10) dient, indem sie der das Kind nicht gebärenden Frau jegliches Recht am Kind versagt, der zivilrechtlichen Absicherung des Verbots (Grün Rdn. 38; HaibachlHaibach § 1 Rdn. 1; MuschelerlBeisenher: JR 1999 411). Hingegen sind die abstammungsrechtlichen Folgen der heterologen Insemination nicht geregelt worden. Das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16.12. 1997 (BGBl. I 2942) hat, obwohl vom Bundesrat gefordert (BTDrucks. 13/4899 S. 148), darauf verzichtet (dazu näher Lurger DEuFamR 1 [1999] 213; Mühlens KdPrax. 1 [1998] 670- Die Regelung wird weiterhin für notwendig erachtet (z. B. H. F. Gaul FamRZ 1997 1465; Helms FuR 7 [1996] 189; Lüderitz Rdn. 694; Mutschier FamRZ 1996 1385; Wohn S. 14, 84f; vgl. auch B G H Z 87 169, 175; andererseits Wichmann NDV 76 [1996] 43). Eine strafrechtliche Normierung war vom E 1962 mit einem neuen § 203 (vgl. Vor § 169 Rdn. 6), der die Gefahren, die mit einer anonymen Samenspende verbunden

Karlhans Dippel

§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Beurteilung und ihre Publizität im Einzelfall durchsetzen zu helfen dertMaiwald 2 § 63 Rdn. 10). 10

(Maurach/Schroe-

d) Die f ü r § 169 relevanten Familienrechtsverhältnisse sind, ihren vielfachen Entstehungsgründen entsprechend, zahlreich (vgl. E. Wolf F a m R Z 1968 496). aa) An Naturvorgänge (Zeugung und Geburt) knüpft das im Zweiten Titel des Zweiten Abschnitts des Vierten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelte Abstammungsrecht an. Abstammung bedeutet als Abkömmling die biologische Herkunft aus der Reihe der Vorfahren (Palandt Einf ν § 1591 Rdn. 1). Sie wird bestimmt durch die genetische Verbindung. Der durch Abstammung begründete Personenstand beschränkt sich daher auf die Zugehörigkeit eines Kindes zu einer bestimmten Frau als Mutter und zu einem bestimmten M a n n als Vater. Vom Kindschaftsrechtsreformgesetz (vgl. Rdn. 9 Fn. 22) ist der Zweite Titel völlig neu gefaßt worden. 23 Der Anstoß dazu war von zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ausgegangen, in denen die frühere Regelung der Ehelichkeitsanfechtung als mit dem nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 G G geschützten Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung für unvereinbar erklärt worden ist (BVerfGE 79 256, 268 ff; 90 263, 270fi). 24 Die augenfälligste Veränderung besteht in dem Verzicht auf die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen 25 Kindern. 2 6 Sie war für den Reformgesetzgeber Programm. 2 7 Ehelichkeit und Nichtehelichkeit eines Kindes sind keine der Person anhaftenden Statusmerkmale mehr (Mühlens KdPrax. 1 [1998] 67). Als Vater eines Kindes gilt abstammungsrechtlich der Mann, der mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde (§ 1592 BGB). Die Aufzählung ist abschließend (Η. F. Gaul F a m R Z 1997 1445f; Rauscher F P R 8 [2000] 352). Andere Tatbestände werden für eine Vater-

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sind, unterbinden sollte, erstrebt worden. Der Vorschlag hat sich gegen die Befürworter einer liberalen Fortpflanzungsmedizin nicht durchsetzen können (J. Baumann Strafbarkeit S. 180; Wohn S. 83 f; zuvor jedoch H. J. Schneider S. 177). Ausführlich zu den Änderungen MuschelerlBeisenherz JR 1999 356ff, 407 ff; ferner Coester D E u F a m R 1 (1999) 4ff; Helms F u R 7 (1996) 178; Mühlens KdPrax. 1 (1998) 67ff; Mutschier FamRZ 1996 1381 ff; Willutzki KdPrax. 1 (1998) 103fT. Krit. zum alten Recht noch Oberloskamp F u R 2 (1991) 263 ff; Schwenzer FamRZ 1992 122 ff. Ein Überblick aller gesetzlichen Änderungen seit Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet sich bei Deinert Die Entwicklung des Kindschaftsrechts DAVorm. 71 (1998) 197, 257, 337. Allerdings geben weder dieses Recht noch das verfassungsrechtliche Gleichstellungsgebot des Art. 6 Abs. 5 G G und die Gewährung des Erbrechts nach Art. 14 Abs. 1 G G ein bestimmtes Ergebnis vor; vielmehr sind diese Rechte gegen die widerstreitenden Grundrechte der Mutter abzuwägen (BVerfG N J W 1997 1769). Aus dem umfangreichen Schrifttum zur Ableitung des Rechts des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung z.B. Busse S. 105fT; Coester-Walljen Jura 1989 520ÍT; Deichfuß N J W 1988 113 ff;

Abstammungsrecht S. 114ff; Enders NJW 1989 881 ff; Frank/Helms FamRZ 1997 1259 ff; Giesen JZ 1989 364 ff; Gottwald Festschrift Hubmann S. 11 Iff; Hassenstein FamRZ 1988 120ff; Hepting F a m R Z 2001 1576 ff; Holzhauer JZ 2000 1084; Kleineke S. lOff; E. Koch FamRZ 1990 569; Krüger S. 347; Mansees N J W 1988 2984; Moritz Jura 1990 134 ff; K. Müller FamRZ 1986 635 ff; Muschelerl Bloch S. 341 ff; Reinke S. 90f; Scheiwe Z R P 2001 372; Schmidt-Didczuhn JR 1989 222 ff; D. Schwab Familienrecht Rdn. 492ff; v. Sethe S. 59ff; Smid J R 1990 221 ff; Alfr. Wolf F P R 7 (2001) 345 f; krit. J. Baumann Festschrift Arth. Kaufmann S. 537ff. 25

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Zur nichtehelichen Vaterschaft vgl. bereits RGSt. 34 427, 429; 41 301, 302f; 72 113; 77 51. Seit Streichung des § 1589 Abs. 2 a.F. BGB durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) vom 19.8.1969 (BGBl I 1243) begründet sie auch Verwandtschaft. Edenfeld F u R 3 (1996) 190; Η F. Gaul FamRZ 1997 1442; HaibachlHaibach § 1 Rdn. 20, 24; MuschelerlBeisenherz JR 1999 356; Zumstein F P R 2 (1996) 226, 228. Schwab! Wagenitz FamRZ 1997 1377 unter Hinweis (Fn. 8) auf BTDrucks. 13/892 S. 25; 13/4183 S. 8; 13/4899 S. 29.

Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfälschung

§169

Kind-Zuordnung nicht anerkannt (PalandtlDiederichsen § 1592 Rdn. 1). Die Zuordnungsgründe der Anerkennung und der gerichtlichen Feststellung sind gleichwertig. Doch ergibt sich ein faktischer Vorrang der Anerkennung, rein praktisch, weil eine wirksam anerkannte Vaterschaft die gerichtliche Feststellung ausschließt (vgl. auch §170 Rdn. 25), aber auch rechtspolitisch, da die Anerkennung im Interesse der Herstellung einer kindeswohlorientierten Vater-Kind-Beziehung wegen des Elements der Freiwilligkeit vorzugswürdig ist (Rauscher FPR 8 [2000] 359). Erstmals definiert das Gesetz die Mutterschaft. Mutter eines Kindes im Rechtssinn ist allein die Frau, die es geboren hat (§ 1591 BGB). Die Regelung durchbricht gewollt (BTDrucks. 13/4899 S. 82; 13/8511 S. 80) den Grundsatz, daß für die Verwandtschaft zweier Personen die genetische Abstammung maßgebend ist (§ 1589 BGB). Trotzdem war die Mutterschaft der gebärenden Frau weitaus überwiegend befürwortet worden.28 Nur sie führt zu einer sofortigen und eindeutigen Zuordnung des Kindes zu einer bestimmten Frau. Sie ist aber auch ein Zugeständnis an neue Fortpflanzungstechniken (vgl. Rdn. 9 mit Fn. 21), die ein Auseinanderfallen von genetischer Mutter und gebärender Frau ermöglichen.29 Die Regelung bewirkt, daß das Kind stets und sofort eine Mutter hat. Sie schließt eine anonyme Geburt, weil aus ihr nicht automatisch die rechtliche Mutterschaft der gebärenden Frau folgt, aus (Hepting FamRZ 2000 1574). Inzwischen wird, nach wachsenden Vorbehalten gegen die Einrichtung der Babyklappe,30 allerdings die Legalisierung anonymer Geburten in öffentlichen Krankenanstalten und eine Regelung der anonymen Kindesabgabe (nach dem Vorbild der französischen maternité secrète) angestrebt.31 bb) Rechtsakte, die familienrechtliche Verhältnisse begründen oder ändern kön- 11 nen, sind Verträge, Verwaltungsakte und richterliche Entscheidungen. Bei ihnen geht es um soziale Ordnungsprinzipien. Zu den konstitutiven Akten zählen vor allem die 28

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MuschelerlBeisenherz JR 1999 411 mit Nachweisen (Fn. 149); vgl. hingegen die höchst kontroverse Diskussion in Österreich, beispielsweise einerseits Steiner ÖJZ 42 (1987) 513 ff, andererseits Edlbacher ÖJZ 43 (1988) 420 ff. Arnold-SchusterlHansen-Tilgner AnwBl. 1998 71 f; Edenfeld FuR 1996 191 f; H. F. Gaul FamRZ 1997 1463; Muschelerl Beisenherz JR 1999 411; Zumstein F P R 2 (1996) 227. Edlbacher rügt in diesem Zusammenhang mit Recht die infolge unsystematischer Verwendung verschiedenster Bezeichnungen wie Wunschmutter, Eimutter, Gastmutter, Ammenmutter, Leihmutter, Ersatzmutter, Doppelmutter entstandene Begriffsverwirrung und schlägt vor, nur zwischen genetischer Mutter und Tragemutter zu unterscheiden (ÖJZ 43 [1988] 418ff). In der Bundesrepublik seit 1999 bestehende, meist von privaten Vereinen betriebene, inzwischen aber auch in Krankenanstalten anzutreffende Einrichtung, bei der ein Neugeborenes in ein visuell abgeschirmtes, beheiztes, an einem Gebäude von außen zugänglich angebrachtes Kinderbett nach Öffnen einer Klappe hineingelegt werden kann (Bärlein/Rixen Kriminalistik 2001 54; Neuheuser ZfL 11 [2002] 11). Historisches Vorgängermodell ist die vereinzelt seit dem Mittelalter bekannte, in der Neuzeit nach

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der französischen Revolution am weitesten verbreitete Drehlade (näher Frank/Helms FamRZ 2001 1343 f; Hepting FamRZ 2001 1579; Scheme Z R P 2001 370; Swientek Wiederentdeckung S. 35 ff). Nach anfänglich zustimmender Aufnahme, die sogar zu einer Gesetzesinitiative zur Änderung des Personenstandsgesetzes, das eine anonyme Geburt grundsätzlich nicht zuläßt (Hepting FamRZ 2001 1574), geführt hat (BTDrucks. 14/4425; ausführlich dazu Swientek Wiederentdeckung S. 124 ff), mehren sich Bedenken. Der Not der Mütter, die heimlich und ohne medizinische Hilfe gebären, und den lebensbedrohenden Gefahren für das so geborene Kind wirkt die Einrichtung ohnehin nicht entgegen (Hepting FamRZ 2001 1575; Heyers JR 2003 45). Aber auch die mit ihr verbundene Erwartung, daß sie die Tötung von Neugeborenen und Kleinstkindern verhindern werde, erfüllt sich ganz offensichtlich nicht (näher Neuheuser ZfL 11 [2002] 13; Swientek FPR 7 [2001] 353 f). 31

Frank/Helms FamRZ 2001 1340ff; Hepting FamRZ 2001 1575, 1581 ff; Heyers JR 2003 45 ff; Scheme Z R P 2001 37Iff; Swientek FPR 8 (2001) 356; vgl. auch die Gesetzesinitiative BTDrucks. 14/8856; zum Ganzen DIJuF.-Rechtsgutachten JAmt 76 (2003) 296.

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Eingehung der Ehe32 und die Begründung einer Lebenspartnerschaft. 33 Auch die Vereinbarung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die das Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht dem Familienbegriff zugerechnet hat (vgl. BVerfGE 26 146, 165), gleichwohl aber gewisse, freilich von den Persönlichkeitsrechten der Beteiligten her definierte verfassungsrechtliche Schutzpositionen genießt (D. Schwab Familienrecht Rdn. 15), gehört hierzu. Weitere Familienstandsverhältnisse begründende Rechtsakte sind die Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1594 ff BGB) und die Annahme als Kind (§§ 174Iff BGB).34 Familienrechtliche Verhältnisse ändernde Rechtsakte liegen beispielsweise in der Aufhebung der Ehe (§§ 1313ff BGB), der Scheidung der Ehe (§§ 1564ff BGB), der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung (§§ 1600ff BGB)35 und der Aufhebung des Annahmeverhältnisses (§§ 1759ff BGB). 12

d) Um den familiären Personenstand eines anderen muß es sich handeln. Daher fällt weder der eigene noch ein erfundener Familienstand, bei dem ebenfalls ein lebender Mensch, der dessen Träger hätte sein können, nicht vorhanden war (vgl. Rdn. 8), unter den Tatbestand.36 Anders kann es liegen, wenn solche Angaben zugleich einen fremden Familienstand berühren.37 Die Anmaßung eines Personenstandes, nach § 169 nicht strafbar, muß nicht straflos bleiben. Unter entsprechenden weiteren Voraussetzungen kann Betrug (§ 263) vorliegen (vgl. schon v. Olshausen Anm. 2). Meist noch

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Geregelt im Zweiten Titel des Ersten Abschnitts des Vierten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zusammen mit dem Dritten (Aufhebung der Ehe) und Vierten (Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung) Titel durch das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz - EheschlRG) vom 4.5.1998 (BGBl. I 833) neu gefaßt worden ist (dazu Finger Zur Neuordnung des Eheschließungsrechts, FuR 7 [1996] 124fi). Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (LPartG) vom 16.2.2001 (BGBl. I 266). Ein Lebenspartner gilt als Familienangehöriger des anderen Lebenspartners (§ 11 Abs. 1 LPartG). Die Verwandten eines Lebenspartners gelten als mit dem anderen Lebenspartner verschwägert (§ 11 Abs. 2 Satz 1 LPartG). Terminologisch ist Lebenspartnerschaft eine wenig glückliche Bezeichnung, weil hier einem Begriff mit allgemeiner Bedeutung ein spezieller, auf die homosexuelle und eingetragene Gemeinschaft bezogener Sinn unterlegt worden ist, was Mißverständnisse hervorrufen kann (D. Schwab Familienrecht Rdn. 872). Vgl. auch § 170 Rdn. 16 mit Fn. 60. Weggefallen ist die Legitimation nichtehelicher Kinder, einstmals der 7., seit dem Beistandsgesetz vom 4.12.1997 (BGBl. I 2846) der 8. Titel des Abschnitts Verwandtschaft. Er wurde durch Art. 1 Nr. 84 des Kindschaftsreformgesetzes (vgl. Rdn. 21 Fn. 22) ersatzlos gestrichen, weil der Zweck der Bestimmungen, das Kind vor einer Benachteiligung wegen seiner nichtehelichen Geburt zu bewahren und ihm bei Heirat der Eltern oder durch Ehelicherklärung „die

Rechtswohltat der Ehelichkeit" (BTDrucks. 13/ 4899 S. 69 f) zukommen zu lassen, entfallen ist, die Möglichkeiten des neu geschaffenen gemeinsamen Sorgerechts für ein Kind aber auch wesentlich positiver sind als die Auswirkungen der bisherigen Ehelicherklärung (Willutzki KdPrax. 1 [1998] 104; vgl. auch Haibach/Haibach § 1 Rdn. 26035

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Sie gilt durch die Ersetzung der bisherigen Unterscheidung zwischen Anfechtung der Ehelichkeit und Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung durch ein für alle Kinder geltendes einheitliche Institut als der zweite Schwerpunkt des neuen Abstammungsrechts. Zur umstrittenen Akzentverlagerung auf das Persönlichkeitsrecht des Kindes bei der Anfechtung der Vaterschaft H. F. Gaul FamRZ 1997 1443 f; MuschelerlBeisenherz JR 1999 356. RGSt 25 188, 191; O L G Hamm NStE § 169 Nr. 1; OLG Stuttgart N J W 1968 1341; J. Baumann StAZ 1958 227; Binding Lehrbuch I § 61 III A 1; Blei BT § 37 II 1; Batike S. 106; Frank Anm. II 2; Frommel N K Rdn. 2; Günther SK Rdn. 4; Kohlrauschi Lange Anm. II; Lackneri Kühl Rdn. 1; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 14; Niethammer I Hauptstück H 2a 4; Oehm S. 40; v. Olshausen Anm. 2; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 4. Blei BT § 37 II 1; Günther SK Rdn. 4; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 14; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; vgl. auch O L G Stuttgart N J W 1968 1341 (Wahrheitswidrige Behauptung, wiederverheiratet zu sein, im Rechtsstreit um das Sorgerecht der geschiedenen Ehefrau).

Stand: 1.7. 2003

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Personenstandsfalschung

§169

relevanter dürfte mittelbare Falschbeurkundung (§ 271) sein. Strafbarkeit tritt ein, wenn die öffentliche Beweiskraft der Urkunde sich auf die unrichtige Angabe des Familienstandes erstreckt. 38 In jedem Falle sind falsche Angaben über den eigenen Familienstand gegenüber einer zuständigen Behörde eine Ordnungswidrigkeit (§111 OWiG). 2. Tathandlungen einer Personenstandsfalschung sind drei Varianten der Irreführung über den Personenstand.

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a) Die erste Tatvariante verwirklicht, wer ein Kind unterschiebt. aa) Die Sonderstellung der ersten Tatvariante ist deshalb bemerkenswert, weil sie nur einen, dazu nicht einmal häufigen, Unterfall der umfassenderen Handlungsalternativen der falschen Angabe oder der Unterdrückung des Personenstandes darstellt. Allerdings bedarf es im Unterschied zu den beiden anderen Tatvarianten zu ihrer Verwirklichung eines Handelns gegenüber einer zuständigen Behörde nicht. Insofern ist sie spezieller.39 Die gesonderte Stellung der Tatvariante erklärt sich aus der Geschichte des Tatbestandes. Das frühere preußische Recht bestrafte nur die Unterschiebung oder Verwechslung eines Kindes. Dieser Tatbestand wurde § 139 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851, jedoch mit einem Nachsatz, der eine sonstige Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes in die Strafbarkeit einbezog (Goltdammer S. 272). Das Strafgesetzbuch hat die formell unglückliche Fassung übernommen. Hierbei ist es trotz deutlicher Kritik (z.B. Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 2; Mast UJ 2 [1950] 411; Maurach BT § 49 II A 3) geblieben. Der Grund mag darin liegen, daß Säuglinge und Kleinkinder hinsichtlich der Feststellung ihres Personenstandes besonders gefährdet sind (Günther SK Rdn. 7; vgl. auch Blei BT § 37 II 1). bb) Ein Kind unterschiebt wer gegenüber der Umwelt den Anschein herbeiführt, es 1 4 sei das leibliche Kind einer Frau, die es nicht geboren hat. 40 Diese Auslegung entspricht dem früheren Recht (ζ. B. RGSt. 36 137). Sie führte dort zu einer Anwendung, die als zu weit gehend empfunden wurde, indem sie beispielsweise den Fall einschloß, bei dem das Kind einem anderen täuschend, meist mit Ortsveränderung, so zugespielt wird, daß es der andere fälschlich für sein eigens hält (RG GA 50 107; Recht 1910 1690). Dem hat die Neufassung durch das Merkmal Rechnung getragen, daß durch das Unterschieben des Kindes die behördliche Feststellung des Personenstandes gefährdet sein muß. Ausdrücklich enthält der Tatbestand diese Einschränkung zwar nicht. 41 Doch ergibt sie sich aus dem Zusammenhang mit den übrigen Tathandlungen, die eine Gefährdung der behördlichen Feststellung des Personenstandes ausdrücklich voraussetzen. 42 Die Gefahrdung liegt darin, daß das Kind durch die Täuschung in

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OLG Hamm NStE § 169 Nr. 1; ArztlWeber BT § 10 Rdn. 30; Bottke S. 107 (unter Hinweis auch auf das Verfälschen von in öffentlichen Dateien gespeicherter beweiserheblicher Daten); Günther SK Rdn. 4. Formal-logisch liegt das Verhältnis zweier einander schneidender Kreise vor (Maurach/ SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 9). Bohnert JuS 1977 747; Fromme! N K Rdn. 4; Günther SK Rdn. 8; Joecks Rdn. 2; Kindhäuser BT I § 4 A 4.1; Lackner/Kühl Rdn. 2; Otto BT § 65 Rdn. 3; Schmidhäuser BT 13/3; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 4.

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Der Regierungsentwurf hatte sie allerdings vorgesehen (BTDrucks. VI /1552 S. 2, 10). Sie ist in der Meinung gestrichen worden, daß das Merkmal „unterschiebt" diese Bedeutung schon hat (BTDrucks. VI/3521 S. 10; Sturm JZ 1974 2; krit. zu dieser Auslegung MaurachlSchroederl Maiwald 2 §63 Rdn. 19). Blei BT § 37 II 2; Fromme! N K Rdn. 4; Günther SK Rdn. 8; Horstkotte Prot. V/34 S. 1238; Lackneri Kühl Rdn. 2; Otto BT § 65 Rdn. 3; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 4; Sturm JZ 1974 2; TröndlelFischer Rdn. 5; dazu auch Rdn. 2.

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

eine solche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, nach der es auch für die zuständige Behörde als deren leibliches Kind erscheinen muß (Bohnert JuS 1977 748; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4). Die frühere Handlungsmodalität der Kindesverwechslung ist ein Fall des Unterschiebens eines Kindes. 43 Durch Unterlassen wird Personenstandsfalschung gewöhnlich in den Formen der Irreführung einer Behörde und bei diesen wiederum weniger durch falsche Angabe des Personenstandes, als durch Unterdrückung des Personenstandes verwirklicht (vgl. Rdn. 18, 25). Möglich ist jedoch auch das Unterschieben eines Kindes durch Unterlassen. Dafür kommen Fälle in Betracht, bei denen es dem Täter obliegt, für die Feststellung des Personenstandes bei der zuständigen Behörde Sorge zu tragen (Günther SK Rdn. 9), beispielsweise den zur Anzeige der Geburt eines Kindes verpflichteten Personen (§§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 2, 19 PStG). 15

cc) Täterin kann auch die angebliche Mutter sein,44 indem sie ein Kind sich selbst unterschiebt (Maurach! Schroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 19). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Ehefrau, die eine Fehlgeburt erlitten hat, ihrem Ehemann gegenüber das Kind ihrer Freundin mit deren Einverständnis als ihr eigenes ausgibt, der es im Glauben daran als eheliches Kind beim Standesbeamten anmeldet (Otto BT § 63 Rdn. 7; vgl. auch Joecks Rdn. 2). Darin lag nach § 169 a. F. eine Verwirklichung der Tat bereits gegenüber dem Ehemann, der das Kind als eigenes behandelt und anerkannt hat (RGSt. 36 137). Nach neuem Recht begeht die Mutter die Tat gegenüber der zuständigen Behörde in mittelbarer Täterschaft.

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dd) Bei der untergeschobenen Person muß es sich um ein Kind handeln. Kind ist eine Person, die infolge ihres geringen Alters noch keine oder keine richtigen Vorstellungen über ihren Familienstand hat. 45 Nur unter diesen Voraussetzungen kann bereits eine falsche Zuordnung eine hinreichende Gefahrdung der Personenstandsfeststellung bewirken. Auf eine bestimmte gesetzliche Altersgrenze, wie bei der strafrechtlichen Schuldfähigkeit (§ 19), der Deliktsunfähigkeit (§ 827 BGB) und der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1 BGB) kommt es nicht an (.J. Baumann StAZ 1958 226; Günther SK Rdn. 10). Auf jeden Fall erfüllen Säuglinge und Kleinkinder diese Voraussetzungen. Die Auslegung, daß Kind im Sinne des § 169 nur eine Person sein kann, die von ihren eigenen Personenstandsverhältnissen noch keine hinreichende Vorstellung hat, engt den Tatbestand nicht unwesentlich ein. So fällt der Fall heraus, daß ein Kind, das im frühesten Kindesalter von der Mutter getrennt worden ist, später einer anderen Frau als der angeblichen Mutter durch Täuschung beider als deren Kind unterschoben wird {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4). Gleichwohl muß es bei der Auslegung bleiben, weil nur in diesem Falle die hinter der Vorschrift stehende spezifische Gefahr besteht. Indessen wird jener Sachverhalt möglicherweise der zweiten oder dritten Tatbestandsalternative des § 169 subsumiert werden können. Auch der Fall der Unterschiebung einer dem Kindesalter entwachsenen Person dürfte jedenfalls von der Tatvariante der falschen Angabe erfaßt werden (so überzeugend Blei BT § 37 II 2).

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Günther S K R d n . 8; Lackner/Kühl R d n . 2; Sehl Schröder!Lenckner R d n . 4; Tröndle/Fischer R d n . 5; vgl. schon R d n . 2. R G S t . 36 137; Bohnert JuS 1977 748; Günther S K R d n . 8; Kindhäuser BT I A 4.2; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 4; Tröndle/Fischer R d n . 5. Allfeld § 89 A III; J. Baumann S t A Z 1958 225;

Frank A n m . II 1; Günther S K R d n . 10; Lackner/Kühl R d n . 2; Sehl Schröder!Lenckner R d n . 4; Wachenfeld § 112 I 1; and. v. Olshausen, der die Fähigkeit dolosen H a n d e l n s entscheiden lassen will ( A n m . 8), so d a ß das K i n d , wenn es diese Fähigkeit hat, den Personenstand selbst ändert.

Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfälschung

§169

ee) Beispiele eines Unterschiebens sind das vorsätzliche Verwechseln eines Kindes 1 7 in einer Entbindungsanstalt, etwa dadurch, daß zwei zu gleicher Zeit geborene Kinder jeweils der anderen Mutter zugeordnet werden oder ein neugeborenes Kind als das einer anderen Mutter, die zur gleichen Zeit eine Totgeburt hatte, ausgegeben wird (BTDrucks. VI 3521 S. 10), das Vertauschen von Zwillingen (v. Olshausen Anm. 9 b) mit potentiellen erbrechtlichen Konsequenzen (Tröndlel Fischer Rdn. 5) sowie die Entführung eines fremden Säuglings durch eine Frau, die ihn als eigenes Kind aufzieht (Günther SK Rdn. 8). b) Die zweite Tatbestandsvariante verlangt, daß der Täter den Personenstand gegenüber einer zuständigen Behörde falsch angibt.

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aa) Eine falsche Angabe liegt vor, wenn der Täter der zuständigen Behörde Tatsachen mitteilt, die das familienrechtliche Verhältnis des anderen anders erscheinen läßt, als es in Wahrheit ist.46 Die Erklärung ist der Täuschungshandlung beim Betrug vergleichbar (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 15). Durch Unterlassen geschieht die Personenstandsfälschung in Form der Irreführung einer zuständigen Behörde vor allem durch Unterdrücken (vgl. Rdn. 25). Eine falsche Angabe durch Unterlassen liegt vor, wenn die Pflicht zu einer Familienstandsangabe besteht, diese der zuständigen Behörde gegenüber aber unterlassen wird (Ma urachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 16). Die für die strafrechtliche Praxis wichtigsten Anzeigepflichten sind neben denen nach dem Tod eines Menschen (§§ 32 ff PStG), die nach der Geburt eines Kindes (§§ 16ff PStG). Eine Geburt muß binnen einer Woche, eine Totgeburt oder das Versterben eines Kindes in der Geburt spätestens am folgenden Werktag angezeigt werden (§ 16 PStG). Verpflichtet dazu sind, von den Sonderfallen nach den §§ 18 ff PStG abgesehen, der Vater des Kindes, wenn er Mitinhaber der elterlichen Sorge ist (§ 17 Abs. 1 PStG), die Hebamme, die bei der Geburt zugegen war (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 PStG), der Arzt, der dabei zugegen war (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 PStG), jede andere Person, die dabei zugegen war oder von der Geburt aus eigener Wissenschaft unterrichtet ist (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 PStG) und die Mutter, sobald sie dazu imstande ist (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 PStG), wobei eine Anzeigepflicht nur dann besteht, wenn eine in der Reihenfolge früher genannte Person nicht vorhanden ist (§ 17 Abs. 2 PStG). Stets anzugeben ist auch der Name der Mutter (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG). Durch Unterlasen ist die Verwirklichung der zweiten Tatbestandsvariante weiter beispielsweise in der Weise möglich, daß die unrichtige Mitteilung eines Bevollmächtigten nicht berichtigt wird. Voraussetzung ist eine Garantenpflicht (§ 13), die dem Täter gegenüber der Behörde obliegen muß, nicht gegenüber der Person, deren Personenstand er falsch angibt (dazu näher Rdn. 25). bb) Angeben bedeutet, daß der Täter sich der Behörde gegenüber ausdrücklich erklärt (Günther SK Rdn. 14). Eine stillschweigende Erklärung genügt nicht (and. Frommel N K Rdn. 5; LacknertKühl Rdn. 3). Das folgt aus der begrifflichen Bedeutung des Wortes angeben. Sie schließt, im Unterschied zu der des Wortes unterdrücken der dritten Tatvariante (vgl. Rdn. 25), konkludentes Handeln aus (so im Ergebnis auch Günther SK Rdn. 14). Daher erfüllt die Schaffung bloß eines irreführenden tatsächlichen Zustandes, der zur Kenntnis der Behörde bestimmt ist und ihrer Auswertung unterliegt, den Tatbestand nicht. 47 Der Täter braucht die Erklärung

46

R G S t . 36 137; 70 273; O L G Köln N J W 1974 953, 954; Blei B T § 37 II 2; Günther S K R d n . 13; Sehl Schröder! Lenckner R d n . 5.

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Frommel N K R d n . 5; Günther SK R d n . 14; Lackneri Kühl R d n . 3; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 5.

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

nicht unbedingt in eigener Person abzugeben, sondern kann sich dazu auch eines Tatmittlers bedienen (Günther SK Rdn. 14; Tröndle!Fischer Rdn. 6). Doch muß er die Tatherrschaft innehaben, damit er Täter und nicht nur Teilnehmer ist (Maurach/ SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 18). 20

cc) Als falsch erweist sich eine Angabe, wenn sie den Personenstand anders darstellt, als er nach der Rechtslage ist. Der Rechtslage entspricht die Angabe auch dann, wenn der rechtlich ausgewiesene Personenstand von der biologischen Abstammung abweicht (Günther SK Rdn. 15), beispielsweise durch Anerkennung der Vaterschaft von einem anderen Mann als dem Erzeuger.48 Der Gesetzgeber hat diesen Widerspruch zugelassen (§ 1592 Nr. 2 BGB) und damit das Interesse des Kindes, dem eine solche Anerkennung regelmäßig entspricht, über das der Allgemeinheit an der Feststellung des Personenstandes (vgl. Rdn. 4) gestellt (vgl. auch Deichfuß Abstammungsrecht S. 60; Reinke S. 14). Diese Entscheidung des Gesetzgebers des Bürgerlichen Rechts hat das Strafrecht als vorrangig zu respektieren. Die Gegenmeinung ist inzwischen verstummt, obwohl sie sich immerhin auf die Auffassung der Rechtsprechung berufen konnte, daß eine Strafbarkeit der bewußt unwahren Anerkennung der Vaterschaft für ein nichteheliches Kind an sich nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn des § 169 entspricht, 49 aber auch praktische Argumente anzuführen vermochte, beispielsweise die Erfahrung, wonach die zur Anerkennung erforderliche Zustimmung des Kindes durch einen leicht zu täuschenden Pfleger, meist das Jugendamt, regelmäßig erteilt wird, von einem böswilligen Pfleger sogar durch üble Geldmanipulationen erkauft sein kann (so noch Tröndle46 Rdn. 6; vgl. auch Krüger Prot. VI/34 S. 1235). Das bedeutet, daß alle im Hinblick auf eine solche Anerkennung abgegebenen Erklärungen (Anzeigen nach § 29a PStG oder in mittelbarer Täterschaft nach den §§ 1594 BGB, 29 PStG) von der Strafbarkeit nach § 169 ausgenommen bleiben. 50 Auch mittelbare Falschbeurkundung (§ 271) scheidet aus. Die Erklärung in öffentlicher Urkunde beweist nur die Vaterschaftsanerkennung, nicht die Vaterschaft selbst, wie auch die Eintragung der Anerkennung im Geburtenregister nichts Unrichtiges beurkundet (so schon RGSt. 70 237, 238 f)· Ebenso wie die Anmeldung einer nicht der Wahrheit entsprechenden Anerkennung der Vaterschaft, ist die Anmeldung des von einem Dritten im Ehebruch gezeugten Kindes der Ehefrau als ehelich nicht strafbar. Auch hier wird nach den §§ 1591, 1593 BGB der Personenstand richtig angegeben.51 Nicht anders beurteilt sich schließlich die Anzeige der Geburt eines Kindes nach Ermöglichung der Schwangerschaft durch Übertragung einer fremden unbefruchteten Eizelle ungeachtet des in § 1 Abs. 1 ESchG (vgl. Rdn. 9 Fn. 22) sanktionierten Verbots dieser Fortpflanzungstechnik oder nach Einpflanzung eines fremden

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Die Gründe liegen zumeist in der persönlichen Beziehung zwischen dem Anerkennenden und der Mutter, können aber auch besonders gelagert sein, wie bei der Anerkennung der Vaterschaft eines kommerziell vermittelten nichtehelichen Kindes durch einen annahmebereiten verheirateten Mann (VG Frankfurt N J W 1988 3032, 3033). RGSt. 70 237; R G DJ 1937 1743; vgl. auch OLG Köln DAVorm. 57 (1974) 116, 118. Widerspruch hatte diese Rechtsprechung ersichtlich nicht gefunden (Goeschen Z R P 1972 109). Der E 1962 stützte auf sie seine Neufassung der Vorschrift (Begr. S. 3550·

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BTDrucks. VI/1552 S. 11; VI/3521 S. 11; Blei BT § 37 II 2; Rain. Frank FamRZ 1969 630; ZB1JR 59 (1972) 270; Frommel N K Rdn. 5; Günther SK Rdn. 15; Lackneri Kühl Rdn. 3; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 17; Otto BT § 65 I 2 a; Preisendanz Anm. 4 b; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7; Sturm JZ 1974 2; Tröndle!Fischer Rdn. 6; für § 169 a.F. schon Goeschen Z R P 1972 108. BTDrucks. VI/1552 S. 11; VI/3521 S. 11; Bottke S. 106; Frommel N K Rdn. 5; Günther SK Rdn. 15; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 17; Otto BT § 65 Rdn. 7; Sturm JZ 1974 2.

Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfälschung

§169

Embryos. Die Angabe, eine solche Kinder gebärende Frau sei die Mutter, widerspricht zwar der biologischen Abstammung, aber nicht der Rechtslage (Günther SK Rdn. 15). dd) Zuständig sind die Behörden, denen die Führung von Personenstandsbüchern 21 oder die Feststellung des Personenstandes obliegt. 52 Die Führung von Personenstandsbüchern ist Aufgabe des Standesbeamten (§ 1 Abs. 1 PStG). Er führt ein Heiratsbuch, ein Familienbuch, 53 ein Geburtenbuch und ein Sterbebuch (§ 1 Abs. 2 PStG). Das Familienbuch ist dazu bestimmt, den jeweiligen Personenstand der Familienangehörigen ersichtlich zu machen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 PStG). Zur Feststellung des Personenstandes zuständig sind diejenigen Behörden, denen es obliegt, durch Entscheidung von Rechtsangelegenheiten mit Wirkung für und gegen jedermann den Familienstand eines Menschen amtlich festzustellen, zu verändern oder bei einer Veränderung amtlich mitzuwirken (LackneriKühl Rdn. 4; ferner Frommel N K Rdn. 6). Das ist regelmäßig ebenfalls der Standesbeamte. Doch gehören auch die Gerichte als Behörden (§ 11 Abs. 1 Nr. 7) hierzu, soweit ihnen Feststellungsverfahren zugewiesen sind,54 so die familienrechtlichen Statussachen (vgl. §§ 1600d BGB, 631, 640 ZPO), vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen (z.B. nach den §§ 54, 607 Abs. 2 ZPO), die Ermittlungen und das Aufgebotsverfahren bei Todeserklärungen (§§ 2 Abs. 1, 9, 14 VerschG 55 ), die Anordnung der Berichtigung eines abgeschlossenen Eintrags im Familienbuch (§ 47 PStG) sowie die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (§§ 1, 8, 9 TSG 56 ). Hat eine Behörde nur Kompetenzen zur Ermittlung der Identität von Personen, oder besteht die Kompetenz einzig darin, den Personenstand als Voraussetzung anderer, nur zwischen den Parteien wirkenden Rechtsfragen zu prüfen, so reicht dies für die Annahme einer zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde im Sinne des § 169 nicht aus (Günther SK Rdn. 12). So liegt es bei den Gerichten in bloßen Unterhaltsstreitigkeiten, in denen ein Familienstand nicht mit Wirkung für und gegen jedermann festgestellt wird. 57 Aber auch falsche Angaben gegenüber der Umwelt sowie Täuschungen von Meldebehörden, Jugendämtern, der Polizei und Finanzämtern erfüllen den Tatbestand nicht, es sei denn, daß der Täter sich der betreffenden Stelle als Mittel zur Täuschung der zuständigen Behörde bedient (Horstkotte Prot. VI/34 S. 1233; Günther SK Rdn. 12; Lackneri Kühl Rdn. 5). Diese Behörden auszuschließen war ausdrückliches Anliegen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 11; Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 18). Die Möglichkeit einer Ahndung nach § 111 OWiG bleibt (vgl. schon Rdn. 5). ee) Gegenüber der zuständigen Behörde vorgenommen ist die Tathandlung nur 2 2 dann, wenn es sich bei der falschen Angabe oder dem vom Täter herbeigeführten irreführenden oder eine Personenstandsfeststellung erschwerenden Zustand um Tat-

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Durch dieses Erfordernis hat sich ein erheblicher Teil der Streitfragen zu § 169 a.F. (ausführlich dargestellt bei Heimann-Trosien LK9 Rdn. 12fT) erledigt (vgl. auch schon Rdn. 2). Zu dessen Einführung durch das neue deutsche Personenstandsgesetz Maßfeiler DJ 1937 1770 f. Frommel N K Rdn. 8; Günther SK Rdn. 12; LacknerlKühl Rdn. 5; Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 18; Sehl SchröderILenckner Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 6. Verschollenheitsgesetz (VerschG) i. d. F. vom 15.1.1951 (BGBl. I 63); zur Geltung im Gebiet

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der ehemaligen D D R vgl. die Regelung EV Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet Β Abschnitt III Nr. 9. Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG) vom 10.9.1980 (BGBl. I 1654). Frommel N K Rdn. 8; Günther SK Rdn. 12; Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 18; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 6; and. für § 169 a.F. RGSt. 77 51.

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

sachen handelt, die der Auswertung dieser Behörde unterliegen, zu deren Kenntnis bestimmt sind und so weit den Wahrnehmungsbereich der Behörde erreicht haben, daß sie Kenntnis nehmen kann. 5 8 23

ff) Bei den Fällen strafbarer Angabe des Personenstandes stehen seit je falsche Aussagen im Statusprozeß im Vordergrund, 59 insbesondere das Leugnen ihres Mehrverkehrs durch die nichteheliche Mutter mit der Behauptung, in der Empfängniszeit nur mit einem bestimmten Mann geschlechtlich verkehrt zu haben. 60 Damit hat sie nicht nur den wahren Vater verschwiegen, sondern durch Unterschieben eines anderen den Personenstand des Kindes verändert (Roxin Festschrift Engisch S. 402). Dem steht die Aufhebung des § 1717 a.F. BGB durch Art. 1 Nr. 25 NEhelG (vgl. Rdn. 10 Fn. 25) nicht entgegen, da der Mehrverkehr der nichtehelichen Mutter für den Wegfall der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung des § 1600d BGB (früher § 1600o BGB) nach wie vor relevant ist (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9). Weitere Fälle der Tatverwirklichung durch falsche Angaben sind die Anmeldung eines nichtehelichen Kindes als ehelich zum Geburtenregister (RGSt. 2 303; Schmidhäuser BT 13/4), die Benennung eines Unbeteiligten als Vater des Kindes durch die nichteheliche Mutter gegenüber dem Standesbeamten oder gegenüber dem Vormundschaftsrichter (RGSt. 41 301, 304; RG J W 1937 1792), die Bezeichnung der Verstorbenen als Witwe statt als wiederverheiratet bei der Anmeldung des Todesfalles beim Standesamt, weil mit solcher Bezeichnung der existente Witwer geleugnet wird (RG JW 1911 847; Schmidhäuser BT 13/4), die wahrheitswidrige Angabe im Antrag eines Ehegatten, den anderen, noch lebenden Ehegatten für tot zu erklären (OLG Kassel N J W 1949 518), die falsche Benennung der in den § § 1 , 8 , 9 T S G (vgl. Rdn. 21 mit Fn. 56) genannten Erfordernisse (Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7) und das Unterlassen der Anzeige der Geburt durch die nichteheliche Mutter, die heimlich ein Kind zur Welt bringt (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 16), da hier eine in der Reihenfolge früher verpflichtete Person (vgl. Rdn. 18) nicht vorhanden ist.61

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gg) Als Verhaltensweisen, die keine strafbare Angabe des Personenstandes sind, lassen sich neben den bereits erörterten Fällen der wahrheitswidrigen Anerkennung der Vaterschaft, der Anmeldung eines im Ehebruch gezeugten Kindes der Ehefrau als ehelich und der Gebärenden nach einer Ei- oder Embryonenspende als Mutter (Rdn. 20) die unrichtigen Angaben eines Zeugen bei seiner richterlichen Vernehmung zur Person, weil sie nicht den Personenstand eines anderen, sondern den eigenen Personenstand betreffen (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7; Tröndle!Fischer Rdn. 6), die falsche Angabe des Klägers in einem Rechtsstreit über das seiner geschiedenen Ehefrau übertragene Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder, daß er wiederverheiratet sei, wodurch mittelbar zwar auch der Personenstand eines anderen berührt wird, dies aber für das Sorgerechtsverfahren keine Bedeutung hat ( O L G Stuttgart N J W 1968 1341), das Einreichen einer pakistanischen Sterbeurkunde, die falschlich den Tod des Ehepartners bescheinigt, beim deutschen Standesbeamten, der unter keinem recht58

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LacknerlKühl Rdn. 5; ebenso Bohnert JuS 1977 748; Frommel N K Rdn. 8; Otto BT § 65 Rdn. 6; vgl. auch Rdn. 32. Die in der Vorauflage (Rdn. 18) mit einem Teil des Schrifttums (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9) vertretene Auffassung, daß darin eine Unterdrückung des Personenstandes liege, wird im Anschluß an die Mehrheitsmeinung (Frommel N K Rdn. 5; Günther SK Rdn. 16; LacknerlKühl

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Rdn. 3; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 19; Tröndle!Fischer Rdn. 6) aufgegeben. Z.B. RGSt. 72 113, 114; R G JW 1936 2994; 1937 469; 1937 1792; R G D R 1943 895; O L G München JW 1937 964. Zur Unterlassung der Anzeige der Mutter im Zusammenhang mit der Weggabe des Neugeborenen in eine Babyklappe Rdn. 27.

Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfalschung

§169

lichen Gesichtspunkt zur Feststellung des Personenstandes einer in Pakistan lebenden pakistanischen Staatsangehörigen zuständig ist (OLG Hamm NStZ § 169 Nr. 1), und die unrichtige Eintragung der Personalien in einem Hotel, da diese Angaben allenfalls zur Kenntnis der Meldebehörde oder der Polizei gelangen (SehlSchröder!Letickner Rdn. 7; TröndletFischer Rdn. 6; vgl. Rdn. 21) anführen. c) Bei der dritten Tatbestandsvariante muß der Täter den Personenstand gegenüber einer zuständigen Behörde unterdrücken.

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aa) Das Merkmal Unterdrücken erfaßt auf unrichtige Feststellungen des familiären Personenstandes abzielende Handlungen, die nicht falsche Angaben (Rdn. 18 bis 20) sind. Dabei wird ein Zustand herbeigeführt, der zumindest vorübergehend verhindert oder erschwert, daß das wirkliche familienrechtliche Verhältnis einer Person praktisch zur Geltung kommt. 62 Geschaffen wird eine tatsächliche Lage, aus der die Behörde dann unrichtige Schlüsse zieht oder überhaupt die wahre Lage nicht erkennt (Mäurach!Schroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 15). Dazu bedarf es nicht immer einer Täuschung (TröndletFischer Rdn. 7; vgl. auch RGSt. 22 283). Unterdrücken des Familienstandes kann, anders als seine falsche Angabe (vgl. Rdn. 19) durch konkludentes Handeln geschehen. Auch ist mittelbare Täterschaft möglich. Während falsche Angabe durch Unterlassen im wesentlichen nur die Fälle betrifft, in denen eine Person die Pflicht zu bestimmten Familienstandsangaben hat (vgl. Rdn. 18), erfaßt das Unterdrücken durch Unterlassen die Verstöße gegen alle darüber hinaus bestehenden Ofifenbarungspflichten. Einer solchen, einschränkenden, Pflicht bedarf es, weil sonst bei schlichtem Schweigen oder unsubstantiiertem, bewußt wahrheitswidrigem Bestreiten der Tatbestand des Unterdrückens wie ein Auffangstatbestand fungieren würde (Frommel N K Rdn. 6). Ob eine derartige Offenbarungspflicht auf einer Garantenstellung beruht, wonach der Täter dafür einzustehen hat, daß der Erfolg einer Personenstandsfalschung nicht eintritt (§ 13) ist umstritten. Überwiegend wird dies angenommen. 63 Die Gegenmeinung gelangt mit dem Ansatz, daß eine Privatperson einer Behörde gegenüber kein Garant sein könne, zu der Auffassung, der Tatbestand des Unterdrückens sei kein echtes Unterlassungsdelikt, sondern ein Pflichtdelikt, das nur durch Verletzung einer Rechtspflicht zur Aufklärung gegenüber der Behörde verwirklicht werden könne (MaurachlSchroeder/Maiwald 2 § 63 Rdn. 16). Gegen diese Konstruktion wird mit Recht eingewendet, daß sie einerseits mit den Voraussetzungen einer Garantenpflicht kraft Gesetzes übereinstimmt, andererseits aber den Nachteil hat, das Unterlassen dem positiven Tun gleichzustellen, aber dem Unterlassungstäter die weiteren Vergünstigungen des § 13 (Entsprechungsklausel, Möglichkeit der Strafmilderung) ohne plausiblen Grund zu versagen (Günther SK Rdn. 19). bb) Zuständige Behörden sind dieselben wie bei der Tatbestandsvariante der 2 6 falschen Angabe des Personenstandes. Daher gelten die Erläuterungen dort (Rdn. 21, 22) entsprechend. cc) Unter den Fällen der Unterdrückung des Personenstandes fällt der Blick vor allem auf diejenigen, die im Zusammenhang mit der Weggabe eines neugeborenen 62

RGSt. 39 255; 41 301, 304; 77 51; Frommel N K Rdn. 6; Günther SK Rdn. 17; Kindhäuser BT I § 4a 4.4; LacknerlKühl Rdn. 3; Maurachl Schroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 15; Preisendanz Anm. 3; Schmidhäuser BT 13/3; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 8; Stracke S. 35; Tröndlet Fischer Rdn. 7; Wachenfeld § 112 I 2.

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Frankel Helms FamRZ 2001 1341; Frommel N K Rdn. 6; Günther SK Rdn. 19; LacknerlKühl Rdn. 3; Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40; Neuheuser NStZ 2001 177; Otto BT § 65 Rdn. 4; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 7.

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§169

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Kindes stehen. Die bekannteste Verwirklichung besteht darin, daß die nichteheliche Mutter, die das Kind heimlich zur Welt bringt, sich nicht darauf beschränkt, die Anzeige der Geburt zu unterlassen (vgl. Rdn. 23), sondern das Kind in der Erwartung, es werde von den Findern mit unbekannter Herkunft bei der Ortspolizeibehörde gemeldet (§ 25 Abs. 1 Satz 1 PStG), aussetzt, etwa an der Klosterpforte, am Kirchenportal oder in der Bahnhofshalle (vgl. schon RG LZ 1916 330).64 Bei den Beratungen zum 4. StrRG hat dies Verhalten außergewöhnlich breite Beachtung gefunden, wobei unter dem Blickwinkel der vorgesehenen Neufassung des § 169 auch die Auffassung vertreten worden ist, daß die Handlung aus dem Tatbestand herausfallt (ζ. B. Prot. VI/34 S. 1238; VI/71 S. 2028ff, 2106). Nach zutreffender Auffassung liegt darin freilich eine in mittelbarer Täterschaft begangene Unterdrückung des Personenstandes (Frommel N K Rdn. 6; Günther SK Rdn. 18; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 18). Wird das Kind dabei schwerer Gefahr ausgesetzt, ist auch der Tatbestand der Aussetzung (§ 221) verwirklicht, was keineswegs, wie in der Vorauflage (Rdn. 19 Fn. 14) angenommen für § 169 ohne Bedeutung ist, weil das positive Tun dem Unterlassen vorgeht, Idealkonkurrenz statt Realkonkurrenz mit § 221 bestünde und eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 nicht mehr in Betracht käme (so mit Recht Günther SK Rdn. 18). Hiervon unterscheidet sich die Weggabe eines neugeborenen Kindes in eine Babyklappe (vgl. Rdn. 10 Fn. 30) einmal dadurch, daß das Kind keiner schweren Gefahr ausgesetzt wird, § 221 also ausscheidet, zum anderen aber auch insofern, als die Mutter schon wegen der, sachlich unzutreffenden, Werbung der Träger von Babyklappen, deren Nutzung ziehe keine Strafverfolgung nach sich (vgl. Neuheuser NStZ 2001 175) und der Zusicherung der Anonymität, anders als bei der Aussetzung gerade nicht davon ausgeht, der Fund des Kindes werde bei der Behörde angezeigt. Sie führt daher den Zustand, daß das familienrechtliche Verhältnis des Kindes nicht zur Geltung kommt, unmittelbar herbei. 65 Den Betreuern von Babyklappen steht, im Gegensatz zu dem Arzt, der den Samenspender einer heterogenen Insemination oder invitro-Befruchtung verschweigen darf (Rdn. 28), kein Zeugnisverweigerungsrecht, das hier die Anonymität der Mutter gewährleisten würde, zur Seite, und zwar selbst dann nicht, wenn sie zugleich Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3, 8 SchwangerschaftskonfliktG, 66 die das Zeugnis verweigern dürfen (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a ZPO), sind.67 Wohl spricht für die Wahrung der Anonymität, daß sie eher einen internen Kontakt der Betreuer mit der Mutter fördern kann {Frommel N K Rdn. 6). Schwerer wiegt jedoch das Interesse der Rechtsordnung, Neugeborenen als den schwächsten Gliedern der Gesellschaft Schutz zu gewähren (Neuheuser ZfL 11 [2002] 12f). Dazu muß ihre Existenz bekannt sein. Neben der Mutter begehen auch die Betreuer der Babyklappe, die entgegen ihrer Pflicht aus § 17 Abs. 1 Nr. 4

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Der E 1962 wollte diese Fälle durch den neuen Tatbestand des Verlassens eines Kindes (§ 197) erfassen (vgl. Vor § 169 Rdn. 6), dessen Unrechtsgehalt darin liegen sollte, daß die Bindungen zwischen dem Sorgeberechtigten und dem Kind jäh gelöst werden und das Kind dadurch einem ungewissen Schicksal überlassen bleibt (Begr. S. 351 f)· LG Köln ZfL 11 (2002) 22; Frank/Helms F a m R Z 2001 130, 142; Hepting FamRZ 2001 1574; Neuheuser NStZ 2001 177; ZfL 11 (2002) 12; Scheine Z R P 2001 370; AI/r. Wolf FPR 7 (2001) 348 f; abw. Frommel N K Rdn. 6 (Personenstandsunterdrückung durch Unterlassen

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in mittelbarer Täterschaft auch hier); and. Mittenzwei ZfL 9 (2000) 41 (primäre Anzeigepflicht der annehmenden Stelle, die gleichzeitig die Anzeigepflicht der Mutter wegen Nachrangigkeit entfallen läßt). Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz) vom 27.7.1992 (BGBl. I 1398). LG Köln ZfL 11 (2002) 22; Neuheuser ZfL 10 (2001) 62; 11 (2002) 12; Alfr. Wolf F P R 7 (2001) 345; vgl. auch Frank/Helms FamRZ 2001 1341 f; and. Frommel N K Rdn. 6; Mittenzwei ZfL 9 (2000)41.

Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfälschung

§169

2. Alt. PStG die Anzeige unterlassen, eine Personenstandsunterdrückung (and. Bärlein/Rixen Kriminalistik 2001 55). Ebenso, wie ihnen das Recht versagt ist, das Zeugnis zu verweigern, steht ihnen auch kein ihr eigenes Unterlassen rechtfertigender Grund zur Seite (and. Frommel NK Rdn. 6). Beihilfe der Betreuer zur Personenstandsunterdrückung der Mutter scheitert mangels einer Unterstützungshandlung allerdings schon am objektiven Tatbestand (Neuheuser NStZ 2001 177).68 Weitere Beispiele einer Unterdrückung des Personenstandes sind das Aufrechterhalten eines Antrags auf Todeserklärung, nachdem der Täter erfahren hat, daß der Betroffene noch lebt (vgl. OLG Kassel NJW 1949 518), die Anmeldung eines Kindes als ehelich, dessen Mutter die zur Zeit der Geburt unverheiratete Schwester der Ehefrau ist (vgl. BayObLG DAVorm. 62 [1979] 49) und das Bewirken der Blutentnahme bei einem anderen im Feststellungsverfahren nach § 1600d BGB (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951 37). cc) Von den Fällen, die keine Unterdrückung des Personenstandes sind, verdient 2 8 das Schweigen der nichtehelichen Mutter über den Vater des Kindes, seit langem69 die häufigste Verhaltensweise in diesem Zusammenhang, 70 der Hervorhebung. Gegenüber dem Standesbeamten braucht die nichteheliche Mutter den Vater des Kindes nicht anzugeben, weil § 17 Abs. 1 Nr. 5 PStG vorschreibt, die Geburt anzuzeigen, nicht aber auch, die Identität des Vaters zu offenbaren (Günther SK Rdn. 20; vgl. auch Roxin Festschrift Engisch S. 401). Ob sie im gerichtlichen Verfahren straflos schweigen darf, war bis zur Neufassung des § 169 umstritten.71 Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die nichteheliche Mutter zwar der zivilprozessualen Pflicht zur Offenbarung unterfallt, diese aber durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 Nr. 2, gegebenenfalls auch das des § 384 Nr. 2 ZPO, entfallen kann.72 Dies gilt auch für „qualifiziertes Schweigen" (Roxin Festschrift Engisch S. 401), wie es darin liegt, 6S

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Zur möglichen Strafbarkeit der Mutter auch wegen Verletzung der Unterhaltspflicht und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht vgl. § 170 Rdn. 45 und § 171 Rdn. 10. Vgl. die historischen Rückblicke (bis hin zu dem im 14. bis 18. Jahrhundert im deutschen Recht verbreiteten „Aufschwören") bei Brüggemann S. 6; Frank!Helms FamRZ 1997 1258; Kleineke S. 143 f. Zu den denkbaren Motiven der Mutter vgl. schon Schulte Langforth ZB1JR 29 (1937/38) 374f; ferner Brüggemann S. 8f; Kleineke S. 136ff. Das Reichsgericht hat die eine Strafbarkeit voraussetzende Offenbarungspflicht der nichtehelichen Mutter grundsätzlich bejaht (RGSt. 72 214, 215; vgl. auch RGZ 169 48). Sonst ist eine solche Pflicht von der Rechtsprechung aber auch verneint oder doch angenommen worden, daß sie ebenfalls dem Kind gegenüber bestehe (z.B. BGH FamRZ 1959 16 mit abl. Anm. Bosch-, BayObLG FamRZ 1963 527; OLG Celle NdsRpfl. 1968 282; O L G Düsseldorf H R R 1940 73; KG D R 1940 1848; OLG Karlsruhe M D R 1961 505; LG Mannheim N J W 1970 150 mit krit. Anm. Klunzinger N J W 1970 712). Dem haben sich im Schrifttum einige Autoren angeschlossen (z. B. J. Baumann FamRZ 1957 236; StAZ 1958 225; Frank Anm. 2; Kohlrauschl

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Lange Anm. IV). Andere sind mit dem Reichsgericht für eine grundsätzlich bestehende Pflicht zur Offenbarung eingetreten (z. B. Krüger S. 347 f; Lange JW 1937 597; Maurach BT § 49 II A 2; Niethammer I Hauptstück H 2b 2; Sauer BT §17 II 2b; Wachenfeld § 112 I 2; v. Olshausen Anm. 5), teilweise sogar uneingeschränkt, also unabhängig davon, ob die Mutter auf Grund gesetzlicher Vorschriften (z. B. §§ 348 Nr. 2 ZPO, 15 F G G ) das Recht hat, vor Gericht die Aussage über den Vater zu verweigern (so HeimannTrosien L K 9 Rdn. 16 mit eingehender Begründung). Vgl. auch die ausführliche Analyse der Rechtsprechung und des Schrifttums zu § 169 a. F. bei Brüggemann (S. 34ff). Speziell zum Sach- und Streitstand vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens Maier M D R 1971 883 ff; dazu Blei JA 1972 14. 72

J. Baumann Strafbarkeit S. 178 mit Fn. 5; Festschrift Arth. Kaufmann S. 539; Blei BT § 37 II 2; Bottke S. 106; Frommel N K Rdn. 18; Günther SK Rdn. 20; LacknerlKühl Rdn. 3; Mast UJ 2 (1950) 415; Preisendanz Anm. 4 c; Schmidhäuser BT 13/4; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9; Tröndle/ Fischer Rdn. 7; vgl. auch BTDrucks. VI/3521 S. 12; Maier M D R 1971 883ff; im Ergebnis (die Mutter ist nicht Garantin gegenüber der Behörde) auch Otto BT § 65 Rdn. 7.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

daß die Mutter sich nicht mit dem Schweigen begnügt, sondern wahrheitswidrig angibt, sie habe in der Empfangniszeit mit mehreren Männern verkehrt und kenne den Vater nicht (vgl. auch RGSt. 70 18; Lange JW 1937 597), weil die tatsächlichen Wirkungen diese Verhaltens über die passive Informationsverweigerung nicht hinausgehen, es daher rechtlich, obwohl aktives Handeln, straflosem Unterlassen gleichkommt (Maurach BT § 49 II A 2; Roxin Festschrift Engisch S. 403). Im Ergebnis nicht anders zu sehen ist das bewußt wahrheitswidrige, aber völlig unsubstantiierte Bestreiten, etwa in Form der Verneinung der Frage nach Mehrverkehr, (SehlSchröder/ Lenckner Rdn. 9). Neu in diesem Problemkreis ist der Fall des Arztes, der den Samenspender einer heterologen Insemination oder in-vitro-Befruchtung verschweigt. Auch ihm steht, wie der nichtehelichen Mutter, ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite, im Zivilprozeß das des § 883 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, im Strafprozeß das des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Er unterdrückt daher den Personenstand des Kindes solange nicht durch Unterlassen, wie die Mutter und der Samenspender ihn nicht von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden. 73 Der Anspruch des Kindes auf Kenntnis seiner biologischen Abstammung (dazu Rdn. 10 mit Fn. 24) steht, weil § 169 den Familienstand in erster Linie im Interesse der Allgemeinheit schützt (vgl. Rdn. 4), alldem nicht entgegen. 74 29

III. Die Rechtswidrigkeit wird durch die Einwilligung der Person, deren Familienstand falsch angegeben oder unterdrückt wird, nicht ausgeschlossen. Auch dies folgt aus dem Schutzzweck des § 169, der dem Interesse des Einzelnen an der Feststellung des Personenstandes nur mittelbar dient (Rdn. 4). Das Einverständnis der betroffenen Person kann daher wegen fehlender Disponibilität keine rechtfertigende Wirkung entfalten. 75 Ebenso steht den Betreuern einer Babyklappe, die ihrer Pflicht, die Geburt des ihnen übergebenen Kindes anzuzeigen, nicht nachkommen und dadurch eine Personenstandsunterdrückung begehen, kein Rechtfertigungsgrund zur Seite (vgl. schon Rdn. 27).

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IV. Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, 76 wobei bedingter Vorsatz genügt. 77 Der Vorsatz muß darauf gerichtet sein, durch das Unterschieben, die falsche Angabe oder die Unterdrückung die praktische Wirksamkeit des familienrechtlichen Verhältnisses des anderen auszuschließen oder zu hindern (RGSt. 39 255; 77 51; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 9). Eine dauernde Beeinträchtigung braucht nicht beabsichtigt zu sein (RG DJ 1937 1680). Die Absicht, den Zustand später aufzuheben, hindert die Strafbarkeit nicht (RGSt. 36 137; RG G A 53

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FrommeI N K Rdn. 6; Günther SK Rdn. 20; Lackneri Kühl Rdn. 3; ferner BTDrucks. VI/3521 S. 12; im Ergebnis (keine Garantenstellung des Arztes gegenüber der Behörde) auch Otto BT § 65 Rdn. 7; zweifelnd Hanack N J W 1994 2. J. Baumann Festschrift Arth. Kaufmann S. 538; Günther SK Rdn. 20; LacknerlKühl Rdn. 3; vgl. auch BTDrucks. VI/3521 S. 12; and. K. Müller FamRZ 1986 637. BTDrucks. VI/3521 S.10; Allfeld § 89 A III; J. Baumann StAZ 1958 225; Bottke S. 106; Frommel N K Rdn. 2; Günther SK Rdn. 5; Joecks Rdn. 1; LacknerlKühl Rdn. 1; Niethammer I Hauptstück Κ 2a 3; v. Olshausen Anm. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 2; Welzel Strafrecht § 63

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Strenger der Vorschlag des AE, der wissentliches Handeln verlangt, um zu erreichen, daß nur die gezielt auf eine Verfälschung der familienrechtlichen Abstammung gerichtete Tat der Vorschrift unterliegt, nicht aber schon die oft vielleicht nur mit bedingtem Vorsatz begangene Täuschung einer Behörde (Begr. S. 72). R G LZ 1914 870; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951 37; BTDrucks. VI/3521 S. 12; Frommel N K Rdn. 9; Günther SK Rdn. 21; LacknerlKühl Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 21; Preisendanz Anm. 5; Schmidhäuser BT 13/5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 9.

I 1. Stand: 1. 7. 2003

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Personenstandsfalschung

§169

65; RG DJ 1937 1680). Bei der zweiten und dritten Alternative muß sich der Vorsatz auf die Kenntnis der Zuständigkeit der Behörde erstrecken.78 Dafür genügt Bedeutungskenntnis durch Parallelbeurteilung in der Laiensphäre (Maurach/Schroeder/ Maiwald 2 § 63 Rdn. 21). Zum Vorsatz gehört auch, die Kenntnisnahme der Behörde anzustreben (vgl. Rdn. 22), wobei insoweit ebenfalls bedingter Vorsatz ausreicht (einschränkend Frommel NK Rdn. 1; Lackneri Kühl Rdn. 3). Der Vorsatz wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß für den Täter Vermögensinteressen, auch fremdnützige, im Vordergrund stehen.79 Allerdings ist von der Rechtsprechung der Vorsatz in Fällen verneint worden, in denen es der nichtehelichen Mutter nur darum ging, Unterhalt für ihr Kind zu erlangen.80 So verständlich diese Entscheidungen im Ergebnis sind, bleiben sie dogmatisch jedoch bedenklich, weil sich in diesen Fällen der mindestens bedingte Vorsatz auch auf die Familienstandsfolgen erstreckt haben dürfte (Maurach BT § 48 II A 1; ebenfalls krit. Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 19). Eine vertretbare Lösung könnte darin liegen, für die Fälle ausschließlich dieser Motivation direkten Vorsatz zu verlangen (so auch Maurach BT § 49 II A 1). V. Ein Irrtum über normative Merkmale des Tatbestandes, den Familienstand, die 31 Unrichtigkeit der Angabe, die zuständige Behörde, beseitigt den Vorsatz (Frommel NK Rdn. 10) und zwar auch dann, wenn der Täter trotz zutreffender Kenntnis der Tatumstände den Bedeutungsinhalt des Merkmals in seiner laienhaften Parallelwertung verkennt (Günther SK Rdn. 22). Anders liegt es bei einem Täter, der irrelevante Umstände als zum Familienstand gehörend bewertet, eine richtige Angabe als falsch einschätzt oder eine zuständig Behörde als unzuständige einstuft, sich also in einem umgekehrten Subsumtionsirrtum befindet. Das ist bloßes Wahndelikt (Günther SK Rdn. 22; Otto BT § 65 Rdn. 7; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 11). Demgegenüber handelt ein Unterlassungstäter, der sich in Kenntnis der sie begründenden Tatumstände über die Anmeldepflicht irrt, in einem Verbotsirrtum. 81 Dasselbe gilt für die Mutter, die infolge der Werbung der Betreiber von Babyklappen, deren Nutzung ziehe keine Strafverfolgung nach sich, im Glauben, sich nicht strafbar zu machen, die Anmeldung des heimlich geborenen und weggegebenen Kindes unterläßt (vgl. schon Rdn. 27). VI. Die Tat ist vollendet mit dem Eintritt eines Zustandes, der den Personenstand 3 2 des anderen als unrichtig erscheinen läßt (OLG Kassel NJW 1949 518; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11). Das bewirkt bei der ersten Tatvariante bereits das Gelingen der Täuschung (RGSt. 36 137; TröndlelFischer Rdn. 5; MaurachlSchroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 22). Weniger deutlich tritt der Zeitpunkt der Vollendung bei der zweiten und dritten Tatvariante hervor. Der Umschreibung „falsch angibt oder unterdrückt" läßt sich kein Anhalt dafür entnehmen. Die Wendung „falsch angibt" kann bedeuten, daß der Vollendungszeitpunkt bereits mit einem entsprechenden Täterhandeln gegeben ist, läßt aber offen, ob ein zusätzlicher Erfolg hinzukommen muß. Da § 169 seiner Struktur nach ein Gefahrdungsdelikt ist (MaurachlSchroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 22), wird für die Vollendung der zweiten Tatvariante schon der bloße Zugang der falschen 78

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Günther SK Rdn. 21; Joecks Rdn. 4; Otto BT § 63 Rdn. 5; Schmidhäuser BT 13/5; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 10; Tröndlel Fischer Rdn. 9; vgl. auch schon Rdn. 2 mit Fn. 8. Günther SK Rdn. 21; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 21; Preisendanz Anm. 5; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10; vgl. auch RG JW 1937 469. Z.B. RGSt. 72 113; 77 51; RG JW 1938 1835

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mit abl. Anm. Schaffstein. Vgl. dagegen RGSt. 70 18, wo die nichteheliche Mutter bezweckte, das geschlechtsintime Verhältnis zu ihrem Vater zu verschleiern. Frommel N K Rdn. 10; Günther SK Rdn. 22; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10 mit Sch/SchröderlCramerISternberg-Lieben § 15 Rdn. 93 ff; vgl. auch schon Rdn. 22.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Angabe bei der zuständigen Behörde genügen, weil sie bereits damit ihrer Kenntnis und Auswertung unterliegt. 82 Bei der dritten Tatvariante ist die Tat in der Regel mit dem Unterlassen der gebotenen Anmeldung zur zumutbaren Zeit vollendet. 83 Im übrigen ist nicht erforderlich, daß die Feststellbarkeit verhindert wird oder eine Verhinderung einige Zeit dauert (RGSt. 10 135, 137; 34 24, 25; 36 137; TröndlelFischer Rdn. 8). Nach R G LZ 1916 330 soll eine ganz vorübergehende Täuschung, die von vornherein in absehbarer Weise begrenzt war, jedoch nicht genügen (vgl. HeimannTrosien L K 9 Rdn. 8). 33

VII. Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Er erfordert im Falle der zweiten Tatvariante Handlungen, die den in Absatz 1 genannten Behörden gegenüber vorgenommen werden, wobei die Eintragung der falschen Angaben durch den Standesbeamten aber unterbleibt. Der untaugliche Versuch ist, sofern es sich dabei nicht um einen umgekehrten Subsumtionsirrtum (Rdn. 31) handelt (SehlSchröder!Lenckrter Rdn. 11), strafbar, bei der zweiten und dritten Alternative auch bei irriger Annahme der Zuständigkeit. 84 Beendet ist der Versuch beispielsweise, wenn der Täter, der einen Antrag auf Todeserklärung weiterbetreibt, zu diesem Zeitpunkt weiß, daß die betreffende Person noch lebt (OLG Kassel N J W 1949 519).

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VIII. Täterschaft und Teilnahme sind weitgehend unproblematisch. Bei der Unterdrückung des Personenstandes eines nichtehelichen Kindes kommt Mittäterschaft in Betracht. Hier kann neben der Mutter auch der Vater Täter sein (RG D R 1944 441; O L G Oldenburg NdsRpfl. 1951 37). F ü r einen Dritten ist nach Beendigung der Tat nur noch Begünstigung, aber keine Beihilfe mehr möglich (RGSt. 23 292; Frommel N K Rdn. 11).

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IX. Die Verjährung setzt am Vollendungszeitpunkt an. D a die Tat Zustandsdelikt, nicht Dauerdelikt ist (dazu Rdn. 3), schafft sie fortwirkend einen rechtswidrigen Zustand, ist mit ihrer tatbestandlichen Vollendung, spätestens bei der Begründung des rechtswidrigen Zustandes in Gestalt fehlerhafter Registrierung des Familienstandes (Günther SK Rdn. 23), aber auch abgeschlossen. A b diesem Zeitpunkt beginnt die Verjährung. Insofern ist der Zeitpunkt der Beendigung des Zustandes unerheblich (Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 23). Wiederholungen der Tat verwirklichen den Tatbestand trotz einer bereits eingetretenen Fälschungswirkung neu. 85 Keine erneute Verwirklichung der Tat liegt vor, wenn der Täter, der die falsche Registrierung des Personenstandes bewirkt hat, nur solche Handlungen vornimmt, die der Aufrechterhaltung dieses Zustandes dienen. Es handelt sich insoweit um mitbestrafte Nach-

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Frommel N K Rdn. 11; Günther SK Rdn. 14; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 22; Sch/SchröderILenckner Rdn. 11; vgl. auch schon Rdn. 22. Tröndlel Fischer Rdn. 7 unter Hinweis auf § 17 Abs. 1 Nr. 5 PStG; sachlich ebenso Maurach/ Schroederl Maiwald 2 unter Anknüpfung an die Fristen, die das jeweilige Gesetz für die Mitteilung an die Behörde zubilligt (§ 63 Rdn. 22). Vgl. aber auch R G G A 50 107, wo das Vorzeigen eines Kindes unter Mitteilung eines falschen Personenstandes noch als straflose Vorbereitungshandlung gewertet wird; krit. dazu Heimann-Trosien L K 9 mit Hinweis auf den ver-

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gleichbaren Fall RGSt. 36 137, bei dem nicht einmal nur Versuch, sondern Vollendung angenommen worden ist. Frommel N K Rdn. 11; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 11; Tröndlel Fischer Rdn. 8; and. Schmidhäuser BT 13/5. RGSt. 34 36; 40 402; R G LZ 1915 56; RG DJ 1937 1743; O L G Nürnberg M D R 1951 119; O L G Oldenburg NdsRpfl. 1951 37; Günther SK Rdn. 24; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 23; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11; vgl. auch RGSt. 39 252, 255 (neuerliche Unterdrückung durch einen anderen Täter).

Stand: 1. 7. 2003

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Verletzung der U n t e r h a l t s p f l i c h t

§170

taten. 86 Der wiederholte Angriff auf das geschützte Rechtsgut setzt eine neue Verjährungsfrist in Lauf (RGSt. 40 402; Frank Anm. V; v. Olshausen Anm. 14). X. Bei den Konkurrenzen steht tateinheitliches Zusammentreffen im Vordergrund. 3 6 In der ersten Tatvariante ist Tateinheit mit § 235 möglich, in der zweiten und dritten Tatvariante mit § 267.87 Im übrigen kommt Tateinheit namentlich mit § 271 in Betracht, 88 soweit es sich um Angaben im Statusprozeß handelt, nicht jedoch um solche gegenüber dem Standesbeamten (RGSt. 70 238; Frommel N K Rdn. 13; TröndlelFischer Rdn. 10). Sie ist ferner möglich mit den §§ 153 bis 156,89 mit § 173 hinsichtlich des die Wahrheit verschweigenden Mitbeschuldigten (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 24) sowie bei der Weggabe eines neugeborenen Kindes mit § 221 90 und §§ 170, 171 (vgl. Rdn. 27, § 170 Rdn. 45, § 171 Rdn. 10). Durch die Tötungsdelikte wird § 169 konsumiert (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 24). Zugleich verwirklichte Verstöße gegen §68 PStG werden durch § 21 Abs. 1 OWiG verdrängt (vgl. dazu schon Rdn. 5). Die Annahme von Fortsetzungszusammenhang scheidet aus (Günther SK Rdn. 24; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11). Eine Verbindung mehrerer Verhaltensweisen, die jede für sich einen Straftatbestand erfüllen, zu einer fortgesetzten Handlung, ist seit dem grundsätzlichen Verzicht auf das Institut durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGHSt. [GrSSt.] 40 138) nur noch gerechtfertigt, wenn dies, was sich am Straftatbestand mißt, zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich erscheint. Hiervon kann bei den Straftaten nach § 169 keine Rede sein.

§170

Verletzung der Unterhaltspflicht (1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer einer Schwangeren zum Unterhalt verpflichtet ist und ihr diesen Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Allgemein Albrecht P. W a n n b e r u h t die Vernachlässigung v o n U n t e r s t ü t z u n g s p f l i c h t e n a u f b ö s e m Willen? S J Z 72 (1976) 223; Amelunxen Die Verletzung der U n t e r h a l t s p f l i c h t des unehelichen Vaters 86

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Fromme! N K Rdn. 13; Günther SK Rdn. 24; ähnlich MaurachlSchroederlMaiwald 2, solche erneuten Tatbestandsverwirklichungen der ersten Tat seien der ersten Tat gegenüber subsidiär (§ 63 Rdn. 23). Frommel N K Rdn. 1; Günther SK Rdn. 25; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 25; Tröndlel Fischer Rdn. 10. RGSt. 10 88; 25 188; RG LZ 1915 56; Bottke S. 107; Frank Anm. VII; Joecks Rdn. 5; Kohlrau.ich! Lange Anm. VI; MaurachlSchroederl

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Maiwald 2 § 63 Rdn. 23; Sauer BT § 17 II 2 b; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 12; and. Stracke S. 58; vgl. auch schon Rdn. 12. Günther SK Rdn. 25; Pfeiffer/MaullSchulte Anm. 2; Preisendanz Anm. 6; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 12. RG LZ 1916 330; Frank Anm. VII; Günther SK Rdn. 18, 25; MaurachlSchroederl Mailwald 2 § 63 Rdn. 23; vgl. auch schon Rdn. 27 ; and. Frommel N K Rdn. 13; TröndlelFischer Rdn. 10.

Karlhans Dippel

§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

vom strafrechtlichen und armenpolizeilichen Standpunkt, Diss. Erlangen 1914; Baumann J. Strafbare Zahlvaterschaft, FamRZ 1957 234; Baums Der Unterhaltsanspruch als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut (§ 170 b StGB), Diss. Köln 1954; Becker Walt. Verletzung der Unterhaltspflichten, Rpfleger 1953 290; Becker Walt. Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht, N J W 1955 1906; Becker Walt. Unterhaltspflichtverletzungen, NDV 36 (1956) 306, 334; Beckmann Fristenregelung mit Beratungsangebot - Anspruch und Wirklichkeit der neuen Abtreibungsregelung, ZfL 4 (1995) 24; Bode Zur Strafbarkeit der Unterhaltspflichtentziehung, NJW 1955 1588; Bode Strafbare Verletzung der „Zahlvaterpflicht"? NJW 1956 1428; Boehmer Das Problem der Brautkinder im deutschen und schweizerischen Recht, N J W 1963 1945; Bosch F. W. Einführung in das neue „Nichtehelichenrecht", F a m R Z 1969 505; Bretzfeld Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht, BayZ 7 (1911) 417; Bruns H.-J. Unterhaltspflichtverletzung und Gleichberechtigung, FamRZ 1959 129; Bruns H.-J. Leitfaden des Strafzumessungsrechts (1980) - zit.: H.-J. Bruns Leitfaden; Bruns H.-J. Grundprobleme der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung (§ 14 StGB, § 9 OWiG), GA 1982 1; Burghart Der Schutz des Unterhaltsanspruchs im geltenden und im kommenden Strafrecht, Z f H 34 (1929) 257; Büttner S. Zur unehelichen Vaterschaft, ZZP 1958 1; Büttner H. Was im Abstammungsverfahren zu beachten ist, F F E 3 (2000) 13; Clerc De la violation d'une obligation d'entretien, RPS 56 (1942) 378; Dedes Die Arten der Unterlassungsdelikte, G A 1977 230; Demann Die Verletzung der Unterhaltspflicht als strafbare Handlung (§ 361 Ziff. 5 und 10 RStG.), Diss. Freiburg i.Br. 1928; Eckstein M. Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 361 10 R.-St.-G.-B.), StrafrAbh. 45 (1903); Eggert Der strafrechtliche Schutz des gesetzlichen Unterhaltsanspruches, Diss. Bonn 1973 - zit.: Eggert Schutz; Ehrbeck Der Straftatbestand der Unterhaltsentziehung aus rechtsvergleichender Sicht, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 941 (1990); Eisner Die letzten zivil- und öffentlichrechtlichen Mittel gegen böswillige Unterhaltspflichtige, Beiträge zur Jugendhilfe Heft 1 3. Aufl. (1932); Geerds Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht (1961); Geppert Zur Problematik des § 50 Abs. 2 StGB im Rahmen der Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, ZStW 82 (1970) 40; Geppert Zum Geltungsbereich des § 170 b StGB bei Unterhaltspflichtverletzungen zum Nachteil von DDR-Bürgern, JR 1988 221; GitterlHahn-Kemmler Die Verdrängung des Zivilrechts durch das Sozialrecht - dargestellt am Unterhaltsrecht, SGB 26 (1979) 195; Göppinger Die Reform des Rechts der nichtehelichen Kinder, JR 1969 401; Göppinger Die Neuregelung der rechtlichen Stellung der nichtehelichen Kinder, DRiZ 1970 141, 177; Gössel Das Rechtsgut als ungeschriebenes strafbarkeitseinschränkendes Tatbestandsmerkmal, Festschrift für Dietrich Oehler (1985) 97; Gotting Die Bedeutung der gesetzlichen Strafrahmen für die Strafzumessung, NStZ 1998 542; Grosch/HahnlSchultze-Petzold/v.Rozycki-v.Hoewel Strafrechtlicher Schutz des Unterhaltsanspruchs, D R 1939 300; Hansen Le délit de violation d'une obligation d'entretien Article 217 du Code pénal suisse avec des considérations de droit comparé, Études de droit criminel suisse Vol. 9 (1955); Heimann-Trosien Zur Übergangsregelung des Art. 12 § 3 NEhelG, JR 1976 235; Heinitz Der Irrtum des Täters über die Rechtspflicht zum Handeln bei den echten Unterlassungsdelikten, JR 1959 285; Heinle/ Wawrzyniak § 170 b StGB zum Schutz des Unterhaltsgläubigers unersetzlich! DAVorm. 68 (1995) 1017; Herían Ist die Strafverfolgung bei Unterhaltspflichtverletzung gemäß § 170 StGB gewährleistet oder gibt der Staat das Heft aus der Hand? DAVorm. 72 (1999) 81; v. Hippel Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu (§§ 361 Nr. 3-5, 7, 8 und 10 RstrGB), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. II (1906) 107 - zit.: v. Hippel VDB; Huber Das Bundeserziehungsgeld nach neuem Recht - Rechtslage ab 2001, N Z A 17 (2000) 1319; Ihm Die wegen Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach § 170b StGB im Bezirk des Amtsgerichts Freiburg i.Br. in den Jahren 1950 bis 1956 abgeurteilten Täter, Diss. Freiburg i. Br. 1965; Jungclaussen Der strafrechtliche Schutz der Unterhaltsansprüche, Diss. Tübingen 1946; Katzenmeier Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten nach Art. 217 Schw.StGB: unter vergleichender Berücksichtigung des Deutschen Rechts, Diss. Basel 1968; Kaufmann Arm. Die Dogmatik der Unterhaltsdelikte (1959); Kaufmann F. Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b Strafgesetzbuch), DAVorm. 54 (1981) 539; Kirchmeier Einführung in das Vaterschaftsfeststellungsverfahren, FPR 8 (2002) 370; Klee Die Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943, Z A k D R 1943 88; Klinkhardt Eine verkürzte Ehelichkeitsanfechtung, das Vaterschaftsstatut und die Vorfrage, ZRPrax. 6 (1986) 21; Klussmann Strafbarkeit des vorrangig Unterhaltsverpflichteten nach § 170b StGB bei öffentlichen Sozialleistungen, M D R 1973, 457; Knobloch Verletzung

Stand: 1.7.2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

der Unterhaltspflicht, DJ 1939 296; Koch H.-J. Der Tatbestand des § 170 b StGB in der Praxis, ZB1JR 56 (1969) 8; Kohlhaas Die Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170b StGB, UJ 10 (1958) 69; Kraemer Nichterfüllung staatlicher Erstattungsansprüche als strafbare Unterhaltspflichtverletzung? NJW 1973 793; Krause E. Die vorläufige Einstellung von Strafverfahren praeter legem, G A 1969 97; v. Krog Unterhaltspflicht und verschuldete Leistungsunfähigkeit, FamRZ 1984 539; Kunz Ist die Strafbewehrung der Unterhaltspflicht auch auf Ausländer anwendbar? NJW 1977 2004; Kunz Der BGH zum strafrechtlichen Unterhaltsschutz des § 170 b StGB bei Ausländern, NJW 1980 1201; Kunz Zum Geltungsbereich des § 170b StGB, N J W 1987 881; Kunz Schutz der Individualinteressen durch § 170 b StGB auch im Ausland? NJW 1995 1519; Lange Herrn. Das neue Nichtehelichenrecht, NJW 1970 297; Latka-Jöhring Immer mehr Väter auf der Flucht, DAVorm. 66 (1993) 17; Leonhardt Strafanzeigen wegen Unterhaltspflichtverletzung, DAVorm. 73 (2000) 850; Leonhardt § 170 StGB - die unendliche Geschichte, JAmt 74 (2001) 322; Mattmer Der Straftatbestand der Unterhaltspflichtverletzung, NJW 1967 1593; Matzke Zur Tatbestandserfüllung des § 170 b StGB bei zivilrechtlich noch nicht festgestellter nichtehelicher Vaterschaft, DAVorm. 51 (1980) 709; Meyer Die Vernachlässigung von Unterhalts- und Unterstützungspflichten, StGB Art. 217, Diss. Zürich 1944; Michels Der strafrechtliche Schutz der Unterhaltspflicht, Diss. Halle-Wittenberg 1938; Mittelbach Die Verletzung der Unterhaltspflicht als Straftatbestand, M D R 1957 65; Mittelbach Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB), DRiZ 1957 215; Mittelbach Zur Problematik des § 170b StGB, M D R 1958 470; Müller J. A. Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten im Sinne von Art. 217 StrGB, SZStr. 82 (1966) 254; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. (2000 ff) - zit.: MiinchKommBGB/Bearbeiter; Neudek Zur Problematik der strafbaren Verletzung der Unterhaltspflicht, Diss. München 1965; Oehler Umgrenzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht in § 170b StGB, FamRZ 1959 489; Ostermann Strafjustiz als Büttel der Jugendämter, Z R P 1995 204; Otto H. Die strafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, Jura 1996 135; Peschel-Gutzeit Kinderrechteverbesserungsgesetz - KindRVerbG - vom 9.4.2002, FPR 8 (2002) 285; Pfeiffer Zur Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b StGB), ZfSh. 8 (1969) 402; Pucandl Strafbare Verletzung von Unterhaltspflichten (1994); Quantius Die Elternschaftsanfechtung durch das künstlich gezeugte Kind, FamRZ 1998 1145; RGRK-BGB Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl. (1974fï) - zit.: RGKKJ Bearbeiter, Renggli Die Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 217 StGB), Diss. Zürich 1943; Riegner § 170b StGB und die gleichrangige Unterhaltspflicht der Eltern, NJW 1960 1437; Rieß Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ 1981 2; Rößler Verletzung der Unterhaltspflicht, JW 1937 2496; Roos Der Beistand und die Staatsanwaltschaft, JAmt. 74 (2001) 269; Roxin Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht, JuS 1964 373; v. Rozycki-v. Hoewel Strafrechtlicher Schutz des Unterhaltsanspruchs, D R 1938 200; SchellhornlSchellhorn Das Bundessozialhilfegesetz, 16. Aufl. (2002); Schläger Operationspflicht, LZ 1931 680; Schlüchter Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialprinzips, Festschrift für Dietrich Oehler (1985) 307; Schmid Verletzung gleichrangiger Unterhaltspflichten - eine prozessuale Tat? M D R 1978 547; Schmidt N. Die Verletzung der Unterhaltspflicht im Amtsgerichtsbezirk Oberhausen in den Jahren 1949 - 1956, Diss. Bonn 1961; Schittenhelm Zweifelhafter Schutz durch das Strafrecht, NStZ 1997 169; Schmöe Alimentenurteil und Unterhaltspflichtverletzung, ZB1JR 41 (1954) 73, 193; Schorn Strafbare Unterhaltsverletzungen im Lichte der Rechtsprechung, JR 1932 241; Schröder Der Begriff der „gesetzlichen Unterhaltspflicht" in § 170b StGB, JZ 1959 346; Schulz L. Verschlungene Wege des Lebensschutzes - Zum zweiten Abtreibungsurteil des BVerfG, StV 1994 38; Seebode Unterhaltspflichtverletzung als Straftat, JZ 1972 389; Soergel Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (2000ff) - zit.: SoergellBearbeiter; Sonnenschein Zur Verletzung väterlicher Unterhaltspflicht, SchlHA 1962 261; Sporbeck Die strafrechtliche Sanktionierung der gesetzlichen Unterhaltspflichten (§ 170 b StGB) unter Berücksichtigung der durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes bedingten Änderungen, Diss. Bonn 1959; J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (1993ff, danach in bandweiser Neubearbeitung) zit.: Staudingerl Bearbeiter, Steiner Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten, SJZ 73 (1977) 186; Stree Teilnahme am Unterlassungsdelikt, GA 1963 1; Struensee Konkurrenz bei Unterlassungsdelikten (1971); ThalmannlThalmann Unterhaltspflichtverletzung nach § 170b -

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Karlhans Dippel

§ 170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

(k)ein Problemfeld der Sozialarbeit? BewH 35 (1988) 165; Tröndle Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, NJW 1995 3009; Tschopp Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten gemäß rev. Art. 217 des Schweiz. Strafgesetzbuches, Diss. Basel 1954; Urbach Welcher uneheliche Vater ist nach § 170 b StGB strafbar? ZB1JR 48 (1961) 81; Verfürden Die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB), Diss. Kiel 1969; Vogler Zur Bedeutung des § 28 StGB für die Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, Festschrift für Richard Lange (1976) 265; Waas Ist die Unterhaltsleistung der ehelichen Mutter eine Hilfe „anderer" im Sinne des § 170b StGB? ZB1JR 44 (1957) 14; Welze! Bemerkungen zu § 170 b StGB, Festschrift für Hellmuth Mayer (1966) 395; Wiesner A. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Stellvertretern und Organen (1971); Zarbock Unterhaltspflichtverletzungs-Verfahren gemäß § 170 StGB durch Computer? ZfJ 82 (1995) 344. Zum Unterhaltsrecht Alber-Noack Kindesunterhalt - Materiell-rechtliche Aspekte, UJ 50 (1998) 421, 466, 519, 559; UJ 51 (1999) 40, 80, 139, 182, 225; Arnold Probleme des Unterhaltsrechts, FamRZ 1960 222; v. Bar Innerdeutsches nachehelichen Unterhaltsrecht, IPrax 3 (1983) 163; Bäumet Neuere Entwicklungen zur Mangelfallberechnung, F u R 12 (2001) 1; Becker Wolfr. Familienleistungsausgleich und Mangelfälle nach dem Kindesunterhaltsrecht, FamRZ 1999 65; Beitzke Die Neugestaltung der elterlichen Unterhaltspflicht, Festschrift für Justus Wilhelm Hedemann (1958) 1; Belling Der Bundesgerichthof zum Unterhaltsaufwand für ein Kind nach vertragswidriger Geburt, ZfL 4 (1995) 38; Born Hausfrauentätigkeit und Kindesbetreuung - Die Hauptprobleme im Sorge- und Unterhaltsrecht, M D R 2000 981; Bosch F. W. Teil-Unmündigkeit trotz Volljährigkeit? Festschrift für Gerhard Schiedermair (1976) 51; Bosch R. Die wichtigsten Änderungen im Unterhaltsrecht im Uberblick, F F E 2 (1999) 68; Bress-BrandmaierlGülstorf Einwendungstatbestände im Ehegatten- und Verwandtenunterhalt, Z f F 55 (2003) 145; Brudermüller Elternunterhalt und Generationensolidarität, Festschrift für Dieter Henrich (2000) 31; Brühl Der Familienunterhalt nach dem Gleichberechtigungsgesetz, FamRZ 1957 277; Brühl Das allgemeine Verwandten-Unterhaltsrecht und der Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes gegen den Vater, FamRZ 1966 541; BrühllGöppingerlMutschier Unterhaltsrecht, 3. Aufl. (1973) - fortgeführt von Göppinger; Büttner H. Auswirkungen der Pflegeversicherung auf das Unterhaltsrecht, FamRZ 1995 193; Büttner H. Die Entwicklung des Elternunterhaltsrechts bis Anfang 1999, NJW 1999 2315; Büttner H. Belastungsgrenzen beim Elternunterhalt, Festschrift für Dieter Henrich (2000) 51 ; Büttner H. Neue Rechtsprechung des BGH zur Anrechnungs- und Differenzmethode im Unterhaltsrecht NJW 2000 3244; Büttner H. Sind die Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH und BVerfG zu den ehelichen Lebensverhältnissen gerechtfertigt? FamRZ 2000 641; Christi Revisible Erfahrungssätze im Unterhaltsrecht, NJW 1984 267; Ciaessen Die Reform des Kindesunterhaltsrechts, Rpfleger 1996 381; Derleder Der eheunabhängige Unterhalt für Alleinerziehende, DEuFamR 1 (1999) 84; Derleder!Derleder Privater Unterhalt und staatliche Sozialleistungen, DAVorm. 57 (1984) 100; Dieckmann Die Unterhaltsansprüche geschiedener und getrennt lebender Ehegatten nach dem 1. EheRG vom 14. Juni 1976, FamRZ 1977 81; Dieckmann Fragwürdigkeiten bei der Überleitung des nichtehelichen Unterhaltsrechts durch den Einigungsvertrag und das Erste Familienrechtsänderungsgesetz der (ehemaligen) D D R , Festschrift für Hermann Lange (1992) 805; Diederichsen Ehegattenunterhalt im Anschluß an die Ehescheidung nach dem 1. EheRG, NJW 1977 353; Diederichsen Unterhaltsgerechtigkeit, F u R 13 (2000) 289; Diederichsen Die Ehedauer als Begrenzungskriterium für den nachehelichen Unterhalt, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels (1986) 99; Dopffel!Buchhofer Unterhaltsrecht in Europa, Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht Bd. 8 (1983); Duderstadt Einsatz des Vermögensstamms des Pflichtigen beim Erwachsenenunterhalt, FamRZ 1998 273; Dunker Die Unterhaltspflicht der ehelichen Abkömmlinge, NJW 1963 872; Ewers Die Düsseldorfer Tabelle und das neue Kindesunterhaltsrecht, DAVorm. 72 (1999) 801; Fehnemann Elternrecht und elterliche Rechte nach Volljährigkeit des Kindes, ZB1JR 67 (1980) 605; Finger Geplante Änderungen im Unterhaltsrecht, JR 1985 1; Finger Unterhaltsansprüche und § 5 VAHRG, JR 2000 185; Forni Die Unterhaltspflicht der Eltern nach der Mündigkeit des Kindes in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ZBJV 132 (1996) 429; Frenzel § 170 b und die Haftung der Eltern für den Kindesunterhalt, Diss. Köln 1964; Gaul D. Muß der

Stand: 1.7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

Unterhaltspflichtige bei Arbeitslosigkeit auch eine berufsfremde Tätigkeit aufnehmen? Über das Verhältnis von § 170 b zu den Grundrechten, M D R 1955 329; Gerhardt Kindesunterhaltsgesetz und Düsseldorfer Tabelle, KdPrax. 1 (1998) 75; Gerhardt Neubewertung der ehelichen Lebensverhältnisse, FamRZ 2003 272; Gernhuber Der Richter und das Unterhaltsrecht, FamRZ 1983 1069; Göppinger Die Reform des Rechts der nichtehelichen Kinder, JR 1969 401; Göppinger Die Neuregelung der rechtlichen Stellung der nichtehelichen Kinder, DRiZ 1970 141, 177; Göppinger Unterhaltsverzicht „mit Ausnahme des Falles der Not", FamRZ 1987 222; Göppinger! Wax Unterhaltsrecht, 7. Aufl. (1999) - zit.: Göppinger!Bearbeiter, Graba Fiktives Einkommen im Unterhaltsrecht, FamRZ 2001 1257; Graba Zur Neuregelung der Kindergeldanrechnung nach dem Gesetz zur Achtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts, NJW 2001 249; Graba Ist die Düsseldorfer Tabelle gesetzwidrig? FamRZ 2003 129; Grandke Zur Reform des Unterhaltsrechts, FPR 2 (1996) 245; Günther F. Probleme des Elternunterhalts, F F E 1999 172; Günther F. Das vereinfachte Verfahren nach dem Kindesunterhaltsgesetz - ein höchst kompliziertes Verfahren, KdPrax. 2 (1999) 35; Gutjahr Ist die Neuregelung der Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt nach § 1612 b V BGB verfassungswidrig? FPR 8 (2002) 45; Heger!Schomburg Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts, KdPrax. 3 (2000) 171; Hoppenz Fiktive Einkommensverhältnisse im Unterhaltsrecht, NJW 1984 2327; Hulzer Zur Berechnung des Kindesunterhalts in den neuen Bundesländern, NJW 1991 24; Jansen!Knöpfet Das neue Unehelichengesetz (1967); Jost Unterhaltsrichtlinien als Rechtsquelle? JR 2000 89; Jung E. Unterhaltspflichten und Ausbildungsförderung, FamRZ 1974 513; Kahhoener!Büttner!Niepmann Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl. (2000); Kempf Der Haftungsgrund der unehelichen Vaterschaft, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozessrecht Bd. 3 (1958); Kittke!Arends Praktische Fragen des Kindesunterhalts nach der neuen Unterhaltsrichtlinie des Obersten Gerichts der D D R , NJW 1987 1529; Kleinle Vorläufige Bemerkungen zum Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (KindUG), ZfJ 85 (1998) 225, 349; Knittel Das neue Kindesunterhaltsrecht, DAVorm. 71 (1998) 177; Köhler 20 Jahre Düsseldorfer Tabelle, FamRZ 1982 130; Köhler Unterhaltsrecht am Scheideweg? FamRZ 1990 922; Köhler!Luthien Handbuch des Unterhaltsrechts, 8. Aufl. (1993) - zit.: Köhler!Bearbeiter, Krause E. Die gegenseitigen Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und Kindern in der deutschen Privatrechtsgeschichte, Rechtstheoretische Reihe Bd. 22 (1982); v. Krog Unterhaltspflicht und verschuldete Leistungsunfähigkeit, FamRZ 1984 539; Krumme Die Bestimmung der Unterhaltsgewährung durch die Eltern für ein volljähriges Kind - Konfliktsituationen zwischen Eltern und Kindern, ZB1JR 64 (1977) 417; Kunz Besteht noch eine Unterhaltspflicht zwischen Verwandten zweiten oder entfernteren Grades? FamRZ 1977 291; Lansky Neue Wege zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FamRZ 1959 193; Leitner Unterhaltsleistungen an die ältere Generation, ActGer. 8 (1978) 367; Lipp Das elterliche Unterhaltsbestimmungsrecht (§ 1612 Abs. 2 S. 1 BGB) bei getrennt lebenden und geschiedenen Eltern, ZfJ 71 (1984) 309; Luthin Zum Bedarf beim Ehegattenunterhalt, insbesondere zur Relevanz eines Mindestbedarfs, Festschrift für Dieter Henrich (2000) 415; Martiny Unterhaltsrecht in sozialen Familien in der Europäischen Union, KdPrax. 3 (2000) 146, 175; Maurer Zum Unterhaltsrecht im Beitrittsgebiet, DtZ 1993 130; Möllers Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Ehefrau nach geltendem Recht, Rpfleger 1954 427; Moritz Das „Bestimmungsrecht" der Eltern gegenüber volljährigen Unterhaltsberechtigten, RdJB 25 (1977) 264; Müller W. Der Einsatz des Vermögensstamms für Unterhaltszwecke, FPR 1 (1995) 190; Münder Der sozialhilferechtliche Übergang von Ansprüchen gegen zivilrechtlich Unterhaltspflichtige, NJW 2001 2201; Neuhaus Finis familiae? FamRZ 1982 1; Odersky Nichtehelichen Gesetz, 4. Aufl. (1978); Oelkers Das neue Kindesunterhaltsrecht, ZfJ 86 (1999) 239; Pachtenfels Eingrenzung des elterlichen Bestimmungsrechts auf Gewährung von Naturalunterhalt an volljährige unverheiratete Studierende, M D R 1986 449; Peschel-Gutzeit Das Rangverhältnis im Unterhaltsrecht - Ein gerechtes System? FPR 8 (2002) 169; Petersen Ist die Düsseldorfer Tabelle nicht mit der Verfassung zu vereinbaren? SchlHA 1985 81; Prelinger Unterhaltsklagen bei verschleiertem Arbeitseinkommen, JR 1961 454; Reinicke Zum Unterhaltsrecht der Ehegatten nach dem Gleichberechtigungsgesetz, DRiZ 1958 43; Reiserer!Lemke Erziehungsgeld und Elternzeit, M D R 2001 214; Richter G. Nichtehelichengesetz und materielles Unterhaltsrecht, FamRZ 1970 280; Roettig Das Unterhaltsbestimmungsrecht der Eltern, Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 384 (1984);

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Karlhans Dippel

§ 170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Riihl Einführung in das Kindesunterhaltsgesetz, KdPrax. 1 (1998) 70, 99; Ruthe Zum Unterhaltsanspruch des adoptierten Kindes, FamRZ 1977 30; Schibel Der Einsatz des Vermögens beim Elternunterhalt, NJW 1998 3449; Schlüter/Heckes Der einstweilige Rechtsschutz im Unterhaltsrecht nach den Reformgesetzen, DEuFamR 1 (1999) 201; Schnitzler Verschweigen von Einkünften durch den Unterhaltsberechtigten, F F E 2 (1999) 43; Schoch Unterhaltspflicht und Grundsicherung, Z f F 55 (2003) 1; Scholz Neuregelungen im Unterhaltsvorschussgesetz durch das Kindesunterhaltsgesetz, F F E 2 (1999) 42; Schubert R. Das Recht auf Haushaltsführung und die Unterhaltspflicht der Ehefrau und Mutter, Diss. Saarbrücken 1967; Schumacher K. Familienleistungsausgleich und Mangelfálle nach dem Kindesunterhaltsgesetz, F a m R Z 1999 699; Schumacher!Grün Das neue Unterhaltsrecht minderjähriger Kinder, FamRZ 1998 778; Schwenk Die Pflicht zum Unterhalt unehelicher Kinder seitens Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte, NJW 1953 1776; Schwenzer Das Unterhaltsbestimmungsrecht geschiedener Eltern gegenüber volljährigen Kindern, DRiZ 1985 168; Schwerdtner Verfassungsrechtliche Grenzen der Unterhaltsbestimmung durch die Eltern, NJW 1977 1268; Schwolow Ansprüche der unverheirateten Mutter gemäß § 1615 I BGB, FuR 12 (2001) 145; Slapnicar Neue Leitlinien zum Unterhaltsrecht bei volljährigen unverheirateten Kindern, FuR 13 (2002) 350; Wagner R Zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder, FamRZ 1997 1513; Walter G. Grundsätze des Unterhaltsrechts in der Ausgestaltung durch die Rechtsprechung, NJW 1984 257; Wawrzyniak Das den Eltern in § 1612 II BGB eingeräumte Wahlrecht, die Art der Unterhaltsgewährung zu bestimmen und seine Kollision mit Verselbständigungstendenzen junger Leute, ZB1JR 66 (1979) 383; Wax Zur Dogmatik des Unterhaltsanspruchs, FamRZ 1993 22; Weber A. Das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsanspruchs minderjähriger Kinder, NJW 1998 1992; Wendl/Staudigl Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 5. Aufl. (2000) - zit.: WendllBearbeiter; Wever Betreuungsunterhalt nach § 1615 1 BGB, F F E 3 (2000) 20; Wiesener Natural- oder Geldunterhalt für volljährige Kinder? FamRZ 1977 28; Willutzki Das Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher und anderer Vorschriften - Randkorrekturen oder Gegenreformation? ZfJ 72 (1985) 7; Willutzki Lebenslange Unterhaltslast - ein unabwendbares Schicksal? ZfJ 71 (1984) 1; Willutzki Die einstweilige Anordnung in Unterhaltssachen - ein wirkungsvolles Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes, KdPrax. 2 (1999) 111; Winter Rechtsprechungstendenzen zu § 1612 Abs. 2 BGB, RpflStud. 1 (1977) 58; Zenz Die Gewährung von Unterhalt an „volljährige Kinder", Z R P 1977 195; Ziegler Doppelte Vaterschaft? F a m R Z 1959 342. Zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft Arendt-Rojahn Aufenthaltsstaus nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz FPR 7 (2001) 464; Battes Probleme bei der Anwendung des Gesetzes über Eingetragene Lebenspartnerschaften, F u R 13 (2002) 49, 113; Bech Recht fertigen - Über die Einführung „homosexueller Ehen" in Dänemark, ZfSf. 4 (1991) 213; Beck Die verfassungsrechtliche Begründung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, NJW 2001 1894; Bergerfurth Auflösung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, F F E 4 (2001) 113; Binschus Zur Elternschaft von homosexuell geprägten Frauen und Männern, Z f F 55 (2003) 128; Boele-WoelkilSchrama Die Rechtsstellung von Menschen mit homosexueller Veranlagung im niederländischen Recht, in: Basedow!HoptlKötzlDopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 51; Braun Gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Ehe, Z R P 2001 14; Bruns M. Art. 6 I G G und gesetzliche Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Z R P 1996 6; Bruns/Beck Die Ehe für Lesben und Schwule aus rechtspolitischer Sicht, ZfSf. 4 (1991) 192; BubalVascovicslBeckerIWeiß Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter Personen und Paare - Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz (2001); Buob Privilegierung von Partnerschaften, DStZ 89 (2001) 40; Burhoff Das Lebenspartnerschaftgesetz, ZAP Fach 11 S. 603; Büttner H. Unterhaltsrecht der eingetragenen Lebenspartnerschaft, FamRZ 2001 1105; Diederichsen Homosexuelle - von Gesetzes wegen, NJW 2000 1841; DethloffOie Eingetragene Lebenspartnerschaft - Ein neues familienrechtliches Institut, N J W 2001 2598; DopffellScherpe Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften im Recht der nordischen Länder, in: Basedow!HoptlKötzlDopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 7; Stand: 1.7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§

170

Dorsel Grundzüge des neuen Lebenspartnerschaftsgesetzes, R h N o t Z 2001 151; Eggen Gleichgeschichtliche Lebensgemeinschaften - Kontinuität im Wandel intimer und familialer Lebensformen, FPR 7 (2000) 446; Ferrand Das französische Gesetz über den pacte civil de solidarité, FamRZ 2000 517; Ferrand Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Frankreich, in: Basedow!Hopt!KötzlDopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 113 - zit.: Ferrand Rechtsstellung; Finger Die registrierte Lebenspartnerschaft - Überblick über die Neuregelung und kritische Bestandsaufnahme, M D R 2001 199; Finger Verfahrensrecht der Lebenspartnerschaft, FPR 7 (2001) 460; Freeman United Kingdom Law and the Gay with Special Reference Gay Marriages, in: BasedowIHoptlKötzl Dopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 173; Grib Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft im nordischen und deutschen Recht, Deutsche Hochschuledition Bd. 51 (1996); Gollner Homosexualität - Tradition gegen Recht? Z R P 1975 231; Griill Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare, Z R P 1994 40; de GrootlHaase Entwicklungen im niederländischen Familienrecht, StAZ 51 (1998) 165; Grziwotz Die Lebenspartnerschaft zweier Personen gleichen Geschlechts, D N o t Z 2001 280; Grziwotz Möglichkeiten der Vertragsgestaltung nach dem LPartG, F P R 7 (2001) 466; Hauser Nichteheliche Lebensgemeinschaft in Frankreich: Der „Pacte Civil de Solidarité" (PACS) nach dem Gesetz no 99-944 vom 15. November 1999, DEuFamR 2 (2000) 29; Heun St. Gleichgeschlechtliche Ehen in rechtsvergleichender Sicht, Schriften zum Internationalen Recht Bd. 110 (1999); Jayme Dänisches Partnerschaftsgesetz und Internationales Privatrecht, IPRax. 10 (1990) 197; Jessel-Holst Ansätze für eine rechtliche Regelung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Ungarn, in: Basedow! HoptlKötzlDopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 167; Kaiser D. Das Lebenspartnerschaftsgesetz, JZ 2001 617; Kemper Rechtsanwendungsprobleme bei der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, F F E 5 (2001) 156; Kemper Ehe und Eingetragene Lebenspartnerschaft, FPR 7 (2001) 449; Kirchhof Lebenspartnerschaftsgesetz und Grundgesetz, FPR 7 (2001) 436; Klein A. Für die Verfassungskonformität des Lebenspartnergesetzes, FPR 7 (2001) 434; Kleinschmidt Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare, ZRP 1993 271; Krause H.D. U.S. American Law on Same-Sex Marriage, Formal and Informal Same-Sex and Heterosexual Cohabitation Arrangements, and Same-Sex Relationships, in: Basedow!Hoptl Kötzl Dopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 187; Krings Die „eingetragene Lebenspartnerschaft" für gleichgeschlechtliche Paare, Z R P 2000 409; Langenfeld Der Vertrag der eingetragenen Lebenspartnerschaft, ZEV 9 (2002) 8; Lautmann Wie man Außenseiter draußen hält, KJ 1979 1; Leipold Die neue Lebenspartnerschaft aus erbrechtlicher Sicht, insbesondere bei zusätzlicher Eheschließung, ZEV 8 (2001) 218; Louven Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare, Z R P 1993 12; Lundmark Homosexuelle Partnerschaften in den USA: Die Einführung der Civil Union für gleichgeschlechtliche Paare im U.S.-Bundesstaat Vermont und deren Bedeutung für das Bundesrecht, DEuFamR 2 (2000) 236; LüscherlGrabmann Lebenspartnerschaften mit und ohne Kinder: Ambivalenzen der Institutionalisierung privater Lebensformen, ZSE 22 (2002) 47; Mayer N. Das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften, ZEV 8 (2001) 169; Meyer!Mittelstadt Das Lebenspartnerschaftsgesetz (2001); Müller G. Partnerschaftsverträge nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) - Hinweise zur Vertragsgestaltung, DNotZ 2001 581; v. Münch Antidiskriminierungsgesetz - notwendig oder überflüssig? NJW 1999 260; Muscheler Das Recht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft (2001); Niemeyer Kinder homosexueller Eltern: Kein Ende der Diskussion über die Reform des Kindschaftsrechts, FuR 8 (1997) 141; Oesterle-Schwerin Assimilation oder Emanzipation? ZfSf. 4 (1991) 205; Pawlowski Abschied von der „bürgerlichen Ehe"? DEuFamR 2 (2000) 19; Pawlowski Zur Einführung gesetzlicher Regelungen für eingetragene (gleichgeschlechtliche) Lebenspartnerschaften, JZ 2000 765; Peschel-Gutzeit Gesetzliche Regelung eingetragener Lebenspartnerschaften, FPR 8 (2002) 167; Probertl Barlow Cohabitants and the law: recent European reforms, DEuFamR 2 (2000) 76; Reiß Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule? KJ 1994 98; Rellermeyer Die Eingetragene Lebenspartnerschaft, Rpfleger 2001 381; Robbers Eingetragene Lebenspartnerschaften, JZ 2001 779; Rollecke Kommen Kinder aus der Klinik? NJW 2002 3539; Röthel Nichteheliche Lebensgemeinschaften - Neue Rechtsfragen und Regelungsaufgaben im In- und Aus(279)

Karlhans Dippel

§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

land, Z R P 1999 511; Röthel Registrierte Partnerschaften im internationalen Privatrecht, IPRax. 20 (2000) 74; Sachs Rechtsförmliche Lebenspartnerschaften für Menschen gleichen Geschlechts - Verfassungsgebot oder Verfassungsverstoß? JR 2001 45; Scherpe Zehn Jahre registrierte Partnerschaft in Dänemark, DEuFamR 2 (2000) 32; Scherpe Erfahrungen mit dem Rechtsinstitut der registrierten Partnerschaft in Dänemark, FPR 7 (2001) 439; Schimmel Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare? Schriften zum Bürgerlichen Recht Bd. 184 (1996); Schimmeil Meier Gleichgeschlechtliche Ehen schon nach geltendem Recht? StAZ 46 (1993) 210; Schlenker Die Stellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in Spanien und in spanischen Teilungsanordnungen, in: Basedow!Hopt!KötzlDopffel Die Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 70 (2000) 145; Schlüter Die gesetzliche Regelung von außerehelichen Partnerschaften gleichen und verschiedenen Geschlechts, F F E 3 (2000) 76; Schlüter!Heckes!Stommel Die gesetzliche Regelung von außerehelichen Partnerschaften gleichen und verschiedenen Geschlechts im Ausland und die deutschen Reformvorhaben, DEuFamR 2 (2000) 1; Scholz!Uhle „Eingetragene Lebenspartnerschaften" und Grundgesetz, N J W 2001 393; Schotten Lebenspartnerschaften im Internationalen Privatrecht, FPR 7 (2001) 458; Schreiber Chr. Erfahrungen mit Lebenspartnerschaften am Beispiel Frankreichs, F P R 7 (2002) 442; Schwab D. Eingetragene Lebenspartnerschaft - ein Überblick, FamRZ 2001 385; Schwonberg Eingetragene Lebenspartnerschaften, Z f F 54 (2002) 49; Steinmeister „Eingetragene gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft" - Eine Hülle ohne Rechte, Z R P 1996 214; Strick Gleichgeschlechtliche Partnerschaft - Vom Straftatbestand zum Status? DEuFamR 2 (2000) 82; Stüber Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften als Eingetragene Lebensgemeinschaft mit der Ehe verfassungsgemäß? KJ 2000 593; Süß Notarieller Gestaltungsbedarf bei Eingetragenen Lebenspartnerschaften mit Ausländern, D N o t Z 2001 168; Trimbach Das Lebenspartnerschaftsgesetz, NJ 2001 399; Trimbach!Webert Ist die Homo-Ehe noch verfassungswidrig? NJ 1998 63; Verschraegen Gleichgeschlechtliche „Ehen", Schriftenreihe des OVP-Parlamentsklubs Bd. 9 (1994) - zit.: Verschraegen Beziehungen (1994); Verschraegen Gleichgeschlechtliche Beziehungen im Spiegel des Rechts, DEuFamR 2 (2000) 64; Wacke Die Registrierung homosexueller Partnerschaften in Dänemark, FamRZ 1990 347; Wagner Das neue Internationale Privat- und Verfahrensrecht zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, IPRax. 21 (2001) 281; Weinreich Das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG), FuR 12 (2001) 481; Weiß „Eingetragene Lebensgemeinschaften" als Eheersatz? RuP 36 (2000) 27; Zuck Die schwule Braut, NJW 1995 175. Zur Bindung des Richters an Entscheidungen anderer Gerichte Assenmacher Einwirkungen von Zivilentscheidungen auf den Strafprozeß, Diss. Köln 1925; Bötticher Die Bindung der Gerichte an Entscheidungen anderer Gerichte, in: v. Caemmerer! Friesenhahn/Lange Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages (1960) 511; Brox Die Bindung des Richters an Entscheidungen anderer Gerichte, ZZP 1960 46; Bruns H. -J. Bindet die Rechtskraft deklaratorischer Urteile der Zivil- und Verwaltungsgerichte auch den Strafrichter? Festschrift für Friedrich Lent (1957) 107 - zit.: H.-J. Bruns Rechtskraft; Dahlem Das Verhältnis des Zivilrechts zum Strafrecht mit besonderer Berücksichtigung der Disharmonien, Diss. Heidelberg 1919; Eckert Die Auswirkungen des Nichtehelichengesetzes im Strafverfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB), FamRZ 1974 118; Eggert Die Bedeutung der Statusakte i. S. d. § 1600a BGB für den Strafrichter, M D R 1974 445; Gaul H. F. Der Zwiespalt zwischen Unterhalts- und Abstammungsurteil als rechtstheoretisches, rechtspraktisches und legislatorisches Problem, FamRZ 1959 334, 431; Hellmann Die Bindung des Strafrichters an Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsurteile, Diss. Münster 1954; Kaiser E. Bindung des Strafrichters an Zivilurteile im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, NJW 1972 1847; König K.-H. Die Bindung des Richters an präjudizielle Urteile anderer Gerichte, Diss. Freiburg i. Br. 1934; Kramer Der bindende Einfluß präjudizieller Zivilurteile auf die strafrechtliche Rechtsfindung, Diss. Königsberg 1928; Kugler Die Bindung des Strafrichters an Zivilurteile, Diss. Erlangen 1955; Kuttner Urteilswirkungen außerhalb des Zivilprozesses (1914); Lobe Der Einfluß des bürgerlichen Rechts auf das Strafrecht, Festgabe für Reinhard von Frank Bd. I (1930) 33; Lüke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Festschrift für Arthur Kaufmann (1993) 565; Nicklisch Die Bindung der Gerichte an gestaltende Stand: 1.7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte, Diss. Frankfurt am Main 1965; Peters K. Die Begrenzung des Strafrechts bei zivilrechtlichen Verhältnissen als materiellrechtliches und prozessuales Problem, Festschrift für Eberhard Schmidt (1961) 488; Saunus Inwieweit ist der Strafrichter an präjudizielle Entscheidungen des Zivilrichters gebunden? Diss. Königsberg 1918; Schorn Zur Wirkung des Zivilurteils auf die Entscheidung des Strafrichters, JR 1931 25; Schubert W. Die Ex tunc-Wirkung des bürgerlichen Rechts und ihre Bedeutung für die strafrechtliche Beurteilung, Diss. Berlin 1928; Schwab D. Bindung des Strafrichters an rechtskräftige Zivilurteile? NJW 1960 2169; Tolksdorf Zur Bindung des Strafrichters an Feststellungen rechtskräftiger Strafurteile, Festschrift für Gerald Grünwald (1999) 731; Tschöpe Die Grenzen der Bindung des Strafrichters an die präjudiziellen Entscheidungen gerichtlicher und sonstiger Behörden, Diss. Halle-Wittenberg 1934; Weber U. Freiheit und Bindung des Strafrichters bei der Beurteilung bürgerlicher Rechtsverhältnisse (§ 262 Abs. 1 StPO), Festschrift für Winfried Trusen Rechtsund Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Neue Folge Bd. 72 (1994)591. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 169.

Entstehungsgeschichte Der durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9.3.1943 geschaffene Tatbestand wurde von der Durchführungsverordnung vom 18.3.1943 als § 170 b in das Strafgesetzbuch eingestellt (näher dazu Vor § 169 Entstehungsgeschichte). Zuvor gab es zwei die Verletzung von Unterhaltspflichten pönalisierende Vorschriften, § 361 Nr. 5 und § 361 Nr. 10 (zum Inhalt Vor § 169 Entstehungsgeschichte). Letztere wurde bei der Übernahme des § 170 b in das Strafgesetzbuch aufgehoben. Erstere behielt Bedeutung, solange neben der Strafe unter den Voraussetzungen des früheren § 42 d die Unterbringung in einem Arbeitshaus angeordnet werden konnte. 1 Sie entfiel erst mit der Aufhebung des 29. Abschnitts des Strafgesetzbuchs (näher Vor § 169 Entstehungsgeschichte). Die ursprüngliche Fassung des § 170 b lautete: (1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht vorsätzlich entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne öffentliche Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Gefängnis bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Vom 4. StrRG wurde die Vorschrift geringfügig modifiziert. Es milderte die Strafdrohung und beseitigte die Strafbarkeit des Versuchs. Das SFHÄndG (vgl. Vor § 169 Entstehungsgeschichte) fügte § 170 b als neuem Absatz 1 einen Absatz 2 hinzu, der die verwerfliche Unterhaltspflichtverletzung gegenüber einer Schwangeren, die zum Schwangerschaftsabbruch führt, unter Strafe stellt. Durch das 6. StrRG wurde § 170 b in § 170 umbenannt. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 309; Bd. 8 S. 38 lf, 386ff, 459ff, 620ff; Bd. 12 S. 602; E 1962 S. 45, 354; AE S. 71; BTDrucks. VI 1552 S. 12f; VI/3521 S. 13ff; 7/80 S. 12f; 7/514 S. 4, 5, 19; Prot. VI/33 S. 1202f, 1221 ff; VI/35 S. 1253ff, 1263, 1284; VI/36 S. 1297; VI/71 S. 2046f; 7/2 S. 5. Zum SFHÄndG: BTDrucks. 12/490; 12/1179; 12/3208; 12/6643; 12/6647; 12/6648; 12/6715; 12/76944; 1

Vgl. Walt. Becker NDV 10 (1956) 307; ausführlich zu dieser Maßregel v. Hippe/ VDB S. 234 f. Grund für die Beibehaltung der Vorschrift war die Schwierigkeit, in den Fällen, in denen der Unterhaltspflichtige seine zukünftige Leistungsfähigkeit unmittelbar herbeiführt, den Nachweis des vorsätzlichen Handelns zu führen,

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es aber bei § 361 Nr. 5, der die durch Spiel, Trunksucht oder Müßiggang verschuldete Leistungsunfähigkeit unter Strafe stellte, ohne daß sich der Vorsatz des Täters auf diese Folge zu erstrecken brauchte, darauf nicht ankam (BGHSt. 14 165, 170 mit Anm. Frankel LM § 170 b Nr. 6).

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§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

12/6988; 12/7660; 12/7682; 12/7683; 12/8276; 13/27; 13/199; 13/285; 13/286; 13/323; 13/375; 13/395; 13/397; 13/399; 13/402; 13/409; 13/412; 13/536; 13/1850; UASFHÄndGProt. 13/3; 13/5; BTProt. 12/230 S. 19963; 13/19 S. 1275ff; 13/47 S. 3795; BRDrucks. 12/592-94; 13/390-95; BRProt. 13/47 S. 3753ff; 13/687 S. 338. Zum LPartGl LPartErgGE2: BTDrucks. 12/7069; 13/2728; 13/7228; 13/10081; 14/308; 14/1259; 14/1450; 14/3751; 14/4545; 14/4550; BTFSFJAusschDrucks. 13/312; BTRAusschProt. 14/59; 14/63; 14/64; BTProt. 14/67 S. 6026ff; 14/115 S. 10959ff; 14/121 S. 11543; 14/131 S. 12606ff, 12629f; BRDrucks. 13/544-98; 14/738-00; BRProt. 14/757-00 S. 544ff; 571 f.

Übersicht Rdn.

2

Rdn.

Allgemeines 1-14 1. Geschichte 1 2. Altes und neues Recht 2-6 a) Die äußeren Veränderungen in Absatz 1 2 b) Die Bemühungen um eine Einschränkung der Strafbarkeit nach Absatz 1 3 c) Die neue Strafvorschrift des Absatzes 2 4-6 aa) Die Regelungsvorgabe des Bundesverfassungsgerichts 4 bb) Die Umsetzung durch das S F H Ä n d G 5 cc) Rechtliche Betrachtung der Vorschrift 6 3. Rechtsgut 7-8 a) Absatz 1 7 b) Absatz 2 8 4. Probleme der Rechtsanwendung 9-10 a) Absatz 1 9 b) Absatz 2 10 5. Schutzgesetz 11 6. Unterhaltspflichtverletzungen mit Auslandsbezug 12-14 a) Der Schutzbereich des § 170 . 12 b) Die einzelnen Fallgestaltungen 13 c) Anwendung auf das Unterhaltsrecht der D D R 14 Der äußere Tatbestand des Absatzes 1 15-55 1. Gesetzliche Unterhaltspflicht . . 15-42 a) Maßgebliches Recht 15

b) Die gesetzlichen Grundlagen aa) Unterhaltsrechtliche Grundverhältnisse . . . . bb) Unterhaltsansprüche zwischen Verwandten cc) Unterhaltsansprüche der Ehegatten untereinander . dd) Unterhaltsansprüche der Eingetragenen Lebenspartner untereinander c) Andere Rechtsgrundlagen . . aa) Rechtsgeschäfte bb) Ersatzansprüche Dritter . cc) Erstattungsansprüche öifentlichrechtlicher Leistungsträger dd) Unterhaltsrückstände . . ee) Unterhaltsverzicht . . . . d) Die Feststellung des Bestehens einer gesetzlichen Unterhaltspflicht aa) Abstammungsrechtliche Grundlagen bb) Geltung von gesetzlichen Beweisvermutungen des bürgerlichen Rechts . . . cc) Bindung des Strafrichters an Entscheidungen des Zivilrichters e) Mehrheit von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen

Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz - LPartErgG). In ihn wurden die Regelungen, die den ursprünglich einheitlichen Koalitionsentwurf (BTDrucks. 14/3715) zustimmungsbedürftig gemacht hatten, eingestellt (Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses BTDrucks. 14/4545 Anlage 2 S. 69 ff). Der Bundes-

rat hat dem Gesetzesbeschluß (BTProt. 14/131 S. 12629 D, 12630 A) seine Zustimmung verweigert (BRDrucks. 738/00; 739/00; BRProt. 757 S. 551 D). Die Beratungen des vom Bundestag angerufenen Vermittlungsausschusses sind unter Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertagt worden (Pressemitteilung des Bundesrates 6/2001 vom 7.2.2001).

Stand: 1. 7. 2003

16-19 16 17 18

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Rdn. aa) Rangfolge bei mehreren Unterhaltsberechtigten . . bb) Reihenfolge bei mehreren Unterhaltspflichtigen . . f) Die Art der Unterhaltsgewährung aa) Gegenstand der Unterhaltspflicht bb) Strafschutz der Verpflichtung zum Betreuungsunterhalt cc) Unterhaltsbestimmung Kindern gegenüber . . . . dd) Sonderbedarf ee) Notwendige Maßnahmen der elterlichen Vermögensverwaltung g) Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten aa) Einschränkung der gesetzlichen Unterhaltspflicht bb) Konkretisierung des Bedarfs cc) Besonderheiten beim Bedarf Minderjähriger . . h) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen aa) Element des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht bb) Maßstab der Leistungsfähigkeit cc) Leistungsfähigkeit durch tatsächlich vorhandene Mittel dd) Leistungsfähigkeit durch erreichbare Mittel . . . . ee) Feststellung der Leistungsfähigkeit im Strafurteil . . 2. Die Tathandlung a) Entziehen b) Bloßes Nichtleisten c) Vereitelung der Inanspruchnahme d) Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit e) Verhinderung der Leistungsfähigkeit f) Zivilrechtliche Voraussetzungen 3. Der Taterfolg a) Lebensbedarf

Rdn.

28 29 30-34 30

31 32 33

III.

34 35-37 35 36 37 38-42

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40 41 42 43-48 43 44

IV. V.

VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII.

45 46 47 48 49-54 49

b) Tatsächliche Gefährdung . . . c) Potentielle Gefährdung . . . . aa) Ohne die Hilfe anderer . . bb) Innerer Zusammenhang zwischen Unterhaltsverweigerung und fremder Hilfe cc) Innerer Zusammenhang bei privater fremder Hilfe dd) Innerer Zusammenhang bei öffentlicher Hilfe . . . d) Tatort Der äußere Tatbestand des Absatzes 2 1. Verpflichtung zum Unterhalt . . a) Gesetzliche Unterhaltspflicht b) Besondere Verantwortlichkeit des Täters c) Täterkreis 2. Die Tathandlung a) Echtes Unterlassen b) Vorenthalten des Unterhalts . c) Verwerflichkeit des Handelns 3. Der Taterfolg a) Qualifiziertes Erfolgsunrecht . b) Voraussetzung eines vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruchs c) Bewirken des Schwangerschaftsabbruchs Rechtswidrigkeit Der innere Tatbestand 1. Absatz 1 2. Absatz 2 Irrtumsfragen Täterschaft und Teilnahme Aussetzung Rechtsfolgen Veijährung Wiederaufnahme Konkurrenzen 1. Zusammentreffen mehrerer Unterhaltspflichtverletzungen gegenüber einem Unterhaltsberechtigten 2. Zusammentreffen mehrerer Unterhaltspflichtverletzungen gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten 3. Zusammentreffen der Tatbestände mit anderen Straftatbeständen

50 51-54 51

52 53 54 55 56-64 56-58 56 57 58 59-62 59 60 61 62-64 62

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I. Allgemeines 1. Obwohl die Geschichte des Tatbestandes in der Ausgestaltung, die er schließlich 1 im Strafgesetzbuch gefunden hat, jung ist (vgl. Vor § 169 Rdn. 4), lassen sich Ursprünge dieses Strafschutzes im deutschen Recht weit früher feststellen. Sie liegen in Regelun(283)

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§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

gen der partikulären Polizeistrafgesetze des 19. Jahrhunderts, die den Zweck verfolgten, die Wohlfahrtsbehörde gegen mißbräuchliche Beanspruchung durch Unterhaltspflichtige, die sich dieser Pflicht entzogen, zu schützen. 3 Erste Bestimmung dieser Art ist Art. 24 WürttPolStGB von 1839, der die Bestrafung Arbeitsscheuer vorsah. Das preußische Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen von 1843 übernahm diesen Gedanken; sein § 6 Nr. 1 stellte die Verursachung des Zustandes der Unterhaltsbedürftigkeit durch Spiel, Trunk oder Müßiggang unter Strafe. 4 Diese Bestimmung ging, sachlich unverändert, zunächst in § 119 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851, dann in § 361 Nr. 5 über. Sie befriedigte die Praxis nicht, weil ein Großteil der Unterhaltspflichtigen, die sich ihren Pflichten entzogen, namentlich diejenigen, die leistungsfähig, aber zahlungsunwillig waren, von ihr nicht erfaßt wurden. Das führte alsbald zur Einführung des § 361 Nr. 10 (vgl. Vor § 169 Entstehungsgeschichte). 5 Er dehnte, freilich ungewollt, 6 den Schutz über den der öffentlichen Sozialhilfe auf die gesetzlichen Unterhaltsansprüche selbst und damit auf Familienbeziehungen aus.7 In den Reformbestrebungen seit dem E 1909 (Vorentwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch) wurde dieser Gedanke zunächst auch, schließlich in erster Linie verfolgt. 8 Dadurch nahm die Vorschrift einen völlig anderen Charakter an. Die ausschließlich im Bereich der Asozialität angesiedelte Übertretung entwickelte sich in der Reformdiskussion zu einem immer schwerwiegenderen Vergehen,9 das schon bald seinen Platz unter den Straftaten gegen die Familie erhielt (vgl. schon Vor § 169 Rdn. 4). Mit der Änderung des Charakters der Bestimmung wandelten sich auch die zu bewältigenden Probleme. Auf das Merkmal „durch Vermittlung der Behörde", das § 361 Nr. 10 für die Praxis so schwerfällig gemacht hatte, 10 konnte mit zunehmender Abkehr vom Gedanken eines Schutzes der öffentlichen Wohlfahrtspflege leicht verzichtet werden. Um so größere Schwierigkeiten ergaben sich bei dem

3

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Vgl. Demann S. 27; Eckstein S. 4; v. Hippel VDB S. 173; Ihm S. 27; Neudek S. 2; Oehm S. 52; Sporbeck S. 4. Zu entsprechenden Vorschriften in Baden (§ 2 i. V. m. § 1 des Gesetzes vom 30.7.1840, ferner § 98 PolStGB von 1863), Bayern (Art. 81 PolStGB von 1871), Hessen (Art. 101 PolStGB von 1855), Lübeck (§ 10 der Bekanntmachung des Senats vom 20.7.1863), Sachsen (§ 5 der Armenordnung vom 20.10.1840); vgl. Michels S. 5 ff. Dazu näher, auch schon zu Bemühungen um eine entsprechende Ergänzung des § 119 PreußStGB, bei Demann S. 23 ff; Sporbeck S. 4 ff; ferner M. Eckstein S. 2 ff; v. Hippel VDB S. 173 f; Ihm S. 27 ff; Michels S. 8 ff; Neudek S. 2f; Verfürden S. 10 f. Das Gesetzgebungsverfahren ist, verbunden mit einer kritischen Würdigung der Vorschrift, ausführlich dargestellt bei Seuffert Übersicht über die Strafgesetzgebung des Deutschen Reiches im Jahre 1894, ZStW 15 (1895) 807fT. Als Ergänzung zu § 361 Nr. 5 eingefügt, schützte er ursprünglich noch allein die öffentliche Armenkasse vor mißbräuchlicher Inanspruchnahme; so die wohl einhellige Meinung, z. B. B G H Z 28 359, 366; Amelunxen S. 15; Demann S. 27; M. Eckstein S. 57; Eggert Schutz S. 8; Frank § 361 Anm. X; v. Hippel VDB S. 174;

Jagusch LK.8 Anm. 1; v. Olshausen § 361 Nr. 10 Anm. 1); Seuffert (Fn. 5) S. 810; N. Schmidt S. 1; Schorn JR 1932 241; Sporbeck S. 7; Verfürden S. 11. 7 So sah bereits v. Hippel den Zweck der Vorschrift darin, „gegen diejenigen, welche in frivoler Weise die Ernährung ihrer bedürftigen Familie unterlassen, den unbedingt notwendigen, früher aber fehlenden Schutz zu gewähren" (VDB S. 239). Auch M. Eckstein bezieht den Verstoß „gegen familienrechtliche Pflichten" schon ein (S. 49). » B G H Z 28 359, 366f; Ihm S. 30ff; Eisner S. 41 f; Verfürden S. 11 ff. Zur Entwicklung ferner Eggert Strafrechtlicher Schutz S. 8f; Frenzel S. 58f; Neudek S. 3f; N. Schmidt S. 1. 9 Nichts kennzeichnet dies deutlicher als die Vorschläge zur Strafhöhe. Sie steigerten sich von höchstens drei Monaten (Vorentwurf 1909) über sechs Monate (Gegenentwurf 1911 und Kommissionsentwurf 1913), ein Jahr (Entwurf der Reichsregierung 1925), zwei Jahre (Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission 1936) auf schließlich fünf Jahre mit Erlaß der Vorschrift. 10 Vgl. schon M. Eckstein S. 43; ferner etwa Burghart Z f H 34 (1929) 260ff; Demann S. 72f; Michels S. 76 ff; Neudek S. 3f; Rössler JW 1937 2497; Schorn JR 1932 249; Sporbeck S. 8f; Verfürden S. 13.

Stand: 1.7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

Bestreben, den Tatbestand einzugrenzen, objektiv etwa durch die Erfordernisse „notwendiger Lebensbedarf' oder „erhebliche Gefahrdung", subjektiv durch die Merkmale „böswillig" oder „aus grobem Eigennutz", wie dies zunächst allgemein als notwendig angesehen worden war. In Betracht gezogen wurde vor allem eine Mäßigung auf subjektivem Gebiet. 11 Dem stand von Anfang an die Überlegung entgegen, daß eine Begrenzung des Tatbestandes namentlich auf der subjektiven Tatseite eine wirksame Bekämpfung aller strafbedürftigen Fälle verhindere (vgl. dazu auch Rdn. 3). Dieser schon vor 1933 erreichte Stand der Diskussion wurde sachlich in der Zeit danach kaum noch verschärft, 12 so daß der Tatbestand auch nicht deshalb, weil er für die innere Tatseite Vorsatz genügen läßt, nationalsozialistisches Gedankengut enthält, 13 mag er auch durch die übersteigerte Strafdrohung die typischen Züge eines Maßnahmegesetzes damaliger Prägung enthalten haben. 14 In der Reformdiskussion, an deren Ende die Fassung der Vorschrift durch das 4. StrRG stand, ist daher auch nur vereinzelt die als überdehnt empfundene strafrechtliche Verantwortlichkeit dem Zeitgeist zugeschrieben worden. 15 2. Bei einer Gegenüberstellung des alten und neuen Rechts ist neben den äußeren 2 Veränderungen des § 170 b, jetzt § 170 Abs. 1, dessen gleichgebliebener Umfang der Strafbarkeit sowie die neu geschaffene Strafbarkeit nach § 170 Abs. 2 zu betrachten. a) Die äußeren Veränderungen des § 170 b sind überwiegend sachlich ohne Bedeutung. Dies gilt zunächst für den Verzicht auf die Wendung „ohne öffentliche Hilfe". Sie wird durch das Merkmal „ohne die Hilfe anderer" schon erfaßt. 16 Das gleiche gilt für die Streichung des Wortes „vorsätzlich" als überflüssig. Die subjektive Tatseite verlangt Vorsatz, auch ohne daß dies in das Gesetz ausdrücklich aufgenommen ist. Die Beseitigung des Versuchs ist zwar eine sachliche Veränderung. Doch hat sie keine besondere praktische Bedeutung. Die Strafbarkeit insoweit war weitgehend irreal (Hanack NJW 1974 2). Nicht nur rechtlich bedeutsam sondern auch von großem praktischem Belang ist hingegen die Minderung der Strafdrohung auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Sie war eine der wenigen im Gesetzgebungsverfahren zu den Familiendelikten umstritten gebliebenen Änderungen. Der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) hatte sogar die Herabsetzung auf nur zwei Jahre Freiheitsstrafe vorgeschlagen. Durch Anrufung des Vermittlungsausschusses ist vom Bundesrat jedoch die Erhöhung auf drei Jahre durchgesetzt worden (vgl. dazu schon vor §169 Rdn. 7 Fn. 43).17 11

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So beispielsweise durch „böswillig" in § 281 Abs. 1 E 1925 und § 314 Abs. 1 E 1927 oder „wissentlich und gewissenlos" in § 314 Abs. 1 E 1930. Auch Art. 217 SchweizStGB, Vorbild bei der Ausgestaltung des § 170b (vgl. Maurach BT § 49 II F l ) , schränkte in seiner damaligen Fassung den Tatbestand auf der subjektiven Tatseite ein („aus bösem Willen, aus Arbeitsscheu oder aus Liederlichkeit"). Das belegen die Stellungnahmen aus der Praxis, beispielsweise Grosch/HahnlSchultze-Petzoldlv. Rozycki-v.Hoewel D R 1939 300; Knobloch DJ 1939 296; v. Rozycki-v.Hoewel D R 1938 200; vgl. aber auch Klee Z A k D R 1943 88, in dessen Ausführungen sich der Zeitgeist widerspiegelt. BayObLGSt. 1951 511, 512; O L G Hessen (Kasseler Strafsenat) HESt. 2 259, 260; Eggert Schutz S. 9; Geier Prot. VI/35 S. 1268; Ihm

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S. 35 f; Mittelbach M D R 1957 65; Neudek S. 4; Sporbeck S. I6f; Verfürden S. 15. Eggert Schutz S. 9; KohlrauschlLange Vor § 169; H. Mayer Strafrechtsreform S. 101; K. Peters ZStW 77 (1965) 489; Verfürden S. 15, 156; dazu auch schon Vor § 169 Rdn. 4. So im Zusammenhang mit der auch für die Neufassung der Vorschrift noch für notwendig erachteten Begrenzung der Strafbarkeit (vgl. Rdn. 3) beispielsweise Jagusch L K 8 Anm. 1; Kohlrauschl Lange Anm. 1 ; Welzel Strafrecht § 63 III 2. BGHSt 26 312, 315 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170 b Nr. 2 und Anm. Forster NJW 1976 1645; Sturm JZ 1974 2. Im Gegensatz zur grundsätzlichen Beibehaltung des Tatbestandes in der Bundesrepublik wich § 141 StGB D D R (vgl. Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33)

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

b) Den Umfang der Strafbarkeit des § 170 b zu begrenzen, sei es auf der objektiven oder sei es auf der subjektiven Tatseite, hat trotz großer Bemühungen auch das 4. StrRG sich außerstande gesehen.18 Bedenken gegen den Umfang der Strafbarkeit waren bereits in der Großen Strafrechtskommission laut geworden.19 Hinzu traten gewichtige Stimmen im Schrifttum, die § 170 b, wenn nicht schon grundsätzlich, so doch jedenfalls in seiner Ausgestaltung infrage stellten.20 Die Bedenken verstärkten sich, als in den Beratungen der Straftaten gegen die Familie und gegen die Sittlichkeit durch den 9. Internationalen Strafrechtskongreß der Association internationale de droit pénal vom 24. bis 30.8.1964 in Den Haag das Unbehagen über die ausgedehnte Strafbarkeit der Verletzung der Unterhaltspflicht auch auf internationaler Ebene Ausdruck fand.21 Freilich konnte eine konkrete Verbesserung nicht empfohlen werden. Doch hielt der Kongreß es immerhin für möglich, daß ein aus Experten des Familienrechts, Strafrechts und internationalen Rechts zusammengesetzter internationaler Ausschuß auf der Grundlage einer rechtssoziologischen Untersuchung die geeigneten Sanktionen für eine wirksame Bekämpfung der Verletzung der Unterhaltspflicht ausfindig machen könne.22 Konkrete andere Möglichkeiten einer Einschränkung des Tatbestandes als diejenigen, die schon die Entstehung des § 170 b begleitet hatten (vgl. Rdn. 1), förderte auch die Reformdiskussion nicht zu Tage, ausgenommen vielleicht die, den objektiven Tatbestand durch Aufnahme eines Formerfordernisses, beispielsweise der Voraussetzung, daß ein vollstreckbarer Titel vorliegen müsse, schärfer zu fassen.23 Art. 217 SchweizStGB konnte als Vorbild einer gelungenen subjektiven wesentlich von der Regelung des früheren § 170 b ab. Er verlangte, daß der Täter sich der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern (Absatz 1) oder einer durch gerichtliche Entscheidung festgelegten Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten, früheren Ehegatten oder Verwandten (Absatz 2) durch Nichttaufnahme von Arbeit, häufigem Arbeitsplatzwechsel oder auf andere Weise entzieht. Auf die Voraussetzung, daß der Lebensbedarf des Berechtigten gefährdet sein muß, wurde verzichtet, weil unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaftsordnung staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen eine Gefährdung des Lebensbedarfs ausschließen (Redlich!Kamin NJ 1967 151). Freilich erhöhte sich der Grad der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn schädigende Folgen eingetreten waren oder hätten eintreten können (DDR-Lehrbuch-Strafrecht Besonderer Teil [Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33] S. 119). Die Sanktion bestand darin, daß der Täter von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen oder mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft wurde. Eine Strafverfolgung setzte, weil bei nicht freiwilliger Leistung die zum Unterhalt Verpflichteten zunehmend über die gesellschaftliche erzieherische Einflußnahme zur Erfüllung ihrer Pflichten veranlaßt wurden, erst dann ein, wenn der Unterhaltspflichtige derartige Einflußnahmen ignorierte und die Erfüllung seiner Pflicht, für das materielle und das kulturelle Lebensniveau des Unterhaltsberechtigten zu sorgen,

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mißachtete (DDR-Kommentar zum Strafgesetzbuch [Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33] § 141 Anm. 1). Vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 13; VI/3521 S. 14; 7/80; Sturm JZ 1974 2; dazu auch Rdn. 1. Niederschriften Bd. 8 S. 389 (Baldus), 390 (Lange und Dreher)·, dazu Blei FamRZ 1961 145 f. Z.B. AE S. 71; Blei FamRZ 1961 145f; Hellmer ZStW 70 (1958) 360 ff; Kohlrauschi Unge § 170 b Anm. I; Krause G A 1969 99; Mattmer N J W 1967 1593; Mittelbach M D R 1957 65, 68; Neudek S. 17 ff; K. Peters ZStW 77 (1965) 489 f; Sax Analogieverbot S. 86 Fn. 1; Seebode JZ 1972 389 ff; Welzel Strafrecht § 63 III 2; ferner Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer, der in seiner Stellungnahme im Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten für eine Streichung der Vorschrift eintritt (wiedergegeben Prot. VI/33 S. 12020; ähnlich die Empfehlung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs, auf die Vorschrift zu verzichten, wenn es nicht gelinge, die Schwierigkeiten, die zu einer bedenklichen Praxis geführt hätten, zu beseitigen (vgl. Prot. VI/33 S. 1203). Einzelheiten der Beratungen bei Blau MschrKrim. 49 (1966) 18ff; vgl. auch schon Vor § 169 Rdn. 6 mit Fn. 40. Vgl. die Entschließung Nr. VII der Vollversammlung vom 29.8.1964 (ZStW 77 [1965] 184, 187). Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 14, wo auch der Gedanke angesprochen wird, das Sanktionensystem durch Einführung einer Arbeitsstrafe zu ergänzen, eine für den Bereich des § 170 Abs. 1

Stand: 1. 7.2003

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Begrenzung des Tatbestandes nicht mehr dienen. Die strafrechtliche Praxis hatte im Wege extensiver Interpretation sich über die Merkmale böser Wille, Arbeitsscheu und Liederlichkeit völlig hinweggesetzt, 24 und dies, obwohl die objektiven Voraussetzungen des Tatbestandes wesentlich weiter gefaßt waren, als die des § 170b, indem es auf den Eintritt eines äußeren Erfolgs nicht ankam (Blei FamRZ 1961 145; vgl. auch Schänke Anm. zu OLG Hamm JZ 1952 690, 691).25 Der Sonderausschuß hat, dem Gedanken der Entschließung Nr. VII des 9. Internationalen Strafrechtskongresses folgend, versucht, durch Sachverständige zu klären, ob der umfassende Strafschutz des § 170b für die Jugendfürsorge notwendig sei. Es sind angehört worden je ein Vertreter des Deutschen Kinderschutzbundes (Prot. VI/35 S. 1253ff, insb. S. 1254f), des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Prot. VI/35 S. 1276ff, insb. S. 1276, 1280), eines Jugendamtes mit einem Stadtbezirk (Prot. VI/35 S. 1284 ff) und eines Jugendamtes mit einem Landbezirk (Prot. VI/35 S. 1260 ff, insb. S. I236f, 1274ff) sowie eine Soziologin (Prot. VI/28 S. 852ff, insb. S. 854). Auch über die Schwierigkeiten, die § 170 b in der Praxis bereitetet, hat der Sonderausschuß sich unterrichten lassen. Dazu ist ausführlich ein Vertreter der Strafrechtspflege zu Wort gekommen (Prot. VI/33 S. 1183; VI/35 S. 1268 ff). Im Ergebnis hat der Sonderausschuß dieselbe Überzeugung gewonnen, die sich letztlich schon in der Großen Strafrechtskommission gegen die erhobenen Bedenken durchgesetzt hatte (vgl. Bd. 8 S. 386 ff, 559 ff, 620 ff; Bd. 12 S. 602) und sowohl dem Vorschlag des E 1962 (Begr. S. 200) als auch dem des Regierungsentwurfs (BTDrucks. VI/1552 S. 120 zugrunde liegt, daß auf den uneingeschränkten Strafschutz des § 170 b nicht verzichtet werden kann, aber auch nicht verzichtet zu werden braucht (BTDrucks. VI/3521 S. 13f)·26 Verfassungsrechtliche Einwendungen gegen 170 b in der Fassung des 4. StrRG sind zurückgewiesen worden. Die Vorschrift verstößt bei einer Auslegung, die der in der Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung folgt, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), noch begegnet sie im übrigen verfassungsrechtlichen Bedenken. 27 Das 4. StrRG hat die kriminalpolitische Diskussion zur Ruhe kommen lassen, den Streit um § 170 Abs. 1 aber keineswegs beendet (vgl. Hanack NJW 1974 2). Nach wie vor wird die Forderung erhoben, die Vorschrift zu streichen (z. B. Ostermann Z R P 1995 204, 207 f). Um so mehr ist Maurach!SchroederlMaiwald 2 zuzustimmen, daß die Vorschrift, um Ausuferungen zu vermeiden, einer begrenzenden Auslegung bedarf (§ 63 Rdn. 24). c) Der neue § 170 Abs. 2 droht dem einer Schwangeren zum Unterhalt Verpflichte- 4 ten eine qualifizierte Strafe an, wenn er ihr den Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt.

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sicher sinnvolle Maßnahme, die freilich voraussetzen würde, daß entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stünden. Stratenwerth BT § 26 Rdn. 32; vgl. auch P. Albrecht SJZ 72 (1976) 223 ff; J. A. Müller SZStr. 82 (1966) 278 ff; Toebelmann Diss. S. 14; Mat. S. 173 Art. 217 SchweizStGB in der revidierten Fassung von 1989 setzt noch immer keinen Erfolg, etwa daß der Unterhaltspflichtige in Not gerät oder auch nur unterstützungsbedürftig ist, voraus und hat dennoch auf die frühere Einschränkung der subjektiven Tatseite verzichtet (Stratenwerth BT § 26 Rdn. 30, 32). Bei der Einschätzung der praktischen Schwierigkeiten hat die Erwägung den Ausschlag ge-

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geben, daß sie seit dem Inkrafttreten des Nichtehelichengesetz (vgl. § 169 Rdn. 10 Fn. 25) stark an Gewicht verloren hätten und jedenfalls deshalb den Verzicht auf die Vorschrift nicht rechtfertigen könnten (BTDrucks. VI/3521 S. 13); Sturm JZ 1974 2; vgl. dazu auch Laufhütte Prot. VI/33 S. 1203). ΒVerfGE 50 142, 152 ff. Dem entspricht die verfassungsrechtliche Lehre, daß Art und Ausmaß des strafrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 G G nicht in rechtlich faßbarer Form geboten sind (Scheffler S. 303); vgl. aber auch Berkemann Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1979 447, 453.

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12. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n gegen d e n P e r s o n e n s t a n d , die E h e u n d die F a m i l i e

aa) Der Grund für die Regelung liegt im zweiten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (BVerfGE 88 203), mit dem es den Wechsel von der Indikationslösung zum Beratungskonzept vollzogen hat. Darin sind dem Gesetzgeber Vorgaben für die Neugestaltung der §§ 218 ff gemacht worden. Um der Wirksamkeit des Konzepts willen ist dem Gesetzgeber dazu aufgegeben worden, in Erfüllung seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG durch gesetzliche Maßnahmen sicherzustellen, daß der Entscheidungsprozeß der Schwangeren von negativer Beeinflussung aus ihrem familiären Umfeld frei bleibt (BVerfGE 88 203, 271, 296fi). Als unerläßlich hält das Gericht, eine besondere strafbewehrte Verhaltensnorm zu schaffen, die sich darauf richtet, daß der Vater des ungeborenen Kindes und die Eltern einer minderjährigen Schwangeren als Personen ihres familiären Umfeldes ihr den Beistand, dessen sie wegen der Schwangerschaft bedarf, nicht in verwerflicher Weise vorenthalten (BVerfGE 88 203, 298).28 Ihre Ausgestaltung sollte an Überlegungen anknüpfen, wie sie beispielsweise § 201 E 1962 zugrundeliegen, die unter grundsätzlicher Übernahme des früheren § 170c den mit Strafe bedrohte, der einer Frau, die, wie er weiß, von ihm schwanger ist, gewissenlos die ihm nach den Umständen zuzumutende Hilfe vorenthält, deren sie wegen der Schwangerschaft oder der Niederkunft bedarf und dadurch Mutter oder Kind einer Notlage aussetzt (BVerfGE 88 203, 298).29 5

bb) Die neue Strafvorschrift ist im Rahmen der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs durch das SFHÄndG 30 geschaffen worden. Sie trägt den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von einer Strafnorm für das familiäre Umfeld der Schwangeren allenfalls rudimentär Rechnung (Günther SK Rdn. 10, 37). Die Vorschrift nimmt sich eines bestimmten Aspekts der Unterhaltspflichtverletzung an. Gefordert war aber eine Regelung, die über die Einhaltung gesetzlicher Unterhaltspflichten und eine daran orientierte strafrechtliche Sanktionierung hinausreicht. Mit einer an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientierten strafrechtlichen Sondervorschrift für das familiäre Umfeld der Schwangeren hatten sich überhaupt nur zwei der überaus zahlreichen Entwürfe (vgl. Gesetzesmaterialien zum SHFÄndG) bemüht, der Entwurf der BT-Fraktion der CDU/CSU (BTDrucks. 13/285)31 und der Entwurf der Fraktion der FDP (BTDrucks. 13/286).32 Diesem geringen Engagement 28

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Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines derartigen Pönalisierungsgebots L. Schulz StV 1994 41; vgl. auch schon Vor § 166 Rdn. 6. Nicht bedacht hat das Bundesverfassungsgericht bei dieser Vorgabe offenbar, daß § 170 c und mit ihm § 201 E 1962 vom Gesetzgeber des 4. StrRG mit einhelliger Billigung des Schrifttums als unpraktikabel, bedeutungslos und daher entbehrlich erachtet worden ist (vgl. auch Vor § 169 Entstehungsgeschichte sowie Vor § 169 Rdn. 6). Einwendungen gegen die ersatzlose Streichung des § 170 c sind im Gesetzgebungsverfahren von keiner Seite erhoben worden (BTDrucks. VI/1552 S. 3; VI/3521 S. 13). Hinzu kommt, daß Intention des § 170 c nicht die Stärkung eines Rechts der Schwangeren, sondern der Schutz der Familie in seiner zeitbedingten Übersteigerung war, was die Fragwürdigkeit einer Anknüpfung hieran unterstreicht (vgl. Frommel N K Rdn. 2; L. Schulz StV 1994 44). Zu ihr ausführlich und überwiegend krit. Beck-

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mann ZfL 4 (1995) 24ff; H. Otto Jura 1996 136 ff; Tröndle N J W 1995 3009 ff; vgl. auch schon L. Schulz StV 1994 38 ff. Er stellte in einen neuen § 218d Abs. 2 den unter Strafe, der seiner schwangeren unter 18 Jahre alten Tochter oder einer von ihm schwangeren Frau in einer Notlage erbetene materielle Hilfe nicht leistet, obwohl diese zur Abwendung eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten oder eigener schutzwürdiger Interessen möglich ist, und dadurch den Abbruch der Schwangerschaft bewirkt. Sein § 219 Abs. 2 ging gegenüber dem Vorschlag der CDU/CSU-Entwurfs insofern weiter, als er keine Begrenzung auf minderjährige Töchter vorsah, die Tathandlung auf die Vorenthaltung auch immaterieller Hilfe erstreckte und den Abbruch der Schwangerschaft als objektive Bedingung der Strafbarkeit gestaltete.

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entsprach die Behandlung im Gesetzgebungsfahren. Zwar führte der Unterausschuß „Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz" des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, an den die sechs nach Beginn der 13. Wahlperiode erneut aus der Mitte des Bundestags eingebrachten Gesetzentwürfe in erster Lesung federführend überwiesen worden waren (BTProt. 13/19 S. 1275ÎÏ), am 11.5.1995 eine umfangreiche öffentliche Anhörung zum Thema „Notwendigkeit einer Strafnorm für das familiäre bzw. soziale Umfeld der Schwangeren sowie gegebenenfalls deren Ausgestaltung" durch (UASFHÄndGProt. 13/3; 13/5). Doch wurde durch die Stellungnahmen die an sich eindeutige und inhaltlich bestimmt gefaßte Forderung des Bundesverfassungsgerichts zumeist relativiert und für unrealisierbar erachtet. 33 Auf welchen „verschlungenen Pfaden" (Günther SK Rdn. 8) es dann dazu kam, die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts als Problem der Unterhaltspflichtverletzung zu sehen und durch einen neuen § 170 Abs. 2 zu regeln, ist unklar. Dieses Konzept erscheint erstmals in der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 28.6.1955 (BTDrucks. 13/1850). Seine spezielle Erläuterung, die sich überdies in zwei Sätzen erschöpft (S. 25), schweigt zum Motiv. Sonst läßt sich der Begründung nur entnehmen, daß der Vorschlag ein zwischen den Vertretern der CDU/CSU, SPD und F D P ausgehandelter „tragfahiger Kompromiß" ist. Bereits am 29.6.1995 wurden die Gesetzentwürfe vom Bundestag in 2. und 3. Lesung beraten (BTProt. 13/47 S. 3753fi). In der anschließenden namentlichen Abstimmung fand die Ausschußfassung des SFHÄndG eine breite Mehrheit (BTProt. 13/47 S. 3795 C). Der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 6.7.1995 zu (BRDrucks. 13/390-95; BTProt. 13/687 S. 328). Es trat am 1.10.1995 in Kraft. 34 cc) Bei der rechtlichen Betrachtung der Vorschrift ist zunächst auf ihre systemati- 6 sehe Widersprüchlichkeit hinzuweisen. Obwohl als Unterhaltspflichtverletzung konzipiert, verfolgt sie doch den Zweck, Schwangerschaftsunterbrechungen zu vermeiden und dient damit dem Schutz ungeborenen Lebens (näher Rdn. 8). Damit gehört der Tatbestand eigentlich in den Zusammenhang der §§ 218 ff (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 24, 44; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1 a). Ausgestaltet ist § 170 Abs. 2 als verselbständigte qualifizierte Unterhaltspflichtverletzung. 35 Darauf weisen die Motive, nach denen die Vorschrift das gesteigerte Handlungs- und Erfolgsunrecht der Fälle erfaßt, in denen die Verweigerung einer gesetzlich geschuldeten Unterhaltsleistung einen Schwangerschaftsabbruch hervorruft bei mindestens bedingtem Vorsatz hinsichtlich des Vorenthaltens des Unterhalts (BTDrucks. 13/1850 S. 25), die tatbestandliche Zuordnung und die hohe Strafdrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), die nur mit Blick auf § 170 Abs. 1, nicht auf § 218 erklärbar ist {Günther SK Rdn. 38; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 34), hin. Auch sachlich unterliegt die Vorschrift massiver Kritik. Es haften ihr typische Mängel einer eilfertig konzipierten und wenig durchdachten Norm an (Tröndle NJW 1995 3017). Zwar enthält sie 33

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Vgl. UASFHÄndGProt. 13/3 S. 9 (Bernsmann)·, 13/3 S. 10, 40, 86 f, 96 (Böttcher)·, 13/3 S. 44, 56 f (Eser); 13/3 S. 17 (Goy); 13/3 S. 20, 58, 64 (Hassemer)\ 13/3 S. 75, 79 (Lipka-Hartmann)·, 13/3 S. 23 ( Ν elles)', 13/3 S. 75, 79, 13/5 S. 36, 154, 155 (Ullrich). Ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte des SFHÄndG auch bei Günther SK Rdn. 6ff; Schittenhelm NStZ 1997 169f; Tröndle NJW 1995 3009 ff. Günther SK Rdn. 1, 38; Lackner/Kühl Rdn. 1;

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Vor § 218 Rdn. 24; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 45 f; Tröndle!Fischer Rdn. 11; vgl. auch BTDrucks. 13/1850 S. 25; zweifelnd Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 1 a; and. Frommel NK Rdn. 6 (Tatbestand sui generis); Otto BT § 65 Rdn. 19 Fn. 24 (selbständiges Delikt); Schittenhelm NStZ 1997 169f (eigenständiger Tatbestand mit vom § 170 b Abs. 1 abweichenden Unrechtsgehalt ähnlich dem des früheren § 170c).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

einzelne Elemente der im Ansatz sachgerechten Entwürfe von CDU/CSU und F D P (vgl. Fn. 30, 31), hat insgesamt aber noch deutlichere Schwächen als diese. Verfehlt ist vor allem, daß der Tatbestand bei der Täterschaft, anders als der frühere § 170 c und § 201 E 1962, nicht an der Zeugung, sondern an einer gegenüber der Schwangeren bestehenden Verletzung der Unterhaltspflicht anknüpft. Diese sachwidrige Verknüpfung von Täterschaft und Unterhaltspflicht übersieht, daß die Strafdrohung damit die mit Abstand wichtigste Tätergruppe der nichtehelichen Väter ausspart, weil deren Unterhaltspflicht der Mutter gegenüber erst sechs Wochen vor der Geburt beginnt und acht Wochen danach endet (§ 1615 1 Abs. 1 BGB), mithin erst einsetzt, nachdem die Frist des § 218 a Abs. 1 Nr. 3 für den Schwangerschaftsabbruch verstrichen ist. Nicht zu Unrecht gibt Günther zu bedenken, ob die Ausblendung eines vom Bundesverfassungsgericht in seiner besonderen Verantwortlichkeit hervorgehobenen Personenkreises noch mit dem Willkürverbot zu vereinbaren ist (SK Rdn. 41; vgl. dazu auch SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34 a). Die Vorschrift greift auch insoweit zu kurz, als zwar die Eltern der Mutter als zu deren familiärem Umfeld gehörend, zu Tätern werden können, nicht aber die des nichtehelichen Vaters, obwohl sie zu dem ungeborenen Kind im selben Verhältnis stehen (Schittenhelm NStZ 1997 170). Andererseits kommen als Täter Personen in Betracht, die gegenüber dem von einem anderen gezeugten Kind keine herausgehobene Verantwortung tragen, beispielsweise der nachehelich Unterhalt schuldende geschiedene Ehemann der Schwangeren (Günther SK Rdn. 10). All dies zeigt, daß die neue Vorschrift den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Zweck einer das Beratungskonzept flankierenden strafrechtlichen Regelung zum Schutz der Schwangeren gegen negative Einflußnahmen aus ihrem familiären Umfeld nicht gerecht werden kann. So nimmt nicht Wunder, daß sie der Wissenschaft in seltener Deutlichkeit als Fehlkonstruktion erscheint, 36 als schlechteste aller denkbaren Lösungsmöglichkeiten (Schittenhelm NStZ 1997 169) und eine der mißglücktesten Schöpfungen der neueren Strafgesetzgebung (Arzt/ Weber BT § 10 Rdn. 34; Günther SK Rdn. 10). Sie ist überdies ein weiteres Beispiel für die Fernhaltung der Strafrechtswissenschaft von Reformen des Strafrechts, 37 wie auch für die zunehmende Bedeutung der Symbolik als einzige Realie der Gesetzgebung. 38 7

3. Das geschützte Rechtsgut der Vorschrift ist durch die besondere Zielrichtung des neuen Absatzes 2 kein einheitliches mehr. a) Welches Rechtsgut Absatz 1 schützt, ist weder in der neuen, noch war es in der ursprünglichen Fassung des § 170b ausgedrückt. Auch sonst hatte der Gesetzgeber bei der Einfügung der Vorschrift nicht erkennen lassen, welchen Zweck er mit ihr verfolgte. Einen Rückschluß läßt freilich die Stellungnahme von Rietzsch,39 dem damaligen Fachreferenten im Reichsministerium der Justiz, zu. Danach beruht die Vorschrift auf dem „großen politischen Gedanken der Förderung der Familie" (DJ 1943 228) und stellt sich als ein „Fall des Familientreubruchs, eine Versündigung an den Banden des Blutes und der Familie" dar (DJ 1943 229). Dementsprechend gingen auch die Auf-

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Z. B. Beckmann ZfL 4 (1995) 30f; Frommel N K Rdn. 2, 6; Maurach/Schroeder/Maiwald 2 § 63 Rdn. 48; H. Otto Jura 1996 144; Tröndle N J W 1995 3017; vgl. auch schon J. Meyer BTProt. 13/47 S. 3776 A; Wettig-Danielmeier BTProt. 13/47 S. 3758 C; ferner LacknerlKühl Vor § 218 Rdn. 20 ff; Sch/Schröder/Eser Vorbem §§ 218 ff Rdn. 8.

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Vgl. zuvor schon für § 14 H.-J. Bruns G A 1988 1; Schünemann LK § 14 Rdn. 6. Arzt Wissenschaftsbedarf nach dem 6. StrRG, ZStW 111 (1999) 757, 758, 777 f. DJ 1943 228 fr, 241 ff; ferner bei PfundtnerlNeubert Das Neue Deutsche Reichsrecht, Lfg. 139 (1943) I l e 6 S. 205ff.

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fassungen nach 1945 davon aus, daß in § 170 b gegenüber dem früheren § 361 Nr. 10 ein höherer rechtspolitischer Gedanke liegen müsse. Er wurde darin gesehen, daß der Familiengeist und der Familienzusammenhalt gestärkt werden solle (beispielhaft Walt. Becker NJW 1955 1906; vgl. aber auch Jagusch L K 8 Anm. 1). Die Rechtsprechung knüpfte an die Intentionen des Gesetzgebers an und erblickte in der Tat ein gegen die Bande des Blutes und der Familie begangenes Unrecht. 40 Diese Betrachtung hat gegenüber der Erwägung, daß die Strafdrohung nicht nur Unterhaltspflichten trifft, die auf gültiger Ehe (so bei geschiedenen Eheleuten) oder auch nur auf blutsmäßiger Abstammung (etwa bei unterlassener Anfechtung der Ehelichkeit) beruhen, 41 nicht standhalten können. Bald entsprach es nahezu einmütiger Auffassung, daß § 170b als konkretes Gefahrdungsdelikt eine doppelte Funktion (Günther SK Rdn. 11) hat, 42 indem er zunächst dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor Gefährdung seines Lebensbedarfs dient, 43 zugleich aber auch, insoweit durchaus noch dem ursprünglichen Ziel des früheren § 361 Nr. 10 verhaftet (vgl. Rdn. 1), die Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bewahren soll.44 Dies gilt für § 170 Abs. 1 uneingeschränkt fort. 45 b) Das durch Absatz 2 geschützte Rechtsgut ist völlig anders als das des Absatzes 8 1. Es geht aus der Bestimmung klar hervor. Grundgedanke der Vorschrift ist die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, der Rechnung zu tragen der Gesetzgeber versucht hat (vgl. Rdn. 5), sicherzustellen, daß eine schwangere Frau sich frei von negativen Einflüssen aus dem familiären Umfeld für ihr Kind entscheiden kann. Das zielt darauf ab, Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden. Geschütztes Rechtsgut ist danach zunächst das werdende Leben. Da immaterieller Beistand aus dem familiären Umfeld, der am ehesten der schwangeren Frau in ihrem Konflikt helfen würde, nicht erzwungen werden kann (vgl. dazu schon Vor § 169 Rdn. 1), setzt § 170 Abs. 2 bei den materiellen Zwängen an, die durch die Vorenthaltung geschuldeten Unterhalts bei der schwangeren Frau entstehen. Das weist darauf hin, daß geschütztes Rechtsgut neben dem werdenden Leben zusätzlich die das Recht auf Unterhalt umfassende Autonomie der Frau ist.46

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Ζ. B. BGHSt. 5 106, 108 mit Anm. Krumme LM § 170 b Nr. 2 ; OLG Hamm NJW 1960 1632; wohl auch noch OLG Zweibrücken MDR 1974 1034. So beispielsweise H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 127 (vgl. andererseits aber Anm. zu BayObLG FamRZ 1957 138, 141); Mittelbach M D R 1957 65; Oehler FamRZ 1959 489; Schröder JZ 1959 346; im Ansatz schon Bode NJW 1955 1588. Zur Konstruktion eines doppelten Rechstguts Hefendehl S. 366 f. Insoweit and. Schlächter, die in dem Individualinteresse nur ein Mittel zum Bewahren des Allgemeinguts sieht, der Schutz des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs damit einen geringeren Rang einnehme (Festschrift Oehler S. 316). BVerfGE 50 142, 153; BGHSt. 12 166, 169; 26 111, 116; BGHZ 28 359, 367; BayObLG FamRZ 1957 374; NJW 1982 1243; OLG Hamburg NStZ 1986 118; OLG Karlsruhe JR 1978 379 mit Anm. Oehler, KG JR 1985 516 mit Anm. Lenzen-, OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507;

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OLG Schleswig SchlHA 1959 295, 296; Blei BT § 37 IV 1; Geppen JR 1988 222 fT; KöhlerlLuthinlSpitz Rdn. 1000; Heimann-Trosien JR 1976 235; Klussmann M D R 1973 459; Mittelbach M D R 1957 65; Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40; Preisendanz vor Anm. 1; Sauer BT § 42 III 4 b; Schmidhäuser BT 13/12; Thalmann/Thalmann BewH 35 (1988) 167; Welzel Strafrecht § 63 III 2; vgl. auch die ausführlichen Darstellungen bei Eggert S. 30 ff; Frenze! S. 58 ff; Ihm S. 226 IT; Neudek S. 10 ff; Verfürden S. 260". Rechtsvergleichend zum Schutzzweck der Strafbarkeit einer Verletzung von Unterhaltspflichten Kunz NJW 1977 2004. 45

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Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 33; Bottke S. 107; Frommet N K Rdn. 5; Günther SK Rdn. 11; Hefendehl S. 366; Kindhäuser § 4 Β 4.5; KöhlerlLuthienl Spitz Rdn. 1000; UcknerIKühl Rdn. 1; Mäurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 25; Otto BT § 65 Rdn. 19; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 1; TröndlelFischer Rdn. 1. Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 1 a; grundsätzlich in diesem Sinne auch Fromme! N K Rdn. 6;

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4. Die Rechtsanwendung schon des § 170 b, jetzt § 170 Abs. 1, war äußerst problematisch. Mit § 170 Abs. 2 sind neue praktische Schwierigkeiten hinzugekommen. a) Die Probleme bei der Anwendung des Absatzes 1 sind tatsächlicher, aber auch rechtlicher Art. In tatsächlicher Hinsicht ergeben sie sich vor allem bei der Feststellung des Bestehens der gesetzlichen Unterhaltspflicht (Rdn. 25 bis 27), dem Nachweis der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten (Rdn. 35 bis 37) und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (Rdn. 38 bis 42) sowie der Gefahrdung des Lebensbedarfs. Allerdings kommt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Schwierigkeiten, die § 170 b ursprünglich den polizeilichen Ermittlungsorganen und der Justiz bei der Feststellung der Leistungspflicht bereitete, seit dem Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes (§ 169 Rdn. 10 Fn. 25) nicht mehr zum Tragen. Während der Strafrichter zuvor stets die Vaterschaft des Täters selbständig prüfen mußte, ist er, seitdem in den Fällen, in denen die Vaterschaft durch Anerkennung (früher §§ 1600 b ff, jetzt §§ 1594 ff BGB) oder durch gerichtliche Entscheidung (früher § 1600n, jetzt § 1600 d BGB) feststeht (näher Rdn. 25), hiervon enthoben (vgl. auch schon § 169 Rdn. 10). Nicht vermindert haben sich die Schwierigkeiten bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Sie erfordert in vielen Fällen einen außerordentlichen Aufwand, weil regelmäßig zahlreiche Einwände des Täters zu widerlegen sind, die beispielsweise seine Arbeitsmöglichkeiten oder seinen Gesundheitszustand, die Zumutbarkeit einer ausgeschlagenen Arbeit, die Notwendigkeit von Ausgaben etwa unter dem Gesichtspunkt eines Nachholbedarfs oder ein Irrtum über die seine Unterhaltspflicht begründenden Umstände betreffen, dazu oft bei weit zurückliegenden Geschehnissen. Es liegt auf der Hand, daß der Tatrichter in zahlreichen Fällen all dies nicht vollständig aufklären kann. So fallen Urteile in Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht schon aus tatsächlichen Gründen verhältnismäßig häufig einer Anfechtung zum Opfer. Revisionen, die das Verfahren bei der Anwendung der Vorschrift rügen, sind zumeist begründet. 47 Rechtliche Schwierigkeiten bestehen ebenfalls in einem Ausmaß, wie es sonst in Strafsachen regelmäßig nicht anzutreffen ist. Sie beruhen darauf, daß die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes weitgehend durch das bürgerliche Recht ausgefüllt werden. Zweifelsfragen entstehen namentlich dadurch, daß sich die in den beiden Rechtsgebieten anzuwendenden Grundsätze nicht decken. Im Vordergrund stehen dabei die Bedeutung der Beweisvermutungen des bürgerlichen Rechts für den Strafrichter (Rdn. 26) und seine Bindung an zivilgerichtliche Urteile (Rdn. 27). Die Schwierigkeiten bei der Anwendung des § 170 Abs. 1 sind um so mehr von Belang, als die kriminalpolitische Bedeutung der Vorschrift einen sehr hohen Rang einnimmt (vgl. Vor § 169 Rdn. 17). Sie sind im Gesetzgebungsverfahren gesehen worden, haben jedoch einen Verzicht auf die Vorschrift nicht rechtfertigen können (näher dazu Rdn. 3).

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b) Bei der Anwendung des Absatzes 2 sind, da er an die gesetzliche Unterhaltspflicht anknüpft, zunächst die Voraussetzungen des Grundtatbestandes festzustellen, das Bestehen der Unterhaltspflicht, die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und die Gefahrdung des Lebensbedarfs der unterhaltsberechtigten Schwangeren, verbunden mit alle den Schwierigkeiten, wie sie bei der Anwendung des Absatzes 1 bestehen. Gewichtige weitere treten bei der Feststellung der spezifischen Voraussetzungen des Absatzes 2 hinzu. Schwer zu führen ist der Nachweis, daß die Vorenthaltung des Günther SK Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 1; Maurach/Schwederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 24; Otto BT § 65 Rdn. 19.

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K. Peters Strafrechtsgestaltende Kraft S. 32f unter Hinweis (Fn. 70) auch auf erfolgreiche Wiederaufnahmeverfahren.

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Unterhalts zur Gefahrdung des Lebensbedarfs der Schwangeren geführt hat und diese für ihren Entschluß, die Schwangerschaft abzubrechen, ursächlich gewesen ist. Gewöhnlich handelt es sich, psychologisch gesehen, um ein ganzes Motivbündel, das für den Entschluß der Schwangeren bestimmend war (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 48). Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens liegen die Ursachen von Schwangerschaftsabbrüchen zu einem erheblichen Teil nicht in erster Linie in wirtschaftlich-sozialer Bedrängnis der Schwangeren, sondern in gestörten Partnerschaftsbeziehungen (vgl. BVerfGE 88 203, 297). Im Grunde wird nur die Frau selbst wissen, was der eigentliche Grund für ihren Entschluß war, die Schwangerschaft abzubrechen, während andere Personen meist nur als Zeugen vom Hörensagen in Betracht kommen {MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 48). Die Frau aber muß nicht aussagen, wie sie schon nicht gehalten ist, dem Arzt die Gründe für ihr Verlangen, die Schwangerschaft abzubrechen, anzugeben (§ 218 c Abs. 1 Nr. I).48 Hat die Frau sich nach dem Schwangerschaftsabbruch mit dem Unterhaltspflichtigen versöhnt, ist sie zu einer Aussage kaum mehr bereit, während umgekehrt bei einem feindseligen Verhältnis zum Unterhaltspflichtigen dessen Verteidiger bemüht sein wird, die belastenden Aussagen der Frau als Racheakt darzustellen {MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 48). Über die Ursächlichkeit der fehlenden Unterhaltszahlungen für den Schwangerschaftsabbruch hinaus muß weiter festgestellt werden, daß der Täter der Schwangeren den Unterhalt auf verwerfliche Weise vorenthalten hat, was vor allem dann schwierig ist, wenn bei gestörten Partnerschaftsbeziehungen der Unterhaltspflichtige die Vaterschaft bestreitet {Tröndle NJW 1995 3018; TröndlelFischer Rdn. 11; vgl. auch LackneriKühl Rdn. 13). Dadurch bleiben für die Anwendung des § 170 Abs. 2 selbst in den Fällen noch erhebliche Probleme, in denen alles dafür spricht, daß ein leistungsfähiger Unterhaltspflichtiger durch die Vorenthaltung der Unterhaltszahlungen den Schwangerschaftsabbruch bewirkt hat {Tröndle NJW 1995 3018). Nicht zuletzt auch wegen der Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung erweist sich die Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht als gesetzgeberische Fehlleistung {Günther SK Rdn. 50). 5. Der Tatbestand des § 170 Abs. 1 ist als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 1 1 BGB anzusehen, und zwar auch zugunsten der Körperschaft, die einem Bedürftigen öffentliche Hilfe gewährt. 49 Dies folgt aus dem primären Schutzzweck der Vorschrift, den Unterhaltsberechtigten vor Gefahrdung seines materiellen Lebensbedarfs zu schützen (Rdn. 7). Für einen nachrangig Unterhaltspflichtigen stellt § 170b jedoch kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar {H.-J. Bruns Anm. BayObLG FamRZ 1957 138, 141 Fn. 14). 6. Die Anwendung des § 170 bei Unterhaltspflichtverletzungen mit Auslandsbezug unterliegt besonderen Regeln. a) Verletzungen der Unterhaltspflicht mit internationalem Einschlag, etwa bei nichtdeutscher Nationalität des Täters, bei Tatbegehung im Ausland oder bei deutscher Nationalität des im Ausland lebenden Verletzten, sind tatbestandsmäßig, wenn die betreffende Unterhaltspflicht in den Schutzbereich des § 170 fallt. Das richtet sich nach den Regeln des internationalen Strafrechts (§§ 3 bis 9). Sie knüpfen für die Gel-

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Die darzulegen das Bundesverfassungsgericht für unerläßlich hält (BVerfGE 88 203, 284), so daß insoweit eine eindeutige Mißachtung der Bindung des Gesetzgebers vorliegt (Lackneri Kühl Vor § 218 Rdn. 23).

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BGHZ 28 359, 365 ff; 30 162, 172; BGH NJW 1963 579 mit Anm. Reich NJW 1963 949 und v. Caemmerer NJW 1963 1402; FamRZ 1968 29; NJW 1974 1868; OLG Schleswig SchlHA 1959 295; Göppinger!Stöckle Rdn. 1420.

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tung deutschen Strafrechts in erster Linie an das Territorialitätsprinzip (§§ 3, 9 Abs. 1) an. Das bedeutet, daß entweder der Täter sich bei der Tat im Inland aufhält oder, wenn er sich im Ausland aufhält, der tatbestandsmäßige Erfolg im Inland eintritt. Halten sich sowohl der Unterhaltsverpflichtete als auch der Unterhaltsberechtigte zur Zeit der Tat, wofür maßgebend ist, wann der Täter gehandelt hat oder bei einem Unterlassen hätte handeln müssen (§ 8), im Ausland auf, kann deutsches Strafrecht nur über den auf dem Subsidiaritätsprinzip beruhenden Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege (§ 7 Abs. 2) zur Anwendung kommen (Günther SK Rdn. 8; vgl. auch Sehl Schröder ÍEser Vorbem §§ 3-7 Rdn. 9). 13

b) Diese Grundsätze führen bei den einzelnen Fallgestaltungen zu unterschiedlichen Regelungen. Deutsche Staatsbürger sind stets in den Schutzbereich des § 170 einbezogen, so daß Unterhaltspflichtverletzungen auch zu Lasten von im Ausland lebenden deutschen Unterhaltsberechtigten tatbestandsmäßig sind. Dem Schutz des § 170 unterfallen ferner Unterhaltsansprüche von im Inland lebenden Ausländern, gleichgültig ob sie auf deutschem oder ausländischem Recht beruhen, 50 wobei dann auch der weitere Zweck des § 170 Abs. 1, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bewahren (Rdn. 7), voll zur Geltung kommt (SehlSchröderILenckner Rdn. 1). Lebt der ausländische Unterhaltsberechtigte nicht im Inland, so scheitert seine Strafbarkeit zwar nicht daran, daß der Erfolg der Unterlassung seiner im Inland gebotenen Handlung im Ausland eingetreten ist (so aber AG Mannheim NJW 1969 997); doch läßt von dem durch die Vorschrift in erster Linie geschützten Rechtsgut, den Unterhaltsberechtigten vor Gefahrdung seines Lebensbedarfs zu bewahren (Rdn. 7), her betrachtet die unterschiedliche Ausgestaltung des materiell-rechtlichen Tatbestandes in den verschiedenen Ländern und die teilweise dort bestehenden besonderen Strafverfolgungsvoraussetzungen (vgl. DopffellBuchhoferl Martiny S. 656 f) eine Bestrafung nach deutschem Recht nicht zu, wie es im übrigen aber auch nicht Aufgabe des deutschen Strafrechts ist, die finanziellen Interessen eines anderen Staates vor Beeinträchtigungen zu bewahren. 51 Die Gegenmeinung 52 stützt sich vor allem auf das allen Staaten gemeinsame Interesse an einer gleichförmigen Strafverfolgung der Unterhaltspflichtverletzungen. Dem können indessen nur internationale Abkommen Rechnung tragen. Die Rechtsprechung darf diesen Rege-

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O L G Hamm JMB1NRW 1959 269; Blei JA 1975 315, 316; Günther SK Rdn. 15; LacknerlKühl Rdn. 2; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 27; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1 b; Tröndlel Fischer Rdn. 3 a; and. Oehler, der die Anwendung von § 170 b davon abhängig macht, ob der Unterhaltsberechtigte „den deutschen Sozialbehörden zur Last ungerechtfertigter Weise fallen kann" (Rdn. 236). BGHSt. 29 85, 87 mit Anm. Pelchen LM § 170b Nr. 3, Anm. Oehler JR 1980 380, 381 und Anm. Kunz NJW 1980 1201; BayObLG N J W 1962 1243, 1244; OLG Frankfurt N J W 1978 2460; O L G Saarbrücken N J W 1975 506, 507 mit Anm. Oehler JR 1975 292; OLG Stuttgart N J W 1977 1601; 1985 1299; LG Frankfurt N J W 1977 508; AG Rosenheim NJW 1981 2653; Gribbohm LK Vor § 3 Rdn. 189; Günther SK Rdn. 15; Kindhäuser § 4 Β 4.6; Köhler/Spitz Rdn. 1001; LacknerlKühl Rdn. 2; MaurachlSchröder!Mai-

wald 2 § 63 Rdn. 26; Otto BT § 65 Rdn. 20; Schlächter Festschrift Oehler S. 316; Schmidhäuser BT 13/12; SehlSchroederlLenckner Rdn. l b ; Tröndlel Fischer Rdn. 3 a; and. OLG Karlsruhe N J W 1978 1754 mit Anm. Oehler JR 1978 381; Gössel Festschrift Oehler S. 106; Kunz N J W 1987 881; 1995 1521. Ist ein Ausländer wegen Unterhaltspflichtverletzung gegenüber seinen im Ausland lebenden Kindern rechtskräftig verurteilt worden, so entfallen die Wirkungen des Urteils nicht ohne weiteres; doch darf die Strafaussetzung zur Bewährung nicht deshalb widerrufen werden, weil der Verurteilte den Weisungen des Gerichts zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt (OLG Stuttgart N J W 1985 1299). 52

OLG Karlsruhe JR 1978 379 mit Anm. Oehler, Gössel Festschrift Oehler S. 105; Kunz N J W 1977 2004; 1980 1201.

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lungen durch die Ausdehnung rein innerstaatlichen Rechts nicht vorgreifen. Deshalb greift die Vorschrift auch dann nicht ein, wenn es sich um einen Deutschen handelt, der seinem im Ausland lebenden ausländischen Unterhaltsberechtigten Unterhalt schuldet. 53 c) Die Anwendung des § 170 b auf die Verletzung von Unterhaltspflichten nach 1 4 dem Unterhaltsrecht der DDR 5 4 vor deren Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes war sehr umstritten. Nach der vor allem im Schrifttum vertretenen Auffassung galten die für ausländische Rechtsgüter bestehenden Einschränkungen des § 170b entsprechend. 55 Daraus folgt, daß die Verletzung von Unterhaltspflichten gegenüber in der D D R lebenden Unterhaltsberechtigten durch Bürger der Bundesrepublik oder in der Bundesrepublik lebenden ausländischen Tätern nicht nach § 170 b sondern nur nach § 141 DDR-StGB (vgl. Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33) strafbar war, dies aber auch für Unterhaltspflichtverletzungen durch Bürger der D D R zum Nachteil anderer in der D D R lebender DDR-Bürger galt. Soweit vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der D D R begangene Straftaten noch nicht verjährt sind, bestimmt sich ihre Strafbarkeit nach § 2 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 1 EGStGB, wobei § 141 DDR-StGB gegenüber dem früheren § 170b regelmäßig das mildere Gesetz sein dürfte (Günther SK Rdn. 16). II. Der äußere Tatbestand des Absatzes 1 setzt das Bestehen einer gesetzlichen 1 5 Unterhaltspflicht, ferner, als Elemente des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht, die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten voraus und verlangt als Tathandlung, daß der Täter sich dieser Pflicht entzieht mit dem Erfolg einer aktuellen oder potentiellen Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten. 1. Einer gesetzlichen Unterhaltspflicht muß der Täter sich entziehen. Ihr Bestehen richtet sich nach zahlreichen, zum Teil durch eine enge Verknüpfung straf- und zivilrechtlicher Normen gekennzeichneten Voraussetzungen.

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BayObLG NJW 1982 1243, 1244; AG Rosenheim NJW 1981 2653; Günther SK Rdn. 15; Kindhäuser § 4 Β 4.6; Köhlerl Spitz Rdn. 1001; LacknerlKühl Rdn. 2; Otto BT § 65 Rdn. 20; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1 b; TröndlelFischer Rdn. 3a. Im wesentlichen normiert in den §§ 12, 17 bis 22, 25, 29ff, 43, 46 des Familiengesetzbuchs (FGB) vom 20.12.1965 (GBl. I 1966 1) in der zum 1.10.1999 geänderten Fassung des Ersten Familienrechtsänderungsgesetzes vom 20.7.1990 (GBl. I 1038; vgl. dazu BGH NJW-RR 1992 1474, 1475; Engelhardt FamRZ 1990 917; Grandke Dt Ζ 1990 323). Es war zusammen mit seinem Einführungsgesetz und der Familienverfahrensordnung vom 17.2.1966 (GBl. II 171) am 1.4.1966 in Kraft getreten. Die Unterhaltsrechte beider deutschen Staaten hatten sich, namentlich durch den Wegfall des Schuldausspruchs bei Ehescheidungen, einander angeglichen; gewisse Unterschiede bestanden freilich fort (vgl. z.B. Rdn. 17 Fn. 67; Rdn. 18 Fn. 70; Rdn. 27 Fn. 108). Die maßgeblichen Unterhalts-

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richtlinien sind bei KinkelArends dargestellt (NJW 1987 1529ÍT). Zur Entwicklung des Familienrechts in der DDR seit 1949 ausführlich Limbachl Willutzki S. 7 ff. Zum familienrechtlichen Inhalt des Einigungsvertrages Grandke DtZ 1990 321 ff. Die familienrechtlichen Besonderheiten nach dem Beitritt der DDR regelt Art. 234 EGBGB. Zu Fragwürdigkeiten bei der Überleitung des nachehelichen Unterhaltsrechts durch den Einigungsvertrag und das Erste Familienrechtsänderungsgesetz Diekmann Festschrift Herrn. Lange S. 805 ff « So z.B. Geppert JR 1988 221; Günther SK Rdn. 16; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 28; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 1 b; ferner LG Ravensburg NStZ 1984 459 mit Anm. Zuberbier!Becker NStZ 1985 269; and. z.B. BayObLG NJW 1966 1173; JR 1988 261, 262 f; OLG Frankfurt ROW 1986 236; KG JR 1985 516 mit Anm. Lenzen; OLG Hamburg NJW 1986 336; OLG Stuttgart NStE § 170b Nr. 2; LG Mainz Rpfleger 1982 390; Gribbohm LK Vor §3 Rdn. 190.

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a) Die für Unterhaltspflichten maßgeblichen Gesetze sind solche des bürgerlichen Rechts. Eine selbständige „strafrechtliche" Unterhaltspflicht gibt es nicht; vielmehr empfängt dieser Begriff seinen vollen Inhalt vom bürgerlichen Recht (Schröder JZ 1959 346). Soweit besteht für das Tatbestandsmerkmal der gesetzlichen Unterhaltspflicht des § 170 eine Akzessorietät zum bürgerlichen Recht. 56 Die Strafrechtsnorm knüpft an zivilistische Wertungen an und transformiert sie zur strafrechtlichen Wertung (J. Baumann FamRZ 1957 234). Grundsätzlich gilt deutsches Unterhaltsrecht. Ausländisches Unterhaltsrecht kommt bei im Inland lebenden ausländischen oder im Ausland lebenden deutschen Unterhaltsberechtigten in Betracht. 57 Zu den gesetzlichen Unterhaltspflichten im Sinne des § 170 gehören alle Unterhaltspflichten nach deutschem bürgerlichen Recht. 58 Gibt es einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch, greift der Schutz des § 170 ohne weiteres ein (SehlSchröderILenckner Rdn. 2). Dogmatisch wird die Unterhaltspflicht herkömmlicherweise nicht als Einheit gesehen, sondern als eine zu jedem Zeitpunkt, in dem ihre Voraussetzungen vorliegen, sich erneuernde Verbindlichkeit. 59 Als Beleg dafür findet sich der Hinweis auf die §§ 1361 Abs. 4 Satz 2, 1585 Abs. 1 Satz 2, 1612 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach eine Geldrente monatlich im voraus zu leisten ist. Hiergegen erhebt sich neuerdings Widerspruch, vor allem mit der Begründung, die Annahme einer stetigen Neuentstehung von Unterhaltsansprüchen verstoße gegen die allgemeinen Denkgesetze (Göppinger/Wax Rdn. 21 ff; Wax FamRZ 1993 22, 23; Staudingerl Engler Vorbem zu §§ 160Iff Rdn. 65 ff). Der Kritik ist zuzugeben, daß die herkömmliche Konstruktion nirgends eine eingehendere dogmatische Begründung erfahren hat, der Hinweis auf die genannten Vorschriften zudem kaum tragfähig ist, weil sie nur die Fälligkeit des Anspruchs regeln, nichts aber über seine Entstehung aussagen. 16

b) Die Entstehungsgründe gesetzlicher Unterhaltspflichten ergeben sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuchs, dem Ehegesetz (für bis zum 30.6.1977 rechtskräftig geschiedene Ehen) und dem Lebenspartnerschaftsgesetz (§ 169 Rdn. 11 Fn. 33). aa) Gesetzliche Unterhaltspflichten knüpfen an bestimmte enge familienrechtliche Verhältnisse zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Unterhaltsberechtigten an {KöhlerlLuthin Rdn. 2). Diese Grundverhältnisse sind Verwandtschaft, Ehe und Eingetragene Lebenspartnerschaft. 60 Außerhalb dieser Verhältnisse gesetzlich begründete 56

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Günther SK Rdn. 17; ferner Bockelmann Gedächtnisschrift Radbruch S. 257; vgl. auch BVerfG 50 142, 153; BGHSt. 12 166, 171; 26 111, 113; BayObLGZ 1961 671 mit Anm. Dünnebier; Lackner/Kühl Rdn. 3; Lüke Festschrift Arth. Kaufmann S. 565; Schröder JZ 1959 346; Welzel Festschrift H. Mayer S. 396. BayObLG N J W 1982 1243; OLG Hamm JMB1NRW 1959 269; OLG Saarbrücken N J W 1975 506, 507 mit Anm. Oehler JR 1975 261 und Bespr. Blei JA 1975 508; OLG Stuttgart N J W 1977 1601; Günther SK Rdn. 17; Mauracht SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 27; Sch/SchrödertLenckner Rdn. 2; TröndletFischer Rdn. 3 a; zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 2; and. Oehler, § 170 b nehme nur auf gesetzliche Unterhaltspflichten nach deutschem Recht Bezug (Anm. zu O L G Saarbrücken N J W 1975 506; JR 1975 291, 293); hiergegen Blei JA 1975 588. Vgl. dazu auch Rdn. 12 bis 14.

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Schröder JZ 1959 347; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 2; vgl. auch BGHSt. 12 166, 171; BayObLGSt. 1968 60, 62; O L G Hamm N J W 1960 1632; JZ 1962 547 mit Anm. Schröder. s » BGHZ 82 246, 250; 85 16, 25; RGZ 46 65, 67; 49 155, 157; PalandtlDiederichsen Einf ν § 1601 Rdn. 2; SoergellHäberle Vor § 1601 Rdn. 2; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 1 e. 60 Sie ist eine der Ehe stark ähnelnde, sich in vieler Hinsicht von ihr aber auch unterscheidende Rechtsform (vgl. dazu die tabellarische Gegenüberstellung der Regelungsinhalte beider Formen bei Schwonberg ZfL 54 [2002] 50). Eingetragene Lebenspartner sind einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie zu gemeinsamer Lebensgestaltung (nicht, wie Eheleute, zur Lebensgemeinschaft) verpflichtet (§ 2 Satz 1 LPartG) und tragen füreinander Verantwortung (§ 2 Satz 2 LPartG). Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines weitgehend der Ehe ange-

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Unterhaltsberechtigungen, beispielweise der zeitlich begrenzte Anspruch der Mutter gegen den nicht mit ihr verheirateten Vater des Kindes aus Anlaß der Geburt (§ 16151 BGB), sind seltene Ausnahmen (GöppingerIWax Rdn. 5). Die Unterhaltsansprüche bestehen grundsätzlich unabhängig vom Fehl- oder Wohlverhalten des Unterhaltsberechtigten. Nur ganz ausnahmsweise und nach Maßgabe besonderer Bestimmungen kommt es darauf an, ob der Unterhaltsberechtigte die Fürsorge der Familie auch „verdient" (KöhlerlLut hin Rdn. 2), so etwa bei der Beschränkung oder dem Wegfall der Unterhaltspflicht nach § 1611 BGB und dem Ausschluß des Unterhaltsanspruchs bei grober Unbilligkeit nach § 1579 BGB. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt die Unterhaltspflichten zwischen Verwandten einschließlich der nichtehelichen und angenommenen Kinder (allgemeine Vorschriften §§ 1601 ff BGB) und die der Ehegatten untereinander (insb. §§ 1360ÍT BGB). Die Unterhaltspflichten der Eingetragenen Lebenspartner untereinander, in denen sich in erster Linie die gegenseitige Solidargemeinschaft äußert {Burhoff ZAP Fach 11 S. 612; N. Mayer ZEV 8 [2001] 170; D. Schwab Familienrecht Rdn. 883), ergeben sich zu einem großen Teil aus Verweisungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes (§§ 5 Satz 2, 12 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 2 Satz 2 LPartG). In der unterhaltsrechtlichen Praxis ist die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber Kindern die bei weitem bedeutendste (MünchKommBGB/LMiA/n § 1601 Rdn. 5). bb) Verwandte in gerade Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, also Kinder den Eltern und Großeltern, Eltern den Kindern und Enkeln (§ 1601 BGB). Daher haften, wenn der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratete Vater zu keiner Unterhaltsleistung in der Lage ist, an seiner Stelle nicht seine, sondern die Eltern der Mutter (OLG Nürnberg M D R 2000 512). Der Grad der Verwandtschaft ist für die Unterhaltspflicht ohne Belang, hat aber Bedeutung für die Rangfolge der Unterhaltsverpflichteten (Rdn. 29). Nicht einander unterhaltspflichtig sind Kinder in der Seitenlinie (Geschwister) 61 und Verschwägerte (vgl. § 1590 BGB). Auch gegenüber

näherten Rechtsinstituts Battes FuR 13 (2002) 49; Beck NJW 2001 1894 ff; Burgi Staat 39 (2000) 487 ff, insb. 505 f; Grib S. 291 ff; Kirchhof FPR 7 (2001) 434; A. Klein FPR 7 (2001) 434 f; Leipold ZEV 8 (2001) 218; v. Münch NJW 1999 260; Ott NJW 1997 117 f; Pauly NJW 1997 1956f; Pawlowski JZ 2000 765; Robbers JZ 2001 779; Rothe! ZRP 1999 513; Sachs JR 2001 45 ff; Schimmel S. 58 ff, 131 ff; Schlüter FFE 3 (2000) 8Iff; Schwab FamRZ 2001 386; Strick DEuFamR 2 (2000) 83 ff; Trimbach! Webert NJ 1998 64ff; Zuck NJW 1995 175 f. Das Bundesverfassungsgericht sieht durch das Lebenspartnerschaftsgesetz weder das Gebot des besonderen Schutzes der Ehe (Art. 1 Abs. 1 GG), noch das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt (BVerfGE 105 313, 342fT mit Anm. Kemper FPR 8 [2002] 576; krit. dazu Rollecke NJW 2002 25390- Zu vergleichbaren, aber auch anderen Lösungsmodellen folgenden Regelungen im Ausland finden sich Hinweise bei Burhoff ZAP Fach 11 S. 605; St. Heun S. 72ff, 254 ff; Holzhauer JZ 2000 1081; Lüscher!Grabmann ZSE 22 (2002) 55 f; Meyer!Mittelstadt Einleitung II; Muscheler Rdn. 11 ff; Pro(297)

bertl Barlow DEuFamR 2 (2000) 76 ff; Reiß KJ 1994 99f; Röthel ZRP 1999 514ff; IPRax. 10 (2000) 74 ff; Schlüter FEE 3 (2000) 77; Schlüter! Heckes!Stommel DEuFamR 2 (2000) 1 ff; Verschraegen Beziehungen S. 85 ff; DEuFamR 2 (2000) 64ff; spezielle Darstellungen zum Recht in den skandinavischen Staaten bei Dopffel! Scherpe S. 7 ff; Grib S. 16 ff, 239 ff, 259 ff; OlsenRing/Ring KJ 1999 366 ff; zum dänischen Recht bei Bech ZfSf. 4 (1991) 213ÍT; Jayme IPRax. 1 (1990) 197 ff; Scherpe DEuFamR 2 (2000) 32 ff; FPR 7 (2001) 439; Wacke FamRZ 1990 347ff; zum niederländischen Recht bei Boele-Woelkil Schrama S. 51 ff; de GrootlHaase StAZ 51 (1998) 165; zum französischen Recht bei Ferrand FamRZ 2000 517ff; Rechtsstellung S. 113ff; Hauser DEuFamR 2 (2000) 29 ff; Chr. Schreiber FPR 7

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(2001) 442f; zum Recht in Spanien und in spanischen Teilrechtsordnungen Schlenker S. 145 ff; zum Recht in Ungarn Jessel-Holst S. 167 ff; zum Recht in Großbritannien Freeman S. 173 ff; zum Recht in den Vereinigten Staaten von Amerika H. D. Krause S. 187 ff; Landmark DEuFamR 2 (2000) 236 ff. Anders noch das Allgemeine Landesrecht für die

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Stiefkindern besteht keine Unterhaltspflicht. 62 Die Unterhaltsansprüche nichtehelicher Kinder sind grundsätzlich dem allgemeinen Familienunterhalt zuzuordnen. Nachdem bereits das Nichtehelichengesetz (§ 169 Rdn. 10 Fn. 25) durch Streichung des früheren § 1589 Abs. 2 BGB bestimmt hatte, daß auch das nichteheliche Kind mit seinem Vater im Rechtssinn verwandt ist, und vom Kindschaftsrechtsreformgesetz (§ 169 Rdn. 9 Fn. 22) dann weitgehend auf die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern verzichtet worden war (vgl. § 169 Rdn. 10), vollzog das Kindesunterhaltsgesetz 63 die völlige Gleichstellung des Unterhalts ehelicher und nichtehelicher Kinder (§§ 1615afT BGB). 64 Bestehen geblieben sind, teils unverändert, teils in veränderter Form, einzig gewisse Sonderregelungen zum Unterhaltsanspruch der Mutter, 65 von denen her betrachtet es keinen Sinn gemacht hätte, jegliche Sonderregelung für den Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes zu vermeiden (F. Günther FamRZ 1998 787). Diese Sonderregelungen gelten für den Anspruch gegen den nichtehelichen Vater. Im Verhältnis zur Mutter, deren Verwandten und den Verwandten des Vaters, so den Großeltern väterlicherseits, gilt materiell allgemeines Unterhaltsrecht {KöhlerlLuthinILuthin Rdn. 6). Der Anspruch der Mutter des nichtehelichen Kindes gegen den Vater auf Unterhalt aus Anlaß der Geburt (§16151 Abs. 1 bis 4 BGB; vgl. auch Fn. 65 und schon Rdn. 16) ist für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt zu gewähren (Absatz 1). Falls und soweit Unterhaltsbedürftigkeit durch den Wegfall von Einkünften aus Erwerbstätigkeit entsteht, die infolge der Schwangerschaft, der Entbindung oder der Notwendigkeit der Versorgung des Kindes nicht mehr ausgeübt werden kann, hat der Vater den Unterhalt darüber hinaus zu entrichten, frühestens beginnend vier Monate vor der Geburt, endend grundsätzlich drei Jahre nach der Geburt (Absatz 2). Er verjährt in vier Jahren (Absatz 4). Dem Vater steht der Anspruch bei Nichterwarten der Erwerbstätigkeit der Mutter wegen der Pflege oder Erziehung des Kindes (Absatz 2 Satz 2) gegen die Mutter zu, wenn er das Kind betreut (Absatz 5). Für beide Ansprüche sind die Vorschriften über die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten entsprechend anzuwenden (Absatz 5).66 Auch die Unterhaltsansprüche angenommener Kinder gehören zum Familienunterhalt. Die Annahme begründet ein umfassendes gesetzliches Verwandtschaftsverhältnis zu dem Annehmenden selbst und dessen Verwandten (§ 1754 BGB).

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Preußischen Staaten von 1794 (II 3 §§ 14, 15) eine Reihe ausländischer Rechtsordnungen (näher Staudingerl Engler § 1601 Rdn. 19). B G H NJW 1969 2007; MünchKommBGB/ Luthin § 1601 Rdn. 13; Palandt/Diederichsen § 1601 Rdn. 2; Staudingerl Engler § 1601 Rdn. 28; TröndlelFischer Rdn. 4. Gesetz zur Vereinfachung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz - KindUG) vom 6.4.1998 (BGBl. I 666). Weitere Rechtsänderungen sind zu erwarten, nachdem der Deutsche Bundestag bekräftigt hat, daß das Familienunterhaltsrecht, namentlich das der Kinder, Mängel enthält, denen abzuhelfen dringlich ist (vgl. die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses vom 5.7.2000 [BTDrucks. 14/1247 S. 3]; dazu im Einzelnen Peschel-Gutzeit F P R 8 [2002] 169 ff). Die Neuregelung des § 1612b Abs. 5 BGB (vgl. Rdn. 40 mit Fn. 204) ist eine erste Maßnahme. Auch in der D D R

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ansprüche des nichtehelichen Kindes denen der ehelichen Kinder angeglichen; zu Einzelheiten Preisendanz Anm. 6. So § 1615 a BGB (Anwendung der Vorschriften des allgemeinen Unterhaltsrechts, wenn für ein Kind keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1, § 1593 BGB besteht, und die Eltern das Kind auch nicht während ihrer Ehe gezeugt oder nach seiner Geburt die Ehe miteinander geschlossen haben), § 16151 BGB (Unterhalt von Mutter und Vater aus Anlaß der Geburt), § 1615m BGB (Beerdigungskosten für die Mutter), § 1615 η BGB (Ansprüche nach den §§ 16151, 1615m BGB auch bei Tod des Vaters und bei einer Totoder Fehlgeburt) und § 1650 o BGB (Einstweilige Verfügung gegen den Vater). Zu den Unterhaltstatbeständen des § 16151 BGB im Einzelnen und praxisrelevanten Fragen zum Anspruch auf Betreuungsunterhalt Wever F F E 2 (1999) 21 ff.

Unterhalts-

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Der Anspruch gegen den Annehmenden setzt bereits ein, sobald die Eltern des Kindes die erforderliche Genehmigung erteilt haben und das Kind in die Obhut des Annehmenden aufgenommen ist (§ 1751 Abs. 4 BGB). Mit der Annahme erlischt das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten (§ 1755 BGB). 67 cc) Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Ehegatten untereinander regelt das 1 8 Bürgerliche Gesetzbuch, seit das Scheidungs- und Scheidungsfolgerecht der §§ 54 ff EheG in das Bürgerliche Gesetzbuch reintegriert worden ist.68 Sie sind je nach der tatsächlichen Gestaltung des Eherechtsverhältnisses verschiedener Art. Bei häuslicher Gemeinschaft der Ehegatten besteht die beiderseitige Verpflichtung zum Familienunterhalt (§ 1360 BGB). 69 Leben die Ehegatten getrennt, kann ein Ehegatte von dem anderen angemessenen Unterhalt verlangen (§ 1361 Abs. 1 BGB), wobei der nichterwerbstätige Ehegatte nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen darauf verwiesen werden kann, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (§ 1361 Abs. 2 BGB). Ist die Ehe geschieden, hat ein Ehegatte, der nicht selbst für seinen Unterhalt zu sorgen vermag, gegen den anderen grundsätzlich Anspruch auf Unterhalt (§§ 1569 ff BGB). 70 Schließlich können der gutgläubige Ehegatte, bei beiderseitiger Bösgläubigkeit auch beide Ehegatten, als Folge einer Eheaufhebung (§§ 1313 ÍT BGB) unter Umständen von dem anderen Ehegatten Unterhalt verlangen (§ 1318 BGB). Nach bisherigem Recht hatte der unrichtigerweise für tot erklärte Ehegatte, dessen Ehe durch Schließung einer neuen durch den anderen aufgelöst ist (§ 1319 Abs. 2 BGB) entsprechend § 61 Ab. 2 EheG gegen den Bigamisten einen Anspruch auf Unterhalt (PalandtlBrudermüller § 1319 Rdn. 5). Eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Unterhaltspflicht entfiel jedoch regelmäßig aus subjektiven Gründen (Heimanrt-Trosien L K 9 Rdn. 15). Das Unterhaltsrechtsverhältnis der Ehegatten untereinander ist in tatsächlicher Hinsicht unlöslich mit den Unterhaltsansprüchen der Kinder verknüpft und von ihnen abhängig, was in den Rangordnungen (Rdn. 28), im familienrechtlichen Entscheidungsverbund (§§ 621 ff ZPO) und im Tabellenunterhalt (Rdn. 36) zum Ausdruck kommt (vgl. KöhlerlLuthin Rdn. 5). dd) Eingetragene Lebenspartner sind einander zum angemessenen Unterhalt verpflichtet; die §§ 1360a und 1360b BGB gelten entsprechend (§ 5 LPartG). 71 Anders als 67

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Zu den minderen Wirkungen bei der Annahme Volljähriger §§ 1767 Abs. 2, 1770 BGB. Für in der DDR vor dem Beitritt adoptierte Kinder vgl. Art. 234 § 13 EGBGB. Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.6.1976 (BGBl. I 1421), am 1.7.1977 in Kraft getreten. Diesen BegrifT kennt das DDR-FGB (vgl. Rdn. 14 Fn. 54) nicht. Es spricht statt dessen (für die intakte Ehe) von den „Aufwendungen zur Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Ehegatten, der minderjährigen und der im Haushalt lebenden volljährigen Kinder", die „von den Ehegatten und den Kindern entsprechend ihren Kräften, ihrem Einkommen und ihren sonstigen Mitteln durch Geld-, Sachund Arbeitsleistungen gemeinsam erbracht" werden (§ 12 Abs. 1 Satz 1). Für bis zum 30.6.1977 rechtskräftig geschiedene Ehen gelten die §§ 58 ff EheG fort. Mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürger-

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lichen Gesetzbuch durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25.7.1986 (BGBl. I 1142) war auch im innerdeutschen Kollisionsrecht eine neue Rechtslage entstanden. Es galt nunmehr das im Scheidungsurteil tatsächlich angewandte Scheidungsstatut. Seit dem Beitritt der D D R kommt es zur Anwendung der §§ 1569 ff BGB nur, wenn der Unterhaltsverpflichtete bereits zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte, während es im übrigen bei der maßgeblichen Grundregel bleibt (Art. 234 § 5 EGBGB). Nach dem Recht der DDR entfiel mit der Scheidung grundsätzlich jeder Unterhaltsanspruch (§ 29 Abs. 3 DDR-FGB). Zur Abänderung von Entscheidungen der DDR-Gerichte über nachehelichen Unterhalt BGH NJW-RR 1992 1474. 71

Die Regelung bei gemischtstaatlichen Lebenspartnerschaften (Art. 17a EGBGB) ist als allseitige Kollisionsnorm ausgestaltet, bestimmt

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in § 1360 Satz 2 BGB ist in § 5 Satz 1 LPartG nichts über Vereinbarungen zur Haushaltsführung gesagt. Dies beruht auf der Typizität der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, die eine Haushaltsführung wegen gemeinsamer Kindererziehung nicht einschließt. Gleichwohl wird es Lebenspartnerschaften geben, in denen nur ein Partner erwerbsfähig ist, etwa bedingt durch eine besondere Erwerbsbiographie, aber auch dadurch, daß ein Partner Kinder aus einer früheren Beziehung zu betreuen hat. Daß das Gesetz dies anerkennt, zeigt die entsprechende Anwendbarkeit des § 1357 BGB (§ 8 Abs. 2 LPartG), deren es nicht bedurft hätte, wenn der Gesetzgeber nicht auch Lebenspartnerschaften mit einem haushaltsführenden Teil berücksichtigen wollte.72 Im übrigen folgt aus der Verweisung des § 5 Satz 2 LPartG, daß ein nicht erwerbstätiger Lebenspartner von dem anderen Lebenspartner verlangen kann, ihm die Kosten des Rechtsstreits in einer persönlichen Angelegenheit oder die Kosten der Verteidigung in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren vorzuschießen (§§ 1360 a Abs. 2 BGB). Auch hat er zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse einen Anspruch auf Taschengeld, der sich für Ehegatten aus § 1360 a Abs. 1 BGB herleitet. 73 Leben Eingetragene Lebenspartner getrennt, kann ein Lebenspartner von dem anderen den nach den Lebensverhältnissen sowie den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen während der Lebenspartnerschaft angemessenen Unterhalt verlangen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 LPartG). Diese können sich ebenso wie die ehelichen Lebensverhältnisse (vgl. z.B. OLG Schleswig M D R 2000 1077) bis zur Aufhebung der Lebenspartnerschaft (§ 15 LPartG) weiterentwickeln (KalthoenerlBiittnerlNiepmann Rdn. 190 b). Anders als im nachehelichen Unterhaltsrecht muß der bisher nicht erwerbstätige Lebenspartner sich jedoch schlechthin darauf verweisen lassen, seinen Unterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 LPartG), und nicht nur dann, wenn dies, wie bei Ehegatten (§ 1361 Abs. 2 BGB), nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Partnerschaft sowie nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Partner von ihm erwartet werden kann. 74 Zur Versagung, Herabsetzung und zeitlichen Begrenzung des Unterhaltsanspruchs in der Trennungszeit genügt einfache Unbilligkeit (§ 12 Abs. 2 LPartG), während nach Aufhebung der Partnerschaft infolge der Verweisung auf § 1579 BGB (§ 16 Abs. 2 Satz 2 LPartG) grobe Unbilligkeit erforderlich ist.75 Der nachpartnerschaftliche Unterhalt wird, anders als nach den bestimmten, durch eine positive Härteklausel ergänzten Unterhaltstatbeständen des nachehelichen Unterhaltsrechts (§§ 1570 bis 1576 BGB) dem Lebenspartner im übrigen nur in der im Grundsatz pauschalen Form gewährt, soweit und solange von ihm eine

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daher auch über die Anwendbarkeit ausländischer Sachvorschriften, die ein mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft vergleichbares Rechtsinstitut zum Gegenstand haben (Meyer! Mittelstadt Teil 3 VI 1). H. Büttner FamRZ 2001 1106; vgl. auch Dethloff N J W 2001 2600 f; Grziwotz D N o t Z 2001 283 f; D. Kaiser JZ 2001 619; Λ Schwab FamRZ 2001 391; Weinreich FuR 12 (2001) 481; vgl. auch Burhoff ZAP Fach 11 S. 612f, 614; Kemper F F E 5 (2001) 159; FPR 7 (2001) 455. Burhoff Z A P Fach 11 S. 613; H. Büttner FamR Z 2001 1106; Kalthoenerl BüttnerlNiepmann Rdn. 190a; Palandt!Brudermüller § 5 LPartG Rdn. 3; vgl. auch D. Schwab Familienrecht Rdn. 883.

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Dazu Battes FuR 13 (2002) 117; Burhoff Z A P Fach 11 S. 622; Dorsel R h N o t Z 2001 152; Grziwotz D N o t Z 2001 295 f; IX Kaiser JZ 2001 621; Kemper F F E 5 (2001) 160; F P R 7 (2001) 455; N. Mayer ZEV 8 (2001) 173; G. Müller D N o t Z 2001 585; D. Schwab FamRZ 2001 392; Schwonberg Z f F 54 (2002) 54. Dieser Widerspruch läßt sich nur in der Weise auflösen, stets einfache Unbilligkeit genügen (Battes FuR 13 [2002] 119; H Büttner FamRZ 2001 1108, 1110; Weinreich FuR 7 [2001] 484) oder stets grobe Unbilligkeit erforderlich sein zu lassen (Kemper F F E 5 [2001] 161; Palandt/ Brudermüller § 12 LPartG Rdn. 9, § 16 LPartG Rdn. 12).

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Erwerbstätigkeit, insbesondere wegen seines Alters oder wegen Krankheiten oder anderer Gebrechen nicht erwartet werden kann (§ 16 Abs. 1 LPartG). 76 c) Unterhaltspflichten, die auf anderen Rechtsgrundlagen, als den im Bürgerlichen 2 0 Gesetzbuch normierten, beruhen, sind grundsätzlich keine gesetzlichen Unterhaltspflichten. aa) Dies gilt zunächst für eine durch Rechtsgeschäft begründete Unterhaltspflicht. Durch vertragliche Übernahme als solche 77 wird die Unterhaltspflicht nicht zu einer gesetzlichen.78 Das zu bewirken reicht der Parteiwille nicht aus, wie umgekehrt sich die gesetzliche Unterhaltspflicht auch nicht in eine vertragliche „umwandeln" läßt {StaudingerlEngler Vorbem zu §§ 1601 ff Rdn. 121; and. AG Schönau M D R 1966 34679). Wird daher ein Unterhaltsvertrag, was im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung häufig der Fall sein mag, auf der gesetzlichen Grundlage geschlossen, so hängt bei Nichterfüllung die Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 davon ab, ob und inwieweit die übernommene Verpflichtung der gesetzlichen entspricht {Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 32; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 15). Ebenso liegt es bei einem gerichtlichen Vergleich. Es genügt nicht, daß er auf den gesetzlichen aufbaut; vielmehr müssen die vertraglichen und gesetzlichen Pflichten sich decken. 80 Aber selbst dann, wenn die vertraglich oder vergleichsweise übernommene Verpflichtung im Zeitpunkt ihrer Begründung der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprochen hat, sind deren Bestand, Umfang und Dauer zu ermitteln, weil die Übereinstimmung durch eine nachträgliche Veränderung der für die gesetzliche Unterhaltspflicht maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, etwa wie sie die §§ 1569 ff BGB für die Verpflichtung gegenüber einem Ehegatten voraussetzen, verlorengegangen sein kann (BayObLG FamRZ 1962 120, 121; insoweit nicht in BayObLGSt. 1961 160 und BayObLG GA 1961 280). Unberührt bleiben die Unterhaltsansprüche der gemeinsamen Kinder, wenn ein Ehegatte den anderen in der Scheidungsvereinbarung von ihnen freistellt; doch kommt es nur auf deren Verletzung bei der Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 nicht an (BGH JR 1986 324 mit Anm. Göppinger, MaurachlSchroederl Maiwald 2 §63 Rdn. 32). bb) Keine gesetzliche Unterhaltspflichten begründen ferner die Ersatzansprüche 21 eines Dritten, der den Unterhalt für den Unterhaltsverpflichteten gewährt hat. 81 Die

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Zu Einzelheiten und Besonderheiten vgl. Bergerfurth F F E 4 (2001) 114; Burhoff ZAP Fach 11 S. 624; Dorsel R h N o t Z 2001 153; H. Büttner FamRZ 2001 1108ff; Grziwotz D N o t Z 2001 296f; KalthoenerlBüttner!Niepmann Rdn. 190c; Kemper F F E 5 [2001] 165; N. Mayer ZEV 8 (2001) 169; Palandt!Brudermüller § 16 LPartG Rdn. 2ff; D. Schwab Familienrecht Rdn. 902f; FamRZ 2001 391 ff. Beispiel (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 15): Der vor dem 1.7.1977 nicht schuldig geschiedene Ehegatte hat sich vertraglich gegenüber dem allein oder überwiegend schuldig geschiedenen Ehegatten zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. BayObLG FamRZ 1958 285; O L G Schleswig SchlHA 1954 154, 155; LG Memmingen N J W 1971 206, 207; DalckelFuhrmann!Schäfer Anm. 1; Günther SK Rdn. 23; Lackner/Kühl Rdn. 2;

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Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 32; Rößler JW 1937 2496; SoergellHaberle Vor § 1601 Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 15; Welze! Strafrecht § 63 2 a. Die Großeltern hatten das Kind gegen die Verpflichtung des Vaters, „den Unterhalt" an sie zu zahlen, in Pflege genommen. BGHZ 31 210, 218; BGH M D R 2002 1125, 1126; BayObLG FamRZ 1958 284 (insoweit nicht in BayObLGSt. 1958 55 abgedruckt); FamRZ 1962 120; OLG Köln NJW 1962 929 mit Bespr. Preuße JuS 1962 287; OLG Stuttgart DAVorm. 70 (1997) 425; Günther SK Rdn. 23; Mattmer NJW 1967 1593; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 31; SchlSchröder! Lenckner Rdn. 15; Welzel Strafrecht § 62 2. Vgl. den gesetzlichen Übergang des Anspruchs auf den ersatzweise leistenden Verwandten nach den §§ 1607 Abs. 2, 1584 Satz 3 und den ersatz-

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Strafbarkeit des vorrangig oder eigentlich Unterhaltspflichtigen entfällt freilich nur dann, wenn der Dritte ohne Rücksicht auf die Unterhaltsverweigerung des Verpflichteten im Einvernehmen mit dem Verpflichteten oder etwa deshalb zahlt, weil er seine Beziehungen zu dem Unterhaltsberechtigten verstärken möchte, nicht aber, wenn der Dritte leistet, um die Gefahrdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten abzuwenden, mithin ein „anderer" im Sinne des § 170 Abs. 1 ist.82 22

cc) Auch der Erstattungsanspruch eines öffentlichrechtlichen Leistungsträgers gegen den vorrangig unterhaltspflichtigen Dritten 8 3 begründet keine gesetzliche Unterhaltspflicht. Der Tatbestand des § 170 Abs. 1 setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Nichtzahlung des Unterhalts und der Unterstützung aus öffentlichen Mitteln voraus; die öffentliche Hilfe muß gewährt werden, weil und soweit der Unterhaltsverpflichtete seiner Pflicht nicht nachkommt (näher Rdn. 54 mit Fn. 262). Bei der Nichterfüllung des Erstattungsanspruchs fehlt dieser Zusammenhang. Nicht der Rückgriffsanspruch ist strafbewehrt, sondern der Unterhaltsanspruch, der zum Einschreiten der öffentlichen Hand geführt hat. Er wird es auch nicht dadurch, daß der Unterhaltsanspruch kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergeht oder dieser ihn auf sich überleitet. 84 Weder der Übergang noch die Überleitung verändern den Unterhaltsanspruch in seinem Wesen.85 Mit dem Gläubigerwechsel findet nur insofern eine Wandlung statt, als der Zweck des Anspruchs sich jetzt im Regreß erschöpft (.Eggert NJW 1972 1338 [Anm. zu OLG Frankfurt NJW 1972 836]), er also seinen Charakter als Unterhaltsanspruch im engeren Sinne verliert (BAG NJW 1971 2094). Doch liegt nach wie vor derselbe Anspruch vor, dessen Verletzung bereits deshalb den Tatbestand des § 170 Abs. 1 erfüllt, weil die öffentliche Hand aufgrund der Unterhaltsverweigerung eintreten mußte. 86 Es ist daher unerheblich, ob der öffentlichrecht-

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weise leistenden Verwandten oder Ehegatten des anderen Elternteils sowie den Dritten, der dem Kind des Vaters Unterhalt gewährt, nach § 1607 Abs. 3 BGB. BGHSt. 12 185, 188 mit Anm. Sarstedt LM StGB § 170 b Nr. 4; O L G Neustadt N J W 1953 1805, 1806; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 16; vgl. auch Rdn. 51. Die Rechtsgrundlagen solcher Ansprüche finden sich in den bis zu ihrer Einordnung in das Sozialgesetzbuch als dessen besondere Teile geltenden Gesetzen (Art. II § 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB] Allgemeiner Teil vom 11.12. 1975 [BGBl. I 3015]). Im Vordergrund stehen die allgemeinen Hilfen zum Lebensunterhalt bei Bedürftigkeit und die zusätzlichen Hilfen in besonderen erschwerten Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.d. F. vom 23.3.1994 (BGBl. I 646) sowie die Erziehungshilfen für Jugendliche bei Bedürftigkeit und die Aufwendungen zur Fürsorgeerziehung von Jugendlichen bei Verwahrlosung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz SGB VIII (vgl. Vor § 169 Rdn. 3 Fn. 18). Weiter sehen Ersatzansprüche gegen den Unterhaltspflichtigen beispielsweise das Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (BAföG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 6.6.1983 (BGBl. I 1680), das Arbeitsförderungsgesetz (AFG-SGB III)

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vom 25.6.1969 (BGBl. I 582), das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (BVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 22.1.1982 (BGBl. I 21) und das Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Rindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder - ausfalleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz UVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2.1. 2002 (BGBl. 12, 615) vor. Beispielsweise nach § 91 BSHG, §§ 95, 96 SGB VIII, § 37 BAföG, §§ 140, 141 AFG, § 27g BVG, § 7 UVG (zu dessen Neufassung Scholz F F E 2 [1999] 420BGHZ 152 217, 222; BGH FamRZ 1992 797, 800; BVerwGE 34 219, 22 lf; O L G Bamberg FamRZ 1995 1173; 1987 1014, 1015; Göppingerl van Eis Rdn. 1732; SchellhornlSchellhorn § 91 Rdn. 117. Deshalb geht beispielsweise auch das Pfändungsvorrecht des § 850 d ZPO, weil es mit dem Unterhaltsanspruch verknüpft bleibt, auf den Träger der Sozialhilfe über (BAG 1971 2094; LG Berlin Rpfleger 1961 364; LG Braunschweig N J W 1966 457; LG Duisburg Rpfleger 1957 51, 52). Zu den Unterschieden zwischen Sozialhilfe und Unterhalt sowie deren Auswirkungen Münder N J W 2001 2205 ff. Der Streit, ob die Aufwendungen für die Fürsorgeerziehung hierunter fallen (verneinend ζ. B. O L G Bremen N J W 1958 639; O L G Celle N J W

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liehe Leistungsträger den Unterhaltsanspruchs auf sich übergeleitet hat, zumal die Strafbarkeit andernfalls vom Ermessen einer Verwaltungsbehörde abhängig sein würde. 87 dd) Bei Unterhaltsrückständen ist Strafbarkeit möglich. Sie hängt davon ab, ob die 2 3 Rückstände dadurch aufgelaufen sind, daß der Täter seine Verpflichtungen in einer § 170 Abs. 1 objektiv und subjektiv verletzenden Weise nicht erfüllt hat. 88 Zur Nichtleistung des bis zur Vaterschaftsfeststellung fällig gewordenen rückständigen Unterhalts des nichtehelichen Kindes Rdn. 25. ee) Ein rechtswirksamer Verzicht auf den Unterhaltsanspruch läßt die gesetzliche 2 4 Unterhaltspflicht entfallen (Günther SK Rdn. 24; vgl. auch Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 15). Verwandte sowie Ehegatten und Lebenspartner, auch getrennt lebende, können für die Zukunft nicht auf Unterhalt verzichten (§§ 1614 Abs. 1, 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4 BGB, § 12 Abs. 2 Satz 2 LPartG). 89 Zulässig ist ein Verzicht aber zwischen geschiedenen Ehegatten und den Partnern einer aufgehobenen Eingetragenen Lebenspartnerschaft (§ 1585c BGB, § 16 Abs. 2 Satz 2 LPartG), 90 freilich in der Begrenzung durch § 138 BGB, zumal wenn er bewußt zu Lasten des Sozialhilfeträgers (vgl. dazu auch Rdn. 22) erklärt wird.91 Der Verzicht schließt eine Strafbarkeit selbst dann aus, wenn der Unterhaltsberechtigte später in eine unvorhergesehene Notlage gerät (BayObLGSt. 1967 1, 2f). Mit dem Verzicht endet die betreffende Unterhaltspflicht ersatzlos (Göppinger FamRZ 1970 223). Die Folgen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage finden hier auf die maßgeblichen Vereinbarungen (Erlaßvertrag

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1962 1832f; OLG Hamm N J W 1955 1891; 1975 456, 457; Klussmann M DR 1973 459) ist überholt. Er beruhte auf dem früheren § 62 JWG (Vor § 169 Rdn. 3 Fn. 18), der bestimmt hatte, daß die Fürsorgeerziehung auf öffentliche Kosten durchzuführen war (näher Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 21). Inzwischen hat das SGB III die Subsidiarität der öffentlichen Jugendhilfe durchgängig hergestellt (LacknerlKühl Rdn. 10). So die weitaus überwiegende Auffassung, z.B. BGHSt. 26 312, 318 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170 b Nr. 2 und Anm. Forster NJW 1976 1645; BayObLG FamRZ 1976 115; OLG Celle N J W 1962 1832, 1833; O L G Stuttgart GA 1973 121, 122; LG Memmingen N J W 1971 206, 207; Klussmann M D R 1973 460; Kraemer N J W 1973 793 f; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 38; Odersky Art. 1 Nr. 16 (§ 1615a BGB) Anm. III 2f; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 16, 31; TröndlelFischer Rdn. 6; vgl. auch Potrykus Jugendwohlfahrtsgesetz, 2. Aufl. (1972) § 85 Anm. 5 a. E.; and. OLG Frankfurt NJW 1972 836 mit Anm. Eggert NJW 1972 1338 und Anm. Potthast N J W 1972 2276; AG Bremerhaven M D R 1966 166; insoweit offen OLG Hamm N J W 1975 456, 457; AG Düsseldorf DAVorm. 1975 248, 249. Heimann-Trosien L K 9 unter Hinweis auf die gegenteilige, an die besonderen Voraussetzungen des früheren § 360 Nr. 10 anknüpfende und daher überholte Rechtsprechung.

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Auch nach DDR-Recht war ein Unterhaltsverzicht für die Zukunft unwirksam (vgl. § 61 D D R - F G B ; dazu O L G Hamm DAVorm. 1992 362; Palandt/Diederichsen § 1614 Rdn. 1). Zur Kritik am Übermaß der Verweisungen („§ 12 Abs. 2 Satz 2 LPartG mit § 1361 Abs. 4 Satz 4 mit § 1360 a Abs. 3 mit § 1614 Abs. 1 BGB"), die für den Durchschnittsleser unverständlich sind, D. Schwab Familienrecht Rdn. 893; zust. H. Büttner FamRZ 2001 1108 Fn. 24.

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Auf § 1615e BGB, nach dem ein Unterhaltsverzicht auch zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater oder dessen Verwandten möglich war, hat das Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 18 Fn. 63) verzichtet, weil die Vorschrift in der Vergangenheit keine Bedeutung erlangt hatte und Abfindungsverträge zudem tendenziell die Gefahr der Benachteiligung des Unterhaltsberechtigten in sich bergen (SchumacherI Grün FamRZ 1998 787).

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BGH FamRZ 1983 137, 139; 1992 1403; OLG Schleswig FuR 12 (2001) 553, 554; Palandtl Brudermüller § 1585 c Rdn. 15, § 16 LPartG Rdn. 15; SchellhornlSchellhorn § 91 Rdn. 27. Vgl. auch BVerfG FamRZ 2001 343 mit Anm. D. Schwab und Besprechung Rauscher FuR 12 (2001) 155 zu ehevertraglichen Abreden, die vor der Eheschließung mit einer Schwangeren getroffen werden und die Betreuungs- und Unterhaltssituation des gemeinsamen Kindes nach einer Scheidung berühren.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

nach § 397 Abs. 1 BGB oder negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB) keine Anwendung (BGHZ 2 379, 384). 25

d) Die Feststellung des Bestehens einer gesetzlichen Unterhaltspflicht begegnet praktischen Schwierigkeiten vor allem insoweit, als sie sich auf die Abstammung gründet. Sie obliegt dem Strafrichter (MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 32), der an ein vorangegangenes Zivilurteil grundsätzlich nicht gebunden ist (Kleinknecht/ Meyer-Goßner § 262 Rdn. 1), andererseits die Feststellung aber auch nicht ausschließlich auf ein zivilrechtliches Erkenntnis stützen darf (vgl. OLG Celle NJW 1955 563). aa) Die abstammungsrechtlichen Grundlagen der Unterhaltspflicht und ihre Feststellung sind durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz (vgl. § 169 Rdn. 9 Fn. 22) wesentlich vereinfacht worden, materiell-rechtlich durch die Aufgabe des zweispurigen, nach ehelicher oder nichtehelicher Kindschaft differenzierendem Abstammungsrecht, verfahrensrechtlich durch Veränderungen bei der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft und durch die Einführung eines einheitlichen Instituts der Vaterschaftsanfechtung (§ 1600 BGB) statt der bisherigen Unterscheidung danach, ob die Vaterschaft auf der Ehe mit der Mutter oder auf Anerkennung beruht. Die im deutschen Recht erstmals gesetzlich definierte Mutterschaft ist die der gebärenden Frau (§ 1591 BGB; vgl. dazu schon § 169 Rdn. 10). Der Gesetzgeber hat sie im Hinblick auf die vorgeburtlichen körperlichen und psychologischen Beziehungen zwischen der Mutter und dem Kind unanfechtbar ausgestaltet.92 Daher beginnt die gesetzliche Unterhaltspflicht der Mutter (§ 1601 BGB) stets und ohne weiteres mit der Geburt des Kindes. Die gesetzliche Vaterschaft ist nach wie vor die genetische (§ 1592 BGB). Sie führt zur rechtlichen Vaterschaft nur dann, wenn der Mann im maßgeblichen Zeitpunkt mit der Mutter verheiratet war (§ 1592 Nr. 1 BGB),93 er die Vaterschaft anerkannt hat (§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB) oder gerichtlich als Vater festgestellt ist (§§ 1592 Nr. 3, 1600d BGB), wobei die Vaterschaftsfeststellungsklage bereits vor der Geburt des Kindes erhoben werden kann (OLG Schleswig NJW 2000 1271, 1272). Das Vorliegen des die Vaterschaft begründenden Statusakts muß ausdrücklich im Statusurteil festgestellt werden {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4/5). Die Anerkennung der Vaterschaft ist bedingungsund befristungsfeindlich (§ 1594 Abs. 3 BGB), in ihren Wirkungen daher nicht beschränkbar, dazu formgebunden (§ 1597 Abs. 1 BGB) und zustimmungsbedürftig

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Ausführlich dazu H. F. Gaul F a m R Z 1997 1463f; Quantius FamRZ 1998 1150f; zur Kritik der anfechtungsrechtlichen Unantastbarkeit Coester DEuFamR 1 (1999) 5; Muschelerl Beisenherz JR 1999 411 f. Ein aus heterologer Insemination hervorgegangenes Kind ist unterhaltsrechtlich wie ein eheliches Kind zu behandeln. Dies folgt daraus, daß in der Zustimmung des Mannes die rechtsgeschäftliche Verpflichtung liegt, für das Kind wie ein ehelicher Vater zu sorgen (BGHZ 129 297, 302 f; H. Büttner F F E 3 [2000] 15). Die im Kindschaftsrechtsreformgesetz ofTen gebliebene lang umstrittene Frage (vgl. dazu Peschel-Gutzeit F P R 8 [2002] 286 f), ob der Ehemann ungeachtet seiner Zustimmung die Ehelichkeit anfechten kann, hat das Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten (Kinderrechteverbesserungsgesetz) vom 9.2.2002 (BGBl. I 1239) durch Ergänzung von § 1600 BGB durch

einen neuen Absatz 2 geregelt, der, wenn das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden ist, die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausschließt. Ficht später das Kind an, kann dadurch die Geschäftsgrundlage der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung entfallen (BGHZ 129 297, 305 ff; BGH N J W 1995 2031, 2032; LG Zwickau N J W 1995 787, 788; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 147). Hat der Mann gegenüber der Mutter stillschweigend die Verpflichtung übernommen, für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, obwohl das Kind in der Ehe der Mutter mit einem anderen Mann geboren und die Ehelichkeit nicht angefochten worden ist, kann er sich auch daraus einseitig nicht ohne weiteres lösen (OLG Hamm NJW 1988 830, 831).

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(§ 1595 BGB). Ihr Bestehen schließt eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft aus (arg. 1600d Abs. I).94 Doch kann im Vaterschaftsfeststellungsverfahren der Widerruf einer Anerkennung der Vaterschaft erklärt werden (§ 641c Satz 1 ZPO). Umgekehrt ist aber auch eine Anerkennung der Vaterschaft noch im gerichtlichen Verfahren möglich, womit bei gleichzeitig erklärter Zustimmung der Mutter der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist (§ 641c Satz 1 ZPO; Kirchmeier FPR 8 [2002] 371; Palandtl Diederichsen § 1600d Rdn. 8). Rechtsfolge beider Statusakte ist die gesetzliche Vaterschaft (§ 1592 BGB), wobei die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft als Statusurteil für und gegen alle wirkt (§ 640 h Abs. 1 ZPO). Die Rechtswirkungen können erst geltend gemacht werden, wenn die Anerkennung oder die gerichtliche Feststellung wirksam werden (§§ 1594 Abs. 1, 1600d Abs. 4 BGB). 95 Ist der Rechtsschein der Anerkennung oder der gerichtlichen Feststellung geschaffen, steht, selbst bei sachlicher Unrichtigkeit (vgl. Odersky Art. 1 Nr. 9 [1600a BGB] Anm. V), ohne weiteres auch die Unterhaltspflicht (§ 1601 BGB) fest. Begründet wird die Unterhaltspflicht freilich nicht erst durch die Statusakte. Sie entsteht, wie bei der nichtehelichen Mutter, mit der Geburt des Kindes und ist durch die Rechtsausübungssperre der §§ 1594 Abs. 1, 1600d Abs. 4 BGB nur suspendiert. 96 Mit der Anerkennung oder der gerichtlichen Feststellung schuldet daher der Vater dem nichtehelichen Kind den Unterhalt rückwirkend von der Geburt an (vgl. §§ 1600d Abs. 4, 1613 Abs. 2 Nr. 2 a, 1615 1 Abs. 3 BGB). Das Kind kann von seinem Vater Unterhaltsbeträge, die fallig geworden sind, bevor die Vaterschaft anerkannt oder rechtskräftig festgestellt worden ist, auch für die Vergangenheit verlangen. Während jedoch sonst bei Unterhaltsrückständen eine Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 in Betracht kommen kann (vgl. Rdn. 23), bleibt die Nichtleistung der bis zu Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft fallig gewordenen Rückstände straflos. 97 Zweck des § 170 Abs. 1 ist, den Unterhaltsberechtigten vor Gefährdung seines Lebensunterhalts und die Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu schützen (vgl. Rdn. 7). Dieser Schutzzweck verlangt nicht, die Strafbarkeit auf die Nichtleistung der Unterhaltsrückstände aus der Zeit vor der Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft auszudehnen; denn als dieser Bedarf des Kindes bestand, konnte aufgrund der Rechtsausübungssperre von dem dann feststehenden Vater Unterhalt noch nicht verlangt werden (so auch Sehl Schröder/Lenckrter Rdn. 6). Der Grundsatz, daß Unterhaltsansprüche gegen den mit der Mutter nicht verheirateten Vater als Rechtswirkungen im Sinne des § 1600d Abs. 4 BGB erst nach der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft geltend gemacht werden können, wird durch vorläufige Anordnungen im gerichtlichen Feststellungsverfahren durchbrochen. Im Wege der einstweiligen Verfügung läßt sich auf Antrag des Kindes anordnen, daß der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat, oder der

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BGH FamRZ 1999 716; H. Büttner FFE 3 (2000) 14; Kirchmeier FPR 8 (2002) 370; vgl. auch schon Lange NJW 1970 298. Ob es sich hierbei um eine Rechtsentstehungssperre oder eine Rechtsausübungssperre handelt (vgl. z.B. einerseits Holzhauer FamRZ 1982 109 f, andererseits H. F. Gaul FamRZ 1997 1449, 1451 f) ist praktisch ohne Bedeutung (PalandtlDiederichsen § 1594 Rdn. 5). OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; vgl. auch SchlSchröderILenckner Rdn. 6; Odersky Art. 1 Nr. 9 (§ 1600a BGB) mit Hinweisen auf mißverständliche Auffassungen.

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BayObLGSt. 1988 91, 92; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 33; SchlSchröderILenckner Rdn. 6. Daher charakterisiert Eggert die Rechtsausübungssperre des früheren § 1600a BGB aus der Sicht des Tatbestandes der Unterhaltspflichtverletzung durchaus zutreffend als Sanktionssperre (MDR 1974 447f), ein differenzierender Beitrag zur Kontroverse Rechtsentstehungssperre Rechtsausübungssperre (Fn. 95); vgl. auch Göppinger DRiZ 1970 143; Lange NJW 1970 299; Matzke DAVorm. 1980 709.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

nach § 1600d Abs. 2 BGB als Vater vermutet wird, den für die ersten drei Monate dem Kind zu gewährenden Unterhalt zahlen muß (§ 1615 o Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Antrag kann bereits vor der Geburt des Kindes durch die Mutter oder einen für die Leibesfrucht bestellten Pfleger gestellt werden, wobei zusätzlich die Anordnung möglich ist, daß der erforderliche Betrag angemessene Zeit vor der Geburt hinterlegt wird (§ 1615 o Abs. 1 Satz 2 BGB). Ebenso läßt sich auf Antrag der Mutter durch einstweilige Verfügung anordnen, daß der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat, oder der nach § 1600 d Abs. 2 BGB als Vater vermutet wird, die nach § 16151 Abs. 1 BGB voraussichtlich zu leistenden Beträge an die Mutter zahlen muß, wobei auch hier die Bestimmung der Hinterlegung eines angemessenen Betrages möglich ist (§ 1615 o Abs. 2 BGB). In allen Fällen braucht eine Gefährdung des Anspruchs nicht glaubhaft gemacht zu werden (§ 1615 o Abs. 3 BGB). Hierin liegt, weil die Vermutung aufgrund des § 1600d Abs. 2 BGB bereits vor der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft zur Zahlungsverpflichtung ausreicht, eine teilweise Aufgabe der Rechtsausübungssperre aus § 1600d Abs. 4 BGB. Weitere Ausnahmen bilden die einstweiligen Anordnungen nach § 641 d ZPO. Sobald ein Rechtsstreit auf Feststellung des Bestehens der Vaterschaft nach § 1600d BGB anhängig oder ein Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe eingereicht ist, kann das Gericht auf Antrag des Kindes seinen Unterhalt und auf Antrag der Mutter ihren Unterhalt vorläufig regeln (§ 641 d Abs. 1 Satz 1 mit den Modalitäten des § 641 d Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei den Zahlungsverpflichtungen beider Ausnahmen handelt es sich um gesetzliche Unterhaltspflichten im Sinne des § 170 Abs. 1 {MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 33), die jedoch nach Maßgabe der §§ 641 f, 926 mit 936 ZPO wieder entfallen können {SehlSchröderILenckner Rdn. 7). Hingegen sind durch die vorläufigen Anordnungen auferlegte Hinterlegungen keine Unterhaltspflichten. Sie stehen, wie die §§ 1612 Abs. 1, 16151 Abs. 3 BGB erkennen lassen, der unmittelbaren Pflicht, Unterhalt zu gewähren, nicht gleich (Sehl Schröder ILenckner Rdn. 7). Zur Bedeutung einer späteren rechtskräftigen Abweisung der Feststellungsklage für den Verstoß gegen eine einstweilige Zahlungsverpflichtung Rdn. 27. 26

bb) Soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes gilt, sind im Strafverfahren nach § 170 Abs. 1 die gesetzlichen Beweisvermutungen des bürgerlichen Rechts anzuwenden. Beweisvermutungen dienen der Feststellung von Tatsachen, aus denen sich der Anspruch ergibt. Soweit das Unterhaltsrecht Beweisvermutungen enthält, sind sie Bestandteil des Instituts der gesetzlichen Unterhaltspflicht und daher auch vom Strafrichter zu beachten, 98 der im übrigen nach dem Grundsatz in dubio pro zu verfahren hat." Die Grundsätze, nach denen sich die Beweislast im Unterhaltsprozeß richtet, 100

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OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; 1966 249; NJW 1964 214; OLG Celle N J W 1962 600; O L G Stuttgart N J W 1960 2204; S. Büttner Z Z P 71 (1958) 37; Günther SK Rdn. 18; Lackneri Kühl Rdn. 3; Mattmer N J W 1967 1593; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 33; Preisendanz Anm. 2; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8; Schröder JZ 1959 347; zweifelnd OLG Bremen N J W 1964 1286 mit Bespr. Willms JuS 1964 411; wohl auch O L G Köln N J W 1967 2416, 2417 mit Anm. Kofflca JR 1968 227, 228; and. O L G Celle N J W 1955 563; H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 128; Oehler FamRZ 1959 489.

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OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; N J W 1964 214; O L G Celle N J W 1962 600; Kojfka JR 1968 228 (Anm. zu O L G Köln N J W 1967 2416); Schröder JZ 1959 346; Tröndlel Fischer Rdn. 5; U. Weber Festschrift Trusen S. 597 f. Vgl. dazu B G H Z 17 252, 260 ff; 40 367, 369 ff. Zur Unterscheidung zwischen Beweislastregeln und Beweisregeln am Beispiel der früheren §§ 1717, 1718 BGB S. Büttner ZZP 71 (1958) 3 ff.

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gehören hierzu nicht; sie sind im Strafverfahren unanwendbar (Kleinknecht/MeyerGoßner § 262 Rdn. 1; U. Weber Festschrift Trusen S. 599 ff; vgl. auch O L G Schleswig SchlHA 1959 295, 296). Auch der Strafrichter darf das Nichtbestehen der Vaterschaft trotz bestehender Ehe mit der Mutter nur annehmen, wenn auf G r u n d einer Anfechtung rechtskräftig feststeht, daß der M a n n nicht der Vater des Kindes ist (§ 1599 Abs. 1 BGB; vgl. dazu auch §§ 1593, 1599 Abs. 2 BGB). Solange es hieran fehlt, steht die Unterhaltspflicht des gesetzlichen Vaters auch für das Strafverfahren fest. 101 Eine Beweiserhebung darüber, ob das Kind von ihm abstammt, ist unzulässig. Der Grundsatz in dubio pro reo bleibt, weil sonst die Schutzfunktion der Vaterschaftsvermutung des § 1600 c Abs. 1 BGB in erheblichem Umfang ausgeschaltet würde, außer Betracht (,Schröder JZ 1959 376; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9).102 Bei nichtehelichen Kindern ergibt sich die Vaterschaft aus der Feststellung der Vaterschaft durch Anerkennung (§ 1594 BGB) oder gerichtliches Urteil (§ 1600d BGB). N u r wenn eine durch eine einstweilige Verfügung nach § 1615 o BGB oder eine einstweilige Anordnung nach § 641 d Z P O begründete Unterhaltspflicht vorliegt, darf der Strafrichter auf die Beweisvermutung des § 1600 d Abs. 1 und 2 BGB zurückgreifen (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10; vgl. auch Günther SK Rdn. 22).103 Dort ist ihre Anwendung freilich gerechtfertigt. Es gibt keinen ausreichenden Grund, den Strafrichter an einstweilige Verfügungen oder Anordnungen des Zivilrichters, deren Voraussetzungen nur glaubhaft zu machen sind (§§ 641 d Abs. 2 Satz 3, 920 Abs. 2 mit 936 ZPO), in den Fällen des § 1615o Z P O die Gefährdung des Anspruchs nicht einmal glaubhaft gemacht zu werden braucht (§ 1615 o Abs. 3 ZPO), zu binden. Kommt der Schuldner der ihm so auferlegten Verpflichtung nicht nach, und wird er deswegen strafrechtlich belangt, so ist ihm unbenommen, seine Vaterschaft zu bestreiten. D a n n muß der Strafrichter nach dem für ihn maßgebenden Grundsatz der Amtsermittlung verfahren, mithin die Beweise erheben, die, wie beispielsweise ein Blutgruppengutachten, geeignet sein können, die gesetzliche Vermutung des § 1600d Abs. 1 und 2 BGB zu entkräften. Für die Entscheidung gilt der Grundsatz in dubio pro reo, doch auch hier nur insofern nicht unbeschränkt, als gegen die auf der Beiwohnung innerhalb der Empfängniszeit beruhende Vaterschaftsvermutung nur entschieden werden darf, wenn sie durch schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft ausgeräumt ist {Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 10). cc) Ob und wie weit den Strafrichter Zivilurteile binden, gehört zu den meist behandelten Fragen der Prozeßliteratur. 104 Für die den Beginn oder das Ende einer Unterhaltspflicht markierenden Statusurteile sowie in ihrer Wirkung vergleichbare Entscheidungen 105 ist der Streit inzwischen ausgetragen. Entgegen der längst im Vor101

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B G H S t . 12 166, 169; B a y O b L G S t . 1961 110 mit A n m . Dünnebier J Z 1961 671 u n d Bespr. Bähr J u s 1962 37; O L G F r a n k f u r t F a m R Z 1981 1063, 1064 mit A n m . Bosch-, O L G N a u m b u r g J W 1937 2397 mit A n m . Roquette (zu d e m früheren § 361 Nr. 10); Lackneri Kühl R d n . 3; Preisendanz A n m . l e ; Schröder J Z 1959 347; SehlSchröder/Lenckner R d n . 9; TröndlelFischer R d n . 9; vgl. auch H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 128; Mittelbach M D R 1957 65; Welze! Strafrecht § 63 III 2; and. O L G H a m m G A 1957 182, 183 mit A n m . H.-J. Bruns F a m R Z 1957 376. Ü b e r die Möglichkeit einer Aussetzung des Strafverfahrens zur Austragung einer Vorfrage im bürgerlich-rechtlichen Streitverfahren R d n . 70.

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In den Fällen des § 1615o B G B freilich nur, wenn die Vaterschaft nicht bereits wirksam a n e r k a n n t ist. Vgl. n u r die im speziellen Teil des Schrifttums g e n a n n t e n Titel. D a z u k a n n a u c h die Arbeit von S. Büttner gerechnet werden, die den Vorzug hat, d a ß sie sich a u c h d e m zwar geläufigen, aber wenig behandelten Begriff Status oder Statusverhältnis widmet ( Z Z P 71 [1958] 16 ff). Etwa die A u f h e b u n g des Annahmeverhältnisses von A m t s wegen bei Minderjährigen (§§ 1763, 1764 B G B ) oder auf A n t r a g bei Volljährigen (§1771 BGB).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

dringen begriffenen gegenteiligen Auffassung 106 ging die Rechtsprechung zunächst davon aus, daß wohl ein rechtsgestaltendes Zivilurteil vermöge der von ihm ausgehenden Tatbestandswirkungen für den Strafrichter ohne weiteres maßgebend sei (z.B. OLG Bremen NJW 1964 1286; OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205), ihn im übrigen aber selbst das mit Wirkung für und gegen jedermann ausgestattete Statusurteil nicht binde (so BGHSt. 5 106; BGH FamRZ 1954 170).107 Inzwischen besteht weitgehend Einigkeit, daß die Urteilswirkung für und gegen andere (§§ 640 f, 641k ZPO) allgemein für den Strafrichter verbindlich ist.108 Die rechtskräftige Feststellung der Nichtvaterschaft einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtungsklage (§§ 1592 Nr. 1,1599 Abs. 1 BGB) wirkt auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück (Palandt/Diederichsen § 1599 Rdn. 7) mit der Folge, daß der Scheinvater nicht nachträglich noch wegen einer Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 Abs. 1 bestraft werden darf, die er vor der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Anfechtungsurteils begangen hat. 109 Dasselbe gilt für die erfolgreiche Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung (§§ 1592 Nr. 2, 1599 BGB). Ist die Klage des Mannes, der mit der Mutter verheiratet ist (§§ 1592 Nr. 1, 1599 Abs. 1 BGB), oder des Mannes, der die Vaterschaft anerkannt hat (§§ 1592 Nr. 2, 1599 Abs. 1 BGB), rechtskräftig abgewiesen, so steht deren Unterhaltspflicht ohne Rücksicht auf die Abstammung des Kindes fest (§ 640 h ZPO). Die Rechtslage ist dann die gleiche, wie wenn die Klage nicht erhoben worden wäre.110 Die rechtskräftige Abweisung einer Klage auf Feststellung (§ 1600d BGB) läßt die Strafbarkeit wegen einer Verletzung der durch eine einstweilige Verfügung nach § 1615 o BGB oder einer einstweiligen Anordnung nach § 641 d ZPO begründeten Unterhaltspflicht nachträglich entfallen. Es handelt sich in diesem Falle um einen bloß formalen Verstoß, der eine Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 nicht rechtfertigen kann (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 12). Dafür spricht auch die Schadensersatzpflicht nach § 641g ZPO. Bei rechtskräftiger Verurteilung zur Unterhaltsleistung steht das den Unterhaltsanspruch begründende Statusverhältnis fest. Insoweit darf das Urteil nicht nachgeprüft werden (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13). Im übrigen ist der Strafrichter nicht gebunden. 111 Namentlich über den Umfang der Unterhaltspflicht entscheidet er in

ιοί vgl. die eingehende Darstellung der Entwicklung bei H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 139f. 107

108

Allerdings war das betreffende Abstammungsurteil nach der Tat ergangen, ein Umstand, der möglicherweise nicht unbedeutend ist (vgl. dazu H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 139 Fn. 2). Z.B. BGHSt. 26 111, 113; O L G Hamm JMB1NRW 1974 19; (NJW 1973 2306 nur Leitsatz); O L G Stuttgart N J W 1973 2305, 2306; S. Büttner Z Z P 71 (1958) 40; Günther SK Rdn. 21; Heimann-Trosien JR 1976 235; Kiemknecht/MeyerGoßner Rdn. 3; LacknerlKühl Rdn. 3; Maurach/ SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 33; Preisendanz Anm. 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11; Schroth BT 13.2; D. Schwab N J W 1960 2173; TröndlelFischer Rdn. 5; BTDrucks. VI/1552 S. 12; VI/3521 S. 13; krit. Eggert M D R 1974 445; and. O L G Zweibrücken FamRZ 1959 35; M D R 1974 1934; H.-J. Bruns Festschrift Lent S. 140; Oehler FamRZ 1959 489. Zu vor Wirksamwerden des Beitritts der D D R zum Geltungsbereich des Grundgesetzes ergangenen Entscheidungen, die feststellen, daß der Ehemann der Mutter nicht der Vater des Kindes ist,

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wer der Vater des Kindes ist oder daß eine Anerkennung der Vaterschaft unwirksam ist, vgl. Art. 234 § 7 Abs. 1 EGBGB; zu dessen Auslegung und Verfassungsmäßigkeit BVerfG FamRZ 1995 411. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; and. OLG Hamm N J W 1969 805 mit Anm. Bosch FamRZ 1969 501 (im Zusammenhang mit der Entscheidung über einen auf das rechtskräftige Urteil einer erfolgreichen Anfechtungsklage gestützten Wiederaufnahmeantrag) mit krit. Bespr. Blei JA 1969 414, ergänzend JA 1969 1360. Zur Wiederaufnahmeproblematik Rdn. 73. BayObLGSt. 1961 110 mit Anm. Dünnebier JZ 1961 671 und Bespr. Bahr JuS 1962 37; LacknerlKühl Rdn. 3; Schröder JZ 1959 347; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 12; and. OLG Saarbrücken F a m R Z 1959 35; M D R 1974 1034; Oehler F a m R Z 1959 490. BGHSt. 5 106, 107 fr mit Anm. Krumme LM § 170b Nr. 2; BGH bei Tröndle G A 1962 225, 256; BayObLGSt. NJW 1967 1287; StV 2001 349; O L G Bremen N J W 1964 1286 mit Bespr. Willms JuS 1964 411; O L G Celle N J W 1955

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eigener Verantwortung. Das gebietet der schwere Schuldvorwurf des § 170 Abs. 1. Er muß, wie jede strafrechtliche Schuld, unter den besonderen, der Parteiverfügung entzogenen Garantien des Strafverfahrens geprüft werden. Der Gedanke der Rechtseinheit tritt demgegenüber zurück. Das schließt nicht aus, daß der Strafrichter bei seinen Erwägungen zum Umfang der Unterhaltspflicht dem gut begründeten Zivilurteil maßgebende Bedeutung beimißt (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 32), namentlich bei der subjektiven Tatseite {Soergelt Haberle Vor § 1601 Rdn. 8). Doch befindet er eigenständig darüber, ob, gegebenenfalls inwieweit, der Berechtigte bedürftig und der zur Unterhaltszahlung Verurteilte leistungsfähig ist. Auch der in dem durch das Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 17 Fn. 63) neu gestalteten vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger unter Zugrundelegung des Regelbetrags 112 ergehende Beschluß (§§ 645 ff, 649 ZPO, 1612 a BGB) bindet den Strafrichter nicht; er kann den pauschal festgesetzten Unterhaltsbetrag abweichend feststellen (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 13; vgl. auch TröndlelFischer Rd. 5). An eine vollstreckungsgerichtliche Festsetzung des Rangverhältnisses der Unterhaltsberechtigten nach § 850d Abs. 2a BGB ist der Strafrichter hingegen gebunden {TröndlelFischer Rdn. 5). Umstritten ist, ob ein die Klage auf Unterhalt rechtskräftig abweisendes Urteil den Strafrichter bindet. Die dies verneinende Auffassung" 3 kann darauf verweisen, daß die Rechtskraftwirkung des deklaratorischen Zivilurteils für den Strafrichter keine entscheidende Bedeutung gewinnen kann, insbesondere kein Anlaß besteht, einen Unterhaltsschuldner von Strafe freizustellen, dem es mit unlauteren Mitteln oder durch die Ungeschicklichkeit des Gegners gelungen ist, ein klageabweisendes Urteil zu erzielen (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 9). Die gegenteilige Ansicht 114 geht davon aus, daß der Strafrichter nicht befugt ist, zu erzwingen, was sich im Zivilrechtsweg nicht durchsetzen läßt und daher bei Leistung unter dem Druck der Strafverfolgung konzediert werden kann (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 13). Sie verdient den Vorzug. Das Strafverfahren darf nicht verhindern, daß der, aus welchem Grunde auch immer, siegreiche Beklagte sich dem rechtskräftigen Zivilurteil gemäß verhalten, daß er ihm nachleben darf (D. Schwab NJW 1960 2172). e) Wie die Entstehungsgründe gesetzlicher Unterhaltspflichten ergeben sich auch die Rangfolge und Reihenfolge bei einer Mehrheit von Unterhaltsberechtigten oder Unterhaltspflichtigen ausschließlich aus dem bürgerlichen Recht.

563; OLG Düsseldorf StV 1991 68; OLG Hamm NJW 1954 1340; OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205; Günther SK Rdn. 22 (unter Ablehnung jeglicher Differenzierung zwischen abweisenden und stattgebenden Unterhaltsurteilen); Hellmer ZStW 70 (1958) 366 f; KleinknechllMeyer-Goßner § 262 Rdn. 4; Lackneri Kühl Rdn. 3; Lüke Festschrift Arth. Kaufmann S. 565; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; D. Schwab NJW 1960 2173; and. OLG Braunschweig NJW 1953 558; OLG Oldenburg NJW 1952 118; E. Kaiser NJW 1972 1847; Tröndlel Fischer für den Fall, daß die Unterhaltspflicht des nichtehelichen Vaters auf einem zugleich mit der Vaterschaftsfeststellung ergangenen Urteil nach § 643 ZPO beruht (Rdn. 5). 12

Nach der Regelbetrag-Verordnung vom 6.4. 1998 (BGBl. 1 666), zuletzt geändert durch die

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Zweite Verordnung zur Änderung der Regelbetrag-Verordnung vom 8.5.2001 (BGBl. I 842), abgedruckt bei PalandllDiederichsen § 1612a Rdn. 18. BGHSt. 5 106, 111 mit Anm. Krumme LM § 170b Nr. 2; OLG Stuttgart NJW 1960 2205; Günther SK Rdn. 22; Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 9; Preisendanz Anm. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 5. Insb. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13; D. Schwab NJW 1960 2169; Welzel Strafrecht § 63 III 2a α; ferner Eggert Strafrechtlicher Schutz S. 205 f; Neudek S. 35. E Kaiser NJW 1972 1848 tritt zwar generell für eine Bindung des Strafrichters ein (vgl. schon Fn. 111), hat aber offensichtlich nur die auf Zahlung lautenden Unterhaltsurteile im Blick.

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aa) Von mehreren Unterhaltsberechtigten werden grundsätzlich diejenigen bevorzugt, die dem Unterhaltspflichtigen im Familienverband an nächsten stehen. Dessenungeachtet kann auch die besondere Schutzwürdigkeit eines Bedürftigen den Rang seines Anspruchs heben. Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder 115 sind einander gleichgestellt und gehen anderen Bedürftigen vor (§ 1609 Abs. 2 Satz 1 BGB). Eine Ausnahme bildet § 1582 BGB, der den nach neuem Recht geschiedenen Ehegatten gegenüber einem neuen Ehegatten des Verpflichteten relativ bevorzugt. 116 Den minderjährigen unverheirateten Kindern und den Ehegatten folgen die anderen (volljährigen, verheirateten oder verheiratet gewesenen) Kinder des Verpflichteten, dann die weiteren Abkömmlinge ohne Rücksicht auf einen näheren oder entfernteren Grad der Verwandtschaft, woraus sich ergibt, daß Enkel und Urenkel im Rang gleichstehen, und schließlich die Verwandten aufsteigender Linie, bei denen wiederum, dem Grundgedanken entsprechend, die näheren den entfernteren vorgehen, beispielsweise die Eltern den Großeltern (§ 1609 Abs. 1 BGB). Der Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter gegen den Vater aus Anlaß der Geburt des Kindes (§ 16151 BGB) ist den Unterhaltsansprüchen der Ehefrau und der minderjährigen unverheirateten Kinder, also auch dem Anspruch des eigenen nichtehelichen Kindes, nachgeordnet, 117 geht aber denjenigen der übrigen Verwandten des Vaters vor (§ 16151 Abs. 3 Satz 3 BGB). Der Unterhaltsanspruch des bedürftigen Lebenspartners hat, sofern die Mittel nicht für alle reichen, gegenüber dem eines neuen Eingetragenen Lebenspartners und gegenüber den Ansprüchen der übrigen Verwandten im Sinne des § 1609 Abs. 2 BGB Vorrang (§ 16 Abs. 3 1. Halbsatz LPartG). Alle anderen gesetzlich Unterhaltsberechtigten rangieren vor dem früheren Lebenspartner (§16 Abs. 3 2. Halbsatz LPartG). Die Regelung entspricht § 1582 BGB, freilich ohne dessen differenzierten Ausnahmen. Sie bedeutet, daß der frühere Ehegatte in den praktisch bedeutsamsten Konkurrenzfallen (Unterhaltsansprüche von Kindern, geschiedenen oder neuen Ehegatten) nur zum Zug kommen wird, wenn uneingeschränkte Leistungsfähigkeit besteht (krit. dazu H. Büttner FamRZ 2001 1111). Zu verteilen sind die verfügbaren Mittel des Unterhaltspflichtigen nur auf die jeweils vor- oder gleichrangig Berechtigten; nachrangig Berechtigte können, solange nicht der Unterhaltsbedarf aller Berechtigten der höheren Rangstufe gedeckt ist, keinen Unterhalt verlangen (vgl. BGH NJW 1980 934, 935; 1988 1722; KalthoenerlBiittnerlNiepmann Rdn. 95). Ist der Unterhaltspflichtige durch die Erfüllung der bevorrechtigten Ansprüche außerstande, den nachrangig Berechtigten Unterhalt zu gewähren, entfallt, weil es insoweit schon an einer Unterhaltspflicht fehlt, der Tatbestand (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 23/24). Mehrere gleichrangig Be-

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Ihnen stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs gleich, solange sie im Haushalt eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB). Näher zu dieser kompliziert gefaßten und schwierig zu handhabenden Sondervorschrift GöppingerlKodal Rdn. 1585 ff; Kalthoener/BüttnerlNiepmann Rdn. 50f, 97f. Das Bundesverfassungsgericht hat § 1582 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach der Unterhaltsanspruch des wegen Kindesbetreuung bedürftigen geschiedenen Ehegatten im Mangelfall selbst dann Vorrang hat, wenn auch der neue Ehegatte an einer Erwerbstätigkeit durch die Pflege und Erziehung eines Kindes gehindert ist, für mit dem Grundgesetz

(Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1) vereinbar erklärt (FamRZ 1984 346, 348 ff). Nichts anderes gilt bei Ehefrauen, die sich beide ebenso auf Erwerbsunfähigkeit wegen Alters oder Krankheit wie auf eine lange Ehedauer berufen können (OLG Oldenburg FuR 12 [2001] 79, 80). 1 " Dies dürfte, wenn die Ehe des Vaters geschieden oder aufgehoben ist, auch gegenüber dem Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau gelten. D a f ü r spricht die in § 1609 Abs. 2 Satz 2 BGB festgelegte Reihenfolge, der entnommen werden kann, daß die frühere Ehefrau den minderjährigen unverheirateten Kindern nicht unbedingt nachsteht (Odersky Art. 1 Nr. 16 [§ 16151 BGB] Anm. II 9b).

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rechtigte sind, wenn die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zur Erfüllung aller Ansprüche nicht ausreicht, anteilig zu befriedigen. 118 Dabei werden zunächst die Höhe jedes einzelnen Anspruchs nach Bedarf, Bedürftigkeit und etwaigen Unterhaltsbeschränkungen, jedoch ohne Berücksichtigung der beschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, errechnet und auf dieser Grundlage die auf die einzelnen Berechtigten entfallenden Quoten aus dem Verhältnis ihrer Ansprüche zueinander bestimmt (OLG Köln FamRZ 1976 119, 120; OLG Stuttgart M D R 1977 1034). Kommt ein beschränkt leistungsfähiger Schuldner all seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nach, ist er nur wegen Verletzung der vorrangigen strafbar; die Strafbarkeit wegen Verletzung nachrangiger Unterhaltsansprüche kann nicht damit begründet werden, daß der Täter durch die Verletzung der vorrangigen etwas erspart habe und insofern zu einer Leistung fähig gewesen sei.119 bb) Bei mehreren Unterhaltspflichtigen haften in erster Linie diejenigen, die dem 2 9 Bedürftigen am nächsten stehen, so der Ehegatte des Bedürftigen, auch der geschiedene (§ 1584 Satz 1 BGB), vor dessen Verwandten (§ 1608 Satz 1 BGB), die Abkömmlinge und unter den Verwandten aufsteigender Linie die näheren vor den entfernteren (§ 1606 Abs. 2 BGB). Für Eingetragene Lebenspartner hat das Lebenspartnerschaftsgesetz § 1608 BGB um einen Satz 4 ergänzt, der sie in gleicher Weise haften läßt wie einen Ehegatten, also vor den Verwandten, die dann aber vorrangig verpflichtet sind, wenn der Eingetragene Lebenspartner leistungsunfahig ist. Anders als in § 1586 Abs. 1 BGB, wonach der Unterhaltsanspruch auch mit der Begründung einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft erlischt, ist § 1588 a BGB, der den durch die Wiederverheiratung erloschenen Anspruch infolge der Auflösung der neuen Ehe Wiederaufleben und den Ehegatten der später aufgelösten Ehe vor dem Ehegatten der früher aufgelösten Ehe haften läßt (§ 1586 a Abs. 2 BGB), durch Erwähnung der Lebenspartnerschaft nicht ergänzt worden. Da dies im Hinblick auf die völlig gleiche Interessenlage aber nicht anders zu sehen ist, wenn die Lebenspartnerschaft aufgehoben wird, dürfte dies nur übersehen worden sein. Das rechtfertigt die analoge Anwendung des § 1586a BGB (.H. Büttner FamRZ 2001 111; vgl. auch PalandtlBrudermüller § 16 LPartG Rdn. 14). Entfallt die Unterhaltspflicht des zunächst Haftenden, weil durch die Leistung sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde, treten an die Stelle eines Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten die Verwandten (§§ 1608 Satz 2, 1584 Satz 2 BGB), an die Stelle eines Verwandten der nach ihm haftende Verwandte (§§ 1607 Abs. 1, 1603 BGB). Das gleiche gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen den zunächst Haftenden im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist; jedoch erfüllt der unter diesen Voraussetzungen ersatzweise Verpflichtete nur einen fremden Anspruch, der dabei auf ihn übergeht (§§ 1607 Abs. 2 Satz 2, 1584 Satz 3, 1608 Satz 3 BGB; vgl. auch schon Rdn. 21 Fn. 81). Mehrere gleich nahe Verwandte haften anteilig nach ihren Erwerbsund Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB), wobei der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB; näher dazu Rdn. 30). Die Anteile der einzelnen Verwandten sind nicht einfach nach dem Verhältnis zu bestimmen, in dem ihre Einkünfte

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Vgl. aber § 850d Abs. 2a Halbsatz 3 BGB, wonach das Vollstreckungsgericht das Rangverhältnis der Berechtigten zueinander auf Antrag des Schuldners oder eines Berechtigten nach billigem Ermessen in anderer Weise festsetzen kann.

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OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; OLG Celle NdsRpfl 1969 47, 48; OLG Köln JMB1NRW 1970 120, 121; FamRZ 1976 119; OLG Oldenburg NJW 1953 917; OLG Stuttgart M D R 1977 1034; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 24.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

zueinander stehen; der Begriff der Erwerbs- und Vermögensverhältnisse ermöglicht vielmehr die Berücksichtigung der sonstigen Verpflichtungen und des jeweiligen Eigenbedarfs der einzelnen Unterhaltspflichtigen und damit eine der schematischen Haftung für den gesamten Verwandtenunterhalt zu gleichen Teilen gegenüber gerechtere Verteilung der gemeinsamen Unterhaltslast.120 30

f) Auch die Art der Unterhaltsgewährung richtet sich nach dem bürgerlichen Recht, wobei der Unterhaltspflichtige gewisse Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. aa) Der Gegenstand der Unterhaltspflicht besteht entweder in der Leistung von Naturalunterhalt oder in der Zahlung von Geld. Naturalunterhalt sind Sach- und Dienstleistungen. Sachleistungen können durch die Überlassung von Bedarfsgegenständen entweder zum Verbrauch oder zu Eigentum des Unterhaltsberechtigten oder nur zu seiner Nutzung, aber auch durch die Deckung des Bedarfs des Berechtigten an Wärme und sonstiger Energie erbracht werden (Göppinger/Strohal Rdn. 354). Die Leistung von Diensten als Gegenstand der Unterhaltsgewährung war dem bürgerlichen Recht fremd. Ihren materiellen Eigenwert haben erst die geänderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ins Bewußtsein gerückt, dann mit der Abkehr vom Leitbild der Hausfrauenehe aber auch rechtliche Gestalt gewinnen lassen. Bereits das Gleichberechtigungsgesetz,121 setzte an Stelle der im wesentlichen einseitigen Unterhaltspflicht des Ehemannes die beiden Ehegatten und schuf unter Einbeziehung des ehelichen Aufwandes den Begriff Familienunterhalt (§§ 1360, 1360 a, 1360 b BGB; vgl. dazu Rdn. 18). Das Nichtehelichengesetz (vgl. § 169 Rdn. 10 Fn. 25) bestimmte bei seiner Neufassung des § 1606 BGB (Art. 1 Nr. 11), daß die Mutter ihre Verpflichtung, zum Unterhalt eines Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2). Mit dem 1. Eherechtsreformgesetz (Rdn. 18 Fn. 68) wurde das Leitbild der Hausfrauenehe gänzlich aufgegeben. Seit dem Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 17 Fn. 63) gilt § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht mehr nur für die Mutter, sondern für jeden Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut.122 Auf unterhaltspflichtige Großeltern ist § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB entsprechend anzuwenden (LG Limburg DAVorm. 1978 359; KalthoenerlBüttner/Niepmann Rdn. 896). In der Lebenswirklichkeit namentlich der Familie steht die ursprüngliche Form der Gewährung des Unterhalts in Natur nach wie vor im Vordergrund. Der neue Begriff des Familienunterhalts (§ 1360 BGB) unterstreicht das nur. Familienunterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu leisten (§ 1360 a Abs. 2 Satz 1 BGB), mithin zu einem erheblichen Teil als Naturalunterhalt, zu einem weiteren Teil durch Umsetzung des Wirtschaftsgeldes in Naturalleistungen (Göppinger/ Strohal Rdn. 124; Göppinger!Bäume! Rdn. 887); die Vorschrift des § 1612 Abs. 1 BGB, wonach der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren ist (Satz 1) und der Verpflichtete nur dann, wenn besondere Gründe vorliegen, verlangen kann, daß ihm die Gewährung des Unterhalts in anderer Art gestattet wird, gilt hier also nicht (Köhler!Lu thin Rdn. 156). Da den Ehegatten bei der Ausgestaltung ihres Ehe- und Familienlebens gleiche Rechte und gleiche Verantwortung zukommen, sind auch die

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Vgl. dazu BGHSt. 19 389 mit Anm. Mittelbach JR 1965 306; BayObLGSt. 1964 8 mit Anm. Mittelbach JR 1964 306. Gesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts vom 18.6.1957 (BGBl. I 609).

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Wobei freilich schon zuvor angenommen worden war, daß die Vorschrift auch gelten muß, wenn der Vater die Pflege und Erziehung des Kindes übernimmt (z. B. B G H N J W 1980 2306, 2307; 1985 1460, 1461; Köhler/Luthin Rdn. 27; G. Walter N J W 1984 266).

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Leistungen, die sie jeweils im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisung erbringen, als gleichwertig anzusehen. 123 Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als Einkünfte, die dem Haushalt zu Verfügung stehen (BVerfGE 105 1, lOff mit Anm. Koch JR 2003 241). Die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Betreuungsunterhalt des einen und Barunterhalt des anderen Elternteils schließt eine finanzielle Bewertung (Monetarisierung) der beiderseitigen Fürsorgeleistungen grundsätzlich aus.124 Die Argumentationsfigur des Surrogats statt der Bewertungslösung verhindert, daß zu Lasten des haushaltsführenden Ehegatten eine Berücksichtigung seines Einkommens bei der Bedarfsbemessung unterbleibt und nur der Unterhaltspflichtige entlastet wird.125 In der forensischen Praxis freilich geht es weniger um Naturalunterhalt als um Geldrenten (vgl. Graba FamRZ 2001 1258; Otto BT § 65 Rdn. 20), wie auch Leistungen in Geld vor allem den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, in denen die Art des Unterhalts bestimmt wird, zugrundeliegen. 126 bb) Streitig ist, ob auch die Verpflichtung zum Betreuungsunterhalt (§§ 1606 Abs. 3 31 Satz 2, 1360 Satz 2 BGB) vom Strafschutz des § 170 Abs. 1 erfaßt wird. Die dies verneinende Auffassung 127 macht geltend, daß in der Einbeziehung der im Unterhaltsrecht erst nachträglich verankerten Pflichten eine Erweiterung des Tatbestandes liege, die betreffenden Familienpflichten in praxi kaum abgrenzbare, schon durch § 171 geschützte höchstpersönliche Dienstleistungen seien, die, wie § 888 Abs. 2 ZPO zeige, gerade nicht durch Rechtszwang durchsetzbar sein sollten (so insb. Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 30; Welze! Festschrift H. Mayer S. 3970, und § 170 Abs. 1 ohnehin restriktiv ausgelegt werden müsse (vgl. Rdn. 3).128 Dem lassen sich ebenso gewichtige Gründe entgegenhalten. Ein Gesetz erstreckt sich regelmäßig auch auf Sachverhalte, die der Gesetzgeber nicht erwogen hat, gleichgültig, ob sie übersehen worden oder, wie hier, durch spätere tatsächliche und rechtliche Veränderungen entstanden sind. Die Erweiterung des Unterhaltsbegriffs ist eine solche Veränderung. Sie besagt für § 170 Abs. 1, daß ein Elternteil durch die tatsächliche Versorgung des Kindes eine gesetzliche Unterhaltspflicht erfüllt. Sieht man in Erfüllung der Unterhaltspflicht durch Betreuung der Kinder die Vornahme aller Handlungen, die normaleroder üblicherweise von der Frau im Haushalt zu erbringen sind (Otto BT § 65 123

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So das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, z.B. BVerfGE 37 217, 251; 47 1, 24; 53 257, 296; 66 84, 94; 79 106, 126; vgl. auch schon BGHZ 70 151, 154 f; BSG FamRZ 1968 458,460. BGH NJW 1980 2306; OLG Düsseldorf NJW 1980 1001, 1003; OLG Köln FamRZ 1979 1053, 1054; OLG Stuttgart FamRZ 1980 919, 920. BGHZ 148 105, 1141T mit Anm. H. Büttner NJW 2001 3244, Luthin FamRZ 2001 1065, Niepmann M D R 2001 992, Rauscher FuR 12 (2001) 385 und Scholz FamRZ 2001 1061; H. Büttner FamRZ 2003 64Iff; Gerhardt FamRZ 2003 272; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 440 ff; Palandtl Brudermüller § 1578 Rdn. 31; WendllGerhardt § 4 Rdn. 184 a ff Das Bundesverfassungsgericht hat die neue Rechtsprechung bestätigt (BVerfGE 105 1, 16 mit Anm. Koch JR 2003 241). Vgl. etwa die §§ 1360a Abs. 2 Satz 2, 1361 Abs. 4 Satz 1, 1585 Abs. 1 Satz 1, 1612 Abs. 1

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Satz 1 BGB gegenüber den §§ 1360, 1360 a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 1606 Abs. 3 Satz 2, 1612 Abs. 1 Satz 2 BGB. OLG Karlsruhe NJW 1973 108 mit zust. Anm. Seebode JZ 1973 600; Bottke S. 108; Günther SK Rdn. 17; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 30; Merken Anm. zu OLG Hamm 1964 2316 NJW 1965 409f; Welze! Festschrift H. Mayer S. 396; femer OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; DalckelFuhrmann!Schäfer Anm. 1; KohlrauschlLange Anm. III. Der weitere Hinweis, das Recht zu ehelicher Freizügigkeit verbiete, daß § 170 b dazu diene, eheliche Treue zu erzwingen (Geilen Bespr. Schwarz!Dreher™, FamRZ 1967 419), trifft die Problematik insofern nicht, als es sich bei den hier in Betracht kommenden Fällen primär um die Ansprüche versorgungsbedürftiger Kinder handelt, deren Erfüllung auch bei der ehelichen Mutter nicht stets die Fortsetzung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater bedingt.

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Rdn. 21; H. Schröder Anm. zu OLG Hamm JZ 1962 547, 548 f), dürften die Abgrenzungsschwierigkeiten im Tatsächlichen kaum größer sein als bei den Lebenssachverhalten zahlreicher anderer Straftatbestände, die einen breiten strafunwürdigen Bagatellbereich aufweisen. Daß die Verletzung dieser Pflichten möglicherweise auch unter den Tatbestand des § 171129 fallen, bleibt für sich betrachtet ebenso ohne Bedeutung wie das, rein rechtspolitisch motivierte, Gebot, § 170 Abs. 1 restriktiv anzuwenden. So einleuchtend die Argumente der Gegenmeinung im Grunde auch sein mögen, letztlich kommen sie nicht daran vorbei, daß § 1606 Abs. 2 Satz 2 BGB die Pflege und Erziehung des Kindes unbezweifelbar als Unterhaltsleistung erklärt hat, was für § 1360 Satz 2 BGB, wonach ein Ehegatte, dem die Haushaltsführung überlassen ist, seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt, entsprechend gilt {SehlSchröder! Lenckner Rdn. 18); auch § 1579 Nr. 5 BGB, der den Ausschluß des Unterhaltsanspruchs wegen grober Unbilligkeit daran knüpft, daß der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seiner Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat, geht hiervon aus.130 Kommt also ein Eltern teil oder Ehegatte seiner Betreuungs- oder Haushaltsführungspflicht nicht nach, und liegt darin eine Nichterfüllung seiner Unterhaltspflicht, durch die der durch diese Pflichten gesicherte Lebensbedarf des Berechtigten gefährdet wird, so ist dies nach § 170 Abs. 1 strafbar,131 wobei nicht erst die vollständige Verweigerung, sondern auch schon die bloße Vernachlässigung der Pflichten genügt {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 17/18). Daneben kann tateinheitlich § 171 verwirklicht sein (vgl. Rdn. 76). Freilich wird der Tatbestand entfallen, wenn der Elternteil seinen Unterhaltsbeitrag durch Geldzahlung erbringt {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 17/18 unter Hinweis auf LG Berlin FamRZ 1968 469).132 Bedient der berufstätige Sorgeberechtigte sich zur Erfüllung seiner Naturalunterhaltspflicht eines Betreuungshelfers, entlastet ihn dies nur, wenn er selbst einen Anteil an der Versorgung hat, durch den dem Kind ausreichend elterliche Zuwendung zuteil wird {Palandt/Diederichsen § 1606 Rdn. 13). 32

cc) Zur Art der Unterhaltsgewährung gehört auch die Unterhaltsbestimmung Kindern gegenüber aufgrund des § 1612 Abs. 2 BGB. Danach können Eltern, die einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren haben, festlegen, in welcher Art und für welche Zeit im voraus der Unterhalt geleistet werden soll (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB), also in einer anderen Art, als der Entrichtung einer Geldrente (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder mit einer anderen zeitlichen Voraussetzung als deren Zahlung monatlich im voraus (§ 1612 Abs. 3 Satz 1 BGB). Bedeutung hat das Bestimmungsrecht vor 129

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Dessen Schutzgegenstand im übrigen mit § 170 Abs. 1 keineswegs übereinstimmt. Die Vorschrift ist teils enger, teils weiter gefaßt. Von § 170 Abs. 1 wird jede gesetzliche Unterhaltspflicht getroffen; § 171 hingegen schützt einerseits nur die gesetzlichen Fürsorgepflichten gegenüber Kindern, andererseits diese aber unter Einbeziehung auch der vertraglichen (näher § 171 Rdn. 5). Dazu verlangt § 171 eine tatsächliche Gefährdung (§171 Rdn. 10), während bei § 170 Abs. 1 eine potentielle Gefährdung genügt (Rdn. 51). Die Auffassung bei GöppingerlBäumet, mit § 1579 Nr. 5 sei die alte Streitfrage, ob der Tatbestand des § 170 b die Verletzung der Pflicht zur Haushaltsführung und zur Pflege und Erziehung umfaßt, entfallen sei (Rdn. 1142) ver-

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kennt, daß auch diese Regelung für die strafrechtliche Beurteilung nur ein Anknüpfungspunkt sein kann. BVerfGE 50 142, 153f; BGH N J W 1953 619; BayObLGSt. 1964 8 mit insoweit zust. Anm. Mittelbach JR 1964 307; OLG Hamm JZ 1962 547, 548 mit zust. Anm. Schröder NJW 1964 2316 mit abl. Anm. Merken N J W 1965 409; Lackner/Kühl Rdn. 5; Preisendanz Anm. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 17/18; vgl. auch BSG FamRZ 1960 272 , 273. Daß eine unbemittelte Frau diese Möglichkeit nicht hat, ist eine vorgegebene Ungleichheit, die strafrechtlich ohne Bedeutung bleiben muß (vgl. jedoch auch insoweit Geilen Bespr. Schwarz! Dreher28 FamRZ 1967 419).

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allem im Verhältnis zu unverheirateten volljährigen Kindern, da die Eltern für minderjährige Kinder die Unterhaltsbestimmung schon im Rahmen der detaillierten geregelten elterlichen Sorge (§§ 1626 ff BGB) treffen (PalandtlDiederichsen § 1612 Rdn. 10; vgl. auch BTDrucks. 13/9596 S. 32). Bei minderjährigen Kindern kann ein Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, eine Bestimmung nur für die Zeit treffen, in der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen ist (§ 1612 Abs. 2 Satz 3 BGB). Die Bestimmung ist unwirksam, wenn sie nicht auf die gebotenen Belange des Kindes Rücksicht nimmt, so auf sein Recht, über die Art seiner Lebensführung selbst zu entscheiden (OLG Schleswig FamRZ 1988 1195), sie den Lebensbedarf des Kindes nicht vollständig deckt, etwa Wohnen ohne Vorsorge und ergänzende Barleistungen (OLG Hamm FamRZ 1999 104) oder das Kind sie ohne sein Verschulden nicht erreichen kann (BGH NJW 1992 974; KöhlerILuthin Rdn. 163), beispielsweise bei einer Bestimmung entgegen der Studienplatzzuweisung durch die Zentrale Vergabestelle (BGH NJW 1996 1817).133 Bei unverheirateten volljährigen Kindern darf das Bestimmungsrecht keinesfalls zur Verfolgung von Erziehungszwecken angewendet werden. Andererseits soll es aber, gerade nach Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, unbedachte Entscheidungen des Kindes verhindern oder erschweren und sicherstellen, daß die Eltern Einfluß auf die Lebensführung des Kindes nehmen können. 134 Die Abänderung der Bestimmung durch das Familiengericht (§1612 Abs. 2 Satz 2 BGB) ist seltenen Ausnahmefallen vorbehalten (OLG Köln FamRZ 1977 54; JMB1NRW 1996 93). Auch gegenüber privilegierten minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) sind ungeachtet der Gleichstellung von Bar- und Betreuungsunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) grundsätzlich beide Eltern barunterhaltspflichtig (BGH M D R 2002 826, 827 mit Bespr. Slapnicar FuR 13 [2002] 350). dd) Sonderbedarf ist Unterhalt. Das folgt daraus, daß Unterhalt den gesamten 3 3 Lebensbedarf umfaßt (§§ 1578 Abs. 1 Satz 3, 1610 Abs. 2 BGB), dieser sich aber nicht in dem durch den laufenden Unterhalt (vgl. § 1361 Abs. 4 BGB) gedeckten allgemeinen Lebensbedarf einschließlich von Mehrbedarf erschöpft, zu ihm vielmehr noch ein darüber hinausgehender Sonderbedarf gehört (PalandtlDiederichsen Einf ν §1601 Rdn. 24, § 1613 Rdn. 16). Das Gesetz definiert ihn als unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Unregelmäßig ist ein Bedarf, wenn er plötzlich auftritt, also weitgehend unvorhersehbar war.135 Ungewöhnlich hoch bedeutet, daß der Berechtigte gemessen an den Mitteln, die ihm für den laufenden Bedarf zur Verfügung stehen, daraus den Mehraufwand zumutbarerweise nicht bestreiten

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Zur wegen Unerreichbarkeit der Unterhaltsleistung unverbindlichen Bestimmung des unterhaltspflichtigen Vaters eines mit der sorgeberechtigten Mutter übersiedelten Kindes, er werde Unterhalt zahlen, sobald das Kind in seinem Haushalt lebt, BayObLGZ 1958 13, 15; OLG Hamm N J W 1960 1632, 1633; FamRZ 1964 582, 583; WendUScholz § 6 Rdn. 3. Zu den insoweit schwierig zu bestimmenden Grenzen des Wahlrechts vgl. ζ. B. BGH N J W 1981 574; BayObLG N J W 1977 680; 1979 1712; OLG Bremen FamRZ 1976 642; 1976 702; OLG Frankfurt FamRZ 1976 705, 707; OLG Hamm ZfJ 1985 171, 173; OLG Karlsruhe N J W 1977 681; KG N J W 1969 2241, 2242; F. W. Bosch Festschrift Schiedermair S. 64ff; Fehnemann

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ZB1JR 67 (1980) 610ÍT; Gernhuber FamRZ 1983 1076 ff; GöppingenKodal Rdn. 138fT; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 208; Köhler FamRZ 199« 923; Krumme ZB1JR 64 (1977) 417ÍT; Lipp ZfJ 71 (1984) 309 ff; Moritz RdJB 25 (1977) 264ff; Roettig S. 68fT; Schwenzer DRiZ 1985 168 ff; D. Schwab Familienrecht Rdn. 764; Schwerdtner N J W 1977 1268 ff; G. Waller NJW 1984 266; Wawrzyniak ZB1JR 66 (1979) 383 fT; A. Weber N J W 1998 1998; WendU Scholz § 2 Rdn. 25; Wiesner FamRZ 1977 28 ff; Winter RpflStud. 1 (1977) 58 ff; Zenz Z R P 1977 195 ff BGH NJW 1982 328, 329; FamRZ 1984 470, 472; MünchKommBGB/LuiAiM § 1610 Rdn. 74; PalandtlDiederichsen § 1613 Rdn. 18; WendU Scholz § 6 Rdn. 3.

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kann (Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 284). Weitere, im Gesetz nicht ausdrücklich genannte Voraussetzung ist, daß die Anerkennung von Sonderbedarf nicht zu einer unbilligen Lastenverteilung zwischen dem Unhaltspflichtigen und dem Unterhaltsberechtigten führt (Kalthoener!Büttner/Niepmann Rdn. 279, 285; vgl. auch B G H N J W 1982 328, 330). Sonderbedarf entsteht beispielsweise durch Unfall, Krankheit, Operation, Zahnersatz, Todesfall und Berufswechsel (vgl. dazu die ausführliche Kasuistik bei Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 287). Kosten, die regelmäßig anfallen, sind kein Sonderbedarf, so bei einer sich über Jahre hinziehenden Ausbildung (D. Schwab Familienrecht Rdn. 732) oder einer Heimunterbringung (KöhlerlLuthin Rdn. 38 Fn. 5; and. O L G H a m m DAVorm. 1988 913, 914), wohl aber die sich aus Anlaß einer sich über längere Zeit hinziehenden stationären Behandlung angefallenen Betreuerkosten (OLG Koblenz F P R 8 [2002] 310). Die Erfüllung des Sonderbedarfs kann ohne Einschränkung für die Vergangenheit verlangt werden (§§ 1360a Abs. 3, 1361 Abs. 4, 1585b Abs. 1, 1613 Abs. 2 BGB). 34

ee) Nicht Teil der Unterhaltspflicht sind notwendige Maßnahmen der elterlichen Vermögensverwaltung. Dies gilt zunächst für die (zumutbare) Zustimmung jedes Elternteils zur Verfügung über das Kindesvermögen. Sie ist als Vermögenssorge eine M a ß n a h m e des elterlichen Sorgerechts (§ 1626 Abs. 1 BGB) und damit keine zur gesetzlichen Unterhaltspflicht gehörende Vermögenswerte Leistung (BayObLGSt. 1968 60, 62; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 17/18). Ihre Verweigerung fallt daher nicht unter § 170 Abs. 1. Ebenso liegt es bei der (zumutbaren) notwendigen Mitwirkung des Schenkers bei der Durchführung einer Anordnung, die er als Zuwendung getroffen hat (vgl. § 1639 BGB). Auch sie ist nur eine Verwaltungsmaßnahme (BayObLGSt. 1968 60, 62).

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g) N u r bei Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten besteht der gesetzliche Unterhaltsanspruch. aa) In dem Erfordernis der Bedürftigkeit liegt eine Einschränkung der gesetzlichen Unterhaltspflicht. Auch sie bestimmt sich nach Vorgaben des bürgerlichen Rechts. Ein Verwandter in gerader Linie ist unterhaltsberechtigt nur, wenn er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Beim Familienunterhalt ist der Bedarf auf den erforderlichen Unterhalt beschränkt, der sich aus den Kosten des Haushalts und den Aufwendungen zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und des Lebensbedarfs der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder ergibt (§ 1360 a Abs. 1 BGB). Der einem Kind zu gewährende Unterhalt umfaßt auch die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf (§ 1610 Abs. 2 BGB), die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht, deren Finanzierung sich aber auch in den durch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern gesteckten Grenzen hält. 136 Dazu können ungeachtet des die Erziehung einschließenden Rechts der Eltern, den Bildungsweg und die Auswahl der weiterführenden Schulen zu bestimmen, 137 die zusätzlichen Kosten durch den Wechsel zu einer privaten Schule (BGH N J W 1993 393, 394), die Teilnahme an einem Lehrgang der Volkshochschule zum nachträglichen Erwerb des 136

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B G H Z 69 190, 192; 107 376, 379; Göppingerl Strohal Rdn. 320; MünchKommBGB/Lwrtm § 1610 Rdn. 10; SoergellHaberle § 1610 Rdn. 17; RGRKJMulschier § 1610 Rdn. 10; Staudingerl Engter/Kaiser § 1610 Rdn. 86ff. Das folgt aus dem Erziehungsprimat der Eltern,

wie es in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 G G niedergelegt und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist (BVerfGE 24 119, 138 fi). So auch BGH N J W 1983 392; Palandt!Diederichsen §1631 Rdn. 3; Soergell Haberle § 1610 Rdn. 12; Staudingerl Engter!Kaiser § 1610 Rdn. 15.

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Realschulabschlusses (BGH FuR 12 [2001] 355, 356f), den Besuch einer höheren Handelsschule (BGH MDR 2002 826) und das Durchlaufen des Berufsgrundschuljahres (OLG Koblenz MDR 2000 1016) gehören. Verzögerungen im Ausbildungsgang eines Kindes durch familiäre Schwierigkeiten, etwa bei Scheidung der Ehe der Eltern, Umzug der Familie und Schulwechsel, beseitigen die Pflicht, für den weiteren Ausbildungsunterhalt einzustehen, nicht (OLG Koblenz FuR 12 [2001] 475, 476). In besonders gelagerten Fällen können die Eltern verpflichtet sein, eine weitere oder zweite Ausbildung zu finanzieren, aus gesundheitlichen Gründen beispielsweise, oder weil sich herausstellte, daß der zunächst gewählte Beruf keine ausreichende Lebensgrundlage bietet, aber auch bei Fehleinschätzung der Begabungen, Fähigkeiten und Neigungen des Kindes (BGHZ 69 190, 194).138 Der getrennt lebende, nicht erwerbsfähige Ehegatte kann unter bestimmten Voraussetzungen darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (§ 1361 Abs. 2 BGB). Schließlich ist dem geschiedenen Ehegatten verwehrt, den Unterhalt zu verlangen, solange und soweit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst unterhalten kann (§ 1577 Abs. 1 BGB). Auch muß er sich eine Vergütung für Versorgungsleistungen anrechnen lassen, die er einem neuen Partner erbringt, mit dem er zusammenlebt (BGH NJW 1989 1083, 1084; OLG Celle NJW 2000 2282, 2283). Ob und inwieweit der Unterhaltsbedürftige auch den Stamm seines Vermögens angreifen muß, regelt das Gesetz für das minderjährige unverheiratete Kind und den geschiedenen Ehegatten. Das minderjährige unverheiratete Kind braucht die Substanz nur einzusetzen, wenn die Eltern außerstande sind, ohne Gefahrdung des eigenen angemessenen Unterhalts zu leisten (§§ 1602 Abs. 2, 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB). Der geschiedene Ehegatte hingegen hat den Stamm seines Vermögens anzugreifen, sofern die Verwertung nicht unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre (§ 1577 Abs. 3 BGB).139 Hieraus folgt (Umkehrschluß aus § 1602 BGB), daß andere Unterhaltsberechtigte, entferntere Verwandte und grundsätzlich auch volljährige Kinder, vor Inanspruchnahme der Unterhaltsleistung die Substanz ihres Vermögens aufzehren müssen, selbst wenn die Verwertung unwirtschaftlich oder unbillig wäre, es sei denn, die Veräußerung wäre unzumutbar, weil der laufende Bedarf sich aus den Stammerträgen decken ließe oder sie zu unvertretbaren wirtschaftlichen Nachteilen führen würde.140 Bei volljährigen Kindern § 1577 Abs. 3 BGB entsprechend anzuwenden scheidet aus.141 Deshalb wird die Grenze der Unzu-

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So bei einem Unterhaltsberechtigten, der die Heilpraktiker-Ausbildung aufgibt und nach Bewerbung, Eignungstest und Zulassung das Medizinstudium aufnimmt (BGH NJW 2001 2170, 2171f), oder einer Unterhaltsberechtigten, die ihre Ausbildung als Bauzeichnerin durch ein Architekturstudium fortsetzt (BGH FamRZ 1989 853, 8540, hingegen nicht, wenn eine durch ein Fachinstitut zur Europa-Sekretärin ausgebildete und in diesem Beruf tätige Unterhaltsberechtigte das Studium der Volkswirtschaftslehre beginnt (BGH FuR 12 [2001] 529, 530); vgl. auch WendllScholz § 2 Rdn. 58, 68, 73ÍT. Für die vor dem 1.7.1977 schuldlos oder minder schuldig geschiedene Frau vgl. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 60 EheG, anzuwenden nach Art. 3 Abs. 2 G G entsprechend auf den Mann.

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RGZ 81 241; BGH FamRZ 1957 120; NJWRR 1986 66; Kalthoenerl Büttner! Niepmann Rdn. 508; KGRKJ Mutschier § 1602 Rdn. 20f; Schibel NJW 1998 3450; WendllScholz § 2 Rdn. 107. BGH NJW 1998 978, 980; MünchKomm-BGB/ Luthin § 1602 Rdn. 45; SoergellHaberle § 1602 Rdn. 4; Staudingerl Engler § 1602 Rdn. 118; WendllScholz § 2 Rdn. 107. Vor Schaffung der Norm durch das 1. Eherechtsreformgesetz (Rdn. 18 Fn. 68 ) hatte der Bundesgerichtshof allerdings entschieden, daß die Verwertung des Vermögensstamms eines volljährigen Kindes insbesondere auch im Falle der UnWirtschaftlichkeit, worauf § 1577 Abs. 3 BGB neben der Unbilligkeit abhebt, unzumutbar sein kann (FamRZ 1957 120; 1966 28,29).

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mutbarkeit etwas enger als bei § 1577 Abs. 2 BGB zu ziehen sein, angenähert etwa dem Begriff der groben Unbilligkeit. 142 Als Grundregel läßt sich aus alledem ableiten, daß keine Bedürftigkeit besteht, wenn und soweit der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf selbst mit Mitteln decken kann, die ihm tatsächlich zur Verfügung stehen (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 19). Dies gilt auch dann, wenn der Unterhaltsberechtigte sich die erforderlichen Mittel zumutbarerweise beschaffen könnte, so durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit 143 oder durch Erfüllung sonstiger Obliegenheiten, etwa der Einziehung von Forderungen (BGH NJW 1998 979; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19) und der Inanspruchnahme eines unter sehr günstigen Bedingungen gewährten Darlehens (BGH FamRZ 1985 916, 917; 1989 499, 500; PalandtlDiederichsen § 1602 Rdn. 6). Insoweit gelten, da für den Unterhaltspflichtigen und den Unterhaltsberechtigten die gleichen Maßstäbe anzulegen sind (Göppinger/Strohal Rdn. 496), für die Bedürftigkeit die Erläuterungen zur Leistungsfähigkeit (Rdn. 40, 41) wie auch zu deren Feststellung (Rdn. 42) sinngemäß. 36

bb) Die Konkretisierung der Bedürftigkeit vollzieht sich im Maß der Unterhaltspflicht sowie der Höhe des Unterhaltsanspruchs im Einzelfall. 144 Ausgangswert ist der angemessene 145 Unterhalt, dessen Höhe sich aus dem Urteil ergeben muß (OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 19). Er richtet sich regelmäßig nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs. 1 BGB) oder der Personen, von deren Lebensstellung die des Bedürftigen abhängt, 146 bei Ehegatten und geschiedenen Ehegatten nach den „Verhältnissen" (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, 58 Abs. 1 EheG). 147 Trotz unterschiedlichen Wortsinns 148 meinen diese Begriffe dasselbe, nämlich die Lebensstellung, die der Höhe des maßgebenden Einkommens entspricht. 149 Andere Merkmale aus dem sozialen Bereich können nur mehr ergänzend herangezogen werden, wobei wiederum diejenigen, die ein erfolgreiches Berufs- und Erwerbsleben kennzeichnen, vor Herkommen, 150 Bildung,151 Ausbildung 152 und bloßer beruflicher BGH NJW 1998 978, 980; KalthoenerlBültneri Niepmann Rdn 508; vgl. auch O L G Hamburg FamRZ 1980 912, 913; OLG Hamm FamRZ 1982 1099, 1100; OLG Frankfurt FamRZ 1987 1179, 1180; MünchKommBGB/Lwi/i/n § 1602 Rdn. 8; WendllScholz § 2 Rdn. 107. BGHSt. 14 165, 169f mit Anm. Fränkel LM 170b Nr. 6; B G H N J W 1982 380; BayObLG N J W 1990 3284, 3285; Diederichsen JZ 1985 791; Günther SK Rdn. 25; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 34; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19; G. Walter N J W 1984 259 f mit Einzelheiten. Dazu können hier nur die Grundsätze angesprochen werden, während wegen der Einzelheiten auf das zivilrechtliche Schrifttum verwiesen werden muß, beispielsweise die ausführliehen Darstellungen bei Göppinger/Strohal Rdn. 366ff, 416ff; Kalthoenerl Büttner/Niepmann Rdn. 135ff; Köhler/Luthin Rdn. 68ff, 230ff, 418 ff; Wendl/Scholz § 2 Rdn. 42ff, 108ff, 317ff, 342 ff, 360ff, § 3 Rdn. 22ff, 166ff, § 4 Rdn. 526ff. Das Merkmal ist an die Stelle des Begriffs standesgemäß (vgl. etwa noch §§ 1578, 1579, 1610 BGB a. F.), getreten, der durch die tiefgreifende Wandlung der Gesellschaftsstruktur im Anschluß an die beiden Weltkriege sich überlebt

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hatte. Zur Fragwürdigkeit des unbestimmten Begriffs angemessener Unterhalt Gernhuber FamRZ 1983 1070 f. Dazu ausführlich GöppingerlStrohal Rdn. 287ff; 296 ff. Zur Ermittlung der Lebensstellung wirtschaftlich unselbständiger minderjähriger Kinder, wenn die Eltern nicht mehr zusammenleben, Köhler/Luthin Rdn. 44; G. Walter N J W 1984 262. Vgl. auch § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach sich der Unterhalt bei getrennt lebenden Ehegatten nach den „Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen" bestimmt. Zu den „ehelichen Lebensverhältnissen" eingehend G. Walter N J W 1984 263 f. Lebensverhältnisse sind die objektiven Lebensumstände; Lebensstellung ist der im Hinblick auf diese Umstände in der Gesellschaft anerkannte Rang. BGH N J W 1980 1686, 1689; 1981 1559, 1560; Kalthoenerl Büttner/Niepmann Rdn. 148, 163; Sehl Schröder/Lenckner Rdn .19. Heute nur noch selten bei besonders engen familiären Bindungen, sofern damit ein entsprechender Bildungsgrad einhergeht, und auch dann mit nur geringer Bedeutung (vgl. Köhlerl Luthin Rdn. 43 Fn. 1). Nicht gleichbedeutend mit Schulbildung, viel-

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Stellung Beachtung finden. Die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs im Einzelfall bereitet regelmäßig große praktische Schwierigkeiten. Die allgemeine Lebenserfahrung, selbst wenn sie mit langjähriger beruflicher Tätigkeit auf diesem Gebiet einhergeht, reicht meist nicht aus, um den durchschnittlichen angemessenen Lebensbedarf der betreffenden Bevölkerungsgruppe auch nur einigermaßen sicher einzuschätzen, während die mögliche sichere Bestimmung an Hand eines umfassenden wissenschaftlichen Gutachtens schon aus Kostengründen ausscheiden muß. Hinzu kommt, daß es für die methodisch richtige Bemessung des Unterhalts seit je unterschiedliche Ansätze gibt. 153 Daher hat die Praxis zur Ermittlung des konkreten Bedarfs im Einzelfall anhand allgemeingültiger Gegebenheiten und typischer Sachlagen nach der Lebenserfahrung Bedarfstabellen, Quoten, Schlüssel und unterhaltsrechtliche Leitlinien entwickelt (zur Entstehung Jost JR 2003 90). Sie sind weder Gewohnheitsrecht (MünchKommBGBILuthin § 1610 Rdn. 81; WendllScholz § 2 Rdn. 208), noch besitzen sie Rechtssatzcharakter oder die einer Rechtsnorm vergleichbare Verbindlichkeit ( Wendll Haußleiter § 1 Rdn. 3). Vielmehr handelt es sich um unverbindliche Richtwerte und Orientierungshilfen bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessener Unterhalt" (vgl. BGH FamRZ 1992 795, 797). Sie haben die Problematik zwar stark vereinfacht, im Grunde aber nur verdeckt (vgl. KalthoenerlBüttnerINiepmann Rdn. 2). Für die Praxis außerhalb der Anpassung der Unterhaltsrenten minderjähriger nicht im Haushalt des unterhaltspflichtigen Elternteils lebender Kinder (vgl. jedoch Rdn. 37) sind sie gleichwohl unentbehrlich {Jost JR 2003 93). Immerhin gewährleisten sie eine gewisse Gleichbehandlung durch die Gerichte. Bedenken gegen ihre Anwendung sind nur vereinzelt laut geworden. 154 Revisionsrechtlich wird jedenfalls nicht beanstandet, wenn, vorbehaltlich durch besondere Umstände bedingter Abweichungen, das Tatgericht von den Werten der Unterhaltstabellen und -leitlinien ausgeht. 155 Von den zahlreichen Zahlenformeln 156 sind die der Düsseldorfer Tabelle 157 die verbreitetsten. Ihr Zahlenwerk zum Kindesunterhalt hat in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte fast allgemeine Anerkennung gefunden, während die Rechenregeln und Rechtsauffassungen in den weiteren Teilen der Tabelle nicht einheitlich gehandhabt werden {KalthoenerlBüttner!Niepmann Rdn. 3; WendllScholz § 2 Rdn. 208). Ergänzt wird die Düsseldorfer Tabelle für das Gebiet der neuen Bundesländer und

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mehr kann Bildung auch ohne einen entsprechenden Abschluß qualifiziert sein (Köhlerl Luthin Rdn. 43 Fa. 2). Hier freilich muß ein entsprechender Abschluß erreicht sein, weil die Leistung sonst nicht wägbar ist. Vgl. nur die Praxis zu dem früheren § 1708 Abs. 1 Satz 1 BGB (Pflicht des Vaters eines nichtehelichen Kindes, dem Kind den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren), einerseits mit der bekannten „Warenkorbberechnung", andererseits mit den zahlreichen Varianten der Gegenansicht, die zu ermitteln für erforderlich hielt, was für den Lebensbedarf des Kindes in der Bevölkerungsgruppe, die der Mutter angehört, tatsächlich aufgewendet wird. Beispielsweise bei Petersen SchlHA 1985 81 f, allerdings gegen die dort (S. 81) vorangestellte These von Lindenau, die Düsseldorfer Tabelle

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(Fn. 157) sei, weil mit Art. 74 G G nicht zu vereinbaren, verfassungswidrig; krit. ferner Gernhuber FamRZ 1983 1972; vgl. neuerdings auch Graba FamRZ 2003 129 ff So BGH NJW 1984 1614; 1987 523; FamRZ 1979 692; 1982 366; 1990 260, 265; 1992 795, 797; OLG Hamburg FamRZ 1995 1418; OLG Zweibrücken StV 1986 531, 532. Vgl. die umfassende Darstellung bei Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 3 bis 113a; ferner den Uberblick bei PalandtlDiederichsen Einf ν § 1601 Rdn. 15. Ursprünglich vom Landgericht Düsseldorf als Berufungsgericht in Unterhaltssachen erarbeitet (vgl. noch NJW 1977 289, 290), vom Oberlandesgericht Düsseldorf neu gefaßt, umgestaltet und laufend aktualisiert, ausführlich erläutert bei Kalthoenerl Büttner! Niepmann Rdn. 16 bis 27; näher auch MünchKommBGB/LuiAin §1610 Rdn. 80f.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Ost-Berlin durch die Berliner Tabelle als Vortabelle.158 Zu beachten ist, daß die Tabellensätze grundsätzlich die oberste Grenze des Unterhaltsanspruchs darstellen. Die für die oberste Einkommensgruppe geltenden Bedarfssätze sind in Fällen, in denen das maßgebende Elterneinkommen diesen Höchstsatz übersteigt, nicht fortzuschreiben; jenseits der Düsseldorfer Tabelle bleibt es vielmehr dabei, daß der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf darlegen und beweisen muß. 159 Unterhalb dieses Maßes wird seine Höhe begrenzt durch die möglicherweise nicht volle Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die vielfach nicht ausreichende Leistungsfähigkeit (dazu Rdn. 38 bis 42) des Unterhaltsverpflichteten. So ist tatsächlich oder durch zumutbares Verhalten erzielbares Einkommen des Unterhaltsberechtigten vom angemessenen Unterhalt abzuziehen (vgl. §§ 1577 Abs. 1, 1602 Abs. 2 BGB). Auch wird, wenn die Mittel des Unterhaltsverpflichteten nicht ausreichen, der angemessene Unterhalt um den Teil gekürzt, den er selbst braucht (näher Rdn. 38). Schließlich kann die Unterhaltsverpflichtung bei Verwandten (§ 1611 Abs. 1 BGB), die von Eltern gegenüber ihren unverheirateten Kindern ausgenommen (§ 1611 Abs. 2 BGB), und bei getrennt lebenden (§§1361 Abs. 3, 1579 Nr. 2 bis 7 BGB) oder geschiedenen Ehegatten (§ 1579 BGB) aus Gründen der Billigkeit sich mindern oder wegfallen. 160 37

cc) Beim Bedarf minderjähriger Kinder bestehen Besonderheiten. Ein minderjähriges unverheiratetes Kind kann von seinen Eltern, auch wenn es Vermögen hat, die Gewährung des Unterhalts insoweit verlangen, als die Einkünfte seines Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zum Unterhalt nicht ausreichen (§ 1602 Abs. 2 BGB), braucht den Stamm seines Vermögens also nicht anzugreifen (vgl. dazu schon Rdn. 35). Ferner unterliegt es, ebenso wie ein volljähriges Kind, solange es sich in einer angemessenen Ausbildung befindet, keiner Erwerbsobliegenheit (BGH FamRZ 1995 475, 477; OLG Hamm FamRZ 1988 425, 426; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 19). Die praktisch bedeutsamste Besonderheit aber ist die Regelung der Anpassung von Unterhaltsrenten (§§ 1612a bis 1612c BGB), nach der ein minderjähriges Kind von dem Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, in einem vereinfachten Verfahren (§§ 645 bis 660 ZPO) den Unterhalt als Vomhundertsatz eines bestimmten Regelbetrags verlangen kann (§ 1612a Abs. 1 BGB). Die neue Regelung 161 ist ein spezieller Teil der gesetzlichen Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die vom Kindschaftsrechtsreformgesetz (§ 169 Rdn. 9 Fn. 22) begonnen, mit der Aufhebung der unterhaltsrechtlichen Sondervorschriften für nichteheliche Kinder (mit Ausnahme des § 1615 o Abs. 1 BGB) und gleichzeitiger Schaffung für die Unterhaltsansprüche aller Kinder gleichen Regelungen durch das Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 17 Fn. 63) vollendet worden ist (dazu schon Rdn. 17). Insbesondere gibt es nun keinen Anspruch auf Regelunterhalt mehr, sondern nur noch einen einheitlichen

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Beide Tabellen mit Stand ab 1.1.2002 veröffentlicht z.B. NJW Beilage zu Heft 9/2002; F P R Beilage zu Heft 3/ 2002; FuR 13 (2002) 11 bis 18. BGH NJW 200« 954, 955 f mit Anm. Benkelberg M D R 2000 276; O L G Düsseldorf FamRZ 1998 1191; 1991 806; O L G Frankfurt FamRZ 1993 98, 99; O L G Hamm N J W E - F E R 1997 77; OLG Schleswig FuR 12 (2001) 417, 418; Wendll Scholz § 2 Rdn. 229 f; and. OLG Köln FamRZ 1992 715. Zum völligen Wegfall einer Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber einem Kind, das seit Jah-

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ren dem Alkohol verfallen und gesundheitlich ruiniert ist, AG Altena DAVorm. 68 (1995) 265 mit krit. Anm. van Eis; zur Teilverwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen Verweigerung jeglichen Kontakts zum verpflichteten Elternteil OLG Celle F u R 13 (2002) 332, 334f; insgesamt zu den Verwirkungstatbeständen Bress-Brandmaier/Gühlstorf Z f F 55 (2003) 145 ff. Ihre §§ 1612a Abs. 4 und 5, 1612b Abs. 5 BGB gelten inzwischen in der durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 7.12.2002 (BGBl. I 1479) geänderten Fassung.

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Verletzung der Unterhaltspflicht

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Anspruch auf individuellen Unterhalt. Die früheren Regelbedarfsätze sind jetzt Regelbeträge, die, anders als der frühere § 1615 Abs. 1 BGB, nicht mehr den Anspruch erheben, in einfachen Lebensverhältnissen bedarfsdeckend zu sein.162 Sie haben in erster Linie nur noch die Funktion einer bloßen Bemessungsgröße für dynamisierte Unterhaltstitel und für die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 19; Schumacher FamRZ 1999 749; Schumacher/Grün FamRZ 1998 779). Die Regelbeträge werden in der RegelbetragVerordnung (Rdn. 27 Fn. 112) ausgewiesen.163 Ihre Höhe ändert sich entsprechend der Entwicklung des durchschnittlich verfügbaren Arbeitsentgelts zum 1. Juli jeden zweiten Jahres.164 Die von den Oberlandesgerichten entwickelten Unterhaltstabellen (vgl. Rdn. 36) bleiben nicht nur für den Unterhalt, der nach wie vor in Form eines festen Betrages verlangt wird, unentbehrlich, sondern behalten als Ausgangsbeträge der erforderlichen Berechnung auch für die Unterhaltsfestsetzung in Form eines Prozentsatzes der Regelbeträge Bedeutung (Schumacher!Grün FamRZ 1998 788; D. Schwab Familienrecht Rdn. 770). h) Zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist schließlich nur derjenige, der über die tatsächliche Leistungsfähigkeit verfügt, wobei die Voraussetzung selbst wie auch der Maßstab, der für die Berücksichtigungsfähigkeit der tatsächlich vorhandenen und erreichbaren Mittel gilt, sich wiederum ausschließlich nach bürgerlichem Recht richten. aa) Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist nicht, wie vielfach angenommen, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 170 Abs. I,165 sondern, wie die Bedürftigkeit des Unterhaltberechtigten (Rdn. 35), Element des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht.166 Das erweisen die bürgerlich-rechtlichen Regelungen. Sie 162

Grandke FPR 2 (1996) 245; Schumacher!Grün FamRZ 1998 779; A. Weber N J W 1998 1993f. Die vielfach erhobene (vgl. die Nachweise bei Schumacher/Grün FamRZ 1998 779 Fn. 6, 7) Forderung, die Regelbeträge auf das Existenzminimum anzuheben, hat sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. Zum Existenzminimum von Kindern und Familien vgl. BTDrucks. 13/381; 13/9561; dazu auch KalthoenerlBüttner/Niepmann Rdn. 1; Oelkers ZfJ 86 (1999) 239 f; Seh!SchräderILenckner Rdn. 19; Wagner FamRZ 1997 1513 f.

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Im Hinblick auf die noch immer deutlichen Unterschiede im Einkommensniveau der neuen und der alten Bundesländer (vgl. Schumacher/ Grün FamRZ 1998 781 Fn. 24) getrennt für beide Bereiche (einerseits § 1, andererseits § 2 Regelbetrag-Verordnung). Zu den Einzelheiten des Verfahrens Schumacher/Grün FamRZ 1998 781, 783. Beispielsweise BayObLGSt. 1960 167; 1988 91, 92; 1999 55, 56; 2001 91; BayObLG StV 1983 418; O L G Braunschweig N J W 1953 558; OLG Bremen N J W 1955 1606, 1607; OLG Celle N J W 1984 317; OLG Hamburg NStZ 1984 167; O L G Hamm NStZ-RR 1998 207, 208; KG juris Rechtsprechung KORE 41794/9900 S. 1, 3; 41863/2000 S. 1; 42875/2000 S. 1; OLG Koblenz G A 1975 28; O L G Köln N J W 1953 517, 518; FamRZ 1976 119; NJW 1981 63; OLG Olden-

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burg NJW 1953 917; O L G Zweibrücken StV 1986 531, 532; Walt. Becker NJW 1955 1906; Frommel N K Rdn. 8; Hellmer ZStW 70 (1958) 367; Joecks Rdn. 3; Kohlrauschi Lange Anm. III; Lackneri Kühl Rdn. 8; Mattmer NJW 1967 1593; Maurach! SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 34; Mittelbach Anm. zu BGH JR 1965 147; Niethammer 1. Hauptstück H 1 5c; Sauer BT § 42 III b; Sporbeck S. 63; TröndlelFischer Rdn. 8; ebenso noch LK Voraufl. Rdn. 39. Teilweise wird ein den Tatbestand einschränkendes Kriterium auch dem BegrifT des Sichentziehens (Rdn. 43) entnommen (beispielsweise OLG Bremen JR 1961 226, 227; OLG Schleswig SchlHA 1953 215, 216; dagegen jedoch BGHSt. 14 165, 166f mit Anm. Frankel LM § 170b Nr. 6); vgl. auch Neudek S. 51 sowie FrenzeI, der meint, die Leistungsfähigkeit sei ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal „wegen der Erfordernisse der strafrechtlichen Norm selbst" (S. 70). 166

Sch/SchröderlLenckner (seit der 20. Aufl.) Rdn. 20; Günther SK Rdn. 26; zuvor schon Brühll GöppingerlMutschier Rdn. 1016 und, mit ausführlicher dogmatischer Begründung, Eggert Schutz S. 131 fT, Zusammenfassung S. 136; vgl. aber auch BGH 1985 732, 733. Verfehlt wäre, die systematische Einordnung des Merkmals als für die strafrechtliche Beurteilung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (so aber HeimannTrosien L K 9 Rdn. 26). Dagegen steht schon die

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ergeben, daß die Voraussetzung, wonach der Unterhaltsberechtigte überhaupt imstande sein muß zu leisten, die Unterhaltspflicht einschränkt. Unterhaltsberechtigt ist nur, wer nicht imstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 BGB), unterhaltspflichtig dementsprechend nicht, wer zur Gewährung des Unterhalts außerstande ist (§§ 1603, 1581 BGB). Zur Leistung imstande ist der Verpflichtete, der über die zur Unterhaltszahlung nötigen Mittel tatsächlich verfügt oder sie bei gutem Willen in zumutbarer Weise beschaffen könnte (Rdn. 41). Deshalb scheidet der Tatbestand bei einem Asylbewerber, der keine Mittel zur Erfüllung der Unterhaltspflicht hat, Einkommen aber auch nicht erwerben darf, weil ihm die Auflage erteilt worden ist, daß er eine selbständige oder vergleichbare unselbständige Arbeit nicht aufnehmen darf, von vornherein aus (KG juris Rechtsprechung KORE 41794/9900 S. 1, 3). Den Maßstab für die Leistungsfähigkeit bildet die jeweilige Stärke der Unterhaltspflicht mit unterschiedlichem Einfluß auf die Höhe des Eigenbedarfs und die Berücksichtigungsfahigkeit sonstiger Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen (Rdn. 40). Da das Gesetz in schwerwiegenden Fällen selbstverschuldeter Unterhaltsbedürftigkeit durch den Unterhaltsberechtigten einen Verlust des Unterhaltsanspruchs vorsieht (vgl. §§1361 Abs. 3, 1579 Nr. 3, 1611 Abs. 1 BGB, § 65 Abs. 1 EheG), für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen entsprechende Vorschriften aber fehlen, ist entgegen § 275 BGB, der insoweit im Unterhaltsrecht nicht gilt, auch verschuldete Leistungsunfahigkeit beachtlich.167 Jedoch wird der Unterhaltspflichtige, der seine Arbeitskraft vorwerfbar nicht in dem ihm zumutbaren und möglichen Umfang ausnutzt, so behandelt, als verfüge er über die erzielbaren Einkünfte.168 Ob die Einkommensfiktion zeitlich beschränkt werden kann, ist weiterhin ungeklärt.169 Indessen wird wegen eines einzelnen Fehlverhaltens ein tatsächlich nicht erzieltes Einkommen schon deshalb nicht auf unabsehbare Zeit fingiert werden dürfen, weil im Arbeitsleben gewisse Veränderungen, letztlich der Verlust des Arbeitsplatzes, eintreten können {KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 635). Ein nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB privilegiertes volljähriges Kind kann seinen vollen Unterhalt von einem Elternteil verlangen, wenn die Leistungsfähigkeit des anderen nur fiktiv gegeben wäre (OLG Nürnberg MDR 2000 34). Auch Untersuchungs- und Strafhaft des Unterhaltspflichtigen, mit deren Vollzug die Leistungsfähigkeit an sich entfällt (dazu näher Rdn. 74), hat nach dem Grundsatz von Treu und Glauben diese Wirkung jedenfalls dann nicht, wenn die Straftat einen Bezug zu dem Unterhaltsanspruch aufweist, der sich nicht in der ursächlichen Verknüpfung zwischen der haftbedingten Leistungsunfahigkeit und der Straftat erschöpft, etwa wenn die Straftat gegen den Unterhaltsberechtigten oder seine Angehörigen gerichtet war, oder sie verübt wurde, um sich absichtlich der Unterhaltspflicht zu entziehen.170 Aus alledem folgt,

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Irrtumsproblematik, die gerade bei Unterlassungsdelikten gebietet, die Bezugspunkte des Irrtums eindeutig und präzise festzulegen (Eggert Schutz S. 132). B G H N J W 1982 1812, 1813; N J W 1983 2317; N J W 1985 735, 736; OLG Celle FamRZ 1983 704, 705; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718, 719; OLG Köln FamRZ 1980 362, 363; AG Köln DAVorm. 56 (1983) 72, 73; Göppinger/ Strohal Rdn. 413; Günther SK Rdn. 27; Hoppenz N J W 1984 2327; Kalthoenerl Büttnerl Niepmann Rdn. 582, 632, 633; PalanchiDiederichsen § 1603 Rdn. 52; and. v. Krog, der § 275 BGB auch insoweit im Unterhaltsrecht für anwendbar hält (FamRZ 1984 540, 541; hiergegen O L G

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Hamm F a m R Z 1984 1033; Hoppenz N J W 1984 2327 Fn. 1). Zur Rechtfertigung ausführlich Graba FamRZ 2001 1257 ff; ferner H. Büttner N J W 1999 2322; Göppinger!Strohal Rdn. 496; and. auch hier v. Krog FamRZ 1984 539, 540. Zu den einzelnen Obliegenheiten, deren Mißachtung zum Ansatz fiktiven Einkommens führt, Rdn. 41. Vgl. z.B. O L G Frankfurt FamRZ 1995 735; 1995 1217; O L G Hamburg DAVorm. 61 (1988) 720; OLG Hamm N J W 1995 1843; OLG Karlsruhe FamRZ 1983 931, 932; O L G Koblenz F a m R Z 1986 93 (L); OLG Schleswig SchlHA 1984183. BGH N J W 1982 1812, 1813; 1982 2491, 2492;

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daß auch bei der weitestgehenden gesetzlichen Unterhaltspflicht strafbares Verhalten nach § 170 Abs. 1 vorliegt, wenn der Unterhaltspflichtige imstande ist oder imstande wäre, den von ihm geschuldeten Unterhalt wenigstens teilweise171 zu leisten, eine Strafbarkeit aber ausscheidet, wenn bereits das bürgerliche Recht wegen mangelnder Leistungsfähigkeit die Unterhaltspflicht entfallen läßt. Eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals bedarf es dazu nicht, zumindest nicht mehr, seit in jedem Fall die Leistungsfähigkeit Voraussetzung der Unterhaltspflicht ist (so schon BrühllGöppinger! Mutschier Rdn. 1016).172 Das Merkmal ist auch nicht erforderlich, um eine vom bürgerlichen Recht unabhängige Auslegung zu sichern. Die Berücksichtigung spezifisch strafrechtlicher, an Tat und Täter anknüpfende Überlegungen, die der zivilrechtlichen Regelung nicht uneingeschränkt folgen oder doch wenigstens einen Wertungsunterschied zwischen Zivilrecht und Strafrecht einbringen (vgl. Eggert Schutz S. 134f; Mittelbach Anm. zu BayObLG JR 1964 306, 307; Neudek S. 51), ist schon dadurch gewährleistet, daß der Strafrichter die Leistungsfähigkeit ohnehin selbständig zu beurteilen hat. Im vereinfachten Verfahren nach dem Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 37) kann es neuerdings wieder zu einer Verurteilung des Verpflichteten ohne Berücksichtigung seiner konkreten Leistungsfähigkeit kommen (vgl. § 449 ZPO), dann nämlich, wenn er nicht rechtzeitig im streitigen Verfahren (§ 651 ZPO) oder im Abänderungsverfahren (§ 654 ZPO) die Herabsetzung des Unterhalts verlangt hat. Nur in diesen Fällen ist die Leistungsfähigkeit ungeschriebene Strafbarkeitsvoraussetzung (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 20). bb) Der MaBstab, nach dem sich die Leistungsfähigkeit bestimmt, ist nicht für alle 3 9 Fälle gleich; die Unterschiede ergeben sich daraus, wem der Unterhalt geschuldet wird. Für Verwandte, die den Unterhalt nicht einem minderjährigen unverheirateten Kind schulden, besteht beschränkte Leistungsfähigkeit. Sie gelten bereits dann als zur Leistung außerstande, wenn sie bei Berücksichtigung vorrangiger oder mindestens gleichrangiger Unterhaltspflichten sowie abzugsfähiger Verbindlichkeiten173 durch die Gewährung des Unterhalts ihren eigenen angemessenen Unterhalt (großer Selbstbehalt) gefährden würden (§ 1603 Abs. 1 BGB). Dies gilt nach heutigem Verständnis von familiärer Solidarität in besonderem Maße für die Unterhaltspflicht von erwachsenen Kindern gegenüber ihren im Alter unterhaltsbedürftig gewordenen Eltern, nachdem die Versorgung der Elterngeneration nicht, wie in den §§ 1601, 1603 BGB angelegt, Sache der Familie geblieben, sondern sich primär zur Angelegenheit der All-

M D R 2002 825, 826; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718, 719; OLG Hamm FamRZ 1984 1033; OLG München DAVorm. 57 (1984) 77, 79; GöppingerlBäumet Rd. 1185 f; KalthoenerlBütlnerl Niepmann Rdn. 669f; RGRKJ Mutschier § 1603 Rdn. 7; weitergehend Hoppenz N J W 1984 2328; abweichend v. Krog FamRZ 1984 540 f. O L G Düsseldorf DRiZ 1943 305, 306; Frommel N K Rdn. 8; Günther SK Rdn. 27; Lackner/Küht Rdn. 8; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 20; Tröndle/Fischer Rdn. 8. Anders lag es früher beim Vater eines nichtehelichen Kindes, für den bis zur Ausübung seiner Rechte nach § 1615h a.F. BGB die Pflicht zur Zahlung des Regelunterhalts unabhängig davon bestand, ob er diesen Betrag leisten konnte. Die Leistungsfähigkeit war in diesem Fall un(323)

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geschriebene Strafbarkeitsvoraussetzung (Sehl Schröder!Lenckner20 Rdn. 20). Auch das Oberlandesgericht Köln hatte jedenfalls insoweit die Leistungsfähigkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 170 b angesehen (NJW 1981 63, 64). Zur Zulässigkeit der Differenzierung zwischen berücksichtigungswürdigen und anderen Verbindlichkeiten BGH N J W 1982 380; Köhlerl Luthin Rdn. 151; grundsätzlich and. Hoppenz N J W 1984 2327. Einzelheiten zur Abgrenzungsfähigkeit von Aufwendungen bei Kalthoenerl Bül inerì Niepmann Rdn. 750f, 777f; 929ÍT; G. Walter N J W 1984 261 f. Vgl. auch Göppingerl Strohal zum Einfluß der Verbindlichkeiten auf die Bedürftigkeit und die Leistungsfähigkeit (Rdn. 452ff, 459ff).

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gemeinheit entwickelt hat ( B G H Z 152 127, 228f mit Anm. Koch JR 2003 287). 174 Hingegen unterliegt die Leistungsfähigkeit der Eltern bei Unterhaltsansprüchen ihrer minderjährigen unverheirateten Kinder einem strengen Maßstab. Sie haben eine insofern verstärkte Unterhaltspflicht, als alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig verwendet werden müssen (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB), wobei den minderjährigen unverheirateten Kindern volljährige unverheiratete Kinder, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, gleichstehen (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB). 1 7 5 Freilich ist damit nur gesagt, daß die Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts nicht die Grenze der Leistungspflicht bedeutet. Die Pflicht, selbst das Letzte mit den Kindern zu teilen, besteht nicht; 176 vielmehr gelten unterhaltspflichtige Eltern nicht mehr als leistungsfähig, wenn eine auch nur teilweise Leistung ihr eigenes Existenzminimum, also das zum Fortbestehen unbedingt Erforderliche (kleiner Selbstbehalt) gefährden würde. 177 Unabweislich sind die Kosten für Ernährung, Kleidung und Wohnen, aber auch zur Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitskraft. 178 Die obere Begrenzung richtet sich weder nach den Pfandungsfreibeträgen, noch nach den Sozialhilfesätzen, 179 obwohl vermieden werden sollte, daß der Unterhaltspflichtige durch die Unterhaltsschuld teilweise zum Sozialhilfeempfänger wird (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 21). Auch bei der verschärften Unterhaltspflicht entfallt die Leistungsfähigkeit insoweit, als Ansprüche vorrangig bestehen. 180 D a s gilt selbst dann, wenn der Unterhaltspflichtige nicht geleistet hat. Eine Nichterfüllung der Ansprüche vorgehender Unterhaltsberechtigter kann nämlich eine strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht nur diesen gegenüber begründen, führt aber nicht deshalb, weil der Unterhaltspflichtige dadurch Geld erspart hat, nunmehr auch zu einer Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber einem nachgehenden Unterhaltsberechtigten. 181 Hingegen finden

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Vgl. zuletzt das am 1.1.2003 in Kraft getretene Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) vom 26.6.2001 (BGBl. I 1310, 1335) i. d. F. des Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27.4.2002 (BGBl. I 1462, 1463), nach dem unter anderen Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, auf Antrag Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung erhalten, soweit sie ihren Unterhalt nicht durch ihr nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen ermitteltes Einkommen und Vermögen decken können und ihre Bedürftigkeit nicht in den letzten zehn Jahren vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben ( § § 1 , 2 GSiG). Im Einzelnen dazu Schoch Z f F 55 (2003) 1 ff. Nur ausnahmsweise entfällt die so erweiterte Unterhaltspflicht, dann nämlich, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist, oder der Unterhalt aus dem Stamm des Vermögens des unterhaltsberechtigten Kindes bestritten werden kann (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB); eingehend hierzu BayObLGSt. 1961 260, 262. Freilich wird es zuweilen so ausgedrückt (ζ. B.

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BayObLGSt. 1964 9, 11 mit Anm. Mittelbach JR 1964 308); doch ist das nicht wörtlich zu nehmen (vgl. GöppingerlStrohal Rdn. 398). BGH NJW 1989 524; OLG Braunschweig N J W 1953 558; OLG Bremen N J W 1955 1606, 1607; O L G Celle N J W 1969 833; M DR 1962 921; OLG Hamm OLGSt. § 170b Nr. 1 (L); OLG Koblenz G A 1975 28; O L G Köln N J W 1953 517, 518; 1953 1117, 1118; FamRZ 1976 118, 119; OLG Oldenburg NJW 1953 917; O L G Schleswig SchlHA 1985 44; Köhler/Luthin Rdn. 101. Was der Unterhaltspflichtige hierzu braucht, ist für ihn nicht „verfügbar" (BGH N J W 1984 1614). OLG Zweibrücken StV 1986 531, 532; vgl. jedoch WendUGuldeutsch, wonach die Opfergrenze im allgemeinen etwas über dem Sozialhilfebedarf des in Anspruch Genommenen angesetzt wird (§ 5 Rdn. 196). OLG Braunschweig N J W 1953 558; NdsRpfl. 1959 229; OLG Celle N J W 1960 833; M D R 1962 921; OLG Köln FamRZ 1976 118, 119; O L G Koblenz G A 1975 28; OLG Oldenburg N J W 1953 917. OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; O L G Celle M D R 1962 921, 922 ; OLG Oldenburg N J W 1953 917.

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nicht bevorrechtigte Verbindlichkeiten in einem gegenüber Unterhaltsansprüchen sonstiger Verwandter wesentlich geringeren Umfang Berücksichtigung, nämlich im Rahmen eines strengen Anforderungen unterworfenen Tilgungsplans, der in vernünftiger Weise den Belangen Rechnung trägt. 182 Der notwendige Bedarf des bevorrechtigten Unterhaltsberechtigten darf dadurch nicht beeinträchtigt werden (OLG Köln FamRZ 1982 1105 gegen OLG Karlsruhe FamRZ 1981 548). Für Ehegatten und geschiedene Ehegatten besteht eine ebenfalls gesteigerte Unterhaltspflicht mit entsprechenden strengen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit (§ 1360).183 Bei getrennt lebenden Ehegatten wird die Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, zur individuellen Unterhaltspflicht umgeformt (§ 1361 Satz 1 BGB). Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten wandelt sich bei Leistungsunfahigkeit des Verpflichteten in einen Billigkeitsanspruch (§§1581 BGB, 59 Abs. 1 EheG). cc) Grundlage der Leistungsfähigkeit sind die tatsächlich vorhandenen Mittel. 4 0 Dazu zählt zunächst das gesamte Vermögen, soweit der Unterhaltspflichtige darüber verfügen kann, und dessen Erträge. Allerdings wird zunehmend auch im Unterhaltsrecht, insbesondere beim Unterhalt von Eltern, dem Vorbild des § 88 BSHG (vgl. Rdn. 22 Fn. 83; dazu BVerwG NJW 1998 397; 1998 1879, 18800 folgend, bestimmtes tatsächlich vorhandenes Vermögen als unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigendes Schonvermögen anerkannt, beispielsweise eine behindertengerechte Eigentumswohnung (BVerwG NJW 1993 1024, 1025 f) und zum Zweck der Verhinderung künftiger Kreditaufnahmen gebildete Rücklagen (OLG Oldenburg FamRZ 2000 1174, 1276; F. Günther F F E 2 [1999] 74).184 Tatsächlich vorhandene Mittel sind weiter das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und alle Einkünfte aus unselbständiger Arbeit einschließlich des Lohnersatzes in Form von Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld und Streikgeld sowie der Nebenleistungen wie Überstundenvergütungen, sofern sie nur in geringem Umfang anfallen oder das im Beruf des Unterhaltspflichtigen übliche Maß nicht überschreiten, 185 Zuschläge, etwa der im öffentlichen Dienst gezahlte Orts182

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Dazu BGH N J W 1982 1641; FamRZ 1984 657; BayObLGSt. 1958 55; BayObLG NJW 1961 38; OLG Bamberg FamRZ 1997 23; O L G Hamm OLGSt. § 170 b Nr. 1 (L); FamRZ 1997 821; KG JW 1927 2584; OLG Köln N J W 1962 1630, 1631; N J W 1981 63, 64; FamRZ 1982 706, 709; 1982 1105, 1106; OLG Schleswig SchlHA 1985 44; Göppinger/Strohal Rdn. 471; Kalthoenerl Büttner!Niepmann Rdn. 1022 a (auch zu Modalitäten der Tilgung); KöhlerlLuthin Rdn. 151; Mattmer NJW 1967 1594; PalandtlDiederichsen § 1603 Rdn. 27; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 21. Vgl. OLG Braunschweig N J W 1953 558; O L G Bremen NJW 1955 1606; OLG Hamm JZ 1952 690 mit Anm. Schänke· OLG Köln NJW 1953 1117; Kalthoenerl Büttner !Niepmann Rdn. 28 f; KöhlerILuthin Rdn. 248, 353. Zum Ganzen ferner z. B. BGH JR 1993 283, 287 mit Anm. Koch; O L G Koblenz NJW-RR 2000 293, 294f; KG juris Rechtsprechung KORE 42875/2000 S. 1, 2; OLG Köln FuR 12 (2001) 80; LG Heidelberg NJW 1988 3502, 3503; LG Lübeck FamRZ 1996 961 mit Anm. Meyer FamRZ 1997 225; LG Paderborn FamRZ 1997 228 f; AG Höxter FamRZ 1996 772 mit Anm. Zieroth und Anm. Meyer FamRZ 1997 225; AG

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Wetter FamRZ 1991 852, 853; H. Büttner N J W 1999 2318; Duderstadt FamRZ 1998 275 f; Göppinger/Strohal Rdn. 619; F. Günther F F E 2 (1999) 175 f; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 770; Köhler FamRZ 1990 924; W. Müller FPR 1 (1995) 191, 193; Palandtl Diederichsen §§1601 Rdn. 9, 1602 Rdn. 5, 1603 Rdn. 3; Schellhornl Schellhorn § 91 Rdn. 39; Schibel NJW 1988 3450; vgl. aber auch Staudingerl Engler § 1602 Rdn. 119. 185

BGH NJW 1980 2251, 2252; 1980 2306; KG FamRZ 1988 720, 721; OLG Köln FamRZ 1979 133, 134; OLG München DAVorm. 52 (1979) 40, 41; O L G Stuttgart FamRZ 1978 681, 682; OLG Schleswig SchlHA 1979 48; Alber-Noack UJ 50 (1998) 470; Göppinger/Strohal Rdn. 560; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 734; MünchKommBGB/Lw/Ai/! § 1603 Rdn. 5; SchlSchröder!Lenckner Rdn. 21a; SoergellHaberle § 1603 Rdn. 2; Staudinger/Engler/Kaiser § 1603 Rdn. 18; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 47, 64). Typisch sind Überstunden bei Arbeitnehmern, die über die normale Arbeitszeit hinaus zur Anwesenheit am Arbeitsplatz verpflichtet sind, wie ein Kranführer (BGH FamRZ 1981 26, 28, insoweit in N J W 1981 170 nicht abgedruckt), ein Schachtmeister

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Zuschlag,186 Zulagen, beispielsweise die Ministerialzulage (OLG Köln FamRZ 1982 706, 708), die Auslandszulage (BGH FamRZ 1980 342, 344), Schicht- und Feiertagszulagen,187 Gratifikationen, Treueprämien, Tantiemen, Weihnachts- und Urlaubsgeld,188 dazu die zahlreichen Spesen, die vielfach nur verschleierte Einkünfte sind.189 Die Beihilfeleistungen im öffentlichen Dienst werden ebenso als Einkommen (OLG Bamberg FamRZ 1979 624, 625), wie auch als unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigender reiner Aufwendungsersatz (OLG Düsseldorf FamRZ 1981 702) betrachtet. Sitzungsgelder und Aufwandsentschädigungen ehernamtlich Tätiger, etwa als Schöffen oder Gemeinderatsmitglieder, sind Einkünfte; doch werden nach Abzug notwendiger Kosten und konkreter Mehrausgaben im Ergebnis regelmäßig keine Überschüsse von Gewicht zustande kommen. 190 Weiter sind zu nennen Ausbildungsvergütungen, die keinem Abzug unterliegen,191 Abfindungen wegen Verlusts des Arbeitsplatzes, auch die aufgrund eines Sozialplans gezahlten, 192 Steuervorteile und Steuerrückzahlungen,193 alle Renten mit Zusatzrenten,194 Pensionen, laufende Zahlun-

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(BGH N J W 1982 2664, 2665) und der Betriebsstellenleiter einer Zeche (OLG Düsseldorf FamRZ 1981 772, 774), aber auch ein Cheffahrer (BGH N J W 1983 2321). Ein durch überobligationsmäßige Ausschöpfung dieser Erwerbsmöglichkeit erzielter Verdienst bleibt teilweise außer Ansatz (OLG Düsseldorf FamRZ 1981 772, 774; O L G Schleswig SchlHA 1980 44). BGH N J W 1984 1458, 1459; OLG Köln FamR Z 1979 133, 134; 1983 706, 708; 1983 750, 753; O L G Frankfurt FamRZ 1980 183, 184; OLG München FamRZ 1980 459. Sie stehen dem Unterhaltspflichtigen zu einem Drittel als Kompensation für die erhebliche Belastung zu (OLG München N J W 1982 835; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 66; and. O L G Stuttgart FamRZ 1978 681, 682; KG DAVorm. 52 [1979] 110, 118). BGH N J W 1971 137; 1982 822; 1991 1049; O L G München DAVorm. 52 (1979) 39, 40; O L G Stuttgart FamRZ 1978 681, 683; AlberNoack UJ 50 (1998) 470; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21a; TröndlelFischer Rdn. 8. Hingegen bleiben Arbeitnehmersparzulagen außer Ansatz (BGH N J W 1980 2251, 2252; O L G Düsseldorf FamRZ 1981 702; OLG Hamm DAVorm. 51 [1978] 199, 201; GöppingerlStrohal Rdn. 559). Zu den einzelnen Arten Kalthoener! Büttnerl Niepmann Rdn. 753 f; ferner Göppingerl Strohal Rdn. 562; MünchKommBGB/LirfAin Rdn. 7; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 57. Auch hinter Trennungsentschädigungen, Auslösungen und Montageprämien kann sich Arbeitsentgelt verbergen (vgl. BGH N J W 1982 1983; O L G Schleswig SchlHA 1979 48; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 58). Vgl. BGH NJW-RR 1986 1002; FamRZ 1983 670, 673; O L G Hamm FamRZ 1980 997; Göppinger!Strohal Rdn. 563; KalthoenerIBüttnerI Niepmann Rdn. 756; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 55. BGH NJW 1981 2462, 2463; O L G Karlsruhe FamRZ 1992 344, 345; OLG Stuttgart FamRZ

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1981 993, 995; Alber-Noack UJ 50 (1998) 470; Göppingerl Strohal Rdn. 557; Kalthoener! Büttner!Niepmann Rdn. 481. BGH N J W 1982 822, 823; 1987 1554, 1555; 1990 709, 711; O L G Brandenburg FamRZ 1995 1220, 1221; O L G Düsseldorf FamRZ 1980 143, 144; O L G Frankfurt F u R 12 (2001) 371, 376f; O L G Hamburg DAVorm. 62 (1989) 87; OLG Hamm FuR 12 (2001) 547, 549; OLG Koblenz FamRZ 1991 573, 574; O L G München FamR Z 1995 809; Kalthoener! Büttner/Niepmann Rdn. 794f; KöhlerlLuthin Rdn. 131; StaudingerlEnglerl Kaiser § 1603 Rdn. 85; G. Walter N J W 1984 258; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 16, 71. BGH N J W 1980 2251, 2252; OLG Düsseldorf FamRZ 1982 1108, 1109f; 1984 1092, 1093; OLG Frankfurt FamRZ 1980 183, 184; NJWEFER 2001 280; O L G Köln FamRZ 1983 706, 708; 1983 750, 753; OLG Stuttgart NJW 1982 727; KG DAVorm. 51 (1978) 751; OLG Schleswig FamRZ 1983 828, 829; Göppingerl Strohal Rdn. 568; Kalthoener!Büttner!Niepmann Rdn. 857ff (mit Einzelheiten); MünchKommBGB/Luthin § 1603 Rdn. 16; Staudingerl Englerl Kaiser § 1603 Rdn. 26 ff. Ausführlich dargestellt bei Kalthoener!Büttner! Niepmann Rdn. 800 ff; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 339 f; vgl. auch Göppingerl Strohal Rdn. 590, 593, 596; Köhlerl Luthin Rdn. 140f. Nicht unberechtigte Vorbehalte bestehen bei solchen Leistungen, die zumindest auch Entschädigungs- oder einen besonderen Zweckcharakter haben, etwa der Grundrente und der Schwerbeschädigtenzulage (vgl. Derleder!Derleder DAVorm. 57 (1984) 113ÍT; Köhlerl Luthin Rdn. 142; G. Walter NJW 1984 258 f). Bei Unfall- und Verletztenrenten ist unfallbedingter Sonderbedarf abzusetzen (BGH N J W 1982 1593; O L G Celle FamRZ 1994 1324, 1325 f; O L G Frankfurt FamRZ 1979 139; O L G Schleswig SchlHA 1978 115). Zur Problematik der Unterhaltsbedürftig-

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gen aus privaten Versicherungen sowie jede Art von Versorgungsausgleich. Einkünfte sind ganz oder teilweise auch Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, 195 Wohngeld ungeachtet seiner Zweckbestimmung als Sozialleistung, soweit ihm nicht unvermeidbar hohe Kosten entgegenstehen, 196 Pflegegeld, für den Pflegebedürftigen als Anspruchsinhaber bei Widerlegung der Vermutung, daß die Kosten der Aufwendungen nicht geringer sind als die Kosten der Sozialleistungen (vgl. § 1610a BGB), für den Pflegenden nur ausnahmsweise, 197 Krankengeld, 198 Blindengeld (Alber-Noack UJ 50 [1998] 521; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 340), Schmerzensgeld, jedenfalls bei gesteigerter Unterhaltspflicht, wegen seiner Zweckbestimmung (Ausgleich eines immateriellen Schadens) jedoch nur bis zu der dem Empfanger in billiger Weise zuzumutenden Opfergrenze, 199 und Taschengeld, das seiner Zweckbestimmung nach zwar in erster Linie der Befriedigung höchst persönlicher Ansprüche dient, zumindest aber bei erhöhter Unterhaltspflicht unter Wahrung des angemessenen oder notwendigen Selbstbehalts des Pflichtigen zugunsten des Berechtigten einzusetzen ist.200 Das staatliche Kindergeld 201 will als Ausgleich für die Lasten der Familie durch die Kindererziehung die finanzielle Kindesunterhaltsgewährung erleichtern, 202 dient also nicht primär der Sicherung des angemessenen eigenen Unterhalts der Eltern (BSGE 49 243, 245; BSG FamRZ 1987 274; KalthoenerlBüttner/Niepmann Rdn. 821). Die Aufteilung des Kindergeldes auf die Eltern ist durch das Kindesunterhaltsgesetz (Rdn. 17 Fn. 63)

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keit, solange über einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente nicht entschieden ist, BGH NJW 1983 1481). Arbeitslosenhilfe ist zwar, wie Wohngeld (Fn. 196) und Pflegegeld (Fn. 197), eine bedarfsabhängige Sozialleistung, die aber, da der sozialrechtliche Bedarf nicht identisch mit dem unterhaltsrechtlichen Bedarf zu sein braucht (dazu schon Rdn. 39), den notwendigen Selbstbehalt übersteigen kann (BGH FamRZ 1987 456, 458; 1987 1551; BSG FamRZ 1985 379, 380; Göppinger/Strohal Rdn. 606; Kalthoenerl Büttner/Niepmann Rdn. 797, 798; StaundingerlEnglerlKaiser § 1603 Rdn. 66; WendU Haußleiter § 1 Rdn. 82 f; vgl. auch O L G Schleswig SchlHA 1978 209; DerlederlDerleder DAVorm. 57 [1984] 116f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 21a; TröndlelFischer Rdn. 8). BGH NJW 1980 2081, 2082; 1983 684, 686; 1984 346; FamRZ 1982 587, 588 f; OLG Frankfurt DAVorm. 51 (1978) 77; OLG Karlsruhe FamRZ 1981 783, 784; 1982 486, 487f; OLG Köln FamRZ 1983 706; 1983 750; Alber-Noack UJ 50 (1998) 470; GöppingerlStrohal Rdn. 594, 595; KalthoenerlBüttner/Niepmann Rdn. 562, 846; KöhlerlLuthin Rdn. 139; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21a; StaudingerlEnglerlKaiser § 1603 Rdn. 71; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 352; and. OLG Bremen FamRZ 1979 515; OLG Düsseldorf FamRZ 1978 342, 343; 1981 772, 773; 1981 879, 880; OLG Hamm FamRZ 1981 783; OLG Schleswig 1978 209; krit. auch DerlederlDerleder DAVorm. 57 (1984) 112, 115; G. Walter N J W 1984 258 f. Dazu im Einzelnen GöppingerlStrohal Rdn. 601 f; Kalthoenerl Büttner/Niepmann Rdn. 553 f,

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856; StaudingerlEnglerl Kaiser § 1603 Rdn. 74fT; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 85, 363; vgl. ferner BGH FamRZ 1996 933 (L); OLG Hamburg NJW-RR 1992 1351, 1352; O L G Hamm FamRZ 1994 1193, 1194; O L G Stuttgart FamRZ 1994 1407, 1408; Derlederl Derleder DAVorm. 57 (1984) 108, 118; MünchKommBGB/Luf/iin Rdn. 51 f. Zu Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit H. Büttner FamRZ 1995 195fT; WendllHaußleiter § 4 Rdn. 525a. Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 21a; Staudingerl Engler/Kaiser § 1603 Rdn. 64; Tröndlel Fischer Rdn. 8; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 339. BGH N J W 1989 524, 526f mit Anm. Voelskow FamRZ 1989 481; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 499, 515, 690, 790; vgl. auch BGH NJWRR 1988 1096; NJW 1989 524; BVerwG FamRZ 1995 1348; MünchKommBGB/Lu/Λιπ § 1603 Rdn. 61; RGRKJ Mutschier § 1602 Rdn. 8; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 21a; Staudingerl Englerl Kaiser § 1603 Rdn. 92 f. BVerfGE 68 256, 260, 271; BGH N J W 1986 1869; 1998 1553; FamRZ 1986 668, 669; OLG Bremen NJW 1958 639; O L G Hamm NJWRR 1990 1224; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 371, 723, 789; LacknerlKühl Rdn. 8; MünchKommBGB/LufAm § 1603 Rdn. 45; vgl. auch SoergellHaberle § 1603 Rdn. 6 mit Fn. 7. Nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) i. d. Neufassung der Bekanntmachung vom 4.1. 2000 (BGBl. I 5). BVerfGE 22 163, 169, 172f; 23 258, 263f; B G H Z 70 151, 153; BGH NJW 1988 2799, 2800 f; BGH NJW-RR 1990 578, 579; BSG FamRZ 1987 274, 276.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

entsprechend der früheren, auf der Gleichwertigkeit von Betreuungsunterhalt und Barunterhalt (vgl. Rdn. 30) beruhenden Praxis der regelmäßig paritätischen Anrechnung 203 geregelt worden (§§ 1612b, 1612c BGB). 204 Die Eltern sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Kindergeld nur zum Wohl des Kindes zu verwenden (BGH FamRZ 1985 1243, 1244; BFH BB 1982 1597, 1598; Staudingerl Engler § 1602 Rdn. 60 fi). Der Vater eines minderjährigen Kindes ist daher nicht in Höhe des ihm für das Kind gewährten Kindergeldes leistungsfähig, solange er das Kindergeld, wenn er nicht sonst pflichtwidrig handelt, für die Deckung seines notwendigen eigenen Bedarfs verbraucht. 205 Der beim unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten für ein weiteres nicht gemeinsames Kind anfallende Zählkindvorteil beim Kindergeld ist auch dann nicht als unterhaltsrelevantes Einkommen in die Bedarfsrechnung für den anderen Ehegatten einzubeziehen, wenn das Kind noch vor Rechtskraft der Scheidung geboren wurde. 206 Auch das 1986 als Ergänzung des Kindergeldes eingeführte Erziehungsgeld 207 ist zweckgebunden. Es soll einem Elternteil, um ihm die persönliche Betreuung des Kindes in dessen erster Lebensphase zu ermöglichen und den Verzicht auf die eigene Erwerbstätigkeit während dieser Zeit zu erleichtern, ungeschmälert zukommen (BTDrucks. 10/3792 S. 18). Das sichert die Vorschrift, daß die Gewährung des Erziehungsgeldes Unterhaltsverpflichtungen grundsätzlich nicht berührt (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BErzGG). Daher mindert das Erziehungsgeld weder die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten, noch erhöht es die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. 208 Nur ausnahmsweise sind Erziehungsgeldzahlungen als Einkünfte zu berücksichtigen, so beim Unterhalt minderjähriger Kinder (§§ 1603 Abs. 2 BGB, 9 Abs. 1 Satz 2 BErzGG). Sonst hat ein geschiedener und wiederverheirateter El tern teil das Erziehungsgeld zur Befriedigung des Barunterhalts minderjähriger und privilegierter volljähriger Kinder einzusetzen (OLG Frankfurt FamRZ 1991 594; OLG Jena FamRZ 1999 1526), für ein nicht in der Ehe geborenes Kind selbst dann, wenn er es

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Zu deren Unterlaufung in der unterhaltsrechtlichen Praxis DerlederlDerleder DAVorm. 57 (1984) 118. Zur Problematik nach dem neuen Recht Wolfr. Becker F a m R Z 1999 66 ff; Schumacher FamRZ 1999 699; Schumacher!Grün FamRZ 1998 783 ff. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß trotz des Wegfalls des § 1610 Abs. 3 BGB ein Mindestbedarf für das Kind gesetzlich festgelegt ist (BGH M D R 2002 644 mit Anm. Wohlgemut F u R 13 [2002] 306). Streit besteht insbesondere noch, ob die der Sicherung des Existenzminimums des unverheirateten minderjährigen Kindes dienende neue Vorschrift des § 1612 b Abs. 5 BGB, wonach die Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, soweit der Unterhaltsschuldner außerstande ist, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages zu leisten, analog auf das privilegierte unverheiratete volljährige Kind (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) Anwendung findet (bejahend zuletzt O L G Bremen M D R 2002 950 mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes; ferner Palandtl Diederichsen § 1612b Rdn. 12). Zum Ganzen auch Peschel-Gutzeit F P R 8 (2002) 169 sowie Graba N J W 2001 252 f mit Kritik an der Auffassung, daß Kindergeld kein die Leistungsfähigkeit erhöhendes Einkommen ist. Die

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Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB ist mit Art. 3 Abs. 1, 6 G G vereinbar (OLG Celle JAmt 72 [2001] 368; OLG Düsseldorf FamRZ 2001 1096, 1097f; O L G Hamm JAmt 72 [2001] 368; O L G München M D R 2001 1354, 1355; and. AG Kamenz FamRZ 2001 1090, 1091 f); ausführlich dazu Gutjahr F P R 8 [2000] 45 fl). BGH F a m R Z 1989 170, 171; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 21a; and. OLG Celle N J W 1984 317; LacknerlKühl Rdn. 6; TröndletFischer Rdn. 8. BGH M D R 2000 1378, 1379 mit Anm. Niepmann·, vgl. auch schon BGH FamRZ 1997 806, 809 f; zum Ganzen ferner Kalthoener/Biittnerl Niepmann Rdn. 823; R. Wagner FamRZ 1997 1516; WendllScholz § 2 Rdn. 507. Nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzG G ) vom 25.1.1992 (BGBl. I 69) i.d.F. des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgesetzes vom 12.12.2000 (BGBl. 1426). Zu den Neuregelungen Huber N Z A 17 (2000) 1319ÍT; Reisererl Lemke M D R 2001 241 ff. Göppinger/Strohal Rdn. 597; KalthoenerlBültnerlNiepmann Rdn. 559, 690, 855; Köhlerl Luthin Rdn. 85; PalandtlDiederichsen Einf ν § 1601 Rdn. 51; StaudingerIEngler/Kaiser § 1603 Rdn. 77; WendllHaußleiter% 1 Rdn. 85.

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für die Kinder aus der jetzigen Ehe bezieht (OLG Koblenz ZfJ 87 [2000] 395). Unterhaltsrechtlich außer Betracht bleibt das geringe Hausgeld, das ein Strafgefangener erhält, nicht aber das Überbrückungsgeld, das bei der Entlassung gezahlt wird.209 Einnahmen aus unsittlicher Tätigkeit sind nur zu berücksichtigen, soweit sie bereits erzielt wurden, da niemand zur Fortsetzung solchen Tuns gezwungen sein darf. 210 Ebenso liegt es bei Verdienst durch Schwarzarbeit, dem wohl bedeutsamsten Fall verbotswidrig erzielten Einkommens. 211 Durch strafbaren Erwerb erlangte Einnahmen sind schon wegen der §§ 73 ff, 261 keine tatsächlich vorhandenen Mittel (Sch/SchröderILenckner Rdn. 21a; TröndlelFischer Rdn. 8). Von dem festgestellten Nettoeinkommen sind in dem erweiterten Umfang (Rdn. 38) sein eigener Unterhalt, 212 der sich beispielsweise um den Betrag vermindert, in dessen Höhe der Unterhaltspflichtige aufgrund des Zusammenlebens mit einem neuen Partner günstiger als ein Alleinlebender steht (OLG Karlsruhe FuR 12 [2001] 76, 79; OLG München FuR 12 [2001] 552, 553), sowie die aus verständigem Anlaß begründeten (BayObLG NJW 1961 38, 39) sonstigen Verbindlichkeiten abzuziehen. Auch ist der Nachholbedarf an Kleidung, Hausrat und anderen Gebrauchsgegenständen zu berücksichtigen, den etwa längere Krankheit oder Arbeitslosigkeit verursacht haben, und der aus späteren Einnahmen vordringlich gedeckt werden muß, 213 wobei dieser Nachholbedarf höher ausfallt, wenn eine kurze Erwerbstätigkeit von langer Zeit der Arbeitslosigkeit „eingerahmt" wird (OLG Köln NJW 1962 1630; OLG Oldenburg FamRZ 2000 1254). Reichen die Einkünfte nicht aus, um der Unterhaltspflicht zu genügen, muß der Unterhaltspflichtige auch den Stamm seines Vermögens angreifen; doch kann eine unwirtschaftliche Verwertung regelmäßig nicht verlangt werden. 214 dd) Neben den tatsächlich vorhandenen Mitteln sind bei der Feststellung der Lei- 4 1 stungsfahigkeit die erreichbaren Mittel zu berücksichtigen, sofern deren Beschaffung dem Unterhaltspflichtigen nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung möglich und zuzumuten ist. Die Leistungsfähigkeit bestimmt sich hier nicht nach den wirklichen Einnahmen, sondern nach dem erreichbaren Ergebnis. Schwierigkeiten bereitet vor allem die Einschätzung der Zumutbarkeit, die bei den einzelnen

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211

212

BGH NJW 1982 1812, 1813; 1982 2491; O L G München DAVorm. 57 (1984) 77, 78; GöppingerlSlrohal Rdn. 574, 576; KalthoenerlBüttnerl Niepmann Rdn. 671, 759; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 21a; StaudingerlEnglerlKaiser § 1603 Rdn. 192; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Wendll Haußleiler § 1 Rdn. 86. So für Prostituierte OLG Düsseldorf N J W 1962 688; O L G Köln FamRZ 1964 477 (unter Darlegung der Schwierigkeiten bei den betreffenden tatsächlichen Feststellungen); GöppingerlSlrohal Rdn. 498; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 21a; Staudingerl Englerl Kaiser § 1603 Rdn. 13; Tröndle/Fischer Rdn. 8. Alber-Noack UJ 50 (1998) 425; KöhlerlLuthin Rdn. 130; MünchKommBGB/Lu/Aw § 1603 Rdn. 13; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 47. Eine Übersicht zur derzeitigen Praxis der Oberlandesgerichte zum Selbstbehalt mit den jeweiligen Einsatzbeträgen zum 1.7.1999 findet sich bei KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 44 bis 60; vgl. auch GöppingerlKodalRdn. 1613f, 1617ÍT.

(329)

213

214

BayObLGSt. 1958 55, 56; BayObLG StV 1983 418; O L G Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; OLG Bremen JR 1961 226; OLG Koblenz GA 1975 28, 29; OLG Köln NJW 1953 1117, 1118; 1962 1527, 1528; 1962 1630, 1631; GöppingerlKodal Rdn. 260; Mattmer NJW 1967 1594; Mittelbach M D R 1957 66; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 21a. BGH NJW 1980 340; 1982 232; 1985 732, 733; 1989 524, 525; NJW-RR 1986 66, 67; 1986 685, 686; FamRZ 1989 170, 171; OLG Celle DAVorm. 57 (1984) 482, 484; Alber-Noack UJ 50 (1998) 425; GöppingerlSlrohal Rdn. 411 f; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 769, 771 (zu Art und Umfang der Verwertung); W. Müller FPR 1 (1995) 190, 192; MünchKommBGB/ Luthin § 1603 Rdn. 60; RGRKJ Mutschier § 1603 Rdn. 10; Schibel NJW 1998 3452; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 21 a; SoergeUHäberle § 1603 Rdn. 8; Staudingerl Englerl Kaiser § 1603 Rdn. 178 ff, 237 fr; Wendll Haußleiter § 1 Rdn. 310ff; vgl. dazu auch Rdn. 35.

Karlhans Dippel

§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Unterhaltsverhältnissen unterschiedlich zu bewerten ist.215 Im Vordergrund der Betrachtung steht dabei der Vorwurf, der Unterhaltspflichtige habe trotz tatsächlich bestehender Verdienstmöglichkeiten kein oder ein zu geringes Arbeitseinkommen erzielt. Grundsätzlich ist ihm zuzumuten, seine Arbeitskraft entsprechend seinen Fähigkeiten, die namentlich von Vorbildung, Alter und Gesundheitszustand bestimmt werden, und den ihnen entsprechenden Möglichkeiten, wie sie sich insbesondere aus der Lage auf dem Arbeitsmarkt, mitunter aber auch aus der Entwicklungsfähigkeit der neuen Beschäftigung und ihrer Krisenfestigkeit ergeben, voll, also bei verstärkter Unterhaltspflicht (Rdn. 38) auch erhöht und mit verstärkter Pflicht zu Bemühungen um eine Arbeitsstelle, auszunützen.216 Dazu genügt allein noch nicht, wenn der Unterhaltspflichtige sich beim Arbeitsamt meldet.217 Er muß bestimmte Einschränkungen und Veränderungen seiner Lebensführung auf sich nehmen, wenn er dadurch in die Lage kommt, überhaupt oder wesentlich höhere Einkünfte zu erzielen, hat andererseits aber auf diejenigen Änderungen seiner Lebensgestaltung zu verzichten, die zu einer nicht unbeträchtlichen Verminderung seiner Mittel führen würden. Dementsprechend kann er verpflichtet sein, den Arbeitsplatz, auch gegebenenfalls den Wohnsitz, oder den Beruf zu wechseln.218 Die Arbeit aufzugeben, ist selbst im Hinblick auf 215

216

Sehl Schröder! Lenckner

Rdn.

21a;

vgl.

auch

BGH NJW 1982 175; BayObLG StV 1983 418, 419; OLG Köln NStZ 1992 337. Vgl. etwa BVerfGE 68 256, 266ff mit Anm. Diederichsen JZ 1985 790; BGHSt. 14 165, 167 mit Anm. Frankel LM StGB § 170 b Nr. 6; BGH NJW 1980 2414, 2415; 1981 2805, 2806; 1982 1050, 1051; 1985 732, 733; 1986 718, 719; 1990 1477, 1478; BayObLGSt. 1953 171; BayObLG NJW 1988 2750, 2751; 1990 3284; StV 1983 418;

mann R d n . 614; Köhler! Luthin R d n . 100; Lackner/Kühl R d n . 8; Maurach!Schroeder!Maiwald 2 § 63 R d n . 34; Pfeiffer!Maul!Schuhe A n m . 2; Preisendanz A n m . 3 b; RGRKJ Mutschier § 1603 R d n . 3; Sauer B T § 4 2 III 4 b ; Sch/Schröder! Lenckner R d n . 2 1 a ; SoergellHäberle § 1603 R d n . 9; TröndlelFischer R d n . 8; Welzel S t r a f -

217

O L G B r a n d e n b u r g M D R 2 0 0 0 1438; O L G Bremen NJW 1955 1606; 1958 639; JR 1961 226,

227; OLG Celle JR 1957 428; NJW 1971 718 mit Bespr. Hassemer JuS 1971 381; OLG Dresden HRR 1930 265; FamRZ 1997 837; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1964 166; NJW 1994 672; OLG Frankfurt FamRZ 1979 621; OLG Hamm JMB1NRW 1961 9; NJW 1965 877; FRES 2 305; FamRZ 1987 947, 949; 1996 957, 958; NStZ-RR 1998 207, 208; JAmt. 76 (2003) 264, 265; KG JW 1937 1338; DAVorm. 52 (1979) 49; 56 (1983) 389; FamRZ 1984 592; OLG Koblenz GA 1975 28; OLG Köln NJW 1953 517; 1953 1117; 1962 1527; 1962 1630; NJWE-FER 1997 174, 175; 1999 84, 85; JR 1968 308; MDR 1972 869; FamRZ 1976 119; 1983 87, 89; 1997 1104, 1105; OLG Königsberg JW 1928 3064; OLG München FamRZ 1981 154; OLG Naumburg FamRZ 1997 311; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1980 285; OLG Schleswig SchlHA 1980 172; OLG Stuttgart NJW 1962 1631, 1632 m i t A n m . Mittelbach

J R 1963 30;

FamRZ 1972 643; NJW 1980 2715; NStZ 1995 408; DAVorm. 70 (1997) 425; OLG Zweibrücken Rpfleger 1980 280; OVG Münster F a m R Z 1975 60; Walt. Becker N J W 1955 1906; Blei B T § 37 III 2; H. Büttner N J W 1999 2322; DalckelFuhrmann/Schäfer A n m . 3; Göppingerl Strohal R d n . 399, 420; Kalthoener!Büttner!Niep-

recht § 63 lila β; einschränkend Günther SK Rdn. 27. OLG Köln JMB1NRW 1997 93, 94; NJWEFER 1999 84, 85; OLG Naumburg FamRZ 1997 311 (L); OLG Saarbrücken DAVorm. 61 (1989) 873; OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; Alber-Noack U J 50 (1998) 423; Göppingerl Strohal R d n . 442; Sehl Schröder! Lenckner R d n . 2 1 a ; Soergell Häberle R d n . 9; Tröndlel Fischer R d n . 8; WendllHaußleiter § 1 R d n . 427.

218

BGH NJW 1980 2414, 2415; 1981 1609; 1982 1812; FamRZ 1981 539, 540; 1982 366; OLG Bamberg FamRZ 1989 392, 393; OLG Brandenburg MDR 2000 1438; OLG Bremen NJW 1955 1004; 1955 1606, 1607; JR 1961 228; OLG Celle JR 1957 428; NJW 1971 718 mit Bespr. Hassemer JuS 1971 381; FamRZ 1983 717, 718 ; OLG Dresden FamRZ 1997 836, 837; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1964 166; OLG Hamburg NJW-RR 1991 773, 774; FamRZ 1984 924; OLG Hamm JMB1NRW 1961 9; NJWE-FER 1997 200; NJW-RR 1998 219; NStZ-RR 1998 207, 208; KG JW 1937 1338; DAVorm. 56 (1983) 390; FamRZ 1984 592; OLG Köln NJW 1962 1527; NJW-RR 1998 219; NJWE-FER 1999 84, 85; MDR 1972 869; FamRZ 1983 87, 89; 1997 1104, 1105; NStZ 1992 337; OLG Naumburg FuR 12 (2001) 39, 40 (nicht zumutbar jedoch der Umzug eines Betonfacharbeiters von einem neuen in ein altes Bundesland; dazu auch schon OLG Naumburg FamRZ 1997 311, 312); OLG München FamRZ 1981 154, 155;

Stand: 1. 7. 2003

(330)

Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

ein höheres Arbeitslosengeld unzumutbar (OLG Hamm NJW 1965 877; Lackneri Kühl Rdn. 8). Bei verschärfter Unterhaltspflicht müssen auch Arbeiten unterhalb des Ausbildungsniveaus sowie Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten übernommen werden. 2 ' 9 Dem selbständig Erwerbstätigen, dessen Existenz sich als wirtschaftlich unzulänglich erweist, ist unter Umständen zuzumuten, eine Arbeit in abhängiger Stellung anzunehmen, 220 einem kaufmännisch Tätigen bei unzureichendem Verdienst der Wechsel zu körperlicher Arbeit (LG Stuttgart NStE § 170 b Nr. 7), einem arbeitslosen, in seinem Beruf nicht mehr vermittelbaren Arzt die Annahme einer Hilfsarbeitertätigkeit am Bau, im Gartenbau oder in der Gastronomie (LG Stuttgart NStZ 1995 408, 409; krit. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 21a). Wird die bisherige Beschäftigung aufgegeben und Selbständigkeit begründet, ist Vorsorge für eine Übergangszeit zu treffen. 221 Ein Freischaffender kann gehalten sein, jeweils vor Beginn seiner Tätigkeit von dem betreffenden Auftraggeber einen Vorschuß einzufordern (BayObLG FamRZ 1958 284, 285). Einen Arbeitsplatz- oder Berufswechsel, der das Einkommen mindern würde, hat der Unterhaltspflichtige grundsätzlich zu vermeiden. 222 Hingegen kann ihm zuzumuten sein, neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit einer Nebenbeschäftigung nachzugehen 223 oder einer keine besonderen körperlichen Belastungen

OLG Schleswig SchlHA 1980 172; OLG Stuttgart NStE Nr. 7; NJW 1962 1631, 1632 mit Anm. Mittelbach JR 1963 30; FamRZ 1972 643; NStZ 1995 408; OLG Zweibrücken Rpfleger 1980 280; NJW 1987 1899; 1992 1902, 1904; FamRZ 2000 308, 309; allgemeine Auffassung auch im Schrifttum ζ. B. Günther SK Rdn. 27; LacknerlKiihl Rdn. 8; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 34; KöhlerlLuthin Rdn. 100; MünchKommBGB//.u/Ain § 1603 Rdn. 37; Otto BT § 65 Rdn. 21; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 21a; SoergellHaberle § 1603 Rdn. 12; StaudingerlEnglerlKaiser § 1603 Rdn. 152, 229; Tröndlel Fischer Rdn. 8.

222

2

" BGH FuR 12 (2001) 220, 223; OLG Karlsruhe FuR 12 (2001) 76; OLG Köln JMB1NRW 1997 93, 94; FuR 9 (1998) 357; MünchKommBGB/ Luthin § 1603 Rdn. 37. 220 OLG Celle NJW 1971 718 mit Bespr. Hassemer JuS 1971 381; OLG Dresden FamRZ 1999 396; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1964 166; FamRZ 1997 1078; OLG Hamm NJW-RR 1990 964, 965; FRES 2 305; JMB1NRW 1961 9; OLG Koblenz FamRZ 1984 1225; 1985 812; OLG Köln NJW 1962 1527; FamRZ 1983 87, 89 f; JMB1NRW 1997 93, 94; OLG Schleswig FamRZ 1985 809, 810 mit Anm. Zieroth; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 629; MünchKommBGB/Luthin § 1603 Rdn. 23; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 21a; Soergell Haberle § 1603 Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 8; ferner (jeweils unter Verneinung der Zumutbarkeit) OLG Düsseldorf JMB1NRW 1964 166; OLG Hamm JMB1NRW 1961 9; OLG Köln NJW 1962 1527. 221 BGH NJW 1982 1050, 1051; NJW-RR 1987 770; 1988 514; OLG Hamm JAmt 76 (2003) 263, 264; LG Stuttgart NStZ 1996 234; Alber-Noack UJ 50 (1998) 424; Graba FamRZ 2001 1257; (331)

225

MünchKommBGB/Z.»fAi« § 1603 Rdn. 22; Tröndlel Fischer Rdn. 8; vgl. auch Göppingerl Strohal Rdn. 411,435. BVerfGE 68 256, 266 f mit Anm. Diederichsen JZ 1985 790; BGH NJW 1981 1609, 1610; 1982 1050, 1052; 1983 814, 815; 1985 732, 733f; FamRZ 1983 140, 141; BayObLGSt. 1953 171, 172; BayObLG NStE § 170b Nr. 4; NJW 1961 1685, 1686; 1988 2751, 2752; OLG Celle FamRZ 1971 106; OLG Hamm NJW 1955 153; JMB1NRW 1991 9; OLG Karlsruhe NJW 1954 84 (L); KG DAVorm. 52 (1979) 50; FamRZ 1984 592; OLG Köln NJW 1976 1191; NStZ 1992 337, 338; OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; OVG Münster FamRZ 1975 60; LG Braunschweig DAVorm. 51 (1978) 209, 210; LG Lüneburg DAVorm. 51 (1978) 207; LG Stuttgart NStZ 1996 234; Göppingerl Strohal Rdn. 433 f; Lackner/Kühl Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 8; Günther SK Rdn. 28. Zur Bedeutung dieser Grundsätze für die Beurteilung eines vergleichbaren Verhaltens des Unterhaltsberechtigten, das seine Bedürftigkeit herbeiführt, BGH NJW 1981 2805, 2807; Günther SK Rdn. 25. OLG Hamm NJWE-FER 1990 180, 181; FuR 12 (2001) 559; OLG Hamburg NJW-RR 1991 773; FamRZ 1990 784, 785 f; OLG Karlsruhe FamRZ 1993 1118, 1119; OLG Koblenz FamRZ 1991 1475; 1993 1212; ZfJ 87 (2000) 395, 397; OLG Köln NJW 1998 3127, 3128; OLG Schleswig FamRZ 1999 1524, 1525 mit Anm. Hauß: OLG Stuttgart NJW-RR 1995 776, 777; OLG Zweibrücken FamRZ 2000 308, 309 mit Anm. Luthin; LG Mönchengladbach ZfJ 86 (1999) 503; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 628, 659; einschränkend OLG Nürnberg FuR 13 (2002) 282, 283.

Karlhans Dippel

§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

abverlangenden Beschäftigung trotz Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente (OLG Schleswig ZfJ 85 [1998] 522, 523). Eine Berufsausbildung des Unterhaltspflichtigen kann durchaus im Interesse des Unterhaltsberechtigten, namentlich eines Kindes, liegen (vgl. OLG Stuttgart DAVorm. 68 [1995] 382, 386f); doch müssen Art und Dauer auf die Unterhaltspflicht abgestimmt und jedenfalls ein langjähriger Ausbildungsgang vermieden werden, sofern nicht gleichwohl der erforderliche Unterhalt aufgebracht werden kann. 224 Auf eine weitere Berufsausbildung, die ihm die Unterhaltsleistung unmöglich macht, hat der Unterhaltspflichtige zu verzichten. 225 Nicht zuzumuten ist ihm, durch Promotion während der Berufstätigkeit die Voraussetzungen für eine Anstellung im Hochschuldienst zu schaffen. 226 Wie unverschuldete Arbeitslosigkeit schließt auch Krankheit des Unterhaltspflichtigen die Leistungsfähigkeit aus (Mäurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 34). Doch ist er verpflichtet, sich zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit ärztlich behandeln zu lassen, beispielsweise bei einer Suchterkrankung durch Aufnahme einer Therapie. 227 Auch kann ihm zuzumuten sein, sich einer Operation zu unterziehen, dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß sie keinen schweren Eingriff darstellt, nicht mit nennenswerten Schmerzen verbunden ist und wesentliche Besserung verspricht. 228 Ob und inwieweit ein den Haushalt führender, dabei auch die gemeinschaftlichen Kinder betreuender Ehegatte eine bezahlte Arbeit annehmen muß, richtet sich nach den objektiven Umständen des Einzelfalles, namentlich dem Aufwand, der für den anderen Ehegatten erforderlich ist, dem Umfang der nach Alter und Entwicklungsstand der Kinder gebotenen persönlichen Betreuung und der Verfügbarkeit anderer Versorgungs- und Betreuungsmöglichkeiten.229 Für die Mitarbeit im Betrieb der Eltern oder des Ehegatten muß der Unterhaltspflichtige eine angemessene Vergütung fordern. 230 Angestellte Mitarbeit im 224

225

226

Beispielsweise durch Aufnahme eines Studiendarlehens (BGH NJW 1983 814, 815; LG Hamburg DAVorm. 49 [1976] 295, 296; and. LG Düsseldorf FamRZ 1966 246 mit abl. Anm. F. W. Bosch); vgl. auch OLG Frankfurt FamRZ 1979 621; 1982 732, 733; KG FamRZ 1978 692, 693; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 575, 653. BGH NJW 1980 2414, 2415; 1981 1609, 1610; 1983 814, 815; OLG Bamberg FamRZ 1989 93, 94 f; OLG Düsseldorf FamRZ 1978 256; NJW 1994 672; OLG Frankfurt NJW-RR 1989 75, 76; OLG Hamburg FamRZ 1991 106, 107; OLG Hamm FamRZ 1998 30, 31 mit Anm. Born; OLG Karlsruhe FamRZ 1998 560, 561; KG DAVorm. 52 (1979) 50; OLG Stuttgart NJW 1962 1631, 1632 mit Anm. Mittelbach JR 1963 29, 30; OLG Saarbrücken NJW-RR 1990 1027, 1028; OLG Schleswig SchlHA 1977 201; OVG Münster FamRZ 1975 60; LG Braunschweig DAVorm. 51 (1978) 209; LG Lüneburg DAVorm. 51 (1978) 207; LG Mönchengladbach FamRZ 1969 38; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 653; LacknerlKühl Rdn. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21; TröndlelFischer Rdn. 8; einschränkend Günther SK Rdn. 27; Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 34.

227

OLG Karlsruhe FamRZ 1984 1018, 1019; anders jedoch, wenn die Promotion unabdingbare Voraussetzung der erstrebten Berufsausbildung ist (BSG FamRZ 1985 1251, 1252; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 652).

230

228

229

OLG Düsseldorf FamRZ 1985 310, 311; Göppinger/Strohal Rdn. 447; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21a; Staudinger/Engter/Kaiser § 1603 Rdn. 208; WendllHaußleiter§ 1 Rdn. 433. Bejahend OLG Königsberg für die Entfernung von Krampfadern (JW 1928 3064), verneinend für eine Magenoperation (LG Köln DAVorm. 46 [1973] 301, 304); vgl. dazu auch DalckelFuhrmann/Schäfer Anm. 3; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 616; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 34; Schläger LZ 1931 680, 681; Soergel/Häberle§ 1603 Rdn. 12. BGH NJW 1983 2082, 2083; 1985 429, 430; FamRZ 1988 256, 257; FuR 12 (2001) 225, 227; OLG Bremen NJW 1958 639; KG FamRZ 1984 898, 899; OLG Koblenz FamRZ 1986 999, 1000; OLG Naumburg FamRZ 1998 243 (L); OLG Oldenburg FamRZ 1986 1218, 1219; OLG Stuttgart NJW 1980 2715; FamRZ 1978 693, 694; 1983 1233, 1234; AG Nettetal DAVorm. 55 (1982) 816, 817; GöppingerlBäumler Rdn. 894 f; KalthoenerlBüttnerlNiepmann Rdn. 388, 402 f, 656f; MünchKommBGB/LHfft/H § 1603 Rdn. 43; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 21a; SoergellHäberle § 1603 Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 8; G. Walter NJW 1984 259 f. BGH NJW 1980 1686; OLG Köln NJW 1962 1527, 1529; LacknerlKühl Rdn. 8; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 21a; vgl. auch OLG Saarbrücken FamRZ 1989 180, 181 (zur Dienstleistungspflicht des bei den Eltern lebenden

Stand: 1. 7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

Betrieb des Lebensgefährten oder der Lebensgefahrtin ist wirtschaftliche Mitinhaberschaft (OLG Hamm DAVorm. 57 [1984] 606, 607; Kaithoener/Büttner/Niepmann Rdn. 651). Bei Selbständigen kann eine Pflicht zur Erwerbstätigkeit auch über die Altersgrenze hinaus bestehen. 231 All diese Anforderungen stehen mit Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 G G in Einklang, und sie greifen weder in die durch Art. 12 Abs. 1 G G auch gewährleistete negative Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung, noch in das aus Art. 11 Abs. 1 G G ebenfalls folgende Grundrecht der negativen Freizügigkeit einschließlich des Rechts zu selbstverantwortlicher Lebensführung ein, weil die Einschränkungen auf der gesetzlich fundierten Unterhaltspflicht beruhen, die nicht allein nach bürgerlichem Recht besteht, sondern zugleich Bestandteil des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 G G ist.232 Wird allerdings die Grenze des Zumutbaren überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung (BVerfGE 57 361, 381; BVerfG NJW 2002 2701, 2702), so wenn dadurch die persönliche Würde und Ehre des Verpflichteten in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise angegriffen wird (OLG Zweibrücken DAVorm. 58 [1985] 500, 501). Auch ist, wenn einem Unterhaltspflichtigen fiktive Nebenverdienste angerechnet werden sollen, am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob die zeitliche und physische Belastung durch die ausgeübte und die zusätzliche Arbeit ihm unter Berücksichtigung auch der Bestimmungen, die die Rechtsordnung zum Schutz der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden kann (BVerfG FamRZ 2003 661, 662). Neben der vollen Ausnützung der Arbeitskraft kommen unter dem Blickwinkel erreichbarer Mittel die Geltendmachung von Ansprüchen und die Unterlassung vermögensmindernder Maßnahmen in Betracht. Ansprüche, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, hat er zu verfolgen, etwa die gerichtliche Geltendmachung einer Darlehensforderung (BGH NJW 1993 1920; OLG Düsseldorf FamRZ 1988 284, 285; Kaithoener/ Büttner/Niepmann Rdn. 502), des Rückforderungsanspruchs aus einer Schenkung (RG LZ 1915 1096; BGH NJW 1998 978, 979; Palandt/Diederichsen § 1603 Rdn. 3)233 oder des Pflichtteils,234 sofern dessen Einforderung nicht unzumutbar ist (Kaithoener!Büttner!Niepmann Rdn. 682; SoergellHäberle § 1603 Rdn. 7), wie bei einer entsprechenden Verfallklausel im Testament (BGH NJW 1982 2771, 2772; OLG Celle FamRZ 1987 1038, 1039; Palandt/Diederichsen § 1603 Rdn. 3). Der Unterhaltspflich-

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Kindes in deren Nebenerwerbslandwirtschaft); Kaithoener/BüttnerlNiepmann Rdn. 489. OLG Frankfurt FamRZ 1985 481; OLG Hamburg FamRZ 1985 394, 396; Kaithoener!BüttnerlNiepmann Rdn. 655, 731, 749; vgl. auch BSG FamRZ 1987 694. BVerfGE 68 256, 266 ff mit Anm. Diederiehsen JZ 1985 790; femer insb. BGH N J W 1980 2414, 2415; 1981 1609, 1610; 1982 1050, 1052; FamRZ 1985 143, 145; 1996 796, 798; O L G Bremen NJW 1955 1606, 1607; O L G Celle NJW 1971 718 mit Bespr. Hassemer JuS 1971 381; OLG Frankfurt FamRZ 1979 621; OLG Stuttgart FamRZ 1972 643; OLG Schleswig FamRZ 1985 809, 811 mit Anm. Zieroth; OVG Münster FamRZ 1975 60; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 21a; SoergellHaeberle § 1603 Rdn. 10, 21; Tröndlel Fischer Rdn. 8. Den Bedenken von D. Gaul, im Hinblick auf die Substanzgarantie des Art. 19 Abs. 2 G G könne bei Abwägung des Grund-

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rechts der Berufsfreiheit und der Sozialpflichten des Unterhaltspflichtigen dieser nur dann zur Aufnahme einer berufsfremden Tätigkeit verpflichtet sein, wenn er dadurch seine Fähigkeit nicht verliert, den erwählten Beruf später noch auszuüben (MDR 1955 322), trägt bereits das Erfordernis der Zumutbarkeit Rechnung, das etwa verhindert, daß ein Feinmechaniker oder Uhrmacher durch schwere körperliche Belastung das Feingefühl seiner Hände verliert; vgl. auch Walt. Becker N J W 1955 1906. Dienstleistungen, die ein zur Armut verpflichteter Ordensangehöriger für seinen Orden erbringt, sind keine einen Rückgewähranspruch begründenden unentgeltlichen Zuwendungen (LG München KirchE 28 98, 99 f). BGH N J W 1982 2770, 2771; RG Warn. 1919 151; GernhuberICoester- Waltjen § 45 II 2; Staudingerl Engler § 1602 Rdn. 124; WendllHaußleiter § 1 Rdn. 334; and. W. Müller FPR 1 (1995) 190.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

tige hat ferner die Voraussetzungen der Gewährung von Kindergeld für das unterhaltsberechtigte Kind zu schaffen (BayObLGSt. 1961 85; OLG Celle OLGSt. § 170 b Nr. 3 [L]; LacknerlKühl Rdn. 8). Unterläßt er es, den Antrag zu stellen, gilt er insoweit als leistungsfähig (TröndlelFischer Rdn. 8; and. MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 34; vgl. auch schon Rdn. 40 mit Fn. 201 bis 206). Ebenso muß er, soweit ihm das zugemutet werden kann, durch entsprechendes Tun oder Unterlassen dafür sorgen, daß Steuervorteile (dazu Rdn. 40 mit Fn. 193) wahrgenommen und Steuernachteile vermieden werden.235 Der Rückkaufswert einer angemessenen Lebensversicherung braucht nicht eingesetzt zu werden.236 Der Unterhaltspflichtige darf seine Mittel nicht verschwenden, etwa durch Glücksspiel (BGHSt. 14 165, 167 mit Anm. Fränkel LM StGB § 170b Nr. 6; Preisendanz Anm. 4). Er hat Schenkungen, die ihn leistungsunfähig machen, zu unterlassen (BayObLGSt. 1968 60; LacknerlKühl Rdn. 8).237 Zur Übernahme fremder Schulden ist er nicht befugt (BayObLG NJW 1961 38, 39; LacknerlKühl Rdn. 8). Auch bleibt ihm verwehrt, sein Einkommen zum Zwecke der Vermögensbildung festzulegen, um sich gegenüber dem Unterhaltsberechtigten auf Leistungsunfahigkeit berufen zu können (AG Hamburg DAVorm. 49 [1976] 162). 42

ee) Die Umstände, aus denen sich die Leistungsfähigkeit ergibt, sind vom Strafrichter im einzelnen festzustellen.238 Es genügt nicht, den Betrag, den der Täter mindestens hätte leisten können, anzugeben. Auch die Beurteilungsgrundlagen sind darzulegen.239 Die Feststellungen müssen so genau sein, daß die revisionsrechtliche Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist. Dazu muß sich aus dem Urteil ergeben, in welcher Höhe Unterhaltsansprüche gegen den Unterhaltspflichtigen vorlagen, welches Vermögen und welche Einkünfte ihm zur Verfügung standen oder zur Verfügung hätten stehen können, welche Verpflichtungen einem vernünftigen Tilgungsplan entsprechend gesetzlich vorgingen, welcher Betrag ihm nach dem Gesetz belassen werden mußte, in welchem Umfang er den Unterhaltsanspruch erfüllen konnte und was er tatsächlich geleistet hat.240 Hierzu genügen all235

B G H N J W 1983 1545; F a m R Z 1983 670, 673; O L G Bamberg F a m R Z 1987 1031; O L G Düsseldorf N J W - R R 1988 4, 6; O L G Frankfurt F a m R Z 2000 26; O L G Hamburg F a m R Z 1985 1142, 1143; O L G H a m m F a m R Z 1987 489, 490; 1988 1059; O L G Köln F a m R Z 1983 595, 596; KalthoenerlBüttnerlNiepmann R d n . 857, 862, 870, 890; Staudingerl Engler I Kaiser § 1603 Rdn. 27; WendllHaußleiter § 1 R d n . 470; vgl. auch SoergellHaberle § 1603 R d n . 3; einschränkend Köhler/Luthin Rdn. 115.

23,5

Palandt!Diederichsen § 1601 Rdn. 9; and. AG Höxter F a m R Z 1996 752 mit abl. Anm. Zieroth und zust. Anm. Meyer F a m R Z 1997 225. Zu beachten ist dabei, daß der durch die Schenkung entzogene Betrag nicht mehrmals als entzogen angesehen wird (vgl. BayObLGSt. 1968 60, 62). Dagegen ist im Zivilprozeß die beschränkte oder fehlende Leistungsfähigkeit, obwohl an sich zur Klagebegründung gehörend, als rechtshindernde Einwendung geltend zu machen, so d a ß den Unterhaltspflichtigen die volle Darlegungs- und Beweislast trifft; trägt er nichts dazu vor, geht das Urteil von der Leistungsfähigkeit aus ( R G Z 57 72; B G H N J W 1980 2083; O L G Hamburg

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F a m R Z 1982 6 2 7 , 6 2 8 ; K G DAVorm. 45 ( 1 9 8 3 ) 389; O L G München F a m R Z 1981 154, 155; O L G Stuttgart F a m R Z 1983 389; O L G M ü n chen F a m R Z 1981 154, 155; O L G Stuttgart F a m R Z 1983 1267, 1268; vgl. auch Göppingeri Maurer Rdn. 1268 ff; Köhler/Luthin Rdn. 99; MünchKommBGB/Z,H/Ai'n § 1603 Rdn. 2; RGRKIMutschier § 1603 Rdn. 1, 24; Soergell Haberle § 1603 R d n . 24; Wendll Haußleiter § 1 Rdn. 2 8 . 239

Der U m f a n g des von dem Angeschuldigten tatsächlich nicht geleisteten Unterhalts wird auch schon in der Anklageschrift dargestellt (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO). O b ihr Fehlen einen so wesentlichen Mangel der Informationsfunktion des Anklagesatzes (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) begründet, d a ß er zur Unwirksamkeit der Anklageschrift führt (so O L G Schleswig StV 1995 445, 446f; L G Dresden N S t Z - R R 1996 208), ist zweifelhaft (verneinend z. B. BGHSt. 40 44, 45; B G H N S t Z 1984 133; B G H N J W 1994 2 5 5 6 , 2 5 5 7 ; K.MRIPaulus § 2 0 0 R d n . 5 8 ; Löwe/ Rosenberg!Rieß § 200 Rdn. 58). Vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 22.

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Vgl. zum Ganzen BayObLGSt. 1958 55, 56; 1961 2 6 0 , 2 6 3 ; 1988 9 1 , 9 3 ; 1999 5 5 , 5 6 ; Bay-

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gemeine Wendungen nicht; sie lassen kein Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit zu und führen daher regelmäßig zur Aufhebung des betreffenden Urteils. So erweist sich die Feststellung, der Unterhaltspflichtige sei in der Lage gewesen, den geschuldeten Unterhalt wenigstens teilweise zu leisten, als unzureichend, wenn nicht angegeben wird, welchen Betrag der Unterhaltsverpflichtete nach der Uberzeugung des Tatrichters mindestens hätte leisten können. 241 Aus der Darlegung, der Unterhaltspflichtige habe ausreichend verdient, um nicht nur seine Familie ernähren sondern auch Beträge zum Unterhalt seines nichtehelichen Kindes abführen zu können, ist nicht erkennbar, nach welchem Maßstab der Tatrichter die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen beurteilt hat (OLG Bremen JR 1961 226, 227). Ebensowenig reicht die Feststellung aus, der Täter habe ein durchschnittliches Einkommen erzielen können (OLG Köln FamRZ 1976 119; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 22), oder gar die Angabe, er sei irgendwie in der Lage gewesen, seiner Unterhaltspflicht wenigstens zum Teil nachzukommen (BayObLGSt. 1961 263; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 22). Die Wendung, Zahlungen seien vom Vater nicht zu erlangen gewesen, läßt mehrere Möglichkeiten ihrer Deutung zu und reicht deshalb nicht zur Feststellung einer Verletzung der Unterhaltspflicht aus (BayObLGSt. 1964 9, lOf mit Anm. Mittelbach JR 1964 308). Meist genügt es nicht, die Leistungsfähigkeit nur für eine bestimmte Zeit zu bejahen; vielmehr müssen die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen im ganzen gesehen werden, wobei insbesondere zu berücksichtigen sein kann, ob eine längere Krankheit oder Arbeitslosigkeit vorgelegen haben, durch die ein Nachholbedarf (vgl. Rdn. 39) entstanden ist.242 Bei häufig wechselndem Einkommen muß die Leistungsfähigkeit für jeden einzelnen der für die Unterhaltspflichtverletzung in Betracht kommenden Zeitabschnitte gesondert festgestellt werden; eine den gesamten oder auch nur einen größeren Zeitraum erfassende Durchschnittsberechnung kann sich in unzulässiger Weise sowohl zum Nachteil wie zum Vorteil des Unterhaltspflichtigen auswirken und reicht daher regelmäßig nicht aus.243 Auch wenn andere für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen maßgebliche Umstände in einem längeren Zeitraum wechseln, ist eine Unterhaltspflichtverletzung nicht schon damit dargetan, daß die tatsächlich erbrachten und insgesamt unzureichenden Gesamtzahlungen der Gesamtverpflichtung aus dem Unterhaltstitel gegenübergestellt werden (OLG Köln NJW 1962 1527). Wird die Leistungsfähigkeit mit erzielbarem Einkommen begründet, sind zunächst die beruflichen Fähigkeiten und die sich daraus ergebenden Beschäftigungsmöglichkeiten für den betreffenden Zeitraum festzustellen; auf dieser Grundlage ist sodann unter Berücksichtigung der allgemeinen Erfahrungen

241

ObLG Stv 1990 552; OLG Bremen JR 1961 226, 227; OLG Düsseldorf OLGSt. § 170b Nr. 11; NJW 1994 672; StV 1996 45; OLG Hamburg StV 1989 206; OLG Hamm JZ 1952 690 mit Anm. Schänke-, NJW 1975 456, 457; NStZ-RR 1998 207, 208; OLG Koblenz GA 1975 28, 29; OLG Köln NJW 1953 517, 518; 1953 1117, 1118; 1958 720, 721; FamRZ 1964 477; 1976 118, 119; StV 1983 419; OLG Schleswig SchlHA 1954 154, 155; 1985 44; OLG Stuttgart DAVorm. 70 (1997) 425; MaurachlSchroeder! Maiwald 2 § 63 Rdn. 39; Mattmer NJW 1967 1594; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 22. BayObLGSt. 1958 55, 56; 1961 260, 263; 2000 50, 51; OLG Celle NJW 1955 563, 564; OLG

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Hamm NJW 1975 456, 457; OLG Schleswig SchlHA 1954 154, 155; OLG Stuttgart DAVorm. 70(1997) 426. OLG Köln NJW 1953 1117, 1118; 1962 1630, 1631; OLG Schleswig SchlHA 1985 44; Mattmer NJW 1967 1594. BayObLGSt. 1958 284; 1988 91, 94; 2000 50, 51; OLG Celle StV 2001 349; KG juris Rechtsprechung KORE 41863/2000 S. 1; OLG Köln NJW 1962 1527; JMB1NRW 1969 55; Lackneri Kühl Rdn. 8; Mattmer NJW 1967 1594; Mäurach! Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 39; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 22; TröndlelFischer Rdn. 8.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

über Arbeitsmöglichkeiten und durchschnittliche Einkommenssätze zu ermitteln, welche Beträge der Unterhaltspflichtige in etwa durch eine zumutbare Arbeit monatlich hätte verdienen können. 244 Weiter muß angegeben werden, welche Verpflichtungen der Täter hat, welche Mittel ihm zu belassen sind (Selbstbehalt) und wie hoch nach alledem der Betrag ist, den mindestens zu leisten er imstande gewesen wäre.245 Aus der Arbeitsfähigkeit allein kann ohne weitere Feststellungen nicht auch schon auf das Bestehen der Leistungsfähigkeit geschlossen werden (BayObLG StV 1983 418, 419). Unbedenklich ist hingegen, eigenverschuldete Arbeitslosigkeit anzunehmen, wenn der Unterhaltspflichtige selbst angibt, er sei, weil ihm aufgrund seiner Unterhaltspflicht nur ein geringer Teil seines Arbeitslohns für den eigenen Verbrauch verbliebe, an einer geregelten Arbeit nicht interessiert (AG Köln DAVorm. 79 [1983] 72, 73). Bei der Verurteilung eines Unterhaltspflichtigen, der längere Zeit rauschgiftsüchtig war, kann ein Aufklärungsmangel darin liegen, daß zu der Frage, ob er in der Lage war, über Kurzarbeiten hinaus wieder eine dauerhafte Beschäftigung aufzunehmen, kein ärztlicher Sachverständiger gehört worden ist (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 22). Hängt die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Täters davon ab, ob er der verstärkten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 unterliegt oder von ihr frei ist, muß auch die Leistungsfähigkeit anderer unterhaltspflichtiger Verwandter anhand derer Einkommens- und Vermögensverhältnisse festgestellt werden. 246 Ist ein Kind in Pflege gegeben, so daß beide Elterteile zum Barunterhalt verpflichtet sind, ist das Verhältnis ihrer Unterhaltspflichten zu bestimmen, weil nur so der Unrechtsgehalt der vom sorgeberechtigten Elternteil begangenen Pflichtverletzung festgestellt werden kann (OLG Zweibrücken NJW 1987 1899, 2000). 43

2. Die Tathandlung verlangt, daß der Unterhaltspflichtige sich der Unterhaltspflicht entzieht, was durch Nichtzahlung des Unterhalts trotz Leistungsfähigkeit, durch Vereitelung seiner Inanspruchnahme sowie durch Herbeiführung oder Aufrech terhaltung seiner Leistungsunfahigkeit geschehen kann. a) Der Unterhaltspflicht entzieht sich, wer das, was er zu leisten verpflichtet ist, ganz oder teilweise nicht leistet (BGHSt. 12 185, 190 mit Anm. Sarstedt LM StGB § 170b Nr. 4; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168). Tathandlung ist somit die Nichtgewährung von Unterhalt. Damit erweist sich das Entziehen im Kern (Lackner/Kühl Anm. 4) als echtes Unterlassen. Die Tat wird auch nicht zum Begehungsdelikt, wenn der Unterhaltspflichtige durch positive Handlungen seine Inanspruchnahme vereitelt (Rdn. 45) oder seine Leistungsunfahigkeit herbeiführt (Rdn. 46). Denn die Strafbarkeit folgt nicht aus diesen Handlungen, sondern erst aus der mangelnden Pflichterfüllung (so schon Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 28). Der Täter tut nicht, was er tun sollte, übertritt also eine Gebotsnorm (OLG Celle NdsRpfl. 1962 210, 211). Im Falle der Herbeiführung der eigenen Leistungsunfahigkeit wird der Tatbestand entsprechend den Rechtsgrundsätzen der actio libera in causa verwirklicht (MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 35; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 27: omissio libera in causa); wer

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BayObLG NJW 1990 3284, 3285; OLG Düsseldorf NJW 1994 672; OLG Hamm NStZ-RR 1998 207, 208; OLG Karlsruhe NJW 1984 84; OLG Köln FamRZ 1976 119; OLG Stuttgart DAVorm. 70 (1997) 426; Mattmer NJW 1967 1594 f; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 22. BayObLGSt. 1999 55, 56; BayObLG NJW 1990 3284, 3285; OLG Düsseldorf NJW 1994 672,

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673; OLG Hamm NStZ-RR 1998 207; Lackner/Kühl Rdn. 8. BayObLGSt. 2000 50; BayObLG NStE § 170 b Nr. 4; OLG Düsseldorf NJW 1994 672; KG juris Rechtsprechung KORE 42875/2000 S. 1, 2; OLG Stuttgart DAVorm. 70 (1995) 425, 426; Lackner/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 22.

Stand: 1. 7. 2003

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sich seiner Handlungsfähigkeit beraubt, erfüllt nur ein Unterlassungsdelikt (Welzel Strafrecht § 63 III 2 a ß).247 b) Bloßes Nichtleisten trotz Leistungsfähigkeit genügt (OLG Düsseldorf NJW 4 4 1961 77). Es liegt meist darin, daß der Unterhaltspflichtige den Barunterhalt nicht entrichtet (so schon Rietsch DJ 1943 230), was praktisch jedoch kaum Bedeutung hat, weil ein zahlungsfähiger Schuldner gewöhnlich leisten wird, schon um sich die Kosten der Klage und der Zwangsvollstreckung zu ersparen (Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 35). Eher kommt bloßes Nichtleisten in der Weise in Betracht, daß die Mutter den von ihr geführten Haushalt im Stich läßt, ohne sonst zum Unterhalt der Kinder beizutragen (vgl. Rdn. 31). Eine den Tatbestand verwirklichende Nichtleistung liegt nicht schon darin, daß der Unterhaltspflichtige, wenn der Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten unbekannt ist, den geschuldeten Betrag nicht hinterlegt. 248 c) Weiter kann der Unterhaltspflichtige sich dadurch seiner Unterhaltspflicht ent- 4 5 ziehen, daß der durch bestimmtes Verhalten seine Inanspruchnahme vereitelt. Hierzu gehören die Fälle, bei denen der Unterhaltspflichtige sich verborgen hält (OLG Düsseldorf NJW 1961 77) oder seinen Wohnsitz wechselt und dies dem Unterhaltsberechtigten gegenüber verheimlicht (vgl. Günther SK Rdn. 29; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 36; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 27). Auch die Mutter, die ihr neugeborenes Kind in die Babyklappe gibt (vgl. dazu Vor § 169 Rdn. 10 mit Fn. 30), vereitelt ihre Inanspruchnahme und macht sich dadurch nach Absatz 1 strafbar (Mittenzwei ZfL 9 [2000] 40; Neuheuser NStZ 2001 176; Alf κ Wolf FPR 7 [2001] 349); and. Bärlein/Rixen (Kriminalistik 2001 54 f)· Ebenso liegt es, wenn die Mutter sich der Unterhaltspflicht sonst durch Anonymität entzieht (Alfr. Wolf FPR 7 [2001] 349). d) Ein Entziehen liegt ferner darin, daß der Unterhaltspflichtige durch positive 4 6 Handlungen in Kenntnis der drohenden Inanspruchnahme seine Leistungsunfähigkeit herbeiführt. Dies gilt selbst dann, wenn er im Zeitraum seiner Inanspruchnahme nicht mehr leistungsfähig gewesen ist; denn auch das unmittelbare Herbeiführen zukünftiger Leistungsunfähigkeit kann den äußeren Tatbestand des § 170 Abs. 1 erfüllen. 249 Der häufigste Fall dieser Art ist, daß der Unterhaltspflichtige, um nicht zahlen zu müssen, seine Arbeitsstelle aufgibt oder Arbeitsplatz und Beruf, damit er entspre-

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Weiter nehmen ein echtes Unterlassungsdelikt an OLG Hamm JMB1NRW 1959 269; OLG Köln NJW 1981 63, 64; wohl auch schon NJW 1958 720, 721; Arzt/Weber § 10 Rdn. 35; Baums S. 57; BrühllGöppingerlMutschier Rdn. 1016; Dedes GA 1977 232; Eggert Schutz S. 64; Günther SK Rdn. 29; Jungclaussen S. HO; Neudek S. 61; Otto BT § 65 Rdn. 22 (vorrangig) Verfürden S. 25; and. (Tun oder Unterlassen) BGHSt. 18 376, 379 mit Anm. Hengsberger LM StGB § 170b Nr. 9; BayObLGSt. 1960 5, 7; OLG Bremen NJW 1955 1606, 1607; Walt. Becker Rpfleger 1953 291; Jebsen S. 65; Tröndle/Fischer Rdn. 9; vgl. auch OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507.

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BayObLGSt. 1961 160, 162; Maurach! SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 35; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 27; vgl. auch Günther SK Rdn. 29.

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BGHSt. 14 165, 166 mit Anm. Frankel LM StGB § 170b Nr. 6; BayObLGSt. 1988 93; OLG Hamm NJW 1955 153; 1955 1607; Dalcke/FuhrmannlSchäfer Anm. 3; Günther SK Rdn. 29; KohlrauschiLange Anm. IV; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 36; Otto BT § 65 Rdn. 22; Pfeiffer!Maul/Schulte Rdn. 2; Preisendanz Anm. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 27; Tröndle/Fischer Rdn. 9; and. OLG Schleswig in der Befürchtung, daß eine solche Auslegung zu einer uferlosen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift führe (SchlHA 1953 215, 216); doch wirken dem die strengen Anforderungen, die ohnehin an den inneren Tatbestand zu stellen sind und namentlich eine besondere Zurückhaltung bei der Annahme bedingten Vorsatzes gebieten (näher Rdn. 66), entgegen (BGHSt. 14 165, 1670-

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12. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n gegen d e n P e r s o n e n s t a n d , die E h e u n d die Familie

chend weniger verdient, wechselt (Rdn. 40 mit Fn. 222). Weiter wird eine solche Entziehung beispielsweise in der Verschwendung der Mittel etwa durch Glücksspiel (BGHSt. 14 165 mit Anm. Fränkel LM StGB § 170 b Nr. 6), in einer Übertragung des Vermögens (BayObLGSt. 1968 60; OLG Hamm NJW 1955 153), in zur Leistungsunfähigkeit führenden Schenkungen an Dritte (BayObLGSt. 1968 60; TröndlelFischer Rdn. 9), in der Übernahme fremder Schulden (BayObLGSt. 1960 167), aber auch in der Zurücknahme einer Zahlungsanweisung oder im Widerruf der Abtretung des Kindergeldes und dessen Verbrauch liegen (OLG Celle G A 1969 350; Sehl SchröderI Lenckner Rdn. 27; TröndlelFischer Rdn. 9). 47

e) Schließlich kann die Tathandlung auch darin gefunden werden, daß der Unterhaltspflichtige Maßnahmen unterläßt, durch die er leistungsfähig geworden wäre {Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 27: omissio libera in omitiendo). Hier geht es vor allem um die, zahlreichen, Fälle, bei denen der Unterhaltspflichtige trotz tatsächlich bestehender Möglichkeiten seine Arbeitskraft nicht oder nicht in der Art, wie sie der für seine Leistungsfähigkeit geltende Maßstab (Rdn. 39) gebietet, ausnützt (dazu im Einzelnen Rdn. 41).

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f) Zivilrechtliche Voraussetzungen des Sich-Entziehens ist, daß schon das Vorverhalten des Täters im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Unterhaltsberechtigten sich als objektiv pflichtwidrig erwiesen hat, was sich daran mißt, daß auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte sein Verhalten als Unterhaltspflichtiger mißbilligt, ihm insbesondere nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf seine Leistungsunfahigkeit zu berufen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 27 mit zahlreichen Nachweisen). Keine Voraussetzung tatbestandlichen Sich-Entziehens ist, daß die Unterhaltspflicht zuvor durch Urteil festgestellt wird {Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 27; Welzel Strafrecht § 63 III 2 a α).250 Auch hängt die Annahme der Tathandlung nicht davon ab, daß der Unterhaltspflichtige vorher zur Zahlung aufgefordert wurde (OLG Düsseldorf NJW 1953 1805; Lackner/Kühl Rdn. 9; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 27).251 Hingegen liegt kein Entziehen vor, wenn die Unterhaltsgewährung aus Gründen scheiterte, die in der Sphäre des Unterhaltsberechtigten liegen (Günther SK Rdn. 29; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 27); namentlich ist es nicht Sache des Unterhaltspflichtigen, Versäumnisse des Unterhaltsberechtigten nachzuholen (OLG Düsseldorf NJW 1961 77; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168). Daher entzieht sich der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht nicht, wenn er bei unbekanntem Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten es unterließ, Nachforschungen anzustellen; es genügt, daß er sich für erreichbar hielt.252 Die Weigerung des Unterhaltspflichtigen, an der Verwaltung des Kindesvermögens mitzuwirken, ist bereits keine zur gesetzlichen Unterhaltspflicht gehörende Vermögenswerte Leistung (näher Rdn. 34) und daher erst recht keine Tathandlung im Sinne des § 170 Abs. 1.

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Andere Rechte sehen dies ausdrücklich vor; vgl. die Angaben bei Toebelmann Mat. S. 173 mit Fn. 14. Zur differenzierenden schweizerischen Rechtsanwendung Toebelmann Diss. S. 12 f. Insofern hat sich die Bedeutung des Begriffs Sich-Entziehen gegenüber dem früheren § 361 Nr. 10, bei dem der staatliche Strafanspruch erst durch die behördliche Aufforderung zur Unterhaltsleistung an den dazu Verpflichteten aus-

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gelöst wurde (vgl. Vor § 169 Entstehungsgeschichte), gewandelt (dazu schon Rielsch DJ 1943 2290BGH NJW 1961 1110; BayObLGSt. 1961 160, 163; OLG Schleswig SchlHA 1959 295, 296; Pfeiffer!MaullSchulte Rdn. 2; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 27; Welzel Strafrecht § 63 III 2a ß.

S t a n d : 1. 7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

§170

3. Der Taterfolg besteht darin, daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre.

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a) Der Lebensbedarf richtet sich nach dem im bürgerlichen Recht (§ 1360a BGB für den Familienunterhalt, § 1610 BGB für den Verwandtenunterhalt, §§ 1578 BGB, 58 EheG für den Ehegattenunterhalt) bestimmten Maß des Unterhalts (vgl. dazu schon Rdn. 36). Mithin handelt es sich nicht etwa nur um den unbedingt notwendigen, sondern den angemessenen Lebensbedarf, wie er sich nach den gesamten materiellen Bedürfnissen, soweit sie unterhaltsrechtlich relevant sind, darstellt. 253 Nichts anderes dürfte auch mit der, freilich zu unklaren {Günther SK Rdn. 30), Wendung „Lebensbedarf schlechthin" (Fromme! N K Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 10) gemeint sein. b) Die tatsächliche Gefährdung des Lebensbedarfs braucht nicht in dessen wirk- 5 0 licher Beeinträchtigung zu bestehen; vielmehr genügt die nahe Wahrscheinlichkeit eines Mangels (Günther SK Rdn. 30). Eine derartige Gefahrdung wird schon dann angenommen werden müssen, wenn der Unterhaltsberechtigte ausreichende Einnahmen durch eine unzumutbare Anstrengungen erfordernde, seine Kräfte übersteigende Erwerbstätigkeit erzielen kann, weil dabei jederzeit die Gefahr besteht, daß der Unterhaltsberechtigte gesundheitlich zusammenbricht, dann aber weitere Einnahmen ausfallen; durch unter solchen Umständen erworbene Mittel darf der Unterhaltspflichtige nicht entlastet werden (BayObLGSt. 1962 269).254 Der Lebensbedarf eines getrennt lebenden Ehegatten ist jedoch nicht schon insoweit im Sinne des § 170 Abs. 1 gefährdet, als er ihn aus einer ihm objektiv zumutbaren, das Maß des § 1361 Abs. 2 BGB aber übersteigenden Tätigkeit bestreitet, auch wenn der Unterhaltspflichtige ihn nicht darauf verweisen könnte (BGH NJW 1974 1868, 1869 zu § 1361 BGB a.F.; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 37; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 29). Nur ganz unwesentliche Fehlbeträge sind ebenfalls noch keine (zusätzliche) Gefahrdung im Sinne des § 170 Abs. 1 (Seh!Schröder!Lenckner

Rdn. 29).

c) Der tatsächlichen Gefährdung steht die potentielle Gefährdung des Lebensbedarfs gleich.255 aa) Ohne die Hilfe anderer bedeutet entgegen dem Wortlaut der Bestimmung nicht, daß sie unanwendbar wäre, wenn der Unterhaltsberechtigte Hilfe von anderer Seite zu erwarten hätte; denn sie will säumige Unterhaltspflichtige, die sich bedenkenlos auf die Hilfe anderer verlassen, gerade nicht bevorzugen und ist deshalb dahin zu verstehen, daß eine Gefahrdung des Unterhalts dann droht, wenn der Unterhalts-

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Günther SK Rdn. 30; Lackner/Kühl Rdn. 10; Otto BT § 65 Rdn. 23; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 28. Ebenso BGH NJW 1975 1868, 1869; ähnlich schon BayObLGSt. 1961 160, 161; ferner MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 37; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 29; Tröndlel Fischer Rdn. 10; and. BSG NJW 1959 647. Die Alternative der nur potentiellen Gefahrdung des Lebensbedarfs ist der kriminalpolitisch (vgl. Vor § 169 Rdn. 17) weitaus bedeutendere Fall (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 38). Dies liegt nicht zuletzt an der Rechtsordnung selbst, die vielfach gleichrangige oder nachgeordnete Unterhaltspflichten privater Personen vorsieht (vgl. Rdn. 17 bis 19, 29), vor

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allem aber, bedingt durch den sozialstaatlichen Charakter der Bundesrepublik, in umfassender Weise öffentliche Hilfen gewährleistet (dazu Rdn. 22 mit Fn. 83). Die öffentliche Hilfe hervorzuheben ist für das neue Recht nicht mehr für erforderlich gehalten worden (vgl. schon Rdn. 2). Art. 217 SchweizStGB, der Vorbild des früheren § 170b war (Rdn. 1 Fn. 11), verzichtet demgegenüber auf den Eintritt eines äußeren Erfolges (näher Rdn. 3 mit Fn. 25). In anderen Rechten findet sich eine dem § 170 b ähnliche Ausgestaltung des äußeren Tatbestandes, beispielsweise in Art. 259 des griechischen Strafgesetzbuches, der die Schaffung einer Notlage verlangt (vgl. Dedes GA 1977 233; ferner Toebelmann Mat. S. 173 mit Fn. 16, 17).

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§170

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

berechtigte überhaupt auf Hilfe anderer angewiesen ist (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 38). Andere im Sinne des Absatz 1 sind dritte Personen oder öffentliche Stellen. Kein anderer ist der Unterhaltsberechtigte. Soweit durch ihm mögliche und zumutbare Berufstätigkeit Einkommen erzielen könnte, das seinen angemessenen Unterhalt gewährleisten würde, ist er nicht bedürftig (Rdn. 35), den Unterhaltspflichtigen aber auch nicht zu einer Leistung verpflichtet, die ein anderer übernehmen könnte (Günther SK Rdn. 31). 52

bb) Die nur potentielle Gefahrdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten setzt voraus, daß ein innerer Zusammenhang zwischen der Unterhaltsverweigerung und der fremden Hilfe besteht. Dazu muß es einer Unterhaltssicherung bedürfen und mit der Hilfeleistung bezweckt werden. Von anderer Seite wird die Hilfe geleistet, wenn jemand an Stelle des Unterhaltspflichtigen für den Unterhalt aufkommt. Dessen Unterhaltsverweigerung muß für die Gewährung oder Fortgewährung der fremden Hilfe ursächlich sein. Der andere gewährt die Hilfe gerade deshalb, weil der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Wird die Hilfe ohne Rücksicht auf die Unterhaltsverweigerung geleistet, entfallt der Tatbestand. Diese Grundsätze entsprechen inzwischen allgemeiner Auffassung. 256 Der innere Zusammenhang zwischen Unterhaltsverweigerung und fremder Hilfe ist ein Rechtsbegriff des gesetzlichen Tatbestandes. Er bedarf daher jeweils der Auflösung in bestimmte Tatsachen und Handlungen, die den inneren Zusammenhang zwischen der Unterhaltsverweigerung und der fremden Hilfe belegen. Wird wegen Fehlens dieser Ursächlichkeit freigesprochen, muß sich aus den Tatsachen ergeben, ob und inwieweit der Unterhaltspflichtige seiner Verpflichtung nachgekommen ist (BayObLGSt. 1983 161, 162).

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cc) Bei privater fremder Hilfe fehlt der innere Zusammenhang mit der Unterhaltsverweigerung, wenn der andere ohne Rücksicht auf ein Fehlverhalten des Unterhaltspflichtigen leistet, so im Einvernehmen mit ihm, etwa um ihn zu entlasten, oder aber, was namentlich bei einem mit ihm gleichrangig zum Unterhalt Verpflichteten vorkommen mag, in der Absicht, die eigenen Beziehungen zu dem Unterhaltsberechtigten zu stärken. 257 Um einen Fall solcher Art handelt es sich auch, wenn dritte Personen, meist gleichrangig oder nachrangig unterhaltspflichtige Angehörige des Unterhaltsberechtigten, „verzichten" und allein den Lebensbedarf des Kindes bestreiten. 258 Hingegen läßt ein rechtswirksamer Verzicht des Berechtigten auf Unterhalt, wie er zwischen geschiedenen Ehegatten und den Partnern einer aufgehobenen Eingetra-

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Ζ. B. BVerfGE 50 142, 154; BGHSt. 26 312, 315 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170b Nr. 2 und Anm. Forster N J W 1976 1645; BGH N J W 1963 579; 1974 1868; BayObLGSt. 1983 161 mit Anm. Maurer J R 1986 210; BayObLG FamRZ 1961 615; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1978 195; O L G Frankfurt NJW 1972 836, 837 mit Anm. Eggert N J W 1972 1383 und Anm. Potthast N J W 1972 2276; OLG Hamm N J W 1975 456; O L G Karlsruhe N J W 1972 836; O L G Köln FamRZ 1976 116, 117; OLG Neustadt N J W 1953 1805, 1806; O L G Zweibrücken NStZ 1984 458, 459; Günther SK Rdn. 34; Klussmann M D R 1973 457; Kraemer N J W 1973 793; Lackner/Kühl Anm. 10; Mattmer N J W 1967 1595; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 38;

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SehlSchröderILenckner Rdn. 30; Sonnenschein SchlHA 1962 264; TröndlelFischer Rdn. 10. BGHSt 12 185, 188 mit Anm. Sarstedt LM StGB § 170 b Nr. 4; O L G Neustadt N J W 1953 1805, 1806; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 30. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 30; Sonnenschein SchlHA 1962 264; Tröndlel Fischer Rdn. 10 (unter Hinweis auf BGH 4 StR 687/79 vom 22.1.1980). Dazu OLG Neustadt NJW 1953 1805: Der Vater wollte die nichteheliche Mutter nach wie vor heiraten, war also zur Unterhaltsleistung bereit; die nichteheliche Mutter jedoch lehnte eine eheliche Bindung ab und verzichtete, auch in einer Erklärung gegenüber dem Stadtjugendamt, auf Unterhaltsleistungen des Vaters.

Stand: 1. 7. 2003

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Verletzung der Unterhaltspflicht

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genen Lebensgemeinschaft zulässig ist (§ 1585 c BGB, § 16 Abs. 2 Satz 2 LPartG), die Strafbarkeit bereits deswegen entfallen, weil es an der Verletzung einer bestehenden Unterhaltspflicht fehlt (BayObLGSt. 1967 1; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 15, 32; vgl. auch schon Rdn. 24). Freiwillige Zuwendungen Dritter an den Unterhaltsberechtigten tilgen den Unterhaltsanspruch, wenn sie erbracht werden, um den Unterhaltspflichtigen vereinbarungsgemäß zu entlasten (vgl. § 267 BGB), während Leistungen Dritter ohne eine solche vertragliche Grundlage den Unterhaltsanspruch nicht mindern, so daß in strafrechtlicher Hinsicht die tatbestandliche Voraussetzung der Gefahrdung des Lebensbedarfs ohne die Hilfe des Dritten bestehen bleibt.259 Ob der Dritte im Innenverhältnis zum Unterhaltspflichtigen auf Rückzahlungsansprüche verzichtet, ist strafrechtlich ohne Bedeutung (Günther SK Rdn. 33). Ein Heim, in das der Unterhaltspflichtige den Unterhaltsberechtigten gegeben hat, leistet auf Grund des betreffenden Vertrages; unterhält es den Unterhaltsberechtigten aber auch dann noch, wenn die vertraglichen Beziehungen mit dem Unterhaltspflichtigen erloschen sind, handelt es sich um die Hilfe eines anderen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 30). Unerheblich ist, ob die Hilfe von dritter Seite freiwillig oder auf Grund gesetzlicher Verpflichtung gewährt wird; das Eintreten eines nachrangig Unterhaltspflichtigen entzieht den vorrangig Verpflichteten daher nicht der Bestrafung. 260 Eltern haften zwar gleichrangig, jedoch nur anteilig im Verhältnis nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. Rdn. 29), so daß Leistungen des einen Elternteils an den anderen nicht vor Strafe bewahren; indem der eine Elternteil, weil der andere seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt, über das Maß der eigenen Verpflichtung hinaus leistet, ist er ein anderer im Sinne des § 170 Abs. I.261 Um fremde Hilfe im Sinne des § 170 Abs. 1 dürfte es sich aber nicht schon handeln, wenn die schwachsinnige Ehefrau des Unterhaltspflichtigen durch Vermittlung der städtischen Verwaltung in einem städtischen Betrieb als Arbeitskraft eingestellt und für ihre minderwertige Leistung auskömmlich bezahlt wird (so aber RG DR 1940 1671). dd) Bei öffentlicher Hilfe ist der erforderliche innere Zusammenhang zwischen 5 4 ihrer Gewährung und der Unterhaltsverweigerung gegeben, wenn die öffentliche Hand eingreift, um den Unterhalt des Berechtigten zu sichern, nicht aber, wenn die Hilfe aus anderen als den Gründen der Unterhaltssicherung gewährt wird, mögen als notwendige Folgen des Eingreifens auch Unterhaltsleistungen erbracht worden sein.262 Im Einzelfall ist daher zu prüfen, welchen Anlaß die Hilfe hatte, welche Vor259

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BGH FamRZ 1979 211, 213 f; 1989 211, 213 f; 1989 487, 488 f; 1993 417, 418 f; 1998 767, 768; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 30. OLG Bremen JR 1961 226, 228; OLG Hamm NJW 1956 1409; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 30. Die angeführten Entscheidungen beziehen sich zwar auf das Verhältnis der nichtehelichen Mutter zum Vater des Kindes nach § 1709 Abs. 1 BGB a. F.; doch besteht der darin angesprochene Grundsatz, daß der vorrangig Verpflichtete sich strafbar macht, wenn der Unterhalt von dem nachrangig Verpflichteten entrichtet werden muß, unabhängig davon (Heimann-Trosien LK« Rdn. 33). OLG Celle NJW 1958 641; 1960 833 (mit geändertem Leitsatz NJW 1960 1314); OLG Frankfurt NJW 1957 1937; OLG Hamburg FamRZ 1959 164; OLG Hamm NJW 1964

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2316, 2317 mit Anm. Merkerl NJW 1965 409; FamRZ 1964 581; OLG Karlsruhe FamRZ 1958 35; OLG Stuttgart FamRZ 1961 179; Preisendan: Anm. 5; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 30; Sonnenschein SchlHA 1962 263; TröndlelFischer Rdn. 10. So BVerfGE 50 142, 154f; BGHSt. 26 312, 317 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170b Nr. 2 und Anm. Forster NJW 1976 1645; 29 88; BayObLGSt. 1983 161, 162 (im Anschluß an BayObLG NJW 1975 1720); OLG Düsseldorf JMB1NRW 1978 195; NJW 1990 399; OLG Frankfurt NJW 1972 836; 1974 162; OLG Hamm NJW 1958 640; 1975 456; OLG Köln FamRZ 1976 116; OLG Saarbrücken NJW 1975 507; OLG Stuttgart Die Justiz 1975 440; OLG Zweibrücken NStZ 1984 458, 459; Günther SK Rdn. 34; Klussmann MDR 1973 457; Lackner/

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

schrift sie rechtfertigte (vgl. dazu die in Rdn. 22 Fn. 83 angeführten Rechtsgrundlagen) und welchen Zielen sie diente (BayObLGSt. 1961 163). Freilich gibt es Sachverhalte, bei denen es auf der Hand liegt, ob der geforderte innere Zusammenhang gegeben oder nicht gegeben ist. So wird er beispielsweise bei Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (vgl. Rdn. 22 Fn. 83) ohne weiteres vorliegen, während Leistungen aus der Sozialversicherung 263 oder bestimmte Hilfen in besonderen Lebenslagen 264 grundsätzlich unabhängig davon erbracht werden, ob ein Unterhaltspflichtiger, und sei es selbst in einer durchaus strafwürdigen Weise, den Unterhalt verweigert.265 Indessen sind solche Fälle eher Ausnahmen. Meist hat das Eingreifen der öffentlichen Hand mehrere, dazu mitunter höchst unterschiedliche Motivationen und dient regelmäßig dann auch den diesen Motivationen entsprechenden Zielen, wobei es zur Strafbarkeit des Unterhaltspflichtigen genügt, daß die Gefahrdung des Lebensbedarfs eine unter mehreren Beweggründen für die fürsorgerische Maßnahme war (BVerfGE 50 142, 155f; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 38). Der praktisch bedeutendste Fall dieser Art ist die Heimunterbringung, 266 die freilich im Einzelfall ebenfalls eindeutig mit oder ohne einen inneren Zusammenhang mit der Unterhaltsverweigerung angeordnet sein kann. Dient sie nur dem Zweck, die Lebensgrundlage des Unterhaltsberechtigten zu sichern, findet § 170 Abs. 1 ohne weiteres Anwendung. Hingegen scheidet der Tatbestand aus, wenn zwar der Unterhaltspflichtige nicht leistet, die Maßnahme aber gleichwohl ausschließlich andere Gründe hat, etwa eine Verwahrlosung, die nicht auf der Verweigerung des Unterhalts beruht, eine geistige oder körperliche Behinderung, die stationär behandelt werden muß, oder eine Entwicklungsstörung, die der pädagogischen Betreuung in einer Anstalt bedarf, so daß keine die Unterhaltsleistung ersetzende Hilfe eines anderen vorliegt.267 Ist es zur Verwahrlosung eines Kindes gerade deshalb gekommen, weil ein Unterhaltspflichtiger den Betreuungsunterhalt (Rdn. 31) nicht geleistet hat, besteht der erforderliche innere Zusammenhang ungeachtet dessen, daß das Jugendamt eingreift, um die Verwahrlosung des Kindes durch seine Versorgung in einem Heim abzuwenden und vorrangig seine Erziehung zu sichern; denn die Verwahrlosung ist dabei nur ein Glied zwischen Unterhaltsverweigerung und Heimunterbringung, ihre Verfolgung durch die Unterhaltsverweigerung überhaupt erst notwendig geworden. Die Anwendung des § 170 Abs. 1 hängt hier davon ab, ob die Unterhaltssicherung schon ohne die mit der Verwahrlosung zusammenhängenden Gründe die Heimunterbringung rechtfertigte; dann

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Kühl Rdn. 10; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 38; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 31; Sturm JZ 1974 2. B G H N J W 1963 579 mit Anm. Reich N J W 1963 949 und Anm. v. Caemmerer N J W 1963 1402 (Zahlung einer Hinterbliebenenrente durch den Träger der Invalidenversicherung); BayObLG G A 1963 345; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 31; TröndlelFischer Rdn. 10. Beispielsweise die Tuberkulosenhilfe (OLG Celle NJW 1959 2319; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 31). Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich hieraus nicht, weil eine Strafrechtsnorm nicht schon deswegen gegen Art. 3 Abs. 1 G G verstößt, weil einzelne Fälle in gleicher Weise strafwürdigen Verhaltens von ihr nicht erfaßt werden (BVerfGE 50 142, 164; Sch/Schrö-

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der!Lenckner Rdn. 31); and. noch Forster N J W 1976 1645 (Anm. zu BGHSt. 26 312); krit. auch Berkemann Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1979 447, 453. Sie kommt als Maßnahme der Erziehungshilfe, der freiwilligen Erziehungshilfe und der Fürsorgeerziehung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB III) sowie als Hilfe zum Lebensunterhalt und in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz (zu beiden Rechtsgrundlagen vgl. Rdn. 22 Fn. 83) in Betracht. Vgl. OLG Düsseldorf JMB1NRW 1978 195; Dalcke!Fuhrmann!Schäfer Anm. 6; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 38; Preisendanz Anm. 5; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 31; Tröndlel Fischer Rdn. 10.

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bleibt der hinzutretende, durch die Unterhaltsverweigerung nicht gesetzte Grund ohne Bedeutung. 268 Ist die Maßnahme durch die Unterhaltsverweigerung in der erforderlichen Weise mit veranlaßt worden, so bleibt der Unterhaltspflichtige während der weiteren Unterbringung strafbar, solange er einen ihm möglichen und zumutbaren Kostenbeitrag vorsätzlich nicht leistet; die Strafbarkeit endet erst dann, wenn die Fortsetzung des Heimaufenthalts etwa auf Grund einer neuen Entwicklung vorrangig auf anderen Gründen als der Gefährdung des Lebensbedarfs beruht (BVerfGE 50 142, 159; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 31). Ob die öffentliche Hilfe auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung gewährt worden ist, hat für das Bestehen eines inneren Zusammenhangs mit der Unterhaltsverweigerung ebensowenig Bedeutung 269 wie der Übergang oder die Überleitung des Unterhaltsanspruchs des Kindes auf den Träger der öffentlichen Hand (vgl. dazu schon Rdn. 22 mit Fn. 87) und das Bestehen landesrechtlicher Vorschriften, die im Interesse der Beibehaltung der Praxis, Jugendhilfen mehr oder weniger unabhängig von den Bestimmungen über die Kostenregelung zu gewähren (vgl. LK Voraufl. Rdn. 67 Fn. 201), die Möglichkeit vorsehen, auf die Erstattung der Kosten zu verzichten (BGHSt. 26 312, 318 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170b Nr. 2 und Forster NJW 1996 1645). Die bisher unter dem Stichwort „primäre oder subsidiäre Unterhaltspflicht öffentlicher Stellen" diskutierte Abgrenzungsfrage {Klussmann M D R 1973 457; Kraemer NJW 1973 793) ist im übrigen weitgehend überholt, nachdem das SGB III durchgängig die Subsidiarität der öffentlichen Jugendhilfe hergestellt hat (Lackner/Kühl Rdn. 10). Für die Beurteilung des inneren Zusammenhangs mit der Unterhaltsverweigerung bei anderen Formen der Gewährung öffentlicher Hilfe, so der Unterbringung in einer Pflegefamilie (OLG Zweibrücken NStZ 1984 458) oder der Zahlung von Pflegegeld an einen das nichteheliche Enkelkind versorgenden Großelternteil (BayObLGSt. 1983 161 mit Anm. Maurer JR 1986 210) gelten die für die Heimunterbringung entwickelten Grundsätze entsprechend (Sch/Schröder!Lenckner Rdn. 31). Bei der Feststellung der Tatsachen, aus denen sich der innere Zusammenhang zwischen der Unterhaltsverweigerung und der öffentlichen Hilfe ergeben soll (vgl. allgemein schon Rdn. 52), ist regelmäßig im Urteil auch darzulegen, aus welchem Anlaß, aufgrund welcher Vorschriften und mit welchen Zielen die öffentliche Hilfe gewährt worden war (vgl. OLG Hamm NJW 1975 456, 457; OLG Köln FamRZ 1976 116, 117). d) Tatort der Unterhaltspflichtverletzung ist zunächst der Ort, wo der Unterhalts- 5 5 Pflichtige die zu Erfüllung seiner Verpflichtung erforderlichen Handlungen hätte vornehmen müssen (§ 9 Abs. 1; vgl. auch OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507 mit Anm. Oehler JR 1975 291 und Bespr. Blei JA 1975 315),270 ferner der Ort, wo die

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BVerfGE 50 142, 157; Günther SK Rdn. 34; Lackneri Kühl Rdn. 10; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 38; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 31; vgl. aber auch OLG Düsseldorf JMB1NRW 1978 195. Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht diese AufTassung nicht in Widerspruch. Die Wendung, Jugendhilfe müsse „gerade und allein wegen Unterhaltsverweigerung eingreifen" (BGHSt. 26 312, 317), betont die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhang zwischen Unterhaltsverweigerung und Heimunterbringung; sie kann schon deshalb nicht auf den Fall bezogen werden, bei dem zum Zweck der Unterhaltssicherung ein

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weiteres, davon unabhängiges Motiv hinzukommt, weil darüber nicht zu entscheiden war (BVerfGE 50 142, 160; SchlSchröderILenckner Rdn. 31). Neben § 170 Abs. 1 kann, wenn die Fürsorge- oder Erziehungspflicht gröblich verletzt worden ist, § 171 verwirklicht sein (vgl. Rdn. 31, § 171 Rdn. 10,20). BGHSt. 26 312, 317 mit Anm. Pelchen LM StGB § 170b Nr. 2 und Forster N J W 1976 1645; BayObLG FamRZ 1976 115; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 31. Vgl. jedoch AG Mannheim NJW 1969 997, das den Ort des Unterlassens außer Betracht läßt; dazu schon Rdn. 13.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Gefährdung des Lebensbedarfs eintritt oder nach der Vorstellung des Unterhaltspflichtigen eintreten sollte. Letzteres folgt daraus, daß § 170 Abs. 1 auch dann verwirklicht ist, wenn die Gefahrdung tatsächlich nicht eintrat, ohne die Hilfe anderer jedoch eingetreten wäre. Steht aber bei der Erfüllung des Tatbestandes die durch die Hilfe anderer abgewendete Gefährdung gleich, so gilt dies ebenso für die Ermittlung des Tatorts. Das bedeutet, daß die Tat am Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten auch dann begangen ist, wenn die Gefahrdung seines Lebensbedarfs durch die Hilfe anderer abgewendet wird (OLG Köln N J W 1968 954). Denn der vorgestellte Erfolg im Sinne des § 9 Abs. 1 hat denselben Bezugsgegenstand, wie der tatsächlich eingetretene. Demzufolge bleibt bei der zweiten Alternative der Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten Tatort der Unterhaltspflichtverletzung unabhängig davon, ob die fremde Hilfe alsbald zu einem Aufenthaltswechsel geführt hat. 56

III. Der äußere Tatbestand des Absatzes 2 verlangt, daß der einer Schwangeren zum Unterhalt Verpflichtete ihr diesen Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt. 1. Die Tathandlung setzt voraus, daß der Täter einer Schwangeren zum Unterhalt verpflichtet ist. a) Entgegen dem Wortlaut muß eine gesetzliche Unterhaltspflicht bestehen. Die Vorschrift knüpft offensichtlich an Absatz 1 an. Sie erweist sich als Qualifikation des Absatzes l.271 Daher ist anzunehmen, daß, wie Absatz 1, auch Absatz 2 eine gesetzliche Unterhaltspflicht meint. 272 Damit gelten zunächst die Erläuterungen zum äußeren Tatbestand des Absatzes 1 (Rdn. 15 bis 42) entsprechend.

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b) Neben der gesetzlichen Unterhaltspflicht muß eine besondere Verantwortung des Täters für die Schwangere und das ungeborene Kind gegeben sein, eine BeschützerGarantenstellung (SehlSchröder/Lenckner Rdn. 34 a), die aus enger persönlicher Verbundenheit erwachsen ist (Günther SK Rdn. 40; and. Lackneri Kühl Rdn. 1; Schittenhelm NStZ 1997 169).273 Denn die Vorschrift will ein gegenüber Absatz 1 gesteigertes Handlungs- und Erfolgsunrecht, das sich auf den Schwangerschaftsabbruch bezieht, erfassen (vgl. Rdn. 4). Da die auf Verwandtschaft, Ehe oder Eingetragener Lebenspartnerschaft beruhende gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber der Schwangeren aber unabhängig von der Schwangerschaft besteht, kann sie allein als Zurechnungsgrund für den Schwangerschaftsabbruch nicht genügen (Günther SK Rdn. 40). Das Ergebnis, daß Täter nach Absatz 2 nur Unterhaltsschuldner sein können, die zugleich eine Beschützer-Garantenstellung für den Nasciturus haben, ergibt sich auch aus den allgemeinen Regeln der Erfolgszurechnung. Das zu dem Abbruch der Schwangerschaft führende Vorenthalten des Unterhalts unterscheidet sich zunächst nicht von anderen Verhaltensweisen, die ebenfalls bewirken, daß die Schwangere in finanzielle Schwierigkeiten gerät und sich deshalb dazu entschließt, die Schwangerschaft abzubrechen. Erst wenn der Unterlassende über die Unterhaltsverpflichtung hinaus aufgrund einer Sonderpflicht auch für die Unversehrtheit des ungeborenen Lebens einzu271

272

Rdn. 6, auch zur Fragwürdigkeit der Anknüpfung der Strafbarkeit an die gesetzliche Unterhaltspflicht statt an die Zeugung. Günther SK Rdn. 40; Lackneri Kühl Rdn. 13; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 45; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 34a; Tröndlel Fischer Rdn. 11; vgl. auch BTDrucks. 13/1850 S. 25.

273

Im Schrifttum hat sich schon länger die Auffassung durchgesetzt, daß die Verletzung des dem Täter entgegengebrachten Vertrauens einen Pflichtverstoß besonderer Art darstellt, durch den die Tat einen spezifischen Unwert erhält, der für die Außenstehenden mangels einer entsprechenden Vertrauensstellung nicht teilbar ist (so insb. Vogler S. 283).

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stehen hat (vgl. Seh!Schröder!Cramer!Heine § 25 Rdn. 4), kann ihm der Erfolg der Schwangerschaftsunterbrechung zugerechnet werden. 274 Auch die maßgeblichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Begründung der geforderten Strafdrohung gegen Personen des familiären Umfelds der Schwangeren (im Einzelnen dazu Rdn. 4, 5) sprechen für die einschränkende Auslegung. Danach sollten Personen einzubeziehen sein, die für die Schwangerschaft ebenfalls Verantwortung tragen, wie die Väter und, bei der Schwangerschaft einer Minderjährigen, ihre Eltern (BVerfGE 88 203, 298; vgl. auch Günther SK Rdn. 40). c) Durch die Anknüpfung der Strafbarkeit an die gesetzliche Unterhaltspflicht ist 5 8 der Täterkreis über die vom Bundesverfassungsgericht genannten Personen, der Vater des ungeborenen Kindes und die Eltern einer minderjährigen Schwangeren, hinaus erheblich erweitert worden. Erfasst werden dadurch auch die Großeltern sowie der Ehegatte und die Eingetragene Lebenspartnerin der Schwangeren, in beiden Fällen auch bei Trennung und Scheidung oder Aufhebung der Lebensgemeinschaft. 275 Die Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht bedeutet, daß die praktisch wichtigste Person, die Verantwortung für den Nasciturus trägt, der nichteheliche Vater, kein tauglicher Täter sein kann, da seine Unterhaltspflicht der Schwangeren gegenüber erst beginnt, wenn die Frist für den Schwangerschaftsabbruch (§218 Abs.l Nr. 3) längst verstrichen ist (näher dazu Rdn. 6). Nur theoretisch ist eine Strafbarkeit nichtehelicher Väter zu einem früheren Zeitpunkt denkbar, dann nämlich, wenn der Abbruch aufgrund einer medizinischen Indikation (§ 218a Abs. 2) geschieht; doch wird dies kaum praktisch werden, weil bei Gefahr für das Leben der werdenden Mutter oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes eine Vorenthaltung des Unterhalts kaum den Abbruch motivieren kann (MaurachlSchroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 45). Bei der Eingetragenen Lebenspartnerin kommt eine persönliche Verantwortung für den Nasciturus naturgemäß nicht in Betracht (vgl. Rdn. 57 mit Fn. 274). Ebenso liegt es bei dem zur Unterhaltsleistung verpflichteten getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten, wenn die Frau von einem anderen Mann schwanger geworden ist. Auch er scheidet als Täter des Absatzes 2 aus (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34 a). 2. Die Tathandlung besteht im Vorenthalten des Unterhalts in verwerflicher Weise.

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a) Das Vorenthalten des Unterhalts ist, wie das Sich-Entziehen des Absatzes 1 (Rdn. 43), echtes Unterlassen (Seh! Schröder ¡Lenckner Rdn. 34 a; Schittenhelm NStZ 1997 171; TröndlelFischer Rdn. 12). Das Unterlassen des Beschützergaranten ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 strafbar, obwohl eine Unterlassungstäterschaft im Sinne des § 218 nach § 218 a Abs. 1 als nicht tatbestandsmäßig ausscheidet (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 34a). b) Vorenthalten wird der Unterhalt, wenn der Unterhaltspflichtige seiner Lei- 6 0 stungspflicht ganz oder teilweise nicht nachkommt (Günther SK Rdn. 46; ScMSchröder!Lenckner Rdn. 34 b). Das Merkmal entspricht ungeachtet der abweichenden

214

So Sehl Schröder!Lenckner mit eingehender Begründung unter Anknüpfung an die auch für Absatz 2 geltenden allgemeine Regeln der Erfolgszurechnung, wonach ein Zurechnungszusammenhang grundsätzlich zu verneinen ist, wenn die Kausalität zwischen dem Handeln des Erstverursachers und dem Erfolg erst durch das

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275

eigenverantwortliche Handeln eines Dritten, hier der Schwangeren, vermittelt wird (Rdn. 34 a). Dazu im Einzelnen, auch zu der Möglichkeit einer Ausschließung des Unterhaltsanspruchs, Rdn. 17 bis 19.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Umschreibung der Tathandlung dem Sich-Entziehen des Absatzes 1 (Rdn. 43, 44). Ohne Bedeutung ist, ob die Schwangere von dem Unterhaltspflichtigen Hilfe erbeten hat (Günther SK Rdn. 46; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 34 a).276 Wie das sich Entziehen (Rdn. 48) ist auch das Vorenthalten des Unterhalts nicht tatbestandsmäßig, wenn die Unterhaltsleistung aus Gründen scheitert, die in der Sphäre der Schwangeren liegen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34b). Entgegen der Voraussetzung des Absatzes 1 kommt es beim Absatz 2 nicht darauf an, daß durch das Vorenthalten des Unterhalts der Lebensbedarf der Schwangeren gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre. Stattdessen müssen nach dem Sinn der Vorschrift infolge der Vorenthaltung des Unterhalts für die Schwangere materielle Zwänge entstehen, die zumindest mitursächlich dafür sind, daß sie sich gegen das Kind entscheidet. Ob Mitursächlichkeit des Vorenthaltens trotz Leistungen Dritter, beispielsweise in Form der Gewährung öffentlicher Hilfe, besteht, ist eine Frage des Einzelfalls (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 34 b). 61

c) Der Unterhalt muß in verwerflicher Weise vorenthalten werden. Das Merkmal ist als Einschränkung des Tatbestandes zu verstehen, weil es im Grunde nur bedeuten kann, daß die Weigerung, Unterhalt zu leisten, als Tathandlung nicht ausreicht. 277 Welches die Anforderungen sind, die über die vorsätzliche, den Schwangerschaftsabbruch bewirkende Vorenthaltung der Unterhaltsleistung hinausreichen, ist in den Motiven des Gesetzes offen geblieben. Wo sonst im Strafgesetzbuch die Begriffe verwerflich oder in verwerflicher Weise verwendet werden (§§ 74 a Nr. 2, 240 Abs. 2, 253 Abs. 2) wird darunter ein Verhalten verstanden, das sich in besonderer Weise als sozialethisch negativ erweist, der Täter etwa gewissenlos handelt, aus übermäßig egoistischen Motiven eine Hilfe versagt, oder einen groben Mangel des Verantwortungsgefühls offenbart. 278 Andererseits geht die Vorschrift, anders als der frühere § 170c, nicht von einer umfassenden Hilfspflicht aus, sondern knüpft an den nur materiell ausgerichteten Beistand der gesetzlichen Unterhaltspflicht an, bei deren Feststellung schutzwürdige Belange des Täters schon im tatbestandlichen Element der Leistungsfähigkeit (Rdn. 38 bis 42) zu berücksichtigen sind. Der Kritik, die dem Merkmal keine nennenswerte eigenständige einschränkende Bedeutung beimisst (Schittenhelm NStZ 1997 171; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 34c; vgl. auch Lackneri Kühl Rdn. 13), ist daher zuzustimmen. Überdies dürfte das Unterlassen einer Unterhaltsleistung in Kenntnis des Umstandes, daß sie verhindern soll, die Schwangere in eine wirtschaftliche Lage zu bringen, in der sie glaubt, sich gegen das Kind entscheiden zu müssen, aus sich heraus immer auch verwerflich sein (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34c). Glaubt der Täter, zum vermeintlich Besten der Schwangeren zu handeln, etwa die Eltern der minderjährigen Schwangeren, wenn sie in Sorge um deren Zukunft im Schwangerschaftsabbruch das kleinere Übel sehen, kann Verwerflichkeit zu verneinen sein (Günther SK Rdn. 47). Ebenso liegt es bei nur geringfügigen, im Rahmen des Unterhaltsbedarfs insgesamt kaum ins Gewicht fallenden Unterhaltspflichtverletzungen, die ohnehin allein kaum der entscheidende Grund für den Entschluß, die Schwangerschaft abbrechen zu lassen, sein können (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 34c). Der Begriff des Vorenthaltens geht auf den E 1962 zurück, der statt des Merkmals Versagen der Hilfe des früheren § 170c von bloßem Vorenthalten der Hilfe spricht (§ 201; Begr. S. 355). Vgl. Beckmann ZfL 4 (1995) 31; Günther SK Rdn. 47; MaurachlSchroederlMaiwald 2 63 Rdn. 46; H. Otto Jura 1996 144; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 34c.

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Günther SK Rdn. 47 mit weiteren Einzelheiten; ferner Frommel N K Rdn. 11; Joecks Rdn. 5; Lackneri Kühl Rdn. 13; H. Otto Jura 1996 144; Tröndle N J W 1995 3018; vgl. aber auch Seht Schröder!Lenckner Rdn. 34c.

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3. Taterfolg ist der durch das Vorenthalten des Unterhalts bewirkte Schwangerschaftsabbruch.

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a) Als qualifiziertes Erfolgsunrecht gehört der Schwangerschafstabbruch zum Tatbestand. In der Tötung ungeborenen Lebens liegt das zusätzliche Erfolgsunrecht und in der verwerflichen Mißachtung der dem Täter gegenüber der Schwangeren und dem ungeborenen Kind obliegenden besonderen Verantwortung (Günther SK Rdn. 39). Das ergibt sich aus den Motiven (vgl. dazu Rdn. 6). Die daraus eindeutig erkennbare legislatorische Konzeption schließt die vom Bundesverfassungsgericht für denkbar erachtete (BVerfGE 88 203, 298) Möglichkeit, den Schwangerschaftsabbruch als objektive Bedingung der Strafbarkeit zu betrachten, aus.279 Auch die Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, die deutlich höher als die des Absatzes 1 und die des § 218 Abs. 1 ist, wäre mit objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, die Unrecht und Schuld nicht mitbegründen, kaum zu vereinbaren (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34). Gegen die Annahme eines erfolgsqualifizierten Delikts, das durch den Eintritt einer besonderen Folge gekennzeichnet ist, die mindestens fahrlässig herbeigeführt worden sein muß, spricht, daß selbst die §§ 218fF den Menschen bis zu seiner Geburt nur gegen vorsätzliche Tötung schützen (Günther SK Rdn. 39; and. Mauraehl SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 43). b) Voraussetzung der Strafbarkeit ist ein vorsätzlicher Schwangerschaftsabbruch. 6 3 Die Strafandrohung des Absatzes 2 soll verhindern, daß die Schwangere unter dem Einfluß ihres familiären Umfelds sich vorsätzlich gegen ihr ungeborenes Kind entscheidet. Dies folgt aus den von dem Vertrauen auf den Schutz des ungeborenen Lebens getragenen Beratungskonzept, das dem § 218 a Abs. 1 zugrunde liegt (näher dazu Rdn. 4, 5). Das Vorenthalten des Unterhalts muß die Schwangere nur zum vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch motiviert haben; für eine ungewollte Tötung des Embryos kann es nicht ursächlich seien (Günther SK Rdn. 49). Ob der Schwangerschaftsabbruch nach § 218 mangels Beratung oder wegen Überschreitung der Frist von mehr als zwölf Wochen seit der Empfängnis strafbar ist, oder er nach § 218 a Abs. 1 straflos bleibt, ist gleichgültig; beide Fälle sind in das Erfolgsunrecht des Absatzes 2 einbezogen (Günther SK Rdn. 49; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 34d). Gerechtfertigte Schwangerschaftsabbrüche scheiden hingegen aus. Dafür spricht, daß das Bundesverfassungsgericht seine Forderung einer Strafdrohung ausschließlich auf das Konzept einer Beratung vor allem in der frühen Phase der Schwangerschaft gestützt hat (BVerfGE 88 203, 296), die medizinisch-soziale Indikation des § 218 a Abs. 2 280 ebenso wie die kriminologische Indikation des § 218 a Abs. 3 auf eine Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage (§ 219) jedoch verzichten. Hinzu kommt, daß bei einem gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des Absatzes 2, die im Vergleich mit der des § 218 unverhältnismäßig wäre, aber auch kein gesteigertes Erfolsgunrecht besteht. 281

279

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Günther SK Rdn. 39; Schittenhelm NStZ 1997 172; SehlSchröderlLenckner Rdn. 34; and. Beckmann Z f L 4 ( 1 9 9 5 ) 31. Die soziale Komponente dieses Tatbestandes, die eine Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren einbezieht, ist der Ausgleich für die zur Vermeidung einer Diskriminierung abgeschafften embryopathischen Indikation, nach der ein Schwangerschaftsabbruch wegen einer Behinde-

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281

rung des zu erwartenden Kindes bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche zulässig war. Günther SK Rdn. 49; and. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 34d am Beispiel einer Mutter, die trotz des Vorliegens einer eindeutigen embryopathischen Indikation zunächst noch unentschlossen oder sogar zum Austragen und zur Betreuung eines behinderten Kindes bereit ist, sich erst durch das Vorenthalten ihres Unterhalts gezwungen sieht, diesen durch eigene Arbeit selbst

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c) Bewirken bedeutet, d a ß die Unterhaltsverweigerung des auch gegenüber d e m ungeborenen K i n d garantenpflichtigen Unterhaltsschuldners ( R d n . 57) ü b e r die d u r c h sie e n t s t a n d e n e G e f a h r d u n g des Lebensbedarfs der Schwangeren f ü r den A b b r u c h der Schwangerschaft ursächlich geworden ist (Günther S K R d n . 50; Sehl Schröder/Lenckner R d n . 34 d). F ü r diesen K a u s a l z u s a m m e n h a n g sind die f ü r das Unterlassungsdelikt ( R d n . 43, 61) geltenden G r u n d s ä t z e m a ß g e b e n d . D e s h a l b ist zu fragen, o b es, wenn der T ä t e r p f l i c h t g e m ä ß den geschuldeten U n t e r h a l t geleistet hätte, nicht z u m Schwangerschaftsabbruch g e k o m m e n wäre (SchlSchröderILenckner R d n . 34d). D a v o n ist auszugehen, wenn f ü r die Schwangere d u r c h d a s Ausbleiben des U n t e r h a l t s eine wirtschaftlich-soziale N o t l a g e e n t s t a n d e n ist, die zu ihrem E n t s c h l u ß g e f ü h r t hat, die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. D a b e i b r a u c h t d a s Vorenthalten des U n t e r h a l t s n u r ein M e r k m a l neben a n d e r e n zu sein, so d a ß der S c h w a n g e r s c h a f t s a b b r u c h n u r d a n n v o m Unterhaltspflichtigen nicht m e h r bewirkt ist, w e n n ausschließlich andere, mit der d u r c h das Vorenthalten des U n t e r h a l t s geschaffenen materiellen Situation nicht z u s a m m e n h ä n g e n d e G r ü n d e zu d e m Schwangerschaftsabbruch g e f ü h r t haben. 2 8 2 So ist d a s Vorenthalten des U n t e r h a l t s nicht ursächlich, wenn die gestörte Partnerschaftsbeziehung f ü r die E n t s c h e i d u n g gegen d a s K i n d ausschlaggebend w a r (Günther S K R d n . 50; Lackneri Kühl R d n . 13; Tröndle N J W 1995 3018), oder sie d a s Vorenthalten des U n t e r h a l t s zumindest als e m o t i o n a l e A b w e n d u n g deutete (Schittenhelm N S t Z 1997 171; SchlSchröderILenckner R d n . 34d). O h n e B e d e u t u n g ist, o b die materielle Zwangslage bereits bestand, als die Schwangere sich gegen d a s K i n d entschied, oder sie deren Eintritt nur befürchtete, etwa weil sie nicht m e h r berufstätig sein konnte, u n d der Unterhaltspflichtige auch weiterhin keine Z a h l u n g e n leisten w ü r d e (SchlSchröderILenckner R d n . 34d). L e h n t e die Schwangere die ihr von nicht unterhaltspflichtigen D r i t t e n a n g e b o t e n e finanzielle U n t e r s t ü t z u n g aus achtenswerten G r ü n d e n , so wenn sie beispielsweise den selbst in bescheidenen Verhältnissen lebenden Eltern nicht zur Last fallen wollte, ab, entlastet dies den säumigen Unterhaltspflichtigen nicht; lebt sie aber tatsächlich von der Hilfe anderer, entfallt die Strafbarkeit aus A b s a t z 2, weil d a n n die Unterhaltsverweigerung eine den E n t s c h l u ß z u m Schwangerschaftsabbruch bewirkende materielle Zwangslage nicht herbeigeführt h a b e n kann. 2 8 3 Schließlich entfallt die Strafbarkeit des Unterhaltspflichtigen regelmäßig a u c h d a n n , wenn er den U n t e r h a l t , f ü r die Schwangere erkennbar, nur vorübergehend nicht leistet (Schittenhelm N S t Z 1997 171; SchlSchröderILenckner R d n . 34d).

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IV. Die Rechtswidrigkeit k a n n vor allem d u r c h Pflichtenkollision entfallen, beispielsweise, wenn d a s L a n d , in d e m der Unterhaltsberechtigte lebt, Geldüberweisungen verbietet ( O L G H a m m N J W 1960 1632; Welzel Strafrecht § 63 III 2 b). Hingegen beseitigt die Einwilligung des Unterhaltsberechtigten, wie sie namentlich in einem rechtswirksamen Unterhaltsverzicht liegt (näher d a z u R d n . 24), nicht erst die Rechtswidrigkeit der Unterhaltspflichtverletzung, vielmehr entfallt bereits der Tatbestand {SchlSchröderILenckner R d n . 32). Rechtfertigender N o t s t a n d läßt sich nur bei konstruierten Beispielsfällen in Betracht ziehen (Schmidhäuser B T 13/13).

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V. D e r innere Tatbestand verlangt f ü r beide T a t b e s t ä n d e Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt.

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zu verdienen und deshalb den Schwangerschaftsabbruch für notwendig erachtet hat. SchlSchröderILenckner Rdn. 34d; einschränkend MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 48, wonach bei mehreren Motiven das Vorent-

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halten des Unterhalts immerhin das bestimmende gewesen sein muß. Lackneri Kühl Rdn. 13; Schittenhelm NStZ 1997 171; SchlSchröderILenckner Rdn. 34d; vgl. auch Günther SK Rdn. 50.

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1. Der Vorsatz bei Absatz 1 muß die Kenntnis der Unterhaltspflicht, der Leistungsfähigkeit, der durch die Unterhaltsverweigerung bewirkten Gefahrdung des Lebensbedarfs oder der Möglichkeit der Gefährdung bei Ausbleiben fremder Hilfe und das Bewußtsein, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, umfassen (Günther SK Rdn. 35). Das ist auch bei demjenigen Unterhaltspflichtigen anzunehmen, der Zweifel an seiner Unterhaltspflicht hat, bestimmte Handlungen, etwa die Aufgabe seines Arbeitsplatzes oder die Verschleuderung seines Vermögens, aber vornimmt, um auf jeden Fall, also auch, wenn sich seine Unterhaltspflicht herausstellen sollte, die Erfüllung zu vereiteln; hier liegt direkter Vorsatz in Form der Absicht vor (Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 33). Bedingter Vorsatz genügt in jeder Beziehung.284 Doch ist bewußte Nichterfüllung vorausgesetzt. 285 Ein mißbilligenswertes Motiv des Unterhaltspflichtigen wird nicht verlangt. 286 Entgegen einer früher verbreiteten Auffassung 287 kann das Erfordernis einer feindseligen Einstellung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten oder einer verwerflichen Gesinnung, wie etwa übermäßig egoistischer Gleichgültigkeit, auch nicht dem Merkmal des Sich-Entziehens entnommen werden; das läßt der klare Wortlaut des Gesetzes nicht zu.288 Bei der weiten Fassung des äußeren Tatbestandes sind allerdings an den Nachweis der inneren Tatseite strenge, wenn auch nicht strengere Anforderungen als sonst zu stellen.289 Soll etwa das tatbestandliche Handeln in der Zerstörung der Leistungsfähigkeit gefunden werden, so muß der Vorsatz alle Umstände erfassen, die unmittelbar für den Eintritt der Leistungsunfahigkeit ursächlich sind, sich aber auch darauf erstrecken, daß die Unterhaltspflicht infolgedessen nicht mehr erfüllt werden kann, und dadurch der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet wird (BGHSt. 14 165, 168 mit Anm. Frankel LM StGB § 170 b Nr. 6; Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 34). So liegt beispielsweise ein bedingter Vorsatz noch nicht vor, wenn der Unterhaltspflichtige, der Zweifel an seiner Unterhaltspflicht

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So die inzwischen einhellige Auffassung, z.B. BGHSt. 14 165, 168 mit Anm. Frankel LM StGB § 170 b Nr. 6; BGH NStZ 1985 166; O L G Celle NJW 1955 563, 564; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; O L G Hamm N J W 1955 153, 154; M DR 1969 500 ; OLG Köln N J W 1981 63; OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205; O L G Zweibrücken DAVorm. 58 (1985) 499; Brühl! Göppingerl Mutschier Rdn. 1019; Dalckel Fuhrmann/Schäfer Anm. 2; Frommel N K Rdn. 12; Günther SK Rdn. 51; Lackneri Kühl Rdn. 11; Maurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 40; Pfeiffer! Maull Schulte Anm. 4; Preisendanz Anm. 7; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 33; Tröndle!Fischer Rdn. 12. Teilweise war dem Begriff des Sich-Entziehens entnommen worden, daß für das Wissen des Unterhaltspflichtigen um seine Unterhaltspflicht, seine Leistungsfähigkeit und seine Leistungsverweigerung dolus eventualis nicht ausreiche (Seh!Schröder17 Rdn. 24). Zu einer solchen Einschränkung besteht auch bei teleologischer Betrachtung kein Anlaß, wenn die den bedingten Vorsatz kennzeichnende Gleichgültigkeit des Täters (Seh! Schröder! Cramer! Sternberg-Lieben § 15 Rdn. 84) nicht schon aus dem Für-Möglich-Halten des Bestehens einer Unterhaltspflicht gefolgert wird (Seh!Schröder! Lenckner Rdn. 33).

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OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Günther SK Rdn. 35; TröndlelFischer Rdn. 12; vgl. auch O L G Düsseldorf NJW 1953 1805. Das Vorbild der früheren Fassung des Art. 217 SchweizStGB, der bösen Willen, Arbeitsscheu oder Liederlichkeit des Unterhaltspflichtigen voraussetzte, hat sich für § 170 Abs. 1 nicht durchsetzen können. Doch liegen dem ebenso wie insgesamt dem Scheitern der Reformbemühungen achtbare Überlegungen zugrunde (vgl. auch Rdn. 3 mit Fn. 24, 25). Kriminalpolitisch unbefriedigend (Mäurach! Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 40) ist der subjektive Tatbestand daher aus diesem Grunde jedenfalls nicht. KohlrauschlLange Anm. I; Maurach BT § 49 II F 3; Sauer BT § 42 III 4b; Weìzel Strafrecht § 63 III 2a α. BGHSt. 14 165, 167 mit Anm. Frankel LM StGB § 170b Nr. 6; BayObLGSt. 1951 511, 512; OLG Hamm JZ 1952 690, 691 mit Anm. Schönke\ Walt. Becker N J W 1955 1907; Günther SK Rdn. 35; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 33; Sturm JZ 1974 2. BGHSt. 14 165, 168; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Maurach!Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 24; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 33; vgl. auch schon Rdn. 3.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

hat, den Unterhalt zunächst nur deshalb nicht leistet, weil er die gerichtliche Klärung abwarten möchte. 290 Unterläßt der Täter Maßnahmen, durch die er leistungsfähig geworden wäre (vgl. Rdn. 41), muß auch der bedingte Vorsatz nicht nur den Eintritt der Leistungsunfähigkeit, sondern auch die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens umfassen (BayObLGSt. 1988 93; OLG Düsseldorf NStZ 1992 337; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 33). 67

2. Für Absatz 2 gilt zunächst, daß die Strafbarkeit entfällt, soweit schon bei dem Grundtatbestand des Absatzes 1 der Vorsatz fehlt (Günther SK Rdn. 51; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 34e). Weitergehend verlangt Absatz 2 zumindest bedingten Vorsatz in Form der Kenntnis, daß die Unterhaltspflicht gegenüber einer Schwangeren besteht 0Günther SK Rdn. 51; vgl. dazu auch BTDrucks. 13/1850 S. 25). Auch muß der Täter die Umstände, die seine besondere Verantwortlichkeit für die Schwangere und das ungeborene Kind (Rdn. 57) begründen, kennen (vgl. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34e). Zumindest bedingter Vorsatz muß ferner hinsichtlich des Kausalzusammenhangs von Unterhaltspflichtverletzung und Schwangerschaftsabbruch gegeben sein.291 Schließlich gehört zum Vorsatz die Kenntnis der Umstände, aus denen sich sein Handeln in verwerflicher Weise ergibt (Günther SK Rdn. 50).

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VI. Der Irrtum des Unterhaltspflichtigen über die Umstände, die seine Unterhaltspflicht begründen, ist Tatbestandsirrtum (§ 16), nicht Verbotsirrtum (§ 17). Dies gilt, da bei einem vorsätzlichen echten Unterlassungsdelikt, wie § 170 Abs. 1 es darstellt (Rdn. 43), nach inzwischen gefestigter Auffassung nur die pflichtbegründenden Umstände vom Vorsatz umfaßt sein müssen, nicht hingegen die daraus erwachsende Rechtspflicht, 292 auch bei Fehlvorstellungen des Unterhaltspflichtigen über das rechtliche Bestehen der Unterhaltspflicht selbst.293 Nur vereinzelt wird angenommen, daß sich der Unterhaltspflichtige, der sich über seine Unterhaltspflicht trotz Kenntnis des gesamten Sachverhalts irrt, in einem Verbotsirrtum (Gebotsirrtum) befinde, der allerdings in der Regel nach rechtskräftigem Zivilurteil entfalle (OLG Stuttgart NJW 1960 2204; Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 35). Diese Auffassung übersieht, daß die Unterhaltspflicht Tatbestandsmerkmal ist, und auch die Leistungsfähigkeit als Element des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört (vgl. dazu Rdn. 38). Dementsprechend ist beispielsweise der Vorsatz ausgeschlossen, wenn der Unterhaltspflichtige, der die unterhaltsbegründenden Umstände nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts kennt, sich über die der Leistungsfähigkeit zugehörige Rangfolge der Unterhaltsberechtigten irrt 294 oder bei der Unterhaltspflicht gegenüber einem geschiedenen Ehegatten irrig davon ausgeht, daß nach der Scheidung Unterhaltspflichten nicht mehr bestehen (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 33a). 290

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292

OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Frommel N K Rdn. 11; Lackneri Kühl Rdn. 11 (unter Hinweis auf Frisch Vorsatz und Risiko [1983] S. 368); Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 33. Günther SK Rdn. 51; Lackneri Kühl Rdn. 13; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 34e; and. Mäurach! Schroeder! Maiwald 2 § 63 Rdn. 47 (Annahme eines erfolgsqualifizierten Delikts mit der Folge der Anwendung des § 18). Vgl. BGHSt. 19 295, 298 mit Anm. Hengsberger LM StGB § 138 Nr. 1 und Bespr. Geilen JuS 1965 426; SchlSchröderlCramerlSternberg-Lieben § 15 Rdn. 92. Für das vorsätzliche unechte Unterlassungsdelikt vgl. BGHSt. 16 155, 158 ff

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(GrSSt.); Maurach AT § 46 II Β 2; Welzel Strafrecht § 27 A III. So ζ. B. BayObLGSt. 1994 65, 66; OLG Celle NdsRpfl. 1962 211; O L G Köln NJW 1981 63, 64; OLG Stuttgart N J W 1962 1631; O L G Zweibrücken N J W 1987 1899; NStZ 1992 337; Fromme! N K Rdn. 13; Günther SK Rdn. 35; Lackner/Küh! Rdn. 11; Maurach!Schroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 41; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 33 a; Tröndle!Fischer Rdn. 12. BayObLGSt. 1994 65, 66 ; O L G Köln N J W 1981 63; Gunther SK Rdn. 36; LacknerlKühl Rdn. 11; Maurach!SchroederIMaiwald 2 § 63 Rdn. 41; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 33a.

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Ebenso liegt es bei der irrigen Annahme des Unterhaltspflichtigen, eine Gefahrdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten werde, etwa wegen Zahlungen Dritter, nicht eintreten (BGH NStZ 1985, 166; Günther SK Rdn. 36; Sehl Schröder!Lenckner Rdn 33 a), bei mangelnder Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von der Verzichtsbereitschaft eines vorrangig befriedigten Gläubigers (BayObLGSt. 1994 65; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 33 a) und bei seiner Annahme, die Unterhaltsverpflichtung richte sich stets nur nach dem tatsächlich verfügbaren Einkommen (OLG Köln NStZ 1992 337; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 33 a). Auch in der Vorstellung des Unterhaltspflichtigen, trotz seiner rechtskräftigen Verurteilung zur Unterhaltsleistung nicht unterhaltspflichtig zu sein, kann ein Tatbestandsirrtum liegen.295 Hingegen entfallt bei einem klageabweisenden Unterhaltsurteil schon der Tatbestand {Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 33 a; and. Günther SK Rdn. 36 [regelmäßig Vorsatzausschluß]). Für Absatz 2 gilt ebenso wie beim Vorsatz, daß die Strafbarkeit entfallt, soweit schon beim Grundtatbestand Tatbestandsirrtum anzunehmen ist. Darüber hinaus kann der Unterhaltspflichtige, der sich bewusst ist, den Grundtatbestand zu verwirklichen, auf zutreffender Tatsachenbasis über die Verwerflichkeit des Vorenthaltens irren. Er befindet sich dann in einem Verbotsirrtum über das qualifizierte Unrecht des Absatzes 2 (Günther SK Rdn. 51). VII. Täterschaft und Teilnahme sind nicht unproblematisch. Höchst streitig war ehedem, ob auch ein gesetzlicher Vertreter, etwa der Vormund minderjähriger oder der Betreuer erwachsener Unterhaltspflichtiger, unter den Tatbestand fällt.296 Durch das rechtliche und soziale Verhältnis, das eine gesetzliche Unterhaltspflicht voraussetzt, ist die Tat Sonderdelikt (Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 36; Roeder ZStW 69 [1957] 248), so daß Täter nur der Unterhaltspflichtige selbst sein kann. Obwohl der Unterhaltspflicht nach wie vor nicht jeder sozial-ethische Bezug abgesprochen werden kann, hat sich inzwischen die Meinung durchgesetzt, daß, weil bei der Unterhaltspflicht zumindest eine Schuldmitübernahme möglich, ihre Erfüllung durch andere also zulässig ist, die Stellung des Unterhaltspflichtigen in § 170 als besonderes persönliches Verhältnis im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 3 gelten muß {Seh!Schröder!Lenckner! Perron § 14 Rdn. 10/11). Täter des Absatzes 1 kann danach auch der gesetzliche Vertreter des Unterhaltspflichtigen sein.297 Bei der Täterschaft nach Absatz 2 schließt das Erfordernis der Beschützer-Garantenstellung (Rdn. 57) die Einbeziehung gesetzlicher Vertreter aus. Mittäterschaft liegt vor, wenn zwei Personen der Schwangeren Unterhalt schulden, und sich beide dieser Verpflichtung entziehen. Besser werden sie jedoch als Nebentäter anzusehen sein, weil jeder nur eine individuell-persönliche Obligation verletzt (Roxin TuT S. 357). Strafbare Teilnahme am Unterlassungsdelikt ist möglich und zwar Anstiftung uneingeschränkt, Beihilfe regelmäßig nur in Form der psychischen Unterstützung durch Bestärkung des Entschlusses.298 Anstiftung findet sich 295

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Günther SK Rdn. 36; Koffka JR 1968 229 (Anm. zu OLG Köln JR 1968 227); Seh!Schräder!Lenckner Rdn. 33 a. Vgl. dazu Niederschriften Bd. 4 S. 313 (Koffka), 315 (Schäfer), 316 (Baldus), 319 (Jescheck, Schafheutie), 320 (Gallas). Blauth S. 125; H -J Bruns GA 1982 17 f; Jakobs AT 21. Abschn Rdn. 12; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 35; Seh!Schröder!Lenckner!Perron § 14 Rdn. 10/11; Wiesener S. 176f; Schänemann LK § 14 Rdn. 41; and. (höchstpersönliches, nicht auswechselbares Merkmal) Marxen NK § 14 Rdn. 27; Tröndle!Fischer § 14 Rdn. 2.

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Allgemeine Auffassung (z. B. SchiSchröder!Cramer/Heine Vorbem §§ 52 ff Rdn. 92; Stree GA 1963 3; vgl. auch Neudek S. 62). Die gegenteilige Meinung, weil bei der Unterlassungstat kein „Unterlassungsvorsatz" existiere, könne das Wesensmerkmal der Anstiftung, einen Tatentschluß zu wecken, nicht erfüllt werden (Arm. Kaufmann S. 190 ff, 317; Welzel Strafrecht § 27 V 2), hat sonst nur Widerspruch gefunden (vgl. etwa Stree GA 1963 1 ff; Neudek S. 62; Roxin LK § 26 Rdn. 21).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

namentlich bei solchen Dritten, die aus der Nichtleistung des Unterhaltspflichtigen Nutzen ziehen. Beihilfe ist denkbar durch Unterstützung des Unterhaltspflichtigen im Zivilprozeß, in dem unmittelbar über das Bestehen der Unterhaltspflicht entschieden wird, beispielsweise durch eine unrichtige Zeugenaussage. Außerhalb eines Rechtsstreits wird Beihilfe vor allem im Zusammenhang mit der Verschleierung von Arbeitseinkommen des Unterhaltspflichtigen geleistet, etwa durch Beteiligung beim Abschluß eines Lohnschiebungsvertrages (§ 850 h Abs. 1 ZPO) oder eines Dienstverschleierungsvertrages (vgl. § 850h Abs. 2 ZPO), sowie zur Unterstützung eines Prozeßbetrugs durch falsche Auskünfte (§ 643 Abs. 2 ZPO), wobei dem Dritten stets bewußt sein muß, daß der Unterhaltspflichtige sich seiner Verpflichtung entziehen will (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 35). Ob die Unterhaltspflicht eine persönliche Eigenschaft im Sinne des § 28 Abs. 1 darstellt, ist umstritten. Die es verneinende Auffassung knüpft an die unvertretbaren Bindungen zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltspflichtigem an. 299 Dem läßt sich jedoch entgegenhalten, daß die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung nur ein kleiner Teil der familiären Obhutspflichten ist, die von Dritten sogar durch schlüssiges Verhalten übernommen werden können (näher § 171 Rdn. 5), sogar als Garantenstellung für Leib und Leben im Rahmen des § 13 (Schünemann LK Rdn. 41). Die dem Teilnehmer an der Tat des § 170 Abs. 1 den Anspruch auf Strafmilderung zubilligende Auffassung (Gerì S. 130; Roxin LK § 28 Rdn. 66; Schünemann LK § 14 Rdn. 41) ist daher vorzuziehen. 300 70

VIII. Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Austragung einer Vorfrage im bürgerlich-rechtlichen Streitverfahren nach den §§ 154d, 262 Abs. 2 StPO ist bei § 170 Abs. 1 vergleichsweise häufig anzutreffen (F.-W. Krause GA 1969 99). Sie kommt namentlich dann in Betracht, wenn eine Vaterschaftsanfechtungsklage oder eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Vaterschaftsverhältnisses (§ 640 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO i.V.m. den §§ 1599ff BGB) oder eine Restitutionsklage (§§ 580, 641 i ZPO) anhängig ist (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 14).

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IX. Als Rechtsfolgen sehen Absatz 1 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, Absatz 2 Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Beide Sanktionsarten sind im Hinblick auf das Schutzgut, den Unterhaltsberechtigten vor Gefahrdung seines Lebensbedarfs zu bewahren (vgl. Rdn. 7, Vor § 169 Rdn. 12) problematisch. In ihnen spiegelt sich die kriminalpolitische Ambivalenz des Tatbestandes wider, der einerseits auf die erwünschte generalpräventive Wirksamkeit der Strafdrohung setzt, andererseits aber bei seiner Anwendung diesen Zweck geradezu vereitelt, weil der eine Freiheitsstrafe verbüßende Unterhaltspflichtige kaum in der Lage sein wird, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, und eine Geldstrafe per se zu Lasten des Unterhaltsberechtigten geht.301 Andererseits erweist sich gerade bei der Unterhaltspflichtverletzung eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung mit der Auflage, der Unterhaltspflicht nachzukommen (§ 56 c Abs. 2 Nr. 5), zur Bewährung ausgesetzt

**> Blauth S. 125f; Marxen AK § 14 Rdn. 27; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 35; LK Voraufl. Rdn. 72. 300 Vgl. auch § 171 Rdn. 18 (zur Eigenschaft des zur Fürsorge und Erziehung Verpflichteten), § 172 Rdn. 12 (zur Eigenschaft, Partner einer Doppelehe zu sein) und § 173 Rdn. 32 (zur Verwandteneigenschaft). 301 Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 43; ähnlich Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 37; Schmid-

häuser BT 13/14; Staudingerl Engler Vorbem zu § 1601 ff Rdn. 129; ferner Lackneri Kühl Rdn. 13; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 37; Tröndlel Fischer Rdn. 13; vgl. auch den ausführlichen Meinungsaustausch in den Beratungen des Sonderausschusses (Prot. VI/33 S. 1202 ft); die Kritik an der Sanktion darf sich freilich nicht bis zu einem Strafzumessungsgrund steigern (LG Koblenz M D R 1982 70; H.-J. Bruns Leitfaden S. 36).

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ist, als die wirksamste Sanktion (BTDrucks. VI/3521 S. 14); auch wird vielfach eine unter sechs Monaten liegende Freiheitsstrafe, die wegen besonderer, in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegender Umstände 302 als unerläßlich verhängt werden muß (§ 47 Abs. 1), bei Fehlen einschlägiger Vorstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können (TröndlelFischer Rdn. 13; vgl. auch OLG Bremen JR 1961 226, 228). Indessen gilt § 47 uneingeschränkt {TröndlelFischer Rdn. 13). Daher dürfte eigentlich auch bei Unterhaltspflichtverletzungen die kurzfristige Freiheitsstrafe nur ultima ratio sein (OLG Köln NJW 1981 63, 64). Die strafgerichtliche Praxis jedoch zeigt ein anderes Bild. Ungeachtet des § 47 ist der Anteil der Freiheitsstrafen bei Verurteilungen nach § 170 Abs. 1 im Vergleich mit denen bei anderen Tatbeständen extrem hoch. 303 Die Ausnahmeregelung wird bei der Strafzumessung, um dem Schutzzweck des § 170 Abs. 1 zu genügen, also gröblich mißachtet (Thalmann/Thalmann BewH 35 [1988] 168). Die Härteklausel des § 459 f StPO hilft in der Regel ebenfalls nicht weiter {LackneriKühl Rdn. 14; TröndlelFischer Rdn. 13). Auch die Ausschöpfung zivilprozessualer Maßnahmen {Ostermann Z R P 1995 204 f) bietet kein geeignetes Äquivalent {Zarbock ZfJ 82 [1995] 344). Deshalb kann bis zur Einführung einer Arbeitsstrafe 304 vielfach nur die Anwendung von § 153 a StPO zu einer angemessenen Lösung führen {StaudingerlEngler Vorbem zu §§ 160 Iff Rdn. 129; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 37; Tröndlel Fischer Rdn. 13).305 Das Verfahren nach dieser Vorschrift empfiehlt sich um so mehr, als es sich kriminalpolitisch um eine, rechtstechnisch freilich ganz anders ausgestaltete, Variante der Strafaussetzung zur Bewährung handelt {Kleinknecht/Meyer-Goßner § 153a Rdn. 2).306 Der Gedanke, daß § 153a StPO im Grunde den ultima-ratioCharakter des materiellen Rechts weiterentwickelt (vgl. Rieß NStZ 1981 6), findet so bei § 170 Abs. 1 seine besondere Berechtigung. Bei der Behandlung des Einzelfalls muß darauf geachtet werden, daß die Auflage nach § 153 a Abs. 1 Nr. 4 StPO, wie auch die Weisung nach § 56 c Abs. 2 Nr. 5 bei einer Strafaussetzung zur Bewährung, nicht zur Benachteiligung anderer Unterhaltsberechtigter führen (OLG Stuttgart M D R 1977 1034). Deshalb sollten vorhandene Unterhaltstitel aller dem Täter gegenüber Berechtigten stets herangezogen und mitberücksichtigt werden {Sch/Schrö-

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So wenn der Unterhaltspflichtige sich hartnäckig verweigert (LG Koblenz M D R 1982 70; Hirsch LK 1 0 § 47 Rdn. 20; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 37; Tröndlel Fischer Rdn. 13), etwa seinen Arbeitsplatz aufgibt, um sich der Verpflichtung zu entziehen (Horstkotte N J W 1969 1603), oder seinen Aufenthaltsort, möglicherweise aber auch nur seinen Arbeitsplatz, verheimlicht (TröndlelFischer Rdn. 13; BayObLG NStE § 170b Nr. 5). Für die insoweit erforderliche Würdigung der Tat und der Täterpersönlichkeit beispielhaft AG Köln DAVorm. 1983 72, 75. Der Anteil der Geldstrafen bei Verurteilungen nach § 170 b betrug nach einer Untersuchung der Strafverfolgungsstatistiken für die Jahre 1987 bis 1991 5,56% gegenüber 96% bei denen nach anderen Delikten desselben Strafrahmens (•Gotting NStZ 1998 544; vgl. dazu auch die Angaben Vor § 169 Rdn. 17 Fn. 55). Sie wäre im Prinzip für das Strafrecht nicht neu (vgl. schon den früheren § 361 Nr. 5; dazu Entstehungsgeschichte mit Fn. 1), wird auch vielfach gefordert (vgl. schon Toebelmann Diss. S. 15 im Anschluß an die schweizerische Rege-

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lung) und ist als Ergänzung des Sanktionensystems in größerem Rahmen immer wieder erörtert worden. Ihre besondere Dringlichkeit für den Bereich des Absatzes 1 hatte der Sonderausschuß erkannt, sich zu einer Vorwegnahme der Maßnahme jedoch nicht entschließen können (BTDrucks. VI/3521 S. 14). Gewisse Möglichkeiten sind durch § 20 BSHG (Rdn. 22 Fn. 83) eröffnet worden. Auch schon vor Einführung des § 153 a StPO ist, namentlich im Hinblick auf den zur Einsicht gelangten Täter, der Grundsatz der Opportunität stark betont worden, beispielsweise bei Walt. Becker Rpfleger 1953 292; N J W 1955 1908; Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 41. Das wird von der an grundsätzlich verfahrensrechtliche Erwägungen anknüpfende, neuerdings in der Kontroverse über Notwendigkeit, Form und rechtpolitische Bedeutung der Verfolgung von Bagatellkriminalität wieder aufgeflammten (TröndlelFischer § 248a Rdn. 9) Kritik an § 153 a StPO nicht oder zu wenig beachtet.

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der/Lenckner Rdn. 37). Zu denken ist auch an die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 (dazu grundsätzlich E. Horn NJW 1980 106 ff; Schöch Festschrift Baumann S. 25 fi). Ihre Anwendung bei Unterhaltspflichtverletzungen ist nach der bei Diebstahl und Betrug zwar die häufigste, läßt auch eine ansteigende Tendenz erkennen (vgl. die Statistik bei Schöch Festschrift Baumann S. 267), könnte in Anbetracht der großen kriminalpolitischen Bedeutung des Tatbestandes (Vor § 169 Rdn. 17) aber einen weitaus höheren Stellenwert einnehmen. Die systemwidrige Zuordnung des Absatzes 2 als Qualifikation des Absatzes 1 (vgl. Rdn. 6) führte notwendigerweise zur Festsetzung einer über das Höchstmaß der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren des Absatzes 1 erheblich hinausreichenden Strafandrohung in Absatz 2. Sie ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren im Ergebnis dem Höchstmaß der Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs gegen den Willen der Schwangeren (§218 Abs. 2 Nr. 1) und der Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch (§ 240 Abs. 4 Nr. 2) gleichgestellt worden, wobei es sich allerdings bei beiden Tatbeständen im Gegensatz zu § 170 Abs. 2 um Regelbeispiele eines besonders schweren Falles handelt. Das hat die Strafzumessung auch für eine Tat nach § 170 Abs. 1 nicht gerade erleichtert. Bei der Strafzumessung für eine Tat nach § 170 Abs. 2 darf ein zur Unterhaltspflichtverletzung in verwerflicher Weise hinzukommendes Versagen des seelischen Beistandes für die Schwangere nicht berücksichtigt werden, nachdem der Gesetzgeber bewußt davon abgesehen hat, eine derartige Unterstützung mit den Mitteln des Strafrechts zu erzwingen (SehlSchröder/Lenckner Rdn. 37). 72

X. Die Verjährung richtet sich nach den Grundsätzen der Dauerstraftat (Rdn. 74). Sie beginnt erst, wenn der Dauerzustand beseitigt ist (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 37), der Unterhaltspflichtige also durch eigenes Zutun die Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten abgewendet hat (Maurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 42). Für den vom Tatrichter abgeurteilten Teil der Dauerstraftat wird, weil durch die in vollem Umfang angefochtene erstinstanzliche Verurteilung die Unterhaltspflichtverletzung weder beendet noch in zwei rechtlich selbständige Straftaten zerlegt worden ist (vgl. auch Rdn. 74), keine gesonderte Verjährungsfrist in Lauf gesetzt (BayObLG NJW 1958 110 zu § 67 Abs. 4 a. F.).

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XI. Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig, wenn ein zivilrechtliches Urteil, auf das sich das Strafurteil gründet, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben wurde (§ 359 Nr. 4). Das frühere Urteil muß im zivilgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (§§ 578 ff ZPO) beseitigt worden sein, wobei es genügt, wenn das neue Urteil wenigstens inhaltlich von den Feststellungen des früheren Urteils abweicht (KleinkneehtlMeyer-Goßner § 359 Rdn. 18; Löwe!Rosenberg!Gössel § 359 Rdn. 48). Gegründet ist die Verurteilung des Unterhaltspflichtigen auf die zivilrechtliche Entscheidung, wenn es sich um ein den Strafrichter bindendes Gestaltungsurteil, etwa ein Ehescheidungs- oder Eheaufhebungsurteil, oder sonst ein für und gegen alle wirkendes Urteil, wie die Feststellung der Vaterschaft (§§ 1600d BGB, §§ 640 ff ZPO), handelt (vgl. dazu Rdn. 27). Auch ohne eine solche bindende Wirkung ist das Strafurteil auf ein Zivilurteil gegründet, wenn dieses beispielsweise als urkundliche Beweisgrundlage verwendet oder sonst in strafprozessual zulässiger Weise verwertet wurde, während es an der begründenden Wirkung bei einem nachträglich ergehenden, dem Strafurteil entgegenstehenden Zivilurteil fehlt (Löwe!Rosenberg!Gössel § 359 Rdn. 49). Dabei kommt es auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Zivil- und Strafurteil an, der dargelegt werden muß (Kleinkneehtl Meyer-Goßner § 359 Rdn. 20; Löwe/Rosenberg!Gössel § 359 Rdn. 50). Zuzulassen ist die Wiederaufnahme mit dem Ziel der Einstellung des Verfahrens. Andere WieStand: 1. 7. 2003

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deraufnahmegründe können nur geltend gemacht werden, wenn eine den Strafrichter bindende zivilgerichtliche Feststellung der Unterhaltspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt (vgl. OLG Düsseldorf NStE 170 b Nr. 8). Hiervon abgesehen hat der besondere Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 4 StPO insofern nur geringe Bedeutung, weil der Wegfall eines zivilgerichtlichen Urteils, auf dem das Strafurteil beruht, stets eine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO ist (Löwe!Rosenberg! Gössel § 359 Rdn. 45). XII. Zu den Konkurrenzen bestehen Zweifelsfragen mehr bei mehreren Unterhalts- 7 4 Pflichtverletzungen, sei es gegenüber einem Unterhaltsberechtigten oder sei es gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten, als beim Zusammentreffen der Tatbestände mit anderen Straftatbeständen. 1. Die Einordnung des Zusammentreffens mehrerer Unterhaltspflichtverletzungen gegenüber einem Unterhaltsberechtigten bestimmt sich nach dem Deliktscharakter der Vorschrift, bei der es sich zwar nicht schlechthin, jedoch dann, wenn ein entsprechender Vorsatz vorliegt, um eine Dauerstraftat handelt; denn regelmäßig schafft der Unterhaltspflichtige durch die strafbare Willensbetätigung einen andauernden rechtswidrigen Zustand, den er willentlich aufrecht erhält. 307 Das strafbare Verhalten beginnt mit der Gefährdung und endet mit ihr (SehlSchröder/Lenckner Rdn. 36). Sonst kann die Tat sowohl durch die Leistung von Unterhalt (z. B. OLG Hamm NJW 1965 877, 878), als auch dadurch ihren Abschluß finden, daß die Leistungsfähigkeit entfallt, etwa wegen Krankheit (OLG Hamm M D R 1973 690) oder infolge des Antritts einer Haftstrafe (RG DR 1940 1671, 1672; OLG Düsseldorf JMB1NRW 1965 281; OLG Koblenz GA 1975 28, 29).308 Die wieder einsetzende Verletzung der Unterhaltspflicht durch erneute Nichtleistung oder nach Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit, so mit Genesung von der Krankheit oder Entlassung aus der Haft, begründet eine neue Tat, und zwar, weil eine Dauerstraftat auch dann unterbrochen wird, wenn zeitweilig der objektive Tatbestand nicht gegeben ist, selbst bei Vorliegen eines einheitlichen Vorsatzes des Unterhaltspflichtigen. 309 Durch die erstinstanzliche Verurteilung wird die Unterhaltspflichtverletzung weder beendet noch in zwei verfahrensrechtlich selbständige Teile zerlegt (vgl. schon Rdn. 72), so daß das Berufungsgericht, wenn die Unterhaltsverweigerung andauert, die Aburteilung auf den Zeitraum zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung und dem Berufungsurteil zu erstrecken hat. 310 Wird allerdings die Berufung auf den Rechtsfolgeausspruch beschränkt, ist die 107

Allgemeine Auffassung, z. B. RG D R 1940 1671, 1672; BayObLGSt. 1960 168, 169; OLG Bremen JR 1961 226, 228; OLG Düsseldorf M D R 1962 922, 923; JMB1NRW 1965 281; OLG Hamburg NJW 1962 2119; NStZ 1984 168; O L G Hamm NJW 1965 877, 878; M D R 1973 609; KG juris Rechtsprechung KORE 40530/9900 S. 2; OLG Koblenz GA 1975 28, 29; O L G Saarbrücken NJW 1975 506, 508 mit Anm. Oehler JR 1975 291, 292; LG Berlin M D R 1966 1017; Dalckel Fuhrmann!Schäfer Anm. 8; Dedes G A 1977 232; Lackner/Kühl Rdn. 12; Maimer NJW 1967 1595; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 42; Neudek S. 61; Otto BT § 65 Rdn. 25; Schmidhäuser BT 13/12; StuB 5/144; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 36; TröndlelFischer Rdn. 14; Wehet Strafrecht § 63 IIIc; krit. jedoch Arzt! Weber BT § 10 Rdn. 37.

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Zur ausnahmsweisen Fortgeltung der Leistungsfähigkeit trotz Untersuchungs- oder Strafhaft Rdn. 38 mit Fn. 170. OLG Hamm M D R 1973 690; OLG Koblenz G A 1975 28, 29; Heimann-Trosien L K ' Rdn. 37; Mattmer NJW 1967 1595; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 36; and. OLG Düsseldorf M D R 1962 922, 923 (Unterbrechung durch Krankheit) und LG Berlin M D R 1966 1017, 1018 (Unterbrechung durch Freiheitsentziehung), die eine einheitliche Dauerstraftat annehmen. Das Verbot, das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat zum Nachteil des Angeklagten zu ändern (§§ 331 Abs. 1 StPO), steht dem selbst dann nicht entgegen, wenn das Rechtsmittel nur vom Angeklagten eingelegt ist; es handelt sich um einen nach dem ersten Urteil begangenen Tatteil (für § 170b OLG Düsseldorf

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Dauerstraftat mit dem Erlaß des Ersturteils beendet (BayObLGSt. 1977 39; Tröndlel Fischer Rdn. 12). Bei mehreren mit einheitlichem Vorsatz begangenen Unterhaltspflichtverletzungen gegenüber einem Berechtigten erscheint die Annahme von Fortsetzungszusammenhang trotz des grundsätzlichen Verzichts auf dieses Institut (vgl. § 169 Rdn. 36, § 173 Rdn. 35) ausnahmsweise möglich, etwa wenn die Unterhaltspflicht, beispielsweise durch Krankheit oder Freiheitsentziehung, vorübergehend entfallt, 311 wobei freilich in den meisten dieser Fälle der Gesamtvorsatz nur schwer festzustellen sein wird (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 37). Beruhen hingegen alle Tatbestandsverwirklichungen oder einzelne von ihnen auf einem selbständigen neuen Vorsatz, liegt Tatmehrheit vor.312 75

2. Bei Unterhaltspflichtverletzungen gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten kann je nach Sachlage Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegen. Sind die Unterhaltspflichten durch ein und dieselbe Handlung zu erfüllen, so etwa, wenn der Betrag für die mehreren Unterhaltsberechtigten an einen von ihnen zu überweisen ist, besteht regelmäßig Tateinheit; erfordert ihre Erfüllung mehrere Tätigkeiten, beispielsweise die Überweisung des jeweiligen Betrages an jeden der mehreren Unterhaltsberechtigten, ist Tatmehrheit anzunehmen. 313 Aber auch dann, wenn die mehreren Pflichten durch mehrere Handlungen zu erfüllen wären, kommt, weil sich die Tat nach § 170 Abs. 1 wegen ihres stark vermögensrechtlichen Charakters nicht gegen ein höchstpersönliches Rechtsgut richtet (vgl. dazu Rdn. 69), hier eine rechtliche Handlungseinheit in Betracht. 314 Nicht anders liegt es, wenn der Unterhaltspflichtige durch dasselbe aktive Tun sich mehreren Unterhaltspflichten entzieht, so durch Rücknahme bestimmter Maßnahmen, wie des Widerrufs der Abtretung des Kindergeldes und der Zurückziehung einer Zahlungsanweisung, oder die Erfüllung der Unterhaltspflichten unmöglich macht, etwa durch Aufgabe seines Arbeitsplatzes (weitere Beispiele Rdn. 46), wobei es ebenso wie bei Pflichtverletzung durch Unterlassen auf die bloße Gleichzeitigkeit nicht entscheidend ankommt (BGHSt. 18 376, 379 mit Anm. Hengsberger LM StGB § 170 Nr. 9 und Anm. Geerds JZ 1964 592). Die eigentliche Straftat besteht auch hier beispielsweise nicht in der Niederlegung der Arbeit, sondern in der Nichterfüllung der einzelnen Pflichten, stets also in einem Unterlassen. 315 Ob der Rang der

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JMB1NRW 1965 281; OLG Hamburg NJW 1962 2119; O L G Hamm M D R 1973 690; Mattmer NJW 1967 1595; vgl. im übrigen BGHSt. 9 324, 325 ff; BayObLG N J W 19S8 110; JR 1960 385). Lackner/Kühl Rdn. 12; ferner Günther SK Rdn. 52; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 36; OLG Hamm M D R 1973 690; Mattmer N J W 1967 1595. OLG Hamm N J W 1965 877, 878; M D R 1973 690; Lackneri Kühl Rdn. 12; Mattmer N J W 1967 1595; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 36. BGHSt. 18 376, 379 mit Anm. Hengsberger LM StGB § 170b Nr. 9 und Anm. Geerds JZ 1964 592; BayObLGSt. 1960 5, 7; OLG Braunschweig N J W 1953 558 (im Ergebnis); OLG Celle M D R 1964 862; KG juris Rechtsprechung KORE 40530/9900 S. 2; OLG Stuttgart M D R 1977 1034 mit Anm. Schmid M D R 1978 547; Frommel N K Rdn. 16; LacknerlKühl Rdn. 12; Maurach!Schroeder!Maiwald 2 § 63 Rdn. 42;

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Pfeiffer!Maul/Schulte Anm. 5; Preisendanz Anm. 8; Rissing-van Saan LK Vor §§ 52 Rdn. 60; Tröndlel Fischer Rdn. 14; differenzierend Geerds S. 262 f; Jescheck! Weigend AT § 66 IV 2; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 36; Struensee S. 77 f. So mit Recht Seh!SchröderILenckner Rdn. 36; zustimmend schon Heimann-Trosien mit dem Hinweis, daß dies sogar die Regel darstelle und in BGHSt. 18 376 (Fn. 313) nur übersehen worden sei (LK 9 Rdn. 38); wie hier im Ergebnis auch OLG Hamm NJW 1965 877, 878; and. Günther, für gleichartige Idealkonkurrenz zwischen Unterlassungsdelikten sei maßgebend, daß die mehreren Pflichten nahezu gleichzeitig (natürliche Handlungseinheit) hätten erfüllt werden müssen (SK Rdn. 52). Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 38; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 36; and. (regelmäßig Tateinheit) BayObLG N J W 1961 1685, 1686; OLG Celle M D R 1964 862; GA 1969 350, 351; Tröndlel Fischer Rdn. 14.

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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht

§171

mehreren Unterhaltsansprüche gleich oder unterschiedlich ist, bleibt bei alledem ohne Bedeutung. 316 Verfahrensrechtlich (§ 264 StPO) ist in der Regel eine einzige Tat gegeben, auch wenn sachlich-rechtlich mehrere Unterhaltspflichtverletzungen vorliegen.317 Bei Verurteilung wegen der einen Unterhaltsverletzung tritt hinsichtlich der anderen ein Verbrauch der Strafklage ein (LG Krefeld NJW 1992 1248, 1249; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 42). 3. Ein Zusammentreffen der Tatbestände mit anderen Straftatbeständen ist nach 7 6 Wegfall der §§ 170 a, 170 c und 361 Nr. 5 für Absatz 1 nur noch hinsichtlich der §§171, 172 denkbar. Zu § 171 kann Absatz 1 in Tateinheit stehen. 318 Ist der Unterhaltspflichtige nach § 172 strafbar, und verletzt er zugleich seine Unterhaltspflicht gegenüber der ersten Ehefrau, treffen § 172 und § 170 nicht tateinheitlich zusammen (BGH LM StGB § 170b Nr. 1; Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 39; Pfeiffer!MaullSchulte Anm. 5). Bei Absatz 2 ist rechtliches Zusammentreffen mit § 171 möglich {Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16). Ebenso besteht Tateinheit mit § 218 (Günther SK Rdn. 52; vgl. dazu auch Rdn. 64). Hingegen liegt bei einem Zusammentreffen von Absatz 1 und dem Regelbeispiel eines besonders schweren Falles der Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch (§ 240 Abs. 4 Nr. 2) Tatmehrheit vor (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 36; and. Frommel N K Rdn. 16; Günther SK Rdn. 52).

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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Baier „Tod und Aussetzung", JA 2000 300; Bauer G. D i e Mißhandlung von Kindern, Polizei 58 (1967) 216; Bauer G. Die Kindesmißhandlung, Ein Beitrag zur Kriminologie und Kriminalistik sowie zur Anwendung des § 223 b StGB, KrimAbh. Bd. 3 (1969); Bauer R. D i e Strafbarkeit körperlicher oder seelischer Mißhandlungen unter besonderer Berücksichtigung der straflosen Züchtigung, Diss. Erlangen 1934; Becker Walt. Erziehungspflicht und Strafrecht, N J W 1952 1082; Becker Walt. Jugendschutz als staatliche und gesellschaftliche Verpflichtung, in: Schäfer Grundlagen der Kriminalistik, Bd. 1: Jugendkriminalität (1965) 7 - zit.: Walt. Becker

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BGHSt. 18 376, 380 mit Anm. Hengsberger LM StGB § 170 b Nr. 9 und Anm. Geerds JZ 1964 592; BayObLGSt. 1960 5, 8; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 36; and. OLG Köln NJW 1958 720, 721; Mittelbach MDR 1957 67; vgl. auch OLG Düsseldorf MDR 1962 922, 923. OLG Hamm NJW 1978 2210; OLG Stuttgart MDR 1977 1034; TröndlelFischer Rdn. 14; vgl. auch SchlSchröder/Lenckner Rdn. 36; and. Schmid MDR 1978 547.

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BVerfGE 50 142, 157; OLG Hamm NJW 1964 2316, 2317 mit Anm. Merkert NJW 1965 409; Günther SK Rdn. 52; Lackner/Kühle Rdn. 12; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 42; Preisendanz Anm. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 36; Tröndlel Fischer Rdn. 14; vgl. auch schon Rdn. 31.

Karlhans Dippel

§ 171

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Jugendschutz; Becker Walt. Strafrechtliche Sicherung der elterlichen Sorgepflicht, M D R 1973 630; Beckerl Ruthe Das Erziehungsprivileg nach dem Vierten Strafrechts-Reformgesetz, FamRZ 1974 508; Boxdorfer Der Begriff der Verwahrlosung, Diss. Münster 1974; Brüschweiler Mißhandlung und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1963; Bussmann Das Recht auf gewaltfreie Erziehung aus juristischer und empirischer Sicht, FPR 8 (2002) 289; Detter Zum Strafzumessungs- und Maßregelrecht, NStZ 1998 501; Diederichsen Das Mehmet-Menetekel, NJW 1998 3471; Enzmann/ Wetzeis Das Ausmaß häuslicher Gewalt und die Bedeutung innerfamiliärer Gewalt für das Sozialverhalten von jungen Menschen aus kriminologischer Sicht, FPR 7 (2001) 246; Eyferth Gefährdete Jugend, Pädagogische Bücherei Bd. 16 (1950); Fehr Die Mißhandlung und Vernachlässigung eines Kindes nach § 134 StrGB, SZS 79 (1963) 149; Fink Das Delikt der körperlichen Kindesmißhandlung, Kriminologische Schriftenreihe Bd. 34 (1968); Franke-Gricksch Sinn und Bedeutung des § 170d StGB (Kindesvernachlässigung) im geltenden und künftigen Strafrecht, mit Ausblicken auf das österreichische und schweizerische Recht, Diss. Köln 1970; Frey Personensorge und milieugefährdete Kinder - Der Schutz des seelischen Kindeswohls, Diss. Tübingen 1987; Gaber der Staat und die elterlichen Erziehungsrechte, Diss. Heidelberg 1930; Giesen Kindesmißhandlung? Zur Kinder- und Familienfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Neue Folge Heft 32 (1979); Gregor-Voigtländer Die Verwahrlosung, ihre klinisch-psychologische Bewertung und ihre Bekämpfung (1918); Gruhle Die Ursachen der Jugendlichen Verwahrlosung und Kriminalität, Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der Kriminalpsychologie (Heidelberger Abhandlungen) Heft 1 (1912); Gutmann Der Fall „Mehmet": Menetekel oder groteske Affäre? in: Barwig/BrinkmannlHailbronnerlHuberlKreuzerlLörcherlSchumacher Neue Regierung - neue Ausländerpolitik? (1999) 297; v. Gut try Der strafrechtliche Schutz der Jugend, Diss. Heidelberg 1912; Händel Der strafrechtliche Schutz der Jugend gegen grobe Vernachlässigung, RdJ 2 (1954) 252; Hellmer Zur Kriminologie der Verbrechen an Kindern, Polizei 58 (1967) 253; Hellmer Die Mißhandlung von Kindern, Polizei 58 (1967) 284; Hodes Elternrecht und Staatsbefugnis (1932); Hoyer Im Strafrecht nichts Neues? - Zur strafrechtlichen Bedeutung der Neufassung des § 1631 II BGB FamRZ 2001 521; Huberl Scherer Die Neuregelung zur Achtung der Gewalt in der Erziehung, FamRZ 2001 797; Isermeyer Die Vernachlässigung von Fürsorge- und Erziehungspflichten nach § 170d StGB, Diss. Mainz 1956; It in Der Schutz der Entwicklung des Kindes als ein Problem der Strafgesetzgebung, Diss. Heidelberg 1913; Jacobsohn Der gesetzliche Schutz des Kindes gegen körperliche Mißhandlung, StrafrAbh. 160 (1912); Jost Schutz gegen den trunksüchtigen Familienvater, SdK 9 (1966) 14; Jung H. Strafrechtsdogmatische, kriminologische und kriminalpolitische Aspekte der Kindesmißhandlung, MschrKrim. 1977 89; Kaltofen Der tatbestandsmäßige Aufbau der Verletzung der Aufsichtpflicht, Diss. Mainz 1965; Klimmek Verletzung der Sorgepflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen, Diss. Frankfurt am Main 1970; Kohlhaas Delikte an Kindern und ärztliche Schweigepflicht, DdA 18 (1968) 12; Kretschmer Der strafrechtliche Schutz von Kindern und Jugendlichen nach den Entwürfen zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Diss. Erlangen 1936; Kreutzahler Die Strafbarkeit der Verletzung von Erziehungspflichten, Diss. Erlangen 1955; Lechleiter Das Kind als Gegenstand und Opfer krimineller Mißhandlungen, Diss. Zürich 1971; v. Levetzow Die seelische Kindermißhandlung, Diss. Heidelberg 1934; Licht Die Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber der Jugend im Strafrecht (§ 139 b StGB), Diss. Freiburg i. Br. 1948; Lichtenberger Kindermißhandlung und Strafgesetzgebung, Diss. Heidelberg 1910; Luther Zur Problematik des § 170d StGB, N J W 1954 493; Maier-Diewald Jugendkriminalität und Jugendschutz, Pädagogisch-politische Bücherei Bd. 3 (1966); Maiwald Der Begriff der Leichtfertigkeit als Merkmal erfolgsqualifizierter Delikte, G A 1974 262; Marynik Strafrechtsschutz der Kinder und der Jugend gegen Schädigung und Gefährdung, Diss. Greifswald 1935; Meysen Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz, JAmt 74 (2001) 330; Mohrmann Das Erziehungsrecht der Eltern und der Staat, Diss. Frankfurt am Main 1934; Münder/MutkelSchone Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz (2000); Nagler Die Verletzung der Pflicht zur Fürsorge für Jugendliche, GS 116 (1942) 1; Ν au Gefährdung und Schädigung von Kindern und Jugendlichen, DZgerMed. 62 (1968) 101; Neuheuser Die Strafbarkeit von Eltern minderjähriger Mehrfachstraftäter wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§171 StGB), NStZ 2000 174; Niederreuther Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gegenüber Kindern im Strafrecht, DJ 1943 114; Nix Die Mißhandlung Abhängiger, Diss. Bonn

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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht

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1958; Oeter Soziale Gefährdungen im Kindesalter, GesFürs. 17 (1967) 137; Opitz Verwahrlosung im Kindesalter (1959); Ossenbiihl Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, Soziale Orientierung, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission bei der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach Bd. 2 (1981); Ostendorf Die strafrechtliche Inpflichtnahme von Eltern wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (1999) - zit.: Ostendorf Inpflichtnahme; Ostendorf Die strafrechtliche Inpflichtnahme von Eltern wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, RdJB 48 (2000) 439; Pauli Die Verletzung der Aufsichtspflicht und ihr Verhältnis zu anderen Strafbestimmungen, NJW 1960 2229; Pelle Die Kindermißhandlung in strafrechtlicher, kriminologischer und gerichtsmedizinischer Sicht, ZB1JR 52 (1956) 11; Peters H. Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in: Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, 4. Bd. 1. Halbbd. 2. Aufl. (1972) 369; Pollack Der strafrechtliche Schutz des Kindes nach dem geltenden Reichsstrafgesetzbuch und nach dem Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs von 1927, StrafrAbh. 267 (1929); Potrykus Zum Schutz der Kinder vor Fehlhandlungen ihrer Erziehungsberechtigten, RdJ 6 (1958) 129; PüscheüLieske Kindervernachlässigung, eine „chronische Krankheit", KassA 25 (1985) 44; Raack Der Schutz des Kindes vor Gewalt im sozialen Nahraum, FPR 7 (2001) 258; Racke Die Kindesmißhandlung, Diss. Erlangen 1934; Radbruch Aussetzung (§ 221 RStrGB), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. V (1905) 185; Redlich/Kamin Strafbestimmungen zum Schutze der Jugend und der Familie, NJ 1967 149; Rotax Kinder und häusliche Gewalt, FPR 7 (2001) 251; Riifner Zum Elternbegriff des Grundgesetzes, FamRZ 1963 153; Schaible-Fink Das Delikt der körperlichen Kindesmißhandlung, Kriminologische Schriftenreihe Bd. 34 (1968); Schilling Jugendschutz und Elternrecht, ZB1JR 43 (1956) 280; Schleich Der neue strafrechtliche Schutz der Pflegebefohlenen, JW 1934 15; Schramm Kindesvernachlässigung und Kindesmißhandlung, in: Schäfer Jugendkriminalität, Grundlagen der Kriminalistik Bd. 1 (1965) 85; Schröder Die Addition strafloser Handlungen zu einer Straftat, JZ 1972 651; Schultz Der strafrechtliche Schutz des Kindes, Diss. Heidelberg 1908; Schumacher Chr. Die Ausweisung jugendlicher Straftäter und der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, in: BorwiglBrinkmannlHailbronnerlKreuzer/LörcherlSchumacher Neue Regierung - neue Ausländerpolitik? (1999) 285; Schwaninger Schutz des Minderjährigen gegen Mißhandlungen und Überanstrengungen, besonders im Hinblick auf die seelische Mißhandlung, Diss. Basel 1954; Späth Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht über Kinder und Jugendliche und ihre strafrechtliche Verfolgung durch § 139 b RStGB, Diss. Tübingen 1946; Staak! Wagner! Wille Zur Diagnostik und Sozialtherapie des vernachlässigten Kindes, MschrKH 115 (1967) 199; Stree Probleme der Hehlerei und der Vernachlässigung der Aufsichtpflicht, JuS 1963 427; Thomas Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten - aber wie? ZRP 1999 193; Többen Die Jugendverwahrlosung und ihre Bekämpfung, 2. Aufl. (1927); Trube-Becker Die Kindesmißhandlung in gerichtlich-medizinischer Sicht, DZgerMed. 55 (1964) 173; Trube-Becker Zur Kindesmißhandlung, SdK 9 (1966) 3; Trube-Becker Zur Tötung von Kleinkindern durch Nahrungsentzug, DZgerMed. 64 (1968) 93; Ullrich Zum strafrechtlichen Schutz des Minderjährigen unter 18 Jahren, RdJ 7 (1959) 23; Wassermann Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten - aber wie? NJW 1998 2097; Will Der Schutz kindlicher Beziehungen im Schnittfeld von Familien- und Ausländerrecht, FPR 8 (2002) 549; Wolter Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1986 143. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 169, zu § 169 und zu § 170.

Entstehungsgeschichte Bis zur Schaffung der Vorschrift durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9.3.1943 und ihrer Einstellung in das Strafgesetzbuch durch die Durchführungsverordnung vom 18.3.1943 (näher dazu Vor § 169 Entstehungsgeschichte) gab es keinen entsprechenden, den Schutz der Familie bezweckenden Straftatbestand. Seine ursprüngliche Fassung lautete; Wer das körperliche Wohl eines Kindes dadurch gefährdet, daß er in gewissenloser Weise seine Für(359)

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

sorge- oder Erziehungspflichten gröblich vernachlässigt, insbesondere das Kind ohne ausreichende Nahrung oder Wartung läßt, wird mit Gefängnis bestraft, soweit nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Mit diesem Wortlaut galt die Vorschrift bis zu ihrer Neufassung durch das 4. StrRG. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 308 f; Bd. 8 S. 199, 206, 343f, 378ff, 458f, 468f, 614, 620ff, 663; Bd. 12 S. 602; E 1962 S. 44, 352f; AE S. 68f; BTDrucks. VI/ 1552 S. 13f, 40, 46; VI/3521 S. 15ff, 73; 7/514 S. 4ff, 19; Prot. VI/28 S. 853; VI/29 S. 942, 1098; VI/33 S. 1193ff, 1224; VI/35 S. 1253ff, 1262, 1278ff; VI/36 S. 1289ff; VI/40 S. 1381 ff; VI/71 S. 2030; 7/2 S. 5f.

I. Allgemeines 1. Geschichte 2. Altes und neues Recht 3. Rechtsgut 4. Ergänzende Bestimmungen . . . . II. Der äußere Tatbestand 1. Fürsorge- oder Erziehungspflicht a) Entstehungsgründe b) Inhalt aa) Fürsorgepflicht bb) Erziehungspflicht 2. Die Tathandlung a) Tun oder Unterlassen b) Gröbliche Verletzung 3. Der Taterfolg a) Konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung

Rdn.

Rdn.

1-4 1 2 3 4 5-16 5- 7 5 6-7 6 7 8-9 8 9 10-16

b) Gefahr einer erheblichen körperlichen Entwicklungsschädigung . 11 c) Gefahr einer erheblichen seelischen Entwicklungsschädigung 12-16 aa) Bedeutung des Merkmals psychisch 12 bb) Sittliche Entwicklung . . . . 13 cc) Entwicklung der Fähigkeit zu künftigem Sozialverhalten 14 dd) Beispiele psychischer Gefährdung 15 ee) Krimineller Lebenswandel und Prostitution 16 Der Innere Tatbestand 17 Täterschaft und Teilnahme 18 Rechtsfolgen 19 Konkurrenzen 20

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III. IV. V. VI.

I. Allgemeines 1

1. Die Geschichte der Vorschrift als ein den Schutz der Familie bezweckender Tatbestand ist jung. Allerdings kann ein gewisser Zusammenhang mit dem früheren § 143 (Verletzung der Aufsichtspflicht) gesehen werden, dessen Wurzeln in den partikulären Polizeistrafgesetzen des 19. Jahrhunderts liegen. Sie enthalten Bestimmungen, die den Aufsichtspflichtigen unter Strafe stellten, wenn er durch nicht gehörige Beaufsichtigung schuldhaft zu einer mit Strafe bedrohten Handlung beitrug. 1 Andere Vorschriften bedrohten denjenigen mit Strafe, der die Beaufsichtigung, die Verpflegung oder

1

Beispielhaft dafür sind die Strafandrohungen gegen Aufsichtspersonen, die ihnen angehörige oder anvertraute Personen zum Betteln veranlassen oder es unterlassen, sie davon abzuhalten (Beispiele bei Kallofen S. 3). Auch den namentlich im Zusammenhang mit Feld-, Forst-, Jagd-, Fischerei-, Zoll- und Steuerdelikten getroffenen Bestimmungen, wonach der Gewalthaber hilfsweise für die Folgen der von einem gewaltunterworfenen Hausgenossen begangenen Taten aufkommen mußte oder ihn die Strafrechtsfolgen

sogar unmittelbar trafen, lag der Gedanke zugrunde, daß der Gewalthaber, wenn er nicht schon der intellektuelle Urheber der Straftat ist, diese jedenfalls durch aufmerksame Beaufsichtigung hätte verhindern können (dazu im Einzelnen Kaltofen S. 6 ff). Zum Vorkommen dieses Strafschutzes in älterer und ältester Zeit Briischweiler S. 19 ff; Itin S. 41 ff (ausführlich zu der mit Tittmann [1795], v. Feuerbach [1813] und Ahegg [1830] einsetzenden Entwicklung); Racke S. 2 ff.

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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht

§171

den Schutz der ihm anempfohlenen Personen in einer gröblichen oder öffentliches Ärgernis erregenden Nachhaltigkeit vernachlässigte. 2 Das Strafgesetzbuch hielt sich mit Tatbeständen, die an eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht anknüpfen, zurück. Es bedrohte zunächst nur im Rahmen des § 361 Nr. 4 auch denjenigen mit Strafe, der es unterließ, ihm untergebene und seiner Hausgenossenschaft angehörige Personen vom Betteln abzuhalten. 3 Hinzu trat § 361 Nr. 9,4 der entsprechendes Verhalten unter Strafe stellte, wenn von den gewalt- oder aufsichtsunterworfenen Personen Diebstähle, Zoll- und Steuerdelikte, Forst-, Feld-, Jagd- und Fischereifrevel begangen wurden. Die weiteren Reformbestrebungen richteten sich zunächst eher mehr auf die Einführung einer der Zielrichtung des § 171 entsprechenden Bestimmung, 5 ließen indessen aber auch die Ausdehnung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtspflichtigen für Straftaten des Aufsichtsbefohlenen nicht außer acht. Ihre Verwirklichung gelang zunächst nur im Nebenstrafrecht. 6 Die Sorge um das Ansteigen der Jugendkriminalität im Krieg aber führte nicht nur verstärkt zum Erlaß entsprechender Vorschriften, 7 sondern auch zur Schaffung eines die Aufsichtspflichtigen allgemein wegen krimineller Handlungen der Aufsichtsbefohlenen mit Strafe bedrohenden Tatbestandes. 8 Dem folgte ganz konsequent die Strafdrohung gegen eine das Wohl des Kindes gefährdende grobe Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht in § 170d. 2. Der Vergleich des alten mit dem neuen Recht läßt eine nicht unerhebliche 2 Begrenzung des Tatbestandes erkennen. Mit ihrer tatbestandlichen Weite und Unbestimmtheit war die Bestimmung in ihrer ursprünglichen Fassung (vgl. Entstehungsgeschichte) trotz aller grundsätzlicher Berechtigung typisch für den zeitbedingten zu starken Eingriff in die bis dahin von spezifischen Strafdrohungen weitgehend freie Ordnung von Ehe und Familie (dazu schon Vor § 169 Rdn. 1; vgl. auch § 170 Rdn. 1). Die Vorschrift sollte vor allem Frauen treffen, die in Abwesenheit ihres im Fronteinsatz befindlichen Ehemannes die gemeinsamen Kinder sich selbst überließen, um ihrem Vergnügen nachzugehen oder womöglich mit anderen Männern Reisen anzutreten {Klimmek S. 62; Rietzsch DJ 1943 242). Namentlich die Verwendung des Merkmals der Gefährdung des körperlichen oder sittlichen Wohls eines Kindes im früheren 2

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Beispielsweise Art. 92 AnhaltPolStGB von 1855; § 98 BadPolStGB von 1863; Art. 81 BayerPolStGB von 1871 (zuvor schon Art. 138 BayerPolStGB von 1861). Art. 81 BayerPolStGB von 1871 betont das Interesse des Schutzbefohlenen vergleichsweise stärker als die frühere Bestimmung (Kaltofen S. 5; Kreutzahler S. 109). Diese Alternative des früheren § 361 Nr. 4 wurde bereits durch das 3. StRÄndG (Strafrechtsbereinigungsgesetz) gestrichen. Durch Reichsgesetz vom 26.2.1876 (RGBl. 25) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Vgl. ζ. B. Binding Lehrbuch I § 62 V; Duensing S. 77; hin S. 57; Radbruch S. 202 (mit dem Vorschlag, ebenso die Fürsorgepflichtentledigung, also das Aufgeben der Fürsorge insgesamt, wie die Nichterfüllung einzelner Fürsorgepflichten als Vergehen gegen das Wohl minderjähriger Fürsorgebedürftiger unter Strafe zu stellen); Schultz S. 28. Beispielsweise im Vogelschutzgesetz i. d. F. vom 30.5.1908 (RGBl. 317); dem Tierschutzgesetz

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vom 24.11.1933 (RGBl. I 987); der Naturschutzverordnung vom 30.3.1936 (RGBl. I 181); dem Reichsschulpflichtgesetz vom 6.7. 1938 (RGBl. I 799). So die Polizeiverordnung über die Fernhaltung Jugendlicher von öffentlichen Schieß- und Spieleinrichtungen vom 24.10.1939 (RGBl. I 2116), die Polizeiverordnung über die Fernhaltung Jugendlicher von öffentlichen Tanzdarbietungen vom 29.11.1939 (RGBl. I 2374) und die Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend vom 9.3. 1940 (RGBl. I 499), zusammengefasst in der Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend vom 10.6.1943 (RGBl. 1349). In § 4 der Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafgesetzes vom 4.10.1940 (RGBl. I 1336), mit § 3 der Jugendstrafrechtsverordnung vom 6.11.1943 (RGBl. I 635) in geänderter Fassung als § 139 b in das StGB eingefügt, vom 3. StrÄndG in § 143 umbenannt, durch das 4. StrRG gestrichen.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Recht brachte die Praxis in unerträgliche Auslegungsschwierigkeiten. 9 Die auf eine Einschränkung der Strafbarkeit abzielenden Reformbemühungen erwiesen sich als äußerst schwierig. Teilweise wurde die Möglichkeit, die strafbedürftigen Fälle so abzugrenzen und zu umschreiben, daß der Tatbestand genügend praktikabel ist und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, überhaupt verneint (z. B. AE S. 69). Der E 1962 (§ 198) gelangte zu einer wesentlichen Einschränkung, indem er statt der Gefahrdung des körperlichen oder sittlichen Wohls vorsah, daß der Schutzbefohlene durch die Tat in die Gefahr der sittlichen oder körperlichen Verwahrlosung gebracht werde (§ 198). Ähnlich votierte der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552), der das alte Merkmal durch die Gefahr der kriminellen oder körperlichen Verwahrlosung ersetzen wollte (Art. 1 Nr. 13). Der Sonderausschuß hat nach Anhörung von Sachverständigen (vgl. Vor § 169 Rdn. 7) dem Umfang der vom Regierungsentwurf befürworteten Einschränkung nicht zustimmen können. Mit der von ihm in seinem Schriftlichen Bericht (BTDrucks. VI/3521) vorgeschlagenen Fassung, daß der Schutzbefohlene in die Gefahr gebracht wird, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, bringt er zunächst die Zielrichtung der Vorschrift klarer zum Ausdruck. Dieses Merkmal erfaßt aber auch, was nach den Formulierungen des E 1962 und des Regierungsentwurfs zweifelhaft ist, sicher die Fälle, in denen die Abwendung einer Ansteckungsgefahr oder die Behandlung einer leicht behebbaren Krankheit beziehungsweise Mißbildung unterlassen wird (BTDrucks. VI/3521 S. 16; vgl. dazu Rdn. 11). Von diesen Klarstellungen abgesehen liegt eine deutliche Erweiterung des Tatbestandes in der vom Regierungsentwurf vorgeschlagenen Fassung darin, daß auch die Gefahr einer erheblichen Schädigung der psychischen Entwicklung unter Strafe gestellt wird. Gerade dies hat der Regierungsentwurf im Hinblick auf zu erwartende Auslegungsschwierigkeiten und Ausuferungen durch Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrechte vermeiden wollen (dazu schon Vor § 169 Rdn. 7). Immerhin ist auf die Einbeziehung der Gefahr der sozialen Verwahrlosung aus den genannten Gründen (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 16) verzichtet worden. Ob durch die Strafbarkeit einer erheblichen psychischen Gefahrdung die Vorschrift wiederum ihre Konturen verliert (vgl. Rdn. 3 Fn. 17), hängt von den praktischen Auswirkungen der zusätzlichen Erwähnung der Gefahr, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen (dazu Rdn. 16), ab. Denn der Sonderausschuß hat mit diesem Merkmal nicht nur sicherstellen wollen, daß entsprechende Fälle (vgl. Rdn. 16) erfaßt werden, sondern auch die Schwelle angedeutet, von der ab er einen psychischen Entwicklungsschaden als erheblich ansieht (BTDrucks. VI/3521 S. 16; vgl. dazu Rdn. 15). Daß von der Verletzung und nicht mehr von der Vernachlässigung der Pflichten gesprochen wird, bedeutet keine sachliche Änderung des früheren Rechts (Sturm JZ 1974 3). Abweichend von der Rechtsprechung, die das Schutzalter der Bestimmung bei vierzehn Jahren enden ließ,10 ist die Altersgrenze erhöht worden, eine Erweiterung des Tatbestandes, die den Forderungen nach Verstärkung des Jugendschutzes Rechnung trägt (BTDrucks. VI/1552S. 14). Gewissenlos muß der Täter nicht mehr handeln. Hierauf konnte im Hinblick auf die engere Ausgestaltung der Vorschrift verzichtet werden (BTDrucks. VI/1552 S. 14); denn wer einen Schutzbefohlenen vorsätzlich der Gefahr aussetzt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, wird regelmäßig mit einer inneren Einstellung

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Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 15; ferner z. B. Klimmek S. 54; Lenckner JuS 1968 306; Luther NJW 1954 493; H. Mayer Materialien S. 268 f, 276; Sturm JZ 1974 3.

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Beispielsweise BGHSt. 5 40 mit Anm. Busch LM StGB § 170d Nr. 5 und Anm. Händel NJW 1954 119; BayObLGSt. 1949-51 10; OLG Braunschweig HESt. 1 47.

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handeln, die der nach dem früheren Recht erforderlichen Gewissenlosigkeit entspricht (KG JR 1975 297). Der Wegfall der Subsidiaritätsklausel, wie § 170d sie ursprünglich enthielt (vgl. Entstehungsgeschichte), macht deutlich, daß die Vorschrift ein eigenes, wichtiges Rechtsgut schützt (BTDrucks. VI/1552 S. 14). Trotz Herabsetzung des Höchstmaßes der Freiheitsstrafe von fünf Jahren auf drei Jahre reicht der Strafrahmen aus, um auch Fällen mit verstärktem Unrechts- und Schuldgehalt gerecht zu werden (Sturm JZ 1974 3). 3. Der noch immer nicht endgültig ausgetragene Streit, welchen Inhalt das durch 3 §171 geschützte Rechtsgut hat, ist so alt wie die Bemühungen um die Schaffung einer Vorschrift dieser Art. So erblickt Binding in den familienrechtlichen Pflichten, insbesondere der „Alimentations- und Erziehungs-(Fürsorge-) Pflicht", die im Interesse des Kindes oder des Jugendlichen zu schützen seien, die AngrifTsobjekte (Lehrbuch I § 62 V; vgl. auch die Rdn. 1 Fn. 5 angeführte Meinung von Radbruch). Hingegen geht Duensing 11 davon aus, daß das Wohl des Kindes ein staatliches Rechtsgut sei, und sieht in dessen Gefährdung dementsprechend keinen Angriff auf Familienrechte, sondern einen „Eingriff in die Rechtssphäre des Staates selber" (S. 12f)· Letztere Auffassung dürfte zur überwiegenderen geworden sein (Kaltofen S. 63; ferner FrankeGricksch S. 50), jedenfalls stand sie bei der Schaffung der Vorschrift, nun freilich auch aus allgemein-politischen Gründen (Rdn. 2, Vor § 169 Rdn. 1), im Vordergrund (vgl. auch Nagler GS 116 [1942] 10 f)·12 Demgegenüber setzte sich bald die Meinung durch, daß eine Strafdrohung, die sich gegen die Vernachlässigung der dem körperlichen und sittlich-seelischen Wohl Schutzbefohlener dienenden Sorgepflicht richtet, den Schutz dieser Personen bezweckt, weil es schließlich deren Entwicklung ist, die durch die Vernachlässigung gefährdet wird. Freilich liegt die gesunde körperliche und psychische Heranbildung der Kinder auch im Interesse des Staates, der von den nachfolgenden Generationen getragen wird (vgl. v. Guttry S. 1 f; Hodes S. 27f). 13 In diesem Sinne aber nimmt der Staat an individuellen Rechtsgütern teil. Selbst wenn das Interesse der Gesamtheit so groß ist, wie dies bei der Bedeutung, die eine gesunde Entwicklung der Kinder für ihren Fortbestand hat, hier angenommen werden kann, wird das individuell ausgerichtete Rechtsgut nicht zu einem Rechtsgut der Allgemeinheit. Das verkennt die Gegenmeinung. 14 So überwiegt denn auch die Auffassung, daß das normmotivierende Rechtsgut des § 171 als konkretes Gefahrdungsdelikt 15 allein die gesunde körperliche und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter

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Ihre Schrift ist die richtungweisende ihrer Zeit; vgl. auch schon Vor § 169 Rdn. 4. Aus der Auffassung von einer sozialen Bindung der Vorschrift erklärt sich auch die Ausweitung, die sie über die ursprüngliche Fassung hinaus im Strafrecht der D D R (§ 142 StGB D D R ; dazu Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33) gefunden hat (vgl. Franke-Gricksch S. 36ff; FrommeI N K Rdn. 3; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 49; Redlich!Kamin NJ 1967 149 f). Allgemein zu den Interessen des Staates, Ehe und Familie zu schützen, Hodes S. 75 ff (insb. zum Überwachungsrecht des Staates gegenüber der Erziehungspflicht der Eltern); Ossenbühl S. 67 ff; H. Peters S. 390 ff; Scheffler S. 270 ff, 302ff; Zoras S. 36ff; eine grundlegende historische Darstellung des Gegensatzes zwischen Staatsrecht und Elternrecht seit dem Allgemei-

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nen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 findet sich bei Mohrmann S. 11 ff; vgl. auch die rechtsphilosophischen und geschichtlichen Hinweise bei Gabler S. 2f, 6 ff. Typisch etwa Licht, durch die Sicherstellung der Fürsorge und Erziehung würden familienrechtliche Pflichten berührt, die durch den staatlichen Strafanspruch aus der Ebene des Privatrechts herausgehoben und dadurch öffentlichrechtliche Pflichten geworden seien (S. 28); ähnlich Maurach, mit der Erhebung der Verletzung von Unterhalts- und Erziehungspflichten zu Offizialdelikten seien diese dem Gebiet der privatrechtlichen Sphäre entwachsen, ihre Beobachtung zum Anliegen der Allgemeinheit geworden (Nachtrag BT § 49 I B). Mit schwer zu fassendem Gefährdungserfolg (Schmidhäuser BT 13/14).

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sechzehn Jahren ist, während das Allgemeininteresse in Form eines staatlich garantierten Minimalniveaus pädagogischer Entwicklung, dessen Bestimmung den einzelnen Erziehungsberechtigten entzogen ist (TröndlelFischer Rdn. 2), nur mittelbar hinter der Vorschrift steht. 16 Im übrigen bleiben die familienrechtlichen Fürsorge- oder Erziehungspflichten beziehungsweise die entsprechenden Ansprüche selbst für das Rechtsgut ohne Bedeutung (and. MaurachlSchwederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 49). Sie kennzeichnen nur den Personenkreis, durch den das Schutzgut der körperlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in strafwürdiger Weise verletzt werden kann, die besondere Verantwortlichkeit von Erziehungspflichten und die besondere Anfälligkeit des Rechtsguts diesen gegenüber (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 1; vgl. auch schon Vor § 169 Rdn. 7).17 Nicht Zweck der Vorschrift ist, das Ausbleiben menschlicher Zuwendungen zu ahnden (BGH M D R 1979 949; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 1); sie wäre dazu nicht einmal geeignet (vgl. Vor § 169 Rdn. 1). 4. Als Ergänzung des § 171 können die Bußgeldvorschriften und Strafvorschriften der §§ 104, 105 SGB VIII 18 angesehen werden (Maurach! Schroeder! Maiwald 2 § 63

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In diesem Sinne z.B. Bottke S. 109f; Frommet N K Rdn. 4; Joecks zu § 171; Kaltofen S. 68; Kindhäuser BT I § 4 C 4.9; Kreutzahler S. 61; Lackneri Kühl Rdn. 1; Laufhütte Prot. VI/33 S. 1193; Licht S. 28 f (vgl. jedoch Fn. 14); Luther N J W 1954 495; Neuheuser NStZ 2000 174; Otto BT § 65 Rdn. 31; Preisendanz Anm. 1; Sauer BT § III 1 d; Schmitt S. 542; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 1; Tröndlel Fischer Rdn. 2; Welzel Strafrecht § 63 III 4; and. LK Voraufl. bis zur neunten Auflage, wobei Jagusch das öffentliche Interesse an der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Kindes als das alleinige Schutzgut ansieht (LK 8 Anm. 1), während Heimann-Trosien schon annimmt, daß dieses neben dem Wohl des Kindes und dessen Anspruch auf Fürsorge geschützt wird (LK 9 Rdn. 1); zwischen diesen Auffassungen Isermeyer, der meint, die Vorschrift beruhe auf dem den Schutz des Kindes um seiner selbst willen gebietenden Persönlichkeitsgedanken und dem für das Kind als Glied von Staat und Gesellschaft um deren Interessen willen erfordernden Gemeinschaftsgedanken, wobei das schutzbedürftige Interesse des Kindes selbst in den Hintergrund trete (S. 13 f).

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Krit. zu dieser Rechtsgutbestimmung Horn! Wolters SK Rdn. 2: Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach die regelmäßige und ungehemmte Entwicklung des Kindes sichergestellt werden soll (BGHSt. 2 348, 349), entwickele sich ein Kind, sei es körperlich oder psychisch, „von selbst". Daher müßten, solle die Schutzrichtung einigermaßen plausibel ausformuliert werden, immer auch noch vielfältige Hilfsmaßnahmen eben derer, die zur Fürsorge oder Erziehung verpflichtet seien, hinzugedacht werden, woraus die für den Strafrichter sehr schwierige, fast unlösbare Aufgabe entstehe, im komplexen, wissenschaftlicher Betrachtung nur schwer zugänglichen Fürsorge- und Erziehungs-

bereich nach tatbestandlich relevanten und irrelevanten Maßnahmen oder (meist) Unterlassungen selektieren zu müssen. Hinzu komme, daß wenig Klarheit über die Kriterien des Maßstabes bestünden, von dem aus sich relevante Abweichungen von der „natürlichen" beziehungsweise „gesunden" körperlichen oder psychischen Entwicklung konstatieren ließen. Das Gesetz versuche zwar, damit zu helfen, daß es, bei Straflosigkeit des Versuchs, vor die Strafbarkeit eine spezifische konkrete Gefahr für den Schutzbefohlenen gesetzt habe. Aber seien entsprechende Interpretationen schon sehr schwierig hinsichtlich der Frage, wann von der Gefahr einer erheblichen Schädigung in der körperlichen Entwicklung gesprochen werden könne, so sei die nachvollziehbare Beschreibung eines Schadens in der psychischen Entwicklung außerhalb der durch das Gesetz selbst hinzugefügten Beispiele des kriminellen Lebenswandels und der Prostitution fast gänzlich aussichtslos. Diesen Bedenken ist voll zuzustimmen. Sie treffen aber nicht das Rechtsgut, wie § 171 es aufgefaßt wissen will, sondern die Praktikabilität der Vorschrift und damit die Fragwürdigkeit des Tatbestandes selbst, wie sie in der Reformdiskussion angeklungen ist, und die Verfasser des AE trotz Bejahung eines Strafbedürfnisses (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 15) sogar zum Verzicht auf den Tatbestand bestimmt hat (dazu schon Rdn. 2; ferner Vor § 169 Rdn. 7). Zu der hier angesprochenen Kriminologie der Vorschrift (vgl. auch Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 49) ausführlich Ostendorf Inpflichtnahme S. 11 ff". 18

Kinder- und Jugendhilfegesetz vom 26.6.1990 (BGBl. I 1163, 1166) i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 3.5.1993 (BGBl. I 637, 638).

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Rdn. 57; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 1). In § 104 SGB VIII ist unter anderem die Betreuung von Pflegekindern ohne die dafür erforderliche Pflegeerlaubnis mit einer Geldbuße bedroht. Nach § 105 SGB VIII wird diese Handlung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet, wenn sie leichtfertig das Kind oder den Jugendlichen in seiner körperlichen, geistigen oder sittlichen Entwicklung schwer gefährdet. II. Der äußere Tatbestand verlangt, daß der Täter seine Fürsorge- oder Erzie- 5 hungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen. 1. Eine dem Täter obliegende Fürsorge- oder Erziehungspflicht muß verletzt werden. a) Die Entstehungsgründe von Fürsorge- oder Erziehungspflichten (umfassend dargestellt bei Neuheuser NStZ 2000 174f) sind verschiedener Art. Sie können sich zunächst aus dem Gesetz ergeben. Das gilt für die Eltern, auch Adoptiveltern, die nichteheliche Mutter, den Vormund, den Beistand, den Betreuer 19 und den Pfleger, nicht aber für den Gegenvormund (TröndlelFischer § 225 Rdn. 4). Grundlage solcher Pflichten kann weiter die Aufgabenzuweisung durch Behörden sein (Schmidhäuser BT 13/15). Sie findet sich im Rahmen öffentlichrechtlicher Dienstverhältnisse, beispielsweise bei den Sozialarbeitern des Jugendamts 20 und den Beamten des Straf- und Maßregelvollzugs (Sehl Schröder! Stree § 225 Rdn. 7; TröndlelFischer § 225 Rdn. 4).21 Auch lassen sich durch Vertrag entsprechende Pflichten begründen (Schmidhäuser BT 13/15; Sturm JZ 1974 3), etwa für Pflegeeltern 22 private Erzieher und Ausbildende (Klimmek S. 50), Leiter von Heimen, Internaten und Kindertagesstätten 23 oder Übernehmer aus einem Altenteilsvertrag (Racke S. 23; TröndlelFischer § 225 Rdn. 4). Schließlich mögen derartige Pflichten auf ihrer tatsächlichen Übernahme durch schlüssiges Verhalten (Racke S. 23) beruhen, so bei der Aufnahme Schutzbefohlener in eine Wohngemeinschaft 24 und der Aufnahme des vorehelichen Kindes der Ehefrau (Racke S. 23; TröndlelFischer § 225 Rdn. 4), der nichtehelichen Partnerin (BGHR § 170d Fürsorgepflicht 1; TröndlelFischer § 225 Rdn. 4) oder eines Findelkindes (Klimmek S. 50) in die Hausgemeinschaft, unter Umständen auch im Zusammenhang mit der Veranstaltung eines Ferienlagers (BTDrucks. VI/3521 S. 15). Vertraglich und durch tatsächliche Übernahme begründete Pflichten gehen mitunter ineinander über,

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FrommeI N K Rdn. 6; Horn/Wolters SK Rdn. 12; Lackneri Kühl Rdn. 2; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 50; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 3. BTDrucks. VI/1552 S. 14; ferner OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199, 200; Frommel N K Rdn. 6; Horn/Wolters SK. Rdn. 12; Lackneri Kühl Rdn. 2; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 50. Entgegen früherer Auffassung, die ein Fürsorgeverhältnis zwischen den Beamten der Strafanstalten und ihren Gefangenen verneinte, weil die Hauptpflicht der Beamten durch Aufsicht und Verwahrung gekennzeichnet sei, nicht aber auch durch die Notwendigkeit, für das geistige

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Wohl der Gefangenen zu sorgen (vgl. Racke S. 23 mit Nachweisen). Franke-Gricksch S. 63; Frommel N K Rdn. 6; Horn! Wolters SK Rdn. 12; Lackneri Kühl Rdn. 2; Preisendanz Anm. 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3. O L G Hamm NJW 1954 2316, 2317; Frommel N K Rdn. 6; Horn! Wolters SK Rdn. 12; Klimmek S. 50; Preisendanz Anm. 2; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 3; Tröndlel Fischer Rdn. 3. Blei BT § 37 IV 2; Frommel N K Rdn. 6; Lackneri Kühl Rdn. 2; Laufliütte Prot. VI/33 S. 1194; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 50; Sauer BT § 42 III 4d; SchlSchröderILenckner Rdn. 3.

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so daß eine strenge Unterscheidung dann kaum noch getroffen werden kann, so bei einem Hausmädchen, das nicht als Kindermädchen angestellt ist, jedoch mit den Kindern zwangsläufig regelmäßig in Berührung kommt (Franke-Gricksch S. 63). Die Pflichten können zeitlich oder sachlich begrenzt sein (Tröndlel Fischer Rdn. 3). Doch muß es sich um ein Betreuungsverhältnis von gewisser Dauer handeln (Klimmek S. 50). Nur ganz vorübergehende Pflichten scheiden aus, etwa die Übernahme der Betreuung eines Kindes für Stunden (Preisendanz Anm. 2) oder die Aufnahme eines fremden Jugendlichen in die Hausgemeinschaft des Täters für kurze Zeit (SchlSchröder/Lenckner Rdn. 3). Auch ein bloßes Gefalligkeitsverhältnis genügt nicht (vgl. BGH NJW 1982 2390; Sehl Schröder! Stree § 225 Rdn. 7; Tröndlel Fischer § 225 Rdn. 4). 6

b) Der Inhalt von Fürsorge- und Erziehungspflichten, die regelmäßig miteinander verbunden sind (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3; vgl. auch Klimmek S. 50), läßt sich nicht allgemein und abstrakt bestimmen; vielmehr muß er aus ihrem besonderen Zweck, die Schutzbefohlenen vor erheblichen Entwicklungsschäden in körperlicher oder psychischer Hinsicht zu bewahren, hergeleitet werden (Horn! Wolters SK Rdn. 9). aa) Die Fürsorgepflicht ist in erster Linie eine Schutzpflicht {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3). Zwar garantiert Art. 6 Abs. 2 den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger; doch enthält dieses Elternrecht als wesensbestimmenden Bestandteil die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder, so daß Eltern, die sich dieser Verantwortung entziehen, gegenüber staatlichen Eingriffen zum Wohl des Kindes sich nicht auf ihr Elternrecht berufen können (BVerfGE 24 119, 138 ff). Inhalt dieser Schutzpflicht ist vor allem, die gesunde körperliche Entwicklung des Jugendlichen zu gewährleisten (Horn/Wolters SK Rdn. 10). Deshalb ist sie im Zusammenhang mit § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB zu sehen (RGRK!Mutschier Vor § 1601 Rdn. 17). Zu den Pflichten gehören Ernährung und Wartung im allgemeinen ebenso wie die besondere Pflege und Hilfe in Krankheitsfällen, aber auch die Gesunderhaltung des Kindes durch Fernhalten schädlicher Einflüsse (BGHSt. 2 348, 349; TröndlelFischer Rdn. 3 unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 ArbSchG). Norm ist immer das jeweils äußerst Erreichbare (näher, auch zur Begrenzung, Rdn. 11).

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bb) Inhalt der Erziehungspflicht ist die richtige Anleitung des Jugendlichen in seiner körperlich-seelischen Entwicklung (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3).25 Dies folgt aus dem Begriff der Erziehung, der darunter die formende geistig-seelische Einwirkung der Eltern auf die Kinder, die ihre Anlagen und Fähigkeiten zur Entfaltung bringt und sie zur Reife der Selbstbestimmung führt, versteht (Ossenbiihl S. 48; ferner z.B. Hodes S. 15; H. Peters S. 381). Der Einwand, es werde, weil darüber, was „richtige" Anleitung ist, unterschiedliche Auffassungen bestehen, wohl nur dort von einer tatbestandsmäßigen Verletzung der Erziehungspflicht die Rede sein können, wo das Fehlen einer Anleitung beziehungsweise eine aktive Fehlleitung die im Tatbestand vorausgesetzte konkrete Gefahr (Rdn. 10) für den Schutzbefohlenen tatsächlich nach sich gezogen habe (Horn! Wolters SK Rdn. 11), trifft an sich zu. Indessen bedeutet die Umschreibung „richtige Anleitung des Jugendlichen in seiner körperlich-seelischen Entwicklung" ohnehin keine Festlegung auf bestimmte Erziehungsinhalte oder -modelle; richtig in diesem Sinne begreift vielmehr alles, was im Rahmen eines vom Gesetz auch hier vorausgesetzten Grundkonsenses noch vertretbar ist (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 3). Daher bestimmen keineswegs nur herkömmliche Erziehungs25

Krit. zum Begriff des „Richtigen" Maurach/ SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 51 (Leerformel).

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methoden den Inhalt der Erziehungspflicht. Andererseits wird etwa die antiautoritäre Erziehung eine richtige Anleitung dann nicht sein, wenn sich ihre Vorstellungen in Nichterziehung erschöpfen (vgl. dazu Rdn. 9, aber auch Rdn. 17). 2. Die Tathandlung erfordert, daß der Unterhaltspflichtige seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gröblich verletzt.

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a) Durch Tun oder Unterlassen kann die Fürsorge- oder Erziehungspflicht verletzt werden. Zwar bedeutet das im Tatbestand vorausgesetzte „in Gefahr bringt", daß der Fürsorge- oder Erziehungspflichtige den Erfolg, der hier in der Gefahr (Rdn. 10) liegt, verursacht oder mit verursacht. Doch liegt eine Verursachung im Sinne der Gleichwertigkeit aller Bedingungen auch darin, daß die Entstehung des Gefahrenzustandes nicht abgewendet wird {Horn!Wolters SK Rdn. 8; vgl. auch FrankeGricksch S. 71; ferner Ostendorf JuS 1982 429). So erfüllt ein nicht mißhandelnder Elternteil den Tatbestand, wenn er das gemeinsame Kind der Einwirkungsmöglichkeit des mißhandelnden Elternteils nicht entzieht (BGH FamRZ 2003 450, 451). Diese Unterlassungspflicht kann selbst dann noch bestehen, wenn die Gefahr schon eingetreten oder die erhebliche Entwicklungsschädigung gar erreicht ist. Die Auffassung, den Unterlassungstatbestand erfülle nicht, wer davon absieht, den Schutzbefohlenen wieder aus der Gefahr herauszubringen, indem er etwa gegen den kriminellen Lebenswandel oder die Prostitution nicht einschreitet (Horn! Wolters SK Rdn. 8), trifft so allgemein selbst in ihrer Beschränkung auf diese Entwicklungsschädigungen nicht zu. Denn einen Fürsorge- oder Erziehungspflichtigen nicht nach § 171 bestrafen zu wollen, der es beispielsweise unterläßt, gegen die Mitgliedschaft des Jugendlichen in einer Diebesbande einzuschreiten (vgl. Rdn. 16), würde Sinn und Zeck der Vorschrift verfehlen. Die Vorstellung, daß die Verletzung regelmäßig durch Unterlassen geschieht (so Horn! Wolters SK Rdn. 10 für die Fürsorgepflicht), mag der früheren Fassung der Vorschrift („vernachlässigt, insbesondere das Kind ohne ausreichende Nahrung oder Wartung läßt") zugrundegelegen haben, entspricht aber nicht mehr dem neuen Recht. b) Gröblich26 muß die Pflichtverletzung sein. Das setzt eine objektiv und subjektiv 9 schwerwiegende Handlung voraus (KG JR 1975 297; TröndlelFischer Rdn. 4). Objektiv schwer wiegt eine Pflichtverletzung, die in einem besonders deutlichen Widerspruch zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Fürsorge oder Erziehung steht {Baier JA 2000 307). Das dürfte nach den Folgen, die sich an die Pflichtverletzung knüpfen müssen, stets anzunehmen sein, so daß in dem Merkmal gröblich keine zusätzliche Einschränkung des Tatbestandes liegt (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4). Subjektiv sind die Voraussetzungen erfüllt, wenn die Handlung, gemessen an den Möglichkeiten des Täters, ein erhöhtes Maß an Verantwortungslosigkeit erkennen läßt. 27 Das wird bei einem Erziehungsverpflichteten zu verneinen sein, der die „richtige" Anleitung unterläßt, weil er sich eine „antiautoritäre Erziehung" seines Kindes vorgenommen hat (dazu schon Rdn. 7, vgl. aber auch Rdn. 17) oder für die Entwicklung des Kindes nachteilige Umstände gegen dessen Willen oder gar mit Gewalt deshalb nicht ändert, weil er ein solches Einschreiten für erzieherisch unvertretbar hält (Horn! Wolters SK Rdn. 11). Für ein erhöhtes Maß an Verantwortungslosigkeit spricht, daß das pflichtwidrige Unterlassen in einem auffalligen Mißverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Täters steht. 28 Schon ein einmaliges Fehlverhalten kann gröb26

27

Zur dogmatischen Einordnung des Merkmals gröblich eingehend Maiwald G Κ 1974 262 f. Baier JA 2000 307; Frommel NK Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 178; Seh! Schröder ! Lenckner

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Rdn. 4; vgl. auch Horn/Wolters SK Rdn. 10; LacknerlKühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 4. LacknerlKühl Rdn. 2; vgl. aber auch Neuheuser, der zusätzlich auf den objektiven Widerspruch

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lieh sein (BTDrueks. VI/3521 S. 16; BGH NStZ 1982 328). Dann muß es sich jedoch um eine hochgradige (BGH NJW 1952 476), folgenschwere Pflichtverletzung handeln (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199, 200; Baier JA 2000 307; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4). So reicht beispielsweise nicht aus, wenn der Täter den Schutzbefohlenen nur bei einer bestimmten Gelegenheit der Gefahr der körperlichen Verletzung aussetzt (KG JR 1975 297) 29 oder ihn ein einziges Mal auffordert, Holz für den notleidenden Haushalt zu stehlen (BGH NJW 1952 476).30 Regelmäßig wird daher erst die Dauer der Handlung oder ihre Wiederholung den gröblichen Verstoß ergeben. 31 Die Strafbarkeit wird hier, weil die einzelnen Handlungen, für sich allein betrachtet, nicht ausreichen, durch ihre Addition begründet (BGHSt. 8 92, 95 mit Anm. Kohlhaas LM StGB § 170d Nr. 6;32 Schröder JZ 1972 651), wobei häufig, aber nicht notwendig (BGH M D R 1982 809), schon der Tatbestand die Mehrheit der Handlungen zu einer Bewertungseinheit verbindet (Lackner/Kühl Rdn. 32).33 Freilich liegt dann eine einheitliche Tat vor (vgl. Rdn. 20). Die insgesamt eine Pflichtverletzung darstellenden Handlungen müssen im Einzelnen festgestellt werden {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; dazu auch Rdn. 17). Dabei ist zu beachten, daß die Anforderungen an eine gröbliche Verletzung, die sich aus der Häufung von Handlungen, die jede für sich gesehen von nur geringer Art ist, ergibt, nicht notwendig mit den Maßstäben übereinstimmen, die der Familienrichter bei seiner Entscheidung nach § 1666 BGB anzulegen hat; so genügt ein allgemeiner Mangel an Zuwendung für das Kind, mag er auch mit zahlreichen Vorfällen belegt sein, nicht (BGH M D R 1979 949; Neuheuser NStZ 2000 176; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 4). 10

3. Der Taterfolg besteht in der Gefahr, das der Schutzbefohlene in seiner körperlichen oder seelischen Entwicklung erheblich geschädigt wird, einen kriminellen Lebenswandel führt oder der Prostitution nachgeht.

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zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Erziehung abstellt (NStZ 2000 178). Ein viel erörterter Fall: Ein Vater hatte seinen sechsjährigen Sohn von der Dachluke des Einfamilienhauses das 45° schräge Spitzdach hinunterkriechen und die Dachrinne reinigen lassen, wobei der Junge durch ein um Taille und Schultern gebundenes Nylonseil, das der Vater in der Hand hielt, gesichert war; daß der Vater den, etwas ängstlichen, Jungen zu der Unternehmung gezwungen hätte, ist nicht festgestellt. Die Entscheidung hat, obwohl nach dem Wortlaut des § 171 es möglich ist, auch eine einmalige Pflichtverletzung als tatbestandlich anzusehen, und hier die Gefahr eines erheblichen Körperschadens besonders groß war, weitgehende Zustimmung gefunden (Blei JA 1975 162f; LacknerlKühl Rdn. 3; Mäurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 54; Preisendanz Anm. 4a; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6). Dafür spricht neben der gebotenen einschränkenden Interpretation auch, daß § 171 Entwicklungsschäden (vgl. Rdn. 10, 11) im Auge hat, Gefährdungen im Vorfeld der §§ 222, 223, 229 ihm daher jedenfalls dann nicht unterfallen können, wenn es konkret bei einem Vorfall bleibt.

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worden, so bei Franke-Gricksch S. 76; Klimmek S. 53. Franke-Gricksch S. 76f; Frommel N K Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; vgl. auch Briischweiler S. 54; H. Jung MschrKrim. 60 (1977) 97. Beispielhaft der Fall BGHSt. 2 348: Die Eltern ließen ihr Kind über Jahre bei häuslichen Festlichkeiten und Gasthausbesuchen Alkohol zu sich nehmen, wodurch allmählich krankhafte Veränderungen der Leber, der Nieren und des Herzens eintraten. Hier nahm der Vater die zwölf und dreizehn Jahre alten Kinder auf Zechtouren mit und betrank sich in ihrer Gegenwart; zuhause verhielt er sich vor den Augen der Kinder unanständig und schamlos; die Mutter beschimpfte er im Beisein der Kinder in übelster Weise. Vgl. auch den Fall bei Fehr SZS 79 (1963) 182. Dogmatische Bedenken gegen diese Betrachtung bestehen nicht. Zwar will der Begriff gröblich ein bestimmtes menschliches Verhalten als gesteigerte Form der Vernachlässigung von Kindern kennzeichnen; doch trifft dies nach der Funktion des § 171 das Gesamtverhalten des Täters in seiner objektiven Bedeutung (Schröder JZ 1972 652).

Die Entscheidung ist zum Teil mißverstanden

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a) Erforderlich ist eine konkrete Gefahr.34 Sie setzt die Herbeiführung eines Zustandes voraus, in dem nach den gegebenen Umständen der Eintritt eines Schadens, wie er in den Tatbestandsalternativen beschrieben ist, nahe liegt.35 Es genügt also nicht jede Möglichkeit einer Schädigung; vielmehr muß deren Eintritt bei natürlicher Weiterentwicklung wahrscheinlich sein (Briischweiler S. 107; Franke-Gricksch S. 79; Klimmek S. 53). Praktisch bedeutet dies, daß der Teil der für den schädigenden Erfolg maßgeblichen Bedingungen, der gewiß ist, gegen die unbekannten, erfahrungsgemäß aber häufigen weiteren Teilbedingungen abgewogen werden muß (BGHSt. 3 256, 258 mit Anm. Hülle LM StGB § 170d Nr. 4). Danach ist beispielsweise die Schädigung nicht wahrscheinlich, wenn mit der Hilfe Dritter gerechnet werden kann. 36 Beispielhaft dafür ist die Zurücklassung eines Kleinkindes in einem Bett der Bahnhofsmission, die auf eine vorübergehende unentgeltliche Verwahrung und Betreuung eingerichtet ist (OLG Köln JR 1986 308).37 Ebenso liegt es bei der Abgabe eines Neugeborenen in eine Babyklappe (vgl. § 169 Rdn. 10 mit Fn. 30). Hier ist die Hilfe Dritter sogar sicher. Gleichwohl kommt eine Strafbarkeit der Mutter außer nach § 169 (dazu § 169 Rdn. 27) und § 170 (dazu § 170 Rdn. 45) auch nach § 171 in Betracht, weil die Trennung von der leiblichen Mutter Ursache für den Eintritt eines schweren psychischen Schadens sein kann (Alfr. Wolf FPR 7 [2001] 349; and. BärleinI Rixen Kriminalistik 2001 55). Freilich wird nach allgemeiner Lebenserfahrung der erforderliche Kausalzusammenhang schwer nachzuweisen sein (Mittenzwei ZfL 9 [2000] 40). Die Abwägung hat, weil die Auswirkungen vieler Umstände auf die körperliche und geistige Entwicklung noch ungeklärt ist, Erkenntnisse einzubeziehen, die wissenschaftlich noch nicht restlos abgesichert sind. Diese Auffassung von Gefahr liegt im Sinne der „Risikodelikte neuen Typs", mit denen auch die ungewissen, die zweifelhaften Gefahrenquellen erfaßt werden (Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 53). Ohne dies würde das Merkmal körperliche oder psychische Entwicklung, das an die Stelle des gänzlich unbestimmten Merkmals körperliches und sittliches Wohl getreten ist (vgl. dazu schon Rdn. 2), in umgekehrter Richtung seinen Zweck verfehlen. b) Die Gefahr einer erheblichen körperlichen Entwicklungsschädigung liegt vor, 11 wenn zu befürchten ist, daß der normale Ablauf des körperlichen Reifungsprozesses dauernd und nachhaltig gestört wird,38 wobei das Bestehenlassen oder Intensivieren einer bereits vorhandenen Gefahr durch Untätigbleiben ausreicht (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199; Lackner/Kühl Rdn. 3). Normaler Ablauf des Reifungsprozesses 34

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BGHSt. 3 256 mit Anm. Hülle LM StGB § 170d Nr. 4; BGH N J W 1952 476; BayObLG NJW 1952 988; KG JR 1975 297; 1982 507; O L G Köln JR 1968 308; Frommel N K Rdn. 7; Horn! Wolters SK Rdn. 3; Lackneri Kühl Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 53; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 7; fVelzel Strafrecht § 33 III 3 α ß. RG D R 1944 529; 1944 657; BayObLG N J W 1952 988, 989; LacknerlKühl Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 174. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5; Franke-Gricksch S. 80; vgl. auch Ostendorf JuS 1982 430; and. Sauer BT § 42 III 4d. Anders hingegen, wenn die Mutter ihr noch nicht vier Jahre altes Kind in einem Privatzimmer, dann im Zimmer eines Gasthauses des öfteren für längere Zeit, teilweise mehrere Tage

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und Nächte hintereinander, sich selbst überläßt, ohne die jeweilige Vermieterin über ihre Absicht, das Kind allein zu lassen, und über die Dauer ihres Fortbleibens hinreichend zu verständigen (RGSt. 77 215, 2170· Zweifelhaft der, freilich tragisch ausgegangene, Fall, bei dem die Mutter, um mit ihrem eingezogenen, kurz vor der Abreise an die Front stehenden Ehemann zusammen zu sein, zwei kleinere Kinder mit einem weiteren, vierzehnjährigen Kind für längere Zeit allein ließ, aber die Zusage ihrer erwachsenen Schwester hatte, nachts bei den Kindern zu bleiben (RG D R 1944 657). 38

BGH NStZ 1982 328, 329; KG JR 1975 297; JR 1982 507, 508; Franke-Gricksch S. 79; Frommel N K Rdn. 7; Horn/Wolters SK Rdn. 4; Klimmek S. 53; LacknerlKühl Rdn. 3; Sch/Sehröderl Lenckner Rdn. 6).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

ist individuell auf den betreffenden Schutzbefohlenen bezogen. Die erhebliche Abweichung beurteilt sich daher nicht an Hand allgemein gültiger Normen, sondern durch einen Vergleich mit der hypothetischen Körperentwicklung im konkreten Fall. Das bedeutet, daß es nicht allein auf die dem Erziehungs- oder Fürsorgeverpflichteten finanziell oder sonst wie möglichen Maßnahmen ankommt, sondern auf die jeweils optimalen Hilfen, etwa eine aufwendige Operation oder die kostspielige Betreuung in einem Rehabilitationszentrum für mißgebildete Kinder (Horn/Wolters SK Rdn. 5). Die Eingrenzung des objektiven Tatbestandes bewirkt erst das Merkmal gröblich (Rdn. 9). Weiter ist zu beachten, daß Schädigung der körperlichen Entwicklung etwas anderes bedeutet als Beschädigung der Gesundheit (vgl. § 223). Darum reicht es nicht aus, wenn der Schutzbefohlene bei einer bestimmten Gelegenheit der Gefahr körperlicher Verletzungen ausgesetzt wird (näher Rdn. 9 mit Fn. 29). Aber auch sonst steht mit der das körperliche Wohl gröblich beeinträchtigenden Pflichtverletzung nicht stets schon die erhebliche Schädigung der körperlichen Entwicklung fest. In Fällen, wie der unzureichende Gewährung von Nahrung und körperlicher Pflege,39 der Unterbringung unter schlechtesten hygienischen Bedingungen,40 der Vernachlässigung bei Geburtsschäden oder ernsten Erkrankungen 41 und der Gefahr einer Infektion durch ansteckende Krankheiten,42 muß über solche Verhaltensweisen hinaus eine nachhaltige Beeinträchtigung der ohne die Pflichtverletzung zu erwartenden körperlichen Entwicklung des Schutzbefohlenen zu besorgen sein (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6). Auch in der Form einer Gefahr haben körperliche Schäden daher auszuscheiden, wenn die zu erwartende Heilung etwa eingetretene Verzögerungen im körperlichen Reifeprozeß in absehbarer Zeit einzuholen und auszugleichen in der Lage sein wird (Horn/Wolters SK Rdn. 4). In Fällen freilich, wie der Verleitung zum Alkoholmißbrauch,43 des Anhaltens zu oder der Förderung von Drogenkonsum 44 und der Duldung ständiger körperlicher Überanstrengung, etwa durch übertriebenen Leistungssport (Arzt/ Weber BT § 10 Rdn. 31; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 6),45 kann meist ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der eingetretene Gesundheitsschaden eine Schädigung in der körperlichen Entwicklung nach sich ziehen wird. Zum Begriff der Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung gehört nicht, daß eine Gesundheitsschädigung unmittelbar bevorsteht (RGSt. 77 215, 217; OLG Köln JR 1968 308). Es genügt, wenn zu befürchten ist, daß

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Beispiele RGSt. 77 215 (zum Sachverhalt Rdn. 10 Fn. 37); B G H N J W 1951 282 (monatelange Verwendung der Einkünfte mehr für eigene Vergnügungen der Mutter als für die Ernährung und Pflege des Säuglings); BGHSt 21 44 mit Anm. Dreher JZ 1966 577 (mehrtätige Abwesenheit der Mutter, die mit ihrem Freund Weihnachten feierte, und bei ihrer Rückkehr den zehn Monate alten Säugling tot, die vier und acht Jahre alten anderen Kinder mit schweren Unterkühlungen vorfand); vgl. auch den Fall bei Maier-Diewald, wo der Vater nicht einschritt, als die Mutter die sechs gemeinsamen Kinder auf das gröblichste vernachlässigte (S. 72). Etwa in Ställen, Kellern oder Toiletten (BTDrucks. VI/3521 S. 15; Horn/ Wolters SK Rdn. 4; Klimmek S. 79; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5; Tröndlel Fischer Rdn. 6). MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 5;

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Sturm JZ 1974 3; vgl. dazu die Beispiele bei Klimmek S. 79 Fn. 375; ferner den Fall bei Staakl WagnerI Wille MschrKH 115 (1967) 200. So wenn die geschiedene Mutter eines Kindes mit einem an offener Tuberkulose leidenden Mann zusammenlebt, ohne gegen eine Ansteckung des Kindes Vorsorge zu treffen (BTDrucks. VI/3521 S. 15; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 5; Wittmann Prot. VI/35 S. 1280). Besonders eindrucksvolles Beispiel BGHSt. 2 348 (zum Sachverhalt Rdn. 9 Fn. 31). Bottke S. 111; LackneriKühl Rdn. 3; Neuheuser NStZ 2000 175; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 6; vgl. auch die Erörterungen Prot. VI/33 S. 1199f; VI/36 S. 1289f. Wobei selbst die Überwachung durch einen Sportarzt die Tat unter keinen Umständen zu rechtfertigen vermag (HornIWolters SK Rdn. 4).

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der normale Ablauf des körperlichen Reifeprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird, der Eintritt des Schadens also nahe liegt.46 So reicht beispielsweise aus, wenn ein Kleinkind über längere Zeit oft übermäßig lang im Bett liegen muß, dadurch nicht seinem natürlichen Trieb folgen und sich nicht die zu seiner Entwicklung nötige Bewegung verschaffen kann (RGSt. 77 215; vgl. auch die Fälle Rdn. 10 Fn. 37), oder die Betreuung des Kindes auf längere Zeit dem Vater überlassen wird, von dessen Neigung zu Grobheiten und Unbeherrschtheiten gegenüber dem Kind die Mutter weiß (BGH NStZ 1982 328). c) Die Gefahr einer erheblichen psychischen Entwicklungsschädigung besteht, wenn 1 2 zu befürchten ist, daß der Ablauf des normalen geistig-seelischen Reifungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört wird (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7). aa) Das Merkmal psychisch bedeutet dasselbe wie das Merkmal seelisch in § 20. Letzteres ist in § 171 nur deshalb nicht verwendet worden, weil es zumindest im Sprachgebrauch mit emotionalen und ideologischen Beziehungen behaftet ist, die, anders als in § 20, der auf die insoweit gefestigte Auslegung des früheren § 51 aufbaut, zu Mißdeutungen führen könnten (BTDrucks. VI/3521 S. 16; vgl. auch Lackneri Kühl Rdn. 3). Es stellt klar, daß die Vorschrift nur Verantwortlichkeiten für solche Fehlentwicklungen meint, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu erfassen sind (BTDrucks. VI/3521 S. 16; Horn! Wolters SK Rdn. 6). Die entsprechenden Feststellungen dürften zumeist nicht ohne Hilfe von Sachverständigen getroffen werden können (Fehr SZS 59 [1963] 179; Hanack NJW 1974 2; Horn/Wolters SK Rdn. 5).47 bb) Die sittliche Entwicklung, also das Heranreifen von seelischen Fähigkeiten zur 1 3 Bewältigung von sozialethisch zu bewertenden Lebensaufgaben, gehört grundsätzlich zur psychischen Entwicklung, wie § 171 sie meint.48 Allerdings wird teilweise das Merkmal psychisch als Verzicht auf die Einbeziehung ethischer Wertungen aufgefaßt {SehlSchröder¡Lenckner Rdn. 7; TröndlelFischer Rdn. 6).49 Diese Sicht verkennt, daß der Sonderausschuß nur den Bezug auf eine bestimmte sittliche Ordnung (BTDrucks. VI/3521 S. 16), die Integration in ein sozialethisches Normensystem als solches (Lackner/Kühl Rdn. 3), nicht aber die Berücksichtigung eines Grundtatbestandes gemeinsamer sittlicher Überzeugungen50 ausschließen wollte. Aus dem Begriff medizinischpsychologische Kriterien (Rdn. 12) läßt sich dazu nichts herleiten. Denn auch dort, 46

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BGHSt. 3 257 mit Anm. Hülle LM StGB § 170 b Nr. 4; BGH NStZ 1982 328; KG JR 1975 297; LacknerlKühl Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 177; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6. Krit. zur Konkretisierbarkeit des Elements psychisch bereits Hanack NJW 1974 3. Horn/Wolters SK Rdn. 6; LacknerlKühl Rdn. 3; Neuheuser NStZ 2000 175; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 6. Bei der Kontroverse kommt es darauf an zu ermitteln, welchen Inhalt das Merkmal psychische Entwicklung bei der Neufassung der Vorschrift erhalten hat. Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, die eine andere Sicht rechtfertigen könnten, haben seitdem nicht stattgefunden. Deshalb muß die kriminalpolitische Fragwürdigkeit der Bestimmung, die freilich gerade auf der Unbestimmtheit des BegrifTs der psychischen Entwicklungsschädigung be-

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ruht, im übrigen aber auch unabhängig von dessen Reichweite besteht (vgl. Rdn. 2; Vor § 169 Rdn. 7), außer Betracht bleiben. Für das Merkmal „den Jugendlichen in der Entwicklung schädigt oder gefährdet" in § 142 StGB D D R bestand die Streitfrage nicht; es erfaßte körperliche oder geistige und sittliche Entwicklungsschäden, die dann gegeben waren, wenn das Kind bestimmte, seinem Alter entsprechende Leistungen nicht erbrachte (Redlich!Kamin NJ 1967 150; vgl. auch StGB-Komm.-DDR [Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33] § 142 Anm. 5). 50

Die nicht unbedingt allein diejenigen unseres Kulturkreises sein müssen (so aber BGHSt. 3 256, 257 mit Anm. Hülle LM StGB § 170d Nr. 4; TröndlelFischer Rdn. 5), sondern die Regeln allgemein menschlichen Zusammenlebens einschließen.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

wo die Lebensaufgabe, die der Schutzbefohlene wahrscheinlich nicht wird bewältigen können, sozialethisch bewertet ist, handelt es sich um einen biologischen Entwicklungsprozeß, bei dem die betreffenden seelischen Fähigkeiten ohne die medizinischpsychologisch zu beurteilende Beeinträchtigung herausgebildet werden würden. Mit der Einbeziehung der vom Grundbestand gemeinsamer Überzeugungen getragenen sittlichen Entwicklung umfaßt die psychische Entwicklung im Sinne des § 171 das gesamte geistige und seelische Heranreifen des Menschen. Die verschiedenen Bereiche dieser Entwicklung lassen sich in der Wirklichkeit freilich vielfach nicht voneinander trennen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7). 14

cc) Auch die Entwicklung der Befähigung zu künftigem Legalverhalten ist Teil der psychischen Entwicklung, nicht aber ihr ausschließlicher Inhalt. Zunächst läßt sich aus den in § 171 zusätzlich genannten Erfolgen des kriminellen Lebenswandels und der Prostitution nicht folgern, daß beim Schutzbefohlenen ein Befund als eingetreten oder unmittelbar bevorstehend konstatiert werden müsse, der sich als eine Art Vorstufe zu einem kriminellen Lebenswandel oder zur Prostitution darstellt (so aber Hornl Wolters SK Rdn. 6; krit. auch Frommel N K Rdn. 7). Hat nämlich der Sonderausschuß mit der Sicherstellung der Erfassung dieser beiden „Unterfalle" (so ausdrücklich BTDrucks. VI/3521 S. 16) zugleich die Schwelle angedeutet, von der ab ein psychischer Entwicklungsschaden als erheblich angesehen werden soll (vgl. Rdn. 2), so scheiden Vorstufen eines kriminellen Lebenswandels oder der Prostitution, also unter deren Schwelle liegende Fälle, gerade aus. Im übrigen folgt aber aus den Verhaltensweisen, die dem Sonderausschuß als strafwürdig erschienen sind, und die er demnach durch § 171 hat erfassen wollen, daß der Tatbestand nicht auf einer Störung der Entwicklung zur Befähigung künftigen Legalverhaltens beschränkt worden ist. So stand dem Sonderausschuß in besonderem Maße ein elterliches Verhalten vor Augen, bei dem die Schutzbefohlenen weder Gewalt noch sexuelle Handlungen miterleben müssen. 51 Wenn auch der Sonderausschuß die für den Bundesgerichtshof maßgeblich gewesene sittliche Ordnung 52 nicht berücksichtigt haben wollte (BTDrucks. VI/3521 S. 16), so muß ihm, weil hier ein Bezug weder zur Kriminalität noch zur Prostitution besteht, eine wie auch immer begründete ethische Wertung doch vorgeschwebt haben. 53 Nicht anders liegt es bei dem ebenfalls als besonders strafwürdig hervorgehobenen Verhalten, Kinder ständig so in der Wohnung allein zu lassen und einzuschließen, daß ihr Zustand auf Grund des Kontakt- und Informationsmangels erheblich unter das Erziehungsziel herabsinkt (BTDrucks. VI/3521 S. 15; ferner Prot. VI/36 S. 1292). Auch hier ist kein Befund erkennbar, der sich als eine Art Vorstufe zu einem kriminellen Lebenswandel oder zur Prostitution erweist. Es handelt sich vielmehr eindeutig um die Beeinträchtigung der seelischen Fähigkeiten zur Bewältigung von Lebensaufgaben, die sich nach sozialethischen Normen beurteilen. So liegt die Bedeutung der angeführten Unterfalle in diesem Zusammenhang (darüber hinaus Rdn. 2)

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Etwa wie im Fall BGHSt. 3 256, 258 mit Anm. Hülle LM StGB § 170d Nr. 4: Die in zerrütteter Ehe lebenden Eltern hatten sich jeweils einem anderen Geschlechtspartner zugewandt, mit denen sie mehrere Wochen in getrennten Zimmer nächtigten; die gemeinsamen Kinder im Alter von fünf und neun Jahren nahmen davon Kenntnis, ohne daß sie Zeugen eines auch nur anstößigen Verhaltens geworden wären. Daß diese, eine konkrete Gefahr (Rdn. 10) zu Unrecht bejahende Entscheidung nicht zu billigen

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ist, bleibt in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Konkretisiert als „eine Verwirrung der Vorstellungen über die gesetzmäßige Ordnung und das sittliche Wesen der ehelichen Gemeinschaft" (BGHSt. 3 256, 258 mit Anm. Hülle LM StGB § 170d Nr. 4). Wobei sich freilich die Frage stellt, welche im Prinzip andere, als die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrundeliegende, dies sein könnte.

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Verletzung der F ü r s o r g e - o d e r E r z i e h u n g s p f l i c h t

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einzig darin, dass der Vergleich mit ihnen Anhaltspunkte für die Feststellung liefert, ob die psychische Entwicklungsschädigung erheblich ist.54 Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Auswirkungen für den Schutzbefohlenen ähnlich schwerwiegend sind. 55 dd) Die Beispiele der Gefahr einer psychischen Entwicklungsschädigung sind ebenso 1 5 zahlreich wie unterschiedlich. Eine Gefahr dieser Art besteht vor allem dann, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Fürsorgeerziehung vorliegen, also Verwahrlosung droht oder bereits eingetreten ist (SchlSchröderILenckner Rdn. 7; im Ergebnis auch HornIWolters SK Rdn. 6).56 Möglich sind aber auch psychische Schädigungen anderer Art, die das Heranreifen der seelischen Fähigkeiten zur Bewältigung der Lebensaufgaben beeinträchtigen. Als psychische Gefahrdungen gelten das fortgesetzte Einschließen und Alleinlassen eines kleineren Kindes in der Wohnung trotz bester Versorgung mit Nahrungsmitteln, 57 die ständige, von Vorwürfen und Züchtigungen begleitete Uberforderung eines Kindes durch die Pflicht zur Beaufsichtigung und Versorgung seiner jüngeren Geschwister (Kohlhaas DdA 18 [1968] 12), die völlige Verängstigung infolge dauernder Mißhandlungen, 58 namentlich in Verbindung mit Strafritualen, 59 das Abhalten vom Schulbesuch 60 oder passives Dulden anhaltenden Schulschwänzens (TröndlelFischer Rdn. 6), geschlechtlicher Verkehr eines Elternteils mit einem anderen Partner in Gegenwart des Jugendlichen, 61 häufiges Onanieren ohne

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BTDrucks. VI/3521 S. 16; ferner K G J R 1975 298; Hanack N J W 1974 3; SchlSchröderILenckner R d n . 7, 9. Frommel folgert aus dem gewandelten Verständnis vom Stellenwert der Prostitution (VG Berlin N J W 2001 983) und ihrer rechtlichen Anerkennung durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG) vom 20.12.2001 (BGBl. I 3983), d a ß die frei gewählte Lebensform einer Prostituierten als solche kein G r u n d mehr sei, von einer Entwicklungsstörung zu reden, wenn eine jugendliche Person sich in dieser Richtung orientiere ( N K R d n . 4). Diese Ansicht, die eine selektive Wahrnehmung widerspiegelt, die mit der Wirklichkeit der Kinder- und Jugendlichenprostitution nicht vereinbar ist, widerspricht ersichtlich der gesetzlichen Wertung der §§ 180 Abs. 3, 180 a Abs. 2 Nr. 1, 180 b Abs. 2 Nr. 2 (so mit Recht Tröndlel Fischer R d n . 9). Die überragende praktische Bedeutung der Verwahrlosung erklärt, d a ß nach den Vorstellungen sowohl des E 1962 als auch des Regierungsentwurfs (BTDrucks. VI/1552) mit diesem Begriff das als untauglich erkannte Merkmal der früheren Fassung des § 170d (sittliches Wohl) ersetzt werden sollte (vgl. schon R d n . 2, Vor § 169 R d n . 7). Gegen den Begriff war eingewendet worden, d a ß er diskriminierend und veraltet sei (Sturm JZ 1974 3). Er verfiel aber auch deshalb der Ablehnung, weil er den Tatbestand, namentlich im Vergleich mit dem Merkmal erhebliche Schädigung der psychischen Entwicklung, zu weit eingeengt hätte (näher R d n . 2). Jacobi Prot. VI/1292;

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wald 2 § 63 R d n . 55; Sturm J Z 1974 3; vgl. auch die Fälle RGSt. 77 215 (zum Sachverhalt R d n . 10 Fn. 37) und B G H M D R 1979 949 (die Mutter hatte das Kind im häuslichen Bereich „abgekapselt", also weitgehend von seiner U m welt ferngehalten, es sogar bei Familienausflügen allein in der Wohnung zurückgelassen). SchlSchröderILenckner R d n . 7; vgl. auch Wittmann Prot. VI/35 S. 1278 f; ferner Redlich!Kamin N J 1967 150. Lechleiter S. 65; vgl. auch Lichtenberger S. 6. Beispielhaft L G Berlin 9 Ju Ls 135/77 vom 18.7.1978: F ü r die ehelichen Kinder, später für vier Pflegekinder, galten „Familiengesetze" mit Strafen für Lügen, Verheimlichen, Gemeinheiten untereinander und fortlaufendes Zuwiderhandeln gegen elterliche Gebote, die zunächst im Arbeitszimmer besprochen, d a n n unter Mitwirkung des betreffenden Kindes, das beispielsweise Salbe holen mußte und dann wußte, d a ß die „Pitsche" hart ausfallen würde, im „Tuscul u m " vollzogen wurden. Die Kinder erwarteten und durchlitten das wohlbekannte Ritual in großer seelischer Not. mit. Becker N J W 1952 1083; Sch/Schröderl Lenckner R d n . 8; Stille Prot. VI/35 S. 1258 f; Tröndlel Fischer R d n . 6. B G H N S t Z 1995 178; R G D R 1944 529; BayO b L G N J W 1952 988; BTDrucks. VI/3521 S. 15; Heimrath Prot. VI/35 S. 1265; SchlSchröderILenckner R d n . 8; Tröndlel Fischer R d n . 6; Wittmann Prot. VI/35 S. 1281; doch bringen entgegen B G H S t 3 256, 258 mit Anm. Hülle L M S t G B § 170d Nr. 4 in zerrütteter Ehe lebende Eltern, die jeweils mit einem anderen Ge-

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Rücksicht darauf, daß es die achtjährige Stieftochter bemerkt (BGH MDR 1964 772), das Dulden geschlechtlicher Beziehungen eines Elternteils mit dem gemeinsamen Kind (BGH FamRZ 1973 91), die Mitwirkung bei kupplerischen Handlungen (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 4),62 das Vermitteln von gefährlichem Umgang (SchlSchröderILenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 6), die Ermunterung zu systematischen Gewalttätigkeiten (Heimann-Trosien LK 9 Rdn. 4), das Anhalten zum Betteln (Heimrath Prot. VI/35 S. 1267; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 6)63 und das Geschehenlassen von Diebstählen.64 Hingegen schafft das Fotografieren der zehnjährigen Tochter in sexualbetonten Stellungen, ohne daß das Kind sich der Sexualbezogenheit bewusst ist, noch keine Gefahr im Sinne des § 171 (KG JR 1982 507; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8). Auch die Möglichkeit eines Schocks infolge bei einer bestimmten Gelegenheit drohenden Verletzung (so der Fall KG JR 1975 297; vgl. Rdn. 9 Fn. 29) genügt nicht {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8). Im Ergebnis ebenso liegt es bei der Erziehung zu politisch oder religiös abwegigen Anschauungen;65 hinzukommen muß beispielsweise, daß von der praktizierten Lebensweise einer Religionsgemeinschaft, der ein Elternteil angehört, erhebliche Bedrohungen für das Kindeswohl ausgehen.66 Die einzelnen Pflichtverletzungen in Form etwa des Abhaltens, Duldens oder Anhaltens in den angeführten Fällen müssen genau festgestellt werden (BGH MDR 1979 949; vgl. auch schon Rdn. 9). So genügt beispielsweise ebensowenig, wenn nur ausgeführt ist, die Mutter habe in Gegenwart des Jugendlichen mit verschiedenen Männern geschlechtlich verkehrt, wie die Beschränkung auf den Hinweis, der Schutzbefohlene sei zum Betteln an- oder vom Schulbesuch abgehalten worden (Horn/Wolters SK Rdn. 7). 16

ee) Die Gefahr, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen erscheint gesetzestechnisch als eigenständige Alternative. Bei beiden Fällen handelt es sich indessen in aller Regel um psychische Gefährdungen. Sie sind

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schlechtspartner zeitweise zusammenleben, dadurch allein ihre geschlechtlich noch arglosen Kinder nicht in die Gefahr einer psychischen Schädigung (so auch Mayer Materialien S. 269; and. Franke-Gricksch S. 85ff; dazu schon Rdn. 14 mit Fn. 51). Aus der Rechtsprechung: BayObLGSt. 1949-51 10 (eine Frau duldete wiederholt, daß Prostituierte mit Liebhabern in ihrer Wohnung in Anwesenheit ihres fünfzehnjährigen Sohnes geschlechtlich verkehrten); BGHSt. 5 40 mit Anm. Busch LM StGB § 170d Nr. 5 und Händel N J W 1954 119 (eine Frau ließ während einer Fastnachtsfeier in ihrer Wohnung unzüchtige Handlungen einiger Gäste trotz Anwesenheit ihres fünfzehnjährigen Sohnes geschehen); OLG Braunschweig HESt. 1 47, 48 (eine Mutter erlaubte ihrer vierzehnjährigen Tochter wiederholt nachts in der Wohnung einer anderen Frau zu bleiben, mit deren neunzehnjährigem Sohn die Tochter geschlechtliche Beziehungen pflegte); Bezirksgericht Zürich, Urteil vom 28.11. 1944, mitgeteilt bei Fehr SZS 79 (1963) 183 und Franke-Gricksch S. 26: (eine Mutter gestattete bei einem Gasthausbesuch ihrer vierzehnjährigen Tochter, mit einem Gast dessen Zimmer aufzu-

suchen, wo es zu sexuellen Handlungen kam, und duldet bei einer anderen Gelegenheit, daß ihre weitere, etwas ältere Tochter mit einem Mann die Nacht in einem Bett verbrachte, während sie mit der Vierzehnjährigen in demselben Zimmer in einem zweiten Bett schlief). 63 Die Gefährdung der Kinder und Jungendlichen stellt sich dabei auch heute im Prinzip nicht anders dar als etwa in der in der Beschreibung bei v. Gutiry S. 91f; vgl. auch Redlich!Kamin NJ 1967 149. 64 B G H N J W 1952 476; AG Wermelskirchen N J W 1999 590; Maurach! Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 55; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rdn. 6. 65 Franke-Gricksch S. lOOf; Luther N J W 1954 493 f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8; Stree JuS 1963 433; zweifelnd H. Mayer Materialien S. 269; Welzel Strafrecht § 63 III 4 unter Hinweis auf KG FamRZ 1954 145 (Eheverfehlung durch eine den angemessenen Rahmen überschreitende, die Familie zurücksetzende Betätigung der Ehefrau bei den Zeugen Jehovas). « OLG Celle KirchE 34 400, 401; O L G Düsseldorf KirchE 33 32, 34 ff; 34 27; O L G Oldenburg KirchE 34 223, 224; 34 424, 425.

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daher Regelbeispiele (Frommel N K Rdn. 8). Ihre besondere Erwähnung ist im Zusammenhang mit der Streichung des § 143 zu sehen (H. Jung JuS 1974 126; Preisendanz Anm. 4c), hat aber neben dem Bedürfnis, die Erfassung dieser Fälle sicherzustellen (BTDrucks. VI/3521 S. 17), vor allem der Sinn, den für die Verwirklichung der erheblichen Gefahrdung der psychischen Entwicklung erforderlichen Grad der Verwahrlosung deutlich zu machen. 67 Ein krimineller Lebenswandel liegt vor, wenn der Schutzbefohlene wiederholt nicht unerhebliche vorsätzliche Straftaten begeht. Dabei muß die Lebensführung insgesamt durch eine besondere Hinwendung zum strafbaren Tun im Sinne eines Hanges zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3) gekennzeichnet sein.68 Erheblichen Straftaten, wie sie § 66 Abs. 1 Nr. 3 als Voraussetzung für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung voraussetzt, müssen sie jedoch nicht gleichkommen (Horn/Wolters Rdn. 7; LacknerlKühl Rdn. 4). Eine entsprechende Gefahr wird etwa geschaffen, wenn Eltern gegen die Mitgliedschaft des Schutzbefohlenen in einer Diebesbande nicht einschreiten oder es unterlassen, den Jugendlichen von einem Kriminellenmilieu fernzuhalten. 69 Hingegen genügt die einmalige Aufforderung zum Stehlen nicht (BGH NJW 1952 476; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4), wohl aber das Geschehenlassen von Diebstählen (Rdn. 15 mit Fn. 64). Auch ständiges schlechtes Beispiel reicht, weil zu wenig konkretisiert, nicht aus,70 wohl aber das Dulden oder gar Ausnutzen krimineller Handlungen {Walt. Becker NJW 1952 1083).71 Der Prostitution geht nach, wer sich ausdrücklich oder konkludent anbietet, zu Erwerbszwecken wiederholt an oder vor wechselnden Partnern sexuelle Handlungen gegen Entgelt vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen.72 In die Gefahr, der Prostitution nachzugehen, wird beispielsweise eine Jugendliche durch die Ermunterung der Eltern gebracht, sich wahllos Männern hinzugeben. Ebenso liegt es, wenn Eltern (entgegen der Intention der §§ 1626 Abs. 2 Satz 1, 1631a Satz 1 BGB) den Berufswunsch der Jugendlichen nach einer Lebensform als Prostituierte ohne weiteres zur Kenntnis nehmen oder gar fördern (TröndlelFischer Rdn. 9; and. Frommel N K Rdn. 4, dazu schon Rdn. 14 Fn. 55). Die Gefahrdung kann aber auch von einer Mutter, die Prostituierte ist, ausgehen, wenn sie ihre jugendliche Tochter miterleben läßt, wie sie ihrem Gewerbe nachgeht (Claussen Prot. VI/35 S. 1287), etwa die Prostitution in der gemeinsamen Wohnung ausübt (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9; vgl. auch Sturm JZ 1974 3).

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KG JR 1975 298; AG Wermelskirchen N J W 1999 590; Hanack NJW 1999 590; Sch/Schröder! Lenckner Rdn. 9; vgl. auch schon Rdn. 14. Frommel N K Rdn. 8; Horn/Wolters SK Rdn. 7; LacknerlKühl Rdn. 4; Neuheuser NStZ 2000 177; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 9. AG Wermelskirchen N J W 1974 3; Frommel N K Rdn. 8; Neuheuser NStZ 2000 177; Preisendanz Anm. 4 c; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 9; Sturm JZ 1974 3. Freilich scheitert die Strafbarkeit dieser elterlichen Verhaltensweise oft an der objektiven Unmöglichkeit, mit dem bescheidenen, den Eltern vertrauten pädagogischen Instrumentarium erfolgreich auf den Schutzbefohlenen Einfluß zu nehmen (vgl. LG Bremen StV 2000 501, 502). Außergewöhnliches Aufsehen auch in diesem Zusammenhang hat der „Fall Mehmet" erregt (vgl. nur Diederichsen N J W 1998 3471; ferner Gutmann S. 297, 299). Die juristische Hilflosigkeit gegenüber dieser Proble-

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matik dokumentiert nichts deutlicher, als der Gesetzesantrag des Freistaats Bayern, einen Verstoß gegen § 171 als Ausweisungsgrund in § 46 des Ausländergesetzes vom 9.7.1990 (BGBl. I 1354, 1356) aufzunehmen (BRDrucks. 620/98 vom 25.6.1998; dazu Gutmann S. 300 f)· Horn! Wolters SK Rdn. 7; and. Tröndlel Fischer Rdn. 9; vgl. dazu auch Redlich/Kamin NJ 1967 150 (negatives Vorbild durch eigenes kriminelles oder asoziales Verhalten). Beispielhaft OLG Neustadt NJW 1962 2313: Die Mutter mißbilligte zwar, daß ihr jugendlicher Sohn bei Verkaufshilfen im Geschäft des Onkels regelmäßig Geldbeträge entwendete, nahm diese aber immer wieder an und verbrauchte sie. Horn/Wolters SK Rdn. 7; Laufliütle LK § 180a Rdn. 4; SehlSchröder!Lenckner!Perron § 180a Rdn. 5; Tröndlel Fischer § 180a Rdn. 2.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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III. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. Im Unterschied zur früheren Fassung muß der Täter nicht auch gewissenlos handeln. Der Vorsatz m u ß sich auf das Schutzverhältnis, also die Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber dem Schutzbefohlenen, die gröbliche Pflichtverletzung sowie auf alle Umstände, aus denen sich die dadurch verursachte konkrete Gefährdung ergibt, erstrecken. 73 Bei Fehlvorstellungen hierüber liegt Tatbestandsirrtum (§ 16) vor (Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 10). Kennt der Täter die Umstände, die sein Verhalten zu einer gröblichen Pflichtverletzung machen, nicht, handelt er möglicherweise schon nicht subjektiv gröblich {Horn! Wolters SK Rdn. 13), jedenfalls aber mangelt es am Vorsatz. Hält der Täter, obwohl er diese Umstände kennt, die Tat für erlaubt, fehlt ihm unter Umständen das Unrechtsbewußtsein, so daß Verbotsirrtum (§17) vorliegt. 74 Doch wird ein Irrtum, der darin liegt, daß der Täter in Kenntnis aller Umstände die Pflichtverletzung nicht als eine gröbliche ansieht, als vermeidbar angesehen werden müssen. Denn, wie bei den Unterlassungsdelikten insgesamt, braucht der Täter seine Pflichtwidrigkeit nicht selbst als pflichtwidrig oder als gröblich zu bewerten; insoweit genügt die Kenntnis der Umstände, die diese Wertung begründen. 75 So wird eine Frau, die ihr Kind gröbstens vernachlässigt, nur um ihren Vergnügungen nachgehen zu können, und die Lage ihres Kindes als „gar nicht so schlimm" empfindet, sich jedenfalls dadurch nicht vom Vorwurf des § 171 befreien können (Maiwald G A 1974 263 f; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 56). Die Fehleinschätzung des Schweregrads der Pflichtverletzung begründet daher keinen Tatbestands-, sondern einen Verbotsirrtum (§ 17), dessen Vermeidbarkeit von der Feststellung abhängt, ob der Täter zur Bewertung seines Verhaltens als gröblich hätte gelangen können (Maiwald G A 1974 263 f; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 56).

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IV. Für Täterschaft und Teilnahme ist bedeutsam, daß es sich bei der Tat, soweit der Tatbestand nicht durch aktives Tun erfüllt wird, um echtes Unterlassen handelt (Rdn. 8), sie sich außerdem, weil für den Handelnden eine Pflicht zur Fürsorge für den Schutzbefohlenen oder zu dessen Erziehung bestehen muß (Rdn. 5), als Sonderdelikt erweist. Täter ist daher nur, wer zu dem Jugendlichen in einem von solchen Pflichten erfüllten Verhältnis steht, während derjenige, dem ein solches Verhältnis ermangelt, nur Teilnehmer sein kann (Frommel N K Rdn. 10; Horn! Wolters SK Rdn. 14; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 11). Für den Täter, der den Tatbestand durch Unterlassen erfüllt, scheidet die Möglichkeit einer Strafmilderung nach den §§13 Abs. 2, 49 Abs. 1 aus, weil angesichts der Gleichstellung von aktivem Tun und Unterlassen sich kaum jemals feststellen lassen wird, daß ein solches Unterlassen im Vergleich zur entsprechenden Begehungstat weniger oder gleich schwer wiegt (Horn/Wolters SK Rdn. 14; Neuheuser NStZ 2000 179). Bei dem Teilnehmer stellt sich die Frage, ob ihm die Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 zugute kommt. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß sich die Fürsorge- oder Erziehungspflicht im Prinzip nicht von sonstigen Garantenpflichten unterscheidet (Roxin L K § 28 Rdn. 66; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11). Deren Qualität als besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 Abs. 1 aber ist

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B G H M D R 1964 772; 1979 949; NStZ 1982 328 (sämtlich auch zu den Voraussetzungen, unter denen ein Fürsorge- oder Erziehungsverpflichteter die Gefährdung des Kindes durch gröbliche Verletzung seiner Pflichten billigend in Kauf nimmt); Frommel N K Rdn. 9; Horn/Wolters SK Rdn. 13; Lackneri Kühl Rdn. 7; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 10.

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Horn/Wolters SK Rdn. 13; Lackner/Kühl Rdn. 7; Preisendanz Anm. 5; and. Frommel N K Rdn. 4; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 10. Lackner/Kühl Rdn. 5; Heimann-Trosien LK9 Rdn. 10; Maiwald G A 1974 263; Maurachl SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 56; Neuheuser NStZ 2000 177.

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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht

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umstritten. 76 Die bejahende Auffassung 7 7 verdient den Vorzug. Sie kann darauf verweisen, daß der Garantenpflicht vergleichbare Verantwortlichkeiten für einen bestimmten Lebensbereich, etwa die des Amtsträgers, unstreitig besondere persönliche Merkmale sind, im übrigen kaum eine soziale Rolle denkbar ist, die den weitestgehenden Forderungen nach einer ethisch-normativ begründeten Vertrauensstellung als Voraussetzung für ein besonderes persönliches Merkmal so sehr entspricht, wie die des § 171 (Roxin L K Rdn. 66). Dementsprechend hat der Teilnehmer an der Tat nach § 171 Anspruch auf Strafmilderung nach § 28 Abs. I. 78 Andererseits scheidet bei demjenigen, der eine Fürsorge- oder Erziehungspflicht hat und, etwa neben dem anderen Elternteil, nur mangels Tatherrschaft Teilnehmer ist, die Anwendung des § 28 Abs. 1 nach § 28 Abs. 2 aus. 79 V. Die Rechtsfolgen der Tat sind Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Die Ausnahmevorschrift des § 47 Abs. 1 gilt für § 171 uneingeschränkt. Daher müssen bei einem Gewicht des verschuldeten Unrechts der Tat von unter sechs Monaten Geldstrafen verhängt werden, während Freiheitsstrafen nur in Betracht kommen, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, ihre Verhängung zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen, wobei deren Vollstreckung nach § 56 Abs. 1 wiederum regelmäßig zur Bewährung auszusetzen ist. 80 Bei einem Gewicht des verschuldeten Unrechts der Tat von sechs Monaten aufwärts verliert die Geldstrafe zwar nicht sofort, aber kontinuierlich ihren Charakter als Regelstraftart; die Verhängung einer solchen Freiheitsstrafe muß, aus speziai- oder generalpräventiven Gründen, zunehmend weniger unerläßlich sein (Horn SK § 47 Rdn. 7 mit Einzelheiten). Grundlegende und elementare Mutterpflichten sind Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes und dürfen deshalb nach § 46 Abs. 3 nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH N S t Z - R R 1998 101, 102; Detter N S t Z 1998 503). Im Hinblick auf die niedrige Strafandrohung wird der Richter unter den sonstigen Sanktionsmöglichkeiten neben den §§ 153, 153 a (Einstellung wegen Geringfügigkeit oder nach Erfüllung von Auflagen) § 59 (Verwarnung mit Strafvorbehalt) zu beachten haben. 81

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VI. Bei den Konkurrenzen kommt ganz überwiegend tateinheitliches Zusammentreffen in Betracht, nachdem die Subsidiaritätsklausel des früheren Rechts (dazu Rdn. 2) weggefallen ist {Sturm JZ 1974 3). Für die §§ 174, 180, 180b gilt dies trotz zum Teil übereinstimmender Schutzrichtungen, weil diese Vorschriften im Gegensatz zu § 171 keine konkrete Gefahrdung der psychischen Entwicklung voraussetzen; entsprechend beurteilt sich das Verhältnis zu § 225, bei dem eine Gefahrdung der körperlichen oder psychischen Entwicklung nicht eingetreten zu sein braucht. 82 Tateinheit

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Vgl. den umfassenden Überblick zum Streitstand bei Sch/SchröderICramerlHeine § 28 Rdn. 18 f. Ausführliche Begründung bei Vogler S. 268 ff; für die Gegenmeinung insb. Geppert ZStW 82 (1970) 40 ff. Arzl/Weber BT § 10 Rdn. 32; Frommel NK Rdn. 10. 11; Gerì S. 130; HornlWolters SK Rdn. 12; Roxin LK § 28 Rdn. 66; and. LacknerlKühl Rdn. 8; SchlSchröderILenckner Rdn. II. Vgl. zum Ganzen auch § 170 Rdn. 69 (zur Eigenschaft des zum Unterhalt Verpflichteten), § 172 Rdn. 12 (zur Eigenschaft, Partner einer Doppelehe zu sein) und § 173 Rdn. 32 (zur Verwandteneigenschaft).

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Zur Unerläßlichkeit einer Freiheitsstrafe, der Sachdienlichkeit von Auflagen und Weisungen bei der Strafaussetzung zur Bewährung, sowie zum Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung vgl. Neuheuser NStZ 2000 179. Horn/Wolters SK Rdn. 16; grundsätzlich dazu auch Horn NJW 1980 106 ff; Schöch Festschrift Baumann S. 25 ff. HornlWolters SK Rdn. 16; LacknerlKühl Rdn. 9; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 57; SchlSchröderILenckner Rdn. 12; Preisendan: Anm. 6; TröndlelFischer Rdn. 7; insb. für § 225 H. Jung MschrKrim. 1977 91; Sturm JZ 1974 3; and. Frommel NK Rdn. 11 (mit Ausnahme von § 225), weil die Tatbestände als Sonderdelikte

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

kann weiter mit § 154,83 § 170,84 § 221,85 § 222 86 und §§ 223 ff (Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 57; LacknerlKühl Rdn. 9) bestehen, unter Umständen auch mit § 184 b.87 Idealkonkurrenz kommt ferner bei Beteiligung an den Straftaten Jugendlicher in Betracht {Horn! Wolters SK Rdn. 14), so bei § 30 (Versuch der Beteiligung) und Anstiftung etwa zu den §§ 242 oder 263 (TröndlelFischer Rdn. 11) sowie bei Beihilfe durch Unterlassen (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12). Tateinheit liegt auch vor, wenn der Fürsorgepflichtige den Schutzbefohlenen als Werkzeug benutzt (Sch/Schröder)Lenckner Rdn. 12). Hingegen kann § 171 mit § 212 in Tatmehrheit zusammentreffen (BGH NStZ-RR 1998 101). Wiederholte Pflichtverletzungen, wie sie in der Regel erforderlich sind, um die Gefahrdung durch gröbliche Verletzung herbeizuführen, sind insgesamt eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat nach § 171.88 Bringt der Täter mehrere Personen, denen gegenüber er eine Fürsorge- oder Erziehungspflicht hat, in die konkrete Gefahr, so hängt es von den Umständen der Gefahrdung jedes einzelnen ab, ob Handlungseinheit (gleichartige Idealkonkurrenz) oder Handlungsmehrheit besteht. 89 Dies gilt, da Unterlassungsdelikte dabei grundsätzlich denselben Regeln unterliegen, auch für den Fall des Unterlassens, wenn der Täter eine Mehrheit verschiedener Handlungen vorzunehmen hätte {SehlSchröder! Lenckner Rdn. 12). Die § 171 ergänzenden Bußgeld- und Strafvorschriften der §§ 104, 105 SGB VIII (vgl. Rdn. 4) treten hinter § 171 zurück (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 12).

§172 Doppelehe Wer eine Ehe schließt, obwohl er verheiratet ist, oder wer mit einem Verheirateten eine Ehe schließt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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die Pflichtverletzung spezifischer kennzeichneten und daher grundsätzlich vorgingen. Pfeiffer! Maul!Schulte Anm. 4 unter Bezugnahme auf die unveröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs 4 StR 304/57 vom 15.8. 1957. BVerfGE 50 142, 157; OLG Hamm N J W 1964 2316, 2317 mit Anm. Merkert; Horn/Wolters SK Rdn. 15; LacknerlKühl Rdn. 9; Preisendanz Anm. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; vgl. auch § 170 Rdn. 31 mit Fn. 129, Rdn. 54 mit Fn. 268, Rdn. 76. Horn! Wolters SK Rdn. 15; Preisendanz Anm. 6; Tröndlel Fischer Rdn. 11; SehlSchröderlEser § 221 Rdn. 18; angesichts der Betonung der Eigenständigkeit des § 171 durch den Wegfall der Subsidiaritätsklausel dürfte die Annahme eines spezielleren Charakters der Aussetzung nicht mehr gerechtfertigt sein; and. Baier JA 2000 307; Tröndlel Fischer § 221 Rdn. 19. BGHSt. 2 348, 349 (durch übermäßige Verab-

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reichung von Alkohol herbeigeführte Alkoholvergiftung mit tödlichem Ausgang); Frommel N K Rdn. 11; Horn! Wolters SK Rdn. 15; LacknerlKühl Rdn. 9; Preisendanz Anm. 6; Sauer BT § 42 III 4d; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12. Dann nämlich, wenn außer dem Schutzbefohlenen noch andere Jugendliche gefährdet werden; sonst tritt § 184 b hinter § 171 zurück (Seh! Schröder!Lenckner Rdn. 12). BGHSt. 8 92, 95 mit Anm. Kohlhaas LM StGB § 170d Nr. 6; 43 3; BGH NStE § 171 Nr. 1; Frommel N K Rdn. 11; Horn/Wolters SK Rdn. 15; LacknerlKühl Rdn. 2; Maurach!Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 57; Neuheuser NStZ 2000 179; Pfeiffer!Maul!Schulte Anm. 3; Schänke! Schröder!Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 11; vgl. auch Schröder JZ 1972 651. Horn! Wolters SK Rdn. 15; Neuheuser NStZ 2000 179; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 11.

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Schrifttum Becker H. J. Die strafrechtlichen Konsequenzen einer nichtigen Ehe, Diss. Münster 1912; Bischoff Schafft die Rechtsprechung des BGH Doppelehen? Oder: Wann wird ein Scheidungsausspruch rechtskräftig? FuR 12 (2001) 348; Bosch F. W. Neuordnung oder nur Teilreform des Eheschließungsrechts? NJW 1998 2004; Brohan Étude sur le crime de bigamie (1898); Bruns!Beck Das Eheverbot bei Gleichgeschlechtlichkeit, MDR 1991 832; Cullmann Die Behandlung Polygamer Ehen im internationalen Privatrecht von England, Frankreich und Deutschland, Diss. Bonn 1976; Cullmann Anerkennung polygamer Ehen in der Bundesrepublik Deutschland, FamRZ 1976 313; Ebermayer Bigamie (Doppelehe), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. 1 (1926) 760; Eckstein E. Versuch und Vollendung der Bigamie, GS 83 (1915) 124; Francke Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung und Bigamie, DJZ 1897 382; Frauenstädt Breslaus Strafrechtspflege im 14. und 16. Jahrhundert - Ein Beitrag zur Geschichte des Strafrechts, ZStW 10 (1890) 1, 229; Gamillscheg Doppelehe und hinkende Ehe im internationalen Privatrecht, Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien Bd. 40 (1961); Gautschi Die mehrfache Ehe im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1953; Graßhof Keine Doppelehe nach fehlerhaftem Rechtskraftzeugnis! NJW 1981 437; Hälschner Die Lehre vom Ehebruche und der Bigamie in geschichtlicher Entwicklung und nach dem neuern insbesondere norddeutschen Strafgesetzbuch, GS 22 (1870) 401; Hamburger Die Bestrafung des Konkubinats in Deutschland, ZStW 4 (1884) 499; Heintzmann Zur Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, FamRZ 1980 112; Heintzmann Doppelehe nach fehlerhaftem Rechtskraftzeugnis? NJW 1981 208; Hoche Das Verbrechen der Bigamie unter besonderer Berücksichtigung der im Ausland abgeschlossenen bigamischen Ehen, Diss. Heidelberg 1912; Lange Hch. Fragen des Eheschließungsrechts, AcP 1939 129; Liebelt Bigamie als Ausländertat eines Ausländers, GA 1974 20; Löwenstein Die Bekämpfung des Konkubinats in der Rechtsentwicklung, StrafrAbh. 201 (1919); Mayer M. Der Konkubinat, Diss. Erlangen 1931; Neukötter Die Strafbarkeit des Konkubinats, StrafrAbh. 273 (1930); Nordhues Ehe und Homosexualität? DRiZ 1991 136; Nowakowski Anwendung des inländischen Strafrechts und außerstrafrechtliche Rechtssätze, JZ 1971 633; Oppe Deutsch-spanische Doppelehe in Mexiko, MDR 1971 23; Pagenstecher Über die Doppelehe, RhZfZ 10 (1919/20) 20, 134; Peters C. Bigamie infolge Wiedereinsetzung, MDR 1959 533; Pfenninger Die Strafbarkeit der mehrfachen Ehe (Bigamie), SJZ 63 (1967) 369; Ramm Eheverbot und Ehenichtigkeit, JZ 1963 47, 81; Rehbein Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung und Bigamie, DJZ 1897 197; Robrecht Ehenichtigkeit und Wiederholung der Eheschließung im Falle der Doppelehe, JR 1952 389; Ruza Das Erscheinungsbild der Bigamie in der Nachkriegszeit, Diss. Freiburg 1950; Schrodt Die Konfliktlösung bei Doppelehe, JR 1951 43; Schwinge Polygamie in den USA, FamRZ 1978 171; Stange Beiträge zur Lehre von der Bigamie, Diss. Göttingen 1893; Strätz Rechtsfragen des Konkubinats im Überblick, FamRZ 1980 301, 434; Thomsen Versuch der Bigamie, ein Versuch, bei dem ein Dritter den Anfang macht? DJZ 1909 1433; Völker Bigamie durch Wiederverheiratung nach Todeserklärung des ersten Ehegatten? SJZ 45 (1949) 221; v. Weickhmann Die Vielehe deutscher Staatsangehöriger in mohammedanischen Staaten, Diss. Greifswald 1895; Winkler v. Mohrenfels Hinkende Doppelehe, Vorfragenanknüpfung und Gestaltungswirkung inländischer Scheidungsurteile, IPRax. 8 (1988) 314; Wolff Kriegsverschollenheit und Wiederverheiratung, Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm (1919) 116. Im übrigen gelten die Angaben Vor § 169.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift leitete ursprünglich den Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" ein. Sie lautete: „(1) Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unverheiratete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheiratet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefangnis(379)

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

strafe nicht unter sechs Monaten ein. (3) Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tag, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist." Durch Art. 34 Abs. V EGBGB (vgl. Vor § 169 Rdn. 3 Fn. 15) wurde in Anpassung an die früheren (durch § 84 EheG 1938 aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 1323ff BGB über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe in den Absätzen 1 und 2 der Satzteil „aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt" durch den Satzteil „aufgelöst oder für nichtig erklärt" ersetzt. Eine systematische Veränderung brachte die Durchführungsverordnung vom 18.3.1943 (vgl. Vor § 169 Entstehungsgeschichte). Sie gab dem Zwölften Abschnitt die Überschrift „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie" (Art. 1 § 1 Abs. 1) und stellte die Vorschrift (zusammen mit dem vom 1. StrRG gestrichenen § 172) als § 171 in diesen Abschnitt ein (Art. 1 § 1 Abs. 3). Die geltende Fassung erhielt die Vorschrift durch das 4. StrRG. Durch das 6. StrRG wurde § 171 in § 172 umbenannt. Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 308; Bd. 8 S. 369 f, 457, 619ÍT; Bd. 12 S. 601; E 1962 S. 44, 349; AE S. 7, 60f; BTDrucks. VI/1552 S. 14; VI/3521 S. 17, 73; 7/514 S. 5, 19; Prot. VI/34 S. 1244; VI/71 S. 2030.

Übersicht Rdn. I. Allgemeines 1. Geschichte 2. Die Änderungen durch das 4. StrRG 3. Zum Rechtsgut 4. Deliktsnatur II. Der äußere Tatbestand 1. Verheiratet sein a) Formell gültige Ehe b) Keine formell gültige Ehe . . . .

Rdn.

l^t 1 2 3 4 5-8 5-6 5 6

III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

2. Die Tathandlung a) Formell gültige weitere Ehe . . . b) Weitere Eheschließung Rechtswidrigkeit Der innere Tatbestand Vollendung der Tat Täterschaft und Teilnahme Rechtsfolgen Verjährung Konkurrenzen

7-8 7 8 9 10 11 12 13 14 15

I. Allgemeines 1

1. Die Geschichte der strafrechtlichen Behandlung der Doppelehe 1 ist ebenso lang, wie wechselvoll. Ihre Art hing jeweils davon ab, ob sie als eine Verletzung der ehelichen Treue oder als ein Verstoß gegen die mehrere Ehen verbietenden Ehegesetze aufgefaßt wurde. Nach römischem Recht, das die Ehe von jeher und zu allen Zeiten der Monogamie unterwarf, war jeder entgegenstehende, selbst in Kenntnis der bestehenden Ehe vollzogene Akt wirkungslos und dementsprechend straflos. Erst Diokletian2 bedrohte die Doppelehe, und zwar für Mann und Frau gleich, mit Infamie, wobei eine Kriminalstrafe freilich nur anfiel, wenn die Tat sich zugleich als stuprum oder adulterium erwies.3 Dem germanischen Recht war die Doppelehe fremd; sie

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Gleichbedeutend mit Bigamie. Zur Bedeutung der Bezeichnung und zu ihrer Verwendung Vor §169 Rdn. 1 Fn. 1. Cod. 5,5,2 des Jahres 285 (näher Mommsen S. 121 Fn. 3), vermutlich erlassen, um die lokalrechtlich bestehende Polygamie zu beseitigen (Blei BT § 37 III 1; Mommsen S. 701).

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Allfeld § 90 II; Hälschner GS 22 (1870) 404f; v. Hippel I § 66 II 3 Fn. 2; v. Liszt/Schmidt BT § 115 I; Mommsen S. 701; Oehm S. 26; Pfenninger SJZ 63 (1967) 369 f.

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erschien nur als qualifizierter Ehebruch, blieb also bei dem Mann selbst unter diesem Gesichtspunkt straflos {Binding Lehrbuch I § 59 II; Hälschner GS 22 [1870] 405; Oehm S. 26). Hingegen sah das kanonische Recht in der verbotenen Ehe seit je einen Angriff auf das Sakrament der Ehe als einer beide Partner unauflöslich vereinigenden Verbindung göttlicher Herkunft und ordnete sie dementsprechend neben dem Ehebruch der Unzucht zu (v. Hippel I § 9 II 1). In dem jahrhundertelangen Kampf der religiösen Prinzipien gegen die ihnen widerstrebende Volkssitte gewannen die Vorstellungen des kirchlichen Disziplinarrechts auch hier schließlich die Oberhand. 4 Am Ende wuchs die Doppelehe, mit schwerster Strafe bedroht, 5 über den Ehebruch hinaus 6 zu einem selbständigen Delikt.7 Noch das gemeine Recht hielt streng an der Auffassung fest, daß die Doppelehe das geschlechtliche Treueverhältnis der ersten Ehe verletze, mithin zur Vollendung die Vollziehung des Beischlafs gehöre.8 In der Aufklärungszeit wurde die Strafbarkeit in Frage gestellt.9 Die Einführung der obligatorischen Zivilehe (1875) hat die Stellung der Doppelehe im System gesichert, dabei ist der Gedanke einer Verletzung der geschlechtlichen Treue endgültig zurückgedrängt worden.10 2. Die Änderungen durch das 4. StrRG haben überwiegend nur geringe Bedeutung. 2 Sachlich decken sich neues und altes Recht. Die nach dem Vorbild früherer Entwürfe (vgl. E 1927/30 § 310; E 1962 § 194) geänderte Fassung stellt lediglich eine Vereinfachung dar. Aus der Veränderung des Wortlauts kann daher nicht etwa geschlossen werden, daß der Fall, bei dem ein Ehegatte nach vorausgegangener Todeserklärung des anderen Ehegatten in Kenntnis der Unrichtigkeit der Todeserklärung mit einem gutgläubigen Dritten eine neue Ehe schließt, nicht mehr erfaßt werde (Sturm JZ 1974 3; vgl. dazu Rdn. 8). Nach wie vor reicht bei der subjektiven Tatseite, entgegen dem Vorschlag des AE (näher Vor § 169 Rdn. 14), bedingter Vorsatz aus. Eine wesentliche Veränderung hat es bei der Strafdrohung gegeben. Mit der Ermäßigung der Freiheits4

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Ein genauer, allgemein gültiger Zeitpunkt des Wandels im weltlichen Recht ist den Rechtsquellen des Mittelalters nicht zu entnehmen (vgl. die Einzelheiten bei Hälschner GS 22 [1870] 406fi). Die Untersuchung von Frauenstädt weist den ersten Straffall der Doppelehe im peinlichen Verfahren für das Jahr 1472 aus (ZStW 10 [1890] 234). Nach Frommel wird die Doppelehe in verschiedenen Stadtrechten schon im 13. Jahrhundert unter Strafe gestellt (NK Rdn. 1). Wofür gewiß auch die vergleichsweise sehr große, durch die damaligen Kulturzustände begünstigte Häufigkeit des Delikts ursächlich war (vgl. die Fälle bei Frauenstädt, wo drei von neun Tätern gleich drei angetraute Frauen hatten [ZStW 10 (1890} 234]). Vgl. Carolina Art. 121 „ ...welche übelthat dann auch bey ehebruch und grösser dann das selbig laster ist". Daß der deliktische Unwert der Doppelehe den des Ehebruchs übersteigt, galt bis zuletzt (vgl. Blei FamRZ 1961 138; Schmitt S. 516; ferner Quanter S. 113 f, 1260· Allmählich auch im Sinne einer Gleichstellung des Mannes mit der Frau, die freilich selbst das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 noch nicht vollzog (II 20 §§ 1061 bis 1065).

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Mittermaier S. 85; v. Liszt/Schmidt BT § 115 I; Oehm S. 27; zu den praktischen Konsequenzen QuanterS. 113f, 126 f. Insb. Thomasius De Crimine Bigamiae (1685); näher zu Thomasius schon Vor § 166 Rdn. 8 Fn. 53. Zur Strafbarkeit des nicht ehelichen Zusammenlebens zweier Personen verschiedenen Geschlechts (Konkubinat), im ausgehenden Mittelalter ebenfalls mit schwerster Strafe bedroht, ist bei Schaffung des Strafgesetzbuchs ungeachtet der landesgesetzlichen Strafbestimmungen (dazu im einzelnen Neukötter S. 15 ff) nicht Stellung genommen worden. Doch hat sich alsbald die Auflassung durchgesetzt, daß dessen Bestrafung nach § 2 Abs. 1 des durch Gesetz vom 16.4.1871 (RGBl. S. 63) zum Reichsgesetz erklärten Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund als Vergehen gegen die Sittlichkeit unzulässig sei, weil das Strafgesetzbuch diese Materie erschöpfend geregelt habe (vgl. Lobe L K 3 EG § 2 Anm. 4). Zum Ganzen auch Hamburger ZStW 4 (1884) 499 ff; Löwenstein S. 43 ff; M. Mayer S. 20f; Strätz S. 301 ff, 434 ff.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

strafe auf bis zu drei Jahren ist die Doppelehe kein Verbrechen mehr. Die Bestrafung des Versuchs sieht die Vorschrift nicht mehr vor. Es besteht dafür kein Strafbedürfnis, abgesehen davon, daß Versuch und Vorbereitung sich bei der Doppelehe nur schwer voneinander trennen lassen (BTDrucks. VI/1552 S. 14; Sturm JZ 1974 3).11 Schließlich ist auf eine dem früheren § 171 Abs. 3 (vgl. Entstehungsgeschichte) entsprechende Vorschrift, die den Beginn der Verjährung bis zum Tage der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe aufschiebt, verzichtet worden. Dabei hat sich die Erwägung durchgesetzt, daß auch in anderen Fällen die Fortdauer des durch die Straftat geschaffenen rechtswidrigen Zustandes den Beginn der Verjährung nicht aufschiebt (BTDrucks. VI/1552 S. 14; Sturm JZ 1974 3). Da das Schließen einer bigamen Ehe und nicht etwa das Leben in ihr strafbar ist, gibt es keinen Grund, die Doppelehe schwerer als irgend ein anderes sonst gleich strafbares Vergehen zu behandeln (so schon Mittermaier S. 88). Folge dieser Änderung ist freilich, daß Verjährung eintreten kann, obwohl der rechtswidrige Zustand der Doppelehe noch fortbesteht (vgl. auch Rdn. 14). 3

3. Rechtsgut der Vorschrift ist die auf dem Grundsatz der Einehe beruhende staatliche Eheordnung, vor allem also das in § 1306 BGB (früher § 5 EheG, ursprünglich § 1309 BGB) enthaltene Verbot der Doppelehe.12 Die Vorstellung, daß die Doppelehe (auch) eine Verletzung der ehelichen Treue (dazu Rdn. 1) oder, damit verwandt, der öffentlichen Treue (im Sinne eines Betrugs des Publikums; vgl. Mittermaier S. 86) sei, mag trotz der (früheren) Strafbarkeit des Ehebruchs nie ganz aufgegeben worden sein (erkennbar beispielsweise noch bei Allfeld § 90 II; Stracke S. 47; Wachenfeld § 113 II 1). Doch entspricht es inzwischen einhelliger Auffassung, daß dieser Gedanke, ebenso wie andere gesellschaftliche Moralvorstellungen (Horn! Wolters SK Rdn. 2; D. Schwab Familienrecht Rdn. 80), das Rechtsgut des § 172 nicht mit bestimmt.13 Zweck des § 172 ist, den ungesetzlichen Zustand zu verhindern, der darin liegt, daß zwei formal gültige Ehen nebeneinander bestehen.14 Dieser Zweck ist allerdings nicht Tatbestandsmerkmal geworden {LackneriKühl Rdn. 2; Horn!Wolters SK Rdn. 2; Sturm JZ 1974 3). Daher gilt § 172 auch bei Gutgläubigkeit eines oder beider Ehegatten im Falle der Wiederverheiratung nach vorausgegangener Todeserklärung, wenn der für tot erklärte Ehegatte noch lebt (näher Rdn. 8; vgl. auch schon Rdn. 2).

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So galten, jeweils mit guten Gründen, als Beginn des Versuchs ebenso schon die Beantragung des Eheschließungstermins (E. Eckstein GS 83 [1915] 124), wie das Erscheinen vor dem Standesbeamten (Heìmann-Trosien L K ' Rdn. 10), die erste Frage des Standesbeamten (RGSt. 9 84; R G G A 53 79; 69 98; O L G Gera NJ 1948 231; Ebermayer S. 761; Frank Anm. III; Maurach BT § 49 II Β 4), aber auch erst die Antwort des zuerst Gefragten (Thomsen D J Z 1909 1433). So z.B. ArztlWeber BT § 10 Rdn. 29; Binding Lehrbuch I § 59 II; Blei BT § 37 III 1; Bottke S. 112; Gerì S. 130; H orni Wolters SK Rdn. 2; Kindhäuser § 4 D 4.10; Kohlrauschi Lange Anm. 1; Lackneri Kühl Rdn. 1; Maurach/Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 77; Otto BT § 65 Rdn. 8; Preisendanz Anm. 1; Roxin TuT S. 428; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 1; TröndlelFischer Rdn. 1; einschränkend Frommel N K Rdn. 2. Hefendehl

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sieht in dieser Rechtsgutbestimmung eine Tautologie, weil zur staatlichen Eheordnung gerade das Verbot der Doppelehe gehöre (S. 33), und hält § 172 daher für das Paradigma eines rechtsgutslosen Delikts (S. 359); vgl. dazu auch § 173 Rdn. 14. Für den, inhaltlich ebenfalls dem früheren Recht gleich gebliebenen § 156 StGB D D R (vgl. Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33) findet sich einerseits die Meinung, das Strafgesetz schütze die Einhaltung des gesetzlichen Eheverbots (StGB-DDRLehrb. BT S. 123), andererseits aber auch die Auffassung, der strafrechtliche Schutz beziehe sich sowohl auf eine bestehende Ehe und Familie als auch auf die staatliche Ordnung hinsichtlich der Gültigkeit von Ehen (StGB-DDRKomm. § 156 Anm. 1). Horn/Wolters SK Rdn. 2; Pfeiffer!Maul!Schulte Anm. 1; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1; Tröndlel Fischer Rdn. 1.

Stand: 1.7.2003

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4. Nach der Deliktsnatur der Vorschrift ist die Tat bloßes Zustandsdelikt, kein 4 Dauerdelikt. Das folgt aus der Tatbestandsstruktur, wonach der Vorwurf nur an die Herbeiführung der Doppelehe, nicht aber an die Aufrechterhaltung des widerrechtlichen Zustandes geknüpft ist.15 Die Aufrechterhaltung des durch die Tat geschaffenen Zustandes hat keine selbständige kriminelle Bedeutung. 16 Mit der Eingehung der zweiten Ehe ist die Tat nicht nur vollendet, sondern auch beendet. 17 Das hat Folgen für die Teilnahme (Rdn. 12) und die Verjährung (Rdn. 14). Auch scheidet die Bildung eines § 171 entsprechenden Unterlassungstatbestandes, der das NichtUnternehmen von Schritten zur Beseitigung des „rechtswidrigen" Zustandes, etwa der Fortsetzung einer nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Mehrehe im Inland (vgl. Rdn. 8), mit Strafe bedroht, aus (Frommel N K Rdn. 3; Horn! Wolters SK Rdn. 5). II. Der äußere Tatbestand verlangt, daß der Täter eine Ehe schließt, obwohl er oder der andere Teil verheiratet ist. 1. Verheiratet sind die Beteiligten, wenn sie jeweils in einer wirksam geschlossenen Ehe leben. a) Es muß sich um eine formell gültige Ehe handeln. Formell gültig ist eine Ehe, die durch die Erklärung der Eheschließenden vor dem Standesbeamten, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, geschlossen wird (§ 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder unter bestimmten Voraussetzungen als geschlossen gilt (§ 1310 Abs. 2 BGB). Als Standesbeamter wird auch angesehen, wer, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausgeübt und die Ehe in das Heiratsbuch eingetragen hat (§ 1310 Abs. 2 BGB), beispielsweise der Stellvertreter des Bürgermeisters, der aber nicht zu seinem Stellvertreter bestellt ist (Hch. Lange AcP 1939 156). Ob die Ehe durch gerichtliches Urteil aufgehoben (§ 1313 BGB) oder nach den für die Ehescheidung geltenden Vorschriften aufgelöst werden kann, hat für die formelle Gültigkeit keine Bedeutung. Das folgt daraus, daß entgegen dem früheren Recht (§§ 23, 26 EheG) es keine nichtigen, sondern nur aufhebbare Ehen gibt (Hornl Wolters SK Rdn. 3 a; D. Schwab Familienrecht Rdn. 53, 79).18 Die Unterscheidung von nichtigen und aufhebbaren Ehen war für die strafrechtliche Wertung freilich schon nach altem Recht als bedeutungslos angesehen worden {Hornl Wolters SK Rdn. 3a; vgl. auch LK Voraufl. Rdn. 9). Ob Eheschließungen im Ausland formgültig sind, beurteilt sich nach den Bestimmungen des Art. 11 EGBGB. Für Deutsche besteht neben der Heirat entsprechend der Ortsform in den vom Auswärtigen Amt im Benehmen mit dem Bun-

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Vgl. etwa LacknertKühl Vor § 52 Rdn. 11; Kissing· van Saan LK Vor § 52 Rdn. 35; SchlSchröderlSlree Vorbem §§ 52ff Rdn. 82; Stracke S. 48; TröndlelFischer Vor § 52 Rdn. 35. Der Begriff Zustandsdelikt ist insofern irreführend, als auch bei solchen Straftatbeständen sich die Verwirklichung des Unrechts mitunter über einen längeren Zeitraum erstrecken kann ( Vogler LK 1 0 Vor §§ 52ff Rdn. 25). So daher auch die weit überwiegende Auffassung, z.B. Blei BT § 37 III 1; Ebermayer S. 761; Frommel N K Rdn. 3; Hafkesbring S. 38; Horn/Wolters SK Rdn. 5; LacknertKühl Rdn. 6; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 83; Mittermaier S. 88; Oehm S. 32; Oppe M DR 1971 23; Pfeiffer!MaullSchulte Anm. 1 (unter Bezug-

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nahme auf die unveröffentlichte Entscheidung BGH 2 Str 535/59 vom 9.12.1959); Preisendanz Anm. 3; Robrecht JR 1952 390; Sauer BT § 42 II 2; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 7; Stracke S. 48; Wulffen S. 7; Tröndlel Fischer Rdn. 6; and. Gerland § 140 II 2. Horn! Wolters SK Rdn. 5; Lackneri Kühl Rdn. 5; Pfeiffer/MaullSchulte Anm. 1; Robrecht JR 1952 390; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7. Die Möglichkeit, durch gerichtliches Urteil (§§ 23, 29 Abs.l EheG) in bestimmten Fällen (§§ 4, 17 Abs. 1, 20, 21 EheG) die Ehe für nichtig zu erklären, ist jetzt von der Eheaufhebbarkeit mitumfaßt {Horn!Wolters SK Rdn. 3a, 3d; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3; krit. zum neuen Recht F. W. Bosch NJW 1998 2006).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

desminister des Inneren besonders bezeichneten Konsulärbezirken die Möglichkeit der Eheschließung vor dem deutschen Konsularbeamten, wenn mindestens ein Verlobter Deutscher und keiner von ihnen Angehöriger des Empfangsstaates ist (§ 8 Abs. 1 KonsG 19 ). Der Konsularbeamte gilt insoweit als Standesbeamter. Gestattet die Ortsform die „Handschuhehe" (Heirat durch Stellvertreter), so ist auch eine so geschlossene Ehe formgültig. Bei Eheschließungen zwischen oder mit Ausländern im Inland gelten die besonderen Bestimmungen des Art. 13 EGBGB. 20 Das Personalstatut von Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit bestimmt sich nach Art. 1 Abs. 1 EGBGB, das von Staatenlosen 21 nach Art. 1 Abs. 2 EGBGB. Sonderregelungen bestehen für Flüchtlinge, Verschleppte und Vertriebene (Rechtsquellen bei PalandtlHeldrich Anhang II zu Art. 5 EGBGB). 6

b) Keine formgültige Ehe ist die (von der früheren Ehenichtigkeit zu unterscheidende) Nichtehe (Horn! Wolters SK Rdn. 3 b; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 3). Sie entfaltet keinerlei Rechtsbeziehungen und fällt daher nicht unter § 1721 BGB. Eine Nichtehe liegt beispielsweise bei der Eheschließung vor einer anderen Person, als dem Standesbeamten, etwa einem Geistlichen oder einem Rabbiner, vor.22 Ferner besteht eine Nichtehe, wenn die Verlobten sich dem Standesbeamten, der nicht zur Mitwirkung bereit war, aufgedrängt haben, weil auch dann die Eheschließung nicht im Sinne des § 1310 Abs. 1 Satzl BGB (früher § 11 Abs. 1 EheG) vor einem Standesbeamten stattgefunden hat (vgl. RGZ 166 341, 342). Hingegen dürfte bei der Eheschließung durch einen unerkennbar geisteskranken oder sonst geschäftsunfähigen Standesbeamten im Interesse der hier Schutz verdienenden Eheleute von einer formell gültigen Ehe auszugehen sein (Hch. Lange AcP 1939 157). Die Verlobten müssen erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen (§ 1310 Abs. 1 Satz 2 BGB). Durch diesen Konsens, und nicht etwa durch den Ausspruch des Standesbeamten, kommt die Ehe zustande (vgl. BGHZ 29 137, 141; BGH FamRZ 1983 450, 451). Daher liegt, wenn die Partner ihren Eheschließungswillen überhaupt nicht erklärt haben, eine Nichtehe vor (Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 2). Andererseits hindern Willensmängel, wie im Falle eines geheimen Vorbehalts oder bei einer nur zum Schein abgegebenen Erklärung, das wirksame Zustandekommen der Ehe nicht (vgl. OLG Hamm FamRZ 1982 1973). Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden (§ 1311 Satz 2 BGB). Im übrigen unterliegt die Erklärung des Eheschließungswillens keiner Form, ist also auch durch Zeichen möglich. Bei Tauben, Stummen und der deutschen Sprache nicht Mächtigen muß ein Dolmetscher zugezogen werden. 23 Erforderlich ist die persönliche und gleichzeitige Anwesenheit beider Verlobten (§ 1311 Satz 2 BGB). Ausnahmen von diesem Erfordernis bestanden in der Kriegs- und Nachkriegszeit in Form von Ferntrauungen sowie von Eheschließungen

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Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse vom 11.9.1974 (BGBl. I 2317). HornlWolters SK Rdn. 3d; Liebelt G A 1994 37; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3; vgl. dazu den Fall LG Hamburg NStZ 1990 280 mit Bespr. Liebelt NStZ 1993 544. Staatenlos sind Personen, die eine Staatsangehörigkeit nie besessen (Kinder von Staatenlosen und nichteheliche Kinder von Ausländerinnen, in deren Heimat das jus soli gilt) oder ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, beispielsweise die weißrussischen Emigranten, die

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emigrierten Verfolgten der nationalsozialistischen Herrschaft (dazu Art. 116 Abs. 2 GG) und Frauen, die mit der Heirat ihre alte Staatsangehörigkeit verlieren, ohne die des Mannes zu erwerben. Vgl. auch Art. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 (BGBl. 1976 II 474). Vgl. BSG F a m R Z 1978 240; LG Kleve F a m R Z 1964 365; AG Pinneberg FamRZ 1978 893. Zu einer auch dann ausnahmsweise gültigen Ehe OLG Hamburg FamRZ 1981 356. Einzelheiten dazu bei RGSt. 31 439; vgl. auch v. Olshausen Anm. 4 b bb.

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durch den Militärjustizbeamten als Standesbeamter für Gebiete, in denen kein deutscher Standesbeamter vorhanden war.24 Sie gewannen große praktische Bedeutung. Die so geschlossenen Ehen waren formal gültig.25 Als Nichtehe ist einzig die Anordnung der nachträglichen Eheschließung einer Frau mit einem gefallenen oder im Felde verstorbenen Wehrmachtsangehörigen, weil es sich angesichts der zweifelhaften Rechtsgrundlage 26 nur um einen Verwaltungsakt handeln dürfte, angesehen worden (KG HEZ 1 30; OLG Nürnberg FamRZ 1965 380). Ehen Gleichgeschlechtlicher sind, da Ehen nur von verschiedengeschlechtlichen Personen geschlossen werden können, 27 auch wenn der Standesbeamte sie in das Familienbuch eingetragen hat, Nichtehen. 28 Inzwischen ist gesetzlich klargestellt, daß Personen gleichen Geschlechts eine Eingetragene Lebenspartnerschaft begründen (§ 1 LPartG; vgl. § 169 Rdn. 11 Fn. 33) und nicht etwa „heiraten" (näher Horn! Wolters SK Rdn. 3 c). Nicht mehr verheiratet ist derjenige, dessen formell gültige Ehe aufgelöst ist. Auflösungsgründe sind der Tod des Ehegatten, eine rechtskräftige Scheidung (§ 1564 BGB) und die Aufhebung der Ehe (§ 1313 BGB, zuvor § 29 EheG), nach früherem Recht auch die Nichtigerklärung (§ 23 EheG), deren ex tunc-Wirkung die Ehe jedoch nicht zu einer Nichtehe machte (Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 3). Als durch Scheidung aufgelöst gilt eine Ehe auch dann, wenn die frühere Ehe eines Ausländers nach deutschem Recht rechtswirksam geschieden ist, nach dem ausländischen Recht mangels Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils aber noch besteht (BGH NJW 1997 2114). Schließt ein Ausländer, dessen erste in seinem Heimatland geschlossene Ehe nach dem ausländischen Recht, weil der erste Ehepartner noch verheiratet war, eine Nichtehe ist, in Deutschland eine zweite Ehe, so dürfte nach deutschem Kollisionsrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) auch diese eine Nichtehe sein (StA Heidelberg IPrax. 15 [1995] 44 mit Anm. Jayme). 2. Die Tathandlung besteht darin, daß der Täter die für ihn oder den anderen Teil 7 weitere Ehe schließt. a) Bei der weiteren Ehe muß es sich ebenfalls um eine formell gültige Ehe handeln. Daher gelten die Ausführungen in Rdn. 5. Wiederholen dieselben Ehegatten die Eheschließung, etwa weil sie Zweifel an der Gültigkeit oder an dem Fortbestand ihrer Ehe hegen, so führt dies zu keiner Doppelehe. Die Begriffe Wiederholung der Eheschließung und Doppelehe schließen einander aus.29 b) Eine weitere Eheschließung nimmt beispielsweise ein in einer Scheinehe Leben- 8 der vor, der eine weitere Scheinehe eingeht {Horn! Wolters SK Rdn. 4 a; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 4). Denn die nur formal mit dem Ziel, keine Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft zu begründen und nicht die gegenseitige Verantwortung von Ehegatten füreinander zu übernehmen, geschlossene Ehe (Palandt!Brudermüller Rdn. 14) ist zwar aufhebbar (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB), bis zur Aufhebung aber gültig (Frommel N K Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 3). Ebenso liegt es, 24

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Zu den Rechtsgrundlagen vgl. LK Voraufl. Rdn. 8 Fn. 18, 20. Davon durfte die Rechtsprechung jedenfalls bis zur Auflösung der Wehrmacht durch das Gesetz Nr. 34 des Kontrollrats vom 20.8.1946 (Gesetzes-Sammlung S. 125) ausgehen (z.B. OLG Freiburg N J W 1949 185 mit Anm. Gutzler, OLG Hamburg StAZ 1949 208; OLG Bremen StAZ 1967 101; and. LG Bielefeld NJW 1947/48 105; LG Halle NJ 1948 164). Geheimerlaß vom 6.11.1941 und Runderlaß des

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Reichsministers des Inneren vom 15.6.1943 (beide nicht veröffentlicht), abgedruckt bei Massfeiler/Böhmer Das gesamte Familienrecht, Bd. 1 Eherecht 3. Aufi. (1974) S. 71 ff. Vgl. BVerfGE 10 59, 66; 53 224, 245; Bruns/ Beck M D R 1991 833; Nordhues DRiZ 1991 136. OLG Frankfurt StAZ 1977 12; KG FamRZ 1958 60, 61; Bruns/Beck M D R 1991 833; Heimann- Trosien L K ' R d n . 2. Vgl. § 13 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz vom 27.7.1938 (RGBl. I 923).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

wenn der Täter in Kenntnis der noch nicht eingetretenen Rechtskraft der Scheidung oder Aufhebung der früheren Ehe eine neue Ehe schließt. Der Vorschrift des § 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wonach die Aufhebung der neuen Ehe nach Rechtskraft der Scheidung oder Aufhebung der früheren Ehe ausgeschlossen ist, kann jedoch ein Strafaufhebungsgrund entnommen werden (Homi Wolters SK Rdn. 4 a; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4). Den Tatbestand erfüllt ferner, wer nur im Augenblick der Eheschließung verheiratet ist. Hierunter fallt der Ehegatte, der nach Rechtskraft einer Todeserklärung mit einem gutgläubigen Partner eine neue Ehe schließt, der für tot erklärte Ehegatte aber noch lebt. Zwar löst nicht schon die Todeserklärung, sondern erst die Schließung der neuen Ehe die frühere Ehe auf (§ 1319 Abs. 2 BGB). Doch schließt diese außerstrafrechtliche, der Durchsetzung des Grundsatzes der Einehe dienende Regelung nicht die Annahme aus, daß die frühere Ehe im Augenblick der neuen Eheschließung kurz noch bestanden hat. Die Vorstellung, daß ein Zustand für eine „juristische Sekunde" Bedeutung gewinnt oder, wie hier, Bedeutung noch hat, ist dem Rechtsdenken nicht fremd. Auch der Zweck der Vorschrift zwingt nicht zur gegenteiligen Auffassung. Wohl liegt er allein darin, zu verhindern, daß nebeneinander zwei formell gültige Ehen bestehen (vgl. Rdn. 3). Gleichwohl folgt daraus nicht, daß der nach unrichtiger Todeserklärung bösgläubig eine weitere Ehe schließende Ehegatte straflos bleiben müsse. Allerdings tritt der rechtswidrige Zustand, den § 172 verhindern will, durch die Auflösung der früheren Ehe hier gerade nicht ein. Der Zweck selbst ist aber nicht Tatbestandsmerkmal geworden (näher schon Rdn. 3). Auf der anderen Seite ist einziger Sinn der Ausnahmevorschrift des § 1319 BGB die Aufrechterhaltung des §1319 BGB zugrundeliegenden Prinzips der Einehe. Der Gedanke, denjenigen straflos zu stellen, der die Auflösung seiner ersten Ehe erzwingt, indem er dem Verbot der Doppelehe zuwider eine weitere Ehe schließt, ist dem Zweck des § 1319 BGB fremd. So entsprach es einhellig der früheren Meinung30 und entspricht es überwiegend auch heutiger Auffassung,31 daß dieser Täter von § 172 erfaßt wird. Die Fortsetzung der nach den Gesetzen seines Heimatlandes wirksam geschlossenen Mehrehe oder Vielehe eines Ausländers im Inland erfüllt nicht den Tatbestand, weil nur das Eingehen einer Doppelehe bestraft wird, hier die zweite Ehe oder vielfache Ehe aber bereits besteht.32 Andererseits ist eine derartige Mehrehe eine formell gültige Ehe.33 Daher verwirklicht ein Ausländer, der im Inland eine weitere Ehe schließt, auch dann den Tatbestand, wenn sein Heimatrecht mehrere Ehen zuläßt.34 Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 1), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zuläßt (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4; Tröndlel

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Beispielsweise Binding Lehrbuch I § 59 II 2; Francke D J Z 1897 382; Frank Anm. 1; Gerland § 140 II 1 b; v. LisztlSchmidt BT § 115 II; v. Ophausen Anm. 4 a bb; vgl. auch Rehbein DJZ 1897 198. BGHSt. 4, 6 mit Anm. Werner LM StGB § 171 Nr. 2; OLG Frankfurt NJW 1951 414; J. Baumann FamRZ 1957 234; Blei BT § 37 II 1; DalckelFuhrmann!Schäfer Anm. 2; Horn! Wolters SK Rdn. 2, 4; KohlrauschiLange Anm. II; LackneriKühl Rdn. 3; Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 IV 1; Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 2; Welze! Strafrecht § 63 II 2; Tröndlel Fischer Rdn. 3; and. Otto BT § 65 Rdn. 9; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1,4; Völker SJZ 1949 221.

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Horn/Wolters SK Rdn. 5; Oppe M D R 1971 23; SchlSchröderILenckner Rdn. 5; vgl. auch schon Wulffen S. 7; Tröndlel Fischer Rdn. 4; vgl. auch StA München NStZ 1999 436. OLG Celle M D R 1958 101; LG Frankfurt FamR Z 1961 217; VerwG Gelsenkirchen FamRZ 1975 338 mit Anm. Jayme und Bespr. Cullmann FamRZ 1976 313; Cullmann S. 80ff; Gamillscheg S. 61; Wachenfeld§ 113 II. Vgl. auch schon Rdn. 5. Allfeld § 90 II Fn. 25; Ebermayer S. 761; Frank Anm. I; Horn/Wolters SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 3; SchlSchröderILenckner Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 4; Gerland§ 140 II 1 a.

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Fischer Rdn. 4) oder die Doppelehe zwar verbietet, die Zuwiderhandlung aber nicht strafbewehrt ist (Homi Wolters SK Rdn. 4c). 35 III. Die Rechtswidrigkeit folgt der Tatbestandsmäßigkeit. Irgendeine Einwilligung ist unbeachtlich (Schmidhäuser BT 13/6).

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IV. Der innere Tatbestand, erfordert Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt. 36 1 0 Eine „innere Billigung" der Tat wird nicht verlangt. 37 Dazu muß der Täter wissen, daß es sich um eine Doppelehe handelt. Das bedeutet im Einzelnen Kenntnis aller Umstände, die das Bestehen oder Nochbestehen einer formell gültigen Ehe bei ihm oder dem anderen Teil begründen, wobei eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre notwendig ist (Horn! Wolters SK Rdn. 6; ebenso Frommel NK Rdn. 6). Das ist nicht der Fall, wenn er beispielsweise irrig glaubt, sein Ehegatte sei tot (RGSt. 4 38). Der Vorsatz fehlt ferner dann, wenn der Täter infolge eines Sachverhalts- oder Bedeutungsirrtums (§ 16) eine der beiden Ehen für eine Nichtehe (Rdn. 6) hält 38 oder nach Ausspruch der Scheidung oder Aufhebung, aber noch vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils, annimmt, die erste Ehe sei aufgelöst oder für nichtig erklärt, so daß er also eine neue Ehe schließen dürfe. 39 An einer entsprechenden Vorstellung kann es dem Täter auch bei Ehen insbesondere von Ausländern oder mit einem Ausländer fehlen, wobei, wenn der Vorsatz trotz rechtlicher Fehlvorstellungen bejaht wird, auch Verbotsirrtum in Betracht kommt (Horn! Wolters SK Rdn. 6). V. Vollendet ist die Tat mit dem formell gültigen Abschluß der weiteren Ehe, mit- 11 hin nach der Abgabe der zur wirksamen Eheschließung erforderlichen Erklärungen (vgl. Rdn. 7).40 Zur Erfüllung gehört nicht auch der von dem mitwirkenden Urkundsbeamten vorzunehmende Akt. Er hat nur deklaratorische Bedeutung (Hornl Wolters SK Rdn. 5). Nicht erforderlich ist, daß die Ehe vollzogen wird.41 Da es sich bei der Tat um ein Zustandsdelikt handelt (näher Rdn. 4), ist sie mit der Eingehung der zweiten Ehe nicht nur vollendet, sondern auch beendet. 42 35

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Die Entstehungsgeschichte der Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 ist wechselvoll. Nach dem ursprünglichen § 4 Abs. 2 Nr. 3 galt das eingeschränkte aktive Personalitätsprinzip, so daß Bigamie nur bestraft werden konnte, wenn sie am Ort der zweiten Eheschließung strafbar war (vgl. RGSt. 55 279; Ebermayer S. 761). Das Unbehagen hierüber spiegelt etwa eine Auffassung, wie die von Wachenfeld, wider, die in einem islamischen Land eingegangene Doppelehe eines Deutschen sei nur straflos, wenn der Begehungsort nicht im Gebiet eines deutschen Konsularbezirks liege (§ 113 II Fn. 3). Die Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6.5.1940 (RGBl. I 1754) führte das volle aktive Personalitätsprinzip ein. Es begründete ungeachtet des ausländischen Rechts die Strafbarkeit (vgl. dazu z. B. BGHSt. 8 349, 356; OLG Hamm M D R 1959 1028; Oppe M D R 1971 23). Die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 kehrte zu dem ursprünglichen Rechtszustand zurück. Die angeführte Rechtsprechung ist daher überholt. Näher zu dieser Entwicklung, auch krit., Oehler Rdn. 742, 797. Zum Ganzen ferner Nowakowski JZ 1971 633 ff. Ihn auszuschließen ist in der Reformdiskussion erwogen worden. Wegen der zu erwartenden

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Beweisschwierigkeiten hat der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich darauf verzichtet (BTDrucks. VI/3221 S. 17; vgl. auch schon Rdn. 2 und Vor § 169 Rdn. 14). SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6; and. die frühere Rechtsprechung, z. B. OLG Braunschweig NJW 1947/48 71; O L G Freiburg NJW 1949 185, 186; LG Kiel SchlHA 1950 232. So wenn er etwa glaubt, die zum Zwecke der Familienzusammenführung geschlossene Ehe sei keine formell gültige Ehe (Pfeiffer!Maul/ Schulte Anm. 3 unter Hinweis auf BGH 4 StR 456/59 vom 4.12.1959). RGSt. 9 84; Blei BT § 37 III 1; H orni Wolters SK Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; Tröndle! Fischer Rdn. 7; and. Heimann-Trosien LK9 Rdn. 11 unter Hinweis auf BGHSt. 2 194. Blei BT § 63 II 2; Frommel N K Rdn. 6; Horn! Wolters SK Rdn. 5; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 83; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7; Tröndle!Fischer Rdn. 6. Blei BT § 63 II 2; Oehm S. 31; Tröndle!Fischer Rdn. 6; vgl. dazu auch schon Rdn. 1. Frommel N K Rdn. 6; Horn! Wolters SK Rdn. 5; LacknerlKühl Rdn. 6; Pfeiffer! Maul! Schulte Anm. 1; Robrecht JR 1952 390; Seh!Schröder! Lenckner Rdn. 7; Tröndle!Fischer Rdn. 6.

Karlhans Dippel

§ 172

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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VI. Täterschaft und Teilnahme werfen, abgesehen von der Frage, ob die Strafe des Teilnehmers nach den §§ 47 Abs. 1, 28 Abs. 1 zu mildern ist, kaum Probleme auf. Durch die Einengung des Täterkreises auf die Partner der Zweitehe ist die Tat Sonderdelikt, zugleich aber auch eigenhändiges Delikt, 43 da allein die Partner der Doppelehe, wenn auch nicht notwendig nur der noch verheiratete Teil, Täter sein können (Horn! Wolters SK Rdn. 7). Auch mittelbare Täterschaft, etwa des Ehevermittlers, der einen Partner unrichtig als nicht verheiratet erscheinen läßt, scheidet danach aus (Horn! Wolters SK Rdn. 7; Roxin TuT S. 428). Teilnahme ist bis zur Eingehung der Doppelehe nach allgemeinen Grundsätzen möglich, beispielsweise durch den mitwirkenden Standesbeamten, 44 nicht jedoch nach der Eheschließung, weil die Tat mit ihr beendet ist. Als unechte eigenhändige Straftat erfaßt § 172 auch die Anstiftung zur unvorsätzlichen Bigamie (Roxin TuT S. 428).45 Der tatbeteiligte Ehepartner und Außenseiter sind als Nebentäter zu sehen (Schmidhäuser BT 13/7; StuB 10/70). Die Frage, ob Partner einer Doppelehe zu sein, als persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 gilt, ist ebenso bejaht, 46 wie verneint 47 worden. Dafür läßt sich anführen, daß die täterschaftsbegründende Pflichtverletzung nicht zuletzt den Charakter einer speziellen sozialethischen Verwerflichkeit tragen muß, um als besonderes Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 zu gelten, dafür vielmehr eine vorstrafrechtliche und deshalb jedermann treffende Pflicht genügt. Dagegen spricht, daß es bei § 172 um einen Verstoß gegen die staatliche Eheordnung handelt, die Pflicht, die Schließung von Doppelehen zu unterlassen, daher jedermann trifft, ihr demzufolge aber auch kein selbständiger personaler Unwert anhaftet. Letztere Auffassung hat sich zunehmend durchgesetzt. 48 Ihr ist beizupflichten. 49

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VII. Als Rechtsfolgen droht § 172 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe an. Bei einem Gewicht des verschuldeten Unrechts von unter sechs Monaten ist die Strafe regelmäßig Geldstrafe. Als Freiheitsstrafe darf sie nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 verhängt werden (Horn/Wolters SK Rdn. 5). Die Problematik entspricht der bei der Rechtsfolgenbestimmung des § 171. Wegen der Einzelheiten kann daher auf die Erläuterungen dort (Rdn. 19) verwiesen werden.

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VIII. Die Verjährung tritt nach fünf Jahren ein (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). Ihre Frist beginnt, da es sich bei § 172 um ein Zustandsdelikt handelt (Rdn. 4), mit der Vollendung. 50 Es ist daher möglich, daß die Tat verjährt, obwohl der rechtswidrige Zustand der Doppelehe noch fortbesteht (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7).

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Nach Roxin liegt eine unechte eigenhändige Straftat (Pflichtdelikt) vor, weil trotz des Sondercharakters der Vorschrift das geschützte Rechtsgut auch einem Außenstehenden zugänglich ist (TuT S. 427 f). Frommel N K Rdn. 7; Horn! Wolters SK Rdn. 7; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 8. Beispiel: Der Anstiftende versichert dem Täter, dessen Frau sei umgekommen, obwohl er weiß, daß sie noch lebt. Daraufhin schließt der Täter die neue Ehe. Beispielsweise Bambach S. 98; Heimann-Trosien L K 9 Rdn. 8; MaurachlSchroederlMaiwald V § 63 I 14, VI 4; Roxin LK 1 0 § 28 Rdn. 39; 50 Tröndlel Fischer Rdn. 5; LK Voraufl. Rdn. 16.

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Etwa Herzberg G A 1991 171; Gerì S. 131; HornlWolters SK Rdn. 7; Lackner/Kühl Rdn. 7; Schmidhäuser BT 13/7; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8. Neben Frommel N K Rdn. 7 jetzt auch MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 83; Roxin LK § 28 Rdn. 68; Tröndlel Fischer Rdn. 8. Vgl. zum Ganzen auch § 170 Rdn. 69 (zur Eigenschaft des zum Unterhalt Verpflichteten), § 171 Rdn. 18 (zur Eigenschaft des zur Fürsorge und Erziehung Verpflichteten) und § 173 Rdn. 32 (zur Verwandteneigenschaft). Lackner/Kühl Rdn. 6; MaurachlSchroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 83; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7; ebenso schon Mittermaier S. 88.

Stand: 1.7.2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

IX. Bei den Konkurrenzen geht es überwiegend um tateinheitliches Zusammentreffen. Es kann gegeben sein mit § 169, 51 ferner mit § 156, wenn etwa eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt wird, 52 oder mit § 271, beispielsweise bei der Eintragung der falschen Angabe des Geburtsdatums im Familienbuch. 53 Möglich ist tateinheitliches Zusammentreffen aber auch mit § 263, so bei einem entsprechenden Verhalten gegenüber dem unwissenden neuen Ehegatten (Frommel N K Rdn. 8; Horn/Wolters SK Rdn. 8). Beim Verhältnis zu § 170 ist zu differenzieren. Tateinheit ist möglich, wenn die Leistungsunfähigkeit des Täters mit dem Eingehen der neuen Ehe eintritt {Frommel N K Rdn. 8). Hingegen besteht bei Nichterfüllung einer nachehelichen Unterhaltspflicht gegenüber dem ersten Ehegatten Tatmehrheit. 54

§173

Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

Schrifttum Abelmann-Vollmer Herrschaft und Tabu - Gesellschaftliche Bedingungen sexueller Ausbeutung von Kindern in Familien, KSA 32 (1989) 2/4; Adams Incest: Genetic Considerations, AmJDisCh. 132 (1978) 124; AdamslNeel Children of Incest, Pediat. 40 (1967) 50; Adorno Sexualtabus und Recht heute, in: Adorno Eingriffe (1996) 99; Alexander A systems theory conceptualization of incest, FamPr. 24 (1985) 79; Arens The Original Sin: Incest and its Meaning (1986); Aschenbrenner Inzucht und Erbgesundheit, ArchRassBiol. 34 (1940) 89; Bagler Varieties of Incest, NewSoc. 7 (1969) 280; Bagley Incest behaviour and incest tabu, SocPr. 16 (1969) 505; Baird!McGillivray Children of incest, JPed. 101 (1982) 854; Balier Inzest: Mord an der Identität, KdAn. 8 (2000) 157; Banning Mother-son incest: Confronting a prejudice, ChAbNegl. 13 (1989) 563; Barry/Johnson The incest barrier, PsychAnalQ 27 (1958) 485; Bauer F. Sexualstrafrecht heute, in: BauerlBürgerl Prinz! GieselJäger Sexualität und Verbrechen (1963) 11; Bauernfeind/ Schäfer Die gestohlene Kindheit (1992); Baumann F. Die Blutschande und ihre rechtlichen Folgen, SJZ 1967 323; Βαχ Das Inzestproblem, FolPsychNeerl. 61 (1958) 328; Bender/Blau The reaction of children to sexual relations with adults, AmJOrth. 7 (1937) 500; van den Berghe Incest and Exogamy: A Sociobiological Reconsideration, EthSoc. 1 ( 1980) 151 ; Bischof Inzucht51

52

Homi Wolters SK. Rdn. 8; Preisendanz Anm. 6; SehlSchroder/Lenckner Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 8. LG Kiel SchlHA 1950 232; Frommel NK Rdn. 8; Horn! Wolters SK Rdn. 8; LacknerlKühl Rdn. 8; Preisendanz Anm. 6; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 8; and. OLG Gera NJ 1948 213, 232.

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53

54

BGH FamRZ 1954-55 15; OLG Hamm HESt. 2 228, 331; Preisendanz Anm. 6; Sch/Schröderl Cramer § 271 Rdn. 31; TröndlelFischer § 271 Rdn. 18. BGH LM StGB § 171 Nr. 1; Frommel NK Rdn. 8; Horn/Wolters SK Rdn. 8; LacknerlKühl Rdn. 8; Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 4; Sehl Schröder!Lenckner Rdn 9.

Karlhans Dippel

§ 173

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

barrieren in Säugetiersozietäten, Homo 23 (1972) 330; Bischof Die biologischen Grundlagen des Inzesttabus, in: Reinert Bericht über den 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Kiel 1970 (1973) 115 - zit.: Bischof Grundlagen I; Bischof Die biologischen Grundlagen des Inzesttabus, in: Wickert/Seibt Vergleichende Verhaltensforschung (1973) 433 - zit.: Bischof Grundlagen II; Bischof Das Rätsel Ödipus: Die biologischen Wurzeln des Urkonfliktes von Intimität und Autonomie 4. Aufl. (1994) - zit.: Bischof Rätsel Ödipus; Bixler Incest Avoidence as a Function of Environment and Heredity, CurrAnthr. 22 (1981) 639; Bixler Sibling incest and the royal families of Egypt, Peru, and Hawaii, JSexRes. 18 (1982) 264; Blei Fragen zu den neuesten Änderungen des StGB, JA 1969 609; v. Braun Die „Blutschande" - Wandlungen eines Begriffs: Vom Inzesttabu zu den Rassegesetzen, in: v. Braun Die schamlose Schönheit des Vergangenen (1989) 81; Braun-Scharm Die incestoide Familie als Ort psychosexueller Fehlentwicklungen, in: MartiniuslFrank Vernachlässigung, Mißbrauch und Mißhandlung von Kindern (1990) 123; Braun-ScharmlFrank Die incestoide Familie, AcPaed. 52 (1989) 134; BrittasdotterlStövling Incest, dotteraött mot patriarkatet (1982); Browning!Bootman Incest: Children at risk, AmJPsych. 134 (1977) 69; Butler Conspiracy of Silence: The Trauma of Incest (1978); Calestro Father-son-incest: Underreported psychiatric problem, AmJPsych. 135 (1978) 835; Cavallin Incestuous fathers: A clinical report, AmJPsych. 122 (1966) 1132; Cohler Sex, love and incest, ContPs. 19 (1983) 1; Cole/Woodger Incest survivors: The relation of their perceptions of their parents, ChAbNegl. 13 (1989) 409; Cormier/ Kennedy!Sangovitz Psychodynamics of fatherdaughter incest, CanPsychAssJ 7 (1962) 203; Dannecker Sexueller Mißbrauch und Pädosexualität, in: Sigusch Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, 3. 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Stand: 1. 7. 2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

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Karlhans Dippel

§ 1 7 3

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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MerricklMichelsen Sexueller Mißbrauch von Kindern in Familien (1986) 39; Lemche Inzest im dänischen Strafrecht, in: Backe!Leick!Merrick!Michelsen Sexueller Mißbrauch von Kindern in Familien (1986) 162; Lempp Seelische Schädigung von Kindern als Opfer von gewaltlosen Sittlichkeitsdelikten, NJW 1968 2265; Leonhard Instinkte und Urinstinkte in der menschlichen Sexualität (1964); Lester Incest, JSexRes. 8 (1972) 268; Lévi-Bruhl Le surnaturel et la nature dans la mentalité primitive (1931); Lévi-Strauss Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, 2. Aufl. 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Stand: 1.7.2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

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(393)

Karlhans Dippel

§ 1 7 3

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

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Stand: 1.7. 2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

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Im übrigen gelten die Angaben Vor § 169 und zu § 170.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift war unter der Bezeichnung Blutschande 1 ursprünglich dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit" zugeordnet. Sie lautete: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender

1

Gleichbedeutend mit Inzest. Zur Bedeutung, Herkunft und Verwendung des Begriffs Vor § 169 Entstehungsgeschichte Fn. 3.

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Karlhans Dippel

§173

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben." Diesen Wortlaut behielt die Vorschrift bis zum 3. StrÄndG. Doch hatte bereits § 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23.4.1938 (RGBl. I 417) bestimmt: „In den Fällen des § 173 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs tritt Bestrafung nicht ein, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand; das Gericht kann von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Ehehindernis des § 1310b des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt ist." 2 Das 3. StrÄndG arbeitete diese Regelung in § 173 ein. Absatz 2 erhielt die Fassung: „Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht." Ein neuer Absatz 5 bestimmte: „Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist." Art. 8 des 1. StrRG setzte Absatz 3 außer Kraft. Das 4. StrRG faßte die Vorschrift neu, änderte auch ihre Bezeichnung und stellte sie in den Abschnitt „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie" ein. Der Tatbestand lautete nun: „(1) Wer mit einem Verwandten absteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso werden Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Verwandte absteigender Linie und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren." Durch Art. 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (AdoptionsG) vom 2.7.1976 (BGBl. I 1749) erhielt § 173 seinen jetzigen Wortlaut. 3 Aus den Gesetzesmaterialien: Niederschriften Bd. 5 S. 65, 230, 307; Bd. 8 S. 357ff, 455ff, 619ff; Bd. 12 S. 601; E 1962 S. 44, 347f; AE S. 58; BTDrucks. VI/1552 S. 14f, 41, 46; VI/3521 S. 17ff, 73; 7/514 S. 5, 20; 7/3061 S. 80f; Prot. VI/28 S. 882, 885ff, 918f, 922; VI/29 S. 929, 932f, 989ff, 1002ff, 1007f, 1024f; VI/30 S. 1114f, 1135; VI/33 S. 1184; VI/34 S. 1246 ff; VI/36 S. 1298f; VI/37 S. 1328 ff; VI/71 S. 2030 f, 2106f; VI/72 S. 2113; 7/2 S. 7; BTProt. VI/34 S. 1246ff; VI/36 S. 1298f; VI/37 S. 1327ff; VI/81 S. 2631 ff; BRDrucks. 7/691-74 S. 31 (Anlage 1), 24 (Anlage 2).

2

3

Vgl. dazu schon die Rundverfügung des Reichsministers der Justiz lila 27 388/36 vom 29.4. 1936, erwähnt in RGSt 71 65, abgedruckt bei KruglSchäfer!Stolzenburg Strafrechtliche Verwaltungsvorschriften (1936) 524. Die Neufassung sichert die Fortgeltung des

durch das 4. StrRG geschaffenen Rechts, das durch die neu begründeten Verwandtschaftsverhältnisse (näher Fn. 17) sachlich verändert worden wäre (vgl. BTDrucks. 7/3061, Begr. S. 80 f; Voelskow BTProt. 7/81 S. 2631).

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

Rdn. I. Allgemeines 1. Geschichte der Strafbarkeit des Inzests 2. Altes und neues Recht 3. Zur Kriminologie des Inzests . . 4. Rechtsgut a) Das Inzesttabu als Urgrund der Strafbarkeit aa) Menschheitsallgemeine Norm bb) Die wissenschaftlich-theoretischen Erklärungsversuche der Entstehung cc) Der Zusammenhang von Inzestverbot und Exogamiegebot dd) Die Bedeutung des Inzesttabus für die Ausdeutung des Rechtsguts b) Der Strafgrund der Sozialschädlichkeit aa) Die erste Meinungsbildung bb) Festschreibung durch das 1. StrRG cc) Die gegenwärtige Auffassung c) Rechtsgutqualität der Sozialschädlichkeit aa) Allgemeine Voraussetzung bb) Gefahr genetischer Schädigung der Nachkommenschaft cc) Gefahr ehe- und familienzerstörerischer Auswirkungen

Rdn.

1-16 1 2 3 4-14

II.

4-7 4

| j ;

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j ! | Í

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III. IV. V.

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VI. VII.

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VIII. IX. X.

d) Delikt ohne Rechtsgüterverletzung 5. Rechtsvergleichung 6. Reform Der äußere Tatbestand 1. Der Täterkreis a) Leibliche Abkömmlinge und leibliche Verwandte aufsteigender Linie b) Leibliche Geschwister c) Beischlaf von Eheleuten einer wegen Verwandtschaft aufhebbaren Ehe d) Bindungen des Strafrichters 2. Die Tathandlung a) Der Begriff Beischlaf b) Vollziehung des Beischlafs . . c) Abgenötigter Beischlaf . . . . d) Andere sexuelle Handlungen . e) Gefahr der Empfängnis . . . . Rechtswidrigkeit Der innere Tatbestand Irrtumsfragen 1. Tatbestandsirrtum 2. Verbotsirrtum Täterschaft Teilnahme 1. Verwandte 2. Außenstehende Straffreiheit Rechtsfolgen Konkurrenzen

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I. Allgemeines 1. Die Geschichte der Strafbarkeit des Inzests wurzelt offenbar in prähistorischer 1 Zeit; denn seit Menschengedenken empfand der weit überwiegende Teil aller Völker die Inzestwünsche des Menschen als eine Bedrohung, die schärfster Abwehrmaßnahmen für wert erachtet wurde. Im alten Indien gehörte Inzest, dem Ehebruch mit der Frau eines Gurus gleichgestellt, zu den geistlichen Verbrechen. Das mosaische Recht verbot die Ehe und den außerehelichen Geschlechtsverkehr in der nächsten Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft (3. Mos. Kap. 18 Verse 7 bis 9, 11, 15, 17) bei Strafe des Todes (3. Mos. Kap. 20 Verse 11, 12, 14) oder der Ausrottung (3. Mos. Kap. 20 Vers. 17), zuweilen noch durch Fluch erschwert (5. Mos. Kap. 27 Verse 20, 22, 23). Der Islam übernahm die biblischen Verbote unter Einbeziehung sogar der von der gleichen Amme genährten Milchgeschwister bei strafrechtlicher Gleichbehandlung mit Unzucht (Koran Sure 4 Vers 27). Nach attischem Recht waren Ehen zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern von einer Mutter untersagt, wobei nicht überliefert ist, welche strafrechtlichen Folgen die Verletzung dieser Verbote hatte. Das crimen incestus oder incesti nach römischem Recht knüpfte an die Geschlechtsgemeinschaft solcher Personen an, bei denen ein ver(397)

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

wandtschaftliches oder schwägerschaftliches Nahverhältnis eine Ehegemeinschaft ausschloß (näher schon Vor § 169 Entstehungsgeschichte Fn. 3). Es wurde zunächst nach dem Vorbild der Tötungsvergehen behandelt; später war die regelmäßige Strafe Deportation. Die kirchliche Gesetzgebung dehnte die Eheverbote maßlos aus 4 und fügte der Blutsverwandtschaft noch die cognatio spiritualis hinzu. Demgegenüber kannten die älteren germanischen Rechte übereinstimmend nur das Verbot der Eheschließung zwischen Eltern und Kindern; Ehen von Geschwistern waren nicht durchweg untersagt. Auf einer verbotenen Geschlechtsgemeinschaft stand vermutlich unsühnbare Friedlosigkeit. Ab dem frühen Mittelalter prägten die kirchlichen Anschauungen zunehmend auch das weltliche Recht. Zahlreiche Kapitularien schärften die Eheverbote ein. Bald drohte bei verbotener Ehe Verbannung und Vermögensverlust, in schwersten Fällen Tod. Der unerträgliche Umfang kirchlicher Eheverbote zwang zur Entwicklung eines unabhängigen weltlichen Inzestbegriffs. Ihn schuf die Carolina (1532). Doch war ihr Tatbestand (Art. 117) mit Unklarheiten behaftet,5 die, obwohl einschränkend gedacht, wiederum nach mosaischem, römischem und kanonischem Recht ergänzt wurden. Die partikularrechtlichen Regelungen fielen vollends in frühmittelalterliche Vorstellungen zurück.6 Erst allmählich setzte sich die Aufklärung durch, die, soweit ihre Verfechter nicht für die Straflosigkeit der Blutschande eintraten,7 eine wesentlich geringere Bestrafung erstrebten.8 Das erste hiervon beeinflußte deutsche Gesetz ist das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794.9 Ihm folgten, freilich mit unterschiedlichen Strafdrohungen, stets gegenüber dem jeweils früheren Recht aber wesentlich gemildert, die übrigen Partikulargesetze. Vorbild der reichsgesetzlichen Regelung war § 141 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851, der, fast unverändert, zunächst § 171 des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund, dann § 173 wurde. Seine heutige Ausgestaltung beruht im wesentlichen auf dem 4. StrRG (vgl. Entstehungsgeschichte).10 4

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Zeitweilig, zwischen 732 (Gregor III) und 1215 (Innozenz III), bis zum 7. Grad römischer Komputation. Beispielsweise, ob zu den neben Stieftochter, Schwiegertochter und Schwiegermutter genannten „noch nehern sipschafften" Geschwister zählten, vor allem aber, welche Strafe zu verhängen war. Der sonst inhaltlich gleiche Art. 142 der Bambergensis (1507) knüpfte insoweit an den Tatbestand des Ehebruchs an. So verwiesen die Sächsischen Konstitutionen von 1572 ausdrücklich auf das mosaische Recht und bedrohten die von Verwandten in gerade Linie begangene Blutschande mit dem Schwert, die von Seitenverwandten begangene mit Staupenschlägen und ewiger Landverweisung. Dem folgten zahlreiche andere Rechte, etwa die Hamburger Statuten von 1603, das Landrecht des Herzogtums Preußen von 1620 und die Peinliche Gerichtsordnung (Ferdinandae) von 1656. Einzelne Gesetzgebungen gingen bis zur Strafe des Feuertodes, so das Kurpfälzische Landrecht von 1582. Durch die Autorität des sächsischen Juristen Carpzow (1595 bis 1666) beherrschten diese Vorstellungen ein weiteres Jahrhundert die deutsche Strafrechtspflege. Unvermindert hart beispielsweise noch der Codex juris Bavarici von 1751 (Feuer, Schwert, Staupbesen) und die

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Constitutio Criminalis Theresiana von 1768 (Schwert, Staupenschlag und Landesverweisung). In Frankreich mit Erfolg: Den Forderungen der Enzyklopädisten folgend sah der Code pénal in der Blutschande selbst kein strafwürdiges Delikt mehr. Beispielhaft Thomasius Institutiones Iurisprudentiae Divinae (1687) L III C 2 § 246; Fundamenta iuris naturae ac gentium (1705) L III C 2 § 38 (zitiert nach Hoops, Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 4 [1918/19] 2470; vgl. auch schon Vor §166 Rdn. 8 Fn. 53, § 172 Rdn. 1 Fn. 9. Nach den für die damalige Zeit bemerkenswert niedrigen Strafdrohungen (so drei bis fünf Jahre Festung für den schwersten Fall) verdienen die Bestimmungen präventiven Charakters festgehalten zu werden: Personen, die Blutschande betrieben hatten, mußten gänzlich voneinander entfernt werden; „um aber dergleichen Unheil mit desto mehrerer Sicherheit zu verhüten", sollten Eltern mit ihren bereits zehn Jahre alten Kindern verschiedenen Geschlechts, ebenso über zehn Jahre alte Geschwister verschiedenen Geschlechts, „nicht in einem Bette schlafen" (ALR II 20 §§ 1039 fr, insb. §§ 1043, 1046). Geschichtliche

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Darstellungen

und

Hinweise (398)

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2. Altes und neues Recht unterscheiden sich wesentlich. Als wichtigste Änderung 2 kann die Beseitigung der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten gelten. Sie entspricht der Entschließung Nr. II zum Thema II (Straftaten gegen Familie und Sittlichkeit) der Vollversammlung des 9. Internationalen Strafrechtskongresses der Association internationale de droit pénal vom 24. bis 30.8.1964 in Den Haag, dort, wo Inzest strafbar ist, dieses Verbrechen auf Sexualbeziehungen zwischen Aszendenten und Deszendenten, sowie zwischen Brüdern und Schwestern zu beschränken." Weitere beachtliche Veränderungen gegenüber dem früheren Recht sind der Wegfall der Strafbarkeit des Versuchs sowie die Ermäßigung der Strafdrohung für den Beischlaf mit Verwandten aufsteigender Linie und der Verzicht auf die bisherige Mindeststrafe für den Beischlaf mit Abkömmlingen, wodurch auch diese Tat nun Vergehen und damit der Einstellung nach den §§ 153, 153 a StPO zugänglich ist (dazu Horstkotte Prot. VI/34 S. 1252; vgl. auch Rdn. 34).12 Schließlich hat die Regelung der Straflosigkeit von Beteiligten, die das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben, eine Erweiterung erfahren. Während nach altem Recht nur Verwandte absteigender Linie dieses Alters straffrei blieben, gilt das jetzt auch für Geschwister. 13 3. Die Kriminologie des Inzests ist, bedingt schon durch die weite Verbreitung des 3 Delikts und seine Bedeutung ebenso im Leben der Völker wie des einzelnen Menschen, vielfach auch in monographischen wissenschaftlichen Untersuchungen behandelt worden (vgl. die speziellen Titel im Schrifttum),' 4 gemessen an der Vielfalt der Probleme und ihrer Schwierigkeit jedoch bei weitem nicht genug. 15 Zwar mag angesichts des in den Beginn der Menschheitsgeschichte zurückreichenden Ursprungs der Inzestbestrafung (vgl. Rdn. 1, 4) und der vielfältigen Bemühungen, die Entstehung des Inzesttabus und die Bedeutung des Inzestverbots in archaischen Gesellschaften zu klären (Rdn. 5, 6), zweifelhaft sein, ob zur Herkunft und Entwicklung der Inzestscheu eindeutigere und tragfahigere Motive freigelegt werden können. Möglich ist aber jedenfalls eine wesentlich weiterreichende Aufhellung des sozialen Geschehens beim Inzest. Zahlreiche kriminogene oder tatauslösende Faktoren, beispielsweise Kontaktarmut, Isolierungsneurose, Alkoholismus oder schizophrene Züge des Täters, besondere Bedingungen seiner Lebensverhältnisse, wie Wohnungsnot oder eine familiäre Krise, sowie bestimmte Einflüsse aus seiner unmittelbaren Umgebung, etwa die Provozierung der Tat durch das Opfer oder ihre Duldung durch den Ehegatten, müßten noch gründlicher, als bisher schon geschehen, erforscht und prägnant typisiert werden

finden sich bei Allfeld § 91 II; Binding Lehrbuch I § 60 I, II; Blei BT § 37 III 2a; Gerchow MschrKrim. 1955 170; Jähnicke S. Iff; Laufhütte Prot. VI/34 S. 1246; v. Liszt/Schmidt BT § 111 II; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 84; Mittermaier S. 145; Mösl LK 9 Rdn. 2; Mommsen S. 682 ff; Palmen S. 40 ff; Quanter S. 196ff; Rank S. 4I4ÍT; Wulffen S. 24; vgl. auch Mommsen Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker, Fragen zur Rechtsvergleichung, beantwortet von Brunner, Freudenthal, Goldziher, Hitzig, Noeldeke, Oldenberg, Roethe, Wellhausen, v. Wilamowitz-MoeUendorf ( 1905) S. 13, 40f, 58, 66, 79 f, 94 f, 106 f. Hierauf wird ergänzend verwiesen. 11

ZStW 77 (1965) 184, 186 (angenommen mit 162 gegen 10 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen); dazu Blau FamRZ 1965 245; Simson/Geerds

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S. 421 f. Einzelheiten zu den vorausgegangenen Beratungen der Zweiten Sektion des Kongresses bei Blau MschrKrim. 1966 23 f. Krit. Maurachl Schroederl Maiwald 2 zu den „wenig überzeugenden Differenzierungen des Strafmaßes auf engstem Raum zwischen älteren und jüngeren Verwandten" (§ 63 Rdn. 86). Der neue § 152 StGB D D R (vgl. Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33) hatte im wesentlichen denselben Inhalt wie § 173. Allgemein zur Notwendigkeit, auf der Grundlage verifizierender Untersuchungen eine deutsche kriminologische Familientheorie aufzubauen, H.-J. Schneider S. 178 f. Dies wird freilich zum Teil auch anders gesehen, so etwa bei Blei BT § 37 III 2a; Mösl LK 9 Rdn. 2.

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

(so mit Recht Simson/Geerds S. 4150· Insbesondere fehlen noch immer systematische Untersuchungen unter den soziologischen Gesichtspunkten, die sich im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Inzests in bestimmten sozialen Schichten ergeben (dazu schon Riemer MschrKrimPsych. 1936 86). Schließlich dürfte auch die empirische viktimologische Forschung, mag für sie der Inzest-Bereich auch nur schwer zugänglich sein,16 nicht weiter vernachlässigt werden (vgl. den Ansatz bei Baurmann S. 29 ff). Sollte wirklich zutreffen, daß die wissenschaftliche, insbesondere die psychopathologische Erforschung des Inzests einem kulturellen Tabu unterliegt, 17 so müßte dem entgegengewirkt werden. Spezielle Bedeutung kommt den genannten Forschungen für die forensische Praxis zu. Denn wenn der Richter im Einzelfall unter den verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten, zu denen auch die Entscheidungen nach § 59 und den §§ 153, 153a StPO gehören (vgl. Rdn. 34, § 171 Rdn. 19), die der Tat und dem Täter an ehesten gerecht werdende Rechtsfolge finden will, so kann er dies nur bei sorgfaltiger Befassung auch mit der Kriminologie des Inzests, wie dies im Schrifttum schon lange angemahnt wird.18 4

4. Welches Rechtsgut § 173 schützt, ist bis heute ungeklärt (vgl. schon den Überblick Vor § 169 Rdn. 15). Bislang ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, das Rechtsgut im Tatbestand klar zu konturieren {Schmidhäuser BT 13/8). Strafgrund des historischen Tatbestandes ist das Inzestverbot, das auf dem Inzesttabu beruht. Einen davon unabhängigen, dem modernen Rechtsgutbegriff genügenden rationellen Strafgrund hat die Strafrechtswissenschaft nicht entwickeln können. a) Wie das Inzesttabu19 entstanden ist (Rdn. 5), und welche Bedeutung das Inzestverbot in archaischen Gesellschaften hatte (Rdn. 6), läßt sich trotz außerordentlicher Bemühungen der Wissenschaften noch immer nicht sicher sagen, wenn auch die gefundenen Erklärungen mehr als nur Vermutungen sind. aa) Inzestverbote gehören zu den sehr wenigen in weitem Umfang menschheitsallgemeinen Normen.20 Sie gründen sich auf den verbreiteten, kulturell tief verwurzelten Abscheu der Menschen vor geschlechtlichen Beziehungen naher Verwandter. 21 Die Bezeichnung dieser Erscheinung als Inzesttabu geht auf den von mythischen, sakralen oder religiösen Vorstellungen getragenen kultischen Bezug zurück, den diese Verhaltensnorm in sehr früher Zeit hatte, bei indigenen Gesellschaften noch immer hat. Das aus dem Inzesttabu resultierende Inzestverbot ist für die Familie eine Frage des Überlebens; ein unkontrollierter sexueller Trieb innerhalb der Kernfamilie würde deren Existenz völlig vernichten (Goode Struktur S. 58; ähnlich Neidhardt S. 18; vgl. auch Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 311). Die Annahme, daß die Inzestscheu eine jedem Menschen ohne weiteres zugehörige Eigenschaft sei (horror naturalis), kann nach den Ergebnissen der neueren ethnologischen Forschungen als überwunden gelten. Diese weisen nicht auf einen phylogenetisch ererbten Instinkt, sondern auf

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Näher dazu Baurmann S. 66; Bloy S. 143; Cerchón· Inzestsituation S. 38; M. Hirsch Inzest S. 1 ff, 254 f; R. König Sittlichkeitsdelikte S. 341. Vgl. Maisch Beiträge S. 51 unter Hinweis auf R. König Sittlichkeitsdelikte S. 340. So bereits Mittermaier S. 144f; ferner z.B. Horn/Wolters SK Rdn. 11; Leferenz ZStW 77 (1965) 387 f; Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 305 ff; vgl. auch Rdn. 5 Fn. 26, Rdn. 11, 34.

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Zu Herkunft und Bedeutung des Begriffs Tabu § 167a Rdn. 3 Fn. 4. Vgl. schon Vor § 166 Rdn. 21 zur Strafbarkeit der Störung der Totenruhe. Zu den vielfältigen Formen der Bestrafung des Inzests bei indigenen Gesellschaften Kiefl S. 86 ff.

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§ 1 7 3

eine erlernte soziokulturelle Norm hin (vgl. Laufliütte Prot. VI/34 S. 1246; Maisch Inzest S. 30). Die moderne verhaltensbiologische Forschung freilich ist zur Annahme einer biologischen Inzesthemmung zurückgekehrt (vgl. Rdn. 5). Daß eine inzestoide Anlage als spezifisch sexualpathologische und kriminogene Konstellation entscheidende Bedeutung für die inzestuöse Entgleisung habe, ist nur vereinzelt angenommen worden (so etwa v. HentigIViernstein S. 188ff; vgl. auch v. Heutig MschrKrim. 1962 18f). Erfahrungsgemäß geschieht Inzest dort, wo eine geistige Idealisierung der Familienstruktur und entsprechende seelische Zusammengehörigkeitsgefühle fehlen, wo der Sinn des Familienlebens als eines geordneten, tagtäglich sich bewährenden Zusammenwirkens der Familienmitglieder zerstört ist (Riemer MschrKrimPsych. 1936 86). Hier dürfte es gewöhnlich auch keine Inzestschranke geben.22 Die Frage, ob die Inzestscheu auf einem phylogenetisch ererbten Instinkt oder einer erlernten soziokulturellen Norm beruht, ist im Grunde genommen kontingent. Beide Ursprünge stellen nur verschiedene Narrationen gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Erklärungssysteme dar. Wie wirkmächtig das Inzesttabu seit jeher war, lassen die bei allen Völkern seit frühesten Zeiten überlieferten Mythen und Sagen erkennen (dazu Rank insb. S. 338ff, 556ff; Wirtζ Seelenmord S. 47ñ). Zur Entstehung von „Inzestmythen" durch kommerzielle Filmproduktionen Mayr Ohnmacht S. 17 ff, zu Inzestdarstellungen im künstlerischen Film und in zeitgenössischer Literatur Mayr Ohnmacht S. 21 ff.23 bb) Die wissenschaftlich-theoretischen Erklärungsversuche der Entstehung des In- 5 zesttabus begannen Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie zeichnen sich bis heute durch eine bemerkenswerte Interdisziplinarität aus. Nicht nur die Ethnologie nahm sich der Thematik an; auch die Soziologie, die Psychologie und die Ethologie, später vor allem in ihren soziobiologischen Strömungen, machten sie sich zu eigen. Die Untersuchungen bewegen sich im wesentlichen auf drei Erklärungsebenen, der moralisch-ethischen, der soziokulturellen, wozu beispielsweise auch die Inzuchtdepression als auslösender Faktor gehört, und der biologistischen.24 Sie laufen auf eine jeweilige Instrumentalisierung des Inzestverbots hinaus (Sidler S. 3). Am Anfang stehen soziokulturelle Erklärungsversuche. Beispielhaft dafür sind die Theorien von Durkheim, McLennan, Lubbock und Spencer. Sie sehen im Inzestverbot letztlich eine Regel ausschließlich gesellschaftlichen Ursprungs; daß sie Ausdruck in biologischen Begriffen gefunden hätte, sei rein zufällig.25 Diese Ableitungen sind, soweit sie überhaupt Lösungen auch

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So hat schon die umfangreiche Untersuchung von G. Schwab bei keinem der Täter aufzudecken vermocht, daß er eine Inzestscheu zu überwinden gehabt habe (MschrKrimBiol. 1938 273, 276). Zum Ganzen Abelmann- Vollmer KSA 32 (1989) 2/4f; Adorno S. 104fT; F. Bauer S. 18; Bischof Grundlagen I S. 115ff; Blei BT § 37 III 2a; Bloy S. 143; Fisch S. 14fT; Freud S. 64fT; Gehlen S. 15ÍT; Gerchow MschrKrim. 1955 169f; Inzestsituation S. 41 f; v. HentigIViernstein S. 170ff; Hochheimer S. lOOf; Hummel ZfJ 83 (1986) 418 f; Hunold S. 13ff, 104 ff; Jäger Strafgesetzgebung S. 59ff; Jähnicke S. Iff; H. Jung Festschrift Leferenz S. 318ff; Kleber S. 16ff; Laufhütte Prot. VI/35 S. 1246; Uferenz Festschrift Würtenberger S. 325 ff; Lévi-Strauss S. 52 ff, 592ff; Marcuse SexPr. 4 (1908) 3ff; Mittermaier S. 144; Plack S. 230 f; Quanter S. 195f; Rank

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S. 25ff; Rennen PNP 6 (1954) 83f; DZgerMed. 48 (1968) 53; Schelsky Soziologie S. 88; Schubarth Festschrift Grünwald S. 646; Simsonl Geerds S. 412ÍT; Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 307 ff; BT II § 29 Rdn. 2; Többen S. 1 ff; K. Wagner S. 43; E. J. Walter SZP 21 (1962) 53f; Welze! Strafrecht § 64 III 1; Winz Seelenmord S. 13 ff; Wittmann S. 26 ff, 133 ff; Wulffen S. 22 f. Vgl. dazu die ebenso übersichtliche, wie ausführliche Einteilung der Theorien zur Erklärung des Inzesttabus bei Bischof Grundlagen I S. 120ff; Grundlagen II S. 433ff. Erwähnenswert im Hinblick auf die Entstehung und Bedeutung des Exogamiegebots (Rdn. 6) ist ein Gedanke, den Lubbock der in diesen Theorien verbreiteten These, das normale Mittel zur Gewinnung von Ehefrauen sei der kriegerische Raub gewesen, hinzugefügt hat, nämlich daß

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12. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n gegen d e n P e r s o n e n s t a n d , die E h e u n d d i e F a m i l i e

für die Erklärung des Inzestverbots vorschlagen, unakzeptabel, weil sie eine Regel, die allgemeine Gültigkeit beansprucht, allein auf ein besonderes Phänomen, häufig sogar nur episodischen Charakters, stützen (Lévi-Strauss S. 67). Die Lehre der psychoanalytischen Schule geht davon aus, daß die kindlichen Verhältnisse der Psychosexualität inzestuös seien, der erwachsene Mensch sich davon nur befreit habe, und seine Ablehnung des Inzests daher vor allem ein Ergebnis der tiefen Abneigung gegen die einstigen, in der „Urhorde" entstandenen, seitdem der Verdrängung verfallenen Inzestwünsche sei, deren Bedrohung abzuwehren schärfster Abwehrmaßnahmen für würdig erachtet werden müsse (Freud S. 47 ff, insb. S. 64 f; dazu M. Hirsch Inzest S. 6f)· Darin liegt eine Reduzierung der Kultur auf das evolutionistisch-spekulative Konzept des Ödipuskomplexes, die kulturanthropologisch nicht zu rechtfertigen ist (ausführlich dazu Girtler KölnZ 28 [1976] 675 ff; vgl. auch M. Hirsch Psychoanalyse S. 109f; Handwörterbuch S. 460; Wirtz Seelenmord S. 31 ff; Trauma S. 131). Westermarck verbindet den psychologischen Ansatz mit der soziologischen Feststellung, wonach erwachsene Personen eine angeborene, instinktive Abscheu vor sexuellen Beziehungen zu Personen empfinden, mit denen sie in ihrer frühesten Kindheit zusammengelebt haben oder seitdem zusammenleben (History Bd. 1 S. 250ff, Bd. 2 S. 207ff; vgl. auch Eibl-Eibesfeldt Ethologie S. 393 f; Löffler Inzest S. 17f), der er später noch den Gedanken eines dunklen Wissens um die schädlichen Folgen konsanguiner Verbindungen hinzufügt (Essays S. 53 ff). Die Bedeutung der Theorien Westermarcks liegt ungeachtet ihrer Inkonsequenzen und Ungeklärtheiten darin, daß er zwar an der Annahme einer allgemeinen menschlichen Inzestabneigung festhält, sie aber nicht auf einen blutsmäßigen Widerwillen zurückführt, sondern als erlernte Erscheinung interpretiert (vgl. F. Bauer S. 18 f; Bischof Grundlagen II S. 45 lf; Jäger Strafgesetzgebung S. 60). Waren all diese Hypothesen nur Vorschläge für eine Erklärung des Inzesttabus, so gelangt LéviStrauss zu einer strukturalistischen Theorie der Entstehung des Inzestverbots. Er siedelt es an der Schwelle von Natur und Kultur an, indem es als Universalie zum Bereich der Natur gehöre, als Verbot aber der Kultur verhaftet sei (S. 57). Anknüpfend an den von Mauss entwickelten Gedanken, daß Grundlage allen sozialen Lebens der Tausch sei, und dieser in besonderem Maße in archaischen Gesellschaften, begleitet von einem auf mythischen Vorstellungen beruhenden Ritual, stattgefunden habe (S. 15 ff, 157 ff; dazu auch Eibl-Eibesfeldt Biologie S. 498 ff), sieht er in den Heiratsregeln und mit ihnen im Inzestverbot (Rdn. 6) einen Ausdruck des Tauschs der Frauen als den wertvollsten aller gesellschaftlichen Güter (S. 118, 121, 124; krit. dazu Löffler Inzest S. 14). Nach dieser Sicht ist die Inzestregel weniger ein Verbot als ein Gebot oder gar Zwang zum Tausch (S. 98 ff), weil sie sich nicht in der Tatsache des Verbots erschöpft, sondern darüber hinaus den Zweck hat, direkt oder indirekt, mittelbar oder unmittelbar, einen Austausch zu garantieren und zu begründen (S. 106). Möglicherweise läßt sich das Besondere des Inzesttabus mit dem Gedanken von LéviStrauss, daß es an der Grenze zwischen Natur und Kultur angesiedelt sei, nicht erfassen. Er setzt damit Natur und Kultur als zwei voneinander getrennte Pole eines Systems. Die Ratlosigkeit der Wissenschaften deutet aber gerade darauf hin, daß die Inzestregelung ein Phänomen ist, das sich einer Grenzziehung zwischen Kultur und Natur entzieht. Wie es scheint, sind die wissenschaftlich-theoretischen Erklärungsversuche für die Entstehung des Inzesttabus noch immer nicht ausgeschöpft. Das zeigen

dadurch sich der Übergang von der Gruppenheirat endogener Art zur exogamen Heirat

durchgesetzt habe (Origin S. 83 ff; Marriage S. 393).

S t a n d : 1. 7. 2 0 0 3

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§173

die neueren Ansätze von Héritier, die, im Anschluß an Lévi-Strauss, für die Regelung des Tauschs die Symbolik von Inzest für maßgebend hält (Symbolics S. 159 fi), und Roscoe, der, von Westermarck's Ideen ausgehend, durch die Verbindung von biologischen und kulturellen Faktoren zu einer weiteren symbolischen Theorie von Inzest gelangt (Man 29 N. S. [1994] 54ff). Die moderne verhaltensbiologische Forschung meint neuerdings wiederum, dem Inzesttabu liege eine biologische Inzesthemmung zugrunde (Eibl-Eibesfeldt Biologie S. 367; Ethologie S. 593). Sie erkläre sich daraus, daß ohne Inzestvermeidung die sexuelle Fortpflanzung, die eigens als evolutionsbeschleunigender Mechanismus entwickelt worden sei, ad absurdum geführt würde, weil die Neukombination verschiedenen Erbguts unterbliebe (Bischof Rätsel Odipus S. 412f; Eibl-Eibesfeldt Biologie S. 370; Schubarth Festschrift Grünwald S. 644).26 cc) Die Funktion, die das Inzesttabu in archaischen Gesellschaften gehabt haben 6 mag, erhellt sein Zusammenhang mit dem Exogamiegebot. Die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Ethnologie entstandene Bezeichnung Exogamie ist, entgegen vielfacher Verwendung, kein Synonym des Begriffs Inzest. Exogamie bezieht sich auf die Heirat, einen kulturellen Akt, Inzest hingegen auf geschlechtliche Vereinigung, einen biologischen Akt. 27 Die Entstehung der Exogamieregel, Gebot der Heirat zwischen den Clans und Verbot der Heirat innerhalb des Clans, in frühen Gesellschaften praktisch ebenso universal wie das Inzestverbot, könnte durch den Glauben an das Blut als geheiligtes Symbol und Ursprung der magisch-psychologischen Gemeinschaft der Mitglieder des Clans entstanden sein, weil der Mann bei der Heirat einer Frau seines Clans mit diesem Blut in Berührung käme, während das Totem durch die geschlechtliche Vereinigung mit einer anderen Frau nicht verletzt würde (Lévi-Strauss S. 68; vgl. auch Freud S. 173; Mühlfeld SozW 28 [1977] 222). Die Exogamieregel dürfte aber auch politische Bedeutung gehabt haben. Der Zwang für die Männer, ihre Frauen außerhalb des eigenen Stammes zu suchen, könnte zur Entwicklung über die familiäre Einheit hinausreichender sozialer Strukturen und weiterführender kooperativer Beziehungen geführt haben, verbunden mit einer Frieden stiftenden oder den Frieden erhaltenden Funktion, weil sie Feindschaft zwischen den Gesellschaften abbaute oder ihre Entstehung verhinderte. 28 Danach wäre das Exogamiegebot etwas völlig anderes als das Inzestverbot, wenngleich die Thematik beider Regeln in einem engen Zusammenhang steht, so daß es grundsätzlich nicht unrichtig ist, das Inzestverbot als eine Form von Exogamie sui generis anzusehen (Lévi-Strauss S. 67). Hatten Inzestverbot und Exogamiegebot diese Bedeutung, und waren in diesen Gesellschaften Inzestwünsche vorhanden, liegt es auf der Hand anzunehmen, daß die Befolgung des Exogamiegebots um so leichter fallen würde, je mehr eine den Inzestwünschen entgegengesetzte Neigung wirksam war. Denkbar ist deshalb, daß die Entstehung der Inzestscheu auch auf dem Gedanken beruht, eine den Inzestwünschen entgegentretende kontrastierende psychologische Hemmung aufrichten zu müssen.

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Schubarth ermahnt die Strafrechtswissenschaft, zur Kenntnis zu nehmen, daß es aus verhaltensbiologischer Sicht biologische Grundlagen für das Inzesttabu gebe (Festschrift Grünwald S. 644). Das dürfte selbstverständlich sein. Völlig richtig ist aber der Hintergrund, vor dem Schubarth seine Mahnung ausspricht, nämlich dem Defizit der Kriminologie, derartige Zusammenhänge, wie hier durch das Inzesttabu impliziert, zu erforschen (S. 644 f; vgl. dazu auch

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schon Vor § 166 Rdn. 17, 18 zum kriminologischen Beziehungsgeflecht zwischen Religion und Verbrechen). Unvergleichlich klar in diesem Sinne Fox „Incest refers to sex, exogamy refers to marriage" (Red Lamp S. 4). Tylor JAnthrlnst. 18 (1888) 267; vorweggenommen schon von Augustinus, dem Bischof von Hippo Regius, in De civitate Dei (413-426) 14.1 (vgl. auch Sahlins CurrAnthr. 37 [1994] 405).

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§ 1 7 3

12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

dd) Die Bedeutung des Inzestverbots für eine rationale Rechtfertigung der Strafbarkeit liegt darin, daß es als negative Seite des (positiven) Exogamiegebots (Schelsky Soziologie S. 88; dazu M. Hirsch Inzest S. 6), die erste gesellschaftliche Regelung darstellt, die einen Sozialzweck verfolgt (Jäger Strafgesetzgebung S. 62). Sie erschöpft sich darin aber auch. Hinweise für die Ausdeutung des realen Rechtsgutes des § 173 lassen sich weder den zu vermutenden Gründen, die es hatten entstehen lassen (Rdn. 5), noch der gesellschaftlichen Funktion, die ihm in archaischen Gesellschaften möglicherweise zukam (Rdn. 6), entnehmen. Den wissenschaftlich-theoretischen Erklärungsversuchen der Entstehung des Inzesttabus wohnt zudem nur geringe Überzeugungskraft inne. Alle Theorien bieten Argumentationen an, die durch den historischen Kontext, in den der Autor sie stellt, seine persönlichen, politisch oder religiös motivierten Überzeugungen und den wissenschaftlichen Denkstil, dem er verhaftet ist, geprägt sind.29 Allgemein überzeugende Antworten sind nicht gefunden worden ( L ö f f l e r Inzest S. 11). Auch Freud räumt in einer Art Schlußbilanz, den Anthropologen Frazer zitierend, ein: „Wir kennen die Herkunft der Inzestscheu nicht und wir wissen selbst nicht, worauf wir raten sollen" (S. 178, Originalzitat Fn. 3). Hinzu kommt das Unvermögen aller Autoren, die Universalität des Inzesttabus, von der die Theorien und Hypothesen durchweg ausgehen, befriedigend zu belegen. Dessen würde es aber bedürfen angesichts der geschichtlichen Überlieferungen, nach denen in zahlreichen Gesellschaften Inzest eine erlaubte, wenn nicht sogar gebotene Form der Geschlechtsverbindung der Angehörigen der herrschenden Kaste, mitunter sogar als allgemeine Landessitte, war. Beispiele dafür sind Alt-Ägypten, 30 Alt-Iran, Phönizien, einige alt-slawische Länder, sowie die frühen Gesellschaften von Burma, Madagaskar, Peru 31 und Hawaii. In China, Siam und unter Teneriffa-Insulanern gab es bis in jüngerer Zeit Geschwisterehen. Auch sonstige Verwandtenehen sind vereinzelt noch anzutreffen. Das bedeutet, daß die Theorien und Hypothesen, die ihre Erklärung der Entstehung des Inzestverbots auch auf dessen Universalität stützen, keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können, wenn gerade sie in Frage steht ( Vívelo S. 290; vgl. auch Laufhütte Prot. VI/34 S. 1246). Einer Begründung der Inzestbestrafung aus der Exogamieregelung bedarf es schon deshalb nicht, weil moderne Gesellschaftsorganisationen über genügend andersartige Mechanismen verfügen, um ihren Bestand und die gesamtheitliche Sozialstruktur zu sichern (Jäger Strafgesetzgebung S. 62; Schelsky S. 92). Möglicherweise ist die von Ethnologen, Soziologen und Psychologen so verbissen in den „primitiven" Gesellschaften gesuchte Lösung der Frage des Inzestverbots überhaupt müßig. Lévy-Bruhl bestreitet, daß es in archaischen Gemeinschaften ein Inzestverbot gegeben habe; wenn Inzest vorgekommen sei, dann als ein Abscheu erregendes, Schrecken verbreitendes Monstrum, für dessen Verbot aber nicht mehr und nicht weniger Gründe bestanden 29

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Ähnlich Girtler KölnZ 28 (1976) 687. Sehr instruktiv in diesem Zusammenhang ist das imaginäre Symposion der Protagonisten der verschiedenartigen Erklärungsversuche der Entstehung des Inzesttabus (die zu ihren Lebzeiten sicherlich nicht zusammen an einen Tisch zu bringen gewesen wären) bei Bischof Rätsel Ödipus S. 88 f f . Forschungen anhand von Volkszählungen aus dem römischen Ägypten haben die früher einhellige Auffassung widerlegt, daß nur die Herrscherfamilie von der Tabuisierung der Geschwisterehe ausgenommen war; vielmehr galten in den ersten zwei Jahrhunderten der Römerzeit Geschwisterehen allgemein als erlaubt, mög-

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licherweise deshalb, weil nach der Beseitigung der Dynastie die Geschwisterehen aufgehört hatten, Standesprivileg und Standessymbol zu sein (ausführlich dazu Girtler KölnZ 28 [1976] 684ff; ferner Lévi-Strauss S. 54; Sidler S. 150f; Többen S. 2 f; vgl. auch Hauer S. 4; v. Hentig! Viemstein S. 174ff; Hummel ZfJ 83 [1986] 418; Wittmann S. 26). Unter Widerspruch gegen die Annahme, die Geschwisterehe sei lange Zeit üblich gewesen, ohne daß sich wesentliche Schädigungen gezeigt hätten, ausführlich dargestellt bei v. HentigI Viemstein S. 170 ff; näher auch Többen S. 3f; ferner Verschuer S. 58.

Stand: 1. 7. 2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

hätten, als für ein Verbot etwa der Autophagic oder des Brudermords (S. 247; dazu Mühlfeld SozW 28 [1977] 222; vgl. auch Freud S. 176f). Und bei Slater findet sich der demographische Hinweis, daß angesichts der kurzen Lebensdauer unserer urzeitlichen Vorfahren generationsübergreifender Geschlechtsverkehr innerhalb der Familie nicht habe stattfinden können oder aber jedenfalls höchst unwahrscheinlich gewesen sei, weil die Eltern zur Zeit der sexuellen Reife ihrer Kinder nicht mehr gelebt und zwischen den Geburten der Kinder große Abstände gelegen hätten (AmAnthr. 61 [1959] 1942; dazu Löffler Homo 23 [1972] 351). Freilich sind dies ebenso unbewiesene Annahmen wie die Hypothesen der anderen Theorien. b) Der traditionelle Schutzzweck des § 173 knüpft im Kern an die Annahme der Sozialschädlichkeit (näher dazu Rdn. 11) inzestuöser Verbindungen an. aa) Die erste Meinungsbildung stand vor der Schwierigkeit, daß sich den Gesetzesmotiven nicht entnehmen läßt, welcher Zweck in der Strafbarkeit ursprünglich gesehen wurde, und welches Rechtsgut die Vorschrift etwa schützte. Entsprechend vielschichtig waren die Interpretationen. Allerdings bot sich eine Begründung von vornherein an, die weit verbreitete Annahme, daß inzestuöse Verbindungen schädliche Folgen bei den Nachkommen habe. Die Rechtfertigung des Inzestverbots aus dieser Gefahr ist, gemessen am Alter der Strafbarkeit (vgl. Rdn. 1), jung. Diese Begründung des Verbots der Heirat zwischen Blutsverwandten oder nahen kollateralen Verwandten taucht vor dem 16. Jahrhundert nirgendwo auf (Lévi-Strauss S. 58). Das ist um so verwunderlicher, als die Annahme, konsanguine Ehen führten zu geschädigten Nachkommen, voll mit dem lange zuvor entstandenen Volksglauben vieler Gesellschaften, auch der unseren, übereinstimmt. In die theoretisch-wissenschaftlichen Erklärungsversuche der Entstehung des Inzesttabus (Rdn. 5) wurde der Gedanke durch Maine eingebracht mit der einfachen Behauptung, das Inzestverbot sei eine Schutzmaßnahme, die darauf abziele, die Spezies Mensch vor den schädlichen Folgen konsanguiner Ehen zu bewahren (S. 228). Neben diesem, meist als Familiengesundheit bezeichneten Schutzgut unterlegte die Strafrechtswissenschaft, soweit sie die Bestrafung ohnehin nicht „lediglich einem allgemeinen Moralgefühl und überlebten religiösen Ideen" (Mittermaier S. 144) zuschrieb, der Vorschrift mit unterschiedlichen Gewichtungen die öffentliche Sittlichkeit und die sittliche Familienreinheit als die Sozialschädlichkeit begründenden Schutzgüter. Die frühe Rechtsprechung stellte auf die sittlichen, religiösen und politischen Gründe der Bestrafung ab (RGSt. 2 240, 241). Später trat der Gedanke der körperlichen und sittlichen Gesundheit der Familie in den Vordergrund (RGSt. 57 140), am Ende mit der Differenzierung, daß der Beischlaf zwischen Verwandten verboten sei, um den Gefahren der Inzucht zu begegnen (BGH NJW 1952 671), der zwischen Verschwägerten, um den engeren Kreis der Familie von geschlechtlichen Beziehungen freizuhalten (BGHSt. 3 342, 343). In der Lehre wurde diese Ansicht, meist in der zusammenfassenden Formulierung „Schutz der körperlichen und sittlichen Gesundheit der Familie" ausgedrückt, zur herrschenden. 32 Wie wenig deutlich aus ihr ein konkretes, klar bestimmtes Rechtsgut hervortritt, zeigt das zeitgenössische Resumée von Wulffen, die Auffassung von der Strafbarkeit des Inzests gründe sich auf eine Reihe von Faktoren in einem ätiologisch kaum mehr auflösbaren historisch-psychologischen Komplex (S. 140).

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So ζ. Β. A Ilfeld § 91 C I; Binding Lehrbuch I § 60 III I; Blei BT § 37 III 2a; Jähnicke S. 58; KohlrauschlLange Anm. I; Niethammer II. Hauptstück A 2 a; v. Olshausen Anm. 2; Sauer BT § 49

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V 1; Welze! Strafrecht § 64 III 1 (den sozialhygienischen Strafgrund jedoch bereits einschränkend).

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§ 173

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bb) Die Rechtsgutbestimmung durch das 4. StrRG hat ungeachtet der längst bestehenden Zweifel an der Sozialschädlichkeit inzestuöser Beziehungen (vgl. Rdn. 12, 13) die herkömmliche Interpretation des Rechtsguts festgeschrieben. Allerdings sah die Reform sich mit entgegenlaufenden Vorstellungen konfrontiert, wie sie derart extrem beispiellos sind. Es gibt kaum einen zweiten Tatbestand, der einerseits nach verbreiteter Auffassung „zu den allertabuiertesten Themen des menschlichen Intimlebens" (Hochheimer S. 101) gehört, dem andererseits gleichwohl ein grundsätzliches Strafbedürfnis abgesprochen wird. So steht ganz am Anfang schon die Forderung, § 173 zu streichen (z.B. Mittermaier S. 147), während etwa noch der E 1962 die Blutschande, wenn sie von Verwandten aufsteigender Linie begangen wird, „zu den schwersten Verbrechen, die das Strafrecht kennt", zählt, für dessen Ahndung „mit Rücksicht auf leicht denkbare schwerste Taten" das Höchstmaß der sonst angedrohten Zuchthausstrafe verdoppelt werden müsse.33 Entsprechend lebhaft sind die Auseinandersetzungen geführt worden, mitunter nicht ohne persönliche Voreingenommenheit. 34 Der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) nennt als Strafgrund den in Art. 6 G G geforderten Schutz von Ehe und Familie, zu dessen Konkretisierung er die Notwendigkeit einer Freihaltung der engsten Familie von sexuellen Beziehungen, weil diese sich in hohem Maße ehe- und familienzerstörend auswirkten, nicht selten zu schwerwiegenden Störungen der psychischen Entwicklung namentlich der minderjährigen Opfer oder Partner, durch die diskriminierende Reaktion der Öffentlichkeit aber auch der Kinder aus solchen Beziehungen, führten, und sie die Nachkommen dazu noch der Gefahr eugenischer 35 Schäden aussetzten, anführt (S. lOf). Die bestehende, auf kriminologische Erfahrungen gestützte gegenteilige Auffassung zu diesen Gefahren (Rdn. 12) ist im Gesetzgebungsverfahren nicht widerlegt worden. Der Sonderausschuß hat in seiner breit angelegten Anhörung (dazu ausführlich Vor § 169 Rdn. 7) die Sachverständigen nur allgemein zu medizinischen, psychologischen, soziologischen, kriminologischen und juristischen Aspekten des Inzests befragt, 36 auf das Expertenwissen über die medizinischen, psychologischen und genetischen Voraussetzungen, die für die strafrechtliche Regelung des Inzests von Bedeutung sind, aber

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Begr. S. 348; vgl. dazu die Kritik beispielsweise von Hanack Gutachten Rdn. 5; Hochheimer S. lOOf; SimsonIGeerds S. 425. Was sich durchaus fortsetzt, wie dies etwa in den Angriffen zutage tritt, gegen die Stratenwerth sich in der Rubrik der Schweizerischen Ärztezeitung „Die Meinung der Leser" (SÄZ 63 [1982] 132f) zur Wehr setzt (Bühler SÄZ 62 [1981] 3306 und Geiser SÄZ 62 [1981] 3307). Der von F. Galton 1883 als Bezeichnung der Lehre von der Verbesserung des Erbguts geprägte Begriff Eugenik sollte jedenfalls in rechtlichen Untersuchungen vermieden werden. Ziel eugenischer Maßnahmen ist es, unter Anwendung genetischer Erkenntnisse als positive Eugenik den Fortbestand günstiger Erbanlagen in einer menschlichen Population zu sichern und zu fördern sowie als negative oder präventive Eugenik die Ausbreitung nachteiliger Gene einzuschränken (Brockhaus Enzyklopädie 19. Aufl. [1986 ff] Bd. 6 S. 617). Mit der in ihrer Grundstruktur einem totalitären, determinierenden Denkstil verpflichteten eugenischen Logik wurde in der Zeit des Nationalsozialismus der

Massenmord an geistig und körperlich behinderten Menschen (Euthanasie) begründet. Der Begriff Eugenik ist seitdem wertfrei nicht mehr verwendbar. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Schutzgut des § 173 ist der Begriff zudem überflüssig, weil es hier nicht um eugenische Maßnahmen, sondern um die möglichen biologischen Auswirkungen des Inzests geht. Sie aber lassen sich mit der Begrifflichkeit des Genetischen erfassen, dies sogar sachgerechter, weil diese Begrifflichkeit nicht notwendig die Vorstellung eines genetischen Idealtyps besitzt, sondern die Möglichkeit, die Variabilität menschlicher Genome als das Allgemeine zu definieren, einschließt. 36

Prot. VI/28 S. 882, 885ff (Scheuch), 918ff (Schönfelder), 922 (Sirunk)·, VI/29 S. 929, 932ff (.Lempp), 990ff (Wille), 995ÍT, 1002ff (Hallermann), 1007 ff (Nau), 1020, 1024 ff (Matthes); VI/30 S. 1114ff (Hanack), 1135 (Bader); dazu Laufliütte Prot. VI/34 S. 1247; vgl. auch die Auswertung bei Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 304 ff.

S t a n d : 1. 7. 2 0 0 3

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gerade verzichtet (näher Vor § 169 Rdn. 7).37 Nicht einmal dazu, wie wirkmächtig das Inzesttabu im Bewußtsein der Rechtsgemeinschaft noch immer ist (vgl. Rdn. 14), sind empirische Feststellungen getroffen worden. In seinem Schriftlichen Bericht (BTDrucks. VI/3521) beschränkt der Sonderausschuß sich darauf, die Begründung des Regierungsentwurfs zu wiederholen und fügt ihr noch die Erwägung an, der Verwandteninzest sei in hohem Maße traditionsbeladen und werde von der Allgemeinheit als Ausdruck des Familien- und Eheschutzgedanken betrachtet, weshalb ein Verzicht auf die Bestrafung als Abbau dieses Schutzes mißverstanden werden könnte mit der Folge, daß sich auch die Einstellung von Teilen der Bevölkerung zu dieser Institution in einem vom Allgemeininteresse her betrachtet unerwünschten Sinne ändert (S. 17f). Danach muß das 4. StrRG sich schon den Vorwurf gefallen lassen, der Bedeutung der Problematik nicht gerecht geworden zu sein (Hanack NJW 1974 2 Fn. 22). Der Vorschlag des Sonderausschuss, über die schon vom E 1962 erstrebte (Begr. S. 347), einem alten Reformanliegen entsprechende Beseitigung der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten hinaus im Strafmaß zwischen älteren und jüngeren Verwandten zu differenzieren und Beteiligte unter achtzehn Jahren straflos bleiben zu lassen, zeigt ebenso wie der Hinweis auf § 153 StPO für Fälle, in denen ein Strafbedürfnis fehlt (BTDrucks. VI/3521 S. 18), nur „sein schlechtes Gewissen" (MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 46). cc) Die gegenwärtige Auffassung von Rechtsprechung und Lehre unterscheidet sich von der herkömmlichen Meinung nur dadurch, daß sie überwiegend den objektiven Schutz von Ehe und Familie, wie er in Art. 6 Abs. 1 G G hervorgehoben ist, in den Vordergrund stellt.38 Ein konkreter Strafgrund liegt freilich auch darin nicht. Er ergibt sich letztlich wiederum nur aus der Sozialschädlichkeit, wie sie durch die angenommenen konkreten Gefahren als realisiert angesehen wird. Deshalb hält auch ein Teil des Schrifttums, durchaus konsequent, die herkömmliche, vom 4. StrRG bestätigte Auffassung zum Rechtsgut aufrecht (so etwa Horni Wolters SK Rdn. 2; Lackneri Kühl Rdn. I).39

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c) Der traditionelle Schutzzweck der Sozialschädlichkeit genügt bei § 173 den Anforderungen des modernen Rechtsschutzbegriffs nicht.

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aa) Die Legitimierung einer Strafnorm aus der Sozialschädlichkeit40 des pönalisierten Verhaltens unterliegt einem gesteigerten Begründungszwang des Gesetzgebers. Seine Berufung auf die Rechtstradition oder die Volksüberzeugung genügt nicht, soll 37

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Mit Recht wird dies als treffliches Beispiel für die Berechtigung der Klage der Kriminalsoziologen angesehen, daß die Jurisprudenz ihre Fragen „ignoriert oder mit Leerformeln übergeht, oder auch, gegen vorhandene empirische Evidenz, zuweilen schlicht falsch beantwortet" (Lautmann ZRP 1980 44 unter Hinweis auf Hassemer S. 12; vgl. auch Müller-Dietz S. 16). BGH 39 326, 329 mit Anm. Dippel NStZ 1994 182, H. Jung JuS 1994 440 und Siein StV 1995 251; ferner beispielsweise Bottke S. 113; Frommet NK Rdn. 11; Klöpper S. 3, 114; Otto BT § 65 Rdn. 13; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1; TröndleiFischer Rdn. 2. Die besondere Sicht von Frommel, es werde somit das Vertrauen in die Einhaltung des Inzestverbots geschützt (NK Rdn. 11), sieht sich dem Einwand ausgesetzt,

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daß dies das Verbot mit sich selbst erklärt (TröndleiFischer Rdn. 2). Als Rechtsgut des § 152 StGB DDR (vgl. Vor § 169 Rdn. 5 Fn. 33) galten die sozialistischen Familienbeziehungen in sozial-ethischer Hinsicht. Die Inzesthandlung wurde als geeignet angesehen, die Beziehungen in der Familie zu stören und insbesondere ihre soziale Funktionstüchtigkeit, die Kinder moralisch-sittlich zu erziehen, zu beeinträchtigen (StGB-Lehrb.DDR BT S. 121; Redlich/Kamin NJ 1967 151). Die Lehre von der Sozialschädlichkeit eines Verhaltens entstammt der Sozialschadenslehre der Aufklärung, aus der die Lehre vom Rechtsgüterschutz zwar hervorgegangen ist, jedoch ohne mit ihr identisch zu sein (Amelung Rechtsgutsverletzung S. 269).

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die Strafvorschrift keine Norm ohne Rechtsgüterschutz (Rdn. 14) sein. Schon auf Arndt geht die kritische Feststellung zurück, daß die Sozialschädlichkeit als Maßstab für die Legitimität einer Strafnorm zu unbestimmt ist, sie vielmehr dazu ihrerseits inhaltlicher Fixierung bedarf. 41 Daraus folgt, daß bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten deshalb pönalisiert werden muß, weil es sozialschädlich ist, in besonderem Maße von der Kriminologie durch Erforschung der sozialen Wirklichkeit die entsprechenden empirischen Grundlagen deutlich zu machen sind.42 Das hat das 4. StrRG in beiderlei Hinsicht, der Gefahr genetisch-biologischer Schädigung späterer Generationen durch den Inzest ebenso wie der Möglichkeit ehe- und familienzerstörerischer Auswirkungen inzestuöser Beziehungen, versäumt. 12

bb) Die so tief im Volksglauben verwurzelte Gefahr genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft sah sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der naturwissenschaftlichen Forschung relativiert. Zwar galt die Frage, ob die organische Gleichartigkeit der Keimplasmen in den beiden Geschlechtszellen eine Abschwächung der Befruchtungs- und Entwicklungsenergien bewirkt, noch immer als eine der schwierigsten der Biologie; doch stand bereits fest, daß die Inzucht durch Gleichartigkeit der Keimplasmen, wenn sie nicht mit Krankheitsanlagen behaftet sind, die Lebensfähigkeit der Nachkommenschaft nicht schädigt (Wulffen S. 140). Inzwischen hat die Forschung den Befund präzisiert. Genetisch bedeutet Inzucht, weil gleiche (gemeinsame ererbte) Anlagen bei der Verwandtenkreuzung häufiger zusammentreffen als bei der Paarung von Nichtverwandten, die Vermehrung der homozygoten (reinerbigen) und die Verminderung der heterozygoten (mischerbigen) Genpaare, dies besonders auffallig bei rezessiv erblichen Merkmalen, die nur bei Reinerbigkeit in Erscheinung treten. Schädliche Auswirkungen hat diese Steigerung und Summierung des vorhandenen Erbmaterials nur dann, wenn krankhafte Erbänderungen wirksam werden. Auch darin kann ein Nutzen für die Gesellschaft liegen, weil durch die Homozygotisierung krankhafter Anlagen und ihre Manifestierung beim Inzest einer Auslese, etwa durch Auswirkung einer geminderten Lebenstüchtigkeit bei den Homozygoten oder durch genetische Maßnahmen, die Möglichkeit zum Ansatz und damit zur Tilgung solcher Faktoren aus der Gesellschaft gegeben wird (Salier M M W 107 [1965] 2106). Bei erbgesunden Lebewesen muß Inzucht indessen nicht nur nicht nachteilig sein, sondern kann sogar zu einer Verbesserung der Art führen. Um wieviel größer nun die Gefahr eines Aufeinandertreffens zweier ungünstiger rezessiver Erbanlagen bei Verwandtenkreuzungen gegenüber den Paarungen von Nichtverwandten ist, hat die Forschung noch nicht herausfinden können. 43 Doch steht auch ohne dies fest, daß der Beweis einer allgemein vorhandenen inzesttypischen Gefährdung der Nachkommenschaft nicht erbracht ist.44 Er wäre aber notwendig, wenn die Gefahr genetisch-biologischer Schäden den Strafgrund der Sozialschädlichkeit begründen

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Merkur 22 (1968) 1094; ebenso deutlich in diesem Sinne Müller-Dietz S. 16 f. Dazu insb. Arndt Merkur 22 (1968) 1081 f; J. Baumann Z R P 1991 130; H.-L. Günther JuS 1978 9; Hanack Gutachten S. 37; Jäger Strafrechtspolitik S. 298 ff; Karl Lackner S. 11; Müller-Dietz S. 16f; vgl. auch Rdn. 3, Rdn. 6 mit Fn. 26, Rdn. 34. Selbst eine so breit angelegte Untersuchung wie die über den Gesundheitszustand von Kindern aus nahen Blutsverwandtenehen, über die Zerbin-Rüdin berichtet, gibt darüber keinen Auf-

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schluß (ZmVK 35 [1959/60] 233); vgl. dazu auch die Ergebnisse des von Seemanovä vorgestellten Prager Forschungsprojekts (ZÄF 80 [1986] 799 ff). Wenn gleichwohl das zeitgenössische Denken sich weitgehend noch an die Vorstellung klammerte, das Inzestverbot könne aus genetischbiologischen Gründen gerechtfertigt sein, so erklärt sich nach Lévi-Strauss dies daraus, daß in den biologischen Begriffen die letzten Überreste der Transzendenz zu finden sind, über die das moderne Denken verfügt (S. 60).

Stand: 1. 7. 2003

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soll. Die nur mehr oder weniger theoretische Möglichkeit solcher Schädigungen genügt dazu nicht. 45 Ob im Zeitalter der Antibabypille genetisch-biologische Gesichtspunkte schon von vornherein die Strafbarkeit des Inzests nicht rechtfertigen könnten, 46 ist zweifelhaft. Inzestuöse Beziehungen dürften kaum typischerweise so gestaltet sein, daß Bedacht auf Verhütung genommen wird. Hingegen trifft zu, daß der Strafgrund in den Fällen nicht greifen würde, in denen wegen fehlender Geschlechtsreife des weiblichen oder mangelnder Zeugungsfähigkeit des männlichen Täters ein Kind nicht gezeugt werden kann (Frommel N K Rdn. 12; Klöpper S. 100). cc) Ähnlich liegt es bei der Gefahr ehe- und familienzerstörerischer Auswirkungen 1 3 des Inzests. Soweit Ehe und Familie selbst betroffen sein könnten, läßt sie sich nicht einmal konkretisieren. Zwar finden sich Motive des Familien- und Sittenschutzes in der Rechtsprechung und im Schrifttum in allen Variationen und Schattierungen. 47 Sie sind auch Teile einer strafrechtlich geschützten Werte- und Normenordnung. Dadurch allein erreichen sie jedoch noch nicht die Qualität eines eine bestimmte Strafbarkeit begründenden konkreten Rechtsguts. Zunächst haftet ihnen an, daß sie relativ und wandelbar sind. Prinzipien, die Umformungen unterliegen und dadurch keinen bestimmten allgemein verbindlichen Inhalt besitzen, können nicht Rechtsgut sein. So liegt es beispielsweise beim Familienfrieden, den Welzel im Blick hat (Strafrecht § 64 III 1), oder bei der Lockerung der Familienbande, der Störung der Unbefangenheit des Verkehrs und der Befleckung der Geschlechtsehre, die Sauer ins Feld führt (BT § 49 V 1). Des Weiteren setzt der Rechtsgutbegriff voraus, daß die dem Schutzgut drohende Gefahr empirische Wirklichkeit ist. Daran mangelt es. Nach kriminologischer Erfahrung erweist sich die Störung der familiären Psychodynamik eher als Ursache denn als Folge einer Inzestbeziehung. 48 Dabei erscheint angesichts der Beschränkung der Tat auf Beischlafs-Handlungen überhaupt schon zweifelhaft, ob die Strafvorschrift

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Zum Ganzen mit unterschiedlicher Ausführlichkeit, aber weitgehend einig im Ergebnis F. Bauer S. 19; F. Baumann SJZ 63 (1967) 323; Bischof Grundlagen II S. 436f; Fisch S. 15ff; Hauer S. 6f; Hummel ZfS 83 (1986) 423f; Jäger Strafgesetzgebung S. 63 ff; Klöpper S. 98 fT; Lévi-Strauss S. 61; Löffler Inzest S. 19; Κ H Rosenfeld S. 50; Salier M M W 107 (1965) 2105 ff; W. Schmidt JR 1950 112; Schroeder Z R P 1971 21; Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 303 f; Frh. v. Verschuer S. 58. Für Naucke handelt es sich bei der Berufung auf genetisch-biologische Schäden um „Naturwissenschaft als Ersatz für Rechts-Metaphysik" (S. 113). Frommel lehnt die einseitige Betonung der Gefahr genetisch-biologischer und psychischer Schäden der Nachkommen aus inzestuösen Beziehungen ab, erkennt aber im Hinblick auf die in den 1990er Jahren unübersehbar gewordene Veränderung der Sexualmoral in Richtung einer Art Verhandlungsmoral entsprechend den Vorstellungen beispielsweise von Dannecker, Giddens und G. Schmidt eine Sozialschädlichkeit des Inzests bei sexuellem Mißbrauch von Kindern durch ältere Familienmitglieder als offenen oder verdeckten Machtmißbrauch an (NK Rdn. 7). So z.B. Frommel N K Rdn. 12; H Jung Festschrift Leferenz S. 314; Karkatsoulis S. lOf;

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Klöpper S. 99; MaurachlSchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 2; Schroeder Z R P 1971 21. Jäger Strafgesetzgebung S. 66f; zahlreiche Einzelheiten der Begründungsmuster bei Klöpper S. 108 ff, 114ff. So die weit überwiegende Auffassung bei nur wenigen zweifelnden Äußerungen, vgl. etwa AE S. 59; F. Bauer S. 19; Baurmann S. 60, 64f; Bischof Grundlagen II S. 436 f; Blei BT § 37 III 2a; Fisch S. 15f; Forel S. 191; Gerchow MschrKrim. 1955 169; Inzestsituation S. 40fT; Hanack Gutachten Rdn. 5; v. HentiglViernstein S. 162; Horn! Wolters SK Rdn. 2, 5; Jäger Strafgesetzgebung S. 65; H Jung Festschrift Leferenz S. 313ff; Klöpper S. 108, 109, 114f; Kunter S. 9; Laufhütte Prot. VI/34 S. 1247; Leferenz ZStW 77 (1965) 387 f; Maisch Beiträge S. 59; Inzest S. 159; Marcuse Inzest S. 11 fT; Mezger Kriminologie S. 56; Mittermaier S. 144f; Mösl L K ' Rdn. 3; Plack S. 231; Rank S. 438 f; Rennen DZgerMed. 48 (1958) 53; Roxin TuT S. 415; W Schmidt JR 1950 112; Schmitt S. 517; H. J. Schneider S. 177; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 1 ; Schroeder Z R P 1971 21; Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 303 ff; Többen S. 81 f; E. J. Walter SZP 21 (1962) 53; Welzel Strafrecht § 64 III 1; Wittmann S. 137; Wulffen S. 22; Tröndlel Fischer Rdn. 2.

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bestimmt und geeignet ist, den engsten Familienkreis (allgemein) von sexuellen Beziehungen freizuhalten, wie es im übrigen auf das Bestehen familiärer Bindungen für § 173 gar nicht ankommt (TröndlelFischer Rdn. 2). Anders als bei der Schädigung der Familie selbst liegt es bei der möglichen Beeinträchtigung ihrer Funktionsfahigkeit durch seelische Schäden, die bei minderjährigen Opfern namentlich des Vater-Tochter-Inzests eintreten können (Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 304). Insoweit ist die Gefahr konkretisiert. 49 Doch ermangelt es auch dazu der erforderlichen empirischen Feststellungen. Weder steht fest, wie oft solche seelischen Schäden eintreten, noch gibt es Erkenntnisse über das generelle und spezielle Ausmaß ihrer Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Familie. Die Sozialschädlichkeit des Inzests ist daher auch in dieser Hinsicht pragmatisch nicht belegt. 14

d) Da Sozialschädlichkeit als Strafgrund nicht konkretisiert ist, fehlt es an einem Schutzgut, so daß es sich bei § 173, wie dies Roxin herausgearbeitet hat (TuT S. 415 f, 423; LK § 25 Rdn. 44), um ein Delikt ohne Rechtsgüterverletzung handelt. 50 Dann aber sind es, da ein nicht rechtsgüterverletzendes Verhalten allein um seiner Unmoral willen nicht bestraft werden darf (Roxin JuS 1966 382), letztlich die überlieferten uralten Tabuvorstellungen (vgl. Rdn. 4), die zur strafrechtlichen Sanktion führen. 51 Hieraus folgt entgegen der Auffassung des AE (S. 59, 61) aber nicht unbedingt, daß § 173 so weit entfallen müsse, wie nicht dem Mißbrauch Minderjähriger zu wehren sei.52 Denn die rein rational orientierte Rechtsgutlehre, die diese Konsequenz gebietet, 53 ist

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Vgl. zu psychischen Schäden nach gewaltlosen Sexualdelikten an Kindern und Abhängigen Lachmann MschrKrim. 1988 47fF; zur Bedeutung des Inzests für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen M. Hirsch Mißbrauch S. 77ff; zu Auswirkungen des sexuellen Mißbrauchs auf die sexuelle Entwicklung im Kindes· und Jugendalter M. Hirsch AnKJPsych. 1 (2002) 6Iff; zur Bedeutung von Inzesterlebnissen für die Entstehung psychiatrischer und psychosomatischer Erkrankungen KinzllBiebl/Hinterhuber NervA 62 (1991) 565 ff. Ähnlich Jakobs, der § 173, wie § 166 (vgl. dort Rdn. 9), zu den Normen zählt, die ohne Vermittlung über den Schutz von Gütern direkt den sozialen Frieden schützen sollen (1. Buch Kapitel 1 2. Abschn Rdn. 19). Die Auffassung ist freilich nicht unbestritten. So hat schon Bockelmann die Unterscheidung von rechtsgutsverletzenden und rechtsgutslosen Delikten, da die Begriffe Rechtsgut und Rechtsgutsverletzung keinen dem Gesetzgeber vorgegebenen Inhalt hätten, als „illusorisch" angesehen (Gedächtnisschrift Radbruch S. 257 Fn. 22). Roxin unmittelbar widersprochen hat Schall, Delikte ohne Rechtsgüterverletzung seien „nicht denkbar", weil in der Tradition Bindings und Welzeis jeder vom Gesetzgeber positiv eingestuften Strafvorschrift eine gesetzliche Wertung zugrunde liege, dem § 173 etwa die Funktionsfahigkeit der Familie als schutzwürdig erachtete Realität (JuS 1979 107f). Doch trifft dieser Einwand nur die Terminologie; denn vom Standpunkt Schalls her betrachtet wäre § 173 ein Delikt ohne nachweis-

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baren Sozialschaden, was in der Sache nichts ändern würde (Roxin LK § 25 Rdn. 44 Fn. 45). So neben Roxin S. 415 beispielsweise auch Amelung S. 377; ferner Baurmann S. 63; Horn/Wolters SK Rdn. 2: Jäger Strafgesetzgebung S. 67; H. Jung Festschrift Leferenz S. 320; Maurachl SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 86; Mittermaier S. 144; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 1; Schroeder Z R P 1971 21; Tröndlel Fischer Rdn. 2. Insoweit freilich kann es, schon wegen der Parallelen zum Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, keine Zweifel an der Strafwürdigkeit geben; es ist ganz undenkbar, die sexuellen Handlungen eines Elternteils mit dem eigenen Kind gegenüber sexuellen Handlungen Dritter grundsätzlich zu privilegieren (so Fisch S. 16; Stratenwerth Festschrift Hinderling S. 312). Vgl. insb. Jäger Strafgesetzgebung S. 38 f; H. Jung Festschrift Leferenz S. 320 f; MilllerDietz S. 19; Roxin S. 413ff; im Ergebnis wohl auch Leferenz, der gegen die von Roxin geteilte (TuT S. 413) Auffassung von Jäger, die Sittlichkeit könne nicht Gegenstand des Rechtsschutzes sein, weil sie nicht, wie der Begriff des Rechtsguts es voraussetze, eine empirische Wirklichkeit sei, sondern eine Werte- und Normordnung (Strafgesetzgebung S. 38), zwar zutreffend einwendet, auch die Sittenordnung werde letztlich von seinsmäßigen, empirisch erfaßbaren Phänomenen getragen (ZStW 77 [1965] 386f), dabei aber übersieht, daß dann eben diese Phänomene die eigentlichen Strafgründe wären.

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nur eine von mehreren, gleichermaßen Anerkennung fordernden Theorien. Amelung kommt am Ende seiner Studie zu dem Ergebnis, daß am subjektiven Ausgangspunkt des Güterschutzgedankens, am Ansatz bei einem Werturteil des Gesetzgebers, festzuhalten sei, was freilich das Risiko einschließe, jeden beliebigen Gegenstand als Rechtsgut bezeichnen zu müssen, von dem feststehe, daß der Gesetzgeber ihn für wertvoll und schutzwürdig erachte (Rechtsgüterschutz S. 394). Das bedeutet allerdings nicht, daß jeder Zweck, der mit einem Gesetz verfolgt wird, zugleich sein Rechtsgut ist. Andererseits muß es sich aber nicht unbedingt um einen abgrenzbaren, in der Außenwelt verwirklichten und deshalb durch äußeres Handeln zu beeinträchtigenden werthaften Zustand handeln (so aber Roxin TuT S. 413 im Anschluß an Jäger Strafgesetzgebung S. 13). So definiert Lampe Rechtsgüter als diejenigen kulturellen Werte, auf deren Bestand die Allgemeinheit vertraut und zu deren Schutz sie den Einsatz von Zwang für erforderlich hält (Festschrift Welzel S. 164). Dem entspricht die Auffassung von Hassemer, daß ein Rechtsgut auch durch normative gesellschaftliche Verständigung entstehen kann (S. 221). Derartige Schutzgüter bedürfen keiner objektiven, „rationalen" Funktion; es genügt, daß die Gesellschaft sie für schutzwürdig hält (Hassemer S. 226). So wird sogar der strafrechtliche Schutz allgemeiner Zustände, wie etwa der Sittlichkeit, des Allgemeinwohls oder der Menschenwürde, für zulässig erachtet, freilich „nur ausnahmsweise und nur in speziellen Ausprägungen, wenn und soweit nämlich ihre Verletzung sich unmittelbar als unzumutbarer Angriff auf den Gemeinschaftsfrieden darstellt und dadurch Sozialschädlichkeit besitzt" (Hanack Gutachten Rdn. 30; krit. Amelung Rechtsgutsverletzung S. 273; Miiller-Dietz S. 29, 31). Hat das Inzesttabu noch immer die überlieferte Bedeutung für die Gesamtheit, würde es diese Voraussetzungen erfüllen können; 54 denn solange in einer Gesellschaft ein solches Tabu wirkmächtig ist, besteht Anlaß zur Verhaltenskriminalisierung (Hassemer S. 244).55 5. Die Rechtsvergleichung zeigt, daß das geltende Strafrecht auch anderer Nationen zumeist Inzest als selbständigen Tatbestand kennt. Nur in den Ländern, die dem Code pénal (vgl. Rdn. 1 Fn. 7) gefolgt sind, ist Blutschande in den nicht qualifizierten Fällen straflos, so in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Portugal, der Türkei, Japan, Argentinien, Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten. Der italienische codice penale bestraft Inzest nur dann, wenn durch ihn ein öffentliches Ärgernis (scandalo pubblico) erregt worden ist (Art. 564). Ähnlich ist die Gesetzeslage in Uruguay, Venezuela und Panama. Einige Länder sind zur Strafbarkeit des Inzests zurückgekehrt, so Großbritannien und Irland, wo bis 1908 Blutschande nur durch die kirchlichen Gerichte verfolgt werden konnte, Spanien in der Zeit der Republik und die Schweiz für ihre französischen Kantone durch das 1942 in Kraft getretene Bundesstrafgesetzbuch. 56 54

H. Jung schließt dies im Hinblick darauf aus, daß es sich beim Inzest um einen sehr eng umschriebenen Deliktskomplex handelt, der in der strafrechtlichen Praxis keine große Rolle spielt und in vielen anderen Ländern straflos bleibt (S. 320). Hiergegen läßt sich, von der Autorin selbst angeführt (S. 320 Fn. 46), einwenden, daß unter tiefenpsychologischen Aspekten die Bestrafung in solchen Fällen die generalpräventive Funktion hat, „die Geltung des Tabus zu bekräftigen, damit die Gegenbesetzung im Über-Ich gegen die verdrängten Regun-

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gen nicht mangels strafrechtlicher Stützung nach und nach an Kraft verliert" (Streng ZStW 92 [1980] 669). Im übrigen ließe sich diese Frage nur auf der Grundlage empirischer Forschungen beantworten, die das 4. StrRG ebenfalls unterlassen hat (vgl. Rdn. 9). Selbst Plack mißt, freilich im Hinblick auf eine (noch) sexuell verkrampfte und unaufgeklärte Gesellschaft, dem Inzesttabu einen guten soziologischen Sinn bei, der es nicht ratsam erscheinen lasse, die Strafbarkeit aufzugeben (S. 230). Näher, auch zum jeweiligen Täterkreis und zu

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6. Eine neuerliche Reform kann nur den Zweck verfolgen, die Vorschrift zu streichen, wie dies seit je gefordert worden ist (Mittermaier S. 147) und auch nach dem 4. StrRG nachdrücklich weiter gefordert wird (so H. Jung Festschrift Leferenz S. 321; inzwischen auch TröndlelFischer Rdn. 2). Lautmann verknüpft den Verzicht auf § 173 mit seiner Forderung nach Reproblematisierung der Sexualkriminalität, die er gerade auch auf den Inzest als einem „Verbrechen ohne Opfer" stützt (ZRP 1980 45, Alf). In eine neue Dimension hebt den Streit um den Tatbestand Klöpper, der in seiner breit angelegten Untersuchung § 173, weil mit Art. 6 Abs. I G G nicht vereinbar, für verfassungswidrig hält (S. 47 ff, Resumée S. 131 f), in der Vorschrift darüber hinaus aber auch einen Verstoß gegen Art. 8 E M R K 5 7 sieht (S. 133f!).58 Eine Strafbarkeitslücke im Bereich der eigentlichen Schutzbedürftigkeit, nämlich der Minderjähriger innerhalb der Familie, wie sie namentlich mit Blick auf den Vater-Tochter-Inzest besteht, würde der Wegfall des § 173 nicht öffnen. Die Pönalisierung dieses Bereichs haben schon die §§ 174, 176 im Auge (H. Jung Festschrift Leferenz S. 315, 321; Maurachl SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 86). Den Bedenken, daß durch sie nicht alle strafwürdigen Fälle erfaßt würden (BTDrucks. VI/3521 S. 18), ist längst mit dem Vorschlag begegnet worden, sie entsprechend zu erweitern {Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 86; Schroeder Z R P 1971).59 Andererseits ist mit Stratenwerth aber auch zu bedenken, ob nicht die Parallele zum Tatbestand der Unzucht mit Kindern im Hinblick auf die sonst eintretende grundsätzliche Privilegierung sexueller Handlungen eines Elternteils mit dem eigenen Kind gegenüber sexuellen Handlungen Dritter die Strafbarkeit erzwingt (Festschrift Hinderling S. 312; vgl. auch schon Rdn. 14 Fn. 52). Frommel hält wegen des umfassenden Schutzes, den das reformierte Sexualstrafrecht vor inzestuösen Handlungen auch im Hinblick auf den Eintritt der Verjährung einer Straftat nach § 176 erst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs des Opfers (§ 78 b Abs. 1 Nr. 1) inzwischen bietet, § 173 ebenfalls im Grunde für entbehrlich, sieht aber insofern eine kriminalpolitische Legitimation, ein transpersonales Rechtsgut des Familienschutzes zu formulieren, um deutlich zu machen, daß typischerweise sexuelle Beziehungen von Blutsverwandten persönliche Abhängigkeiten auszunutzen, selbst wenn sie nicht offensichtlich einen Machtmißbrauch darstellen, und deshalb nicht oder nur in bestimmten Ausnahmefallen Ausdruck einer freien sexuellen Selbstbestimmung sind, deren Indikatoren gleiches Alter, fehlende räumliche Nähe und damit auch geringe emotionale oder soziale Abhängigkeit sein können (NK Rdn. 13).

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II. Der äußere Tatbestand erfordert die Vollziehung des Beischlafs mit einem nahen Verwandten. 1. Nur mit bestimmten Verwandten, dem leiblichen Abkömmling (Absatz 1), den leiblichen Verwandten aufsteigender Linie (Absatz 2 Satz 1), dem leiblichen Bruder oder der leiblichen Schwester (Absatz 2 Satz 2), kann die Tat begangen werden.

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den Strafrahmen, SimsonIGeerds S. 416fF; weitere rechtsvergleichende Hinweise bei F. Bauer S. 19f; Jähnicke S. 48ff; Laußütte Prot. VI/34 S. 1246; v. LiszllSchmidt BT § 111 II; Maurachl Schroederl Maiwald 2 § 63 Rdn. 85; Mittermaier S. 145f; Többen S. 15ff; Welzel Strafrecht § 64 III 1; Wittmann S. 113 ff. Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11. 1950 (BGBl. 1952 II 685). Dem läßt sich, ohne der gebotenen eingehenden Auseinandersetzung mit der gründlichen Argu-

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mentation vorzugreifen, entgegenhalten, daß Art. 6 Abs. 1 G G zumindest mittelbar den in Familien geborenen und erzogenen Menschen dient, so daß die diesem Zweck ebenfalls verpflichtete N o r m jedenfalls in ihrem Kern und bei enger verfassungskonformer Auslegung kaum verfassungswidrig sein kann (vgl. auch Frommel N K Rdn. 16). Im Ergebnis ebenso Stratenwerth, der auf die Vorschläge des AE zur Umgestaltung der Tatbestände bei Streichung des § 173 (S. 22 ff, 56, 61) verweist (Festschrift Hinderling S. 311).

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a) Indem das Gesetz vom leiblichen Abkömmling und von leiblichen Verwandten spricht, 60 dazu auch die Fälle einbezieht, in denen das Verwandtschaftsverhältnis, etwa durch Adoption (§ 1755 BGB), erloschen ist (Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 2), stellt es klar, daß, wie schon nach altem Recht, 61 nur der Beischlaf zwischen Blutsverwandten bestraft wird. Daher fallen unter den Tatbestand Eltern und Kinder, auch adoptierte, sowie der nichteheliche Vater und sein nichteheliches Kind, das mit ihm in gerader Linie verwandt ist.62 Nicht erfaßt werden Adoptiveltern und Adoptivkind sowie der Ehepartner und der außerehelich empfangene Abkömmling des anderen Ehepartners, dies unabhängig davon, ob die Vaterschaftsvoraussetzungen des § 1592 BGB (früher der Ehelichkeitsvoraussetzungen nach § 1591 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F.) vorliegen.63 Die Auffassung, es sei wenig folgerichtig, daß Adoptivkinder und als ehelich zugeordnete Kinder (§§ 1592 Nr. 1, 1593 BGB) ungeschützt bleiben (TröndlelFischer Rdn. 4), beachtet nur den Aspekt der vollen zivilrechtlichen Eingliederung dieser Kinder in die (neue) Familie. Da nach § 173 Abs. 1 aber stets nur der Beischlaf mit blutsverwandten Abkömmlingen strafbar war, und es dabei auch geblieben ist, läßt sich mangelnde Konsequenz kaum einwenden. Im übrigen ist die Frage im Gesetzgebungsverfahren eingehend erörtert worden (Prot. 7/81 S. 2631 ff). Höchst unbefriedigend ist hingegen, daß der den § 173 ergänzende § 174 Abs. 1 Nr. 3 (TröndlelFischer § 174 Rdn. 7: „kleine Blutschande"), indem er neben dem angenommenen auf das leibliche Kind abstellt, den „Scheinvater" jener als ehelich zugeordneten Kinder nicht mehr erfaßt. Das 4. StrRG hat diese Begrenzung nicht gewollt. Sie ist durch das Adoptionsgesetz vorgenommen worden, um die Einbeziehung derjenigen Kinder in den Schutzbereich der Vorschrift zu sichern, deren Verwandtschaftsverhältnis mit dem Täter nach der Neufassung des § 1755 BGB erloschen ist. Daß die Regelung zugleich die nach § 1591 BGB legitimierten, vom Täter nicht blutsmäßig abstammenden Kinder, dem Grundgedanken der Vorschrift eklatant widersprechend, aus dem Tatbestand ausscheidet, ist Folge eines gesetzgeberischen Fehlers.64 b) Zu den leiblichen Geschwistern zählen alle Personen, die mindestens einen Elternteil gemeinsam haben, also nicht nur vollbürtige, sondern auch halbbürtige Geschwister (OLG Düsseldorf NJW 1958 394). Daher gelten die je von einem Elternteil in die Ehe eingebrachten Kinder untereinander nicht als Geschwister (Sehl SchröderlEser § 11 Rdn. 7; TröndlelFischer § 11 Rdn. 9). Hingegen werden Adoptivgeschwister nicht erfaßt. Das angenommene Kind erlangt zwar die volle rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden und sogar die Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten, wenn diese es annehmen oder ein Ehegatte das Kind des anderen annimmt (§ 1754 BGB), so daß durch Adoption auch ein Geschwisterverhältnis begründet wird. Leibliche Geschwister, wie § 173 es voraussetzt, werden diese Kinder dadurch aber nicht. 60

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Die neue Terminologie beruht auf dem Adoptionsgesetz (vgl. Entstehungsgeschichte). Die Klarstellung empfahl sich, nachdem umfassende, denen des ehelichen Kindes entsprechende Verwandtschaftsverhältnisse des Adoptivkindes zu dem Annehmenden und dessen Verwandten begründet worden sind (näher § 170 Rdn. 17). Vgl. dazu beispielsweise BGHSt. 7 245, 246; 29 387, 388 mit Anm. Mösl LM StGB § 174 Abs. 1 Ziff. 3 Nr. 1; BGH GA 1957 218; RGST. 71 138. So ausdrücklich seit Streichung des früheren § 1589 Abs. 2 BGB (vgl. schon § 170 Rdn. 17), was freilich, weil der Verwandtschaftsbegriff des

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Strafgesetzbuchs stets im Sinne der natürlichen Abstammung verstanden worden ist (Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung, zuletzt RGSt. 77 59, 60; sodann BGHSt. 7 245, 246), schon nach altem Recht galt. BGH NJW 1981 1326; HornIWolters SK Rdn. 5; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; Tröndlel Fischer Rdn. 3. Laufhüne LK § 174 Rdn. 17; vgl. auch BGHSt. 29 387, 389 mit Anm. Mösl LM StGB § 174 Abs. 1 Ziff. 3 Nr. 1; Sehl Schröder/LencknerlPerron § 174 Rdn. 11.

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c) Der eheliche Beischlaf zwischen den Beteiligten einer formell gültigen, wegen Verwandtschaft nach den §§ 1307, 1314 Abs. 1 BGB aber aufhebbaren, nach früherem Recht sogar nichtigen (vgl. dazu § 172 Rdn. 5) Ehe erfüllt entgegen früher überwiegend vertretener Auffassung 65 den Tatbestand nicht. 66 Allerdings läßt sich die Überlegung der gegenteiligen Meinung, der Beischlaf zwischen Nächstverwandten verliere nichts von seinem strafwürdigen Charakter, wenn die Beteiligten zusätzlich noch eine Ehe eingegangen seien (Blei BT § 37 III 2b), gerade auf die herkömmlichen Strafgründe (Rdn. 8, 9) stützen. Auch dürfte der Gesichtspunkt, bei bestehender Ehe fehle der Tat die grobe Unsittlichkeit (Mösl L K 9 Rdn. 5), mit der Charakterisierung des Inzests als einer Straftat gegen die Familie an Gewicht verloren haben. Andererseits gilt nach wie vor, daß die Ehe bis zur Wirksamkeit ihrer Aufhebung (früher der Nichtigkeitserklärung) rechtsbeständig ist (so schon Gerland § 113 II 5 a), was im Sinne einer teleologischen Reduktion (Frommel N K Rdn. 15; Lackneri Kühl Rdn. 4) die Verneinung der Strafbarkeit rechtfertigt, zumal bei Berücksichtigung der Zweifel an der Strafwürdigkeit des Inzests (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 5).

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d) Bindungen des Strafrichters (vgl. § 170 Rdn. 26, 27) gibt es im Bereich des § 173 nicht. Weder kommt es auf gesetzliche Fiktionen oder Vermutungen, noch auf Unterhalts- und Statusurteile an. 67 Mithin macht sich derjenige nicht strafbar, dessen Vaterschaft nur nach § 1592 Nr. 1 BGB besteht, nicht aber im biologischen Sinne gegeben ist (Horn/Wolters SK Rdn. 5).

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2. Die Tathandlung besteht in der Vollziehung des Beischlafs mit einem der genannten Verwandten. a) Der Rechtsbegriff Beischlaf setzt, wie es auch der allgemeinen Bedeutung des Wortes 68 entspricht, die Beteiligung von zwei Personen verschiedenen Geschlechts voraus. Zwischen Personen gleichen Geschlechts ist kein Beischlaf möglich. Ihre sexuellen Kontakte führen äußerstenfalls zu beischlafsähnlichen Handlungen (näher Rdn. 24). Der Status von Beteiligten, die sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfinden, regelt das Transsexuellengesetz (vgl. § 169 Rdn. 21 Fn. 56). Danach richten sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten erst von der gerichtlichen Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit an nach dem neuen Geschlecht (§§ 8, 10 TSG), wobei die Entscheidung das bisherige Rechtsverhältnis zu den Eltern und Kindern des Transsexuellen unberührt läßt (§ 11 TSG).

22

b) Den Beischlaf vollzieht, wer sein Geschlechtsteil mit dem der anderen Person vereinigt. Dabei ist erforderlich, daß das männliche Glied in den weiblichen Geschlechtsteil eindringt. Es genügt daher ebensowenig, daß die beiderseitigen Geschlechtsteile sich berühren, 69 wie ein bloß äußerliches Einwirken des männlichen 65

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Beispielsweise RGSt. 5 159, 160; RG D R Z 1926 643; Blei BT § 37 III 2b; DalckelFuhrmann! Schäfer Anm. 1; Frank Anm. IV; Kohlrauschi Lange Anm. II. Ausführlich U. Weber 597, 599, 601; ferner Frommel N K Rdn. 15; Joecks Anm. zu § 173; LacknerlKühl Rdn. 4 („teleologische Reduktion"); Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 5; Tröndlel Fischer Rdn. 3; im Ergebnis auch Horn/Wolters SK. Rdn. 5 (Rechtfertigungsgrund der formell gültigen Ehe für die Dauer ihres Bestandes); ebenso schon v. Olshausen Anm. 3.

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B G H NJW 1981 1326; H orni Wolters SK Rdn. 5; LacknerlKühl Rdn. 2; Mösl L K 9 Rdn. 7; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 4. Es bezeichnet die Begattung beim Menschen, den Geschlechtsverkehr im engeren Sinne, gleichbedeutend mit Beiwohnung, Coitus oder Koitus und Kohabitation. Anschaulich der Fall RG H R R 1939 Nr. 1485: Die beiden Angeklagten hatten einander gegenseitig an den Geschlechtsteilen gespielt, wobei es bei dem Angeklagten zum Samenerguss gekommen war. Danach legte sich der Angeklagte auf

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Geschlechtsteils auf das weibliche. Umgekehrt besteht Einigkeit aber auch darin, daß ein unvollständiges Eindringen genügt, das männliche Glied also nicht in die Tiefe der Scheide gelangt sein muß. Streitig ist jedoch, ob zur Vollendung der Vollziehung ausreicht, wenn das Glied bis in den Scheidenvorhof vordringt, oder es dazu mindestens den eigentlichen Scheideneingang erreicht haben muß. Der Bundesgerichtshof hat zunächst entschieden, daß das Eindringen des männlichen Gliedes in das weibliche Geschlechtsteil erst dann seinen Anfang nimmt, wenn es den Raum hinter der den Scheideneingang abschließenden Jungfernhaut erreicht, wobei, wenn die Jungfernhaut unversehrt ist, deren Einwölbung nach innen genügt (BGH NJW 1959 1091). Grundüberzeugung dieser Auffassung ist, daß allein mit dieser Betrachtung zutreffend die Rechtsfrage beantwortet wird, wann eine „naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile"71 vorliegt (BGH NJW 1959 1091; SchlSchröderILenckner Rdn. 3). Nach lebhaften Auseinandersetzungen mit einer „nicht ganz erfreulichen Breitenwirkung" (Kohlhaas Anm. zu BGH LM StGB § 173 Nr. 5) hat der Bundesgerichtshof seine Auffassung aufgegeben und klargestellt, daß es nicht darauf ankommt, in welchem Umfang das männliche Glied in das weibliche Geschlechtsorgan eindringt, und es deshalb ausreicht, wenn es zwischen den Schamlippen hindurch bis in den Scheidenvorhof vordringt.72 Zur Begründung wird ausgeführt, bei der juristischen Bewältigung dieser Frage sei nicht von medizinischen Begriffen auszugehen, die von der medizinischen Wissenschaft nach eigenen naturwissenschaftlichen Zwecken gebildet würden, obschon vieles dafür spreche, daß hier die strafrechtlichen und medizinischen Begriffe sogar übereinstimmten, weil der Zusammenhang zwischen Beischlaf und Zeugung im Sinne der Verhinderung unerwünschter Zeugung in beiden Begriffen wiederkehre; wenn aber ein Akt seiner Art nach zur Zeugung generell geeignet sei, so komme es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer Empfängnis sich als weniger groß oder größer erweise oder aus irgendwelchen Gründen sogar ausscheide, im übrigen aber nach gesicherter medizinischer Erkenntnis eine Empfängnis auch eintreten könne, wenn der Samenerguß im Scheidenvorhof geschehe. Der knappen Begründung ließe sich hinzufügen, daß bei natürlicher Betrachtung (vgl. die Meinung zu Fn. 71) sich nur schwer nachvollziehen läßt, warum das Eindringen des männlichen Gliedes in den weiblichen Geschlechtsteil ab der Tiefe, die zu einer Einwölbung der Jungfernhaut führt oder bei intakter Jungfernhaut führen würde, den Charakter einer solchen Vereinigung hat, ein Eindringen bis zu dieser Tiefe ihn aber nicht hat. Durchaus zutreffend wird die Beziehung bedacht, die zwischen Beischlaf und Zeugung besteht. Gerade für § 173 kann kaum bestritten werden, daß der Begriff Beischlaf auch im Zusammenhang mit der Verhinderung einer unerwünschten Schwangerschaft zu sehen ist. Schließlich stellt der klassische herkömmliche Strafgrund, die

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die mit entblößtem Geschlechtsteil im Heu liegende Angeklagte, die dann versuchte, das Glied des Angeklagten in ihren Geschlechtsteil einzuführen, was ihr, weil es schlaff geworden war, nicht gelang. Dazu RG JW 1930 916: Der Angeklagte verkehrte mit seiner Tochter geschlechtlich in der Weise, daß er, ausgezogen mit ihr im Bett liegend, sein Glied zwischen ihre Beine drängte, bis es zum Samenerguß kam. RG GA 40 39; RG JW 1934 2335; v. Lisztl Schmidt BT § 111 III; Reeder ZStW 69 (1957) 248.

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BGHSt. 16 175, 177 mit Anm. Kohlhaas LM StGB § 173 Nr. 5; zuvor schon RG JW 1930 916 mit Anm. Dehnow (zum Sachverhalt Fn. 70). Dazu mußte der Große Senat für Strafsachen nicht angerufen werden. Entgegen BGH NJW 1959 1091 läßt sich die frühere Ansicht auf die Rechtsprechung des Reichsgericht (angeführt sind RG GA 40 39; RG LZ 1921 109; 1922 721; RG JW 1930 916; 1934 2335; 1937 756) nicht stützen. Daher hat keiner der Senate des Bundesgerichtshofs, die so entschieden hatten, an ihr festgehalten (vgl. BGHSt. 16 175, 177f; Kohlhaas Anm. zu BGH LM StGB § 173 Nr. 5).

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Gefahr genetischer Schädigung der Nachkommenschaft, hierauf ab.73 Freilich verliert die Erwägung an Gewicht, wenn dieser Strafgrund nicht als erwiesen erachtet wird (Rdn. 12, 14). Weniger leuchtet die Überlegung ein, die Differenzierungen danach, ob das männliche Glied doch schon oder noch nicht in den Bereich vorgedrungen war, den bei einer unberührten Frau die Jungfernhaut abschließt, erscheine wegen der Schwierigkeiten der Feststellungen nicht sinnvoll (Otto BT § 65 Rdn. 15). Diese dürften kaum weniger schwierig sein, wenn es „nur" darum geht, ob das Glied durch die inneren Schamlippen hindurch in den Scheidenvorhof eingedrungen war, weil genau das von einem weiteren Vordringen, wie weit auch immer, abzugrenzen ist (Tröndle/ Fischer § 177 Rdn. 29a). Die neue Rechtsprechung hat überwiegend Beifall gefunden.74 Der Bundesgerichtshof hat an ihr festgehalten,75 auch gegenüber den Zweifeln, die verstärkt entstanden sind, nachdem das 33. StrÄndG und das 6. StrRG in den §§ 176 a Abs. 1, 177 Abs. 2 Nr. 1, 179 Abs. 4 Nr. 1 eine ähnlich mit dem Eindringen in den Körper verbundene Handlung dem Beischlaf gleichgestellt haben.76 Diesen Zweifeln kann allerdings ihre Berechtigung nicht abgesprochen werden. Sie gründeten sich teilweise schon vor der Gesetzesänderung auf die Erwägung, daß für den Beischlaf im Sinne aller Sexualdelikte ein Verhalten mit besonderer psychischer und empfangnistauglicher Auswirkung, wie es erst das Eindringen in die Scheide mit sich bringe, nötig sei (Maurach/SchroederlMaiwald 1 8 § 17 Rdn. 34; krit. dazu Frommel NK Rdn. 20). Die ergänzende Regelung hat den Beischlaf zu einem „Spezialfall des Eindringens in den Körper" (Tröndle/Fischer § 177 Rdn. 29) gemacht; er ist Regelbeispiel sexueller Handlungen an dem Opfer geworden, die es besonders erniedrigen (§ 177 Abs. 1 Nr. 1). Das stützt die Bedenken gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofs insofern, als die Penetration in den Scheidenvorhof zwar das Merkmal des Eindringens, nicht aber regelmäßig auch das der besonderen Erniedrigung erfüllt.77 Hiermit hat der Bundesgerichtshof sich nicht auseinandergesetzt. Seine Begründung beschränkt sich auf die Erwägung, es sei nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber durch diese Änderung die Anforderung, die die Rechtsprechung seit vielen Jahren an das Tatbestandsmerkmal Beischlaf stellt, erweitern wollte (BGH NStZ-RR 2001 199); er habe trotz mehrfacher Gesetzesänderung offenbar keinen Anlaß gesehen, die ihm bekannte Rechtsprechung in Frage zu stellen (BGHSt. 46 176, 177). Das ist nicht ganz überzeugend, weil, träfe es zu, der Begriff des Beischlafs in den §§ 176 a Abs. 1 Nr. 1, 177 Abs. 2 Nr. 1 nur noch ein Beispiel des Eindringens beschreiben würde, er danach überflüssig wäre und dem Gesetzgeber dies bewußt gewesen sein müßte, wofür

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Dem lassen sich die modernen Methoden der Empfängnisverhütung, wie sie schon gegen den Strafgrund ins Feld geführt werden (Rdn. 12 mit Fn. 46), kaum entgegenhalten. Dieser Einwand könnte generelle Bedeutung nur beanspruchen, wenn feststünde, daß verbotener Beischlaf regelmäßig nur unter sicheren Vorkehrungen gegen eine Empfängnis durchgeführt wird, was mehr als zweifelhaft sein dürfte (vgl. dazu schon Rdn. 12). Blei BT § 37 III 2 b; Frommel N K Rdn. 30; Horn! Wolters SK Rdn. 3 (durch Bezugnahme); Lackner/Kühl Rdn. 3; Mösl L K 9 Vor § 173 Rdn. 3; Pfeiffer/MaullSchulte Rdn. 5; Preisendanz Anm. 3; Schmidhäuser BT 13/9; Wetzel S. 197; LK Voraufl. Rdn. 9; and. Dalcke/Fuhrmann! Schäfer Anm 1; Maurach! Schroederl Mai-

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wald 1 § 17 Rdn. 34; Renzikowski NStZ 1999 381 Fn. 54; SehlSchröder!Lenckner Rdn 3; zweifelnd Tröndle/Fischer Rdn. 4 (vgl. jedoch § 177 Rdn. 29). BGH bei Daliinger M D R 1973 17; BGHSt. 37 153, 154; BGH bei Miebach NStZ 1997 119, 120; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 10.

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So ausdrücklich mit Blick auf die Gesetzesänderung BGHSt. 46 176, 177; BGH NStZ 2001 246; NStZ-RR 2001 199). Horn/Wolters SK § 177 Rdn. 26; Laubenthal Rdn. 168; Maurach/Schroederl Maiwald 1 § 17 Rdn. 34; Renzikowski NStZ 1999 381 Fn. 54; Tröndle!Fischer § 177 Rdn. 29; vgl. auch Wetzel S. 197.

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es an Anhaltspunkten fehlt (TröndlelFischer § 177 Rdn. 29a). Im übrigen bleibt zu fragen, welche andere Möglichkeit der Gesetzgeber gesehen haben könnte, die Rechtsprechung in Frage zu stellen, außer durch Einfügung der Tatbestandsvariante des Eindringens neben der des Beischlafs {TröndlelFischer § 177 Rdn. 29a). Daher sollte in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. c) Nur wer mit dem Beischlaf einverstanden ist, vollzieht ihn. Daher handelt das 2 3 Opfer sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1) oder sexuellen Mißbrauchs (§ 179 Abs. 4 Nr. 1) schon nicht tatbestandsmäßig (Frommel N K Rdn. 15; Horn! Wolters SK Rdn. 4). Die gegenteilige Auffassung, auch das Opfer einer Vergewaltigung, zumeist, aber nicht notwendig, der weibliche Teil, vollziehe den Beischlaf (LK Voraufl. Rdn. 10; ferner Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 3), ging von der negativen Funktion des Handlungsbegriffs als allgemeines Verbrechenselement aus, wonach nur überwältigende Gewalt (vis absoluta) ein Handeln völlig ausschaltet, während bei Zwang durch Einwirkung auf den Willen des Opfers (vis compulsiva) die Handlungsqualität unberührt bleibt (SehlSchröder!Lenckner Vorbem §§ 13ff Rdn. 38). Sie lag der Rechtsprechung des Reichsgerichts zugrunde, wonach auch der abgenötigte Beischlaf jedenfalls dann, wenn das weibliche Opfer ihn im Erwachsenenalter noch zuläßt, Blutschande sein konnte. 78 Dem ist schon Schmidt-Leichner entgegengetreten, dabei zwar „an das gesunde Volksempfinden" anknüpfend, aber durchaus den rechtlichen Kern der Sache treffend, daß nämlich von einer derart, wie in jenem Fall, in Furcht und Schrecken vor dem eigenen Vater aufgewachsenen jungen Frau nicht verlangt werden könne, sich von einem bestimmten Lebensjahr ab plötzlich ebenso zu verhalten wie ein Mensch, der in mehr oder weniger geordneten Verhältnissen herangereift ist. Mit Recht gilt jene Sicht inzwischen als „veraltet" (Frommel N K Rd. 15). Nach zutreffender Auffassung vollzieht bei Vergewaltigung oder Mißbrauch daher nur der vergewaltigende oder mißbrauchende Teil den Beischlaf (Horn/ Wolters SK Rdn. 4). d) Allein der Beischlaf ist Tathandlung, nicht sind es auch andere sexuelle HandIungen,79 selbst wenn sie sich, wie etwa Analverkehr (SehlSchröder/Lenckner Rdn. 3), als beischlafsähnlich erweisen.80 Das ist insofern inkonsequent, als diese Handlungen

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RG DR 1942 1322 mit Anm. Schmidt-Leichner DR 1942 1645, der den Sachverhalt näher wiedergibt: Der 44 jährige Angeklagte, Vater von acht Kindern, mißbrauchte seit Jahren seine vier mindeijährigen Töchter zur Unzucht. Den Widerstand der mitangeklagten ältesten Tochter brach er durch Schläge und Drohungen. Ab ihrem 15. Lebensjahr vollzog er mit ihr den Beischlaf und setzte dies auch nach dem 18. Lebensjahr des Mädchens fort, wobei nach wie vor Gewalt und Drohungen das Verhältnis bestimmten. Allfeld Anm. III; Binding Lehrbuch I § 60 III 1; Frommel NK Rdn. 14; Horn! Wolters SK Rdn. 3; Klöpper S. 132; KohlrauschlLange Anm. I; Lackneri Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald 2 § 63 Rdn. 87; v. Olshausen Anm. 2; Freisendanz Anm. 3; Ε. H. Rosenfeld S. 47; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3; Tröndlel Fischer Rdn. 4; Wetzel S. 197. Die Rechtsfrage „beischlafsähnlich" war seit je Gegenstand umfangreicher Judikatur, beispiels-

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weise RGSt. 70 173 (die Angeklagten hatten zwar den Beischlaf nicht vollzogen, jedoch „in anderer Weise geschlechtlichen Verkehr miteinander gepflogen"); 71 129 (der Angeklagte setzte mehrfach ein Mädchen auf seinen Schoß und drückte es unter beischlafsähnlichen Bewegungen an sich, bis es zum Samenerguß kam, wobei er in zwei Fällen sein Geschlechtsteil aus der Hose nahm und ein mal dem Mädchen die Hose herunterstreifte und sein entblößtes Glied an das nackte Gesäß des Kindes drückte; 71 196 (der Angeklagte hatte sich mehrmals von seiner erwachsenen Tochter geschlechtlich befriedigen lassen, ohne daß es zur Vollziehung des Beischlafs mit ihr gekommen war); 73 113 (der Angeklagte führte dem Beischlaf entsprechende Handlunge aus, nur daß er sein Glied nicht in das Geschlechtsteil der Tochter eingeführt hatte); RG JW 193« 916 mit Anm. Dehnow (zum Sachverhalt Rdn. 22 Fn. 70); RG H RR 1939 Nr. 1485 (zum Sachverhalt Rdn. 22 Fn. 69).

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den Fortbestand der durch die Vorschrift geschützten Ehe- und Familienbeziehungen ebenso belasten können, wie der Beischlaf.81 Die Gründe für den Verzicht auf ihre Bestrafung sind denn auch vielschichtig. Grundsätzlich dürfte ihn die bewußte Scheu des Gesetzgebers motiviert haben, zu tief in Intimitäten des Familienlebens einzudringen.82 Auch mag an die Gefahr uferloser Denunziation gedacht worden sein (Kohlrausch/Lange Anm. II). Die pragmatische Erklärung aber liegt darin, daß bei einem Beischlaf die Gefahr einer den Familienfrieden noch stärker beeinträchtigenden Schwangerschaft hinzukommen kann und deshalb diese Handlung im Vordergrund steht (Horn/Wolters SK Rdn. 3). 25

e) Die Gefahr einer Empfängnis setzt der verbotene Beischlaf nicht voraus (vgl. dazu schon Rdn. 22 mit Fn. 73). Dieser Sinn der Vorschrift (Rdn. 22) ist nicht Tatbestandsmerkmal geworden. Daher ist Samenerguß (emissio seminis) oder gar Sameneinführung (imissio seminis) nicht erforderlich (so schon RGSt. 4 23, 24), wie auch die weibliche Beteiligte des Beischlafs nicht schon geschlechtsreif zu sein braucht (RGSt. 71 129, 130; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3) oder die Beteiligten überhaupt (noch) fortpflanzungsfahig sein müssen (Horn/Wolters SK Rdn. 3).

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III. Die Rechtswidrigkeit entfallt auch dann nicht, wenn das Opfer den Beischlaf deshalb vollzieht, weil der Täter ihn sonst mit überwältigender Gewalt erzwingen würde. Soweit in diesem Falle mangels Einverständnisses nicht schon der Tatbestand entfällt (vgl. Rdn. 23), ist dies ein Handeln im Nötigungsnotstand, da das Opfer sich zur Abwendung eines ihm angedrohten oder zugefügten Übels zum Werkzeug eines rechtswidrig handelnden Dritten machen läßt. Solche Handlungen sind nicht nach § 34 gerechtfertigt {SehlSchröder!Lenckner!Perron § 34 Rdn. 41b), in der Regel aber nach § 35 entschuldigt. 83 Zu denken ist dabei auch an den Fall des Beischlafs zwischen Mutter und Sohn aus Angst vor einer drohenden Leibesgefahr. 84

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IV. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz, dessen bedingte Form genügt. Vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter die Umstände, die seine leibliche Verwandtschaft mit dem Partner des Beischlafs begründen, kennt. Erwähnenswert im Zusammenhang mit der inneren Tatseite ist die Besonderheit, daß § 173 zu den Tatbeständen gehört, bei denen es notwendig ist, schon im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit subjektive Momente zu berücksichtigen, weil das strafrechtlich bedeutsame

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Frommet N K Rdn. 14; Horn! Wolters SK Rdn. 3; Klöpper S. 132; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 3. Blei BT III 2 a; Mösl L K 9 Rdn. 3; Kohlrausch/ Lange Anm. II; vgl. dazu auch schon Vor § 169 Rdn. 1. Dem entsprach, daß selbst in nationalsozialistischer Zeit höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Fn. 80) und Lehre (so insb. Engisch Z A k D R 1939 568 gegen Graehl Z A k D R 1939 348 f; v. Olshausen Anm. 2) der Forderung widerstanden haben, andere sexuelle Handlungen zwischen nächsten Verwandten analog § 173 zu bestrafen beziehungsweise deren Bestrafung zu befürworten. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7; and. Horn! Wolters SK Rdn. 4, vor allem, wenn die Möglichkeit der Vergewaltigung als „Dauergefahr" besteht, das Übel also entgegen der Tendenz von RG D R 1942 1322 nicht ausnahmsweise, sondern

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regelmäßig droht (vgl. auch Schmidt-Leichner D R 1942 1645 [Anm. zu R G D R 1942 1322]). Sch/SchröderlLencknerlPerron § 35 Rdn. l a unter Hinweis auf BGH G A 1967 113 (die Angeklagte hatte eingewendet, ihr Ehemann habe sie durch Drohungen und Schläge und Hinauswerfen aus dem Haus zum Geschlechtsverkehr mit ihrem damals zwölf- bis dreizehnjährigen Sohn gezwungen); vgl. auch BGHSt. 39 326 mit Anm. Dippel NStZ 1994 182, H. Jung JuS 1994 440 und Stein StV 1995 251 (die minderbegabte Ehefrau und deren zur Tatzeit fünfzehnjähriger begabungsschwacher Sohn waren beide jeweils aus Angst vor möglichen körperlichen Mißhandlungen dem Verlangen des Angeklagten, in seiner Anwesenheit miteinander den Geschlechtsverkehr auszuüben, nachgekommen).

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Beischlaf zwischen Verwandten

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Unrecht sich ohne deren Einbeziehung nicht zulänglich kennzeichnen läßt, hier im Hinblick auf das Unvermögen von Verwandten und Geschwistern, den Beischlaf unwillentlich zu vollziehen (Stratenwerth AT § 8 Rdn. 54). V. Die nach altem Recht umfangreiche und schwierige Irrtumsproblematik (vgl. 2 8 Mösl LK 9 Rdn. 10 bis 12) hat sich durch Wegfall der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten und des Versuchs der Tat (vgl. Entstehungsgeschichte und Rdn. 2) auf wenige Fragen reduziert. 1. Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Ehemann seine in Wirklichkeit leibliche Tochter für seine Stieftochter hält. 85 Glaubt, umgekehrt, der Ehemann, daß die voreheliche, von einem andern Mann stammende Tochter seiner Ehefrau sein eigenes Kind sei, handelt es sich um straflosen untauglichen Versuch (RGSt. 47 189, 190f; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 7). Als Wahndelikt scheidet diese Handlung deshalb aus, weil der Ehemann nicht irrig annimmt, das, was er tue, sei gesetzlich verboten, sondern irrig meint, daß es sich dabei um eine vollendete Straftat handele. Wahndelikte liegen bei den jetzt noch in Betracht kommenden Irrtümern beispielsweise vor, wenn der Täter glaubt, der Beischlaf mit seinen Adoptivverwandten, mit den ihm Verschwägerten oder mit den Kindern der Geschwister seiner Eltern sei strafbar (Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 7). Strafloser untauglicher Versuch ist auch dann gegeben, wenn die Tochter irrig den Stiefvater für ihren leiblichen Vater hält. 2. Verbotsirrtum kommt in Betracht, wenn der Täter die Umstände, aus denen sich 2 9 seine leibliche Verwandtschaft mit dem Partner des Beischlafs ergibt, kennt, sie aber rechtlich falsch bewertet. Hier handelt es sich zwar regelmäßig um Subsumtionsirrtum, der aber als Verbotsirrtum von Bedeutung sein kann. 86 Beispiele solchen Irrtums sind die Annahme des leiblichen Vaters, er sei mit seinem nichtehelichen Kind nicht verwandt (Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 6), die Meinung des Ehemannes, er dürfe mit der Frau, die nach § 1591 BGB sein Kind ist, die er aber nicht als solches ansieht, verkehren (TröndlelFischer Rdn. 7)87 und die Vorstellung des natürlichen Vaters, der mit seiner von einem anderen adoptierten Tochter geschlechtlich verkehrt, die Fremdadoption erlaube nunmehr den Verkehr (Horn! Wolters SK Rdn. 6).88 VI. Indem die Tat für die Täterschaft die qualifizierte Verwandtenstellung voraus- 3 0 setzt, ist sie Sonderdelikt (and. R. Schreiber S. 5), zugleich aber auch eigenhändiges 85

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Anders, wenn der Ehemann damit rechnet, daß er der leibliche Vater des vorehelichen Kindes seiner Ehefrau ist; dann handelt er bedingt vorsätzlich (vgl. BGH G A 1957 218, 219). Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6; ähnlich HornI Wolters SK Rdn. 6 („Quellirrtümer für Verbotsirrtümer"); LacknerlKühl Rdn. 4; Tröndlel Fischer Rdn. 7. Vgl. jedoch RGSt. 68 365, wo bei einem Ehemann, der wußte, daß seine während der Ehe geborene Geschlechtspartnerin von einem anderen Mann gezeugt worden war, Strafbarkeit wegen Blutschande nach § 173 Abs. 2 a. F. angenommen wird. Allerdings heißt es zur subjektiven Tatseite nur, der Angeklagte habe den Sachverhalt, aus dem sich das Verhältnis der Schwägerschaft ergibt, „auch als vorliegend angenommen" (S. 368).

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Die Ansicht, ein Täter, der das Unrechtmäßige des Geschlechtsverkehrs als Straftat des § 173 nicht kannte, könne gleichwohl nach dieser Vorschrift bestraft werden, wenn er um die Strafbarkeit seines Handelns als Erfüllung eines anderen Tatbestandes wußte (BGHSt. 3 342 mit Anm. Frankel LM StGB § 173 Abs. 2 Nr. 2), ist zugunsten der Auffassung aufgegeben worden, daß der Täter das Unrechtmäßige gerade derjenigen Tatbestandsverwirklichung, die ihm zur Last liegt, gekannt haben muß oder doch hätte kennen müssen (BGHSt. 10 35 unter Hinweis auf das die frühere Rechtsprechung einhellig ablehnende Schrifttum [S. 42]; ferner BGHSt. 15 377, 383; 22 314, 318).

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

Delikt, weil nur der den Beischlaf vollziehende Blutsverwandte sie begehen kann. 89 Mittelbare Täterschaft scheidet daher aus.90 Andererseits ist aber auch jede Vollziehung des Beischlafs, sei es auf der männlichen, sei es auf der weiblichen Seite, Täterschaft (Horn/ Wolters SK Rdn. 8). 31

VII. Bei der Teilnahme ist zu unterscheiden zwischen derjenigen des unter § 173 fallenden Verwandten, mit dem der Täter den Beischlaf vollzieht, und dem Mitwirken eines Außenstehenden. 1. Die Beteiligung eines Verwandten, des Deszendenten (Absatz 1) oder des Aszendenten (Absatz 2 Satz 1), jeweils an der Tat des anderen, unterliegt den Regeln über die notwendige Teilnahme, so daß jeder nur aus dem für ihn geltenden Tatbestand bestraft werden kann. 91 Deshalb scheidet eine Beteiligung insoweit aus, als das Verhalten nicht über das für die Tat notwendige Maß hinausgeht (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8). Aber auch ein zusätzliches Teilnahmeverhalten eines Beischlafspartners, Anstiftung etwa, bleibt ohne Bedeutung; es tritt wegen § 28 Abs. 2 hinter die eigene Täterschaft zurück (Horn/Wolters SK Rdn. 7).

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2. Für den an der Tat teilnehmenden Außenstehenden bestimmt sich der Strafsatz nach Absatz 1 auch dann, wenn es sich um die Tat des Deszendenten nach Absatz 1 Satz 1 handelt; denn die Anstiftung oder Förderung des Deszendenten ist zugleich eine mittelbare Beteiligung an der Tat des Aszendenten. 92 Eine Bestrafung des Teilnehmers nach dem Strafsatz des Absatzes 2 kommt daher nur bei einer Teilnahme an der Tat von Geschwistern (Absatz 2 Satz 2) in Betracht. Ob für den Außenstehenden § 28 Abs. 1 gilt, hängt eng mit der Beurteilung des (zweifelhaften; vgl. Rdn. 11 bis 14) herkömmlichen Strafgrundes zusammen. Trifft die Verwandten untereinander die sozial-ethische, dann freilich auch spezifisch-personale, Pflicht, die engste Familie von sexuellen Beziehungen freizuhalten, ist die Verwandtschaft ein besonderes persönliches Verhältnis im Sinne des § 28 Abs. I. 93 Sind hingegen die persönlichen Eigen89

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So die überwiegende Auffassung, z. B. Blei JA 1969 610; Frommel N K Rdn. 21; Herzberg ZStW 82 (1970) 896, 917, 931; Horn! Wolters SK Rdn. 7; Joecks Anm. zu § 173; Kohlrauschi Lange Anm. III 1; Lackneri Kühl Rdn. 6; Otto BT § 65 Rdn. 17; Roxin LK § 25 Rdn. 44; TuT S. 415; Schall JuS 1979 106; Schmidhäuser BT 13/11; StuB 10/50, 100; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; TröndlelFischer Rdn. 6; Welze! Strafrecht § 64 III 1; and. Ν agier S. 12f; Roeder ZStW 69 (1957) 248 f; R. Schreiber S. 5; zweifelnd Blei BT § 37 III 2a. Die Lösung des berühmten v. Liszt 'sehen Katheterfalls der Hamburger Bordellwirtin, die sich das „Plaisir" macht, einen Matrosen unter Verheimlichung des Verwandtschaftsverhältnisses mit seiner Schwester zusammenzubringen (Strafrechtsfälle, 4. Aufl. [1919] Fall 130. 2), kann deshalb nur in der Teilnahme liegen, wofür es wegen der Unkenntnis der unmittelbar Handelnden von der tatbestandsspezifischen Verwerflichkeit freilich an einer vorsätzlich begangenen Haupttat fehlt. Sachverhalt und Lösung gleichen dem viel älteren Fall „Basler Fasnacht" aus dem Entwurf eines Basler Strafgesetzbuchs von 1812: „ Einer zum Beispiel, der mit seiner verlarvten Mutter an einem Ort, wo er sie an-

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zutreffen unmöglich glauben konnte, Unzucht trieb, wird wegen Unzucht, nicht aber wegen Blutschande abgestraft werden" (nach Arzt! Weber BT § 10 Rdn. 28). In der jüngeren forensischen Praxis hat der ersonnene Sachverhalt in einem vom Kammergericht entschiedenen Fall (KG N J W 1977 817) eine Entsprechung gefunden (vgl. Schall JuS 1977 104). Barker JR 1956 287; Frommel N K Rdn. 22; Horn! Wolters SK Rdn. 7; Lackneri Kühl Rdn. 6; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8. Horn/Wolters SK Rdn. 8; Lackner/Kühl Rdn. 6; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 8; Tröndlel Fischer Rd. 6. Dies nehmen an Baumann/Weber § 37 III 2 b ß; Otto BT § 65 Rdn. 17; Frank Anm. III; Jescheck/Weigend § 42 II 1; Preisendanz Anm. 7; Tröndlel Fischer § 28 Rdn. 7; im Ergebnis auch Miebach, der den in § 28 Abs. 1 enthaltenen Rechtsgedanken auf diese Fälle anwenden will (NStZ 1992 174; krit. zu Miebach Maurach! SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 90); differenzierend Gerì, der die persönliche Eigenschaft bei Verwandten aufsteigender Linie bejaht, bei Verwandten absteigender Linie und Geschwistern hingegen verneint (S. 132f).

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Schäften in § 173 rein tatbezogene Umstände, dann scheidet § 28 Abs. 1 aus.94 Letztere Auffassung verdient den Vorzug, weil § 173 Ehe und Familie ohne Rücksicht auf eine persönliche Pflicht des Täters schützt, diese Pflicht vielmehr als Jedermann-Gebot auch Dritte trifft, so daß das Merkmal im Schwergewicht die Tat kennzeichnet und damit tatbezogen ist {Dippel NStZ 1994 182, 183 Anm. zu BGHSt. 39 326).95 VIII. Trotz Tatbestandserfüllung besteht Straffreiheit für Abkömmlinge und Ge- 3 3 schwister, die zu Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Absatz 3).96 Die Rechtsnatur dieser Vorschrift ist unklar. Ihr Wortlaut legt Tatbestandsausschluß 97 nahe. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich jedoch, daß das nicht gemeint ist. Der ursprüngliche Vorschlag sah ausdrücklich vor, daß die betreffenden Personen straffrei sind; 98 er ist nur geändert worden, um klarzustellen, daß in Fällen der Konkurrenz allein § 173 ausscheidet und nicht auch die Anwendbarkeit konkurrierender Delikte berührt wird (Horstkotte Prot. VI/72 S. 2113). Die Auffassung, § 173 Abs. 3 schließe allein die Schuld des Täters aus, vertritt jetzt nachdrücklich Bloy (S. 146f)-99 Sein Ausgangspunkt, daß die herkömmliche Rechtfertigung der Straffreiheit des Täters nach § 173 Abs. 3 a. F. aus dem Mißbrauch der Autorität des Aszendenten, durch den der Deszendent in eine notstandsähnliche Zwangslage gedrängt werde (so auch schon RGSt. 19 391, 393), einer Ergänzung bedürfe, nachdem die Vorschrift auch Geschwister erfasse, trifft zu. Es ist aber nicht einzusehen, daß dieser Gedanke, nur weil jetzt auch die besondere psychische Konfliktsituation von Geschwistern privilegiert wird, keine Geltung mehr besitzen soll. Schließlich liegt darin nur eine Erwägung zur Rechtfertigung der Straffreiheit. Die weitergreifende Begründung, daß jedenfalls Minderjährige durch die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens mehr geschädigt werden können, als sie durch die Tat selbst schon geschädigt worden sind, gilt ohne weiteres auch für Geschwister (ebenso Horn! Wolters SK Rdn. 9).100 So stellt sich Absatz 3 nach wie vor als ein auf Schuld-

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So BGHSt. 39 326 mit Anm. Dippel NStZ 1994 182, H. Jung JuS 1994 440 und Stein StV 1995 251; Bambach S. 16f, 98; Blei JA 1969 610; Frommel N K Rdn. 22; Herzberg GA 1991 184; Horn! Wolters SK Rdn. 8; Lackneri Kühl § 28 Rdn. 6; Maurach!SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 90; Roxin LK § 28 Rdn. 67; Schmidhäuser AT 14/82; BT § 13/11; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 8; Sehl Schröder/Cramer!Heine § 28 Rdn. 18. Vgl. auch § 170 Rdn. 69 (zur Eigenschaft des zum Unterhalt Verpflichteten), § 171 Rdn. 18 (zur Eigenschaft des zur Fürsorge und Erziehung Verpflichteten) und § 172 Rdn. 12 (zur Eigenschaft, Partner einer Doppelehe zu sein). Für das Strafrecht kommt es dabei nicht auf die Geburtsstunde des betreffenden Tages an (RGSt. 35 37, 38). Den das Reichsgericht für § 173 Abs. 3 a. F. im Hinblick darauf angenommen hat, daß die Vorschrift ursprünglich das Lebensalter als positives Tatbestandsmerkmal enthielt, und dieser materielle Grundgedanke durch die sprachliche Veränderung der Vorschrift nicht aufgegeben worden sei (RGSt. 19 391, 393; RG LZ 1921 658). Im Schrifttum zu § 173 Abs. 3 a.F. ist das Bestrafungshindernis teils den Strafaus-

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schließungsgründen, teils den Schuldausschließungsgründen zugeordnet worden (vgl. die eingehende Darstellung bei Bloy S. 142fT, insb. S. 145 mit Fn. 14, 15). Der Gedanke bei v. Lisztl Schmidt, die Straffreiheit beruhe auf der Vermutung der Zurechnungsunfähigkeit des jugendlichen Beteiligten (AT § 38 Β I 3), hat sich gerade auch deshalb nicht durchsetzen können, weil aus diesem Blickwinkel kein Unterschied zwischen der Tat des Deszendenten und der eines Geschwisterteils besteht. BTDrucks. VI/1552 S. 2, Begr. S. 14 (zuvor schon E 1962 § 192 Abs. 3, Begr. S. 348); ebenso noch die nur redaktionell geänderte Fassung bei Sturm Prot. VI/36 S. 1299. Vgl. dazu auch Jescheck/fVeigend, wo, in vorsichtiger Formulierung, die Bestimmung denjenigen Regelungen zugerechnet wird, in denen seit jeher, in neuerer Zeit aber zunehmend, spezielle Schuldmerkmale dazu verwendet werden, den strafwürdigen Bereich strafbegründend beziehungsweise strafausschließend abzugrenzen oder strafschärfend beziehungsweise strafmildernd abzustufen (§ 42 I 2). Beweggrund für Bloy, einen neuen einheitlichen, die gesamte Neufassung tragenden Gesichtspunkt zu finden, ist denn auch eingestandener-

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12. Abschnitt. Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie

erwägungen beruhender persönlicher Strafausschließungsgrund dar.101 Hieraus folgt, daß strafbare Beteiligung an Taten von Deszendenten oder Geschwistern möglich ist und Irrtumsfragen ohne Bedeutung sind {TröndlelFischer Rdn. 7). Dem Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift nur auf Taten nach Absatz 1 oder Absatz 2. Straflosigkeit nach Absatz 3 ist aber auch für diejenigen noch nicht achtzehn Jahre alten Abkömmlinge oder Geschwister anzunehmen, die sich nur als Teilnehmer an Taten nach Absatz 1 oder Absatz 2 betätigen (Horn/Wolters SK Rdn. 9, § 47 Rdn. 7). 34

IX. Die Rechtsfolgen der Tat sind bei Absatz 1 und Absatz 2 unterschiedlich. Während für die Vollziehung des Beischlafs mit einem Abkömmling Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe angedroht werden, ist die Strafdrohung für die Vollziehung des Beischlafs mit einem Verwandten aufsteigender Linie und für Geschwister, die miteinander den Beischlaf vollziehen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Wie für § 171 gilt auch für § 173 die Ausnahmevorschrift des § 47 Abs. 1 uneingeschränkt, so daß bei einem Gewicht des verschuldeten Unrechts der Tat von unter sechs Monaten bei allen Beteiligten grundsätzlich eine Geldstrafe zu verhängen ist (zu weiteren Einzelheiten vgl. § 171 Rdn. 19). Die Strafzumessung bei § 173 erfordert neben der Berücksichtigung der konkreten Umstände der Tat, namentlich der Art ihrer Ausführung, ihrer Ursachen und dem Verhalten des Opfers, auch eine sorgfältige Befassung mit der Kriminologie des Inzests, um die gerechte Sanktion zu finden (vgl. dazu auch Rdn. 3, 11). Daß der Täter des Absatzes 1 die Tat mit einem eigenen Kind begeht, darf nicht erschwerend berücksichtigt werden (SchlSchröderl Lenckner Rdn. 10); es verstieße gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3). Wird wegen einer im Heranwachsendenalter begangenen Tat festgestellt, daß der Täter zur Zeit der Tat seinem Reifegrad nach einem Jugendlichen gleichstand (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), muß der Richter sich mit § 173 Abs. 3 auseinandersetzen, weil gerade bei einem Vergehen nach § 173 die Umstände, die diese Feststellung begründen, als erheblich strafmildernd berücksichtigt werden müssen (vgl. BGH bei Dallinger M D R 1957 396; Pfeiffer! Maul! Schulte § 173 Anm. 8; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 10).

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X. Bei den Konkurrenzen steht tateinheitliches Zusammentreffen im Vordergrund. Innerhalb der Familiendelikte ist Tateinheit nur mit § 171 möglich {Hornl Wolters SK Rdn. 10; Preisendanz Anm. 8; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11). Alle anderen Konkurrenzen betreffen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Mit § 174 Abs. 1 Nr. 3 besteht Tateinheit, weil § 173 den Unrechtsgehalt des Beischlafs mit minderjährigen Verwandten nicht voll ausschöpft. 102 Weiter kommt tateinheitliches Zusammentreffen in Betracht mit § 176,103 § 176a Abs. 1 Nr. 1,104 § 177 Abs. 2 Nr. 1, somaßen der Gedanke, den Privilegierungsgrund für § 173 Abs. 3 a. F. nicht „um den Preis einer Aufspaltung der Vorschrift für § 173 III StGB n. F. zu übernehmen" (S. 142). So auch Frommel N K Rdn. 23: Horn/Wolters SK Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 7; Miebach NStZ 1992 174; Otto BT § 65 Rdn. 18; Sehl Schröder/ Lenckner Rdn. 9; Sturm JZ 1974 3; Tröndlel Fischer Rdn. 7; and. (Entschuldigungsgrund) JeschecklWeigend § 42 I 3; Klimsch S. 166; Roxin AT I § 22 Rdn. 136, § 23 Rdn. 16; Schmidhäuser BT 13/10; ferner, im Anschluß an Bloy, wonach der Schuldgehalt des Handelns in dieser Altersstufe bezüglich des spezifischen Unrechts des § 173 typischerweise so herabge-

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setzt sei, daß der Staat deshalb für diese Altersstufe generell auf Strafe verzichte (S. 140f), Maurach/SchroederlMaiwald 2 § 63 Rdn. 89 (speziell auf § 173 bezogener formalisierter Schuldausschließungsgrund). BGH G A 1975 209 (unter Hinweis auf BGH 1 StR 474/74); vgl. auch schon RGSt. 7 307, 309; 12 292, 293; BGHSt. 3 242, 243; ferner B G H N J W 1985 924; zustimmend Frommel N K Rdn. 24; Horn/Wolters SK Rdn. 10; Lackneri Kühl Rdn. 8; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11; Tröndlel Fischer Rdn. 8. BGH N J W 1985 924; Frommel N K Rdn. 24 (mit Blick auf die Besonderheit bei Verjährung nach § 78 b Abs. 1 Nr. 2); Hornl Wolters SK Rdn.

Stand: 1. 7. 2003

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Beischlaf zwischen Verwandten

§173

weit nicht schon der Tatbestand entfällt (vgl. Rdn. 23)105 § 179 Abs. 4 Nr. 1 (Frommel NK Rdn. 24) und § 182.106 Bis zum grundsätzlichen Verzicht auf das Institut der fortgesetzten Handlung (näher dazu § 169 Rdn. 36) bestand die Möglichkeit der Verbindung mehrerer § 173 verwirklichender Verhaltensweisen nicht nur bei wiederholten Taten mit demselben Partner (ζ. B. BGHSt. 3 242, 243 mit Anm. Fränkel LM StGB § 172 Nr. 2), sondern unter Umständen sogar bei Tatwiederholungen mit verschiedenen Partnern (so noch BGH NStZ 1993 535, 536 mit Anm. Gribbohm). Obwohl ausnahmsweise die Annahme von Fortsetzungszusammenhang noch immer gerechtfertigt sein kann (vgl. § 169 Rdn. 36), wird dies speziell für § 173 ausdrücklich verneint (BGHR vor § 1 Serienstraftaten, Kindesmißbrauch 3; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 11). Wiederholte Tatbestandsverwirklichungen treffen daher ausnahmslos in Tatmehrheit aufeinander {Frommel NK Rdn. 24; Horn! Wolters SK Rdn. 10; Lackneri Kühl Rdn. 8).

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10; LackneriKühl R d n . 8; Preisendanz Anm. 8; Sehl Schröder!Lenckner R d n . 11; TröndlelFischer R d n . 8. Frommel N K R d n . 24; LackneriKühl R d n . 8; Sehl Schröder ! Lenckner R d n . 11; Tröndlel Fischer R d n . 8. Frommel N K R d n . 24; Horn! Wolters SK R d n . 10; LackneriKühl R d n . 8; Preisendanz Anm. 8;

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Sehl Schröderl Lenckner R d n . 11; Tröndlel Fischer R d n . 8. D a s Opfer der Vergewaltigung ist regelmäßig nach § 35 entschuldigt (näher R d n . 26). RGSt. 12 292; Frommel N K R d n . 24; Horn/Wolters SK R d n . 10; LackneriKühl R d n . 8; Sehl Schröder! Lenckner R d n 11 ; Tröndlel Fischer R d n . 8.

Karlhans Dippel

DREIZEHNTER ABSCHNITT Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Schrifttum 1. Allgemeines und zur Reformdiskussion bis zur Verabschiedung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) Ackermann Zur Frage der Strafwürdigkeit des homosexuellen Verhaltens des M a n n e s i n : Sexualität u n d Verbrechen, Beiträge zur Strafrechtsreform (Hrsg. Fritz Bauer, Hans BürgerPrinz, Hans Giese u n d Herbert Jäger) (1963) 149; Adorno Sexualtabus u n d Recht heute in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 299; Bauer Sexualstrafrecht heute in : Sexualität u n d Verbrechen, a a O 11 ; Baumann Ethische Bindung des Bürgers durch das Strafrecht? M s c h r K r i m . 1969 158; Baumann Der lange Weg des 4. StrRG, Z R P 1971 129; Binding Unzüchtige H a n d l u n g e n u n d unzüchtige Schriften, ZStW 2 (1882) 450; Blau Ätiologie u n d Prophylaxe der Sexualkriminalität, G A 1966 92 ; Blau Besprechung von Holle Die Sittlichkeitsdelikte im Spiegel der Kriminalistik, G A 1967 63; Bockelmann Zur R e f o r m des Sexualstrafrechts, Maurach-Festschr. 391 ; Bürger- Prinz/Lewrenz Alterskriminalität in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 218; Bürger-Prinz/ Hans Giese Psychiatrie u n d Sexualstrafrecht in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 262; BürgerPrinz/Rasch K r a n k h a f t e sexuelle Verhaltensweisen in: Beiträge zur Sexualforschung — Die „Zurechnungsfähigkeit bei Sittlichkeits-Straftätern" (1963) 21 ; Eschweiler Die Kuppelei, Diss. F r a n k f u r t 1970; Dreher Besprechung von Seelig Schuld, Lüge, Sexualität, G A 1955 383; Dünnebier Besprechung von Ott Kunst und Staat, G A 1970 124; Droste Beleidigung als Sittlichkeitsdelikt? Diss. Kiel 1972; Ehrhardt Die T e n d e n z zur Exkulpierung in : Sexualität u n d Verbrechen, a a O 245; Eser Die Sexualität in der Strafrechtsreform, J u r a 1970 218; Fiedler E i n d r ü c k e zur Diskussion im Anschluß an die Referate auf der Strafrechtslehrertagung 1965 in Freiburg, ZStW 77 (1965) 507; Friedemann Bemerkungen eines Psychotherapeuten zum Strafgesetzbuch in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 318; Geerds Einwilligung u n d Einverständnis des Verletzten im Strafgesetzentwurf, ZStW 72 (1960) 78; Giese Sittlichkeitsdelikte in: Ponsold Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 3. Aufl. (1967) 144; Giese Homosexuelle Fehlhaltungen u n d Perversionen i n : Beiträge zur Sexualforschung — Die Zurechnungsfähigkeit bei Sittlichkeitstätern — (1963)32; Giese/Schmidt Studentensexualität (1968); Gra.ssberger Zur Strafwürdigkeit der Sittlichkeitsdelikte, Eb. Schmidt-Festschr. 333; Hartwig Sterilisation u n d Sittlichkeit, G A 1964 289; Hanack Straftaten gegen die Sittlichkeit im Entwurf 1962, ZStW 77 (1965) 398; Hanack Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu b e s t i m m e n ? G u t a c h t e n zum 47. D J T (1968); Heinitz Teilnahme u n d unterlassene Hilfeleistung beim Selbstmord, J R 1954 403; v. Hentig Die aggressive Frau, M s c h r K r i m . 1962 193; v. Hentig Lustmord u n d Buschversteck der Beute, M s c h r K r i m . 1960 31; Hennings Besprechung von Taylor Sex in History; M s c h r K r i m . 1961 247; Herrmann Das Sexualstrafrecht in ethnologischer Sicht in: Sexualität und Verbrechen (s. bei Ackermann) 129; Hirschmann Die Indikation zur Psychotherapie bei Rechtsbrechern aus der Sicht des Psychiaters, N J W 1961 245; Hochheimer Das Sexualstrafrecht in psychologisch-anthropologischer Sicht in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 84; Hofstetter Strafe u n d Vorwerfbarkeit in sozialpsychologischer Sicht in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 118; Horn G r u p p e n s e x u a l i t ä t im Spiegel des Strafverfahrens, M s c h r K r i m . 1970 131; Jäger Strafgesetzgebung u n d Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten (1957); Jäger Strafrechtspolitik u n d Wissenschaft in: Sexualität u n d Verbrechen, Beiträge zur Strafrechtsreform, a a O 273; Janzarik Sexualdelikt im A u s n a h m e z u s t a n d nach Elektroschockbehandlung und Alkoholgen u ß , M s c h r K r i m . 1955 108; Just-Dahlmann Referat auf dem 47. DJT, Sitzungsberichte Bd. II (i)

Heinrich Laufhütte

Vor § 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

(1968) Κ 7 — Κ 26; Kaess Ein Fall von Eigentumsdelikt als sexuelle S y m b o l h a n d l u n g u n d seine strafrechtliche Behandlung, M s c h r K r i m . 1958 46; Kaiser Einige V o r b e m e r k u n g e n zu G r u n d fragen heutiger Kriminalpolitik, M s c h r K r i m . 1968 1 ; Klug Rechtsphilosophie u n d rechtspolitische Probleme des Sexualstrafrechts in: Sexualität u n d Verbrechen, a a O 27; König Die Sittlichkeitsdelikte u n d Probleme der Gestaltung des Sexuallebens in der Gegenwartsgesellschaft in: Sexualität und Verbrechen, a a O 337; Kohlhaas Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen, D R i Z 1968 263; Lackner Grenzen des Sexualstrafrechts, C o n c e p t e 1970 27; Lackner Referat auf dem 47. D J T , Sitzungsberichte Bd. II (1968) Κ 27 —Κ 52; Langelüddeke Besprechungen in M s c h r K r i m . 1957 178, 247; 1961 174; 1962 116; 1968 89; Leferenz Die Sexualdelikte des E 62, Z S t W 77 (1965) 379; Leferenz Besprechung von Nass W e d e r Täter noch O p f e r durch richtige Sexualerziehung, ZStW 83 (1971) 740 u n d von Engel Z u r M e t a m o r phose des Rechtsbrechers, ZStW 85 (1973) 933 ; Liithe Psychiatrische Probleme der Sexualdelinquenz, M s c h r K r i m . 1969, 314; Maurach Deliktscharakter u n d Auslegung der Notzuchtbestimm u n g des § 177, N J W 1961 1959; Maiwald Z u m fragmentarischen C h a r a k t e r des Strafrechts, Maurach-Festschrift 9; Mayer Die s o g e n a n n t e sexuelle Revolution und das Strafrecht, HeinitzFestschrift 119; Meier-Branecke P o r n o g r a p h i e , Recht u n d Kultur, D R i Z 1971 59; Mergen Die Prostitution in: Sexualität u n d Verbrechen (s. bei Ackermann) 161 ; Oppermann Die bewältigte Sexualerziehung, J Z 1978 289; Rosenberger D a s Sexualstrafrecht in Bayern von 1813 bis 1871, Diss. M a r b u r g 1973; Pallin Referat zum 47. D J T , Sitzungsberichte Bd. II (1968) Κ 53 —Κ 73; Pelers G e d a n k e n zum Alternativ-Entwurf, M s c h r K r i m . 1969 41 ; Preiser Wie weit soll das Sittlichkeitsstrafrecht reformiert w e r d e n ? Z S t W 82 (1970) 655; Rasch Fachärztliche Behandlungsm e t h o d e n in: Sexualität u n d Verbrechen (s. bei Ackermann) 229; Roxin Sittlichkeit u n d Kriminalität in: Mißlingt die S t r a f r e c h t s r e f o r m ? (Hrsg. B a u m a n n ) (1969) 156; Roxin Besprechung der Festschrift von M a u r a c h (darin Bockelmann), ZStW 83 (1973) 76, 89; Seelig Schuld, Lüge, Sexualität, Festgabe ausgewählter Schriften (1955); Schäfer Anstiftung u n d Distanz im TäterOpfer-Verhältnis, M s c h r K r i m . 1967 162; Sieverts Besprechung von Seelig Schuld, Lüge, Sexualität, M s c h r K r i m . 1955 125 ; Schneider Z u r R e f o r m des Sexualstrafrechts, J R 1968 281 ; Schröder Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Entwurf des 4. StrRG, Z R P 1971 14; Schöllgen Sexualität u n d Verbrechen in der Sicht der katholischen Moraltheologie in: Sexualität u n d Verbrechen (s. bei Ackermann) 70; Thielicke Erwägungen der evangelisch-theologischen Ethik zum Problem der Homosexualität u n d ihrer strafrechtlichen Relevanz i n : Sexualiät u n d Verbrechen (s. bei Ackermann) 48; Wille Tätertypen bei Unzucht mit K i n d e r n , D Z G e r M e d . 1967 134; Wahle Z u r R e f o r m des Sexualstrafrechts (1969); Wagner Alkohol u n d Sexualdelikte, Mitteilungen der kriminalbiologischen Gesellschaft (1964) 93; Walter Zur rechtlichen Problematik der Transsexualität, J Z 1972 263; Woesner Erneuerungen des Sexualstrafrechts, N J W 1968 673 ; Wiirtenberger Besprechung von Jäger Strafgesetzgebung u n d Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, J Z 1958 295 ; Wiirtenberger Zur Strafbarkeit der Homosexualität, WeberFestschrift 271 ; Quanter Die Sittlichkeitsverbrechen im Lauf der J a h r h u n d e r t e u n d ihre strafrechtliche Beurteilung (1925).

2. Schrifttum nach Verabschiedung des 4. StrRG Arbeitskreis sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ) R e f o r m des Sexualstrafrechts (I) (Hrsg. Lieber) (1989); Arntzen Sexualdelikte - Straftaten o h n e O p f e r ? Z R P 1980 287 ; Auerbach Die eigenhändigen Delikte unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte des 4. S t r R G (1978); Baumann Glücklichere Menschen durch Strafrecht, J R 1974 370; Baurmann Sexuelle Gewalttätigkeit in der Ehe, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6, 37 (1990); Bender Die Feministinnen u n d das Strafrecht, KJ 1987 449; Blei D a s 4. S t r R G , J A 1973 179, 249; Böllinger Sexualstrafrecht — „ K o l o n i a l i s i e r u n g von Lebenswelt"?, Pongratz-Festschrift3; Bruns Z u r geplanten einheitlichen Jugendschutzvorschrift, Z R P 1991 166 u n d 325 ; Burgsmüller u. a. Stellungnahme zu den Entwürfen eines „Gesetzes zum besseren Schutz der O p f e r von Sexualdelikten", Streit 1984 48; Dahs Besprechung des SK Bd. 2 5. Lieferung, N J W 1980 167; Denger D a s Sonderdezernat f ü r Sexualdelikte — die praktische Arbeit, D R i Z 1989 210; Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung Stellungnahme zur beabsichtigten E i n f ü h r u n g eines Straftatbestandes „Sexueller M i ß b r a u c h von J u g e n d l i c h e n " , M s c h r K r i m . 1992 225; Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts eine geglückte R e f o r m ? J R 1974 45; Eicher TranssexualisS t a n d : 1. 8. 1994

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Vorbemerkungen

Vor § 174

mus (1984); Engel W a r u m eine Reform des §§ 177, 178 StGB u n d der dazu gehörenden Vorschriften der StPO? Streit 1984 50; Fezer Die persönliche Freiheit im System des Rechtsgüterschutzes, J Z 1974 599; Frommel Wie k a n n die Staatsgewalt die Frauen vor sexueller Gewalt schützen ? Z R P 1 9 8 7 242 ; Frommel Das klägliche E n d e der Reform der sexuellen Gewaltdelikte, Z R P 1988 233 ; Frommel Ein strafrechtsskeptischer Vorschlag zur R e f o r m der sexuellen Gewaltdelikte, 12. Strafverteidigertag (1989) 168; Frommel Gewalt gegen Frauen — Utopische, realistische u n d rhetorische F o r d e r u n g e n an eine R e f o r m der sexuellen Gewaltdelikte, i n : Battis/ Schulz Frauen im Recht (1990) 257; Geerds Besprechung von Jenny Angriffe auf die sexuelle Freiheit, G A 1979 117; Goy Über die Rolle der Frau als Rechts- u n d Sexualobjekt u n d die unterentwickelte Rolle des M a n n e s als Liebhaber, Streit 1987 24; Hanack Die Reform des Sexualstrafrechts u n d der Familiendelikte, N J W 1974 1 ; Hanisch Vergewaltigung in der Ehe, Diss. Bochum 1988 ; Hauptmann Z u r Victimologie gewaltloser sexueller H a n d l u n g e n zwischen Erwachsenen u n d K i n d e r n , M s c h r K r i m . 1978 213; Helmken Vergewaltigung in der Ehe (1979); Helmken Zulässigkeit von Fragen zur sexuellen Vergangenheit von Vergewaltigungsopfern, StV 1983 81 ; Helmken Z u r Strafbarkeit der Ehegattennotzucht, Z R P 1980, 171; Helmken Roll-Back des Patriarchats? Z R P 1985 170; Helmken Eheliche Vergewaltigung, Z R P 1993 461; Hoff Probleme der Strafbarkeit der Ehegattenvergewaltigung, Betrifft Justiz 1988 194; Honig Bemerkungen zum Sittengesetz in der Strafrechtsjudikatur des Bundesgerichtshofs, Dreher-Festschrift 39; Horn Nötigung des Ehegatten zum Beischlaf — s t r a f b a r ? Z R P 1985 265; Horstkotte Kuppelei, V e r f ü h r u n g u n d Exhibitionismus nach dem 4. S t r R G , J Z 1974 84; Incesu Feministische Signale durch Strafzumessung? — Der Streit um die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen, StV 1988 469 ; Jäger Möglichkeiten einer weiteren Reform des Sexualstrafrechts, Beiträge zur Sexualforschung 59 (1984) 67; Jäger Entkriminalisierungspolitik im Sexualstrafrecht, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 1; Jung Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, J u S 1974 126; Kaufmann Strafrechtspraxis u n d sittliche N o r m e n , J u S 1978 361 ; Kiehl Das E n d e der „kleinen Sexualdelikte"? N J W 1989 3003; Kramer Sexualdelikte als abstrakte G e f ä h r d u n g s d e likte, Diss. Tübingen 1981; Kusch Gespaltenes Sexualstrafrecht im vereinten Deutschland, M D R 1991 99; Laufliütte Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts, J Z 1974 46; Lautmann Sexualdelikte — Straftaten o h n e O p f e r ? Z R P 1980 44; Limbach Z u r Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, Z R P 1985 289; Lücke Vergewaltigung in der Ehe, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6 (1990) 55; Maihofer Z u m Dilemma G R Ü N E R Rechtspolitik, KJ 1988 432; Maiwald Besprechung von Auerbach Die eigenhändigen Delikte unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte des 4. StrRG, ZStW 81 (1969) 871 ; Meyer-Knees V e r f ü h r u n g u n d sexuelle Gewalt. Untersuchung zum medizinischen u n d juristischen Diskurs im 18. J a h r h u n d e r t (1992); Mitsch Die Strafbarkeit der Ehegattenvergewaltigung im geltenden Recht, J A 1989 484; MüUer-Emmert Kuppelei, Prostitutionsförderung u n d Zuhälterei, D R i Z 1974 93; Müller-Luckmann Über den U m g a n g mit O p f e r n sexueller Gewalt vor Gericht, Blau-Festschrift 151 ; Rauschert Helfen statt strafen! F o r u m Jugendhilfe 1987 9; Rieß Z u r Aburteilungspraxis bei sexueller Gewaltkriminalität, Tröndle-Festschrift 369; Schorsch Vergewaltigung in der Ehe, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 115; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975); Schroeder Das „Erzieherprivileg" im Strafrecht, Lang-Festschrift 391; Schroeder N e u e empirische Untersuchungen zur Zuhälterei, M s c h r K r i m . 1978 62; Schroeder Die Entwicklung der Sexualdelikte nach dem 4. S t r R G , M s c h r K r i m . 1976 108 ; Schroeder Systematische Stellung u n d Rechtsgut der Sexualstraftaten nach dem 4. S t r R G , Welzel-Festschrift 859; Schultz Blick in die Zeit M D R 1974 279, 280; Seier Der U n h o l d im Pech, JuS 1978 692; Selig Opferschutzgesetz — Verbesserung f ü r Geschädigte in Sexualstrafverfahren, StV 1988 498; Sick Die Rechtsprechung zur Sexualbeleidigung, J Z 1991 330; Sick Zweierlei Recht f ü r zweierlei Geschlecht, ZStW 103 (1991) 43; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht u n d Vergewaltigungsbegriff (1993); Sigusch Medizinischer K o m m e n t a r zum Transsexuellengesetz, N J W 1980 2740; Sigusch Bespr. von Eicher Transsexualismus, N J W 1984 1393; Spengler Transsexualität — eine Krankheit im Sinne der RVO? N J W 1978 1192; Steinhilper Definitions- und Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewaltdelikten. Eine empirische Untersuchung der Strafverfolgung bei Vergewaltigung u n d sexueller Nötigung (1986); Sturm Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts, J Z 1974 1 ; Teubner Vergewaltigung als gesellschaftliches P r o b l e m ; Forderungen zu einer Reform des Sexualstrafrechts, in: Gerhard/Limbach (Hrsg.) Rechtsalltag von Frauen (1988), 79; Vogel Die (3)

Heinrich Laufhütte

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Stellung des Opfers im Strafverfahren — vor allem der O p f e r von Sexualdelikten, D u R 1987 167; Weßlau Opferschonendes Prozeßverhalten als Strafmilderungsgrund?, KJ 1993 461 ; Wille/Bachi Die Sexualdelinquenz in der Kriminalstatistik der Nachkriegszeit, Forensia 1985 175; Würtenberger Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, Dreher-Festschrift 79; Zschockelt Die praktische H a n d h a b u n g nach dem Beschluß des G r o ß e n Senats für Strafsachen zur fortgesetzten H a n d l u n g , D R i Z 1994 250.

3. Rechtsvergleichung Agge Das neue schwedische Strafgesetzbuch, ZStW 76 (1964) 133; Feichtinger Vergewaltigung in der Ehe — Notwendigkeit eines neuen Straftatbestands ? Ö J Z 1988 263 ; Filar Sexualdelikte und forensische Sexualwissenschaft in Polen, Forensia 1987 145; Filar Strafrechtliche und kriminologische Aspekte der Sexualdelinquenz und der Verbreitung pornographischer Schriften in Polen, Jahrbuch für Ostrecht 1992 (1. H a l b b a n d ) 45; Gerlach Sex-Tourismus u n d Strafverfolgung, NStZ 1993 71; Godertzi Die eheliche Intimität wird antastbar: Vergewaltigung in der Ehe im europäischen Vergleich, MSchrKrim. 1988 255; Hauptmann Neues Pornographiegesetz — Verschärfung oder Legalisierung? Österreichische Richterzeitung 1993 186; Haveman Liberalisierung der Sexualgesetzgebung in den Niederlanden u n d Deutschland, MschrKrim 1992 147; Jescheck Der Entwurf des neuen Sexualstrafrechts im Lichte der Rechtsvergleichung, ZStW 83 (1971) 299; Kühler Zur Behandlung der sexuell Straffälligen im Ausland, MschrKrim. 1955 93; Livneh Das Recht der unzüchtigen Veröffentlichungen in Israel, ZStW 83 (1971) 319; Marcus Bericht über die Entwicklung des Strafrechts in D ä n e m a r k 1957 bis 1961, ZStW 74 (1962) 359; Marcus Abermals eine Novelle zum dänischen Strafgesetzbuch, ZStW 78 (1966) 537; Paetow Vergewaltigung in der Ehe (1987); Pallin Lage und Zukunftsaussichten der österreichischen Strafrechtsreform im Vergleich zur deutschen Reform, Z S t W 8 4 (1992) 198; Schalkhäuser Gutachten über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe nach ausländischen Strafgesetzen (Zusammenfassung und Anmerkung), Streit 1985, 106; Schick Die „ n e u e n " Straftatbestände der „Vergewaltigung" u n d der „geschlechtlichen N ö t i g u n g " in der Bewertung durch die Judikatur, Liechtensteinische Juristenzeitung 1993 141 ; Schlegel/Amboss/Michalski Zur Rechtsprechtung auf dem Gebiet der Sexualstraftaten, NJ 1985 401 ; Schröder Besprechung von Simson/Geerds Straftaten gegen die Person u n d Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, ZStW 86 (1974) 816; Schwarz Materialien zur Strafrechtsreform 2. Band II (1955); Schwinge Die B e k ä m p f u n g des Obszönen im angloamerikanischen Recht, Weber-Festschrift 291 ; Simson/Geerds Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht (1969); Simson Grenzen des Sexualstrafrechts in Deutschland und Schweden, J Z 1968 481 ; Stangl Empfiehlt es sich, die §§ 210, 220 u n d 221 StGB ersatzlos zu streichen? Zugleich ein Beitrag über die Diskriminierung Homosexueller im österreichischen Strafrecht, Kriminalsoziologische Bibliographie 1986 Heft 52, 52; Tibone Zur Reform des italienischen Strafrechts im Bereich der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, MschrKrim. 1985 348; Weigend Strafrechtliche Pornographieverbote in Europa, Z U M 1994 133; Woesner Das neue Strafrecht der D D R , N J W 1969 257.

4. Kriminologisches und rechtsmedizinisches Schrifttum Agisra (Aktionsgemeinschaft gegen internationale und rassistische Ausbeutung) Frauenhandel und Prostitutionstourismus (1990); Arbeitskreis ,,Sexuelle Gewalt" beim Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.) Sexuelle Gewalt. E r f a h r u n g e n , Analyse, Forderungen (1985); Barth Sexueller Mißbrauch von Kindern — eine Literaturübersicht, ZfJ 1992 465; Baumann Sexualität, Gewalt und psychische Folgen, Die Polizei 1989 101; Baurmann Sexualität, Gewalt und psychische Folgen (1983); Baurmann Männergewalt. Erscheinungsformen und Dimensionen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Vorgänge 1987 Heft 6, 50; Berg Das Sexualverbrechen (1963); Berner/Karlick-Bolten Verlaufsformen der Sexualkriminalität (1986); Berner/Karlick-Bolten/Fodor Zur Epidemiologie der weiblichen Sexualdelinquenz, Forensia 1987 139; Böllinger/Lautmann (Hrsg.) Vom Guten, das noch stets das Böse schafft (1993); BönStand: 1. 8. 1994

(4)

Vorbemerkungen

Vor § 174

ner Sexualität, soziokulturelle Aspekte, H a n d w ö r t e r b u c h der Rechtsmedizin f ü r Sachverständige u n d Juristen, Bd. III Der Täter, sein sozialer Bezug, seine Begutachtung u n d B e h a n d l u n g (Hrsg. Eisen) (1977) 105; Cabanis/Philipp Sexologie u n d Recht, H a n d w ö r t e r b u c h der Rechtsmedizin f ü r Sachverständige u n d Juristen, Bd. II Der Täter, Persönlichkeit u n d Verhalten (Hrsg. Eisen) (1974) 246; Dannecker Z u m Verhältnis von Sexualwissenschaft u n d Strafrecht, Beiträge zur Sexualforschung 59 (1984) 77; Dannecker/Schorsch Sexualwissenschaft u n d Strafrecht, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 134; Dotzauer/Jarosch/Berghans Handwörterbuch der Kriminologie (Hrsg. Sieverts/Schneider) (1975) 161 ; Eisenberg Kriminologie, 3. Aufl. (1990) 666; Eisenmenger/Tutsch-Bauer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: Medizinische Aspekte, M ü n c h e n e r medizinische Wochenschrift 1992 471 ; Evers/Exler (Hrsg.) Psychosoziale Betreuung von Sexualstraftätern (Hofgeismarer Protokolle 297) (1992); Flothmann/ Dilling Vergewaltigung: E r f a h r u n g e n d a n a c h (1990); Foerster/Rosenau G e d a n k e n zum gutachterlichen u n d psychotherapeutischen U m g a n g mit Sexualstraftätern, Göppinger-Festschrift 399; Fregin Der Nachweis von S p e r m a s p u r e n . Z u r s p u r e n k u n d l i c h e n A n w e n d u n g m o n o k l o n a ler A b w e h r k ö r p e r , Kriminalistik 1991 811 ; Gass/Klosinski Jugendliche Fetischisten, Exhibitionisten, sexuelle Nötiger u n d Vergewaltiger, Forensia 1988 79; Gindorf/Haeberle (Hrsg.) Sexualität als sozialer Tatbestand (1986); Göppinger Kriminologie, 4. Aufl. (1980) 624; Groß/Geerds H a n d b u c h der Kriminalistik Bd. I (1977) 335; Hauch Juristische Interventionen aus psychotherapeutischer Sicht, in: 12. Strafverteidigertag (1989) 179; Heinrichs (Hrsg.) Vergewaltigung. Die O p f e r u n d die Täter(1986); Hess (Hrsg.) Sexualität u n d soziale Kontrolle (1978); Jäger/Jacobsen „ R e c h t s w o h l t a t " o d e r unkalkulierbare Einzelfallentscheidung? M s c h r K r i m . 1990 305; Jäger/Schorsch (Hrsg.) Sexualwissenschaft u n d Strafrecht (1987); Kaiser Kriminologie. Ein Lehrbuch, 2. Aufl. (1988); Kröhn Als Sachverständiger bei sexuellen Gewaltdelikten. Empirische Antworten auf einige häufig gestellte Fragen, Spann-Festschrift 189; Lautmann Eine historisch-soziologische Untersuchung zum Sittlichkeitsstrafrecht im R S t G B von 1871, in: Hoffmann- Riem/Mollnau/Rottleuthner (Hrsg.) Rechtssoziologie in der Deutschen Demokratischen Republik u n d in der Bundesrepublik Deutschland (1990), 168; Nass Weder O p f e r noch Täter durch richtige Sexualerziehung (1968); Oberlies Genetische Fingerabdrücke in Verfahren wegen sexueller Gewaltdelikte, Streit 1990 3; Orth Kinder als Zeugen. Aussagen von K i n d e r n zu Exhibitionsvorgängen, Kriminalistik 1991 583; Peters Die Schwierigkeiten bei der Feststellung a b n o r m e r Z u s t ä n d e im Strafverfahren, G r ü n h u t - E r i n n e r u n g s g a b e 129 ; Roth u. a. Sexualdelikte unter Alkoholeinfluß bei z u o r d b a r e r O p f e r - T ä t e r - K o m b i n a t i o n , Schewe-Festschrift 553; Rutschky Erregte Aufklärung. K i n d e s m i ß b r a u c h : Fakten & Fiktionen (1992); Schliermann Vergewaltigung vor Gericht (1993); Schneider Vergewaltigung in kriminologischer u n d viktimologischer Sicht, Blau-Festschrift 341; Schneider/Schneider Sexualkriminalität, in: Schneider (Hrsg.) Kriminalität u n d abweichendes Verhalten Bd. 1 (1983) 334; Scholz/Greuel Z u r Beurteilung der Qualität von Glaubhaftigkeitsgutachten in Vergewaltigungsprozessen, M s c h r K r i m . 1992 321; Schorsch Sexualstraftäter (1971); Schorsch Sexualmedizin (1974); Schorsch (Hrsg.) Ergebnisse der Sexualforschung (1975); Schorsch Perversion, Liebe, Gewalt. Aufsätze zur Psychopathologie und Sozialpsychologie der Sexualität, (Hrsg. Schmidt/Sigusch) Beiträge zur Sexualforschung 68 (1993); Schwerd (Hrsg.) Rechtsmedizin. Lehrbuch f ü r Mediziner u n d Juristen, 5. Aufl. (1992); Sigusch (Hrsg.) Medizin u n d Sexualität (1979); Sigusch/Meyburg/Reiche Sexualmedizin (1978); Speier/Nedopil Abweichungen zwischen Fremd- u n d Selbstbild bei persönlichkeitsgestörten Sexualdelinquenten u n d ihre Relevanz bei Prognoseentscheidungen, M s c h r K r i m . 1992 1 ; Steck/Pauer Verhaltensmuster bei Vergewaltigung in Abhängigkeit von Täter- und Situationsmerkmalen, M s c h r K r i m . 1992 187; Teegen/Beer/Parbst/Timm In der Kindheit sexuell m i ß h a n d e l t : E m p f i n d u n g e n von erwachsenen O p f e r n , uni hh 27 (1992) 35; Thom Langfristige psychosoziale Folgen bei Vergewaltigungsopfern, Diss. Kiel 1992; TrubeBecker Sexueller Mißbrauch von Kindern aus rechtsmedizinischer Sicht, Forensia 1988 79; Ulrich Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen Jugendlicher u n d Kinder zu homosexuellen Delikten, M s c h r K r i m . 1988 391; Volk u.a. Vergewaltigungstäter, Leithoff-Festschrift 469; Weber Viktimologische Besonderheiten bei Sexualdelikten: Fälle von „ C h i f f r i e r t e m Matrizid", M s c h r K r i m . 1993 33; Weis Die Vergewaltigung und ihre O p f e r (1982); Statistik und Literaturnachweise in : Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages f ü r die Strafrechtsreform (Prot.); 6. Wahlperiode, S. 1142. (5)

Heinrich Laufhütte

Vor § 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Entstehungsgeschichte 1. Der Abschnitt trug bis zu seiner Neufassung im Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) die Überschrift „Straftaten gegen die Sittlichkeit". Die Entwürfe eines 4. StrRG — der in der 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages eingebrachte Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) und der auf der Basis des in der 6. Wahlperiode abgefaßten Schriftlichen Berichtes des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform (BTDrucks. VI/3521) von den Fraktionen der SPD und F D P in der 7. Wahlperiode eingebrachte Entwurf (BTDrucks. 7/80) — schlugen als Überschrift die Bezeichnung „Sexualstraftaten" vor. Die vom Sonderausschuß sodann mit knapper Mehrheit (vgl. den Schriftlichen Bericht: BTDrucks. 7/514 S. 5) vorgeschlagene und vom Bundestag gegen das Votum des Bundesrates — der den Vermittlungsausschuß auch mit dem Ziel der Änderung der Abschnittsüberschrift angerufen hatte (BTDrucks. 7/979) — beschlossene neue Abschnittsüberschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" (Prot., 7. Wahlperiode S. 53, 54) soll an das in den einzelnen Strafvorschriften des Abschnitts geschützte Rechtsgut anknüpfen (BTDrucks. 7/514 S. 5). Dies trifft nur zum Teil zu. Die sonst in Frage kommenden Überschriften hätten allerdings nicht alle Strafvorschriften des Abschnittes charakterisieren können. Der aus Gründen der Vereinfachung in der Wortwahl — auch in dieser Kommentierung — häufig verwandte Begriff „Sexualstraftaten" ist unscharf ; er scheint auf Straftaten hinzudeuten, die sexuell motiviert sind, was bei einem großen Teil der im 13. Abschnitt unter Strafe gestellten Handlungen gar nicht der Fall ist. Durch die Wahl der Abschnittsüberschrift hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß er sich von überholten Vorstellungen über das im Zusammenhang mit dem Geschlechtlichen strafrechtlich Schützenswerte lösen wollte und als geschütztes Rechtsgut nicht mehr die Erhaltung allgemeiner Sittlichkeit ansieht. 2. Die Sittlichkeitsdelikte haben in der Rechtsgeschichte eine bewegte Vergangenheit hinter sich (Sturm JZ 1974 1, 4). Die vom kanonischen Recht her beeinflußte, im Verhältnis zu früheren Rechtsordnungen 1 weitgehende Pönalisierung der seit dem Mittelalter als Unzucht verstandenen Ausübung der Sexualität in freien nichtehelichen Geschlechtsverbindungen 2 ist im Zeitalter der Aufklärung wieder zurückgedrängt worden. Der außereheliche Geschlechtsverkehr wurde straffrei. Die Strafbarkeit wurde in Partikularstrafgesetzbüchern des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts weitgehend auf Handlungen beschränkt, die andere als den Täter benachteiligten oder ein öffentliches Ärgernis erregten 3 . Das am Ende der Entwicklung im 19. Jahrhundert stehende Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871, das auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts von restaurativen Tendenzen nicht frei war, dehnte die Strafbarkeit zum Teil wieder aus. Pönalisiert wurden u. a. neben den Fällen des Mißbrauchs eines anderen und Vorgängen, die im Interesse des Jugendschutzes oder des Schutzes der Allgemeinheit vor ärgerniserregenden öffentlichen Handlungen unterbunden werden sollten, auch Verhaltensweisen, die dem allgemeinen Sittlichkeitsempfinden widersprachen, wie die männliche Homosexualität, die Unzucht mit Tieren, die parasitäre Zuhälterei, die Verbreitung unzüchtiger Schriften an 1

Vgl. Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975); Maurach/Schroetter/Maiwald BT 1 § 17 I; Mayer S o g e n a n n t e sexuelle Revolution u n d das Strafrecht in Heinitz-Festschr. 119; Quarter Die Sittlichkeitsverbrechen im Laufe der J a h r h u n d e r t e u n d ihre strafrechtliche Beurteilung. N e u d r u c k

2

3

der 8. Aufl. Berlin 1929 (1970); Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht u n d Vergewaltigungsbegriff (1993) 26 ff. Rosenberger Das Sexualstrafrecht in Bayern von 1813 bis 1871, Diss. M a r b u r g 1973, S. 6. Rosenberger a a O S. 12, 13.

Stand: 1. 8. 1994

(6)

Vorbemerkungen

V o r

§

174 4

Erwachsene u n d bestimmte Fälle der Kuppelei durch bloßes Vorschubleisten . Die schon bald — auch auf den Wandel des allgemeinen Sittlichkeitsempfindens zurückz u f ü h r e n d e n — Reformbestrebungen hatten die Ä n d e r u n g oder Streichung der letztgenannten Strafvorschriften zum Ziel 5 . Der R e f o r m i m p u l s wurde verstärkt durch die weite Auslegung der Tatbestände (vgl. Hanack Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. I Gutachten [1968] A 19). Die Rechtsprechung hielt an der traditionellen Sexualethik fest u n d sah den außerehelichen Geschlechtsverkehr — auch den von Verlobten (BGHSt. 6 46; 17 230; Mösl L K 9 § 180 R d n . 6) - grundsätzlich als unzüchtige H a n d l u n g an, was zu einer — nach heutiger Auffassung nicht mehr verständlichen (vgl. aber Lackner in Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II, Sitzungsberichte [1969] Κ 36) — Ausweitung des Tatbestandes der Kuppelei führte 6 . Die Auslegung des Begriffes der Unzucht führte letztlich zu dessen Eliminierung im 4. S t r R G (vgl. BTDrucks. V I / 1 5 5 2 S. 15), weil er emotional so stark belastet war, d a ß seine Verwendung politisch nicht ratsam erschien. D a ß der statt dessen verwendete Begriff der sexuellen H a n d l u n g — schon wegen der fehlenden subjektiven K o m p o n e n t e , die dem der unzüchtigen H a n d l u n g innewohnte (vgl. Mösl LK 9 vor § 173 Rdn. 4) — sehr viel weiter ist (vgl. 184 c), wurde dabei in Kauf g e n o m m e n . 3. Der im Jahre 1962 vorgelegte Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches — Entwurf 1962 — trug den Reformanliegen nicht R e c h n u n g (BTDrucks. I V/650, dort §§ 204 ff). Er schlug lediglich in einem bedeutsamen Punkt eine Entkriminalisierung — nämlich Wegfall der Strafbarkeit f ü r uneigennützige Kuppelei zugunsten über achtzehnjähriger Verwandter — vor u n d wollte im übrigen das damals geltende Recht perfektionieren u n d angebliche Lücken im Strafgesetzbuch (§ 220 a, Unzüchtige Schaustellungen) schließen. Die Begründung des Entwurfs (S. 359) referiert dabei die f ü r einen weitgehenden strafrechtlichen Schutz angeführten Argumente, nämlich der „unbestreitbaren Erkenntnis", „ d a ß die Reinheit und Gesundheit des Geschlechtslebens eine außerordentlich wichtige Voraussetzung für den Bestand des Volkes u n d die Bewahrung der natürlichen L e b e n s o r d n u n g " sei u n d stellt heraus, d a ß jeder Fehlgriff in der Abfassung der Strafrechtsvorschriften geeignet sei, „zwischen der allgemeinen Überzeugung u n d dem Gesetz eine Kluft aufzureißen u n d das sittliche E m p f i n d e n des Volkes zu trüben u n d zu verwirren". Die Gegenposition, vorgetragen insbesondere auf der T a g u n g der deutschen Strafrechtslehrer (Referate ZStW 77 [1965] 379), durch den Alternativ-Entwurf (AE) eines Strafgesetzbuches (Besonderer Teil, Teilband Sexualdelikte, 1968) u n d auf dem 47. Deutschen Juristentag (Gutachten Hanack, Referate Just-Dahlmann, Lackner u n d Pallin), stellte die grundsätzliche Reformbedürftigkeit des geltenden Sexualstrafrechts heraus, das sich auf die Pönalisierung sozialschädlichen Verhaltens zu beschränken habe (Formel der gemeinsamen Schlußsitzung des 47. Deutschen Juristentages, Bd. II, Sitzungsberichte [1969] Ρ 4). Diesem Anliegen trug die Gesetzgebung bereits im Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) durch Streichung einiger als antiquiert e m p f u n d e n e r Straftatbestände (Ehebruch, Homosexualität unter Erwachsenen, Unzucht mit Tieren, Erschleichung des außerehelichen Beischlafs) u n d durch Neufassung des § 184 StGB Rechnung. Das 4. S t r R G setzte die Reform unter dem Leitgedanken fort, d a ß „ d a s Strafrecht nur die äußere O r d n u n g sozialen Verhaltens zu wahren h a t " (BTDrucks. V I / 1 5 5 2 S. 15). 4

(7)

Vgl. die §§ 175, 175 a, 175 b, 180, 181, 181 a, 184 des bis zum Inkrafttreten des 1. StrRG (das den § 175 b a u f h o b und die §§ 175, 175 a änderte) und des 4. StrRG (das den § 175 weiter liberalisierte

5 6

und die §§ 180 ff völlig neu faßte) geltenden Strafgesetzbuches. Vgl. die Begründung des E 1962,S.359. Vgl. Mösl L K ' § 180 Rdnr. 8 ff.

Heinrich Laufhütte

V o r

§

174

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

Der Gesetzgeber des 4. StrRG war sich der Tatsache bewußt, daß die Freiheit des einzelnen und die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre besonderen Gefährdungen ausgesetzt sind 7 (BTDrucks. VI/1552 S. 9). Der Schutz der Erwachsenen vor Beeinträchtigungen ihrer sexuellen Freiheit und der Jugendschutz standen im Vordergrund der ausführlichen Beratungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, der unter anderem eine ausführliche öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchgeführt hat (Prot., 6. Wahlperiode S. 843 ff). Nicht außer acht gelassen wurden dabei Verhaltensweisen, die nicht aus sexuellen — sondern kommerziellen — Beweggründen begangen wurden. Deshalb wurden die gegen Zuhälterei gerichteten Strafvorschriften — entgegen dem (unrealistischen) Streichungsvorschlag des 47. Deutschen Juristentages (Verhandlungen, Bd. II [1969] Ρ 5) — so gefaßt, daß nunmehr freiheitsbeeinträchtigende Handlungen unter Strafe gestellt sind. 4. Die Beratungen in den Gesetzgebungsverfahren führten zu einer in großen und wesentlichen Teilen unstreitigen Fassung des Gesetzes. Bis zuletzt wurden jedoch die Straflosigkeit der gewerbsmäßigen Vermittlung außerehelicher sexueller Handlungen, der Ehegattenkuppelei sowie der Verbreitung einfacher Pornographie an Erwachsene (dazu jetzt wieder Ladeur ZUM 1989 155) sowie das Erzieherprivileg des § 180 Abs. 1 Satz 2 in Frage gestellt (BTDrucks. 7/979). Die daran geknüpften Befürchtungen (vgl. die Rede des saarländischen Justizminister Becker im Bundesrat, BR Prot. 1973 S. 344, 346, der die Bundesrepublik Deutschland in Gefahr sah, „der geistige und moralische Abfalleimer Europas zu werden") haben sich als übertrieben erwiesen (aA Pachmann Kriminalistik 1984 276). 5. Die Fassung der Strafvorschriften des 13. Abschnittes hat sich — von Detailproblemen abgesehen, die in der Kommentierung der einzelnen Vorschriften behandelt werden — im großen und ganzen bewährt 8 . Die rechtspolitische Diskussion der vergangenen zwanzig Jahre hat weder erhebliche strafrechtliche Lücken aufgezeigt noch bewiesen, daß die Vorschriften den Strafrechtsschutz zu weit ausgedehnt haben. Dem Gesetz wird zwar eine zu weit gehende Liberalisierung vorgehalten (so vor allem Dreher JR 1974 45; dazu Baumann JR 1974 370). Mehr Berechtigung hat jedoch die Kritik, daß der Gesetzgeber in der Beschränkung der Strafbarkeit auf zweifelsfrei sozialschädliche Verhaltensweisen nicht weit genug gegangen ist (Baumann aaO; Hanack NJW 1974 3 0· Neben der Sache liegt aber auch die Behauptung, das 4. StrRG schütze unter dem Mißbrauch von Freiheitsrechten die Sexualmoral (Lautmann ZRP1980 40 ; dazu Arntzen ZRP1980 287). In der bisher etwa zwanzigjährigen Praxis haben sich vielmehr Mängel des Gesetzes, die zu unvertretbaren Ergebnissen geführt hätten, nicht gezeigt. 6. Praktische Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung haben dazu geführt, daß einzelne Teile des Sexualstrafrechts weiter geändert wurden. Durch das 26. StrÄndG vom 14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1255) — Menschenhandel — wurden die §§ 180a und 181 geändert und ergänzt und § 180 b eingefügt, um insbesondere den Schutz ausländischer Mädchen und Frauen vor sexueller Ausbeutung durch international und ar7

Zur Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes und zum Gebotensein von Strafvorschriften gegen Eingriffe in den Sexualbereich nach Art. 8 M R K siehe E G M R N J W 1985 2075. Vgl. auch Art. 19 Abs. 1 und Art. 34 des Übereinkommens

vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (BGBl. II 1992 121, 129, 136). " Säger Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 1 ; kritisch FrommelZRP 1988 233.

S t a n d : 1. 8. 1994

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Vorbemerkungen

Vor § 174

beitsteilig arbeitende Täter zu verbessern. § 184 wurde bereits durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. 2. 1985 (BGBl. I S. 425) um ein eingeschränktes Vermietverbot für pornographische Videoerzeugnisse ergänzt. Eine wesentliche Änderung erfuhr die Vorschrift durch das 27. StrÄndG vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1346) — Kinderpornographie —. Einerseits wurden die Strafdrohungen für die Herstellung und Verbreitung von kinderpornographischen Darstellungen verschärft, zum anderen der einfache Besitz solcher Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, unter Strafe gestellt. Der Gesetzgeber will dadurch den Markt für Videoprodukte, die Anlaß für den sexuellen Mißbrauch der kindlichen Darsteller sind, austrocknen. Ob sich die Konsumenten solcher Artikel von der Strafdrohung — Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr — abschrekken lassen werden, muß bezweifelt werden. Schließlich haben die politischen Ereignisse in jüngster Vergangenheit zur lange diskutierten Ersetzung der §§ 1759 und 182 durch eine einheitliche Jugendschutzvorschrift in § 182 durch das 29. StrÄndG vom 31. Mai 1994 (BGB1.I S. 1168) geführt. Auf dem Gebiet der früheren D D R galten die §§ 175, 182 nicht, sondern § 149 StGB-DDR, der Jugendliche beiderlei Geschlechts bis zum 16. Lebensjahr vor der Ausnutzung zu sexuellen Handlungen schützte 10 . Durch das 30. StrÄndG vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1310) wurde die Verfolgbarkeit schwerer Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen verbessert, indem für Straftaten nach den §§ 176 bis 179 das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers angeordnet w u r d e " . Die rechtspolitische Diskussion geht weiter. Zu nennen sind Forderungen, die auf Ausdehnung des Strafrechtsschutzes in einzelnen Bereichen gerichtet sind, wie die Bestrebung, die Ehegattenvergewaltigung unter Strafe zu stellen 12 , die schon im Gesetzgebungsverfahren eine erhebliche Rolle gespielt hat (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 39). Auch haben Einzelfälle sexuellen Mißbrauchs, die mit den bestehenden Vorschriften nicht erfaßt werden konnten, Anlaß zu Gesetzesvorschlägen gegeben 13 .

ÜbersiehI Rdn. I. Geschütztes Rechtsgut 1. Aufgabe des Sexualstrafrechts . . . . Gesetzgeberische Zielvorstellung . . . 2. Tatbestandsabhängiger Rechtsgutschutz 3. Schutzgut sexuelle Selbstbestimmung a) Schutzgut der §§ 177, 178, 179 . . .

Rdn. b) Schutzgut der §§ 174, 174 a und b, 180 Abs. 3 c) Schutzgut der §§ 180a, 180b, 181, 181a 4. Jugendund Heranwachsendenschutz a) Schutzzone für Kinder (§ 176) . . .

1 2 3 4 4

9

Vgl. dazu die Anhörung der FDP-Bundestagsfraktion vom 5. Mai 1981, abgedruckt in der Dokumentation der Friedrich-Naumann-Stiftung, Dezember 1981. 10 Zum „gespaltenen" Sexualstrafrecht in Deutschland nach dem Einigungsvertrag siehe Kusch M D R 1991 99. " Zur Motivation des Gesetzgebers, Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen innerhalb der Familie, die häufig erst nach Jahren zur Anzeige kommen, strafrechtlich besser erfassen zu können vgl. die Gesetzentwürfe des Bündnis 9 0 / D i e Grünen (BTDrucks. 12/3825) und der SPD (BTDrucks. 12/2975) und den Beschluß des (9)

12

13

5 6 7 8

Rechtsausschusses vom 18. I. 1994 (BTDrucks. 12/6980). Vgl. ausführlich Entstehungsgeschichte § 177 und die Literaturnachweise bei § 177 unter 2., u.a. Helmken Vergewaltigung in der Ehe (1979) sowie in Z R P 1980 171 ; 1985 170; 1993499. Beispielsweise Gesetzentwurf der Freien- und Hansestadt Hamburg zu einem neuen § 174 c, der dem besonderen Unrechtsgehalt des Mißbrauchs einer durch ein Behandlungsverhältnis geschaffenen psychischen Abhängigkeit zu sexuellen Zwecken durch Ärzte oder vergleichbare Berufsgruppen Rechnung tragen soll (BRDrucks. 656/93).

Heinrich Laufhütte

Vor

§ 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Rdn.

b) Schutzalter in den sonstigen Jugendschutztatbeständen c) Besondere Form des J u g e n d s c h u t z e s i n den §§ 1 8 4 , 1 8 4 b 5. Schutz vor schwerwiegenden Belästigungen 6. Schutz des Auslandes 7. Täterschaft u n d T e i l n a h m e II. G r u n d b e g r i f f e 1. Ersetzung des Begriffs der U n z u c h t . 2. Keine völlige strafrechtliche Gleichb e h a n d l u n g d e r Geschlechter a) Gesetzgeberische Bewertung des Beischlafs

9 10 11 13 14 14 15 16

b) Exhibitionismus 3. Transsexuelle

Rdn. 17 18

III. Mehrzahl von H a n d l u n g e n 1. Problem der Einheit u n d Mehrheit von H a n d l u n g e n 2. Verschiedene H a n d l u n g e n a) F ö r d e r u n g der Prostitution u n d Zuhälterei als D a u e r d e l i k t e . . . . b) Z u s a m m e n t r e f f e n mit a n d e r e n Taten c) Kein F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g

21 22

IV. I n t e r n a t i o n a l e A b k o m m e n

23

V. Recht des Einigungsvertrages

19 20 20

24

I. Geschütztes Rechtsgut 1

1. Es ist, wie der Bundesgerichtshof im „Fanny Hill"-Urteil (BGHSt. 23 40,43,44) klargestellt hat, nicht Aufgabe des Strafrechts, „auf geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen, sondern es hat die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen und groben Belästigungen zu schützen". Diese Entscheidung enthält eine grundsätzliche Abkehr von der noch im E 1962 vertretenen Auffassung, die es für angezeigt hielt, die „Reinheit und Gesundheit des Geschlechtslebens" mit Mitteln des Strafrechts zu bewahren (Begründung des E 1962 S. 359), und die als geschütztes Rechtsgut die rechtliche und sittliche Ordnung des geschlechtlichen Lebens bezeichnete (Mösl LK 9 vor § 173 Rdn. 2). Die Einschränkung, diese Ordnung sei nur insoweit strafrechtlich geschützt, als sie gesellschaftlich relevant sei, zeigt das Dilemma dieser traditionellen Auffassung auf, da sie die Eingrenzung des — das Rechtsgut begrenzenden — Merkmals der gesellschaftlichen Relevanz dem subjektiven Urteil jedes einzelnen überließ. Dieser Mangel wirkte sich insbesondere bei den Tatbeständen aus, deren Anwendungsbereich durch die weite oder enge Auslegung des Begriffes der Unzucht (vgl. § 181 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F.) oder des Merkmals des Mißbrauchs zur Unzucht unter Ausnutzung einer Position (vgl. § 174 Abs. 1 StGB a. F.) gekennzeichnet war. Die gesellschaftliche Relevanz spielte bei der Auslegung dieser Tatbestände keine maßgebliche, die Strafbarkeit einschränkende Rolle. Der Geschlechtsverkehr unter Verlobten wurde trotz sich wandelnder gesellschaftlicher Auffassung als Unzucht verstanden (Mösl LK 9 § 180 Rdn. 6); mögliche, die Strafbarkeit nach § 174 Abs. 1 StGB a. F. einschränkende Kriterien konnten auf der Basis der Rechtsprechung, es sei Sinn der Vorschrift, Überordnungs- und Betreuungsverhältnisse bestimmter Art von geschlechtlichen Einflüssen rein zu halten (BGHSt. 1 55, 58; 1 71, 72; 2 93, 94; 13 352, 354; Mösl LK 9 § 174 Rdn. 2), nicht genutzt werden.

2

Die mit dem „Fanny Hill"-Urteil eingeleitete und mit der Verabschiedung des 4. StrRG vollzogene Abkehr von der Auffassung, das Strafrecht habe die allgemeine Sittenordnung zu schützen, und die gesetzgeberische Zielvorstellung, nur noch Verstöße gegen die äußere Ordnung sozialen Verhaltens unter Strafe zu stellen (BTDrucks. VI/1552 S. 15; kritisch Dreher/Tröndle vor § 174 Rdn. 3; Dreher JR 1974,45,47, der als Rechtsgut die in Artikel 6 G G zum Ausdruck kommende Sexualverfassung ansieht), machen eine Neubestimmung dessen notwendig, welches Rechtsgut durch die Vorschriften des 13. Abschnittes geschützt ist. Der Gesetzgeber hat durch die Abschnittsüberschrift, die auf den wesentlichen Inhalt der Vorschriften hinweist (vgl. BGHSt. 29, 220, 224), deutlich gemacht, daß es um den Schutz von GüStand: 1. 8. 1994

(10)

Vorbemerkungen

Vor § 174 14

tern des einzelnen, also nicht des Staates oder der Allgemeinheit geht . Diese Beschränkung entspricht dem Sinn des Strafrechts, das nicht dazu da ist, die Einstellung des Menschen zum Geschlechtlichen zu bestimmen. Die individuelle Sexualerziehung gehört in erster Linie zum natürlichen Erziehungsrecht der Eltern u n d k a n n nur in den Grenzen des Artikel 7 Abs. 1 G G vom Erziehungs- u n d Bildungsrecht des Staates (in der Schulerziehung) w a h r g e n o m m e n werden (vgl. BVerfG JZ 1978 304; dazu Oppermann J Z 1978 289). Das Strafrecht hat deshalb Distanz gegenüber sexualethischen Programmen nach allen Seiten hin zu wahren. Das bedeutet, d a ß das Sexualstrafrecht, so der Bundesminister der Justiz in der Einbringungsrede zum 4. S t r R G (Sitzungsberichte des Deutschen Bundestages, 6. Wahlperiode, 105. Sitzung, S. 6103 c), weder zur Disziplinierung der Sexualität noch zu ihrer Befreiung einen Beitrag zu leisten hat; es darf sich auch nicht an Einzel- oder Gruppeninteressen orientieren (Abgeordneter Brandt, Sitzungsberichte des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode S. 2125), sondern nur Taten mit Strafe bedrohen, die individuelle Rechtsgüter handgreiflich antasten (Horstkotte J Z 1974 84 bei Rdn. 6). 2. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, das geschützte Rechtsgut im einzelnen 3 genau zu definieren, obwohl er in § 184 c Nr. 1 auf das jeweils geschützte Rechtsgut abstellt. Der Ausschußbericht (BTDrucks. 7 / 5 1 4 S. 12) geht zwar davon aus, d a ß sich das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung in den einzelnen Tatbeständen in verschiedener Weise konkretisiert; damit wird aber nicht hinreichend deutlich, d a ß nicht von einem f ü r alle Vorschriften verbindlichen festumrissenen Rechtsgut auszugehen ist, sondern d a ß dieses von Tatbestand zu Tatbestand neu zu bestimmen ist. Dies ist nicht immer einfach, zumal die im 13. Abschnitt zusammengefaßten Vorschriften strafrechtliche Regelungen für höchst unterschiedliche Lebenssachverhalte enthalten. 3. Schutzgut sexuelle Selbstbestimmung a) Schutzgut der §§ 177,178,179 Abs. 1 Nr. 2 (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, 4 sexueller Mißbrauch körperlich Widerstandsunfähiger) ist die sexuelle Freiheit des einzelnen. Entsprechendes gilt f ü r § 179 Abs. 1 Nr. 1 (Schröder Welzel-Festschrift 5. 868), da der Tatbestand der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit entgegentreten will. b) Das Recht des einzelnen auf sexuelle Selbstbestimmung steht auch im Vorder- 5 grund bei den Tatbeständen, die den sexuellen M i ß b r a u c h von Schutzbefohlenen zum Gegenstand haben (§§ 174, 174 a und b, § 180 Abs. 3). Unberechtigt sind die Bedenken von Schroeder (Welzel-Festschrift S. 868 0 gegen eine solche E i n o r d n u n g von § 174 Abs. 1 Nrn. 1 u n d 3 und von § 174 a Abs. 1 ; d e n n diese Vorschriften betreffen Fälle, in denen die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung des Geschützten gegenüber den in Frage k o m m e n d e n Tätern d a d u r c h beeinträchtigt sein k a n n , d a ß letztere eine im Verhältnis zur geschützten Person herausgehobene Autoritäts- oder Machtposition einnehmen ( B G H NStZ 1983 553 zu § 174 Abs. 1 Nr. 3). Der Frage, d a ß es trotz des Bestehens solcher Autoritätsverhältnisse zu sexuellen Kontakten k o m m e n k a n n , die beide Partner in freier sexueller Selbstbestimmung bejahen („echte Liebesbeziehungen"), ist im Gesetzgebungsverfahren breiter R a u m gewidmet worden (Prot., 6. Wahlperiode S. 1306ff; 1315ff, 1339ff, 1361 ff, 1439ff, 1473, 1475ff; 14

dl)

Vgl. Schroeder Systematische Stellung und Rechtsgut der Sexualstraftaten nach dem 4. StrRG in Welzel-Festschr. S. 859,875.

Heinrich Laufhütte

V o r

§

1 7 4

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

vgl. auch Prot., 7. Wahlperiode S. 8; BTDrucks. VI/3521 S. 21, 25,28, 34). Die Debatte ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß der Regierungsentwurf den Schutzzweck der genannten Vorschriften nicht darin sah, Autoritätsverhältnisse vom Sexuellen freizuhalten. Aufgabe der Vorschriften sollte es vielmehr sein, den Schutzbefohlenen davor zu bewahren, unter dem Druck einer Abhängigkeit in seinem sexuellen Verhalten bestimmt zu werden ( L a u f h ü t t e in Prot., 6. Wahlperiode S. 1308 zu § 174). Bei den Tatbeständen, bei denen der Mißbrauch der mit den Autoritäts- oder Machtverhältnissen verbundenen Abhängigkeit Tatbestandsmerkmal ist (§ 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174 b, § 180 Abs. 3), wird dieser Schutzzweck schon durch die Gesetzesfassung deutlich. Entsprechendes gilt auch für § 174 a, wo auf den Mißbrauch der Stellung — dabei handelt es sich um keine bloße Leerformel, wie Schroeder (aaO S. 869) meint — oder auf die Ausnutzung der eine Hilfsbedürftigkeit begründenden Lage abgestellt wird. Bei § 174 a Abs. 1 wird als Schutzzweck auch das Anliegen genannt, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Personen, denen Gefangene oder behördlich Verwahrte anvertraut sind, zu erhalten (vgl. § 174 a Rdn. 1). Vom Schutzgutgedanken erscheinen auch die Tatbestände des § 174 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 unbedenklich, obwohl sie ausdrücklich nicht auf den Mißbrauch von Abhängigkeiten abstellen. Bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 („kleine Blutschande") ging der Gesetzgeber zutreffend von einem zwischen Eltern und minderjährigen Kindern „typischen Abhängigkeitsverhältnis" aus (Laufliütte in Prot., 6. Wahlperiode S. 1309), bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 spielt neben dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung zusätzlich der Jugendschutz eine Rolle. Die bei diesem Tatbestand dennoch denkbaren Fälle minderen Unrechts hat der Gesetzgeber in § 174 Abs. 4 berücksichtigt. 6

c) Gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet sind schließlich die Handlungen, die Prostituierte in Abhängigkeit halten oder durch die Personen in eine Lage gebracht werden, in der sie sich der Prostitutionsausübung nur schwer entziehen können. Der Gesetzgeber hat insoweit ein differenziertes Geflecht von Vorschriften geschaffen, die dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung durch Pönalisierung von Verhaltensweisen dienen, die typischerweise geeignet sind, Prostituierte in eine Lage zu bringen, in der sie nicht mehr frei über ihr Sexualleben — dazu gehört auch die Freiheit, die Prostitution auszuüben oder sich von der Prostitutionsausübung zu lösen — entscheiden können. Motiv für das enge strafrechtliche Netz war, daß der Gesetzgeber die Prostitution für denjenigen, der sie ausübt, als ein Übel ansah (BTDrucks. VI/1552 S. 18; vgl. Schroeder Welzel-Festschrift S. 875). Die einschlägigen Vorschriften (§ 180 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 180 b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, §§ 181, 181 a) sollen dazu beitragen, der Schaffung oder Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen, welche die Möglichkeit des Lösens aus der Prostitution erschweren können, mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten 15 .

7

4. Jugend- und Heranwachsendenschutz. Eine Reihe von Vorschriften dienen dem Jugendschutz (§§ 176, 180 Abs. 1 und 2,180 a Abs. 2 Nr. 1, 180 b Abs. 2 Nr. 2, §§ 182, 184 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5, 7, 8, Abs. 3, Abs. 5, § 184 b). Eines der wesentlichen Ziele des neugefaßten Sexualstrafrechts war es, sexuell in der Entwicklung befindliche junge Menschen vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch sexuelle Handlungen zu schützen (BGHSt. 29 336, 340; BTDrucks. VI/3521 S. 34). Das Rechtsgut „Jugendschutz" als einen Unterfall des Rechtsgutes „Schutz der sexuellen Selbstbestimmung" zu bezeichnen, weil der Jugendliche der sexuellen Selbstbestim15

AA Lautmann Z R P 1980, 44, 45, der b e h a u p t e t , § 180 a Abs. 1 Nr. 2 erreiche das Gegenteil dessen,

was mit k a u m ü b e r s e h b a r e m Z y n i s m u s als sein Zweck ausgegeben werde.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

(12)

Vorbemerkungen

Vor § 174

mung nicht mächtig sei (so Abgeordneter Ostman von der Leye, Prot., 7. Wahlperiode S. 53), dürfte nicht angängig sein, und zwar wegen der in dieser verallgemeinernden Form nicht zutreffenden Vermutung, Jugendliche seien generell zur sexuellen Selbstbestimmung nicht fähig. Die Regierungsvertreter haben sich deshalb auch gegen eine solche Ausdeutung ausgesprochen (vgl. Laufliütte, Prot., 7. Wahlperiode S. 53), weil sie Auswirkungen für die Auslegung der Jugendschutztatbestände (Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung im Einzelfall) befürchteten. In Wahrheit gerantieren die genannten Tatbestände — ohne die Notwendigkeit des Rückgriffs auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung — jungen Menschen eine Schutzzone bis zur Reifung ihrer eigenen Persönlichkeit (Schroeder Welzel-Festschrift S. 859, 870). Die Jugendschutzvorschriften des Sexualstrafrechts enthalten keine Altersbegrenzungen nach unten. Sie schützen junge Menschen (in der Kommentierung auch als „Jugendliche" bezeichnet) bis zur jeweiligen Schutzaltersgrenze. a) Die Schutzzone gilt lückenlos für Kinder (§ 176). Die Altersgrenze — 14 Jahre — 8 war im Gesetzgebungsverfahren nicht unumstritten. Die Ergebnisse der Anhörung von Wissenschaftlern (vgl. Prot., 6. Wahlperiode S. 843, insbesondere Sigusch S. 861 und Schorsch S. 981) hätten im Hinblick auf das Sexualverhalten junger Menschen auch eine niedrigere Schutzaltersgrenze als vertretbar erscheinen lassen. Der Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform — ihm folgend der Gesetzgeber — hat aber trotz Berücksichtigung der Tatsache, daß über einen längeren Zeitraum hinweg eine Vorverlegung der körperlichen und sexuellen Reifung stattgefunden hat, eine Senkung der Schutzaltersgrenze auf 12 oder 13 Jahre für unvertretbar gehalten (BTDrucks. VI/3521 S. 35), weil keine ausreichenden Untersuchungen vorliegen, die es erlauben, von der bisherigen Altersgrenze abzuweichen (BTDrucks. aaO S. 36). Die Beantwortung der Frage, ob und wie sich pädophile Handlungen auf kindliche Opfer auswirken, ist nicht leicht 16 ; sie hängt von einer Reihe von Faktoren ab (vgl. die Auswertung der Sacherständigenanhörung in BTDrucks. VI/3521 S. 34, 35). Zutreffend hat der Gesetzgeber die Auffassung vertreten (aA Lautmann Z R P 980 44,46), daß der Umstand, daß in den meisten Fällen keine anhaltenden schädlichen Auswirkungen nachgewiesen werden konnten, nicht dazu führen kann, gewaltlose Handlungen im Sinne des § 176 zu entkriminalisieren, weil in einer Reihe von Fällen schwerwiegende Beeinträchtigungen zu beobachten sind und von den Personen, die zu einem Kind in Beziehungen treten, nichts Unzumutbares verlangt wird (BTDrucks. VI/3521 S. 35). Ob das Kind anhaltend geschädigt wird, hängt, wie Arntzen in Z R P 1980, 287 ausführt, von einer Reihe von Umständen ab, wie dem Reifezustand des Kindes, seiner emotionalen Beziehung zum Täter, seiner sexuellen Erziehung und seinen sexuellen Vorerlebnissen, nicht zuletzt auch von den Hilfen, die dem Kind nach der Tat gewährt werden. Reaktionen der Umwelt sind hierbei von entscheidender Bedeutung (BTDrucks. VI/3521 S. 35). b) Das Schutzalter in den sonstigen Jugendschutztatbeständen ist sechzehn (§§ 180 9 Abs. 1, 182), im übrigen achtzehn Jahre; eine Ausnahme macht nur § 180b Abs. 2 Nr. 2, der gegen Heranwachsende bis 21 Jahre gerichtete Handlungen unter Strafe stellt. Die Problematik dieser Grenzen ist im Gesetzgebungsverfahren eingehend erörtert worden (vgl. insbesondere die Sachverständigenanhörung zu § 174, Prot., 6. Wahlperiode S. 1439 ff). Die generelle Senkung der Schutzaltersgrenzen von 21 auf 16

(13)

Vgl. dazu Jäger Beiträge zur S e x u a l f o r s c h u n g 59 (1984) 67, 71 f; Böllinger KJ 1986 90; Dannecker Beiträge zur S e x u a l f o r s c h u n g 62 (1987) 71 ; Lach-

mann M s c h r K r i m . 1988 47; Krück M s c h r K r i m . 1989313; Schorsch M s c h r K r i m . 1989 141.

Heinrich Laufhütte

Vor § 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

18 Jahre gegenüber dem früheren Recht, die insbesondere in § 174 von Bedeutung ist, trägt der Tatsache Rechnung, daß Minderjährige in aller Regel spätestens mit achtzehn Jahren aufgrund ihrer körperlichen, geistigen und sexuellen Entwicklung in der Lage sind, sich gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen (BTDrucks. VI/3521 S. 23). § 180 b Abs. 2 Nr. 2 trägt der dort gegebenen für junge Menschen besonders schwierigen Lage Rechnung. 10

c) Eine besondere Form des Jugendschutzes wird durch die Vorschriften gewährleistet, die bestimmte jugendgefährdende Verhaltensweisen, auch wenn sie sich nicht unmittelbar gegen Jugendliche richten, unter Strafe stellen (§ 184 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5, 7, 8, Abs. 3, Abs. 5, § 184 b). Im Mittelpunkt der rechtspolitischen Diskussion während der Beratungen des 4. StrRG stand § 184. Der Gesetzgeber gewährleistete hier nach einer Sachverständigenanhörung (Prot., 6. Wahlperiode S. 843 ff; Auswertung in Prot. S. 1908) den Jugendschutz, weil nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, daß die soziale Orientierung junger Menschen durch pornographisches Material beeinträchtigt wird (BTDrucks. VI/3521 S. 58 0- § 184 Abs. 1 enthält deshalb im Interesse des Jugendschutzes — bei Wahrung der Möglichkeiten der Erwachsenen, sich pornographisches Material zu verschaffen — Verbreitungsverbote. Ein totales Verbreitungsverbot sieht § 184 Abs. 3 für sadistische, pädophile und sodomitische pornographische Schriften vor, deren besondere Gefährlichkeit während der Sachverständigenanhörung hervorgehoben wurde (vgl. Prot., 6. Wahlperiode S. 1908). Die Wirkungsweise solcher Darstellungen — ähnliches gilt für Gewaltdarstellungen im Sinne des § 131 (vgl. dazu Prot., 6. Wahlperiode S. 1792 ff und S. 1819 ff) - ist zwar letztlich nicht bewiesen. Die Wahrscheinlichkeit oder die Möglichkeit schwerer Gefahren für die Entwicklung junger Menschen rechtfertigt aber eine Strafvorschrift, welche die Verbreitung solcher jugendgefährdender Darstellungen generell unter Strafe stellt {Laufhütte in Prot. aaO S. 1795). Denn der Gesetzgeber ist bei der Schaffung und Ausgestaltung einer vernünftigen Erwägungen dienenden Strafvorschrift nicht an den Grundsatz „in dubio pro libertate" gebunden (Laufhütte JZ 1974 46, 49). Der durch das 27. StrÄndG eingefügte § 184 Abs. 5 dient dem Schutz der kindlichen und jugendlichen Darsteller (Schroeder Z R P 1990 299 und NJW 1993 2581 ; BTDrucks. 12/4883 S. 6).

11

5. Schutz vor schwerwiegenden Belästigungen. Weitere Vorschriften dienen weder dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung oder allein dem Jugendschutz (§§ 183, 183 a, § 184 Abs. 1 Nr. 6,184 a), sondern dem Schutz aller vor schwerwiegenden Belästigungen durch Handlungen mit sexuellem Einschlag (BTDrucks. VI/1552 S. 10). Die Frage, ob es sich insoweit überhaupt um strafwürdiges Unrecht handelt, ist zu bejahen. Übergriffe im Sinne des § 183 können das psychische Wohlbefinden des Betroffenen bis zum Grad der Körperverletzung beeinträchtigen (BTDrucks. VI/3521 S. 53). Der Anspruch auf Achtung der Anschauungen von nicht übertrieben prüden Bürgern, die durch Handlungen im Sinne der §§ 183 a, 184 a beeinträchtigt sein kann, ist ein schützenswertes Rechtsgut (BTDrucks. VI/3521 S. 56).

12

6. Schutz des Auslandes. Aus dem Rahmen fällt die Vorschrift des § 184 Abs. 1 Nr. 9, die aus außenpolitischen Gründen eingefügt wurde (Laufhütte JZ 1974 46, 49; Lüttger Jescheck-Festschrift S. 121, 171).

13

7. Die Ausgestaltung der Tatbestände des 13. Abschnittes ist bedeutsam für die Beantwortung der Frage, wer Täter oder Teilnehmer einer Straftat sein kann. Personen, die durch die Vorschriften vor dem Zugriff Dritter geschützt sind, sind notwenStand: 1. 8. 1994

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Vorbemerkungen

Vor § 174

dige Teilnehmer, so daß ihre Mitwirkungshandlungen stets straflos sind (Roxin LK vor § 26 Rdn. 34, 38). Die frühere Rechtsprechung über die Strafbarkeit einer Anstiftung zur Kuppelei (BGHSt. 10 386; 15 377,382) ist neu zu überdenken (bei § 180); die entsprechende Rechtsprechung zur Zuhälterei (BGHSt. 19 107) ist überholt. Probleme können sich bei den Tatbeständen ergeben, die zum Schutz von Einzelinteressen durch generelle Verbote bestimmter Handlungen geschaffen wurden (§§ 184 Abs. 1 Nrn. 2 bis 9, Abs. 3, 184 a, b). Der einzelne Jugendliche, dem Pornographie überlassen wird (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 ), ist als vom Gesetz geschützte Person stets straflos, selbst wenn er über das notwendige Maß der Teilnahme hinaus handelt (vgl. Roxin LK vor § 26 Rdnr. 34, 38). Der Erwachsene ist in den Fällen, in denen die Überlassung von pornographischem Material an ihn mit Strafe bedroht ist (vgl. insbesondere § 184 Abs. 1 Nr. 3, 3 a, 4, 7, Abs. 3), als notwendiger Teilnehmer straflos, soweit er das zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche Mindestmaß nicht überschreitet (er also pornographisches Material abnimmt oder sich vorführen läßt, vgl. Roxin LK vor § 26 Rdn. 34, 37). Das ist noch gegeben, wenn die Initiative von ihm ausgeht, etwa durch eine Anfrage an den zum Überlassen von Pornographie bereiten Einzelhändler (§ 184 Abs. 1 Nr. 3) oder Versandhändler (§ 184 Abs. 1 Nr. 4), nicht aber mehr bei der Anstiftung zu Handlungen, die den Überlasser von Pornographie erst strafrechtlich verstricken, etwa wenn die Überlassung von Pornographie durch den Einzelhändler auf die Aufforderung des Abnehmers zurückzuführen ist, sich dieses Material zum Zwecke der Übergabe zu verschaffen. Die — das notwendige Maß der Beteiligung überschreitende — Teilnahme an Handlungen, die den geschützten Rechtskreis Dritter verletzen, ist stets (auch für den Jugendlichen) strafbar; deshalb ist die Anstiftung zu Taten im Sinne der §§ 184 a und b und auch für Taten nach § 184 Abs. 1 Nrn. 2, 5, 6, 8, 9 keine notwendige Teilnahme. II. Grundbegriffe 1. Der gesetzgeberisch erstrebte Verzicht auf den Begriff der Unzucht wurde damit 14 erkauft, daß das Gesetz eine Reihe von Fremdwörtern verwendet (sexuelle Handlung, Prostitution, exhibitionistische Handlung, pornographische Schriften). Der Bedeutungsinhalt dieser Begriffe weicht zum Teil von dem der im alten Recht verwendeten Tatbestandsmerkmale (unzüchtige Handlung, Gewerbsunzucht, unzüchtige Schriften) ab. Das gilt insbesondere für den Begriff „sexuelle Handlung". Ihm fehlen die subjektiven Kriterien, die zur Interpretation des Merkmals „unzüchtige Handlung" herangezogen wurden (vgl. die Kommentierung zu § 184 c); damit entfällt zwar einerseits die moralisierende Tendenz (Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975) S. 19), andererseits entfallen aber auch die Kriterien, die der Einschränkung der Strafbarkeit dienten. In den Tatbeständen, die das Tatbestandsmerkmal sexuelle Handlung verwenden, unterscheidet das Gesetz zwischen Handlungen, die mit Körperkontakt durchgeführt werden, und solchen, bei denen ein solcher Körperkontakt fehlt. Daß dies häufig, wie Schroeder (aaO) anmerkt, zu einem in den Bereich der Stilblüten reichenden Amtsdeutsch führt, ist angesichts der Präzisierung, die durch die umständliche Formulierung erreicht wird, nur ein Schönheitsfehler. 2. Die Vorschriften des Abschnittes sind grundsätzlich so gefaßt, daß Personen 15 männlichen wie weiblichen Geschlechts vor Tätern beiderlei Geschlechts geschützt sind. Von einer völligen strafrechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter hat der Gesetzgeber aber abgesehen. a) Die Nötigung einer Frau zum außerehelichen Beischlaf ist in § 177 gegenüber 16 der Nötigung (einer Frau oder eines Mannes) zu sonstigen sexuellen Handlungen mit 05)

Heinrich Laufhütte

Vor § 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

höherer Strafe bedroht. Entsprechendes gilt für § 179 Abs. 2, der den sexuellen Mißbrauch einer widerstandsunfähigen Frau zum außerehelichen Beischlaf in der Strafdrohung abhebt gegenüber den sonstigen Fällen des sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger. Diese Bewertung, die den Beischlaf (vgl. auch § 173 und § 176 Abs. 3 Nr. 1) als eine das weibliche Opfer besonders beeinträchtigende sexuelle Handlung ansieht, trifft zwar für den Regelfall zu; es darf aber nicht verkannt werden, daß es auch Fälle gibt, in denen das Opfer in besonderer Weise durch erniedrigende andere sexuelle Handlungen in noch größerem Maße geschädigt wird als durch einen erzwungenen Beischlaf (was im Strafausspruch berücksichtigt werden kann). 17

b) Täter einer exhibitionistischen Handlung (§ 183) kann nur ein Mann sein; der seltene Exhibitionismus der Frau wird nur in § 174 Abs. 2 Nr. 1 und § 176 Abs. 5 Nr. 1 (gegenüber Schutzbefohlenen und Kindern) berücksichtigt. Diese gesetzliche Regelung kann sich allerdings, was im Gesetzgebungsverfahren nicht erkannt worden ist, im Einzelfall als für eine Frau nachteilig herausstellen, wenn nämlich ihre exhibitionistische Tat nach § 183 a strafbar ist (siehe dort).

18

3. Bei den Tatbeständen, die — bei Täter oder Opfer — nicht auf jedermann, sondern auf Mann oder Frau abstellen, ist fraglich, wie Transsexuelle einzuordnen sind. Transsexualität ist nicht mit Homosexualität oder Transvestitismus zu verwechseln, sondern ein Problem der psychischen und physischen Geschlechtsidentität (Spengler NJW 1978 1192). Im Transsexuellengesetz (TSG) vom 19. September 1980 (BGBl. I S. 1654) weicht der Gesetzgeber vom — bisherigen — Prinzip der Unwandelbarkeit des Geschlechts ab und verweist hinsichtlich der Bestimmung des Geschlechts nicht mehr allein auf den körperlichen Befund (Sigusch NJW 1980 2740). Von dem Zeitpunkt an, in dem die gerichtliche Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit rechtsbeständig ist (§§ 8, 10 TSG), kommt es auf die Eintragung im Geburtenbuch (vgl. BGH NJW 1979 1287 für die Zeit vor Inkrafttreten des TSG) nicht an (zum früheren Rechtszustand Walter JZ 1972 263).

III. Mehrzahl von Handlungen 19

1. Das Problem der Einheit und Mehrheit von Handlungen ( Vogler LK10 vor § 52 Rdn. 7 ff) spielt bei der Anwendung der Vorschriften des Sexualstrafrechts eine nicht unerhebliche Rolle. Beim sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen verbleibt es — wie bei der Verbreitung pornographischer Schriften — in der Regel nicht bei nur einer tatbestandsmäßigen Handlung; die Fälle der Nötigung zu sexuellen Handlungen ziehen sich häufig über einen längeren Zeitraum hin. Die Förderung der Prostitution und die Zuhälterei sind regelmäßig auf Dauer angelegt. In Fällen dieser Art kann auf gesonderte strafrechtliche Wertung der einzelnen Akte dann nicht verzichtet werden, wenn sich die Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen richten. Bei den Vorschriften des 13. Abschnittes ist dies selbst dann der Fall, wenn die Zielrichtung des Schutzes nicht die sexuelle Selbstbestimmung im engeren Sinne ist (vielmehr Jugendschutz und Schutz des einzelnen vor sexueller Belästigung). Auszunehmen sind lediglich die §§ 184 a und 184 b mit ihren generalisierenden, abstrakten Gefahren vorbeugenden Regelungen, die zwar nicht Rechtsgüter der Allgemeinheit schützen, aber auch nicht höchstpersönliche Rechtsgüter betroffener einzelner. Bei Handlungen im Sinne dieser Vorschriften liegt nur eine Tatbestandsverwirklichung vor, auch wenn verschiedene Personen betroffen sind (entsprechendes gilt zum Teil bei § 184, siehe dort). Wird durch ein und dieselbe Stand: 1. 8. 1994

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Vorbemerkungen

Vor § 174

Handlung in die höchstpersönlichen Rechtsgüter mehrerer Personen eingegriffen, so wenn mehrere Personen von einer Handlung im Sinne des § 183 a Kenntnis nehmen (aA BGHSt. 4 303, 304 zu § 183 StGB a. F.) oder wenn mehrere Kinder aufgrund derselben Willensbetätigung sexuell mißbraucht werden (BGHSt. 1 21 ; BGH Beschluß vom 27. August 1982 — 3 StR 266/82), so liegt Idealkonkurrenz vor. Das galt nach der bisherigen Rechtsprechung auch dann, wenn mehrere fortgesetzte Handlungen nur in einem Teilakt zusammentrafen 1 7 . In solchen Fällen steht der Annahme der Tateinheit nicht entgegen, daß höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt sind 18 . Das gilt auch dann, wenn bei einer von zwei Tatbestandsverwirklichungen der Qualifikationsgrund des § 176 Abs. 3 gegeben ist (BGH Beschluß vom 23. Juli 1980 - 2 StR 360/80). 2. Ein besonderes Problem stellt die Frage dar, ob verschiedene Handlungen, die 20 sich gegen eine Person richten, zu einer Tat im Rechtssinne verbunden sein können: a) Die Förderung der Prostitution in Fällen des § 180 a Abs. 1 und 2 (BGH Urteil vom 20. Mai 1981 - 2 StR 784/80, insoweit in NJW 1981 2071 nicht abgedruckt) sowie Zuhälterei (§ 181a) sind — soweit sie sich gegen eine Person richten — Dauerdelikte (BGH St. 39 390 = M D R 1994 289; BGH, Beschl. vom 23. November 1993 5 StR 595/93), wenn der Täter den strafrechtlich relevanten rechtswidrigen Zustand aufrechterhält und ununterbrochen weiterverwirklicht (§ 180 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1) oder wenn er den Tatbestand durch immer neue Akte — insoweit vergleichbar mit der Verwirklichung des Dauerdelikts gemäß § 129 durch immer neue Akte mitgliedschaftlicher Beteiligung (BGHSt. 29 288, 291, 294) - erfüllt (in § 180 a Abs. 2 Nr. 2 durch Anhalten und Ausbeuten, in § 181a durch die Maßnahmen des Ausbeutens und Dirigierens). Das Dauerdelikt endet mit der Beendigung des rechtswidrigen Zustandes ( Vogler LK10 vor § 52 Rdn. 18) oder dem letzten den Tatbestand erfüllenden Akt (BGH NStZ 1990 80, 81). Es ist verfahrensrechtlich als eine Einheit zu betrachten, das mit der Aburteilung eines Teilstücks abgeurteilt ist 19 . b) Die genannten Tatbestände sind indes mehrfach verwirklicht, wenn sie sich ge- 21 gen mehrere Personen richten (BGH Beschluß vom 15. Oktober 1977 — 2 StR 192/77: Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter; BGHR StGB § 181a Abs. 1 Nr. 2 Konkurrenzen 1). Idealkonkurrenz ist bei einem Zusammentreffen eines Aktes mit einem anderen gegeben 20 . Andere Taten, die in Idealkonkurrenz mit den genannten Strafvorschriften verwirklicht werden, stehen in Realkonkurrenz zueinander, wenn sie schwerer als diese sind (BGH NStE § 177 Nr. 12) oder teils schwerer und gleich schwer (BGHSt. 29 288, 291 f; 36 151 ; 39 390) 21 . Ist eine der mit den DauerBGH NStZ 1991 81, 82; B G H R StGB § 52 Abs. 1 Rechtsgüter, höchstpersönliche 1; § 176 Abs. 1 Konkurrenzen 1 ; BGH Beschluß vom 6. Juli 1984 — 3 StR 239/84. Vgl. auch die Nachweise bei § 176 Rdn. 31. BGHSt. 6 81; BGH Urteil vom 28. November 1984 - 2 StR 301/84 - ; Beschlüsse vom 8. Juli 1982 - 4 StR 342/82 - , vom 4. Oktober 1983 4 StR 557/83 — und vom 21. September 1984 — 3 StR 3 9 9 / 8 4 - , KK-Hürxthal § 264 Rdn. 19, 20. Rdn. 20; BGH bei Holtz M D R 1982 624; NStZ 1989 67, 68; 1990 80, 81; B G H Beschluß vom 9. August 1985 - 3 StR 301 / 8 5 - . AA BGHSt. 31 29, 31 zur letztgenannten Fallgruppe, allerdings mit einem unrichtigen Hinweis (17)

auf BGHSt. 6 92; dort wird lediglich die verfahrensrechtliche Lösung von BGHSt. 3 165 aufgegeben, nicht die sachlichrechtliche Bewertung, nach der mehrere an sich selbständige strafbare Handlungen nicht durch eine tateinheitlich begangene fortgesetzte Tat zu einer Einheit zusammengefaßt werden können, wenn eine der an sich selbständigen Taten schwerer, die andere hingegen gleichschwer ist. Das Urteil des 2. Strafsenates des BGH vom 18. Juli 1984 - BGHSt. 33 4 - (Vergehen verbindet zwei Verbrechen zur Tateinheit) ist ersichtlich auf die Tatbestände des BtMG (Verhältnis von § 29 zu § 30 BtMG) zugeschnitten und auf andere Fallgestaltungen nicht übertragbar. Nach BGH NStE § 177 Nr. 16 werden § 177 und § 223 a durch § 239 zur Tateinheit verbunden.

Heinrich Laufhütte

Vor § 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Straftaten ideal konkurrierenden Taten schwerer als diese, die andere hingegen minderschwer, so liegt nur eine Tat vor 22 . Problematisch ist, ob mit der rechtskräftigen Aburteilung eines Dauerdelikts Strafklageverbrauch (§ 264 StPO) auch hinsichtlich der Delikte eintritt, die mit ihm in Tateinheit stehen, ζ. B., wenn eine der Maßnahmen des Zuhälters, welche die Prostituierte davon abhalten soll, die Prostitutionsausübung aufzugeben, sich nach Aburteilung der Zuhälterei als versuchter Mord darstellt 23 . In Fällen dieser Art dürften die Grundsätze anzuwenden sein, die der Bundesgerichtshof zu der insoweit vergleichbaren Frage des Strafklageverbrauchs bei Straftaten entwickelt hat 24 , die der Täter in Verfolgung der Ziele einer kriminellen Vereinigung begangen hat, wenn er wegen Beteiligung als Mitglied an der Vereinigung bereits rechtskräftig verurteilt ist 25 . In dem genannten Beispielsfall darf deshalb der versuchte Mord als gegenüber § 181a schwerere Straftat — etwas anderes gilt für in Idealkonkurrenz mit § 181 a stehende gleichschwere Straftaten (BGHSt. 29 288, 295) — trotz Rechtskraft der Verurteilung nach § 181 a noch abgeurteilt werden, wenn die in Frage kommende Handlung des Zuhälters tatsächlich nicht — auch nicht unter dem Gesichtspunkt der von ihm nach § 181 a getroffenen Maßnahmen — Gegenstand von Anklage und Urteilsfindung in dem früheren Verfahren war (BGHSt. 29 288, 295, 296). Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt. 29 288 zwar auf die besondere Struktur des § 129 StGB verwiesen. Die in Frage stehenden Tatbestände sind jedoch in ihrer Ausgestaltung dem § 129 StGB vergleichbar. Auch sie können wie § 129 über längere Zeiträume durch eine Anzahl von Handlungen erfüllt werden (BGHSt. 39 390; Zusammenfassung bei BGH, Beschluß vom 23. November 1993 — 5 StR 595/93 — mit Hinweisen auf vergleichbare Fälle, insbesondere BGHSt. 36 151). 22

c) Nach früherer Auffassung wurde angenommen, daß einzelne Sexualtaten, die sich gegen ein- und dieselbe Person richteten, bei Gleichartigkeit im Tathergang und bei Vorliegen eines Gesamtvorsatzes zu einer — fortgesetzten — Tat zusammengefaßt waren. Die Fragen, wann und unter welchen Voraussetzungen Fortsetzungszusammenhang zu bejahen war und welche Mindestfeststellungen zu treffen waren, waren stets strittig (vgl. die Vorauflage vor § 174 Rdn. 23). Die Rechtsprechung war in den letzten Jahren uneinheitlich. Tendenzen, die fortgesetzte Handlung zurückzudrängen, standen Bestrebungen entgegen, das Institut der fortgesetzten Handlung auch im Sexualstrafrecht aufrechtzuerhalten und durch objektive Kriterien (Vorliegen eines Beziehungsgeflechts) stärker als bisher zu strukturieren (Zusammenfassung in dem Beschluß des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 23. November 1993 — 5 StR 595/93 —). Der Große Senat für Strafsachen hat die Auseinandersetzungen durch Beschluß vom 3. Mai 1994 - GSSt. 2 und 3/93 —, M D R 1994 700, zum Abdruck in BGHSt. vorgesehen, beendet und entschieden, daß die Verbindung mehrerer Verhaltensweisen, die jede für sich einen Straftatbestand erfüllen, voraussetzt, daß dies zur sachgerechten Erfassung des zugrundeliegenden Sachverhalts unumgänglich ist; dies sei jedenfalls für die (u. a.) §§ 174, 176 (Vorschriften, die aus dem 22

23

B G H bei Daliinger M D R 1973 556; B G H bei Holtz M D R 1982 102; B G H Urteil vom 16. Feb r u a r 1993 - 5 StR 6 7 3 / 9 2 - ; B G H Beschluß vom 19. August 1982 - 3 StR 125/82 (S). Zu dieser Problematik vgl. n u n m e h r BGHSt. 36 151 : d a n a c h v e r b r a u c h t die rechtskräftige Verurteilung wegen u n e r l a u b t e n Führens u n d Besitzes einer W a f f e nicht die Strafklage wegen eines mit dieser W a f f e d u r c h g e f ü h r t e n Verbrechens.

24

25

Vgl. aber B G H StV 1983 457: d a n a c h verbraucht die Verurteilung wegen F a h r e n s o h n e Fahrerlaubnis die Strafklage wegen schwererer in Tateinheit damit stehender Taten. B G H S t . 29 288; dazu B V e r f G E 55 221; B G H M D R 1994 289; a b l e h n e n d Grünwald StV 1981 326.

Stand: 1. 8. 1994

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Vorbemerkungen

Vor § 174

13. Abschnitt des StGB Gegenstand der Vorlage an den Großen Senat waren, daneben nennt der Große Senat aus anderen Abschnitten des StGB die §§ 173, 263) nicht der Fall. Den Gründen der Entscheidung ist zu entnehmen, daß auch bei den sonstigen Sexualstraftaten nicht mehr anzunehmen ist, daß sie als fortgesetzte Handlung zu einer Tat verbunden sein können. Jedenfalls im Sexualstrafrecht ist deshalb vom Wegfall des Instituts der fortgesetzten Handlung auszugehen. Eine Verbindung von mehreren Akten zu einer Tat kommt deshalb im Sexualstrafrecht nur dann in Frage, wenn dies in der Struktur der Tatbestände angelegt ist (vgl. Rdn. 20) oder wenn die Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit vorliegen; die vom Großen Senat angesprochene Frage der Verbindung von Akten zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit stellt sich bei den Sexualstraftaten nicht. Eine natürliche Handlungseinheit kommt insbesondere bei längerdauernden Nötigungen zu mehreren sexuellen Handlungen (BGH Urteil vom 23. September 1980 - 4 StR 473/80 - , Beschlüsse vom 31. Mai 1990 - 3 StR 180/90 - und vom 23. November 1993 - 1 StR 739/93 —) in Frage, beispielsweise, wenn durch Gewalt zum Beischlaf.und — später oder vorher — zu sexuellen Handlungen, eventuell (wie in der dem Beschluß des BGH vom 12. November 1982 — 3 StR401/82 — zugrundeliegenden Sache) auch zur Duldung oder Wegnahme von Sachen genötigt wird. Der unmittelbare zeitliche und örtliche Zusammenhang aufeinanderfolgender Handlungen allein verbindet diese noch nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit (BGH NJW 1984 1568). Handlungen, die sich nacheinander gegen verschiedene Personen richten, lassen sich unter keinen Umständen rechtlich zu einer Einheit verbinden (BGHSt. 16 397; Maiwald NJW 1978 300). Bei Angriffen auf ein und dieselbe Person verlangt die Rechtsprechung die Verbindung durch ein subjektives Element. Zum Teil stellt sie auf einen einheitlichen Willensentschluß ab (vgl. insbesondere BGH NJW 1977 2321), der nach BGH NJW 1984 1568 während eines Tatgeschehens erweitert werden kann; andere Entscheidungen verlangen einen einheitlichen Handlungswillen (BGH NJW 1967 60) — der auf wiederholte Verwirklichung gleichartiger Delikte gerichtet sein muß (BGH NJW 1984 1568) — oder die Verfolgung eines einheitlichen Zieles (BGHSt. 4 219). Im Sexualstrafrecht sind Fallgestaltungen mit allen der genannten subjektiven Elemente denkbar. Das Vorliegen jedes der Elemente reicht — beim Vorliegen der objektiven Voraussetzungen — aus, um eine natürliche Handlungseinheit zu begründen. Die Aburteilung von Einzelakten, die — was künftig regelmäßig der Fall sein wird — nicht zu einer Tat verbunden sind, wird häufig nicht leicht sein, weil ihre genaue Einordnung und Konkretisierung wegen Zeitablaufs und Erinnerungsverlustes des Opfers (regelmäßig des einzigen Tatzeugen) schwierig oder unmöglich ist. Schon die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes durch Anklage und Eröffnungsbeschluß wirft Probleme auf: etwa bei einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegen Kinder, die häufig erst nach Jahren aufgedeckt werden, wird eine Individualisierung der einzelnen Akte nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf häufig nicht möglich sein. In diesem Falle darf die mangelnde Individualisierbarkeit der einzelnen Akte nach genauer Tatzeit und genauem Geschehensablauf einer Anklage nicht entgegenstehen, weil sonst unerträgliche Lücken in der Strafverfolgung auftreten würden. Das Gesamtgeschehen wird in solchen Fällen durch Mitteilung des Tatortes und der Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, vor allem aber durch Bestimmung des Tatzeitraumes (wobei ausreichend ist, die Zeitabschnitte anzugeben: etwa einmal im Monat), ausreichend abgegrenzt werden können. Unabdingbar ist dabei, daß die Zahl der vorgeworfenen Taten mitgeteilt wird; es muß aber genügen, daß die Anklageschrift die Höchstzahl der Taten enthält, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, weil nur so gewährleistet ist, daß der Richter zu einer umfassenden Aufklärung (19)

Heinrich Laufhütte

Vor

§

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

des durch die Art und Weise der Tatbegehung, die Person des Opfers und den Tatzeitraum charakterisierten Gesamtgeschehens in der Lage ist (BGHSt. 40 44 = StV 1994 226). Der Tatrichter, der einen in dieser Weise charakterisierten Anklagegegenstand zu beurteilen hat, wird die Taten, die er der Verurteilung zugrunde legt, nach Tatzeitraum (etwa einmal in bestimmten Zeiträumen) und Art und Weise der Tatbegehung festzustellen haben (bei Verschiedenartigkeit der sexuellen Übergriffe dadurch, daß er bestimmte Verhaltensweisen den in bestimmten Zeiträumen begangenen Taten zuordnet). Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zu Übergangsfällen entwickelt hat (Fußnote 26, dort insbesondere Ziffer 1 Buchst, a) sind auch hier anwendbar. Überschreitet die Zahl der von ihm festgestellten Taten die in der Anklageschrift genannte, so wird er die überschießenden Taten mangels Anklage einzustellen haben. Bei Unterschreitung der Zahl verurteilt er wegen der festgestellten Taten und spricht im übrigen frei (BGH aaO). Ein Auseinanderklaffen von Tatmodalitäten zwischen Anklage und Feststellungen, die den geschichtlichen Vorgang, der Gegenstand der Anklage ist, nicht in Frage stellen, macht die Anklage nicht unwirksam. Solche Fehler können in der Hauptverhandlung durch Hinweise nach § 265 StPO geheilt werden (BGH aaO) 26 . 26

Mit dem Beschluß des Großen Senats sind zahlreiche vor dieser Entscheidung ergangene Urteile nicht vereinbar. Für die Zeit des Übergangs gilt revisionsrechtlich folgendes: 1. Das fehlerhafte Zugrundelegen eines Gesamtvorsatzes beschwert den Angeklagten im Schuldspruch häufig nicht. Zu achten ist aber auf die Wirksamkeit der der Verurteilung zugrundeliegenden Anklage (dazu BGH MDR 1994, 399 sowie Beschl. vom 11. Mai 1994 — 2 StR 171 /94 — ; Beschl. vom 16. Mai 1994 - 3 StR 171/93 - ; Beschl. vom 18. Mai 1994 — 5 StR 249/94 — sowie Beschl. vom 22. Juni 1994 — 3 StR 457/93 —) und darauf, ob Einzelakte der fortgesetzten Handlung bei Annahme rechtlich selbständiger Taten verjährt wären (so im Fall BGH Beschl. vom 13. Juni 1994 — 4 StR 273/94 —, wo das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben werden mußte, weil den Feststellungen nicht sicher zu entnehmen war, welche Einzelakte der Verjährungunterlagen). a) Der Schuldspruch kann aufrechterhalten werden, sofern den Feststellungen genügend hinreichend individualisierte Einzelakte zu entnehmen sind und eine etwaige Reduzierung des Schuldumfangs bei der Umstellung auf tatmehrheitlich zusammentreffende Taten für die Rechtsfolgen unbeachtlich bliebe, weil wegen der Anzahl (BGH Beschl. vom 10. Mai 1994 - 5 StR 239/94 —) oder wegen des Gewichts (BGH Beschl. vom 18. Mai 1 9 9 4 - 5 StR 249/94 - ) der konkret festgestellten Einzeltaten auszuschließen ist, daß der Angeklagte bei Annahme von Tatmehrheit zu geringerer Strafe verurteilt worden wäre. Dabei dürfen bei einer etwa erst nach Jahren aufgedeckten Vielzahl sexueller Übergriffe auf ein allein als Beweismittel zur Verfügung stehendes Kind zur Vermeidung gewichtiger Strafverfolgungslücken an

die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Eine Überzeugungsbildung des Tatrichters, die, von dem Gesamtbild des Geschehensablaufs ausgehend, in einem festliegenden Zeitraum eine Mindestzahl der nicht notwendig durch individuelle Merkmale voneinander unterscheidbaren Einzeltaten feststellt, ist methodisch nicht grundsätzlich verfehlt; sie ist hinzunehmen, wenn sie zur sicheren Überzeugung des Tatrichters von der Begehung (mindestens) aller dieser Taten führt (BGH Beschl. vom 10. Mai 1994 — 5 StR 239/94 - ; Beschl. vom 15. Juni 1994 - 4 StR 221/94 - und Beschl. vom 5. Juli 1994 - 5 StR 342/94 - ; vgl. aber auch BGH NStZ 1994, 352; BGH StV 1994, 370 f. sowie BGH Beschl. vom 16. Mai 1 9 9 4 - 3 StR 39/94 - ; vgl. auch Zschokkelt DRiZ 1994 250). Unbedingt erforderlich bleiben aber bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung oder wegen sexueller Nötigung hinreichende Feststellungen, daß der Angeklagte jeweils ein gemäß §§ 177, 178 StGB qualifiziertes Nötigungsmittel eingesetzt hat (BGH Beschl. vom 5. Juli 1 9 9 4 - 5 StR 342/94 - ; Urt. vom 29. Juni 1994 — 2 StR 250/94 —). Nur in seltenen Ausnahmefällen kann die Beschwer auch bei unzureichenden tatsächlichen Feststellungen fehlen; etwa wenn ein glaubhaftes Geständnis des Angeklagten vorliegt und keine Zweifel am Umfang der Rechtskraft auftauchen (BGH Beschl. vom 18. Mai 1994 - 5 StR 176/94 - sowie Beschl. vom 6. Juni 1 9 9 4 - 5 StR 267/94 - ) . b) Ungeachtet der im übrigen mangels Beschwer möglichen Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen einer fortgesetzten Handlung ist — unter Aufgabe der Grundsätze vonBGHSt 19, 280/285 für diese Fallgestaltung den Grundsätzen von BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 4 folgend

Stand: 1. 8. 1994

(20)

Vorbemerkungen

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IV. Internationale Abkommen. Die Bundesrepublik Deutschland ist den Überein- 23 kommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4. Mai 1910 (RGBl. II 1913 31 ; 1928 314; BGBl. II 1972 1074, 1482; 1973 1679) und der Internationalen Übereinkunft zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921 (RGBl. II 1924 181, 202; BGBl. II 1972 1074, 1489) beigetreten. Das Abkommen zur Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen vom 12. September 1923 (RGBl. II 1925 288) ist gekündigt und mit Ablauf des 25. Januar 1975 außer Kraft getreten (Bekanntmachung über das Außerkrafttreten vom 22. Mai 1974 — BGBl. II 912). Da das Übereinkommen, solange es für die Bundesrepublik Deutschland bindend war, der geltenden Fassung des § 184 entgegenstand, galt 14 Monate nach Verkündung des 4. StrRG (das Gesetz ist am 27. November 1973 verkündet worden) eine Übergangsfassung (Art. 12 Abs. 3) mit einem totalen Verbreitungsverbot für Pornographie. Der Gesetzgeber hat sich bemüht, die Schutzgedanken weiterer Abkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland nicht beigetreten ist — Internationale Übereinkunft zur Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11. Oktober 1933, Konvention der Vereinten Nationen zur Unterdrückung des Menschenhandels und der Ausbeutung der Prostitution anderer vom 2. Dezember 1949/21. März 1950 — , zu berücksichtigen, soweit nicht vordringliche kriminalpolitische Gesichtspunkte (wie bei dem in der Konvention der Vereinten Nationen geforderten Verbot der Wohnungsgewährung an Prostituierte) entgegenstanden (BTDrucks. VI/1552 S. 25). V. Recht des Einigungsvertrages. Mit dem Beitritt der Länder der DDR ist gemäß 24 Art. 8 des Einigungsvertrages vom 31. 8. 1990 (BGBl. II 889) i.d. F. des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II 885) am 3. 10. 1990 in dem Gebiet der ehemaligen DDR grundsätzlich Bundesrecht in Kraft getreten, soweit nicht in Anlage I des Einigungsvertrages etwas Abweichendes bestimmt ist. Im Bereich des — ein Teilfreispruch geboten, wenn Anklage u n d E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß von einer größeren Zahl von Einzelakten ausgegangen sind, als sie d e m Urteil zugrundeliegen (etwa B G H Beschl. vom 10. Mai 1994 — 5 StR 2 3 9 / 9 4 —). D e n n (nur) soweit ein Freispruch im übrigen unterblieben ist, wird der Angeklagte durch die f e h l e r h a f t e A n n a h m e einer fortgesetzten H a n d l u n g beschwert. 2. Erscheint d e r Schuldumfang bei Aufgliederung des G e s c h e h e n s in materiellrechtlich selbständige Taten in einer nicht zu vernachlässigenden G r ö ß e n o r d n u n g reduziert, k a n n d e r Schuldspruch nicht bestehenbleiben. a) In diesen Fällen k o m m t , sofern das Revisionsgericht von einer neuen H a u p t v e r h a n d l u n g ausreichend k o n k r e t e zusätzliche Feststellungen erwartet, die vollständige A u f h e b u n g der angefochtenen Entscheidung in Betracht ( B G H Beschl. vom 10. Juni 1994 - 3 StR 3 6 1 / 9 2 - ) . Dieser Lösung wird indes oft das namentlich bei Sexualdelikten ü b e r r a g e n d wichtige Interesse des O p f e r schutzes widerstreiten ( B G H Beschl. vom 25. Jan u a r 1994 - 5 StR 6 7 8 / 9 3 — ; Beschl. vom 18. Mai 1994 - 5 StR 2 5 2 / 9 4 - ) . Unter Berücksichtigung der hohen Belastung der O p f e r derartiger Straftaten durch Zeugenaussagen k a n n eine neue H a u p t v e r h a n d l u n g mit dem Ziel der Feststellung einer höheren Mindestzahl von Einzel(21)

fällen nicht v e r a n t w o r t b a r sein, so d a ß eine Umstellung des Schuldspruchs auf die aus dem Urteil feststellbaren, bestimmten tatmehrheitlich zus a m m e n t r e f f e n d e n Einzeltaten (unter Freisprec h u n g im übrigen) vorzugswürdig erscheint, auch wenn dieser geänderte S c h u l d s p r u c h hinsichtlich d e r T a t f r e q u e n z hinter dem a n g e f o c h t e n e n Urteil erheblich zurückbleibt ( B G H Beschl. vom 5. Juli 1 9 9 4 - 5 StR 3 4 2 / 9 4 - ) . b) N a c h d e r in diesen Fällen des beträchtlich reduzierten S c h u l d u m f a n g s u n u m g ä n g l i c h e n Aufh e b u n g des Urteils im Rechtsfolgenausspruch hat d e r neue Tatrichter auf der Basis des geänderten S c h u l d s p r u c h s Einzelstrafen u n d eine G e s a m t strafe zu bilden. Dabei ist zu beachten, d a ß die A n w e n d u n g d e r §§ 53, 54 S t G B nicht zur Erhöh u n g des allgemeinen Strafniveaus, insbesondere im Hinblick auf die tatsächliche H ö h e der Freiheitsstrafen, zu f ü h r e n b r a u c h t ( B G H G r o ß e r Senat für Strafsachen N J W 1994, 1663, 1668; B G H StV 1994, 370 f. u n d Beschl. vom 5. Juli 1994 - 5 StR 3 4 2 / 9 4 —). Allerdings darf bei einer Vielzahl gleichartiger Serientaten die H ä u f u n g von Straftaten auch bei der Bildung der jeweiligen Einzelstrafe berücksichtigt werden ( B G H Beschl. vom 6. Juni 1994 — 5 StR 2 2 9 / 9 4 — sowie Beschlüsse vom 20. Juni 1994 - 5 StR 3 0 4 / 9 4 - u n d - 5 StR 3 0 6 / 9 4 - ) .

Heinrich Laufhütte

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Sexualstrafrechts waren die §§ 175 u n d 182 vom Inkrafttreten a u s g e n o m m e n (Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 1 a). Anstelle dieser Vorschriften galt § 149 S t G B - D D R fort (Anlage II Β Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 1). Vgl. im einzelnen die A u s f ü h r u n g e n bei § 182 R d n . 9. Diese unterschiedliche Rechtslage in Deutschland ist durch das 29. S t R Ä n d G vom 31. Mai 1994 beseitigt worden. Seit dem 1. Juni 1994 gilt im gesamten Bundesgebiet der neugefaßte § 182. H a b e n T a t h a n d l u n g e n — a u s g e n o m m e n solche nach §§ 175 u n d 182 — im Beitrittsgebiet vor dem Inkrafttreten des Beitritts stattgefunden, richtet sich die Strafbarkeit g e m ä ß Art. 315 Abs. 1 Satz 1 E G S t G B i. d. F. des Einigungsvertrages (Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1 Buchstabe b) nach § 2 StGB. Auf „Alttat e n " ist grundsätzlich das zur Tatzeit geltende Recht der D D R a n z u w e n d e n (§ 2 Abs. 1), es sei denn, das Recht der Bundesrepublik ließe eine mildere Beurteilung zu (§ 2 Abs. 3). A u s g e n o m m e n von dieser Regelung sind die Fälle, f ü r die das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland schon vor Wirksamwerden des Einigungsvertrages gegolten hat, etwa nach § 6 StGB (Art. 315 Abs. 4 EGStGB). N a c h dem Urteil des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. August 1993 — BGHSt. 39 317 = N J W 1994 140 — soll das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland auch f ü r diejenigen Bürger der D D R schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten haben, die nach der Tat, aber vor dem Beitritt ins Bundesgebiet übergesiedelt sind (§ 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative). Gegen die Geltung des § 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative habe ich mich an anderer Stelle wegen der nicht gerechtfertigten Schlechterstellung derjenigen ausgesprochen, die vor dem Beitritt übergesiedelt sind (siehe vor § 80 R d n . 37). Die Frage k a n n j e d o c h praktisch dahingestellt bleiben, weil auch nach der Entscheid u n g des 4. Strafsenats eine Schlechterstellung dieser Neubürger letztlich auszuschließen ist: d a n a c h hat der Richter bei der Strafzumessung auf Art u n d M a ß des Tatortrechts Rücksicht zu nehmen. Es bestehe bei der „stellvertretenden" Strafrechtspflege nach § 7 StGB in der Regel keine Veranlassung, den Täter härter zu bestrafen, als es das Tatortrecht vorsehe. Die Beurteilung der Verjährung richtet sich dagegen nicht nach dem f ü r den Angeklagten günstigsten Gesetz. Soweit die Strafverfolgungsverjährung nach dem Recht der D D R bis zum Wirksamwerden des Beitritts nicht eingetreten war, bleibt es dabei Art. 315 a Abs. 1 S. 1 E G S t G B in der Fassung des Einigungsvertrages, Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1 c). Auch bei DDR-Alttaten, die nach dem StGB und nach dem S t G B - D D R strafbar waren, etwa wegen Eintritt des Erfolges auf dem Gebiet der Bundesrepublik, k a n n der noch unverjährte D D R - S t r a f a n s p r u c h auch d a n n verfolgt werden, wenn der originäre Strafverfolgungsanspruch der Bundesrepublik nach den Vorschriften des StGB bereits vor dem Beitritt der D D R verjährt war ( B G H Urteile vom 18. J a n u a r 1994 — 1 StR 7 4 0 / 9 3 — u n d vom 19. April 1994 — 5 StR 2 0 4 / 9 3 —, zur Veröffentlichung in BGHSt. vorgesehen). Die Verjährung nach dem Recht der Bundesrepublik schließt nicht aus, die Strafe dem StGB zu entnehmen, wenn dessen S t r a f d r o h u n g e n milder sind 2 7 .

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Z u m Problem der R e c h t s a n w e n d u n g bei fortgesetzten H a n d l u n g e n hatte sich eine diffizile R e c h t s p r e c h u n g entwickelt. Hatten Teilakte auch n a c h d e m Beitritt s t a t t g e f u n d e n , richtete sich die Strafbarkeit f ü r die Tat nach d e m S t G B (§ 2 Abs. 1). Bei der Strafzumessung war aber zu bed e n k e n , wenn die vor d e m 3. 10. 1990 b e g a n g e n e n Teilakte nach d e m Recht der D D R u n t e r einer milderen S t r a f d r o h u n g gestanden hatten ( B G H R

S t G B § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 26). Rechtlich möglich war a u c h das tateinheitliche Z u s a m m e n treffen von Teilakten einer nach dem StGB strafb a r e n fortgesetzten H a n d l u n g mit T a t e n , die nach d e m Recht der D D R s t r a f b a r waren, beispielsweise der sexuelle M i ß b r a u c h von Jugendlichen n a c h D D R - R e c h t mit einer fortgesetzten Tat n a c h § 173 ( B G H R S t G B § 2 Abs. 3 D D R - S t G B 7).

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen

§174

§ 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder 3. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten leiblichen oder angenommenen Kind vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder 2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 in Verbindung mit Absatz 1 Nr. 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist.

Schrifttum 1. Zum früheren Recht Franzheim Zur strafrechtlichen Relevanz von Individual- und Sozialethik, GA 1962 129; Flilner Das sexuell gefährdete und geschädigte Kind (Tagungsbericht), DRiZ 1965 267; Häberle Exzessive Glaubenswerbung in Sonderstatusverhältnissen, JuS 1969 265; Koeniger Der Mißbrauch abhängiger Personen, NJW 1957 161, 481; Lempp Seelische Schädigung von Kindern als Opfer von gewaltlosen Sittlichkeitsdelikten, NJW 1968 2265; Seibel Vorgetäuschter Betreuungswille und § 174 Nr. 1 StGB, GA 1958 364; Schumann Probleme des Sittenstrafrechts, NJW 1964 1158; Weiß Die Kinderschändung (1963); Theede Unzucht mit Abhängigen (1967).

2. Zum 4. StrRG Herzberg Grundfälle von Täterschaft und Teilnahme, JuS 1975 792; Jung/Kunz Das Absehen von Strafe nach § 174 IV StGB, NStZ 1982 409; Kilias Jugend- und Sexualstrafrecht (1979); Körner Sexualkriminalität im Alter (1977); Münder Sexualstrafrecht bei Fremderziehung und Fremdbetreuung, ZfJ 1986 353; Wegener Körperkontakte mit Kindern und Jugendlichen als pädagogisch-therapeutische Methode, MschrKrim. 1978 203; vgl. außerdem die Schrifttumsangaben vor § 174 und bei § 176. (23)

Heinrich Laufhütte

§ 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Entstehungsgeschichte § 174 hat § 174 Nr. 1 a. F. abgelöst, der denjenigen mit Freiheitsstrafe bedrohte, der „einen seiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht und Betreuung anvertrauten Menschen unter einundzwanzig Jahren" „zur Unzucht mißbraucht". § 174 Nr. 1 StGB a. F. geht auf das preußische ALR, das unter anderem in den §§ 1028 bis 1037 einen Schutz bei institutioneller Abhängigkeit vorsah, und auf das preußische StGB von 1851 (§ 142 Nr. 1) zurück (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 20 Rdn. 3); die Vorschrift hat ihre endgültige Fassung durch die Verordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. I 339) erhalten (vgl. Koeniger NJW 1957 161), die stärker als das frühere Recht, das noch darauf abgestellt war, bestimmte Autoritätsverhältnisse von sexuellen Einflüssen freizuhalten, den Schutz des Abhängigen vor sexuellen Belästigungen betonte (vgl. Laufhütte in Prot., 6. Wahlperiode S. 1315). Das 4. StrRG hat diese Zielrichtung verdeutlicht, es hat die Schutzaltersgrenze auf 16, beim Vorliegen besonderer Abhängigkeit auf 18 Jahre gesenkt, den Tatbestand im übrigen bei Präzisierung der in Frage kommenden Abhängigkeitsverhältnisse und der Tathandlungen völlig neu gefaßt (vgl. auch die Anmerkungen bei § 176 — Entstehungsgeschichte —). § 174 Abs. 1 Nr. 3 ist durch Art. 6 Nr. 4 des Adoptionsgesetzes vom 2. Juli 1976 (BGBl. I 1749) redaktionell geändert worden.

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. H a n d l u n g e n mit u n d o h n e K ö r p e r k o n takt 1. Sexuelle H a n d l u n g e n , die der T ä t e r am Schutzbefohlenen vornimmt oder die er von diesem an sich vorn e h m e n l ä ß t ( A b s a t z 1) 2. Sexuelle H a n d l u n g e n o h n e K ö r p e r k o n t a k t zwischen Täter u n d O p f e r (Absatz 2) a) Sexuelle H a n d l u n g e n vor dem Schutzbefohlenen (Absatz 2 Nr. 1) b) Bestimmen des Schutzbefohlenen, sexuelle H a n d l u n g e n vor dem Täter v o r z u n e h m e n (Absatz 2 Nr. 2) III. M i ß b r a u c h des Schutzbefohlenen

1

Rdn. 1 2

2

3

3

4

IV. V. VI. VII. VIII. IX.

1. Schutzbereich des Absatzes 1 Nr. 1 . a) Erziehung b) A u s b i l d u n g c) Betreuung in der L e b e n s f ü h r u n g d) Anvertrautsein e) T a t b e s t a n d s m ä ß i g e s H a n d e l n . . 2. Schutzbereich des Absatzes 1 Nr. 2 . a) U n t e r o r d n u n g im R a h m e n eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses b) M i ß b r a u c h der Autoritätsstellung 3. Schutzbereich des Absatzes 1 Nr. 3 . Subjektiver T a t b e s t a n d Täter und Teilnehmer Der Versuch (Absatz 3) Die Strafe Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 6 7 8 9 12 13 14 15 16 17 18 20 21 22 23 24

I. Geschütztes Rechtsgut. Die Vorschrift schützt die sexuelle Selbstbestimmung junger Menschen (vor § 174 Rdn. 5), die als noch nicht gereifte, gefestigte Persönlichkeiten den sexuellen Übergriffen von Autoritätspersonen nicht den Widerstand entgegenbringen können, den ausgereifte Personen zu leisten in der Lage sind. Der Einwand, dies beruhe auf einer Hypothese, die sich der Verwertung für den konkreten Einzelfall widersetze (Horn SK Rdn. 1), führt nicht zu der Annahme, die Vorschrift schütze in Wahrheit eine bestimmte Sexualverfassung (Dreher/Tröndle vor § 174 Rdn. 3; zustimmend Horn SK Rdn. 1; s. aber auch Dreher/Tröndle Rdn. la). Die nicht widerlegte Annahme begrenzter Abwehrfähigkeit junger Menschen beim Mißbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen (Abs. 1 Nr. 2) oder von besonders engen familienrechtlichen Beziehungen (Abs. 1 Nr. 3; BGHR StGB § 174 Abs. 1 StrafzumesStand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch v o n S c h u t z b e f o h l e n e n

§ 174

sung 1) sowie bei der Ausnutzung von Erziehungs-, Ausbildungs- und Betreuungsverhältnissen von Jugendlichen bis zu 16 Jahren (Abs. 1 Nr. 1) berechtigte den Gesetzgeber zum Erlaß generalisierender Tatbestände zum Schutz sexueller Selbstbestimmung (vor § 174 Rdn. 9f)· II. Handlungen mit und ohne Körperkontakt 1. Absatz 1 erfaßt sexuelle Handlungen, die der — männliche oder weibliche — 2 Täter am — männlichen oder weiblichen — Schutzbefohlenen vornimmt oder die er von diesem an sich vornehmen läßt. Es handelt sich also stets um sexuelle Handlungen mit körperlichem Kontakt zwischen Täter und Schutzbefohlenem (§ 184 c, dort insbesondere Rdn. 16). Sexuelle Handlungen des Täters oder des Schutzbefohlenen an sich selbst oder mit einem Dritten scheiden aus. Unerheblich ist, wer veranlaßt hat, daß die Handlungen vorgenommen werden, allerdings ist die Anregung der Tathandlung durch den Schutzbefohlenen häufig indiziell für fehlenden Mißbrauch nach Absatz 1 Nr. 2 (BGHSt. 28 365, 367 f). Der Schutzbefohlene als notwendiger Teilnehmer ist straflos, selbst wenn er zu den Handlungen angestiftet hat (vor § 174 Rdn. 13). Ein Dritter kann Anstifter oder Gehilfe, unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 auch Täter sein. 2. Absatz 2 erstreckt den strafrechtlichen Schutz mit einer geringeren Strafdro- 3 hung auf sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt (§ 184 c Rdn. 14 ff) zwischen Täter und Opfer. a) Absatz 2 Nr. 1 setzt voraus, daß der Täter sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt. Erfaßt sind hier alle exhibitionistischen Handlungen (§ 183) vor einem Schutzbefohlenen im Sinne des Absatzes 1, und zwar exhibitionistische Handlungen eines Mannes oder einer Frau. Für alle Fälle dieser Art gilt ergänzend § 183 Abs. 4 Nr. 2. Die Vorschrift erstreckt sich aber auch auf sonstige sexuelle — nicht exhibitionistische — Handlungen, die der Täter vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, insbesondere auf Handlungen, die der Täter vor einem Schutzbefohlenen an einem Dritten vornimmt. Einbezogen sind Tatbestandsgestaltungen, bei denen der Täter hinnimmt, daß ein Dritter ihn vor dem Schutzbefohlenen sexuell berührt. b) Absatz 2 Nr. 2 setzt voraus, daß der Täter den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, 4 sexuelle Handlungen vor ihm vorzunehmen. Dabei geht es um exhibitionistische oder sonstige sexuelle Handlungen des Schutzbefohlenen, die dieser — vor dem Täter — an sich selbst oder einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt. Der Begriff des Bestimmens ist wie der in § 26 auszulegen (vgl. § 176 Rdn. 4, 6). Er 5 fordert die Einwirkung — durch Überraschung, Wecken von Neugier, Versprechen von Geschenken, aber auch durch Drohung und Täuschung — auf den Willen des anderen, um ihn zu einem Verhalten zu bringen, zu dem er sich ohne die Einwirkung nicht entschlossen haben würde (BGHSt. 9 111, 113 ; BGH NJ W 1985 924). Der Täter muß also in dem Schutzbefohlenen irgendwie den Entschluß wecken, die sexuelle Handlung vor ihm vorzunehmen. Der Schutzbefohlene muß sich der Tatsache, daß er die Handlung vor dem Täter vornimmt, bewußt sein (§ 184 c Rdn. 18). Es kommt jedoch nicht darauf an, daß er sich des sexuellen Bezugs der Handlung bewußt ist (§ 184 c Rdn. 24). Die Einwirkung muß ursächlich (wobei Mitverursachung genügt) für den Entschluß des Schutzbefohlenen sein (Roxin LK § 26 Rdn. 17), was nur dann der Fall ist, wenn dieser bei dem anderen noch nicht vorhanden war; der Entschluß (25)

Heinrich Laufhütte

§

1 7 4

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

zur Vornahme sexueller Handlungen ist noch nicht gefaßt, wenn erst eine bloße Geneigtheit besteht (Roxin aaO). Eine allgemeine Entschlossenheit, bei jeder Gelegenheit sexuelle Handlungen vor einem anderen vorzunehmen, steht der Möglichkeit des Bestimmens zu sexuellen Handlungen bei einer bestimmten Gelegenheit nicht entgegen. Es reicht aus, daß der Täter den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, irgendwelche sexuelle Handlungen vorzunehmen. Es braucht also nicht zu der konkreten sexuellen Handlung angestiftet zu werden, die der Schutzbefohlene dann vornimmt, vorausgesetzt, die Anstiftung ist ursächlich für die Vornahme der sexuellen Handlungen. Bestimmung durch Unterlassung gibt es grundsätzlich nicht (vgl. aber § 174 Rdn. 20 für den Garanten). Wer bei sexuellen Handlungen nur zuschaut und nicht einschreitet, ist deshalb straflos (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 17). Zur Bestimmung über einen Dritten vgl. Rdn. 20. III. Mißbrauch des Schutzbefohlenen 6

1. Absatz 1 Nr. 1 schützt zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraute Personen männlichen und weiblichen Geschlechts unter 16 Jahren vor sexuellen Handlungen mit Körperkontakt. Diese Schutzbefohlenen sind unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 auch gegen sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt geschützt.

7

a) Erziehung übt derjenige aus, der über einen längeren Zeitraum für die Lebensführung des Jugendlichen und dessen psychische und physische Entwicklung verantwortlich ist. Das sind die Eltern und Adoptiveltern, soweit ihnen die Personensorge zusteht (§§ 1626ff BGB; § 1754 BGB). Die Entziehung des Personensorgerechts ist ohne Bedeutung, wenn tatsächlich Erziehungsfunktionen weiter ausgeübt werden. So hat bei geschiedener Ehe auch der Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, nach natürlicher Lebensanschauung die Pflicht, das Kind zu beaufsichtigen und gegebenenfalls erzieherisch zu betreuen, wenn es sich bei ihm aufhält und er Einwirkungsmöglichkeiten auf das Kind hat (BGHSt. 1 343). Daneben haben der Vormund (§ 1793 BGB) — bei Amtsvormundschaft die mit der Erziehung beauftragte Person (§ 55 Abs. 2 SGB VIII 1 - und der Pfleger (§ 1709 BGB), soweit diese für die Person des Minderjährigen zu sorgen haben, Erziehungspflichten. Das gilt nicht für den Pfleger und Beistand der Mutter (RGSt. 57 325, 326). Der Gegenvormund ist zur Beaufsichtigung des Vormunds bestellt (§ 1799 BGB) und hat keinen Pflegebefohlenen (RGSt. 15 72, 74; RGSt. 57 325, 327). Dem Vater eines nichtehelichen Kindes obliegt nicht ohne weiteres die Erziehung. Erziehungsverhältnisse können auch dadurch begründet werden, daß eine Person Erziehungsaufgaben im Benehmen mit dem rechtlich Verpflichteten tatsächlich übernimmt. Im Einzelfall bedarf es der Aufklärung der häuslichen Verhältnisse. Die Erziehung einer Minderjährigen, die im Haushalt ihrer verheirateten Schwester lebt und deren Obhut untersteht, fällt während einer vorübergehenden Abwesenheit der Schwester nicht ohne weiteres deren Ehemann zu (BGH LM Nr. 25). Zwischen Stiefeltern und Stiefkindern besteht das Erziehungsverhältnis nicht schon aufgrund des bloßen Bestehens der Hausgemeinschaft (BGH Beschluß vom 17. 2. 1993 — 3 StR 623/92). Hier bedarf es der Klärung einer möglichen Vertrauensstellung des Stiefelternteils. 2 Es genügt, daß dieser sich im Einvernehmen mit dem PersonensorgebeGesetz zur N e u o r d n u n g des Kinder- u n d J u g e n d hilferechts vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Februar 1993 (BGBl. 1 S. 239).

2

B G H N J W 1953 471 ; B G H G A 67 21 ; B G H N S t Z 1989 21 ; B G H R StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 2 (getrenntlebender Stiefvater); B G H R a a O Obhutsverhältnis 3 ( U n t e r b r e c h u n g d e r Hausge-

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen

§ 174

rechtigten um die Erziehung des Kindes kümmert (BGHSt. 28 365, 366; BGH Beschluß vom 16. Mai 1994 — 3 StR 39/94 —). Entsprechendes gilt für das Verhältnis des Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu den Kindern des Lebensgefährten. Für Pflegeeltern, die sich — ohne daß die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB VIII vorliegen — um ein Kind kümmern (vgl. RGSt. 61 62), ist im Einzelfall nach der Auffassung des Lebens zu entscheiden, ob ein Erziehungsverhältnis vorliegt; es kommt nur auf die tatsächliche dauernde Gestaltung des Verhältnisses an, nicht auf die Absicht bei der Übernahme des Kindes oder den dabei verfolgten Zweck, es bedarf also weder einer ausdrücklichen Übertragung der Pflege noch einer vertraglichen Grundlage, so daß auch nach Ablauf des Vertrages bei tatsächlicher Führung des Pflegeverhältnisses Erziehung vorliegen kann (RGSt. 58 61). Erzieher im Sinne des § 174 Abs. I Nr. 1 ist auch der Lehrer gegenüber den Kindern in der Schule, auch außerhalb des Unterrichts (BGHSt. 33 340,343 m. w. N.); ob dies auch gegenüber den Kindern seiner Schule gilt, die er nicht selbst unterrichtet, hängt von den Umständen ab. So wird ein Erziehungsverhältnis in einer kleinen Dorfschule mit vier Lehrern zwischen allen Lehrern und allen Schülern vorliegen (BGH Urteil vom 8. 7. 1954 — 3 StR 876/53), während in einer großstädtischen Berufsschule das Erziehungsverhältnis im allgemeinen erst mit der Zuweisung des Schülers an einen bestimmten Lehrer entsteht (BGHSt. 19 163, 166). Jedenfalls sind aber dem Schulleiter kraft seiner besonderen Aufgabe und Autorität alle Schüler einer Schule zur Erziehung und Aufsicht anvertraut (BGHSt. 13 352; BayObLGSt. 58 225). Als Erzieher kommen ferner Nachhilfelehrer (BGH bei Dallinger M D R 1969 16), Geistliche, wenn sie Jugendliche — auch auf freiwilliger Basis — unterrichten (RGSt. 11 271 ; 52 73; BGHSt. 4 212; 33 340, 343), Erziehungsbeistände und Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII) und der Sozialpädagogische Erziehungshelfer (§ 31 SGB VIII) ebenso in Betracht, wie das für die Erziehung verantwortliche Personal in Internaten, Jugenddörfern und Jugendwohnheimen (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6). Das Erziehungsverhältnis endet nicht ohne weiteres mit dem Auszug des Jugendlichen aus dem Haushalt des Erziehers. Dies bedarf keiner näheren Erörterung, soweit das Verhältnis durch ein Rechtsverhältnis begründet ist, das die gesetzlichen Pflichten zur Personensorge begründet. Anders kann es bei Erziehungsverhältnissen sein, die durch die tatsächlich gegebene Vertrauensstellung begründet worden sind. Hier kommt es darauf an, ob sich die Beziehung durch den Wegzug des Jugendlichen so gelockert hat, daß derjenige, der die Erziehung übernommen hatte, die Aufgaben nicht mehr zu erfüllen vermag (vgl. BGH NJW 1960 2156, 2157). Gehilfen des Erziehers sind nicht selbst Erzieher. Auch derjenige, der sich Erziehungsfunktionen anmaßt, wird nicht schon dadurch zum Erzieher (Horn SK Rdn. 3 ; vgl. aber Rdn. 13). b) Ausbildung bezweckt weniger die charakterliche Förderung als die Vermittlung 8 von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Grenzen zur Erziehung sind flüssig, da Ausbildung mehr ist als die bloße Anleitung zu schlichten Verrichtungen und einfachen mechanischen Betätigungen, auch mehr als die bloße Einweisung in einen neuen Aufgabenbereich (BGHSt. 21 196, 198). Sie ist ohne eine Erziehungskomponente nicht vorstellbar (Horn SK Rdnr. 5). Nach dem Berufsbildungsgesetz vom 14. August meinschaft durch m e h r j ä h r i g e Strafhaft). Gegen ein Obhutsverhältnis k a n n sprechen, d a ß d e r Angeklagte als Binnenschiffer u n d F e r n f a h r e r gear(27)

beitet hat ( B G H Beschl. vom 16. 10. 1992 — 3 StR 455/92).

Heinrich Laufhütte

§ 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

3

1969 etwa besteht u.a. auch die Pflicht zur charakterlichen Formung des Auszubildenden (§ 6 Abs. 1 Nr. 5). Ein typisches Ausbildungsverhältnis ist das zwischen Auszubildendem und dem Ausbilder (Lehrherrn). Ausbilder ist der für den Abschluß des Ausbildungsvertrages rechtlich Verpflichtete (der selbständige Kaufmann, der Geschäftsführer einer GmbH). Er bleibt dies auch dann, wenn er einen selbständigen Ausbildungsleiter bestellt hat 4 , es sei denn, daß er seinen Willen, keine Ausbildungsfunktionen wahrnehmen zu wollen, nach außen deutlich und verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (etwa durch Geschäftsverteilung bei mehrköpfigem Vorstand) und auch tatsächlich keine Funktionen (etwa durch Erteilung von Weisungen) wahrnimmt. Dem Ausbilder gleichgestellt sind Vertreter des Lehrherrn (RG JW 1934 2772) sowie Personen, die von ihm ausdrücklich mit der selbständigen Wahrnehmung der Funktion des Ausbilders beauftragt worden sind oder die für die Ausbildung tatsächlich Verantwortung tragen (vgl. RGSt. 62 33). Auf den Abschluß eines Ausbildungsvertrages kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Bestehen oder die tatsächliche Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses ohne Rücksicht auf vertragliche Abmachungen (RGSt. 57 383; RG JW 1933 2519 mit Anmerkung Klee), so bei einer Tätigkeit im Betrieb des Täters vor Abschluß des Lehrvertrages (BGH LM Nr. 23). Ausbildungsverhältnisse setzen ein Über- und Unterordnungsverhältnis allgemein geistiger Art voraus (BGHSt. 1 71, 72; 4 212, 213). Ob das vorliegt, hängt von den gesamten tatsächlichen Umständen des Falles ab, wobei es darauf ankommt, ob neben einer Überwachungsaufgabe auch eine gewisse Pflicht zur Obhut (BGHSt. 21 196, 202) gegeben ist und die Tätigkeit des Ausbilders irgendwie persönlichkeitsbildend ist (OLG Stuttgart NJW 1961 2171, 2172). Das liegt nicht vor, wenn ein Postfacharbeiter Jungpostboten nur mit der Art der zu erledigenden Dienstgeschäfte vertraut macht (BGH Urteil vom 4. 3. 1954 — 4 StR 826/53) oder wenn ein Angestellter in geschäftsführerähnlicher Stellung berechtigt ist, einem zur Probe angestellten Laufmädchen Weisungen zu erteilen (BGH Urteil vom 19. 2. 1952 — 1 StR 607/51). Als Täter kann dagegen in Betracht kommen ein Arzt, der ärztliche Helferinnen ausbildet (BGH RdJ 60 216; RG H R R 34 1420), ein Ballettmeister, der Tanzelevinnen ausbildet (RGSt. 67 390), ein Bootsmann gegenüber dem Decksjungen (BGH Urteil vom 15. 3. 1966 — 5 StR 60/66) und ein Privatmusiklehrer (BGH Urteil vom 21.2. 1968 — 2 StR 679/67), auch dann, wenn zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden größere Zeiträume liegen (BGH Urteil vom 28. 1. 1954 — 4 StR 722/53). Für das Verhalten eines Fahrlehrers kommt es auf die Umstände des Falles an (BGHSt. 21 196, dazu kritisch Horn SK Rdn. 5, der keine Ausbildung annimmt, wenn die Vermittlung der Kenntnisse und Fertigkeiten regelmäßig auch gegenüber Erwachsenen geschieht). Zwischen dem Leiter und den Teilnehmern eines Koch- und Nähkurses besteht dagegen in der Regel kein Ausbildungsverhältnis (zu weitgehend RG JW 1938 1877). Wer einen von ihm zur Ausbildung angenommenen Jugendlichen zur Fortsetzung früherer Unzucht mißbraucht, erfüllt den Tatbestand auch dann, wenn er den Jugendlichen nur eingestellt hat, um den geschlechtlichen Verkehr unter günstigeren Bedingungen fortsetzen zu können (BGH Urteil vom 12. 6. 1956 — 5 StR 136/56). 1

BGBl. I S. 1112, zuletzt geändert durch Anlage I Kapitel XVI S a c h g e b i e t e Abschnitt II Nr. 1 mit M a ß g a b e n durch Abschnitt III Nr. 1 des Einigungsvertrages vom 31. 8. 1990 (BGBl. II S. 889, 1135), a b g e d r u c k t bei N i p p e r d e y N r . 4 1 5 .

4

BGHSt. 2 157, 159 — dort wird nach f r ü h e r e m Recht mindestens Pflicht zur Aufsicht a n g e n o m men.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen

§ 174

c) Das Merkmal der Betreuung in der Lebensführung ist an die Stelle der früher 9 verwendeten Merkmale der Aufsicht und Betreuung getreten. Ein Aufsichtsverhältnis lag vor, wenn sich aus dem tatsächlichen Verhältnis, das zwischen dem Minderjährigen und dem Täter bestand, nach natürlicher Lebensanschauung die Pflicht des Täters ergab, den Minderjährigen in sittlicher Hinsicht zu beaufsichtigen. Das wurde schon angenommen für den Leiter eines Jugendheimes, der für Ordnung, insbesondere dafür zu sorgen hatte, daß die Jugendlichen zur Arbeit und rechtzeitig ins Bett gingen (OLG Hamburg HESt. 1 56, 59). Das Jugendarbeitsverhältnis als solches begründete noch kein Aufsichtsverhältnis (BGHSt. 1 231). Maßgeblich war die Stellung, die der Jugendliche nach den tatsächlichen Umständen im Geschäft des Arbeitgebers einnahm (BGH Urteil vom 3. 11. 1959 — 5 StR 418/59). Verneint wurde das Aufsichtsverhältnis bei einem 17jährigen Mädchen, das als Büfettfräulein beschäftigt war, auch wenn sie in der Gastwirtschaft Essen und Wohnung hatte, da dieses den üblichen Bedingungen des Gewerbes entsprochen habe (BGH Urteil vom 1. 2. 1955 - 1 StR 383/54). Bejaht wurde die Aufsichtspflicht beim Jugendherbergsvater (BGH NJW 1957 1201), dem Leiter eines privaten Zeltlagers (BGH LM Nr. 5), dem Betreuer eines Entlaufenen (BGHSt. 1 292) und dem Reisebegleiter (BGH NJW 1955 1934). Das Merkmal der Betreuung war erfüllt, wenn zwischen dem Minderjährigen und 10 dem Täter ein Verhältnis persönlicher Natur derart gegeben war, daß der Betreuer sich auch für die außerdienstliche Lebensführung, die sittliche Haltung und geistige Entwicklung des Minderjährigen verantwortlich fühlen mußte. Das wurde für sehr junge Hausangestellte bejaht, die in den Haushalt aufgenommen und dort versorgt wurden und auch bei einem etwa 15jährigen Mädchen, das in der Landwirtschaft des Täters beschäftigt war, dabei unter dessen natürlichem Einfluß stand und sich ihm geistig völlig unterordnete (BGH JR 1959 148; vgl. auch BGHSt. 1 55, 58; BGH LM Nr. 1). Eine 18jährige Kellnerin war dagegen dem Ehemann ihrer Arbeitgeberin nicht zur Betreuung anvertraut (BGH NJW 1955 1238); bei einem Mädchen von 17 Jahren wurde in der Regel eine besondere Vereinbarung zwischen dem Erziehungsberechtigten und dem Arbeitgeber verlangt, um ein Betreuungsverhältnis entstehen zu lassen (BGH Urteil vom 6. 5. 1958 — 1 StR 149/58). Das Ferienkind war dem Gastgeber zur Betreuung anvertraut (RGSt. 71 362), ein den Eltern entlaufener Minderjähriger dem, der kraft eigenen Entschlusses die Sorge um sein Wohl übernahm (BGHSt. 1 292). Bei der Aufnahme eines 16 Jahre alten weiblichen Fürsorgezöglings hielt die Rechtsprechung eine andere Beurteilung für angebracht, wenn von Anfang an kein Überordnungsverhältnis bestand, sondern Mädchen und Täter sich auf gleicher Ebene begegneten (BGH Urteil vom 20. Juli 1960 - 2 StR 295/60). Das Betreuungsverhältnis konnte der Jugendliche auch selbst begründen, indem er sich einem Erwachsenen anschloß, der sodann tatsächlich die Betreuung übernahm (BGHSt. 4 212; 17 191). Ein Sichanvertrauen fehlte bei einem 20jährigen, der einen Ausbildungsvertrag mit einem Musiklehrer selbst Schloß und den Unterricht auch selbst bezahlte (BGH Urteil vom 28. Januar 1954 — 4 StR 722/53). Anvertrautsein zur Betreuung kam auch bei einem durch das Jugendamt eingewiesenen Jugendlichen in Frage (BGH Urteil vom 10. November 1953 - 1 StR 486/53). Der Gesetzgeber wollte durch die Verwendung des Merkmals Betreuung in der Le- 11 bensfiihrung die von der Rechtsprechung zu den Merkmalen Aufsicht und Betreuung entwickelte Auslegung nicht ändern. Der Begriff der Betreuung sollte durch die Zufügung der Worte „in der Lebensführung" erläutert werden: das Merkmal soll nur (29)

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§

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

Fälle erfassen, bei denen der Betreuer Verantwortung für die Lebensgestaltung übernimmt und nicht nur — kurzfristige — Obhutspflichten. Die Streichung des Begriffes „Aufsicht" bedeutete aus der Sicht des Gesetzgebers keine inhaltliche Änderung der Vorschrift, weil dieses Merkmal bereits bisher einschränkend im Sinne einer dauernden Betreuung verstanden worden sei (BTDrucks. VI/3521 S. 21). Die Begründung trifft insofern nicht zu, weil die Rechtsprechung durchaus kurzfristige Obhutsverhältnisse als Fälle der Aufsicht oder Betreuung angesehen hatte (Jugendherbergsvater, Reisebegleiter). Im Sinne der gesetzgeberischen Zielrichtung setzt Betreuung in der Lebensführung ein Verhältnis voraus, das den Betreuer nicht nur einmalig und nicht nur bei unbedeutenderen Betreuungsverhältnissen (Babysitter), sondern für eine gewisse Dauer verpflichtet, Verantwortung für das geistig-sittliche Verhalten des Jugendlichen zu tragen 5 . Das kommt in Frage beim Gastgeber des Ferienkindes (RGSt. 71 362), dem Leiter eines Zeltlagers (BGH LM Nr. 5), dem Trainer einer Jugendmannschaft (BGHSt. 17 191 ; BGH Urteil vom 11. 9. 1975 - 4 StR 417/75), dem Leiter eines Jugendkreises (BGHSt. 4 212), dem Erwachsenen, der für einen jugendlichen Hausangestellten zu sorgen hat (BGH JR 1959 148; BGHSt. 1 55, 58; BGH LM Nr. 1) oder der sich eines entlaufenen Jugendlichen annimmt 6 (BGHSt. 1 292). Arbeitsverhältnisse reichen nicht aus (BGHSt. 1 231 ; vgl. dazu § 174 Abs. 1 Nr. 2). Tatbestandsmäßig ist auch nicht das Verhältnis zwischen Arzt und minderjährigem Patienten, wenn nicht besondere Bedingungen vorliegen (OLG München M D R 1951 52 ; OLG Frankfurt NJW 1952 236; aA BGH GA 59 276 zur a. F.). Gleichgültig ist, ob dem Betreuungsverhältnis ein Vertrag zwischen dem gesetzlichen Vertreter des Jugendlichen und dem Betreuer zugrunde liegt oder ob der Betreuer die Betreuungsaufgaben lediglich faktisch wahrnimmt, etwa weil er sich des Jugendlichen annimmt oder weil sich der Jugendliche ihm anvertraut und er daraufhin die Betreuungsaufgaben erfüllt. 12

d) Der Jugendliche muß dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sein. Anvertraut ist, wer dem Täter durch Vertrauensbeweis überantwortet, gewissermaßen in die Hand und damit in die Hut gegeben ist (BGHSt. 21 196, 200), so daß ein gewisses Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Täter und dem Anvertrauten bestehen muß, das eine Verantwortung für das sittliche Wohl des Untergeordneten einschließt (OLG Stuttgart NJW 1961 2171). Unerheblich ist, ob ein solches Verhältnis von dem Minderjährigen freiwillig begründet worden ist (BGHSt. 17 191, 193). Der Annahme eines solchen Obhutsverhältnisses steht auch nicht entgegen, daß schon vor seiner Begründung geschlechtliche Beziehungen zwischen dem Täter und dem Minderjährigen bestanden haben (BGHSt. 4 297, 299; BGH NJW 1955 916). Der Ausbildung und den ihr gleichgestellten Tatbestandsmerkmalen der Betreuung in der Lebensführung und selbst der Erziehung ist es nicht begriffswesentlich, daß der Minderjährige in seiner gesamten Lebensführung von dem Täter abhängig ist. Erst in ihrer Verbindung erfassen die drei Tatbestandsmerkmale Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung Minderjähriger und Anvertrautsein den Grundgedanken des § 174 Abs. 1 Nr. 1, minderjährige und daher noch unfertige, nicht gefestigte Menschen vor geschlechtlichen Übergriffen solcher Personen, die 5

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Sch/Schröder/Lenckner R d n . 8; Horn SK R d n . 6 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilb a n d 1 § 20 R d n . 19; Lackner R d n . 6 ; a b w e i c h e n d Dreher/Tröndle R d n . 2. N a c h Sch/Schroeder/Lenckner R d n . 9 soll es je-

d o c h nicht ausreichen, wenn d a s Verhältnis allein zwischen dem Täter u n d dem Jugendlichen o h n e wenigstens die Billigung d e r f ü r den Jugendlichen verantwortlichen Person b e g r ü n d e t w o r d e n ist.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Verantwortung für sie tragen, zu bewahren (BGHSt. 21 196, 200). Das Über- und Unterordnungsverhältnis kann durch Gesetz, Verwaltungsakt, durch Vertrag oder rein tatsächlich begründet sein (BGHSt. 21 196, 201). Maßgebend für Bestehen und Umfang der Obhutspflicht ist die gesamte Gestaltung des Einzelfalles (BGHSt. 19 163, 165). Minderjährige Gemeindemitglieder sind einem Pfarrer nicht ohne weiteres anvertraut, auch wenn er tatsächlichen Einfluß auf sie hat (BGHSt. 33 340, 344 ff mit zustimmender Anmerkung Gössel JR 1986 516 und kritischer Anmerkung Jakobs NStZ 1986 216). In einem Sportverein ist der Jugendliche jedem anvertraut, der tatsächlich die Verantwortung für das Training hat (BGHSt. 17 191, 194). Bei einem Ausbildungsvertrag kann — zum Beispiel in einem kleinen Handwerksbetrieb — auch ein Anvertrautsein an den Ehegatten des Ausbilders vorliegen. Bei größeren Betrieben ist sorgfältig zu prüfen, wem der Auszubildende — neben dem für den Betrieb Verantwortlichen (Rdn. 8) — anvertraut ist. Das ist nicht jeder, der eine leitende Funktion ausübt. Das Verhältnis muß für eine gewisse Zeitdauer begründet sein (aA BGH NJW 1955 1934; BGH GA 1959 276 zum früheren Recht). Unterbrechung durch vorübergehende auswärtige Heimerziehung hindert die Fortdauer eines Erziehungsverhältnisses nicht (BGH NJW 1960 2156). Das Autoritätsverhältnis muß nicht tatsächlich bestehen. Es genügt ein vom Täter vorgespiegeltes Verhältnis, durch das er sich das Vertrauen erschleicht, da es lediglich darauf ankommt, ob sich der Täter für die Lebensführung verantwortlich fühlen muß (vgl. BGHSt. 1 55, 57; RGSt. 74 275, 277; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9; Seibert GA 58 364; aA OLG Celle GA 58 309). Daß die sexuellen Handlungen außerhalb der Zeiten vorgenommen werden, in denen der Erzieher, Ausbilder oder Betreuer seine Funktionen wahrzunehmen hat, stellt den Tatbestand grundsätzlich nicht in Frage (BGH NJW 1953 1923; BGHSt. 33 340, 343). Denn die vom Gesetz unterstellte Abhängigkeit des Minderjährigen kann auch den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich ergreifen (BGHSt. 21 196, 201). Das ist bei Erziehungs- und Ausbildungsverhältnissen die Regel, nicht dagegen bei Betreuungsverhältnissen, bei denen der Jugendliche dem Betreuer — beispielsweise seinem Sporttrainer — nur für bestimmte Zeiten anvertraut ist. Bei sexuellen Handlungen außerhalb dieser Zeiten — im Beispielsfall außerhalb der Vereinsarbeit — kann jedoch ein Mißbrauch der Abhängigkeit nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen (BGH Urteil vom 11. 9. 1975 - 4 StR 417/75). Der Tatbestand erfordert nicht die Feststellung, daß ein Mißbrauch des zur Erzie- 13 hung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung anvertrauten Jugendlichen vorliegt. Die Einwilligung des Jugendlichen in eine Geschlechtsbeziehung ist also unerheblich. Die zum früheren Recht, das einen Mißbrauch zur Unzucht voraussetzte, entwickelte Rechtsprechung, in Ausnahmefällen entfalle das Merkmal des Mißbrauchs, wenn etwa eine dem Ende des geschützten Alters nahestehende Person aus echter Liebe in der ernsten Absicht späterer Eheschließung in geschlechtliche Beziehungen einwilligt (BGHSt. 8 278, 282), ist deshalb überholt. Der Tatbestand des § 174 Abs. I Nr. I — der anders als das frühere Recht nur Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr schützt — bedroht auch den Fall mit Strafe, wie er der in BGHSt. 22 314, 316 abgedruckten Entscheidung zugrunde lag: Überleitung eines Betreuungsverhältnisses in ein Liebesverhältnis, es sei denn, daß ein Anvertrautsein nicht mehr gegeben ist. In Fällen dieser Art ist die Anwendung des § 174 Abs. 4 zu prüfen. 2. Absatz 1 Nr. 2 — und unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift (also bei 14 Mißbrauch der Abhängigkeit) Absatz 2 — dehnt den Schutzbereich auf Jugendliche bis zu 18 Jahren aus (BGH NStZ 1991 81). Der Kreis der Schutzbefohlenen wird gegenüber Absatz 1 Nr. 1 auch dadurch erweitert, daß nicht nur die zur Erziehung, Aus(31)

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

bildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertrauten Jugendlichen (Rdn. 6 ff) erfaßt, sondern auch die Jugendlichen einbezogen sind, die dem Täter im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind. Der Tatbestand ist insgesamt dadurch gegenüber Absatz 1 Nr. 1 eingeengt, daß er einen Mißbrauch der Abhängigkeit voraussetzt. 15

a) Die Einbeziehung der Dienst- und Arbeitsverhältnisse geht auf Forderungen aus dem Jahre 1900, einen „Arbeiter- oder Arbeitgeberparagraphen" einzuführen, zurück (vgl. Laufhütte Prot., 6. Wahlperiode S. 1475). Geschützt sind Jugendliche, die einem anderen im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind. Der Entstehungsgrund der Dienst- oder Arbeitsverhältnisse ist gleichgültig. Es kommen also privat- oder öffentlich-rechtlich begründete Verhältnisse — auch dann, wenn ihre Rechtsgültigkeit in Zweifel zu ziehen ist — in Betracht. Täter kann sein, wer rechtlich oder faktisch Vorgesetzteneigenschaft hat. Der Jugendliche muß ihm untergeordnet sein. Das ist nur gegeben, wenn der Täter über einen Einzelfall hinausgehende Weisungsbefugnis hat.

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b) Anders als Absatz I Nr. 1 setzt Absatz 1 Nr. 2 den Mißbrauch der Autoritätsstellung voraus. Der Täter muß unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit handeln. Ein solcher Mißbrauch liegt vor, wenn der Täter offen oder versteckt seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbaren Weise als Mittel einsetzt, um sich diesen gefügig zu machen (BGHSt. 28 365, 367 ; BGH NStZ 1991 81). Das ist mehr als ein Mißbrauch zur Unzucht, wie es § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. verlangte, aber auch mehr als ein Mißbrauch der Stellung, wie es in § 174 a StGB n. F. vorausgesetzt ist. Mißbrauch der Stellung ist die illegitime Wahrnehmung einer Chance, die das Vertrauensverhältnis mit sich bringt, etwa die Möglichkeit, eine Gehaltserhöhung zu gewähren (aA Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 14). Das Merkmal des auf die Abhängigkeit bezogenen Mißbrauchs bewirkt eine wesentlich stärkere Einschränkung des Tatbestandes (BGHSt. 28 365, 367). Mißbrauch der mit den Obhutspflichten verbundenen Abhängigkeit ist stets gegeben, wenn der Täter die aus dem Autoritätsverhältnis sich ergebenden Einwirkungsmöglichkeiten dazu nutzt, für den Jugendlichen eine Drucksituation zu erzeugen, um ihn zu sexuellen Handlungen zu bringen. Ein Mißbrauch der Abhängigkeit liegt aber auch dann vor, wenn eine vom Täter — ohne Mißbrauchstendenz — aufgebaute Machtstellung vorliegt und er die auf ihr beruhende Abhängigkeit zu sexuellen Handlungen ausnutzt (BGH StV 1981 543). Entsprechendes gilt, wenn der Täter die Machtstellung nicht aufgebaut hat, sich diese aber aus dem Autoritätsverhältnis — vom Täter erkannt — ergibt und er diese Position zu sexuellen Handlungen ausnutzt (BGHSt. 28 365, 367; BGH NStZ 1982 329; 1991 81). Ein Mißbrauch im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter Gewalt gegen den Jugendlichen in der Erwartung anwendet, dieser werde sie wegen der vorhandenen Abhängigkeit nicht zur Anzeige bringen und wenn der Schutzbefohlene aus Furcht vor weiterer Gewalt eine sexuelle Handlung duldet ( S c h / S c h r ö d e r / Lenckner Rdn. 14). Der Gewaltanwendung stehen Schikanen, aber auch ausgesprochene oder unausgesprochene Drohungen mit Schikanen (vgl. BGHSt. 30 355, 356) gleich. Ein Mißbrauch der Abhängigkeit liegt nur vor, wenn dem Jugendlichen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt ist (BGH Urteil vom 11. September 1975 - 4 StR 417/75 ; BGHSt. 28 365, 367). Daran kann es fehlen, wenn die Initiative für den Geschlechtskontakt vom Jugendlichen ausgeht; es sei denn, diese dient dem Ziel, Vergünstigungen zu erhalten (vgl. BGHSt. Stand: 1. 8. 1994

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28 365, 368). Ein Mißbrauch der Abhängigkeit liegt nicht vor, wenn der Jugendliche die Berührungen als selbstverständlich ansieht und als Zeichen der Zuneigung betrachtet (BGH Beschluß vom 28. 5. 1985 - 1 StR 182/85). Ist der Jugendliche einem Betreuer nur zeitweise anvertraut (vgl. Rdn. 12), so kann sich daraus ein Abhängigkeitsverhältnis ergeben, das über die Betreuungszeiten hinausgeht. Kommt der Täter infolge dieser Abhängigkeit zum Erfolg, so liegt ein Mißbrauch im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 vor (BGH Urteil vom 11. September 1975 - 4 StR 417/75). Daß Täter und Schutzbefohlenem der Zusammenhang zwischen Abhänigkeitsverhältnis und sexuellen Handlungen bewußt ist, ist in den Urteilsgründen zu erörtern (BGH bei Miebach NStZ 1993 223). 3. Absatz 1 Nr. 3 — und dementsprechend Absatz 2 — schützt die noch nicht acht- 17 zehn Jahre alten leiblichen und angenommenen Kinder. a) Leibliche Kinder sind solche, die blutsmäßig vom Täter abstammen (BGHSt. 29 387). Das sind nicht die nach § 1591 BGB ehelichen Kinder des Täters, die in Wirklichkeit nicht von ihm abstammen (BGH aaO). Das 4. StrRG hat diese Begrenzung nicht gewollt; es erfaßte das noch nicht achtzehn Jahre alte Kind des Täters, also auch das nach § 1591 BGB legitimierte eheliche Kind. Die Begrenzung auf leibliche Kinder wurde durch das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 (BGBl. I 1749) vorgenommen, das der Auslegung vorbeugen wollte, § 174 Abs. 1 Nr. 3 werde, wenn es lediglich auf das „ K i n d " des Täters abstelle, solche leiblichen Kinder nicht mehr fassen, deren Kindschaftsverhältnis zum Täter nach § 1755 BGB in der Fassung des Adoptionsgesetzes erloschen ist. Die danach Gesetz gewordene Fassung verhindert diese unerwünschte Auslegung, stellt also sicher, daß leibliche Kinder in den Schutzbereich einbezogen sind, auch wenn kein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Sie scheidet aber die nach § 1591 BGB legitimierten, vom Täter nicht blutsmäßig abstammenden Kinder aus dem Tatbestand aus. Das Ergebnis ist Folge eines gesetzgeberischen Fehlers; es ist unbefriedigend, da es dem Grundgedanken der Vorschrift, die besonders intensiven Beziehungen zwischen Eltern und Kindern zu schützen, entspräche, auch legitimierte Kinder in den Schutzbereich einzubeziehen. Angenommene Kinder sind die nicht leiblichen Kinder, die aufgrund Beschlusses des Vormundschaftsgerichts (§ 1752 BGB) den leiblichen Kindern gleichstehen (§§ 1741 ff BGB). b) Wie § 174 Abs. 1 Nr. 1 (Rdn. 13) erfordert der Tatbestand nicht die Feststellung, daß ein Mißbrauch des Kindes vorliegt. IV. Subjektiver Tatbestand. Absatz 1 verlangt (mindestens bedingten) Vorsatz, der 18 das Alter und das Obhutsverhältnis, im Falle des Absatzes 1 Nrn. 1 und 2 die Tatsache des Anvertrautseins, bei Absatz 1 Nr. 2 zusätzlich den Mißbrauch erfassen und sich auch darauf beziehen muß, daß die vorgenommene Handlung eine sexuelle ist (vgl. § 184 c Rdn. 19). Der Täter muß es, soweit das Alter des Schutzbefohlenen in Frage steht, zumindest für möglich halten, daß die Person die Schutzaltersgrenze noch nicht erreicht hat. Er muß darüber hinaus die Umstände kennen, die das Verhältnis zu einem Obhutsverhältnis machen und dies zutreffend zumindest laienhaft werten. Soweit Absatz 1 Nr. 2 betroffen ist, muß der Täter seine Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennen und es billigend für möglich halten, daß er infolge dieser Abhängigkeit zum Erfolg kommt (BGH Urteil vom 11. September 1975 — 4 StR 417/75; BGHSt. 28 365, 367; BGH StV 1981 543; BGH NStZ 1982 329). Täter und Opfer (Rdn. 16) müssen sich also des Zusammenhangs des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein (BGH aaO). Der Täter muß zu(33)

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dem den Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses — mit direktem Vorsatz — wollen oder zumindest — mit bedingtem Vorsatz — billigend in Kauf nehmen. Letzteres liegt vor, wenn er sämtliche Umstände, die zur Abhängigkeit des Jugendlichen führen und die sein Verhalten zum mißbräuchlichen machen, erkennt und ihm dies, weil er die sexuelle Handlung will, gleichgültig ist. 19 Absatz 2 verlangt ebenfalls Vorsatz (zum Bestimmen: § 176 Rdn. 15f), darüber hinaus die Absicht des Täters, sich oder den Schutzbefohlenen durch die sexuellen Handlungen sexuell zu erregen. Darunter fällt auch die Absicht, eine vorhandene sexuelle Erregung aufrechtzuerhalten oder zu steigern (BTDrucks. VI/3521 S. 25). Die Fälle, in denen der Jugendliche einen Geschlechtsakt, etwa bei beengten Wohnverhältnissen, zur Kenntnis nimmt, seine Anwesenheit aber nicht Mittel zur sexuellen Erregung ist, scheiden aus (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 18), ebenso Handlungen, die der Aufklärung des Jugendlichen dienen, selbst wenn es dabei zur sexuellen Erregung kommt (Sturm JZ 1974 1, 5). Der Einwand des Täters, er habe aus Forschungszwecken gehandelt, ist allerdings unbeachtlich (BGH Urteil vom 10. März 1976 — 2 StR 739/75). Die Absicht, einen Dritten sexuell zu erregen, reicht — anders als in § 176 Abs. 5 — nicht aus. 20

V. Täter und Teilnehmer. Täter kann nur der Inhaber der Autoritätsstellung sein. Er kann sich, soweit es nach Abs. 2 Nr. 2 um das Bestimmen geht, eines Werkzeuges bedienen. Problematisch sind die Fälle des Bestimmens durch einen Dritten. Nach Lenckner (in Sch/Schröder Rdn. 20) ist der Obhutspflichtige, der einen anderen anstiftet, den Schutzbefohlenen zu bestimmen, die sexuellen Handlungen vor ihm (dem Obhutspflichtigen) vorzunehmen, nicht nach § 174 Abs. 2 Nr. 2 strafbar, und zwar weder als Täter noch — mangels Haupttat — als Anstifter. Dies trifft nicht zu. Der Anstifter des Anstifters wird wegen Anstiftung zur Haupttat (Roxin LK § 26 Rdn. 108) bestraft. Der dieser Lösung zugrundeliegende Rechtsgedanke ist auch bei der „Kettenbestimmung" anwendbar (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 20). Der Obhutspflichtige, der einen anderen bestimmt, einen Jugendlichen zu bestimmen, sexuelle Handlungen vor ihm (dem Obhutspflichtigen) vorzunehmen, ist danach Täter, da ihm die Handlung des Bestimmenden als eigene tatbestandsmäßige zugerechnet werden muß. Täter durch Unterlassen nach § 174 Abs. 2 Nr. 2 ist der Obhutspflichtige, der es pflichtwidrig unterläßt zu verhindern, daß ein Dritter den Schutzbefohlenen veranlaßt, sexuelle Handlungen vor ihm, dem Obhutspflichtigen, vorzunehmen. In solchen Fällen liegt eine Bestimmung durch Unterlassen vor, die zwar grundsätzlich straflos ist (Rdn. 5), nicht aber, wenn sich die durch das Obhutsverhältnis begründete Garantenstellung darauf erstreckt, die Bestimmung durch einen anderen zu verhindern (vgl. Roxin LK § 26 Rdn. 63; § 176 Rdn. 7). Für die Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln. Beihilfe kann auch durch Unterlassen geschehen, wenn eine Pflicht zum Einschreiten besteht, wie bei der Mutter der Schutzbefohlenen (BGH NStZ 1984 164 mit Besprechung Ranft JZ 1987 908) 7 . Der Garant hat die Maßnahmen zu treffen, die den strafrechtlich mißbilligten Erfolg abwenden können und die ihm zumutbar sind. Die Anforderungen richten sich nach der Schwere des drohenden Übels (BGHSt. 4 20, 23; BGH NJW 1964 731 ). Im allgemeinen ist die mit Gefahr strafrechtlicher Verfolgung verbundene Anzeige nächster Angehöriger nicht zumutbar (BGHSt. 6 46, 57;

BGH NJW 1964 731, 732; OLG Bremen NJW 1957 72, 73; OLG Köln NJW 1973 861, 862). Je schwerer die drohende Rechtsgutsverletzung ist, um so eher ist die Zumutbarkeit zu bejahen. Bei schwerwiegenden Sexualstraftaten, deren Wiederholung zu befürchten ist, kann auch die Anzeige nächster Angehöriger (Ehemann) geboten und zumutbar sein (BGH NStZ 1993 584; 1984 164,

Stand: 1. 8. 1994

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Der Schutzbefohlene ist notwendiger Teilnehmer (vor § 174 Rdn. 13). Für den Anstifter und Gehilfen gilt § 28 nicht (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 20; Horn SK Rdn. 10); in Absatz 1 umschriebene Abhängigkeitsverhältnisse sind nicht persönliche Merkmale im Sinne des § 28, sondern kennzeichnen die Umstände, bei deren Vorliegen ein besonderer Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des Jugendlichen notwendig ist (vgl. BGHSt. 39 326, 329; aA Roxin LK10 § 28 Rdn. 38 f.; Dreher/Tröndle Rdn. 1 a). VI. Der Versuch ist strafbar. Er beginnt mit der Einwirkung, wenn, gleich ob ver- 21 bal oder körperlich (vgl. BGHSt. 9 13, 14 f), auf den Schutzbefohlenen, die sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, Einfluß genommen wird, so wenn der Täter den Schutzbefohlenen zu der Handlung zu überreden versucht (BGH bei Daliinger MDR 1974 722). Die zu § 176 (dort Rdn. 19) vertretene Auffassung, daß strafbarer Versuch bereits vorliegt, wenn der Täter sein Opfer an den zur Vornahme der sexuellen Handlung geeigneten Ort führt, ist dort dadurch gerechtfertigt, daß das in § 176 geschützte Rechtsgut — Jugendschutz — bereits durch solche die Ausführung der Tat begünstigenden Handlungen gefährdet wird. Eine entsprechende Ausdehnung des Versuchsbereichs ist bei Tatbeständen, die dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen — die durch indifferente Handlungen nicht beeinträchtigt sind —, nicht gerechtfertigt. Auch die zu § 176 (Rdn. 20) vertretene extensive Auslegung des Merkmals des Bestimmens ist bei § 174 nicht angebracht. Hier beginnt der strafbare Versuch — anders als bei § 176 — erst, wenn die der Einwirkung dienende Erklärung dem Schutzbefohlenen zugeht. Unter Umständen liegt in solchen Handlungen im Sinne des Absatzes 2 der Versuch von Handlungen im Sinne des Absatzes 1, wenn nämlich der Täter seine eigene weitere geschlechtliche Erregung (vgl. dazu BGHSt. 9 13, 15) durch Handlungen mit Körperkontakt erreichen will. Untauglicher Versuch im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 ist gegeben, wenn der Täter irrig glaubt, es bestehe Abhängigkeit und er habe nur mit Rücksicht auf sie Erfolg (Dreher/Tröndle Rdn. 12). VII. Die Strafe. Absatz 1 sieht eine höhere Strafdrohung vor als Absatz 2; in Fäl- 22 len des Absatzes 2 Nr. 1 ist § 183 Abs. 4 Nr. 2 zu beachten (vgl. Rdn. 3). Innerhalb des Absatzes 1 ist der Unrechtsgehalt der Nr. 2 größer als der der Nr. 1, besonders wenn eine Person unter 16 Jahren das Tatopfer ist (BGHR § 174 Abs. 1 Unrechtsgehalt 1). Das Alter eines Kindes als Opfer einer Sexualstraftat ist ein gewichtiger Faktor für die Schwere der Schuld und damit für die Strafzumessung (BGH Beschluß vom 16. 10. 1992 — 3 StR 455/92). Wird ein unter 14 Jahre altes Kind mißbraucht, wirkt sich die Tateinheit mit § 176 StGB strafschärfend aus (BGH Beschluß vom 18. 5. 1993 — 1 StR 226/93). Kommt es zu Tathandlungen vor und nach dem 14. Geburtstag des Kindes, muß der Tatrichter erkennen lassen, daß er sich des unterschiedlichen Unrechtsgehalts bewußt war (BGH bei Miebach NStZ 1993 224; BGH Beschlüsse vom 16. 12. 1992 - 3 StR 561 / 9 2 und vom 24. 3. 1993 - 3 StR 130/93 ; vgl. auch vor § 174 Rdn. 23). Bei sexuellem Mißbrauch eines Kindes wird in aller Regel die Entwicklung des jungen Menschen im seelischen Bereich nachteilig beeinflußt. Diese regelmäßige Tatfolge darf dem Täter nicht angelastet werden (BGHR § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 5). Eine Strafmilderung ist hingegen möglich, wenn die mit der Tat typischerweise beim Opfer auftretenden Schäden ausbleiben (BGH bei Holtz MDR 1986 443). So kann bei Kindern, die erst wenige Monate alt sind, zu berücksichtigen sein, daß B G H Beschluß vom 18. August 1991 - 5 StR 345/91 — ; a A Ollo/Brammsen Jura 1985 530, (35)

541 im Hinblick auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Vgl. auch § 180 R d n . 8.

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§ 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

schädliche Auswirkungen auf die ungestörte sexuelle Entwicklung ausgeschlossen oder jedenfalls unwahrscheinlich sein könnten, weil das Kind den Sexualbezug der Handlungen noch nicht wahrgenommen hat (BGH Beschluß vom 14. Dezember 1993 — 4 StR 717/93 — ). Die Ansteckung des Opfers mit einer Geschlechtskrankheit darf nur dann strafschärfend gewertet werden, wenn der Täter seine Krankheit kennt (BGH Beschluß vom 30. 10. 1990 - 5 StR 488/90). Daß das Opfer dem Täter nicht entgegenkam und keinen Anlaß zur Tat gab, erhöht den Unrechtsgehalt der Tat nicht (BGH NStZ 1982 463; BGHR § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 5), ebensowenig, daß der Täter keine echte Liebesbeziehung zur Geschädigten angestrebt hat (BGH bei Miebach NStZ 1993 223). Gegen das Doppelverwertungsverbot in § 46 Abs. 3 verstößt die Erwägung, daß der Täter die eigenen anfänglichen Bedenken auch aus eigenem sexuellen Antrieb leicht abgetan hat (BGHR § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 7), daß ein Vertrauensverlust bei dem geschädigten Kind eingetreten und der Familienverband beeinträchtigt worden ist (BGH bei Miebach NStZ 1994 223; vgl. auch BGHR § 174 Abs. 1 Strafzumessung 1). Dagegen ist die konkrete Ausgestaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses bei Straftaten nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 ein tauglicher Strafzumessungsgrund (BGH MDR 1994 289). Nicht zu Lasten des Täters darf berücksichtigt werden, daß er einen weiteren Teilakt des Mißbrauchs vornehmen wollte, wenn er von dem Versuch der Tat strafbefreiend zurückgetreten ist (BGHR § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 7). Die berufliche Stellung des Täters darf nur dann strafschärfend gewertet werden, wenn sich aus dieser im Hinblick auf § 174 relevante Pflichten ergeben (BGH bei Theune NStZ 1986 496). Der Hinweis auf die Dunkelziffer im Bereich der Sexualdelikte gegen Kinder genügt nicht zur Begründung der Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte (BGH Beschluß vom 17. 2. 1993 — 2 StR 31/93). Vgl. auch bei § 176 Rdn. 23. Für Fälle des § 174 Abs. 1 Nr. 1 (auch in Verbindung mit Absatz 2) sieht das Gesetz in Absatz 4 die Möglichkeit des Absehens von Strafe vor, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist. Die Vorschrift ist für Konfliktfälle geschaffen (BTDrucks. VI/3521 S. 21). Sie und ihr Anwendungsbereich sind im einzelnen umstritten (vgl. Jung/Kunz NStZ 1982 409,410). Einerseits wird geltend gemacht, daß sie einen zu weiten Spielraum eröffne (Hanack NJW1974 1, 4), andererseits wird sie für überflüssig gehalten, da sie neben den §§ 153, 153 a StPO keine große Bedeutung habe (vgl. Sturm JZ 1974 1,5; zum Problem der Kumulierung der verschiedenen Möglichkeiten des Absehens von Strafe vgl. Maurach/ Schweder/Maiwald BT Teilband 1 § 17 Rdn. 42). Entgegen der gegen sie vorgebrachten Kritik ist die Vorschrift sinnvoll. Sie regelt eine spezielle, für Fälle des § 174 Abs. 1 Nr. 1 typische Problematik und ist in ihrem Anwendungsbereich auch nicht zu weit. Sie kommt nicht schon dann zur Anwendung, wenn die vorgenommene sexuelle Handlung eine solche ist, die die Schwelle des § 184 c nur unwesentlich überschreitet oder wenn die Schuld des Täters gering ist (BTDrucks. VII/514 S. 6). In solchen Fällen kommt ein Vorgehen nach den §§ 153, 153 a StPO in Betracht. Es würde auch dem Schutzgedanken der Vorschrift zuwiderlaufen, sie bei jeder Taterleichterung durch den Jugendlichen anzuwenden (vgl. Jung/Kunz aaO S. 413 bei Fußn. 42). Die Norm ist vielmehr für Fälle geschaffen, in denen sich das zwischen Täter und Schutzbefohlenem bestehende Autoritätsverhältnis zu einer echten Sexualpartnerschaft entwickelt hat (vgl. dazu Rdn. 13 a. E.). „Tragischer" Konflikte bedarf es nicht (so auch Horn SK Rdn. 14; Jung/Kunz aaO). Das Absehen von Strafe in Fällen dieser Art ist nur fakultativ (ablehnend Jung/Kunz aaO S. 413). Die Verhängung von Strafe bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Absatzes 4 wird zwar in Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen

§ 174

der Regel ermessensfehlerhaft sein. Es kann jedoch Fälle geben, in denen Strafe aus spezialpräventiven Gründen, etwa beim Wiederholungstäter, notwendig ist (so auch Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 21). VIII. Kookurrenzen. Innerhalb des Tatbestandes tritt Absatz 2 hinter Absatz 1 zu- 23 rück {Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 22); das versuchte Vergehen nach Absatz 1 steht aber mit dem vollendeten Vergehen nach Absatz 2 in Tateinheit (BGH Beschluß vom 19. Dezember 1973 — 3 StR 334/73). In Absatz 1 ist die Nummer 2 gegenüber Nummer 1 das speziellere Gesetz 8 (BGHSt. 30 355, 358). Nummer 3 verdrängt die Nummern 1 und 2 (OLG Köln OLGSt. a. F. §20 StGB S. 13, 14; Lenckner aaO), weil sie an ein durch Familienbande gegebenes spezielleres Abhängigkeitsverhältnis anknüpft. Bei Anwendbarkeit der Nummern 2 und 3 kommt ein Absehen von Strafe nach Absatz 4 nicht in Frage. Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 1739, 174a, 17610, 177, 178, 180 Abs. 3, 182, 236 (BGHR § 174 Abs. 1 Konkurrenzen 1), 240; die §§ 183 (aA Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 22), 183 a, 185 werden von § 174 verdrängt (vgl. RGSt. 68 25, aber BGH JZ 1952 757), wenn sie durch Handlungen erfüllt sind, die mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild des § 174 notwendigerweise verbunden sind 1 Anders BGHSt. 36 145 im Anschluß an BGH NStZ 1986 453 12 : eine Beleidigung durch Handlungen, die mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts verbunden sind, kommt danach schon tatbestandsmäßig nicht in Betracht; ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung erfüllt nur dann (auch) den Tatbestand der Beleidigung, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine — von ihm gewollte — herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist. Dem ist nicht zuzustimmen. Handlungen, die dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts entsprechen, enthalten in der Regel auch einen Angriff auf die Ehre der betroffenen Person. Kann das Sexualdelikt nicht bestraft werden, bleibt die Beleidigung bestehen. Mit der Strafe wird nicht etwa der nicht erfüllte Tatbestand des Sexualdeliktes abgegolten. Inwieweit man aber die Umstände, die eine sexualbezogene Handlung als einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung erscheinen lassen, als solche ansieht, durch die der Täter zugleich eine gewollte Herabsetzung des Opfers zum Ausdruck bringt, ist eine Frage des Einzelfalls 13 . Die Kontroverse ist bisher nicht ausgetragen. Bejaht wurde auch nach der neueren Rechtsprechung (zum Teil tätliche) Beleidigung durch die hartnäckige Verfolgung und das zweimalige Streicheln der Schenkel eines zwölfjährigen Mädchens (BGH NJW 1989 3029), durch das Ansinnen sexueller Handlungen 1 4 gegen Entgelt (BGH NStZ 1992 33 mit Anmerkung Keller JR 1992 246), durch überraschende Griffe an die Brust und zwischen die Beine sowie " AA Lackner R d n . 18; Horn SK R d n . 22. B G H bei Dallinger M D R 1975 21; B G H R vor § I / f o r t g e s e t z t e H a n d l u n g Gesamtvorsatz, erweiterter 6 ; B G H R § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29. 10 B G H N J W 1956 958; B G H R vor § 1/fortgesetzte H a n d l u n g Gesamtvorsatz, erweiterter 6 ; B G H R § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; dazu B G H Urteil vom 6.9. 1979 - 4 StR 374/79. 11 BGHSt. 35 76; B G H StV 1982 14 zu der entsprechenden Problematik bei § 177; B G H N S t Z 1987 21 mit Besprechung Hassemer J u S 1987 499; O L G Düsseldorf G A 1988 473. '- dazu Hillenkamp J R 1987 126, N S t Z 1989 520, Olio J Z 1989 808, Hassemer J u S 1987 71 u n d Lau9

(37)

13

,4

benthal J u S 1987 700; wie BGHSt. 36 145 auch B G H N S t Z 1993 182; O L G Zweibrücken N J W 1986 2960; z u s t i m m e n d Kiehl N J W 1989 3003. Kritisch zur Rechtsprechung zur Sexualbeleidig u n g Sick J Z 1991 330 u n d Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff (1993) S. 310 ff, die de lege f e r e n d a f ü r die Pönalisierung einfacher sexueller Gewalt plädiert. Beleidigung durch die b r ü s k e verbale Attacke „ I c h will dich f i c k e n " gegenüber einer f r e m d e n Frau bejaht B G H Urteil vom 24. 10. 1984 - 3 StR 3 6 3 / 8 4 ; anders in einem ähnlichen Fall B G H N S t Z 1993 182.

Heinrich Laufhütte

§ 174

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

durch die zudringliche Aufforderung des Täters an fremde Frauen, ihn mit der Hand zu befriedigen (BGH bei Miebach NStZ 1993 228), durch die Verfolgung einer Frau über eine längere Strecke, sich unmittelbares Hinstellen vor sie und Öffnen der Hose (OLG Koblenz OLGSt. § 185 Nr. 6). Demgegenüber hat der 2. Strafsenat in dem Verhalten eines Täters, der einem 16jährigen Mädchen in dessen Wohnung gefolgt war und es an die nackte Brust und das nackte Geschlechtsteil gefaßt hatte, keine gewollte herabsetzende Bewertung des Opfers gesehen (BGHR StGB § 178 Abs. 1 Gewalt 1). Zur Frage der Beleidigung der Eltern durch sexuelle Handlungen gegenüber einem Kind vgl. BayObLGSt. 1986 91. Zur fortgesetzten Handlung vor § 174 Rdn. 22. 24

IX. Recht des Einigungsvertrages. Zur Anwendbarkeit von bundesdeutschem Recht oder Recht der D D R auf Tathandlungen im Beitrittsgebiet vgl. die Ausführungen vor § 174 Rdn. 24 und vor § 80 Rdn. 35 ff. In der D D R waren die Tathandlungen des § 174 durch die §§ 14815 und 15016 StGB-DDR unter Strafe gestellt. § 148 StGBD D R schützte Kinder bis zum Alter von 14 Jahren unabhängig von der Beziehung zum Täter vor sexuellen Handlungen. Als sexuelle Handlungen wurden nicht nur solche des Täters am Körper des Kindes oder des Kindes am Körper des Täters verstanden, sondern auch Handlungen des Täters am eigenen Körper in Gegenwart des Kindes und Handlungen des Kindes am eigenen Körper, am Körper dritter Personen oder an Tieren. Sexuelle Handlungen an Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren waren nach § 150 StGB-DDR unter Strafe gestellt, wenn der Jugendliche dem erwachsenen Täter zur Erziehung oder Ausbildung anvertraut war oder in seiner Obhut stand und der Täter diese Stellung als Autoritätsperson ausnutzte, um mit dem Jugendlichen sexuelle Handlungen durchzuführen. Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren wurden unter denselben Voraussetzungen vor dem Mißbrauch zum Geschlechtsverkehr oder zu geschlechtsverkehrsähnlichen Handlungen geschützt 17 . Die Strafdrohungen im StGB-DDR waren milder als im bundesdeutschen Recht, das Recht der D D R ist daher das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB (BGH Beschluß vom 9. 12. 1992 — 5 StR 577/92), wenn es um Einzeltaten geht. Bei einer Verurteilung wegen mehrerer Straftaten ist § 64 Abs. 3 18 StGB-DDR zu beachten, der

15

16

§ 148 S t G B - D D R i.d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14.12. 1988 (GBl. 1 1989 34,59) lautet: „(1) Wer ein Kind zu sexuellen H a n d l u n g e n mißb r a u c h t , wird mit Freiheitsstrafe bis zu f ü n f Jahren o d e r mit Verurteilung auf B e w ä h r u n g bestraft. (2) Wer durch die Tat fahrlässig eine erhebliche Schädigung des K i n d e s verursacht oder bereits wegen einer derartigen H a n d l u n g bestraft ist, wird mit Freiheitsstrafe von einem J a h r bis zu acht J a h r e n bestraft. (3) Wer durch die Tat fahrlässig den T o d des Kindes verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter f ü n f J a h r e n bestraft. (4) D e r Versuch ist strafbar. (5) Kind im Sinne dieses Gesetzes ist, wer noch nicht vierzehn J a h r e alt ist." § 1 5 0 S t G B - D D R i . d . F . d e s 5 . S t R Ä n d G v o m 14.12. 1988(GBl.I198934,59)lautet: „( 1 ) Ein Erwachsener, der unter A u s n u t z u n g seiner Stellungeinen Jugendlichenzwischen vierzehn u n d sechzehn J a h r e n , der ihm zur Erziehung o d e r AusbildunganvertrautistoderderinseinerObhutsteht, zu sexuellen H a n d l u n g e n m i ß b r a u c h t , wird mit

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18

Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n o d e r mit Verurteilung auf B e w ä h r u n g bestraft. (2) Ein Erwachsener, d e r unter denselben Voraussetzungen einen Jugendlichenzwischen s e c h z e h n u n d a c h t z e h n J a h r e n zum Geschlechtsverkehr oder zu geschlechtsverkehrsähnlichen H a n d l u n g e n m i ß b r a u c h t , wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n o d e r mit VerurteilungaufBewährungbestraft." Vgl. Strafrecht der D D R , K o m m e n t a r z u m Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987, Erläuterungen zu §§ 148 f f ; Schlegel/Amboss/MichalskiNi 1985401,403. § 64 Abs. 3 S t G B - D D R i. d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14.12.1988(GB1.1198934,48)lautet : „(3)ErfordernbeieinerVerurteilungwegenmehrer Straftaten (Tatmehrheit) der C h a r a k t e r u n d die Schwere des gesamten s t r a f b a r e n H a n d e l n s eine schwerere Freiheitsstrafe, als es die höchste Obergrenzezuläßt,kanndasGerichtdieseüberschreiten, j e d o c h n i c h t u m m e h r a l s d i e Hälfte. Das gesetzliche Höchstmaßdarfnichtüberschrittenwerden."

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Gefangenen u. a.

§ 174 a

eine E r h ö h u n g des S t r a f m a ß e s u m die H ä l f t e der gesetzlichen Strafe zuläßt ( B G H Urteil v o m 31. August 1993 - 1 StR 4 1 8 / 9 3 - ) .

§ 174a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken in Anstalten (1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einem Gefangenen oder 2. an einem auf behördliche Anordnung Verwahrten, der ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von dem Gefangenen oder Verwahrten vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer den Insassen einer Anstalt für Kranke oder Hilfsbedürftige, der ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von dem Insassen vornehmen läßt. (3) Der Versuch ist strafbar. Schrifttum Koeniger Der Mißbrauch abhängiger Personen, NJW 1957 481; Theede Unzucht mit Abhängigen (1967). Vgl. außerdem die Schrifttumsangaben vor § 174 und bei § 174. Entstehungsgeschichte § 174 a u n d § 174 b h a b e n § 174 Abs. 1 N r . 2 S t G B a. F. abgelöst. Die l e t z t g e n a n n t e Vorschrift (vgl. dazu Koeniger N J W 1957 481) b e d r o h t e mit Strafe, wer einen a n d e ren u n t e r A u s n u t z u n g seiner Amtsstellung o d e r seiner Stellung in einer Anstalt f ü r K r a n k e o d e r H i l f s b e d ü r f t i g e zur U n z u c h t m i ß b r a u c h t e . Wie § 174 Abs. 1 N r . 1 S t G B a. F. ist § 174 Abs. 1 N r . 2 S t G B a. F. d u r c h die S t r a f r e c h t s a n g l e i c h u n g s v e r o r d n u n g v o m 29. M a i 1943 ( R G B l . I 339) neu g e f a ß t u n d g e g e n ü b e r der f r ü h e r e n kasuistischen R e g e l u n g erweitert w o r d e n . D a s Preußische A l l g e m e i n e L a n d r e c h t (II 20 § 1030 A L R ) stellte d e n A u f s e h e r eines G e f ä n g n i s s e s , eines Arbeits- o d e r W a i s e n h a u s e s unter Strafe, der die u n t e r seiner Aufsicht s t e h e n d e n P e r s o n e n sexuell m i ß b r a u c h t e (vgl. Laufhütte Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1306). § 142 p r e u ß i s c h e s S t G B 1851 u n d ihm folg e n d § 174 S t G B a. F. b r a c h t e n eine E r w e i t e r u n g auf G e f ä n g n i s b e a m t e sowie K r a n k e n h a u s ä r z t e , U n t e r s u c h u n g s - u n d A u f s i c h t s b e a m t e . Die später auf j e d e A u s n ü t z u n g einer Amtsstellung o d e r Stellung in einer K r a n k e n a n s t a l t erweiterte F a s s u n g w u r d e von der R e c h t s p r e c h u n g so weit ausgelegt — sie n a h m M i ß b r a u c h zur U n z u c h t u n t e r A u s n ü t z u n g der Amtsstellung schon a n , w e n n der B e a m t e die ihm d u r c h die Amtsstellung g e b o t e n e G e l e g e n h e i t ausnutzte ( B G H S t . 9 13, 14) — , d a ß es zu Verurteilungen k a m , die, wie s c h o n der E 1962 h e r v o r h o b ( B e g r ü n d u n g S. 373), mit d e m U n rechts- u n d Schuldgehalt d e r Tat nicht m e h r in E i n k l a n g zu b r i n g e n w a r e n . D e r E 1962 hat d e s h a l b versucht, d e n in § 174 Abs. 1 N r . 2 S t G B a. F. z u s a m m e n g e f a ß t e n T a t b e s t ä n d e n in § 214 ( U n z u c h t u n t e r A u s n u t z u n g der Dienststellung) u n d in § 215 ( U n z u c h t in Anstalten) s c h ä r f e r e K o n t u r e n zu geben. D a s 4. S t r R G ist d e m E 1962 im (39)

Heinrich Laufhütte

§ 174 à

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Prinzip gefolgt, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge: § 174 a betrifft den sexuellen Mißbrauch von Gefangenen und von auf behördliche Anordnung Verwahrten sowie von Hilfsbedürftigen in Anstalten, § 174 b den Mißbrauch von Abhängigen unter Ausnutzung einer Amtsstellung. Der in der sechsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages vorgelegte Regierungsentwurf eines 4. StrRG (BTDrucks. VI/1552) wollte in § 174 a ergänzend auch die noch nicht 21 Jahre alten Bewohner eines der Erziehung dienenden Heimes schützen. Dieser Vorschlag wurde in der 7. Wahlperiode (BTDrucks. 7/80) nicht mehr aufgegriffen, nachdem ihm die Mehrheit des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BTDrucks. VI/3521 S. 26) mit der Erwägung entgegengetreten war, ein unterschiedlicher Schutz von Jugendlichen nach Art ihrer Unterbringung sei nicht erforderlich (BT-Drucks. VI/3521 S. 26).

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. O p f e r der sexuellen H a n d l u n g e n 1. G e f a n g e n e u n d auf behördliche Ano r d n u n g Verwahrte (Absatz 1) . . . a) G e f a n g e n e b) auf behördliche A n o r d n u n g Verwahrte 2. Insassen einer Anstalt f ü r K r a n k e o d e r Hilfsbedürftige (Absatz 2) . . . a) G r u n d l a g e der U n t e r b r i n g u n g . . b) Anstalten f ü r K r a n k e oder Hilfsbedürftige c) Insassen III. T a t h a n d l u n g e n 1. M i ß b r a u c h einer Stellung gegenüber dem zur Erziehung, Ausbild u n g , Beaufsichtigung oder Betreuu n g anvertrauten O p f e r (Absatz 1) .

1

Rdn. 1

3 3 4 5 5 6 7 9

9

a) Erziehung u n d A u s b i l d u n g . . . b) Beaufsichtigung c) Betreuung d) Anvertrautsein e) M i ß b r a u c h einer Stellung . . . . 2. M i ß b r a u c h von anvertrauten Insassen einer Anstalt für K r a n k e o d e r Hilfsbedürftige (Absatz 2) a) Anvertrautsein zur Beaufsichtigung oder Betreuung b) M i ß b r a u c h durch A u s n u t z u n g von K r a n k h e i t oder Hilfsbedürftigkeit IV. Vorsatz V.Versuch VI. Täterschaft u n d T e i l n a h m e VII. K o n k u r r e n z e n VIII. Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 10 11 12 13 14

15 15

16 17 18 19 20 21

I. Geschütztes Rechtsgut. Absatz 1 dient der Gewährleistung der sexuellen Selbstbestimmung von Personen, die aufgrund ihres durch behördliche (§ 11 Abs. 1 Nr. 7) Anordnung erzwungenen Aufenthaltsorts in ihrer Handlungs- und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sind. In den Gesetzesberatungen sind daneben noch andere Schutzzwecke genannt worden. Danach dient die Vorschrift der Verhinderung von sexuellen Kontakten, die in Widerspruch zu dem mit dem Verwahrungsziel angestrebten Ziel stehen und den störungsfreien Ablauf der Verwahrung gefährden (BTDrucks. VI/3521 S. 25), sowie der Aufrechterhaltung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität von Personen, denen Gefangene oder sonst behördlich verwahrte Personen anvertraut sind (Laufliütte in Prot. 6. Wahlperiode S. 1342). Im Schrifttum wird dem weitgehend zugestimmt (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 1 ; Dreher/Tröndle Rdn. 1 ; Lackner Rdn. 1 ; Horn SK Rdn. 1 mit Bedenken gegen den letztgenannten Grund). Dafür, daß § 174 a Abs. 1 neben dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des einzelnen auch dem Zweck dient, die Störungsfreiheit von Verwahrungsverhältnissen zu gewährleisten, könnte sprechen, daß der Tatbestand nur den Mißbrauch der Stellung, nicht aber, wie § 174 Abs. 1 Nr. 2, den Mißbrauch einer Abhängigkeit verlangt, also auch zur Anwendung kommt, wenn von einer Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall nicht die Rede sein kann (Horn SK Rdn. 2). Die Erwägung ist aber letztlich ohne große praktische Relevanz (vgl. Stand: 1. 8. 1994

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S e x u e l l e r M i ß b r a u c h v o n G e f a n g e n e n u. a.

§ 174 a

aber Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 19 Rdn. 3). Die Gewährleistung der Störungsfreiheit von Gewaltverhältnissen und die Erhaltung des Vertrauens in die Integrität der Beamten ist jedenfalls Nebenwirkung der Vorschrift, selbst wenn sie nicht als ihr Schutzzweck angesehen wird. In erster Linie gewährt die Vorschrift — wie § 174 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 — wegen der generell gegebenen und deshalb vom Gesetzgeber unterstellten Abhängigkeit der geschützten Personen deren sexuelle Selbstbestimmung (vor § 174 Rdn. 5). Es kommt nicht darauf an, ob im Einzelfall die Selbstbestimmung konkret beeinträchtigt ist. Bei der Strafzumessung kann allerdings berücksichtigt werden, wenn eine Beeinträchtigung im konkreten Einzelfall nicht nachweisbar ist. Dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient auch Abs. 2, was hier — anders 2 als im Absatz 1 — durch die Tatbestandsfassung zum Ausdruck kommt, die nicht auf den Mißbrauch einer Stellung, sondern auf den Mißbrauch des Kranken oder Hilfsbedürftigen abstellt (vgl. vor § 174 Rdn. 5). II. Opfer der sexuellen Handlungen 1. Opfer nach Absatz 1 können sein: Gefangene und auf behördliche Anordnung 3 Verwahrte. a) Den Begriff des Gefangenen verwendet das Gesetz in § 120 Abs. 1 (dazu von Bubnoff LK10 § 120 Rdn. 14; vgl. auch BayObLG NJW 1984 1192). Er ist wie dort auszulegen. Die Gefangenschaft endet mit der Aufhebung der behördlichen Maßnahme, die Rechtsgrund für die Beschränkung der Freizügigkeit ist, soweit sich der Gefangene dann frei bewegen kann, sonst mit dem tatsächlichen Ende der Gefangenschaft (von Bubnoff LK10 Rdn. 22). Es kommt nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Tat eine Überwachung tatsächlich stattfindet. Der Freigänger ist auch in den Zeiten Gefangener, in denen er nicht in der Anstalt ist, sich vielmehr an Aufenthaltsorten befindet, die ihm vorgeschrieben sind 1 ; denn auch hier ist er in der abhängigen Position, die es ihm schwermachen kann, sich gegen sexuelle Übergriffe in der Weise zu verteidigen, die Personen möglich ist, die ihren Aufenthaltsort frei bestimmen können. Eine vorübergehende Aufhebung der Gefangenschaft, etwa bei Gewährung von Urlaub während der Strafverbüßung, beendet aber die Gefangenschaft. b) Den Begriff „auf behördliche Anordnung verwahrt" verwendet das Gesetz in 4 § 120 Abs. 4 (dazu von Bubnoff LK 10 § 120 Rdn. 15 bis 18). Das dortige Merkmal entspricht dem in § 174 a verwendeten. Daß in § 120 Abs. 4 die Worte „in einer Anstalt" zugefügt sind, führt zu keinem Unterschied in der Auslegung. Die behördliche Verwahrung (von Bubnoff LK10 § 120 Rdn. 18) besteht — wie die Gefangenschaft — auch außerhalb der Anstalt fort (vgl. von Bubnoff LK10 § 120 Rdn. 16), soweit der Rechtsgrund der Verwahrung noch fortdauert und sich der Verwahrte im Einwirkungsbereich des für die Aufrechterhaltung des Verwahrungsverhältnisses Verantwortlichen befindet. Das ist bei einem Untergebrachten, der sich unbegleitet, aber erlaubt, außerhalb der Anstalt befindet, noch der Fall (aA von Bubnoff LK10 § 120 Rdn. 23). 2. In Absatz 2 werden geschützt die Insassen einer Anstalt für Kranke oder Hilfs- 5 bedürftige.

1

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Dreher/Tröndle § 120 R d n . 4; Lackner § 120 R d n . 3; Ross η er JZ 1984 1065, 1067; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 4 ; aA von Bubnoff LK'" § 120

R d n . 23; Horn SK R d n . 3; Sch/Schröder/Eser § 120 R d n . 6; Zielinski A K § 120 R d n . 17; Kusch N S t Z 1985 385,387.

Heinrich Laufhütte

§ 174 Ά

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

a) Die Grundlage der Unterbringung ist gleichgültig. Insoweit unterscheidet sich die Vorschrift von Absatz 1, der nur zur Anwendung kommt, wenn die Gefangenschaft oder die Verwahrung auf einem hoheitlichen Akt beruht (von Bubnoff LK10 § 120 Rdn. 13, 19). Geschützt ist also auch derjenige, der sich auf privatrechtlicher Grundlage — auch wenn er selbst Vertragspartner ist — in der Anstalt befindet. 6

b) Anstalten für Kranke oder Hilfsbedürftige sind Einrichtungen, in denen Personen aufgenommen werden, die wegen Krankheit oder körperlicher oder geistiger Hilfsbedürftigkeit in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu dem in der Anstalt beschäftigten Personal stehen (BGHSt. 19 131, 133). Dazu gehören nicht nur Krankenhäuser und Heil- oder Pflegeanstalten (BGHSt. 1 122), sondern auch private Kneipp-Kurheime (BGHSt. 19 131) oder Altenheime. Ob die Anstalt einen öffentlich-rechtlichen oder privaten Träger hat, ob sie gewerberechtlich konzessioniert ist und ob die Nutzungsordnung eine öffentlich-rechtliche oder private Grundlage hat, ist unerheblich.

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c) Insassen sind solche Personen, die als Patienten oder Hilfsbedürftige in den zur Anstalt gehörenden Räumen übernachten (BGHSt. 29 15, 16, 17). Es scheiden aus: das Anstaltspersonal, Besucher sowie Kranke und Hilfsbedürftige, die ambulant behandelt werden. Auch bei letzteren — beispielsweise bei Patienten eines Rehabilitationszentrums, die dieses nur tagsüber aufsuchen — kann eine Abhängigkeit zum Anstaltspersonal gegeben sein. Das Gesetz berücksichtigt aber nur die durch die räumliche Eingliederung begründeten besonders intensiven Abhängigkeitsverhältnisse. Auf die Dauer der räumlichen Eingliederung kommt es nicht an. Es genügt also die Unterbringung für eine Nacht (offengelassen in BGHSt. 29 16, 17). Ob der sexuelle Kontakt, vor dem die Vorschrift schützt, in den Räumen der Anstalt oder außerhalb stattfindet, ist unerheblich, solange der Patient oder Hilfsbedürftige noch Insasse ist (also für die nächste Nacht noch untergebracht ist).

8

Fraglich ist, ob tatsächlich Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit des Opfers gegeben sein muß (so Lackner Rdn. 7; aA Horn SK Rdn. 14). Bei einer sinnvollen einengenden Auslegung der Vorschrift wird man die Frage bejahen müssen. Hilfsbedürftig ist nicht jeder Bewohner eines Altenheims, sondern nur derjenige, der infolge Alters oder Gebrechlichkeit der Pflege bedarf. Krank ist derjenige, der ärztliche Fürsorge benötigt. Das ist auch der Patient einer Klinik, bei dem der Verdacht einer Krankheit besteht, auch wenn dieser später ausgeräumt wird. Krank ist nicht derjenige, der in Kürze, weil er geheilt ist, aus der Anstalt entlassen wird.

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III. Tathandlungen sind sexuelle Handlungen des — männlichen oder weiblichen — Täters an dem — männlichen oder weiblichen — Opfer oder des Opfers an dem Täter. Notwendig sind also stets sexuelle Handlungen mit Körperkontakt zwischen Täter und Opfer (vgl. dazu § 184 c Rdn. 16). Täter können nur solche Personen sein, die Obhutspflichten gegenüber dem Opfer haben. 1. Absatz 1 setzt den Mißbrauch einer Stellung gegenüber einem Gefangenen oder auf behördliche Anordnung Verwahrten voraus, der dem Täter zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist.

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a) Die Begriffe der Erziehung und Ausbildung entsprechen den in § 174. Nach Lenckner (Schönke/Schröder Rdn. 5) braucht die Ausbildung — abweichend von § 174 (Prot., 6. Wahlperiode § 1325) — nicht das Moment der Persönlichkeitsbildung zu enthalten. Dieses ist jedoch jeder Ausbildung immanent, die, wie bei § 174 Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Gefangenen u. a.

§ 174 a

(Rdn. 8), ein Über- u n d Unterordnungsverhältnis voraussetzt u n d nicht schon die Anleitung zu schlichten Verrichtungen u n d einfachen mechanischen Betätigungen u m f a ß t (BGHSt. 21 196, 198). Ausbilder sind etwa Meister in Anstaltswerkstätten (BTDrucks. VI/3521 S. 26) oder Leiter von Fortbildungskursen. b) Das Merkmal der Beaufsichtigung fehlt in § 174. Das Gesetz verwendet es, um 11 auch das reine Bewachungspersonal zu erfassen (BTDrucks. VI/3521 S. 25). Es unterscheidet sich von dem in § 174 Nr. I a. F. verwandten Merkmal der Aufsicht, das in Fällen a n g e n o m m e n wurde, in denen der Täter verpflichtet war, das Opfer in sittlicher Hinsicht zu beaufsichtigen. Die Beaufsichtigung im Sinne des § 174 a u m f a ß t bereits die Fälle, in denen dem Täter die Pflicht obliegt zu überwachen, ob der Gefangene oder behördlich Verwahrte sich entsprechend der Anstaltsordnung verhält. c) Das Merkmal der Betreuung ist in einem weiteren Sinne zu verstehen als der in 1 2 § 174 verwandte Begriff in der Lebensführung. Es erfaßt schon die vorübergehende Fürsorge, beispielsweise durch den Krankenpfleger, der einen erkrankten Gefangenen stundenweise betreut (BTDrucks. VI/3521 S. 25), sowie die durch Sozialarbeiter bei der sozialen oder durch Geistliche bei der seelsorgerischen Betreuung. d) § 174 a verlangt, d a ß der G e f a n g e n e oder Verwahrte dem Erzieher, Ausbilder, 1 3 der Aufsichtsperson oder dem Betreuer anvertraut ist. Das Merkmal, das wie bei § 174 Abs. I Nr. 1 ein Über- oder Unterordnungsverhältnis voraussetzt, ist bei § 174 a von besonderer Bedeutung, d a der in Frage k o m m e n d e Täterkreis — anders als in § 174 — häufig nicht zur ganztägigen Betreuung verpflichtet ist, sondern nur im Rahmen eines begrenzten Auftrages tätig wird. Dem Lehrer oder dem Werkmeister anvertraut ist der G e f a n g e n e nur während der Unterrichtszeit oder der Lehrtätigkeit (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6). Dem Bewachungspersonal ist der G e f a n g e n e nur w ä h r e n d deren Dienstzeiten anvertraut — d a n a c h besteht f ü r eine Aufsichtsperson nicht die Befugnis, sich mit dem G e f a n g e n e n oder Verwahrten zu befassen ( B G H N J W 1983 404). Dem Aufseher in der Männerabteilung der Vollzugsanstalt sind die im Frauentrakt befindlichen weiblichen G e f a n g e n e n nicht anvertraut ( B G H bei Miebach N S t Z 1993 223). Anders ist es beim Leiter der Vollzugsanstalt u n d bei den Personen, denen die Gesamtverantwortung d a f ü r obliegt, d a ß G e f a n g e n e oder Verwahrte dem Gesetz entsprechend behandelt werden. Ihnen sind diese auch außerhalb der Dienstzeit anvertraut, wenn sie — was sicher für den Leiter der Anstalt gilt — auch in diesen Zeiten die Befugnis haben, sich mit ihnen zu befassen. e) Als weiteres eingrenzendes Kriterium sieht das Gesetz den Mißbrauch der Stel- 14 lung vor. Es ist nicht identisch mit dem in § 174 Abs. 1 Nr. 2 verwendeten Merkmal des Mißbrauchs einer Abhängigkeit u n d setzt die illegitime W a h r n e h m u n g einer C h a n c e voraus, die das Unterbringungsverhältnis mit sich bringt (BGHSt. 28 365, 367). Auf das Merkmal des Mißbrauchs der Abhängigkeit ist verzichtet worden, weil der Freiheitsentzug ein Ausweichen vor dem Betreuungspersonal — schon in rein räumlichem Sinne — nicht zuläßt {Horstkotte u n d Laufliülte in Prot., 6. Wahlperiode S. 1346), was generell zu einem starken Abhängigkeitsverhältnis führt. Eine Abhängigkeit im konkreten Einzelfall braucht allerdings nicht gegeben zu sein. Dabei spielt die Erwägung eine Rolle, d a ß , um unerwünschte Rückwirkungen auf das Kollektiv der G e f a n g e n e n oder Verwahrten zu unterbinden u n d Beeinträchtigungen der Anstaltsdisziplin zu vermeiden, sexuelle Beziehungen zwischen diesen u n d Amtspersonen generell u n t e r b u n d e n werden sollen (Horstkotte a a O ; BTDrucks. VI/3521 S. 26; vgl. die A n m e r k u n g zum geschützten Rechtsgut). Deshalb liegt ein Mißbrauch der Stellung auch d a n n vor, wenn die Initiative zu dem sexuellen Kontakt von dem Ge(43)

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§ 174 a

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

fangenen oder Verwahrten ausgeht (BGHSt. 2 93). Es genügt allerdings nicht die bloße Ausnutzung der Gelegenheit unter Mißachtung von Dienstvorschriften (BGHSt. 8 24, 26; 9 13). Straffrei bleiben deshalb die Fälle, in denen die sexuelle Selbstbestimmung des Betroffenen in keiner Weise berührt sein kann, beispielsweise bei sexuellen Kontakten zwischen Eheleuten oder Verlobten auf Initiative des Inhaftierten (Horstkotte in Prot., 6. Wahlperiode S. 1357). 15

2. Absatz 2 ist enger als Absatz 1. a) Er setzt zunächst ein Anvertrautsein zur Beaufsichtigung oder Betreuung voraus. Die Begriffe der Beaufsichtigung und Betreuung decken sich mit denen, die in Absatz 1 verwandt sind. Das Merkmal der Beaufsichtigung ist hier von geringerer Bedeutung als in Absatz 1, der eine behördliche Unterbringung voraussetzt. Möglich ist eine Beaufsichtigung in einer psychiatrischen Anstalt (BTDrucks. VI/3521 S. 27) oder in einer Anstalt für Hilfsbedürftige, die auch dem Hausmeister übertragen sein kann (BGH NJW 1964 458). Betreuungspflichten haben beispielsweise der Arzt, die Krankenschwester, der Pfleger (BGHSt. 1 122), der Masseur, auch der Bademeister. Voraussetzung ist bei Absatz 2 wie bei Absatz 1 ein Anvertrautsein. Für Personen, die nur gelegentlich zur Betreuung herangezogen werden (Masseur, Bademeister), liegt das nur für die Zeiten ihrer Tätigkeit (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6; Dreher/ Tröndle Rdn. 5) für den Insassen vor. Dem sonstigen Personal (Krankenschwester, Pfleger) ist der Insasse in der Regel nur für deren Dienstzeiten anvertraut. Für diejenigen, denen die Gesamtverantwortung obliegt (etwa dem Chefarzt, nach den Umständen auch dem Stationsarzt), gilt diese Einschränkung allerdings nicht. Dem Verwaltungs- und technischen Personal ist der Insasse regelmäßig nicht zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut, es sei denn, daß diese Personen in Einzelfällen zur Aufsicht oder zu Betreuungsaufgaben herangezogen werden. Es kommt nicht darauf an, ob der Betreuer eine Stellung in der Anstalt hat (so BGHSt. 19 131, 132). Ein Anstaltsinsasse kann auch einem Arzt zur Betreuung anvertraut sein, der eine ärztliche Untersuchung in seiner eigenen Praxis vornimmt und für die Zeit der Behandlung die Betreuungsfunktionen der Anstalt übernommen hat (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9).

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b) Absatz 2 setzt, anders als Absatz 1, einen Mißbrauch des Kranken dadurch voraus, daß die sexuellen Handlungen unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit vorgenommen werden. Dieser Begriff ist enger als das in § 174 Nr. 2 StGB a. F. verwandte Merkmal der Ausnutzung der Stellung. Willigt ein Insasse in die sexuelle Handlung aufgrund defektfreier Entscheidung ein, so liegt, selbst wenn die Stellung in der Anstalt ausgenutzt worden ist (vgl. BGH GA 1955 368, 374; BGHSt. 19 131, 133), nicht unbedingt ein Ausnutzen der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit vor. Beruht die Einwilligung auf einer Schwächung der Willenskraft, auf Hilfsbedürftigkeit oder auch schon auf dem Gefühl des Ausgeliefertseins an das Anstaltspersonal und nimmt der Täter dennoch sexuelle Handlungen vor, so nutzt er Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit aus. Unzutreffend ist die weitergehende Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (NJW 1977 1499), tatbestandsmäßig sei auch die unter dem Deckmantel der medizinischen Betreuung vorgenommene Handlung, der sich der Kranke freiwillig (in der Annahme, sie sei medizinisch indiziert) unterwirft (so auch Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10; Horn SK Rdn. 18; Lackner Rdn. 8). Derartige Fälle der Täuschung des Patienten sind möglicherweise Handlungen, die unter Ausnutzung der Stellung in der Anstalt vorgenommen werden, nicht aber solche, die mit der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit und dem darauf zurückzuführenden AufStand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Gefangenen u. a.

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enthalt in der Anstalt zusammenhängen. Nur solche werden aber von der Vorschrift erfaßt. Es reicht auch nicht aus, daß allein der bloße Aufenthalt in der Anstalt ausgenutzt wird (Horn aaO; BTDrucks. VI/3521 S. 27). So nutzt der Arzt nicht die Krankheit aus, wenn er die durch den Krankenhausaufenthalt gegebene Möglichkeit zu Gesprächen gebraucht, um sexuelle Kontakte anzuknüpfen. Tatbestandsmäßig handelt aber der Arzt, der die durch die Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit bedingte Lage in Rechnung stellt und der Kranke oder Hilfsbedürftige durch diese veranlaßt wird, sexuelle Handlungen vorzunehmen oder zu dulden. Geht die — defektfreie — Initiati ve vom Kranken oder Hilfsbedürftigen aus, so wird regelmäßig ein Ausnutzen nicht vorliegen (Sturm JZ 1974 1, 5). Anders liegt der Fall, wenn die Initiative gerade auf dem Gefühl des Ausgeliefertseins beruht. Das vom Gesetzgeber zusätzlich eingeführte Merkmal des Mißbrauchs ist bei der Ausnutzung von Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit stets gegeben. Es hat hier — anders als in § 179 (dort Rdn. 14) — keine zusätzliche einschränkende Bedeutung (aA Lackner § 174 a Rdn. 9: Ausscheiden von exzeptionellen Fällen), da in der Ausnutzung des Kranken der Mißbrauch liegt. IV. Vorsatz. Sowohl Absatz 1 als auch Absatz 2 verlangen — zumindest bedingten 17 — Vorsatz, der alle Tatbestandsmerkmale umfassen muß (soweit die sexuellen Handlungen in Frage stehen : vgl. § 184 c Rdn. 19). Dies gilt insbesondere für die Umstände, die die Merkmale des Anvertrautseins und des Mißbrauchs der Stellung sowie der Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit ausfüllen. Geht in Fällen des Absatzes 2 die Initiative vom Insassen der Anstalt aus, so muß der Täter die Umstände erkennen, die dennoch dazu führen, ein Ausnutzen der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit anzunehmen. Er muß dies zudem — mit direktem Vorsatz — wollen oder zumindest — mit bedingtem Vorsatz — billigend in Kauf nehmen. Letzteres liegt vor, wenn er sämtliche Umstände, die sein Verhalten als Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit kennzeichnen, erkennt und ihm dies gleichgültig ist (vgl. § 174 Rdn. 20). Der Irrtum über das Vorliegen einer defektfreien Einwilligung ist Tatbestandsirrtum (Horn SK Rdn. 20). V. Versuch. Der Versuch ist strafbar (Absatz 3). Die Abgrenzung von Versuch und 18 Vorbereitungshandlung kann im Einzelfall schwierig sein. Es gelten die Abgrenzungskriterien, die bei § 174 (dort Rdn. 21 ) entwickelt worden sind. Nimmt der Täter Handlungen ohne Körperkontakt vor, so kann darin der Versuch einer Tat nach § 174 a liegen, wenn in den Handlungen bereits die Vorbereitung von Handlungen mit Körperkontakt liegt. Anders ist es, wenn der Täter durch Handlungen ohne Körperkontakt das Opfer geneigt machen will, später Handlungen mit Körperkontakt freiwillig zuzustimmen. Untauglicher Versuch liegt vor, wenn der Täter von einer Ausnutzung der Krankheit ausgeht, der Anstaltsinsasse in Wahrheit defektfrei eingewilligt hat. VI. Täterschaft und Teilnahme. Es gelten hier die Grundsätze, die zu § 174 entwik- 19 kelt worden sind (dort Rdn. 20). Täter kann nur sein, wem das Opfer anvertraut ist. Dieses ist notwendiger Teilnehmer. Für sonstige mit Strafe bedrohte Teilnehmer ist § 28 Abs. 1 unanwendbar. Die im Tatbestand umschriebenen Autoritätsverhältnisse, bei deren Vorliegen Täterschaft möglich ist, sind nicht persönliche Merkmale im Sinne des § 28, sondern kennzeichnen die Umstände, bei deren Vorliegen ein besonderer Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des Abhängigen notwendig ist (vgl. BGHSt. 39 326, 329). (45)

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

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VII. Konkurrenzen. Idealkonkurrenz ist möglich zwischen Absatz 1 und Absatz 2 sowie zu den §§ 174, 174 b (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 14: regelmäßig Exklusivität) bis 179, 180 Abs. 3 (aA Horn SK Rdn. 11; auch § 180 Abs. 2), 240, 331, 332 (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 14; Horn SK Rdn. 11 ; Lackner Rdn. 13). Wegen des Verhältnisses zu § 185 vgl. § 174 Rdn. 23. Vgl. außerdem: vor § 174 Rdn. 20ff.

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VIII. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Rechts der DDR siehe § 174 Rdn. 24. In der DDR waren die Tathandlungen des § 174 a wie des § 174 b durch § 1222 StGB-DDR unter Strafe gestellt. Danach wurde mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft, wer durch Mißbrauch seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion oder Tätigkeit einen Menschen zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zwang. Die Strafdrohung in § 122 StGB-DDR ist milder als die in § 174 a und § 174b; das Recht der DDR ist daher das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.

§ 174 b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung (1) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt oder an sich von dem anderen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Schrifttum und Entstehungsgeschichte vgl. § 174 a. Heutige Fassung durch 4. StrRG. Übersicht Rdn. I. Geschütztes Rechtsgut 1 II. O p f e r der sexuellen H a n d l u n g e n . . . 2 1. Z u m Begriff des S t r a f v e r f a h r e n s . . 2 2. Verfahren zur A n o r d n u n g einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung u n d Sicherung 3 3. Verfahren zur A n o r d n u n g einer behördlichen V e r w a h r u n g 4 4. Vorschläge bei den Gesetzesberatungen zur Erweiterung des Tatbestandes 5 III. Die T a t h a n d l u n g 6

1

IV. V. VI. VII. VIII.

1. Tätereigenschaft 2. V o r n a h m e der sexuellen H a n d l u n gen durch den Amtsträger unter M i ß b r a u c h d e r durch das Verfahren b e g r ü n d e t e n Abhängigkeit a) Früheres Recht b) M i ß b r a u c h der Abhängigkeit . . Vorsatz Versuch Täterschaft u n d T e i l n a h m e Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 6

8 8 9 10 11 12 13 14

I. Geschütztes Rechtsgut. Die Vorschrift dient der Gewährleistung der sexuellen Selbstbestimmung von Personen, die als Beschuldigte oder sonst Betroffene in ein Strafverfahren oder in ein anderes Verfahren, das mit ihrer Freiheitsentziehung en2

§ 122 S t G B - D D R ist a b g e d r u c k t bei § 178 Fn. 10.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller M i ß b r a u c h unter Ausnutzung einer Amtsstellung

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den kann, verwickelt sind. Der vom 4. StrRG abgelöste Tatbestand des Mißbrauchs zur Unzucht unter Ausnutzung einer Amtsstellung verfolgte noch als weitere Schutzzwecke den Schutz des einzelnen vor der Einbuße seiner Freiheit und den Schutz des Ansehens des Staates in der Öffentlichkeit (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1372; BTDrucks. VI/3521 S. 29). Der Gesichtspunkt der Reinhaltung des Amtes von sexuellen Handlungen ist nicht mehr Schutzzweck des neugefaßten § 174 b, was sich schon darin zeigt, daß die Vorschrift, anders als ihre Vorgängerin, sexuelle Kontakte zwischen Bediensteten derselben Behörde nicht mehr erfaßt (vgl. zum alten Recht BGHSt. 8 24; 18 112). Insoweit sind im Disziplinarrecht ausreichende Eingriffsmöglichkeiten gegeben. In BTDrucks. VI/3521 S. 28 wird allerdings als ein Zweck der Vorschrift das Ziel genannt, das Vertrauen der Bürger in der Objektivität des Staates zu erhalten (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 1 ; Dreher/Tröndle Rdn. 1 ; Horn SK. Rdn. 2). Dabei handelt es sich, wie Maurach/Schroeder/Maiwald Rdn. 3 (BT, 1. Teilband § 19) zutreffend ausführen, nur um eine erwünschte Nebenwirkung der Vorschrift, die dem Ziel dient, Personen vor sexuellen Pressionen durch Amtsträger zu bewahren, die ihnen gegenüber infolge ihrer Dienststellung in einem auf Freiheitsentziehung ausgerichteten Verfahren eine überlegene Position wahrnehmen (vgl. § 174a Rdn. 1). II. Opfer der sexuellen Handlungen. Es kommen nur Personen in Frage, gegen die 2 sich ein Strafverfahren oder ein Verfahren richtet, das mit Freiheitsentziehung enden kann. 1. Strafverfahren sind nicht nur solche, in denen eine Freiheitsentziehung angedroht ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift genügt es, daß nur eine Geldstrafe zu erwarten ist1. Die einschränkende Auslegung von Maurach/Schroeder/Maiwald (BT, 1. Teilband § 19 Rdn. 6), es seien nur Strafverfahren mit konkret drohendem Freiheitsentzug erfaßt, beruft sich auf die Äußerung eines Regierungsvertreters während der Gesetzesberatung (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1374), bei Strafverfahren bestehe eine qualifizierte Abhängigkeit des Bürgers von staatlichen Organen, weil dieses regelmäßig zur Unfreiheit führen könne. Eine dementsprechende Einschränkung des Tatbestandes hat aber keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, der wegen der in Strafverfahren generell gegebenen Möglichkeit der Freiheitsentziehung an solche Verfahren angeknüpft hat, und zwar ohne Rücksicht auf das zu erwartende Ergebnis. Erfaßt ist auch das Jugendstrafverfahren, und zwar selbst dann, wenn die Möglichkeit der Freiheitsentziehung im Einzelfall von vornherein ausscheidet. Bußgeld· und Disziplinarverfahren sind keine Strafverfahren. Sie können zwar im Einzelfall für den Betroffenen von größerem Gewicht sein als diese. Die im Gesetz getroffene generalisierende Regelung geht jedoch davon aus, daß Strafverfahren für die Betroffenen regelmäßig von einschneidenderer Bedeutung sind als sonstige Verfahren, die in § 174 b nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auf eine Freiheitsentziehung gerichtet sind. Das Strafverfahren beginnt mit einer Maßnahme der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder — bei Steuerstrafverfahren — der Finanzbehörde, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen des Verdachts einer Straftat strafrechtlich vorzugehen (KK-Müller § 160 Rdn. 14). Es dauert bis zum Ende der Strafvollstreckung (aA Horst1

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H M : Sch/Schröder/Leckner Rdn. 4; Dreher/ Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 2.

Heinrich L a u f h ü t t e

§ 174 b

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

kotte, Prot., 6. Wahlperiode S. 1376, der zwischen Verfahren nach der StPO und dem Vollzug unterscheidet), unabhängig davon, ob die Strafe — auch eine Geldstrafe — oder eine freiheitsentziehende Maßregel (§ 61 Nrn. 1 bis 3) zu vollstrecken ist. Die Vollstreckung einer Geldstrafe genügt nicht deshalb, weil unter Umständen an ihrer Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden kann. Bei der Vollstreckung von Maßregeln kämen nach dem Wortlaut auch solche in Frage, die keinen freiheitsentziehenden Charakter haben (§ 61 Nrn. 4 bis 6 StGB). Eine einschränkende Interpretation führt jedoch dazu, daß die Mitwirkung bei der Vollstreckung dieser Maßnahmen (die keinen freiheitsentziehenden Charakter haben) ebensowenig tatbestandsmäßig ist wie die Mitwirkung bei der (selbständigen) Anordnung solcher Maßnahmen (§ 71 Abs. 2). 3

2. Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung sind solche im Sinne des § 71 Abs. 1 StGB. Nach Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5 und Horn SK Rdn. 4 soll § 174 b mit der Rechtskraft der Anordnung enden, wie die Formulierung „zur" Anordnung ergebe, also nicht mehr für deren Vollzug. Diese Einschränkung ist im Vergleich zu der für Strafverfahren getroffenen Regelung nicht sinnvoll, entspricht aber dem Wortlaut der Vorschrift. Eine erhebliche Gesetzeslücke entsteht hierdurch nicht, weil im Vollzug § 174 a gilt, der allerdings vor Durchführung des Vollzugs, beispielsweise vor der Festnahme zum Zwecke der Inhaftierung, noch nicht anwendbar ist.

4

3. Verfahren zur Anordnung einer behördlichen Verwahrung sind sämtliche gesetzlich geordneten Verfahren, die mit Freiheitsentziehung auf behördliche Anordnung enden können. Verwahrung ist noch nicht die Festnahme zum Zwecke der Vorführung (BTDrucks. VI/3521 S. 29), aber die Festnahme nach den §§ 51,70 StPO, §§ 390, 888, 901 ZPO, § 96 OWiG, §§ 177, 178 GVG, die Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen, die Abschiebehaft, für Fürsorgeerziehung, auch der Arrest nach der Wehrdisziplinarordnung sowie die Freiheitsentziehung aus seuchenhygienischen Gründen (BTDrucks. aaO).

5

4. Vorschläge während der Gesetzesberatungen, den Tatbestand zu erweitern und sonstige Fälle zu erfassen, in denen Bürger durch staatliche Maßnahmen in Abhängigkeit von den für die Anordnung und Durchführung der Maßnahmen verantwortlichen Amtsträgern geraten können, haben sich nicht durchgesetzt. Der Tatbestand sollte auf Extremfälle beschränkt werden (BTDrucks. VI/3521 S. 29). Die Vorschrift hat dadurch eine zum Teil unausgewogene Fassung erhalten, die ihren Kompromißcharakter erkennen läßt. Eine zu weitgehende Strafbarkeit wird vermieden, wenn das Merkmal des Mißbrauchs der Abhängigkeit (Rdn. 9) einschränkend interpretiert wird.

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III. Die Tathandlung. Wie bei § 174 a sind nur Handlungen mit Körperkontakt tatbestandsmäßig. 1. Täter kann nur ein Amtsträger sein (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB), der zur Mitwirkung an dem Verfahren berufen ist. Zur Mitwirkung an Strafverfahren sind insbesondere berufen Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte (BGHSt. 4 167, 168), auch Finanzbeamte (RGSt. 58 79). Im Vollstreckungsverfahren wirken VollstreckungsrichStand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch unter A u s n u t z u n g einer Amtsstellung

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ter und Vollzugsbeamte sowie Bewährungshelfer mit . Auch das Hilfspersonal der in erster Linie zuständigen Richter und Beamten, wie die Beamten der Geschäftsstelle oder die im konkreten Fall beauftragten Protokollführer, sind zur Mitwirkung an dem Verfahren berufen (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10). Es kommt insoweit auf den dienstlichen Auftrag an (RGSt. 73 294,297 ; 76 394, 395). Das gilt auch für die Vorgesetzten der zuständigen Beamten (BGHSt. 4 167, 168), wenn sie auch keinen Einfluß auf konkrete Diensthandlungen nehmen. Entsprechendes gilt für die Amtsträger, die zur Mitwirkung an einem sonstigen auf Freiheitsentziehung ausgerichteten Verfahren berufen sind. Das sind beispielsweise bei Unterbringungsverfahren oder bei der Unterbringung aus seuchenhygienischen Gründen die beamteten Ärzte (BTDrucks. VI/3521 S. 29), in Verfahren zur Anordnung des Arrestes nach der Disziplinarordnung die Vorgesetzten des betroffenen Soldaten, im Abschiebeverfahren die dafür zuständigen Verwaltungsbeamten, bei der Fürsorgeerziehung die Beamten der Jugendämter und jeweils auch deren Hilfsorgane, deren dienstlicher Auftrag es ist, an dem Verfahren als Hilfskräfte mitzuwirken. Grundsätzlich muß im Einzelfall die konkrete Zuständigkeit für eine Diensthandlung in dem in Frage kommenden Verfahren gegeben sein (OLG Braunschweig GA 1964 24, 25; vgl. Geerds JZ 1961 453 zu der dort abgedruckten Entscheidung des BayObLG). Fraglich ist die Täterschaft in den Fällen, in denen ein Beamter eine Zuständigkeit 7 unter Verletzung seiner Dienstpflichten annimmt (BayObLG JZ 1961 453) oder seine Zuständigkeit vortäuscht. Das geltende Recht sieht keine Regelung vor, wie sie der E 1962 in § 214 vorgeschlagen hatte (Unzucht unter Ausnutzung der Dienststellung an einer Person, die annimmt, unter der Dienstgewalt des Täters zu stehen). Der Bundesgerichtshof hat in der in GA 1956 383 veröffentlichten Entscheidung angenommen, daß unter Ausnutzung einer Amtsstellung auch der Polizeibeamte handelt, der eine Vernehmung nur vortäuscht und diese für beendet erklärt hatte, wenn die betroffene Person aus dem amtlichen Bereich noch nicht entlassen worden war. Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auch auf § 174 b zu übertragen, wenn der Beamte eine Funktion innehat, in der er generell so vorgehen kann, wie er es getan hat {Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1376), er beispielsweise ein Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person einleiten und diese sodann vernehmen kann. Das bloße Ausnutzen einer durch eine Stellung gegebenen Gelegenheit — beispielsweise die Anwesenheit eines Beamten auf der Dienststelle — reicht aber nicht aus (OLG Schleswig, Schleswig-Holsteiner Anzeiger 1957 309). 2. Der Amtsträger muß die sexuellen Handlungen unter Mißbrauch der durch das 8 Verfahren begründeten Abhängigkeit vornehmen. a) Das frühere Recht verlangte lediglich eine Ausnutzung der Amtsstellung. Dazu gehörte ein Abhängigkeitsverhältnis, sei es auch nur, daß die Machtstellung des Täters bei dem Opfer das — vom Täter bewußt in Rechnung gestellte — Gefühl der Abhängigkeit weckte (BGH GA 1955 368); dagegen erforderte der Tatbestand nicht ein Ausnutzen dienstlicher Überlegenheit als Druckmittel (BGH Urt. v. 26. 11. 1953 — 4 StR 478/53; BGHSt. 9 14; BGH GA 1956 383, 384). Es genügte der Einsatz des in der Stellung des Täters liegenden Übergewichts in dem Bewußtsein, den Abhängigen auf 2

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AA Sch/Schröder/Lenckner R d n . 10; Dreher/ Tröndle R d n . 2; Horn SK R d n . 12; Horstkotte, Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1376 zum Bewährungshelfer, der j e d o c h g e m ä ß § 56 d S t G B von erheblicher

Bedeutung f ü r die Entscheidung der Frage ist, ob eine ausgesetzte Strafe erlassen werden k a n n oder noch zu vollstrecken ist.

Heinrich Laufhütte

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

diese Weise geneigter zu machen (BGHSt. 2 93; 8 24; 18 112). Auch die überraschende Vornahme der Handlung in der Erwartung, das Opfer werde diese hinnehmen, war tatbestandsmäßig (BGHSt. 19 355). 9

b) Das Merkmal des Mißbrauchs der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit gibt dem Tatbestand demgegenüber erst die Konturen, die seine Existenz im Lichte des neuen Sexualstrafrechts rechtfertigt. Das Sexualstrafrecht ist nicht dazu da, bestimmte vom Sexuellen freie Räume zu schaffen. Es dient dem Schutz des einzelnen. Anders als in § 174 a Abs. 1, der Personen schützt, deren Freiheit beschränkt ist und die sich dem Aufsichtspersonal gegenüber in generell abhängiger Position befinden, genügt bei § 174 b nicht der Mißbrauch der Stellung. Die einschränkenden Kriterien entsprechen im wesentlichen denen, die das Gesetz in § 174 Abs. 1 Nr. 2 (dort Rdn. 16) benutzt. Die unterschiedliche Formulierung (mit dem Verhältnis verbundene, durch das Verfahren begründete Abhängigkeit) beruht auf den unterschiedlichen Fallgestaltungen. Ein Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit liegt vor, wenn für das Opfer eine Drucksituation entsteht, die der Täter geschaffen hat — etwa durch Androhung von Nachteilen oder durch Versprechen von Vorteilen für den Fall sexuellen Entgegenkommens —, um dieses für sexuelle Handlungen gefügig zu machen (vgl. BGHSt. 28 365, 367). Ein solcher Mißbrauch ist auch dann gegeben, wenn eine Drucksituation bereits ohne ein Zutun des Täters besteht und dieser die darauf beruhende Abhängigkeit zu sexuellen Handlungen ausnutzt. Das Opfer muß sich des Zusammenhangs des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein (§ 174 Rdn. 16). Ein Mißbrauch fehlt bei einer sexuell motivierten Initiative des durch § 174 b Geschützten, die in keinem Zusammenhang mit der Abhängigkeit steht. Entsprechendes gilt, wenn es nicht die Abhängigkeit ist, die das Opfer veranlaßt, dem Verlangen des Täters nachzugeben. Eine Initiative des Opfers schließt die Tatbestandsmäßigkeit allerdings nicht von vornherein aus. Diese ist gegeben, wenn die durch das Verfahren begründete Abhängigkeit Anlaß für die Initiative ist und der Täter dies ausnutzt (BGHSt. 28 365, 368). Die Ausnutzung in diesem Sinne ist stets ein Mißbrauch.

10

IV. Vorsatz. Der Tatbestand verlangt — zumindest bedingten — Vorsatz. Es gelten insoweit die Grundsätze, die zu § 174 a dargelegt sind. Der Täter muß sich — wie das Opfer (Rdn. 9) — auch des Zusammenhangs des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewußt sein und den Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses zumindest billigend in Kauf nehmen (dazu § 174 Rdn. 18).

11 12

V. Versuch. Es gelten die Grundsätze, die zu § 174 a dargelegt sind. VI. Täterschaft und Teilnahme. Täter kann nur ein Amtsträger sein. Der durch § 174 b Geschützte ist stets notwendiger Teilnehmer (vgl. vor § 174). Für sämtliche Teilnehmer gilt § 28 Abs. 1 nicht (vgl. zu § 174 Rdn. 20 und § 174 a Rdn. 19; Horn SK Rdn. 12). Der Tatbestand ist kein Amtsdelikt. Die Beschränkung des Täterkreises kennzeichnet deshalb nicht die Pflichtenstellung, sondern dient dazu, Fälle besonderer Abhängigkeit zu erfassen (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10). Die durch das Verfahren begründete Abhängigkeit ist deshalb kein persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1, sondern tatbezogen (vgl. BGHSt. 39 326, 329).

13

VII. Konkurrenzen. Vgl. dazu § 174 a dort Rdn. 20.

14

VIII. Recht des Einigungsvertrages. Vgl. dazu § I74a dort Rdn. 21. Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller M i ß b r a u c h von K i n d e r n

§

176

§ 175 Homosexuelle Handlungen § 175 gestrichen, vgl. die Ausführungen bei § 182.

§ 176 Sexueller Mißbrauch von Kindern (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder 2. das Kind bei der Tat körperlich schwer mißhandelt. (4) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. (5) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, 2. ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt, oder 3. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt, um sich, das Kind oder einen anderen hierdurch sexuell zu erregen. (6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 5 Nr. 3. Schrifttum Arntzen Sexualdelikte — Straftaten o h n e O p f e r ? Z R P 1980 287; Arnlzen/Michaelis Psychologie der K i n d e r v e r n e h m u n g , Schriftenreihe BKA 1970/71; Backmann G r u n d f ä l l e zum strafrechtlichen Irrtum, J u S 1972 326, 452; Barth Sexueller M i ß b r a u c h von Kindern — eine Literaturübersicht, ZfJ 1992 465 ; Binter Die Unzucht mit K i n d e r n u n d ihre Abgrenzung von der Beleidigung u n d der Erregung öffentlichen Ärgernisses, Ν J W 1953 1815 ; Bockelmann Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch, J Z 1955 193; Böllinger Sexualstrafrecht u n d Herrschaft, KJ 1986 90; Buskotte/Reiter Sexueller M i ß b r a u c h in der Familie, Jugendschutz 1989 Heft 4 S. 18; Ceci/Toglia/Ross (Hrsg.) Children's Eyewitness M e m o r y (1987); Dannecker Bemerkungen zur strafrechtlichen B e h a n d l u n g der Pädosexualität, Beiträge zur Sexualforschung 62 ( 1987) 71 ; Denger K i n d e r u n d Jugendliche als Zeugen im Strafverfahren wegen sexuellen M i ß b r a u c h s in der Familie u n d deren U m f e l d , Z R P 1991 48; Diesing Psychologische Folgen von Sexualdelikten an K i n d e r (1980); Dippel Z u r B e h a n d l u n g von Aussagen kindlicher u n d jugendlicher Zeugen, Tröndle-Festschrift S. 599; Friedrichsen/Mauz „Jetzt ist n i e m a n d sicher", Der Spiegel 1994 Heft 25 S. 94; Füllkrug Kindesm i ß h a n d l u n g u n d sexueller M i ß b r a u c h von M i n d e r j ä h r i g e n , Kriminalistik 1989 233, 271 ; Gegenfurtner/Keukens Sexueller M i ß b r a u c h von K i n d e r n u n d Jugendlichen (1992); Gerlach SexTourismus u n d Strafverfolgung, N S t Z 1993 71 ; Giese Besprechung von Wyss Unzucht mit Kindern, M s c h r K r i m . 1969 328; Haesler (Hrsg.) K i n d e s m i ß h a n d l u n g (1983); Harnischmacher/ (51)

Heinrich Laufhütte

§ 176

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Müther Das sexuell m i ß b r a u c h t e K i n d , Kriminalistik 1988 151; Hauptmann Z u r Victimologie gewaltloser sexueller K o n t a k t e zwischen Erwachsenen u n d K i n d e r n , M s c h r K r i m . 1978 213; Heinz Bestimmungsgründe der differenziellen Wahrscheinlichkeit strafrechtlicher Sanktionierung bei Unzucht mit K i n d e r n , M s c h r K r i m . 1972 126; Herbold Einige delikttypische Veränderungen bei sexuellem M i ß b r a u c h von K i n d e r n (§ 176 StGB) in den letzten J a h r e n , M s c h r K r i m . 1977 99; Hülle Zu den Strafverfahren wegen Sittlichkeitsdelikten an K i n d e r n , J Z 1955 8; Kaminski Sexueller M i ß b r a u c h in der Familie: Knast, Entlassung u n d Fortsetzung mit d e m nächsten O p f e r ? Über einen holländischen Versuch, den Kreislauf zu d u r c h b r e c h e n , Betrifft Justiz 1994 237; Kerscher Selektive Faktoren strafrechtlicher S a n k t i o n i e r u n g u n d die R e f o r m p r o b l e matik des § 176 Abs. 1 Ziff. 3 StGB — Unzucht mit K i n d e r n , M s c h r K r i m . 1972 365; Kerscher Emanzipatorische R e f o r m p r o b l e m a t i k u n d Strafrecht (1973); Knögel Sittlichkeitsverbrechen an Jugendlichen in der strafrechtlichen Praxis, N J W 1951 591 ; Knögel Jugendliche u n d K i n d e r als Zeugen in Sittlichkeitsprozessen, N J W 1959 1663; Koch Freispruch oder Einstellung? G A 1961 344; Kohlhaas Unzucht mit K i n d e r n kein Antragsdelikt, Z R P 1968 58; Kolschefski Z u m Schutz des Kindes vor sexuellem M a c h t m i ß b r a u c h , Unsere Jugend 1986 149; Krück Psychische Schädigung m i n d e r j ä h r i g e r O p f e r von gewaltlosen Sexualdelikten auf verschiedenen Altersstufen, M s c h r K r i m . 1989 313 ; Lachmann Z u r Verbreitung von Sexualdelikten an K i n d e r n u n d Abhängigen, M s c h r K r i m . 1988 42; Lachmann Psychische Schäden nach „ g e w a l t l o s e n " Sexualdelikten an K i n d e r n und Abhängigen, M s c h r K r i m . 1988 47; Lautmann Sexualdelikte — Straftaten o h n e O p f e r ? Z R P 1980 44; Lempp Seelische Störung von K i n d e r n als O p f e r von gewaltlosen Sittlichkeitsdelikten, N J W 1968 265; Lüthe/ Willer Z u r Psychologie der Notzuchtversuche eines jugendlichen Täters, M s c h r K r i m . 1967 264; Münder Sexualstrafrecht bei Fremderziehung u n d F r e m d b e t r e u u n g , Z f J 1986 353; Nass Weder O p f e r noch Täter durch richtige Sexualerziehung (1967); Niemann Unzucht mit K i n d e r n (1974); Nixdorf D a s Kind als O p f e r sexueller Gewalt, M s c h r K r i m . 1982 87; Obersteiner A n m e r k u n g e n zum T h e m a Sexueller M i ß b r a u c h , Jugendwohl 1993 576; Olbing/Bachmann/Gross (Hrsg.) K i n d e s m i ß h a n d l u n g (1989); Orth K i n d e r als Zeugen, Kriminalistik 1991 583 ; Pachmann Der sexuelle M i ß b r a u c h von Kindern — G e d a n k e n zum S t r a f r a h m e n , Kriminalistik 1984 276; Rasch O p f e r u n d Täter — die Beteiligung von Kindern u n d Jugendlichen bei Sittlichkeitsdelikten, Medizinische Welt 1963 1897, 1946; Reinhardt Die Bestrafung der Unzucht mit K i n d e r n unter b e s o n d e r e r Berücksichtigung des Verhaltens u n d der Persönlichkeit des O p f e r s (1967); Rush D a s bestgehütete G e h e i m n i s : Sexueller Kindesm i ß b r a u c h (1982); Rutschky Erregte A u f k l ä r u n g (1992); Salzgeber/Stadler/Drechsel/Vogel (Hrsg.) Glaubhaftigkeitsbegutachtung (1989); Schneider Besprechung von Wyss Unzucht mit K i n d e r n , J A 1969 127; Schorsch Kinderliebe — V e r ä n d e r u n g e n der gesellschaftlichen Bewertung pädosexueller K o n t a k t e , M s c h r K r i m . 1989 141; Schulte Greise als Täter unzüchtiger H a n d l u n g e n an K i n d e r n , M s c h r K r i m . 1959 138; Steigerwald/Kutterer Sexueller M i ß b r a u c h von K i n d e r n , F o r u m Recht 19863; Steinhage Sexueller M i ß b r a u c h an M ä d c h e n (1989); Tröndle V e r o r d n u n g von Kontrazeptiva an M i n d e r j ä h r i g e — eine Straftat? Schmitt-Festschrift S. 231 ; Trübe-Becker Sexueller M i ß b r a u c h von K i n d e r n aus rechtsmedizinischer Sicht, Forensia 1988 79; Trube-Becker M i ß b r a u c h t e K i n d e r (1992); Vogel Verbotene Liebe, Pädophilie u n d strafende Gesellschaft (1984); Volbert/Pieters Z u r Situation kindlicher Zeugen vor Gericht (1993); Wüstenberg Die R e g i e r u n g s k a m p a g n e gegen den sexuellen M i ß b r a u c h an M ä d c h e n und Jungen in Neusüdwales (Australien) — ein Vorbild f ü r die B R D ? , Streit 1993 131 ; Wyss Unzucht mit K i n d e r n , U n t e r s u c h u n g e n zur Frage der s o g e n a n n t e n Pädophilie (1967); vgl. auch die Schrifttumsangaben vor § 174; a u ß e r d e m den Bericht des Bundesministerium der Justiz über Aussagen kindlicher u n d jugendlicher Zeugen, die d u r c h eine Straftat geschädigt worden sind (Prot, der Sonderausschüsse des Deutschen Bundestages f ü r die Strafrechtsreform 6 / 2 1 2 3 ff).

Entstehungsgeschichte § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. bedrohte denjenigen mit Strafe, der mit Kindern unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornahm oder sie zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitete. Die Vorschrift enthielt somit drei Untertatbestände, die den umfassenden Schutz von Kindern vor unzüchtigen Handlungen gewährleisten sollten, um deren sittliche Reinheit zu erhalten und zu verhindern, S t a n d : 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch v o n Kindern

§ 176

daß die kindliche Vorstellungswelt und das Gefühlsleben der geschlechtlich unerfahrenen Kinder durch verfrühte sexuelle Kontakte gefährdet wurden (BGHSt. 1 168, 173; 15 118, 121). Das 4. StrRG hat den umfassenden Schutz von Kindern beibehalten, obwohl dem Gesetzgeber bewußt war, daß Ursachen, Begleitumstände und Wirkungen von Taten im Sinne der Vorschrift vielfach ungeklärt sind (BTDrucks. VI/ 3521 S. 34). Es ist nicht nachweisbar, daß Kinder durch mit ihnen vorgenommene sexuelle Handlungen regelmäßig in ihrer sexuellen Entwicklung gefährdet werden. Die im Rahmen der Beratungen zum 4. StrRG abgegebenen gutachterlichen Äußerungen (Prot., 6. Wahlperiode S. 843 ff; vgl. die Zusammenfassung in BTDrucks. VI/3521 S. 34; vgl. auch Jäger Beiträge zur Sexualforschung 59 (1984) 67, 71 0 führen zu dem Ergebnis, daß sich eine gesetzmäßige Korrelation zwischen sexuellen Handlungen und bestimmten Wirkungen nicht herstellen läßt (vgl. auch Arntzen ZRP 1980 287). Teilweise ineinander greifende Umstände sind maßgeblich dafür, ob Schädigungen eintreten: Alter und Reifegrad des Kindes, seine Erziehung und Persönlichkeitsstruktur, das familiäre Milieu, in dem das Kind aufwächst, Persönlichkeit und Alter des Täters, Einstellung des Kindes zur Sexualität, Art und Beziehungen des Kindes zum Täter, Art und Häufigkeit der sexuellen Handlungen, Ausmaß der Beteiligung des Kindes, Reaktion der Umwelt auf die Handlung (BTDrucks. VI/3521 S. 34). Ein besonderes Problem liegt darin, daß Kinder, je nach Fallgestaltung, weniger durch die sexuelle Handlung als durch die spätere Mitwirkung im Strafverfahren, in dem sie als Zeugen psychologisch in die Rolle des Mitschuldigen geraten können, gefährdet werden. Während der Gesetzesberatungen ist deshalb erwogen worden, ob die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme — in Anlehnung an ausländische Modelle — für die Vernehmung kindlicher Zeugen eingeschränkt werden könne (vgl. den Bericht des Bundesministeriums der Justiz, Anlage 1 des Prot., 6. Wahlperiode S. 2111 ). Dies ist, wohl zu Recht, verneint worden (vgl. Boing Prot., 6. Wahlperiode S. 2111). Da der kindliche Zeuge häufig der einzige Belastungszeuge ist, ist seine Vernehmung in der Hauptverhandlung regelmäßig unumgänglich. Der Gesetzgeber hat dem Bedürfnis, kindliche Zeugen vor den psychischen Belastungen in der Hauptverhandlung im Rahmen des Möglichen zu schützen, in § 172 Nr. 4 GVG (Ausschluß der Öffentlichkeit), § 241 a StPO (Vernehmung nur durch den Vorsitzenden) und in § 247 Satz 2 StPO (Möglichkeit der Entfernung des Angeklagten) Rechnung getragen. § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. war ein Verbrechen, so daß sich die Verjährungsfrist nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F. — zehn Jahre — bestimmte. Das am 28. November 1973 in Kraft getretene 4. StrRG hat § 176 durch Herabsetzung der Mindeststrafe in ein Vergehen umgewandelt. Dadurch verkürzte sich die Verjährungsfrist gemäß § 67 Abs. 2 StGB a. F. auf fünf Jahre. Diese Verjährungsfrist ist am 1. Januar 1975 für Fälle des § 176 Abs. 1 bis 3 auf zehn Jahre erhöht worden; das gilt aber nach Art. 309 Abs. 1, 3 EGStGB nicht für Fälle, die in der Zwischenzeit begangen worden sind (BGH bei Holtz MDR 1978 804; BGH Beschluß vom 17. Februar 1984 - 3 StR 41/ 84). Durch das 30. StrÄndG vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1310) hat der Gesetzgeber das Ruhen der Verjährung bis zum 18. Lebensjahr des Opfers angeordnet. Übersicht Rdn. I. Geschützes Rechtsgut II. Tathandlungen mit und ohne Körperkontakt 1. Schutzbereich der Vorschrift . . . . 2. Sexuelle Handlungen mit Körperkontakt (53)

2 2 3

Heinrich Laufhütte

Rdn. a) Sexuelle Handlungen, die der Täter am Kinde vornimmt oder die er von diesem an sich vornehmen läßt (Absatz I) b) Bestimmen eines Kindes, sexuelle Handlungen an einem Dritten

3

§ 176

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Rdn.

v o r z u n e h m e n oder von einem Dritten an sich v o r n e h m e n zu lassen (Absatz 2) 3. Sexuelle H a n d l u n g e n o h n e K ö r p e r kontakt a) Sexuelle H a n d l u n g e n vor einem K i n d (Absatz 5 Nr. 1) b) Bestimmen eines Kindes, sexuelle H a n d l u n g e n vor dem T ä t e r oder einem Dritten v o r z u n e h m e n (Absatz 5 Nr. 2) . . 4. Einwirken durch Pornographie (Absatz 5 Nr. 3) a) Pornographische Abbildungen u n d Darstellungen; Tonträger, Reden b) T a t h a n d l u n g e n c) Einwirken auf die Psyche des Kindes III. Subjektiver T a t b e s t a n d IV. T ä t e r u n d Teilnehmer V. Versuch

1

4 8 8

9 10

11 12 13 14 17 18

Rdn. VI. Strafe 1. S t r a f d r o h u n g in den Absätzen 1, 2 und 5 2. M i n d e r schwere Fälle (Absätze 1 u n d 2) 3. Besonders schwere Fälle (Absatz 3 ) . a) B e n a n n t e Regelfälle b) U n b e n a n n t e b e s o n d e r s schwere Fälle c) Besonders schwere Fälle bei Teilnehmern 4. Leichtfertige Todesverursachung (Absatz 4) a) Qualifikationsspezifischer Kausalzusammenhang b) Qualifikation n a c h Absatz 4 durch eine versuchte Tat c) Leichtfertigkeit d) Leichtfertige T o d e s v e r u r s a c h u n g durch Teilnehmer VII. K o n k u r r e n z e n VIII. Recht des Einigungsvertrages

21 22 24 24 25 26 27 27 28 29 30 31 32

I. Geschütztes Rechtsgut. § 176 dient dem Jugendschutz (BGHSt. 29 336, 340; vor § 174 Rdn. 7). Der Tatbestand garantiert jungen Menschen ohne Rückgriff auf ihre sexuelle Selbstbestimmung eine Schutzzone bis zur Reifung ihrer eigenen Persönlichkeit. Auf den Nachweis einer Gefährdung des Kindes kommt es nicht an. Der Tatbestand ist wegen der vom Gesetzgeber bejahten Möglichkeit der Gefährdung — der Grundsatz in dubio pro libertate gilt hier nicht (vor § 174 Rdn. 10) — ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das auch zur Anwendung kommt, wenn im Einzelfall eine Gefährdung ausgeschlossen ist1 (was sich allerdings auf die Strafzumessung auswirken muß). Für § 176 Abs. 1 bis 4, 5 Nr. 2 und Abs. 6 gilt das sogenannte aktive Personalitätsprinzip, d.h. Taten, die im Ausland begangen werden, sind nach deutschem Recht strafbar, wenn der Täter Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im Inland hat (§ 5 Nr. 8 b). II. Tathandlungen mit und ohne Körperkontakt

2

1. Der Tatbestand schützt Kinder — männliche und weibliche Personen bis zu vierzehn Jahren — davor, daß Täter, gleich welchen Geschlechts, mit ihnen sexuelle Handlungen (vgl. dazu § 184 c) vornehmen. Die Absätze 1 bis 4 erfassen sexuelle Handlungen mit Körperkontakt (vgl. § 184 c Rdn. 16). Absatz 5 Nr. 1 und 2 erweitert den Schutz auf sexuelle Handlungen ohne Körperkontakte (vgl. § 184 c Rdn. 18). Absatz 5 Nr. 3 regelt Fälle, in denen eine unmittelbare Beziehung zu einem körperlichen Vorgang fehlt. 2. Sexuelle Handlungen mit Körperkontakt

3

a) Absatz 1 erfaßt sexuelle Handlungen, die der Täter am Kinde vornimmt oder die er von diesem an sich vornehmen läßt (§ 184 c Rdn. 16). Sexuelle Handlungen des Täters oder des Kindes an sich selbst oder einem Dritten scheiden aus. Es ist uner1

B G H S t . 38 68; B G H bei Holtz M D R 1980 984; B G H N J W 1987 2450; B G H R S t G B § 176 Abs. 3 S t r a f r a h m e n w a h l 2.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller M i ß b r a u c h v o n K i n d e r n

§ 176

heblich, wer veranlaßt hat, daß die Handlungen vorgenommen werden. Das Opfer ist als notwendiger Teilnehmer stets straflos. Dritte können Täter nach Absatz 2 sein, wenn sie das Kind zu den Handlungen bestimmt haben (vgl. dazu im einzelnen Rdn. 4). b) Absatz 2 erweitert die Strafbarkeit auf denjenigen, der ein Kind dazu bestimmt, 4 daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt. Es muß zu sexuellen Handlungen mit Körperkontakt (§ 184 c Rdn. 6) zwischen dem Dritten und dem Kind gekommen sein. Der Dritte muß die Handlungen, die an ihm vorgenommen werden, als solche wahrnehmen (zur Frage des Erkennens der Bedeutung der Handlung § 184 c Rdn. 18). Die an einem Schlafenden vorgenommenen Handlungen sind deshalb nicht tatbestandsmäßig (aA Sch/ Schröder/Lenckner Rdn. 7; Horn SK Rdn. 3; vgl. aber BGHSt. 38 68 zu § 176 Abs. 1), weil § 176 Abs. 2 den bewußten Kontakt zweier Menschen voraussetzt. Die an einer Person, die den Vorgang nicht wahrnimmt, vorgenommenen Handlungen sind deshalb so zu werten, als habe das Opfer die Handlung an sich selbst vorgenommen. Strafbarkeit kann deshalb nach § 176 Abs. 5 gegeben sein (Rdn. 9). Der Begriff des Bestimmens ist wie der entsprechende in § 26 auszulegen (vgl. § 174 Rdn. 5). Der Täter muß also in dem Kind den Entschluß wecken, die sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, daß der Dritte sie an ihm vornimmt. Der Entschluß wird — mit welchen Mitteln auch immer — auch dann geweckt, wenn eine Geneigtheit des Kindes zur Vornahme der sexuellen Handlungen bereits besteht. Auch die allgemeine Entschlossenheit des Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen steht der Ursächlichkeit des Bestimmens bei einer bestimmten Gelegenheit nicht entgegen. Zu einer konkreten sexuellen Handlung braucht nicht bestimmt zu werden, vorausgesetzt, die Bestimmung ist ursächlich für die dann tatsächlich mit Körperkontakt vorgenommene sexuelle Handlung. Der Dritte, der die Handlung vornimmt oder an sich vornehmen läßt, ist Täter 5 nach Absatz 1, soweit er vorsätzlich handelt, was nicht Voraussetzung des Tatbestandes des § 176 Abs. 2 ist (vgl. § 184 c Rdn. 18). Wird zu Handlungen bestimmt, die Kinder untereinander vornehmen, so bleiben die Kinder straflos, der Bestimmende ist nach Absatz 2 strafbar. Auch der Fall der „Kettenbestimmung" ist Bestimmung im Sinne des Absatzes 2, 6 also Täterschaft (vgl. die vergleichbare Problematik bei § 174 Rdn. 20; a A Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8; Horn SK Rdn. 7). Ebenso wie der Anstifter des Anstifters Anstifter ist, weil ihm die Handlung des unmittelbar Anstiftenden voll zuzurechnen ist, ist derjenige, der den Bestimmenden des Kindes zu dieser Handlung bestimmt, wie dieser zu bestrafen; er ist also Täter nicht nur Anstifter. Derjenige, der einen über Vierzehnjährigen zur Vornahme von sexuellen Handlungen im Sinne des § 176 Abs. 1 mit einem Kind bestimmt, ist Anstifter des Täters nach Absatz 1. Derjenige, der eine solche Tat unterstützt, ist Gehilfe. Bestimmung durch Unterlassen gibt es grundsätzlich nicht. Derjenige, der bei den 7 sexuellen Handlungen eines Kindes mit zuschaut, ist also regelmäßig straflos. Als Mittäter (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8: Gehilfe) kann aber strafbar derjenige sein, der durch eine Garantenstellung, die durch ein Obhutsverhältnis begründet wurde, verpflichtet ist, die Bestimmung eines anderen zu verhindern und dies pflichtwidrig unterläßt. Der Garant, der gegen eine Tat nach Absatz 1 nicht einschreitet, obwohl es ihm möglich wäre, ist allerdings nicht nach Absatz 2 strafbar, weil er nicht — auch nicht durch Unterlassen — bestimmt hat. Er kann allerdings Gehilfe des Täters nach Absatz 1 sein (so auch Horn SK Rdn. 8; vgl. im einzelnen § 174 Rdn. 20 a. E.). (55)

Heinrich Laufhütte

§ 176

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

3. Absatz 5 Nrn. 1 und 2 erstrecken den strafrechtlichen Schutz auf sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt (vgl. § 184 c Rdn. 18). a) Absatz 5 Nr. 1 setzt voraus, daß der Täter sexuelle Handlungen vor dem Kind vornimmt. Erfaßt sind hier alle exhibitionistischen Handlungen des männlichen oder weiblichen Täters vor einem Kind. Für Fälle dieser Art gilt ergänzend § 183 Abs. 4 Nr. 2. § 176 Abs. 5 Nr. 1 gilt aber auch — wie die entsprechende Vorschrift des § 174 Abs. 2 Nr. 1 — für sonstige nicht exhibitionistische sexuelle Handlungen, die der Täter vor dem Kind vornimmt, so Handlungen des Täters mit einem Dritten (vgl. § 174 Rdn. 3) oder wenn der Täter vor dem Kind ein Plastikglied aus dem Hosenschlitz holt, daran reibt und streichelt.

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b) Absatz 5 Nr. 2 setzt voraus, daß der Täter das Kind dazu bestimmt, sexuelle Handlungen vor ihm oder — insoweit ist der Tatbestand gegenüber § 174 Abs. 2 Nr. 2 weiter — vor einem Dritten vorzunehmen. Die Handlung des Kindes kann wie bei § 174 Abs. 2 Nr. 2 eine exhibitionistische 2 sein oder eine sonstige sexuelle, die das Kind an sich selbst oder an einem Dritten (vgl. Rdn. 4) vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt (KG JR 1982 507). Der Begriff des Bestimmens ist wie bei § 174 auszulegen (dort Rdn. 5, 20; vgl. auch Rdn. 5 bis 7). Anzuwenden sind auch die bei § 174 dargelegten Grundsätze über die „Kettenbestimmung". Derjenige, der einen anderen dazu bestimmt, das Kind zu bestimmen, die sexuelle Handlung vor ihm, dem Erstbestimmenden oder einem Dritten (auch demjenigen, der das Kind unmittelbar bestimmt) vorzunehmen, ist deshalb Täter, nicht bloß Anstifter (aA Sch/ Schröder/Lenckner Rdn. 19, 8). Bestimmung durch Unterlassen begeht der Garant (vgl. § 174 Rdn. 5, 20; Rdn. 7), der es unterläßt, die Bestimmung des Kindes durch einen Dritten pflichtwidrig zu verhindern.

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4. Absatz 5 Nr. 3 bezweckt den Schutz der Kinder vor Handlungen, die keine sexuellen im Sinne des § 184 c sind, die aber wie diese die sexuelle und seelische Entwicklung von Kindern und ihre soziale Orientierung ungünstig beeinflussen können. Es geht um das Einwirken durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechendes Reden.

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a) Pornographische Abbildungen und Darstellungen: Das Merkmal pornographisch entspricht dem in § 184. Abbildungen sind durch Auge oder Tastsinn wahrnehmbare Wiedergaben der Außenwelt in Fläche und Raum (vgl. Tröndle LK10 § 11 Rdn. 105), wie Zeichnungen, Gemälde, Fotos, Dias und Filmstreifen. Der Begriff Darstellungen kennzeichnet die sinnlich wahrnehmbaren Formen der Vergegenständlichung eines Hergangs oder Gedankens zur Übermittlung einer Vorstellung ( Tröndle LK10 § 11 Rdn. 106), er umfaßt nicht unbebilderte Schriften, deren Inhalt ein Dritter dem Kind nur durch Vorlesen zur Kenntnis bringen kann (vgl. zum Begriff „Reden"). Das Merkmal Tonträger bezeichnet Sachen, die technisch gespeichert bestimmte Tonfolgen enthalten, die durch Hilfsmittel dem Ohr wahrnehmbar gemacht werden können, wie etwa Schallplatten (Tröndle LK 10 § 11 Rdn. 103). Tonträger sind erfaßt, wenn der dem Ohr wahrnehmbar zu machende Inhalt pornographisch ist. Die den B G H N S t Z 1985 24; B G H R S t G B § 176 Abs. 5 sexuelle H a n d l u n g 1 ; O L G M ü n c h e n O L G S t . § 184 StGB Nr. 1 ; vgl. aber auch B G H N J W 1992 325.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Kindern

§ 176

pornographischen Darstellungen entsprechenden Reden brauchen nicht alle Merkmale des Begriffs pornographisch zu erfüllen. Der Tatbestand verlangt „entsprec h e n d e " Reden u n d berücksichtigt d a d u r c h , d a ß eine Einschränkung auf im engsten Sinne pornographisches Material nicht angängig wäre, weil es bei den Reden an einer Verkörperung fehlt (BGHSt. 29 29, 30). Maßgeblich für die Erfüllung des Merkmals ist deshalb, d a ß die Äußerungen in ihrer Art u n d Intensität dem pornographischen Material entsprechen, dies gilt noch nicht f ü r lediglich, wenn auch sexualbezogene, schamlose oder grob sexuelle Äußerungen (BGHSt. 29 29). Der Begriff des Redens u m f a ß t sämtliche hörbaren Ä u ß e r u n g e n eines Menschen, die einen G e d a n ken zum Ausdruck bringen, gleichgültig, wie sie vorgebracht werden. b) Abbildungen u n d Darstellungen müssen vorgezeigt (vgl. dazu Horn SK 1 2 Rdn. 37), das heißt optisch e r f a ß b a r gemacht, Tonträger müssen abgespielt, das heißt akustisch e r f a ß b a r gemacht werden. Das Vorzeigen u n d Abspielen braucht nicht in Gegenwart des Täters zu geschehen (BGHSt. 29 29, 31). Der Begriff des Vorzeigens k ö n n t e seinem Wortlaut nach zwar enger interpretiert werden. Der B G H hat aber in der genannten Entscheidung zutreffend ausgeführt, d a ß der Begriff des Vorzeigens dem des Abspielens, der seinem Wortsinn nach die Anwesenheit eines Abspielenden nicht voraussetzt, gleichgestellt ist. Das Kind m u ß die Abbildung oder die Darstellung oder den Inhalt des Tonträgers sinnlich w a h r n e h m e n , Reden m u ß es hören, den Sprechenden braucht es nicht zu sehen, so d a ß auch die f e r n m ü n d l i c h e Übermittlung genügt (BGHSt. 29 29). Den sexuellen Sinn der Ä u ß e r u n g braucht das Kind nicht zu verstehen. Zu diesem Ergebnis führen die Erwägungen, die zu der Auslegung A n l a ß geben, d a ß das Kind sich des sexuellen Bezugs einer mit ihm v o r g e n o m m e n e n sexuellen H a n d l u n g nicht bewußt zu sein braucht (vgl. § 184 c Rdn. 20). c) Absatz 5 Nr. 3 setzt — anders als die sonstigen T a t h a n d l u n g e n des § 176 — 1 3 nicht eine vom Täter, dem Kind oder einem Dritten v o r g e n o m m e n e sexuelle H a n d lung, sondern ein Einwirken auf die Psyche des Kindes voraus (BGHSt. 29 29, 31 ; B G H NStZ 1991 485). Dies ist bei einem flüchtigen Vorzeigen oder kurzen Vorspielen nicht erfüllt. Auch oberflächliche Äußerungen oder lediglich grob sexuelle Reden genügen nicht ( B G H bei Dallinger M D R 1974 546; B G H NStZ 1991 485). Die Rechtsprechung verlangt vielmehr unter Hinweis auf § 184 c ( B G H Urteil vom 25. März 1975 — 1 StR 73/75), dem zu e n t n e h m e n ist, d a ß unerhebliche H a n d l u n g e n von den Vorschriften des Sexualstrafrechts nicht erfaßt werden sollen, eine E i n f l u ß n a h m e tiefergehender Art (BGHStV 1981 338). D a ß sexuelle Interessen des Kindes geweckt oder sexuelle Impulse ausgelöst werden, ist nicht erforderlich ( H o r n SK Rdn. 36; Lackner R d n . 6). Das Vorzeigen pornographischer Bilder m u ß durch Hervorhebung gerade des pornographischen Inhalts erfolgen, mag auch das Kind dessen Sinn nicht verstehen. Die Hervorhebung kann in entsprechenden, den Charakter der Darstellung kennzeichn e n d e n sexualbezogenen Ä u ß e r u n g e n ( B G H N J W 1976 1984) oder in den Vorgang begleitenden H a n d l u n g e n — wie Ö f f n e n des Hosenschlitzes (vgl. B G H Urteil vom 25. März 1975 — 1 StR 73/75) — liegen. Entsprechendes gilt beim Vorspielen von Tonträgern, bei denen der pornographische Charakter besonders hervorgehoben sein muß. Reden sind tatbestandsmäßig, wenn sich der Täter gegenüber dem Kind in nicht unerheblicher Zeit eindringlich unter Betonung des sexuellen Charakters äußert (BGHSt. 29 29, 30; B G H NStZ 1991 485). Die Betonung k a n n auch hier in begleitenden H a n d l u n g e n liegen (Vorzeigen von Bildern, Ö f f n e n des Hosenschlitzes, direktes Befragen - B G H Urteil vom 25. März 1975 - 1 StR 73/75). (57)

Heinrich Laufhütte

§

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

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III. Subjektiver Tatbestand. Absatz 1 verlangt (zumindest bedingten) Vorsatz, der sich darauf beziehen muß, daß die vorgenommene Handlung eine sexuelle ist (vgl. § 184 c Rdn. 19). Der Täter muß, soweit das Alter des Kindes in Frage steht, zumindest für möglich halten, daß das Kind die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren noch nicht erreicht hat, und es muß ihm dann gleichgültig sein. Hält der Täter ernste Zweifel, das Opfer könne jünger als 14 Jahre alt sein, für unbegründet und ist er aufgrund der ihm bekannten Umstände ernsthaft der Auffassung, es sei dem Kindesalter entwachsen, so liegt nur bewußte Fahrlässigkeit vor (BGH Urteil vom 21. August 1980 - 4 StR 375/80).

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Auch Absatz 2 verlangt zumindest bedingten (vgl. BGHSt. 4 303, 305) Vorsatz. Der Täter braucht selbst keine sexuellen Motive zu haben. Beim Merkmal des Bestimmens muß der Vorsatz die Umstände erfassen, die dazu geführt haben, daß der Entschluß des Kindes zur Vornahme oder zur Duldung der sexuellen Handlung geweckt worden ist. Da das Kind nicht zu erkennen braucht, daß die von ihm vorgenommene oder erduldete Handlung eine sexuelle ist, gehört zum Vorsatz des Täters nicht die Kenntnis, daß diesem die Bedeutung des Vorganges, den es wahrnimmt, bewußt ist (aA Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 10). Entsprechendes gilt für den Dritten (vgl. § 184 c Rdn. 18). Die von dem Kind und dem Dritten vorgenommene sexuelle Handlung kann dem Täter nur dann zugerechnet werden, wenn sie im Unrechtsgehalt im wesentlichen der Tat entspricht, zu welcher der Täter bestimmen wollte (vgl. Roxin LK § 26 Rdn. 85). Geht die Handlung des Bestimmten über das hinaus, wozu der Täter hat bestimmen wollen, so bleibt er zwar strafbar, zugerechnet werden können ihm aber nur die Handlungen, die von seinem — ggf. bedingten — Vorsatz umfaßt sind.

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Absatz 5 verlangt ebenfalls Vorsatz (Rdn. 14, 15), darüber hinaus die Absicht des Täters, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen 3 . Durch die Einbeziehung des anderen sind auch die Fälle erfaßt, in denen der Täter nicht aus eigenen sexuellen Motiven, sondern etwa aus Geschäftsinteresse handelt. Der andere braucht mit dem Dritten des Absatzes 5 Nr. 2 nicht identisch zu sein. Unerheblich ist, ob der andere anwesend ist und ob das Kind erkennt, daß es um dessen sexuelle Erregung geht. Deshalb handelt tatbestandsmäßig, wer ein Kind dazu bestimmt, sexuelle Handlungen vor einem Dritten vorzunehmen, wenn er die von diesem Vorgang gefertigten Fotos einem anderen aushändigen will, um dessen sexuelle Erregung es geht.

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IV. Täter und Teilnehmer. § 176 verlangt — anders als § 174 — keine spezielle Autoritätsstellung. Täter kann also jedermann sein. Für die Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln; zur Beihilfe durch Unterlassen vgl. § 174 Rdn. 20. Zur Frage der Beihilfe durch Verordnung von Kontrazeptiva durch einen Arzt vgl. Tröndle SchmittFestschrift S. 231, 234 ff. Die betroffenen Kinder sind notwendige Teilnehmer. § 28 Abs. 1 gilt nicht (vgl. § 174 Rdn. 20).

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V. Versuch. Der Versuch ist strafbar, ausgenommen versuchte Taten nach Absatz 5 Nr. 3 (kritisch zur Straflosigkeit des Versuchs nach Absatz 5 Nr. 3 wegen der damit gegebenen Möglichkeit, bei weitgediehenem Tatplan sich auf die Absicht einer Tat nach dieser Vorschrift herauszureden, Maurach/Schroeder/Maiwald BT l. Teil' Die Absicht, sich oder einen späteren Erwerber der p o r n o g r a p h i s c h e n A u f n a h m e durch Fotos von H a n d l u n g e n nach Absatz 5 Nr. 2 zu erregen,

reicht aus: B G H R S t G B § 176 Abs. 5 H a n d l u n g I m . w . N . ; O L G M ü n c h e n O L G S t . § 184 Nr. 1; O L G Koblenz N J W 1979 1467.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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band § 20 Rdn. 14; Dreher/Tröndle Rdn. 18). Taten nach Absatz 5 können versuchte Taten nach Absatz 1 sein. Der Versuch nach Absatz 1 beginnt mit der Einwirkung auf das Kind, die Hand- 19 lung vorzunehmen oder zu dulden (vgl. § 174 Rdn. 21). Das geschützte Rechtsgut — die ungestörte sexuelle Entwicklung junger Menschen — ist bereits durch Handlungen gefährdet, die auf die Schaffung einer günstigen Gelegenheit zur beabsichtigten Vornahme der sexuellen Handlung gerichtet sind. Deshalb hat die Rechtsprechung zu Recht Versuch angenommen, wenn der zur Tat fest entschlossene Täter das Kind an einen zur Vornahme der sexuellen Handlung geeigneten Ort führt 4 . Die bloße Aufforderung, an einen zur Tatausführung geeigneten Ort mitzugehen, reicht demgegenüber nicht aus (anders RGSt. 69 140, 142; BGHSt. 6 302 zum früheren Recht). Darin liegt nur die Vorbereitung zu einer Handlung, mit der in einer das Rechtsgut gefährdenden Weise zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt werden soll. Entsprechendes gilt für den Versuch nach Absatz 5 Nr. 1. Problematisch ist die Abgrenzung beim Versuch, ein Kind im Sinne des Absat- 20 zes 2 und des Absatzes 5 Nr. 2 zu bestimmen. Abzulehnen ist die auch zu § 30 vertretene Auffassung (Nachw. bei Roxin LK10 § 30 Rdn. 14), daß die Strafbarkeit des Versuchs erst beginnt, wenn die Erklärung dem präsumtiven Opfer mindestens zugegangen ist (vgl. Maurach/Schröder 6. Aufl. BT 1. Teilband § 20 III E). Das unmittelbare Ansetzen des Bestimmens kann schon vorher liegen (vgl. Roxin LK'° § 30 Rdn. 15). Die Abgrenzung im Einzelfall ist schwierig. Anders als bei § 30, wo die — vorbereitende — Unterhaltung über unverfängliche Dinge noch als straflose Vorbereitungshandlung anzusehen ist (Roxin aaO), können scheinbar unverfängliche Äußerungen gegenüber Kindern bereits den Beginn der Einwirkung darstellen. Der Bereich des Versuchs beginnt bei § 176 also früher als in den Fällen des § 305. Einzubeziehen sind die Handlungen, die bestimmt und geeignet sind, Kinder in eine Situation zu bringen, in der sie sich dem Ansinnen auf Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen nicht oder nur mit wenig Aussicht auf Erfolg zu entziehen vermögen, oder die dazu bestimmt und geeignet sind, das Interesse des Kindes an der Vornahme oder Duldung der — nach dem Tatplan — vorgesehenen sexuellen Handlung zu wecken. VI. Strafe 1. Die Absätze 1 und 2 sehen eine höhere Strafdrohung vor als Absatz 5; für die 21 Fälle des Absatzes 5 Nr. I ist § 183 Abs. 4 Nr. 2 zu beachten (siehe dort). 1. Die Absätze 1 und 2 sehen eine geringere Strafdrohung für minder schwere Fälle 22 vor. Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser Frage ist eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände notwendig, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie be4

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B G H R StGB § 176 Abs. I Konkurrenzen 1 ; BGH bei Dallinger M D R 1974 545, 722; vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 38; so wohl auch Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1. Teilband § 20 Rdn. 14; Roxin JuS 1979 8; differenzierend BGHSt. 35 6, 9: kein Versuch, wenn der Täter allein beabsichtigt, das Kind auf freiwilliger Basis zu verführen

und eine etwaige Ablehnung zu respektieren: dem folgend Sch/Schroeder/Lenckner Rdn. 24; a A Rudolphi SuS 1973 25. AA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 24; Horn SK Rdn. 10; Dreher/Tröndle Rdn. 18; noch weitergehend Maurach/Schroeder/Maiwald BT I. Teilband § 20 Rdn. 14.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

gleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen 6 . Liegt ein Regelbeispiel nach § 176 Abs. 3 vor, ist ein minder schwerer Fall nur in ganz außergewöhnlichen Fällen anzunehmen (BayObLG NJW 1991 1245). In den Kreis der dabei anzustellenden Erwägungen ist auch die beim Täter etwa vorliegende verminderte Schuldfähigkeit einzubeziehen 7 . Das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit ist insbesondere auch bei einem Täter zu prüfen, der erstmals in hohem Alter straffällig wird (BGH NStZ 1993 332). An minder schwere Fälle ist insbesondere zu denken, wenn die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c nur unwesentlich überschritten ist 8 , und dann, wenn ein knapp vor Vollendung des 14. Lebensjahres stehendes Kind dem Täter hinsichtlich der Tathandlung entgegengekommen ist, der Täter von Handlungen abgelassen hat, die das Kind nicht wollte und dieses durch — nicht massive Handlungen — nicht geschädigt worden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 30. Juni 1982 — 3 StR 202/82 — und vom 31. Januar 1983 — 3 StR 516/82). Dagegen spricht die Tatsache, daß die sexuellen Handlungen an einem noch ganz kleinen Kind vorgenommen worden sind, gegen einen minder schweren Fall (BGH Urteil vom 15. Oktober 1991 — 4 StR 336/91). 23

Bei der Strafzumessung kann der Eintritt konkreter Schäden — die bloße Möglichkeit des Eintritts reicht nicht (BGH StV 1988 250) — strafschärfend gewertet werden, nicht dagegen — wegen des Doppelverwertungsverbots in § 46 Abs. 3 — die Erwägung, daß Kinder vor sexuellen Handlungen geschützt werden müssen, daß sich der Täter über die Interessen des Kindes zum Zwecke eigener sexueller Befriedigung hinweggesetzt hat (BGH Beschluß vom 24. 8. 1993 — 4 StR 452/93 - ) oder daß die Tat entsprechende Spuren in der Entwicklung des Kindes hinterlassen hat (BGH StV 1987 146). Haben mehrere Taten zum Nachteil desselben Opfers zu Schäden geführt, ist zu unterscheiden : beruhen die Schäden auf allen Taten, dürfen sie nur bei der Bildung der Gesamtstrafe strafschärfend berücksichtigt werden, anderenfalls bei den konkreten Taten, die die Schäden verursacht haben (BGH Beschluß vom 20. 7. 1993 — 4 StR 316/93). Daß das Kind durch die Tat keinen nachhaltigen seelischen Schaden erlitten hat, kann strafmildernd wirken (BGH StV 1986 149). Die Infizierung mit einer Geschlechtskrankheit darf dem Täter nur angelastet werden, wenn er seine Erkrankung kannte (BGH Beschluß vom 30. 10. 1990 - 5 StR 488/90). Daß beim Angeklagten zur Tatzeit ein Triebstau vorhanden war, der sich für ihn als „sexueller Notstand" dargestellt hat (§ 177 Rdn. 18), kann ein Milderungsgrund sein. Das Nichtvorliegen dieses Milderungsgrundes kann jedoch nicht strafschärfend gewertet werden (BGH NJW 1980 2821)9. Das Gericht hat sich bei der Zumessung der Strafe auf die von ihm festgestellten Tatsachen zu beschränken und darf die Strafe nicht an einem hypothetischen Sachverhalt messen, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat. Ob ein einzelner Umstand hingegen zumessungserheblich ist und ob die ihm vom Tatrichter beigelegte Bewertungsrichtung vertretbar ist, hängt nicht davon ab, ob die Urteilsausführungen diesen Umstand positiv oder negativ umschreiben (BGHSt. 34 345 = NStZ 1987 450 mit Anmerkung Bruns). Daß sich die Tat gegen 6

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B G H S t . 26 97, 98, 99; B G H N S t Z 1982 26; StV 1983 18; G A 1986 450; B G H R S t G B vor § 1 minder schwerer Fall G e s a m t w ü r d i g u n g , unvollständige 5; B G H Urteil vom 10. Mai 1979 — 4 StR 154/79 — sowie Beschluß vom 31. J a n u a r 1983 — 3 StR 516/82. B G H StV 1981 519; G A 1986 120; B G H R StGB § 176 Abs. 1 m i n d e r schwerer Fall 1; B G H Beschluß vom 24. J a n u a r 1979 - 3 StR 5 1 4 / 7 8 ; vgl. § 177 R d n . 18.

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B G H bei Mösl N S t Z 1984 162 = EzSt Nr. 1 zu § 176; B G H R S t G B § 176 Abs. 1 m i n d e r schwerer Fall 2; B G H bei Miebach N S t Z 1993 225. Das schließt indes nicht aus, d a ß das Gericht die Feststellung, d a ß ein solcher o d e r a n d e r e r Milderungsgrund nicht vorliegt, bei seiner Entscheid u n g , den Normalstrafrahmen a n z u w e n d e n , mit berücksichtigt ( B G H N S t E Nr. 4 zu § 176).

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Sexueller Mißbrauch von Kindern

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Kinder in einem Alter weit unterhalb der Schutzaltersgrenze (das sind noch nicht 13jährige Kinder, BGH bei Holtz MDR 1978 280; anders aber BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 3 und BGH bei Miebach NStZ 1993 225 für zwölfjährige Kinder) richtete, kann ein Strafschärfungsgrund sein, wenn sich gerade wegen des geringen Alters der Kinder eine Gefährdung ergibt, die den Durchschnittsfall übertrifft. Kein Strafschärfungsgrund ist, daß das Kind dem Täter keinen „nachvollziehbaren Anlaß" zur Tat gab (BGH StV 1987 146), während das Vorhandensein einer Liebesbeziehung zwischen Täter und Opfer strafmildernd sein kann (BGH NStE Nr. 4 zu § 176; BGHR StGB § 173 Abs. 3 Strafrahmenwahl 5). Der Umstand, daß eine politische Gruppierung den freien sexuellen Umgang mit Kindern fordert, darf nicht zur Erhöhung der Strafe führen (BGH NStZ 1986 358), ebensowenig reicht der Hinweis auf die Dunkelziffer im Bereich der Sexualdelikte mit Kindern (BGH Beschluß vom 17. 2. 1993 — 2 StR 31/93). Zur mittlerweile überholten Rechtsprechung zu fortgesetzten in der DDR und in der Bundesrepublik begangenen Taten vgl. BGH Beschluß vom 28. 7. 1993 - 5 StR 412/93 - . 3. In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 (Absatz 5 scheidet insoweit als 24 Grunddelikt aus, wie der Aufbau der Vorschrift zeigt), ist die dortige Mindeststrafe erhöht (Absatz 3). a) Regelfälle des besonders schweren Falles nennt das Gesetz in Absatz 3 Nrn. 1 und 2. Das Merkmal der Vollziehung des Beischlafs (dazu bei § 177) erfaßt nicht die Fälle des Versuchs (offengelassen in BGH Beschluß vom 19. Januar 1983 — 3 StR 501/82; vgl. Rdn. 25). Hat der Täter sein Glied lediglich an das Geschlechtsteil des Kindes herangeführt, kann je nach den Umtänden ein unbenannter besonders schwerer Fall vorliegen (BGH bei Miebach NStZ 1992 176). Die körperlich schwere Mißhandlung 1 0 hat nicht zur Voraussetzung, daß die Folgen des § 224 eingetreten sind. Die körperliche Integrität des Kindes muß schwer, das heißt mit erheblichen Folgen für die Gesundheit oder in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, beeinträchtigt sein. Es genügen dabei heftige und mit Schmerzen verbundene Schläge. Die Körperverletzung muß bei der Tat begangen sein. Es genügt der unmittelbare Zusammenhang, so daß die Körperverletzung auch vor — um das Kind gefügig zu machen — oder sofort nach der Tat — etwa um das Kind zum Schweigen zu bringen — verursacht worden sein kann. Auch unter den Voraussetzungen des § 176 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 liegt ein besonders schwerer Fall nur in der Regel vor, also nicht ausnahmslos. Der Tatrichter muß sich deshalb mit den zu Gunsten des Täters sprechenden Umständen auseinandersetz e n " . Besondere Umstände (beispielsweise, wenn die Initiative zum Beischlaf von dem Kind ausgeht) schließen die Annahme eines besonders schweren Falles nicht von vornherein aus (BGH Beschluß vom 29. April 1981 — 3 StR 122/81). Der Tatrichter muß sie jedoch bei der Prüfung, ob er den Strafrahmen nach Absatz 3 festsetzt, berücksichtigen (BGH bei Miebach NStZ 1994 223 f; Beschluß vom 29. April 1981 — 3 StR 122/81 —). Absatz 3 ist unanwendbar, wenn in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die die Tat deutlich vom Regelfall abheben (BGHSt. 20 121, 125; BGH Beschluß vom 7. Dezember 1977 - 3 StR 461/77). 10

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In Strafverfahren wegen sexuellen Mißbrauchs ist es nicht zulässig, ärztliche Atteste über Körperverletzungen zur Feststellung der Verletzungsfolgen als Voraussetzung für das Vorliegen des Regelbeispiels zu verlesen ( B G H N J W 1980 651).

11

Vgl. auch Schaaber Strafprozessuale Probleme bei Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs, Streit 1993 143. BGH StV 1981 72; BGH N J W 1987 2450; B G H R StGB § 176 Abs. 3 Strafrahmenwahl 5 und 6.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

b) Den — benannten — Regelbeispielsfällen stehen die Fälle etwa vergleichbarer Schwere gleich. Absatz 3 ist anzuwenden, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Elemente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (BGHSt. 29 319, 322; Hirsch LK 10 vor § 46 Rdn. 52). Diese Voraussetzungen werden regelmäßig beim Oral- und Analverkehr vorliegen 12 . Die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens kommt auch bei versuchter Tat in Frage. Das kann in Fällen des Absatzes 3 Nr. 2, wenn die sexuelle Handlung mit schwerer Mißhandlung erzwungen werden soll, und außerhalb der Regelbeispiele praktisch werden. Voraussetzung ist allerdings, daß der Qualifikationstatbestand — nämlich als Regelbeispiel oder außerhalb dieser Beispiele — in vollem Umfang erfüllt, nicht nur versucht ist (BGH StV 1981 58, 59 in einem Fall des Versuchs der Abgabe nicht geringer Mengen von Betäubungsmitteln; Dreher/Tröndle § 46 Rdn. 48 c; aA BGHSt. 33 370; G. Schäfer Praxis der Strafzumessung Rdn. 398) 13 . Denn Absatz 3 ist kein besonderer Tatbestand, dessen Versuch unter Strafe gestellt ist. Eine Tat, in der ein Regelbeispiel versucht ist (versuchter Beischlaf), kann jedoch — außerhalb der Regelbeispiele — als besonders schwerer Fall zu beurteilen sein. In Fällen der versuchten Tat, die sich als schwerer Fall nach Absatz 3 darstellt, ist die Strafe dem Absatz 3 zu entnehmen, und zwar mit der Möglichkeit der Milderung nach Versuchsgrundsätzen (BGHSt. 33 370, 377). Tröndle (Dreher/Tröndle § 46 Rdn. 48) beruft sich für seine Auffassung, die §§ 22,23 Abs. 2 seien unanwendbar, zu Unrecht auf BGH bei Holtz M D R 1980 814. Diese Entscheidung enthält Ausführungen nur dazu, ob ein besonders schwerer Fall der Beihilfe zum Betäubungsmittelhandel gegeben ist, nicht aber zu der Frage, ob eine Strafe für eine solche Tat nach Beihilfegrundsätzen zu mildern wäre. Das ist der Fall, da es um den besonders schweren Fall einer Tat geht, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils gegenüber den im Besonderen Teil des StGB angedrohten Strafen milder geahndet werden muß.

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c) Die Strafdrohung des Absatzes 3 gilt, wie der dargelegten Entscheidung bei Holtz MDR 1980 814 zu entnehmen ist, auch für den Beteiligten (Anstifter, Gehilfe), allerdings nur für den Fall, daß die Handlung des Beteiligten selbst als besonders schwerer Fall zu bewerten ist. Unerheblich ist, ob die Tat des Haupttäters eine besonders schwere ist. Die Strafe des Gehilfen ist, wie bereits ausgeführt, nach § 27 Abs. 2 Satz 2 zu mildern.

27

4. In den Fällen des Absatzes 4 — bei leichtfertiger Todesverursachung — ist die Mindeststrafe auf fünf Jahre erhöht. a) Das Merkmal „durch die Tat" ist nicht dahin zu verstehen, daß Absatz 4 nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Tod Folge der Verwirklichung des Grunddelikts ist. Absatz 5 scheidet als Grunddelikt aus, wie der Aufbau der Vorschrift zeigt. Es reicht, wie in dem entsprechend aufgebauten § 251 (vgl. dort Herdegen LK 10 12

13

B G H N S t Z 1984 468, 469; Urteil vom 11. August 1993 _ 3 s t R 3 2 5 / 9 3 — f ü r zahlreiche Fälle des Oralverkehrs u n d Urteil vom 7. D e z e m b e r 1977 - 2 StR 4 3 0 / 7 7 - ; vgl. aber B G H R S t G B § 176 Abs. 3 S t r a f r a h m e n w a h l 3, w o n a c h zahlreiche M i l d e r u n g s g r ü n d e a u c h bei Oralverkehr gegen die A n n a h m e eines b e s o n d e r s schweren Falles sprechen k ö n n e n . Die Frage ist insbesondere bei § 243 umstritten:

wie hier B a y O b L G N J W 1980 2207 = J R 1981 118 mit a b l e h n e n d e r A n m . Zip/; O L G Stuttgart N S t Z 1981 222; O L G Düsseldorf N J W 1983 2712; offengelassen in B G H N S t Z 1984 262 — u n t e r Hinweis auf entgegenstehende u n v e r ö f f e n t lichte R e c h t s p r e c h u n g — sowie in B G H StV 1985 103 mit A n m . Arzt. A n d e r s jetzt unter ausdrücklicher A u f g a b e d e r f r ü h e r geäußerten Bedenken BGHSt. 33 370.

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Sexueller Mißbrauch von Kindern

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Rdn. 2) aus, daß sich im Tod des Opfers die in der Tat des § 176 Abs. 1 und 2 schon angelegte und deshalb besonders naheliegende Gefahr realisiert (vgl. Herdegen aaO Rdn. 3). Genügend ist allerdings nicht jede vom Täter gesetzte Bedingung. Zu verlangen ist vielmehr ein „qualifikationsspezifischer Kausalzusammenhang" (BGHSt. 31 96,98; 33 322; 323; Herdegen aaO; Hirsch LK10 § 226 Rdn. 4). Dieser kann durch die sexuelle Handlung selbst gesetzt werden (Schroeder LK10 § 18 Rdn. 21, 22), aber auch durch Handlungen, die vor dieser liegen, etwa durch die Gewaltanwendung, mit der das Kind zur Vornahme der Handlung gezwungen wird (Horn SK Rdn. 22; aA Schönke/Schröder/Lenckner Rdn. 15). Denn als Tat ist das gesamte Handeln des Täters zu verstehen, das zur Tatvollendung geführt hat (BGHSt. 31 96, 99). In Frage kommen aber auch Bedingungen, die nach den sexuellen Handlungen gesetzt wurden, soweit sie noch in unmittelbarem Zusammenhang mit ihnen stehen (aA Herdegen LK 10 § 251 Rdn. 7, der den Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung für irrelevant hält). Der qualifikationstypische Kausalzusammenhang ist beispielsweise bei Gewaltanwendungen, die der sexuellen Handlung folgen, um das Kind zum Schweigen zu veranlassen, noch gegeben. Unerheblich ist, ob die zum Tode führende Handlung gewollt ist, wenn sie nur im Zusammenhang mit der Tatausführung steht und eine naheliegende Gefahr realisiert. Der ungewollt aus der Pistole, mit der das Kind bedroht wird, sich lösende Schuß ist deshalb ursächlich im Sinne des Absatzes 4 (BGH NJW 1965 2411 ; kritisch Schroeder LK 10 § 18 Rdn. 21). Strittig und im einzelnen fraglich ist, inwieweit der Eintritt der besonderen Folgen über Zwischenursachen zu berücksichtigen ist 14 . Eine zu enge Begrenzung des nach Absatz 4 zu berücksichtigenden Kausalverlaufes ist abzulehnen. Deshalb ist mit dem BGH (BGHSt. 31 96, 100) anzunehmen, daß Kausalverläufe noch zu berücksichtigen sind, wenn sich im Tode des Opfers jene Gefahr verwirklicht, die bereits der Tat anhaftete. Das ist nicht mehr der Fall, wenn der Erfolg durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers selbst herbeigeführt wird (BGH bei Holtz MDR 1982 102). Der Selbstmord des Opfers ist demnach nicht tatbestandsmäßig (Schroeder LK 10 § 18 Rdn. 18; aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 15), es sei denn, es handelt sich um eine Panikreaktion, die durch die konkrete Mißhandlung körperlich und psychisch hervorgerufen worden ist mit der Folge, daß kein eigenverantwortliches Handeln des Verletzten vorliegt (BGH NJW 1992 1708). b) Die hier vertretene Auffassung führt dazu, daß eine versuchte Tat nach den Ab- 28 sätzen 1 und 2 nach Absatz 4 qualifiziert ist, wenn der Tod auf Handlungen beruht, die auf die Tatvollendung gerichtet waren und vor der beabsichtigten Vornahme der sexuellen Handlung liegen 15 . Die Strafe kann nach § 22, 23 gemildert werden (vgl. dazu Rdn. 25), da Absatz 4 kein eigenständiger Tatbestand, sondern nur Strafzumessungsvorschrift ist, die an das Grunddelikt der Absätze 1 und 2 anknüpft. Möglich ist auch der Versuch der Qualifizierung des Absatzes 4 für Fälle der bedingt vorsätzlichen Tötungshandlung. Bei einem auf den Todeserfolg gerichteten Vorsatz des Täters ist der Tötungsversuch daneben nach den §§ 211 ff strafbar; bei der Strafzumessung wirkt sich deshalb das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 4 nicht aus (BGHSt. 39 100).

14

Vgl. Schroeder LK 1 0 § 18 R d n . 17 ff; Hirsch LK 1 0 § 226 R d n . 4 ; Herdegen LK 1 0 § 251 R d n . 4 ; BGHSt. 31 96 mit A n m . Stree J Z 1983 73; Puppe N S t Z 1983 21 ; Schlapp StV 1983 61 ; Hirsch J R 1983 77.

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15

So a u c h Herdegen LK 10 § 251 R d n . 3 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung, insbesondere B G H bei Dallinger M D R 1971 363; B G H N J W 1977 204; kritisch Schroeder LK"' § 18 R d n . 23; aA Hirsch LK 10 § 224 R d n . 30; § 226 R d n . 6.

Heinrich Laufhütte

§ 176

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

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c) Der Täter muß den qualifizierenden Erfolg leichtfertig verursacht haben. Zur Auslegung des Merkmals der Leichtfertigkeit — er liegt vor bei besonderem Leichtsinn oder besonderer, die Tatbestandsverwirklichung nicht bedenkender Gleichgültigkeit — kann im einzelnen auf Herdegen (LK 10 § 251 Rdn. 8 ff; vgl. auch Schroeder LK10 § 16 Rdn. 208 ff) verwiesen werden; zu den hierfür erforderlichen Feststellungen vgl. BGH NStE Nr. 20 zu § 177. Vorsatz und Leichtfertigkeit stehen in einem Stufenverhältnis und schließen sich nicht gegenseitig aus 16 . Sind die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung und des § 176 Abs. 4 erfüllt, stehen sie im Verhältnis der Tateinheit. Das Unrecht, das in der Herbeiführung des Todes liegt, darf dem Täter bei der Strafzumessung aber nur einmal angelastet werden (BGHSt. 39 100). Lassen die Feststellungen nur die Möglichkeit offen, daß die Qualifikation vorsätzlich oder leichtfertig verursacht wurde, so ist mit der Rechtsprechung des BGH (BGHSt. 17 210; aA Herdegen LK10 § 251 Rdn. 14) von Leichtfertigkeit auszugehen.

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d) Absatz 4 ist auch für den Tatbeteiligten anwendbar, der den qualifizierenden Erfolg selbst leichtfertig verursacht hat (vgl. Hirsch LK10 § 226 Rdn. 7; Herdegen LK10 § 251 Rdn. 17). Das gilt auch dann, wenn der die sexuelle Handlung Ausführende selbst nicht Verursacher oder Mitverursacher des tödlichen Erfolges ist, beispielsweise, weil der Tod durch Schläge des Gehilfen, die sich der Haupttäter nicht zurechnen lassen muß, eingetreten ist. Die Strafe des Gehilfen ist nach § 27 Abs. 2 Satz 2 zu mildern (vgl. Rdn. 26).

31

VII. Konkurrenzen. Innerhalb des Tatbestandes ist Tateinheit zwischen Absatz I und 2' 7 , auch zwischen Absatz 5 Nr. 1 und 2, möglich. Absatz 5 tritt hinter den Absätzen 1 und 2 zurück (BGH bei Daliinger MDR 1974 722). Das versuchte Vergehen nach den Absätzen 1 und 2 steht aber mit dem vollendeten Vergehen nach Absatz 5 in Idealkonkurrenz (BGH bei Daliinger M D R 1974 722). Die Absätze 1 und 2 können ideal konkurrieren mit den §§ 173, 174 (BGH Urteil vom 6. September 1979 - 4 StR 374/79), den §§ 174 a, b, 177 (BGH bei Dallinger M D R 1974 546), den §§ 178, 179, 182, 223 ff, 211 ff, 240. Zur Konkurrenz mit den §§ 183, 183 a, 185 vgl. § 174 Rdn. 23. Absatz 5 Nr. 3 steht in Gesetzeskonkurrenz mit § 184 Abs. 1 Nr. 1 (BGH NJW 1976 1984). Treffen mehrere Handlungen gegen verschiedene Opfer auch nur jeweils in einem Teilakt zusammen, so liegt Tateinheit vor (std. Rspr.: BGHR § 176 Abs. 1 Konkurrenzen 1 und 2; BGH bei Miebach NStZ 1993 225; 1994 223). Zur fortgesetzten Handlung vgl. vor § 174 Rdn. 22. Vgl. außerdem vor § 174 Rdn. 20 ff.

32

VIII. Recht des Einigungsvertrages. Vgl. dazu § 174 Rdn. 24.

16

B G H S t . 39 100. Z u r f r ü h e r e n Streitfrage einerseits B G H S t . 35 2 5 7 , 2 5 8 ; Schroeder LK" 1 § 18 R d n . 25; Herdegen LK 10 § 251 R d n . 11 ff; Dreher/Tröndle § 18 R d n . 5 f; Sch/Schröder/Lenckner § 176 R d n . 16; Sch/Schröder/Cramer § 18 R d n . 3; andererseits BGHSt. 26 175 mit A n m e r k u n g Rudolphi J R 1976 73 u n d Hassemer J u S 1975 814; B G H N S t Z 1984 453; B G H Beschlüsse vom 28. 10. 1975 -

17

1 StR 5 3 1 / 8 5 - u n d vom 19. 11. 1981 - 4 StR 588/81 - zu § 251; B G H bei Dallinger M D R 1976 15 u n d B G H Beschluß vom 8. 1. 1986 2 StR 6 6 0 / 8 5 zu § 177 Abs. 3; Horn S K § 176 R d n . 20. B G H S t . 26 167, 174; Dreher/Tröndle R d n . 19; Lackner R d n . 12; a A Sch/Schröder/Lenckner R d n . 25; Horn S Κ R d n . 12.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Vergewaltigung

§ 177

§ 177 Vergewaltigung (1) Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Schrifttum 1. Allgemeines Arzt Anmerkung zu BGHSt. 32 165, JZ 1984 428; Baumann Die natürliche Wortbedeutung als Auslegungsgrenze im Strafrecht, M D R 1958 394; Blei Zum strafrechtlichen Gewaltbegriff, NJW 1954 583; Blei Die Auflösung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, JA 1970 19,77 und 141; Bockelmann Wann ist der Rücktritt vom Versuch freiwillig? NJW 1952 1417; Boeckmann Was ist Gewalt? JZ 1986 1050; Burgsmüller Strafmilderung für Freier, Streit 1985 50; Callies Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände (1974); Dreher Zum Meinungsstreit im Bundesgerichtshof um § 237 StGB, NJW 1972 1641 ; Dreher Nochmals § 237 StGB, JZ 1973 276; Engel „ N e u e " Tendenz in der Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH = Neue Hürde für vergewaltigte Frauen, StV 1988 505; Frommel Opferschutz durch hohe Strafdrohungen? Der vergiftete Apfel vom Baum des Punitivismus, MschrKrim. 1985 350; Frommel Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Vergewaltigung und sexuellen Nötigung — unverfroren und unbeirrbar, in: Böllinger/Lautmann (Hrsg.) Vom Guten, das noch stets das Böse schafft (1993) S. 113 ff; Geerds Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, G A 1954 262; Geilen Neue Entwicklungen beim strafrechtlichen Gewaltbegriff, H. Mayer-Festschrift S. 445; Geilen Zur Problematik der gewaltsamen Entführung (§ 237 StGB), JZ 1974 540; Geilen Lebensgefährdende Drohung als Gewalt in § 251 StGB? JZ 1970 521 ; Goy Der Berliner Gynäkologenprozeß, KJ 1987 313 ; Graalmann Frauen als Verbrechensopfer am Beispiel Vergewaltigung — aus der Sicht der Frau und der Staatsanwaltschaft, Die Polizei 1989 89 ; Greger Strafzumessung bei Vergewaltigung, MschrKrim. 1987 261; von Heintschel-Heinegg Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht (1975); Helmken Zulässigkeit von Fragen zur sexuellen Vergangenheit von Vergewaltigungsopfern, StV 1983 81 ; Hruschka Konkurrenzfragen bei den sog. erfolgsqualifizierten Delikten, G A 1967 42; Hruschka Rückkehr zum dolus subsequens? JZ 1973 278; Hruschka Zum Tatvorsatz bei zweiaktigen Delikten, insbesondere bei der Entführung des § 237 StGB n. F., JZ 1973 12; Hruschka Methodologische Bemerkungen zu Auslegungen des § 236 StGB, JR 1966 454; Incesu Feministische Signale durch Strafzumessung? — Der Streit um die Mindeststrafe bei Vergewaltigung, StV 1988 469; Jakobs Nötigung durch Gewalt, H. Kaufmann-Gedächtnisschrift S. 791 ; Jerouschek Der irrtumsgeneigte Vergewaltigungstäter, JZ 1992 227; Keller Strafrechtlicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt (1982); Keller Die neue Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs in der Rechtsprechung, JuS 1984 109; Knodel Der Begriff der Gewalt im Strafrecht (1962); Köhler Nötigung als Freiheitsdelikt, Leferenz-Festschrift S. 511 ; LencknerAnmerkung zu BGHSt. 31 76, JR 1983 159; Maurach Zum subjektiven Tatbestand der §§ 176 Nr. 1, 177 StGB, G A 1956 305; Maurach Deliktscharakter und Auslegung der Notzuchtsbestimmung des § 177, NJW 1961 1050; Mauz „ . . . daß die Initiative von ihnen ausging", AnwBl. 1986 230; Middendorf Die Strafzumessung bei Notzucht — Eine historisch-kriminologische Studie, Leferenz-Festschrift S. 593; Miiller-Dietz Zur Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, G A 1974 33; Neumann Anmerkung zu BGHSt. 37 153, StV 1991 256; Rieß Zur Aburteilungspraxis bei sexueller Gewaltkriminalität, Tröndle-Festschrift S. 369; Rieß Strafverfahrensrechtliche und strafrechtliche Entwicklungen bei Verfahren wegen sexueller Gewaltkriminalität, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6 (1990) S. 61; Rössner Ge(65)

Heinrich Laufhütte

§ 177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

waltbegriff und Opferperspektive bei der Vergewaltigung, Leferenz-Festschrift S. 527; Röthlein Der Gewaltbetriff im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte, Diss. München 1986; Rogewski Zum inneren Tatbestand der Entführung, JR 1967 339; Roth-Stielow Entführen im Sinne der §§ 236 und 237 StGB, NJW 1966 1496; Roxin Anmerkung zu BGHSt. 21 188, NJW 1967 1868; Schall Auslegungsfragen des § 179 StGB und das Problem der eigenhändigen Delikte, JuS 1979 104; Schapira Die Rechtsprechung zur Vergewaltigung — über die weit gezogenen Grenzen der erlaubten Gewalt gegen Frauen, KJ 1977 221 ; Schliermann/Endres/Dorsch Der Vergewaltigungsprozeß (1989); Schroeder Schreien als Gewalt, JuS 1982 491 ; Schroeder Anmerkung zu BGHSt. 21 188, JR 1967 226; Schroth Zur Differenz von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit, JuS 1992 1 ; Schünemann Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 439; Schulz Die Notzucht (1958); Seiler Die Gewalt als Mittel zur Nötigung, Pallin-Festschrift S. 381; Sick Zweierlei Recht für zweierlei Geschlecht, ZStW 103 (1991) 43; Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff (1993); Stree Zur Auslegung der §§ 224,226 StGB (zugleich ein Beitrag zum Versuch erfolgsqualifizierter Delikte), GA 1966 257; Sturm Das 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ 1974 1 ; Teufert Notzucht und sexuelle Nötigung (1980); Tondorf Grenzen der Verteidigung in Vergewaltigungsprozessen, StV 1988 500; Vultejus Vergewaltigungsprozesse, Vorgänge 1988 Heft 5 S. 11 ; Weßlau Anmerkung zu BGHSt. 37 153, StV 1991 259; Widmann Zur Bestrafung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung bei gleichzeitigem Vorliegen eines sog. erfolgsqualifizierten Delikts, MDR 1966 554; Wolter Gewaltanwendung und Gewalttätigkeit, NStZ 1985 193 und 245; Wolter Die Anwendung des § 68 a Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung des Vergewaltigungsprozesses, Diss. Osnabrück 1987; Zschockelt Rechtstatsachen und Rechtsfragen zur sexuellen Gewaltkriminalität aus der Sicht des Revisionsrichters, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6 (1990) S. 61 ; Zypries Vergewaltigung und Gewalt im Sinne des § 177 StGB, DuR 1982 30.

2. Zur Reformdiskussion, insbesondere zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe Alander und Westphal Nötigung des Ehegatten zum Beischlaf — strafbar?, ZRP 1985 335; AsJ Reform des Sexualstrafrechts (I) (1989) S. 41 ; Baurmann Sexuelle Gewalttätigkeit in der Ehe, Schriften der Dt. Richterakademie Bd. 6 (1990) S. 37; Behm Die Außerehelichkeit der Vergewaltigung — ein Rechtsproblem? M D R 1986 886; Bender Die Feministinnen und das Strafrecht — eine Replik, KJ 1987 449; Bucerius Intime Sphäre, „Die Zeit" 1983 Nr. 40, S. 66; Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) Gewalt gegen Frauen in der Ehe — Ergebnisse einer Umfrage (1986); Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) Anhörung „Gewalt gegen Frauen" (1986); Dohmann Vergewaltigung der Ehefrau? ZRP 1986 126; Engel Warum eine Reform der §§ 177, 178 StGB und der dazu gehörenden Vorschriften der StPO? Streit 1984 50; Faerber-Husemann Sexualstrafrecht, AnwBl. 1986229; Feichtinger Vergewaltigung in der Ehe — Notwendigkeit eines neuen Straftatbestandes? öJZ 1988 268; Fricke Nötigung des Ehegatten zum Beischlaf — strafbar? ZRP 1986 104; Frommel Gewalt gegen Frauen — Utopische, realistische und rhetorische Forderungen an eine Reform der sexuellen Gewaltdelikte, in: Battis/Schulz Frauen im Recht (1990) S. 257 ; Frommel Ein strafrechtsskeptischer Vorschlag zur Reform der sexuellen Gewaltdelikte, 12. Strafverteidigertag (1989) S. 168; Frommet Wie kann die Staatsgewalt die Frauen vor sexueller Gewalt schützen? Z R P 1987 242; FrommeI Das klägliche Ende der Reform der sexuellen Gewaltdelikte, ZRP 1988 233; Gnau Zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, Z R P 1986 127; Godenzi Vergewaltigung in der Ehe im europäischen Vergleich, MschrKrim. 1988 255; Goy Das Ende eines Kavaliersdelikts? Streit 1989 130; Hanisch Vergewaltigung in der Ehe (1988); Helmken Eheliche Vergewaltigung, ZRP 1993 459; Helmken Roll-Back des Patriarchats? ZRP 1985 170; Helmken Zur Strafbarkeit von Ehegattennotzucht, ZRP 1980 171 ; Helmken Vergewaltigung in der Ehe (1979); Hesse Nötigung des Ehegatten zum Beischlaf — strafbar? Z R P 1986 126; Hoff Probleme der Strafbarkeit der Ehegattenvergewaltigung, Betrifft Justiz 1988 194; Horn Nötigung des Ehegatten zum Beischlaf — strafbar? ZRP 1985 265; Huff Eheverständnis im Strafrecht? Z R P 1986 32; Kruse/Sczesny Vergewaltigung und sexuelle Nötigung — bagatellisierende Auslegung und Scheitern einer Reform, KJ 1993 336; Laubenthal Zur Strafbarkeit der ehelichen Vergewaltigung, Vorgänge 1984 Heft 6 S. 8; Limbach Zur StrafbarStand: 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

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keit der Vergewaltigung in der Ehe, Z R P 1985 289; Lücke Vergewaltigung in der Ehe, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6 (1990) S. 55; Maihofer Z u m Dilemma G R Ü N E R Rechtspolitik, KJ 1988 432; Mitsch Die Strafbarkeit der Ehegattenvergewaltigung im geltenden Recht, JA 1989 484; Mösl Ist eine Reform der „sexuellen G e w a l t d e l i k t e " notwendig? Z R P 1989 49; Oberlies Die Rechtspolitik f r ö m m e l t — ein Beitrag zum E n d e der Mindeststrafendiskussion bei den sexuellen Gewaltdelikten, Streit 1989 13; Paetow Vergewaltigung in der Ehe (1989); Protokoll der 91. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. 6. 1986; Schalkhäuser G u t a c h t e n über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe nach ausländischen Strafgesetzen ( Z u s a m m e n f a s s u n g und A n m e r k u n g ) , Streit 1985 106; Schorsch Vergewaltigung in der Ehe, Beiträge zur Sexualforschung Bd. 62 (1987) S. 115; Teubner Vergewaltigung als gesellschaftliches Problem; Forderungen zu einer Reform des Sexualstrafrechts, in: Gerhard/ Limbach (Hrsg.) Rechtsalltag von Frauen (1988) S. 79; Tibone Zur Reform des italienischen Strafrechts im Bereich der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, M s c h r K r i m . 1985 348; Vogel Die Stellung des O p f e r s im Strafverfahren — vor allem der O p f e r von Sexualdelikten, D u R 1987 167; Weigert Z u r Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, BerlAnwBI. 1987 150; Weßlau Reform des Vergewaltigungsparagraphen, D u R 1989 36; Zimmermann Zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, Z R P 1986 127; Zuck Gewalt in der Familie, M D R 1987 14.

3. Kriminologisches und rechtsmedizinisches Schrifttum Abel Vergewaltigung — Stereotypen in der Rechtsprechung u n d empirische Befunde, Diss. Berlin 1986; Abel Vergewaltigung — Stereotypen in der Rechtsprechung, in: Krüger (Hrsg.) Kriminologie (1992) S. 7 0 f f ; Baumann Sexualität, Gewalt u n d psychische Folgen, Die Polizei 1989 101 ; Baurmann Männergewalt. Erscheinungsformen u n d Dimensionen von Gewalt gegen Frauen u n d M ä d c h e n , Vorgänge 1987 Heft 6 S. 50; Burgard/Rommelspacher Leideunlust (1989); Butzmühlen Vergewaltigung. Die U n t e r d r ü c k u n g des O p f e r s durch Vergewaltiger und Gesellschaft (1978); Dost Psychologie der Notzucht (1963); Fehrmann u . a . D a s M i ß t r a u e n gegen das O p f e r von Vergewaltigungen (1982); Fehrmann u . a . Das Mißtrauen gegen vergewaltigte Frauen (1986); Feldmann Vergewaltigung und ihre psychischen Folgen (1992); Flothmann/ Dilling Vergewaltigung. E r f a h r u n g e n d a n a c h (1987); Frommel Besprechung von Steinhilper Definitions· und Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewaltdelikten (1986), M s c h r K r i m . 1987 120; Greuel/Scholz Deliktsspezifische Kenntnisse u n d Einstellungen als psychologische Bedingungen des Urteilsverhaltens in Vergewaltigungsfällen, M s c h r K r i m . 1990 177; Hassemer Rücksichten auf das Verbrechensopfer, Klug-Festschrift S. 217; Heinrichs (Hrsg.) Vergewaltigung. Die O p f e r u n d die Täter (1986); Henry/Beyer „Blaming the victim". Die S c h u l d u m k e h r in Vergewaltigungsprozessen, M s c h r K r i m . 1985 340; Hundertmark Diskriminierung durch Schutz, Streit 1986 55; Kahl Sexualdelinquenz u n d Polizeiverhalten unter besonderer Berücksichtigung der Vergewaltigung (1985); Kayßer Besprechung von F e l d m a n n , Vergewaltigung und ihre psychischen Folgen, StV 1993 504; Kröhn Vergewaltigung: Versuch einer Entmythologisierung, in: Gindorf/Haeberle (Hrsg.) Sexualität als sozialer T a t b e s t a n d ( 1986) S. 247 ; Kröhn Als Sachverständiger bei sexuellen Gewaltdelikten. Empirische Antworten auf einige häufig gestellte Fragen, Spann-Festschrift S. 189; Licht Vergewaltigungsopfer (2. Aufl. 1991); Luthe/Witter Z u r Psychologie der Notzuchtversuche eines jugendlichen Täters, M s c h r K r i m . 1967 264; Majewski Frauen als Verbrechensopfer am Beispiel Vergewaltigung — aus polizeilicher Sicht, Die Polizei 1989 83; Mc Intyre/Myint/Curtis Folgen sexueller Angriffe: Vollendete u n d versuchte Notzucht, in: Schneider (Hrsg.) Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege (1982) S. 231 ; Michaelis-Arntzen Die Vergewaltigung aus kriminologischer, viktimologischer u n d aussagepsychologischer Sicht (1981); Mülder Der aggressive Sexualstraftäter, Diss. Kiel 1973; Müller-Luckmann Über den U m g a n g mit O p f e r n sexueller Gewalt vor Gericht, Blau-Festschrift S. 151; Müther Sexuelle Gewalt: ,,... so zerstört der Täter die Integrität der Frau u n d die Schönheit der Liebe", Dt. Polizei 1993 6; Naab/Jung Sexuelle Gewalt gegen Frauen, Kriminalistik 1991 801 ; Naumann Die Stellung des O p f e r s im Strafverfahren, in: Hassemer (Hrsg.) Strafrechtspolitik (1983); Paul Gewalt gegen Frauen. Z u m Problem der G e g e n w e h r bei Vergewaltigung u n d sexueller Nötigung, Kriminalistik 1993 721; Schäfer (Hrsg.) Vergewalti(67)

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§ 177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

gungen (1985); Schäfer Frauen bei N a c h t , Kriminalistik 1982 363; Schäfer D a s O p f e r steht in dritter Reihe, Dünnebier-Festschrift S. 465; Schliermann Vergewaltigung vor Gericht (1993); Schmidt-Siegert Die Frau als Verbrechensopfer am Beispiel der Vergewaltigung — aus psychologischer Sicht, Die Polizei 1989 95; Schneider Vergewaltigung in kriminologischer u n d viktimologischer Sicht, Blau-Festschrift S. 341 ; Schneider U m f a n g , Entwicklung u n d Erscheinungsf o r m e n der Gewalt, J Z 1992 385; Schneider Ursachen der Gewalt, J Z 1992 499; Schneider Verhütung u n d Kontrolle der Gewalt, J Z 1992 769; Schneider Technik — ein geeignetes Mittel der Prävention von Sexualdelikten? A r c h K r i m . 1993 114; Scholz/Greuel Z u r Beurteilung der Qualität von Glaubhaftigkeitsgutachten in Vergewaltigungsprozessen, M s c h r K r i m . 1992 321; Scholz/Greuel Polizei u n d Justiz im U m g a n g mit vergewaltigten Frauen, M s c h r K r i m . 1992 328 ; Steck/Pauer Verhaltensmuster bei Vergewaltigung in Abhängigkeit von Täter- u n d Situationsm e r k m a l e n , M s c h r K r i m . 1992 187; Steffen Sexuelle Gewalttaten an F r a u e n : Geschlechtsrollenstereotype u n d s e k u n d ä r e Viktimisierungen im polizeilichen Ermittlungsverfahren, G ö p p i n g e r Festgabe S. 265; Steffen Z u m Problem der sexuellen Gewalt an Frauen u n d M ä d c h e n u n d des polizeilichen U m g a n g s mit ihren O p f e r n , in: Egg (Hrsg.) B r e n n p u n k t e der Rechtspsychologie (1991) S. 39; Steffen Gewalt von M ä n n e r n gegenüber Frauen — Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Die Polizei 1989 177; Steinhilper Definitions- u n d Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewalddelikten (1986); Strathausen Ver-Gewalt-igung — Zu Soziologie u n d Recht sexueller Machtverhältnisse, Diss. Münster 1987; Teubner Geschlecht u n d Macht, in: Krüger (Hrsg.) Kriminologie (1992) S. 27 f f ; Teubner/Becker/Steinhage Untersuchung „Vergewaltigung als soziales Problem — N o t r u f und Beratung f ü r vergewaltigte F r a u e n " (1983); Teufert Notzucht u n d sexuelle Nötigung. Ein Beitrag zur Kriminologie u n d Kriminalistik der Sexualfreiheitsdelikte unter Berücksichtigung der Geschichte u n d der geltenden strafrechtlichen Regelung, Diss. F r a n k f u r t 1980; Volk u . a . Vergewaltigungstäter, Leithoff-Festschrift S. 469; Wehner-Davin Vergewaltigung — Keine Routineermittlungen bei der Polizei, Kriminalistik 1981 523; Weis Vergewaltigung: Auswirkungen u n d soziale Bedeutung, in: Gindorf/Haeberle (Hrsg.) Sexualität als sozialer T a t b e s t a n d (1986) S. 233; Weis (Hrsg.): Die Vergewaltigung u n d ihre O p f e r (1982); Wille/Kröhn Der sexuelle Gewalttäter. Persönlichkeitsstruktur u n d Therapiemöglichkeiten, Schriften der Deutschen Richterakademie Bd. 6 (1990) S. 87 ff. Vgl. auch die Schrifttumsangaben vor § 174 unter 4.

Entstehungsgeschichte § 177 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 erfaßte als Notzucht in einem besonderen Verbrechenstatbestand Sonderfälle des § 176 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 a. F., nämlich die Vergewaltigung (Nötigung zum außerehelichen Beischlaf durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) und die Schändung einer Frau (Mißbrauch einer Frau zum außerehelichen Beischlaf, die der Täter zu diesem Zweck in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand versetzt hatte). § 177 in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts hat die Alternative des Versetzens in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand — insoweit den Vorschlägen des E 1962 (§ 204) und des Alternativentwurfes eines Strafgesetzbuches (Bes. Teil, Sexualdelikte, § Β 1) folgend — ausgegliedert. Sie ist zum Teil — insbesondere, wenn der willenlose oder bewußtlose Zustand durch Gewaltanwendung verursacht wird (vgl. dazu Wilts Protokoll des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode S. 1602) — ein Fall der Erzwingung des Beischlafs durch Nötigung (Sturm JZ 1974 1, 7). Die Fälle, in denen der Täter eine Frau mit ihrer Einwilligung — etwa durch einverständlichen G e n u ß alkoholischer Getränke (vgl. Wilts aaO S. 1602 mit Hinweisen auf O L G Celle N J W 1961 1079 und BGH N J W 1959 1092) — widerstandsunfähig gemacht hat und sodann sexuell mißbraucht, sind in § 179 unter Strafe gestellt. Wie im früheren Recht ist § 177, insoweit abweichend vom Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552), nicht als eigenhändiges Delikt ausgestaltet (vgl. BGHSt. 27 205). Eine solche Einschränkung hätte, namentlich in Fällen S t a n d : 1. 8. 1994

(68)

Vergewaltigung

§ 177

der Gruppennotzucht, zu erheblichen Anwendungsschwierigkeiten geführt (Sturm aaO). Die Fälle der Ehegattennotzucht sind vom Tatbestand nicht erfaßt. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts hat sich mit dieser Beschränkung des Tatbestandes dem früher geltenden Recht (Änderungsvorschläge enthielten insoweit weder der E 1962 noch der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches, dieser gegen Hanack Gutachten zum 47. Juristentag 1968) angeschlossen. Der Sonderausschuß des Deutschen Bundestags für die Strafrechtsreform hat die Problematik, ob es gerechtfertigt ist, die Ehegattennotzucht nur in § 240 und nicht in § 177 StGB unter Strafe zu stellen, eingehend beraten (vgl. die Zusammenfassung des Diskussionsergebnisses in BTDrucks. VI/3521 S. 39). Die zur Verteidigung des geltenden Rechts ins Feld geführten Gründe — insbesondere: geringe Aufklärungschancen von Fällen der Ehegattennotzucht, Schwierigkeiten und Störungen, die der strafrechtliche Eingriff in den Intimbereich der Ehe mit sich bringt — sind nicht recht einleuchtend 1 , wenn man berücksichtigt, daß die Ehegattennotzucht ja nicht straflos, sondern in § 240 unter Strafe gestellt ist (in der Regel als besonders schwerer Fall der Nötigung, vgl. BGH NStZ 1983 72). Die Herausnahme der Ehegattennotzucht aus dem Tatbestand des § 177 erscheint dennoch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vertretbar (kritisch insoweit Seh/Schröder/Lenckner Rdn. 1). Geschlechtliche Beziehungen gehören zum Wesen der Ehe (so auch Mösl Z R P 1989 49, 52). Deshalb könnte sich die in § 177 vorgesehene hohe — gegenüber dem früheren Recht erhöhte — Mindeststrafe in vielen Fällen, in denen der Ehemann den Beischlaf erzwingt, als schuldunangemessen hoch erweisen (anders als bei der flexibleren Strafdrohung des Nötigungstatbestandes). Eine besondere Sachlage besteht bei getrennt lebenden Ehegatten. Während der Gesetzesberatung ist erwogen worden, bei solcher Fallgestaltung die Ehegattennotzucht in § 177 unter Strafe zu stellen. Entsprechende Vorschläge sind — zu Recht — wegen der Beweisschwierigkeiten, die eine solche Regelung mit sich bringen würde, abgelehnt worden (Prot., 7. Wahlperiode S. 12; vgl. auch Bucerius „Die Zeit" 1983, Nr. 40, S. 66). 1983 setzte eine neue Reformdiskussion ein. Die Gesetzgebungsvorschläge konzentrierten sich zunächst auf die Pönalisierung der Ehegattennotzucht 2 . In der Folgezeit kam es zu Überlegungen, wie die Situation von Vergewaltigungsopfern insgesamt zu verbessern sei3. Die prozeßrechtliche Stellung der Opfer wurde teilweise durch das Opferschutzgesetz vom 18. 12. 1986 (BGBl. I S. 2496) verstärkt. Nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, a StPO haben Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung jetzt immer das Recht, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Weitere Verfahrensrechte wurden in den neugeschaffenen §§ 406 d ff StPO niedergelegt. Um die Opfer vor peinlichen Befragungen zu ihrem früheren Sexualverhalten zu schützen, wurde § 68 a StPO dahin ergänzt, daß Fragen nach Tatsachen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Zeugen nur bei Unerläßlichkeit derselben gestellt werden dürfen. Sowohl hinsichtlich der Überprüfung von möglichen Falschbeschuldigungen als auch hinsichtlich der Strafzumessung wird sich nach der geltenden Rechtsordnung eine Befragung indes nur selten vermeiden lassen. Nach dem neu eingefügten § 171 b GVG besteht bei Befragungen zum persönlichen Lebensbereich von Opfern eine erweiterte Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen. 1

;

(69)

Helmken Vergewaltigung in der Ehe ( 1979) sowie in ZRP 1980 171 ; Baurmann Sexuelle Gewalttätigkeit in der Ehe; vgl. auch Schrifttumsverzeichnis unter 2. Gesetzentwürfe der Freien und Hansestadt

1

H a m b u r g (BRDrucks. 411/83 und 568/87) und der G r ü n e n (BTDrucks. 10/562). Gesetzentwürfe der S P D (BTDrucks. 10/585 und 11/474) und der G r ü n e n (BTDrucks. 11/1040 und 11/5153).

Heinrich Laufhütte

§

177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Die Diskussion der Reform der sexuellen Gewaltdelikte hält an. Ziel der jüngsten Reformvorschläge 4 ist außer der Anwendbarkeit von §§ 177, 178 und 179 auf den ehelichen Bereich die Ausdehnung des Tatbestandes der Vergewaltigung auf Männer als Opfer, indem als Beischlaf auch Fälle der analen und oralen Penetration erfaßt werden sollen. Zum Teil wird die Einfügung eines Tatbestandsmerkmals „unter Ausnutzung einer hilflosen Lage" in die §§ 177 bis 179 befürwortet, um der als zu eng empfundenen Auslegung des Gewaltbegriffs durch die Rechtsprechung entgegenzuwirken 5 . Weitergehend wollen die Gruppe Bündnis 9 0 / D i e Grünen jede Penetration, auch mit Gegenständen, gegen den Willen des Opfers 6 als Vergewaltigung erfassen und den minderschweren Fall abschaffen (BTDrucks. 12/3303). Ob sich solche weitgehenden Vorstellungen durchsetzen werden, darf bezweifelt werden, zumal das geltende Recht ausreichende Möglichkeiten zur Ahndung bietet. Hinsichtlich der Ehegattennotzucht, deren Strafwürdigkeit in der neueren Reformdiskussion grundsätzlich bejaht wird, haben die Reformvorschläge in der Vergangenheit keine Mehrheit gefunden. Die Begründungen dafür bleiben wenig einleuchtend, darunter zuletzt, daß Auswirkungen auf die kriminologische Indikation bei § 218 zu befürchten seien 7 . Wesentlicher Grund für die Beibehaltung des geltenden Rechts scheint zu sein, daß unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie den Interessen der Opfer an der Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft Rechnung getragen werden kann (Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe, Ausgestaltung als Antragsdelikt). Übersicht I. Geschützes Rechtsgut II. Tathandlungen 1. Gewalt a) Der Gewaltbegriff aa) Erfordernis körperlicher Kraftanwendung bb) Körperlich wirkender Zwang cc) Körperliche Zwangseinwirkung bei der vis compulsiva . b) Der Widerstand c) Ernstlichkeit des Widerstandswillens 2. Drohung mit gegenwärtiger G e f a h r für Leib oder Leben a) Der Begriff der Drohung b) Drohung mit G e f a h r für Leib oder Leben c) Gegenwärtige G e f a h r d) Auf eine andere Person bezogene

4

5

Rdn. 1 2 3 4 4 5 6 7 8 9 9 10 II

Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion vom 12. 12. 1991 (BTDrucks. 12/1818), des Bundesrates vom 26.2. 1992 (BTDrucks. 12/2167) und der G r u p p e Bündnis 9 0 / D i e G r ü n e n vom 24. 9. 1992 (BTDrucks. 12/3303). Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BTDrucks. 12/1818.

6

III. IV. V. VI.

Nach dem vorgeschlagenen Gesetzestext würde auch das Füttern eines widerwilligen Kleinkindes mit einem Löffel Spinat erfaßt.

VII. VIII.

7

Drohung 3. Gewalt oder Drohung als Mittel der Nötigung zum außerehelichen Beischlaf 4. Kausalzusammenhang zwischen Nötigung und Duldung des Beischlafs Subjektiver Tatbestand Versuch und Vollendung Täterschaft und Teilnahme Strafzumessung 1. Straffestsetzung 2. Einzelheiten zur Strafzumessung . . a) Minder schwere Fälle b) Mindernde und schärfende Umstände aus der Rechtsprechung . 3. Leichtfertige Todesverursachung (Absatz 3) Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 12

13

14 15 16 17 18 18 18 18 18 19 20 23

Vgl. die Beratungen BTProt. 11. Wahlperiode 37. Sitzung (6. 11. 1987) S. 251 I f f ; 144. Sitzung (12. 5. 1989) S. 10698 ff; 194. Sitzung (8. 2. 1990) S. 14924 ff ; weitere Angaben zu Gesetzesmaterialien bei Dreher/Tröndle Rdn. 1. Vgl. auch Fromme! Z R P 1988 233 mit Synopse der damals aktuellen Gesetzentwürfe und Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht S. 325 ff.

Stand: 1. 8. 1994

(70)

Vergewaltigung

§ 177

I. Geschütztes Rechtsgut. Schutzgut des § 177 ist die sexuelle Selbstbestimmung 1 der Frau (vor § 174 R d n . 4; B G H M D R 1982 860). Die Vorschrift stellt nur die Nötigung zum Beischlaf unter Strafe. Die sonstigen Fälle der Nötigung zu sexuellen H a n d l u n g e n sind in § 178 — mit niedrigerer S t r a f d r o h u n g — unter Strafe gestellt. Täter k a n n j e d e r m a n n sein. Der Tatbestand ist nicht als eigenhändiges Delikt ausgestaltet. Es genügt, wenn der Täter zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt. Damit ist eindeutig zum Ausdruck gebracht, d a ß sich das tatbestandsmäßige Verhalten auf eine N ö t i g u n g s h a n d l u n g beschränken k a n n , die einem anderen den Beischlaf ermöglicht (BGHSt. 27 205,206). Das hat zur Folge, d a ß Täter auch eine Frau sein kann, deren Tatbeitrag sich auf das Nötigen beschränkt, oder der Ehem a n n , der zum Beischlaf mit einem Dritten nötigt (vgl. dazu Behm M D R 1986 886). II. Tathandlungen. Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn eine Frau (jede 2 weibliche Person) durch Gewalt oder D r o h u n g mit gegenwärtiger G e f a h r f ü r Leib oder Leben — alternative Feststellung ist möglich — zum außerehelichen Beischlaf mit dem Täter oder einem Dritten genötigt wird. Der Tatbestand ist zweiaktig. Täter kann deshalb jeder sein, der einen der Akte begangen hat, wenn ihm der andere strafrechtlich zugerechnet werden kann 8 . 1. Gewalt. Die Gewalt (dazu bei § 240) m u ß sich, abweichend vom allgemeinen 3 Gewaltbegriff, gegen eine Person richten. Das ist der Gleichstellung von Gewalt u n d der qualifizierten D r o h u n g (erfaßt wird nur eine solche mit gegenwärtiger G e f a h r f ü r Leib oder Leben) zu entnehmen. Eine nicht gegen einen menschlichen K ö r p e r gerichtete Übelzufügung scheidet deshalb aus. Fraglich ist, ob nur Gewalt gegen das Vergewaltigungsopfer (die Frau) vom Tatbestand erfaßt wird oder auch Gewalt gegen dritte Personen. Die Rechtsprechung ( B G H bei Daliinger M D R 1966 893) bejaht letzteres. Der Wortlaut der Vorschrift steht dieser Auslegung nicht entgegen. Sie entspricht dem Gesetzessinn, wenn m a n die Zwangswirkungen berücksichtigt, denen das O p f e r ausgesetzt sein k a n n , wenn gegen a n d e r e Personen Gewalt angewendet wird. In der Literatur wird die Gewalt gegen Personen, die dem O p f e r nahestehen (vgl. dazu §§ 35, 241) als tatbestandsmäßig im Sinne des § 177 angesehen 9 . Die Begrenzung auf Gewalt gegen nahestehende Personen erscheint nicht sinnvoll. D e n n abzustellen ist nicht auf die Person, gegen die Gewalt verübt wird, sondern auf die Zwangseinwirkungen, welche die Gewaltanwend u n g — beispielsweise gegen den der Frau nicht nahestehenden Begleiter — auf das spätere O p f e r der sexuellen H a n d l u n g hat. Eine zu weitgehende A u s d e h n u n g des Tatbestandes wird vermieden, wenn G e w a l t h a n d l u n g e n gegen Dritte nur erfaßt sind, wenn sie im Angesicht des Opfers der sexuellen H a n d l u n g v o r g e n o m m e n werden u n d auf dieses — wie bei unmittelbar gegen das O p f e r gerichteter Gewalt — Zwangswirkungen ausüben. In a n d e r e n G e w a l t h a n d l u n g e n k a n n konkludent die D r o h u n g liegen, entsprechende H a n d l u n g e n auch gegen das O p f e r selbst oder eine a n d e r e Person (dazu R d n . 12) a n z u w e n d e n . Der Begriff der Gewalt ist im Strafrecht seit jeher umstritten. Die f ü r den Gewaltbegriff erforderliche H a n d l u n g setzt zunächst eine H a n d l u n g im Sinne der allgemeinen Verbrechenslehre voraus. D a r ü b e r hinaus werden weitere Definitionselemente 8

9

(71)

Zur Abgrenzung zur Ausnutzung der Gewaltanwendung anderer vgl. BGH N J W 1986 77 mit Anm. Keller SR 1986 343. Mösl L K ' Rdn. 5; Sch/Schröder/Lenckner

Rdn. 5; differenzierend Horn SK § 178 Rdn. 7; Dreher/Tröndle Rdn. 3; offengelassen in BGH NStZ 1982 286.

Heinrich Laufhütte

§

177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

benötigt zur Wesensbestimmung des Gewaltbegriffs, insbesondere zur Abgrenzung der vis compulsiva von anderen F o r m e n der Willensbeeinflussung (Drohung). Ansatzpunkte f ü r eine Definition k ö n n e n auf der einen Seite täterbezogen in der Art der Hervorbringung der H a n d l u n g u n d auf der a n d e r e n Seite opferbezogen in der Art der Einwirkung auf den Angegriffenen g e f u n d e n werden. Beide Orientierungsmöglichkeiten sind im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Gewichtung zur Begriffsbestimmung herangezogen worden. N a c h der Art der Auswirkung der H a n d l u n g auf die Willensbildung des Angegriffenen werden zwei Gewaltbegriffe unterschieden: die vis absoluta, die ihm die Willensbildung oder die Betätigung eines v o r h a n d e n e n Willens absolut unmöglich macht, u n d die vis compulsiva, die Beugung des Willens des a n d e r e n u n d Beeinflussung der Willensbildung in einer bestimmten Richtung. In der Rechtsprechung hat sich der Gewaltbegriff im wesentlichen in drei Phasen entwickelt: Das Reichsgericht hatte die Gewalt definiert als die „ d u r c h A n w e n d u n g körperlicher Kraft erfolgte Beseitigung eines tatsächlich geleisteten oder vom Täter bestimmt erwarteten Widerstandes" 1 0 , wobei es eines erheblichen K r a f t a u f w a n d e s nicht b e d u r f t e " . Allerdings unterfiel die A n w e n d u n g b e t ä u b e n d e r Mittel nicht dem Gewaltbegriff, wenn sie dem O p f e r heimlich beigebracht wurden (RGSt. 56 87). Der Bundesgerichtshof stellte in einem nächsten Schritt nicht mehr auf die körperliche Kraftentfaltung beim Täter ab u n d hielt die körperliche Zwangswirkung beim O p f e r f ü r maßgeblich (BGHSt. 1 145, 146 ff; 8 102, 103; B G H Urteil vom 22. Dezember 1993 — 3 StR 4 1 9 / 9 3 —). Das heimliche Beibringen von Betäubungsmitteln wurde nach dieser Definition vom Gewaltbegriff erfaßt. In einem letzten Schritt hat der Bundesgerichtshof (BGHSt. 23 46, 54) schließlich beim Nötigungstatbestand auch das Erfordernis der Körperlichkeit der Zwangswirkung verneint u n d die A u s ü b u n g rein psychisch wirkenden Zwangs als Gewalt genügen lassen. In der Literatur 12 werden die unterschiedlichsten Auffassungen zum Gewaltbegriff vertreten. Die A n h ä n ger eines einheitlichen Gewaltbegriffs für alle Tatbestände des StGB vertreten zum Teil einen Gewaltbegriff, der noch restriktiver definiert wird als beim Reichsgericht (Calliesu, Kellerl3). Von a n d e r e n Autoren wird ein unterschiedlicher Gewaltbegriff f ü r die einzelnen Tatbestände des StGB zugrunde gelegt. W ä h r e n d einige Autoren f ü r die Tatbestände des Sexualstrafrechts dabei denselben Gewaltbegriff wie bei der Nötigung zugrunde legen (so Horn SK § 178 R d n . 8; Rössnern), vertreten a n d e r e (etwa Geilen13, HaffkeH, Kreyl5, Knodel13, Lenckneri6, Röthlein13, Schroeder17, u l3 Teufert , Wolter ) den S t a n d p u n k t , d a ß der Gewaltbegriff der Sexualdelikte enger aufzufassen sei. Die Rechtsprechung hat zu Recht keine unterschiedlichen Gewaltdefinitionen f ü r einzelne Tatbestände entwickelt. Mit ihr ist generell wie auch f ü r den Bereich der Sexualdelikte an folgender Definition festzuhalten. 4

a) Gewalt ist die Entfaltung

von Kraft zur Überwindung

eines

Widerstandes.

aa) O b tatsächlich dem Gewaltbegriff i m m a n e n t ist, d a ß der Täter Kraft einsetzt, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof betont, d a ß — wenn auch Gewalt ohne eigene erhebliche K ö r p e r k r a f t ausgeübt werden k ö n n e — von dem Erfordernis körperlicher 10 11

12

R G S t . 5 6 8 7 , 8 8 f ; 6 4 113, U 5 ; 7 7 8 1 , 8 2 . R G S t . 1349, 5 0 ; 2 7 4 0 5 , 4 0 6 ; 6 0 1 5 7 ; 6 6 3 5 3 , 355; 73 343, 344 f. Vgl. f ü r den Bereich des Sexualstrafrechts den Überblick bei Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht ' u n d Vergewaltigungsbegriff (1993) S. 152 ff.

13 14 15

16 17

Siehe Schrifttumsverzeichnis unter 1. Z S t W 84 ( 1972) 37, 69. Was ist G e w a l t ? Band 2 (1988) Der Gewaltbegriff im Strafrecht S. 142 ff. Sch/Schroeder/Lenckner R d n . 4. M a u r a c h / S c h r o e d e r / M a i w a l d BT Teilband 1 § 18 R d n . II.

Stand; 1. 8. 1994

(72)

§ 177

Vergewaltigung 18

Kraftanwendung nicht völlig abgesehen werden kann . Allerdings braucht die Gew a l t a n w e n d u n g nicht eine solche zu sein, die mit erheblicher Schwere verbunden ist. Wird dem O p f e r eine Ohrfeige versetzt, so wird Gewalt angewendet ( B G H bei Dallinger M D R 1975 196). Auch das Auseinanderdrücken der geschlossenen Beine des Opfers ist Gewalt ( B G H Urteil vom 2. 2. 1993 - 1 StR 862/92 — ; zum Fall des völlig erschöpften Opfers B G H NStZ 1985 70) — entsprechendes gilt beim Raub, wo schon das Beseiteschieben der H a n d des Opfers als Gewalt anzusehen ist (BGHSt. 16 341 f; G A 1974 219) - ; einschränkend B G H R StGB § 117 Abs. 1 Gewalt 8: die Einwirkung m u ß objektiv geeignet sein, das O p f e r dem Verlangen des Täters gefügig zu machen. Diese Einschränkung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift u n d ist daher abzulehnen. Die dem heutigen Wortlaut zu e n t n e h m e n d e Auslegung scheint zu einer Ungereimtheit deshalb zu f ü h r e n , weil die D r o h u n g mit „leichter" Gewalt nicht vom Tatbestand erfaßt ist. Die gesetzliche Regelung ist aber nicht unvernünftig. Tatsächlich a n g e w a n d t e Gewalt ist wesentlich gravierender f ü r das O p f e r als nur angedrohte Gewalt. Maßgeblich d a f ü r , ob Gewalt vorliegt oder nicht, ist letztlich nicht das Merkmal der Kraftentfaltung, das bei j e d e r menschlichen H a n d l u n g mehr oder weniger erfüllt ist, sondern die Wirkung, die ein Tatverhalten hat (vgl. Herdegen LK 10 § 249 R d n . 4). Gewalt wendet der Täter an, wenn er das O p f e r „einer körperlich wirksamen Zwangseinwirkung" ( B G H M D R 1981 857, 858; B G H N S t Z 1985 71 Nr. 3 ; 1993 340) aussetzt. Es reicht nicht aus, d a ß die Einwirkung von der Person, gegen die sie gerichtet ist, als nur seelischer Z w a n g e m p f u n d e n wird ( B G H NStZ 1982 159). Der Z w a n g m u ß als körperlicher wirken 1 9 . Das liegt jedenfalls d a n n vor, wenn der Betroffene der Einwirkung durch den Täter entweder ü b e r h a u p t nicht oder nur mit erheblicher K r a f t e n t f a l t u n g begegnen k a n n ( B G H aaO). Nicht genügend sind bloße verbale Einwirkungen ( B G H N S t Z 1981 219; aA Köln O L G St. a. F. Nr. 1 zu § 177), die inhaltlich darauf gerichtet sind, das O p f e r zu motivieren ( B G H NStZ 1982 195), oder Zurechtweisungen unter Ausnutzung der väterlichen Autorität ( B G H bei Miebach N S t Z 1992 176 Nr. 23; N S t Z 1993 35) — insoweit hat das Erfordernis, d a ß K r a f t e n t f a l t u n g verlangt wird, auch praktische Bedeutung —. bb) Körperlich wirkender Zwang liegt nicht nur bei der vis absoluta, d. h. bei einer 5 unmittelbar zwingenden Überwältigung, vor, sondern auch bei der vis compulsiva, d. h. einer Gewalt, die auf die Willensbildung einwirkt. Vis absoluta ist nicht nur beim Würgen oder Schlagen bis zur Widerstandsunfähigkeit gegeben, sondern auch durch das Beibringen von — zur Widerstandsunfähigkeit f ü h r e n d e n — narkotischen Mitteln, Betäubungsmitteln oder von Alkohol 2 0 , was nicht gewaltsam zu geschehen b r a u c h t ; es reicht List aus. Entsprechendes gilt f ü r die H y p n o s e gegen den Willen des Betroffenen. Ist die Frau mit der A n w e n d u n g der'Mittel, welche die Widerstandsfähigkeit beseitigen, einverstanden u n d nutzt der Täter d a n n die Widerstandsunfähigkeit aus, so ist nicht der Tatbestand des § 177, sondern der des § 179 StGB erfüllt ( B G H J R 1959 345 mit ablehnender A n m e r k u n g Mittelbach ; aA auch Maurach N J W 1961 1050). 18

(73)

BGHSt. 1 145; 5 245, 246; 19 263, 265; 23 46, 54; 23 126, 127; BGH NStZ 1981 218; 1982 158, 159 mit Anm. Dingeldey, S. 161 ; Schroeder JuS 1982 491 und Köhler NJW 1983 10; Pierolh/Schlink Mitteilungen des Hochschulverbandes 1982 321 und Mußgnug ebenda 1983 97; BGH NStZ 1985 71 Nr. 3; 1990 335; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 3, 4, 8; BGHR StGB § 178 Abs. 1 Gewalt 1.

19

Kritisch Olio JR 1982 116; Goy/Lohstöter StV 1982 20; Knapp DRiZ 1988 149; Rössner Leferenz-Festschrift S. 527; Fromme! Die höchstrichterliche Rechtsprechung S. 118 ff. BGHSt. 1 145; 14 81 ; BGH JR 1959 345; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 9.

Heinrich Laufhütte

§ 177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Die vis compulsiva ist ihrem Wesen nach Drohung; sie ist insofern Gewalt und unterscheidet sich dadurch von den sonstigen Formen der Bedrohung, daß sie ein Übel enthält, nicht nur in Aussicht stellt. Trotz des Drohungscharakters der vis compulsiva besteht kein Zweifel, daß sie zur Gewalt zählt (BGH G A 1965 57) ; durch Gewalt wird also auch genötigt, wenn diese nur angewendet wird, um die Frau zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen. Dagegen genügt es dem Gewalterfordernis nicht, wenn der Täter sein Opfer durch Gewalt lediglich in eine Lage bringt, in der er erwartet, dieses werde in die sexuelle Handlung ohne Nachwirkung der Gewalt einwilligen (vgl. BGH NJW 1965 1284; BGH GA 1968 85). Das bedeutet allerdings nicht, daß Gewalt bis zum Ende der sexuellen Handlungen andauern müßte (BGH bei Daliinger MDR 1953 147). Deshalb kann es entgegen BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2 nicht darauf ankommen, ob die bei Beginn der Handlung versperrte Wohnung bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs noch verschlossen ist. Vorausgesetzt ist aber stets eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und dem vom Täter verfolgten Handlungsziel (Rdn. 14). Die Gewalt braucht deshalb aber nicht im Zusammenhang mit sexuellen Handlungen angewendet worden zu sein (aA BGH NStZ 1992 587). Es reicht eine vorausgehende Gewaltanwendung aus, wenn das Opfer aus Furcht vor weiterer Gewalt von Gegenwehr absieht 21 . Das gilt auch dann, wenn eine frühere, nicht zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs erfolgte Gewaltanwendung fortwirkt, das Opfer also aus Furcht vor weiterer Gewaltanwendung keine Gegenwehr leistet 22 . Andere Entscheidungen sehen demgegenüber bei Gewaltanwendung im Vorstadium einer Vergewaltigung, die im Opfer als Angst vor erneuter Gewalt weiterwirkt, das Tatbestandsmerkmal der Gewaltanwendung nicht als erfüllt an 2 3 . Dies kann aber nur für Fälle angenommen werden, in denen zwischen der Gewalt und dem Geschlechtsverkehr ein größerer Zeitabschnitt — mehrere Tage, Wochen oder Monate (BGH NStZ 1986 409) — liegt. In solchen Fällen kann die frühere Gewaltanwendung als konkludente Drohung mit entsprechend höheren Anforderungen an das ausgeübte Maß der Gewalt Bedeutung erlangen. 6

cc) Die körperliche Zwangswirkung auf das Opfer, die Voraussetzung für die Tatbegehungsalternative „mit Gewalt" ist, bedarf bei der vis absoluta keiner weiteren Erörterung. Bei der vis compulsiva hängt sie von den Umständen des Einzelfalles ab, die stets sorgfältig zu prüfen sind. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Täter unmittelbar auf das Opfer einwirkende körperliche Kraft nicht einsetzt, sondern nur mittelbar wirkende, wie etwa beim Fahren an eine abgelegene Stelle 24 oder beim Einsperren in einem Raum 2 5 , wobei es ausreicht, daß der Täter mit seinem Körper den Ausgang versperrt (vgl. aber BGH M D R 1981 857; JR 1993 163). Die Gewalt braucht keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben des Opfers zur Folge zu ha"

B G H bei Daliinger M D R 1974 722 u n d bei Holtz M D R 1976 812, 813; B G H StV 1984 3 3 0 f ; EzSt § 178 N r . 5; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 G e w a l t 6 ; B G H bei Miebach N S t Z 1992 177 Nr. 31; vgl. aber auch B G H R a a O Beweiswürdigung 11. 22 B G H bei Daliinger M D R 1974 722; bei Holtz M D R 1976 8 1 2 f ; 1981 99; 1982 810, 811; 1983 794; 984; N S t Z 1981 344; J Z 1984 587; Urteil vom 2. 4. 1986 - 2 StR 2 / 8 6 - S. 12, 15. Z u m . Vorsatzwechsel vgl. Eser N J W 1965 377,379. 23 B G H N S t Z 1986 409; B G H R StGB § 177 Abs. 1 G e w a l t 1 ; D r o h u n g 5 u n d 7; B G H bei Miebach N S t Z 1994 224; B G H Beschluß vom 16. O k t o b e r 1 9 8 4 - 1 StR 5 9 1 / 8 4 - .

24

25

B G H bei Holtz M D R 1976 812; B G H Urteile vom 18. August 1977 - 4 StR 176/77 - u n d vom 22. Februar 1978 - 2 StR 4 6 0 / 7 7 - ; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 3, Beweiswürdigung 8, D r o h u n g 6 ; N S t Z 1990 335. B G H G A 1965 57; B G H bei Dallinger M D R 1974 722; B G H G A 1975 84; 1981 168, 169; B G H bei Holtz M D R 1980 272 vor § 5 2 b ) ; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 Gewalt 2; § 178 Abs. 1 sexuelle H a n d l u n g 1; B G H N S t Z 1993 340; B G H Beschluß vom 23. N o v e m b e r 1993 - 1 StR 7 3 9 / 9 3 — ; vgl. zur G e w a l t a u s ü b u n g durch B e h i n d e r u n g der Fortbewegungsfreiheit Keller J u S 1984 114f.

Stand: 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

§ 177

ben (BGHSt. 18 75). Bei einer E n t f ü h r u n g des Opfers sind an die Gewalt nur außerordentlich geringe A n f o r d e r u n g e n zu stellen ( B G H bei Miebach N S t Z 1993 225 Nr. 22). Allerdings ist a u f g r u n d des gesamten Verhaltens des Täters u n d der durch ihn f ü r die Frau geschaffenen Lage zu prüfen, ob die in § 177 vorausgesetzte Zwangssituation vorlag u n d von der Frau als solche körperlich e m p f u n d e n wurde ( B G H M D R 1981 857 mit zahlreichen Nachweisen). Im Regelfall wird dies immer d a n n der Fall sein, wenn das O p f e r mit einer weiterwirkenden G e w a l t a n w e n d u n g (d. h. mit weiterem Einsperren oder dergleichen), der es sich nicht entziehen kann, rechnen muß. Ein zusätzliches Verletzungsrisiko einzugehen, k a n n vom O p f e r nicht gefordert werden ( B G H R StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 8). b) Nicht erforderlich ist, d a ß der Widerstand, zu dessen Ü b e r w i n d u n g die Gewalt 7 vom Täter eingesetzt wird, wirklich erfolgt 2 6 . Es genügt, d a ß ein solcher erwartet wird — oder begonnen hat — u n d durch die angewendeten Mittel von vornherein — oder auch im Verlaufe der Tat — ausgeschlossen werden soll 27 . Das in BGHSt. 31 76, 77 abgedruckte Urteil des 2. Strafsenats enthält die Erwägung, es sei notwendig, d a ß das O p f e r das sexuelle Ansinnen des Täters erkannt sowie einen entgegenstehenden Willen gebildet habe. Diese Auffassung trifft nicht zu, wie Lenckner in einer Anmerkung zu dieser Entscheidung (JR 1983 158, 159) überzeugend dargelegt hat. Denn auch das heimliche Beibringen von beispielsweise narkotisierenden Mitteln zur Ü b e r w i n d u n g eines erwarteten Widerstandes ist Gewalt (vis absoluta). Deshalb handelt auch der Täter tatbestandsmäßig „mit Gewalt", der sein O p f e r sofort bewußtlos macht, um auf diese Weise jeden erwarteten Widerstand unmöglich werden zu lassen. Auch gegen einen Schlafenden, Bewußtlosen oder Betrunkenen (vgl. B G H NStZ 1981 23; B G H Urteil vom 10. Februar 1993 - 3 StR 443/92 - ) k a n n Gewalt angewendet werden (Herdegen LK 10 § 249 R d n . 7 mit Nachweisen), wenn d a d u r c h ein erwarteter Widerstand unmöglich gemacht werden soll. Anders liegt es indes, wenn die als „ G e w a l t " in Frage k o m m e n d e Einwirkung mit der beabsichtigten sexuellen H a n d l u n g identisch ist, eine Fallgestaltung, die bei § 178 — siehe dort — möglich ist (BGHSt. 31 76), bei § 177 jedoch k a u m praktisch werden kann. Das damit zusamm e n h ä n g e n d e Problem, ob die Gewalt der sexuellen H a n d l u n g wenigstens teilweise vorausgegangen sein m u ß , stellt sich ebenfalls bei § 178 ; in Fällen des § 177 k a n n von Bedeutung die Fallgestaltung sein, d a ß der Täter einen zunächst freiwillig gewährten Beischlaf gewaltsam weiter erzwingt. Den Widerspruch des Opfers m u ß der Täter auch nach dem Eindringen des Gliedes beachten 2 8 . Der Tatbestand des § 177 ist in solchen Fällen erfüllt, wenn der weitere Beischlaf auf der G e w a l t a n w e n d u n g beruht. c) Die Ernstlichkeit des Widerstandswillens ist stets sorgfältig zu prüfen ( B G H R 8 StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 5), selbst bei einer gefesselten Frau ( B G H StV 1984 332,

26

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B G H R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 2; Beweiswürdigung II. Zur Problematik von Widerstandshandlungen, von denen nach kriminologischen Erfahrungen angenommen wird, d a ß sie zur Brutalisierung der Tat führen, vgl. Sick JR 1993 165 mit weiteren Nachweisen. Nach einer Studie der Polizei in Hannover konnten dagegen Frauen, die sich massiv gegen Übergriffe wehrten, diese in 85% aller Fälle verhindern (Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 7. August 1993).

27

:s

BGH GA 1968 84; G A 1970 57; BGH NStZ 1983 71; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 2; zur Überrumpelung vgl. BGHSt. 36 145, 146 mit Anmerkung Hillenkamp NStZ 1989 529 und Besprechung FrommeI Die höchstrichterliche Rechtsprechung S. 123 ff. BGH bei Dallinger M D R 1968 16; BGH G A 1970 57; BGH JR 1993 163 mit Anmerkung Sick; BGH Beschluß vom 29. J a n u a r 1985 — 4 StR 792/84 - .

Heinrich Laufhütte

§ 177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

333). Nicht ernstlich gemeintes Sträuben 29 (vis haud ingrata) schließt Gewalt aus. Eine eindeutige verbale Zurückweisung reicht 30 . Gibt die Frau infolge der Gewalt weitere Gegenwehr als zwecklos auf, so liegt darin kein Einverständnis 31 , auch dann nicht, wenn die Frau den Täter bittet, wenigstens ein Schutzmittel zu verwenden (BGH bei Dallinger MDR 1953 147), oder der Aufforderungen zu sexuellen Handlungen nachkommt (BGH Urteil vom 18. August 1978 — 4 StR 176/77). Die einmal gegebene Einwilligung zum Geschlechtsverkehr ist jederzeit widerruflich (Rdn. 7); in solchen Widerrufsfällen ist jedoch die Ernstlichkeit des Widerstandswillens besonders sorgfältig zu prüfen 3 2 . Diese steht nicht schon deshalb in Zweifel, weil naheliegende Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, außer acht gelassen werden, da die Gemütserregung des Opfers in Rechnung gestellt werden muß (BGH Urteil vom 6. März 1956 - 1 StR 19/56) 33 . 2. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben 9

a) Zum Begriff der Drohung wird auf die allgemeinen Erläuterungen bei § 240 verwiesen. Drohung stellt ein angekündigtes Übel in Aussicht. Der Drohende muß tatsächlich oder jedenfalls nach den Befürchtungen des Bedrohten Herr des Geschehens sein. Die Herbeiführung oder Verhinderung des angekündigten Übels muß also tatsächlich oder scheinbar in seiner Macht stehen (BGHSt. 31 195, 201). Die Ankündigung des Übels braucht nicht ausdrücklich zu geschehen. Sie kann in einem schlüssigen Handeln liegen, dem das Opfer entnimmt, der Täter werde ihm ein bestimmtes Übel zufügen (BGH StV 1984 330). So genügt z. B. das Vorzeigen eines Messers, wenn dieser Handlung der Wille des Täters zu entnehmen ist, er werde mit der Waffe zustechen, oder das Vorhalten einer Pistole, falls in einem solchen Verhalten nicht schon Gewalt liegt, was dann anzunehmen ist, wenn der Täter — wie beim Vorhalten einer geladenen und entsicherten Waffe mit dem Finger am Abzug aus nächster Entfernung (BGHSt. 23 126, 127) — unmittelbar körperlichen Zwang ausübt (aAHerdegen LK'° § 249 Rdn. 9). Im ausdrücklichen oder konkludenten Hinweis auf frühere Gewaltanwendung liegt im allgemeinen die Drohung, die Gewaltanwendung zu wiederholen 34 . Eine Drohung kann auch schon darin liegen, daß sich der Täter vor das ihm körperlich unterlegene Opfer stellt und ihm so den Weg abschneidet, wenn dem Verhalten des Täters sein Wille zu entnehmen ist, Gewalt zur Brechung erwarteten Widerstandes anzuwenden. Eine Drohung kann auch in der Ankündigung liegen, ein rechtlich gebotenes Handeln zu unterlassen 35 , wenn die Ankündigung geeignet ist, 29

Vgl. dazu die Definition im B G H Urteil vom 6. M ä r z 1956 — 1 StR 19/56 — „ s c h a m h a f t e s S t r ä u b e n " einer Frau, die den zum Geschlechtsverkehr d r ä n g e n d e n M a n n unter d e m äußeren Widerstreben die innere, nur durch d a s natürliche weibliche S c h a m g e f ü h l verdeckte Bereitschaft zur Hingabe e r k e n n e n o d e r erspüren läßt. Kritisch zur vis haud ingrata Goy/Lohstöter StV 1982 20; Sick ZStW 103 (1991) 43, 57 f f ; dieselbe Sexuelles Selbstbestimmungsrecht S. 164 ff.

33

34

30

B G H N S t Z 1981 344; B G H Urteil vom 30. November 1954 - 5 StR 4 3 0 / 5 4 ; aA B G H G A 1956 317. " R G J W 1935 2734; B G H bei Dallinger M D R 1953 147; B G H Urteil vom 18. August 1977 - 4 StR 176/77; B G H J R 1983 254 mit A n m e r k u n g Geerds. 32 B G H N S t Z 1991 341 = J R 1993 163 mit Anmer-

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kung Sick. B G H Beschluß vom 29. J a n u a r 1985 - 4 StR 7 9 2 / 8 4 - , Vgl. dazu Schmid-Siegerl Die Polizei 1989 9 5 , 9 8 ; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 D r o h u n g 2; B G H Urteile vom 11. August 1 9 7 0 - 1 StR 2 2 4 / 7 0 - u n d vom 16. M ä r z 1971 — 1 StR 54/71 — ; es m u ß nicht j e d e r erdenkliche W i d e r s t a n d geleistet werden. B G H Urteil vom 9. N o v e m b e r 1976 — 1 StR 3 9 3 / 7 6 - ; B G H StV 1984 330; B G H R S t G B § 177 Abs. I D r o h u n g 1 u n d 7; B G H R S t G B § 178 Abs. I D r o h u n g I. B G H S t . 31 195 mit A n m . Horn N S t Z 1983 497; Roxin J R 1983 333; Schroeder J Z 1983 284; Frohn Strafverteidiger 1983 365; Hassemer J u S 1983 473 ; Schubarth N S t Z 1983 312 u n d Arzt J Z 1984428,429.

Stand; 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

§ 177

den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Dies entfällt, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält (BGHSt. 31 195, 201; 32 165, 174). Versteht das Opfer die Äußerung des Täters als Drohung, kann die Äußerung aber auch anders ausgelegt werden, so liegt eine Drohung nur vor, wenn der Täter erkennt, wie das Opfer die Äußerung versteht und daß es nur deshalb den Geschlechtsverkehr duldet (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2 und 4). Auch wenn das Verhalten des Täters objektiv keine Drohung enthält, er aber einen entsprechenden, von ihm erkannten Irrtum des Opfers ausnutzt, liegt eine konkludente Drohung vor (aA BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 6; BGH Beschluß vom 27. August 1985 - 4 StR 436/85 - ) . b) Es reicht nicht jede Drohung aus, sondern nur eine solche, die eine Gefahr für 10 Leib oder Leben in Aussicht stellt. Die Ankündigung einer unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität ist nicht tatbestandsmäßig 36 . Das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben erfordert eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist nicht jede Drohung mit einer Handlung, die im Falle ihrer Verwirklichung Gewalt wäre, eine Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben. Die bloße Androhung von (leichten) Schlägen reicht deshalb grundsätzlich nicht aus 37 , wohl aber nach einer Situation vorübergehender Gewaltanwendung (BGH Urteil vom 15. Januar 1986 — 2 StR 435/85 - ) . c) Die Gefahr muß gegenwärtig sein. Unter gegenwärtiger Gefahr ist ein Gefah- 11 renzustand zu verstehen, der sich so verdichtet hat, daß er nach menschlicher Erfahrung bei natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage eine Schädigung als sicher oder höchstwahrscheinlich erwarten läßt, wenn nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (BGH bei Holtz MDR 1982 447). Der Zeitpunkt des angekündigten Schadenseintritts darf dabei nicht weit in der Ferne liegen (BGH MDR 1957 691). Er muß vielmehr unmittelbar bevorstehen. Dabei reicht es aus, daß die Gefahr als Dauerzustand über einen längeren Zeitraum gegenwärtig ist, wenn also der Schaden jederzeit eintreten kann (BGH bei Holtz M D R 1982 447; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5). Die genannte Entscheidung läßt als gegenwärtig auch die Gefahr genügen, die zwar noch nicht unmittelbar bevorsteht, aber durch sofortiges Handeln abgewendet werden „kann". Diese Formulierung dürfte zu weit sein. Ein für die Zukunft angekündigtes Übel stellt grundsätzlich keine gegenwärtige Gefahr dar, es sei denn, daß nur eine sofort eingeleitete Abwehrmaßnahme das für die Zukunft angekündigte Übel noch abwenden kann (vgl. RG JW 1932 2290, 2292; BGH NJW 1951 769; MDR 1957 691). Das liegt nicht vor, wenn das Übel durch Einschaltung von Behörden, die bis zum angekündigten Schadenseintritt eingreifen können, abzuwenden ist (offengelassen von BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5). Im wesentlichen ist es eine Frage der tatsächlichen Feststellungen, ob Gegenwärtigkeit der Gefahr anzunehmen ist (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 3). d) Streitig ist, ob nur die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben 12 der Frau selbst beachtlich ist 38 oder ob eine auf eine andere Person bezogene Ankün' 6 BGHSt. 7 252, 254; BGH bei Daliinger M D R 1975 22; 196; 367; B G H R StGB § 178 Abs. 1 Drohung 1; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 8. " BGH bei Dallinger M D R 1975 196 und 367; (77)

38

B G H R § 177 Abs. 1 Drohung 8; a A Maurach/ Schroeder/Maiwald ΒΊ 1. Teilband § 18 Rdn. 14. So die ältere Literatur vgl. Frank § 176 Anm. I 1 ; Olshausen 11. Auflage, Anm. 2 d ; Binding Lehrb., 1. Bd., 2. Auflage, S. 201.

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§

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

digung ausreicht 39 . Der neueren Auffassung, die von der Fassung der Vorschrift gedeckt ist (Rdn. 3), ist zuzustimmen, denn die auf eine dritte Person bezogene Drohung kann dieselben Zwangswirkungen, der die Vorschrift begegnen will, auslösen wie eine auf das Opfer selbst bezogene. Die herrschende Meinung verlangt indes eine personale Beziehung zwischen dem Opfer und demjenigen, dem das Übel zugefügt werden soll. Es läßt deshalb nur die Drohung in bezug auf eine dem Opfer nahestehende Person genügen (vgl. dazu Rdn. 3). Diese Auffassung berücksichtigt nicht hinreichend, daß auch die Drohung, Dritten erheblich zu schaden, Angst und Schrecken auslösen kann. Die auf eine andere Person bezogene Ankündigung ist aber nur erfaßt, wenn auch sie den Empfänger der Drohung in seinem Sicherheitsgefühl unmittelbar beeinträchtigt (BGH NStZ 1987 222 ; 1994 31 ). Das liegt nicht vor bei Fällen, in denen der Täter selbst das Opfer sein soll. Daher ist nicht die Drohung des der Frau nahestehenden Täters erfaßt, Selbstmord zu begehen, wenn sie nicht mit ihm geschlechtlich verkehrt (BGH NStZ 1982 286; aA Horn SK § 178 Rdn. 7; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5). Denn der Gesetzgeber hatte — soweit § 177 in Frage steht — ersichtlich nicht Fallgestaltungen im Auge, bei denen sich das Opfer um den Täter sorgt (in Fällen dieser Art kann Strafbarkeit nach § 240 gegeben sein). 13

3. Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben müssen Mittel der Nötigung zum außerehelichen Beischlaf sein. Der Beischlaf ist mit dem Eindringen des männlichen Gliedes in den Scheidenvorhof vollendet 40 . Dies ist der von den kleinen Schamlippen umfaßte Raum (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 256. Auflage [1990] S. 1785). Die finale Verknüpfung muß nicht in dem Sinn „unmittelbar" sein, daß die Gewalt zum sexuell bestimmten Geschehen selbst gehört, etwa dazu dient, die Gegenwehr des Opfers gegen eine beabsichtigte Berührung unmittelbar zu beseitigen. Es reicht vielmehr aus, daß die Gewalthandlung Gegenwehr ausschließen oder verhindern soll, die erst über das Eingreifen Dritter den sexuellen Angriff unmittelbar abwenden kann, etwa Zuhalten des Mundes, um Hilferufe zu verhindern (BGHR StGB § 178 Abs. 1 Gewalt 2).

14

4. Erforderlich ist ein Kausalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Duldung des Beischlafs (BGH JZ 1984 587; BGH Urteil vom 23. Juni 1983 - 4 StR 297/83). Setzt der Täter eine Vielzahl von kumulativ oder alternativ zu verstehenden Drohungen ein, um das Opfer zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen, so ist der Tatbestand des § 177 erfüllt, wenn auch nur eines der Nötigungsmittel eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben darstellt (BGH Urteil vom 19. August 1993 — 1 StR 395/93 —). Willigt die Frau nach vorangegangener Gewaltanwendung, weil sie durch diese sexuell erregt ist, freiwillig in den Geschlechtsverkehr ein, so entfällt eine vollendete Tat nach § 177 (BGH NJW 1965 1284, 1285). Anders ist es, wenn die Frau ihren Widerstand nur äußerlich aufgibt oder Freiwilligkeit vortäuscht, weil sie weiteren Widerstand für zwecklos oder für gefährlich hält 41 . Glaubt der Täter an eine freiwillige Einwilligung der Frau in den Geschlechtsverkehr, kommt Strafbarkeit wegen Versuchs in Frage (vgl. Rdn. 16). Der Tatbestand " So die neuere Literatur: Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 5; Horn SK § 178 R d n . 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilb a n d 1 § 18 R d n . 14; Mösl LK" R d n . 5 u n d die R e c h t s p r e c h u n g : B G H R StGB § 177 Abs. 1 Droh u n g 3; B G H N S t Z 1987 222 - zu § 255 S t G B — ; 1994 31.

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BGHSt. 16 175, 177; B G H bei Dallinger M D R 1973 17; B G H bei M i e b a c h N S t Z 1992 176 N r . 17; aA Sch/Schröder/Lenckner § 173 R d n . 3. B G H bei Dallinger M D R 1974 722 u n d bei Holtz M D R 1976 812; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 Gewalt 6 u n d D r o h u n g 5.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Vergewaltigung

§ 177

des § 177 kann auch dann erfüllt sein, wenn eine frühere, nicht der Erzwingung des Geschlechtsverkehrs dienende Nötigungshandlung fortwirkt und das Opfer unter dem Eindruck dieser Nötigung oder aus Furcht vor Wiederholung keinen Widerstand leistet 42 (vgl. im einzelnen Rdn. 5). III. Subjektiver Tatbestand. Es ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz ge- 15 nügt 43 . Zur inneren Tatseite gehört insbesondere, daß der Täter die Gewalt oder das Mittel der Drohung einsetzt oder in Fällen, in denen ein Dritter der Nötigende ist, ausnutzt, obwohl er weiß oder billigend in Kauf nimmt, daß damit ein erwarteter oder begonnener ernstgemeinter Widerstand der Frau gegen den Geschlechtsverkehr ausgeschaltet wird 44 . In Fällen, in denen der Einsatz von Gewalt fortwirkt, kommt es auf die bewußte und gewollte Ausnutzung der fortwirkenden Gewalt an. Objektiv gegebene Fluchtmöglichkeiten für das Opfer (vgl. Rdn. 8 am Ende) und Rücksichtnahme des Täters bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1953 147) sprechen ebensowenig gegen den Vorsatz des Täters wie für ein Einverständnis des Opfers (aA BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2). An einen Irrtum über das Einverständnis der Frau oder das Vorliegen eines nur unerheblichen Widerstandes, der — wenn er vorliegt — Tatbestandsirrtum 4 5 ist, sind strenge Anforderungen zu stellen 46 . Der Tatrichter muß die Irrtumsfrage im Urteil erörtern, wenn besondere Umstände dazu drängen (BGH NStZ 1983 71). Liegt in früherer Gewaltanwendung die (konkludente) Drohung erneuter Gewaltanwendung (Rdn. 9), so muß der Täter diesen Umstand zumindest billigend für möglich halten (vgl. BGH StV 1984 330, 331). Setzt der Täter Nötigungsmittel ein, um die Frau sexuell zu erregen und sie so zum freiwilligen Geschlechtsverkehr zu bewegen, so fehlt es an der Vorstellung vom Kausalzusammenhang zwischen Nötigung und Beischlaf (BGH NJW 1985 1284, 1285). In solchen Fällen kann Nötigung 47 vorliegen. Gibt die Frau ihren Widerstand nur scheinbar auf, so kommt es darauf an, ob der Täter dies erkennt (BGH Beschluß vom 23. Februar 1981 — 3 StR 14/81 —). Die Annahme einer Bereitschaft zum Beischlaf läßt sich häufig nicht mit den Umständen der Tat vereinbaren, so bei einer vorangegangenen Bedrohung unter Verwendung von Messern, Skalpellen oder einem Gasrevolver (BGH Urteil vom 29. Juni 1993 — 5 StR 215/93). Kommt eine Bestrafung wegen vollendeter Tat, falls sich der Täter nach Anwendung des Nötigungsmittels über die Freiwilligkeit irrt 48 , nicht in Frage, so ist zu prüfen, ob Versuch vorliegt (Rdn. 16). Widerruft die Frau nach einverständlich begonnenem Geschlechtsverkehr ihr Einverständnis und wird dem Täter dies bewußt, liegt Vorsatz vor, wenn er gegen den Widerstand der Frau seine Körperkraft einsetzt, um zum Höhepunkt zu kommen 4 9 . 42

BGH StV 1984 330; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 1 und Drohung 2; BGH Urteil vom 20. November 1975 - 4 StR 538/75 - . « BGH G A 1956 316, 317; BGH Urteile vom 13. November 1963 — 2 StR 370/63 - und vom 21. J a n u a r 1967 - 1 StR 333/67 44 BGH G A 1968 84; BGH NStZ 1983 71; BGH NStE Nr. 21 zu § 177; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 5 , 8 und Versuch 4. 45 BGH NStZ 1982 26; BGH St. 39 244 m. Anm. Vitt JR 1994 199 und Streng N S t Z 1993 582 sowie Besprechung Botlke J Z 1994 71; aA Maurach/Schröder/Maiwald BT Teilband 1 § 18 Rdn. 18; Verbotsirrtum. 46 BGH G A 1970 57; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Be(79)

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weiswürdigung 9; aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 7. Verwundern muß die A n n a h m e eines freiwilligen Einverständnisses durch den Täter in den in M D R 1973 191 und NStZ 1982 26 wiedergegebenen Fällen angesichts der zuvor erfolgten massiven Nötigungshandlungen. AA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 7: sexuelle Nötigung (§ 178). B G H bei Dallinger M D R 1973 191 ; BGH NStZ 1982 26; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Versuch4. AA BGH NStZ 1991 431 = JR 1993 163 mit Anmerkung Sick·, vgl. auch BGH Beschluß vom 29. J a n u a r 1985 - 4 StR 792/84 - , der bei nicht besonders brutaler Gewalt des Täters einen Verbotsirrtum für möglich hält.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

IV. Versuch und Vollendung. Vollendet ist die Tat mit dem Eindringen des männlichen Gliedes in den Scheidenvorhof (Rdn. 13). Der Versuch beginnt mit der Nötigung 5 0 auch d a n n , wenn das O p f e r dessen Sinn noch nicht erkennt ( B G H bei Dallinger M D R 1972 924) u n d wenn das Nötigungsmittel gegen einen Dritten (Begleiter) a n g e w a n d t wird u n d der Täter glaubt, Nötigungsmittel anschließend auch noch gegen das O p f e r a n w e n d e n zu müssen 5 1 . Der Versuch beginnt bereits bei H a n d l u n g e n , die bei ungestörtem Fortgang ohne weiteres zur Tatbestandserfüllung f ü h r e n sollen oder in unmittelbarem zeitlichen oder räumlichen Z u s a m m e n h a n g damit stehen ( B G H Urteil vom 10. Juni 1980 - 1 StR 2 3 7 / 8 0 : Eindringen in das Z i m m e r des Opfers). N o c h kein Versuch liegt vor, wenn der Täter sich mit dem O p f e r an einen f ü r die Vergewaltigung günstigen Ort begibt (vgl. dazu § 174 Rdn. 21). Willigt die Frau nach Versuchsbeginn in den Geschlechtsverkehr ein, so schließt dies die Bestrafung wegen Vollendung, nicht wegen Versuchs aus 5 2 . Freiwilliger Rücktritt ist gegeben, wenn — kein Fehlschlag vorliegt (siehe unten) u n d — der Täter die Erzwingung des Beischlafs ohne jeden Vorbehalt aufgegeben hat, obwohl sie ihm nach seiner Vorstellung noch möglich wäre 5 3 . Ist der Täter nicht mehr Herr seiner Entschlüsse, ist der Rücktritt nicht freiwillig. Die Möglichkeit zum Rücktritt hängt entgegen der früheren Rechtsprechung 5 4 nicht davon ab, ob der Täter meint, er werde die Tat so, wie er sie ursprünglich geplant hatte, nicht vollenden k ö n n e n , vielmehr k o m m t es auf den Rücktrittshorizont 5 5 bei der Aufgabe der weiteren T a t a u s f ü h r u n g an. Hält der Täter in diesem M o m e n t die Tat — wenn auch gegebenenfalls mit anderen Mitteln als geplant — noch f ü r d u r c h f ü h r b a r , k o m m t Rücktritt in Frage 5 6 . Ist es dem Täter tatsächlich aus objektiven oder subjektiven G r ü n d e n e r k a n n t e r m a ß e n unmöglich, im unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg noch herbeizuführen, ist der Versuch fehlgeschlagen (BGHSt. 34 53, 56 und 39 221 mit weiteren Nachweisen) u n d freiwilliger Rücktritt scheidet aus. Fehlgeschlagen ist der Versuch auch, wenn der Täter die Tat aus rechtlichen G r ü n d e n nicht mehr f o r t f ü h r e n kann. N a c h BGHSt. 39 244 = NStZ 1993 581 m. A n m . Streng = J R 1994 198 m. Anm. Vitt u n d Besprechung Bottke J Z 1994 71 ist der Versuch allerdings trotz rechtlicher Unmöglichkeit der Vollendung der Tat nicht fehlgeschlagen, wenn das T a t o p f e r sein Einverständnis vortäuscht u n d der Täter an Einwilligung glaubt, weil er unbeeinflußt durch die Einwilligung sein Handlungsziel weiter verfolgen u n d den Beischlaf gegebenenfalls sogar begleitet von weiteren, vorsorglich angewendeten Zwangsmitteln d u r c h f ü h r e n könne. Die Entscheidung k n ü p f t an die frühere Rechtsprechung an, ohne die Entscheidung des G r o ß e n Senats in 50

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Das Ziel der Nötigung, mit dem O p f e r den Beischlaf a u s z u f ü h r e n , m u ß vom Tatrichter ausdrücklich festgestellt werden (std. Rspr., vgl. B G H R StGB § 177 Abs. 1 Versuch 2; B G H Beschlüsse vom 29. O k t o b e r 1992 — 4 StR 4 8 4 / 9 2 - u n d vom 4. Mai 1993 - 5 StR 2 1 8 / 9 3 - ) . Vgl. B G H bei Dallinger M D R 1966 393; B G H Urteile vom 11. April 1961 - 1 StR 6 5 / 6 1 - u n d vom 20. August 1975 — 2 StR 3 2 7 / 7 5 ; Maurach/ Schröder/Maiwald BT Teilband 1 § 18 R d n . 21 ; aA Sch/Schröder/Lenckner R d n . 8; Dreher/ Tröndle R d n . 5; differenzierend Horn SK § 178 R d n . 15. B G H bei Dallinger M D R 1953 147; B G H S t . 39 244 = N S t Z 1993 581 mit A n m . Streng = J R 1994 198 m. A n m . Vitt u n d Besprechung Bottke J Z 1994 71 ; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 8.

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Vgl. BGHSt. 7 296, 299 ( = M D R 1955 561 mit A n m e r k u n g Jescheck\ dazu auch Bockelmann N J W 1955 1417 u n d Heinitz J R 1956 248); B G H G A 1968 279; B G H N S t Z 1988 550; 1992 587; B G H R S t G B § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 2 u n d 10; § 177 Abs. 1 Versuch 1, 3, 5 u n d 6 ; B G H Beschlüsse vom 22. Februar 1983 — 4 StR 3 8 / 8 3 — u n d vom 29. O k t o b e r 1992 — 4 StR 4 8 4 / 9 2 —. Vgl. B G H Urteile vom 15. N o v e m b e r 1978 — 2 StR 4 4 1 / 7 8 - u n d vom 17. F e b r u a r 1981 - 5 StR 2 4 / 8 1 - . Vgl. 39 221 B G H S t . mit weiteren N a c h w e i s e n ; O L G Zweibrücken J R 1991 214 mit A n m e r k u n g Otto. B G H N S t Z 1988 550; B G H Beschlüsse vom 29. O k t o b e r 1992 — 4 StR 4 8 4 / 9 2 — u n d vom 22. Juni 1993 - 1 StR 2 8 7 / 9 3

Stand: 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

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BGHSt. 39 221 in vollem Umfang nachzuvollziehen. Nach dieser ist folgende Lösung angezeigt: Der Täter kann zwar das Ziel, den Beischlaf auszuführen, weiter verfolgen, nicht aber das tatbestandsmäßige Handlungsziel des gegen den Willen des Opfers durchgeführten Beischlafs (zur Unterscheidung zwischen dem tatbestandsmäßigen Handlungsziel und sonstigen Zielen vgl. auch BGHSt. 39 221, 230). Setzt der Täter vorsorglich weitere Zwangsmittel ein, erwartet er also entgegen der Erklärung des Opfers einen weiteren Widerstand, kommt die Tat bei einem nur vorgetäuschten Einverständnis auch rechtlich zur Vollendung. Bei einer ernsthaften Einverständniserklärung durch das Opfer kann der Täter die Tat rechtlich nicht vollenden; der Versuch ist fehlgeschlagen. Entsprechendes gilt, wenn der Täter die vorgetäuschte Einverständniserklärung für ernsthaft hält und deshalb von — weiteren — Zwangsmaßnahmen Abstand nimmt. Auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung zum Rücktrittshorizont sind auch die Fälle zu lösen, in denen die Frau einen Ortswechsel vorschlägt und verspricht, sich am anderen Ort dem Täter freiwillig hinzugeben 57 . Vollendung liegt vor, wenn der Täter dennoch an Ort und Stelle die Tat ausführt. Rücktritt liegt vor, wenn das Einverständnis ernsthaft ist oder der Täter an das Einverständnis glaubt, er aber an Ort und Stelle die Tat fortsetzen könnte, dies aber nicht tut. Ein Fehlschlag aus rechtlichen Gründen scheidet aus, weil die Frau das Einverständnis nur für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht stellt. Beim freiwilligen Rücktritt vom Vergewaltigungsversuch bleibt die etwa bereits vollendete Körperverletzung, Nötigung 5 8 , sexuelle Nötigung 5 9 oder Beleidigung 60 strafbar; der ursprüngliche Vergewaltigungsvorsatz darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden 61 . V. Täterschaft und Teilnahme. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Der Täter 17 braucht nicht beide Akte des zweiaktigen Delikts zu erfüllen, wie das Gesetz durch Erwähnung des Dritten ausdrücklich klarstellt. Derjenige, der das Nötigungsmittel einsetzt, ist ebenso Täter wie derjenige, der das in seinem Interesse angewandte Nötigungsmittel bewußt zum außerehelichen Beischlaf ausnutzt (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Mittäter 1 ; vgl. § 178 Rdn. 7). Täter ist der, dessen Tatbeitrag sich auf die Nötigungshandlung beschränkt, selbst dann, wenn ein eigenes Tatinteresse oder das Wollen der Tat als eigene fehlt 62 . Die fortdauernde Gewalt kann dem Nötigenden zugerechnet werden, selbst wenn er vor Ausübung des Geschlechtsverkehrs durch den Dritten den Tatort verläßt (BGH NStE Nr. 10 zu § 177; vgl. auch BGH bei Miebach NStZ 1992 177 Nr. 36). Nötigen mehrere, so reicht es aus, daß einer der Handelnden eigenhändig zum Mittel der Gewalt greift und die übrigen bei der Ausführung im Sinne des gemeinsamen Plans handeln 6 3 . Es genügt das Handeln im Interesse des 57

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D a s Problem ist bisher unter d e m Gesichtspunkt d e r Freiwilligkeit des Rücktritts erörtert w o r d e n : B G H StV 1982 14; B G H N S t Z 1988 550; B G H R S t G B § 24 Abs. I Satz 1 Freiwilligkeit 1; B G H Beschluß vom 22. Februar 1983 - 4 StR 3 8 / 8 3 — ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 1 8 R d n . 22. B G H N S t Z 1990 490; B G H N S t E Nr. 8 z u § 178; B G H bei Miebach N S t Z 1994 225. Auch wenn die sexuelle H a n d l u n g als unselbständige M a ß n a h m e d e r H e r b e i f ü h r u n g des G e schlechtsverkehrs diente, B G H R S t G B § 178 K o n k u r r e n z e n 2; B G H bei Miebach N S t Z 1994 226; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 8; Maurach/ Schröder/Maiwald § 18 R d n . 22; vgl. a u ß e r d e m LK § 178 R d n . 9.

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B G H StV 1982 14, 15; N S t Z 1987 21 ; vgl. a u c h die K o m m e n t i e r u n g bei § 174 R d n . 23. B G H bei Daliinger M D R 1966 726; B G H M D R 1965 839; B G H bei Holtz M D R 1980 813; B G H R S t G B § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 15; B G H N S t Z 1990 490; B G H bei Miebach N S t Z 1992 227 Nr. 48. B G H S t . 27 205, 206; B G H R S t G B § 177 Abs. I Mittäter 1; B G H bei M i e b a c h N S t Z 1994 224;" B G H Urteil vom 2. April 1986 — 2 StR 2 / 8 6 —. S. 13; überholt B G H S t . 6 226; B G H bei Dallinger M D R 1973 17. B G H N J W 1985 1035; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 Mittäter I ; B G H Urteile vom 12. N o v e m b e r 1987 — 4 StR 550/87 — u n d vom 17. Dezember 1987 - 4 StR614/87-.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Dritten, der den Beischlaf ausführt. Nicht erforderlich ist, daß dieser Kenntnis von der Nötigung hat (BGH NStZ 1985 71 Nr. 4) oder daß er freiwillig handelt. Auch er kann genötigt sein. Dient die Nötigung (Gewalt oder Drohung) auch dem Interesse dessen, der den Geschlechtsverkehr vollzieht, wie etwa in den Fällen der Gruppennotzucht, so liegt Mittäterschaft vor, wenn eine — zumindest konkludent hergestellte — Willensübereinstimmung zwischen dem Nötigenden und demjenigen, der den Geschlechtsverkehr ausführt, gegeben ist 64 . Die Übereinstimmung braucht dem anderen nicht übermittelt zu werden. Täter ist deshalb auch derjenige, der bewußt die in seinem Interesse ausgesprochene Drohung eines anderen ausnutzt (BGH NStZ 1985 71 Nr. 4). Anders liegt es, wenn der Dritte die nicht in seinem Interesse begangene Drohung ausnutzt 65 . Hier ist der Dritte (allein) Täter, wenn er — gegebenenfalls konkludent — dadurch nötigt, daß er die Wiederholung der früheren Gewaltanwendung androht oder an eine frühere Drohung anknüpft. Wer sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Täter, auch wenn er an der Tat kein Interesse hat (BGHR StGB § 178 Abs. 1 Mittäter 1). Gehilfe ist, wer keinen der Akte des zweiaktigen Delikts selbst erfüllt, sondern dem Täter lediglich im Sinne des § 27 Unterstützung leistet (BGH NStE Nr. 9 zu § 177). Zur Beihilfe durch Unterlassen vgl. § 174 Rdn. 20. Dem Garanten 6 6 muß es möglich sein, den Erfolg abzuwenden (vgl. § 180 Rdn. 8; BGH Beschluß vom 30. August 1984 — 4 StR 485/84). Dazu bedarf es der Feststellung, wann er frühestens nach Erkennen des strafbaren Geschehens den Erfolg hätte abwenden können. Ihm muß die Abwendung des Erfolges zuzumuten sein. VI. Strafzumessung 18

1. Die Strafe ist, wenn kein minder schwerer Fall vorliegt, Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren 67 . Der Tatrichter darf die Mindeststrafe nicht deshalb verhängen, weil er diese für relativ hoch hält (BGH NStZ 1984 117) oder dem Täter die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung eröffnen will (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29). Sie kommt vielmehr nur in Betracht, wenn die Schuld des Täters im Vergleich zum Schuldvorwurf bei anderen Taten — die nicht minder schwere Fälle sind — im unteren Bereich liegt. Dies kann auch bei Vorliegen mehrerer Strafschärfungsgründe der Fall sein, wenn die strafmildernden Umstände überwiegen 68 . Die 64

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B G H G A 1977 144; B G H N S t Z 1985 70; Sch/ Schröder/Lenckner R d n . 11. B G H G A 1977 144; B G H N S t Z 1985 70; B G H N J W 1986 77 = J R 1986 342 mit A n m e r k u n g Keller-, mißverständlich B G H bei M i e b a c h N S t Z 1992 177 Nr. 32, w o n a c h d a n n , w e n n der später h i n z u g e k o m m e n e Täter eine v o r g e f u n d e n e Situation ausnutze, eine Verurteilung wegen Vergewaltigung die Feststellung voraussetze, d a ß d e r Angeklagte die N ö t i g u n g des T a t o p f e r s durch den Dritten a u c h w a h r g e n o m m e n habe. In dieser Entscheidung lagen, wie der veröffentlichte Inhalt nicht e r k e n n e n läßt, die Voraussetzungen d e r sukzessiven Mittäterschaft insoweit vor, als der a n d e r e a n s c h l i e ß e n d an seinen eigenen mit Gewalt u n d D r o h u n g mit einem Messer erz w u n g e n e n Geschlechtsverkehr der Frau die Augen zuhielt, w ä h r e n d der T ä t e r den Geschlechtsverkehr ausübte —, so d a ß es lediglich um den Vorsatz des Täters ging.

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Dazu BGHSt. 30 391, 394; BGHSt. 27 10, 13 mit A n m . Tenckhoff J u S 1978 308, 312; Blei J A 1977 u n d Naucke J R 1977 289. Zur Mindeststrafendiskussion bei § 177 siehe Frommel M s c h K r i m . 1985 350; 1987 120; Incesu StV 1988 496; Oberlies Streit 1989 13. Statistische Übersicht über die in Vergewaltigungsfällen verhängten Strafen bei Greger M s c h r K r i m . 1987 261, Riess Tröndle-Festschrift S. 369 u n d Hillenkamp StV 1986 153; historischer Rückblick bei Middendorf Leferenz-Festschrift S. 593. Zu den in Urteilsbegründungen herrschenden Alltagstheorien u n d Wertvorstellungen vgl. Abel Vergewaltigung — Stereotypen in der Rechtsprechung. B G H N S t Z 1988 497; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 S t r a f z u m e s s u n g 5; B G H Urteile vom 21. Mai 1992 — 4 StR 154/92 — u n d vom 20. April 1993 - 5 StR 6 5 / 9 3 - ,

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Vergewaltigung

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Strafe darf sich weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein 69 . Je mehr sich die Strafe dem unteren oder oberen Bereich des Strafrahmens nähert, desto eingehender muß die Strafzumessung begründet werden (BGH Urteil vom 21. Juli 1993 - 2 StR 287/93 - ) . 2. Einzelheiten der Strafzumessung. a) Absatz 2 sieht für minder schwere Fälle eine ermäßigte Strafdrohung vor. Bei der Prüfung, ob die Vergewaltigung als minder schwerer Fall (dazu BGH JR1976 24) anzusehen ist, ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter vorzunehmen 7 0 . Soweit es um äußere Tatumstände geht, können grundsätzlich nur besondere, nicht gewöhnliche Umstände ein Abweichen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1 rechtfertigen, wie etwa frühere sexuelle Beziehungen zwischen den Beteiligten 71 , das Erstreben eines ernsthaften Liebesverhältnisses von Seiten des Täters 72 oder ein vorangegangenes, falsche Hoffnungen erweckendes Verhalten des Opfers 7 3 . Eine durch das vorangegangene Verhalten des Tatopfers entstandene Erwartungshaltung des Angeklagten kann aber nur für den Zeitpunkt des Tatbeginns strafmildernde Bedeutung haben, nicht für ein sich über mehrere Stunden hinziehendes Tatgeschehen (BGHR § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 8). Dagegen darf der Umstand, daß das Opfer dem Täter keine Veranlassung zur Tat gegeben hat, nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH StV 1993 23 ; 132). Mildernd wird von der Rechtsprechung im allgemeinen gewertet, wenn es sich um eine spontane Gelegenheitstat zwischen Bekannten handelt (BGH Beschluß vom 4. Juni 1993 - 3 StR 204/93), obwohl Taten zwischen flüchtig Bekannten die Mehrzahl der Vergewaltigungsfälle darstellen (Greger MschrKrim. 1987 274; zum Urteilsverhalten in diesen Fällen vgl. Greuel/Scholz MschrKrim. 1990 177). Es reicht für sich allein nicht zur Annahme eines minder schweren Falles, daß das Opfer eine Prostituierte ist 74 . Gegen die Annahme eines minder schweren Falles spricht es, wenn der Angeklagte mit der Gewaltanwendung zugleich werdendes Leben vernichten wollte (BGH Urteil vom 24. August 1993 — 5 StR 385/93 —). Erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) kann Anlaß zur Annahme eines minder schweren Falles sein, wenn das Bild der Tat wegen der verminderten Schuldfähigkeit des Täters aus den sonstigen Erscheinungsformen der Vergewaltigung so wesentlich herausfällt, daß der auch nach § 49 Abs. 1 herabgesetzte Normalstrafrahmen nicht angemessen ist 75 . Die Frage ist vom Tatrichter ausdrücklich zu prüfen, wenn nicht angesichts der Vielzahl und des Gewichts der strafschärfenden 69

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B G H R S t G B § 4 6 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 10, S t r a f h ö h e 5; § 4 6 Abs. 2 Wertungsfehler 12; B G H Urteil vom 17. Juli 1991 - 2 S t R 144/91 - . Std. Rspr.: BGHSt. 26 97; B G H N S t Z 1983 119; 168; EzSt N r n . 1 u n d 3 zu § 177; G A 1986 450; B G H R S t G B § 177 Abs. 2 S t r a f r a h m e n w a h l 6; B G H N S t E N r n . II u n d 17 zu § 177; B G H StV 1993 421 ; vgl. dazu § 176 R d n . 22. B G H R S t G B § 54 Bemessung 1; § 177 Abs. I S t r a f z u m e s s u n g 10; B G H Urteil vom 14. April 1993 — 3 StR 19/93 — u n d Beschluß vom 6. August 1993 - 3 StR 3 0 5 / 9 3 - . B G H R S t G B § 54 Bemessung 1 ; B G H EzSt Nr. 2 zu § 177. B G H M D R 1963 62; B G H Urteile vom 22. Feb r u a r 1978 - 2 StR 4 6 0 / 7 7 - u n d vom 13. Oktober 1982 - 3 StR 137/82 - ; O L G F r a n k f u r t / Main StV 1988 389; verfehlt dagegen B G H StV

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1986 149 mit A n m e r k u n g Hillenkamp, LG Saarbrücken N S t Z 1981 222 u n d B G H StV 1993 639. Vgl. auch Mauz AnwBl. 1986 230. B G H bei Dallinger M D R 1971 895; differenzierter bei Dallinger M D R 1973 555; zu Fotomodell f ü r A k t a u f n a h m e n B G H N S t E N r . 23 zu § 177 StGB. Vgl. dazu a u c h Burgsmüller Streit 1985 50 mit einer Übersicht über amts- u n d landgerichtliche Urteile. Std. Rspr.; z.B. BGHSt. 16 360, 362; B G H G A 1979 469; 1986 120; N S t Z 1984 264; 1985 453 Nr. 4; 546, 547; StV 1984 69; B G H R § 177 Abs. 2 S t r a f r a h m e n w a h l 2, 3, 4 u n d 7; B G H Urteil vom 2. F e b r u a r 1993 - 1 StR 8 6 2 / 9 2 - u n d Beschlüsse vom 15. N o v e m b e r 1979 — 1 StR 6 1 1 / 79 —, vom 31. J a n u a r 1980 — 4 StR 6 / 8 0 — u n d vom 3. Dezember 1982 — 3 StR 4 4 8 / 8 2 —.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Gesichtspunkte die Verneinung eines minder schweren Falles trotz der verminderten Schuldfähigkeit auf der H a n d liegt ( B G H Beschliise vom 7. J a n u a r 1992 — 1 StR 595/91 — u n d vom 16. März 1993 — 4 StR 6 5 / 9 3 - ) . Ist die Schuldfähigkeit alkoholbedingt erheblich vermindert, k a n n der U m s t a n d , d a ß der Angeklagte in der Vergangenheit bereits ähnliche Taten unter Alkoholeinfluß begangen hat, zur Ablehn u n g des minder schweren Falles führen ( B G H R StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 7). Wird der Angeklagte erstmals in fortgeschrittenem Alter straffällig, drängt sich die P r ü f u n g auf, ob der Altersabbau zu erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt hat ( B G H N S t Z 1993 332). Ebenso wie verminderte Schuldfähigkeit k a n n der U m s t a n d , d a ß die Tat nicht vollendet, s o n d e r n nur versucht worden ist, A n l a ß zur P r ü f u n g des minder schweren Falles sein 7 6 . Liegt wegen des Umstandes, d a ß die Vergewaltigung nur versucht wurde, ein minder schwerer Fall vor, darf die Mindeststrafe des gegebenenfalls verwirklichten § 178 nicht unterschritten werden, doch ist zu p r ü f e n , ob nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall vorliegt ( B G H bei Miebach N S t Z 1992 228 Nr. 62; 1993 225 Nr. 24). Trifft die Vergewaltigung dagegen mit einem Delikt tateinheitlich z u s a m m e n , dessen Mindeststrafe höher ist als die des § 177 Abs. 1, erübrigt sich die P r ü f u n g eines minder schweren Falles der Vergewaltigung ( B G H R StGB vor § 1 / m i n d e r schwerer Fall G e s a m t w ü r d i g u n g 5). b) Mindernde u n d schärfende U m s t ä n d e aus der Rechtsprechung: Ein „sexueller N o t s t a n d " k a n n mildernd wirken 7 7 , nicht aber umgekehrt strafschärfend, d a ß der Angeklagte regelmäßig sexuelle K o n t a k t e unterhalten hat ( B G H Beschluß vom 10. April 1980 - 3 StR 119/80). Es ist fehlerhaft, wenn der Tatrichter bei der Strafzumessung nicht U m s t ä n d e der Tat würdigt, die als gegebene Tatsachen für die Strafzumessung von Bedeutung sind ( B G H N J W 1980 2821), sondern er einen nicht votliegenden Fall erwägt (etwa, d a ß das Opfer dem Täter A n l a ß für einen Annäherungsversuch gegeben hat), der — wenn er vorläge — zur Milderung der Strafe f ü h r e n würde ( B G H N S t Z 1982 463). Die G e f a h r der Schwängerung ist ein Strafschärfungsgrund 7 8 , ebenso die vom Täter bewußt in Kauf g e n o m m e n e Infizierung mit Aids oder einer Geschlechtskrankheit 7 9 . Auch sonst sind Folgen der Tat nur d a n n f ü r die Strafzumessung bedeutsam, wenn sie f ü r den Täter mindestens voraussehbar waren ( B G H R StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 2; § 177 Abs. 1 Strafzumessung 6). Generalpräventive Gesichtspunkte d ü r f e n die Strafzumessung nur d a n n beeinflussen, wenn eine gemeinschaftsgefährdende Z u n a h m e solcher oder ähnlicher Taten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt w o r d e n ist 8 0 ; unzulässig ist deshalb etwa auch die strafschärfende Erwägung, d a ß der Täter bei den sexuellen H a n d l u n g e n die in pornographischem Material v o r h a n d e n e n Verhaltensmuster nachgeahmt hat ( B G H Urteil vom 2. April 1986 — 2 StR 2/86). Ebensowenig darf eine die N o r m a l f ä l l e der Vergewaltigung nicht übersteigende G e w a l t a n w e n d u n g erschwerend gewertet werden ( B G H StV 1987 195; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 4) oder d a ß der

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B G H N S t Z 1985 453; 547; B G H R S t G B § 177 Abs. 2 S t r a f r a h m e n w a h l 1 , 2 ; B G H bei Miebach N S t Z 1993 225 Nr. 25; B G H Beschluß vom 22. Juni 1993 - 1 StR 2 8 7 / 9 3 - . B G H R § 177 Abs. 2 S t r a f r a h m e n w a h l 4; vgl. § 176 R d n . 23. Kritisch zu diesem Strafmilder u n g s g r u n d wegen Verstoßen gegen Art. 3 Abs. 2 GG Sick Sexuelles Selbstbestimmungsrecht S. 237. BGHSt. 37 153 mit A n m e r k u n g e n Neumann u n d Weßlau StV 1991 256, 259 u n d Besprechung

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Hassemer J u S 1991 516; B G H R S t G B § 177 Abs. 1 Strafzumessung 11; B G H Urteil vom 11. August 1992 — 5 StR 2 9 7 / 9 2 — ; einschränkend B G H R S t G B § 177 Abs. 1 S t r a f z u m e s s u n g 10 bei f r ü h e r e n sexuellen Beziehungen zwischen Täter u n d O p f e r ; überholt B G H N S t Z 1985 215. B G H Beschluß vom 30. O k t o b e r 1990 - 5 StR 4 8 8 / 9 0 - ; LG O l d e n b u r g A1FO 1987 501. B G H N S t Z 1984 409; B G H R S t G B § 46 Abs. 1 G e n e r a l p r ä v e n t i o n 2; § 177 Abs. 1 Strafzumessung 8.

Stand: 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

§

177

Täter seinen Willen durchgesetzt hat, ohne die entgegenstehenden Belange der Frau zu respektieren 81 , wogegen eine besonders entwürdigende Behandlung, die bereits in der Gegenwart eines Dritten liegen kann (BGH Urteil vom 14. April 1993 — 3 StR 19/93), zur Strafschärfung führt. Zum Nachteil des Täters darf auch erwogen werden, daß ihm bekannt war, daß das Opfer gerade seiner Person ein besonders gesteigertes Maß an Widerwillen entgegensetzte (BGH Urteil vom 19. August 1993 — 1 StR 395/93 —, insoweit in NStZ 1994 78 nicht abgedruckt). Fraglich ist, ob die Verurteilung zu Schmerzensgeld 82 strafmildernd zu berücksichtigen ist (so BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung, unvollständige 8). Dabei sind jedenfalls die Chancen der Geschädigten, den Anspruch auch durchzusetzen, zu beachten 83 . 3. Absatz 3 sieht für Fälle der leichtfertigen Todesverursachung eine erhöhte Straf- 19 drohung vor. In der tatbestandlichen Voraussetzung wird auf die Kommentierung zu § 176 verwiesen. Die Feststellung leichtfertigen Vorgehens setzt voraus, daß aufgeklärt werden kann, wie der Tod des Opfers eintrat und in welcher konkreten Form der Täter vorging (BGH NStE Nr. 20 zu § 177 StGB). Absatz 3 kommt auch zur Anwendung, wenn der Erschwerungsgrund erfüllt, die Vergewaltigung aber nur versucht ist (BGH Beschluß vom 15. April 1980 - 5 StR 158/80). In solchen Fällen kann aber die Strafe nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden (vgl. die bei § 176 dargestellte Problematik). VII. Konkurrenzen. Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 173, 174 und 176. Zwi- 20 sehen Vergewaltigung und sexueller Nötigung (§ 178) liegt Gesetzeseinheit in Form der Spezialität vor, wenn die sexuelle Nötigungshandlung die Vollziehung des Beischlafs vorbereiten soll 84 ; das auch dann, wenn die Vergewaltigung nur versucht ist 85 . Dies gilt jedoch nur für typische Handlungen, die den Geschlechtsverkehr vorbereiten (Streicheln, Betasten oder Küssen), nicht etwa für den erzwungenen Mundverkehr, auch wenn der Angeklagte diesen als Vorbereitung des Geschlechtsverkehrs ansieht 86 ; im letzteren Fall ist Tateinheit mit § 178 gegeben (vgl. BGH GA 1981 168), es sei denn, es kommt nur zum Versuch des Mundverkehrs (BGHSt. 33 142, 146 f; aA Horn SK Rdn. 9). Auch der erzwungene Analverkehr behält neben der Vergewaltigung seinen eigenen Unrechtsgehalt (BGH NStZ 1993 38; BGH Beschluß vom 18. Januar 1985 — 2 StR 803/85) —) oder das Lecken an der Scheide der Frau (BGH bei Miebach NStZ 1994 224 f)· Tateinheit ist auch in sonstigen Fällen gegeben, in denen eine fortwirkende Gewaltanwendung oder Bedrohung zu mehreren Tatbestandsverwirklichungen führt, wie zu mehreren Beischlafshandlungen 87 oder zur Erfüllung der 81

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B G H R StGB § 46 Abs. 3 Vergewaltigung I ; § 177 Abs. 1 Strafzumessung 8; BGH Beschluß vom 3. März 1993 - 2 StR 2 4 / 9 3 ; fehlerhaft ist auch die Erwägung, d a ß Motiv des Handelns die sexuelle Befriedigung war (BGH Beschluß vom 26. Mai 1993 - 5 StR 244/93 - ). Zur Bemessung des Schmerzensgeldes vgl. BGH Beschlüsse vom 30. Oktober 1992 — 3 StR 478/92 - , vom 30. April 1993 - 3 StR 169/93 und vom 9. Juni 1993 - 2 StR 232/93 - . Offengelassen wurde die Frage im Urteil vom 11. August 1992 - 5 StR 297/92 — im Falle eines Asylbewerbers, der nach den Urteilsfeststellungen in seine Heimat zurückkehren will.

BGH NStZ 1993 38; B G H R StGB § 178 Konkurrenzen 5; BGH bei Miebach NStZ 1993 226; BGH Beschlüsse vom 16. Februar 1990 — 4 StR 677/89 - und vom 12. J a n u a r 1993 - 5 StR 657/92 - . BGH EzSt Nr. 4 zu § 177; NStE Nr. 2 zu § 178; B G H R StGB § 178 Konkurrenzen 2; BGH Urteil vom 16. Juli 1981 - 4 StR 358/81 - und Beschluß vom 16. Februar 1 9 9 0 - 4 StR 677/89 - . BGH NStZ 1993 38; BGH bei Holtz M D R 1980 984; BGH bei Miebach NStZ 1994 224 f; BGH Beschluß vom 21. März 1 9 9 0 - 2 StR 102/90. BGH bei Holtz M D R 1981 99; BGH Urteil vom 18. September 1984 — 4 StR. 535/84 — und Beschluß vom 9. März 1993 - 5 StR 102/93 - .

Heinrich Laufhütte

§ 177

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Tatbestände von § 177 und § 17888 und von Vergewaltigung und Raub 8 9 , und zwar auch dann, wenn eine der Taten nicht vollendet wird, insoweit also nur Versuch vorliegt (BGH Beschlüsse vom 16. Dezember 1975 - 5 StR 672/75 - und vom 16. Oktober 1984 — 1 StR 591/84 —). So ist auch Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchtem Abbruch einer Schwangerschaft möglich (BGH bei Miebach NStZ 1994 225). Der zeitliche und räumliche Zusammenhang allein reicht nicht für die Annahme von Tateinheit (BGH Beschluß vom 22. Juni 1993 - 1 StR 287/93 —). Ist nicht zu klären, ob die Gewalt auch der Wegnahme diente, ist nach dem Zweifelssatz Tateinheit 90 anzunehmen. Tateinheit mit räuberischer Erpressung ist gegeben, wenn der Täter den durch die Bedrohung hervorgerufenen Angstzustand zu Erpressung und Vergewaltigung ausnutzt (vgl. BGH Beschluß vom 30. November 1977 — 3 StR 447/77 —). Tateinheit zwischen den §§ 177, 178, 249, 239 liegt vor, wenn der Angeklagte die der Verwirklichung dieser Tatbestände dienende Freiheitsberaubung während des gesamten Geschehensablaufs aufrechterhält (BGH Beschluß vom 26. Oktober 1983 — 2 StR 621/83 —). Ebenso kann die Freiheitsberaubung eine Vergewaltigung mit gefährlicher oder vorsätzlicher Körperverletzung 91 sowie eine versuchte sexuelle Nötigung mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (BGH NStZ 1988 70) oder eine sexuelle Nötigung mit Beleidigung und Nötigung (BGH NStE Nr. 5 zu § 178) verbinden. Beruht die Verwirklichung zweier Vergewaltigungen als Alleintäter und als Mittäter auf unterschiedlichen Tatentschlüssen, verbinden § 237 oder § 239 sie nicht zur Tateinheit, da diese Tatbestände einen geringeren Unwert verkörpern als den in § 177 enthaltenen (BGH NStE Nr. 12 zu § 177; BGH bei Miebach NStZ 1993 226 Nr. 36). In entsprechenden Fällen ist Tateinheit auch mit den §§ 181, 181a möglich (BGH bei Holtz M D R 1983 984). Tateinheit kann auch gegeben sein zwischen Vergewaltigung (oder deren Versuch) und räuberischem Angriff auf eine Kraftfahrerin (BGH VRS 60 102). Die Entführung gegen den Willen der Entführten (dazu BHSt. 29 233,239) faßt Vergewaltigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis oder fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs oder auch Trunkenheit im Verkehr (BGH VRS 66 443, 444) zusammen, wenn die Delikte jeweils zur Entführung in Tateinheit stehen 92 . 21

Dies ist aus prozessualen Gründen nicht unproblematisch, wie der in NStZ 1984 135 abgedruckte Beschluß des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofes zeigt. In einem Fall, in dem durch die Entführung des Opfers späterer sexueller Handlungen Straftaten nach den §§ 177, 178, 237, 255, 316 a StGB sowie nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG zu einer Tat verbunden waren, bejaht der 5. Strafsenat den Verbrauch der Strafklage (§ 264 StPO) allein im Hinblick darauf, daß das Fahren ohne Fahrerlaubnis bereits abgeurteilt war (vgl. dazu die Ausführungen Rdn. 21 vor § 174). 22 Wird das Nötigungsmittel gegen mehrere eingesetzt, ist Tateinheit gegeben, wenn ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht 93 . Erzwingt der Täter den au88

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B G H N S t Z 1985 546; B G H Urteile vom 18. Sept e m b e r 1984 - 4 StR 5 3 5 / 8 4 - u n d vom 14. Dezember 1990 — 3 StR 2 8 3 / 9 0 — sowie Beschlüsse vom 19. Juni 1980 — 4 StR 148/80 - u n d vom 16. Oktober 1 9 8 4 - 1 StR 5 9 1 / 8 4 - . B G H bei Holtz M D R 1979 109; 1990 294; B G H bei Miebach N S t Z 1993 226 Nr. 29; 1994 225 u n d 226. B G H R S t G B § 177 Abs. 1 K o n k u r r e n z e n 1; zur A b g r e n z u n g vgl. B G H bei Holtz M D R 1979987. B G H N S t E Nr. 16 zu § 177; B G H Urteil vom

14. April 1993 - 3 StR 19/93 (zu § 178) u n d Beschluß vom 13. Juni 1991 - 4 S t R 231/91 - . 92 B G H N S t Z 1982 69; 1984 262; 408; vgl. auch B G H VRS 65 134; vgl. weiter vor § 174 R d n . 20 ff. " B G H bei Holtz M D R 1980 272; B G H G A 1981 161 : Tateinheit zwischen Vergewaltigung u n d sexueller N ö t i g u n g zum Nachteil verschiedener O p f e r ( a b l e h n e n d Horn SK R d n . 9); B G H bei Miebach N S t Z 1992 177 Nr. 39; 1993 225 Nr. 28; 1994 224 Nr. 19; B G H Beschlüsse vom 31. Mai

Stand: 1. 8. 1994

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Vergewaltigung

§ 177

ßerehelichen Beischlaf einer widerstandsunfähigen Frau mit den Nötigungsmitteln des § 177, so ist nur § 177, nicht auch § 179 Abs. 1 Nr. 2 gegeben (BGH NStZ 1981 23). § 182 wird von § 177 verdrängt. Eine Verurteilung nach § 177 schließt eine solche nach § 185 für ehrverletzende Handlungen aus, die mit einer Vergewaltigung nach deren gewöhnlichem Erscheinungsbild regelmäßig verbunden sind 94 . Entsprechendes gilt für die Freiheitsberaubung 95 . Droht der Täter mit einem Verbrechen, um den Geschlechtsverkehr zu erzwingen, geht § 240 StGB ebenso wie § 241 in dem engeren § 177 auf 9 6 . Kommt der Täter mit schwächeren Mitteln als den nach § 177 tatbestandsmäßigen zum Ziel, so kann § 240 erfüllt sein 97 . Das Verhältnis des § 177 zu § 239 b wirft (im Zweipersonenverhältnis) erhebliche Probleme auf. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, daß § 239 b und § 239 a (der im Verhältnis zu § 177 vernachlässigt werden kann) nicht auf Fälle anwendbar sind, in denen das bloße Sichbemächtigen unmittelbares Nötigungsmittel einer Vergewaltigung, sexuellen Nötigung oder räuberischen Erpressung sei und in denen eine über das hierdurch begründete unmittelbare Gewaltverhältnis zwischen Täter und Opfer hinausreichende Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens nach der Vorstellung des Täters nicht eintreten solle (BGHSt. 39 36). Mit seinem Urteil vom 5. Oktober 1993 (NStZ 1994 127 = StV 1994 80) hat dieser Senat entschieden, daß dies im Bereich des § 239 b nicht nur für Fälle des Sichbemächtigens, sondern auch für diejenigen des Entführens (§ 237) gelte; dem ist der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Anfrage an den 1. Strafsenat vom 19. November 1993 — 2 StR 421/93 — entgegengetreten; der 1. Strafsenat hat an seiner Meinung festgehalten (Beschluß vom 22. März 1994 — 1 ARs 3/94 —); der 2. Strafsenat hat die Rechtsfrage dem Großen Senat des BGH für Strafsachen vorgelegt (Beschluß vom 18. Mai 1994 - 2 StR 421/93 - ) . Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Fall, der das Verhältnis des § 240 zu § 239 b betraf, zu bedenken gegeben, daß das Merkmal der Außenwirkung kein hinreichend geeignetes Abgrenzungskriterium ist und hat in dem entsprechenden Fall (Nötigung in einem Zweipersonenverhältnis unter den Voraussetzungen des § 239 b) die Verurteilung nach § 239 b bestätigt (BGH StV 1994 374, zum Abdruck in BGHSt. vorgesehen); er hat (nichttragend) erwogen, § 239 b im Zweipersonenverhältnis nur anzuwenden, wenn die Drohung im Sinne der Vorschrift so konkret sei, daß die angedrohten Folgen aus Sicht des Opfers als unmittelbar bevorstehend empfunden würden (siehe auch Renzikowski JZ 1994 492). Der Große Senat, dessen Entscheidung im November 1994 zu erwarten ist (GSSt 1/94), sollte die notwendige Tatbestandseingrenzung des § 239 b anders, als bisher geschehen, suchen. Die Vorschrift hat in allen Varianten zur Voraussetzung, daß die Entführung oder das Sichbemächtigen das Opfer in eine ungünstige Lage bringt. In den ersten Varianten muß der Täter von vornherein beabsichtigen, die durch die Entführung oder das Sichbemächtigen für das Opfer geschaffene (verfestigte ungünstige) Lage zur qualifizierten Drohung i. S. des § 239 b auszunutzen und durch sie (zum Beischlaf oder, bei § 178, zur sexuellen Handlung) zu nötigen. Der Nachteil, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 239 b die Rechtsfolgen dieses (Vorfeld-)Tatbe-

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1979 — 4 StR 183/79 — (Vergewaltigung mehrerer Mädchen durch mehrere Täter) und vom 31. Mai 1 9 9 0 - 3 StR 180/90. BGH StV 1982 14, 15; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 4; vgl. zu dieser Problematik ausf ü h r l i c h ? 174 Rdn.23. BGH bei Dallinger M DR 1971 721; bei Holtz M D R 1991 1021; bei Miebach NStZ 1992 227; 1994 226; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Konkurren-

zen 5, 6 und 9; § 178 Konkurrenzen 3; BGH Beschlüsse vom 25. Mai 1976 - 5 StR 295/76 und vom 21. März 1990 - 2 StR 102/90 - . % BGH GA 1977 306, 307; B G H R StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 2 und 5; unklar: BGH Beschluß vom 10. April 1984 — 4 StR I 9 5 / 8 4 - . 9 ' BGHSt. 31 195; BGH NStZ 1982 286; BGH Urteil vom 15. J a n u a r 1986 - 2 StR 435/85 - .

Heinrich Laufhütte

§ 177

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

standes und die des § 177 nicht aufeinander abgestimmt sind, wird in geeigneten Fällen durch Anwendung des § 239 b Abs. 2 (i. Verb, mit § 239 a Abs. 2 und 4) zu vermindern sein. Die zum Verhältnis von § 105 zu § 240 in BGHSt. 32 165, 176 vertretene Auffassung, § 105 schließe als Sondervorschrift die Anwendbarkeit von § 240 auch dann aus, wenn das Nötigungsmittel zwar nicht den Tatbestand des § 105, § 240 erfüllt, ist auf das Verhältnis von § 177 zu § 240 nicht übertragbar (aA Arzt JZ 1984 428, 429; Horn SK § 178 Rdn. 18). Denn BGHSt. 32 165 betrifft die spezielle Problematik des § 105, ob Verfassungsorgane Nötigungsmitteln unter der Schwelle des § 105 standhalten müssen. Entsprechende Probleme stellen sich bei § 177 nicht. Die Vorschrift droht hohe Strafen für Vergewaltigungen an, besagt aber nicht, daß Frauen Nötigungsmitteln unter der Schwelle des § 177 generell standhalten müssen. Die im Beischlaf und in sonstigen sexuellen Handlungen liegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Opfers führt nicht auch zur Bestrafung nach § 223 StGB. Darüber hinausgehende Körperverletzungen stehen jedoch in Idealkonkurrenz zu § 17798. § 177 Abs. 3 kann in Tateinheit mit vorsätzlichen Tötungsdelikten stehen (BGHSt. 39 100). Vgl. außerdem vor § 174 Rdn. 20 ff. 23

IX. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Rechts der DDR siehe § 174 Rdn. 24. In der DDR war die Vergewaltigung durch den § 121" unter Strafe gestellt, der — mit gleicher Strafdrohung — auch den Unrechtsgehalt des § 179 hinsichtlich des Mißbrauchs einer aus psychischen oder physischen Gründen wehrlosen oder geisteskranken Frau zum außerehelichen Geschlechtsverkehr erfaßte. Mittäter einer Vergewaltigung konnte auch sein, wer mit gemeinsamem Vorsatz Gewalt anwendete und androhte, ohne selbst den Geschlechtsverkehr durchzuführen, doch keine weibliche Person 100 . Die Strafdrohungen in § 121 StGB-DDR waren mit Ausnahme der fahrlässigen Todesverursachung, deren Strafdrohung dem § 177 Abs. 3 entsprach, milder als im bundesdeutschen Recht.

§ 178 Sexuelle Nötigung (1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, außereheliche sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. BGH G A 1964 377; BGH N J W 1963 1683; BGH Urteil vom 18. Februar 1976 - 3 StR 523/75 - , Beschluß vom 29. Mai 1 9 8 4 - 5 StR 307/84. § 121 S t G B - D D R i . d . F . des 5. S t R Ä n d G vom 14. 12. 1988 (GBl. 1 1989 34, 55 f) lautet : „ ( I ) Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger G e f a h r für Leben oder Gesundheit zum außerehelichen Geschlechtsverkehr zwingt oder eine wehrlose oder geisteskranke Frau zum außerehelichen Geschlechtsverkehr mißbraucht, wird mit Freiheitsstrafe von einem J a h r bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In schweren Fällen wird der Täter mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren bestraft. Ein schwerer Fall liegt vor, wenn 1. die Vergewaltigung von

mehreren Tätern gemeinschaftlich oder an einem Mädchen unter sechzehn Jahren begangen wird; 2. durch die Vergewaltigung eine schwere Körperverletzung fahrlässig verursacht wird; 3. der Täter mehrfach eine Straftat nach den §§ 121 oder 122 begangen hat oder wer bereits wegen einer solchen Straftat bestraft ist. (3) Wer durch die Tat den Tod des Opfers fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (4) Der Versuch ist strafbar." 100 Strafrecht der D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987; vgl. auch Biebl/Holtzbecher/Schröder NJ 1972 322; Schlegel/Amboss/ Michalski NJ 1985 401.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Sexuelle Nötigung

§ 178

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Schrifttum Lenckner z u B G H S t . 3 1 7 6 in J R 1 9 8 3 1 5 9 ; Zipf in J R 1 9 7 6 2 4 z u d e r d o r t a b g e d r u c k t e n E n t s c h e i d u n g d e s B G H (§ 178 A b s . 2 ) ; vgl. a u ß e r d e m d i e L i t e r a t u r n a c h w e i s e b e i § 177.

Entstehungsgeschichte Der Vorläufer des § 178 ist § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. Diese Vorschrift bedrohte mit Strafe, wer mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einem anderen vornahm oder einen anderen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nötigte. Der Tatbestand war insoweit ungereimt, als er die Nötigung zur Vornahme sexueller Handlungen durch das Opfer nicht erfaßte ( Wilts Prot., 6. Wahlperiode S. 1612). Das neue Recht hat diese Lücke geschlossen. Es umfaßt mit den Begriffen des 4. StrRG (vgl. § 184 c) sämtliche außereheliche sexuelle Handlungen mit Körperkontakt mit Ausnahme des Beischlafs zwischen dem Opfer und dem Täter oder einem Dritten. Wie bei § 177 (siehe dort) sind eheliche sexuelle Handlungen ausgenommen. Darin liegt eine umstrittene (vgl. vor § 174) Einschränkung des Tatbestandes, die dem alten Recht nicht ohne weiteres entnommen werden konnte. Das alte Recht sah in der Ehe vorgenommene sexuelle Handlungen zwar grundsätzlich nicht als unzüchtige an. Die Rechtsprechung hat den Tatbestand des § 176 a. F. aber bei der Nötigung zu „grob widernatürlichen Handlungen" (RGSt. 71 109; BGH bei Herían MDR 1954 656; BayObLGSt. 60 249) und dann angewandt, wenn der Ehemann in Gegenwart eines Dritten an seiner Frau unter Gewaltanwendung oder Drohung geschlechtliche Handlungen vornahm (BGH Urteile vom 29. Juni 1954 - 1 StR 48/54 - und vom 11. März 1966 - 4 StR 33/66 - ; vgl. Mösl LK 9 § 176 Rdn. 6). Diese — sehr zweifelhafte — Rechtsprechung ist auf § 178 nicht übertragbar. § 178 ist allerdings dann anwendbar, wenn ein Ehegatte seinen Ehepartner zu sexuellen Handlungen mit einem Dritten nötigt. Ubersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. T a t h a n d l u n g 1. Nötigungsmittel 2. N ö t i g u n g zu außerehelicher sexueller H a n d l u n g mit K ö r p e r k o n t a k t . . 3. K a u s a l z u s a m m e n h a n g zwischen Nötigungshandlung und Vornahme

Rdn. 1 2 2 3

Rdn.

III. IV. V. VI. VII. VIII.

o d e r D u l d u n g der sexuellen H a n d lung Subjektiver Tatbestand Versuch u n d Vollendung Täterschaft u n d T e i l n a h m e Strafzumessung Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

4 5 6 7 8 9 10

I. Geschütztes Rechtsgut. § 178 schützt die sexuelle Selbstbestimmung (vor § 174 1 Rdn. 4). Täter kann sowohl ein Mann als auch eine Frau sein. Wie bei § 177 ist nicht erforderlich, daß der Täter oder die Täterin selbst sexuelle Handlungen mit dem Opfer (Mann oder Frau) vornimmt. Die Nötigung, die Handlungen mit einem Dritten vorzunehmen, reicht aus. II. Tathandlung. Tathandlung ist die Nötigung zu außerehelichen sexuellen 2 Handlungen. (89)

Heinrich Laufhütte

§ 178

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

1. Nötigungsmittel sind Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (s. bei § 177). Das abgenötigte Verhalten besteht in der Duldung 1 außerehelicher sexueller Handlungen des Täters oder eines Dritten an dem Opfer oder solchen Handlungen, die das Opfer am Täter oder einem Dritten vornimmt. Ein spezielles Problem, das bei § 177 kaum auftreten wird, ist das der überraschend vorgenommenen sexuellen Handlungen2. Gewalt dient, wie bei § 177 ausgeführt, der Widerstandsüberwindung. Nutzt der Täter das Überraschungsmoment aus und liegt in dem als Gewalthandlung in Frage kommenden Akt zugleich die sexuelle Handlung (überraschender Griff an die Genitalien einer Frau), so wird damit dem regelmäßig latent vorhandenen Willen, von sexuellen Kontakten verschont zu bleiben, zuwidergehandelt. Der Akt ist aber nicht das Mittel, einen für den konkreten Fall gebildeten Abwehrwillen zu überwinden (vgl. BGHSt. 31 76, 77 f)· Das bedeutet aber nicht, daß die Gewaltanwendung stets der sexuellen Handlung vorausgegangen sein muß 3 . Der Tatbestand des § 178 ist erfüllt, wenn ein Akt körperlicher Kraftentfaltung, der zugleich sexuelle Handlung ist, das Mittel ist, einen tatsächlichen oder erwarteten Widerstand für weitere sexuelle Handlungen, auch wenn es sich dabei wiederum um Gewaltakte handelt, zu brechen 4 . Bei einer solchen Sachlage dient der erste überraschende Akt der Ermöglichung weiterer sexueller Handlungen. Er ist das Mittel zur Überwindung des Widerstandes. § 178 kann aber auch erfüllt sein, wenn der Täter nur einen Akt geplant und vorgenommen hat, der sexuelle Handlung ist und als Akt der Gewaltanwendung in Frage kommt. Das ist dann der Fall, wenn das Tatopfer das sexuelle Ansinnen des Täters erkannt und einen entgegenstehenden Willen bereits gebildet hat (vgl. BGHSt. 31 76, 77). Hier dient der — einzige — Akt körperlicher Kraftentfaltung, der zugleich sexuelle Handlung ist, der Brechung dieses Widerstandes. Es liegt deshalb Gewalt vor, mit der dazu genötigt wird, die in der Gewaltanwendung liegende sexuelle Handlung zu dulden (zu weitgehend Mösl LK 9 § 176 Rdn. 5, der Gewalt bereits bejaht, wenn sicher feststeht, daß der Betroffene der Handlung gewaltsam Widerstand entgegengesetzt „hätte"). 3

2. Es muß zu einer außerehelichen sexuellen Handlung genötigt werden, und zwar zu einer solchen mit Körperkontakt (§ 184 c Rdn. 16). Die Nötigung zu einer Handlung, die das Opfer an sich selbst vornehmen soll, ist deshalb nicht nach § 178 strafbar (BGH NStZ 1982 286; BGH Urteil vom 2. April 1986 - 2 StR 2/86 - ) , ebensowenig die Nötigung des Opfers, sich auszuziehen (BGH NStE Nr. 5 zu § 178). Das Entblößen des Geschlechtsteils des Opfers durch den Täter wird von der Rechtsprechung als sexuelle Handlung an dessen Körper angesehen, wenn sich der Täter schon durch diese Handlung geschlechtliche Erregung oder Befriedigung verschaffen will (BGH Urteil vom 31. Oktober 1 9 8 4 - 2 StR 392/84; BGH NStZ 1993 78), nicht aber, wenn das Entfernen der Kleidung Mittel zur Ermöglichung des beabsichtigten Sexualakts ist5. Diese Rechtsprechung ist fraglich, weil es für das Merkmal der sexuellen Handlung nicht auf die subjektive Tendenz des Täters ankommt (§ 184 c Rdn. 6), die Handlung muß bei Berücksichtigung der Gesamtumstände objektiv als sexuelle „ D u l d e n " setzt nicht die bewußte H i n n a h m e einer sexuellen H a n d l u n g v o r a u s : Sch/Schröder/ Lenckner R d n . 4; LG M o s b a c h N J W 1978 1868; vgl. auch § 177 R d n . 7 gegen BGHSt. 31 76 mit A n m e r k u n g Lenckner J R 1983 159 u n d Dreher/ Tröndle R d n . 4. B G H S t . 31 76 mit A n m . Lenckner J R 1983 159; vgl. Dreher/Tröndle R d n . 7; Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 3. Zur W i d e r s t a n d s ü b e r w i n d u n g

3

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bei einem einjährigen K i n d vgl. B G H Urteil vom 15. Dezember 1988 — 4 StR 5 3 5 / 8 8 —. So a b e r Horn SK R d n . 8; RGSt. 77 82; R G J W 1925 2135; 1939 400; Bedenken dagegen in BGHSt. 174; B G H N J W 1970 1465. Lenckner J R 1983 159, 162; vgl. R G H R R 1940 1423 ; RGSt. 63 227 ; BGHSt. 17 I. B G H N S t Z 1990 490; 1993 78; B G H N S t E Nr. 8 zu § 178.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexuelle Nötigung

§ 178

anzusehen sein. Dies ist für eine gewaltsame Entblößung des Geschlechtsteils, die auch körperliche Auswirkungen auf das Opfer hat, entgegen der Rechtsprechung in der Regel zu bejahen. Die körperliche Berührung setzt keinen Hautkontakt voraus 6 , doch kann bei bestimmten Handlungen die Art der Bekleidung des Opfers einen Körperkontakt verhindern (BGH NStZ 1992 433 : Lederjacke beim Ejakulieren auf das Opfer). Das nach § 184 c erforderliche Erheblichkeitsmerkmal der geschlechtsbezogenen Handlung ist nach dem Schutzgut des § 178 — Schutz der sexuellen Selbstbestimmung (vgl. dazu § 184 c Rdn. 12) — auszurichten. Belanglose Handlungen scheiden deshalb aus. Als nicht erheblich wurden angesehen: der Kuß in den Nacken, mehrmaliges Küssen ins Gesicht 7 . Ein Zungenkuß ist nur beim Hinzukommen erschwerender Umstände erheblich (BGH StV 1983 415, 416). Nicht erheblich ist das Aufsichwerfen des bekleideten Täters auf das bekleidete Opfer (BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 3), anders aber jedenfalls dann, wenn beide im Genitalbereich unbekleidet sind (BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 5). Der Versuch, eine Frau zu küssen, zu umarmen und auszuziehen, ist als solcher noch keine sexuelle Handlung (BGH NStE Nr. 6 zu § 178), er kann der Beginn der Ausführung einer Tat nach § 178 sein. Das Urinieren auf das Opfer ist von Erheblichkeit (vgl. dazu § 184 c Rdn. 6, 16). Eine geringfügige geschlechtsbezogene Handlung wird nicht dadurch zu einer erheblichen, daß das Nötigungsmittel dieses Merkmal erfüllt (so aber OLG Koblenz NJW 1974 870, 871, das die Erheblichkeit fälschlich wegen der Hartnäckigkeit des Vorgehens bejaht, und BGH NJW 1989 3029). Gleichgültig ist, ob die sexuelle Handlung mit dem Nötigenden oder einem Dritten vorgenommen wird. Es genügt die Nötigung, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder solche Handlungen des Dritten an sich zu dulden. Nötigt der Täter zwei Personen, sexuelle Handlungen gegenseitig an sich vorzunehmen oder an sich zu dulden, so liegen zwei idealkonkurrierende Taten vor. 3. Wie bei § 177 (s. dort) ist bei § 178 ein Kausalzusammenhang zwischen Nöti- 4 gungshandlung und Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung erforderlich. Die Duldung oder die Vornahme der sexuellen Handlung durch das Opfer muß auf die Nötigung zurückzuführen sein. Es reicht aus, daß eine frühere, nicht der Erzwingung der später vorgenommenen sexuellen Handlungen dienende Nötigung fortwirkt und das Opfer unter dem Eindruck dieses Mittels oder aus Furcht vor Wiederholung keinen Widerstand leistet (vgl. § 177 Rdn. 14). III. Subjektiver Tatbestand. Es ist Vorsatz erforderlich; bedingter Vorsatz genügt 5 (zur sexuellen Handlung: § 184 c Rdn. 19). Zur inneren Tatseite gehört insbesondere, daß der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, daß der Widerstand des Opfers durch die Nötigung gebrochen oder verhindert werden soll (vgl. BGH EzSt. Nr. 5 zu §178; vgl. im einzelnen § 177 Rdn. 15). IV. Versuch und Vollendung. Vollendet ist die Tat mit der Vollendung der sexuel- 6 len Handlung, auch wenn die ausgeführte sexuelle Handlung nicht oder nicht vollständig der ursprünglichen Vorstellung des Täters entspricht (BGH Urteil vom 14. Dezember 1990 — 3 StR 283/90). Kommt es auf Initiative des Opfers zu einer anderen als der vom Täter beabsichtigten Handlung, kann Versuch vorliegen (BGH bei 6

7

BGH StGB § 178 Abs. I sexuelle Handlung 5; vgl. § 184c Rdn. 16. BGH Urteil vom 15. Dezember 1976 - 2 StR

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622/76 — ; vgl. auch Beschlußvom 19. September 1978 - 5 S t R 5 1 4 / 7 8

Heinrich Laufhütte

§

1 7 8

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

Miebach NStZ 1992 227 Nr. 59). Der Versuch beginnt mit der Nötigung (vgl. im einzelnen § 177 Rdn. 16). Der Versuch kann vorliegen, wenn ein überraschender Gewaltakt, der zugleich sexuelle Handlung ist und deshalb den Tatbestand des § 178 nicht erfüllt (vgl. Rdn. 2), nach der Vorstellung des Täters Mittel zu weiteren sexuellen Handlungen sein sollte, die aber dann nicht vorgenommen werden. Die Nötigung zu geschlechtsbezogenen Handlungen, die noch nicht erheblich im Sinne des § 184 c Nr. 1 oder die nach § 178 deswegen nicht tatbestandsmäßig sind, weil Körperkontakt fehlt, kann der Versuch zu weiteren tatbestandsmäßigen Handlungen sein. Rücktritt vom Versuch der sexuellen Nötigung ist nicht möglich, wenn der Täter den bereits vor Beendigung des Versuchs gefaßten Entschluß, das Opfer im Fortgang des Tatgeschehens zu vergewaltigen, nicht aufgibt (BGHSt. 33 142 mit Anmerkung Streng NStZ 1985 359); die versuchte sexuelle Nötigung steht aber in Gesetzeskonkurrenz zu der Vergewaltigung. Tritt der Angeklagte freiwillig vom Versuch der sexuellen Nötigung zurück, entfällt auch die Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung (BGH NStE Nr. 1 zu § 178). 7

V. Täterschaft und Teilnahme. Wie § 177 (siehe dort) setzt § 178 nicht voraus, daß der Nötigende selbst sexuelle Kontakte mit dem Opfer hat. Täter ist auch, wer das Opfer dazu nötigt, die sexuellen Handlungen mit einem Dritten vorzunehmen. Derjenige, der nicht nötigt, aber die sexuelle Handlung an dem Opfer vornimmt oder von diesem an sich vornehmen läßt, ist Täter, wenn die Nötigung seinem Interesse dient und er dies in bewußter und gewollter Übereinstimmung mit dem Täter ausnutzt (BGHR StGB § 178 Abs. 1 Mittäter 1 ; vgl. dazu § 177 Rdn. 17). Nicht nach § 178 macht sich indes strafbar, wer die von einem anderen geschaffene, nicht seinem Interesse dienende Nötigungslage, ohne selbst — auch nicht konkludent — zu nötigen, nur ausnutzt 8 (BGH GA 1977 144; BGH NStZ 1985 70 0 ; er kann sich nach § 179 strafbar machen. Gehilfe ist, wer, ohne selbst einen der Akte des § 178 (Nötigung, sexuelle Handlung) vorzunehmen (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 Mittäter 1), irgendwie den Täter in seinem Interesse unterstützt.

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VI. Strafzumessung. Die Tat ist Verbrechen. Die Strafdrohung der Absätze 1 und 2 ist teilweise geringer als die in § 177 angedrohte Strafe. Absatz 3 entspricht § 177 Abs. 3. Es gelten die dort dargelegten Grundsätze.

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VII. Konkurrenzen. Es wird auf § 177 verwiesen. Tritt der Täter vom Versuch der Vergewaltigung freiwillig zurück, so ist er nach § 178 zu bestrafen, wenn die von ihm vollendeten Handlungen sexuelle im Sinne des § 184 c sind 9 . Praktisch wird dies in Fällen, in denen der Täter sexuelle Handlungen vorgenommen hat, die den Geschlechtsverkehr vorbereiten sollten (die also im Falle der Vollendung des § 177 nicht zur Bestrafung nach § 178 führen). Wahlfeststellung zwischen § 177 und § 178 ist nicht möglich (BGHSt. 11 100). Steht also Geschlechtsverkehr nicht fest, so kann nach § 178 verurteilt werden, wenn dieser Tatbestand erfüllt ist. Handelt der Täter zunächst nur mit dem Vorsatz des § 178, mißbraucht er dann das Opfer nach Eintritt der Widerstandsunfähigkeit zum Beischlaf, besteht Tateinheit zwischen §§ 178 und 179 Abs. 2 (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9, aA Horn SK Rdn. 18: Tatmehrheit). Werden dem Opfer durch die sexuelle Handlung Schmerzen zugefügt, kann Tateinheit mit § 223 vorliegen (BGH EzSt Nr. 5 zu § 178). 8

J e d o c h liegt Täterschaft vor, wenn die N ö t i g u n g dem Interesse des Dritten diente ( B G H N S t Z 1985 71).

9

B G H S t . 7 296, 300: B G H R StGB § 178 K o n k u r renzen 2; O L G Düsseldorf N J W 1 9 8 3 767 f.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§ 179

VIII. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit 10 des Rechts der DDR siehe § 174 Rdn. 24. In der DDR war die sexuelle Nötigung durch den § 12210 unter Strafe gestellt, der — mit derselben Strafdrohung — auch den Mißbrauch eines aus psychischen oder physischen Gründen wehrlosen Menschen zu sexuellen Handlungen erfaßte, soweit nicht mit einer widerstandsunfähigen Frau der Beischlaf ausgeübt wurde (vgl. § 177 Rdn. 23). Als Nötigungsmittel reichte im Unterschied zum bundesdeutschen Recht die Drohung mit einem schweren Nachteil, das heißt einem Nachteil von solcher Intensität, daß er geeignet war, die Willensbildung des Bedrohten nachhaltig zu beeinflussen. Darüber hinaus waren aber auch das Ausnutzen einer Notlage oder der Mißbrauch einer gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion oder Tätigkeit zur Duldung oder zur Vornahme sexueller Handlungen als Nötigungshandlungen erfaßt. Der Begriff der sexuellen Handlung umfaßte nach der Kommentierung auch die Selbstbefriedigung, die sexuelle Betätigung mit Tieren und das Entblößen des eigenen Geschlechtsteils oder das einer anderen Person 11 . Danach waren, anders als nach § 178 StGB, die Nötigung des Opfers zu sexuellen Handlungen am eigenen Körper oder an Tieren oder das Entkleiden des Opfers zum Zwecke der Erregung oder Befriedigung der Geschlechtslust nach § 122 StGB-DDR strafbar. Die Strafdrohung des Normalstrafrahmens des § 122 Abs. 1 StGB-DDR war noch milder als der Strafrahmen des § 178 Abs. 2 für minder schwere Fälle und auch milder als der des § 179 Abs. 1. Die Strafdrohung für die in Absatz 3 aufgeführten schweren Fälle und die des Absatzes 4 für die fahrlässige Verursachung des Todes des Opfers entsprachen denen des § 178 Abs. 1 und 3 StGB.

§ 179 Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger (1) Wer einen anderen, der 1. wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zum Widerstand unfähig ist oder 2. körperlich widerstandsunfähig ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit außereheliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von dem Opfer vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 10

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§ 122 S t G B - D D R i d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14. 12. 1988 (GBl. 1 1989 34, 56) lautet: ,,(i) Wer einen Menschen mit Gewalt oder durch D r o h u n g mit einem schweren Nachteil o d e r durch A u s n u t z u n g einer Notlage oder M i ß b r a u c h seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion o d e r Tätigkeit zur D u l d u n g oder V o r n a h m e sexueller H a n d l u n g e n zwingt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n oder mit Verurteilung auf B e w ä h r u n g bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer einen wehrlosen oder geisteskranken Menschen zu sexuellen H a n d l u n g e n mißbraucht. (3) In schweren Fällen wird der Täter mit Freiheitsstrafe von einem J a h r bis zu zehn J a h r e n bestraft. Ein schwerer Fall liegt vor, w e n n 1. die N ö t i g u n g oder der M i ß b r a u c h zu sexuellen H a n d l u n g e n von

mehreren Tätern gemeinschaftlich oder an einem Menschen unter sechzehn J a h r e n begangen wird; 2. durch die N ö t i g u n g oder den M i ß b r a u c h zu sexuellen H a n d l u n g e n eine schwere Körperverletzung fahrlässig verursacht wird; 3. d e r Täter m e h r f a c h eine Straftat nach den §§ 121 oder 122 begangen hat oder bereits wegen einer solchen Straftat bestraft ist. (4) W e r d u r c h die Tat den T o d des O p f e r s fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter f ü n f J a h r e n bestraft. (5) Der Versuch ist s t r a f b a r . " " Strafrecht d e r D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987 S. 316; vgl. auch Biebl/ Holtzbecher/Schröder NJ 1972 322; Schlegel/ Amboss/MichalskiN} 1985 401.

Heinrich Laufhütte

§ 179

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

(2) Wird die Tat durch Mißbrauch einer Frau zum außerehelichen Beischlaf begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Schrifttum Arbab-Zadeh Schuldfähigkeit und Strafzumessung bei drogenabhängigen Delinquenten, NJW 1978 2326; Bauer/Thoss Die Schuldunfähigkeit des Straftäters als interdisziplinäres Problem, NJW 1983 305; Binder Die Geisteskrankheit im Recht (1952); de Boor Über forensisch bedeutsame Vorentscheidungen, Beiträge zur gerichtlichen Medizin (1962); Bresser Probleme bei der Schuldfähigkeit und Schuldbeurteilung, NJW 1978 1188 ; Bresser Forensische Psychiatrie und die Zweispurigkeit in unserem Kriminalrecht, NJW 1979 1922; Cabanis Beitrag zur Frage der Beeinflussung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit durch organische Ursachen, MschrKrim. 1962 19; Bockelmann, Willensfreiheit und Zurechnungsfähigkeit, ZStW 75 (1963) 372; Bockelmann Zur Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlich rechtswidrigen Taten, Gallas — Festschrift 261; Ehrhardt Die Schuldfähigkeit in psychiatrisch-psychologischer Sicht, Schuldverantwortung, Strafe (1964); Haddenbrock Die juristisch psychiatrische Kompetenzgrenze bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, ZStW 75 (1963) 460; Haddenbrock Strafrechtliche Handlungsfähigkeit und Schuldfähigkeit (Verantwortlichkeit) in: Göppinger/Witter Handbuch der forensischen Psychiatrie (1972) 966; Haddenbrock Forensische Psychiatrie und Zweispurigkeit unseres Kriminalrechts, NJW 1979 1235; Hanack Die Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, NJW 1974 1, 3; Herzberg Täterschaft und Teilnahme (1977); Herzberg Grundfälle zur Lehre von Täterschaft und Teilnahme, JuS 1975 171 ; Herzberg/Schlehofer Anm. zu BGHSt. 32 183, JZ 1984 481; Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts: eine geglückte Reform? JR 1974 45; Kreuzer Drogendelinquenten zwischen Therapie und Strafjustiz, NJW 1979 1241; Petersohn Das Hypnoseverbrechen. Eine Betrachtung zur Frage der Widerstandsunfähigkeit im Sinne des § 179 StGB, ZRechtsmed. 1985 75; Rasch Die Zuordnung der psychiatrisch-psychologischen Diagnosen zu den vier psychischen Merkmalen der §§ 20, 21 StGB, StV 1984 264; Rasch Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 126; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft (1975); Saß Die „tiefgreifende Bewußtseinsstörung" gemäß den §§ 20, 21 StGB, eine problematische Kategorie aus forensisch-psychiatrischer Sicht, Forensia 1983 3; Saß Ein psychopathologisches Referenzsystem für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, Forensia 1985 33; Schall Auslegungsfragen des § 179 StGB und das Problem der eigenhändigen Delikte, JuS 1979 104; Schöneborn Kombiniertes Teilnahme- und Einheitstätersystem für das Strafrecht, ZStW 87 (1975) 902; Sturm Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts, JZ 1974 1 ; Wegener Seelische Abartigkeit (§ 20 Strafgesetzbuch), KJ 1989 316; von Winterfeld Die Bewußtseinsstörungen im Strafrecht, NJW 1975 2229; Witter Die Bedeutung des psychiatrischen Krankheitsbegriffs für das Strafrecht, Lange-Festschrift, 723; Witter Grundriß der gerichtlichen Psychologie und Psychiatrie (1970); Witter in: Göppinger-Witter Handbuch der forensischen Psychiatrie (1972) Bd. II 1008 ff ; Witter/Rösler Zur Begriffsbestimmung und rechtlichen Beurteilung sogenannter Neurosen, Forensia 1985 1 ; vgl. außerdem die Nachweise bei den §§ 20 und 21. Entstehungsgeschichte V o r l ä u f e r i n d e r Vorschrift ist § 176 Abs. 1 N r . 2 S t G B a. F. D o r t w a r mit S t r a f e bed r o h t , wer eine in e i n e m willenlosen o d e r b e w u ß t l o s e n Z u s t a n d b e f i n d l i c h e o d e r eine geisteskranke F r a u z u m a u ß e r e h e l i c h e n Beischlaf m i ß b r a u c h t e . D e r Bericht des S o n d e r a u s s c h u s s e s f ü r die S t r a f r e c h t s r e f o r m ( B T D r u c k s . V I / 3 5 2 1 S. 40) n e n n t als Vorg ä n g e r i n a u ß e r d e m § 177 Abs. 1, 2. Alternative S t G B a. F. (vgl. auch B G H S t . 30 144, 145). Ein Teil d e r Fälle, die u n t e r diese V o r s c h r i f t zu s u b s u m i e r e n w a r e n , sind j e d o c h n a c h § 177 n . F . s t r a f b a r (vgl. Wilts Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1602). I m R a h m e n der B e s t r e b u n g e n , d a s S e x u a l s t r a f r e c h t zu r e f o r m i e r e n , ist d i e N o t wendigkeit d e r P ö n a l i s i e r u n g d e s j e n i g e n , der w i d e r s t a n d s u n f ä h i g e F r a u e n mißStand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§ 179

braucht, nicht in Zweifel gezogen worden. Streitig war allerdings die tatbestandliche Abgrenzung. Der E 1962 wollte in § 207 den Strafrechtsschutz auch auf Frauen erstrecken, die „hochgradig schwachsinnig" oder zum Widerstand körperlich unfähig sind. Im Sinne des § 207 widerstandsunfähige Frauen sowie Männer sollten in § 208 auch gegen den Mißbrauch zur Unzucht geschützt werden. Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches (Bes. Teil, Sexualdelikte) erkannte die Notwendigkeit an, widerstandsunfähige Frauen nicht nur vor Mißbrauch zum Beischlaf, sondern auch vor dem Mißbrauch zu anderen schwerwiegenden sexuellen Handlungen mit körperlicher Berührung zu schützen. Er hielt es ferner mit dem E 1962 für erforderlich, auch widerstandsunfähigen Männern vor heterosexuellen und homosexuellen Handlungen Schutz zu gewähren. Der Entwurf verzichtete jedoch darauf, den Kreis der geschützten Personen durch eine perfektionistische Aufzählung abzugrenzen. Die tatbestandliche Umschreibung, „wer an einem Bewußtlosen oder sonst Widerstandsunfähigen außereheliche Handlungen von einiger Erheblichkeit vornimmt", sollte dem Richter im Einzelfall die Prüfung ermöglichen, ob die für die Strafbarkeit entscheidende Situation vorliegt: eine Willenlosigkeit des Opfers, die es unfähig macht, aus eigenem und freiem Willensentschluß Sexualbeziehungen einzugehen (zu § Β 3 des Entwurfs). Der Alternativentwurf sah die Gefahr, daß die Verwendung der Merkmale „geisteskrank" und „hochgradig schwachsinnig" zu einer Ausuferung des Tatbestandes führen könnte, nämlich zur Strafbarkeit von Sexualbeziehungen mit einer schizophrenen Frau außerhalb akuter Schübe oder mit hochgradig Schwachsinnigen, die zu einem eigenen freien Willensentschluß im Hinblick auf sexuelle Beziehungen fähig sind. Bedenken wurden auch gegen das Merkmal „zum Widerstand körperlich unfähig" erhoben. Hanack wies in seinem Gutachten zum 47. Deutschen Juristentag (Rdn. 110) d a r a u f h i n , daß dieses Merkmal die Fälle einer „Lähmung" durch Schock, Alkoholkonsum oder Müdigkeit und die des „Erdrücktfühlens" von der Wirkung oder der Persönlichkeit eines Mannes erfassen könnte. Der Regierungsentwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BTDrucks. VI/1552) folgte trotz dieser Kritik im wesentlichen (die im E 1962 in zwei Vorschriften umschriebenen Tatbestände sollten beide in § 179 erfaßt werden) dem Vorschlag des E 1962. Er sah die Bedenken gegen die Merkmale, durch die der Kreis der geschützten Personen umschrieben werden sollte (geisteskrank, hochgradig schwachsinnig, bewußtlos, willenlos oder zum Widerstand körperlich unfähig), meinte aber, alle anderen bisher vorgeschlagenen Formulierungen seien konturenlos und kaum geeignet, den geschützten Personenkreis präzise abzugrenzen ( L a u f h ü t t e Prot, 6. Wahlperiode S. 1617). Während der Gesetzesberatungen durch den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform machte das Bundesministerium der Justiz — nach Anhörung eines Psychiaters ( L a u f h ü t t e Prot. S. 1629) — dann den Vorschlag, der später Gesetz geworden ist. Das Gesetz verzichtet auf die Merkmale „geisteskrank und bewußtlos" und bezeichnet auch nicht mehr einen Grad (hochgradig) des Schwachsinns. Es setzt Widerstandsunfähigkeit voraus, und zwar — abgesehen von der körperlichen Widerstandsunfähigkeit (die Bedenken Hanacks gegen diesen Begriff wurden im Gesetzgebungsverfahren nicht geteilt [Prot. S. 1617]) — aus den Gründen, die zur Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen führen können (§ 20). Die Übernahme der Merkmale des § 20 ist auf Kritik gestoßen, weil es bei der Schuldunfähigkeit und der Schändung um ganz verschiedene Probleme gehe und die Auslegung deshalb für beide Bereiche nicht identisch sein könne (Hanack NJW 1974 1, 3). Dies trifft zu. Eine unterschiedliche Interpretation ist wegen der verschiedenartigen Folgen (einerseits Schuld(95)

Heinrich Laufhütte

§ 179

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Unfähigkeit, andererseits Widerstandsunfähigkeit) aber durchaus möglich ( S c h / Schröder/Lenckner Rdn. 5), z.B. bei Bewußtlosigkeit oder Schlaf (BGHSt. 38 68; BGH bei Holtz M DR 1983 280), die zwar tiefgreifende Bewußtseinsstörungen im Sinne des § 179, nicht aber im Sinne des § 20 darstellen. § 179 verzichtet darauf, die Vornahme ehelicher sexueller Handlungen unter Strafe zu stellen. Die „Einbeziehung des ehelichen Bereichs" erschien dem Gesetzgeber noch problematischer als im Rahmen der §§ 177, 178 (BTDrucks. VI/3521 S. 41). Diese Erwägung ist richtig. Die Frage, ob etwa die wegen Krankheit widerstandsunfähige Frau unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuell mißbraucht worden ist, würde kaum zu überwindende Beweisschwierigkeiten aufwerfen. Die Regelung des Gesetzes, die solche Beweisschwierigkeiten von vornherein vermeidet, ist deshalb vertretbar, wenn sie auch zu Strafbarkeitslücken führt: während die Vergewaltigung und die sexuelle Nötigung der Ehefrau zwar nicht nach den §§ 177, 178, immerhin aber nach § 240 strafbar ist, fehlt für die Tathandlungen des § 179 regelmäßig eine als Auffangtatbestand in Frage kommende Strafvorschrift (abgesehen von der tätlichen Beleidigung).

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. T a t h a n d l u n g e n I. Absatz 1 a) M i ß b r a u c h W i d e r s t a n d s u n f ä h i ger zu außerehelichen sexuellen Handlungen b) W i d e r s t a n d s u n f ä h i g k e i t des Opfers aa) W i d e r s t a n d s u n f ä h i g k e i t aus psychischen G r ü n d e n (Absatz 1 Nr. 1) bb) Beruhen der W i d e r s t a n d s u n fähigkeit auf einer psychischen Störung cc) W i d e r s t a n d s u n f ä h i g k e i t aus physischen G r ü n d e n (Absatz 1 Nr. 2)

1

Rdn. 1 2 2

Rdn.

2 3

3

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9

III. IV. V. VI. VII. VIII.

c) M i ß b r a u c h unter A u s n u t z u n g der Widerstandsunfähigkeit . . . aa) A u s n u t z u n g der Widerstandsunfähigkeit bb) H e r b e i f ü h r e n der Widerstandsunfähigkeit cc) Einwilligung des O p f e r s . . . dd) NichtVorliegen einer defektfreien Einwilligung des O p fers ee) M i ß b r a u c h 2. Absatz 2 Subjektiver T a t b e s t a n d Täter u n d Teilnehmer Versuch u n d Vollendung Strafzumessung Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

10 10 II 12

13 14 15 16 17 18 19 20 21

I. Geschütztes Rechtsgut. § 179 dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung'. Die Vorschrift schützt denjenigen, der aus den in § 179 Abs. I Nrn. I und 2 bezeichneten Gründen nicht in der Lage ist, eine sexuelle Bindung frei einzugehen oder sich den sexuellen Wünschen eines anderen zu widersetzen (BGHSt. 30 144, 146; 32 183, 185). Die Vorschrift wäre problematisch, wenn sie im Ergebnis zu dem Verbot führen würde, zu bestimmten Personen sexuellen Kontakt aufzunehmen. Eine solche Auslegung wird allerdings durch eine einschränkende Interpretation, die durch die Merkmale „unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit" und durch das Mißbrauchskriterium ermöglicht wird, vermieden (vgl. Schall JuS 1979 104, 105). 1

K G N J W 1977 817, e i n s c h r ä n k e n d der/Lenckner R d n . 1, Horn SK R d n . I.

Sch/Schrö-

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§

1 7 9

II. Tathandlungen 1. Absatz 1 a) Die Vorschrift stellt denjenigen unter Strafe, der Widerstandsunfähige zu außer- 2 ehelichen sexuellen Handlungen mißbraucht. Der Täter kann — wie das Opfer — männlichen oder weiblichen Geschlechts sein. Erfaßt sind alle sexuellen Handlungen mit Körperkontakt (§ 184 c Rdn. 14, 17, 22), ausgenommen ist der Beischlaf mit einer widerstandsunfähigen Frau (nicht der Beischlaf des weiblichen Täters mit einem widerstandsunfähigen Mann). Der Mißbrauch einer Frau zum außerehelichen Beischlaf ist in Abs. 2 — mit höherer Strafdrohung — pönalisiert. Sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt sind vom Tatbestand nicht erfaßt. b) Der Tatbestand setzt Widerstandsunfähigkeit des Opfers voraus. Die Wider- 3 standsunfähigkeit kann auf psychischen (Absatz 1 Nr. 1) oder auf physischen Gründen (Absatz 1 Nr. 2) beruhen. aa) Die Voraussetzungen, die für die Widerstandsunfähigkeit aus psychischen Gründen gegeben sein müssen, umschreibt das Gesetz mit den Merkmalen, die nach den §§ 20, 21 als Voraussetzungen für eine Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit in Frage kommen. Bei diesen Merkmalen handelt es sich um Rechtsbegriffe. Es erweckt falsche Vorstellungen, wenn sie, wie es vielfach geschieht, generell als „biologische Voraussetzungen" bezeichnet werden (dazu im einzelnen Rasch StV 1984 264, 265, 268). Bei der krankhaften seelischen Störung handelt es sich um angeborene oder erwor- 4 bene, vorübergehende oder dauernde somatisch-pathologisch bedingte Anomalien, gleichgültig, ob sich diese auf intellektuellem oder emotionalem Gebiet auswirken. Dazu gehören die körperlich nachweisbaren Krankheitsvorgänge (organische Geisteskrankheiten) und andere Veränderungen der seelischen Funktion, bei denen organische Bedingtheit anzunehmen ist (endogene Geisteskrankheiten; kritisch Bauer/Thoss NJW 1983 305, 308), sowie die zu krankhaften Veränderungen führenden Störungen (auch solche, die auf einem — in den Beratungen des Sonderausschusses angesprochenen — „Liebestrank" beruhen [vgl. Prot., 6. Wahlperiode S. 1618, 1630]). Bewußtseinsstörungen sind Trübungen oder teilweise Ausschaltungen des Bewußt- 5 seins, die nicht pathologisch bedingt sind, also keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (BGH NStZ 1983 280; kritisch Saß Forensia 1983 3). Als Ursachen kommen in Frage: Schlaf (BGHSt, 38 68, 70 f = NStZ 1992 178 mit Anmerkung Molketin·, BGH bei Holtz M D R 1983 280), Bewußtlosigkeit (vgl. BGHSt. 25 237), Erschöpfungszustände, die etwa auf fehlendem Schlaf oder mangelnder Nahrungszufuhr, auf Blutverlust oder auf starken Belastungen während eines Geburtsvorganges beruhen können (BGH NStZ 1983 280), oder auch auf vorangegangenen Vergewaltigungen durch Dritte 2 oder Angst (BGH Urteil vom 10. Februar 1993 — 3 StR 443/92 — ), darüber hinaus Dämmerzustände ohne krankhafte Ursache, beispielsweise infolge Hypnose (aA Petersohn ZRechtsmed. 1985 75, 82 f) oder Schock (BGHSt. 36 145, 147; Arbab-Zadeh NJW 1978 2326, 2327), sowie Affekte (BGH StV 1984 241), die bei § 179 allerdings kaum eine Rolle spielen dürften. Der Rausch infolge Alkoholgenusses 3 ist nicht den Bewußtseinsstörungen zuzuordnen. Er ist vielmehr wegen 2

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B G H G A 1977 145, B G H N S t Z 1985 70, 71 ; B G H N J W 1986 77 mit A n m e r k u n g Keller J R 1986 343 ; kritisch Sch/Schröder/Lenckner R d n . 4, Horn SK R d n . 3 u n d Maurach/Schroeder/Maiwald BT

3

T e i l b a n d 1 § 18 R d n . 29, die in diesen Fällen Absatz 1 Nr. 2 bejahen. Dazu BGHSt. 37 231 ; B G H N J W 1984 1631.

Heinrich Laufhütte

§ 179

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

der mit ihm verbundenen toxischen Beeinträchtigung der Hirntätigkeit eine krankhafte seelische Störung 4 . Entsprechendes gilt für die Bewußtlosigkeit infolge Narkose. Drogenbedingte Bewußtseinsstörungen (vgl. Arbab-Zadeh NJW 1978 2326; Kreuzer NJW 1979 1241) sind, wenn sie auf die toxische Wirkung der Drogen zurückzuführen sind (Überdosierung), krankhafte seelische Störungen. Anders kann es bei den entzugsbedingten Bewußtseinsstörungen oder Zustandsbildern (flash-back) liegen, wenn sie unabhängig vom pathophysiologischen Stoffwechsel der Droge im Organismus auftreten. Bewußtseinsstörungen stehen den krankhaften seelischen Störungen nur gleich, wenn sie tiefgreifend sind. Das bedeutet, daß sie das Gewicht einer krankhaften seelischen Störung haben müssen (BGH NStZ 1983 280). Der häufig verwandte Begriff „Krankheitswert" ist bedenklich (BGH bei Holtz M D R 1979 105 zum Begriff schwere andere seelische Abartigkeit), weil er den Eindruck erwekken kann, die Bewußtseinsstörung müsse krankhaft sein, was nicht zutrifft (Bauer/ Thoss NJW 1983 305). 6

Der Schwachsinn ist eine Störung der seelischen Entwicklung, die sich auf den Intellekt auswirkt. Der E 1962 (S. 140) verstand darunter nur die angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursachen. Er schied damit als regelmäßig dem Begriff krankhafte seelische Störung zugehörig aus: Den Schwachsinn als Folge intrauteriner, geburtstraumatischer oder frühkindlicher Hirnschädigung sowie die Intelligenzdefekte, die im Sinne einer organischen Demenz Folge eines hirnorganischen Krankheitsprozesses sind (so auch Dreher/Tröndle § 20 Rdn. 11 ; Sch/Schröder/ Lenckner § 20 Rdn. 18). Demgegenüber sind auch die Fälle der Schwächung des Urteilsvermögens als Folge von Intelligenzmängeln einzubeziehen, für die Vorgänge nach der Geburt ursächlich sind. Denn es ist angezeigt, auch Abbauerscheinungen zu erfassen, bei denen sich krankhafte Vorgänge nicht oder nur schwer nachweisen lassen, wie beispielsweise beim Senilismus, dessen Vorliegen oft schwer feststellbar ist5.

7

Schwere andere seelische Abartigkeiten (dazu Wegener KJ 1989 316; Rasch StV 1991 126) sind Veränderungen der Persönlichkeit (vgl. BGHSt. 14 30, 32), die nicht pathologisch bedingt sind, also keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (BGH Urteil vom 13. Mai 1983 - 3 StR 22/83 (S), insoweit in StV 1983 360 nicht abgedruckt). In Frage kommen psychopathische und neurotische Vorgänge, Triebstörungen und Reifestörungen (BGH Urteil vom 18. Dezember 1979 - 5 StR 702/79). Fraglich ist, welche Bedeutung solche Vorgänge bei § 179 haben können (kritisch Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5). Bei den Gesetzesberatungen ist die Nymphomanie (Prot., 6. Wahlperiode S. 1631; BTDrucks. VI/3521 S. 41, 42; ablehnend Lenckner aaO) genannt worden. Die Nymphomanie wird aber kaum zu Widerstandsunfähigkeit führen, ebensowenig eine „pubertäre Religionshinwendung" (BGH NStZ 1986 215, insoweit in BGHSt. 33 340 nicht abgedruckt). Nicht von vornherein auszuschließen sind Fälle hochgradiger Abhängigkeit einer Person von einer anderen (vgl. BGH Urteil vom 13. Mai 1983 — 3 StR 22/83 (S): dort hatte es eine Sachverständige für möglich gehalten, daß die Abhängigkeit zu einem „sehr exzeptionellen Zustand" geführt habe, der in der Gewichtigkeit vergleichbar mit der psychischen Belastung sei, die ein Affekt für einen Affekttäter mit sich bringe; kritisch auch insoweit Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5). 4

Vgl. Dreher/Tröndle § 20 R d n . 9; Sch/Schröder/ Lenckner § 20 R d n . 13; Saß Forensia 1983 3, 4, 10; offengelassen in B G H StV 1982 69 unter Hinweis auf Lackner § 20 R d n . 4, der von einem Sich-

5

Ü b e r s c h n e i d e n der von beiden Begriffen e r f a ß t e n Vorgänge ausgeht. B G H N J W 1964 2213; B G H N S t Z 1983 34; 1993 332.

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§ 179

Voraussetzung ist, d a ß die Persönlichkeitsveränderung als „schwere" seelische Abartigkeit zu bezeichnen ist. Schwer ist nur ein solcher Zustand, der in seinem Gewicht den k r a n k h a f t e n seelischen Störungen gleichkommt ( B G H bei Holtz M D R 1979, 105; B G H Urteil vom 13. Mai 1983 - 3 StR 2 2 / 8 3 [S]>. Möglich ist, d a ß schwere neurotische Entwicklungen im Z u s a m m e n w i r k e n mit Alkoholbeeinflussung zu einem Zustand f ü h r e n , der als schwere seelische Abartigkeit zu bezeichnen ist ( B G H N J W 1984 1631). Das häufig verwendete Merkmal Krankheitswert ( B G H N J W 1983 350) oder k r a n k h a f t ( B G H N J W 1982 2009) ist auch hier (Rdn. 5) unscharf, weil es den Eindruck vermitteln k a n n , d a ß es sich bei den genannten Abartigkeiten um Krankheiten handeln m u ß (Bresser N J W 1978 1188, 1190 „pathologische Züge"), was nicht der Fall ist ( B a u e r / T h o s s N J W 1983 305). bb) § 179 Abs. 1 Nr. 1 setzt voraus, d a ß einer der dort genannten G r ü n d e zur Wi- 8 derstandsunfähigkeit führt. Die Widerstandsunfähigkeit m u ß auf einer der Störungen beruhen. Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit ist — abgesehen von den Fällen, in denen eine Willensbildung des Opfers ü b e r h a u p t nicht möglich ist, also etwa in Fällen völliger Bewußtlosigkeit — ebenso schwierig wie die Feststellung, ob Schuldunfähigkeit gegeben ist. Maßgeblich ist der akute seelische Zustand des Opfers zur Zeit der Tat (BTDrucks. VI/3521 S. 41). Die schizophrene Frau ist d e m n a c h a u ß e r h a l b akuter Schübe nicht widerstandsunfähig. Z u m Widerstand unfähig ist eine Person, wenn sie infolge einer der genannten Störungen einen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen nicht bilden, äußern oder betätigen kann 6 . Die vom Bundesgerichtshof zu § 176 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. vertretene Auffassung (BGHSt. 2 58, 59), die geschützte Frau müsse derartig beeinträchtigt sein, d a ß ihr die Erkenntnis abgehe, der ihr a n g e s o n n e n e Beischlaf sei unzüchtig, k n ü p f t nach neuem Recht an ein u n b r a u c h b a r e s Kriterium an. D e n n es k o m m t nur auf die Fähigkeit an, einem sexuellen Ansinnen zu widerstehen. Unerheblich ist, ob das O p f e r , wäre es zum Widerstand fähig gewesen, vermutlich Widerstand geleistet hätte ( H o r n SK Rdn. 4; aA Dreher/Tröndle Rdn. 5). Auch die widerstandsunfähige Person, die in widerstandsfähigem Zustand vermutlich — oder eingestandenermaßen — bereit gewesen wäre, mit dem Täter geschlechtlich zu verkehren, hat im Zeitpunkt der Tat dem sexuellen Akt nicht — jedenfalls nicht defektfrei — zugestimmt u n d ist deshalb in ihrer sexuellen Selbstbestimmung betroffen. Für die Frage der Widerstandsunfähigkeit k o m m t es auch nicht darauf an, ob das sexuelle Ansinnen durch U m s t ä n d e gekennzeichnet ist, denen ein geistig G e s u n d e r nicht zugestimmt hätte (so aber Sch/Schröder/Lenckner R d n . 6). Stimmt das O p f e r dem — möglicherweise perversen — sexuellen Akt mängelfrei zu, so scheidet § 179 aus. Allerdings k a n n die Tatsache, d a ß das O p f e r H a n d l u n g e n unter menschlich entwürdigenden U m s t ä n d e n hinnimmt, Indiz f ü r die Widerstandsunfähigkeit sein. cc) In Absatz 1 Nr. 2 erfaßt das Gesetz auch die Fälle der körperlichen Wider- 9 standsunfähigkeit. Das frühere Recht hat diese Fälle in erweiternder Auslegung als Unterfälle der Willenlosigkeit angesehen (vgl. BGHSt. 30 144, 145; E 1962 S. 364; BTDrucks. VI/3521 S. 40). Diese Interpretation ist höchst zweifelhaft, weil körperlich widerstandsunfähige Personen durchaus einen dem sexuellen Ansinnen entgegenstehenden Willen entwickeln, ihn wegen ihres Zustandes aber nicht realisieren k ö n n e n . Das neue Recht trägt dem R e c h n u n g u n d schützt Personen weiblichen u n d männlichen Geschlechts, die wegen körperlicher Gebrechen (etwa Lähmung), Er6

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BGHSt. 32 183, 185; BGH NStZ 1981 139; LG Mainz M D R 1984 773; vgl. auch Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 6 a. E. Heinrich Laufhütte

§

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

schöpfung (BGH NStZ 1985 70, 71) oder äußerer Einwirkung (etwa Fesselung 7 ) einen entgegenstehenden Willen nicht entwickeln oder (was in diesen Fällen die Regel ist) einen vorhandenen Abwehrwillen nicht realisieren können (BGH NJW 1983 636 mit Anmerkung Geerds JR 1983 254). Dabei kommt es, soweit es um die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit geht, nur auf die mangelnde Abwehrfähigkeit an, nicht darauf, ob Abwehr geleistet worden wäre, wenn das Opfer dazu fähig gewesen wäre oder ob eine Abwehr, wenn sie möglich gewesen wäre, hätte erfolgreich sein können. Widerstandsunfähig ist nicht das Opfer, dem Widerstand möglich ist, das diesen aber für aussichtslos hält. Denn die in § 179 Abs. 1 Nr. 2 gemeinte Unfähigkeit bezieht sich nicht auf den Widerstand gegen etwaige Gewaltakte, sondern gegen das sexuelle Ansinnen als solches (BGH aaO). Unanwendbar ist die Vorschrift auf Kinder, wenn deren mangelnde Abwehrfähigkeit nicht auf körperlichen Gebrechen oder äußerer Einwirkung, sondern allein auf ihrer noch nicht abgeschlossenen körperlichen und geistigen Reife beruht 8 . Hier reicht der Strafrechtsschutz aus § 176 aus. 10

c) § 179 ist nur erfüllt, wenn der Täter das Opfer „unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit" zu außerehelichen sexuellen Handlungen „mißbraucht"9. aa) Das Merkmal der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit ist nicht erfüllt, wenn das Opfer Widerstand leistet und der Täter die sexuellen Handlungen mit den Mitteln des § 178 erzwingt 10 . Wehrt sich die Schwachsinnige (BGH bei Holtz M D R 1980 985) oder die gelähmte Frau, die — wenn auch nur geringe — Möglichkeiten zur Abwehr hat (BGH NJW 1983 636), und bricht der Täter diesen Widerstand mit Gewalt, so ist § 178 (oder § 177) erfüllt. Problematisch sind Grenzfälle, beispielsweise bei vom Intellekt nicht gesteuerten unkontrollierten Abwehrbewegungen einer hochgradig Schwachsinnigen ; hier ist § 178 (§ 177) gegeben, wenn der Täter diesen Widerstand mit Körperkraft — Gewalt — überwindet. Wehrt sich eine gelähmte Frau nicht, weil sie sich ihrer — geringen — Abwehrmöglichkeiten (vgl. BGH NJW 1983 636, 637) nicht bewußt ist, so ist von Widerstandsunfähigkeit, die der Täter ausnutzt, auszugehen. Die Möglichkeit, Widerstand zu leisten, kann das Opfer in solchen Fällen nur wegen des körperlichen Gebrechens, das ihm das Bewußtsein der Widerstandsunfähigkeit vermittelt, nicht realisieren. Anders ist es nach der Rechtsprechung des BGH (aaO) in den Fällen, in denen das Opfer (ihm bewußte) Abwehrmöglichkeiten aus Angst vor dem Täter unterläßt: hier ist, wenn die Angst nicht auf früherer Gewaltanwendung oder ausdrücklicher Drohung beruht, zu prüfen, ob in dem Verhalten des Täters nicht eine konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben liegt (vgl. § 177 Rdn. 9). Ist das nicht der Fall, so kommt eine Strafbarkeit wegen tätlicher Beleidigung in Betracht (BGH aaO) oder wegen Nötigung (BGH NStZ 1981 139, 140).

11

bb) Führt der Täter die Widerstandsunfähigkeit des Opfers herbei, um mit ihm in widerstandsunfähigem Zustand außereheliche sexuelle Handlungen zu begehen, so sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden ( Wilts Prot., 6. Wahlperiode S. 1602). 7

8

Nach der Rechtsprechung können aber selbst gefesselte Frauen durch bestimmte Verhaltensweisen, ζ. B. Schreien oder Wälzen, Widerstand leisten (BGH NJW 1983 636; StV 1984 332). BGHSt. 30 144, 146; 38 68, 70 = NStZ 1992 178 mit Anmerkung Molketin; BGH NStZ 1986 215; insoweit in BGHSt. 33 340 nicht abgedruckt.

« BGH NJW 1986 77, 78; B G H R StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 3; LG Mainz M D R 1984 773. 10 BGH NJW 1983 636; BGH bei Holtz M D R 1980 985; 1991 702.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§ 179

Wird die Widerstandsunfähigkeit gewaltsam (§ 177 Rdn. 5) herbeigeführt, so kommt § 178 (u. U. § 177), nicht § 179 zur Anwendung. Setzt der Täter keine Gewalt ein, weil das Opfer mit der Handlung, die zu seiner Widerstandsunfähigkeit führt (Alkoholgenuß, Narkose), einverstanden ist, so ist § 178 (wie § 177) unanwendbar (BGHSt. 14 81, 82). In solchen Fällen nutzt der Täter die Widerstandsunfähigkeit aus, wenn er an dem dann widerstandsunfähigen Opfer sexuelle Handlungen vornimmt. Problematisch sind die Fälle der Täuschung: Gewalt liegt vor, wenn der Täter das Opfer durch Täuschung veranlaßt, das zur Widerstandsunfähigkeit führende narkotisierende Mittel einzunehmen ( Wilts aaO; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 9). Keine Gewalt liegt vor, wenn das — spätere — Opfer mit der Beibringung des zur Widerstandsunfähigkeit führenden Mittels einverstanden ist (vgl. Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 10). In solchen Fällen nutzt der Täter, wenn er mit dem widerstandsunfähigen Opfer sexuelle Handlungen begeht, die Widerstandsunfähigkeit aus, und zwar selbst dann, wenn das Opfer sich bei klarem Bewußtsein mit solchen Handlungen einverstanden erklärt hat. An der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit fehlt es nur dann, wenn das Opfer in willensfähigem Zustand darin eingewilligt hat, sexuelle Handlungen auch im erwarteten Zustand der Widerstandsunfähigkeit hinzunehmen (BGH bei Daliinger MDR 1958 13). cc) An der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit fehlt es auch in sonstigen Fäl- 12 len der Einwilligung, falls diese defektfrei ist, also nicht gerade auf der Widerstandsunfähigkeit beruht. Einwilligung ist im Falle körperlicher Widerstandsunfähigkeit denkbar aber auch in Fällen des Absatz 1 Nr. 1, beispielsweise bei der Einwilligung der schizophrenen Frau, die außerhalb akuter Schübe für die gesamte Dauer der Liebesbeziehung erteilt ist. dd) Wenn eine defektfreie Einwilligung nicht vorliegt oder — wegen der Wider- 13 standsunfähigkeit — nicht erteilt werden kann, hängt es von den Umständen ab, ob eine Ausnutzung vorliegt. Problematisch sind dabei die Fälle, in denen sexuelle Kontakte zu Geisteskranken oder Schwachsinnigen aufgenommen werden. Eine weite Auslegung der Ausnutzungs- oder Mißbrauchsklausel würde im Ergebnis zu einer sexuellen Isolierung dieser Personen führen, die nicht sinnvoll wäre und vom Gesetz auch nicht gewünscht ist". Das Merkmal der Ausnutzung erfordert deshalb in solchen Fällen stets eine sorgfältige Prüfung. Es kann fehlen bei der Aufnahme und Aufrechterhaltung einer sexuellen Beziehung zu einem Schwachsinnigen, wenn dieser nicht bloßes Objekt sexueller Betätigung (vgl. dazu Schlee Prot., 6. Wahlperiode S. 1621) ist, sondern menschliche Zuneigung erfährt 12 . Ob das Verhältnis zu dem Widerstandsunfähigen ein dauerndes (festes, so aber Dreher/Tröndle Rdn. 8) oder nur ein vorübergehendes ist, spielt dabei keine entscheidende Rolle (Horn SK Rdn. 9), weil auch der einmalige sexuelle Kontakt auf gegenseitiger Zuneigung 13 beruhen kann. Allerdings ist ein „festes Verhältnis" ein Indiz für eine Liebesbeziehung, in der die sexuellen Kontakte regelmäßig nicht unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit vorgenommen werden (BTDrucks. VI/3521 S. 41). Entsprechendes gilt bei einer länger bestehenden persönlichen und sexuellen Bindung, die in der Phase akuter, zur 11

12

13

BGHSt. 32 183, 186; vgl. Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1618; BTDrucks. V I / 3 5 2 1 S.41. Eine Rechtfertigung therapeutisch angezeigter Beziehungen durch Einwilligung des Personenberechtigten sieht das Gesetz nicht vor (vgl. aber Herzberg/Schlehofer J Z 1984 481 ). Voraussetzung d a f ü r ist stets die „ n a t ü r l i c h e " Einwilligung d e r geschützten Person. Fehlt diese,

(101)

hat die geschützte Person ihren a b l e h n e n d e n Willen zum Ausdruck gebracht oder k a n n sie sich (etwa weil sie schläft o d e r wegen der Art d e r Beh i n d e r u n g — vgl. den in BGHSt. 32 183 mitgeteilten Sachverhalt —) gar nicht erklären, so stellt sich das Problem der Einwilligung nicht (siehe a b e r Herzberg/Schlehofer J Z 1984 481,482).

Heinrich Laufhütte

§

1 7 9

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

Widerstandsunfähigkeit führenden Störungen fortgesetzt wird (BTDrucks. aaO). Die Umstände des Sexualkontakts spielen dabei eine weniger entscheidende Rolle, wenn sie bei der Gesamtwürdigung auch nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Hingabe unter entwürdigenden Umständen (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6) kann ein Indiz dafür sein, daß der Widerstandsunfähige als bloßes Sexualobjekt benutzt wird. Ein bei objektiver Betrachtung perverses Verhalten reicht allerdings allein nicht aus, das Merkmal der Ausnutzung zu bejahen, insbesondere dann nicht, wenn es dem sonstigen Sexualverhalten der beiden Partner entspricht (Horn SK Rdn. 10). An dem Merkmal der Ausnutzung wird es schließlich auch dann fehlen, wenn der Wunsch nach Sexualkontakt ausschließlich von dem Widerstandsunfähigen ausgeht und der gesunde Partner sich passiv verhält, die sexuelle Handlung also an sich vornehmen läßt (vgl. aber BGHSt. 2 58,60). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das im Einzelfall schwierig festzustellende Kriterium der Ausnutzung dann erfüllt ist, wenn der Widerstandsunfähige nicht Partner eines auf erwiderter menschlicher Zuneigung beruhenden Sexualaktes ist, sondern lediglich Objekt des Sexualwunsches eines anderen. 14

ee) Das zusätzliche Kriterium des Mißbrauchs ermöglicht — anders als bei der von Horn (SK Rdn. 8) vertretenen Auffassung, der den Begriff der Ausnutzung nur als Hinweis darauf versteht, daß die sexuelle Handlung in Kenntnis der Widerstandsunfähigkeit vorgenommen wird, und deshalb nur dem Mißbrauchskriterium eine besondere selbständige Bedeutung beimißt — eine weitere Eingrenzung des Tatbestandes auf die tatsächlich strafbedürftigen Fälle (BTDrucks. VI/3521 S. 41, LG Mainz M DR 1984 773). Ein Mißbrauch kann fehlen, wenn der Täter den sexuellen Kontakt nicht gesucht hat (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9, Horn SK Rdn. 11) und dem sexuellen Reiz einer Widerstandsunfähigen erliegt, die sich der Geschlechtsbeziehung nicht widersetzt (BGHSt. 32 183, 187). Denkbar sind auch altruistische Fälle, wenn der Täter etwa ausschließlich aus therapeutischen Gründen handelt (Schroeder Das neue Sexualstrafrecht [1975] S. 33) oder wenn sich eine durch das Gefühl psychischer Verwandtschaft, Zuneigung und Fürsorge gekennzeichnete Beziehung entwikkelt hat 14 .

15

2. Der in Absatz 2 geregelte qualifizierte Tatbestand unterscheidet sich von Absatz I nur durch die Art des Sexualkontakts: Opfer kann nur eine im Sinne des Absatzes I widerstandsunfähige Frau sein, die der Täter zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht.

16

III. Subjektiver Tatbestand. Der Tatbestand erfordert — zumindest — bedingten Vorsatz (BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 2 = NStE Nr. 2 zu § 179). Der Täter muß die Umstände erkennen, die dazu führen, Widerstandsunfähigkeit zu bejahen. In den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 bedeutet das, daß er das Vorliegen der Merkmale dieser Vorschrift und den Umstand, daß darauf die Widerstandsunfähigkeit beruht, zutreffend wertet. Ihm muß bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre bewußt — oder er muß zumindest für möglich halten und es muß ihm gleichgültig — sein, daß das Opfer wegen seines psychischen oder körperlichen Zustandes außerstande ist, seinem Sexualverlangen Widerstand entgegenzusetzen (BGHSt. 2 58, 60). Bei sexuellen Kontakten mit Schwachsinnigen bedarf das besonders sorgfältiger Prüfung (BGH Beschluß vom 3. Juli 1980 - 5 StR 268/80). Darüber hinaus muß der Tä14

Zweifelhaft wegen der Einseitigkeit der Zuneigung aber B G H a a O mit abl. A n m m . Geerds J R

1984 430 u n d Herzberg/Schlehofer J Z 1984 481 ; a b l e h n e n d auch Dreher/Tröndle R d n . 9.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger

§ 179

ter auch die Umstände erkennen und zutreffend werten, die sein Verhalten als Mißbrauch und Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit kennzeichnen (zum Verbotsirrtum BGH J R 1954 188) : Er m u ß die sexuelle Handlung mit Körperkontakt (zum Vorsatz dazu vgl. § 184 c Rdn. 19) zumindest unter I n k a u f n a h m e des Umstandes vornehmen, daß er mißbräuchlich unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit handelt. Zum Vorsatz gehört das Wissen, sich an einer lebenden Person zu vergehen (BGH Beschluß vom 28. November 1986 - 2 StR 612/86 - ) . IV. Täter und Teilnehmer. Das Opfer ist stets notwendiger Teilnehmer (vor § 174 17 Rdn. 13). Umstritten ist, ob die Tat — anders als die der §§ 177, 178 — als eigenhändiges Delikt anzusehen ist 15 . Die Problematik ist bei den Gesetzesberatungen angesprochen (Maier und Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1620, 1637), aber nicht vertieft worden. Der Wortlaut des 1. Absatzes, insbesondere dessen 2. Alternative — wer einen anderen (Widerstandsunfähigen) dadurch mißbraucht, daß er außereheliche sexuelle Handlungen an sich vornehmen läßt — schließt die Strafbarkeit desjenigen aus, der einen Widerstandsunfähigen veranlaßt, die sexuellen Handlungen an einem Dritten vorzunehmen. Bei dieser Gesetzeslage ist die Tat insgesamt als eigenhändiges Delikt anzusehen, und zwar trotz der kriminalpolitischen Bedenken, die dagegen bestehen, denjenigen nach § 179 straflos zu stellen, der die freie Selbstbestimmung des Widerstandsunfähigen zugunsten eines Dritten mißbraucht. Der Wortlaut von Absatz 2 — wird die Tat durch Mißbrauch einer Frau zum außerehelichen Beischlaf begangen — läßt zwar die Möglichkeit zu, daß der Täter und derjenige, der den Beischlaf vollzieht, verschiedene Personen sind. Eine unterschiedliche Auslegung von Abs. 1 und 2 in dem hier erörterten Punkt der Eigenhändigkeit widerspräche aber der eindeutigen Intention des Gesetzgebers, der den Absatz 2 nur als qualifizierten Fall des Absatzes 1 verstand, also davon ausging, daß der Tatbestand des Absatzes 2 nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 begangen werden kann (BTDrucks. VI/3521 S. 42). Die Teilnahme an der eigenhändigen Tat eines tatbestandsmäßig und rechtswidrig handelnden Täters ist möglich. V. Versuch und Vollendung. Der Versuch nach Absatz 1 ist nicht mit Strafe be- 18 droht, wohl aber der nach Absatz 2. Absatz 2 ist ein eigenständiger Verbrechenstatbestand. Wegen der Versuchsstrafbarkeit stellen sich die Probleme wie bei § 177 (vgl. dort Rdn. 16). Für die Vollendung des Tatbestandes reicht es aus, d a ß der Täter mit einer sexuellen Handlung am Körper des widerstandsunfähigen Opfers begonnen hat (BGHSt. 38 68, 71 ; Horn SK Rdn. 7). VI. Strafzumessung. Die Strafe nach Absatz 1 ist Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren 19 oder Geldstrafe. Absatz 2 ist als Verbrechen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht. In minder schweren Fällen (vgl. dazu § 177 Rdn. 18) ist die Strafdrohung hier ermäßigt. VII. Konkurrenzen. Innerhalb des Tatbestandes verdrängt Absatz 2 den Absatz 1, 2 0 wenn die vorgenommene sexuelle Handlung der Beischlaf ist oder ausschließlich der 15

Bejahend KG NJW 1977 817; Dreher/Tröndle Rdn. 2; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 15; Horn SK Rdn. 15; Lackner Rdn. 2; aA Herzberg JuS

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1975 172; SchalliuS 1979 104; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 18 Rdn. 36; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975) S. 33.

Heinrich Laufhütte

§ 180

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Vorbereitung des Beischlafs diente (vgl. die entsprechende Problematik im Verhältnis der §§ 177, 178 : § 177 Rdn. 20). Tritt der Täter vom Versuch nach Absatz 2 freiwillig zurück, so bleibt er wegen einer vollendeten Tat nach Absatz 1, die der Vorbereitung des Beischlafs diente, nach Absatz 1 strafbar. Die Absätze 1 und 2 stehen in Idealkonkurrenz zueinander, wenn neben dem Beischlaf sexuelle Handlungen vorgenommen wurden, die nicht ausschließlich der Vorbereitung des Beischlafs dienten (vgl. auch hier die entsprechende Problematik bei den §§ 177, 178). Die §§ 177, 178 verdrängen § 179 (BGH NStZ 1981 23; BGH Urteil vom 10. Februar 1993 - 3 StR 443/92 —), es sei denn, daß zunächst Handlungen nach § 179, sodann solche vorgenommen werden, die nach den §§ 177, 178 strafbar sind. In solchen Fällen ist Tatmehrheit zwischen § 179 und §§ 177, 178 gegeben, es sei denn, daß der Täter von vornherein den Entschluß gefaßt hatte, eine Frau zunächst in widerstandsunfähigem Zustand zu mißbrauchen und Gewalt dann anzuwenden, wenn dieser Zustand beendet ist (dann liegt Tateinheit vor). Bei einem jugendlichen Opfer besteht zu den dem Jugendschutz dienenden Vorschriften Tateinheit (BGH St 38 68, 71 ). Im übrigen stellen sich hinsichtlich der Konkurrenzfrage die bereits bei den §§ 177, 178 abgehandelten Probleme. 21

VIII. Recht des Einigungsvertrages. Zum Recht des Einigungsvertrages vgl. die Anmerkungen bei § 177 Rdn. 23 und § 178 Rdn. 10.

§ 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (1) 'Wer sexuellen Handlungen einer Person unter sechzehn Jahren an oder vor einem Dritten oder sexuellen Handlungen eines Dritten an einer Person unter sechzehn Jahren 1. durch seine Vermittlung oder 2. durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 2Satz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Vorschubleisten seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. (2) Wer eine Person unter achtzehn Jahren bestimmt, sexuelle Handlungen gegen Entgelt an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, oder wer solchen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Wer eine Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit bestimmt, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 ist der Versuch strafbar. Stand: 1. 8. 1994

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F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n M i n d e r j ä h r i g e r

§ 180

Schrifttum 1. A l l g e m e i n e s , a l t e s R e c h t Bauer Geschichte u n d Wesen der Prostitution (1959); Bindokat Z u r Frage der Kuppelei bei Verlobten, G A 1955 167; Bindokat Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, N J W 1962 185; Boreiii/ Starck Die Prostitution als psychologisches Problem (1957); Colmeiro-Lafaret Die Sexualität der Frau (1960); Esser Die Bedeutung des Schuldteilnahmebegriffs im Strafrechtssystem, G A 1958 321 ; Evers Zum unkritischen Naturrechtsbewußtsein in der Rechtsprechung der Gegenwart, J Z 1961 241 ; Flexner Die Prostitution in E u r o p a (1921); Hanack Z u r Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Strafverfahrensrecht, J Z 1971 126; Herren Z u r Psychologie der Dirnenmentalität, M s c h r K r i m 1959 245; Herzberg Anstiftung u n d Beihilfe als Straftatbestände, G A 1971 2; Horn Gruppensexualität im Spiegel des Strafverfahrens M s c h r K r i m 1970 131; Kaufmann A n m . zu BGHSt. 10 386, M D R 1958 177; Kaufmann Zur rechtsphilosophischen Situation der Gegenwart, J Z 1963 137, 143; Kern Kindheitserlebnisse u n d Prostitution (1931); Kinsey D a s sexuelle Verhalten des M a n n e s (1967); Lombroso Das Weib als Verbrecherin u n d Prostituierte (1894); Lang-Hinrichsen Erwägungen zur künftigen Ausgestaltung der Kuppeleivorschriften, G A 1970 225; Lawton/Archer Das sexuelle Verhalten des Jugendlichen (1952); Lenz/Kellner Die körperliche Akzeleration (1965); Leonhardt Instinkte und Urinstinkte in der menschlichen Sexualität (1964); Lippert Die Prostitution in H a m b u r g in ihren eigentümlichen Verhältnissen (1948); Meyer-Bahlburg Die Garantenstellung bei den Unterlassungsdelikten, G A 1966 203; Oehler A n m . zu BGHSt. 18 382, J Z 1964 382; Pongratz Prostituiertenkinder (1964); Rothmann Geschlechtskrankheiten u n d Prostitution in N ü r n b e r g 1870—1930, Diss. Erlangen 1952; Stutte Besprechung von Borelli/Starck Die Prostitution als psychologisches Problem, M s c h r K r i m . 1958 62; Täuber Über den charaktertypischen Wandel der Prostitution, Diss. F r a n k f u r t 1963. 2. S c h r i f t t u m nach V e r a b s c h i e d u n g d e s 4 . S t r R G Becker/Ruthe Das Erzieherprivileg nach dem 4. S t r R G , F a m R Z 1974 508; Frickel Prostitution — ein Milieu mit Problemen, Kriminalistik 1990 243; Habel Minderjährigenprostitution, Erziehungshilfe und § 180 StGB, ZfJ 1992 457; Hanack Z u r Reform des Sexualstrafrechts und der Familiendelikte, N J W 1974 1 , 8 ; Horstkotte Kuppelei, V e r f ü h r u n g u n d Exhibitionismus nach dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts, J Z 1974 84; Kreuzer Das älteste Gewerbe, Kriminalistik 1990 237; Kühne Prostitution als bürgerlicher Beruf, Z R P 1975 184; Müller-Emmert Kuppelei, Prostitutionsförderung u n d Zuhälterei als Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, D R i Z 1974 93; Münder Sexualstrafrecht bei Fremderziehung und Fremdbetreuung, ZfJ 1986 353; Redhardt Prostitution in: H a n d w ö r t e r b u c h der Kriminologie, 2. Aufl. (1977) Bd. II, 307; Schneider Prostitution, in: Schneider (Hrsg.) Kriminalität und abweichendes Verhalten Bd. 1 (1983) S. 565; Schneider Neuere kriminologische Forschungen zur Prostitution, Middendorf-Festschrift S. 257; Schroeder D a s Erzieherprivileg im Strafrecht, Lange-Festschrift S. 391; Schroeder Die Reform der Straftaten gegen die Entwicklung des Sexuallebens, Z R P 1992 295; Thiel Prostitution, Lekschas-Festschrift S. 185. Vgl. a u ß e r d e m die Schrifttumsangaben vor § 174 u n d bei §§ 180 a bis 181 a. Entstehungsgeschichte D i e §§ 180, 181 S t G B in d e r b i s z u m I n k r a f t t r e t e n d e s 4. S t r R G g e l t e n d e n F a s s u n g stellten die K u p p e l e i u n t e r Strafe. Als K u p p e l e i w u r d e n alle H a n d l u n g e n b e z e i c h n e t , mit d e n e n d e r Täter d u r c h Vermittlung o d e r d u r c h G e w ä h r e n o d e r Verschaffen von G e l e g e n h e i t d e r U n z u c h t z w i s c h e n D r i t t e n V o r s c h u b leistete. S t r a f b a r w a r die K u p p e l e i , w e n n d e r T ä t e r g e w o h n h e i t s m ä ß i g o d e r a u s E i g e n s u c h t h a n d e l t e (§ 180 A b s . 1 S t G B a . F . ) ; als b e s o n d e r e F o r m d e r e i g e n n ü t z i g e n K u p p e l e i g a l t d i e U n t e r h a l t u n g e i n e s B o r d e l l s o d e r b o r d e l l a r t i g e n B e t r i e b s (§ 180 A b s . 2 a . F.). G e w i s s e A r t e n d e s W o h n u n g s g e w ä h r e n s a n P e r s o n e n ü b e r 18 J a h r e n w u r d e n i n § 180 A b s . 3 a . F. a u s d e r S t r a f b a r k e i t , n i c h t a u s d e m K u p p e l e i b e g r i f f (Mösl L K 9 § 180 R d n . 15), a u s g e s c h a l t e t , (105)

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§ 180

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

wenn mit ihnen weder ein Ausbeuten der Person noch ein Anwerben oder Anhalten zur Unzucht verbunden war. § 181 StGB a. F. bedrohte besondere Formen der Kuppelei, die weder gewohnheitsmäßig, noch aus Eigensucht betrieben wurden, mit Strafe, wenn „hinterlistige Kunstgriffe" angewendet wurden (§181 Abs. 1 Nr. 1 a. F.) oder wenn der Schuldige zur besonderen Fürsorge verpflichtet war (§181 Abs. 1 Nr. 2 a. F.). Die letztgenannte Vorschrift, welche die Verkuppelung der Ehefrau, von Kindern und Pflegebefohlenen sowie von zu unterrichtenden und zu erziehenden Personen unter Strafe stellte, beruhte auf der sog. „Lex Heinze" (Gesetz vom 25. Juni 1900, RGBl. I 301). Der Gesetzgeber (vgl. dazu § 181 a) wollte mit diesem Gesetz und der Erweiterung der Strafbarkeit der Kuppelei das Zuhältertum (das Louistum) treffen. Er nahm dabei in Kauf, daß die weite Fassung der Vorschrift auch andere Formen der Kuppelei — wie, soweit die Ehegattenkuppelei in Frage stand, die Duldung des Hausfreundes — mit Strafe bedrohte (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1638). Schutzzweck der Kuppeleivorschriften war nicht in erster Linie der Individualschutz (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1636); die Bestimmungen bezweckten vielmehr die Reinhaltung mitmenschlicher Beziehungen vor unzüchtigen Handlungen (OLG Celle GA 1971 251). Der E 1962 wollte dies nicht grundsätzlich ändern. Er strebte, abgesehen von technischen Verbesserungen, eine Perfektionierung des Strafrechtsschutzes an, indem er auch die Verkuppelung des Ehemannes durch die Ehefrau unter Strafe stellen wollte (§ 227 E 1962), sowie denjenigen, der einen anderen durch Kuppelei dazu bringt, gewerbsmäßig Unzucht zu treiben (§ 228). Eine Einschränkung der Strafbarkeit war lediglich in § 227 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Entwurfs vorgesehen, nämlich durch Einführung einer Altersbegrenzung für durch die Kuppeleivorschriften geschützte Angehörige und Schutzbefohlene (Zweck war insbesondere, die Kuppelei an erwachsenen Verlobten nicht mehr mit Strafe zu bedrohen, Begr. S. 392). Dem E 1962 wurde zu Recht entgegengehalten, daß er zum Teil zwar unsympathische, aber nicht kriminalisierungswürdige Verhaltensweisen unter Strafe stellen wolle. Er diene dem Ziel, so wurde eingewandt, „die Form zu wahren, wenn sie auch vielfach nur Fassade sein mag" (Jescheck, zit. nach dem Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches, Bes. Teil Sexualdelikte, [1968] S. 47). Der Alternativentwurf (aaO) erstrebte deshalb im Bereich der Kuppeleivorschriften eine radikale Entpönalisierung. Als Kuppelei sollte hiernach nur noch strafbar sein, wenn der Täter Minderjährige unter 18 Jahren (in gewissen Fällen auch Personen zwischen 18 und 21 Jahren) zur Prostitution bringt (§ Β 10). Das 4. StrRG ist diesem Vorschlag nicht gefolgt. Es hat aber die Strafbarkeit gegenüber dem früheren Recht entscheidend eingeschränkt. Es geht — anders als das alte Recht — davon aus, daß die Förderung außerehelicher sexueller Handlungen „kein Unwert per se ist" (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1637) und konzentriert sich auf den Schutz konkreter Rechtsgüter, nämlich — insoweit in Erweiterung der Strafbarkeit gegenüber dem alten Recht, das keine spezifischen Jugendschutztatbestände kannte — auf den Schutz der Sexualsphäre Minderjähriger und des einzelnen vor der Gefahr, in die Prostitution hineingezogen zu werden. Die Konzeption des Entwurfs war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Streitig blieben bis zuletzt (vgl. vor § 174) die Straflosigkeit der Ehegattenkuppelei und der gewerbsmäßigen Vermittlung außerehelicher sexueller Handlungen sowie das (dazu Rdn. 10) Erzieherprivileg. Soweit die Ehegattenkuppelei in Frage stand, bestand Einigkeit darin, daß die bloße Unterlassung, den Ehegatten von sexuellen Handlungen abzuhalten, nicht pönaliStand: 1. 8. 1994

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Förderung sexueller H a n d l u n g e n Minderjähriger

§ 180

sierungswürdig sei, u n d zwar schon deshalb nicht, weil ein solcher Tatbestand dem Ehegatten Pflichten a u f b ü r d e n würde, deren Erfüllung ihm in vielen Fällen nicht zum u t b a r wäre. Eine Minderheit des Bundestages (BTDrucks. VI/3521, S. 3) u n d der Bundesrat (BTDrucks. 7/979) verlangten jedoch eine S t r a f d r o h u n g f ü r denjenigen, der seinen Ehegatten zu sexuellen H a n d l u n g e n mit einem Dritten bestimmt oder sexuelle H a n d l u n g e n zwischen seinem Ehegatten u n d einem Dritten vermittelt. Dieser F o r d e r u n g hat der Gesetzgeber zum Teil durch § 181 a Abs. 3 R e c h n u n g getragen. Darüber hinaus ist die F ö r d e r u n g sexueller Kontakte, die der Ehegatte mit einem Dritten bereitwillig v o r n i m m t , nicht strafbedürftig. Zwar ist die Ehe als ein zu schützendes Rechtsgut anzuerkennen (BTDrucks VI/3521 S. 44; Horstkotte JZ 1974 84, 85). Das führt jedoch nicht zu der Verpflichtung des Staates, Verhaltensweisen, die den Geschlechtsverkehr a u ß e r h a l b der Ehe fördern, mit Strafe zu bedrohen. Der vom Bundesgerichtshof formulierte Grundsatz, „ d a ß sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich in der Einehe vollziehe, weil der Sinn u n d die Folge des Verkehrs das Kind ist" (BGHSt. 6 46, 53), k o n n t e schon, als er aufgestellt wurde, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Er stößt heute weithin auf Unverständnis. Das würde allerdings nicht ausschließen, H a n d l u n g e n mit Strafe zu bedrohen, die das Institut der Ehe prinzipiell gefährden, wie die Ehegattenkuppelei mit ihren besonderen, die Ehe g e f ä h r d e n d e n Erscheinungsformen (zum G r u p p e n s e x vgl. Horn MschrKrim. 1970 131 ; Lang-Hinrichsen G A 1970 225; Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1639). Eine entsprechende Strafvorschrift würde jedoch mehr Schaden als Nutzen schaffen. Sie k ö n n t e dem Ziel, das Institut der Ehe zu schützen, nicht gerecht werden. Dort, wo Ehegatten freiwillig auf die Wünsche des Partners eingehen, wäre eine Strafvorschrift nicht sinnvoll, in diesem Bereich stünden ihrer A n w e n d u n g auch k a u m zu ü b e r w i n d e n d e Nachweisschwierigkeiten entgegen. In anderen Fällen, in denen sich ein Ehegatte den Wünschen des Partners beugt 1 , würden eine Strafvorschrift u n d die sie auslösenden staatlichen Ermittlungen in keiner Weise ehefördernd wirken. Der Gesetzgeber hat deshalb gut d a r a n getan, davon abzusehen, mit einer S t r a f n o r m in den Innenbereich von Ehen einzugreifen (vgl. Hanack N J W 1974 1, 5). Die Verkuppelung von Ehegatten aus kommerziellen G r ü n d e n (vgl. Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1639 ff) ist in einer Reihe von Vorschriften unter Strafe gestellt (§ 180 a, § 180b, § 181a Abs. 3). Die von der Minderheit des Bundestages (BTDrucks. VI/3521 S. 42) u n d vom Bundesrat (BTDrucks. 7/979) geforderte Pönalisierung desjenigen, der gewerbsmäßig außereheliche sexuelle Beziehungen anderer vermittelt, ist ebenfalls zu Recht abgelehnt worden. Gedacht war an eine Strafbarkeit bestimmter Reiseunternehmen u n d sonstiger Institute, die Gemeinschaftsveranstaltungen mit sexuellen Kontakten d u r c h f ü h r e n , aber auch von Taxifahrern, Hotelportiers u n d Zeitschriftenverlegern 2 , die sexuelle K o n t a k t e vermitteln. Fraglich ist schon, ob ein solches Verbot, wenn es erlassen worden wäre, strafrechtlich ü b e r h a u p t durchsetzbar gewesen wäre. Es würde zudem weit über das strafrechtlich Gebotene hinausgehen u n d Verhaltensweisen unter Strafe stellen, deren U n t e r d r ü c k u n g kriminalpolitisch nicht erwünscht ist, wie etwa die Betätigung in Eroscentern u n d Dirnen Wohnheimen (BTDrucks. VI/3521 S. 43). Pönalisierungsbedürftige Formen der Vermittlung sind in § 181a Abs. 2 mit Strafe bedroht. 1 2

Die Fälle der §§ 240, 181a Abs. 3 ausgenommen. Einigkeit bestand darin, d a ß die Förderung außerehelicher sexueller Kontakte generell nicht strafbedürftig ist (vgl. Horstkotte Prot., 6. Wahl-

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periode S. 1641); bestimmte Formen der Vermittlung sind in den §§ 119, 120 OWiG bußgeldbewehrt.

Heinrich Laufhütte

§ 180

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

I. Geschütztes Rechtsgut II. F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n von Personen unter 16 J a h r e n (Absatz 1) 1. J u g e n d s c h u t z c h a r a k t e r der Vorschrift 2. T a t h a n d l u n g e n a) Vorschubleisten b) Vorschubleisten durch Vermittlung, G e w ä h r e n oder Verschaffen von Gelegenheit c) F ö r d e r u n g fremder sexueller Handlungen d) T a t b e g e h u n g durch Unterlassen . e) Das Erzieherprivileg (Absatz 1 Satz 2) f) Z u r Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts

1

Rdn. 1

2 3 4

5 7 8 10

Rdn. III. F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n Minderjähriger gegen Entgelt (Absatz 2) 1. F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n gegen Entgelt 2. F ö r d e r u n g durch a) Bestimmen b) Vorschubleisten durch Vermittlung IV. F ö r d e r u n g sexueller H a n d l u n g e n von Schutzbefohlenen (Absatz 3) V. Subjektiver T a t b e s t a n d VI. T ä t e r u n d T e i l n e h m e r VII. Versuch (Absatz 4) VIII. K o n k u r r e n z e n IX. Recht des Einigungsvertrages

14 15 16 17 18 19 21 22 23

13

I. Geschütztes Rechtsgut. § 180 Abs. 3 dient der sexuellen Selbstbestimmung (vor § 174 Rdn. 5). Die Absätze 1 und 2 der Vorschrift dienen dem Jugendschutz (vor § 174 Rdn. 7). Die Vorschrift übernimmt zwar Tatbestandsmerkmale von § 180 StGB a. F. (Vermittlung, Gewähren und Verschaffen von Gelegenheit), sie ist mit dieser Bestimmung aber nicht vergleichbar. Das neue Recht geht nicht mehr davon aus, daß es Aufgabe des Strafrechts ist, mitmenschliche Beziehungen von unzüchtigen Handlungen reinzuhalten. Außereheliche sexuelle Kontakte stellen keinen Unwert dar, der mit Mitteln des Strafrechts verhindert werden müßte (vgl. Entstehungsgeschichte). Die Förderung solcher Kontakte ist deshalb strafrechtlich irrelevant, wenn nicht spezielle Rechtsgüter einen Strafrechtsschutz erfordern. Die in § 180 Abs. 1 tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen bewertet das Gesetz als pönalisierungsbedürftig, weil sie generell die Reifung junger Menschen gefährden (Horstkotte JZ 1974 84, 86), und zwar auch für den Fall, daß eine drohende oder bereits in Gang befindliche Fehlentwicklung weiter gestört wird (Horn SK Rdn. I) 3 . § 180 Abs. 2 geht davon aus, daß sexuelle Handlungen, für die ein Minderjähriger ein Entgelt erhält, den Weg in die Prostitution bahnen können, zumindest aber das Integrieren der Sexualität in seine Persönlichkeit stören (Horstkotte JZ 1974 84, 87). Der Anwendbarkeit der Vorschrift steht nicht der Umstand entgegen, daß der Jugendliche bereits vorher in die Prostitution abgeglitten ist. Denn sie will auch einem Festhalten an ihr oder einem erneuten Abgleiten entgegenwirken (BGH bei Holtz M D R 1977 809). § 180 Abs. 3 ergänzt § 174 Abs. 1 Nr. 2. Die Reifung eines jungen Menschen wird durch den Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zugunsten eines Dritten generell gefährdet (Horstkotte aaO). II. Förderung sexueller Handlungen von Personen unter sechzehn Jahren

2

1. § 180 Abs. 1 knüpft an den alten Kuppeleitatbestand (§ 180 Abs. 1 StGB a. F.) an. Der Charakter der Vorschrift hat sich allerdings völlig gewandelt. Sie dient nun3

Zur Kritik an der Systemwidrigkeit des § 180 vgl. Sch/Schröder/Lenckner R d n . 1 u n d Horn S Κ R d n . I. Für die A b s c h a f f u n g des T a t b e s t a n d e s des Absatzes 1 u n d die Erweiterung des Absatzes 2 auf die „Freier auf dem K i n d e r s t r i c h " hat sich die

vom Niedersächsischen Justizministerium eingesetzte Kommission zur R e f o r m des Strafrechts u n d des Strafverfahrensrechts ausgesprochen (vgl. Bericht in D R i Z 1993 252). Die Freier werden jetzt durch § 182 Abs. 1 N r . 1 erfaßt.

Stand: 1. 8. 1994

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Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger

§ 180

mehr — anders als im alten Recht — ausschließlich dem Schutz von bis zu sechzehnjährigen Jugendlichen. Der neue Jugendschutzcharakter der Vorschrift macht es dem Gesetzgeber möglich, auf die früher die Strafbarkeit einschränkenden Kriterien (Handeln aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig) zu verzichten. 2. Strafbar macht sich, wer sexuellen Handlungen (§ 184 c Nr. 1) einer Person un- 3 ter 16 Jahren in bestimmter Weise Vorschub leistet. Es muß sich dabei um sexuelle Handlungen handeln, welche die geschützte Person — die stets notwendiger Teilnehmer ist (vor § 174 Rdn. 13) — an einem Dritten — mit Körperkontakt (§ 184 c Rdn. 15, 16, 18) — vornimmt oder an sich von demselben — ebenfalls mit Körperkontakt — vornehmen läßt oder die sie vor einem Dritten (§ 184 c Rdn. 18) vornimmt. Geschützt sind weibliche und männliche Jugendliche (vgl. vor § 174 Rdn. 7). Tathandlungen sind das Vorschubleisten durch Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit. a) Vorschubleisten bedeutet jede Förderung durch objektiv günstigere Gestaltung 4 der Bedingungen für die Vornahme sexueller Handlungen eines Minderjährigen mit einem Dritten (RGSt. 11 149; 24 165; BGH NJW 1959 1284). Es ist, wie in BGHSt. 6 46, 48 ausgeführt ist, Teilnahme an einem fremden Tun, die vom Gesetzgeber als selbständiger Tatbestand ausgestaltet ist. Das Merkmal des Vorschubleistens setzt nicht voraus, daß es zu vollendeten sexuellen Handlungen gekommen ist (RGSt. 44 176 ; BGHSt. 24 249 zu § 181 Abs. 1 Nr. 2 a. F.). Es reicht aus, daß das Vorschubleisten vollendet ist4. Dies ist der Fall, wenn die Förderung fremder sexueller Handlungen einen Minderjährigen bereits unmittelbar gefährdet 5 . Dessen Person muß deshalb hinreichend konkretisiert sein. Festzustehen braucht sie nicht. Es reicht aus, wenn der Jugendliche einem individuell umgrenzten Personenkreis angehört (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6 ; Dreher/Tröndle Rdn. 6), vorausgesetzt, es handelt sich bei der in Frage kommenden Personengruppe nur um Jugendliche bis zu 16 Jahren. Kann die Förderung sexueller Kontakte nur ältere Personen betreffen, so ist Abs. 1 nicht anwendbar. Der Dritte — sein Alter und Geschlecht sind gleichgültig — braucht ebenfalls als Person nicht festzustehen, aber auch er muß bestimmbar sein 6 . Es ist unerheblich, in wessen Interesse der Vorschubleistende tätig wird, ob er also dem Jugendlichen oder dem Dritten Hilfe leistet. Das Merkmal des Vorschubleistens verlangt nicht, daß die Beziehung zwischen dem Jugendlichen und dem Dritten bereits hergestellt ist. Es genügt, wenn auch nur eine der beteiligten Personen, sei es der Jugendliche oder der Dritte, zu den sexuellen Handlungen bereit ist, die Bereitwilligkeit der anderen Personen aber erst durch die Förderungshandlung herbeigeführt werden soll (RGSt. 30 321 ; BGHSt. 10 386; BGHSt. 24 249, 253). Die andere Person (zumindest der individuell umgrenzte Personenkreis) muß in diesem Zeitpunkt bereits feststehen (aA Sch/Schröder/Lenckner aaO). Bloße Anwerbung eines Jugendlichen für ein Bordell (aA RGSt. 15 361, 363) oder die Überlassung des Hausschlüssels (aA RG H RR 1927 Nr. 972) für sexuelle Kontakte mit irgend jemandem reichen deshalb nicht aus. Das Merkmal des Vorschubleistens verlangt außerdem eine Konkretisierung der sexuellen Handlung. Diese muß hinsichtlich des Ortes und der Zeit aus4

5

BTDrucks. VI/3521 S. 44; Horn SK R d n . 5; Sch/ Schröder/Lenckner Rdn. 6; Dreher/Tröndle R d n . 6. Horn SK R d n . 5; vgl. auch Sch/Schröder/Lenckner R d n . 6 mit weiteren Nachweisen u n d Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 20 R d n . 33.

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6

Dreher/Tröndle R d n . 6 Horn SK R d n . 11 ; aA Sch/Schröder/Lenckner R d n . 6. Dagegen ist f ü r d a s Bestimmen nach Absatz 2 nicht erforderlich, d a ß der als Sexualpartner ins Auge gefaßte Dritte von vornherein individualisiert ist ( B G H N J W 1985 924).

Heinrich Laufhütte

§

1 8 0

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

reichend feststehen und darf nicht in ferner Zukunft liegen 7 . Es ist aber nicht notwendig, daß das Vorschubleisten bereits auf einen konkreten Sexualakt bezogen ist (Horstkotte Prot., 7. Wahlperiode S. 15). Unerheblich ist, ob die verkuppelte Person zu sexuellen Handlungen ohnehin entschlossen war und ob sie bei der Ausübung der Handlung als handelnder oder duldender Teil erscheint (RGSt. 16 49; 48 197). Eine Konkretisierung fehlt bei der nur vorbereitenden intellektuellen Einwirkung auf einen Jugendlichen 8 . 5

b) Strafrechtlich erfaßt ist das Vorschubleisten nur, wenn es durch Vermittlung, Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit geschieht. Vermittlung bedeutet die Ermöglichung persönlicher Beziehungen zwischen dem Jugendlichen und dem Dritten dadurch, daß die Partner zusammengebracht werden 9 . Es ist also stets Partnervermittlung erforderlich, d. h. die Herstellung einer bisher nicht bestehenden Beziehung zwischen dem Jugendlichen und dem Dritten, die sexuelle Handlungen zum Gegenstand haben soll. Sie muß das Ergebnis einer Tätigkeit des Täters sein. Die bloße Aufforderung, sich einen Partner zu suchen, reicht nicht aus (vgl. aber RGSt. 8 236), auch wenn der Ort für die Möglichkeit der Anknüpfung von Beziehungen (ζ. B. ein Wohnheim) genannt wird. Ebensowenig reicht die Aufgabe einer Zeitungsanzeige 10 . Die Angabe der Adresse einer Dirne, die zu sexuellen Handlungen bereit ist, genügt aber als Tathandlung ebenso (RGSt. 11 149) wie das Zusammenbringen zweier Personen, von denen eine von dem Wunsch nach Sexualkontakt erst nach Aufnahme des persönlichen Kontaktes erfahren soll". Vollendet ist die Vermittlung in solchen Fällen (wie auch sonst) jedoch erst dann, wenn der persönliche Kontakt tatsächlich zustande kommt und beide Partner — also auch der vorher nicht Unterrichtete — von den sexuellen Absichten erfahren (RG LZ 1921 507; Horn SK Rdn. 7) 12 . Die vom Bundesgerichtshof 12 zum alten Recht vertretene weitergehende Auffassung, die Vollendung bereits mit dem Zusammenkommen zweier Partner, von denen nur einer unterrichtet ist, annahm, würde die Strafbarkeit zu weit in einen Bereich ausdehnen, in dem von einer konkreten Gefährdung des Jugendlichen noch nicht gesprochen werden kann. Nicht notwendig ist es, daß die Aufforderung zum Sexualkontakt dann tatsächlich angenommen wird (Dreher/Tröndle Rdn. 6) und es zu Sexualkontakten kommt. Das Organisieren von Zusammenkünften, bei denen es später zu Sexualkontakten kommt, ist noch keine Vermittlung, es sei denn, daß zwei Partner vom Organisator zusammengeführt werden (Lackner Rdn. 5).

6

Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit bedeutet das Bereitstellen äußerer Bedingungen, die unmittelbar zur Förderung der sexuellen Handlung geeignet sind; es kommt dabei auf enge, in bezug auf die sexuellen Handlungen typische Förderungshandlungen an 13 . Beim Gewähren stehen dem Täter die Mittel, die er bereitstellt, bereits zur Verfügung, beim Verschaffen sorgt er für die äußeren Umstände, die der sexuellen Handlung förderlich sind. Gewähren bedeutet vor allem die Förderung der 1

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B G H S t . 10 386, 387; RGSt. 30 321, 322; Dreher/ Tröndle R d n . 6 ; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 6. AA RGSt. 8 236; B G H N J W 1959 1284; offengelassen in BGHSt. 9 71,77. R G S t . 20 201; 29 108, 109; BGHSt. 1 115, 116; K G N J W 1977 2223,2225. R G LZ 1921 507; K G N J W 1977 2223, 2225; aA B G H R S t G B § 181 a Abs. 2 Vermittlung 1.

" R G S t . 30 321; B G H S t . 10 386; Dreher/Tröndle R d n . 7 ; aA Sch/Schröder/Lenckner R d n . 8. 12 Vgl. aber BGHSt. 10 386; Der K o n t a k t zwischen den Verkuppelten brach ab, als es einem der Beteiligten „ u n h e i m l i c h " wurde. 13 B G H N J W 1959 1284; vgl. BGHSt. 21 272, 275 f; B a y O b L G S t . 1991 85.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger

§ 180

sexuellen H a n d l u n g in räumlicher (örtlicher) Beziehung, insbesondere also das Zurverfügungstellen von R ä u m e n (RGSt. 62 221). Beim Verschaffen sorgt der Täter f ü r das „ A r r a n g e m e n t " , etwa d a d u r c h , d a ß er Geld zur Bezahlung einer Prostituierten stellt 1 4 oder d a ß er f ü r die E n t f e r n u n g der Aufsichtsperson sorgt (BGHSt. 9 71, 76). Bloße Dienstleistungen in einem Bordell, welche die Herstellung der Beziehung zu einer Prostituierten erleichtern, gehören aber nicht als solche schon hierher (RGSt. 29 109). Der Bundesgerichtshof läßt auch die Taxifahrt zum Ort, an dem die sexuelle H a n d l u n g ausgeführt werden soll, genügen ( B G H bei Dallinger M D R 1966 558; B G H G A 1966 337). Die bloß seelische Einwirkung reicht aber nicht aus, so d a ß das Anhalten zur Prostitution in § 180 nicht erfaßt ist (vgl. aber B G H N J W 1959 1284). N a c h der Rechtsprechung zum alten Recht unterschieden sich die T a t h a n d l u n g e n des G e w ä h r e n s u n d Verschaffens d a d u r c h , d a ß beim G e w ä h r e n der Bitte eines der Beteiligten entsprochen wurde, was beim Verschaffen nicht verlangt wurde 1 5 . Diese Differenzierung ist den Begriffen G e w ä h r e n u n d Verschaffen jedoch nicht zu entnehmen ( H o r n S Κ Rdn. 12; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 9). Maßgeblich ist vielmehr, d a ß G e w ä h r e n oder Verschaffen in einer engen, typischen Verbindung zu sexuellen H a n d l u n g e n steht (vgl. BGHSt. 21 272, 276), u n d zwar — was schon dem Begriff des Vorschubleistens i m m a n e n t ist — hinsichtlich zweier Personen, die individualisierbar sind (Rdn. 4). An einer solchen engen Verbindung zu sexuellen H a n d l u n g e n bestimmter Personen fehlt es, wenn etwa ein Z i m m e r einem Jugendlichen zur Verfügung gestellt oder wenn er an den Ort seiner Wahl gebracht wird, um ihm Gelegenheit zu geben, zu irgend j e m a n d e m (noch unbestimmtem) sexuelle K o n t a k t e aufzunehmen. Die Kontaktpersonen müssen vielmehr bereits konkretisiert sein. Beim Gewähren u n d Verschaffen von Gelegenheit k o m m t es, anders als beim Vermitteln, wo der Täter die Personen z u s a m m e n f ü h r t , indes nicht darauf an, d a ß dem Vorschubleistenden beide Partner bekannt sind. Es genügt, wenn er den Dritten — oder dem Minderjährigen — die Gelegenheit zu sexuellen K o n t a k t e n mit einem von diesem ins Auge gefaßten bestimmten (individualisierbaren) Partner gewährt oder verschafft. Die Tat ist mit dem G e w ä h r e n oder Verschaffen von Gelegenheit vollendet. Nicht notwendig ist es, d a ß es tatsächlich zu sexuellen H a n d l u n g e n kommt. c) § 180 Abs. 1 stellt die Förderung fremder sexueller Handlungen unter Strafe. 7 D a r a u s wird abgeleitet, d a ß der Tatbestand nicht erfüllt ist, wenn die F ö r d e r u n g f r e m d e r Sexualität hinter der eigenen Beteiligung in den Hintergrund tritt, etwa wenn der Täter handelt, um sich selbst an den Kontakten Dritter sexuell zu erregen (Sch/Schröder/Lenckner R d n . 3). Dem ist nicht zuzustimmen (vgl. BGHSt. 11 94). Die Motive dessen, der den Sexualkontakt Dritter fördert, sind für § 180 Abs. 1 gleichgültig (Horstkotte J Z 1974 84, 86). Mit dem Schutzzweck der Vorschrift wäre es nicht zu vereinbaren, denjenigen, der den Tatbestand in vollem U m f a n g erfüllt, straflos zu stellen, nur weil er aus eigenen sexuellen Motiven handelt ( H o r n SK Rdn. 4; BGHSt. 11 94; B G H bei Dallinger M D R 1952 272) 16 . d) Die Tat kann auch durch Unterlassen begangen werden. Vorschubleisten durch 8 Vermittlung scheidet insoweit allerdings aus. Dieses Merkmal setzt aktives H a n d e l n , das ein Z u s a m m e n f ü h r e n der Partner zum Gegenstand hat, voraus. Das Nichtunter14

15

A A Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10; s. aber RGSt. 51 46. Nach Dreher/Tröndle Rdn. 7 ist dies ein Vermitteln. Mösl LK" Rdn. 13; so auch Dreher/Tröndle Rdn. 8 und Lackner Rdn. 6 für das neue Recht.

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16

Die Strafdrohung aus den §§ 174, 176 reicht nicht aus, weil sie — jedenfalls bei den über 14jährigen — nicht zur Anwendung zu kommen braucht.

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§ 180

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

brechen vorhandener persönlicher Beziehungen ist nicht Vermittlung (Horn SK Rdn. 9). Beim Untätigbleiben angesichts vorhandener Beziehungen kann aber Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 gegeben sein. In solchen Fällen ist die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen nicht immer leicht. Unterlassen kommt insbesondere beim Gewähren von Gelegenheit in Betracht 17 . Die Rechtsprechung hat schon zum alten Recht hervorgehoben, daß die Unterlassung nur dann tatbestandsmäßig ist, wenn neben der Rechtspflicht zum Einschreiten (s. dazu Jescheck LK10 § 13 Rdn. 19 ff) auch die Möglichkeit gegeben ist, durch geeignete Maßnahmen die sexuellen Handlungen zu verhindern, und wenn es zumutbar ist, diese Maßnahmen auch zu ergreifen (RGSt. 40 165; 48 196; 77 125; BGH LM § 180 Nr. 3). Eine Garantenpflicht im Sinne des § 180 obliegt Personensorgeberechtigten, also den Eltern gegenüber minderjährigen Kindern 1 8 , Vormündern und Pflegeeltern gegenüber ihnen Anvertrauten (BGH NJW 1956 679) und sonstigen Obhutspflichtigen gegenüber Schutzbefohlenen im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1. Eine Pflicht zum Einschreiten hat aber auch derjenige, der nicht eine solche Pflichtenstellung gegenüber bestimmten Jugendlichen hat, der aber eine Position innehat, die ihn verpflichtet, sexuelle Handlungen mit Jugendlichen zu unterbinden. Das kommt in Betracht beim Wohnungsinhaber — ebenso, insbesondere bei Ehepaaren, für den Wohnungsmitinhaber — gegenüber im Hause wohnenden Angehörigen, auch wenn keine Obhutspflichten im obengenannten Sinne bestehen (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 59 74 V; aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 11). So hat das Reichsgericht (RG J W 1926 1184) den Ehemann für strafbar erklärt, der nicht verhindert, daß im Hause zwischen der Ehefrau und einem anderen Unzucht getrieben wird. Nach der Neufassung des § 180 wird man annehmen müssen, daß der Ehemann wie die Ehefrau grundsätzlich verpflichtet sind, sexuelle Handlungen des Partners in der ehelichen Wohnung mit unter 16jährigen zu verhindern (vgl. RG JW 1935 2734). Entsprechendes gilt für die Eltern gegenüber im Hause wohnenden volljährigen Kindern (vgl. BayObLGSt. 1949/51 594). Tatsächliches Zusammenwohnen allein begründet aber noch keine Handlungspflichten (vgl. BGH NStZ 1984 163 mit Anm. Rudolphi NStZ 1984 149). Notwendig sind stets Beziehungen zu dem über sechzehnjährigen Partner des Sexualkontaktes, die den Wohnungsinhaber (oder Wohnungsmitinhaber) rechtlich zum Einschreiten gegen sexuelle Kontakte mit unter Sechzehnjährigen in der Wohnung verpflichten. Solche Beziehungen bestehen zu den in der Wohnung lebenden Verwandten. Einerseits sind diesen Personen gegenüber aufgrund natürlicher Verbundenheit Fürsorgepflichten zu erfüllen (Jescheck aaO Rdn. 22); andererseits begründet die natürliche Verbundenheit die Pflicht zur Abwendung von nach § 180 Abs. 1 verbotenen Verhaltensweisen, die von diesen Personen ausgehen und Dritte — Jugendliche — gefährden. Schutzpflichten in diesem Sinne, nämlich seinen Gästen gegenüber, hat auch der Gastwirt, der deshalb verpflichtet ist, sexuelle Handlungen mit unter 16jährigen in den Gasträumen zu verhindern (vgl. RG H R R 192 Nr. 261). Der Vermieter von Wohnraum hat dagegen keine Rechtspflicht, sexuelle Handlungen in den vermieteten Räumen zu unterbinden (vgl. BGHSt. 30 391). Anders kann es bei der Vermietung eines Hotelzimmers an ein Paar

17

Vgl. B G H bei Daliinger M D R 1955 269: Gewähren von Gelegenheit durch D u l d u n g des Sexualk o n t a k t e s in d e r ehelichen W o h n u n g (Unterlassung), Verschaffen von Gelegenheit d u r c h Verlassen des R a u m e s durch den Aufsichtspflichtigen (positives Tun). Für die Frage, ob tätiges H a n d e l n o d e r Unterlassen vorliegt, ist im übrigen der S c h w e r p u n k t des v o r w e r f b a r e n Verhaltens ent-

scheidend ( B G H Urt. v. 15. 12. 1961 - 4 StR 376/61 ) ; vgl. a u c h Gössel Z S t W 96 ( 1984) 321,324 u n d Schünemann Z S t W 96 ( 1984) 287,304. Schon nach altem Recht nicht den Eltern gegenüber volljährigen K i n d e r n ( R G S t . 40 166 ; 67 314 ; aA BGHSt. 17 230, 235; B a y O b L G M D R 1952 312; vgl. auch B G H N J W 1954 847: m i n d e r j ä h r i ge verheiratete Tochter).

Stand: 1. 8. 1994

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Förderung sexueller H a n d l u n g e n Minderjähriger

§ 180

mit einem unter 16 Jahre alten Partner sein, weil dort schon in dem Vertragsschluß eine Gewährung von Gelegenheit liegt 19 . An der Möglichkeit zum Einschreiten wird es nicht selten bei Kindern fehlen, die 9 zwar noch bei den Eltern wohnen, sich aber schon aus dem Autoritätsverhältnis gelöst haben und bestimmend auftreten (BGHSt. 6 46, 57). Die Bejahung der Zumutbarkeit des Einschreitens ist im wesentlichen das Ergebnis tatrichterlicher Wertung, bei welcher der Richter die Pflichten und Interessen der Beteiligten gegeneinander abwägen muß (BGH Urt. v. 18. September 1962 - 5 StR 371/62). So kann der Wunsch der Mutter, die Eheschließung der Tochter sicherzustellen, die Verneinung der Zumutbarkeit nahelegen (BGH Urt. v. 29. Januar 1957 — 5 StR 391/56), selbst wenn es noch nicht zu einem Verlöbnis gekommen ist (BGH Urt. v. 26. Juni 1959 — 4 StR 21 /59). In jedem Falle bedürfen die Gesichtspunkte der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Einschreitens gegen erwachsene Kinder einer sorgfältigen Prüfung (BGH Urt. v. 15. Dezember 1961 — 4 StR 376/61 ). Auch ein Ehepartner ist nicht verpflichtet, unter allen Umständen mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln den Partner an sexuellen Handlungen in der ehelichen Wohnung zu hindern (RGSt. 58 97 ; 58 226; RG JW 1926 1184 mit Anm. Träger), doch kann die Unzumutbarkeit nicht schon daraus hergeleitet werden, daß es ihm darauf ankommt, die Ehe zu erhalten (BGH bei Daliinger M D R 1966 23, vgl. BGH FamRZ 1956 81); zutreffend nimmt RGSt. 77 125 an, daß den Eltern nicht zugemutet werden kann, gegen den eigenen Sohn polizeiliche Hilfe zu erbitten (in diesem Sinne auch BGHSt. 6 46, 57 f)· e) Für die Fälle des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 — gleichgültig, ob die Tat durch positives 10 Tun oder durch Unterlassen begangen worden ist — ist das Erzieherprivileg des Abs. 1 Satz 2 zu beachten. Dessen Einfügung war im Gesetzgebungsverfahren umstritten (Horstkotte JZ 1974 84, 86). Es führte zur Anrufung des Vermittlungsausschusses (vor § 174). Der Gesetzgeber folgte der Anregung dieses Ausschusses (BTDrucks. 7/1166), das Erzieherprivileg beizubehalten, die zunächst vorgesehene Erstreckung (durch das sog. verlängerte Erzieherprivileg) auf denjenigen, der mit Einwilligung des Personensorgeberechtigten handelt, aber zu streichen. Das Erzieherprivileg beruht auf der Erwägung, es entspreche der Wertordnung des Grundgesetzes, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern grundsätzlich von staatlicher Reglementierung freizuhalten (BTDrucks. VI/3521 S. 41). Der Sorgeberechtigte soll, solange er seine Erziehungspflicht nicht gröblich verletzt, nicht durch das Strafrecht in seiner Gestaltungsfreiheit bei der Behandlung komplexer pädagogischer Probleme behindert werden (Horstkotte JZ 1974 84, 86) 20 . Das Strafrecht trifft dadurch keine Entscheidung darüber, ob die Maßnahme des Erziehers sinnvoll war oder nicht und ob sie nicht besser aus Gründen des Kindeswohles unterbunden werden sollte. Es will deshalb keinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund schaffen (BTDrucks. VI/3521 S. 46), vielmehr einen Tatbestandsausschluß, der keine Rückschlüsse darauf zuläßt, ob ggf. Maßnahmen nach § 1666 BGB notwendig sind. Die gesetzlichen Erwägungen lassen es als ungereimt erscheinen, daß das Privileg auf die Fälle des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 beschränkt ist (kritisch auch Lackner Rdn. 10; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 15), da diese nicht immer von denen des Vermitteins 19

20

Zu weitgehend A G E m d e n N J W 1975 1363 mit A n m . Schickedanz u n d Peters N J W 1975 1890 sowie Händel N J W 1976 521 : Sittenwidrigkeit eines Mietvertrages mit volljährigen Verlobten. Kritisch, soweit das Privileg — über erzieherische

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N o t s t a n d s f ä l l e hinaus — dem Erzieher einen Spielraum für die Verwirklichung pädagogischer Ü b e r z e u g u n g e n ermöglicht: Lackner R d n . 9 ; Hanack N J W 1974 1, 8; Becker/Ruthe F a m R Z 1974 508; DreherJR 197445,51.

Heinrich Laufhütte

§ 180

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

abzugrenzen sind und beide Tathandlungen ineinander übergehen können. In solchen Fällen wird man das Privileg anwenden dürfen, wenn die Tathandlung der Nr. 2 diejenige ist, durch welche die Tat das Gepräge erhält (Sch/Schröder/Lenckner aaO). 11

In Anspruch nehmen kann das Privileg jeder, der zur Sorge für die Person berechtigt ist. Sorgeberechtigt in diesem Sinne sind leibliche Eltern (§ 1626 BGB), die Mutter in Fällen des § 1705 BGB, Adoptiveltern (§ 1754 BGB), Vormünder (§ 1793 BGB) und Pfleger (§ 1630 BGB), soweit ihnen ein Erziehungsrecht zusteht. Das Privileg gilt auch für denjenigen, der auf konkrete Weisung des Erziehungsberechtigten handelt 21 , denn es kann nicht darauf ankommen, ob der Erziehungsberechtigte seine Entscheidung selbst in die Tat umsetzt oder ob auf seine konkrete Anordnung ein anderer handelt. Daß im Gesetzgebungsverfahren das zunächst vorgesehene verlängerte Erzieherprivileg gestrichen worden ist, steht dem nicht entgegen (aA Lackner aaO). Nach dieser gesetzgeberischen Entscheidung reicht zwar eine generelle Übertragung von Erziehungspflichten auf einen anderen nicht aus, um diesem das Privileg aus § 180 Abs. 1 Satz 2 zu verschaffen. Konkrete Weisungen im Einzelfall stellen aber im Ergebnis eine Entscheidung des Personensorgeberechtigen dar, mit deren Durchführung er lediglich den Dritten beauftragt hat. Fehlt die konkrete Weisung des Erziehungsberechtigten, so ist ein Dritter, der den Tatbestand des § 180 Abs. 1 erfüllt, auch dann strafbar, wenn sein Tun oder Unterlassen pädagogisch sinnvoll war.

12

Das Erzieherprivileg gilt nicht für denjenigen, der durch das Vorschubleisten seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Da das Privileg nicht auf Notstandsfälle und auf Fälle des Unterlassens beschränkt ist, liegt eine gröbliche Verletzung nicht schon dann vor, wenn der Entscheidung des Erziehers pädagogisch fragwürdige Grundsätze zugrunde liegen. Die Auffassungen darüber, was pädagogisch sinnvoll oder zumindest vertretbar ist, sind höchst unterschiedlich. Es ist nicht Aufgabe des Strafrichters, sein Urteil über richtige Erziehung zum Maßstab für ein anderes — noch vertretbares — Erziehungskonzept zu machen 2 2 . Die Vorschrift verweist den Tatrichter nicht auf das Moralisieren (aA Lackner Rdn. 9). Grob erziehungswidrig ist vielmehr nur ein solches Verhalten, das schlechterdings unvertretbar ist. Es liegt dann vor, wenn die konkrete Gefahr besteht, daß der Jugendliche in Promiskuität oder Prostitution abgleitet (Horstkotte JZ 1974 84, 86; weitergehend Dreher JR 1974 45, 51). Außerdem dürfen Handlungen nicht gefördert werden, die als solche (ζ. B. nach den §§ 174, 176) strafbar sind (Horn SK Rdn. 15; Tröndle Schmitt-Festschrift S. 231, 233 f)· Entsprechendes gilt für Handlungen, die zwar nicht strafbar sind, deren Pönalisierung — soweit Jugendliche daran beteiligt sind — jedoch möglich gewesen wäre, aber u. a. aus Gründen der Praktikabilität unterblieben ist. Der Erzieher handelt auch grob pflichtwidrig, wenn er sich selbst an den geförderten sexuellen Handlungen des Jugendlichen — aktiv oder passiv — beteiligt oder wenn er Gewinn aus der Förderung zieht. Die Umstände des Einzelfalles sind stets sorgfältig zu prüfen. 21

22

Sch/Schröder/Lenckner R d n . 17; Horn SK. R d n . 16; Becker/Ruthe F a m R Z 1974 510; aA Dreher/Tröndle R d n . 14; Lackner R d n . 13; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975) S. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband 1 § 20 R d n . 34. Die Schwierigkeit, den Begriff der groben Verletzung der Erziehungspflicht auszulegen, f ü h r t — wie bei dem e n t s p r e c h e n d e n in § 170d verwand-

ten M e r k m a l — nicht zu verfassungsrechtlichen Bedenken (aA Becker/Ruthe F a m R Z 1974 508, 510; Lackner R d n . 9; Schroeder Das neue Sexualstrafrecht [1975] S. 49). Das Strafrecht k a n n auf die V e r w e n d u n g wertausfüllungsbedürftiger Begriffe nicht verzichten ( B V e r f G E 37 201, 208; 45 363, 371 ; 47 109, 120f; 4 8 4 8 , 56; 64 389, 3 9 3 f ; 7 3 206, 2 3 5 , 7 8 205, 212 f>

Stand: 1. 8. 1994

0 So haben nach f r ü h e r e m Recht I d e a l k o n k u r r e n z zwischen § 181 a u n d § 180 a Abs. 3 a. F. (Förder u n g der Prostitutionsausübung durch gewerbsmäßige A n w e r b u n g zur Prostitution) a n g e n o m m e n B G H bei Holtz M D R 1985 284 und B G H R S t G B

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§ 180 a Abs. 3 K o n k u r r e n z e n 1; I d e a l k o n k u r r e n z zwischen § 181 a u n d § 180a Abs. 4 a. F. (Förder u n g der Prostitution von j u n g e n M e n s c h e n ) haben bejaht B G H bei Holtz M D R 1979 106; B G H R S t G B § 180a Abs. 4 K o n k u r r e n z e n 1; B G H R S t G B § 180a Abs. 1 Nr. 1 K o n k u r r e n z e n 1: O L G Köln M D R 197973.

Heinrich Laufhütte

§ 181

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

lungen zu bringen, die sie an oder vor einer dritten Person vornehmen oder von einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, oder 3. gewerbsmäßig anwirbt, um sie in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Bei minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Schrifttum Bohnert Das T a t b e s t a n d s m e r k m a l „List" im Strafgesetzbuch, G A 1978 353 ; Dencker Prostituierte als O p f e r von M e n s c h e n h a n d e l ( § 1 8 1 StGB), N S t Z 1989 259; Dem M e n s c h e n h a n d e l , Gesellschaft u n d Polizei, M s c h r K r i m . 1991 329; Dreher Z u m Meinungsstreit im Bundesgerichtshof um § 237 StGB, N J W 1972 1641 ; Dreher N o c h m a l s § 237 StGB, J Z 1973 276; HeineWiedenmann Umfeld u n d A u s m a ß des M e n s c h e n h a n d e l s mit ausländischen M ä d c h e n u n d Frauen (1992); Hruschka Z u m Tatvorsatz bei zweiaktigen Delikten, insbesondere bei der Entf ü h r u n g des § 237 StGB n. F., J Z 1973 12; Hruschka R ü c k k e h r zum dolus subsequens? J Z 1973 278 ; Labonté Zuhälterei als Form des M e n s c h e n h a n d e l s , Kriminalistik 1990 387 ; Kelker Die Situation von Prostituierten im Strafrecht und ein freiheitliches Rechtsverständnis. Betrachtung der Situation nach dem 26. Strafrechtsänderungsgesetz, Kritische Vierteljahresschrift f ü r Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft 1993 289; Molloy Prostitution, Job-Beruf-Arbeit, in: 17. Strafverteidigertag 1993 147; Schroeder Die Veranlassung zur Prostitution mit Gewalt oder List, J R 1977 357; Schröder A n m . zu BGHSt. 24 90, J Z 1971 435 u n d J Z 1972 289; Steinke Menschenhandel, Kriminalistik 1992 649; Wagner Z u r Auslegung der Staatsschutzvorschriften über den Schutz der persönlichen Freiheit, M D R 1967 709. Vgl. a u ß e r d e m die Schrifttumsangaben bei § 180 u n d § 180 b.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch das 4. StrRG völlig neu konzipiert worden. Sie hat im früheren Recht kein Vorbild. Die vom E 1962 mit der Überschrift „Menschenhandel" vorgeschlagene Strafbestimmung (§ 229) war völlig anders gestaltet. Der Grund für die Neufassung durch das 4. StrRG liegt in der Streichung des Tatbestandes der eigennützigen Kuppelei. Durch § 180 StGB a. F. — ergänzt durch § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. und durch den Tatbestand des § 48 a. F. des Reichsgesetzes über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1987 (RGBl. I 463) — hatte der deutsche Gesetzgeber seine Pflichten aus den Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels und der Internationalen Übereinkunft zur Unterdrückung des Frauenund Kinderhandels erfüllt (vgl. vor § 174 Rdn. 23). Diesen internationalen Verpflichtungen, denjenigen zu bestrafen, der, „um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine volljährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt, Drohung, Mißbrauch des Ansehens oder durch irgendein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt" oder wer eine solche Tat versucht (vgl. BGHSt. 27 27, 28), trägt der Gesetzgeber nunmehr durch § 181 StGB n. F. Rechnung. Weitere — vom deutschen Gesetzgeber nicht ratifizierte — Konventionen (vor § 174 Rdn. 25) wurden soweit als möglich berücksichtigt. Der Vorschrift war seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren eine verhältnismäßig geringe Bedeutung zugemessen (BTDrucks. VI/3521 S. 49) worden. Der Gesetzgeber war aber der Auffassung, daß die Strafbestimmung im weltweiten Sanktionensystem zur Bekämpfung des Menschenhandels einen unerläßlichen Beitrag leistet. S t a n d : 1. 8. 1994

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181

Durch das 26. S t R Ä n d G vom 14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1255) ist die Vorschrift neu gefaßt u n d erweitert worden, um den Schutz insbesondere ausländischer M ä d c h e n u n d Frauen vor Ausbeutung zu verbessern. Schwerpunkt der Neufassung ist die Ergänzung der Vorschrift um einen Tatbestand, in dem das gewerbsmäßige Anwerben auch solcher ausländischer M ä d c h e n u n d Frauen, die zur Zeit der Tat in ihrem Heimatland als Prostituierte tätig sind, unter Strafe gestellt wird (§181 Abs. 1 Nr. 3). Die S t r a f d r o h u n g f ü r minder schwere Fälle wurde in Absatz 2 eingestellt und die Mindeststrafe angehoben. Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Die Tatbestände der Vorschrift (§181 Abs. ! Nrn. 1,2 und 3 1. Der Tatbestand des § 181 Abs. 1 Nr. 1 a) Die Merkmale Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel b) Das Merkmal der List c) Bestimmung zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution . . . 2. Die Tatbestände des § 181 Abs. 1 Nr. 2 a) Anwerbung durch List b) Entführung durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen

Rdn. 1 2 2

2 3 4 5 5

III. IV. V. VI. VII. VIII.

Übel oder List c) Die vom Täter verfolgten Zwekke 3. Der Tatbestand des § 181 Abs. I Nr. 3 a) Der Schutzzweck der Vorschrift und die vom Täter verfolgten Zwecke b) Gewerbsmäßige Anwerbung . . . Subjektiver Tatbestand Täter und Teilnehmer Versuch und Vollendung Die Strafe Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 6 7 10

II 12 13 14 15 16 17 18

I. Geschütztes Rechtsgut. § 181 schützt die sexuelle Selbstbestimmung von Perso- 1 nen männlichen u n d weiblichen Geschlechts 1 . Die Vorschrift b e k ä m p f t H a n d l u n gen, die Menschen in die Prostitution führen oder es ihnen erschweren, sich aus ihr wieder zu lösen. Maßgeblich f ü r diesen Schutz ist die Erwägung, d a ß die Prostitution f ü r die Betroffenen ein Übel ist (BTDrucks. VI/1552 S. 18), das zwar als solches — schon aus G r ü n d e n der Praktikabilität — nicht unter Strafe gestellt werden k a n n , es aber notwendig ist, prostitutionsfördernden M a ß n a h m e n entgegenzuwirken. Es gilt das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 4). II. Die Vorschrift sieht drei gesonderte Tatbestände vor: 1. § 181 Abs. 1 Nr. 1 setzt Gewalt, D r o h u n g mit einem empfindlichen Übel oder List voraus. Der Gewaltbegriff entspricht dem des § 177 (dort Rdn. 3). Die Gewalt m u ß sich also gegen eine Person richten. Dem steht nicht entgegen, d a ß in § 181 — anders als in § 177 — das Nötigungsmittel der D r o h u n g nicht ein solches mit gegenwärtiger G e f a h r für Leib oder Leben zu sein braucht. Denn die Struktur des Tatbestandes entspricht, soweit es um das Nötigungsmittel der Gewalt geht, eher dem § 177 als dem § 240. Gewalt wird regelmäßig nur in der Form der vis compulsiva in Frage k o m m e n ( H o r n SK R d n . 3). Der Begriff der Drohung entspricht grundsätzlich ebenfalls dem des § 177 (dort Rdn. 9). Anders als dort (Rdn. 10) reicht es jedoch aus, wenn — wie in § 240 (vgl. Schroeder J R 1977 357, 358) — irgendein empfindliches Übel an1

Vgl. vor § 174 Rdn. 6; BGHSt. 33 353, 354f.; BGH NStZ 1983 262 f; BTDrucks. 12/2046 S. 5.

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§

1 8 1

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

gedroht wird. Einer besonderen Prüfung der Verwerflichkeit bedarf es bei § 181 nicht. Bei der Weite des Nötigungsmittels „Drohung mit einem empfindlichen Übel", die dazu zwingt, die Eingrenzung des Nötigungstatbestandes häufig in der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel zu suchen (BGHSt. 31 195, 200; vgl. dazu die bei § 177 Rdn. 9 genannten Fundstellen, insbesondere Schroeder JZ 1983 284 bei Fußn. 20), kann dies auf Bedenken stoßen. Eine einengende Interpretation des Gesetzes ist aber nicht möglich. Denn man wird die Entscheidung des Gesetzgebers, in § 181 auf eine Klausel im Sinne des § 240 Abs. 2 zu verzichten, dahin verstehen müssen, daß dieser es generell für verwerflich angesehen hat, einen anderen mit den in § 181 genannten Mitteln dazu zu bringen, der Prostitution nachzugehen. Der Begriff der List entspricht dem in § 234 verwandten (vgl. Vogler LK 10 vor § 234 Rdn. 9). Er setzt keine Täuschung voraus (aA Bohnert GA 1978 353, 361). Vielmehr genügt — neben einem gewissen Grad von Klugheit, Schlauheit und Fertigkeit — das geflissentliche Verbergen der Absicht oder der zur Erreichung dieser Absicht gebrauchten Mittel ( Vogler aaO; vgl. Wagner MDR 1967 709). Das Merkmal der List wirft in § 181 Abs. 1 Nr. 1 besondere Probleme auf. Der Bundesgerichtshof sieht das listige Schaffen eines Anreizes zur Ausübung der Prostitution nicht als tatbestandsmäßig an; danach ist nicht nach § 181 Nr. 1 strafbar, wer seiner Freundin vortäuscht, er werde mit ihr eine gemeinsame Zukunft aufbauen (BGHSt. 27 27) oder er werde sich von seiner bisherigen Freundin trennen (BGH Urteil vom 3. Juni 1980 — 1 StR 192/80). Bei dieser Auslegung ist fraglich, ob das Merkmal der List für § 181 Nr. 1 überhaupt von Bedeutung ist (vgl. Horn SK Rdn. 3). Von den Möglichkeiten des listigen Verhaltens, die Schroeder (JR 1977 357) herausgearbeitet hat, entfallen nach der bezeichneten Rechtsprechung die Verhaltensweisen, durch die das Opfer zu einer freiwilligen Aufnahme der Prostitution veranlaßt wird. In solchen Fällen ist allerdings stets sorgfältig zu prüfen, ob nicht eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliegt (Schroeder JR 1977 357). Diese kann in der — auch konkludenten — Ankündigung liegen, ein rechtlich gebotenes Handeln zu unterlassen (§ 177 Rdn. 9). Offengelassen hat der Bundesgerichtshof (BGHSt. 27 27,28), ob es ausreicht, daß der Täter das Opfer durch List in eine Lage bringt, die für eine nachfolgende Verwirklichung des Plans, es der Prostitution zuzuführen, günstigere Voraussetzungen schafft. Die Tatbestandsmäßigkeit ist hier zu verneinen in den Fällen, in denen trotz der für die Absicht des Täters günstigeren Lage weitere Maßnahmen notwendig sind, um den Betroffenen zur Aufnahme der Prostitution zu veranlassen. Zu bejahen ist die Tatbestandsmäßigkeit 2 , wenn die für das Opfer geschaffene Lage derart ausweglos ist, daß es mit Rücksicht auf diese Lage der Prostitution nachgeht. Entsprechendes ist anzunehmen bei den weiteren von Schroeder aaO aufgezeigten Möglichkeiten, daß sich die betroffene Person darüber irrt, daß überhaupt sexuelle Handlungen aufgenommen werden oder daß diese gegen Entgelt erfolgen. Der Täter muß das Opfer durch die genannten Mittel bestimmen, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen. Dieses Merkmal verwendet das Gesetz auch in § 180 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 (siehe dort Rdn. 6). Der Gesetzgeber wollte durch die Erweiterung des früheren Tatbestandes durch Aufnahme des Merkmals „Fortsetzung" den Schutz derjenigen verbessern, die bereits der Prostitution nachgehen (BTDrucks. 12/ 2589 S. 9). Jedoch war auch nach bisherigem Recht nur erforderlich, daß das Opfer 2

Wie bei der insoweit vergleichbaren Tatbestandsgestaltung in Fällen des § 237, in d e n e n d e r Täter nicht die O r t s v e r ä n d e r u n g u n d die d a d u r c h für das O p f e r entstehende hilflose Lage, s o n d e r n le-

diglich die von ihm verfolgten sexuellen Absichten verbirgt u n d d a d u r c h das Einverständnis des O p f e r s mit der O r t s v e r ä n d e r u n g erreicht ( B G H N J W 1984 1633).

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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zur Aufgabe der Prostitution entschlossen war und zu deren Fortsetzung bestimmt wurde 3 . Es genügt, daß die genannten Mittel mitursächlich waren für den Entschluß des Opfers, der Prostitution (weiter) nachzugehen (BGH bei Holtz MDR 1985 794 zum früheren Recht). Anders als bei § 180 b, der bereits durch die Einwirkung erfüllt ist, verlangt der Tatbestand des § 181 Abs. 1 Nr. 1, daß das Handeln des Täters erfolgreich war, daß also die betroffene Person infolge der vom Täter angewandten Mittel die Prostitution aufnimmt oder fortsetzt. Das Merkmal des Aufnehmens ist schon dann erfüllt, wenn das Opfer die erste Handlung begeht, die unmittelbar auf sexuelle Betätigung abzielt (vgl. § 180 a Rdn. 5). Es braucht also nicht zu sexuellen Handlungen gekommen zu sein. Ein Dauerverhalten wird nicht vorausgesetzt (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1739), wenn die Absicht der weiteren Ausübung besteht (Schroeder JR 1977 357, 359). Das Merkmal Fortsetzung ist erfüllt, wenn das Opfer die erste Handlung nach tatbestandsmäßiger Einwirkung begeht, die als Prostitutionshandlung (§ 180 a Rdn. 5) anzusehen ist. 2. § 181 Abs. 1 Nr. 2 enthält zwei Tatbestandsalternativen: 4

Der erste setzt eine durch List (siehe Rdn. 3) erfolgte Anwerbung voraus, der zweite eine Entführung wider Willen durch List, Drohung oder Gewalt. a) Das Merkmal der listigen Anwerbung verlangt den Abschluß einer Vereinbarung — die zivilrechtlich nicht wirksam zu sein braucht —, nach deren Inhalt sich die angeworbene Person verpflichtet fühlt, der Tätigkeit, für die sie angeworben worden ist, nachzugehen (BGH NStZ 1994 78). Das bedeutet, daß der Anwerber (oder ein Dritter) dem Angeworbenen hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit, zu der sich der Angeworbene verpflichtet glaubt, nach der Vorstellung des Angeworbenen Anweisungen erteilen können muß. Diese Anweisungsbefugnis ist bei der listigen Anwerbung zur Prostitution, bei der der wahre Zweck der Anwerbung zunächst verheimlicht wurde, die Grundlage, die es dem Anwerber oder dem Dritten möglich macht, den Angeworbenen dazu zu veranlassen, anstelle der nach der Vorstellung des Angeworbenen vorgesehenen Tätigkeit die Prostitution auszuüben. In Frage kommt etwa die Zusage, eine — nach der Vorstellung des Täters für die Prostitution — angeworbene Person erhalte eine Beschäftigung als Barfrau (BGH bei Holtz MDR 1985 284; BGH NStZ 1994 78). Es sind aber auch Fälle denkbar, bei denen zur Prostitution angeworben wird, bei denen aber die Umstände der Ausübung — listig — unrichtig angegeben werden. Das Tatbestandsmerkmal Werbung enthält das Element des Aktivwerdens des Werbenden (BGH NStZ 1992 434). Das bloße Abschließen eines Vertrages mit einer Person, die selbst die Initiative zum Vertragsschluß ergriffen hat und in keiner Weise überredet zu werden braucht, ist deshalb keine Anwerbung (aA Horn SK Rdn. 34; Dreher/Tröndle45 § 180 a Rdn. 13). Die bloße Initiative des anderen schließt allerdings Werbung nicht aus; Anwerbung liegt vor, wenn der andere Interesse an einer Vereinbarung zeigt, zum Abschluß einer solchen aber dadurch gebracht wird, daß ihm diese — etwa durch Versprechen von Vergünstigungen, Schmackhaftmachung der Tätigkeit, Inaussichtstellung besonderer Verdienstmöglichkeiten, Verleugnung 3

4

B G H S t . 33 353 mit A n m e r k u n g Boltke J R 1987 33 u n d Bürger StV 1987 64; Dencker N S t Z 1989 249, 251. Durch die E i n f ü g u n g des M e r k m a l s „ d u r c h List" wollte d e r Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs festschreiben, d a ß der Tatbe-

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stand des A n w e r b e n s nach § 181 Nr. 2 erste Alternative a. F. nur d a n n verwirklicht war, wenn der T ä t e r das O p f e r über den Zweck der A n w e r b u n g getäuscht hatte (so BTDrucks. 12/2589 S. 9 unter B e z u g n a h m e auf B G H N S t Z 1983 262, 263).

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von Nachteilen — als vorteilhaft angepriesen wird. Das bloße spätere Ausnutzen der durch einen anderen bereits erfolgten Anwerbung reicht nicht aus (BGH NStZ 1992 434). 6

b) Die genannten Merkmale der zweiten Alternative verwendet das Gesetz auch in § 237 (vgl. Vogler LK 10 vor § 234 Rdn. 8, § 236 Rdn. 4, § 237 Rdn. 4 ff). Der Begriff der Entführung erfordert das Wegbringen oder Fortführen vom bisherigen Aufenthaltsort an einen anderen Ort, an dem der Betroffene dem überwiegenden Einfluß des Täters ausgesetzt ist (vgl. BGHSt. 29 233, 237; im einzelnen Vogler LK10 § 237 Rdn. 4, 5). Die Begriffe Gewalt und Drohung entsprechen denen, die das Gesetz in § 181 Abs. 1 Nr. 1 und in § 177 verwendet (siehe dort). In § 181 Abs. 1 Nr. 2 verzichtet das Gesetz — anders als in § 181 Abs. 1 Nr. 1 — auf die Nennung des in Aussicht gestellten Übels. Die Drohung mit einem Übel ist allerdings dem Begriff der Drohung immanent (§ 177 Rdn. 9). Die Tatsache, daß das Gesetz das angekündigte Übel nicht näher seinem Grad nach bezeichnet, bedeutet aber, daß jedes angedrohte Übel, auch das nicht empfindliche, ausreicht 5 . Der Begriff der List deckt sich mit dem des § 181 Abs. 1 Nr. 1 Die dort aufgezeigten Probleme treten in § 181 Abs. 1 Nr. 2 wegen des Erfordernisses, daß sich die List auf die Ortsveränderung beziehen muß, nicht auf (offengelassen in BGHSt. 27 27, 30). Wider Willen ist entführt, wer einen der Wegführung widersprechenden Willen hat (im einzelnen Vogler aaO § 237 Rdn. 11). Gegen seinen Willen wird aber auch entführt, wer in die Ortsveränderung zwar eingewilligt hat, dies aber nur deshalb, weil er wegen der List des Täters dessen Zwecke (Rdn. 5, 6) nicht durchschaut hat (vgl. BGH NJW 1984 1633).

7

c) Einen besonderen Charakter gewinnt der Tatbestand beider Alternativen von § 181 Abs. 1 Nr. 2 durch die vom Täter verfolgten Zwecke. Er muß handeln, um den Angeworbenen oder Entführten in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit seinem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen (§ 184 c Nr. 1) zu bringen. Die sexuellen Handlungen müssen solche sein, die das Opfer mit einem Dritten — mit Körperkontakt (vgl. § 184 c Rdn. 16) — oder vor einem Dritten (§ 184 c Rdn. 18) vornimmt. Erfaßt sind nicht nur die Fälle, in denen das Opfer sich aufgrund der Anwerbung ins Ausland begibt oder durch Entführung dorthin geschafft wird. Es reicht aus, daß es in dem Land, in dem die auslandsspezifische Hilflosigkeit besteht, verbleibt.

8

aa) Im Falle der Anwerbung setzt der Tatbestand voraus, daß dem Täter in diesem Zeitpunkt bewußt ist, daß das Opfer im Ausland in eine hilflose Lage geraten wird oder sich in einer solchen befindet und deshalb eher bereit ist oder sein wird, auf die vom Täter verfolgten unsittlichen Zwecke einzugehen. Daran fehlt es, wenn das Opfer ohne Rücksicht auf seine Lage in einem fremden Land zur Aufnahme der Prostitution bereit ist, weil es dann über den Zweck seines Aufenthaltes nicht im unklaren ist und sich dazu frei entschieden hat 6 . Die Absicht, das Opfer unter Ausnutzung der Hilflosigkeit, die mit seinem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zu sexuellen Handlungen zu bringen, entfällt aber nicht bei dessen bloßer Einwilligung, ins Ausland zu gehen, wenn der Täter mit dem Ziel handelt, die dort gegebene Hilflosigkeit auszunutzen und das Opfer zu den in § 181 Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten sexuellen Handlungen zu bringen. Entsprechendes gilt, wenn das Opfer sich bei der Anwerbung zwar zu sexuellen Handlungen bereit erklärt, nicht aber damit, ins Ausland zu 5

6

Maurach N J W 1952 163, 165; Wagner MOR 1967 7 0 9 , 7 1 0 ; Vogler LK 1 " vor § 234 R d n . 11. B G H N S t Z 1983 262; Sch/Schröder/Lenckner

R n d . 8; Horn SK R d n . 11; Dencker N S t Z 1989 249, 252; zum neuen Recht jetzt auch Dreher/ Tröndle R d n . 4; Lackner R d n . 5.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Schwerer Menschenhandel

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gehen, wenn der Täter das Ziel verfolgt, die dort gegebene Hilflosigkeit auszunutzen, um dem O p f e r ein A b s t a n d n e h m e n von seiner Zusage unmöglich zu machen oder zu erschweren. Die Frage, ob ein Ausnutzen der Hilflosigkeit, die mit einem Aufenthalt in einem f r e m d e n Land verbunden ist, ü b e r h a u p t in Betracht k o m m t , ist aus der Sicht des Opfers u n d dessen persönlichen Fähigkeiten zu beantworten (zu weitgehend aber Dencker NStZ 1989 249, 253, der das „Ausnutzen der Hilflosigkeit" mit einer Täuschung des Opfers gleichsetzt). Das Merkmal setzt — wie bereits oben ausgeführt (§ 180b R d n . 10) — eine „auslandsspezifische Hilflosigkeit" (BTDrucks. 7 / 5 1 4 S. 10; 12/2046 S. 6) voraus, also eine solche, die etwa auf Sprach- u n d Kontaktschwierigkeiten, U n k e n n t n i s der Verhältnisse u n d das Fehlen von Rechtsschutz zurückzuführen ist. Ziel des Täters braucht es nicht zu sein, das O p f e r zur Prostitution zu bringen. Es reicht etwa die Absicht, ein M ä d c h e n einem Harem zuzuführen (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1739) oder dieses dazu zu bringen, vor Dritten — beispielsweise als Stripteasetänzerin — sexuelle H a n d l u n g e n vorzunehmen. Das Merkmal „zu bring e n " ist wie das entsprechende in § 180 b Abs. 2 auszulegen (dort Rdn. 13). Die Absicht des Täters braucht sich also nicht darauf zu erstrecken, selbst die erforderlichen H a n d l u n g e n vorzunehmen. Es k a n n auch sein Ziel sein, einen Dritten h a n d e l n zu lassen. bb) Die Absicht des Täters im Falle der Entführung deckt sich mit der im Falle der 9 Anwerbung. Der Erörterung bedarf, ob die Absicht bereits im Zeitpunkt der E n t f ü h rung vorliegen muß. Z u m entsprechenden Merkmal in § 237 vertritt der Bundesgerichtshof die Auffassung, der Täter müsse zwar die Frau durch die Ortsveränderung seinem u n g e h e m m t e n E i n f l u ß unterwerfen. Er brauche aber nicht von vornherein das Ziel zu verfolgen, die d a d u r c h entstehende hilflose Lage der Frau zu sexuellen H a n d l u n g e n mit ihr auszunutzen 7 . Diese f ü r § 237 umstrittene Auffassung 8 ist auf § 181 nicht ohne weiteres übertragbar. Vielmehr ist durch die Formulierung (entführt, um . . . zu sexuellen H a n d l u n g e n zu bringen ...) klargestellt, d a ß der Täter die in § 181 vorausgesetzte Absicht bereits bei der E n t f ü h r u n g gefaßt haben muß. Damit ist allerdings die von Dreher ( N J W 1972 1641, 1643; J Z 1973 276, 277) aufgeworfene Frage nicht beantwortet, in welchem Zeitpunkt die E n t f ü h r u n g s h a n d l u n g abgeschlossen ist (dazu Hruschka J Z 1973 12, 14; 278). Dreher ist der Auffassung, d a ß der Begriff der E n t f ü h r u n g einen Dauerzustand bezeichnet, der erst beendet ist, wenn die Verbringung an einen anderen Ort, also der Zustand des Entführtseins, wieder beseitigt ist. D a r a u s leitet Dreher (offengelassen in BGHSt. 29 233, 236) ab, d a ß die Entführungsh a n d l u n g bis zur Beendigung des Zustandes der E n t f ü h r u n g andauert, was — wenn es zuträfe — f ü r § 181 Abs. 1 Nr. 2 zur Folge hätte, d a ß die dort vorausgesetzte Absicht bis zum Ende des Zustandes der E n t f ü h r u n g gefaßt werden könnte. Dem ist indes nicht zuzustimmen. D e n n den ähnlich wie § 181 Abs. 1 Nr. 2 strukturierten I. Alternativen der §§ 239 a, b ist zu entnehmen, d a ß die die Strafbarkeit b e g r ü n d e n d e Absicht mit der Vollendung des Entführungsaktes — u n d nicht erst nach der Vollend u n g bis zur Beendigung des Entführungszustandes — gefaßt sein muß. Bei anderer Auslegung wären, wovon aber nicht auszugehen ist (vgl. B G H Urteil vom 21. Juli 1976 — 2 StR 340/76), die jeweiligen 2. Alternativen der §§ 239 a, b überflüssig (in diesem Sinne auch Dreher N J W 1972 1641, 1643 Fn. 16). Das bedeutet nicht, d a ß die in § 181 Abs. 1 Nr. 2 vorausgesetzte Absicht bereits bei Beginn der E n t f ü h r u n g s h a n d 7

BGHSt. 29 233 im A n s c h l u ß a n BGHSt. 24 90; zus t i m m e n d Dreher N J W 1972 1641; J Z 1973 276; Vogler LK'° § 237 R d n . 18.

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» Vgl. Schroeder J Z 1971 435; 1972 289; Hruschka J Z 1973 12; 278; Sch/Schröder/Eser § 237 R d n . 6.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

lung vorliegen müßte (vgl. die Beispiele bei Dreher NJW 1982 1641, 1643). Sie muß vielmehr spätestens bei Vollendung des Entführungsaktes, also mit der Vollendung des Wegbringens an einen Ort, an dem das Opfer dem überwiegenden Einfluß des Täters ausgesetzt ist, gefaßt sein. 10

3. In § 181 Abs. 1 Nr. 3 wird das gewerbsmäßige Anwerben von Personen zum Zwecke der Prostitutionsausübung in einem fremden Land unter Strafe gestellt. Die Vorschrift setzt voraus, daß der Täter in Kenntnis der auslandsspezifischen Hilflosigkeit des Opfers handelt (dazu § 180 b Rdn. 10). Ob der Täter das Opfer bei der Anwerbung getäuscht hat, ist im Unterschied zu § 181 Abs. 1 Nr. 2 ohne Bedeutung (BTDrucks. 12/2589 S. 9).

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a) Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 181 Abs. 1 Nr. 3 den Schutz solcher Personen verbessern, die bereits in ihrem Heimatland der Prostitution nachgegangen sind (BTDrucks. 12/2046 S. 7 und 12/2589 S. 9). Es fragt sich, ob dieses Anliegen des Gesetzgebers in der geltenden Gesetzesfassung hinreichend zum Ausdruck gebracht worden ist. Zum Zwecke des einheitlichen Sprachgebrauchs ist in § 181 Abs. 1 Nr. 3 wie in § 180 b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 erste Alternative und § 181 Abs. 1 Nr. 1 das Merkmal „um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen", verwendet worden. Hinsichtlich dieses Merkmals ist anerkannt, daß ein Bestimmen zur Fortsetzung der Prostitution nur vorliegen kann, wenn das Opfer die Prostitution aufgeben oder einschränken will oder zu einer intensiveren Ausübungsform gebracht werden soll 9 . Danach kommt auch bei § 181 Abs. 1 Nr. 3 ein Bestimmen zur Fortsetzung der Prostitution nur in Frage, wenn das Opfer die Hoffnung hat, die Prostitution in Deutschland aufgeben oder einschränken zu können, oder gegen seinen Willen zu einer intensiveren Form der Prostitutionsausübung gebracht werden soll. Die Fälle, in denen das Opfer nicht über den Zweck der Anwerbung getäuscht wird — die im Unterschied zu § 181 Abs. 1 Nr. 2 gerade erfaßt werden sollen — und von sich aus zur Ausübung der Prostitution im bisherigen oder sogar intensiveren Umfang bereit ist, werden nach der bisherigen Auslegung des Merkmals entgegen der Intention des Gesetzgebers nicht erfaßt, so daß sich auch keine Erleichterung von Beweisaufnahmen ergeben dürfte. Der Wille des Gesetzgebers allein dürfte jedoch keine ausreichende Grundlage sein, das Merkmal des Bestimmens zur Prostitutionsausübung in § 181 Abs. 1 Nr. 3 anders auszulegen als in den anderen Vorschriften. Denn in der Begründung des Gesetzentwurfs selbst heißt es dazu, daß es sich bei § 181 Abs. 1 Nr. 3 um einen Qualifikationstatbestand zu § 180 b Abs. 2 Nr. 1 handelt, der sich lediglich dadurch unterscheidet, daß statt des „Einwirkens" die „gewerbsmäßige Anwerbung" verlangt wird (BTDrucks. 12/2589 S. 9). Der Schutz der Prostituierten, die zur Prostitutionsausübung in einem fremden Land angeworben werden, ist danach nur unvollständig gelungen.

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b) § 181 Abs. I Nr. 3 setzt weiter voraus, daß der Täter gewerbsmäßig anwirbt. Zum Merkmal des Anwerbens siehe oben Rdn. 4. Die Anwerbung ist nur dann tatbestandsmäßig, wenn sie gewerbsmäßig erfolgt. Gewerbsmäßig handelt, wer sich aus der wiederholten Begehung der Straftat eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will (vgl. § 180 a Rdn. 7). Gewerbsmäßigkeit kann vorliegen, wenn der Täter aus der wiederholten Anwerbung selbst Gewinn ziehen will, wie etwa der Betreiber einer Agentur, die Call-Girl-Ringe mit Pro9

Dazu § 180b Rdn. 6; BTDrucks. 12/2589 S. 8; Bottke JR 1985 381 ; Dencker NStZ 1989 249,251. Stand: 1. 8. 1994

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Schwerer Menschenhandel

stituierten versorgt (BTDrucks. VI/1552 S. 27; 7/514 S. 10). Darauf ist der Anwendungsbereich der Vorschrift aber nicht beschränkt. Gewerbsmäßiges Handeln ist vielmehr auch möglich, wenn mittelbare Vorteile erstrebt werden (BGH NStZ 1983 262). Das ist dann der Fall, wenn der Täter nicht die Anwerbung zu einer Einnahmequelle macht, sondern an der späteren Prostitutionsausübung verdienen will (BGH aaO; BGH Beschluß vom 27. April 1983 - 3 StR 84/83 [S]). III. Subjektiver Tatbestand. § 181 erfordert — zumindest bedingten — Vorsatz, so- 13 weit nicht einzelne Merkmale (Abs. I Nr. 2 und Nr. 3) Absicht verlangen. In Abs. I Nr. I genügt hinsichtlich der Tatmittel und ihrer Wirksamkeit bedingter Vorsatz. Bei Nr. 2 und Nr. 3 muß der Täter die Umstände für möglich halten und billigen, aus denen folgt, daß die Merkmale der listigen oder gewerbsmäßigen Anwerbung oder der Entführung mit dem im Tatbestand genannten Mittel erfüllt sind. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Tatmittel, welche die Entführung zur Folge haben, genügt ebenfalls bedingter Vorsatz. Bezüglich des Absichtsmerkmals ist folgendes auszuführen: Der Tatbestand setzt nicht voraus, daß das Opfer im Zeitpunkt der Anwerbung oder Entführung im Ausland ist (Rdn. 7). Es kann sich im Inland befinden und dort angeworben und entführt werden. Begibt sich das Opfer freiwillig ins Ausland, so können die Tatbestände dort erfüllt werden. Das Absichtsmerkmal erfordert also die Ausnutzung der Hilflosigkeit des Opfers, die bereits im Ausland besteht oder durch Verbringen ins Ausland herbeigeführt werden soll. IV. Täter und Teilnehmer. Täter kann jedermann sein. Die Teilnahme richtet sich 14 nach den allgemeinen Regeln. Die Gewerbsmäßigkeit ist besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. I (§ 180 a Rdn. 19) ; die sonstigen Merkmale sind tatbezogen (vgl. BGHSt. 39 326, 329). V. Versuch und Vollendung. Nr. 1 ist vollendet, wenn das Opfer die Prostitution 15 aufnimmt oder fortsetzt (Rdn. 4). Beendet ist die Tat damit nicht, wenn das Nötigungsmittel noch fortwirkt (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983 984). Nr. 2 und Nr. 3 sind mit der Anwerbung bzw. der Entführung vollendet. Geht die betroffene Person bei der Anwerbung die Vereinbarung nur zum Schein ein, so liegt Versuch vor. Das mit der Anwerbung oder Entführung verfolgte Ziel braucht für die Vollendung nicht erreicht zu sein (vgl. BGH bei Holtz MDR 1985 284 zu § 180a Abs. 3 a. F.), beendet wird die Tat allerdings erst mit der Vornahme der beabsichtigten sexuellen Handlungen (vgl. BGH Beschluß vom 27. April 1983 - 3 StR 84/83 [S] - zu § 180 a Abs. 3 a. F.). Der Versuch ist strafbar (§ 23 Abs. 1 - § 181 ist Verbrechen, § 12 Abs. 1). Wendet der Täter Gewalt an und hat er vor, dies so lange zu tun, bis das Opfer seinem Verlangen, daß es der Prostitution nachgeht, nachkommt, geht der ursprüngliche Versuch nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 in der späteren Vollendung auf (BGH Beschluß vom 8. Dezember 1982 - 3 StR 446/82). VI. Die Strafe. Die Tat ist mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren 16 bedroht. Bei minder schweren Fällen sieht das Gesetz in Absatz 2 eine herabgesetzte Strafdrohung vor. Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe wird in Absatz 2 gegenüber § 181 a. F. auf 6 Monate angehoben. Die Mindeststrafdrohung für ein Verbrechen nach § 181 ist damit in keinem Fall niedriger als die für ein Vergehen nach § I80b Abs. 2. Zum Begriff des minder schweren Falles vgl. § 176 Rdn. 22; denkbar sind minder schwere Fälle insbesondere beim Tatbestand des Anwerbens (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 49). (I45)

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§ 181 ä

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

17

VII. Konkurrenzen. Idealkonkurrenz ist möglich mit § 177 (dort Rdn. 20; BGH Beschluß vom 6. Dezember 1984 — StR 698/84 - ) , § 178, auch mit anderen Sexualdelikten, soweit nicht eine spezielle Regelung vorliegt, was bei § 181 Abs. 1 Nr. 2 gegenüber § 180 b Abs. 1 Satz 2 und bei § 181 Abs. 1 Nr. 3 gegenüber § 180 b Abs. 2 Nr. 1 anzunehmen ist. Ebenso ist Idealkonkurrenz möglich mit §§ 249 oder 255 (BGHR StGB § 181 Nr. 1 Konkurrenzen 1). § 240 tritt hinter § 181 zurück, ebenso § 239. Zur Beleidigung vgl. § 174 Rdn. 23, zur Geiselnahme § 177 Rdn. 22. In den Fällen des § 181 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 kann Tateinheit gegeben sein, wenn der Täter das Nötigungsmittel gegen mehrere einsetzt oder mehrere Personen durch dieselbe Handlung täuscht.

18

VIII. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Rechts der DDR siehe § 174 Rdn. 24. In der DDR war der Menschenhandel zum Zwecke der Prostitutionsausübung durch § 132 Abs. 2'° StGB-DDR unter Strafe gestellt. Der Zweck der Vorschrift wurde in der internationalen Bekämpfung der Prostitution gesehen". Praktische Bedeutung dürfte ihr, vor allem in der Alternative des Verbringens ins Ausland, nicht zukommen.

§ 181a Zuhälterei (1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. einen anderen, der der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder 2. seines Vermögensvorteils wegen einen anderen bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die den anderen davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben, und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer gewerbsmäßig die Prostitutionsausübung eines anderen durch Vermittlung sexuellen Verkehrs fördert und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen. (3) Nach den Absätzen 1 und 2 wird auch bestraft, wer die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 genannten Handlungen oder die in Absatz 2 bezeichnete Förderung gegenüber seinem Ehegatten vornimmt. Schrifttum Amelunxen Der Zuhälter (1967) ; Androulakis Zur Frage der Zuhälterei, ZStW 78 ( 1966) 432 ; Baumann Der lange Weg des 3. Strafrechtsreformgesetzes, Z R P 1971 129, 132; Bohne Anm. zu BGH dortselbst JZ 1952 533; Borchers Zuhälter in Hamburg 1956 bis 1960, Diss. Hamburg 10

§ 132 S t G B - D D R i.d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14. 12. 1988 (GBl. 1 1989 34, 57) lautet : „(1) W e r einen Menschen mit Gewalt, D r o h u n g oder durch T ä u s c h u n g e n t f ü h r t oder rechtswidrig z u m Aufenthalt in bestimmten Gebieten zwingt o d e r ins A u s l a n d verbringt, wird mit Freiheitsstrafe von einem J a h r bis zu acht J a h r e n bestraft. (2) E b e n s o wird bestraft, wer die H a n d l u n g be-

geht, um einen Menschen zur Prostitution zu bringen, o d e r wer ein K i n d oder einen Jugendlichen mit dessen Einwilligung ins Ausland zum Z w e c k e der Prostitution verbringt. (3) Vorbereitung u n d Versuch sind s t r a f b a r . " " Strafrecht der D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987, § 132 A n m . 3.

Stand: 1. 8. 1994

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Zuhälterei

§ 181 a

1967; Bouke Anmerkung zu BGHSt. 33 353, JR 1987 33 ; Bracht Zuhälterei als Form der Sklaverei, ZRP1971 272; Dieckmann Das Bild des Zuhälters in der Gegenwart (1975); Geerds Anm. zu BayObLG NJW 1977 1209, JR 1978 81 ; Hensinger Der Tätertyp des Zuhälters in seiner kriminologischen und dogmatischen Bedeutung, Diss. Erlangen 1976; Horstkotte Kuppelei, Verführung und Exhibitionismus nach dem 4. StrRG, JZ 1974 84, 88; Kaiser Das Wesen der Zuhälterei und ihre kommunalpolitische Beurteilung, Diss. Köln 1937; Matthes/Westphal Der Zuhälterparagraph und die Polizei, Kriminalistik 1969 475 ; Schroeder Neue empirische Untersuchung zur Zuhälterei, MschrKrim. 61 (1978) 62. S. ferner die Schrifttumsangaben vor § 174 und bei §§ 180 bis 181.

Entstehungsgeschichte Die Zuhälterei ist erst durch Gesetz vom 25. Juni 1900 (RGBl. I S. 301) — Lex Heinze — unter Strafe gestellt worden. Auslöser für die Einführung der Strafbestimmung war der Fall Heinze (dazu Androulakis ZStW 78 432,433), der große Unruhe in der Bevölkerung verursacht und Bestrebungen ausgelöst hatte, einer „verworfenen Menschenklasse" zu Leibe zu rücken (zit. nach Kaiser Das Wesen der Zuhälterei und ihre kommunalpolitische Beurteilung, Diss. Köln 1937). Der im Jahre 1900 geschaffene Tatbestand hatte zum Ziel, den Zuhälter als Schmarotzer der Dirne zu treffen, da das Zuhältertum als Nährboden für Verbrechen aller Art angesehen wurde (RGSt. 73 183, 184; Mösl LK 9 § 181 a Rdn. 2) Als Hauptfall des Zuhälterwesens wurde der Tatbestand der ausbeuterischen Zuhälterei geschaffen (vgl. BGHSt. 21 272, 274). Neben dem ausbeuterischen Zuhälter bedrohte das Gesetz in § 181 a a. F. den — gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz handelnden — schutzgewährenden oder sonst förderlichen Zuhälter. Die Tatbestandsfassung war so weit, daß die Rechtsprechung eingrenzende Kriterien entwickelt hat, die sie aus dem im Gesetzestext beigefügten Klammerbegriff „Zuhälter" herleitete (RGSt. 73 183). Das Merkmal Zuhälter bezeichnete nach dieser Rechtsprechung einen Mann, der zu einer der gewerbsmäßigen Unzucht ergebenen Frau in einem auf eine gewisse Dauer berechneten, besonders gearteten persönlichen Verhältnis stand, das erkennen ließ, daß er in ihrem unzüchtigen Gewerbe zu ihr hielt (BGH Urteil vom 28. August 1959 — 5 StR 298/59) und, soweit es sich um die ausbeuterische Zuhälterei handelte, gemeinsam mit ihr daran und an dessen Erträgen interessiert war (BGHSt. 4 316; 15 37; 21 272). Eine Abhängigkeit oder Hörigkeit der Dirne war nicht erforderlich; ebensowenig war entscheidend, wenn auf längere Zeit geplante Beziehungen alsbald entdeckt und unterbrochen wurden (BGH NJW 1964 116; RGSt. 34 74, 78; vgl. auch RGSt. 72 126). Der Ehemann konnte Zuhälter sein (BGHSt. 2 273; RGSt. 71 199; RG H R R 1942 609). Auch das Verlöbnis (RGSt. 45 264) oder Liebesbeziehungen (BGHSt. 15 37) standen nicht entgegen, es sei denn, es ging dem Mann nur um die Liebesbeziehung als solche (BGH NJW 1954 1294; RG H R R 1939 980). Entscheidend war das Gesamtbild der Beziehungen (BGH GA 1962 307). Der E 1962 wollte diese Kriterien für die Neufassung des Tatbestandes (§ 230), der keine Einschränkungen der Strafbarkeit vorsah, nutzen. Die Kritik am früheren Recht und am Vorschlag des E 1962 führten zu der Empfehlung, § 181 a StGB a. F. ersatzlos zu streichen (Hanack Gutachten zum 47. Deutschen Juristentag [1968] Rdn. 304 ff; Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, Sexualdelikte, zu § 230 E 1962; 47. Deutscher Juristentag, Verhandlungen Bd. II 1969 Ρ 5). Sie ging indes von einem Bild des Zuhälters aus, welches der sozialen Wirklichkeit nur in Ausnahmefällen entsprach, nämlich dem vom schwächlichen Asozialen. Das 4. StrRG hat sich um eine Fassung bemüht, die diesen Tätertyp — anders als im früheren Recht — nicht pönalisiert, die aber die gefährlichen Formen der Zuhälterei erti 47)

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§ 181 3

13. Abschnitt. Straftaten gegen' die sexuelle Selbstbestimmung

faßt (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1644; vgl. dazu auch die Anhörung von Sachverständigen, Prot., 6. Wahlperiode S. 1673 ff). Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Zuhälterei und Ausbeutung (§ 181 a Abs. 1 Nr. 1) 1. Der Tatbestand der ausbeuterischen Zuhälterei 2. Das Merkmal der Ausbeutung und die spürbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage 3. Das Unterhalten von Beziehungen . III. Dirigierende Zuhälterei (§ 181 a Abs. 1 Nr. 2) 1. Die drei Tatbestände der dirigierenden Zuhälterei a) Überwachen der Prostitutionsausübung (1. Alternative) . . . . b) Bestimmung von Ort, Zeit, Ausm a ß oder anderen Umständen der Prostitutionsausübung (2. Alternative) c) Treffen von M a ß n a h m e n , die den anderen davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben

1

Rdn. 1 2 2

IV.

3 4 5 5 5 V. VI. VII. VIII. IX. X.

6

(3. Alternative) 2. Tatbestandserfüllung bei den einzelnen Alternativen der dirigierenden Zuhälterei Gewerbsmäßige Förderung der Prostitutionsausübung durch Vermittlung sexuellen Verkehrs (§ 181 a Abs. 2) . . . . 1. Schutzzweck der Vorschrift 2. Der Tatbestand des § 181 a Abs. 2 . . a) Förderung der Prostitutionsausübung b) Förderung durch Vermittlung sexuellen Verkehrs c) Gewerbsmäßigkeit 3. Unterhalten von Beziehungen, die über den Einzelfall hinausgehen . . Ehegattenzuhälterei Subjektiver Tatbestand Vollendung u n d Versuch Täterschaft und Teilnahme Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 7

8

II 11 12 12 13 13 14 15 16 17 18 19 20

I. Geschütztes Rechtsgut. § 181 a dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung 1 . Formen der Zuhälterei, wie sie in § 181a unter Strafe gestellt sind, beschneiden die persönliche Freiheit von Prostituierten. Das gilt sowohl für das Verhalten des ausbeutenden Zuhälters (Abs. 1 Nr. 1) wie für das des „Managers" (Abs. 1 Nr. 2) 2 , aber auch für das des Vermittlers nach Abs. 2 3 , der eine Prostituierte in die Gefahr bringen kann, in die stärkeren Formen der Abhängigkeit nach Abs. 1 zu geraten (BTDrucks. VI/3251 S. 50). II. Zuhälterei und Ausbeutung

2

1. § 181 a Abs. 1 Nr. 1 bedroht die ausbeuterische Zuhälterei mit Strafe. Die Vorschrift setzt voraus, daß der männliche oder weibliche Täter einen — männlichen oder weiblichen — anderen, welcher der Prostitution nachgeht (dazu § 180 a Rdn. 4, 5), ausbeutet und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen.

3

2. Den Begriff der Ausbeutung verwendet das Gesetz auch in § 180 a Abs. 2 Nr. 2. Er verlangt ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnützen der Prostitutionsausübung 1

2

BGH N S t Z 1982 507; B G H Urteil vom 12. Februar 1985 — 1 StR 835/84 — und Beschluß vom 9. August 1985 — 3 StR 301/85. Siehe dazu ausführlich Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 1 und LK vor § 174 Rdn. 6. Nach Nitze (NStZ 1986 359 0 schützt § 181 a die O r d n u n g des Sexuellen in der Gesellschaft. Nach Auffassung des LG Münster verstoßen

3

§§ 180 a Abs. 1 Nr. 2 und 181 a Abs. 1 Nr. 2 hingegen gegen die Berufsausübungsfreiheit der Prostituierten (StV 1992 581). AA insoweit Dreher/Tröndle Rdn. 3: Absatz 2 soll verhindern, d a ß der soziale Schaden, den die Prostitution für die Dirne darstellt, durch gewerbsmäßige Geschäftemacherei vertieft wird.

Stand: 1. 8. 1994

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Zuhälterei

§

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Λ

als Erwerbsquelle, das zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der oder des Prostituierten führt (BGH NStZ 1989 67, GA 1987 261; siehe auch § 180 a Rdn. 17 mit Nachw.). Besonderer Erörterung bedarf das Kriterium der spürbaren Verschlechterung der Vermögensverhältnisse. Die Verschlechterung kann sich auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum beschränken (BGH NJW 1964 16). Eine Gefährdung des Existenzminimums braucht mit ihr nicht verbunden zu sein 4 . Die Beantwortung der Frage, ob eine spürbare Verschlechterung eingetreten ist, setzt grundsätzlich Feststellungen zur Höhe der Einnahmen und der Abgaben der Prostituierten voraus 5 . Das bloße Abstellen auf Prozentanteile ist regelmäßig nicht ausreichend 6 . Eine spürbare Verschlechterung liegt etwa vor bei der — wegen der Abgabe an den Zuhälter — bestehenden Unmöglichkeit, Schulden zu tilgen (BGH bei Holtz MDR 1977 282; BGH Urteil vom 16. Februar 1993 — 5 StR 673/92 —), oder bei der Unmöglichkeit, Ersparnisse zu machen (vgl. BGH StV 1984 334). Bei Abgaben von 50% der Einnahmen (BGH bei Holtz MDR 1977 282) liegt eine spürbare Verschlechterung selbst bei hohen Einnahmen stets nahe, ist aber nicht zwingend (BGH NStZ 1989 67). Liefert die Prostituierte ihren gesamten Erlös ab und steht es im Belieben des Empfängers, wieviel er ihr davon wieder zugute kommen läßt, so ist regelmäßig eine spürbare Verschlechterung anzunehmen 7 . Unerheblich ist, ob und in welchem Maße der Zuhälter seinen Lebensunterhalt durch die Abgaben bestreitet. 3. Bei § 181 a kommt ein weiteres, für diesen Tatbestand entscheidenes Merkmal 4 hinzu: Das planmäßige und eigensüchtige Ausnutzen der Prostitutionsausübung (§ 180 a Rdn. 10) als Erwerbsquelle — mit der Folge der spürbaren Verschlechterung der Vermögenslage — muß auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses erfolgen 8 , denn das bloße Ausgehaltenwerden reicht nach dem Sinn der Vorschrift in der neuen Fassung selbst bei erheblichen Leistungen nicht aus (BGH bei Holtz MDR 1983 91 ; BGH NStZ 1982 507 ; 1983 220). § 181 a richtet sich nicht mehr wie die frühere gegen Zuhälterei gerichtete Strafvorschrift gegen die parasitäre Lebensform des Zuhälters. Die Vorschrift will den sozialschädlichen aktiven Täter treffen, der im Hinblick auf die Ausbeutung Beziehungen zu der oder dem Prostituierten unterhält. Als Beziehungen kommen nach diesem Sinn der Vorschrift nur solche in Frage, durch welche die oder der Prostituierte in Abhängigkeit von dem Täter gehalten wird (BGH NStZ 1983 220). Unerheblich ist, wie das Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist und wie es aufrechterhalten wird. Es ist auch dann gegeben, wenn der Täter zu seiner Begründung keinen Druck ausübt und während der Beziehung keinerlei Gewalt (wie in BGH bei Holtz MDR 1983 793) oder sonstige Druckmittel anwendet, die Prostituierte sich vielmehr aus freien Stücken der Abhängigkeit unterwirft 9 . Das AbhänBGH Urteil vom 15. J a n u a r 1975 — 3 StR 312/74 - und vom 24. Februar 1981 - 1 StR 715/80. BGH StV 1984 334; BGH NStZ 1989 67; B G H bei Niebach NStZ 1994 226; O L G Köln StV 1994 244. So auch K G N J W 1977 2223, 2226; KG M D R 1977 862. BGH NStZ 1994 32; Urteil vom 18. J a n u a r 1977 — 1 StR 388/76; ähnlich auch Urteil vom 16. Februar 1993 — 5 StR 673/92 — : „gemeinsame" Kasse, über die der Täter bestimmte. BGH bei Holtz M D R 1983 9; BGH NStZ 1983 220; BGH Urteil vom 27. April 1982 - 1 StR 62/82. Die Formulierung „auf der Grundlage (149)

9

eines . . . " ist auch gedeckt durch BGH Urteil vom 24. Februar 1981 - 1 StR 715/80. Die in NStZ 1982 507 abgedruckte Entscheidung des BGH ist scheinbar enger gefaßt. Sie spricht von dem „Ausnützen eines irgendwie gearteten Herrschaftsoder Abhängigkeitsverhältnisses". Ein Unterschied ist aber ersichtlich nicht gewollt, was sich schon daraus ergibt, d a ß die genannte Entscheidung das Urteil vom 27. April 1982 — I StR 62/82 — zitiert. BGH NStZ 1985 453; BGH NStZ 1994 32; Urteil vom 23. November 1976 - I StR 269/76 - ; aA BayObLGSt. 1974 41, aufgegeben in N J W 1977 1209.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

gigkeitsverhältnis kann auch in Abwesenheit des Täters (BGH NStZ 1982 379: aus der Haft; BGH Urteil vom 24. November 1984 — 2 StR 535/84 — : internationaler Call-Girl-Ring) aufrechterhalten werden. Die Beziehungen bezeichnet das Gesetz — entgegen dem Vorschlag des Regierungsentwurfs (BTDrucks. VI/1552) — nicht als zuhälterische. Bei den Beratungen im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages wurde befürchtet, daß mit diesem Begriff — wie im alten Recht — Komponenten verknüpft würden, welche die Strafbarkeit einerseits zu weit ausdehnen (Ausbeutung schon im Hinblick auf das Vermögen der oder des Prostituierten, ohne daß die Prostitutionsausübung ein entscheidender Bezugspunkt ist) und andererseits zu weit einschränken, nämlich wegen des Erfordernisses persönlicher Beziehungen (vgl. BGHSt. 15 5, 7; 21 272) zwischen dem oder der Prostituierten und dem Zuhälter (BTDrucks. VI/3521 S. 50). Das Gesetz stellt durch die Worte „im Hinblick darauf" klar, daß die Beziehungen in Bezug zu setzen sind mit den sonstigen Tatbestandsmerkmalen des Abs. 1. Der Täter muß ein Einvernehmen mit der Prostituierten herstellen, das an die Prostitutionsausübung anknüpft und das ihm die Möglichkeit der Bereicherung eröffnet und erhält (Lackner Rdn. 2). Dem Einvernehmen steht es gleich, wenn sich der oder die Prostituierte der überlegenen Stellung des Täters beugt. Die Beziehungen müssen solche sein, die über den Einzelfall hinausgehen. Das der Eingrenzung des Tatbestandes dienende Merkmal „über den Einzelfall hinausgehen" schließt kurzfristige Kontakte aus, selbst wenn sie wiederholt vorkommen — etwa zu Taxifahrern, Hotelportiers (BTDrucks. VI/3521 S. 51; Horstkotte JZ 1974 84, 89) und zu gelegentlichen Geschäftspartnern, die wegen des hohen Einkommens der Prostituierten überhöhte Forderungen stellen. Es kommt entscheidend darauf an, daß die Beziehungen auf eine gewisse Dauer angelegt sind. Nicht erforderlich ist, daß es sich um sexuelle Beziehungen handelt. Es braucht nicht einmal zu persönlichen Kontakten zu kommen. Die rein wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Leiter eines Zuhälterringes, der die Ausbeutung der von ihm abhängigen Prostituierten geschäftsmäßig betreibt, reichen aus, selbst wenn die oder der Prostituierte den Täter gar nicht kennt und Kontakte zu ihm nur über Mittelsmänner hergestellt werden (BTDrucks. VI/3521 S. 50). III. Dirigierende Zuhälterei 5

1. Abs. 1 Nr. 2 enthält drei Tatbestände, die sich durch die Art der vom Täter getroffenen Maßnahmen unterscheiden: a) Bei der ersten Alternative überwacht der Täter einen anderen bei der Ausübung der Prostitution. Den Begriff der Ausübung der Prostitution verwendet das Gesetz auch in § 180a Abs. 1 Nr. 2 (dort: Prostitutionsausübung). Das Merkmal bezeichnet sämtliche Tätigkeiten, die mit den sexuellen Handlungen, die Gegenstand der Prostitution sind, in unmittelbarem Zusammenhang stehen, darunter auch die Aktionen, die der Anbahnung des sexuellen Kontakts dienen (vgl. im einzelnen § 180 a Rdn. 10). Der Begriff der Überwachung bezeichnet ein die sich prostituierende Person kontrollierendes Verhalten (BGH NStZ 1989 67; BGH NJW 1986 596 f). Erforderlich ist ein Handeln des Täters, das geeignet ist, die Prostituierte in Abhängigkeit zu ihm zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise zu beeinflussen (BGH Urteil vom 12. Februar 1985 - 1 StR 835/84 - ) . Bloßes schützendes Verhalten scheidet dagegen aus. Das Merkmal Überwachen ist nicht mit dem des Bewachens gleichzusetzen. Es setzt vielmehr darüber hinaus ein Beaufsichtigen voraus, das nicht gegeben ist, wenn der Prostituierten lediglich Hilfe geleistet wird, etwa vor Übergriffen Dritter — von Freiern oder von anderen Prostituierten oder Stand: 1. 8. 1994

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Zuhälterei

§ 181 a

Zuhältern, die das Revier streitig machen (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1747). Ein beaufsichtigendes Überwachen setzt keine Anweisungen voraus, es kann schon in der Kontrolle der Einnahmen 1 0 oder in der Kontrolle der Verweildauer in den Séparées einer Bar (BGH NJW 1986 596, 597; BGH Urteil vom 27. April 1982 - 1 StR 62/82) liegen. Eine Maßnahme des Überwachens ist auch gegeben, wenn die Prostituierte mit der Ankündigung von Stichproben verpflichtet wird, Aufzeichnungen über die Zahl der Freier und die Einnahmen zu machen, oder wenn täglich abkassiert wird (BayObLG NJW 1977 209, 1210). Die überwachenden Maßnahmen müssen solche sein, denen sich die Prostituierte wegen des bestimmenden Einflusses desjenigen, der die Maßnahmen getroffen hat (BGH bei Dallinger MDR 1974 722, 723), nicht ohne weiteres zu entziehen vermag (vgl. Geerds JR 1978 81, 82) oder denen sie sich freiwillig unterworfen h a t " . Ein Überwachen kann auch in für sich genommen unerheblichen Handlungen liegen, wie in Wäschetransporten (BayObLG NJW 1977 1209), im Mieten einer Wohnung (BGH bei Dallinger MDR 1974 722, 723), in Empfehlungen, aber auch in Bitten und im Schutzgewähren, wenn diese Aktivitäten bei der Gesamtwürdigung aller Maßnahmen in Wahrheit eine Kontrolle darstellen (Geerds JR 1978 81, 83). b) Bei der zweiten Alternative bestimmt der Täter Ort, Zeit, Ausmaß oder andere 6 Umstände der Prostitutionsausübung. Der Tatbestand setzt voraus, daß der Täter bestimmenden Einfluß auf die Ausübung der Prostitution nimmt (BGH bei Dallinger MDR 1974 723; BGH NStZ 1983 220) und diese nicht lediglich unterstützt (BayObLG NJW 1977 1209, 1210; KG MDR 1977 862). Auch hier kommt es nicht darauf an, wie sich der Täter den bestimmenden Einfluß verschafft hat und wie er ihn aufrechterhält. Es reicht also aus, daß sich die oder der Prostituierte dem bestimmenden Einfluß des Täters freiwillig unterworfen hat (aA BGH NStZ 1994 32, wonach sich die Prostituierte Zwang oder Drohung ausgesetzt sehen muß). Als dirigierende Maßnahmen kommen in Frage: Festsetzung des Ortes, nämlich des Platzes, an dem die oder der Prostituierte ihrer bzw. seiner Tätigkeit nachzugehen hat (Straße, dort bestimmter Aufenthaltsort, Dirnenwohnheime, Ortswechsel), der Zeit, nämlich Regeln der Arbeitszeit (BGH Beschluß vom 9. August 1985 - 3 StR 301/85 - ) , Bewilligung oder Ablehnung von Urlaubswünschen und dergleichen, von Ausmaß, nämlich die Festsetzung der Häufigkeit oder der Dauer (BGH NJW 1986 596, 597) der sexuellen Kontakte, und von anderen Umständen, nämlich allen sonstigen Maßnahmen, die bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit der Prostitution nehmen, wie etwa die Festsetzung eines Einsatzplanes — beispielsweise eines Fahrdienstes zwischen Nachtlokalen (BGH Urteil vom 27. April 1982 — 1 StR 62/82) —, die Festsetzung des Preises für den sexuellen Kontakt (BayObLG NJW 1977 1209, 1210) oder die Festsetzung der abzuführenden Quote 12 . Bloße Bitten und Ratschläge reichen nicht aus, anders, "' BGH NStZ 1982 379; BGH NJW 1986 596 = NStZ 1986 358, 359 („Bon-System") mit ablehnender Anmerkung Nilze und ablehnender Anmerkung Köberer StV 1986 295; BGHR StGB § 181 a Abs. I Nr. 2 Dirigieren I und 2. Nicht ausreichend ist aber nach BGH Urteil vom 12. Februar 1985 — 1 StR 835/84 — das Führen einer Strichliste zur Kontrolle der Abführung des „Strichgeldes". 11 BGH NStZ 1985 453 = BGH bei Holtz MDR 1985 794; BGHR StGB § 181 a Abs. I Nr. 2 Dirigieren 1 ; BayObLG NJW 1977 1209; vgl. auch die Ausführungen zum Abhängigkeitsverhältnis (151)

12

beim Merkmal des Ausbeutens, Rdn. 2. Unzutreffend ist deshalb das Urteil des BGH vom 21. Juli 1993 - NStZ 1994 32 - , wonach sich die Prostituierte durch Zwang oder Drohung in der Prostitution festgehalten fühlen muß. Gegenteiliger Auffassung scheint das Kammergericht zu sein (NJW 1977 2223, 2226; MDR 1977 862, 863). Durch § 181 a Abs. I Nr. 2 soll aber jegliche Maßnahme unterbunden werden, durch die das Verhalten der oder des Prostituierten bei der Prostitutionsausübung bestimmend beeinflußt wird, was bei der Quotenfestsetzung regelmäßig der Fall ist.

Heinrich Laufhütte

§

181

ä

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

wenn es sich nach den Umständen des Falles in Wahrheit um — in höfliche Form gekleidete — Anweisungen handelt (Geerds JR 1978 81, 83). 7 c) Die dritte Alternative setzt ebenso wie die beiden ersten bestimmenden Einfluß des Täters voraus, der es ihm ermöglicht, Maßnahmen zu treffen, die den sich Prostituierenden davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben. Eine Maßnahme ist mehr als ein bloßer Rat oder eine Bitte — wenn dies nicht in Wahrheit Anweisungen sind (Geerds JR 1978 81, 83). Maßnahmen sind Pressionen und pressionsähnliche Einwirkungen (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1748), die unterhalb der Schwelle der Nötigung liegen können. Der Begriff „gezielte Einwirkung von einiger Erheblichkeit", den der Regierungsentwurf verwandt hat (BTDrucks. VI/1552 S. 30), ist zu undeutlich (Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Lertckner Rdn. 10), weil er auch hartnäkkige Bitten erfaßt. Er ist verwendbar, wenn einschränkend unter ihm nur solche Einwirkungen, denen sich die (oder der) Prostituierte auch freiwillig unterwerfen kann, subsumiert werden, die mit Rücksicht auf den bestimmenden Einfluß des Täters geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Prostituierten einzuschränken, wie der Entzug von Geld oder die Verhinderung persönlicher Beziehungen oder von Kontaktaufnahmen, etwa zu Fürsorgeeinrichtungen. Nicht erforderlich ist, daß die Prostituierte bereits beschlossen hat, sich aus der Prostitution zu lösen. Rein vorsorgliche Maßnahmen genügen (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 10). 8

2. Bei den einzelnen Tatvarianten ist die Frage, ob die getroffenen Maßnahmen Erfolg gehabt haben, unterschiedlich zu beantworten. Die Maßnahme des Überwachens muß vom Täter durchgeführt und von der Prostituierten aufgrund seines bestimmenden Einflusses hingenommen werden. Das Bestimmen (dazu § 176 Rdn. 4) in der zweiten Alternative verlangt ebenfalls ein Befolgen der Anordnungen. Dem steht nicht entgegen, daß sich die Prostituierte ihnen gelegentlich entzieht. Die dritte Tatvariante ist vollendet, wenn sie geeignet ist, ihren Zweck zu erreichen. Es ist unerheblich, wenn sich die betroffene Person der an sich geeigneten Maßnahme entzieht und die Prostitution aufgibt. 9 Alle Tatvarianten setzen voraus, daß der Täter seines Vermögensvorteils wegen handelt. Das Merkmal Vermögensvorteil erfaßt Sachen und Rechte sowie sonstige rechnerisch erfaßbare Vorteile aller Art (vgl. Schäfer LK10 § 73 Rdn. 9) mit meßbarem wirtschaftlichen Wert. Seines Vermögensvorteils „wegen" handelt der Täter, wenn die Aussicht auf diesen ihn motiviert hat; einziges Motiv braucht er nicht zu sein. Eingetreten zu sein braucht der Vorteil nicht. Der — erwartete oder tatsächlich eingetretene — Vorteil muß nicht unmittelbar aus dem Prostitutionserlös kommen (OLG Hamm NJW 1972 882). 10 Der Täter muß außerdem im Hinblick auf die Tatmerkmale des Abs. I Nr. 2 Beziehungen zu dem anderen unterhalten, die über den Einzelfall hinausgehen (dazu Rdn. 4). IV. Gewerbsmäßige Förderung der Prostitutionsausübung durch Vermittlung sexuellen Verkehrs 11

1. § 181 a Abs. 2 trägt dem Anliegen Rechnung, die gewerbsmäßige Vermittlung außerehelicher sexueller Beziehungen unter Strafe zu stellen, und zwar in kriminalpolitisch sinnvoller Weise zur Unterbindung von Verhaltensweisen, die Prostituierte in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beschränken können 1 3 13

N a c h Bottke (JR 1987 33) soll die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit n u r im Sinne eines „letztlich vernachlässigbaren N e b e n r e f l e x e s " mitgeschützt

sein. Allein relevantes Schutzgut sei die sexuelle Selbstbestimmung,

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Zuhälterei

§ 181 a

(BTDrucks. VI/3521 S. 50). Der Regierungsentwurf des 4. S t r R G sah anstelle des später Gesetz gewordenen § 181 a Abs. 2 in § 181a Abs. 1 Nr. 2 eine weitere Tatvariante vor (Zuführen von Personen zur Prostitutionsausübung). Gedacht war insbesondere an die Strafbarkeit von Schleppern u n d Betreibern von Call-Girl-Ringen (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1757). Der Vorschlag f a n d im Gesetzgebungsverfahren keine Billigung, weil der Tatbestand konturenlos war u n d auch nicht pönalisierungsbedürftige Fälle (Taxifahrer, Hotelportier) mit erfaßte. Das Ziel des Gesetzentwurfs, den Schlepper u n d den Vermittler in einem Call-Girl-Ring mit Strafe zu b e d r o h e n , wurde jedoch nicht in Frage gestellt (Prot., 6. Wahlperiode S. 1762). Dem wurde durch § 181 a Abs. 2 R e c h n u n g getragen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1803). 2. § 181 a Abs. 2 ist gegeben bei der gewerbsmäßigen F ö r d e r u n g der Prostitutions- 1 2 a u s ü b u n g durch Vermittlung sexuellen Verkehrs. a) Das Merkmal der Prostitutionsausiibung entspricht dem in § 180 a Abs. 1 Nr. 2 verwandten (siehe dort). Die Prostitutionsausübung wird gefördert bei der S c h a f f u n g von Bedingungen, die diese begünstigen. Lenckner (in Schönke/Schröder R d n . 14, 18) vertritt eine restriktive Auslegung — entweder bei dem Förderungsmerkmal oder bei der Beziehungsklausel —, die im Ergebnis nur solche F ö r d e r u n g s m a ß n a h m e n erfaßt, die typischerweise eine G e f a h r der Beschränkung der Bewegungsfreiheit (i. S. d. Abs. 1) f ü r die Prostituierte begründen. Auf die entsprechende Problematik bei § 180 a Abs. 1 Nr. 2 k a n n verwiesen werden (dort Rdn. 11). § 181a Abs. 2 ist nach Wortlaut u n d gesetzgeberischem Willen abstraktes Gefährdungsdelikt (so auch Horn SK R d n . 1), das bestimmten Formen der Vermittlung, die — unabhängig davon, ob im Einzelfall eine G e f ä h r d u n g vorliegt — Prostituierte in die G e f a h r der Abhängigkeit bringen, entgegentreten will. b) Das Fördern m u ß d a d u r c h geschehen, d a ß der Täter sexuellen Verkehr vermit- 13 telt. Den Begriff des sexuellen Verkehrs verwendet das Gesetz nur an dieser Stelle. Nach Sinn u n d Zweck der Vorschrift erfaßt er nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern sexuelle H a n d l u n g e n (§ I 8 4 c Nr. 1), die den Begriff des Sichprostituierens erfüllen, also sexuelle H a n d l u n g e n mit K ö r p e r k o n t a k t u n d bestimmte sexuelle H a n d l u n g e n vor a n d e r e n (siehe dazu die A u s f ü h r u n g e n zum Begriff der Prostitution § 180 a R d n . 4). Zum Merkmal des Vermittelns vgl. die A u s f ü h r u n g e n zu § 180 Abs. 1 Nr. 1 (Vermittlung, dort Rdn. 5). c) Gewerbsmäßig handelt derjenige, der sich aus wiederholter F ö r d e r u n g der Prostitutionsausübung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem U m f a n g u n d einiger Dauer verschafft. Es ist gleichgültig, von wem die Vorteile stammen sollen. Mittelbare Vorteile reichen aus (vgl. dazu die A u s f ü h r u n g zu § 180 a Abs. 3, dort Rdn. 23). 3. Tatbestandsmäßig handelt nur der Vermittler, der zu dem oder der Prostituier- 14 ten „im Hinblick d a r a u f , also im Hinblick auf tatbestandsmäßiges H a n d e l n , Beziehungen von einiger Dauer unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen (siehe dazu Rdn. 4). V. Ehegattenzuhälterei. § 181 a Abs. 3 stellt die Ehegattenzuhälterei unter Strafe. 15 Die Vorschrift verweist auf die Tatbestände der Abs. 1 u n d 2 mit A u s n a h m e der Beziehungsklausel, auf die es bei Ehegatten nicht a n k o m m t . Die Ehe begründet bereits Beziehungen, die über den Einzelfall hinausgehen. Auf den Nachweis, d a ß diese im (153)

Heinrich Laufhütte

§ 181 Λ

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Hinblick auf tatbestandsmäßiges Handeln im Sinne der Abs. 1 und 2 unterhalten werden, kommt es nicht an (BTDrucks. VI/3521 S. 51). 16

VI. Subjektiver Tatbestand. Sämtliche Tatbestände verlangen — zumindest bedingten — Vorsatz, soweit nicht einzelne Merkmale Absichtselemente enthalten (Gewerbsmäßigkeit, vgl. § 180 a Rdn. 7 und § 181 Rdn. 12; seines Vermögensvorteils wegen, Rdn. 9). Wegen des Begriffes Bestimmen wird auf § 176 Rdn. 15 verwiesen. Soweit der Begriff Ausbeutung betroffen ist, muß der Täter die Umstände für möglich halten und billigen, aus denen sich ergibt, daß sein Verhalten auf der Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnsises (BGH NStZ 1983 220) als planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle zu bewerten ist. Daß es zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der oder des Prostituierten kommt, muß er für möglich halten, und er muß damit einverstanden sein (vgl. § 180 a Rdn. 18).

17

VII. Vollendung und Versuch. Die Vorschrift erhält ihren Charakter als Dauerstraftat (vor § 174 Rdn. 21,22) dadurch, daß sie jeweils Beziehungen von einer gewissen Dauer voraussetzt; in Absatz 3 bedarf es nicht der Feststellung solcher Beziehungen, da die Vorschrift an die durch die Ehe begründeten Beziehungen — die den Dauerdeliktscharakter auch hier begründen — anknüpft. Die Tat ist vollendet mit dem ersten Akt der Ausbeutung, der dirigierenden Maßnahmen oder der Vermittlung. Der Versuch ist nicht unter Strafe gestellt.

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VIII. Täterschaft und Teilnahme. Jeder — männlichen wie weiblichen Geschlechts — kann Täter sein (ausgenommen Abs. 3, der sich an den Ehegatten richtet). Die Strafbarkeit der Beihilfe richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die sich prostituierende Person — männlichen wie weiblichen Geschlechts — ist stets notwendiger Teilnehmer (vor § 174 Rdn. 13). Zu den besonderen persönlichen Merkmalen im Sinne des § 28 Abs. 1 gehört die Gewerbsmäßigkeit (vgl. Roxin LK10 § 28 Rdn. 18) und das Handeln „seines Vermögensvorteils wegen".

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IX. Konkurrenzen. Innerhalb der Vorschrift verdrängt Abs. I den Abs. 2 (BGH bei Dallinger M D R 1974 723 ; KG M D R 1977 862, 863 ; NJW 1977 2223, 2225). Die Tatbestandsalternativen des Abs. 1 können tateinheitlich verwirklicht werden (BGH bei Holtz MDR 1982 624; Urteile vom 14. Mai 1974 - 1 StR 153/74 - und vom 27. April 1982 — 1 StR 62/82). Die Taten nach § 181 a sind, soweit sie sich gegen eine Person richten, Dauerdelikte (vor § 174 Rdn. 21, 22). Tateinheit kann gegeben sein, wenn der Täter durch ein und dieselbe Handlung Maßnahmen gegen verschiedene Prostituierte ergreift 14 . Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 177, 178 (BGH bei Holtz MDR 1983 984), mit Nötigung, Körperverletzung 15 , Erpressung oder Raub (BGH bei Holtz MDR 1983 793) sowie mit §§ 180, 180a 16 , 180b 17 , 181 (BGHR StGB § 181 Nr. 1 Konkurrenzen 1), 184 a.

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X. Recht des Einigungsvertrages. Zum Recht des Einigungsvertrages siehe bei § 180 a Rdn. 23. BGH NStZ 198967,68; 199080,81 ; B G H R StGB § 1 8 1 a A b s . 1 N r . 2 K o n k u r r e n z e n 1; B G H bei M i e b a c h N S t Z 1992 2 2 8 ; B G H B e s c h l ü s s e v o m 7. A p r i l 1993 - 2 S t R 1 3 0 / 9 3 - u n d v o m 9. A u g u s t 1985 — 3 S t R 3 0 1 / 8 5 —. Mehrere Körperverletzungen werden durch das jeweils tateinheitliche Dauerdelikt der Zuhälterei

16 17

untereinander zur Tateinheit v e r b u n d e n ( B G H U r t e i l v o m 16. F e b r u a r 1993 - 5 S t R 6 7 3 / 9 2 - ) . B G H NStZ 198967,68; 199080,81. S o B G H R S t G B § 181 a A b s . 1 N r . 1 K o n k u r r e n zen 1 zur F ö r d e r u n g der Prostitution von j u n g e n M e n s c h e n (§ 1 8 0 a A b s . 4 a. F . ) ; d i e s e r V o r s c h r i f t e n t s p r i c h t § 180 b A b s . 2 N r . 1.

Stand: 1. 8. 1994

(154)

Vermögensstrafe u n d Erweiterter Verfall

§ 181 C

§ 181b Führungsaufsicht In den Fällen der §§ 176 bis 179 und der §§ 180 b bis 181 a kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1). Es k a n n auf die A u s f ü h r u n g e n zu den §§ 6 8 f f verwiesen w e r d e n ; Führungsaufsicht k a n n auch bei Versuch u n d Teilnahme (auch versuchter Teilnahme) angeordnet werden.

§ 181c Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall In den Fällen der §§ 181 und 181 a Abs. 1 Nr. 2 sind die §§ 43 a, 73 d anzuwenden, wenn der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. § 73 d ist auch dann anzuwenden, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt. Entstehungsgeschichte § 181 c wurde — wie §§ 43 a, 73 d — durch das Gesetz zur B e k ä m p f u n g des illegalen Rauschgifthandels u n d anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität ( O r g K G ) vom 15. Juli 1992 (BGBl. I S. 1303) in das StGB eingestellt. Dem Gesetz lag zugrunde ein Gesetzentwurf des Bundesrates (BTDrucks. 12/989), dem in der 11. Wahlperiode Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur E i n f ü h r u n g einer Vermögensstrafe (BTDrucks. 11/5461) u n d eines Erweiterten Verfalls (BTDrucks. 11/6623) vorangegangen waren. Der Gesetzentwurf des Bundesrates ging insoweit über die Gesetz gewordene Fassung hinaus, als auch bei gewerbsmäßigem H a n d e l n die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe vorgesehen war. Die Einschränkung erfolgte auf Anregung der Bundesregierung, um die Anwendbarkeit des sehr weitgehenden Instruments der Vermögensstrafe auf die Fälle zu begrenzen, die dem Bereich der Organisierten Kriminalität zuzurechnen sind (BTDrucks. 12/989 Anlage 2 [S. 52]). Übersicht Rdn. I. Schutzzweck d e r Vorschrift II. Die Voraussetzungen der A n w e n d u n g 1. H a n d e l n als Mitglied einer Bande . 2. G e w e r b s m ä ß i g e Begehung

1 2 3 4

III. Vermögensstrafe u n d erweiterter Verfall 1. Vermögensstrafe 2. Erweiterter Verfall

Rdn. 5 5 6

I. Der Schutzzweck der Vorschrift. Ziel der Vorschrift ist es^ die B e k ä m p f u n g der 1 organisierten Kriminalität zu verbessern, indem ihr die finanzielle Basis entzogen wird. Es soll der f ü r Formen der organisierten Kriminalität typischen Schwierigkeit entgegengewirkt werden, d a ß bei den Tatbeteiligten Vermögenswerte angetroffen werden, deren kriminelle H e r k u n f t zwar naheliegt, die sich jedoch nicht konkret faßbaren Straftaten zuordnen lassen (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 22). (155)

Heinrich Laufhütte

§ 181c

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

2

II. Die Voraussetzungen der Anwendung. § 181 c e r ö f f n e t die Möglichkeit der Verh ä n g u n g einer V e r m ö g e n s s t r a f e u n d der A n o r d n u n g des Erweiterten Verfalls 1 n u r f ü r die S t r a f t a t e n des schweren Menschenhandels (§ 181) u n d der dirigierenden Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 N r . 2). W e r d e n diese S t r a f t a t e n b a n d e n m ä ß i g o d e r g e w e r b s m ä ß i g b e g a n g e n , geht d e r Gesetzgeber v o n einem b e s o n d e r s a n s t ö ß i g e n G e w i n n s t r e b e n a u s ( B T D r u c k s . 12/989 S. 22). Es ist fraglich, w e s h a l b bei diesem Gesetzeszweck nicht a u c h § 181 a Abs. 1 Nr. 1 (ausbeuterische Z u h ä l t e r e i ) in d e n K a t a l o g des § 181 c eingestellt ist.

3

1. Sowohl V e r m ö g e n s s t r a f e als a u c h Erweiterter Verfall k o m m e n in Betracht (§ 181c Satz 1), w e n n der T ä t e r als Mitglied einer B a n d e g e h a n d e l t hat, die sich zur fortgesetzten B e g e h u n g solcher T a t e n v e r b u n d e n hat. E i n e Bande besteht a u s m i n d e stens zwei P e r s o n e n ( B G H S t . 23 239 mit A n m e r k u n g Schröder J R 1970 388); dies k ö n n e n a u c h zwei E h e g a t t e n sein ( B G H bei D a l i i n g e r M D R 1973 555; B G H G A 1974 308). Bei der V e r w i r k l i c h u n g der T a t m ü s s e n m i n d e s t e n s zwei Mitglieder der B a n d e mitwirken. Z u m B a n d e n b e g r i f f im einzelnen vgl. die E r l ä u t e r u n g e n bei § 244 Abs. 1 N r . 3 StGB. Als fortgesetzte Begehung im S i n n e der Vorschrift reichte n a c h bisheriger A u s l e g u n g nicht die A u s f ü h r u n g einer fortgesetzten Straftat ( R G S t . 66 238). D a s P r o b l e m hat sich d u r c h die E n t s c h e i d u n g des G r o ß e n Senats f ü r S t r a f s a c h e n v o m 3. M a i 1994 ( M D R 1994 700, vgl. vor § 174 R d n . 22) erledigt. Fortgesetzte Begeh u n g soll a b e r a u c h nicht bei B e g e h u n g einer D a u e r s t r a f t a t möglich sein, u n d zwar a u c h d a n n nicht, w e n n diese in I d e a l k o n k u r r e n z mit T a t e n z u m N a c h t e i l m e h r e r e r O p f e r b e g a n g e n ist. Bei solcher A u s l e g u n g scheidet die A n w e n d b a r k e i t des § 181 c f ü r die Fälle des § 181 a Abs. 1 N r . 2 praktisch aus. § 181 a ist eine D a u e r s t r a f t a t (vgl. vor § 174 R d n . 21), die r e g e l m ä ß i g ü b e r einen längeren Z e i t r a u m b e g a n g e n wird, h ä u f i g gleichzeitig z u m Nachteil m e h r e r e r Prostituierter. E i n e Ä n d e r u n g der Rechtsprec h u n g , wie sie in B G H , Beschl. v o m 23. N o v e m b e r 1993 — 5 StR 5 9 5 / 9 3 — f ü r möglich gehalten wird, bleibt a b z u w a r t e n . Sie ist angezeigt: D i e B a n d e n m i t g l i e d e r müssen sich d a n a c h mit d e m Willen v e r b u n d e n h a b e n , k ü n f t i g m e h r e r e selbständige, im einzelnen n o c h ungewisse T a t e n o d e r Akte im Sinne der § 181 a Abs. 1 N r . 2 zu begehen ; d a b e i reicht die Absicht, die T a t e n o d e r einen einzelnen s t r a f b a r e n Akt d e r D a u e r s t r a f t a t n u r bei günstiger G e l e g e n h e i t o d e r in einem ü b e r s c h a u b a r e n Z e i t r a u m v o n n u r wenigen T a g e n zu b e g e h e n 2 . Ist dieser Wille v o r h a n d e n , genügt s c h o n die Begeh u n g eines s t r a f b a r e n Aktes.

4

2. H a n d e l t der T ä t e r gewerbsmäßig (dazu § 181 R d n . 12, § 181 a R d n . 13), k o m m t allein der Erweiterte Verfall in F r a g e (§ 181c Satz 2).

5

III. Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall. N a c h § 181 c sind die §§ 43 a, 73 d anz u w e n d e n , w e n n die o b e n g e n a n n t e n V o r a u s s e t z u n g e n erfüllt sind. Z u r A u s l e g u n g der §§ 43 a, 73 d im einzelnen siehe die A u s f ü h r u n g e n dort. G r u n d s ä t z l i c h gilt insoweit f o l g e n d e s : 1. N a c h § 43 a (Vermögensstrafe) k a n n d a s G e r i c h t n e b e n einer l e b e n s l a n g e n o d e r einer zeitigen Freiheitsstrafe von m e h r als zwei J a h r e n auf Z a h l u n g eines G e l d b e t r a ges e r k e n n e n , dessen H ö h e d u r c h d e n Wert des V e r m ö g e n s des Täters begrenzt wird. D i e Vorschrift ist n a c h d e m Beschluß des 5. S t r a f s e n a t s v o m 10. Mai 1994 — 5 StR 1 5 9 / 9 4 — 3 nicht verfassungswidrig, weil sie v e r f a s s u n g s k o n f o r m ausgelegt w e r d e n 1

Zu Vermögensstrafe u n d Erweitertem Verfall allgemein siehe Möhrenschlager wistra 1992 281, 283 f f ; Perron J Z 1993 918 ; Hoyer G A 1993 406. - B G H N S t Z 1986 408; B G H R StGB § 244 Abs. 1 Nr. 3 Bande 1.

1

So auch B G H , Beschlüsse vom 18. Mai 1994 — 5 H R 176/94 — u n d vom 6. Juli 1994 — 3 H R 668/94 - .

Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller M i ß b r a u c h v o n J u g e n d l i c h e n

§ 182

kann, und zwar in der Weise, daß schuldangemessene Strafen zu verhängen sind und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden muß. Die Vermögensstrafe wird nicht nach dem Tagessatzsystem bemessen; ihre Höhe muß aber zusammen mit der verhängten Freiheitsstrafe — schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 14 GG) — schuldangemessen sein. Die Vermögensstrafe richtet sich gegen das rechtmäßig erworbene Vermögen des Täters; läßt sich nachweisen, daß Vermögensteile aus Straftaten stammen, oder rechtfertigen die Umstände die Annahme einer solchen Herkunft, gehen Verfall und Erweiterter Verfall vor. Zur Festsetzung der Höhe der Vermögensstrafe kann das Vermögen des Täters geschätzt werden; bloße Mutmaßungen genügen aber nicht (vgl. dazu die Ausführungen bei § 40 Abs. 3). Nach § 43 a Abs. 2 in Verbindung mit § 42 können Zahlungserleichterungen gewährt werden. Gegen einen vermögenslosen Täter kann eine Vermögensstrafe nicht verhängt werden. Neben einer Vermögensstrafe darf keine weitere Geldstrafe verhängt werden (§ 41 Satz 2). 2. Nach § 73 d (Erweiterter Verfall) kann das Gericht den Verfall von Gegenstän- 6 den anordnen, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, daß diese Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind. Die Tat muß lediglich rechtswidrig, also nicht notwendigerweise schuldhaft begangen worden sein. Dem Verfall unterliegt nicht nur der vom Täter erlangte Vermögensvorteil, sondern alles, was der Täter aus etwaigen Taten erlangt hat ohne Abzug seiner Aufwendungen („Bruttoprinzip"; BGH NStZ 1994 123). Für die Herkunft der Gegenstände aus rechtswidrigen Taten oder eine geplante Verwendung für Straftaten muß wegen der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14) eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen ; ein Verdacht genügt nicht (BGH, Beschluß vom 6. Juli 1994 - 3HR668/94 - ) . Das Gericht hat die Herkunft des Vermögens prozeßordnungsgemäß zu erforschen; eine rechtmäßige Herkunft schließt § 73 d aus.

§ 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen (1) Eine Person über achtzehn Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie 1. unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, oder 2. diese unter Ausnutzung einer Zwangslage dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, und dabei die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) In den Fällen des Absatzes 2 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (157)

Heinrich Laufhütte

§ 182

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von der Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. Schrifttum 1. Schrifttum zu § 175 a. F. AsJ Thesen zur A b s c h a f f u n g des § 175 StGB, in: Lieber (Hrsg.) Reform des Sexualstrafrechts (I) (1989) 26; Baumann P a r a g r a p h 175 (1968); Baumann Besprechung von Seelbach Gleichgeschlechtliches Verhalten als Straftatbestand, G A 1966 347 ; Bleibtreu-Ehrenberg Homosexualität. Die Geschichte eines Vorurteils (1981); Blüher Die Rolle der Erotik in der m ä n n lichen Gesellschaft (1962); Blüher Studien zur Inversion u n d Perversion (1965); Böllinger Die Strafbarkeit der Homosexualität — eine Ü b e r p r ü f u n g aus kriminologischer Sicht, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987); Boret (Hrsg.): Probleme der H o m o p h i l i e in medizinischer, theologischer u n d juristischer Sicht (1965); Bräutigam F o r m e n der Homosexualität (1967); Bruns Venire contra factum p r o p r i u m im Strafrecht? J Z 1956 147; Chesser Menschen auf Abwegen. Die Homosexualität des M a n n e s u n d der Frau (1961); Dannecker/Reiche Der gewöhnliche H o m o sexuelle (1974); Doucet Homosexualität (1967); Ehebald Zur Psychodynamik u n d strafrechtlichen Problematik eines Falles von Unzucht mit einem Kinde (§§ 175, 176 StGB), M s c h r K r i m . 1977 347; Freund Die Homosexualität beim M a n n (1965); Geerds Besprechung von Gollner Homosexualität, G A 1976 29; G e m e i n s a m e r Appell der deutschen sexualwissenschaftlichen Gesellschaften zur Beendigung der strafrechtlichen S o n d e r b e h a n d l u n g der m ä n n l i c h e n H o m o sexualität durch ersatzlose Streichung des § 175 StGB, in: Gindorf/Haeberle Sexualität als sozialer Tatbestand (1986) 263; Giese Psychopathologie der Sexualität (1962); Giese Der homosexuelle M a n n in der Welt ( 1964) ; Gollner Homosexualität. Ideologiekritik u n d Entmythologisierung einer Gesetzgebung (1974); Gollner Homosexualität — Tradition gegen Recht? Z R P 1975 231 ; Hassemer Besprechung von B V e r f G E 36 41, J u S 1974 261 ; Haveman Liberalisierung der Sexualgesetzgebung in den N i e d e r l a n d e n , M s c h r K r i m . 1992 147; Heldmann Die Homosexualität im englischen Strafrecht, ZStW 70 (1958), 517; v. Hentig Die Kriminalität des h o m o p h i l e n M a n n e s (1960); v. Hentig Die Kriminalität der lesbischen Frau (1959); v. Hentig Soziologie der zoophilen Neigung (1962); Herzer Bibliographie zur Homosexualität (1982); Kappe Die Fabrikation des A b n o r m e n , KJ 1991 205; Kiel § 175 StGB — Relikt eines autoritären Sexualstrafrechts? D u R 1983 428; Kinsey D a s sexuelle Verhalten des M a n n e s (1967); Klare Homosexualität (1967); Klemens Die kriminelle Belastung der m ä n n l i c h e n Prostituierten (1967); Klimmer Die Homosexualität (1965); Kühler Die Stellungnahme der Bischöfe Schwedens zur Bestrafung des homosexuellen Verhaltens, M s c h r K r i m . 1955 192; Kühn D a s P h a e n o m e n der Strichjungen in H a m b u r g , Diss. H a m b u r g 1955; Lang Z u m Problem der Homosexualität, J R 1952 273; Lang Die Homosexualität als genetisches Problem, M s c h r K r i m . 1956 167; Laszlo Die Homosexualität des M a n n e s im Szondi-Test (1956); Leferenz Besprechung von v. Hentig Die Kriminalität der lesbischen Frau, Z S t W 71 (1959) 647; Luckow Die Homosexualität in der literarischen Tradition (1962); Meister Gleichberechtigung der Geschlechter im Strafrecht, D R i Z 1953 169; Münch Z u r A n w e n d u n g der Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland, J Z 1961 153 ; Nitschke Der M a n n als Frau. Über die Angst vor der Homosexualität, in : Die Zeit 1984 Nr. 6 S. 37; Ostermeyer Ist der neue § 175 StGB verfassungswidrig? Z R P 1969 154; Pieper Homosexuelle in der D D R , Deutschlandarchiv 1987 956; Plenge Die B e h a n d l u n g erheblich rückfälliger Sozialdelinquenten, vornehmlich der Homosexuellen, unter b e s o n d e r e r Berücksichtigung der Kastration, M s c h K r i m . 1961 15; Raiser Verfassungswidrige Mindeststrafen, J Z 1963 663 ; Rauscher Blätter f ü r G e f ä n g n i s k u n d e , Bd. 70 243 ; Roxin Sinn u n d G r e n z e n staatlicher Strafe, JuS 1966 377; Schmidt Der § 175 aus sexualwissenschaftlicher Sicht, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 34; Schmitt Bemerkungen zur Homosexualität unter M ä n n e r n , Baumann-Festschrift 131 ; Schwitzke Straferlaß oder Strafaussetzung wegen N e u f a s s u n g von Strafvorschriften, N J W 1970 550; Seelbach Gleichgeschlechtliches Verhalten als Straftatbestand (1966); Sievert Das A n o m a l e bestrafen (1984); Stangl Empfiehlt es sich, die §§210, 220 u n d 221 StGB ersatzlos zu streichen? Zugleich ein Beitrag über die Diskriminierung Homosexueller im österreichischen Strafrecht, Kriminalsoziologische Bibliographie 1986 52; Stuemke H o m o s e x u S t a n d : 1. 8. 1994

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Sexueller M i ß b r a u c h von Jugendlichen

§ 182

eile in Deutschland. Eine politische Geschichte (1989); Taeger/Lautmann Sittlichkeit u n d Politik. § 175 im Zweiten deutschen Reich ( 1871 — 1919), in : Kriminologische Forschung in den 80er J a h r e n Band 35 Teilband 2 (1988) 573; Tönnies Symbolische Gesetzgebung: Z u m Beispiel § 175 StGB, Z R P 1992 411 ; Ulrich Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen Jugendlicher u n d Kinder zu homosexuellen Delikten, M s c h r K r i m . 1988 391 ; Wildeblood Vom Gesetz geächtet (übersetzt von Dieckhofj) (1961); Winzenried/Rasch Homosexuelle H a n d l u n g e n mit Jugendlichen als S y m p t o m einer Persönlichkeitsveränderung, M s c h r K r i m . 1958 195.

2. Schrifttum zu § 182 a. F. Ackermann Der Tatbestand der V e r f ü h r u n g (§ 182), Diss. Heidelberg 1972; Deubner A n m . zu BGHSt. 22 154, N J W 1969 147; Van Eis Schelte der Unbescholtenheit, M D R 1971 635; Horstkotte Kuppelei, V e r f ü h r u n g , Exhibitionismus nach dem Vierten Gesetz zur R e f o r m des Strafrechts, J Z 1974 84, 89; Lautmann Die heterosexuelle V e r f ü h r u n g — sexuelle Interaktion u n d Kriminalisierung bei § 182 StGB, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 54; Leferenz Die Sexualdelikte des E 1962, ZStW 77 (1965) 379, 392; Schröder A n m . zu BGHSt. 22 154, J Z 1968 572; Tröndle Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, Materielles Recht, G A 1973 289, 294; Weiß Die V e r f ü h r u n g nach § 182 des geltenden Reichsstrafgesetzbuchs u n d nach den Entwürfen zu einem Deutschen Reichsstrafgesetzbuch, Diss. Erlangen 1936.

3. Schrifttum zur Reformdiskussion Bruns Zur geplanten einheitlichen Jugendschutzvorschrift, Z R P 1991 66; Bruns N o c h m a l s : Z u r geplanten einheitlichen Jugendschutzvorschrift, Z R P 1991 325; Bruns Schutz der Moral unter dem Vorwand des Jugendschutzes, Z R P 1993 232; Kentier Für eine Angleichung der Schutzaltersgrenzen, Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 37; Kusch Gespaltenes Sexualstrafrecht im vereinten Deutschland, M D R 1991 99; Leutheusser-Schnarrenberger Jugendsexualität u n d Strafrecht. Überlegungen zur R e f o r m des strafrechtlichen Jugendschutzes, K i n d , J u g e n d , Gesellschaft 1993 96; Oberlies Unausgereift u n d aus Mangel an E r f a h r u n g , Streit 1992 99; Schroeder Der sexuelle M i ß b r a u c h von Jugendlichen nach § 149 D D R - S t G B , D t Z 1991 240; Schroeder Die Reform der Straftaten gegen die Entwicklung des Sexuallebens, Z R P 1992 295; Sick Zweierlei Recht f ü r zweierlei Geschlecht, ZStW 103(1991)43, 77; Steinmeister Zur Aufhebung von § 175 StGB u n d § 182 StGB u n d E i n f ü h r u n g einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift f ü r sexuelle H a n d l u n g e n , KJ 1991 197; Steinmeister „ J u g e n d s c h u t z " gegen Jugendliche? Z R P 1992 87; Steinmeister Was heißt „einheitlicher J u g e n d s c h u t z " ? Z u m Gesetzgebungsentwurf der Bundesregierung f ü r eine einheitliche strafrechtliche Jugendschutzvorschrift, Kind, J u g e n d , Gesellschaft 1993 99; Tröndle Ideologie statt Jugendschutz? Z R P 1992 297; Wasmuth Straf- u n d Strafverfahrensrecht nach dem Einigungsvertrag, N S t Z 1991 160, 163. Vgl. a u ß e r d e m die Schrifttumsangaben vor § 174.

Entstehungsgeschichte Vorläufer des § 182 sind einerseits § 175 a. F. und andererseits § 182 a. F. 1. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 bedrohte in § 175 a. F. die widernatürliche Unzucht — die Rechtsprechung verstand darunter nur beischlafähnliche Handlungen — zwischen Personen männlichen Geschlechts mit Strafe. Fälle der gegenseitigen Onanie unter Erwachsenen und zwischen Erwachsenen sowie Minderjährigen wurden nicht erfaßt. Der Schutz von Kindern und Schutzbefohlenen wurde insoweit nur durch die §§ 174, 176 StGB a. F. sichergestellt. Das Gesetz vom 28. Juni 1935 (RGBl. I 839) erweiterte die Strafbarkeit durch Einbeziehung sonstiger homosexueller Handlungen. Nach allgemeiner Auffassung war damit die Strafbarkeit zu weit ausgedehnt, so daß schon der E 1962 (§§ 216, 217) Einschränkungen vorschlug. Das Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645) ging über die Vorschläge des E 1962 hinaus, hielt den Jugendschutz mit einer Schutzaltersgrenze von (159)

Heinrich Laufhütte

§ 182

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

21 Jahren aufrecht und bedrohte die Homosexualität unter Erwachsenen nur noch in besonderen Fällen (Ausnutzung der Abhängigkeit, männliche Prostitution) mit Strafe (vgl. dazu die Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, insbesondere S. 2623 ff). Das 4. StrRG setzte die Reform fort und hielt die Strafbarkeit homosexueller Handlungen — im wesentlichen dem Vorschlag des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (Besonderer Teil, Sexualdelikte) folgend — allein aus Gründen des für notwendig gehaltenen Schutzes der 14- bis 18jährigen Jugendlichen männlichen Geschlechts aufrecht (kritisch dazu Jäger Beiträge zur Sexualforschung 59 [1984] 67, 71). Es folgte damit nicht den im Rahmen der Beratungen eingeholten Gutachten, die eine homosexuelle Prägung dieser Gruppe von Jugendlichen — wenn überhaupt — nur bei einer Altersgrenze bis zu 16 Jahren für möglich hielten (Prot., 6. Wahlperiode S. 843 ff; BTDrucks. VI/3521 S. 30; 7/514 S. 6). Auch die in den Gesetzesberatungen erwogene Verschmelzung der §§ 175, 182 StGB zu einem männliche wie weibliche Jugendliche nur gegen Verführung schützenden Tatbestand wurde abgelehnt (BTDrucks. 7/514 5. 7), insbesondere wegen der für den Nachweis der Verführung befürchteten Schwierigkeiten. Bei den Beratungen des 4. StrRG blieb streitig, ob eine Strafvorschrift gegen männliche Prostitution (Strichjungenparagraph) notwendig sei. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, ihm folgend der Gesetzgeber, beschloß die Streichung dieser im Jahre 1969 zunächst beschlossenen Vorschrift, nachdem sich auch der Bundesminister der Justiz in diesem Sinne ausgesprochen hatte (Prot., 6. Wahlperiode S. 2112). 2. § 182 StGB a. F. bedrohte die Verführung des unbescholtenen noch nicht sechzehnjährigen Mädchens zum Beischlaf mit Strafe. Der E 1962 wollte auf das Merkmal der Unbescholtenheit verzichten (§ 213). Es führe dazu, so legte die Begründung des Entwurfs dar, daß das Vorleben des Mädchens durchforscht und selbst geringfügige Verfehlungen hervorgeholt und nicht selten aufgebauscht würden. Überdies liege kein Grund vor, einen Täter straflos zu lassen, wenn er ein Mädchen, das einmal „gefehlt, aber wieder Halt gewonnen habe, erneut vom rechten Wege abbringe". Der Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (Besonderer Teil, Sexualdelikte, S. 68) hielt es ebenfalls „trotz einiger Bedenken" (§ Β 6) für erforderlich, die Verführung von Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren durch Männer über 18 Jahre unter Strafe zu stellen (den Schutz der unter 14jährigen sah der Entwurf in § Β 4 vor). In der Begründung zu diesem Vorschlag wandte sich der Entwurf gegen moralisierende Tendenzen, meinte aber, daß Gründe des Jugendschutzes für die Beibehaltung einer Vorschrift sprächen, die junge Mädchen vor sie belastenden Verführungen zum Beischlaf schützten. Dem folgte das 4. StrRG, das allerdings — abweichend vom Vorschlag des Alternativentwurfs — den Kreis der Täter nicht auf erwachsene Männer beschränkte. Es sah den § 182 als einen Tatbestand, der dem Schutz jugendlicher Mädchen diente (vor § 174 Rdn. 7 ; BTDrucks VI/1552 S. 31 ). Während der Gesetzesberatungen hatte ein Regierungsvertreter (v. Biilow Prot., 6. Wahlperiode S. 1594) verfassungsrechtliche Bedenken für den Fall angemeldet, daß der Schutzzweck des § 182 nur darin zu sehen sei, junge Mädchen (nicht dagegen junge Männer) vor sittlicher Verfehlung zu schützen. Die unterschiedliche psychische Situation von Jungen und Mädchen (nicht zuletzt wegen der bei letzteren gegebenen Möglichkeit der Schwangerschaft) rechtfertige jedoch die Aufrechterhaltung eines dem Schutz junger Mädchen vor sexueller Verführung dienenden Tatbestandes. Die Konzeption, nur Mädchen zu schützen und diese nur vor Verführung zum Beischlaf, war bei den Gesetzesberatungen auch sonst in Zweifel gezogen worden. Ein Antrag des AbgeordneStand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen

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ten Ostmann von der Leye (Prot., 6. Wahlperiode S. 1627), männliche und weibliche Jugendliche bis zu 16 Jahren vor Verleitung (oder Verführung) zu geschlechtlichen Handlungen zu schützen, fand indes keine Mehrheit (vgl. auch Prot., 7. Wahlperiode S. 21 ff, 32 ff), nicht zuletzt deshalb, weil der Vorschlag auch den Wegfall des § 175 bezweckte. 3. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden einerseits die Bestrebungen, § 175 a. F. ganz zu streichen oder wenigstens die Schutzaltersgrenze auf 16 Jahre zu senken, wieder stärker 1 . Seit 1985 war die Vorschrift Gegenstand mehrerer parlamentarischer Initiativen mit dem Ziel der ersatzlosen Streichung 2 . Andererseits sind traditionelle Vorurteile, die den entpönalisierten Bereich betreffen, nicht abgebaut 3 . Bedingt durch die Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990, bekam das Anliegen einer Reform der §§ 175, 182 neuen Auftrieb. In den neuen Bundesländern galten diese Vorschriften nicht, sondern der nach Anwendungsbereich und Strafdrohung gegenüber § 175 a. F. mildere, gegenüber § 182 a. F. strengere § 149 StGB-DDR 4 . Die Reform ist durch das 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. Mai 1994 — BGBl. I S. 1168 — (dazu Schroeder NJW 1994 1501) verwirklicht worden. Dem Gesetzgebungsverfahren lagen neben einem Gesetzentwurf der Bundesregierung 5 — ein vorangegangener abweichender Referentenentwurf hatte erhebliche Kritik erfahren 6 — 1

2 5

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Kiel D u R 1983 428; Böllinger Beiträge zur Sex u a l f o r s c h u n g 62 (1987) 10; Schmidt ebendort S. 34; Kentier e b e n d o r t S. 37, 51 f; BTDrucks. 12/ 4584 S.4. Nachweise siehe BTDrucks. 12/4584 S. 5. Gollner Z R P 1975 231; Nitschke Die Zeit 1984 Nr. 6 S. 37. In G r o ß b r i t a n n i e n ist in jüngster Zeit das Schutzalter von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt w o r d e n . Ein heftig diskutierter Antrag, die Strafbarkeitsgrenze wie bei heterosexuellen Beziehungen auf 16 J a h r e festzulegen, f a n d wegen moralischer Bedenken u n d der R ü c k s i c h t n a h m e auf die S t i m m u n g beim Wählervolk keine Mehrheit. U m fragen hatten ergeben, d a ß eine g r o ß e Mehrheit der Bevölkerung weit stärkere Vorbehalte gegen die Gleichstellung d e r H o m o s e x u a l i t ä t hat als die A b g e o r d n e t e n selbst (Bericht der H a n n o v e r s c h e n Allgemeinen Zeitung vom 23. F e b r u a r 1994 [Nr. 45] S. 4). § 149 S t G B - D D R war nach T a t b e s t a n d s f a s s u n g u n d S t r a f d r o h u n g milder als § 175 StGB a. F. Das Schutzalter war auf 16 J a h r e begrenzt; s t r a f b a r waren der Geschlechtsverkehr u n d geschlechtsverkehrsähnliche H a n d l u n g e n , sofern der j u n g e Mensch dazu unter A u s n u t z u n g seiner moralischen U n r e i f e durch G e s c h e n k e , Versprechungen oder in ähnlicher Weise m i ß b r a u c h t w o r d e n w a r ; die Höchststrafe betrug zwei J a h r e Freiheitsstrafe. Diese unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung gleichartiger Taten verstieß nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. I). Sie war die Folge einer beitrittsbedingten Übergangsregelung mit v o r ü b e r g e h e n d e m Gelt u n g s a n s p r u c h . Es war nicht s a c h f r e m d u n d damit nicht willkürlich, d a ß d u r c h den Einigungsvertrag d e m Gesetzgeber Gelegenheit gegeben w o r d e n ist, i n n e r h a l b einer angemessenen Frist

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eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland vorzubereiten ( B G H N S t Z 1992 383 mit abl. A n m . Kusch \ aA LG Essen N S t Z 1992 38; Wasmuth N S t Z 1991 160, 163; Kusch M D R 1991 99, 100). Bei d e r Strafzumessung f ü r Taten nach § 175 hatte der Tatrichter die b e s t e h e n d e unterschiedliche Rechtslage in D e u t s c h l a n d j e d o c h zu beachten ( B G H S t . 40 64). Für das Gewicht eines strafrechtlichen Verstoßes k o n n t e nicht unerheblich sein, d a ß dieser in einem a n d e r e n Teilgebiet der Bundesrepublik D e u t s c h l a n d einer milderen S t r a f b e s t i m m u n g unterlag. 5

BTDrucks. 12/4584: „ § 182 Sexueller M i ß b r a u c h von Jugendlichen (1) Eine Person über achtzehn J a h r e , die eine Person unter sechzehn J a h r e n m i ß b r a u c h t , i n d e m sie diese 1. unter A u s n u t z u n g einer Zwangslage oder 2. durch Versprechen oder G e w ä h r e n eines Entgelts o d e r vergleichbaren Vorteils dazu bestimmt, sexuelle H a n d l u n g e n an ihr v o r z u n e h m e n oder an sich von ihr v o r n e h m e n zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n o d e r mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird eine Person über einundzwanzig J a h r e bestraft, die eine Person unter sechzehn J a h r e n m i ß b r a u c h t , indem sie diese unter A u s n u t z u n g ihrer Unreife dazu bestimmt, sexuelle H a n d l u n g e n an ihr v o r z u n e h m e n oder an sich von ihr v o r n e h m e n zu lassen. (3) In den Fällen des Absatzes 2 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei d e n n , d a ß die Strafverfolgungsbeh ö r d e wegen des b e s o n d e r e n öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.".

6

Bruns Z R P 1991 166 u n d 325; Deutsche Gesellschaft fur Sexualforschung, M s c h r K r i m . 1992 225; Oberlies Streit 1992 99; Schroeder Z R P 1992 295; Tröndle Z R P 1992 297; Steinmeister ZRP

Heinrich Laufhütte

§

1 8 2

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

ein Gesetzentwurf des Bundesrates 7 zugrunde sowie Vorschläge der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks. 12/1899) und der Gruppe PDS/Linke Liste (BTDrucks. 12/850), die §§ 175, 182 und § 149 StGB-DDR ersatzlos zu streichen». Die auf Vorschlag der Bundesregierung und des Bundesrates verwirklichte Gesetzesfassung ist im Hinblick auf die vorgesehene Erweiterung des Täterkreises auf weibliche Personen auf Bedenken gestoßen 9 . Im Rahmen der umfangreichen Beratungen zum 4. StrRG wurde das Bedürfnis verneint, auch Frauen als mögliche Täter zu erfassen und die bisher straflosen Handlungen einer Frau mit einem männlichen oder weiblichen Jugendlichen über 14 Jahre unter Strafe zu stellen. Nach damaliger Ansicht gab es keine zuverlässigen Belege dafür, daß sexuelle Beziehungen von männlichen Jugendlichen mit einer (älteren) Frau in einer nennenswerten Zahl von Fällen zu erheblichen Schädigungen der Jugendlichen geführt haben. Auch im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Beziehungen einer Frau mit einem minderjährigen Mädchen über 14 Jahre ging der Gesetzgeber davon aus, daß die von solchen Beziehungen drohenden Gefahren nicht ein derartiges Ausmaß haben, daß — abgesehen von den Strafdrohungen der §§ 174, 176 StGB — eine allgemeine Pönalisierung erforderlich sei. Neuere Erkenntnisse, die zu einer anderen Einschätzung der Gefährdungssituation in diesen Fällen führen, liegen nicht vor. Dennoch ist die Initiative, männliche und weibliche Jugendliche in gleicher Weise — ohne Eingrenzung des möglichen Täterkreises — gegen sexuelle Übergriffe zu schützen, zu begrüßen. Voraussetzung ist eine Gesetzesfassung, die nur pönalisierungswürdige Fälle erfaßt. Das sind solche, in denen eine ältere — männliche oder weibliche — Person ihre Überlegenheit gegenüber dem — männlichen oder weiblichen — Opfer bewußt ausnutzt. Dem wird die Fassung des Gesetzes gerecht.

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Tathandlung 1. Absatz 1 a) Tathandlungen b) Eingrenzende Merkmale 2. Absatz 2

7

Rdn. 1 2 2 2 3 4

1992 87 — mit Textabdruck — und Frankfurter Rundschau vom 13. Februar 1992 (Nr. 37) Seite 18. BTDrucks. 12/4232: ,,§ 176 a Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, d a ß sie diese durch das Versprechen oder Gewähren von nicht unerheblichen Vermögensvorteilen oder unter Ausnutzung oder Schaffung einer Zwangslage dazu bringt, sexuelle Handlungen an ihr oder einer dritten Person vorzunehmen oder von ihr oder einer dritten Person an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

III. IV. V. VI. VII.

8

9

Subjektiver Tatbestand Täter und Teilnehmer Strafzumessung, Strafantrag Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 5 6 7 8 9

So auch zahlreiche Stimmen in der Literatur, vgl. Deutsche Gesellschaft fîir Sexualforschung, MschrKrim. 1992 225, 228 f; Kappe KJ 1991 205; Kentier Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) 37; Kiel DuR 1983 428; Sick ZStW 103 (1991) 43, 76, 83. Einige Autoren schlagen statt einer neuen Jugendschutzvorschrift eine Ergänzung des § 174 zur Verbesserung des Schutzes vor der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen zu sexuellen Handlungen vor (Steinmeister Streit 1992 102; Schroeder Z R P 1 9 9 2 297). Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung MSchrKrim. 1992 225, 226; Oberlies Streit 1992 99, 101 ; Tröndle Z R P 1992 297,299.

S t a n d : 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen

§

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I. Geschütztes Rechtsgut. § 182 dient dem Jugendschutz (so im Ergebnis auch 1 Kusch/Mössle N J W 1994 1504). Die Vorschrift schützt männliche u n d weibliche Jugendliche unter sechzehn Jahren gegen sexuelle Übergriffe von Erwachsenen ( m ä n n lichen u n d weiblichen Geschlechts). Der oder die Jugendliche soll vor sexuellen H a n d l u n g e n bewahrt werden, die ein Älterer unter Ausnutzung unlauterer Mittel (Abs. 1) oder unter Ausnutzung der sexuellen Unreife des Opfers (Abs. 2) v o r n i m m t oder vornehmen läßt. Schutzgut u n d Schutzrichtung des Absatzes 1 der Vorschrift sind unproblematisch: sie entsprechen im wesentlichen denen des § 180 Abs. 1 u n d 2: § 182 Abs. 1 u n d § 180 Abs. 1 u n d 2 sind in den T a t h a n d l u n g e n miteinander verzahnt u n d ergänzen sich gegenseitig. Der Schutzzweck des § 182 Abs. 2 ist ebenfalls nicht problematisch ; hier ist aber in Frage zu stellen, ob die Tatbestandseingrenzungen gelungen sind. Der Gesetzgeber hat geglaubt, das Merkmal „ U n r e i f e " des Regierungsentwurfs im Sinne des Merkmals „Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimm u n g " zu interpretieren. Dabei k a n n es sich nicht um eine beim Jugendlichen entsprechenden Alters generell gegebene oder fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung handeln, sondern um einen im Einzelfall gegebenen Zustand. Feststellungen dazu im Einzelfall werden äußerst schwierig sein. II. Tathandlung 1. Absatz 1: a) Täter k a n n jeder Erwachsene sein, O p f e r jeder Jugendliche unter sechzehn Jah- 2 ren. Als Zwangsmittel k o m m t in allen Tatbestandsalternativen die „ A u s n u t z u n g der Zwangslage" in Frage, in Absatz 1 Nr. 1 darüber hinaus das Zahlen eines Entgeltes. Das O p f e r m u ß zur V o r n a h m e oder zum Gewährenlassen von sexuellen H a n d l u n g e n im Sinne des § 184 c Nr. 1 (zur Erheblichkeit § 184 c R d n . 10 bis 12) gebracht werden (aA Kusch/Mössle N J W 1994 1506: nur Geschlechts-, Anal- u n d Oralverkehr). Abs. 1 Nr. 1 verlangt sexuelle H a n d l u n g e n des Opfers mit dem Täter, u n d zwar des Opfers an dem Täter oder des Täters an dem O p f e r jeweils mit K ö r p e r k o n t a k t (§ 184 c R d n . 14 bis 16). Abs. 1 Nr. 2 verlangt d e m e n t s p r e c h e n d e sexuelle H a n d l u n gen des Opfers mit einem Dritten (an dem Dritten oder des Dritten an ihm, auch hier jeweils mit Körperkontakt). b) Das eingrenzende Merkmal „ A u s n u t z u n g der Zwangslage" (Abs. 1 Nrn. 1 u n d 3 2) lehnt sich an § 302 a Abs. 1 an. Die Zwangslage stellt eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers dar. Es k o m m t nicht darauf an, ob der Täter die Zwangslage geschaffen oder eine bereits v o r h a n d e n e Zwangslage lediglich ausgenutzt hat. Die Zwangslage m u ß ernst, aber nicht existenzbedrohend sein; auf ihre Vermeidbarkeit k o m m t es nicht an. Das in Abs. 1 Nr. 1 alternativ in Frage k o m m e n d e Merkmal „gegen Entgelt" erfaßt jede in einem Vermögensvorteil bestehende Leistung. Die Vorschrift ergänzt insoweit § 180 Abs. 2, der T a t h a n d l u n g e n , bei denen der Jugendliche zu sexuellen H a n d l u n g e n mit dem Täter bestimmt wird, nicht erfaßt. Das eingrenzende Merkmal der Ausnutzung verwendet das Gesetz bereits in § 179 (Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit). Es spielt eine eingrenzende Rolle nur bei der Zwangslage, die der Täter ausgenutzt hat. Das setzt voraus, d a ß die Zwangslage ursächlich f ü r die Bereitschaft des Opfers zu den sexuellen H a n d l u n g e n ist. Das Merkmal „gegen Entgelt" verlangt ebenfalls Ursächlichkeit zwischen Z a h l u n g u n d Bereitschaft zu sexuellen H a n d l u n g e n ( K u s c h / M ö s s l e N J W 1994 1506). Zusätzlich verlangt das Gesetz einen Mißbrauch, nämlich M i ß b r a u c h durch Ausnutzung der Zwangslage oder M i ß b r a u c h durch Zahlung eines Entgeltes. Ob das Merkmal „ M i ß b r a u c h " eine zusätzliche Eingrenzung enthält, also besondere selbständige Bedeu('63)

Heinrich Laufhütte

§ 182

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

tung hat, ist fraglich. Die in § 179 (dort Rdn. 14) diskutierten Fälle dürften in § 182 keine Rolle spielen (vgl. BTDrucks. 12/4584 S. 8). Zum Merkmal „Bestimmen" kann auf § 180 Rdn. 15 verwiesen werden. 4

2. Absatz 2. Die Tathandlungen der Vorschrift decken sich mit denen des Absatzes 1. Täter kann allerdings nur ein Erwachsener über einundzwanzig Jahre sein. Tatbestandsmäßig sind in Abs. 2 Nr. 1 sexuelle Handlungen des Täters an dem Opfer oder des Opfers an dem Täter sowie in Abs. 2 Nr. 2 entsprechende Handlungen mit einem Dritten, zu denen der Täter das Opfer bestimmt hat. Tatbestimmendes Merkmal ist der Mißbrauch durch Ausnutzung der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Die Merkmale Mißbrauch durch Ausnutzung entsprechen denen des Absatzes 1 (aA Kusch/Mössle NJW 1994 1507: „Ausnutzen" i. S. des Absatzes 2 bedeutet, daß der Täter die sexuelle Handlung beim ersten oder zweiten persönlichen Kontakt mit dem Jugendlichen vornimmt). Anders als dort, wo es um außerhalb des Opfers liegende Umstände geht, die seine Möglichkeit zum Widerstand vermindern (Zwangslage, Zahlung eines Entgeltes), geht es in Absatz 2 um seinen inneren Zustand, nämlich um seine fehlende Fähigkeit, seine sexuelle Selbstbestimmung auszuüben. Das Gesetz kann nicht davon ausgehen, daß schon altersbedingt solche Fähigkeiten fehlen (vgl. BTDrucks. 12/4584 S. 8), sonst wäre das Merkmal überflüssig. Es kann also nur um eine im konkreten Einzelfall gegebene Unfähigkeit gehen, die bei einem bestimmten Jugendlichen generell oder bei einem anderen in bestimmten Situationen vorliegt. Der Tatrichter wird dazu im Einzelfall Feststellungen treffen müssen. Bei sehr jungen Opfern wird die Fähigkeit, was aber wegen des gegebenen § 176 praktisch ohne Bedeutung ist, generell in Frage zu stellen sein. Bei älteren Jugendlichen bedarf es der Feststellung etwa einer Retardierung des Reifeprozesses, einer Schädigung im intellektuellen oder sozialen Bereich, die zu einem Mangel an Urteilsvermögen oder zu einer erheblichen Willensschwäche führt.

5

III. Subjektiver Tatbestand. Der Tatbestand erfordert — zumindest bedingten — Vorsatz. Der Täter muß die Umstände kennen, die den Jugendlichen zu einem Opfer machen: Er muß also für möglich halten, daß das Opfer jünger als sechzehn Jahre ist, ebenso die Umstände, die die Zwangslage oder die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ausmachen. Er muß für möglich halten und es muß ihm gleichgültig sein, daß die Zwangslage, die Zahlung eines Entgeltes oder die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ursächlich für die Bereitschaft des Jugendlichen zu den sexuellen Handlungen sind.

6

IV. Täter und Teilnehmer. Das Opfer ist stets notwendiger Teilnehmer (vgl. vor § 174 Rdn. 13); für andere Personen gelten die allgemeinen Vorschriften über Beihilfe und Anstiftung. Zur Strafbarkeit des Dritten vgl. die Ausführungen bei § 180 Rdn. 19 f.

7

V. Strafzumessung, Strafantrag. Die Strafdrohung des Absatzes 1 ist höher als die des Absatzes 2; verständlich ist die Abstufung nicht, weil der Mißbrauch einer Unfähigkeit nicht weniger strafwürdig ist als die Ausnutzung einer Zwangslage oder die Zahlung eines Entgeltes. Deshalb ist das Erfordernis eines Strafantrages oder der Bejahung des öffentlichen Interesses in Absatz 3 für die Fälle des Absatzes 2 nur schwer nachzuvollziehen. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe (Abs. 4) entspricht der Regelung in § 174 Abs. 4 (vgl. dort Rdn. 22). Stand: 1. 8. 1994

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Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen

§

182

VI. Konkurrenzen. Die Absätze 1 und 2 können in Tateinheit zueinander stehen, 8 weil der jeweilige spezifische Unrechtsgehalt nicht durch den jeweils anderen Tatbestand erfaßt ist. Idealkonkurrenz kommt in Frage mit den §§ 173, 174, 176, 179, 180b, 240. Da durch die neue Vorschrift auch Tathandlungen mit unter 14jährigen Personen erfaßt werden, wird in diesen Fällen regelmäßig Tateinheit mit § 176 vorliegen. Die Verwirklichung beider Tatbestände darf in diesen Fällen zur Strafschärfung führen, weil § 182 gegenüber § 176 einen zusätzlichen Unrechtsgehalt hat (vgl. zum Zusammentreffen von § 175 a. F. und § 176 die Vorauflage, Rdn. 7 zu § 175 ; zustimmend BGH NStZ 1993 537, ablehnend BGH NStZ 1993 591). VII. Recht des Einigungsvertrages. Im Beitrittsgebiet waren die §§ 175,182 und 236 9 nicht anzuwenden (Einigungsvertrag Anlage I Kap. III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 1). Statt dessen galt § 149 StGB-DDR (Einigungsvertrag Anlage II Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 1). Zur Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Regelungen innerhalb Deutschlands für die Übergangszeit siehe Fn. 4. Bei Taten nach §§ 175 a. F. und 182 a. F., die im Beitrittsgebiet begangen wurden 1 0 , war zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 149 StGB-DDR vorlagen. Diese Regelung kann für Taten vor Inkrafttreten des § 182 noch von Bedeutung sein. § 149 StGB-DDR hatte folgenden Wortlaut: Sexueller Mißbrauch

von

Jugendlichen

(1) Ein Erwachsener, der einen Jugendlichen zwischen vierzehn und sechzehn Jahren unter Ausnutzung der moralischen Unreife durch Geschenke, Versprechen von Vorteilen oder in ähnlicher Weise dazu mißbraucht, mit ihm Geschlechtsverkehr auszuüben oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft. (2) Die Strafverfolgung verjährt in zwei Jahren.

Täter konnten nach dieser Vorschrift Erwachsene" und Opfer Jugendliche beiderlei Geschlechts sein. Moralische Unreife 12 wurde bei Jugendlichen unter 16 Jahren stets bejaht, sie brauchte nicht zusätzlich festgestellt zu werden 13 . Sexueller Mißbrauch lag vor, wenn der Geschlechtsverkehr oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen durch Zuwendungen, Versprechen von Vorteilen oder in ähnlicher Weise erlangt wurden. Vorteile waren nicht nur solche materieller Art wie eine Autotour oder ein Wochenendurlaub, sondern auch immaterieller Art, wie ungerechtfertigt gute Zensuren oder Beurteilungen. Auch ein nicht ernst gemeintes Eheversprechen konnte als Vorteilsversprechen gelten. Soweit eine solche Tathandlung auf dem Gebiet der alten Bundesländer dem Tatbestand des § 182 a. F. unterfiel, ist dessen 10

Es gilt das T a t o r t p r i n z i p des interlokalen Strafrechts ( B G H Beschluß vom 26. Mai 1993 — 5 StR 2 1 9 / 9 3 - ; Eser G A 1991 241, 254 f; Fischer M D R 1991 582; aA Schneiders M D R 1990 1049, 1050; 1991 585), d . h . a u c h Bundesbürger, die im Beitrittsgebiet T a t h a n d l u n g e n nach §§ 175, 182 v o r g e n o m m e n h a b e n , waren nicht n a c h diesen Vorschriften strafbar. " Dies sind im Unterschied zu J u g e n d l i c h e n , welche über 14, a b e r noch nicht 18 J a h r e alt sind (§ 65 Abs. 2 S t G B - D D R ) , u n d K i n d e r n , die unter 14 J a h r e alt sind (§ 148 Abs. 5 S t G B - D D R ) Personen über 18 Jahre. 12 Strafrecht der D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987, § 149 A n m . 4.

(165)

" N a c h Schroeder D t Z 1991 240, 241 k a n n diese A u f f a s s u n g f ü r eine rechtsstaatliche Auslegung keineswegs ü b e r n o m m e n werden. Der Tatbestand sei beim Wort zu n e h m e n u n d die „ m o r a l i sche U n r e i f e " positiv festzustellen. Vgl. demgeg e n ü b e r aber die B e g r ü n d u n g der Bundesregier u n g zum Entwurf einer einheitlichen J u g e n d schutzvorschrift (BTDrucks. 12/4584 S. 8), die bei unter 16jährigen Jugendlichen von einem typischerweise nicht abgeschlossenen Prozeß der Entwicklung sexueller Reife ausging u n d deshalb dem vorgesehenen T a t b e s t a n d s m e r k m a l der Unreife ebenfalls keine e i n s c h r ä n k e n d e Funktion beimaß.

Heinrich Laufhütte

§ 182

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

m i l d e r e S t r a f d r o h u n g b e i d e r B e m e s s u n g d e r T a t s c h w e r e z u b e a c h t e n (vgl. a u c h B G H S t V 1 9 9 4 368). U n t e r d a s M e r k m a l „ i n ä h n l i c h e r W e i s e " k o n n t e n a l l e M i t t e l der Beeinflussung des Willens von Jugendlichen fallen, etwa die H e r b e i f ü h r u n g von Trunkenheit oder Ausnutzung einer psychischen oder emotionalen Abhängigkeit o d e r D r o h u n g e n ( a A Schroeder D t Z 1991 240, 241). Als g e s c h l e c h t s v e r k e h r s ä h n l i c h e H a n d l u n g e n k a m e n d e r A n a l - , O r a l - o d e r S c h e n k e l v e r k e h r in Betracht.

§ 183 Exhibitionistische

Handlungen

( 1 ) Ein M a n n , der e i n e andere P e r s o n durch eine e x h i b i t i o n i s t i s c h e H a n d l u n g b e l ä s t i g t , wird mit F r e i h e i t s s t r a f e bis zu e i n e m J a h r oder mit G e l d s t r a f e bestraft. ( 2 ) D i e T a t wird nur auf A n t r a g v e r f o l g t , e s sei denn, d a ß d i e S t r a f v e r f o l g u n g s b e h ö r d e wegen d e s besonderen ö f f e n t l i c h e n Interesses an der S t r a f v e r f o l g u n g ein Einschreiten von A m t s wegen f ü r g e b o t e n hält. ( 3 ) D a s Gericht k a n n die V o l l s t r e c k u n g einer F r e i h e i t s s t r a f e auch dann zur B e w ä h rung a u s s e t z e n , wenn zu erwarten ist, d a ß der T ä t e r erst nach einer l ä n g e r e n H e i l b e h a n d l u n g keine e x h i b i t i o n i s t i s c h e n H a n d l u n g e n mehr vornehmen wird. ( 4 ) A b s a t z 3 gilt a u c h , wenn ein M a n n o d e r eine Frau wegen einer e x h i b i t i o n i s t i s c h e n Handlung 1. n a c h einer anderen V o r s c h r i f t , die im H ö c h s t m a ß F r e i h e i t s s t r a f e bis zu e i n e m J a h r o d e r G e l d s t r a f e androht, oder 2. nach § 174 A b s . 2 N r . 1 oder § 1 7 6 Abs. 5 N r . 1 b e s t r a f t wird. Schrifttum Binter Die Unzucht mit K i n d e r n u n d ihre Abgrenzung zur Beleidigung u n d die Erregung öffentlichen Ärgernisses, N J W 1953 1815; Blei A n m . zu O L G Köln N J W 1970 670, J A 1971 25; Dünnebier K ö n n e n H a n d l u n g e n , die sich auf gleichgeschlechtliche Betätigung beziehen, als unzüchtige H a n d l u n g e n im Sinne von § 183 StGB bestraft werden, wenn die Unzucht zwischen M ä n n e r n nicht mehr s t r a f b a r sein sollte? G A 1955 203; Geilen A n m . zu B G H N J W 1970 1855; N J W 1970 2304; Giese Psychopathologie der Sexualität (1962); Haß Z u r Frage der sogenannten Sexualbeleidigung, SchlHStA 1975 123; Glatze! Exhibitionistische H a n d l u n g e n in der psychiatrischen Begutachtung (Prognose), Forensia 1985 167; v. Hentig Exhibitionisten-Statistik M s c h r K r i m . 1929 327; Herzberg Die Problematik der b e s o n d e r e n persönlichen M e r k m a l e im Strafrecht, ZStW 88 (1976) 68, 82; von Hören Ungereimtheiten bei der strafrechtlichen Verfolgung des Exhibitionismus, Z R P 1987 19; Horstkotte Kuppelei, V e r f ü h r u n g u n d Exhibitionismus nach dem Vierten Gesetz zur R e f o r m des Strafrechts, J Z 1974 84, 89 ; Jüttner Bemerkungen zu dem in G A 1955 203 erschienenen Aufsatz von Dünnebier, G A 1955 307; Kaufmann A n m . zu BGHSt. 12 42, M D R 1959 229; Kenller/Schorsch Kein Strafrecht gegen exhibitionistische H a n d l u n g e n , Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) S. 105; Koopmann Exhibitionismus, M s c h r K r i m . 1942 18; Marx Z u m Begriff der Öffentlichkeit in § 183 StGB, J Z 1972 112; Mezger Der Begriff der Öffentlichkeit in § 183 StGB, Z A R D R 1939 162; Mohr Exhibitionism a n d pedophilia (1962); Moses Die psychischen M e c h a n i s m e n des jugendlichen Exhibitionismus, Zeitschrift f ü r Sexualwissenschaft Bd. 17 106; Müller-Dielz Kriminalprävention zwischen (Resozialisierungs-)Chance u n d (Kriminalitäts-)Risiko — am Beispiel des § 183 Abs. 3 StGB, Meyer-Gedächtnisschrift S. 735; Nass und Eisen H a n d w ö r t e r b u c h der Rechtsmedizin f ü r Sachverständige und Juristen, Bd. III, Der Täter, sein sozialer Bezug, seine Begutachtung u n d B e h a n d l u n g S t a n d : 1. 8. 1994

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Exhibitionistische H a n d l u n g e n

§ 183

(1977), S. 74; Räckles Exhibitionismus (1950); Ritze Die Sexualbeleidigung nach § 185 S t G B u n d das Verfassungsgebot „nulla p o e n a sine lege", J Z 1980 91 ; Schall Die Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 183 Abs. 3 StGB, J R 1987 397; Scholz G r a u s a m u n d ungewöhnlich, D R i Z 1973 88; Schröder A n m . zu O L G Köln N J W 1970670, J R 1970 429; Schünemann Liebhaber u n d Teilhaber, J u S 1979 275, 277; Steinmetz Der Exhibitionismus in H a m b u r g 1945 bis 1950, Diss. H a m b u r g 1951 ; Wille Die forensisch-pathologische Beurteilung der Exhibitionisten, Paedophilen, I n z e s t - u n d Notzuchtstäter, Habil. Kiel 1968; Wille Exhibitionisten, M s c h r K r i m . 1972 218; Witter Z u r prognostischen Beurteilung von Exhibitionisten, Würtenberger-Festschrift S. 333; Würtenberger Kriminologie u n d Auslegung des § 183 StGB, J Z 1960 342.

Entstehungsgeschichte § 183 StGB a. F. bedrohte denjenigen mit Strafe, der durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis gab. Das in der Vorschrift verwandte Merkmal der unzüchtigen Handlung entsprach nicht dem entsprechenden der anderen Vorschriften des 13. Abschnittes (vgl. § 184 c Rdn. 2 ff). Erfaßt wurden neben exhibitionistischen Handlungen auch solche, bei denen die dem Merkmal der Unzucht sonst innewohnenden subjektiven Kriterien fehlten (BGHSt. 15 118, 124), wie etwa bei der pantomimischen Darstellung des Beischlafsvollzuges lediglich zum Zwecke der Verspottung (RGSt. 23 233; 28 77, 80; 68 193; 70 159). Bei sexuell indifferenten Handlungen, die an sich nicht von der Vorschrift erfaßt wurden, wie das nackte Baden (BGH JR 62 26), schamlose Bedürfnisbefriedigen in Gegenwart anderer (BGH NJW 1954 520; RGSt. 7 168), Entblößen und Waschen des nackten Körpers (BGH Urteil vom 5. Februar 1953 — 3 StR 465/52), konnte § 183 zur Anwendung kommen, wenn der Täter bei dem Zuschauenden geschlechtliche Vorstellungen erwecken wollte (BGH NJW 1954 520). Der E 1962 wollte dieser Rechtslage durch Verzicht auf den Begriff der Unzucht in dem als Nachfolgevorschrift vorgesehenen § 219 Rechnung tragen. Statt dessen sah der Entwurf das Merkmal der erheblichen Verletzung des allgemeinen Scham- und Sittlichkeitsgefühls in geschlechtlicher Beziehung vor. Außerdem erstrebte er insoweit eine Erweiterung der Strafbarkeit, als er den Begriff der öffentlichen Ärgerniserregung mit einer Eignungsklausel versah, also nicht mehr die eingetretene Ärgerniserregung verlangte (wer öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, Ärgernis zu erregen, eine Handlung vornimmt, die das allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung erheblich verletzt, ...). Einer solchen Vorschrift trat der Alternativ-Entwurf des Strafgesetzbuches (Sexualdelikte, Besonderer Teil 1968) mit der Forderung entgegen, nur noch die Vornahme exhibitionistischer Handlungen vor einer Frau mit Strafe zu bedrohen. Das 4. StrRG hat diesem Anliegen insofern Rechnung getragen, als es in § 183 für den Bereich des Exhibitionismus mit seinen kriminologischen Besonderheiten (Horstkotte JZ 1974 84, 89) eine eigenständige Regelung vorsieht (vgl. auch Jäger Beiträge zur Sexualforschung 59 (1984) S. 57,72 f). Die lediglich Ärgernis erregenden sexuellen Handlungen sind in § 183 a mit Strafe bedroht.

Übersicht Rdn. 1. Geschütztes Rechtsgut II. Die T a t h a n d l u n g . . I. D e r Begriff der „exhibitionistischen Handlung" 2. D e r Begriff der „ B e l ä s t i g u n g " . . . III. Subjektiver Tatbestand IV. T ä t e r u n d Teilnehmer (167)

2 2 4 5 6

Rdn. V. Strafverfolgung, Strafe u n d Strafvollstreckung 1. Die Voraussetzungen der Strafverfolgung (Absatz 2) 2. Die S t r a f d r o h u n g 3. Erleichterung der Strafaussetzung zur B e w ä h r u n g (Absatz 3)

Heinrich L a u f h ü t t e

7 7

8 9

§

1 8 3

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g Rdn.

VI. Die erweiterten Aussetzungsmöglichkeiten n a c h § 183 Abs. 4 1. Die Bedeutung des Absatzes 4 Nr. 1 2. Die Aussetzungsmöglichkeit n a c h Absatz 4 N r . 2

11 12

VII. K o n k u r r e n z e n VIII. Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 14 15

13

1

I. Geschütztes Rechtsgut. § 183 dient dem Schutz betroffener einzelner Bürger vor schwerwiegenden Belästigungen 1 . Die zum früheren Recht vertretene Auffassung, daß § 183 das AUgemeininteresse schütze (BGHSt. 4 303; 11 282), kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Daß das Gesetz lediglich Einzelinteressen schützen will, wird schon dadurch deutlich, daß § 183 StGB n. F. grundsätzlich den Strafantrag des betroffenen einzelnen erfordert. Die Frage, ob schwerwiegenden sexuellen Belästigungen überhaupt mit den Mitteln des Strafrechts entgegengetreten werden muß, ist im Gesetzgebungsverfahren erörtert und zutreffend bejaht worden (vor § 174 Rdn. 11). Damit ist jedoch die Frage noch nicht beantwortet, ob es sinnvoll ist, exhibitionistische Handlungen mit Strafe zu bedrohen (ablehnend Kentler/Schorsch Beiträge zur Sexualforschung 62 (1987) S. 105; von HörenZRP 1987 19, 22). Exhibitionisten handeln unter großem Antriebsdruck. Sie leiden an Konflikten, die besser mit — häufig aussichtsreicher (BTDrucks. VI/3521 S. 54 mit Nachweisen) — therapeutischer Behandlung als mit dem Strafvollzug bekämpft werden können. Wiederholter Strafvollzug kann sogar eine aussichtsreiche Therapie erschweren (vgl. Horstkotte JZ 1974 84, 89 mit Nachweisen). Das darauf beruhende Unbehagen, den Exhibitionisten mit Strafe zu bedrohen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1774 ff), hat zur Suche nach außerstrafrechtlichen Lösungen geführt (BTDrucks. VI/3521 S. 54). Der Gesetzgeber hat jedoch geglaubt, auf eine strafrechtliche Sanktionierung nicht verzichten zu dürfen. Dabei hat die Erwägung eine nicht unerhebliche Rolle gespielt, daß den meisten exhibitionistischen Tätern die notwendige Eigeninitiative fehlt, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, und daß sie diesen Schritt in der Regel nur aufgrund eines über den ohnehin schon vorhandenen Leidensdruck hinausgehenden Zwanges von außen tun (BTDrucks. VI/3521 S. 54). Eine solche Zwangswirkung kann nach dem derzeit zur Verfügung stehenden gesetzlichen Instrumentarium nur mit den Mitteln des Strafrechts erzielt werden. Der besonderen Problematik, die mit der Vollstrekkung von Freiheitsstrafen bei Exhibitionisten verbunden ist — sie stiftet in der Regel mehr Schaden als Nutzen — , hat der Gesetzgeber in den Absätzen 3 und 4 Rechnung getragen.

2

II. Die Tathandlung. § 183 Abs. 1 bedroht Männer — gleich welchen Alters — mit Strafe, die andere Personen — weiblichen oder männlichen Geschlechts, gleich welchen Alters — durch eine exhibitionistische Handlung belästigen. 1. Exhibitionistische Handlungen sind solche, mit denen ein Mann (dazu Sick ZStW 103[1991]43,83) einer anderen Person ohne deren Einverständnis seinen entblößten Geschlechtsteil vorweist, um sich entweder allein dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der anderen Person oder durch Masturbieren sexuell zu befriedigen (BTDrucks. VI/3521 S. 53) oder zu erregen oder eine vorhandene geschlechtliche Erregung zu steigern (BGH bei Holtz MDR 1983 622; vgl. aber Glatzel 1

N a c h Fischer G A 1989 445, 458 ist auch bei §§ 183, 183 a das geschützte Rechtsgut die sexuelle Selbstbestimmung. S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Exhibitionistische H a n d l u n g e n

§ 183

Forensia 1985 167). Das Vorzeigen eines Plastikgliedes reicht nicht (vgl. den dem Beschluß des B G H vom 9. Februar 1993 - 5 StR 2 8 / 9 3 - zugrunde liegenden Sachverhalt). Es k o m m t , anders als im f r ü h e r e n Recht, nicht auf die öffentliche Begehung an. Auch die Entblößung im Hausflur, Eisenbahnabteil oder im Hotelzimmer, die auf das O p f e r eine größere Schockwirkung auslösen k a n n als eine im Freien ausgeführte Tat, ist durch die Vorschrift erfaßt (BTDrucks. aaO). Die E n t b l ö ß u n g m u ß stets in der Absicht geschehen, d a ß die a n d e r e Person die H a n d l u n g w a h r n i m m t ( O L G Karlsruhe N S t E Nr. 4 zu § 183). Das bloße I n k a u f n e h m e n der Möglichkeit, d a ß andere die sexuelle Manipulation am Geschlechtsteil sehen, reicht nicht aus ( O L G Düsseldorf N J W 1977 262; aA Dreher/Tröndle R d n . 7). Tatbestandsvoraussetzung ist eine sexuelle Motivation des Täters. Das Entblößen in der Öffentlichkeit, um zu urinieren, ist deshalb nicht tatbestandsmäßig, selbst wenn der Täter in der Absicht handelt (etwa um die Zuschauer zu verhöhnen), d a ß andere die H a n d l u n g beobachten. Bei exhibitionistischen H a n d l u n g e n erstrebt der Täter nicht den körperlichen 3 Kontakt mit der a n d e r e n Person. Sucht der Täter die sexuelle Befriedigung in einem sexuell motivierten körperlichen K o n t a k t u n d dient die E n t b l ö ß u n g des Gliedes lediglich der Vorbereitung dazu, so liegt kein tatbestandsmäßiges Verhalten vor. Je nach Sachlage k a n n darin der Versuch der Vergewaltigung oder der sexuellen Nötigung liegen, wenn der Täter den sexuellen Kontakt mit den Mitteln der §§ 177, 178 erstrebt, sonst liegt lediglich Beleidigung vor. Das schließt nicht aus, d a ß auch der Exhibitionist später einen körperlichen Kontakt mit dem O p f e r erhoffen k a n n (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 3). Tatbestandsmäßig ist seine H a n d l u n g aber nur d a n n , wenn er schon die E n t b l ö ß u n g in der Absicht vornimmt, d a d u r c h sexuelle Befriedigung zu erlangen oder sich sexuell zu erregen oder v o r h a n d e n e geschlechtliche Erregung zu steigern ( B G H bei Holz M D R 1983 622). 2. Der andere m u ß durch die exhibitionistische H a n d l u n g belästigt worden sein 4 ( B G H R StGB § 183 Abs. 1 Belästigung 1). Das setzt zunächst voraus, d a ß die a n d e r e Person die H a n d l u n g tatsächlich w a h r g e n o m m e n hat. Es braucht sich dabei nicht um denjenigen zu handeln, auf den es dem Täter a n k a m ( H o r n SK R d n . 3; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 4). Der W a h r n e h m e n d e m u ß die sexuelle Tendenz erkennen ( B G H N J W 1970 1855). Die in der A n m e r k u n g zu dieser Entscheidung zum alten Recht von Geilen ( N J W 1970 2304) aufgeworfene Frage, ob diese Auslegung f ü r den Jugendschutz Probleme aufwerfe, stellt sich nach neuem Recht nicht mehr, weil exhibitionistische H a n d l u n g e n vor Kindern durch § 176 Abs. 5 Nr. 1 erfaßt sind (vgl. § 176 Rdn. 8). Bei diesem Tatbestand genügt es, d a ß das Kind die H a n d l u n g bewußt sinnlich wahrnimmt. Es ist dort nicht erforderlich, d a ß es auch die sexuelle T e n d e n z erkennt (§ 184 c R d n . 24). D a ß dagegen das Tatbestandsmerkmal der Belästigung in § 183 nur erfüllt ist, wenn das O p f e r den Vorgang sinnlich w a h r n i m m t u n d in seiner sexuellen Tendenz erkennt, folgt aus dem Schutzzweck der Vorschrift, die den einzelnen vor sexuellen Belästigungen, nicht vor Belästigungen anderer Art bewahren will. Belästigt ist das O p f e r nur, wenn in ihm erhebliche negative Gefühlserregungen hervorgerufen werden. Bloße Verwunderung reicht nicht aus, ebensowenig Neugier, Mitleid oder Vergnügen. Andererseits braucht der Vorgang dem O p f e r nicht etwa bedrohlich zu erscheinen (anders der Vorschlag des Alternativ-Entwurfs: „in bedrohlich erscheinender Weise"). Ein Merkmal „ b e d r o h l i c h " wäre zum einen nur schwer feststellbar u n d würde zum anderen in Fällen versagen, in denen das O p f e r durch die Beobachtung des Vorgangs — ohne diesen als f ü r sich bedrohlich e m p f u n d e n zu haben — erheblich schockiert wurde (Horstkotte Prot., 6. Wahlperiode S. 1770). Belästigung ist gegeben bei der H e r v o r r u f u n g von Angst u n d U n r u h e (Horstkotte J Z 1974 (169)

Heinrich Laufhütte

§ 183

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

84, 90), aber auch etwa von Empörung, Ekel oder Ärger (Horn SK Rdn. 3; Sch/ Schröder/Lenckner Rdn. 4). Mit dem Merkmal der Belästigung sollen Vorgänge aus dem Tatbestandsbereich des § 183 StGB ausgeschieden werden, bei denen wegen der vom Exhibitionisten regelmäßig eingehaltenen räumlichen Distanz (vgl. dazu aber Glatzel Forensia 1985 167, 171) nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß die exhibitionistische Handlung bei der Person, der der Täter gegenübertritt, erhebliche negative Gefühlsregungen hervorruft (vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 32; VI/3521 S. 55). Beschränkt sich der Täter nicht auf das Vorzeigen des entblößten Gliedes, greift er beispielsweise Frauen zwischen die Beine oder an die Brust oder masturbiert er vor den Augen des neben ihm stehenden Opfers, kann eine Belästigung auf der Hand liegen (BGH bei Miebach NStZ 1993 227). 5

III. Subjektiver Tatbestand. Der Tatbestand verlangt, wie dargelegt, eine sexuelle Tendenz, soweit das Merkmal des Exhibitionismus in Frage steht. Dabei muß der Täter beabsichtigen, daß ein anderer den Vorgang sieht. Nicht notwendig ist, daß es ihm darauf ankommt, daß der andere auch die sexuelle Tendenz erkennt. Insoweit reicht — wie auch bei den sonstigen Merkmalen des Tatbestandes — bedingter Vorsatz aus. Das gilt auch für den Fall, daß nicht der andere, den der Täter im Auge hatte, den Vorgang wahrnimmt, sondern ein Dritter. In solchen Fällen muß es der Täter für möglich halten und billigen, daß der Dritte die Handlung wahrnimmt und in ihrer sexuellen Tendenz erkennt, und er muß damit einverstanden sein. Soweit das Merkmal der Belästigung in Frage steht, muß der Täter die Umstände, die dieses Merkmal erfüllen, für möglich halten und mit ihnen einverstanden sein.

6

IV. Täter und Teilnehmer. Täter kann jeder Mann sein. Die Tat ist eigenhändiges Delikt. Teilnahme ist an sich möglich. Bei der Art des Delikts und dem in Frage kommenden Täterkreis ist die Teilnahme an dem Delikt allerdings schwer vorstellbar. V. Strafverfolgung, Strafe und Strafvollstreckung

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1. § 183 ist Antragsdelikt (§ 183 Abs. 2). Antragsberechtigt ist die von der Tat betroffene Person (§§ 77 ff; vgl. Hirsch LK 10 § 232 Rdn. 1, 5). Das ist jeder durch die Tat Belästigte. Auch ohne Antragstellung ist die Tat verfolgbar, wenn die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Diese Erklärung, die noch in der Revisionsinstanz abgegeben werden kann (BGH bei Daliinger MDR 1974 546), wird insbesondere — bei fehlendem Strafantrag — dann in Frage kommen, wenn Rückfallgefahr gegeben ist, aber auch dann, wenn anzunehmen ist, daß der Täter zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung nur nach einer strafrechtlichen Verurteilung bereit ist. Wegen der Problematik des Einschreitens von Amts wegen bei besonderem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung im einzelnen kann auf Hirsch (in LK10 § 232 Rdn. 6 ff) verwiesen werden. Der dort vertretenen Verfahrensvoraussetzungstheorie (Rdn. 16, 22) wird indes nicht zugestimmt. Vielmehr wird man der herrschenden Meinung (dort Rdn. 13) folgen müssen, daß dann, wenn die Staatsanwaltschaft unter Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses einschreitet, eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht möglich ist (BGHSt. 16 225). Diese Auffassung enthält keinen Verfassungsverstoß (BVerfG NJW 1979 1591). Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung hervorgehoben, daß derjenige, der in Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, keinen Anspruch auf Freistellung von der Strafverfolgung hat. Die Entscheidung der StaatsStand: 1. 8. 1994

(170)

Exhibitionistische Handlungen

§ 183

anwaltschaft, die Strafverfolgung einzuleiten, k a n n ihn deshalb nicht in seinen Rechten verletzen. Richterlicher Kontrolle unterliegt nur, ob sich die Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Einzelfall als objektiv willkürlich erweist (offengelassen in BVerfG N J W 1979 1591, 1592). Bei Vorliegen von Willkür ist das Verfahren einzustellen, weil die Verfahrensvoraussetzung der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses so mit Mängeln behaftet ist, d a ß sie als nicht gegeben zu b e h a n d e l n ist. 2. Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu einem J a h r oder Geldstrafe. Der Gesetzge- 8 ber wollte durch die verhältnismäßig niedrige S t r a f d r o h u n g deutlich machen, d a ß exhibitionistische H a n d l u n g e n strafrechtlich kein schwerwiegendes Unrecht darstellen, u n d er wollte die A n o r d n u n g der Sicherungsverwahrung in Fällen des Exhibitionismus „praktisch u n m ö g l i c h " machen (BTDrucks. VI/3521 S. 55). § 183 zielt in erster Linie darauf ab, den Täter in die Lage zu versetzen, sich einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen, um künftig straffrei zu leben. Die bloße Verhängung u n d Vollstreckung von Freiheitsstrafen wird diesem Ziel in der Regel nicht gerecht, auch nicht bei wiederholter Tatbegehung. Der Tatrichter wird regelmäßig die §§ 20, 21 im Auge haben müssen. Häufig wird das H e m m u n g s v e r m ö g e n (vgl. auch § 179 Rdn. 3 bis 7) gemindert sein (vgl. BGHSt. 28 357, 358; O L G Zweibrücken StV 1986 436). Dem Täter dürfen im R a h m e n der Strafzumessung nicht Fähigkeiten zur Vermeidung kritischer Situationen zugeordnet werden, die er in Wirklichkeit nicht hatte ( B G H a a O S. 359). In der Mehrzahl der Fälle wird eine Geldstrafe in Betracht k o m m e n (Horstkotte J Z 1974 84, 90). Jedenfalls d ü r f t e n die Voraussetzungen f ü r die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen (§ 47) nur sehr selten erfüllt sein. 3. Erweist sich die Verhängung einer Freiheitsstrafe als unerläßlich, so gewährt 9 § 183 Abs. 3 erweiterte Möglichkeiten der Strafaussetzung 2 . Die Vorschrift trifft eine Sonderregelung für die Z u k u n f t s p r o g n o s e nach § 56 Abs. I 3 . Strafaussetzung k a n n d a n a c h trotz — für die nächste Zeit — ungünstiger Z u k u n f t s p r o g n o s e gewährt werden, wenn zu erwarten ist, d a ß der Täter erst nach einer längeren (oder kürzeren) Heilbehandlung keine exhibitionistischen H a n d l u n g e n mehr begehen wird (OLG Stuttgart M D R 1974 685; BGHSt. 34 150, 153). Der Richter darf also die Vollstrekkung der Freiheitsstrafe auch d a n n zur Bewährung aussetzen, wenn er noch mit der Begehung weiterer exhibitionistischer Taten rechnet (BGHSt. 34 150,153 ; O L G Düsseldorf N S t Z 1984 263), aber a n n i m m t , d a ß eine nach der Verurteilung beginnende Therapie erfolgreich sein u n d zu späterem straffreien Lebenswandel f ü h r e n wird. Die weiteren Voraussetzungen der §§ 56 ff bleiben unberührt. Dies gilt insbesondere f ü r § 56 c Abs. 3. Die Weisung, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, darf deshalb nur mit Einwilligung des Täters erteilt werden. Verweigert dieser die Einwilligung, so k a n n § 183 Abs. 3 u n a n w e n d b a r sein, weil die Prognose — keine exhibitionistischen H a n d l u n g e n mehr nach längerer Heilbehandlung — nicht gestellt werden kann. Dies ist aber nicht zwingend. Durchaus möglich — u n d im Einzelfall zu prüfen — ist, ob sich der Täter der notwendigen Heilbehandlung auch o h n e Weisung unterzieht (§ 56 c Abs. 4) ( B G H R StGB § 183 Abs. 3 Heilbehandlung, längere 2; vgl. Sch/ Schröder/Lenckner R d n . 11). Eine bestimmte Behandlungsmethode darf der Täter ablehnen, wenn die zu erwartenden Folgen f ü r seinen Gesundheitszustand unverhältnismäßig sind oder weniger belastende Behandlungsmöglichkeiten bestehen (vgl. :

Z u r A n w e n d u n g des § 183 Abs. 3 siehe Schall J R 1987 397 u n d Müller-Dietz Meyer-Gedächtnisschrift S. 735.

(171)

' BGHSt. 28 357, 359; 34 150, 151 mit A n m e r k u n g Rössner bei EzSt. Nr. 2 zu § 183; B G H N S t Z 1991 485.

Heinrich Laufhütte

§ 183

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

BGHSt. 34 150, 153). Zu generalpräventiven Erwägungen, die im Rahmen des § 56 Abs. 3 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen sind, vgl. BGHSt. 34 150, 151 f; BGH NStZ 1991 485. 10 §183 Abs. 3 hat auch Konsequenzen für nachträgliche Entscheidungen. Die Begehung neuer exhibitionistischer Handlungen während noch andauernder Heilbehandlung führt grundsätzlich nicht zum Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 oder zur Versagung der Strafaussetzung hinsichtlich der neu zu verhängenden Strafe, weil die Prognose des § 183 Abs. 3 regelmäßig von der Erwartung neuer exhibitionistischer Handlungen ausgeht (OLG Düsseldorf NStZ 1984 263). Das gilt auch dann, wenn die neu begangene exhibitionistische Tat nicht nach § 183, sondern nach den Vorschriften zu beurteilen ist, die in § 183 Abs. 4 genannt sind. 11

VI. Die erweiterten Aussetzungsmöglichkeiten nach § 183 Abs. 4. § 183 Absatz 4 erstreckt die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit des § 183 Abs. 3 auf exhibitionistische Handlungen, die nach anderen Strafvorschriften zu beurteilen sind, nämlich solchen, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androhen (in Frage kommen insbesondere die §§ 123, 183 a, 185, 241; § 323 a, in Verbindung mit § 183) oder nach den §§ 174 Abs. 2 Nr. 1 (vgl. § 174 Rdn. 3) und 176 Abs. 5 Nr. 1 (vgl. § 176 Rdn. 8). Da Täter dieser Strafvorschriften — anders als bei § 183 Abs. 1 — auch Frauen sein können, kommt die erweiterte Aussetzungsmöglichkeit nach ausdrücklicher Regelung auch Frauen zugute.

12

1. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, daß hinter § 183 nicht nur — kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung — § 183 a, sondern auch § 185 zurücktritt, so hat Absatz 4 Nr. 1 Bedeutung im wesentlichen für im Vollrausch begangene exhibitionistische Handlungen sowie für exhibitionistische Taten von Frauen, die nach § 183 a oder nach § 185 (vgl. dazu BTDrucks. 7/514 S. 10) zu beurteilen sind. Daneben ist an Taten zu denken, die bei Begehung des § 183, also in Tateinheit damit, erfüllt worden sind.

13

2. Die in dem § 174 Abs. 2 Nr. 1 und in § 176 Abs. 5 Nr. 1 mit Strafe bedrohten Handlungen sind nicht stets exhibitionistische. Exhibitionistische Handlungen sind, wie dargelegt, nur solche, bei denen es dem Täter um die eigene sexuelle Befriedigung oder Erregung geht, und zwar durch Zurschaustellung gegenüber einem anderen. Die nach den §§ 174, 176 strafbaren Handlungen, bei denen der Täter die sexuelle Erregung des Opfers oder eines Dritten erstrebt, sind deshalb in § 183 Abs. 4 Nr. 2 nicht erfaßt. Für solche Taten wäre die erweiterte Möglichkeit der Strafaussetzung auch nicht sinnvoll, da der für § 183 typische sexuelle Triebdruck, der eine Behandlung notwendig macht, regelmäßig nicht vorliegen dürfte. In Fällen, in denen für exhibitionistische Taten nach den §§ 174 Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 5 Nr. 1 Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren verwirkt sind, enthält § 183 Abs. 4 eine Sonderregelung nur für die Zukunftsprognose, nicht jedoch für die weiteren Voraussetzungen des § 56 Abs. 2, wonach besondere Umstände in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten vorliegen müssen (vgl. BGHSt. 28 357, 360; 34 150, 151).

14

VII. Konkurrenzen. § 183 wird durch § 174 oder § 176 verdrängt (aA Sch/ Schröder/Lenckner Rdn. 15 ; Lackner Rdn. 11 ), weil der Unrechtsgehalt des § 183 in vollem Umfang durch die mit höherer Strafandrohung versehenen Vorschriften der §§ 174, 176 erfaßt ist. § 183 verdrängt den § 185 (aA OLG Stuttgart M R D 1974 685; Lackner aaO), wenn es um Handlungen geht, die regelmäßig mit dem Erscheinungsbild des Stand: 1. 8. 1994

(172)

Erregung öffentlichen Ärgernisses

§ 183

S

4

§ 183 verbunden sind . § 183 a ist kraft ausdrücklicher Regelung im Verhältnis zu § 183 subsidiär. Die §§ 177, 240 (aA Dreher/Tröndle Rdn. 13 f ü r § 240) verdrängen den § 183. Tateinheit ist möglich mit den §§ 123, 241. Werden durch ein u n d dieselbe H a n d l u n g mehrere Personen betroffen, so liegt — gleichartige — Idealkonkurrenz vor (vgl. vor § 174 R d n . 20 — a A BGHSt. 4 303). Fortsetzungszusammenhang enfällt nach neuer Auffassung (vor § 174 R d n . 22). Er war auch früher nicht möglich, wenn durch verschiedene Akte verschiedene Personen betroffen waren. VIII. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit 1 5 des Rechts der D D R siehe § 174 Rdn. 24. In der D D R waren exhibitionistische H a n d l u n g e n durch den § 1245 unter Strafe gestellt. § 124 verbot die öffentliche Vorn a h m e sexueller H a n d l u n g e n in Gegenwart anderer, um sich zu erregen oder zu befriedigen. Der Begriff der sexuellen H a n d l u n g u m f a ß t e sowohl das Entblößen des eigenen Geschlechtsteils u n d die Selbstbefriedigung als auch sonstige sexuelle H a n d lungen 6 . Die Erfüllung des Tatbestandes setzte voraus, d a ß mindestens eine Person den Vorgang w a h r n a h m u n d den sexuellen Bezug e r k a n n t e ; belästigt mußte sie sich hingegen — anders als bei § 183 — nicht fühlen. Die öffentliche V o r n a h m e sexueller H a n d l u n g e n allein zu dem Zweck, andere Personen zu erschrecken oder in ihrer W ü r d e zu verletzen, reichte nicht aus, den Tatbestand zu erfüllen. Insoweit enthielt das Strafrecht der D D R keinen dem § 183 a entsprechenden Schutz; die A n w e n d u n g des § 183 a auf Taten im Beitrittsgebiet ist im Einzelfall d e n k b a r , soweit der Täter nicht nur Ärgernis erregen wollte, sondern auch sexuelle Erregung oder Befriedigung gesucht hat. Die S t r a f d r o h u n g des § 124 S t G B - D D R war höher als der S t r a f r a h m e n der §§ 183 u n d 183 a, so d a ß auf entsprechende Taten in der Regel bundesdeutsches Recht A n w e n d u n g findet.

§ 183 a Erregung ö f f e n t l i c h e n Ärgernisses Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist. Schrifttum u n d Entstehungsgeschichte vgl. bei § 183. Ubersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Die T a t h a n d l u n g 1. Ö f f e n t l i c h e Vornahme Handlungen a) Sexuelle H a n d l u n g e n

Rdn. 1 2 sexueller 2 2

B G H StV 1982 14 zur e n t s p r e c h e n d e n Problematik bei § 177; vgl. aber B G H N J W 1958757,758, insoweit in BGHSt. 11 282 nicht a b g e d r u c k t ; vgl. auch § 174 R d n . 23. § 124 S t G B - D D R i.d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14. 12. 1988 (GBl. 11989 34,56) lautet: „ W e r sexuelle H a n d l u n g e n öffentlich in Gegenwart a n d e r e r v o r n i m m t , um sich d a d u r c h ge(173)

Rdn. b) Öffentlichkeit der H a n d l u n g s v o r nahme 2. Absichtliches o d e r wissentliches Ärgerniserregen

3 5

schlechtlich zu erregen o d e r zu befriedigen, wird mit Geldstrafe, mit Verurteilung auf B e w ä h r u n g oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n bestraft." Strafrecht der D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzb u c h , 5. A u n . 1987 S. 316, 318 f; vgl. auch Schlegel/Amboss/Michalski NJ 1985 401,404.

Heinrich Laufhütte

§

1 8 3

Λ

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

a) Ärgerniserregen b) Subjektiver Tatbestand Ärgerniserregung III. Subjektiver Tatbestand

1

Rdn. 5 bei

der 6 7

IV. V. VI. VII.

Täterschaft und Teilnahme . Strafverfolgung, Strafe . . . . Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 8 9

10 II

I. Geschütztes Rechtsgut. § 183 a ist aus § 183 StGB a. F. hervorgegangen. Der praktisch und kriminologisch wichtige Regelungsinhalt des § 183 StGB a. F. ist in § 183 StGB n. F. enthalten. In den Ausschußberatungen war nicht unumstritten, ob daneben überhaupt noch Raum für eine Strafvorschrift ist, die ärgerniserregende Handlungen unter Strafe stellt (vgl. Prot., 6. Wahlperiode S. 1781 ff, 1783). In der Öffentlichkeit begangene sexuelle Handlungen stellen zum großen Teil allenfalls bloße Ungehörigkeiten dar, die einer Ahndung durch das Strafrecht nicht bedürfen. Der Gesetzgeber hat sich aber — dem Vorschlag des Regierungsentwurfs aus der 6. Wahlperiode folgend (BTDrucks. VI/1552 S. 32) — entschlossen, den Provokateur, der durch seine öffentlich vorgenommenen sexuellen Handlungen absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis gibt, unter Strafe zu stellen. Nach Auffassung des Gesetzgebers, der zuzustimmen ist (vgl. vor § 174 Rdn. 11), hat jedermann grundsätzlich Anspruch auf Achtung seiner Anschauungen. Es ist deshalb, wie in BTDrucks. V I / 3521 S. 56 ausgeführt ist, legitim und erforderlich, einer der gravierendsten Formen der Verletzung dieses Anspruchs, der provozierenden Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit, mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten (kritisch von Hören Z R P 1987 19, 22). Die Vorschrift schützt diesen Anspruch des einzelnen und nicht — wie § 183 StGB a. F. (BGHSt. 4 303; 11 282, 284) - das Allgemeininteresse 1 , was sich schon daraus ergibt, daß die Vorschrift individuelles Ärgerniserregen verlangt. II. Die Tathandlung

2

1. Die Vorschrift setzt die öffentliche Vornahme sexueller Handlungen voraus. a) Sexuelle Handlungen sind die des § 184 c Nr. 1. Es kommen sexuelle Handlungen — nicht sexuelle Reden (BGHSt. 2 42 mit Anm. Kaufmann MDR 1959 229) mit und ohne Körperkontakt in Frage. Im einzelnen kann auf die Ausführungen zu § 184 c (dort Rdn. 5 ff) verwiesen werden. Maßgeblich dafür, ob eine Handlung eine sexuelle ist, ist das äußere Erscheinungsbild, das sie als sexualbezogen erkennen läßt. Auszuscheiden sind daher die Handlungen, denen die Sexualbezogenheit fehlt, wie das Nacktbaden (BGH JR 1962 26), das Urinieren (BGH NJW 1954 520; RGSt. 7 168) oder das Entblößen und Waschen des nackten Körpers (BGH Urteil vom 5. Februar 1953 — 3 StR 465/52). Auf die sexuelle Tendenz kommt es nicht an (§ 184 c Rdn. 7). Eine dem äußeren Erscheinungsbild nach sexualbezogene Handlung ist deshalb auch dann vom Tatbestand erfaßt, wenn es dem Handelnden nicht auf die eigene sexuelle Erregung, die eines Partners oder die eines Dritten ankommt, sondern auf die Provokation Zuschauender. Die Erheblichkeitsschwelle der äußerlich sexualbezogenen Handlung liegt bei § 183 a hoch (vgl. § 184 c Rdn. 12). Ein sich in der Öffentlichkeit küssendes Liebespaar begeht keine — im Hinblick auf das in § 183 a geschützte Rechtsgut — erhebliche sexualbezogene Handlung, selbst wenn es weiß, daß es bei — prüden — Zuschauern Anstoß erregt. Anders ist es bei einem in der Öffentlichkeit vollzogenen Geschlechtsakt (auch von Ehepaaren: RGSt. 23 233, 234). 1

So aber Lackner Rdn. 1 ; Dreher/Tröndle Rdn. 2; wie hier Horslkolte J Z 1974 84, 90; Horn SK

Rdn. 1 ; Sch/Schröder/Lenckner Fischer G A 1989 445,458.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

Rdn. 1 ; vgl. auch

(174)

Erregung öffentlichen Ärgernisses

§ 183 a

b) Die H a n d l u n g m u ß öffentlich v o r g e n o m m e n werden. Das ist der Fall, wenn sie 3 nach den örtlichen Verhältnissen von unbestimmten u n d unbestimmt vielen Personen w a h r g e n o m m e n wird oder w a h r g e n o m m e n werden k a n n , o h n e d a ß der Täter in der Lage wäre, dies zu verhindern (vgl. K G N S t Z 1985 220). Es k o m m t nicht darauf an, d a ß die unbestimmte Vielheit von Personen zur Stelle ist, die H a n d l u n g also tatsächlich w a h r g e n o m m e n hat 2 . Die Öffentlichkeit des Ortes alleine genügt nicht; eine auf öffentlicher Straße v o r g e n o m m e n e sexuelle H a n d l u n g ist daher nicht o h n e weiteres öffentlich im Sinn des § 183 a ( B G H N J W 1969 853). Eine versteckt begangene sexuelle H a n d l u n g fällt nicht unter § 183 a (RGSt. 73 385). Andererseits k a n n ein Verhalten erfaßt sein, auch wenn der Ort, an dem es v o r g e n o m m e n wird, nicht in der Öffentlichkeit liegt. So k a n n die H a n d l u n g auch an einem Fenster (BGHSt. 11 282) oder in einem Z i m m e r ( B G H Urteil vom 12. Oktober 1965 — 1 StR 262/65) begangen werden, sofern sie von j e d e r m a n n gesehen werden kann. Es ist nicht erforderlich, d a ß der Beobachter Einzelheiten erkennen kann, wenn er nur das Verhalten als solches w a h r n e h m e n u n d zutreffend als sexuelle H a n d l u n g deuten k a n n (BGH Urteil vom 21. Juni 1968 — 4 StR 111/68). Vorsichtsmaßregeln schließen den Öffentlichkeitsvorsatz nicht o h n e weiteres aus ( B G H LM § 183 Nr. 5). Eine a n d e r e Beurteilung ist allerdings geboten, wenn der Täter sein Verhalten so einrichtet, d a ß er nach seinem Willen u n d nach seiner Vorstellung von a n d e r e n nicht gesehen werden k a n n ( B G H N J W 1969 853) Auch H a n d l u n g e n , die nur von einem fest umrissenen Personenkreis wahrgenom- 4 men werden k ö n n e n , k ö n n e n öffentlich v o r g e n o m m e n sein. Ausgeschlossen ist das Merkmal der Öffentlichkeit hier nur d a n n , wenn die H a n d l u n g vor Personen vorgen o m m e n worden ist, die insbesondere nach der Art u n d dem Zweck ihres Zusammenseins durch ein inneres Band wechselseitiger persönlicher Beziehungen verbunden sind, u n d zwar von Beziehungen, die die betroffenen Personen als einen in sich geschlossenen Personenkreis kennzeichnen (BGHSt. 11 282, 284; vgl. auch K G NStZ 1985 220). An der Öffentlichkeit der H a n d l u n g s v o r n a h m e fehlt es in solchen Fällen d a n n , wenn ein Mitglied des geschlossenen Personenkreises die sexuelle H a n d l u n g vornimmt (Schröder J R 1970 429; Blei JA 1971 25 unter Hinweis auf RGSt. 49 147, 148). Öffentlich ist die H a n d l u n g aber auch d a n n nicht, wenn ein Außenstehender, nicht dem geschlossenen Personenkreis A n g e h ö r e n d e r die H a n d l u n g vornimmt u n d diese nur in dem geschlossenen Personenkreis w a h r g e n o m m e n werden k a n n (aA Schröder u n d Blei a a O ; Lackner Rdn. 2). Es fehlt d a n n das Merkmal der W a h r n e h mungsmöglichkeit f ü r unbestimmte Personen, das dem Begriff der Öffentlichkeit imm a n e n t ist. Die A n f o r d e r u n g e n , die an den Begriff des geschlossenen Personenkreises zu stellen sind, sind nicht zu hoch anzusetzen. Sie sind erfüllt bei einem geschlossenen Club oder bei eingeladenen Mitgliedern einer Abendveranstaltung, bei einem kleinen Gewerbebetrieb mit kleinem, persönlich v e r b u n d e n e n Mitarbeiterstamm, grundsätzlich aber nicht bei den Beschäftigten einer Fabrik (vgl. BGHSt. 11 282, 285), den Besuchern einer Bar (OLG Celle G A 1971 251 ; kritisch Marx JZ 1972 112) oder den Mitgliedern eines größeren Vereins (aA O L G Köln N J W 1970 670 bei einem Verein von 800 Mitgliedern mit Anm. Schröder J R 1970 429 u n d Blei JA 1971 25). Die bloße Verbindung von Personen, die beruflichen Kontakt miteinander haben oder die durch den Besuch einer j e d e r m a n n oder vielen unbestimmten Personen zugänglichen Veranstaltung oder auch durch Vereinsmitgliedschaft miteinander ver-

- RGSt. 73 90; BGHSt. 11 282; 12 42, 46; 15 118, 124; BGH NJW 1969853. (175)

Heinrich Laufhütte

§ 1 8 3 Sí

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

bunden sind, führt nicht zur A n n a h m e der persönlichen — privaten — Verbundenheit, die beim geschlossenen Personenkreis vorhanden sein muß. 5

2. Zum Tatbestand gehört absichtliches oder wissentliches Ärgerniserregen. a) Das Ärgernis m u ß erregt sein. Es genügt also nicht, daß es dem Täter lediglich darauf ankommt, Ärgernis zu erregen. Voraussetzung ist, daß ein anderer den Vorgang als solchen wahrgenommen hat. Der andere muß ihn aber auch — insoweit unterscheidet sich der Tatbestand (wie § 183 dort Rdn. 4) von § 174 Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB (siehe dort und bei § 184 c) — in seinem sexuellen Bezug erkannt haben 3 . Außerdem muß der Vorgang tatsächlich Ärgernis und nicht nur Belustigung oder Desinteresse erregt haben (vgl. auch § 183 Rdn. 4). Das Ärgernis braucht nicht bei der Person erregt zu werden, die der Täter bei Vornahme der sexuellen Handlungen im Auge hatte. Derjenige, bei dem das Ärgernis erregt wird, muß allerdings anwesend sein und den Vorgang — in Erkenntnis des sexuellen Bezugs — wahrgenommen haben. Es genügt nicht, daß er sich das Ereignis von einer Person, die möglicherweise daran Vergnügen e m p f u n d e n hat, lediglich erzählen läßt und er d a n n Ärgernis nimmt. Da die Vorschrift — anders als das frühere Recht — nicht die Allgemeinheit, sondern den einzelnen davor schützt, in seinen Anschauungen respektiert und nicht öffentlich wider Willen mit sexuellen Vorgängen konfrontiert zu werden, ist das Merkmal der Ärgerniserregung in objektiver Hinsicht einzugrenzen. Die Handlung muß zunächst überhaupt geeignet sein, an dem Ort, an dem sie vorgenommen wird, als ärgerniserregend e m p f u n d e n zu werden 4 . Das ist nicht der Fall in Bars, die in ihrer Werbung — wenn diese nicht selbst ärgerniserregend ist — auf die sexuellen Vorgänge abstellen, die in ihnen vorgenommen werden. Objektiv kann von Verletzung der Anschauungen der Besucher, welche die Bar besuchen, um mit diesen Vorgängen konfrontiert zu werden, nicht die Rede sein. Weiter einschränkend ist zu fordern, daß der Betrachter mit dem Vorgang ungewollt konfrontiert wird (BTDrucks. VI/3521 S. 57; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 1). Diese Einschränkung betrifft die Fälle, bei denen sexuelle Handlungen an Orten vorgenommen werden, an denen zwar nicht ohne weiteres mit ihnen zu rechnen ist, ihre Vornahme aber vorher angekündigt wird und die Möglichkeit des Sichentfernens besteht (Horn SK Rdn. 4; Dreher/Tröndle aaO). Derjenige, der dennoch bleibt, weil er neugierig ist oder sich ärgern will, ist nicht geschützt. Objektiv ärgerniserregende Handlungen sind d a n n nicht tatbestandsmäßig, wenn der Besucher Vergnügen an ihnen empfindet, ein Ärgernis also tatsächlich nicht erregt wird. Das gilt auch, wenn zwar keine positiven Gefühlsregungen durch die Handlung hervorgerufen werden, negative Empfindungen aber ausbleiben, etwa weil der Beobachter gleichgültig bleibt oder zwar erstaunt, letztlich aber nicht betroffen ist.

6

b) Dem Täter muß es auf die Ärgerniserregung ankommen („absichtlich") oder er m u ß das Ärgernis wissentlich erregen. Fälle, in denen der Täter die Möglichkeit des Zusehens durch andere lediglich in Kauf nimmt (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 57), sind deshalb vom subjektiven Tatbestand nicht erfaßt. Nur ein unerhebliches Abweichen vom Kausalverlauf liegt vor, wenn bei der Person, die der Täter provozieren wollte, gar kein Ärgernis erregt wird, d a f ü r aber bei anderen, die ungewollt mit der sexuellen Handlung des Täters konfrontiert sind. D a ß auch andere Personen als die, die der Tä3

B G H N J W 1970 1855 mit A n m . Geilen N J W 1970 2 3 0 4 ; vgl. a u c h B G H bei D a l l i n g e r M D R 1970 8 9 8 ; K G JR 1965 29.

4

Laujhülle in Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1792; Dreher/Tröndle R d n . 5 ; vgl. a u c h O L G H a m b u r g NJW1972117.

Stand: 1. 8. 1994

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Erregung öffentlichen Ärgernisses

§ 183 a

ter provozieren wollte, den Vorgang wahrnehmen und in ihrem sexuellen Bezug erkennen, braucht lediglich vom bedingten Vorsatz des Täters erfaßt zu sein. Der Täter muß dies also für möglich halten, und es muß ihm gleichgültig sein. III. Subjektiver Tatbestand. Der Täter muß, soweit nicht Absicht oder Wissent- 7 lichkeit verlangt wird (Rdn. 6), mit mindestens bedingtem Vorsatz handeln. Dieser muß sich auch auf die sexuelle Handlung erstrecken (§ 184 c Rdn. 8, 13). Soweit das Merkmal der Öffentlichkeit in Frage steht (BGH NJW 1969 853), muß sich der zumindest bedingte Vorsatz auf die Umstände erstrecken, die den Begriff des öffentlichen Handelns erfüllen. IV. Täterschaft und Teilnahme. Der Täter braucht die sexuelle Handlung nicht 8 selbst vorzunehmen. Der Organisator einer von anderen vorgenommenen sexuellen Handlung ist selbst Täter (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 7 ; aA Horn SK Rdn. 6). Die Teilnahme richtet sich nach allgemeinen Regeln. Gehilfe kann sein, wer dem Veranstalter oder dem Ausführenden bei der Darbietung oder ihrer Vorbereitung Hilfe leistet. V. Strafverfolgung, Strafe. Anders als § 183 ist § 183 a kein Antragsdelikt. Das 9 kann sich nachteilig (vgl. vor § 174 Rdn. 17) auf den Täter einer exhibitionistischen Handlung auswirken, die nicht nach § 183 strafbar (Exhibitionismus durch Frauen), aber von § 183 a erfaßt ist. In solchen Fällen ist an eine entsprechende Anwendung des § 183 Abs. 2 zu denken. Eine ausdehnende Anwendung dieser Vorschrift erscheint aber nicht möglich. Die Nichtanwendung des § 183 Abs. 2 in solchen Fällen beruht auf einem Fehler des Gesetzgebers, der nicht im Wege der Auslegung beseitigt werden kann. Bei fehlender Strafanzeige eines Betroffenen sollte von den §§ 153, 153 a StPO großzügig Gebrauch gemacht werden. Die Strafdrohung entspricht der des § 183, Sicherungsverwahrung scheidet also praktisch aus (vgl. § 183 Rdn. 8). Die Möglichkeit der erweiterten Strafaussetzung nach § 183 Abs. 3 ist gemäß § 183 Abs. 4 Nr. 1 für Fälle des Exhibitionismus (der Frau) ausdrücklich für anwendbar erklärt (vgl. § 183 Rdn. 12). VI. Konkurrenzen. § 183 a ist gemäß ausdrücklicher Regelung subsidiär gegenüber 10 § 183, außerdem — wie § 183 (siehe dort) — gegenüber den §§ 174, 176. Sind Handlungen, die nach § 183 Abs. I strafbar sind, wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 183 Abs. 2 nicht verfolgbar, so können sie auch nicht nach § 183 a verfolgt werden (sehr streitig : vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8). Sonst würde das mit § 183 Abs. 2 angestrebte gesetzgeberische Ziel unterlaufen. § 185 wird bei Handlungen, die mit dem Erscheinungsbild des § I83a regelmäßig verbunden sind, durch § 183 a verdrängt (vgl. § 183 Rdn. 14). Wird das Ärgernis durch ein und dieselbe Handlung bei mehreren Personen erregt, so liegt — gleichartige — Idealkonkurrenz vor 5 . Fortsetzungszusammenhang ist nicht möglich (vor § 174 Rdn 22)6. Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 184 a, 184 b. VII. Recht des Einigungsvertrages. Zum Recht des Einigungsvertrages vgl. § 183 11 Rdn. 15. 5

Vgl. dazu vor § 174 R d n . 20; aA BGHSt. 4 303; Dreher/Tröndle R d n . 7 ; Lackner R d n . 5.

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Vgl. zum f r ü h e r e n Recht Vorauflage vor § 174 R d n . 23 ; RGSt. 75 207 ; BGHSt. 4 303, 304.

Heinrich Laufhütte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§ 184 Verbreitung pornographischer Schriften (1) Wer pornographische Schriften ( § 1 1 Abs. 3) 1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht, 2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überläßt, 3a. im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überläßt, 4. im Wege des Versandhandels in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt, 5. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet, ankündigt oder anpreist, 6. an einen anderen gelangen läßt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, 7. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird, 8. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder 9. auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine pornographische Darbietung durch Rundfunk verbreitet. (3) Wer pornographische Schriften (§11 Abs. 3), die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 oder 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird, wenn die pornographischen Schriften den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, sonst mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Haben die pornographischen Schriften (§11 Abs. 3) in den Fällen des Absatzes 3 den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand und geben sie ein tatsächliches Geschehen wieder, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf JahStand: 1. 8. 1994

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Verbreitung p o r n o g r a p h i s c h e r Schriften

§ 184

ren, wenn der T ä t e r g e w e r b s m ä ß i g o d e r a l s M i t g l i e d einer B a n d e h a n d e l t , die s i c h zur f o r t g e s e t z t e n B e g e h u n g s o l c h e r T a t e n verbunden hat. ( 5 ) ' W e r e s u n t e r n i m m t , sich o d e r e i n e m D r i t t e n den B e s i t z von p o r n o g r a p h i s c h e n S c h r i f t e n ( § 1 1 A b s . 3 ) zu v e r s c h a f f e n , die den s e x u e l l e n M i ß b r a u c h von Kindern z u m G e g e n s t a n d h a b e n , wird, wenn die S c h r i f t e n ein t a t s ä c h l i c h e s G e s c h e h e n wiedergeben, mit F r e i h e i t s s t r a f e bis zu e i n e m J a h r oder mit G e l d s t r a f e b e s t r a f t . 2 E b e n s o wird bes t r a f t , wer die in S a t z 1 b e z e i c h n e t e n S c h r i f t e n besitzt. ( 6 ) 'Absatz 1 N r . 1 ist nicht anzuwenden, wenn der zur S o r g e für d i e P e r s o n B e r e c h tigte handelt. 2 A b s a t z 1 N r . 3 a gilt nicht, wenn d i e H a n d l u n g im G e s c h ä f t s v e r k e h r mit gewerblichen Entleihern e r f o l g t . 3 A b s a t z 5 gilt nicht f ü r H a n d l u n g e n , d i e a u s s c h l i e ß l i c h der E r f ü l l u n g r e c h t m ä ß i g e r dienstlicher o d e r b e r u f l i c h e r P f l i c h t e n dienen. ( 7 ) 'In den F ä l l e n d e s A b s a t z e s 4 ist § 7 3 d anzuwenden. G e g e n s t ä n d e , a u f die sich eine S t r a f t a t nach A b s a t z 5 bezieht, werden e i n g e z o g e n . 3 § 7 4 a ist anzuwenden. Schrifttum Allgemeines und zur Reformdiskussion bis zur Verabschiedung des 4. StrRG Arndt 1. Der Bundesgerichtshof u n d das Selbstverständliche (§ 100 StGB), 2. Die Kunst im Recht, N J W 1966 25; Arzt Die Strafrechtsklausur, JuS 1971 189, 191; Bauer Grundgesetz und „Schmutz- und Schundgesetz", J Z 1965 41 ; Becker J u g e n d g e f ä h r d e n d e Schriften u n d Bildwerke in der strafrechtlichen Praxis, N J W 1951 259; Becker Rechtsfragen beim Fernsehen, J R 1955 254; Becker Das j u g e n d g e f ä h r d e n d e O p u s in der Rechtsprechung, M D R 1968 881; Becker Zum Problem der Pornographie-Freigabe, M D R 1970 798; Boxdorfer P o r n o g r a p h i e — sozialethische Unerträglichkeit oder strafwürdige Sozialschädlichkeit? M D R 1971 445; Copie Berufsverbot u n d Pressefreiheit, J Z 1963 494; Droop Beschlagnahme u n d Einziehung von ausländischer Sexliteratur, N J W 1969 1521 ; Dünnwald K u n s t u n d Unzüchtigkeit, J R 1965 46; Dünnwald Kunstfreiheit u n d Strafgesetz, G A 1967 33 ; Evers Verletzung des Postgeheimnisses (Art. 10 G G ) u n d Beweisverwertungsverbot im Strafprozeß, J Z 1965 661 ; Giese Das obszöne Buch (1965); Günter M e h r Jugendschutz im Sexualstrafrecht, D R i Z 1973 353; Hanack Z u r verfassungsmäßigen Bestimmtheit u n d strafrechtlichen Auslegung des Begriffs „unzüchtige Schrift" (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 G G ) , J Z 1970 41; Hirsch Besprechung von Leiss Kunst im Konflikt, Kunst u n d Künstler im Widerstreit mit der Obrigkeit (1971), ZStW 84 (1972) 406; Hübner Schutzmittelverkauf aus W a r e n a u t o m a t e n , F a m R Z 1960 335; Knies Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem (1967); Kronhausen Pornographie u n d Gesetz (1963); Leiss Kunst im Konflikt. Kunst u n d Künstler im Widerstreit mit der Obrigkeit (1971): Leiss Die Bedeutung künstlerischer Gestaltung f ü r die Strafwürdigkeit einer H a n d l u n g , N J W 1962 2323; Leiss Grundgesetzwidrige Verfolgung patinierter P o r n o g r a p h i e ? N J W 1971 1201 ; Leiss I m m e r noch obrigkeitliches U n b e h a g e n an der K u n s t ? J R 1972 184; Livneh D a s Recht der unzüchtigen Veröffentlichungen in Israel, ZStW 83 (1971), 319; Locher Das Recht der bildenden Kunst (1970); Marcus Die Freigabe unzüchtiger Schriften in D ä n e m a r k , ZStW 80 (1968) 751; May Zum Begriff der Unzüchtigkeit in § 184, N J W 1958 1621 ; Mayer-Tasch Z u r Frage d e r Verfassungswidrigkeit der Bundesprüfstelle f ü r j u g e n d g e f ä h r d e n d e Schriften, J Z 1969 284; MertnerMainusch P o r n o t o p i a (1970); Müller Freiheit der Kunst als Problem der Strafrechtsdogmatik (1969); Müller Strafrecht, Jugendschutz u n d Freiheit der Kunst, J Z 1970 87; Neriich Z u r Verbreitungsabsicht bei der E i n f u h r ausländischer Sexliteratur in das Bundesgebiet (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 a StGB); M D R 1970 549; Ott Kunst u n d Staat (1968); Peltzer Wider die Sittenrichterei in Strafurteilen, N J W 1961 1569; Peters Z u m Begriff des Unzüchtigen in § 184 Abs. 1 StGB, J R 1950 97; Peters A k t a u f n a h m e n von K i n d e r n u n d Jugendlichen, J Z 1953 207; Potrykus Z u r Frage des Schutzmittelverkaufs aus S t r a ß e n a u t o m a t e n , M D R 1960 726; Potrykus Zur Erläuterung des Begriffs „Feilbieten" in § 41 a G e w O , M D R 1961 366; Potrykus N o c h m a l s : Z u r Frage des Aufstellens von Verhütungsmitteln in W a r e n a u t o m a t e n (§ 184 I Nr. 3 a StGB), M D R 1961 559; Potrykus Die Novelle zum Gesetz über die Verbreitung j u g e n d g e f ä h r d e n d e r Schriften, N J W 1961 1389; Potrykus Z u r E i n f u h r unzüchtiger oder j u g e n d g e f ä h r d e n d e r Schriften, N J W 1966 1156; Potrykus Z u r Auslegung von § 1 Abs. 1 S a t z 2 G j S , N J W 1967 1454; Potrykus Z u r E i n f u h r (179)

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

unzüchtiger Schriften aus dem Ausland, M D R 1969 269; Preetorius G e d a n k e n zur Kunst (1947); Preiser Wie weit sollte das Sittlichkeitsstrafrecht reformiert werden? ZStW 82 (1970) 655; Riedel Bemerkungen zum Gesetz über die Verbreitung j u g e n d g e f ä h r d e n d e r Schriften, N J W 1954 1230; Riedel Unzuchtsbegriff, Jugendschutz und Naturrecht, JR 1950 202; Riedel Das Verfahren vor der Bundesprüfstelle und das verwaltungsgerichtliche Rechtsmittelverfahren, J R 1954 251 ; Schlippe Ist die Werbung für Empfängnisverhütungsmittel zulässig? J R 1951 76; Schmidt Über die Freiheit der Kunst, G A 1966 97; Schmitt Geburtenregelung u n d Strafrecht, F a m R Z 1970 530.

Schrifttum nach Verabschiedung des 4. StrRG Baumann Glücklichere Menschen durch Strafrecht? J R 1974 370; Becker Pornographische und gewaltdarstellende Schriften nach dem 4. Strafrechtsreformgesetz, M D R 1974 177; Borgmann K a n n Pornographie Kunst sein? - BVerfGE 83 130, JuS 1992 916; Cramer Zur strafrechtlichen Beurteilung der Werbung für Pornofilme, A f P 1989 611 ; Dreher Die Neuregelung des Sexualstrafrechts eine geglückte R e f o r m ? J R 1974 45; Franke Strukturmerkmale der Schriftenverbreitungstatbestände des StGB, G A 1984 452; Füllkrug Streit ums „ L a d e n g e s c h ä f t " , Kriminalistik 1986 227; Geis Josefine Mutzenbacher und die Kontrolle der Verwaltung, N V w Z 1992 25; Gerhard Beschränkbarkeit der Informationsfreiheit, N J W 1975 2007; Greger Die Video-Novelle 1985 und ihre Auswirkungen auf StGB u n d GjS, N S t Z 1986 8; Gross Das Pornographieverbot auf den Fidschi-Inseln, J Z 1974 139; Hanack Die Reform des Sexualstrafrechts u n d der Familiendelikte, N J W 1974 1 ; Hauptmann Neues Pornographiegesetz — Verschärfung oder Legalisierung? Österreichische Richterzeitung 1993 186; Herkströter R u n d f u n k f r e i h e i t , Kunstfreiheit und Jugendschutz, A f P 1992 23; d'Heur A n m e r k u n g zu BGHSt. 37 55, StV 1991 165; Hufen Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen (1982); Karpen/Hofer Die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 G G in der Rechtsprechung seit 1985 — Teil 2, J Z 1992 1060; Keil Die Definition des „ L a d e n g e s c h ä f t s " in der Rechtsprechung, SchlHA 1988 33; Kinkel Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch, ZfJ 1992 464; Klein-Schonnefeld/Sokol P o r N o , mit oder ohne Justiz, oder: freie Sexualität f ü r freie Bürger? D u R 1988 167; Ladeur Z u r Auseinandersetzung mit feministischen Argumenten für ein Pornographieverbot, Z U M 1989 155; Laufhütte Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts. Pornographische, gewaltverherrlichende und j u g e n d g e f ä h r d e n d e Schriften, J Z 1974 46; Lüthge-Bartholomäus Die polizeirechtliche Schließung von „Massagesaions", N J W 1975 1871 ; Maiwald A n m e r k u n g zu BGHSt. 37 55, J Z 1990 1141 ; Maiwald Kunst als Gegenstand einer Straftat, in: Kunst u n d Recht, Schriften der Deutschen Richterakademie Band 2 S. 67; Malern On p o r n o g r a p h y and censorship, Valdés-Festschrift S. 135; Meier Zur Strafbarkeit der neutralen Werbung f ü r pornographische Schriften, N S t Z 1985 341 ; Meier Strafbarkeit des Anbietens pornographischer Schriften, N J W 1987 1610; Meyer Kunstwerk und pornographische Darstellung, SchlHA 1984 49 ; Meyer-Cording Das literarische Portrait und die Freiheit der Kunst, J Z 1976 737; Mühleisen (Hrsg.) Grenzen politischer Kunst (1982); Oettinger Vom Sachverstand des Kunstsachverständigen, J Z 1974 285; Peters Was soll's? D R i Z 1980 103 ; Ramberg Erfahrungen bei der Strafverfolgung der Verbreitung von Pornographie via Satellit, Z U M 1994 140; Rogali Zur Auslegung der Entgeltklausel in § 184 Abs. 1 Nr. 7, JZ 1979 715; Schefold Jugendschutz vor Video und in der Öffentlichkeit, Z R P 1 9 8 4 127; Schroeder Das Erzieherprivileg im Strafrecht, Lange-Festschrift S. 391; Schroeder Die Überlassung pornographischer Darstellungen in gewerblichen Leihbüchereien (§ 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB), JR 1977 231 ; Schroeder Pornographieverbot als Darstellerschutz?, Z R P 1990 299; Schroeder Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit (1992); Schroeder Das 27. Strafrechtsänderungsgesetz — Kinderpornographie, N J W 1993 2581 ; Schumann Werbeverbote für j u g e n d g e f ä h r d e n d e Schriften, N J W 1978 1134; Schumann N o c h m a l s : Werbeverbote für jug e n d g e f ä h r d e n d e Schriften, N J W 1978 2495; Seetzen V o r f ü h r u n g und Beschlagnahme pornographischer und gewaltverherrlichender Spielfilme, N J W 1976 497; Trube-Becker Mißbrauchte Kinder (1992); Uschold Verkauf j u g e n d g e f ä h r d e n d e r Schriften in jugendzugänglichen Geschäftsräumen, N J W 1976 2249; Uschold Werbung f ü r j u g e n d g e f ä h r d e n d e Filmvorführungen, N J W 1976 226; Vultejus O p u s Pistorum, NJ 1991 170; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendmedienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, N S t Z 1990 523; Weides Der Jugendmedienschutz im Filmbereich, N J W 1987 224; Beis t a n d : 1. 8. 1994

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Verbreitung p o r n o g r a p h i s c h e r Schriften

§ 184

gend Strafrechtliche Pornographieverbote in E u r o p a , Z U M 1994 133; Weilershoff Die Auflösung des Kunstbegriffs (1976); Wenzel Die H a f t u n g des Bibliothekars als Verbreiter, NJW 1973 603; Würkner Die Freiheit der Kunst in der Rechtsprechung von BVerfG u n d BVerwG, N V w Z 1992 1 ; Würtenberger Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, Dreher-Festschrift S. 79; Würtenberger Karikatur u n d Satire aus strafrechtlicher Sicht, N J W 1982 610; Würtenberger Satire u n d Karikatur in der Rechtsprechung, N J W 1983 1144; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht u n d Satire, N J W 1984 1091 ; siehe auch die Schrifttumshinweise vor § 174.

Entstehungsgeschichte § 184 StGB a. F. enthielt ein umfassendes Verbreitungsverbot für unzüchtige Schriften. Daneben war unter Strafe gestellt: Das Überlassen und Anbieten von unzüchtigen Schriften an Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt, die Werbung für Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, und zwar an Orten, die dem Publikum zugänglich sind, die Werbung in einer Sitte oder Anstand verletzenden Weise für Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten oder zur Verhütung der Empfängnis dienen sowie die öffentliche Ankündigung mit dem Ziel, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. Der E 1962 beabsichtigte in den §§ 220 bis 222 die Perfektionierung dieser Regelung. Er schlug zur Vermeidung strafrechtlicher Lücken technische Verbesserungen vor und wollte in § 220 a unzüchtige Schaustellungen unter Strafe stellen, um „der Ausbreitung dieser Verfallserscheinung mit einer Strafdrohung entgegenzutreten" (Begr. S. 384). Die Vorschläge wurden heftig kritisiert. Der Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (Besonderer Teil, Sexualdelikte, 1968) schlug die Entkriminalisierung im gesamten vom E 1962 in den §§ 220 bis 222 erfaßten Bereich vor. Hanack war in seinem Gutachten f ü r den 47. Deutschen Juristentag (vor § 174) noch nicht so weit gegangen, hatte vielmehr, soweit es um das Verbot der Verbreitung unzüchtiger Schriften ging, vorgeschlagen, die Abwehr in jedem Fall auf „pornographische" Schriften zu beschränken (Rdz. 360) und allenfalls deren anstößige Werbung und Zurschaustellung, evtl. deren gewerbsmäßige Herstellung und Einfuhr (Rdz. 364) zu poenalisieren (Rdz. 361 ff). Alle übrigen vom E 1962 vorgeschlagenen Vorschriften sollten nach Hanack — bei Streichung der gegen unzüchtige Schaustellungen gerichteten Strafvorschrift — unter Einschränkung ihres sachlichen Anwendungsbereichs auf die anstößige Werbung und Zurschaustellung ins Recht der Ordnungswidrigkeiten verwiesen werden (Rdz. 368 ff; vgl. auch A 255). Der Entwurf eines 4. StrRG griff die Anregungen zur Einschränkung der Strafbarkeit auf. Er wollte zunächst, dem Vorschlag Hanacks folgend 1 , eine Strafbarkeit für die Weitergabe pornographischer Schriften vorsehen 2 . Ein allgemeines Verbreitungsverbot sah der Entwurf (in § I84a) nur noch für sadistische und paedophile pornographische Schriften vor, im übrigen wollte er die Strafbarkeit auf den Schutz „zweier eng begrenzter Rechtsgüter, nämlich den Jugendschutz und den Schutz des ohne seinen Willen pornographischen Erzeugnissen Gegenübergestellten" beschränken (BTDrucks. VI/1552 S. 32 ff). Der Vorschlag des Entwurfs war heftigen Angriffen ausgesetzt. Die vom Sonderausschuß des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform (Sonderausschuß) durchgeführte Anhörung (6. Wahlperiode, Prot. S. 843 ff) betraf zu einem nicht unerheblichen Teil diese Problematik. Das Ergebnis (vgl. die Zusammenfassung bei Laußiütte in Prot., 6. Wahlperiode S. 1907 ff) stellte 1

!

Aber auch im Hinblick auf die Streichung des M e r k m a l s d e r Unzucht. Die f r ü h e r in § 184 Abs. 1 N r n . 3, 3 a, 4 S t G B a. F.

(181)

enthaltenen Regelungen sind zum Teil in Art. 2 des 4. S t r R G ( n u n m e h r § 119 O W i G ) als Ordnungswidrigkeiten beibehalten.

Heinrich Laufhütte

§

184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

die Lösung des Entwurfs nicht in Frage. Die Mehrheit der angehörten Wissenschaftler sprach sich für die strafrechtliche Freigabe der „einfachen", bei Aufrechterhaltung des Verbreitungsverbotes für sadistische und paedophile Pornographie, aus 3 . Die Beratungen im Sonderausschuß führten zu keiner grundsätzlichen Änderung des Regierungsentwurfs. In ihnen wurde herausgestellt, daß sich die Probleme der strafrechtlichen Bewertung der unzüchtigen Schriften nicht ohne Berücksichtigung von „Gewaltschriften" 4 und der sonst jugendgefährdenden Schriften 5 lösen ließen. Die Beratungen in der 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (vgl. BTDrucks. VI/ 3521) führten zu einem komplizierten Geflecht von Vorschriften in § 184 (einfache Pornographie); § 184a (sadistische, paedophile und — ergänzend — sodomitische Pornographie), § 131 (Gewaltverherrlichung) und § 21 GjS (bei Streichung des § 6 GjS). In der 7. Wahlperiode wurde der Entwurf nochmals erheblich umgestaltet. Ziel war in erster Linie die Aufrechterhaltung des § 6 GjS, der in Verbindung mit § 21 GjS ein strafbewehrtes Verbot gegen offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften und Darstellungen vorsah und weiter vorsehen sollte (BTDrucks. 7/514 S. 11). Zur Vermeidung unerwünschter Überschneidungen sollten in den §§ 6, 21 GjS 6 die dem Jugendschutz dienenden Vorschriften zusammengefaßt und im Strafgesetzbuch (§§ 184, 131) lediglich die Regelungen belassen werden, die das Verbot der Weitergabe von Pornographie und Gewaltschriften an Erwachsene betrafen (BTDrucks. 7/514 S. 27). Dieser vom Bundesrat mit dem Ziel, ein allgemeines Verbreitungsverbot für Pornographie beizubehalten, angegriffene Gesetzesvorschlag (BTDrucks. 7/979) ist auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses (BTDrucks. 7/1166) durch Erweiterung des § 184, nämlich durch Einfügung der Nummern 1 bis 5, 7 und 8, abgeändert worden. Dabei wurde in Kauf genommen, daß ein Teil der neuen ins Strafgesetzbuch aufgenommenen Strafvorschriften (Nrn. 1 bis 5) bei vorsätzlichem Handeln dekkungsgleich mit § 21 GjS sind (was zur Frage führt, welches Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Vorschriften besteht). Veranlaßt durch Auswüchse auf dem Videokassettenmarkt, wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. 2. 1985 (BGBl. I S. 425) in Abs. 1 Nr. 3 a i.V. m. Abs. 4 Satz 2 ein eingeschränktes Vermietverbot für pornographische Videoerzeugnisse eingeführt. Das ursprünglich vorgesehene und vor allem von den Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen angestrebte absolute Vermietverbot (BTDrucks. 10/722) wurde nicht in die Tat umgesetzt, um — neben erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken — nicht hinter das 4. StrRG zurückzugehen, also den Zugang zur Pornographie für Erwachsene nicht weiter als für einen wirksamen Jugendschutz unerläßlich einzuschränken (BTDrucks. 10/2546 S. 23 ff). Durch das 27. StrÄndG vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1346) wurden die Strafdrohung für die Herstellung und Verbreitung von pornographischen Darstellungen, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, verschärft (Absätze 3 und 4), der Besitz und die Besitzverschaffung unter Strafe gestellt (Absatz 5) sowie die Einziehung von kinderpornographischen Darstellungen und die Abschöpfung des Gewinns erleichtert (Absatz 7). Anlaß der Gesetzesänderung war die Erkenntnis, daß die bestehenden Vorschriften gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern (§ 176) und die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie (§ 184 Abs. 3) die Entstehung und AusUnd zwar bei Aufrechterhaltung des Jugendschutzes für die einfache Pornographie. Was zur Einfügung des § 131 StGB in das 4. StrRG führte (vgl. dazu Prot., 6. Wahlperiode 5. 1792ff — Wirkung von Gewaltschriften —, S. 1819 ff - Anhörung - und S. 1839 ff).

5 6

Was zur Änderung von § 6 GjS führte, Ergänzt durch eine in § 15 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit vom 27. Juli 1957 (BGBl. I 1058) vorgesehene „Filmklausel" — vgl. dazu BGHSt. 26 156 mit Anm. Weides NJW 1975 1845; BTDrucks. 7/514 S. 14).

Stand: 1. 8. 1994

C«»2)

Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

breitung des Videomarktes für Kinderpornographie und den damit verbundenen sexuellen Mißbrauch von Kindern nicht hatten verhindern oder eindämmen können 8 . Ein wirksamerer Schutz der kindlichen Darsteller soll zum einen durch höhere Strafrahmen für Kinderpornographie, insbesondere erhöhte Mindeststrafen 9 , bewirkt werden, die der Gesetzgeber als Signal für die nachdrücklichere Strafverfolgung verstanden wissen will und von denen eine verstärkte generalpräventive Wirkung erwartet wird (BTDrucks. 12/4883 S. 6). Zum anderen wurden der Besitz von kinderpornographischen Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen zum Gegenstand haben, und die Besitzverschaffung daran erstmals unter Strafe gestellt, um den Besonderheiten des Mediums Video begegnen zu können, das es Händlern ermöglicht, sich als Sammler zu tarnen, indem lediglich die „Masterkopie" eines Videobandes aufbewahrt wird und erst im Verkaufsfall Kopien gezogen werden. Weitergehende Forderungen des Bundesrates (BRDrucks. 2 0 7 / 1 / 9 2 ; BTDrucks. 12/3001 S. 7 f ) und der mitberatenden Ausschüsse für Familie und Senioren (BTProt. Nr. 12/31 und 12/35) und für Frauen und Jugend (BTProt. Nr. 37 und 43) insbesondere nach drastischer Anhebung der Strafrahmen fanden keine Mehrheit, weil sie mit dem bestehenden System der Strafvorschriften des StGB nicht zu vereinbaren waren 1 0 (BTDrucks. 12/ 4883 S. 6 0Zu den internationalen Verpflichtungen vgl. vor § 174 Rdn. 23. Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Pornographie 1. Definitionsversuche a) Die Auslegung des Begriffs der „unzüchtigen Schrift" (altes Recht) b) Die im Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegte Definition der pornographischen Darstellung . c) Die Auffassung Drehers zum Begriff der Pornographie 2. A n k n ü p f u n g s p u n k t e für eine Definition des Begriffs der Pornographie 3. Die Abgrenzung von Pornographie zu Kunst und Wissenschaft 4. Pornographie im Sinne des § 184 Abs. 3

Rdn. 1 4 4

a) Der Begriff „Gewalttätigkeit" . . b) Der Begriff „sexueller Mißbrauch von K i n d e r n " c) Der Begriff „sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren" . 5. Indizien für das Vorliegen von Pornographie III. Tathandlungen 1. § 184 als abstraktes Gefährdungsdelikt 2. Die Tathandlungen bei § 184 Abs. 1 a) Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen an eine Person unter 18 Jahren (Abs. 1 Nr. 1) . . b) Besondere Fälle des Zugänglichmachens (Abs. 1 Nr. 2) c) Bestimmte Formen des Vertriebs (Abs. 1 Nr. 3)

4

5 6

7 9 13

8

Vgl. zur Entstehung der Reformbemühungen anläßlich einer Veröffentlichung der Illustrierten „ S t e r n " Schroeder Z R P 1990 299 und N J W 1993 2581 m.w. N.; zur Begründung siehe auch BTDrucks.. 12/709 — überfraktioneller Gruppenantrag „ M a ß n a h m e n gegen Kinderpornograp h i e " —, BTDrucks. 12/3001 — Gesetzentwurf der Bundesregierung — S. 4 und BTDrucks. 12/ 4883 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — S. 6. ' Die Anhebung insbesondere der Mindeststrafen wurde für erforderlich gehalten, weil „bekanntlich die Praxis dazu neigt, die zu verhängenden Strafen an der unteren Strafrahmengrenze anzu(183)

10

Rdn. 14 15 16 17 18 18 19

19 23 26

siedeln" (Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 12/3001 S. 7). Geldstrafen sollten zurückgedrängt und „übermäßiger gerichtlicher Milde" ein Riegel vorgeschoben werden (Abgeordnete Dr. Meyer und Eymer BTPIProt. 12/111 S. 9474 ff; vgl. auch Abgeordnete Seesing und Simm BTPIProt. 12/163 S. 14060ff). Die Strafrahmen für das Verbreiten und den Besitz von Kinderpornographie, die nicht den Unrechtsgehalt des sexuellen Mißbrauchs selbst oder der Anstiftung oder Beihilfe dazu erreichen, sollten die Strafrahmen nach §§ 176, 26, 2 7 , 4 9 Abs. I angemessen unterschreiten.

Heinrich Laufhütte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Rdn.

d) G e b r a u c h s ü b e r l a s s u n g außerhalb von Ladengeschäften (Abs. 1 Nr. 3 a) e) U n t e r n e h m e n des E i n f ü h r e n s im Wege des V e r s a n d h a n d e l s (Abs. I Nr. 4)

33

f) Verbot bestimmter Arten W e r b u n g (Abs. 1 Nr. 5)

34

Rdn.

30

der

g) Gelangenlassen von P o r n o g r a phie a n einen a n d e r e n , der dazu nicht a u f g e f o r d e r t hat (Abs. 1 Nr. 6) .

37

h) Öffentliche F i l m v o r f ü h r u n g gegen Entgelt (Abs. I Nr. 7)

38

i) V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n zu Abs. I N r n . I bis 7 (Abs. I Nr. 8) .

43

IV. V. VI. VII. VIII. IX.

j) U n t e r n e h m e n des A u s f ü h r e n s (Abs. I N r. 9) 3. Verbreitung p o r n o g r a p h i s c h e r Darbietungen durch den R u n d f u n k (Abs. 2) 4. V e r w e n d u n g s v e r b o t e f ü r „ h a r t e " P o r n o g r a p h i e (Abs. 3) 5. Besitz u n d Besitzverschaffung von kinderpornographischen Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben (Abs. 5) . . . . Subjektiver T a t b e s t a n d Einziehung u n d Verfall Täter u n d T e i l n e h m e r Strafzumessung Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

45

46 47

48 51 52 53 54 55 57

I. Geschütztes Rechtsgut. § 184 dient in erster Linie dem Jugendschutz, teilweise aber auch (§ 184 Abs. 1 Nr. 6) dem Schutz desjenigen, der mit Pornographie nicht konfrontiert zu werden wünscht; § 184 Abs. 1 Nr. 9 wurde aus außenpolitischen Gründen für notwendig gehalten 11 (vor § 174 Rdn. 7, 11, 12). Um den „Schutz der Sexualverfassung" geht es nicht mehr (aA Dreher/Tröndle Rdn. 5), vielmehr nur — abgesehen von § 184 Abs. 1 Nr. 9, dereine Sonderrolle einnimmt (kritisch Groß JZ 1974 139) — um den Schutz einzelner (vor § 174 Rdn. 1). Die unterschiedlichen strafrechtlichen Konsequenzen bei Bestrafung „einfacher" und „harter" Pornographie sind wegen der unterschiedlichen Gefährdung Jugendlicher gerechtfertigt. Das Risiko der Gefährdung für Jugendliche bei Kenntnisnahme einfacher Pornographie wird „überwiegend gering eingeschätzt" (BTDrucks. VI/ 3521 S. 58). Die im Gesetzgebungsverfahren angehörten Wissenschaftler haben schädliche Auswirkungen durchweg (abweichend Affemann Prot., 6. Wahlperiode S. 945 ff) als in der Regel nicht wahrscheinlich angesehen. Völlig auszuschließen sind negative Auswirkungen aber nicht, so daß eine auf den Jugendschutz ausgerichtete Regelung wie § 184 Abs. 1 gerechtfertigt ist (vgl. vor § 174 Rdn. 10), nicht jedoch ein Totalverbot, das auch die Verbreitung von Pornographie an Erwachsene (im Interesse des Jugendschutzes) verbietet. Denn das Strafrecht darf nicht berechtigte Zwecke mit einem Übermaß an Mitteln durchsetzen 12 . Der Schutz Erwachsener ist deshalb vom Gesetzgeber zu Recht auf die Fälle ungewollter Konfrontation (vergleichbar mit den Fällen des § 183 a) beschränkt worden. Anders ist es bei der „harten" Pornographie (§ 184 Abs. 3). Insbesondere die sadistische Pornographie wurde in der während des Gesetzgebungsverfahrens durchgeführten Sachverständigenanhörung als die Entwicklung von Jugendlichen gefährdend angesehen (vgl.insbesondere Mitscherlich Prot., 6. Wahlperiode S. 968). Dieser Auffassung liegen zwar keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zugrunde 13 . Es besteht jedoch die naheliegende Möglichkeit, daß Gewaltdarstellungen, jedenfalls beim Vorliegen besonderer Komponenten (wie die Persönlichkeitsstruktur eines jungen Menschen und das Vorhandensein negativer soziologischer VoraussetzunN a c h Lültger (Jescheck-Festschrift S. 121, 168 ff) ist der Schutz der deutschen auswärtigen Beziehungen ein bloßes gesetzgeberisches Motiv, während nach Wortlaut u n d Sinn der S t r a f t a t b e s t a n d die ausländische S e x u a l o r d n u n g schützt.

12

13

Vgl. Jahn Protokoll d e r Sitzung des Bundestages, 7. W a h l p e r i o d e S. 2175. Vgl. die zu § 131 in Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1793 ff g e n a n n t e n Untersuchungsergebnisse,

Stand: 1. 8. 1994

(184)

Verbreitung pornographischer Schriften

§

184

gen, beispielsweise wenn das Elternhaus keine Gegenmotivation zu setzen vermag), zu aggressivem Verhalten anregen können (Prot., 7. Wahlperiode S. 41 ff). Diese Gefahren berechtigten den Gesetzgeber, die Verbreitung sadistischer Pornographie insgesamt zu verbieten, um so dem Vorhandensein dieses potentiell gefährlichen Materials entgegenzuwirken (vgl. Fn. 45 bei Laufliütte JZ 1974 46, 49). Bei der paedophilen Pornographie steht der Schutz der mißbrauchten kindlichen Darsteller im Vordergrund 1 4 . Die Erwerber von Kinderpornographie schaffen den Anreiz dafür, daß laufend neue einschlägige Videos hergestellt werden. Dies rechtfertigt letztlich die Einführung der Strafbarkeit des Besitzes (§ 184 Abs. 5); wer paedophile Pornographie besitzt, muß sie entweder selbst hergestellt oder von einem anderen übernommen und damit mittelbar den Kindesmißbrauch gefördert haben. Die weiter im Gesetzgebungsverfahren genannte Befürchtung, kinderpornographische Darstellungen könnten den Betrachter zum Kindesmißbrauch anregen (BTDrucks. 12/3001 S. 6), ist nach dem Stand der Wissenschaft ebenso wenig beweisbar wie die umgekehrte Annahme, die Benutzung von Kinderpornographie könne manchen Paedophilen eine Triebabfuhr verschaffen und damit die Gefährdung von Kindern herabsetzen. Allerdings läßt die niedrige Strafdrohung des Absatzes 5 einen effektiven Schutz zweifelhaft erscheinen. Daß der Gesetzgeber das allgemeine Verbreitungsverbot auch auf sodomitische Pornographie ausgedehnt hat, ist vertretbar. Die Vorschrift ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet (Rdn. 18). Es be- 3 darf also nicht des Nachweises der Gefährdung einer einzelnen Person. Dieser wäre bei Berücksichtigung der strittigen Frage der Wirkung von Pornographie im Einzelfall auch schwerlich zu führen. Bestimmte, vom Gesetz — wie hier — generell als gefährlich eingestufte Verhaltensweisen werden unabhängig von einer im Einzelfall gegebenen Gefährdung poenalisiert. Dazu ist der Gesetzgeber berechtigt (BVerfGE 83 130, 141 f; vor § 174 Rdn. 10, § 176 Rdn. 1). Deshalb kann lediglich bei der Strafzumessung (Horn SK Rdn. 2; aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 6) berücksichtigt werden, wenn im Einzelfall die Gefährdung eines anderen auszuschließen ist. II. Pornographie 1. Definitionsversuche a) Bei Auslegung des Begriffes der unzüchtigen Schrift stellte die Rechtsprechung 4 (vgl. Mösl LK 9 § 184 Rdn. 8) ursprünglich darauf ab, ob die Schrift (entsprechendes galt für Abbildungen oder Darstellungen) objektiv geeignet war, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des normal empfindenden Menschen in geschlechtlicher Beziehung gröblich zu verletzen. Im „Fanny Hill" Urteil (BGHSt. 23 40) nahm der Bundesgerichtshof — ausgehend von der genannten Definition — eine entscheidende Einschränkung vor und charakterisierte als unzüchtig nur solche Schriften, die geschlechtliche Vorgänge in aufdringlicher, vergröbernder oder anreißerischer Weise schildern und damit Belange der Gemeinschaft stören oder ernsthaft gefährden. Zur Begründung wies der Bundesgerichtshof darauf hin, daß es nicht Sache des Strafrechts sei, auf geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen, sondern es habe die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen und groben Belästigungen zu schützen. Die strafrechtliche Verfolgung von Schriften sei deshalb nur dann vom Gesetzeszweck gedeckt, wenn „sexuelle Vorgänge in übersteigerter, anreißerischer Weise ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen geschildert werden" (BGHSt. 23 40,44). Anhaltspunkte dafür er14

Schroeder ZRP 1990 299, 300 und NJW 1993 2581, 2582; BTDrucks. 12/3001 S. 5.

085)

Heinrich Laufhütte

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

gäben sich etwa aus einer „aufdringlichen, verzerrenden, unrealistischen Darstellung geschlechtlicher Vorgänge, aus der Verherrlichung von Ausschweifungen oder Perversitäten und aus der obszönen Ausdrucksweise". 5

b) Von diesen Definitionen, auch von der des Bundesgerichtshofes, wollte sich der Gesetzgeber lösen, insbesondere, weil sie unrealistische Darstellungen ungerechtfertigt benachteiligen und bei der Bildpornographie auf Schwierigkeiten stoßen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1906, 1907). Der Sonderausschuß machte sich eine vom Bundesministerium der Justiz vorgeschlagene Formel — in Anlehnung an den amerikanischen Supreme Court (Memoirs ./. Mass., 383 US 413) — zu eigen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1932), nach der pornographische Darstellungen zum Ausdruck bringen, daß sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten. Diese Begriffsbestimmung hat teilweise Zustimmung gefunden 1 5 , ist aber auch auf Ablehnung gestoßen, und zwar insbesondere wegen der normativen Elemente, die keine geeigneten Abgrenzungskriterien böten 1 6 .

6

c) Angriffen ist auch die von Dreher (Dreher/Tröndle Rdn. 7) vertretene Auffassung ausgesetzt, nach der Pornographie eine grobe Darstellung des Sexuellen ist, die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden Weise den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert (so auch OLG Düsseldorf NStE § 184 Nr. 5). Die Definition ist einmal zu eng, soweit sie auf das Aufstacheln abstellt (Laufliütte JZ 1974 46, 47 bei Fn. 18 a) und sie enthält in dem Begriff des Degradierens kein hinreichend brauchbares Abgrenzungskriterium (Schroeder Das neue Sexualstrafrecht S. 65: kulturphilosophische Charakterisierung).

7

2. Anzuknüpfen ist an die Tendenzdefinition, von welcher der Sonderausschuß bei seinen Beratungen ausgegangen ist (Rdn. 5). Die von Schroeder (Das neue Sexualstrafrecht, S. 65) als „Realismus-Konzeption" bezeichnete Definition, die der Entscheidung in BGHSt. 23 40 zugrunde liegt, benachteiligt „unrealistische" Darstellungen, weil Verfremdungen, Übersteigerungen und Verzerrungen als besondere Stilmittel gerade eine Distanzierung und auch eine künstlerische Überhöhung zum Ausdruck bringen können 1 7 . Darüber hinaus privilegiert diese Definition zu Unrecht realistische fotografische Aufnahmen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1907). Alle anderen Umschreibungsversuche sind entweder zu eng — wie der von Dreher vorgeschlagene — oder sie knüpfen wiederum an auslegungsbedürftige Begriffe an, wie der von Gieseis, der den Begriff der Pornographie auf eine Fehlhaltung beschränkt, die sich zu einer sexuellen Perversion entwickelt oder diese vortäuscht, oder sie bringen nur Teilaspekte zum Ausdruck, die sich für eine alle Formen der Pornographie umfassende Definition nicht eignen, wie die Umschreibung von Mertner-Mainusch19 (kotig, schmutzig, ekelerregend, garstig, unflätig, ekelhaft, anstößig, zotig), von Rosenkranz20 (absichtliche Verletzung der Scham), 15

16

O L G Düsseldorf N J W 1974 1474 mit A n m . Mährenschlager\ O L G Düsseldorf N S t E § 184 Nr. 5; O L G K o b l e n z N J W 1979 1467; O L G Schleswig S c h l H A 1976 168; vgl. auch Lackner R d n . 2; Sch/ Schröder/Lenckner R d n . 4. O L G Karlsruhe N J W 1974 2015, 2016; Dreher/ Tröndle R d n . 6; Horn SK R d n . 4.

" Vgl. B G H N J W 1975 1882; O L G Köln M D R 1981 247; O L G Stuttgart N J W 1976 628,629. Das obszöne Buch (1965) S. 15; ähnlich Leist (Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1907). " P o r n o t o p i a ( 1970), S. 38. 20 Zit. nach Merlner-Mainusch a a O S.39. 18

Stand: 1. 8. 1994

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von Sigusch und Trillhaas (Körper ist nur noch Lustobjekt), von Scheuch (Handlungen von Maschinen) oder von Ermecke23 (Exhibitionismus in Wort und Bild). Allerdings sind diese Formeln, insbesondere die vom Bundesgerichtshof entwickelte, nicht ohne Bedeutung. Sie zeigen, wenn entsprechende Tatsachen vorliegen, wichtige Indizien dafür auf, ob die Tendenzklausel 24 vorliegt. Dabei ist Schroeder zu folgen, daß Leitgedanke eine mögliche Gefährdung des Jugendschutzes bleiben muß, der regelmäßig tangiert ist, wenn Sexualität ohne jede gedankliche, insbesondere künstlerische Verarbeitung zu ihrem Selbstzweck erhoben wird 25 . Nach Schroeder (Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit S. 26 ff, 30) sind bei teleologischer Auslegung pornographisch Darstellungen, die Sexualdelikte, Homosexualität und Prostitution, eine entwürdigende Einstellung zum anderen Geschlecht, eine Überbewertung der Sexualität und ihre Loslösung von anderen Lebensräumen propagieren, da diese Verhaltensweisen auf sexuellem Gebiet von einer Werbung oder Verharmlosung bei Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen werden müssen, ferner Darstellungen, die Sexualität mit Angst-, Ekel- oder Schamgefühlen besetzen, da dies Nachteile für die Harmonisierung der Triebrichtungen, für die allgemeine seelische und die sexuelle Reifung und gravierende Persönlichkeitsstörungen hervorrufen könne. Beachtenswert ist auch der Ansatz von Ladern (ZUM 1989 155, 158 0, wonach sich der pornographische Film dadurch auszeichnet, daß der Zuschauer in das Geschehen eingeführt, der Unterschied zwischen Akteur und Betrachter aufgehoben wird. Die Tendenzklausel bedarf des einschränkenden normativen Merkmals der ein- 8 deutigen Überschreitung der im Einklang mit den allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes, weil die von der Gesellschaft allgemein akzeptierten Darstellungen aus dem strafbaren Bereich des § 184 ausgeschieden werden müssen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1907). Der insbesondere vom Oberlandesgericht Karlsruhe (NJW 1974 2015, 2016) geäußerten Kritik an der Tendenzklausel ist entgegenzuhalten, daß Pornographie ohne Berücksichtigung der sich wandelnden zeitbedingten Anschauungen 2 6 auf sexuellem Gebiet gar nicht definierbar ist (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 4; Lackner Rdn. 2). Die Berücksichtigung dieser Umstände führt nicht zur Unbestimmtheit des Tatbestandes, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe meint, wenn man nur auf die eindeutige Überschreitung der allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen abstellt. Als nicht pornographisch auszuscheiden sind danach beispielsweise die von der Gesellschaft tolerierten Illustrierten und Reklamefotos, die auf den sexuellen Reiz beim Betrachter abzielen, um auf diese Weise zum Kauf zu veranlassen. 3. Ausgehend von einem Kunstbegriff, der nicht jedes Machbare, das der Herstel- 9 1er als Kunst begreift, auch als Kunst bezeichnet 27 , vertrat die überwiegende Meinung im strafrechtlichen Schrifttum die Meinung, daß sich Kunst und Wissenschaft einerseits sowie Pornographie andererseits ausschlössen 28 . Das Merkmal Kunst sei ein normativer Begriff ( Würtenberger NJW 1982 610, 614), und — zumindest durch 21

" :4

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Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1906, 1907. Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1906. Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1906, 1907. Deren Inhalt zielt bei ganzheitlicher Betrachtung auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen ab ( U S - S u p r e m e C o u r t : M e m o i r s . / . Mass., 383 U S 413). Schroeder Das neue Sexualstrafrecht (1975) S. 65. Der S u p r e m e C o u r t der USA stellt in M e m o i r s . / . Mass. 383 US 413 auf die derzeitigen gesellschaft-

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28

lichen M a ß s t ä b e ab. Ergänzend berücksichtigt er den sozialen Wert, der evtl. als Ausgleich dienen k a n n (vgl. auch G i n z b u r g . / . U S 383 US 463). Dazu Würtenberger N J W 1982 610, 615; 1983 1144, 1145 mit N a c h w . ; B G H N J W 1975 1882, 1884; O L G Stuttgart N J W 1976629. Sch/Schröder/Lenckner R d n . 4; Lackner R d n . 3; Horn SK. R d n . 6; Badura Prot., 6. W a h l p e r i o d e S. 1097; Meyer S c h l H A 1984 49.

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Festlegung von Mindestkriterien — der Definition zugänglich (aA Zechlin NJW 1984 1091 f)- Als grundlegendes Begriffsmerkmal für den Bereich der Kunst wurde das Merkmal der „geistige(n) Auseinandersetzung mit der Welt" verstanden und — im Sinne der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30 173 ff), die das künstlerische Schaffen als ein Zusammenwirken von Intuition, Phantasie und Kunstverstand begreift — ein Machwerk, das durch Dilettantismus und Stümperhaftigkeit gekennzeichnet ist, aus diesem Bereich ausgeschieden ( Würtenberger NJW 1982 610, 614 f; kritisch Zechlin NJW 1984 1091, Fußn. 14). Nach dieser auch in der Vorauflage vertretenen Auffassung ließen Darstellungen, die ausschließlich oder überwiegend auf die Auslösung lüsternen Interesses gerichtet seien, die für den Begriff der Kunst zu fordernde Auseinandersetzung mit der Welt vermissen und seien, selbst wenn sie technisch perfekt hergestellt seien, grundsätzlich nicht Kunst. Die damit in der Theorie vorhandene Grenze zwischen Kunst und Pornographie könne lediglich zum obszönen Kunstwerk hin fließend sein. Das Obszöne, das heißt das das ästhetische und moralische Gefühl Verletzende, sei im Unterschied zur Pornographie in der Lage, „sich vom Bezirk des primitiv Sinnlichen zu befreien, ohne ihn zu verlassen" (Mertner-Mainusch Pornotopia S. 39). Der dieser Auffassung zugrunde liegende Kunstbegriff entspricht indessen nicht mehr der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. a) Von der Erkenntnis ausgehend, daß es unmöglich ist, Kunst generell zu definieren, bekennt sich das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung, daß nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führt (BVerfGE 67, 213,224 ff). Auf diesem Hintergrund bewegt sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunehmend auf einen offenen, bloß „formalen" Kunstbegriff zu. Danach kann ein Kunstwerk bereits dann vorliegen, wenn die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps der Kunst erfüllt sind. Handelt es sich aber schon um Kunst, wenn sich jemand einer Mediensprache bedient, die den herkömmlichen Gestaltungsformen der Kunst entspricht, dann ist für eine begriffliche Exklusivität von Kunst und Pornographie von vornherein kein Raum, da es allein auf die formgebende Äußerung, aber nicht auf die Übermittlung irgendwelcher gedanklicher Inhalte ankommt. Aber auch bei Zugrundelegung eines materiellen Kunstbegriffs, wie ihn das Bundesverfassungsgericht in der Mephisto-Entscheidung (BVerfGE 30, 173) formuliert hat, kann die Exklusivitätsthese nicht aufrechterhalten werden, da jede künstlerische Tätigkeit ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen ist, die rational nicht aufzulösen sind und eine Niveaukontrolle nicht stattfindet (BVerfGE 83 130, 139). Eine strikte begriffliche Trennung beider Kategorien ist danach nicht mehr durchführbar 29 . Die Strafbarkeit nach § 184 StGB entfällt aber nicht ohne weiteres mit der Bejahung der Kunsteigenschaft eines pornographischen Werkes (aA Herkströter AfP 1992 23, 27). Erforderlich ist nach BGHSt. 37 55 (und der zu § 6 GjS ergangenen Entscheidung BVerfGE 83 130, 146 ff) vielmehr in jedem Einzelfall 30 eine Abwägung, ob der Kunstfreiheit oder dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sittlicher Ge-

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So jetzt BGHSt. 37 55 mit A n m . Maiwald JZ 1990 1141, dHeur StV 1991 165 u n d Vultejus NJ 1991 170 sowie B V e r f G E 83 130, 138 ff mit Besprec h u n g Borgmann J u S 1992 916; Dreher/Tröndle R d n . 11 ; ebenso schon f r ü h e r Seetzen NJW 1976 497, 498; Mever-Cording JZ 1976 737, 739; v. Bubnoff LK'»§ 131 R d n . 26. O b die A u f f a s s u n g des B G H zutrifft, es k ö n n e nur in R a n d b e r e i c h e n zu einer Ü b e r s c h n e i d u n g kom-

men (so auch Lackner R d n . 3), erscheint zweifelhaft. W e n n Kunst alles ist, was die G a t t u n g s a n f o r d e r u n g e n eines bestimmten Werktyps erfüllt, wird, d a das p o r n o g r a p h i s c h e Erzeugnis j a i m m e r in der Form eines bestimmten Werktyps verfaßt u n d a u ß e r d e m eine S c h ö p f u n g seines Verfassers ist, die Ü b e r s c h n e i d u n g zum Regelfall (so zutreff e n d Schroeder P o r n o g r a p h i e , J u g e n d s c h u t z u n d Kunstfreiheit S. 54).

Stand: 1. 8. 1994

CS«)

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f ä h r d u n g , welcher e b e n f a l l s der W a h r u n g verfassungsrechtlich geschützter G ü t e r dient, d e r V o r r a n g e i n z u r ä u m e n ist. Dies gilt a u c h f ü r „ h a r t e " P o r n o g r a p h i e n a c h § 184 Abs. 3. O b w o h l die V e r f a s s u n g d e n Staat verpflichtet, die ä u ß e r e n B e d i n g u n g e n f ü r eine d e m M e n s c h e n b i l d des G r u n d g e s e t z e s e n t s p r e c h e n d e geistig-seelische Entw i c k l u n g v o n K i n d e r n u n d J u g e n d l i c h e n zu sichern (Art. 1 Abs. 1 G G ) u n d ihm bei d e r z u v ö r d e r s t den Eltern o b l i e g e n d e n E r z i e h u n g der K i n d e r ein „ W ä c h t e r a m t " zuk o m m t (Art. 6 Abs. 2 G G 3 1 ) , u n d o b w o h l der Gesetzgeber zulässigerweise a u c h o h n e gesicherten e m p i r i s c h e n N a c h w e i s v o n einer J u g e n d g e f ä h r d u n g d u r c h p o r n o g r a p h i sche Schriften ausgehen d u r f t e ( B V e r f G E 83 130, 141 f; B V e r f G N J W 1986 1241, 1242), verbietet es die n e u e R e c h t s p r e c h u n g des B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t s u n d des B G H , b e s t i m m t e Arten p o r n o g r a p h i s c h e r K u n s t , selbst w e n n sie f ü r schwer j u g e n d g e f ä h r d e n d gehalten w e r d e n , o h n e A b w ä g u n g im Einzelfall u n t e r Strafe zu stellen. Bei d e r g e f o r d e r t e n A b w ä g u n g k o m m t w e d e r d e r K u n s t f r e i h e i t n o c h d e m J u g e n d schutz von v o r n h e r e i n V o r r a n g vor d e m jeweils a n d e r e n Verfassungswert zu, auch nicht bei b e s t i m m t e n A r t e n schwer j u g e n d g e f ä h r d e n d e r Schriften 3 2 . Die A b w ä g u n g setzt eine ins einzelne g e h e n d e W ü r d i g u n g des Inhalts d e r Schrift v o r a u s ( B G H S t . 37 55, 64). Von B e d e u t u n g ist einerseits, in welchem U m f a n g d a s W e r k S c h i l d e r u n g e n sexueller H a n d l u n g e n enthält, o b g e w a l t s a m e , p a e d o p h i l e o d e r s o d o m i t i s c h e H a n d l u n g e n geschildert w e r d e n u n d wie die S c h i l d e r u n g e n in ein künstlerisches K o n z e p t e i n g e b u n d e n sind. Die P r ü f u n g , o b die j u g e n d g e f ä h r d e n d e n S c h i l d e r u n g e n nicht o d e r n u r lose in ein künstlerisches K o n z e p t e i n g e b u n d e n sind, e r f o r d e r t eine w e r k g e r e c h t e I n t e r p r e t a t i o n , j e d e n f a l l s bei literarischen W e r k e n mit s a c h v e r s t ä n d i g e r Hilfe ( B V e r f G E 8 3 130, 147 f). B e d e u t s a m k a n n auch sein, welches A n s e h e n d a s W e r k beim P u b l i k u m genießt. Auf der a n d e r e n Seite k o m m t es d a r a u f a n , welches M a ß a n J u g e n d g e f ä h r d u n g v o n d e m W e r k ausgeht ( B G H S t . 37 55, 65), die der T a t r i c h t e r im Zweifelsfall mit s a c h v e r s t ä n d i g e r Hilfe ermitteln m u ß (BVerfG E 8 3 130, 147). In d e r Regel d ü r f t e n J u g e n d l i c h e h e u t e frühzeitig a u f g e k l ä r t sein u n d d u r c h S c h i l d e r u n g e n sexueller V o r g ä n g e nicht o h n e weiteres in ihrer Entwicklung beeinträchtigt w e r d e n . Zu d e n k e n ist d a b e i etwa an eine h ö h e r e G e f ä h r d u n g d u r c h V i d e o p r o d u k t e u n d S e x m a g a z i n e , die a u c h kleineren K i n d e r n u n m i t t e l b a r visuell zugänglich sind, im U n t e r s c h i e d zu literarischen W e r k e n . Auf der H a n d liegen d ü r f t e die J u g e n d g e f ä h r d u n g bei p a e d o p h i l e n F i l m e n u n d Videos, die ein tatsächliches G e s c h e h e n w i e d e r g e b e n . b) A n d e m A b w ä g u n g s e r f o r d e r n i s u n d d e n v o n der R e c h t s p r e c h u n g aufgestellten A b w ä g u n g s k r i t e r i e n f ü r d e n V o r r a n g d e r w i d e r s t r e i t e n d e n V e r f a s s u n g s w e r t e ist von v e r s c h i e d e n e n A u t o r e n Kritik geübt w o r d e n . So weist Schroeder (Pornographie, K u n s t f r e i h e i t u n d J u g e n d s c h u t z S. 56 ff) etwa d a r a u f hin, d a ß die D i f f e r e n z i e r u n g zwischen guter u n d schlechter K u n s t , die es n a c h d e m weiten K u n s t b e g r i f f des Bundesverfassungsgerichts g e r a d e nicht g e b e n solle, sich n u n im R a h m e n der A b w ä g u n g w i e d e r f i n d e . Die F r a g e n a c h d e r W e r t s c h ä t z u n g d u r c h d a s P u b l i k u m setze voraus, d a ß d a s V e r ö f f e n t l i c h u n g s v e r b o t u n t e r l a u f e n w u r d e . D a ß d a s A u s m a ß der sittlichen G e f ä h r d u n g v o n K i n d e r n u n d J u g e n d l i c h e n d u r c h p o r n o g r a p h i s c h e Schriften nicht empirisch n a c h g e w i e s e n w e r d e n k ö n n e , h a b e d a s B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t selbst e i n g e r ä u m t ( B V e r f G E 8 3 130, 141), verlange a b e r d e n n o c h d e r e n Feststellung im Einzelfall. D e n G e r i c h t e n w e r d e e r h e b l i c h e zusätzliche Arbeit a u f g e b ü r d e t (vgl. d a z u a u c h Maiwald J Z 1990 1141, 1143). Ein Irrtum des A n g e k l a g t e n d ü r f t e z u m Regelfall 31

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BVerfGE 83 130, 139f; BVerwGE 77 75, 82; BGHSt. 37 55, 62 f. BVerfGE 83 130, 143; BGHSt. 37 55, 64; BVerwG

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NJW 1993 1490 und 1491 mit Anm. Geis JZ 1993 792.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

werden. Schroeder spricht sich demgegenüber dafür aus, einzelne Tatbestandsalternativen, bei denen der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen sei, für verfassungswidrig zu erklären. Eine rein bereichsdogmatische Lösung der Kollisionsproblematik zwischen Art. 1 Abs. 1, 6 Abs. 2 Satz 2 G G und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 G G ohne Rückgriff auf materiale Werturteile und Abwägungen bezüglich der Qualität des in Frage stehenden Kunstwerkes schlägt d'Heur (StV 1991 165, 167) vor: Ausgangspunkt sei die in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelte These der abgestuften Einschränkbarkeit, unterschieden nach Eingriffen in den Werk- bzw. Wirkbereich. Während der Werkbereich grundsätzlich frei garantiert sei, also die Freiheit des Schaffens und die Existenz des vorhandenen Kunstwerks nicht beeinträchtigt werden dürften, könne es im Wirkbereich bei der Verbreitung, Präsentation und Kommunikation des Kunstwerks zu Einschränkungen kommen. Zur sachspezifischen Eigenart der Kunst gehöre es beispielsweise nicht, daß Kinder und Jugendliche an deren Präsentation teilhaben. Kritisch zur Abwägung zwischen den geschützten Verfassungsgütern im Einzelfall auch Lenckner: Die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Kunst und Pornographie sei auf die Rechtfertigungsebene angehoben worden (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 4 am Ende). Diesen Kritiken ist Rechnung zu tragen, soweit es um das Erfordernis der Einzelfallabwägung auch für offensichtlich besonders jugendgefährdende pornographische Schriften geht. Hier erlaubt es der neben der Kunstfreiheit grundgesetzlich verankerte Schutz der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dem Gesetzgeber, bestimmte für besonders gefährlich angesehene Schriften zu verbieten. Für „harte" Pornographie nach § 184 Abs. 3 sind deshalb an die Abwägung keine allzu großen Anforderungen zu stellen. c) Bei der Beurteilung der Aussage einer Schrift ist folgendes zu beachten: 10 Der Begriff der Pornographie ist nicht wie der der unzüchtigen Schrift (vgl. Mösl LK9 Rdn. 8) ein relativer insofern, daß es auf die begleitenden Umstände (etwa des Vorzeigens) ankäme, um tatbestandliches Handeln im Sinne des § 184 zu bejahen oder nicht. Vielmehr muß der pornographische Charakter der Schrift (im Sinne von § 11 Abs. 3) ausschließlich selbst anhaften. Maßgeblich für diesen ist nicht eine einzelne aus dem Gesamtzusammenhang gerissene Äußerung (BGH Urteil vom 17. 1. 1977 — 5 StR 517/77), sondern deren Würdigung unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Schrift, sofern der Gesamtzusammenhang erhalten geblieben ist. Pornographie liegt auch vor, wenn eine einzelne, für sich gesehen pornographische Äußerung isoliert und als — neues — den gesamten Zusammenhang nicht mehr erkennenlassendes Werk erstellt wird. 11

Bei der Wertung der Aussage einer Schrift hat die Rechtsprechung zu § 184 StGB a. F. zunächst auf den Durchschnittsbetrachter abgestellt (RGSt. 32 418 ; 44 178 ; BayObLG NJW 1957 1607), später jedoch das Urteil eines künstlerisch aufgeschlossenen, um Verständnis bemühten, wenn auch nicht literarisch besonders vorgebildeten Menschen für maßgeblich gehalten (BGH GA 1961 240; BayObLG NJW 1964 1149). Entsprechendes wird grundsätzlich auch für die Würdigung, ob Pornographie vorliegt oder nicht, zu gelten haben. Die Frage, ob bei einer pornographischen Schrift die Kunstfreiheit gegenüber dem Jugendschutz Vorrang genießt, wird sich jedoch häufig ohne den künstlerisch vorgebildeten Menschen — also den Fachmann — nicht ermitteln lassen (vgl. BGHSt. 23 40, 45).

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Die Feststellung des Erklärungsinhalts einer Schrift (im Sinne von § 11 Abs. 3) ist Sache des Tatrichters (BGHSt. 37 55, 61). Das Revisionsgericht ist an seine Auslegung gebunden, wenn die Erwägungen, auf denen sie beruht, rechtlich fehlerfrei sind und Umstände berücksichtigt, die ihr entgegenstehen könnten (vgl. OLG Frankfurt Stand: 1. 8. 1994

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JZ 1974 516, 517; BGHSt. 32 310). Der Tatrichter muß darlegen, woraus sich die Kennzeichnung der Schrift als pornographisch ergibt; zur Abgrenzung von künstlerischen Darstellungen bedarf es im allgemeinen der Wiedergabe des Inhalts oder einer Schilderung der Darstellung (OLG Düsseldorf NJW 1984 1977 mit Anm. Lampe JR 1985 159). 4. Der Pornographiebegriff von § 184 Abs. 1 gilt auch für § 184 Abs. 3 33 . Das ver- 13 steht sich nicht von selbst. Der Umstand, daß „einfache" Pornographie im Sinne von § 184 Abs. I zugänglich und es im wesentlichen (abgesehen von § 184 Abs. I Nr. 9) nur verboten ist, diese Unwilligen und Unmündigen aufzudrängen (vgl. BVerwGE 39 197), der Zugang zur „harten" Pornographie dagegen generell unterbunden ist, könnte zu dem Bestreben führen, den Kreis der in § 184 Abs. 3 erfaßten Schriften durch eine im Verhältnis zu § 184 Abs. 1 einengende Begriffsbestimmung des Merkmals Pornographie eng zu ziehen, um auf diese Weise den Zugang zu dieser Art von Pornographie für denjenigen (Erwachsenen), der ihn wünscht, grundsätzlich offenzuhalten. Eine solche einengende Interpretation ist bei der jetzt vertretenen Auslegung der Begriffe Kunst und Pornographie, die sowohl bei „einfacher" als auch, wenn auch eingeschränkt, bei „harter" Pornographie eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz erforderlich macht, nicht notwendig. Bei der Abwägung ist allerdings zu bedenken, ob die Stellen mit den in § 184 Abs. 3 bezeichneten Merkmalen der Schrift insgesamt das Gepräge harter Pornographie geben (BGHSt. 37 55, 65), auch wenn dies eine im Einzelfall sehr schwierige Abwägung notwendig macht, ob bestimmte sexuelle Vorgänge oder die Art ihrer Ausführung den Charakter einer Schrift bestimmen. Die pornographischen Schriften des Absatzes 3 zeichnen sich dadurch aus, daß sie Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben. a) Der Begriff der Gewalttätigkeit ist angelehnt an den des § 12534. Er erfordert die 14 Entfaltung physischer Kraft unmittelbar gegen eine Person in einem aggressiven Handeln. Die Darstellung einer Bedrohung, ohne gleichzeitige Gewaltanwendung, erfüllt diese Voraussetzungen nicht (BGH NJW 1980 65, 66). Die Gewalttätigkeit muß gegen einen — lebenden — Menschen gerichtet sein (vgl. dazu im einzelnen v. Bubnoff LK10 § 131 Rdn. 7). Handlungen an Leichen oder Puppen sind nicht erfaßt. Das Einverständnis dessen, gegen den Gewalt angewendet wird — etwa bei masochistischen Handlungen — steht dem Begriff der Gewalttätigkeit nicht entgegen (OLG Karlsruhe MDR 1977 864). Unerheblich ist, ob die dargestellten Gewalttätigkeiten tatsächlich begangen oder nur vorgespielt sind. Technisch schlechte Filme, die das ledigliche Vorgespieltsein der Handlungen erkennen lassen und deshalb lächerlich wirken, sind tatbestandsmäßig (OLG Köln M D R 1981 247, 248 = NJW 1981 1458). Sind die Gewalttätigkeiten allerdings durch Übersteigerungen, Situationskomik oder andere Stilmittel so verfremdet, daß sie nicht mehr als aggressive Handlungen empfunden werden, so fehlt es am Tatbestand (OLG Köln aaO). b) Der sexuelle Mißbrauch von Kindern erfaßt alle Handlungen im Sinne des § 176 15 Abs. I, 2. Einbezogen sind sämtliche sexuellen Handlungen (§ 184 c Nr. 1) zwischen zwei lebenden Menschen mit Körperkontakt, von denen mindestens einer ein Kind » B G H bei Holtz M D R 1978 804; Dreher/Tröndle R d n . 34; Lackner R d n . 8; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 53; Horn SK R d n . 65. (191)

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Vgl. BGHSt. 23 46, 51 ; B G H N J W 1980 6 5 , 6 6 , insoweit in BGHSt. 29 68 nicht a b g e d r u c k t ; B G H J Z 1984 423,427.

Heinrich Laufhütte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

ist. Es reichen auch Handlungen von Kindern untereinander aus (KG NJW 1979 1897). Der Mißbrauch toter Kinder ist nicht erfaßt (aA Dreher/Tröndle Rdn. 36). Die Nekrophilie hätte, wenn der Gesetzgeber sie in Absatz 3 hätte poenalisieren wollen, als Alternative besonders genannt werden müssen. Die Darstellung von Handlungen nach § 176 Abs. 5 ist nicht tatbestandsmäßig, wie der Vergleich mit den sonstigen Alternativen des § 184 Abs. 3 ergibt, die sämtlich auf Handlungen an anderen Menschen oder an Tieren (zum letzteren Horn SK Rdn. 65) abstellen 35 . Ob die Person, an der die Handlung vorgenommen wird, tatsächlich ein Kind ist (oder ob bei Fotografien jünger aussehende Jugendliche als Kinder dargestellt werden), ist gleichgültig. Es kommt auf den Eindruck des Betrachters an. Der Tatbestand ist allerdings nicht erfüllt, wenn das Alter nach dem Eindruck des Betrachters offen ist (Horn SK Rdn. 65). 16

c) Die dritte Alternative erfaßt alle sexuellen Handlungen von Menschen mit — lebenden (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 56; Dreher/Tröndle Rdn. 36) — Tieren. Vorausgesetzt ist ein Körperkontakt zwischen Mensch und Tier. Es muß um Handlungen gehen, die, wären sie zwischen Menschen vorgenommen, mit Körperkontakt vorgenommene sexuelle Handlungen im Sinne des § I84c Nr. I wären.

17

5. Indizien für das Vorliegen von Pornographie (im Sinne von Absatz 1 und 3) können sein: Der Verfall in die Sinnlichkeit (Giese Das obszöne Buch S. 21), die Zunahme der Frequenz der sexuellen Betätigung und parallel dazu die abnehmende Satisfaktion (Giese aaO S. 19), Promiskuität und Anonymität (Giese aaO S. 21), der Ausbau der Phantasie und von Praktiken der Betätigung (Giese aaO S. 23), Süchtigkeit und dranghafte Unruhe (Giese aaO S. 26), Darstellungen, in denen eine Frau zur Ware und zum reinen Lustobjekt erniedrigt wird (Siegusch Prot., 6. Wahlperiode S. 1906), Handlungen wie von Maschinen, deren Teile auswechselbar sind (Scheuch Prot. aaO), Exhibitionismus in Wort und Bild (Ermecke aaO), Isolierung der Sexualität vom Humanen (Trillhaas aaO S. 1907), Lustgewinn ohne Schicksal und Liebe (Leist aaO); vgl. auch die Ausführungen bei Rdn. 7 am Ende. Bei längerem Text oder zusammenhängendem Bildmaterial kommt es auf die Gesamttendenz an. Einzelne, für sich gesehen pornographische Teile, können durch andere so überlagert sein, daß insgesamt der pornographische Charakter verlorengeht. III. Tathandlungen

18

1. § 184 ist, wie dargelegt, abstraktes Gefährdungsdelikt (Rdn. 3). Sämtliche Tatbestandsalternativen erfordern deshalb nicht die Prüfung, ob im Einzelfall eine Gefährdung des Rechtsgutes, zu dessen Schutz sie geschaffen worden sind, erfolgt ist. Die mögliche schädliche Wirkung der pornographischen Schrift auf den Betrachter, dem sie zugänglich gemacht wird, war Motiv für die Schaffung der Vorschrift; es gehört nicht zum Tatbestand, daß sie tatsächlich eingetreten ist (OLG Düsseldorf NJW 1984 1977, 1978).

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2. § 184 Abs. 1 betrifft Schriften (im Sinne von § 11 Abs. 3), also keine Reden und auch keine Live-Darbietungen (vgl. dazu v. BubnoffLK10 § 131 Rdn. 20 ff zu der entsprechenden Problematik bei § 131). a) Abs. 1 Nr. 1 betrifft das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von pornographischen Schriften an eine Person unter 18 Jahren. 35

AA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 55; Dreher/ Tröndle Rdn. 36; OLG Koblenz NJW 1979 1467;

KG NJW 1979 1897; OLG München OLGSt. § 184 StGB Nr. 1.

Stand: 1. 8. 1994

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Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

Die Vorschrift ist an § 3 Nr. 1 GjS angeglichen. Geschützt ist jeder Minderjährige männlichen wie weiblichen Geschlechts. Das Anbieten (Horn NJW 1977 2329, 2332; Meier NStZ 1985 341, 342) erfaßt die 20 Fälle, in denen der Täter sich einem Jugendlichen gegenüber bereit erklärt, eine pornographische Schrift, die ihm zur Verfügung steht, zu überlassen. Das Angebot muß an eine bestimmte Person gerichtet sein 36 . Der Tatbestand ist vollendet, wenn der Jugendliche das Angebot entgegennimmt. Anzunehmen braucht er es nicht. Es muß aber für ihn erkennbar sein — zu erkennen braucht er es nicht — , daß sich das Angebot auf pornographisches Material bezieht 37 . Für die Erkennbarkeit kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlich interessierten und informierten Betrachters an ; von Bedeutung ist, wie die betreffende Werbung in der Verkehrsanschauung verstanden wird. Die Beurteilung hat der Tatrichter zu treffen (BGHSt. 34 94, 99). Da das Anbieten schon die Fälle erfaßt, in denen die Schrift dem Jugendlichen noch nicht zugänglich gemacht ist — ihm die Zugänglichmachung vielmehr lediglich anempfohlen wird — steht es der Werbung im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 5 so nahe, daß es — soweit es auf die Erkennbarkeit vom Gegenstand der Werbung ankommt — nicht anders als diese ausgelegt werden kann. Die Werbung im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 5 ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur strafbar, wenn das Objekt, auf das hingewiesen wird, nicht im Verborgenen geblieben ist (BGHSt. 34 94, 98 f; BGH NJW 1977 1695, 1696 mit zustimmender Anm. von Schumann NJW 1978 1134, 2495) 38 . Der Bundesgerichtshof weist zutreffend d a r a u f h i n , die vom Gesetz vorausgesetzte Möglichkeit der Gefährdung sei in Fällen der Werbung nur dann gegeben, wenn der Aussagegehalt der werbenden Äußerung genügend klar erkennbar mache, daß er sich auf Pornographie und deshalb auf ein im Sinne der gesetzgeberischen Zielsetzung „gefährliches" Material beziehe. Diese zu § 184 Abs. 1 Nr. 5 entwickelte Rechtsprechung ist auf die Fälle des Anbietens übertragbar. Eine abstrakte Gefahr für den Jugendlichen kann, solange es beim Anbieten bleibt, nur bestehen, wenn er den Gegenstand des Angebotenen erkennen kann. Überlassen ist die Übertragung eigenen Gewahrsams an der Schrift auf den Ju- 21 gendlichen. Ihm muß die tatsächliche Gewalt übertragen werden (vgl. BGHSt. 28 294). Zugänglich gemacht ist dem Jugendlichen die Schrift, wenn zu ihm ein räumliBGHSt. 34 94, 98; O L G Düsseldorf N S t E § 184 Nr. 5 ; vgl. auch R d n . 32. BGHSt. 34 94, 98 f mit A n m . Greger J R 1987 210 u n d Besprechung Meier N J W 1987 1610; B G H N S t Z 1989 77; a A Sch/Schröder/Lenckner R d n . 7; Horn SK R d n . 8. Zustimmend auch O L G Stuttgart M D R 1977 246; O L G K a r l s r u h e N J W 1984 1975, 1976 mit N a c h w ; O L G Celle M D R 1985 693; O L G Frankfurt N J W 1987 454; Dreher/Tröndle R d n . 22; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 31 ; Horn SK R d n . 37; Seetzen N J W 1976 497; aA BVerwG N J W 1977 141 zu § 5 G j S ; O L G M ü n c h e n N J W 1987 453; f r ü h e r Laufhätte J Z 1974 46, 48 sowie BGHSt. 33 1 zu § 5 Abs. 2 G j S , soweit es dort u m indizierte Schriften geht. Die letztgenannte Entscheidung des 1. Strafsenats des B G H b e f a ß t sich auch mit dem in N J W 1977 1695 a b g e d r u c k t e n Urteil des 4. Strafsenats u n d hält eine Abweichung f ü r nicht gegeben, weil der 4. Strafsenat auf A n f r a g e mitgeteilt hatte, d a ß sich seine Entscheid u n g nicht o h n e weiteres auf die A n k ü n d i g u n g (193)

von Schriften übertragen lasse, deren Indizierung feststehe. Diese Stellungnahme, die d a v o n ausgeht, d a ß die in § 5 Abs. 2 G j S (wie in § 184 Abs. I Nr. 5) v e r w a n d t e n M e r k m a l e „ a n b i e t e n , a n k ü n digen u n d a n p r e i s e n " f ü r indizierte Schriften einen a n d e r e n Inhalt haben als für Schriften im Sinne des § 6 GjS, erscheint k a u m b e g r ü n d b a r . An der U n t e r s c h e i d u n g d e r Strafbarkeit neutraler W e r b u n g für indizierte Schriften nach § 5 Abs. 2 G j S u n d p o r n o g r a p h i s c h e Schriften n a c h § 184 S t G B hält der 1. Strafsenat in BGHSt. 34 94 fest (kritisch hierzu Greger J R 1987 210 u n d Schroeder P o r n o g r a p h i e , J u g e n d s c h u t z u n d Kunstfreiheit) S. 41 0- D a n a c h ersetzt die verbindliche Einstuf u n g einer Schrift als j u g e n d g e f ä h r d e n d durch die E i n t r a g u n g in die Liste nach § I G j S den sonst f ü r die T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t erforderlichen, sich auf P o r n o g r a p h i e beziehenden C h a r a k t e r d e r Werb u n g . J e d e n f a l l s f ü r § 184 ist mit BGHSt. 34 94 der R e c h t s p r e c h u n g des 4. Strafsenats zu § 184 zu folgen.

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

ches Verhältnis dergestalt hergestellt ist, daß er ihren Inhalt wahrnehmen kann (BGH NJW 1976 1984), etwa, wenn ihm die Schrift vorgezeigt oder ein Tonträger vorgespielt wird (vgl. § 176 Rdn. 12). Zugänglichmachung erfordert nicht, daß die Schrift dem Jugendlichen in die Hand gegeben worden ist. Es genügt, daß ihm ein Betrachten oder ein Zuhören ermöglicht wird (BGH MDR 1976 942). Dies ist beim Bildschirmtext der Fall ( Walther NStZ 1990 523 ; aA für die Anwendbarkeit des GjS auf Btx OVG Münster NJW 1993 1494). In Fällen des Überlassens und Zugänglichmachens braucht für den Jugendlichen der Umstand, daß es sich um pornographisches Material handelt, nicht erkennbar zu sein. Die Gefährdung des Rechtsgutes, der die Vorschrift begegnen will, ist schon dann eingetreten, wenn die Möglichkeit der Einsichtnahme gegeben ist. In Fällen, in denen eine Gefährdung des Jugendlichen aber völlig fern liegt, etwa, wenn die dem Jugendlichen — beispielsweise als Boten — überlassene Schrift sich in einem verschlossenen Umschlag befindet, den dieser nicht öffnen darf, fehlt es an der vom Tatbestand vorausgesetzten Rechtsgutverletzung. Bei solcher Sachlage ist eine Strafbarkeit nicht gegeben (Dreher/Tröndle Rdn. 13). 22

Für Fälle des Abs. 1 Nr. 1 gilt das Erzieherprivileg des Absatzes 4. Das Privileg entspricht — abgesehen davon, daß es die Ausnahme bei gröblicher Verletzung der Erzieherpflicht nicht enthält — dem des § 180 Abs. 1 Satz 2 (siehe dort Rdn. 10 ff). Die Vorschrift führt zum Tatbestandsausschluß, ist also kein Rechtfertigungsgrund und schließt deshalb Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht aus. Der Gesetzgeber hat durch das Privileg sichergestellt, daß die Entscheidungsfreiheit des Erziehers bei der Auswahl des dem Jugendlichen zu überlassenden (hier in Rede stehenden) schriftlichen Materials nicht durch strafrechtliche Verbote eingeschränkt ist (vgl. die entsprechende Klausel bei § 131)39.

23

b) Abs. 1 Nr. 2 betrifft besondere Fälle des Zugänglichmachens. Die Vorschrift entspricht inhaltlich dem § 3 Nr. 2 GjS. Sie verbietet es, pornographische Schriften an Orten zugänglich zu machen, die Personen unter 18 Jahren zugänglich sind oder von ihnen eingesehen werden können. Einbezogen sind alle Orte, zu denen Jugendliche (ohne weiteres und) ohne Überwindung von tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten gelangen können. Darunter fallen zunächst alle öffentlichen Straßen und Plätze. Das sind aber auch sonstige Räumlichkeiten, die Jugendliche betreten dürfen (wie Jugendheime, Schulen, Gaststätten und auch Wohnungen). Das Verlangen von Eintrittsgeld ist kein Hindernis, das die Zugänglichkeit des Ortes in Frage stellt. Das rechtliche Verbot, einen bestimmten Ort zu betreten, ist zwar ein rechtliches Hindernis (aA Dreher/Tröndle Rdn. 15), das aber unbeachtlich ist, wenn das Verbot tatsächlich nicht geltend gemacht oder allgemein nicht respektiert wird oder bereits überwunden ist 40 . Nicht zugängliche Orte sind erfaßt, wenn sie von Orten aus, die Jugendlichen zugänglich sind, ohne Überwindung tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten eingesehen werden können. Die Möglichkeit bloßer akustischer Wahrnehmung reicht nicht aus, wie dem Wortlaut des Gesetzes, der lediglich auf die Einsehbarkeit des nicht zugänglichen Ortes abstellt, zu entnehmen ist (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 14). Vgl. dazu v. Bubnoff LK"> § 131 R d n . 27, der die Frage verneint, o b ein Dritter eine k o n k r e t e EntScheidung des Erziehers straflos a u s f ü h r e n darf ( a n d e r s die hier vertretene A u f f a s s u n g , § 180 R d n . 11).

40

B G H J R 1989 28 (insoweit in N S t Z 1987 553 nicht a b g e d r u c k t ) ; B G H N J W 1988 272; O L G Celle MDR 1985 693; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 11 ; Horn SK R d n . 17.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

Der objektive Tatbestand liegt vor, wenn pornographische Schriften an solchen 24 Orten — und zwar zu Zeiten, in denen die Zugänglichkeit oder die Möglichkeit des Einsehens durch Jugendliche gegeben ist — ausgestellt, angeschlagen, vorgeführt oder sonst zugänglich gemacht werden. Der Tatbestand ist nicht erfüllt, wenn Vorkehrungen getroffen werden, welche die Möglichkeit, daß Jugendliche hinzukommen, ausschließen (wie etwa bei der Vorführung von pornographischen Filmen in Gaststätten, wenn dafür gesorgt wird, daß kein Jugendlicher Zugang hat) 41 . Die Merkmale des Ausstellens, Anschlagens und Vorführens sind erfüllt, wenn die Möglichkeit der optischen Wahrnehmung, und zwar vom pornographischen Inhalt (OLG Karlsruhe NJW 1984 1975, 1976), gegeben ist. Daran fehlt es bei der Ausstellung in einem verschlossenen Umschlag, auch beim Auslegen eines Buches in einem Schaufenster, wenn nur ein neutraler Titel, nicht aber der pornographische Inhalt des Buches erkennbar ist (vgl. dazu Rdn. 20). Das Vorführen erfaßt daneben auch die Ermöglichung akustischer Wahrnehmbarkeit; der Ort, an dem vorgespielt wird, muß allerdings für den Jugendlichen zugänglich oder von einem zugänglichen Ort einsehbar sein. Das Merkmal des sonst Zugänglichmachens ist der Oberbegriff zu den lediglich beispielhaft aufgeführten Modalitäten des Ausstellens, Anschlagens und Vorführens. Es ist in Abs. 1 Nr. 2 nicht erfüllt, wenn jemandem (vgl. aber Abs. 1 Nr. 1) pornographisches Material an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort übergeben wird, etwa in einem Buchladen, ohne daß andere dieses einsehen können. Absatz 1 Nr. 2 setzt vielmehr die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen Minderjährigen voraus, der sich an den Ort begibt. Nicht Voraussetzung ist, daß die Gelegenheit der gleichzeitigen Wahrnehmbarkeit durch viele gegeben ist. Die Möglichkeit, daß pornographisches Material in Automaten, die an Orten im Sinne der Vorschrift aufgestellt sind, eingesehen werden kann, genügt (BayObLG NJW 1976 527, 529). Es genügt aber nicht, wenn der Jugendliche zunächst rechtswidrig Hindernisse überwinden muß (OLG Karlsruhe NJW 1984 1975, 1976 und OLG Celle MDR 1985 693 : Abreißen von Plastikfolien). Die Erzieherklausel (§ 184 Abs. 4) ist für Abs. 1 Nr. 2 nicht ausdrücklich für an- 25 wendbar erklärt. In Fällen, die denen des Abs. 1 Nr. 1 gleichkommen (die Eltern führen ihren Kindern Filme in ihrer Wohnung vor) gilt die Klausel indes entsprechend (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 11). Abs. 1 Nr. 2 ist — anders als Abs. 3 Nr. 2 — kein Presseinhaltsdelikt im Sinne der presserechtlichen Verjährungsvorschriften (vgl. BGHSt. 26 40, 44; BayObLG MDR 1975 419; OLG Stuttgart NJW 1976 529, 530), da nur das Zugänglichmachen an bestimmten Orten untersagt ist, die Verbreitung generell aber erlaubt bleibt. c) Abs. 1 Nr. 3 erfaßt bestimmte Formen des Vertriebs. Die Vorschrift entspricht 26 der des § 4 Abs. 1 GjS. Erfaßt ist zunächst das Anbieten oder Überlassen von pornographischem Material im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt. Das Merkmal „Einzelhandel" bezeichnet jede berufs- oder gewerbsmäßige auf die Versorgung des Endverbrauchers gerichtete Tätigkeit (BayObLG NJW 1974 2060). Der Handel mit pornographischem Material braucht nicht das einzige oder überwiegende Betätigungsfeld des Händlers zu sein. Erfaßt ist nur die Tätigkeit des Einzelhändlers außerhalb von Geschäftsräumen. Das Anbieten und Überlassen von pornographischem Material (vgl. aber Abs. 1 Nr. 1) in Buchläden, Sex-Shops oder ähnli41

Wie hier auch Sch/Schröder/Lenckner

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Rdn. 12. Heinrich Laufhütte

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

chen Geschäftsräumen — auch Gaststätten — ist also nicht strafbar. Werden die in Geschäftsräumen bestellten Schriften vom Händler ausgeliefert, so ist der Tatbestand nicht erfüllt (BGHSt. 9 270). In solchen Fällen kann Versandhandel (siehe dort — Rdn. 27) vorliegen. Der Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen ist gleichgestellt mit dem Einzelhandel in Klosken — also abgeschlossenen, meistens überdachten Räumen im Freien oder in Hallen (wie Bahnhofshallen) — oder in anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, etwa in Verkaufsständen auf Marktplätzen. Kioske, die sich in Geschäftsräumen befinden (etwa in Großkaufhäusern) sind ebenso ausgenommen, wie im Freien befindliche Verkaufsstellen (Bücherwagen; vgl. OLG Hamm NStZ 1988 415 mit Anm. Greger zu mobiler Videothek), in die der Kunde zum Zwecke des Kaufes hineingehen muß. 27

Verboten ist auch das Anbieten und Überlassen von pornographischem Material im Versandhandel. Der Begriff des Versandhandels erfaßt den Händler, der dem Endverbraucher (OLG Düsseldorf NStE § 184 StGB Nr. 5) ohne persönlichen Kontakt — regelmäßig auf telefonische oder schriftliche Bestellung — gegen Entgelt Material liefert, und zwar zum Zwecke der Veräußerung oder der Vermietung (BVerfG M D R 1982 723; OLG Düsseldorf JR 1985 157, 158 mit Anm. Lampe). Unmittelbare vertragliche Beziehungen zwischen den Beteiligten sind nicht erforderlich (OLG Düsseldorf NStE § 184 StGB Nr. 5). Es braucht sich nicht um ein typisches Versandhandelsunternehmen zu handeln. Versandhändler im Sinne der Vorschrift ist etwa auch der Buchhändler, der dem Kunden auf telefonische oder schriftliche Bestellung hin ein pornographisches Buch ausliefert. Anders liegt der Fall, wenn der Kunde das Buch bei persönlicher Vorsprache im Buchladen bestellt und es ihm dann ausgeliefert wird. In solchen Fällen erfordert die Ratio des Gesetzes keine Strafbarkeit. Sinn der Vorschrift ist es nämlich, zu verhindern, daß Jugendliche, die sich telefonisch oder schriftlich als Erwachsene ausgeben, problemlos über den Versandhandel an Pornographie gelangen können (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 16). Diese Gefahr besteht nicht, wenn der Kunde persönlich vorspricht und nur die Auslieferung in einer Form vorgenommen wird, die der des Versandhandels entspricht (OLG Schleswig OLGSt. § 184 StGB Nr. 2). Dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechend ist Tatbestandsmäßigkeit auch nicht gegeben, wenn der dem Buchhändler bekannte Kunde telefonisch oder schriftlich ein pornographisches Buch bestellt und ausgeliefert erhält. Anders ist es bei Bestellungen von Kunden, die dem Händler im einzelnen unbekannt sind, auch wenn sie aus einer „geschlossenen" Benutzergruppe kommen und einen Altersnachweis erbringen müssen (OLG Düsseldorf NJW 1984 1977; JR 1985 157, 158; OLG Hamburg W R P 1987 484). Erfaßt wird auch der Versandhandel ins Ausland (OLG Karlsruhe NJW 1987 1957).

28

Dem Versandhandel sind gewerbliche Leihbüchereien und Lesezirkel gleichgestellt 42 . Ob dies zum Zwecke des Jugendschutzes notwendig ist, ist fraglich (Schroeder JR 1977 231 ). Die Entscheidung des Gesetzgebers, der davon ausgeht, daß der Jugendschutz auch bei diesen Formen des Vertriebes nicht ausreichend gewährleistet ist — die Überlassung von Pornographie durch diese also generell zu untersagen ist —, ist aber noch vertretbar. Gewerbliche Leihbüchereien sind solche, in denen Bücher gegen Entgelt zum Zwecke der Gewinnerzielung vermietet werden. Öffentliche Büchereien, die nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind — auch wenn sie eine Gebühr 42

Kritisch hierzu Schroeder (Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit) S. 43 f, der zutreffend darauf hinweist, daß eine Alterskontrolle in Leih-

büchereien eher möglich ist als in Geschäftsräumen.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

verlangen —, sind keine gewerblichen Leihbüchereien. Gewerbliche Lesezirkel sind solche, in denen periodisch erscheinende Schriften zum Zwecke der Gewinnerzielung gegen Entgelt vermietet werden. Nicht erfaßt vom Tatbestand des Absatz 1 Nr. 3 ist der Gewerbebetrieb, der die gewerbsmäßige Vermietung von pornographischen Filmen und Kassetten betreibt 43 . Die Merkmale des Anbietens und Überlassens sind wie in § 184 Abs. 1 Nr.l 29 (Rdn. 20 f) auszulegen. Das Anbieten verlangt also, daß für denjenigen, dem gegenüber das Angebot gemacht wird, erkennbar ist, daß es um pornographisches Material geht. Anders ist es beim Überlassen. Der Tatbestand ist hier im Augenblick des Überlassens auch dann erfüllt, wenn derjenige, dem das Material überlassen ist, von dessen pornographischem Inhalt in diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis erlangen kann. Eine restriktive Auslegung dahin, daß der Vertrieb im Sinne des Abs. 1 Nr. 3 in jugendgefährdender Weise erfolgen muß, würde dem eindeutigen Gesetzeswortlaut widersprechen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1984 1977, 1978). d) Abs. 1 Nr. 3 a verbietet das Anbieten oder Überlassen von pornographischem 30 Material außerhalb von Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Überlassung 44 des Gebrauchs. Nicht erfaßt wird der Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern (§ 184 Abs. 6 Satz 2). Die Vorschrift entspricht § 3 Abs. 1 Nr. 3 GjS. Zu den Tatbestandsmerkmalen des Anbietens und Überlassens siehe Rdn. 20, 29 und 32. Das Angebot nach Abs. 1 Nr. 3 a braucht anders als bei Nrn. 1 und 3 nicht gegenüber konkret bezeichneten Personen abgegeben zu werden (OLG Hamburg NJW 1992 1184); es reicht, daß es sich an die den Laden betretenden Mietinteressenten richtet (Dreher/Tröndle Rdn. 20 a, a A Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 24 b, 24, 7 f). Die Vorschrift erfaßt alles pornographische Material, nicht nur pornographische Videofilme. Daraus ergeben sich gewisse Konflikte mit Abs. 1 Nr. 3, welcher die Vermietung von solchem Material, wenn sie in den in § 184 Abs. 1 Nr. 3 umschriebenen Vertriebsformen geschieht — auch im Versandhandel (BVerfG MDR 1982 723) und in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln ( L a u f h ü t t e JZ 1974 46,48) — generell verbietet, während nach Nr. 3 a der Vertrieb in einer Leihbücherei, die nur Erwachsenen Zutritt gewährt, an sich erlaubt sein müßte. Nach allgemeinen Auslegungsregeln geht die Spezialregelung der Nr. 3 vor. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der zusätzliche Einschränkungen für in Nr. 3 nicht erfaßte Vertriebsformen schaffen wollte (BTDrucks. 10/2546 S. 24). Anderer Ansicht unter verfassungsrechtlichen Aspekten (Art. 3 Abs. 1 GG) sind Greger NStZ 1986 8, 12 und Sch/Schröder/Lenckner (Rdn. 23), die Strafbarkeit nach Nr. 3 einschränkend nur bei Minderjährigen zugänglichen Leihbüchereien annehmen (Rdn. 23). Unter dem Merkmal Ladengeschäft ist ein Einzelhandelsgeschäft zu verstehen, 31 das in einem unmittelbar an die allgemein zugängliche Verkehrsfläche grenzenden Geschäftslokal („Laden") räumlich und organisatorisch eigenständig betrieben wird 45 . Die Abtrennung eines Ausstellungsraums für pornographisches Material von 43

44

BGHSt. 27 52; 29 68, 69; O L G Stuttgart N J W 1976 1109; BayObLGSt. 1976 169; BVerfG M D R 1982 723. Z u r Kritik an der Vorschrift vgl. Greger N S t Z 1986 8, 12; Dreher/Tröndle R d n . 20 e ; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 24 a ; Laufliiitle in der Vorauf!. Fn. 24.

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45

B G H N S t Z 1987 553 mit A n m . Greger J R 1989 29; B a y O b L G N S t Z 1986 322; N S t E N r n . 2 u n d 3 zu § 184 S t G B ; LG Stuttgart M D R 1986 424; LG Verden N S t Z 1986 118; LG H a m b u r g N S t Z 1989 181 ; StA K o n s t a n z M D R 199« 742; V G H M a n n heim N J W 1987 1445; Greger N S t Z 1986 8, 12; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 24 a, c; aA LG Es-

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13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

einem Geschäft, zu dem Minderjährige an sich Zugang haben („shop in the shop"), ist nicht ausreichend (vgl. BTDrucks. 10/2546 S. 25). Der Zugang muß direkt von einer öffentlichen Verkehrsfläche, d. h. einer für die Allgemeinheit auch ohne Kaufabsicht zugänglichen Fläche, wie einer Straße, einer Ladenstraße (BGH NStZ 1987 553; BayObLG NStE Nr. 3 zu § 184), einem allgemein zugänglichen Treppenhaus oder Flur erreichbar sein. Nicht ausreichend ist ein Zugang durch ein anderes, für Jugendliche zugängliches Geschäft oder über einen Vorraum, der zu der gewerblich genutzten Fläche zu rechnen ist (VGH Mannheim NJW 1987 1445), beispielsweise zur Aufstellung von Werbeplakaten genutzt wird, es sei denn, daß auch schon dieser Vorraum für Jugendliche nicht zugänglich ist (BayObLG NStZ 1986 322). Unzulässig ist daher das Anbieten pornographischen Materials in dem geschlossenen Nebenraum des Verkaufsraums einer Tankstelle, der nur durch diesen erreichbar ist und vom selben Personal betreut wird (LG Verden NStZ 1986 118). Ein weiterer Zugang schadet nicht, wenn sichergestellt ist, daß Jugendliche ihn nicht benutzen können. Unbedenklich ist eine „Schleuse" zwischen „Familien"- und „Erwachsenenvideothek", die je einen eigenen Zugang zur Straße haben und organisatorisch und personell eigenständig sind, wenn die Tür von der „Familienvideothek" aus nur durch das Personal geöffnet werden kann (LG Hamburg NStZ 1989 181). Ausreichend ist auch, wenn eine zeitliche und organisatorische Trennung in der Weise vorgenommen wird, daß die Videothek für Erwachsene zwar nur durch den Raum der Familienvideothek erreichbar ist, aber durch unterschiedliche Öffnungszeiten sichergestellt ist, daß Pornofilme nur angeboten werden, wenn die Videothek insgesamt für Jugendliche nicht zugänglich ist (StA Konstanz M D R 1990 742; Greger NStZ 1986 8, 12). Der Begriff des Ladengeschäfts verlangt keine Ortsgebundenheit, zulässig ist deshalb eine mobile Videothek in einem nicht einsehbaren Lkw, die nur Kunden über 18 Jahren zugänglich ist (OLG Hamm NStZ 1988 425 mit Anm. Greger\vgl. auch Rdn. 26). Für räumliche Eigenständigkeit genügt es nicht, daß innerhalb eines Warenhauses kleine Geschäfte räumlich abgetrennt sind, welche nur über die Verkaufsflächen des Warenhauses erreichbar sind, auch wenn sie rechtlich und organisatorisch selbständig sind (BGH NStZ 1987 553). Räumliche Eigenständigkeit liegt dagegen vor bei einem Ensemble unabhängiger Einzelhandelsgeschäfte unter einem Dach (Einkaufszentrum), selbst wenn der Raum überwiegend von einem größeren Geschäft belegt wird, sofern die einzelnen Geschäfte über allgemein zugängliche Verkehrsflächen erreichbar sind. Entscheidend ist der äußere Eindruck der Verkaufsanlage. Zur organisatorischen Eigenständigkeit gehört, daß das gesamte Geschäft von der Auswahl, Übergabe, Verpackung bis zur Bezahlung der Ware mit eigener Geschäftsausstattung und eigenem Personal abgewickelt werden kann (LG Stuttgart MDR 1986 424; aA Füllkrug Kriminalistik 1986 227, 228). 32

Zur Nichtzugänglichkeit siehe die Ausführungen bei Rdn. 23. Das Merkmal der Nichteinsehbarkeit verlangt, daß das Ladengeschäft insgesamt nicht einsehbar ist; nicht ausreichend ist, daß der Blick auf die Pornographika verwehrt ist 46 . Einsehbarkeit liegt aber nicht schon dann vor, wenn das Öffnen der Tür durch Kunden Einblick in den Raum gewährt (vgl. OLG Stuttgart MDR 1987 1047) oder eine Schwingtür 20 cm über dem Boden abschließt (BayObLG NStE Nr. 2 zu § 184 StGB).

sen N S t Z 1985 510 mit abl. A n m e r k u n g Maatz N S t Z 1986 174 u n d Führich N J W 1986 1156; v. Hartlieb N J W 1985 830, 832; Füllkrug Kriminalistik 1986227.

46

O L G H a m b u r g N J W 1992 1184; Dreher/Tröndie R d n . 2 0 d ; aA LG Essen N S t Z 1985 510; Sch/ Schröder/Lenckner R d n . 24 c.

S t a n d : 1. 8. 1 9 9 4

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Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

§ 184 Abs. 1 Nr. 3 a verbietet die gewerbliche Vermietung, d. h. die Gebrauchsüberlassung gegen Entgelt zum Zwecke der nicht nur vorübergehenden Gewinnerzielung und vergleichbare gewerbliche Gebrauchsüberlassung. Hierunter sind Geschäfte zu verstehen, die dem Kunden das Recht einräumen, die Sache nach Gebrauch zurückzugeben, wie etwa der Kauf mit Rückkaufsrecht, der An- und Verkauf oder Konstruktionen wie das zeitweise „unentgeltliche" Überlassen der Filme an Mitglieder in einem gewerblichen Videoclub. Die Regelung dient in erster Linie der Verhinderung von Umgehungsgeschäften (BTDrucks. 10/2546 S. 24). Erlaubt ist dagegen weiterhin der Verkauf von pornographischem Material in allen Jugendlichen nicht zugänglichen Räumen. e) Abs. 1 Nr. 4 verbietet das Unternehmen des Einführens pornographischer Er- 3 3 Zeugnisse in den räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes im Wege des Versandhandels. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen § 4 Abs. 3 GjS. Das Merkmal des Versandhandels ist bereits in Abs. 1 Nr. 3 verwandt. Die Einfuhr auf dem Postwege ist vollendet, wenn die Sendung die Grenze des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland überschritten hat 4 7 . Versuchte Einfuhr, die — was wenig einleuchtet — strafbar ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 6), liegt bei Handlungen vor, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Einfuhr führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu ihr stehen, etwa, wenn das pornographische Material einen grenznahen Ort erreicht hat und von dort in Richtung Grenze in Bewegung gesetzt wird 4 8 . Als Einführer strafbar ist nur der Versandhändler, nicht der Besteller 49 . Eine im Gesetzgebungsverfahren zunächst vorgesehene Vorschrift, welche die Postbeschlagnahme ermöglichen sollte (vgl. Laufliiitte J Z 1974 46, 48 Fn. 21), ist nicht erlassen worden. Es bleibt deshalb bei den allgemeinen Vorschriften über die Postbeschlagnahme (dazu K K - N a c k vor § 94 Rdn. 3). f) Abs. 1 Nr. 5 ist mit § 5 Abs. 2, 3 GjS abgestimmt. Die Regelung verbietet be- 3 4 stimmte Arten der Werbung (einschließlich des Anbietens). Sie soll verhindern, daß Personen unter 18 Jahren f ü r pornographisches Material interessiert und auf mögliche Bezugsquellen aufmerksam gemacht werden. Die Vorschrift ist auf die Werbung für pornographische Filme unabhängig davon anwendbar, ob der Film nach § 6 Abs. 3 Satz 1 JuSchG zur Kennzeichnung vorgelegt ist (BGH NStZ 1989 77). Es ist verboten, Pornographie in bestimmter Weise anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen. Der Begriff des Anbietens 50 entspricht dem des Abs. 1 Nrn. 1 und 3. Das Angebot braucht aber nicht, wie in Abs. 1 Nrn. 1 und 3, einem bestimmten anderen gegenüber erklärt zu werden, kann also unbestimmt vielen Personen zugehen. Es muß sich aber auf schon vorhandene Exemplare pornographischer Schriften beziehen und durch die Angabe des Titels, die Mitteilung des Inhalts oder andere Umstände im einzelnen konkretisiert sein. Mit der Ankündigung wird auf die Gelegenheit zum Bezug oder zur Besichtigung — wenn das Zugänglichmachen auf andere Weise 47

48

Vgl. BGHSt. 34 180, 181; BGH NStZ 1983 369; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 5. Zur Abgrenzung von Einfuhr und Durchfuhr BGHSt. 31 374; vgl. auch BGHSt. 31 215, 252; BGHR BtMG §29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 2; Horn SK Rdn. 31. Vgl. zur Einfuhr mit Kraftfahrzeug BGHSt. 36 249; BGH MDR 1983 685; zum Versuchsbeginn bei Einchecken des Reisegepäcks bei Flugreise BGHR BtMG Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 18.

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49

50

Vgl. vor § 174 Rdn. 13; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 26; Sch/Schröder/Lertckner Rdn. 27 ; aA Dreher/Tröndle Rdn. 21. Zu den Begriffen des Anbietens, der Ankündigung und der Anpreisung siehe Meier NStZ 1985 341,342.

Heinrich Laufhütte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

als durch Überlassen erfolgen soll (wie bei Filmvorführungen) — hingewiesen. Die Erwähnung der pornographischen Schrift im Rahmen einer ablehnenden Auseinandersetzung reicht nicht (so BGH NJ W1987 451 zu kritischem Pressebericht). Die Anpreisung ist die lobende Erwähnung pornographischen Materials, und zwar in der Absicht, sie irgend jemandem zugänglich zu machen (Horn SK Rdn. 36). Tatbestandsmäßig ist die Werbung in der genannten Form nur, wenn nach ihrem Aussageinhalt genügend klar der pornographische Inhalt der Schrift, für die geworben wird, erkennbar ist (dazu Rdn. 20). Der pornographische Inhalt muß sich aus der Werbemaßnahme selbst ergeben. Daß der Betrachter diesen Schluß aus sonstigen ihm bekannten Umständen aus dem Umfeld der Werbemaßnahme zieht, genügt nicht (BGH NStZ 1989 77,78). Die Schrift muß auch tatsächlich eine pornographische sein (OLG Hamburg M D R 1978 506). 35

Die Werbung muß öffentlich 51 (dazu § 183 a Rdn. 3) an einem der in Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Orte (Rdn. 23) geschehen oder durch Verbreiten von Schriften (im Sinne des § 11 Abs. 3; aA Horn SK Rdn. 40) außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel. Verbreiten ist die Tätigkeit, durch die eine Schrift aus dem engen Kreis der an seiner Herstellung Beteiligten heraustritt, um einem größeren, individuell nicht miteinander verbundenen Personenkreis zugänglich gemacht zu werden (vgl. BGH NJW 1977 1695). Das Merkmal des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel nimmt die Verbreitung an Buchhändler, auch dann, wenn sie sich nicht mit dem Vertrieb von Pornographie befassen, und sonstigen mit der Herstellung und dem Vertrieb von Schriften (im Sinne von § 11 Abs. 3) befaßten gewerblich Tätigen aus. Anzeigen in Fachzeitschriften für Personen und Unternehmen, denen gegenüber straflos geworben werden kann, sind ebenfalls straflos.

36

Die zweite Alternative des Abs. 1 Nr. 5 ist Presseinhaltsdelikt (vgl. BGH NJW 1977 1695). Die Ausnahme von dem Verbreitungsverbot (Möglichkeit der Werbung gegenüber dem Fachhandel) stellt das generelle Verbreitungsverbot nicht in Frage, vermag den Charakter der Vorschrift als Presseinhaltsdelikt also nicht zu ändern (BayObLG M D R 1980 73).

37

g) Abs. 1 Nr. 6 verbietet das Gelangenlassen von Pornographie an einen anderen, der dazu nicht aufgefordert hat. Das Merkmal des Gelangenlassens ist weiter als Begriffe wie Zusenden oder Zustellen. Es erfaßt alle Handlungen, durch die ein anderer die Verfügungsgewalt über Pornographie erhält oder ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten erhalten kann, wie beim Liegenlassen von Pornographie in Kasernen, Behörden oder Fabriksälen (Prot., 6. Wahlperiode S. 1935 f)· Derjenige, an den die Schrift gelangt, braucht sie nicht eingesehen zu haben. Die Einsicht muß ihm allerdings (ohne Überwindung von Sperren) möglich sein. Straflos ist das Gelangenlassen nur, wenn derjenige, in dessen Verfügungsbereich die Pornographie gerät, dazu aufgefordert hat. Die nachträgliche Genehmigung reicht ebensowenig aus, wie die vermutete Einwilligung. Die Aufforderung braucht allerdings nicht ausdrücklich ausgesprochen zu sein. Eine eindeutig in diesem Sinne zu verstehende konkludente Handlung reicht aus ( L a u f h ü t t e JZ 1974 46, 49). 51

Walther N S t Z 1990 523, 524, der die A n w e n d b a r keit des § 184 Abs. 1 Nr. 5 auf Bildschirmtext bej a h t , weil ihn u n b e s t i m m t viele Personen gleichzeitig a b r u f e n k ö n n e n , also Öffentlichkeit vorliege, verkennt den in § 184 Abs. 1 Nr. 5 vorausge-

setzten Begriff Öffentlichkeit, die die D a r b i e t u n g an einem f ü r J u g e n d l i c h e zugänglichen oder von ihnen einsehbaren Ort verlangt, w ä h r e n d j e d e r Teilnehmer am Btx-Verfahren vor seinem eigenen Bildschirm sitzt.

Stand: 1. 8. 1994

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Verbreitung pornographischer Schriften

§

1 8 4

h) Abs. 1 Nr. 7 verbietet öffentliche (dazu § 183 a Rdn. 3 f) Filmvorführungen von 38 Pornographie gegen ein Entgelt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird. Vorführung eines Filmes bedeutet die Ermöglichung, die auf einem Bildträger gespeicherten Bilder optisch oder die auf einem Bild- und Tonträger gespeicherten Bilder und Töne optisch und akustisch wahrzunehmen. Das Vorführen einer Reihe von Standbildern ist tatbestandsmäßig 52 . Das Entgelt (§ 11 Abs. 1 Nr. 9) muß ganz oder überwiegend für die Filmvorfüh- 39 rung verlangt werden. Mit dieser Klausel wollte der Gesetzgeber einerseits dem Jugendschutz dienen (Rogali JZ 1979 715), andererseits dem Interesse von Erwachsenen Rechnung tragen, sich pornographische Filme anzuschauen. Letzteres sollte dadurch erreicht werden, daß unentgeltliche Vorführungen von Filmen (bei denen der Jugendschutz, weil das Interesse an Gewinnerzielung fehlt, generell gewährleistet ist) erlaubt, ersteres dadurch, daß die entgeltliche Vorführung verboten sein sollte. Probleme bereitet nach dieser Konzeption die Behandlung von Nachtbars, die — ohne den Jugendschutz zu gefährden — pornographische Filme gegen erhöhte Getränkepreise vorführen. Solchen Fällen sollte durch die Gesetz gewordene Klausel, die allerdings zu Umgehungsversuchen anreizt, Rechnung getragen werden. Die Rechtsprechung (dazu Rogali JZ 1979 715 0 hat die Auslegungsschwierigkeiten, welche die Klausel mit sich bringt — die nicht zur Verfassungswidrigkeit führen (BVerfG NJW 1977 2207; BVerfGE 47 109) — in angemessener Weise weitgehend bewältigt. Unproblematisch sind danach die Fälle, in denen kein innerer Zusammenhang 40 zwischen Filmvorführung und weiterer Leistung besteht, etwa dann, wenn der Besucher der Filmvorführung Schallplatten (OLG Hamm M D R 1978 775) oder pornographische Hefte oder Magazine erwerben muß, für die er während der Filmvorführung keine Verwendung hat. In solchen Fällen ist das Entgelt, ohne dessen Entrichtung der Besuch des Films nicht möglich ist, ganz auf die Filmvorführung anzurechnen 53 . In anderen Fällen, in denen ein Zusammenhang zwischen Filmvorführung und weiterer Leistung besteht, ist es nicht möglich, die Leistungen aufzuteilen und das für die Filmvorführung verlangte Entgelt ganz auf diese anzurechnen (die gegenteilige vom BGH im Urteil vom 15. Februar 1977 — 5 StR 598/76 — vertretene Auffassung ist vom Bundesverfassungsgericht als gegen das Grundgesetz verstoßend abgelehnt worden: BVerfGE 47 109, 122). Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung notwendig (BGH MDR 1978 768; BGHSt. 29 68, 70). Im Einzelfall kann zweifelhaft sein, wann ein Zusammenhang zwischen Filmvor- 41 führung und sonstigen Leistungen besteht (vgl. Rogali JZ 1979 715, 717). Die vom Bundesgerichtshof (BGHSt. 29 68,72) entwickelte Klausel, ein solcher sei nicht gegeben, wenn eine Verwendungsmöglichkeit für die sonstigen Leistungen während der Filmvorführungen nicht besteht, scheiden die von vornherein ungeeigneten Nebenleistungen aus. In anderen, von vornherein nicht eindeutigen Fällen kommt es auf die Gesamtumstände an. Ein Zusammenhang ist gegeben, wenn die weitere Leistung objektiv geeignet und subjektiv dazu bestimmt ist, der Durchführung der Filmvorführung oder deren Besuch zu dienen (OLG Karlsruhe Die Justiz 1979 232, 233), etwa dann, wenn während der Vorführung Getränke verabreicht oder sonstige gastroä!

iJ

D r e h e r / T r ö n d l e Rdn. 24; aA Horn SK R d n . 52; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 39. B G H Urteil vom 15. Februar 1977 - 5 StR 5 9 8 / 7 6 — in seiner verfassungsrechtlich „ n o c h

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h a l t b a r e n " Auslegung: B V e r f G E 47 109, 122; B G H S t . 29 68, 71, 72; O L G H a m m M D R 1978 775 ; O L G Karlsruhe Die Justiz 1979 232.

Heinrich Laufhütte

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

nomischen Leistungen (Pralinen: BayVGH GewArch 1986 25) geboten werden, die das Zuschauen nicht behindern. 42

Bei der gebotenen Würdigung der Gesamtumstände ist nicht allein auf den Charakter des Unternehmens, in dem der Film aufgeführt wird, abzustellen 54 , weil § 184 Abs. 1 Nr. 7 auf die Filmvorführung und nicht auf den Ort der Vorführung abstellt (Rogali JZ 1979 715, 716). Eine betriebswirtschaftlich ausgerichtete Berechnungsmethode gibt allein keinen Aufschluß darüber, ob das Entgelt überwiegend für die Filmvorführung verlangt wird oder nicht; denn es kann nicht von den Besonderheiten der organisatorischen und finanziellen Situation des Betriebes — die mit der echten, gebotenen Leistung nichts zu tun zu haben braucht (wie bei erheblichen Geschäftsunkosten für eine bestimmte Leistung) — abhängen, ob die Entgeltklausel erfüllt ist oder nicht (BGH MDR 1978 768, 769). Auszugehen ist vielmehr von dem für die gebotenen Leistungen angemessenen und üblichen Entgelt (BGHSt. 29 68, 70; OLG Stuttgart NStZ 1981 262), nämlich dem Entgelt, das bei vergleichbaren Angeboten — einerseits für die Filmvorführung, andererseits für die sonstigen Leistungen (BGH NJW1981 1439) — zu entrichten ist (vgl. zur Berechnung im einzelnen OLG Stuttgart NStZ 1981 262, 263).

43

i) Abs. 1 Nr. 8 erfaßt Vorbereitungshandlungen für die in Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 unter Strafe gestellten Verhaltensweisen, und zwar das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten und das Unternehmen des Einführens von Pornographie, soweit es in der Absicht der Verwendung der Schriften oder aus ihnen gewonnener Stücke im Sinne des Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 oder deswegen geschieht, einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen. Erfaßt ist zunächst die Herstellung pornographischer Schriften (§ 11 Abs. 3), die für eine Verwendung im Sinne des Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 vorgesehen sind. Strafbar ist aber auch das Herstellen von Schriften, aus denen die zur Verwendung vorgesehenen Stücke gewonnen werden sollen (BGHSt. 32 1, 2f). Dazu gehören nicht nur Schriften, aus denen die später zu verwendenden Schriften erstellt werden, sondern auch Manuskripte, die unabhängig von der Vervielfältigungstechnik Grundlage der späteren Schriften sind (vgl. BGHSt. 32 1, 4 ff). Manuskripte sind hergestellt erst dann, wenn die Gefahr jederzeit möglicher Verbreitung ganz nahe gerückt ist (BGHSt. 32 1, 8). Das setzt voraus, daß der Inhalt der Schrift feststeht und der Autor seinen Willen irgendwie zum Ausdruck gebracht hat, den Text in dieser Fassung zu verwenden. Die sonst in Abs. 1 Nr. 8 verwandten Merkmale setzen voraus, daß eine Schrift im Sinne der ersten Tatbestandsvariante hergestellt ist. Das Merkmal des Beziehens setzt Gewahrsamserlangung an einer solchen — hergestellten — Schrift voraus, und zwar aufgrund Einverständnisses mit dem früheren Gewahrsamsinhaber (RGSt. 77 118). Der Begriff des Lieferns umfaßt den umgekehrten Vorgang. Es liefert derjenige, der einem anderen mit dessen Einverständnis den Gewahrsam verschafft. Vorrätig hält eine solche Schrift, wer die Verfügungsgewalt über eine Schrift hat. Darunter fällt auch das Bereitstellen verpackter Videokassetten zum Versand ins Ausland (OLG Karlsruhe NJW 1987 1957,1958). Das Merkmal des „in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen unternimmt" entspricht dem entsprechenden in Abs. 1 Nr. 4 verwandten. 54

B G H N J W 1981 1439; aA K G J R 1977 379 mit A n m . Rudolph/'; K G J R 1978 166; vgl. auch O L G K o b l e n z M D R 1978 776.

Stand: 1. 8. 1994

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§ 184

In allen Tatbestandsvarianten ist Absicht im Sinne zielgerichteten H a n d e l n s er- 4 4 forderlich (BGHSt. 29 68, 73). Die Absicht m u ß darauf gerichtet sein, die Schriften oder aus ihnen gewonnenen Stücke entweder selbst in strafbarer Weise zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen. Abs. 1 Nr. 8 ist kein Presseinhaltsdelikt, da hier die Vorbereitung von Verbreitungshandlungen unter Strafe gestellt ist (vgl. B G H N J W 1977 1695). j) Abs. 1 Nr. 9 stellt das Unternehmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 6) des Ausfiihrens pornogra- 4 5 phischer Schriften unter Strafe, u n d zwar von — im Inland oder Ausland — hergestellten (dazu Rdn. 41) Stücken, die selbst im Ausland verwendet werden sollen oder aus denen später im Ausland zu verwendende Stücke hergestellt werden sollen (Rdn. 41). Die Ausfuhr (vgl. Fuhrmann in E r b s / K o h l h a a s § 4 A W G Rdn. 9 ff) m u ß aus dem Geltungsbereich des Strafgesetzbuches erfolgen. Sie ist vollendet, wenn die Sendung die Grenze des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland zum Ausland hin überschritten hat (vgl. die entsprechende Auslegung bei der E i n f u h r B G H NStZ 1983 369). Der Versuch der A u s f u h r erfaßt die H a n d l u n g e n , die bei ungestörtem Fortgang unmittelbar zur A u s f u h r führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen u n d zeitlichen Z u s a m m e n h a n g zu ihr stehen (vgl. B G H M D R 1983 685). Die Schriften müssen noch nicht die Grenze des Landes überschritten haben, in dem sie verwendet werden sollen. Es reicht also aus, wenn das Land, dessen Grenze überschritten ist oder überschritten werden soll, lediglich D u r c h f u h r l a n d (dazu B G H N J W 1983 1985; 1994 61) ist. Die Absicht des Täters im Sinne zielgerichteten Handelns m u ß es sein, die Schrift oder aus ihr gewonnene Stücke im Ausland unter Verstoß gegen die dort bestehenden Strafvorschriften (kritisch Groß JZ 1974 139; vgl. auch Lüttger Jescheck-Festschrift S. 121, 171) zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen. Das Merkmal des Verbreitens entspricht dem in § 184 Abs. 1 Nr. 5 verwandten (siehe dort). Der Begriff des Zugänglichmachens bezeichnet (wie in Abs. 3 Nr. 2) die in Abs. 1 Nr. 2 umrissenen Handlungsmodalitäten, soweit das Merkmal der Öffentlichkeit (dazu § 183 a Rdn. 3) erfüllt ist. Es reicht aus, d a ß der Täter die Absicht hat, nicht selbst zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen, sondern einem a n d e r e n dies zu ermöglichen. 3. Nach § 184 Abs. 2 ist es verboten, pornographische Darbietungen durch den 4 6 Rundfunk zu verbreiten. Die Vorschrift entspricht der des § 131 Abs. 2 (vgl. im einzelnen v. Bubnoff LK 10 § 131 Rdn. 21, 22; Herkströter A f P 1992 23). 4. Für „harte" Pornographie (vgl. R d n . 13 ff) sieht das Gesetz zusätzlich zu den in 4 7 den Absätzen 1 u n d 2 genannten Verwendungsverboten die des Absatzes 3 vor. Es gilt das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 6). Abs. 3 Nr. 1 enthält ein generelles Verbreitungsverbot. Der Begriff des Verbreitens entspricht dem des § 184 Abs. 1 Nr. 5 (siehe dort). Er ist nicht erfüllt, wenn die Schrift einem einzelnen gegeben u n d die Weitergabe an a n d e r e nicht oder noch nicht vorgesehen ist ( B G H M D R 1966 687; dazu BGHSt. 32 1, 3). Die Tat ist Presseinhaltsdelikt 5 5 (vgl. B G H N J W 1977 1695). Abs. 3 Nr. 2 entspricht Abs. 1 Nr. 2 (siehe dort), abgesehen von der Umschreibung des Ortes: Abs. 3 Nr. 2 erfaßt alle öffentlich begangenen (§ 183 a Rdn. 3) tatbestands55

N a c h einer Pressemitteilung vom 3. F e b r u a r 1994 plant die Niedersächsische Landesregierung die Verlängerung der Verjährungsfristen bei Verstö-

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ßen gegen die Verbreitung von Veröffentlichungen mit gewaltdarstellendem u n d k i n d e r p o r n o graphischem Inhalt.

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

mäßigen Handlungen. Die Tat ist, anders als Abs. 1 Nr. 2, Presseinhaltsdelikt (vgl. BGH NJW 1977 1695), da das Zugänglichmachen ein Unterfall des Verbreitens ist und jegliche Form des Zugänglichmachens untersagt ist. Abs. 3 Nr. 3 entspricht im wesentlichen Abs. 1 Nr. 8 (siehe dort) mit der Ergänzung, daß zusätzlich pönalisiert sind: die Ankündigung und die Anpreisung (dazu § 184 Abs. 1 Nr. 5), die in Absatz 3 nicht öffentlich zu sein brauchen, das Anbieten (dazu § 184 Abs. 1 Nr. 1) sowie das Unternehmen des Ausführens (dazu § 184 Abs. 1 Nr. 9). 48

5. Abs. 5 verbietet es, sich oder einem Dritten den Besitz von pornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben oder dieselben zu besitzen. Besitz ist kein Zustand, sondern wie im Betäubungsmittelrecht (BTDrucks. 12/ 3001 S. 5f) ein Dauerdelikt, nämlich das Herbeiführen oder Aufrechterhalten eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses (vgl. BGHSt. 27 380). Maßgeblich ist nicht der zivilrechtliche Besitzbegriff, sondern die faktische Einwirkungsmöglichkeit, der tatsächliche ungehinderte Zugang zur Sache. In diesem Sinne können Besitz an pornographischen Schriften sowohl der unmittelbare als auch der mittelbare Besitzer haben, beispielsweise Verwahrer und Hinterleger, wenn beide Zugang dazu haben und ohne Schwierigkeiten darüber verfügen können. Auch der Besitzdiener (Bote) kann Besitz haben, doch fällt darunter nicht jede kurze Hilfstätigkeit, die ohne Herrschaftswillen geleistet wird (BGHSt. 26 117). Der Besitzer muß den kinderpornographischen Inhalt der Schriften und die Wiedergabe eines tatsächlichen Geschehens erkennen. Durch das Merkmal Besitz verschaffen werden alle Erwerbs- und Gebrauchsüberlassungsgeschäfte erfaßt (Kauf, Tausch, Miete, Leihe u. a.), aber auch einseitige Aneignungshandlungen wie Fund und Diebstahl. Es reicht die Verschaffung mittelbaren Besitzes, etwa der Erwerb eines Gepäck- oder Pfandscheins oder eines Schließfachschlüssels. Daß der Vorbesitzer jegliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache verliert, ist nicht erforderlich; mehrere Personen können gleichzeitig besitzen, wenn sie eine unabhängige Verfügungsmöglichkeit haben. Das bloße Anschauen kinderpornographischer Schriften, die sich im Besitz eines anwesenden anderen befinden, reicht aber nicht. Verschaffen liegt auch vor, wenn die Verfügungsgewalt lediglich zu dem Zweck ergriffen wird, die pornographischen Schriften einem nicht zum Besitz berechtigten Dritten zu geben. Dagegen ist das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, wenn die Schriften sogleich bei einer Behörde abgeliefert oder vernichtet werden (BTDrucks. 12/3001 S. 6).

49

Die Schriften müssen den sexuellen Mißbrauch von Kindern (Rdn. 15) zum Inhalt haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben. Erfaßt werden sollen „Life"-Aufnahmen, zu deren Herstellung Kinder sexuell mißbraucht werden, also Filme, Videofilme, Fotographien und Tonaufnahmen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß.der Konsument solcher kinderpornographischer Erzeugnisse dazu beiträgt, daß die minderjährigen Darsteller sexuell mißbraucht werden (BTDrucks. 12/ 3001 S. 5; 12/4883 S. 8). Nicht strafbar ist dagegen der Besitz von Zeichnungen, Gemälden oder Texten mit kinderpornographischem Inhalt, wenn sie einem tatsächlich stattgefundenem Geschehen nachempfunden sind. 50 Ausgenommen vom Besitz- und Besitzverschaffungsverbot sind Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen (Abs. 6 Satz 3). Die Ausnahmeregelung ermöglicht es beispielsweise RechtsanStand: 1. 8. 1994

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Verbreitung pornographischer Schriften

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wälten, Sachverständigen und Ärzten, das zur Ausübung ihres Berufes notwendige Material zu besitzen und trägt auch den grundgesetzlich geschützten Belangen von Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) Rechnung. Die in Art. 5 Abs. 3 ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete Kunstfreiheit vermag dagegen den Besitz von kinderpornographischen Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, in keinem Fall zu rechtfertigen; der Anspruch der minderjährigen Darsteller auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit überwiegt alle (ohnehin nur theoretisch denkbaren) künstlerischen Aspekte. § 184 Abs. 5 ist kein Presseinhaltsdelikt, da die Bestrafung von der Verbreitung unabhängig ist. IV. Subjektiver Tatbestand. Alle Tatbestandsvarianten erfordern — zumindest be- 51 dingten — Vorsatz (vgl. aber die Fahrlässigkeitstatbestände des § 21 Abs. 3 GjS), soweit nicht weitergehend Absicht verlangt wird (§ 184 Abs. I Nrn. 8, 9 Abs. 3 Nr. 3). Der Täter muß bei der tatbestandsmäßigen Verwendung des pornographischen Materials aufgrund laienhafter Parallelwertung dessen wesentlichen Bedeutungsinhalt erfassen (vgl. v. Bubnoff LK'° § 131 Rdn. 24). Auf die Billigung des Inhalts der Schriften durch den Täter kommt es nicht an, es genügt, daß er mit ihrer tatbestandsmäßigen Verwendung einverstanden ist. Soweit Jugendlichen Pornographie zugänglich gemacht wird, muß sich sein Vorsatz auch auf das Alter der betroffenen Person erstrecken (vgl. dazu § 176 Rdn. 14). Bei Abgrenzungsproblemen, die noch nicht eindeutig gelöst sind, ist die Möglichkeit eines eventuellen Verbotsirrtums zu prüfen (vgl. BGHSt. 29 68, 73; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1979 232, 233). V. Einziehung und Verfall a) Schriften im Sinne des § 184 Abs. 3 sind nach § 74 d Abs. 1 einzuziehen. Anders 52 ist es bei Schriften, deren Verbreitung generell zulässig und nur bei bestimmten Modalitäten der Tatbegehung strafbar ist, also bei „einfacher" Pornographie. Hier richtet sich die Einziehung nach § 74 d Abs. 3 (BGH NJW 1980 406). Der Eintritt der Verfolgungsverjährung — besonders bedeutsam bei den Presseinhaltsdelikten (nämlich Abs. 1 Nr. 5 2. Alternative, Abs. 3 Nrn. 1,2) — schließt die Sicherungszwecken dienende Einziehung nicht aus (§ 76 a Abs. 2 Nr. 1). Schriften im Sinne des § 184 Abs. 5 sind als „Beziehungsgegenstände" nach § 74 einzuziehen (Abs. 7 Satz 2), auch wenn nicht die Absicht besteht, sie weiter zu verbreiten, wie es § 74 d voraussetzt. § 74 a ist anwendbar (Abs. 7 Satz 3), so daß auch Gegenstände eingezogen werden können, die dem Besitzer nicht gehören und die der Eigentümer möglicherweise nach Abs. 6 Satz 3 berechtigt besitzen dürfte. Der Eigentümer muß mindestens leichtfertig dazu beigetragen haben, daß die Darstellungen in strafbaren Besitz gelangten (beispielsweise durch Verleihen oder Vermieten). b) Werden kinderpornographische Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben (Rdn. 49), gewerbsmäßig oder von einer Bande verbreitet, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, kann der Erweiterte Verfall (§ 73 d; siehe dazu § 181 c Rdn. 6) angeordnet werden. Gewerbsmäßigkeit setzt voraus, daß sich der Täter durch wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will. Besteht diese Absicht, reicht auch die einmalige Tatausführung. Zur Gewerbsmäßigkeit siehe ferner die Ausführungen bei § 181 Rdn. 12 und § 181 a Rdn. 13. Eine Bande besteht aus mindestens zwei Personen, die sich in der Absicht zusammengetan haben, mehrere rechtlich selbständige (205)

Heinrich Laufhütte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Straftaten zu begehen (vgl. im einzelnen die Ausführungen bei § 181c Rdn. 3 und bei § 244 Abs. 1 Nr. 3). Einzelheiten zum Erweiterten Verfall siehe bei § 73 d. 53

VI. Täter und Teilnehmer. Für Täter und Teilnehmer gelten die allgemeinen Regeln. Soweit einzelne Tatbestandsvarianten auf den Gewahrsam desjenigen, der Pornographie zugänglich macht, abstellen, kann Täter nur sein, wer Gewahrsam hat (Horn SK Rdn. 11, 22, 29, 49). Zugänglichmachen kann auch durch Unterlassen geschehen, wenn eine Rechtspflicht, diesen Erfolg abzuwenden, besteht (Horn SK Rdn. 21). Teilnahme ist auch an den Überlassungstatbeständen möglich. Der Gewahrsam desjenigen, der pornographisches Material einem anderen überläßt, ist dabei kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 (aA Horn SK Rdn. 11,49), da die betreffenden Vorschriften keine strafrechtlichen Sonderpflichten umschreiben (vgl. Roxin LK10 § 28 Rdn. 41 ; vgl. auch BGHSt. 39 326, 329). Zur Strafbarkeit von Täter und Teilnehmer bei Eingreifen des Erzieherprivilegs vgl. § 180 Rdn. 20. Der Jugendliche, dem Pornographie zugänglich gemacht wird, ist stets notwendiger Teilnehmer, grundsätzlich auch der Erwachsene, der Bezieher von Pornographie ist (im einzelnen dazu vor § 174 Rdn. 13).

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VII. Strafzumessung. Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Haben die pornographischen Schriften bei einer Tat nach § 184 Abs. 3 den sexuellen Mißbrauch von Kindern (Rdn. 15) zum Gegenstand, ist die Strafe Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren. Die Anhebung des Strafrahmens dient der Zurückdrängung von Geldstrafen in diesem Bereich (BTDrucks. 12/4883 S. 8), welche der Gesetzgeber wegen des durch die mittelbare Verantwortlichkeit für den Kindesmißbrauch erhöhten Unrechtsgehalts des Delikts nicht als angemessene Ahndung ansieht. Die Anhebung des Strafrahmens soll außerdem eine verstärkte generalpräventive Wirkung entfalten. Geben die kinderpornographischen Schriften darüber hinaus ein tatsächliches Geschehen wieder (Rdn. 49) und handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande (Rdn. 52 a. E.), ist der Strafrahmen Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren (§ 184 Abs. 4). Auch für den Qualifikationstatbestand gilt das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 6). § 184 enthält keine dem § 21 Abs. 5 GjS entsprechende Vorschrift. Die genannte Vorschrift des GjS sieht die Möglichkeit des Absehens von Strafe vor, wenn ein Jugendlicher oder Angehöriger der geschützten Person die Schrift dem Jugendlichen angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht hat. Ein sinnvoller Grund, § 21 Abs. 5 GjS auf die entsprechenden Fälle des § 184 nicht anzuwenden, ist nicht ersichtlich (Lackner Rdn. 14; Laufliütte JZ 1974 46, 50).

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VIII. Konkurrenzen. Innerhalb des Tatbestandes verdrängen die Tatbestände, die ein Zugänglichmachen oder einen Vertrieb zum Gegenstand haben, die Tatvarianten, welche die Vorbereitung dazu unter Strafe stellen (§ 184 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Nr. 3), wenn eine Verwendug entsprechend den getroffenen Vorbereitungshandlungen tatsächlich stattgefunden hat (BGH NJW 1976 720; BGH bei Holtz M D R 1977 809). Sind die Verwendungshandlungen als Presseinhaltsdelikte (Abs. 1 Nr. 5 2. Alternative, Abs. 3 Nrn. 1, 2) verjährt, so kommt die kurze Verjährung auch den auf diese Verwendung gerichteten Vorbereitungshandlungen (obwohl sie als solche nicht der kurzen Verjährung unterliegen, BGSt. 8 245) zugute. Denn die Vorbereitungshandlungen gehen in dem anschließend begangenen Delikt auf und bilden zusammen mit diesem eine Pressestraftat (BGH M D R 1981 1032). Die kurze Verjährung, die mit dem ersten Akt der Verbreitung beginnt (BGH Beschluß vom 3. November 1980 - 3 StR 379/380 (S)), gilt auch für den Gehilfen (BGH MDR 1981 1032, 1033). Stand: 1. 8. 1994

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Verbreitung pornographischer Schriften

§ 184

Die Verbreitungstatbestände verdrängen die der Vorbereitung dienenden allerdings nur bezüglich solcher Schriften, die tatsächlich verbreitet worden sind (BGH Beschluß vom 3. November 1980 — 3 StR 379/80 (S)). Verbreiten, Herstellen, Beziehen und Vorrätighalten nach Absatz 3 verdrängen den Besitz oder die Besitzverschaffung nach Absatz 5. Innerhalb des Tatbestandes stehen die einzelnen Varianten (nicht die Tat- 56 bestandsalternativen innerhalb der jeweiligen Varianten: BGHSt. 5 381) grundsätzlich in Idealkonkurrenz zueinander. Das gilt nicht für Varianten, die keinen eigenen Unrechtsgehalt gegenüber anderen haben; so verdrängt Absatz 3 den Absatz 1 (mit Ausnahme von Abs. 1 Nrn. 1 und 6) 56 , Abs. 1 Nr. 5 verdrängt Abs. 1 Nr. 3 57 . Sind Presseinhaltsdelikte verjährt, so können die mit diesen in Idealkonkurrenz stehenden Tatbestände, die nicht Presseinhaltsdelikte sind, noch verfolgt werden. Werden durch eine Handlung, die nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 und 6 strafbar ist, mehrere geschützte Personen betroffen, so liegt gleichartige Idealkonkurrenz vor (vor § 174 Rdn. 20). Anders ist es bei den generalisierenden, abstrakten Gefahren vorbeugenden Regelungen der anderen Tatbestandsalternativen (hier ist das Delikt, auch wenn verschiedene Personen betroffen sind, nur einmal erfüllt). § 176 Abs. 5 Nr. 3 verdrängt § 184 Abs. 1 Nr. 1 (BGH M D R 1976 942). Das GjS tritt, soweit es um identische Tatbestände geht, zurück 58 . Idealkonkurrenz (so noch Laufliütte JZ 1974 46) ist nicht anzunehmen, weil ein zusätzlicher Unrechtsgehalt im gleichzeitigen Verstoß gegen die deckungsgleichen Vorschriften des GjS nicht zu sehen ist 59 . Gegenüber § 185 ist § 184 Abs. 1 Nr. 6 lex specialis. Idealkonkurrenz ist mit nicht deckungsgleichen Vorschriften des GjS und mit § 131 möglich. Zur Übergangsregelung vgl. vor § 174 Rdn. 23. IX. Recht des Einigungsvertrages. Zur Anwendbarkeit von bundesdeutschem 57 Recht oder Recht der D D R auf Tathandlungen im Beitrittsgebiet vgl. die Ausführungen vor § 174 Rdn. 24 und vor § 80 Rdn. 35 ff. In der D D R waren die Tathandlungen des § 184 durch die §§ 12560 und 14661 StGB-DDR unter Strafe gestellt. § 125 StGBD D R verbot, pornographische Erzeugnisse (Schriften, Bild- und Tonträger, Abbildungen, Filme und sonstige Darstellungen) zu verbreiten oder sonst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Erfaßt wurden alle Handlungen, durch die pornographische Erzeugnisse einer Mehrzahl anderer Personen gleichzeitig oder nacheinander zur Kenntnis gebracht wurden oder werden sollten sowie das Herstellen, Einführen 56

57

58

59

60

Wie hier Sch/Schröder/Lenckner R d n . 68; aA Lackner R d n . 12 (Tateinheit). Differenzierend Lackner ( R d n . 14): Abs. 1 Nr. 5 2. Alternative u n d Abs. 1 N r n . 1 bis 3 a stehen in Tateinheit, wenn das Angebot selbst p o r n o g r a phisch ist, w ä h r e n d bei Abs. 1 Nr. 5 1. Alternative u n d Abs. 1 N r n . 1 bis 3 a gleichwertige Begeh u n g s f o r m e n desselben Delikts vorliegen. O L G Stuttgart N J W 1976 529; BayObLGSt. 1979 49; Meier N S t Z 1985 341. Sch/Schröder/Lenckner R d n . 68 schlägt vor, die Verurteilung auf § 184 u n d § 21 G j S zu stützen, o h n e I d e a l k o n k u r r e n z a n z u n e h m e n . Eine solche Lösung ist im StGB aber nicht vorgesehen. § 125 S t G B - D D R i.d. F. des 5. S t R Ä n d G vom 14.12 1988 (GBl. 1 1989 34, 56) lautet: „ W e r p o r n o g r a f i s c h e Schriften oder a n d e r e pornografische A u f z e i c h n u n g e n , A b b i l d u n g e n , Film e o d e r Darstellungen verbreitet oder sonst der

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61

Öffentlichkeit zugänglich m a c h t , sie zu diesem Zwecke herstellt, e i n f ü h r t oder sich verschafft, wird mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung o d e r mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n b e s t r a f t . " § 146 S t G B - D D R i . d . F. des 5. S t R Ä n d G vom 14. 12 1988 (GBl. 1 1989 34, 59) lautet: „(1) Wer K i n d e r oder Jugendliche d a d u r c h gefährdet, d a ß er Schund- oder Schmutzerzeugnisse herstellt, e i n f ü h r t oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n oder mit Verurteilung auf Bewährung o d e r mit G e l d s t r a f e bestraft. .. (3) Schund- u n d Schmutzerzeugnisse sind Druck- oder ähnliche Erzeugnisse, die geeignet sind, bei K i n d e r n u n d Jugendlichen Neigungen zu Rassen- u n d Völkerhaß, G r a u s a m k e i t , Menschenverachtung, Gewalttätigkeit oder M o r d oder a n d e r e n Straftaten sowie geschlechtliche Verirrungen h e r v o r z u r u f e n . "

Heinrich Laufhiitte

§ 184

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

und Sich-Verschaffen pornographischer Erzeugnisse zu diesem Zweck. Hatten die pornographischen Erzeugnisse den Charakter von Schund- und Schmutzerzeugnissen, d . h . waren sie geeignet, bei Kindern und Jugendlichen Neigungen etwa zu Grausamkeit, Menschenverachtung, Gewalttätigkeit, Straftaten oder insbesondere geschlechtliche Verirrungen hervorzurufen, ging § 146 S t G B - D D R als spezielleres Gesetz vor. Wurden solche Erzeugnisse Kindern gezeigt oder auf andere Weise zugänglich gemacht, wurde eine G e f ä h r d u n g der Kinder als gegeben angesehen 6 2 . Beide Vorschriften sahen f ü r die Verbreitung pornographischer Erzeugnisse und die entsprechenden Vorbereitungshandlungen einen Strafoberrahmen von 2 Jahren Freiheitsstrafe vor, waren also strenger als die Strafdrohungen in § 184 Abs. 1, 2 und 5 und milder als die in § 184 Abs. 3 und 4.

§ 184 a Ausübung der verbotenen Prostitution Wer einem durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot, der Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft. Schrifttum Frickel Prostitution — ein Milieu mit Problemen, Kriminalistik 1990 243 ; Hanack Anm. zu BayObLGSt. 1978 152; JR 1980 434; Knapp Das Recht der Ordnungswidrigkeiten JuS 1979 614; Kreuzer Das älteste Gewerbe, Kriminalistik 1990 237; Lackner Das Fünfte Strafrechtsänderungsgesetz JZ 1960 437; Molloy Prostitution, Job-Beruf-Arbeit, in: 17. Strafverteidigertag 1993 S. 123; Schneider Prostitution, in: Schneider (Hrsg.) Kriminalität und abweichendes Verhalten Bd. 1 (1983) S. 565; Schneider Neuere kriminologische Forschungen zur Prostitution, Middendorf-Festschrift S. 257; Thiel Prostitution, Lekschas-Festschrift S. 185. Entstehungsgeschichte Vorläuferin der Vorschrift ist § 361 Nr. 6 c StGB a. F. In der bis zum Inkrafttreten des Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes vom 24. Juni 1960 (BGBl. 1447) geltenden Fassung bedrohte § 361 Nr. 6 c StGB mit Strafe 1 , wer gewohnheitsmäßig zum Erwerbe Unzucht trieb und diesem Erwerbe in einer Gemeinde mit weniger als 20 000 Einwohnern nachging, in der die Ausübung der Unzucht durch eine im Interesse des Jugendschutzes oder des öffentlichen Anstandes erlassene A n o r d n u n g der obersten Landesbehörde verboten war. Nachdem der Bundesgerichtshof in der in BGHSt. 11 31 abgedruckten Entscheidung ausgesprochen hatte, d a ß § 361 Nr. 6 bis 6 c eine abschließende Regelung enthielt — womit er in Großstädten vorgesehenen Sperrbezirksregelungen entgegentrat —, erweiterte der Gesetzgeber durch das f ü n f t e Strafrechtsänderungsgesetz — bei entsprechender Anpassung des § 361 Nr. 6 c StGB a. F. 62

Strafrecht d e r D D R , K o m m e n t a r zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987 § 146 A n m . 1.

1

In E r g ä n z u n g von § 361 Nr. 6 a u n d 6 b StGB a. F. : Die Vorschriften b e d r o h t e n mit Strafe, wer g e w o h n h e i t s m ä ß i g zum Erwerbe U n z u c h t trieb u n d diesem Erwerbe nachging: in d e r N ä h e von Kirchen oder in W o h n u n g e n , in d e n e n K i n d e r

oder Jugendliche zwischen 3 u n d 18 J a h r e n w o h n t e n ( N r . 6 a), oder in der N ä h e von Schulen oder a n d e r e n z u m Besuch durch K i n d e r oder Jugendliche bestimmten Orten o d e r in H ä u s e r n , in d e n e n K i n d e r oder Jugendliche zwischen 3 u n d 18 J a h r e n w o h n t e n , in einer diese M i n d e r j ä h r i g e n sittlich g e f ä h r d e n d e n Weise (Nr. 6 b).

Stand: 1. 8. 1994

(208)

A u s ü b u n g der verbotenen Prostitution

§

184

Ά

— die Befugnisse der Bundesländer, zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes die Ausübung der Gewerbsunzucht in Gemeinden unter 20 000 Einwohnern ganz und in Gemeinden über 50000 in Sperrbezirken (in Gemeinden zwischen 20000 und 50000 Einwohnern bestanden beide Möglichkeiten) zu verbieten (Lackner iZ 1960 437,438). Diese Regelung erwies sich für großstädtische Verhältnisse als zu wenig differenziert (vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1964 25). Sie wurde deshalb auf eine Gesetzesinitiative des Landes Hamburg, ebenfalls bei Anpassung des § 361 Nr. 6 c StGB a. F., durch die des Zehnten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 7. April 1970 (BGBl. I 313) abgelöst (jetzt Art. 297 EGStGB). Das zuvor verabschiedete Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 (BGBl. I 717) sah eine Ablösung des § 361 Nr. 6 a bis c StGB a. F. durch die §§ 184 c, 184 d vor. Diese — nicht in Kraft gesetzten — Vorschriften knüpften an den Vorschlag des E 1962 (§ 223 des Entwurfs) an, der — unter Ablösung der Übertretungen des § 361 Nr. 6 a bis c StGB a. F. — die Ausübung der Gewerbsunzucht an bestimmten Orten als Vergehen unter Strafe stellen wollte. Der Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (Bes. Teil, Sexualdelikte, 1968) hatte diesem Vorschlag widersprochen, und zwar insbesondere mit der Erwägung, daß die Regelung ungeeignet sei, Auswüchse der Straßenprostitution wirksam zu bekämpfen. Der Gesetzgeber folgte dem Vorschlag des Alternativ-Entwurfes, auf eine Strafvorschrift im Sinne des § 361 c StGB a. F. gänzlich zu verzichten, nicht, sah jedoch davon ab, die einfache Nichtbeachtung von Sperrbezirken bei Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht mit Strafe zu bedrohen. Er war der Auffassung, daß für solche Fälle eine Bußgeldvorschrift angebracht sei. Unter Strafe gestellt wurde aber die beharrliche Zuwiderhandlung gegen das Verbot, in einem Sperrbezirk der Gewerbsunzucht nachzugehen (BTDrucks. V/4095 S. 46, 48). Das 4. StrRG hat die bereits im 2. StrRG beschlossene Regelung — bei terminologischer Anpassung an den Sprachgebrauch des neuen Rechts (BTDrucks. VI/3521 S. 62) — in Kraft gesetzt, und zwar, soweit § 361 c StGB a. F. in Frage steht, in § 184 a. Es hat gleichzeitig die Ermächtigung zum Erlaß von Sperrbezirksverordnungen terminologisch in den Sprachgebrauch des 4. StrRG (Prostitution anstelle von Gewerbsunzucht) angepaßt (Art. 6 Nr. 2 des 4. StrRG) und den — einfachen — Verstoß gegen das Verbot, in Sperrbezirken der Prostitution nachzugehen, als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht (Art. 2 des 4. StrRG). Das am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch hat den Standort der zuletzt genannten Vorschriften neu festgesetzt (Art. 297 EGStGB, § 120 OWiG).

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. T a t h a n d l u n g e n 1. N a c h g e h e n d e r Prostitution in Sperrbezirken 2. Wirksamkeit des durch RechtsVO erlassenen Verbots der Prostitutionsausübung

Rdn. 1 2 2

III. IV. V. VI.

3. Beharrliche Z u w i d e r h a n d l u n g Subjektiver T a t b e s t a n d Täter u n d Teilnehmer Konkurrenzen Recht des Einigungsvertrages

. . . .

Rdn. 4 5 6 7 g

3

I. Geschütztes Rechtsgut. Ob die Vorschrift überhaupt kriminelles Unrecht be- 1 trifft, ist in Zweifel gezogen worden (Hanack JR 1980 435 unter Hinweis auf den Alternativ-Entwurf, siehe oben ; für die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit hat sich (209)

Heinrich Laufhütte

§

184 ä

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

auch die vom Niedersächsischen Justizministerium eingesetzte Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts ausgesprochen, DRiZ 1993 252). Die Entscheidung des Gesetzgebers ist aber nicht unvertretbar. Die Regelung schützt Erwachsene vor schwerwiegenden Belästigungen (vor § 174 Rdn. 11). Solche Verhaltensweisen sind jedenfalls dann pönalisierungswürdig, wenn die Belästigung wiederholt (beharrlich) vorgenommen wird. Bedenken können nicht daraus hergeleitet werden, daß die Vorschrift an außerstrafrechtliche Normen (Sperrbezirksregelung) anknüpft, die nicht vom Strafgesetzgeber erlassen worden sind. Insoweit hat sich das 2. StrRG einer Technik bedient, auf die der Strafgesetzgeber auch in anderen Rechtsgebieten — insbesondere im Umweltrecht (§§ 324 ff) — nicht verzichten kann und die bei § 184 a schon deshalb notwendig ist, weil der Bundesgesetzgeber die örtlichen Gegebenheiten, an die Sperrbezirksregelungen anknüpfen müssen, schwerlich überblikken kann. II. Tathandlungen 2

1. Gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist die Zuwiderhandlung gegen das Verbot, der — männlichen wie weiblichen — Prostitution in Sperrbezirken nachzugehen, mit Geldbuße bedroht. Das Merkmal „der Prostitution nachgehen" entspricht dem des § 180 a Abs. 1 (dort Rdn. 5). Es erfaßt auch Handlungen, die auf die Vornahme sexueller Handlungen abzielen 2 , wie das Sichanbieten, das Anwerben oder das Verhandeln mit Freiern beim sogenannten Straßenstrich, nicht aber telefonische Anbahnungsgespräche aus einer Wohnung im Sperrbezirk (aA BayObLG M D R 1989 181 mit Anmerkung Behm JZ 1989 301). Sperrbezirke sind solche, die in Verordnungen festgesetzt sind, die auf der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB (und seiner Vorgänger) beruhen. Von dem Inhalt der Verordnungen hängt es ab, ob die Ausübung der Prostitution in einer Gemeinde überhaupt verboten ist oder nur an bestimmten Orten oder zu bestimmten Tageszeiten. Ist das Nachgehen der Prostitution generell untersagt, so kommt es darauf, ob die Handlung öffentlich oder auffällig geschieht, nicht an (BayObLG M D R 1989 181 mit Anmerkung Behm JZ 1989 301). Zwar könnte das durch die Vorschrift geschützte Rechtsgut — Schutz vor schwerwiegender Belästigung — dafür sprechen, in § 184 a nur tatsächlich (einzelne Bürger) belästigende Handlungen zu erfassen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt will die Vorschrift jedoch von vornherein Handlungen unterbinden, die generell geeignet sind, auf nicht besonders prüde Bürger belästigend zu wirken (BayObLG M D R 1989 181 mit Anmerkung Behm JZ 1989 301 ; vor § 174 Rdn. 20). Sie erfaßt damit sämtliche Handlungen, die in den betroffenen Bezirken vorgenommen werden (BGHSt. 23 167, 174), auch Hausbesuche bei Freiern (BayObLG M D R 1989 181 mit Anmerkung Behm JZ 1989 301), nicht aber telefonische Anbahnungsgespräche von einer Wohnung im Sperrgebiet aus (aA BayObLG aaO), bei denen die Gefahr einer Belästigung generell ausgeschlossen ist.

3

2. Vorausgesetzt ist die Wirksamkeit des durch Rechtsverordnung erlassenen Verbots (vgl. zu den Regelungen im einzelnen Göhler OWiG, 10. Aufl., § 120 Rdn. 8). Gegen deren Ermächtigungsgrundlage (Art. 297 EGStGB und die Vorgängervorschriften, vgl. die Bern, zur Entstehungsgeschichte) bestehen, auch aus dem Gesichtspunkt ausreichender Bestimmtheit, keine verfassungsrechtlichen Bedenken 3 . Art. 297 2

BVerfG NJW 1985 1767 = StV 1985 177 mit Anmerkung Lüderssen-, BGHSt. 23 167, 173; OLG Karlruhe MDR 1974 858.

3

BayVerfGH NJW 1983 2188; VGHE 31 167, 174; VGH Mannheim DÖV1978848,849.

Stand: 1. 8. 1994

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Ausübung der verbotenen Prostitution

§ 184 a

EGStGB enthält eine abschließende Regelung (BGHSt. 1131) und darf vom Landesgesetzgeber nicht erweitert werden. Die Norm ermächtigt nicht nur zum Erlaß einer Verordnung, um die strafrechtliche Blankettnorm des § 184 a auszufüllen 4 . Das durch eine solche Rechtsverordnung geregelte Verbot der Prostitution hat vielmehr auch präventiv polizeilichen Charakter. Denn die strafrechtliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfaßt als zulässigen Annex auch die Befugnis zum Erlaß einer mit der strafrechtlichen Materie verknüpften polizeilichen Regelung (VGH Kassel NJW 1989 505 mit Nachweisen). Dies hat Bedeutung für die gerichtliche Nachprüfung der Rechtsverordnungen, die aufgrund des Art. 297 EGStGB erlassen werden. Über deren Verfassungswidrigkeit hat grundsätzlich der Richter zu entscheiden, der ihre Gültigkeit als Vorfrage der strafgerichtlichen Verurteilung zu beurteilen hat 5 . Bei Verordnungen, aus deren Anwendung Streitigkeiten entstehen können, die in die Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen, gibt es daneben die Möglichkeit der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 VwGO 6 durch das Oberverwaltungsgricht des Landes 7 . Erklärt das Oberverwaltungsgericht die Verordnung für nichtig, so ist die Entscheidung — auch für den Strafrichter — verbindlich (§ 47 Abs. 6 VwGO). Die Nichtigkeit der Norm kann sich aus ihrer Unbestimmtheit bei der Festlegung der Grenzen des Sperrbezirks ergeben (BVerwG NJW 1964 512). Diese sind in dem verkündeten Text festzusetzen. Auf Einträge in nicht veröffentlichten, amtlich verwahrten Karten darf die Verordnung nur verweisen, wenn die Regelung durch Worte nicht hinreichend deutlich wird und das Gebot der Rechtssicherheit die Verweisung erfordert. Die Nichtigkeit kann sich auch aus formellen Verletzungen ergeben (VGH Kassel NJW 1981 779: Verletzung des Zitiergebotes von Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG) oder aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen räumlichen Ausdehnung eines Sperrbezirks (BayVerfGH NJW 1983 2188, 2189; VGH Kassel NJW 1981 779, 780), wenn der Bereich, für den das Verbot der Prostitutionsausübung gelten soll, im Ergebnis das Kasernierungsverbot des Art. 297 Abs. 3 EGStGB unterlaufen würde; vgl. dazu VGH Kassel NJW 1981 779, 780. Die für die Ausübung der Prostitution verbleibenden Gebiete müssen nach ihrem Umfang unter Berücksichtigung der baulichen Nutzung im Verhältnis zu den Sperrbezirken noch von einiger Bedeutung sein (BayVerfGH NJW 1983 2188, 2189). 3. Unter Strafe gestellt ist nur eine beharrliche Zuwiderhandlung gegen das Verbot, 4 in Sperrbezirken der Prostitution nachzugehen. Das Merkmal der Beharrlichkeit (dazu Bandemer GA 1989 257 ; vgl. auch § 25 StVG) setzt zunächst eine wiederholte Begehung voraus. Es ist zwar nicht notwendig, daß gegen den Täter schon einmal ein Bußgeld festgesetzt worden ist. Der vorherige Verstoß muß aber auf der Basis derselben Rechtsverordnung abgemahnt worden sein 8 , weil nur bei vorheriger Abmahnung der Vorwurf erhöhter Pflichtwidrigkeit, den das Merkmal der Beharrlichkeit 4

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V G H Kassel N J W 1984 505; V G H M ü n c h e n N J W 1972 2149; die entgegenstehende Ansicht des V G H M a n n h e i m N J W 1968 2076 ist aufgegeben in D Ö V 1978 848; vgl. auch V G H Kassel N J W 1981 779. B V e r f G E 1 184; 17 208; 31 357, 362; 48 4 0 , 4 4 ; 68 319, 326; 71 305, 337; vgl. auch V G H M a n n h e i m N J W 1984 507. V G H M a n n h e i m D Ö V 1978 848; V G H Kassel N J W 1984 505; B a y V e r f G H N J W 1983 2188; Eyermann/Fröhler Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., § 4 7 R d n . 6 .

(211)

7

8

In Bayern des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, soweit nicht die Ungültigkeit einer N o r m aus a n d e r e n G r ü n d e n als aus G r ü n d e n der Verletzung eines G r u n d r e c h t s hergeleitet wird (BayV e r f G H N J W 19832188; Eyermann/Fröhler aaO R d n . 8 a). Offengelassen von B G H R G e w O § 148 Beharrlich 1 ; wie hier Horn SK R d n . 3 ; aA Dreher/Tröndle R d n . 5 ; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 5.

Heinrich Laufhütte

§

1 8 4

E

13. A b s c h n i t t . S t r a f t a t e n g e g e n d i e s e x u e l l e S e l b s t b e s t i m m u n g

voraussetzt, möglich ist. Ein einmaliger Verstoß reicht auch dann nicht aus (vgl. BGHSt. 23 167, 179), wenn in ihm besondere Hartnäckigkeit und gesteigerte Gleichgültigkeit zum Ausdruck kommen 9 . Beharrlichkeit ist nicht schon bei bloßer Wiederholung eines vorsätzlichen Verstoßes gegeben. Das Merkmal der Beharrlichkeit verlangt vielmehr eine nicht nur in der Wiederholung liegende gesteigerte Pflichtwidrigkeit. Eine solche wird sich regelmäßig nicht feststellen lassen, wenn etwa frühere Verstöße lange zurück- oder jeweils weit auseinanderliegen (BayObLGSt. 1988 40; OLG Köln GA 1984 333). Die erhöhte Pflichtwidrigkeit, nämlich die besondere Hartnäkkigkeit und die gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5), wird sich regelmäßig nicht schon bei der ersten Wiederholung feststellen lassen, es sei denn, daß der Täter besondere Schwierigkeiten in Kauf genommen und überwunden hat, die den Schluß auf eine — auch in die Zukunft gerichtete — hartnäckige Mißachtung des gesetzlichen Verbots zulassen. 5

III. Subjektiver Tatbestand. Der Tatbestand verlangt — zumindest bedingten — Vorsatz. Der Täter muß es für möglich halten und es muß ihm gleichgültig sein, daß er der Prostitution im verbotenen Bezirk oder zur verbotenen Zeit nachgeht (BGHSt. 23 167, 175; OLG Frankfurt NJW 1966 1526). Soweit das Merkmal der Beharrlichkeit in Frage steht, muß der Täter die Umstände kennen und billigen, welche die Wertung, es liege ein beharrlicher Verstoß vor, zulassen. Dazu ist erforderlich, daß ihm die vorherige Abmahnung zur Kenntnis gelangt ist.

6

IV. Täter und Teilnehmer. § 184 a ist eigenhändiges Delikt. Täter kann also nur die — männliche oder weibliche — Person sein, die der Prostitution in der verbotenen Weise nachgeht (BayObLG NJW 1985 1566 mit Anmerkung Geerds JR 1985 472). Der Sexualpartner des Täters ist notwendiger Teilnehmer (vor § 174 Rdn. 13). Im übrigen gelten für die Teilnahme die allgemeinen Regeln. Das Merkmal der Beharrlichkeit ist, da es eine gesteigerte Pflichtwidrigkeit voraussetzt, besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB. Es muß deshalb bei dem Teilnehmer gegeben sein (BayObLG NJW 1981 2766, 2767). Fehlt es an dem Merkmal, so liegen die Voraussetzungen der §§ 14 Abs. 4, 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vor. Teilnahme an § 184 a ist auch möglich, wenn der Täter selbst nicht beharrlich handelt und daher nur § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG erfüllt (BayObLG NJW 1985 1566 mit Anmerkung Geerds JR 1985 472). Ob Beihilfe auch durch Gewähren einer Wohnung geleistet werden kann, ist streitig 10 . Der ablehnenden Auffassung, die darauf gestützt ist, daß das Wohnungsgewähren an Prostituierte nur unter den Voraussetzungen des § 180 a Abs. 2 mit Strafe bedroht ist, ist mit dem Bayerischen Obersten Landesgericht (aaO) entgegenzuhalten, daß die §§ 180 a Abs. 2 und 184 a unterschiedliche Rechtsgüter schützen. Während § 180 a Abs. 2 dem Schutz der Prostituierten dient, bezweckt - § 184 a den Schutz des einzelnen vor schwerwiegenden Belästigungen. Handlungen, die aus der Sicht des in § 180 a geschützten Rechtsgutes nicht pönalisierungswürdig sind, können deshalb aus dem Blickwinkel des § 184 a durchaus strafrechtliches Unrecht darstellen. Diese Überlegung führt dazu, auch die Beihilfe durch Wohnungsgewährung durch § 184 a zu erfassen. Keine Beihilfe begeht dagegen ein Rechtsanwalt,

N a c h f r ü h e r e r A u f f a s s u n g k o n n t e n Teilakte einer fortgesetzten H a n d l u n g zur Feststellung des M e r k m a l s der W i e d e r h o l u n g genügen, vgl. B G H N S t Z 1992 594 u n d Bandemer G A 1989 262 f.

10

Bejahend B a y O b L G N J W 1981 2766; Sch/Schröder/Lenckner R d n . 7; verneinend Dreher/Tröndle R d n . 6 ; Lackner R d n . 7 ; Horn SK. R d n . 5.

Stand: 1. 8. 1994

(212)

Ausübung der verbotenen Prostitution

§ 184 a

der eine eventuell unrichtige Auskunft über die Gültigkeit einer Sperrbezirksverordnung erteilt (OLG Stuttgart OLGSt. StGB § 184 a Nr. 1). V. Konkurrenzen. Zur Problematik der Mehrzahl von Handlungen vgl. vor § 174 7 Rdn. 22. § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG tritt hinter § 184 a zurück (§ 21 OWiG). Idealkonkurrenz ist möglich mit den §§ 183 a, 184 b, in Fällen der Teilnahme auch mit § 180 a, § 181 a (Geerds JR 1985 472, 473 0VI. Recht des Einigungsvertrages. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit 8 des Rechts der D D R siehe vor § 174 Rdn. 24. In der D D R war Prostitution durch den § 249 Abs. 2 " ausnahmslos unter Strafe gestellt, Sperrbezirke gab es nicht. Daraus kann gefolgert werden, daß für Prostitutionsausübung in der ehemaligen D D R keine Strafdrohung mehr besteht und deshalb gemäß Art. 315 Abs. 1 BGStGB i.V.m. mit § 2 Abs. 3 StGB Straffreiheit eingetreten ist. Es widerspräche dem Zweck des § 184 a, das gesamte Beitrittsgebiet als Sperrgebiet anzusehen, denn der bundesdeutsche Gesetzgeber wollte die Ausübung der Prostitution nicht schlechthin verbieten, sondern nur die Allgemeinheit in bestimmten Bereichen vor den mit der Prostitution verbundenen Belästigungen schützen. Demgegenüber verfolgte der Gesetzgeber der D D R das Ziel, die Prostitutionsausübung insgesamt zu unterbinden, weil sie als eine Form asozialer Lebensweise galt, wie der Gesamtzusammenhang des § 249 StGB-DDR zeigt. Die Normen sind daher wesensmäßig nicht identisch. Allenfalls wäre daran zu denken, daß eine Strafbarkeit nach § 184 b gegeben sein könnte, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Schutz der Jugend ist allerdings nicht Ziel des § 249 Abs. 2 StGB-DDR 1 2 , sondern des § 145 StGB-DDR 1 3 (Verleitung zu asozialer Lebensweise). Das Verleiten erfordert aber eine aktive, unmittelbare, destruktive und entwicklungsgefährdende Einflußnahme 1 4 , die allein durch die Ausübung der Prostitution an den von § 184 b genannten Orten nicht gegeben sein dürfte. Eine Vergleichbarkeit der Normen, die es zuließe, nach § 145 StGB-DDR wie nach § 184 b StGB strafbares Verhalten als nach wie vor strafbar anzusehen, liegt deshalb nicht vor.

" § 249 StGB-DDR i.d.F. des 5. StRÄndG vom 14. 12. 1988 (GBl. 11989 34,75) lautet : „(1) Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer der Prostitution nachgeht oder in sonstiger Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch eine asoziale Lebensweise beeinträchtigt. (3)..." 12 Strafrecht der DDR, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 1987 § 249 Anm. 1 : „Die Bekämpfung und Verhütung asozialen Verhaltens dient der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit." (213)

15

14

§ 145 StGB-DDR i.d.F. des 5. StRÄndG vom 14. 12. 1988 (GBl. 1198934,57 0lautet: „Ein Erwachsener, der die geistige oder sittliche Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen dadurch gefährdet, daß er sie zu einer asozialen Lebensweise verleitet oder zur Begehung oder zur Teilnahme an einer mit Strafe bedrohten Handlung auffordert, ohne daß das Kind oder der Jugendliche diese Handlung ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft oder von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen." Strafrecht der DDR § 146 Anm. 5.

Heinrich Laufhütte

§

184 b

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§ 184b Jugendgefährdende Prostitution Wer der Prostitution 1. in der Nähe einer Schule oder anderen örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder 2. in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen, in einer Weise nachgeht, die diese Personen sittlich gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Siehe die Angaben bei § 184 a. Entstehungsgeschichte Vorläuferin des § 184 b ist § 361 Nr. 6 b StGB a. F. Diese Vorschrift ist durch das — insoweit nicht in Kraft gesetzte — 2. StrRG in § 184 c neu gefaßt und durch das 4. StrRG als § 184 b verabschiedet worden (zur Entstehungsgeschichte vgl. im einzelnen die Ausführungen bei § 184 a). Mit dem 4. StrRG ersatzlos weggefallen ist § 361 Nr. 6 a StGB a. F. (vgl. Fußnote 1 bei § 184 a). Das dort mit Strafe bedrohte Verhalten hat der Gesetzgeber (abweichend von den Vorschlägen des E 1962, dort § 223) nicht als pönalisierungswürdig angesehen (BTDrucks. V/4095 S. 48,49). Die Prostitutionsausübung in der Umgebung von Orten, an denen sich Jugendliche aufhalten, stellt kein strafwürdiges Unrecht dar, wenn eine sittliche Gefährdung der Jugendlichen nicht nachzuweisen ist. Bei der Prostitutionsausübung in der Nähe von Kirchen oder anderen der Religionsausübung dienenden Gebäuden ist zweifelhaft, ob damit eine Beeinträchtigung verbunden ist. Ist das zu befürchten, so kann von den Möglichkeiten des Art. 297 EGStGB (Einrichtung von Sperrbezirken) Gebrauch gemacht werden.

Übersicht I. Geschütztes Rechtsgut II. Tathandlung 1. Nachgehen der Prostitution a) in der Nähe von Schulen oder anderen zum Besuch durch Personen unter 18 Jahren bestimmten Örtlichkeiten (Nr. 1)

1

Rdn. 1 2

Rdn. b) in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen (Nr. 2) . . 2. Sittliche Gefährdung III. Subjektiver Tatbestand IV. Täter und Teilnehmer, Konkurrenzen, Recht des Einigungsvertrages

4 5 7 8

I. Geschütztes Rechtsgut. Die Vorschrift dient dem Jugendschutz (vor § 174 Rdn. 7). Sie soll verhindern, daß die sittlichen Wertvorstellungen (im einzelnen Rdn. 6) von Jugendlichen durch Zurschaustellung der Prostitutionsausübung negativ beeinflußt werden. II. Tathandlung

2

1. Die Vorschrift setzt voraus, daß der Täter der Prostitution nachgeht (zu diesem Merkmal § 180 a Rdn. 5), und zwar Stand: 1. 8. 1994

(214)

Jugendgefährdende Prostitution

§ 184 b

a) in der Nähe einer Schule oder anderen örtlichkeit, die zum Besuch durch Perso- 3 nen bis zu 18 Jahren bestimmt ist (Nr. 1); Fortbildungseinrichtungen für Erwachsene scheiden aus. Die gesetzliche Formulierung (Schule oder anderen ...) stellt klar, daß Schulen vom Tatbestand nur dann erfaßt sind, wenn sie zum Besuch von Personen bis zu 18 Jahren bestimmt sind. Bei den anderen Örtlichkeiten handelt es sich nicht nur um Gebäude (Kindergärten, Jugendheime), sondern auch um offene Einrichtungen, wie Spielplätze, Sportplätze, auch solche, die nur vorübergehend bestehen (Zeltlager). Die Einrichtungen müssen zum Besuch von Jugendlichen bestimmt sein. Maßgebend ist die Entscheidung desjenigen, der den Verwendungszweck verantwortlich festgelegt hat. Eine Bestimmung für Jugendliche liegt noch nicht darin, daß bestimmte Orte vorwiegend von Jugendlichen aufgesucht werden, wie Diskotheken, Eisdielen oder sonstige Lokale mit vielen minderjährigen Kunden. Das Merkmal ,,in der Nähe" erfaßt auch Handlungen „ i n " der Einrichtung (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 3). Es bezieht die Örtlichkeiten ein, die von den für Jugendliche bestimmten Örtlichkeiten eingesehen werden können (Horn SK Rdn. 3), nicht dagegen die Örtlichkeiten, die Jugendliche passieren, wenn sie die Einrichtung erreichen wollen. b) in einem Haus, in dem Personen unter 18 Jahren wohnen (Nr. 2). Das Merkmal 4 des Wohnens deckt sich inhaltlich mit dem der Wohnung in § 180 a Abs. 2 (dort Rdn. 13). Es erfaßt also nicht die Fälle der Unterkunft und des Aufenthalts. Auf die Zahl der im Hause wohnenden Jugendlichen kommt es nicht an. 2. Der Täter muß der Prostitution in einer Weise nachgehen, die „diese Personen" 5 — das sind die Besucher der in Nr. 1 genannten Örtlichkeiten und die jugendlichen Bewohner nach Nr. 2 — sittlich gefährdet. Das Merkmal ,,in einer Weise nachgehen" bedeutet, daß Verhaltensweisen, die so angelegt sind, daß sie eine Gefährdung von Minderjährigen regelmäßig ausschließen, nicht tatbestandsmäßig sind, selbst wenn — unvorhergesehen — ein Jugendlicher doch Kenntnis nimmt (Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 5). Geht der Täter der Prostitution ohne solche Vorsichtsmaßregeln nach, so verlangt der Tatbestand, daß die sittliche Gefährdung — mindestens — eines Minderjährigen tatsächlich eingetreten ist. Das setzt zunächst Beobachtung durch einen Minderjährigen voraus (Horn SK Rdn. 5; aA Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5). Denn die Gefahr muß für ein bestimmtes Kind oder einen bestimmten Jugendlichen konkretisiert sein. An dieser Konkretisierung fehlt es aber, wenn der Minderjährige die Handlung, die ihn hätte gefährden können, gar nicht wahrnimmt. Der Minderjährige muß zudem die Handlung in ihrer Bedeutung erkennen, er muß jedenfalls eine ungefähre, seinem Alter entsprechende Vorstellung von der Ausübung der Prostitution haben. Im einzelnen kann wegen der Problematik auf § 184 c Rdn. 20 ff verwiesen werden. § 184 b ist, soweit es auf die Frage, ob das Opfer den sexuellen Bezug der Handlung, von der es betroffen ist, erkennt, nicht vergleichbar mit § 176, der nicht den Nachweis einer konkreten Gefährdung verlangt (§ 184 c Rdn. 21). Anders liegt es bei § 184 b, wo die Gefahr der sittlichen Gefährdung nicht gegeben ist, wenn der Jugendliche die Bedeutung des von ihm beobachteten Vorganges nicht zur Kenntnis nimmt; in solchen Fällen kann er nicht konkret sittlich gefährdet sein. Das Merkmal der sittlichen Gefährdung entspricht dem Begriff der Gefährdung 6 des sittlichen Wohls in § 170d StGB a. F. Der letztgenannte Begriff wurde in den Beratungen zum Entwurf des 4. StrRG (§ 170 d n. F.) als zu wenig aussagekräftig angesehen (vgl. die Anhörung von Sachverständigen im Prot., 6. Wahlperiode S. 1253, Müller- Emmert in Prot. aaO, S. 1289, und Laufliütte aaO, S. 1381 ; BTDrucks. VI/3521 (215)

Heinrich Laufhütte

§ 184 c

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

S. 16) und durch folgende Umschreibung ersetzt: in die Gefahr bringt, in seiner ... psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen. Mit dem Merkmal der erheblichen Schädigung der psychischen Entwicklung sollten (BTDrucks. VI/3521 S. 16; kritisch Hanack NJW1974 1,2) anders als im alten Recht (BGHSt. 3 256) nur Verantwortlichkeiten für solche Fehlentwicklungen erfaßt werden, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu umschreiben sind. Diese für § 170d n. F. sinnvolle Auslegung — den Schweregrad der psychischen Fehlentwicklung macht das Gesetz dort durch Beispielsfälle (krimineller Lebenswandel, Nachgehen der Prostitution) deutlich — ist auch auf § 184 b übertragbar. Die sittliche Gefährdung verlangt deshalb den Eintritt der Gefahr der Schädigung der psychischen Entwicklung eines bestimmten Minderjährigen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn der Jugendliche in die konkrete Gefahr gerät, der Prostitution nachzugehen. Diese Gefahr kann auch bei bereits gefährdeten (verwahrlosten) Jugendlichen vorliegen, wenn die Gefährdung durch die Tat vergrößert wird. 7

III. Subjektiver Tatbestand. § 184 b verlangt — zumindest bedingten — Vorsatz. Dieser muß sich auch auf die in § 184 b genannten Örtlichkeiten sowie auf die Weise des Nachgehens der Prostitution beziehen, und er muß die Gefährdung des Jugendlichen umfassen (BGH M D R 1964 772).

8

IV. Täter und Teilnehmer, Konkurrenzen, Recht des Einigungsvertrages. Es gilt das zu § 184 a Ausgeführte (ein Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 enthält der Tatbestand — anders als § 184 a — allerdings nicht).

Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, 2. sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. Zu Schrifttum und Entstehungsgeschichte siehe die Angaben vor § 174; außerdem Beck Die sexuelle Handlung, Diss. Tübingen 1988, sowie Hassemer JuS 1981 383 und Horn JR 1981 251: Anm. zu BGHSt. 29 336. Übersicht Rdn.

Rdn. I. Die sexuelle H a n d l u n g 1. D e r Begriff der unzüchtigen H a n d lung (früheres Recht) 2. D e r Begriff der sexuellen H a n d l u n g (geltendes Recht) II. Die sexuelle H a n d l u n g v o n einiger Erheblichkeit

5 9

1. Erheblichkeit der unzüchtigen H a n d lung (früheres Recht) 2. Erheblichkeit der sexuellen H a n d lung (geltendes Recht) a) Erheblichkeit im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut (§ 184c Nr. 1)

Stand: 1. 8. 1994

9 10

10 (216)

Begriffsbestimmungen

§ 184 c

Rdn. b) Abwägungskriterien c) Vorsatz des Täters III. Sexuelle H a n d l u n g e n mit u n d o h n e Körperkontakt 1. Früheres Recht 2. G e l t e n d e s Recht a) Sexuelle H a n d l u n g e n mit K ö r p e r kontakt

11 13 14 14 15

Rdn. b) W a h r n e h m u n g der sexuellen Handlung c) W a h r n e h m u n g der sexuellen H a n d l u n g vor einem a n d e r e n . . . 3. Vorsatz 4. Bewußtsein des sexuellen Bezugs einer H a n d l u n g

17 18 19 20

16

I. Die sexuelle Handlung 1. Der Begriff hat den der unzüchtigen Handlung abgelöst (vor § 174 Rdn. 1,2). 1 Daneben enthielt das frühere Recht eine Reihe von Ausdrücken und Deutungen (gewerbsmäßige Unzucht, zur Unzucht mißbraucht, unzüchtige Schriften, unzüchtiger Verkehr, Gegenstände zu unzüchtigem Gebrauch u. a.), die das Merkmal Unzucht enthielten. Es bedeutete eine Handlung, die geschlechtliche (sexuelle) Beziehungen hat, auch wenn diese ohne Kenntnis von Willensrichtung und Gesinnung des Täters nicht ohne weiteres erkennbar sind (BGHSt. 1 168 ; 2 212 ; 17 280), subjektiv einer geschlechtlichen (sexuellen) Absicht entspringt (nämlich: der Absicht, den Geschlechtstrieb oder die Geschlechtslust zu erregen oder zu befriedigen) und objektiv das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl auf geschlechtlichem Gebiet gröblich verletzt (Mösl LK 9 vor § 173 Rdn. 4). Der Begriff verlangte also: a) Objektiv eine das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl auf geschlechtlichem Ge- 2 biet gröblich verletzende Handlung von einiger Erheblichkeit (RGSt. 67 170, 173; BGHSt. 1 293; 4 323, 324; 23 40, 41, 42). Der Begriff enthielt ein normatives Tatbestandsmerkmal mit kultureller Bewertung. Deshalb kamen nur sexuelle Handlungen in Betracht, die nach Anschauung des „normalen, gesunden Menschen" (BGHSt. 3 295, 297; 23 40, 41: normaler Mensch) das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzten. Nicht erforderlich war, daß jemand tatsächlich Anstoß genommen hatte, weswegen § 183 StGB a. F. zusätzlich das öffentliche Ärgernisgeben verlangte. Die Nichtverfolgung bestimmter Handlungen führte nach der Rechtsprechung nicht dazu anzunehmen, daß sie die Eigenschaft als strafbare Handlungen verloren (BGHSt. 5 346, 348). Der Wandel der allgemeinen Auffassung war jedoch zu berücksichtigen, dabei kam es weder auf die Anschauungen besonders prüder noch auf die ungewöhnlich weitherziger Kreise an (BGHSt. 23 40, 42, 43). Von Bedeutung waren die Besonderheiten der sachlichen und persönlichen Umstände und die Verhältnisse des Einzelfalles (RG JW 1937 2385). Der außereheliche Beischlaf wurde regelmäßig als unzüchtige Handlung angesehen (BGHSt. 6 46; 17 230). Im übrigen wurden aber nicht jede unangebrachte Liebkosung (RG JW 1936 1909) und nicht jede auf Sinnenlust beruhende handgreifliche Zudringlichkeit (RG HRR 1937 1050) erfaßt, sondern nur Handlungen von einiger Erheblichkeit; nach der Rechtsprechung genügten allerdings bereits (sexuell motivierte) Berührungen eines bekleideten Körperteils (RGSt. 58 277), unter Umständen reichte auch eine einzige Handlung aus (RGSt. 53 274). Unzüchtige Reden, die das Reichsgericht in Anwendung des § 174 StGB a. F. als ausreichend ansah, wenn es sich nicht um nur gelegentliche oder unbedeutende Redensarten handelte (RGSt. 76 165), schieden bei den Tatbeständen aus, die zur Voraussetzung hatten, daß der Körper eines anderen als Mittel zur Befriedigung der Wollust benutzt oder sonst irgendwie in Mitleidenschaft gezogen wird (BGHSt. 16 87, 88). (217)

Heinrich Laufhütte

§ 184 c

13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

3

b) Subjektiv eine geschlechtlicher (wollüstiger) Absicht entspringende Handlung, also eine Handlung zur Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebs oder der Geschlechtslust. Die Handlung mußte aus dem Motiv der „Sinnenlust" hervorgegangen oder von solcher Lust getragen sein. Die Rechtsprechung ließ es ausreichen, daß der Täter durch sein Tun nicht die eigene Geschlechtslust erregen oder befriedigen wollte, sondern daß es dem Interesse eines Dritten (Herstellung von Aktfotos für diesen) diente (BGHSt. 15 276, 278). Das sexuelle Motiv — als subjektives Unrechtselement — und der sexuelle Inhalt des Aktes mußten dem Täter bewußt sein, so daß unbewußte sexuelle Beweggründe nicht genügten. Doch brauchte sich der Täter des besonderen sexuellen Charakters seiner Lust nicht bewußt gewesen zu sein. Es genügte Vorsatz, soweit die objektive Seite der Handlung betroffen war, und in subjektiver Hinsicht eine Einstellung, die mit „Geilheit" bezeichnet wurde (Mösl LK 9 vor § 173 Rdn. 6). Unerheblich war, ob der Täter eigenen oder fremden Geschlechtstrieb erregen wollte (BGHSt. 15 277,278). Doch mußte die Handlung (abgesehen von den Fällen des § 183 StGB a. F.) „selbst innerlich von einer wollüstigen Absicht des Täters durchdrungen sein" (RGSt. 28 77, 80). Handlungen aus Scherz, schamlose Züchtigungen und Enthüllungen des Mißhandelten aus Wut (RG JW 1936 389) schieden ebenso aus wie Handlungen aus Aberglauben (RGSt. 57 239), Neugier oder Wißbegierde oder zu diagnostischen, therapeutischen oder sonstigen ärztlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Zwecken (Mösl aaO). Schwierigkeiten bestanden beim Zusammentreffen verschiedener Motive, wie etwa bei Mißhandlungen aus sadistischen oder bei mit unzüchtigen Absichten gekoppelten ärztlichen Handlungen. Das bloße Mitschwingen von Lustvorstellungen (BGHSt. 13 138, 142) reichte nach der Rechtsprechung noch nicht aus, um die Handlung zu einer unzüchtigen zu machen. Eine andere Sachlage wurde angenommen, wenn die Tat durch Handlungen charakterisiert war, die von wollüstiger Absicht getragen waren, so bei Mißhandlungen im Übermaß (BGHSt. 13 138, 140) oder bei einem ärztlichen Eingriff, der „über das notwendige Maß hinausgehende Gelegenheit zu einem Anblick oder zu Berührungen" bot (BGHSt. 13 138, 142). Nur Versuch lag vor, wenn der Täter in geringen Zudringlichkeiten seine sexuelle Erregung noch nicht gesucht hatte (RGSt. 67 170, 172).

4

Geschlechtliche Handlungen innerhalb einer Ehe waren keine unzüchtigen (Mösl LK 9 § 173 Rdn. 7). Die Anwendbarkeit des § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. auf erzwungene grob widernatürliche Handlungen wurde aber nicht ausgeschlossen (Mösl aaO und bei § 176 Rdn. 6).

5

2. Das Merkmal der sexuellen Handlung erfaßt die nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogenen Handlungen 1 , wobei Berührungen von zwei oder mehr Personen nicht erforderlich sind. Es kommen aber nur Handlungen am Körper oder des Körpers in Frage; bloße Reden (vgl. § 176 Abs. 5 Nr. 3) reichen nicht aus. Nicht notwendig ist es, daß der Bestimmende oder der Handelnde eine wollüstige Absicht hat (BGHSt. 29 336, 338; BGH Urteil vom 11. Mai 1993 - 1 StR 896/92 - , insoweit nicht zur Veröffentlichung in BGHSt. vorgesehen). Unzutreffend ist deshalb das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1984 — 2 StR 392/84 — mit Nachweisen zum alten Recht, wonach eine sexuelle Nötigung durch Herunterreißen der Kleidung voraussetzen würde, daß der Täter sich schon durch diese Handlung ge1

B G H S t . 29 336, 338 m. N. mit A n m . Hassemer J u S 1981 383 u n d Horn J R 1981 250; vgl. auch LencknerSR 1983 159,160; B G H N S t Z 1983 167.

Stand: 1. 8. 1994

(218)

Begriffsbestimmungen

§ 184 c

schlechtliche Erregung oder Befriedigung verschaffen wollte (vgl. § 178 Rdn. 3). Der Begriff „sexuelle Handlung" enthält keine moralische Komponente, erfaßt somit auch eheliche Handlungen. Das Merkmal stimmt damit nicht mit dem der unzüchtigen Handlung überein. Es ist zum Teil (schon wegen des Wegfalls der Reden) enger, zum Teil aber wegen des Fehlens der dem Begriff der Unzucht innewohnenden moralischen und subjektiven Komponente weiter (Sturm JZ 1974 1, 4). Das Gesetz verwendet regelmäßig den Begriff „sexuelle Handlung" in der Mehrzahl. Zur jeweiligen Tatbestandserfüllung reicht allerdings schon eine Handlung aus. Umstritten ist die Auslegung des Begriffs „sexuelle Handlung" bei Aktionen, die 6 nicht ohne weiteres als sexuelle zu erkennen sind, denen aber ein sexuelles Motiv zugrunde liegt. Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuchs (BT, Sexualdelikte, Begründung zu § Β 2)2 wollte stets nur an das äußere Erscheinungsbild anknüpfen. Maurach/Schroeder/Maiwald (BT 1 § 17 Rdn. 30) verstehen den Begriff der sexuellen Handlung ebenfalls objektiv, lassen es aber genügen, wenn die Sexualität einer Handlung nicht durch ihr äußeres Erscheinungsbild ermittelt werden kann, aber von der geschützten Person erkannt wird. Während der Beratungen des 4. StrRG ( von Bülow Prot., 6. Wahlperiode S. 2007, 2008) wurde für ambivalente Handlungen eine gemischt objektiv-subjektive Auslegung für richtig gehalten, der Lackner (§ 184 c Rdn. 3) und im Ergebnis auch Lenckner (Schönke/Schröder § 184 c Rdn. 6 ff) zustimmen. Die Streitfrage ist im Sinne der objektiven Auslegung zu lösen: a) Das ergibt der allgemeine Sprachgebrauch, der es nahelegt, an einen äußerlich sichtbaren, für einen Betrachter als sexuelle Handlung erkennbaren Vorgang anzuknüpfen und nicht an Lebenssachverhalte, die ihren sexuellen Bezug nur in Tendenzen des Handelnden haben. Diese Auslegung führt zu einer dem Sinn des Strafrechts entsprechenden Beschränkung. Innere Vorgänge, die nicht nach außen wirken, sind nicht pönalisierungswürdig („die Gedanken sind frei"). Deshalb sind weder Berührungen der Geschlechtsorgane durch einen Gynäkologen (aA von Biilow Prot. S. 2008, der es allerdings an der Erheblichkeit der Handlung fehlen läßt) noch sonstige indifferente Handlungen — wie Züchtigungen, Säuberungen eines anderen, Urinieren, Umarmungen und Küsse bei Begrüßungen oder Verabschiedungen (u. ä.) — sexuelle. Solche Handlungen können jedoch durch Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles zu sexuellen werden, wie etwa das Entblößen des Oberkörpers (BGH NStZ 1985 24) oder des Geschlechtsteils (BGH Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 3 9 2 / 8 4 - ; anders aber BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 3; vgl. auch BGHR StGB § 176 Abs. 1 Mindestfeststellungen 2 zum Sichausziehen), das Fotografieren bekleideter Kinder in sexualbezogenen Posen (BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5), starkes Waschen im Genitalbereich (BGHR aaO Erheblichkeit 1), das Urinieren eines Kindes in den Mund des Täters (BGH bei Holtz M DR 1980 454) oder das Urinieren des Täters auf den Körper einer Frau (BGH Beschluß vom 8. Dezember 1982 — 3 StR 446/82 —), nicht aber das Urinieren in ein Feuer (BGH Beschluß vom 23. Februar 1982 - 5 StR 667/81 - ) . Das gilt auch für sadistische 3 oder masochistische Handlungen, also für körperliche Züchtigungen, die der sexuellen Erregung des Züchtigenden oder des Opfers dienen. Handlungen eines Arztes können sexuelle dann sein, wenn sie in der Form, in der sie vorgenommen So auch Dreher JR 1974 45, 47; Dreher/Tröndle vor § 174 R d n . 6; Maiwald G A 1979 153, 154; Horn SK § 184c R d n . 2; Bockelmann BT 2 § 27 III 2 a. (219)

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B G H Urteil vom 21. August 1979 - I StR 4 0 5 / 7 9 — ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT Teilband I § 18 R d n . 16; aA Sch/Schröder/Lenckner § 178 R d n . 3.

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werden, medizinisch nicht indiziert oder nicht „lege artis" ausgeführt sind (vgl. OLG Hamm NJW 1977 1499), so daß der Charakter des ärztlichen Eingriffs durch den Sexualbezug überlagert ist. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine an sich ambivalente Handlung in Wahrheit eine sexuelle ist, ist nicht das Urteil der geschützten Person (aA Maurach/Schroeder/Maiwald aaO § 17 Rdn. 31). Darauf kann es schon deshalb nicht ankommen, weil diese Person (wie bei ärztlichen Eingriffen) die Sexualbezogenheit oftmals gar nicht erkennen kann. Entscheidend ist vielmehr das Urteil eines — gedachten — objektiven Betrachters, der alle Umstände des Einzelfalles kennt (BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5). 7

b) Eine — entsprechend diesen Kriterien — nach dem äußeren Erscheinungsbild als sexualbezogen zu bezeichnende Handlung bleibt auch bei fehlenden sexuellen Tendenzen eine sexuelle Handlung 4 . Eine pornographische Live-Show besteht deshalb aus sexuellen Handlungen, selbst wenn ihnen kein sexuelles Motiv, sondern lediglich Geschäftsinteresse zugrunde liegt (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8). Sexuelle Handlungen verlieren ihren sexuellen Bezug (anders als unzüchtige) auch nicht, wenn sie aus Scherz, Aberglaube, Neugierde oder aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder sexualpädagogischen Zwecken vorgenommen werden (Horn SK Rdn. 2; Dreher/Tröndle vor § 174 Rdn. 7).

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c) Die hier vertretene Auffassung, daß der sexuelle Vorgang nach dem äußeren Erscheinungsbild — objektiv — erkennbar sein muß, führt nicht zur Außerachtlassung der Kenntnisse und Vorstellungen des Täters (wegen des Opfers vgl. Rdn. 20). Das Vorliegen der sexuellen Handlung muß — wie jedes Tatbestandsmerkmal — vom Vorsatz des Täters umfaßt sein (der 13. Abschnitt enthält keine Tatbestände, die auch fahrlässig erfüllt werden können). Das bedeutet, daß der Täter, wenn er nicht mit direktem Vorsatz einen der Tatbestände des Abschnittes verwirklicht (Schroeder LK 10 § 16 Rdn. 81 ff), wenigstens mit dolus eventualis handeln muß (Schroeder LK 10 § 16 Rdn. 85 ff). Das tut er schon, wenn er den Bedeutungsinhalt der Handlung mit ihrem sexuellen Bezug wenigstens nach Laienart erkennt (BGH Urteil vom 11. Mai 1993 — 1 StR 896/92 —, insoweit nicht zur Veröffentlichung in BGHSt. vorgesehen; Horn SK Rdn. 3) und die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält und billigt (vgl. im übrigen Schroeder LK10 § 16 Rdn. 93 a. E.). Die Vorsatzfrage wirft keine Probleme auf bei Taten, bei denen es dem Täter nur auf die sexuelle Handlung ankommt, wohl aber bei Taten, die auf ein Motivbündel (BGHSt. 13 138, 140) zurückzuführen sind. Bei diesen muß der Täter zwar nicht — wie nach altem Recht — mit wollüstiger Absicht handeln. Er muß aber den sexuellen Bezug der Handlung im Sinne des dolus eventualis erkennen und die Tatbestandsverwirklichung billigen. Das kann auch vorliegen, wenn er aus Wut handelt (BGH NStZ 1983 167). II. Die sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit

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1. Der wertende Begriff der unzüchtigen Handlung erfaßte nur Handlungen von einiger Erheblichkeit (Rdn. 2), weshalb das Unanständige, Unangebrachte, Anstößige, Geschmacklose, Unschamhafte und Widerwärtige nicht ohne weiteres als unzüchtig angesehen wurde (BGHSt. 17 280). In Zweifelsfällen war vom Richter zu fragen, ob die Schwere der angedrohten Ahndung in einem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Handlung stand. 4

BTDrucks. VI/3521 S. 36; B G H Urteil vom 11. Mai 1993 - 1 StR 8 9 6 / 9 2 - , insoweit nicht zur Veröffentlichung in BGHSt. vorgesehen;

Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1 § 17 R d n . 30; Bockelmann BT § 27 III 2 b ; Horn SK R d n . 2.

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Begriffsbestimmungen

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2. Die Erheblichkeit der sexuellen Handlung ist gemäß § 184 c Nr. 1 im Hinblick 10 auf das jeweils geschützte Rechtsgut (vor § 174 Rdn. 1 ff) zu ermitteln. a) Der Gesetzesfassung ist generell zu entnehmen, daß unerhebliche Handlungen, die nach früherem Recht nicht als unzüchtige angesehen wurden, also das bloß Unanständige, Unangebrachte, Anstößige, Geschmacklose, Unschamhafte, Widerwärtige — soweit es sich dabei nach dem äußeren Erscheinungsbild überhaupt um sexuelle Handlungen handelt —, ohne weiteres als nicht tatbestandsmäßig ausgeschieden werden können. Es scheiden auch bloße sexuelle Zudringlichkeiten aus, wie ein flüchtiger Griff an die Außenseite des Oberschenkels eines Kindes (BGH bei Dallinger MDR 1974 545), das Umfassen der Hüfte oder Streicheln des Körpers ohne Berührung des Geschlechtsteils, sowie das Küssen auf Gesicht und Hals (BGH Beschluß vom 19. September 1978 — 5 StR 514/78 —) oder das Umfassen des Opfers verbunden mit Küssen auf Nacken, Haar und Kopf und dem festen Drücken von dessen Hand auf das bedeckte Geschlechtsteil des Täters (BGH NStZ 1993 182), soweit es sich um einen kurzen Vorgang handelt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat insoweit die Formel entwickelt, daß kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen nicht tatbestandsmäßig sind 5 . Die Abgrenzung ist Tatfrage. Der BGH hat in der bei Daliinger MDR 1974 366 mitgeteilten Entscheidung den gezielten Griff an den bekleideten Geschlechtsteil mit leichtem Drücken 6 und in dem Beschluß vom 26. September 1974 — 4 StR 420/74 — den Griff unter den Schlüpfer an den unteren Teil des Bauches als tatbestandsmäßig genügen lassen. Erheblich ist jedenfalls der Griff an den nackten Geschlechtsteil (BGHSt. 35 76, 78; BGH Beschluß vom 17. August 1993 - 1 StR 492/93 - ) . I n d e m Beschluß vom 12. Dezember 1979 — 2 StR 460/79 — hat der BGH das kurze Betasten des nackten Gesäßes eines achteinhalbjährigen Kindes, das auf dem Schoß des Täters saß, im Hinblick auf die Dauer und Intensität als nicht ausreichend angesehen, in BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 3 (Betasten des bedeckten Gesäßes eines Mädchens im Omnibus) hat er die Frage offengelassen. Berührung oder Zurschaustellung des unbedeckten Geschlechtsteils sprechen in der Regel für die Erheblichkeit der sexuellen Handlung. Als unerheblich wurde etwa angesehen das Aufsichwerfen des bekleideten Täters auf das bekleidete Opfer (BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 3); Erheblichkeit wurde dagegen bejaht in dem Fall, daß beide unbekleidet sind (BGHR aaO sexuelle Handlung 5). Erheblichkeit ist auch gegeben beim Fotografieren nackter Kinder (BGHR StGB § 176 Abs. 5 sexuelle Handlung 1 ; OLG München OLGSt. StGB § 184 Nr. 1), während beim Fotografieren bekleideter Kinder in sexualbezogenen Posen schon das Vorliegen einer objektiv sexuellen Handlung fraglich sein kann (BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5). In dem in StV 1983 415 abgedruckten Beschluß hat der 3. Strafsenat des BGH beim Griff in die Schambehaarung die Tatbestandsmäßigkeit bejaht, das Betasten der Brüste „ f ü r einige Augenblicke" mit spürbarem Griff dagegen nicht ausreichen lassen 7 . Insbesonde5

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B G H StV 1983 415; B G H EzSt. Nr. 2 zu § 176 S t G B ; B G H Beschlüsse vom 12. J a n u a r 1979 — 3 StR 507/78 - , vom 12. D e z e m b e r 1979 - 2 StR 4 6 0 / 7 9 - , u n d vom 17. Februar 1984 - 3 StR 41 / 84. Ebenso B G H R StGB § 184c Nr. I Erheblichkeit 4. Erheblichkeit hat der B G H auch bejaht f ü r den festen G r i f f über der Hose an die Scheide eines 9jährigen M ä d c h e n s ( B G H R S t G B § 1 8 4 c N r . 1 Erheblichkeit 6) u n d für heftige Berührungen über der

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Hose an Scheide u n d After eines nicht ganz achtjährigen M ä d c h e n s ( B G H bei Miebach N S t Z 1983 228 Nr. 46). A n d e r s für den Griff an den mit einem Bustier bedeckten O b e r k ö r p e r eines 9jährigen M ä d c h e n s B G H R StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 6; vgl. auch B G H bei Miebach N S t Z 1994 226; zur unterschiedlichen Bestimmung d e r Erheblichkeitsschwelle je nach dem geschützten Rechtsgut siehe R d n . 12.

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re die letzte Entscheidung läßt eine zu begrüßende Tendenz der Rechtsprechung erkennen, „Minima" generell als nicht strafwürdig anzusehen 8 . Zu hohe Anforderungen stellt aber das Urteil vom 15. Februar 1990 — 4 StR 655/89 —, das die Erheblichkeit eines Bisses in die Brust eines 15jährigen Mädchens verneint. Sexuell motivierte Körperverletzungen sind in der Regel erhebliche sexuelle Handlungen, ebenso wie die gewaltsame Entblößung des Geschlechtsteils durch Herunterreißen der Kleidung, die für das Opfer körperlich spürbar ist9. 11

b) Die gesetzgeberische Lösung, daß sich die Erheblichkeit einer sexuellen Handlung — abgesehen von den überhaupt nicht pönalisierten Geringfügigkeiten — nach dem jeweils geschützten Rechtsgut richtet, knüpft an die Rechtsprechung zum Begriff der Unzucht an, die bei den aus Sinnenlust vorgenommenen Handlungen (BGHSt. 18 169: Zungenküsse) differenzierte, ob sie gegenüber Kindern oder Erwachsenen vorgenommen wurden. Bei Erwachsenen richtete sich die Wertung darüber hinaus nach der in Betracht kommenden Strafvorschrift und den näheren Tatumständen. § 184 c Nr. 1 verlangt noch eine kompliziertere Abwägung deshalb, weil die Vorschrift die Erheblichkeit von dem jeweils geschützten Rechtsgut (dazu vor § 174 Rdn. 1 ff) abhängig macht (BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 4 und 6), was mit Schwierigkeiten deshalb verbunden ist, weil für bestimmte Tatbestände auch mehrere geschützte Rechtsgüter (insbesondere kommen die Schutzgüter Jugendschutz und sexuelle Selbstbestimmung dabei in Frage) von Bedeutung sein können.

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Noch schwieriger lösbar ist das vom Gesetz offengelassene Problem, nach welchen Kriterien die Erheblichkeit für das jeweils geschützte Rechtsgut gemessen werden soll (dazu Horn SK Rdn. 10 ff). Eine Ausrichtung nach dem Grad der Gefährdung oder dem Grad der Beeinträchtigung des Rechtsgutes würde dann auf Bedenken stoßen, wenn der Nachweis verlangt würde, daß die Rechtsgüter eines bestimmten einzelnen durch starke oder weniger starke Eingriffe konkret gefährdet oder beeinträchtigt werden. Dieser Nachweis würde beim Jugendschutz schon deshalb auf Schwierigkeiten stoßen, weil von Fall zu Fall verschieden sein kann, ob und inwieweit eine Handlung die sexuelle Entwicklung eines Jugendlichen beeinträchtigt. Dabei kommt es im Einzelfall weniger auf das Gewicht der einzelnen Handlung an als auf die Sensibilität des Jugendlichen. Das Schutzgut sexuelle Selbstbestimmung ist unabhängig davon berührt, ob es sich um eine gewichtige oder weniger gewichtige Handlung handelt. In beiden Fällen geschieht die Handlung gegen den Willen des Betroffenen, beeinträchtigt also seine sexuelle Selbstbestimmung. Eine bestimmte Person kann einen Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung durch eine objektiv schwerwiegende Handlung leicht und eine andere bestimmte Person einen Verstoß durch eine objektiv weniger gravierende Beeinträchtigung schwer nehmen. Entsprechendes gilt bei Verstößen gegen das Rechtsgut Schutz vor schwerwiegenden Belästigungen. Bei der Würdigung, ob eine Handlung im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich ist, wird man demnach grundsätzlich auf das objektive Gewicht der Handlung abzustellen haben, die Wirkung auf die bestimmte betroffene Person ist zu vernachlässigen, wenn auch 8

So auch BGHSt. 35 76 u n d Urteil vom 17. März 1988 — 5 StR 6 7 7 / 8 6 — f ü r das Abtasten am Körper u n d Beschlüsse vom 16. Dezember 1983 — 3 StR 5 2 2 / 8 3 - u n d vom 17. F e b r u a r 1984 — 3 StR 4 1 / 8 4 — : Betasten der Brüste über der Bekleidung. ' B G H Urteil vom 31. O k t o b e r 1984 — 2 StR

392/84 aA B G H N S t Z 1990 490; 1993 78; B G H R § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 2; B G H N S t E Nr. 8 zu § 178. Dabei k o m m t es nicht d a r a u f an, o b sich d e r Täter bereits durch das Entkleiden des O p f e r s geschlechtlich erregen oder befriedigen will, vgl. R d n . 6.

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Begriffsbestimmungen

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deren Vorstellungen und Kenntnisse nicht gänzlich unbeachtlich sind (vgl. hierzu Rdn. 6). Die Erheblichkeit ist generell an dem vom Gesetzgeber abstrakt als schützenswert vorgegebenen Rechtsgut zu messen. Beim Jugendschutz ist insoweit zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber den Schutz nach dem jeweiligen Alter abstuft. Wenn Handlungen, die gegenüber einem Siebzehnjährigen begangen wurden, strafrechtlich noch hingenommen werden können, können diese, wenn sie sich gegen einen Dreizehnjährigen richten, von Erheblichkeit sein (vgl. BTDrucks. V/3521 S. 30 zu § 175). Soweit das Rechtsgut sexuelle Selbstbestimmung betroffen ist, ist die Erheblichkeitsschwelle gegenüber Personen, deren Abwehrfähigkeit beschränkt ist (vgl. §§ 174 a, 179), eher überschritten als gegenüber Personen, die sich gegen sexuelle Zudringlichkeiten zur Wehr setzen können. Bei Schutzbefohlenen (§ 174) liegt die Schwelle niedriger (BGH StV 1983 415 : wie bei § 176) als bei nur durch § 178 geschützten Personen. Notwendig ist stets eine umfassende Wertung (BGH StV 1983 415,416 zu § 178: Zungenkuß), bei der auch die Begleitumstände der Handlung zu berücksichtigen sind. Soweit es sich um das Rechtsgut Schutz vor Belästigung handelt, denen sich der einzelne entziehen kann, sind schließlich strengere Anforderungen zu stellen als bei Handlungen, welche die sexuelle Selbstbestimmung betreffen und deren Verletzung die Rechtsposition des einzelnen im Kern treffen. Im übrigen ist bei der Prüfung, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, Art, Dauer und Intensität der sexuellen Handlung (vgl. BGH NStZ 1985 24) sowie der Handlungsrahmen und die Beziehung der Beteiligten zueinander (BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4 und 6), nicht aber die Intensität des Begleitgeschehens (aA BGH NJW 1989 3029; vgl. auch § 178 Rdn. 3) zu berücksichtigen und zu fragen, ob die mit der Bejahung der Erheblichkeit gegebene Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der angedrohten Strafe steht (vgl. BGHSt. 17 280, 288 zum Begriff der Unzucht). c) Der Vorsatz des Täters muß auch die Erheblichkeit umfassen. Vorsätzlich han- 13 deh der Täter nur dann, wenn er die Umstände kennt, die dazu führen, die Handlung als erhebliche anzusehen (vgl. auch Rdn. 8).

III. Sexuelle Handlungen mit und ohne Körperkontakt 1. Das früher geltende Recht differenzierte nicht präzise zwischen Handlungen mit 14 und ohne Körperkontakt. Die Begriffe Unzucht treiben „mit" und „zur Unzucht mißbraucht" wurden dahin ausgelegt, daß der Körper eines Beteiligten als Mittel zur Befriedigung der Wollust benutzt oder sonstwie in Mitleidenschaft gezogen wurde (vgl. Mösl LK 9 § 174 Rdn. 22, § 175 Rdn. 7). Nach der Rechtsprechung war es sonst nicht erforderlich, daß eine körperliche Berührung stattgefunden hatte oder auch nur beabsichtigt war (BGHSt. 16 87, 88). 2. Das 4. StrRG hat die in Frage kommenden Tatbestände (insbesondere §§174 15 bis 176) eingeengt und mögliche Streitfragen beseitigt, indem es genau unterscheidet zwischen sexuellen Handlungen mit Körperkontakt (die sexuell „intendierte" körperliche Berührung des anderen, BGH Beschluß vom 2. November 1983 — 3 StR 441/83 — : je nach Tatbestandsausgestaltung von dem Täter oder einem Dritten an dem Opfer oder von dem Opfer an dem Täter oder einem Dritten) und sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt (des Täters — nicht eines Dritten — vor dem Opfer oder des Opfers vor dem Täter oder einem Dritten). Daß sexuelle Handlungen vor (223)

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

dem Opfer oder vor dem Täter oder einem Dritten nur solche sind, die den Körper des Täters oder des Opfers — ohne Körperkontakt — einsetzen, folgt aus § 176 Abs. 5 Nr. 3, der eine spezielle Regelung für Fälle des Einwirkens durch andere nicht körperbezogene Handlungen (Reden, Vorzeigen von Abbildungen und Abspielen von Tonträgern) vorsieht. 16

a) Bei Handlungen an dem Täter oder dem Opfer oder dem Dritten reicht es aus, daß der Kontakt zum Körper des anderen durch einen Gegenstand hergestellt wird. Entsprechendes gilt für das Ejakulieren (vgl. den dem Beschluß des BGH vom 12. November 1982 — 3 StR 401/82 — zugrunde liegenden Sachverhalt) oder das Urinieren (BGH Beschluß vom 8. Dezember 1982 - 3 StR 446/82 —) auf den Körper des Opfers oder auf den Körper des Täters oder eines Dritten, allerdings kann die Art der Bekleidung in diesen Fällen den körperlichen Kontakt verhindern (BGH NStZ 1992 433: Lederjacke). Bei den Handlungen, die an dem Opfer vorgenommen werden, unterscheidet das Gesetz zwischen Handlungen des Täters an dem Opfer und solchen, bei denen der Täter das Opfer bestimmt, sexuelle Handlungen (von einem Dritten) an sich vornehmen zu lassen. Handlungen des Opfers können solche sein, die der Täter an sich vornehmen läßt — das ist kein bloßes Unterlassen, so daß § 13 nicht anzuwenden ist — , und solche, zu denen er das Opfer bestimmt. Soweit das Gesetz darauf abstellt, daß der Täter Handlungen begeht oder an sich vornehmen läßt, ist es gleichgültig, von wem die Initiative ausgeht. Soweit ein Bestimmen verlangt wird, kommt es darauf an, daß der Täter durch sein Einwirken den Entschluß zum Handeln weckt (vgl. § 174 Rdn. 5, 20; § 176 Rdn. 4, 6).

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b) Fraglich ist, ob das Opfer den sexuellen Vorgang als solchen (zur Bewußtwerdung des sexuellen Bezugs der Handlung vgl. Rdn. 20) wahrnehmen muß. Die Frage ist zu verneinen (anders die Vorauflage) bei den Tatbeständen, die dem Jugendschutz (vor § 174 Rdn. 7 f f ) dienen; eine Ausnahme stellt § 182 dar, wo sich das Problem nach der Tatbestandsfassung nicht stellt. Denn vor sexuellen Handlungen, die den Körper des Kindes in Mitleidenschaft ziehen, soll das Kind nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers schlechthin geschützt sein, auch wenn es den sexuellen Vorgang als solchen gar nicht wahrnimmt, etwa weil es zur Zeit der Handlung schläft (BGHSt. 38 68 mit Anmerkung Molketin NStZ 1992 179; BGHSt. 15 197 zum alten Recht; Horn SK § 176 Rdn. 3). Bei den Tatbeständen, die der sexuellen Selbstbestimmung (vor § 174 Rdn. 4 ff) dienen, könnte man der Auffassung sein, daß ein vom Einverständnis nicht gedeckter Vorgang, auch wenn er nicht wahrgenommen wird, immer tatbestandsmäßig ist (Lenckner JR 1983 159; aA Horn SK Rdn. 16). Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Frage ist vielmehr nach dem Inhalt des jeweiligen Tatbestandes zu entscheiden; bei § 179 Abs. 1 Nr. 1, der für Fälle dieser Art geschaffen ist, ist sie zu bejahen; Entsprechendes gilt für § 174 a Abs. 2. Bei den anderen Vorschriften wird man die Wahrnehmung des Vorganges, der die Selbstbestimmung beeinträchtigt, verlangen müssen; denn Fälle, bei denen dies nicht der Fall ist, sind strafrechtlich durch § 179 Abs. 1 Nr. 1 (in Verb, mit § 179 Abs. 2) abgedeckt. Die §§ 183,183 a (vor § 174 Rdn. 11) setzen voraus, daß ein anderer Kenntnis von dem sexuellen Bezug der exhibitionistischen oder ärgerniserregenden Handlung hat.

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c) Sexuelle Handlungen vor einem anderen sind nach § 184 c Nr. 2 nur solche, die vor einer Person — je nach Sachlage vor dem Täter, Opfer oder einem Dritten — vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt. Damit wird klargestellt, daß hier die bloße Anwesenheit eines anderen nicht ausreicht. Handlungen vor dem UnaufStand: 1. 8. 1994

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merksamen oder Schlafenden sind also nicht erfaßt. Gleichgültig ist, wie der Vorgang wahrgenommen wird. Neben der optischen reicht also die akustische Wahrnehmung aus. Führt das Opfer sexuelle Handlungen vor einem anderen aus, so muß es sich — was in § 184 c zwar nicht ausgesprochen ist, was aber aus dem Sinn der Vorschrift folgt — der Tatsache, daß ein anderer Kenntnis nimmt, bewußt sein. Derjenige, der sich unbeobachtet glaubt, handelt deshalb nicht tatbestandsmäßig. Fraglich ist, ob ein Dritter, der den Vorgang wahrnimmt, seinen sexuellen Bezug erkennen muß. Dem Tatbestand des § 176 Abs. 2 ist zu entnehmen, daß es jedenfalls für die dortigen sexuellen Handlungen mit Körperkontakt wohl auf die Wahrnehmung der Handlung als solche durch den Dritten ankommt (§ 176 Rdn. 4), nicht aber auf seine Erkenntnis, daß es sich um eine sexuelle handelt. Der Tatbestand würde sonst in Fällen, in denen Kinder bestimmt werden, aneinander sexuelle Handlungen vorzunehmen, zum Teil leerlaufen, was dem Schutzzweck der Vorschrift zuwiderlaufen würde (vgl. Rdn. 21). Aber auch bei sonstigen Tatbeständen, die voraussetzen, daß ein Dritter in den sexuellen Vorgang — mit und ohne Körperkontakt — eingeschaltet ist, kommt es nicht darauf an, daß dieser den sexuellen Bezug der wahrgenommenen Handlung erkennt. Denn ihr Schutzzweck ist verletzt, wenn ein Dritter in sexuelle Handlungen des Opfers einbezogen ist. Praktisch könnte diese Frage insbesondere bei § 176 Abs. 5 sein, wenn Handlungen des Kindes vor einem Dritten vorgenommen werden, der den sexuellen Bezug nicht erkennt (wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch Beobachtung des Vorganges sexuell zu erregen). Es kommt in solchen Fällen nur darauf an, daß der sexuelle Bezug vom Täter erkannt wird. Soweit der Dritte in Frage steht, reicht es aus, daß er den Vorgang als solchen wahrnimmt (zum Kenntnisstand des Opfers Rdn. 20 ff). 3. Der Täter muß vorsätzlich handeln (vgl. Rdn. 8, 13), er muß also den Vorgang, 19 einschließlich der Umstände, die das Erheblichkeitsmerkmal ausfüllen, in seiner sexuellen Bedeutung erkannt (BGH Beschluß vom 18. August 1991 — 4 S t R 3 1 5 / 9 1 —) und zumindest gebilligt haben. In einigen Fällen, in denen Handlungen ohne Körperkontakt pönalisiert sind (§ 174 Abs. 2, § 176 Abs. 5, anders § 180 Abs. 2), kommt als weitere subjektive Komponente das Erfordernis hinzu, daß der Täter mit dem Ziel handeln muß, sich, sein Opfer oder einen anderen (§ 176 Abs. 5) hierdurch — nämlich durch die sexualbezogene Handlung — sexuell zu erregen. Insoweit ist im neuen Recht das dem früheren Tatbestandsmerkmal der Unzucht innewohnende subjektive Element „wollüstiger Absicht" erhalten geblieben, sogar noch erweitert worden, weil auch die Fälle einbezogen sind, in denen der Täter nur das Opfer — nicht sich selbst oder einen anderen — geschlechtlich erregen will. Der Irrtum des Täters über die Person des Opfers ist beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 (etwa bei einem Irrtum über das Alter des Jugendlichen) Tatbestandsirrtum ; ein Irrtum ist ohne Bedeutung, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen tatsächlich und nach der Vorstellung des Täters erfüllt sind, der Täter sich aber über die von der Tat betroffene Person (vgl. Horn SK Rdn. 20) irrt. 4. Umstritten ist, ob sich das Opfer des sexuellen Bezugs der Handlung, von der es 20 betroffen ist, bewußt sein muß. Der Bundesgerichtshof hat die Frage in BGHSt. 29 336, 339 (mit Anmerkung Horn JR 1981 251) für einen Fall, in dem sexuelle Handlungen an Kindern und von Kindern vorgenommen worden sind (in BGHSt. 30 144 für einen Fall mit Handlungen des Täters an einem Kind), verneint. Er ging in der (225)

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13. Abschnitt. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Begründung der Entscheidung in BGHSt. 29 336 davon aus, daß diese Auslegung bei sexuellen Handlungen, die an Kindern vorgenommen werden, soweit ersichtlich, unbestritten sei. Lenckner (Sch/Schröder Rdn. 18) relativiert diese Auffassung inzwischen und macht es von dem Schutzzweck der jeweiligen Vorschrift abhängig, ob der andere die an ihm vorgenommenen sexuellen Handlungen wahrgenommen und ihren sexuellen Charakter erkannt haben muß. Nicht erforderlich sei dies bei den Tatbeständen, welche die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers schützen (vgl. hier insbesondere §§ 174 a Abs. 2, 179). Er stimmt insoweit Horn (SK Rdn. 16) zu, der allerdings die an einem Bewußtlosen oder Schlafenden (dazu Rdn. 17) vorgenommenen sexuellen Handlungen, ebenso diejenigen, die an einer Person vorgenommen werden, welche die Handlungen nicht als sexuelle erkennt, in der Regel als unerheblich ausscheiden will. Bei den Jugendschutztatbeständen stellt Lenckner (aaO) grundsätzlich darauf ab, ob das Kind oder der Jugendliche eine ungefähre, seinem Alter entsprechende Vorstellung von der sexuellen Bedeutung hat. Die Streitfrage ist dahin zu lösen, daß die Vorstellungen und Erkenntnisse des Opfers unerheblich sind, soweit es um die Feststellung des Sexualbezugs der Handlung geht. Bei der Prüfung der Erheblichkeit im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut kann die Bewußtseinslage des Opfers jedoch von Bedeutung sein: 21

Der Schutzzweck des § 176 würde verfehlt, wenn man entgegen BGHSt. 30 144 bei Handlungen an einem Kind darauf abstellte, daß dieses den sexuellen Bezug der an ihm vorgenommenen Handlungen erkennt (vgl. auch Rdn. 17). Die dem Jugendschutz dienende Vorschrift (Vorbem. vor § 174 Rdn. 7) verfolgt das Ziel, sexuell in der Entwicklung befindliche Menschen vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch sexuelle Handlungen zu schützen (BTDrucks. VI/3521 S. 34). Eine Verpflichtung zur Prüfung, ob das von körperlichen Berührungen sexuellen Charakters betroffene Kind sich des sexuellen Bezugs bewußt ist, würde die Anwendung der genannten Vorschrift erheblich erschweren. Kinder in den ersten Lebensjahren wären praktisch schutzlos gestellt (BGHSt. 29 336, 340; 30 144), obwohl auch bei ihnen Gefahren für die sexuelle und charakterliche Reifung durch an ihnen vorgenommene sexuelle Handlungen jedenfalls nicht auszuschließen sind. Den Nachweis, im konkreten Einzelfall sei die Gefahr einer Schädigung oder Beeinträchtigung auszuschließen, verlangt das Gesetz aus wohlerwogenen Gründen nicht. Es läßt vielmehr die generell zu bejahende Gefährdung genügen (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 11).

22

Auch die Anwendung der dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienenden Vorschriften (vgl. Vorbem. Rdn. 4 ff) kann, soweit dort die Problematik auftritt, nicht davon abhängen, ob sich das Opfer des sexuellen Bezuges der Handlung bewußt ist. Würde man die Tatbestandsmäßigkeit etwa bei den §§ 174 a Abs. 2, 179 — wo das Problem in der Praxis auftreten kann — von dem Nachweis einer Möglichkeit der negativen Beeinflussung über das Unbewußte abhängig machen, so würden die in Frage kommenden, dem Schutz Kranker und Widerstandsunfähiger dienenden Strafvorschriften ihren Schutzcharakter weitgehend verlieren. Bei sexuellen Handlungen an einer durch die genannten Vorschriften geschützten Personen ist deshalb auf den die Selbstbestimmung beeinträchtigenden Vorgang unabhängig davon abzustellen, ob der sexuelle Bezug der Handlung vom Opfer erkannt wird oder nicht. Entsprechendes gilt bei den sonstigen Vorschriften, die dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung im engeren Sinne dienen. Praktisch kann das Problem in den Fällen der §§ 174 Abs. 1 Nrn. 1, 3, 174a Abs. 1 werden (nicht in § 174 Abs. 1 Nr. 2, vgl. § 174 Rdn. 16 a. E.). Eine solche sexuelle Handlung ist wegen des Ausgeliefertseins des Opfers an den Aufsichtspflichtigen, der sich das Vertrauensverhältnis zunutze macht, Stand: 1. 8. 1994

(226)

Begriffsbestimmungen

§ 184 c

unabhängig vom Kenntnisstand des Opfers im Sinne des § 184 c von Erheblichkeit (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 18). Bei den Jugendschutztatbeständen, die dem Schutz der über 14jährigen dienen, 2 3 spielt § 182 für die hier erörterte Problematik eine besondere Rolle. Bei diesem Tatbestand wird man eine Erheblichkeit nur annehmen können, wenn der Jugendliche den sexuellen Bezug der Handlung, die an ihm vorgenommen wird, erkennt. § 180 Abs. 1 soll Gefahren für die Reifung junger Menschen begegnen; § 180 Abs. 2 soll den Gefahren vorbeugen, die für junge Menschen durch das Hineinziehen in das Milieu der Prostitution entstehen. Diese Gefahren bestehen unabhängig davon, ob der junge Mensch den sexuellen Bezug der Handlung, die an ihm vorgenommen wird, im Einzelfall erkennt oder nicht. Es kommt deshalb hier auf seinen Wissensstand nicht an. Entsprechendes gilt für sexuelle Handlungen, die das Opfer an einem anderen vor- 24 nimmt (aA Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 11), und für Handlungen ohne Körperkontakt. Gründe, Handlungen des Opfers an dem Täter oder einem Dritten anders — weniger gefährlich — einzustufen als Handlungen des Täters am Opfer, bestehen nicht (vgl. BGHSt. 29 336, 340; 30 144). Bei Handlungen des Täters vor dem Opfer (§ 174 Abs. 2 Nr. 1 ; § 176 Abs. 5 Nr. 1) genügt ein bewußtes sinnliches Aufnehmen des Geschehens durch das Opfer (BGH bei Daliinger MDR 1974 546; BGHSt. 29 336, 339), ohne daß eine kindhafte (jugendhafte) Vorstellung von der sexuellen Bedeutung hinzukommen müßte. Soweit § 176 in Frage steht, nutzt der Täter die sexuelle Unreife des Kindes, bei § 174 das Vertrauensverhältnis aus. Der Einwand (vgl. Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 21a), es fehle in solchen Fällen an der abstrakten Gefahr für die ungestörte sexuelle Entwicklung junger Menschen, wenn sie an dem Vorgang gar nichts Besonderes empfinden und arglos zuschauen, überzeugt nicht. Folgte man dieser Auffassung, so wäre im Einzelfall bei gegebener Gefahr, etwa weil eine Beeinflussung über das Unbewußte nicht auszuschließen ist, Tatbestandsmäßigkeit gegeben. Diese Beweisfrage sollte jedoch nicht Gegenstand des Strafverfahrens sein. Der Gesetzgeber läßt vielmehr die generell nicht auszuschließende abstrakte Gefahr einer Schädigung genügen. Es gibt keine Gründe, Differenzierungen in den Fällen vorzusehen, in denen das jugendliche Opfer sexuelle Handlungen vor dem Täter vornimmt (§ 174 Abs. 2 Nr. 2; § 176 Abs. 5 Nr. 2). Auch hier braucht sich der Vornehmende des sexuellen Bezugs seiner Handlung nicht bewußt zu sein. Die Gefährdung, der das Gesetz vorbeugen will, liegt in der Vornahme von sexuellen Handlungen vor einer Person, die den sexuellen Bezug erkennt. Bei Handlungen des Jugendlichen vor einem Dritten (§ 176 Abs. 5 Nr. 2, § 180 Abs. 2) kommt es ebenfalls nicht darauf an, ob das Opfer den sexuellen Bezug der Handlung erkannt hat. Maßgeblich ist auch hier der Kenntnisstand des Täters (nicht der des Dritten, vgl. Rdn. 18).

(227)

Heinrich Laufhütte

VIERZEHNTER ABSCHNITT Beleidigung Vorbemerkungen Schrifttum Amelung Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung (2002); Androulakis Die Sammelbeleidigung (1970); Arzt Der strafrechtliche Ehrenschutz - Theorie und praktische Bedeutung, JuS 1982 717; Bemmann Ehrverletzung und Strafbedürftigkeit, Festschrift für E. A. Wolff (1998) 33; Binding Die Ehre und ihre Verletzbarkeit (1892); Coing Ehrenschutz und Presserecht (1960); von der Decken Meinungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983 1400; Graf zu Dohna Unzucht und Beleidigung, DStR 8 34; Ehrhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989); Engelhard Die Ehre als Rechtsgut im Strafrecht (1921); Engisch Beleidigende Äußerungen über dritte Personen im engsten Kreise, GA 1957 326; ders. Bemerkungen über Normativität und Faktizität im Ehrbegriff, Festschrift für Richard Lange (1976) 401; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuchs, ZStW 75 (1963) 16; Geppert Straftaten gegen die Ehre, Jura 1983 530, 580; ders. Wahrnehmung berechtigter Interessen, Jura 1985 25; Gillen Das Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz im Strafrecht (1999); Gössel Der Schutz der Ehre, Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) 295; Hansen Ein harter Wahlkampf, JuS 1974 104; Haß Zur Frage der sogenannten Sexualbeleidigung, SchlHA 1975 123; Herdegen Lexikon des Rechts, 2. Aufl. 1996, 90; Hilgendorf Oie missbrauchte Menschenwürde, Jahrbuch für Recht und Ethik 7 (1999) 137; Hirsch Ehre und Beleidigung (1967); Ignor Der Straftatbestand der Beleidigung (1995); Jakobs Die Aufgabe des strafrechtlichen Ehrenschutzes, Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck (1985) 627; Kaufmann Zur Frage der Beleidigung von Kollektivpersönlichkeiten, ZStW 72 (1960) 418; Kern Die Äußerungsdelikte (1919); ders. Die Beleidigung, Festgabe für Frank Bd. II (1930) 335; Krug Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden (1965); Leipold Zur Beweislast beim Schutz der Ehre und des Persönlichkeitsrechts, Festschrift für Heinrich Hubmann (1985) 271; Liepmann Die Beleidigung, VDB Bd. IV (1906) 217; Otto Persönlichkeitsschutz durch strafrechtlichen Schutz der Ehre, Festschrift für Erich Schwinge (1973) 71; ders. Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; ders. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, NJW 1986 1206; Praml Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976 1967; Ritze Die „Sexualbeleidigung" nach § 185 StGB und das Verfassungsgebot „nulla poena sine lege", JZ 1980 91; Schlosser Zur Beweislast im System des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, JZ 1963 309; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1983 95; Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, M D R 1973 801; Tenckhoff Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände (1974); ders. Grundfälle zum Beleidigungsrecht, JuS 1988 199; Tettinger Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983 317; Wagner Beleidigung eines Kollektivs oder Sammelbeleidigung?, JuS 1978 674; Weber Das Recht der freien Meinungsäußerung im Lichte von §§ 192, 193 RStGB, JW 1927 2671; Wenzel Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2004; Wolff Ehre und Beleidigung, ZStW 81 (1969) 886; Würtenberger Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zippelius Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Festschrift für Heinrich Hubmann (1985) 511.

(i)

Eric Hilgendorf

Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung Ubersicht Rdn.

I. Die Ehre 1. „Beleidigung", „Ehre", „Achtungsanspruch" 2. Die Ehre als Aspekt der Personwürde 3. Normativer und faktischer Ehrbegriff 4. Personaler und sozialer Geltungswert. Ehrmängel 5. Eigene Stellungnahme II. Die Träger der Ehre

1 1 2 4 9 20 24

Rdn. 1. Der einzelne Mensch 2. Personengemeinschaften 3. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung 4. Familienehre? III. Mittelbare Beleidigung? IV. Neue Fragestellungen V. Das Verhältnis der Beleidigungstatbestände zueinander

24 25 28 33 34 38 42

I. Die Ehre 1

1. Das Wort „Beleidigung" wird im 14. Abschnitt des StGB in einem doppelten Sinne verwendet. In der Abschnittsüberschrift, in § 194, § 199 und § 200 bezeichnet es einen Gattungsbegriff, der die Beleidigung im engeren Sinne (§ 185), die üble Nachrede (§§ 186, 188 Abs. 1), die Verleumdung (§§ 187, 188 Abs. 2) und die Verunglimpfung (§ 189) umfasst. In § 192 und § 193 bezeichnet das Wort „Beleidigung" nur jene Fälle, auf die § 185 Anwendung findet. Das sind beleidigende Werturteile und Wertungsexzesse gegenüber dem Betroffenen selbst oder gegenüber einem Dritten und die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen gegenüber dem Betroffenen. Mit „Ehrverletzung" ist der gesetzliche Begriff der „Beleidigung" nicht völlig deckungsgleich. Die Kreditgefahrdung (§ 187 dritte Variante) ist ein Vermögensgefahrdungsdelikt. Nach Meinung vieler schützt § 189 nicht die Ehre des Verstorbenen, sondern ein anderes Rechtsgut (vgl. § 189 Rdn. 1). Sieht man davon ab, so ist es in Rechtsprechung und Schrifttum fast unstreitig, dass die Straftaten, die der Begriff der Beleidigung in seinem allgemeineren Sinne umfasst, sich gegen die „Ehre" richten. Sie, nur sie, ist das Rechtsgut, das geschützt werden soll, der aus ihr fließende Achtungsanspruch das Angriffs-(Handlungs-)objekt.' Aber die Einigkeit in dieser Grundfrage besagt nicht viel. Auf die Frage, was unter der Ehre zu verstehen sei, „dem subtilsten, mit den hölzernen Handschuhen des Strafrechts am schwersten zu erfassenden ... Rechtsgut unseres Strafrechtssystems" (Maurach BT 5 § 171 1), gibt eine Fülle von Entscheidungen und Theorien unterschiedliche Antworten. 2 Hier kann nur eine grobe Skizze geboten werden. Die Darstellungen von Hirsch, Tenckhoff, Ignor und Amelung geben einen vorzüglichen Überblick.

2

2. Die Ehre als Aspekt der Personwürde. Der Begriff der Ehre weist nicht nur „nach seinem ursprünglichen Sinn", sondern auch im heutigen Sprachgebrauch „einen personalen Bezug" auf (SehlSchröder!Lenckner26 1). Sie darf aber nicht mit der Personwürde oder Personalität gleichgesetzt werden. Die Ehre ist nur ein Aspekt der

1

2

In Auswahl: BGHSt. 1 288, 289; 11 67, 70; 16 58, 62; BGH NStZ 1984 216; 1986 453, 454; RGSt. 40 416; 71 159, 160; RG JW 1932 1742 Nr. 22; Geppert Jura 1983 531 ff; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 32, 145; Rudolphi SK 1 und 5; Schi Schröder!Lenckner26 1; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 15, 19, 91, 181. In Auswahl: BGHSt. 1 288, 289; 11 67, 71; BGH NStZ 1986 453, 454; RG G A Bd. 38 (1890) 434;

RG JW 1932 1742 Nr. 22; RG H R R 1933 348; RG D R 1943 189; BayObLGSt. 1980 32; 1983 32, 34; 1986 91, 92; Engelhard JW 1932 1742, 1743; Engisch Lange-Festschrift, S. 402, 416; Geppert Jura 1983 531 ff; Hirsch S. Iff, 45ff; Lackner iKühl25 1; Otto Schwinge-Festschrift, S. 73 ff; Rudolphi SK 1 bis 5 a; Schi Schröder/ Lenckner26 1; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 35 ff.

Stand: 31.3.2005

(2)

Vorbemerkungen

Vor § 185

Personwürde (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 59), ein Attribut der Persönlichkeit, ein Teil ihrer „ideellen Sphäre" (vgl. BGHSt. 36, 145; BGHZ 35 363, 368; Lackneri Kühl25 1). Setzte man die Ehre mit der Person würde gleich, verlöre sie ihren spezifischen Sinngehalt. Sie würde zu einem Gattungsbegriff, der auch andere personale Güter und Interessen umfasste (vgl. BGHZ 26 349; 30 7; 35 363; Stoll Jura 1979 576, 577), mit der Folge, dass die Abgrenzungsproblematik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der Ebene des Tatbestands eine ausschlaggebende Bedeutung erlangte (vgl. Hubmann Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 160). Von Tatbestandsbestimmtheit könnte keine Rede mehr sein (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 60). Auf der das Beleidigungsrecht auflösenden Gleichsetzung von Missachtungen der Ehre und anderen Missachtungen „der Person als Person" (Otto Schwinge-Festschrift, S. 75) beruht die fortdauernde Neigung, der „Beleidigung" eine „Lückenbüßerfunktion" einzuräumen. Sie wird zum Auffangtatbestand für im Übrigen nicht tatbestandsmäßig vertypte Handlungen gemacht, durch die der Handelnde keineswegs zum Ausdruck bringt, dass sein „Opfer" nicht im Vollbesitz der Ehre ist, durch die er aber dessen Persönlichkeit in einer Weise tangiert, dass Strafbedürfnisse hervorgerufen werden. Die „Beleidigung" fungierte lange Zeit insbesondere als „kleines Sexualdelikt" (Arzt JuS 1982 725): Sexualbezogene Handlungen, die unterhalb der Schwelle der eigentlichen Sexualdelikte liegen, wurden nach § 185 StGB bestraft. Darauf ist zurückzukommen (vgl. § 185 Rdn. 28 bis 31). In der Umgangssprache hat das Wort „Ehre" viele Bedeutungen. Das belegen die 3 Wörterbücher, in denen von Achtung, Anerkennung, Ansehen, Ruf, Rang, Status, Würde, Geltung, innerem Wert, Sittlichkeit, Ehrgefühl, Auszeichnung, Ehrung, Verdienst, Ruhm, zeremoniellem Aufwand, Lobpreisung die Rede ist. Diese Bedeutungen streuen noch breiter als die Gleichsetzung der Ehre mit der Personwürde (vgl. Rdn. 2). Für den Bereich des Rechts, jedenfalls für den Bereich des Strafrechts, hat der Siegeszug des Gleichheitssatzes entscheidend dazu beigetragen, die „Ehre" von den „Ehren" und „Ehrungen" abzulösen. Stand, Beruf, Gruppenzugehörigkeit und Gruppenstatus, Geschlecht, Alter, religiöses Bekenntnis und wirtschaftliche Verhältnisse, körperliche und geistige Vorzüge, besondere Fähigkeiten und Leistungen sind für die Ehre weitgehend zu Adiaphora geworden. Eine auf égalité ausgerichtete Rechtsordnung muss aus dem Begriff der Ehre Merkmale entfernen, die ein Element der Ungleichheit enthalten. Dem tragen Aussagen Rechnung, die insbesondere von Binding und Hirsch formuliert worden sind: „Die Ehre ist ganz einerlei Art. Beim Höchsten wie beim Geringsten ... bestimmt sie sich nach denselben Faktoren" (Binding Lb. BT 1. Bd., 2. Aufl., S. 137). „Aus der Tatsache, dass die Ehre in der Personalität wurzelt, erklärt sich auch, ... dass die Obergrenze des Rechtsguts mit dem Vorliegen der notwendigen Geltungsvoraussetzungen - dem Fehlen von Geltungsmängeln - erreicht und nicht noch darüber hinaus durch besondere Leistungen steigerungsfahig ist ... Hervorragende Staatsmänner, Gelehrte und Geistliche haben kein Deut mehr Ehre als ein gewöhnlich Sterblicher. Sie haben höchstens größere Verdienste, mehr Ruhm und Ansehen" (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 55, 57). Binding definiert: „Ehre ist der Wert, der einem Menschen als solchem und auf Grund seiner Handlungsweise, also kraft der Erfüllung seiner sittlichen und rechtlichen Pflichten, also seiner sittlichen und rechtlichen Unversehrtheit zukommt" (aaO S. 136). Die Makellosigkeit dieses Werts kann nur der Träger der Ehre selbst durch „ehrlose" Handlungen antasten. Von anderen kann er verlangen, dass sie ihn „nicht nach Maß nicht vorhandener Unehre", sondern „als Ehrenmann" behandeln. Nicht Minderung der Ehre macht das Wesen der Beleidigung aus, „sondern der Versuch, Ehre in Unehre zu verkehren". Angriffsobjekt ist die „Achtungswürdigkeit", denn „Ehre erzeugt einen Rechtsanspruch auf (3)

Eric Hilgendorf

Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung

Achtung ihres Daseins" (Binding aaO S. 141). Im Prinzip nicht anders äußert sich Hirsch (Ehre und Beleidigung): „Bei der Ehre geht es um den (nur) negativ quantifizierbaren Status, ohne Mängel an personalem Geltungswert zu sein" (S. 72). „Die Ehre betrifft lediglich ... den spezifischen Wertstatus des Fehlens geltungswertmindernder Umstände. Ehre haben heißt: frei sein von personalen Geltungswertmängeln. Aus diesem Aspekt der Person fließt der Anspruch, jede unverdiente Äußerung, dass der Geltungswert gemindert sei, zu unterlassen" (S. 59). Angriffsobjekt der Beleidigung ist der verdiente Achtungsanspruch (S. 29). Achtung kann nur nach dem Maß vorhandener Ehre gefordert werden (Hirsch ZStW 90 [1978] 978, 982). 4

3. Normativer und faktischer Ehrbegriff. Die Terminologie „normativer vs. faktischer Ehrbegriff" ist missverständlich: Alle Rechtsbegriffe beruhen auf wertungsgeleiteten Definitionen, also Festsetzungen des sprachlichen Sinns eines Begriffs, und sind insofern „normativ". Um der Unterscheidung von „normativem" und „faktischem" Ehrbegriff einen Sinn zu geben, ist darauf abzustellen, wie Inhalt und Umfang der geschützten Ehre ermittelt werden sollen: Rein normative Ehrtheorien stützen sich ausschließlich auf die Auslegung einer Norm (hier: die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG), während faktische Ehrtheorien auf empirisch überprüfbare Sachverhalte wie den guten Ruf oder die Selbsteinschätzung des Betroffenen abstellen. Diese idealtypische Unterscheidung wird aber weder von den Vertretern der normativen Ehrtheorien noch von denen der faktischen Ehrtheorien durchgehalten: Der Ehrenschutz betrifft nur einen Aspekt der Menschenwürde, den Anspruch auf (minimale) Achtung (dazu Hilgendorf Oie missbrauchte Menschenwürde, S. 148f), doch gehen die von §§185 ff sanktionierten Achtungsansprüche teilweise deutlich über das hinaus, was sich aus der Menschenwürde in einem nicht bloß assoziativ verstandenen Sinn des Wortes herleiten lässt. Deshalb ist es auch für Vertreter normativer Ehrtheorien nicht ausreichend, sich ausschließlich auf eine Interpretation von Art. 1 Abs. 1 G G zu stützen. Die §§ 185 ff selbst sind im Hinblick auf Inhalt und Umfang der geschützten Ehre kaum ergiebig. Deshalb sind auch die Vertreter der normativen Theorien in erheblichem Maße gezwungen, zur Bestimmung von „Ehre" auf nicht-normative Quellen zu rekurrieren. Die Vertreter der faktischen Ehrtheorien dagegen müssen aus der Vielzahl empirisch vorfindbarer Ehransprüche die strafrechtlich schutzwürdigen auswählen, wobei den (normativen) Vorgaben des Grundgesetzes, vor allem Art. 1 Abs. 1 GG, besondere Bedeutung zukommt. Außerdem wird auch nach Ansicht der Vertreter „faktischer" Ehrtheorien nur die „verdiente" Ehre geschützt (vgl. unten Rdn. 6). Im Ergebnis führt das dazu, dass der Unterschied zwischen „normativen" und „faktischen" Ansätzen zur Bestimmung von „Ehre" weitaus geringer ist, als oft angenommen wird.

5

Für die dem normativen Ehrbegriff zugrunde liegende Theorie 3 ist das Rechtsgut der Beleidigungstatbestände der dem Menschen auf Grund seiner Personwürde zukommende Geltungswert, die sog. „innere" Ehre, ein Wert, der nicht steigerungsfähig ist, aber durch Ehrmängel gemindert werden kann. Angriffsobjekt beleidigender Erklärungen ist der aus der inneren Ehre abgeleitete, in seinem Umfang vom Maß der vorhandenen Ehre abhängige, verdiente Achtungsanspruch. Eine Beleidigung ist eine lokutionäre (sprachliche) oder illokutionäre (in Form einer Tätigkeit zum Ausdruck kommende) Äußerung, die den verdienten Achtungsanspruch verletzt: eine Kundgabe 3

Vgl. dazu Engisch Lange-Festschrift, S. 401, 412ff; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 3, 29f, 50; Otto Schwinge-Festschrift, S. 73, 76 ff; Rudol-

phi SK 1 bis 5; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 35ff, 181; ders. JuS 1988 199, 201 ff.

Stand: 31.3.2005

(4)

Vorbemerkungen

Vor § 185

von Nichtachtung, Geringschätzung oder Missachtung (das ist die auch in der Rechtsprechung - losgelöst von der Frage des Ehrbegriffs - gebrauchte Formel, vgl. BGHSt. 1 288, 289; 16 58, 63; BGH NStZ 1984 216; RGSt. 40 416; 71 159, 160; BayObLGSt. 1976 88, 89; 1980 32; 1983 32, 34). Die sog. faktischen Ehrtheorien werden in ihren monistischen Fassungen kaum 6 mehr vertreten. In ihrer dualistischen Ausformung besagen sie: Die Ehre besteht zum einen aus dem Ruf, der Wertschätzung (Geltung) im Urteil der Mitmenschen, dem gesellschaftlichen Ansehen - sog. „äußere" oder „objektivierte Ehre" - , und zum anderen aus dem Ehrgefühl. Nach Hirsch Ehre und Beleidigung (S. 14 Anm. 2), der sich auf Liepmann (VDB Bd. IV [1906] S. 228, 239ff, 246) bezieht, handelt es sich dabei „um die (inaktuelle ebenso wie aktuelle) Vorstellung vom eigenen ehrrelevanten Wert, die Selbsteinschätzung und ihre Verknüpfung mit dem seelischen Bereich" sog. „subjektive Ehre" als Gegenstand der gegenüber dem Betroffenen selbst begangenen Beleidigung. 4 Diese landläufige Darstellung bedarf allerdings der Ergänzung. Nach maßgebenden Vertretern der Theorie des „doppelgesichtigen Rechtsguts" (vgl. Maurach BT 5 § 17 III A) sind Ruf und „das Gefühl der eigenen Geltung" (Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 228) nur Reflexe, Wirkungen der Ehre {Graf zu Dohna DStR 8 S. 35; Liepmann aaO). Gleichwohl wird ihnen die Funktion des Schutzobjekts eingeräumt, die ihnen jedoch ohne normative Begrenzung keinesfalls zuerkannt werden darf: Der Lump kann den Ruf eines Ehrenmannes haben, eine Verbrecherclique kann weit über den Kreis der Genossen hinaus in hohem Ansehen stehen, das Ehrgefühl ist unentrinnbar den „Techniken des Selbstbetrugs" (Allport Persönlichkeit, 2. Aufl., S. 173) ausgesetzt. Es wird aber dem Empfinden des Betroffenen nur insoweit rechtliche Bedeutung beigemessen, als er „begründete Achtung vor sich selbst" haben darf; der gute Ruf findet „nur dort" Verteidigung, „wo er es verdient" (Graf zu Dohna DStR 8 36f; vgl. auch Liepmann VDB Bd. IV (1906) S. 240, 245f und Maurach BT 5 § 17 I 3 b: Der Richter, nicht der Verletzte entscheidet darüber, ob eine Äußerung den subjektiven Geltungsanspruch verletzt. Das Beleidigungsstrafrecht kennt keinen „Affektwert" der Ehre.). Damit wird auch für die faktische Ehrtheorie die Frage entscheidend, wie der personale Geltungswert (die „innere Ehre") zu umschreiben und die Kategorie der Geltungsmängel zu bestimmen ist. Auf diese Gesichtspunkte kommt es letzten Endes auch für die sog. normativ-fak- 7 tische Ehrauffassung an, die wie folgt differenziert: Die „innere Ehre" (korrekter: der verdiente Achtungsanspruch) ist das Angriffsobjekt der einfachen Beleidigung (§ 185 StGB), weil nur ihr Tatbestand verwirklicht wird, wenn ehrenrührige Tatsachenbehauptungen lediglich gegenüber dem Betroffenen abgegeben werden oder die Missachtung nicht in Tatsachenbehauptungen geäußert wird. Der gute Ruf ist Gegenstand der üblen Nachrede und der Verleumdung. Aber die Einsicht, dass man nicht die tatsächliche Geltung in der Meinung anderer schützen, die Ehre nicht „zu einer bloßen Ehrattrappe veräußerlichen" kann (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 17), hat längst dazu geführt, dass auch der „faktische" Bestandteil des normativ-faktischen Ehrbegriffs eine wertbestimmende Begrenzung erfahrt: Jedermann kann nur verlangen, dass er (auch was den guten Ruf betrifft) entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde. Dieser „normativ-faktische" Ehrbegriff wird, mit unterschiedlichen Gewichtungen im Detail, seit langem von der Rechtsprechung vertreten (BGHSt. 1 288, 289; 11 67, 70 f; 36 145, 150; OLG Düsseldorf NJW 1989 3030; 2001 3562, 3563; vgl. auch

4

(5)

Engisch Lange-Festschrift, S. 406 ff; Liepmann V D B Bd. IV (1906) S.228, 245; SchlSchröderl

Lenckner2(· 1; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 54ff.

Eric Hilgendorf

Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung

BVerfGE 75 369; TröndlelFischer52 4). In der Leitentscheidung BGHSt. 11, 67, 70f heißt es: „Angriffsobjekt der Beleidigung ist die dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre, außerdem seine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft. Wesentliche Grundlage der inneren Ehre und damit Kern der Ehrenhaftigkeit des Menschen ist die ihm unverlierbar von Geburt an zuteil gewordene Personenwürde, zu deren Unantastbarkeit sich das Grundgesetz der Bundesrepublik in Artikel 1 bekennt und deren Achtung und Schutz es ausdrücklich aller staatlichen Gewalt zur Pflicht macht. Aus der inneren Ehre fließt der durch § 185 StGB strafbewehrte Rechtsanspruch eines jeden, dass weder seine innere Ehre noch sein guter äußerer Ruf geringschätzig beurteilt oder gar völlig missachtet, dass er vielmehr entsprechend seiner inneren Ehre behandelt werde." 8

Der Rechtsprechung wurde attestiert, sie nähere sich in neuen Entscheidungen dem rein „normativen" Ehrverständnis an (Zaczyk N K 7). In der Tat lässt sich (auch infolge der Unschärfe der zugrunde gelegten Terminologie, vgl. oben Rdn. 4) schon die Leitentscheidung BGHSt. 11 67 als „normativ" einstufen (Ignor Beleidigung, S. 95). Wichtiger ist, dass die Rechtsprechung die Ehre dualistisch konzipiert: sie umfasst zum einen den aus der Menschenwürde abzuleitenden Achtungsanspruch, zum anderen den (verdienten) „guten R u f jedes Menschen.

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4. Personaler und sozialer Geltungswert. Ehrmängel. Die Aussage, dass die Ehre „Attribut des Menschen" sei, „das er auf Grund seines Personseins" besitze, wie die Umschreibung der Ehre als „Aspekt der Personwürde" und die Explikation „Ehre haben heißt: frei sein von personalen Geltungswertmängeln" (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 50, 59, 90), soll nicht nur die Zurückweisung faktischer oder normativ-faktischer Ehrbegriffe (vgl. Rdn. 6 und 7) implizieren. Sie enthält auch eine Absage an alle Auffassungen, die als ehrrelevant den sozialen Geltungswert und den sozialen Geltungsanspruch anerkennen. Diese Auffassungen weisen inhaltliche Unterschiede auf. Liepmann (VDB Bd. IV [1906] S. 227, 232, 246) definiert die Ehre geradezu als „den Inbegriff derjenigen Eigenschaften, die zur Erfüllung der spezifischen Aufgaben des Menschen unentbehrlich sind". Frank (I Vor § 185) sieht im ethischen und sozialen Wert der Person die beiden Ehraspekte und sagt vom zweiten Aspekt, es handele sich um den Wert, „den eine Person nach der Seite ihrer Eigenschaften und Leistungen zur Erfüllung ihrer spezifischen sozialen Aufgaben hat". Infolgedessen kann eine Beleidigung auch dadurch begangen werden, dass der Täter einem anderen zu Unrecht nachsagt, er habe nicht die Eigenschaften (Fähigkeiten), die von ihm als Träger dieser oder jener sozialen Rolle gefordert werden, oder er habe Eigenschaften, die er als Träger dieser oder jener Rolle nicht haben dürfte, schließlich auch dadurch, dass ihm zu Unrecht Leistungsmängel (Nichterfüllung oder Schlechterfüllung) vorgeworfen werden (vgl. Liepmann aaO S. 233; Frank aaO).

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Eine moderne Version der Theorie des sozialen Geltungsanspruchs begreift die Ehre aus der Besonderheit des Menschen, dessen Konstitution „eigentlich ein SichKonstituieren" sei ( Wolff ZStW 81 [1969] 896, ihm folgend und weiterentwickelnd Zaczyk N K 1). Ehre als „das die Selbständigkeit der Person ermöglichende Anerkennungsverhältnis" ( Wolff aaO 901) soll bewirken, dass jeder mit anderen Gemeinschaft haben kann, indem er als Person respektiert wird und ihm „in bestimmtem Rahmen Möglichkeiten gesichert werden, sich in der Gesellschaft personal zu entfalten". Schutz für die Ehre gewähre das Recht dadurch, dass es den Anspruch der Person, als Person geachtet und nach ihren auf die Gemeinschaft bezogenen Werken eingeschätzt zu werden, sanktioniere (Otto Schwinge-Festschrift, S. 81 f). In diesen Werken maniStand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

Vor § 185

festiere sich das wahre Wesen der Person. Sie müsse deshalb auch in ihnen gewürdigt werden (Otto aaO S. 78). Infolgedessen sei Wertmaßstab nicht nur der Personenwertstand, sondern auch das individuelle Verhalten der Person unter sozial-ethischen Gesichtspunkten. Dieser Wertmaßstab führe zu unterschiedlichen sozialen Geltungsansprüchen. Die Missachtung des verdienten sozialen Geltungsanspruchs sei Ehrverletzung. Sie stelle der Sache nach „eine Verletzung jenes Anerkennungsverhältnisses dar, das zugleich die Selbständigkeit und Verbundenheit des einzelnen in der Rechtsgesellschaft garantiere". Mit der Sanktionierung des sozialen Geltungsanspruchs schütze das Recht die Möglichkeit menschlichen Zusammenlebens. Das Fundament einer Gesellschaft müsse schwer erschüttert werden, wenn dieser Schutz nicht mehr gewährleistet sei (Otto aaO S. 80 ff; ders. NJW 1986 1206, 1210). Die These, Ehre lasse sich definieren „als das die Selbständigkeit ermöglichende Anerkennungsverhältnis", das die Entfaltung des Ichs als „eine Leistung der Freiheit" im „personalen Verhältnis des wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins" sicherstellen soll ( Wolff aaO 898 fi), ist nicht nur von Otto aufgegriffen worden (vgl. Rudolphi SK 5; Seh!Schröder!Lenckner26 1). Die Rechtsprechung hat den sozialen Wert als Aspekt der Ehre stets anerkannt. Sie versteht ihn in dem von Frank und Liepmann formulierten Sinne (Rdn. 9), spricht vom „sozialen Achtungsanspruch" aber auch in Fällen, in denen „der Anspruch der Person, als Person geachtet zu werden" (Otto Schwinge-Festschrift, S. 82), nicht respektiert worden ist. Auch in der Literatur werden der soziale Geltungswert und der daraus abgeleitete soziale Geltungsanspruch weitgehend anerkannt. 5 Die Stellungnahme zum sozialen Geltungswert kann nicht erschöpfend sein. Fest- 11 zuhalten ist zunächst: Ob man den „Wert der Person als Person", den „Personenwertstand" (Otto Schwinge-Festschrift, S. 82), den „spezifischen Wert des Menschen als Menschen" (Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 225 und 227), den „unverlierbaren" oder „angeborenen Menschenwert" (Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 42ff, 175fi) als besonderen Aspekt der Ehre oder als Teil des sozialen Geltungswerts begreift, ist gleichgültig. Wer diesen unterschiedlich bezeichneten Wert und den aus ihm abgeleiteten Geltungsanspruch in vollem Umfange für ehrrelevant ansieht, vertritt die Auffassung, dass sich das Rechtsgut der Ehre über den ganzen Bereich der Personalität erstrecke und infolgedessen in allen Fällen, in denen die Formel „Mißachtung der Persönlichkeit" gebraucht werden kann, ein (auch) gegen die „Ehre" gerichtetes Delikt vorliege, gleichgültig, ob der Angriff des Täters gegen den physischen oder ideellen Persönlichkeitsbereich gerichtet war (vgl. BGHSt. 9 17, 18; 11 67, 71; 16 58, 60; BGH NStZ 1987 21, 22; 1988 69; BayObLGSt. 1957 200, 201; 1962 41, 42). Diese Auffassung gibt die Ehre als konturiertes Rechtsgut preis (Hirsch ZStW 90 [1978] 978, 985; Rdn. 2). Das gilt auch für die Theorie, welche die Ehre als ein die Selbständigkeit der Person ermöglichendes Anerkennungsverhältnis begreift (Rdn. 10). Wie keine Theorie vor ihr hat sie in feinsinnigen Überlegungen die funktionelle Bedeutung des rechtlichen Schutzes der Ehre für Existenz und Entfaltung der Persönlichkeit im Bezogensein auf andere und für das Zusammenleben, für das humane Milieu einer Gesellschaft erfasst. Der Gedanke des Anerkennungsverhältnisses sollte die Interpretation vor allem dort beeinflussen, wo es in verfassungsrechtlichen Abwägungen um die Lösung des

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In Auswahl und ohne die in Rdn. 9 und 10 bereits Genannten: RGRspr. 1 28, 29; RG GA Bd. 38 (1890) 434, 435; RG JW 1932 1742 Nr. 22 m. Anm. Engelhard·, RG HRR 1933 348; RG

DR 1943 189; BGHSt. 6 186, 190 f; BGH NStZ 1986 453, 454; 1988 69; Geppert Jura 1983 532; Lackner/Kühl25 1.

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Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung

Konflikts von Meinungsfreiheit und „Recht der persönlichen Ehre" geht. Aber eine über die Gleichsetzung von Ehre und Persönlichkeit (Personalität), Ehrverletzung und Persönlichkeitsverletzung hinausführende Konturierung des Rechtsguts der Beleidigungstatbestände ist der Theorie des Anerkennungsverhältnisses nicht gelungen. Auch sie streut breit, zu breit. Die Unbestimmtheit der Begriffe („unmittelbares Anerkennungsverhältnis", Verletzung eines „personalen Verhältnisses wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins", „Mißachtung, die den Angegriffenen in ein neues und schlechteres Verhältnis bringt" - vgl. Wolff ZStW 81 [1969] 900ff) stellt ihre Eignung zu einer dem Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit genügenden Präzisierung zumindest in Frage. 13

Für den Aspekt des sozialen Geltungswerts, der nach Erörterung des „angeborenen Menschenwerts" (Rdn. 11) und des „unmittelbaren Anerkennungsverhältnisses" (Rdn. 10 und 12) noch zur Diskussion steht, sind die Eigenschaften, Fähigkeiten, Leistungen und Werke des Menschen als Träger sozialer Rollen, als eines Subjekts, das Pflichten zu erfüllen, Aufgaben zu bewältigen, Gemeinschaft zu gestalten hat, konstitutiv. Für das Alltagsverständnis und für die „faktische" Ehrauffassung ist die erfolgreiche Bewältigung einer sozialen Rolle deshalb Teil der Ehre. Wie hält es aber die Theorie des personalen Geltungswerts mit dem Tun und Lassen der Person? Da für sie die Ehre „ganz einerlei Art ist", nur einen Aspekt der Personwürde darstellt, der mit Verdienst, Ruhm, Ansehen (anders ζ. B. BGHSt. 16 58, 60), gesellschaftlicher Geltung (anders z.B. RG JW 1932 1742 Nr. 22), Zuordnung von Rechten (anders aber BGHSt. 7 130; 16 58, 60; BayObLGSt. 1957 202; OLG Koblenz NJW 1955 602), Eigenschaften, Fähigkeiten, Vorzügen, Leistungen und Werken nicht gleichgesetzt werden darf (Rdn. 3, 4, 5), erlangt der Gesichtspunkt der Pflichterfüllung ausschlaggebende Bedeutung. Es tangiert die Ehre, mindert sie, wenn durch vorwerfbare Verstöße gegen ethische Pflichten die „sittliche Integrität" nicht gewahrt wird (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 30, 56, 72, 79, 90). Diese Integrität steht mit dem Gesamtbereich der (individual- und sozial-)ethischen Anforderungen in Korrelation. Soziale Rollen mit spezifischen Pflichten bleiben also auch für die Theorie des personalen Geltungswerts nicht außer Ansatz. Sie (oder der „Stand") verleihen zwar keine höhere Ehre. Aber sie können besondere Anforderungen stellen, deren schuldhafte Nichterfüllung für Ehre und Achtungsanspruch des Rollenträgers nicht gleichgültig ist. „Je verantwortlicher ein Amt, je exponierter die soziale Position, desto differenzierter sind die ehrrelevanten Pflichten" (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 74).

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Daraus folgt: Auch für den personalen Ehrbegriff (die Theorie des personalen Geltungswerts) ist das (nicht nur geringfügige) Versagen bei einer sozialen Aufgabe oder in einer sozialen Rolle für die Ehre von Bedeutung, wenn darin eine negative und vorwerfbare Qualität (Eigenschaft, Eigenart), Einstellung oder Motivation (Rücksichtslosigkeit, Schlamperei, Bestechlichkeit, Inhumanität, Parteilichkeit, Pfuscherei) zum Ausdruck kommt. Auch für diesen Begriff ist die mangelnde Eignung für eine soziale Rolle (oder Aufgabe) ein den personalen Geltungswert mindernder Mangel, wenn sie vorwerfbar ist, weil die Rolle (wie der Rollenträger erkannte oder erkennen konnte) trotz mangelnder Qualifikation übernommen oder beibehalten wurde oder weil nicht alles geschah, was hätte geschehen können, um den Rollenerwartungen gerecht zu werden. Ein sich auf den sozialen Wert (im Sinne des Verständnisses von Liepmann und Frank - Rdn. 9) beziehender Vorwurf ist also nicht stets, aber doch dann herabsetzend, wenn dem Ehrträger zu Unrecht nachgesagt wird, er habe gegen eine rollen(aufgaben-)spezifische Pflicht verstoßen, die nicht nur Bagatellcharakter hat. Der Verdacht schuldhaften Verhaltens wird mit den auf eine Pflichtwidrigkeit hindeutenden Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

Vor § 185

Fakten oder mit der ein vorwerfbares Handeln (Unterlassen) indizierenden Wertung konkludent erklärt (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 80). Wer den Betroffenen von einem Vorwurf freistellt, wird nicht versäumen, es zu sagen. Es ergibt sich also für die Theorien des personalen und des sozialen Geltungswerts eine Kongruenz der Ergebnisse auf dem in praxi wichtigen Bereich des nach ethischen Maßstäben bewerteten Verhaltens. Diese Maßstäbe sollen der Individual- und der Sozialethik und der allgemeinen 1 5 sittlichen Ordnung (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 54, 74) entnommen werden. Dabei ist einzuräumen, dass jenseits des Rechts, das einen wesentlichen Teil des sozialethischen Normenkomplexes bildet, die Frage nach der geltenden Moral nur für einen schmalen Kernbereich eindeutig beantwortet werden kann. Wechselnde Bedingungen, Anforderungen und Deutungen des menschlichen Daseins bewirken, dass ständig neue Werte in das Wertbewusstsein treten und andere ausscheiden. Die Situationsethik bietet nichts prinzipiell Neues. Situationen schreiben dem Menschen nicht vor, wie er in ihnen zu handeln hat. Sie verlangen, dass er ihrer Einmaligkeit in einem differenzierten Wertbewusstsein, das die sich kreuzenden Interessen und Tendenzen erfasst und wägt, gerecht wird (vgl. Schmitt Glaeser JZ 1983 100). Ein die Ehre berührender Tadel trifft ihn nur, wenn er die aus der Situation erwachsende Aufforderung zur tätigen Stellungnahme vorwerfbar nicht aufnimmt, sich bewusst der Situation, die seinen Einsatz gebietet, entzieht oder im Rahmen der Situationsbewältigung schuldhaft falsch handelt und der Pflichtverstoß nicht nur Bagatellcharakter hat. Nach allen in Betracht kommenden ethischen Maßstäben geht es um den einzelnen Menschen und das ihm Vorwerfbare (aA Otto Schwinge-Festschrift, S. 77 ff). Für die Theorien des sozialen und des personalen Geltungswerts ergibt sich also eine weitgehende Kongruenz der Ergebnisse für das nach ethischen Maßstäben (Rdn. 15) bewertete Verhalteil (Rdn. 14): Äußerungen, in denen dem Betroffenen unverdientermaßen nachgesagt wird, er habe in einer sozialen Rolle oder als ein in einer Situation (Lebenslage) Geforderter schuldhaft nicht so gehandelt, wie Recht oder Sozialmoral es gebieten, oder Äußerungen, in denen zu Unrecht behauptet wird, er habe sich vorwerfbar eine soziale Rolle, eine soziale Funktion oder eine soziale Aufgabe angemaßt, für die er sich nicht eignet, richten sich gegen die Ehre, wenn der nachgesagte Pflichtenverstoß soviel Gewicht hat, dass er die sittliche Integrität des Gemeinten in Frage stellt. Die sich aus ethischer Bewertung ergebenden, nicht nur geringfügigen und vorwerfbaren Pflichtenverstöße im gesamten sozialen Feld (insbesondere im beruflichen und politischen Bereich und innerhalb institutionalisierter Beziehungen) bilden nach jeder der beiden Theorien Geltungs-(Ehr-)mängel (vgl. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 78ff). Dagegen beleidigt nicht, wer einem anderen zu Unrecht (politische, wissenschaftliche, caritative oder andere für die Gemeinschaft nützliche) Verdienste abspricht, die zwar für sein gesellschaftliches Prestige, für sein Selbstwertgefühl oder für die Chance weiterer Entfaltung nicht gleichgültig sind, aber seine sittliche Integrität nicht berühren. „Eine große Ehre nicht haben, heißt nicht Unehre haben" (.Binding Lb. BT, 1. Bd., 2. Aufl., S. 145).

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Die Theorie des personalen Geltungswerts begnügt sich allerdings nicht mit der 1 7 Gleichung „Geltungsmangel = vorwerfbare, die sittliche Integrität tangierende Pflichtverletzung". Nach Ansicht maßgebender Vertreter dieser Theorie gibt es personale Mängel per se, unabhängig von sozialen Bezügen, wenn auch nicht unabhängig von den Wertungen unseres Kulturkreises. Es handelt sich um elementare menschliche Unzulänglichkeiten, geistige oder körperliche Gebrechen, die verhindern, dass volle Personalität entsteht oder fortbesteht (Herdegen Voraufl. Vorbem. 17; Hirsch Ehre (9)

Eric Hilgendorf

Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung

und Beleidigung, S. 82fi). Das Fehlen eines essentiellen Moments intakter Personalität soll bei geistigen Defekten (Geisteskrankheit, Schwachsinn, depravierender Sucht) in der Regel, bei körperlichen Schäden nur ausnahmsweise zu bejahen sein. In den alltäglichen Beleidigungen, den - wie Köstlin treffend formuliert hat - „gangbaren Münzen der Verachtung" (das Zitat findet sich bei Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 277), also in Schimpfworten wie „Trottel", „Idiot", „blöde Gans", „Esel", „dummer Hund", werden Minderungen des personalen Geltungswerts durch elementare Unzulänglichkeiten zum Ausdruck gebracht. Der „Volksgeist", erhaben über akademische Analysen des Ehrbegriffs, weiß, dass in der Zuweisung von Borniertheit eine Missachtung liegen kann, die eines moralisierenden Elements nicht bedarf, um tatbestandsmäßig zu sein. 18

Die Theorie des personalen Geltungswerts lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Die Ehre, die jedermann zukommt, kann durch andere nicht gemindert werden. Jedermann ist in ihrem Vollbesitz, es sei denn, dass er sie durch nicht nur geringfügige Verstöße gegen ethische oder rechtliche Pflichten selbst geschmälert hat oder dass ihm wegen elementarer menschlicher Unzulänglichkeit der volle personale Geltungswert nicht zugesprochen werden kann. In dem Maß, in dem Ehre vorhanden ist, haben die Mitmenschen sie zu respektieren. Beleidigendes Handeln kommt in Betracht, wenn sie in herabsetzenden Äußerungen den verdienten Achtungsanspruch verletzen." (Herdegen Voraufl. Vorbem. 17).

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Die Diskussion um den Ehrbegriff wurde in jüngster Zeit wesentlich bereichert durch Amelung, der in seiner Schrift „Die Ehre als Kommunikationsvoraussetzung" (2002) unter deutlicher Abgrenzung zum „normativen" Ehrbegriff für ein „wirklichkeitshaltigeres", funktional orientiertes Ehrverständnis plädiert, in dessen Mittelpunkt die Kommunikationsfähigkeit steht. Ehre ist für ihn „die Fähigkeit eines Menschen, sich so zu verhalten, dass er den normativen Erwartungen gerecht wird, denen er gerecht werden muss, um als ebenbürtiger Partner von Kommunikationen akzeptiert zu werden" (aaO S. 23). Ehrenmängel werden nach dieser Konzeption durch Defizite gebildet, die Kommunikation erschweren oder verhindern, z. B. durch die Missachtung ethischer Normen oder intellektuelle oder physische Defizite (aaO S. 22). Die Diskussion dieser originellen, prägnant formulierten Theorie steht noch am Beginn. Kritische Einwände könnten sich aus der Schwierigkeit ergeben, Ehre von dem bloßen Vorspiegeln ehrenhafter Gesinnung zu unterscheiden: die „Fähigkeit" zu kommunikationserleichterndem Verhalten besitzen gerade (nach traditionellem Verständnis „unehrenhafte") Betrüger und Blender in hohem Maße. Die scharfe Trennung von Menschenwürde und Ehre und der alleinige Rekurs auf Kommunikationsfahigkeit führen dazu, dass Behinderte eine verringerte Ehre besitzen sollen (aaO S. 50), Koma-Patienten und andere Kommunikationsunfähige gar keine (wohl aber Menschenwürde, aaO S. 53). Diese Ergebnisse sind nur schwer mit dem herkömmlichen Verständnis von „Ehre" in Recht und Gesellschaft zu vereinbaren, so dass die Gefahr besteht, das sich die Strafrechtsdogmatik zu weit von den gesellschaftlichen Basiswertungen entfernt. 6

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5. Eigene Stellungnahme. Zu Recht wurde in jüngerer Zeit darauf hingeweisen, dass die Kontroverse um den Ehrbegriff nicht nur an den unterschiedlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Ansätzen der Theorien leidet, sondern auch an einer 6

Dies gilt auch für den Versuch von Jakobs, Ehre mit informeller Sozialkontrolle und der Garantie zutreffender Information in Verbindung zu bringen (Festschrift Jescheck I 627). Ehre ist

nach Jakobs die „zugunsten einer Person angebrachte Zurechnung als verdienstlich" (aaO 639). Ablehnend Rudolphi SIC 5 a; Zaczyk N K 6, beide mwN.

Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

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außerordentlich uneinheitlichen Terminologie (Regge M K 17). Um wieder festen Grund zu gewinnen, können folgende Überlegungen hilfreich sein: Strafrecht dient dem Schutz bestimmter individueller und gesellschaftlicher Interessen. Derartige Interessen sind zunächst vorrechtlicher Natur. Greift die Rechtsordnung sie auf und stellt sie unter rechtlichen Schutz, so werden die vorrechtlichen Interessen zu Rechtsgütern. Dieser Begründungszusammenhang gilt auch für die Ehrdelikte. Die Ansprüche auf Achtung, die dem Einzelnen nach den Maßstäben der Sozialmoral und der unterschiedlichen Gruppenmoralen zugebilligt werden, sind vielfaltig und miteinander nicht selten unvereinbar. Das gilt gerade in einer pluralistischen, durch gruppenspezifischen Wertewandel und Immigration gekennzeichneten Gesellschaft. Aus dem weiten Spektrum der gesellschaftlichen Ehrkonzepte greift die Rechtsordnung bestimmte Vorstellungen heraus und stellt sie unter ihren Schutz. Das deutsche Beleidigungsstrafrecht zeichnet sich dadurch aus, dass sein Schutzbereich durch die Tatbestandsumschreibungen der §§ 185ff nur sehr ungenau festgelegt ist. Dies ist damit zu erklären, dass der Gesetzgeber des Jahres 1871 noch von relativ homogenen gesellschaftlichen Ehrvorstellungen ausgehen konnte. Heute hat sich die Situation gründlich gewandelt. Es ist deshalb erforderlich, mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit den Schutzbereich genauer zu bestimmen. Dies kann nicht allein durch (echte oder vermeintliche) begriffliche Deduktionen aus Leitwerten wie der „Menschenwürde" geschehen, sondern es bedarf der empirischen Herausarbeitung der verschiedenen Ehrvorstellungen, der Klärung ihrer Implikationen und schließlich der Entscheidung über Umfang und Reichweite des strafrechtlichen Schutzes in diesem heiklen, von tiefgreifenden weltanschaulichen und kulturellen Differenzen durchzogenen Bereich. Die Definition der strafrechtlich zu schützenden Ehre steht zunächst unter den 21 Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere des grundrechtlichen Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 GG). Entnimmt man der Menschenwürde ein Recht auf „minimale Achtung" (vgl. oben Rdn. 4), so ergibt sich ein Kernbereich der auch strafrechtlich zu schützenden Ehre, der als personaler Geltungswert bezeichnet werden kann. Dieser Kernbereich ist vor allem dann betroffen, wenn ein anderer Mensch als prinzipiell minderwertig ausgegrenzt und verächtlich gemacht wird. Der personale Geltungswert ist, den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechend, bei allen Menschen gleich. Dagegen ist der Begriff des sozialen Geltungswerts wesentlich weiter. Er beruht auf der jeweils herrschenden Sozialmoral und ist deshalb historisch wie gesellschaftlich wandelbar. Ihm entsprechen jene Ansprüche auf soziale Achtung, die im gesellschaftlichen Miteinander als Voraussetzung für ein Leben in der Gemeinschaft gefordert werden. Nicht alle derartigen Achtungsansprüche werden mit den Mitteln des Strafrechts geschützt. Besonders deutlich wird dies bei den Regeln einfacher Höflichkeit, deren Verletzung nicht rechtlich, sondern bloß gesellschaftlich sanktioniert wird. Auch die besonderen Ehrvorstellungen bestimmter kultureller oder ethnischer Gruppen, z. B. von in Deutschland lebenden, aber nach wie vor traditionalistisch orientierten Türken, sind nicht ohne weiteres strafrechtlich geschützt. Die Zuordnung zum strafrechtlich relevanten Bereich kann davon abhängig gemacht werden, welche Regeln der Achtung als unverzichtbar und welche Verletzungshandlungen demgemäß als unerträglich erscheinen. Maßstab ist auch hier die vorherrschende Sozialmoral, die freilich durch eine reichhaltige, inzwischen weit über 100 Jahre zurückreichende Judikatur ergänzt und gestützt wird. Der damit umrissene realwissenschaftlich orientierte Ansatz kombiniert die Lehren vom personalen und vom sozialen Geltungswert und führt im Ergebnis zu einem Ehrverständnis, wie es auch von der Rechtsprechung vertreten wird. Man kann diese Konzeption als dualistisch oder auch „normativ-faktisch" kennzeichnen (vgl. die Nachweise oben Rdn. 7). (U)

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Im Zusammenhang mit der eben skizzierten dualistischen Ehrkonzeption werden zwei Sonderprobleme diskutiert. (1.) In der Literatur wird vertreten, eine sich aus der Menschenwürde herleitende Ehre sei gar nicht verletzbar (GössellDölling BT I 2 § 29 Rdn. 13; Rudolphi SK 5; Wolff ZStW 81 [1969] 889f; Zaczyk N K 5), so dass die Legitimität des Beleidigungsstrafrechts überhaupt in Frage gestellt wäre, wenn man mit der Rechtsprechung des BGH Ehrenschutz und Menschenwürde miteinander verknüpft. Dieser Kritik, die erst recht für rein normative Ehrkonzeptionen gilt, kann folgendes entgegengehalten werden: Genauso wie die Menschenwürde selbst verletzt werden kann (vgl. nur die Übersicht einschlägiger Fälle bei Kunig in von Münch/ Kunig GG-Kommentar, Bd. I 5 , Art. 1 Rdn. 36), kann auch die Ehre als ein Teilaspekt der Menschenwürde verletzt werden. Es ist verfehlt, die (hier gegebene) Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung mit der (bei der Menschenwürde nicht gegebenen) Möglichkeit eines Rechtsgutsentzugs zu konfundieren (so aber Gossel!Dölling BT I 2 § 29 Rdn. 13). Die Folter nimmt dem Opfer nicht seine Würde, aber verletzt sie (aA offenbar GössellDölling aaO). Ebenso nimmt die Beleidigung dem Opfer nicht seine Ehre, aber verletzt sie. Das Missverständnis rührt wohl daher, dass man Menschenwürde und Ehre lediglich als Werte konzipiert und die daraus herleitbaren (und unzweifelhaft einer Verletzung fähigen) Rechte bzw. Ansprüche ζ. B. auf Achtung vernachlässigt. Das Problem lässt sich vermeiden, wenn man die Menschenwürde von vornherein als Ensemble subjektiver Rechte konzipiert, von denen eines das Recht auf (minimale) Achtung ist (vgl. oben Rdn. 4). (2.) Ein zweiter Vorwurf, der dem dualistischen Ehrverständis der Rechtsprechung gemacht wird, geht dahin, es würden darin zwei (heterogene) Rechtsgüter zu Unrecht zusammengeführt {GössellDölling BT I 2 §29 Rdn. 6). Nach der hier entwickelten Konzeption ist die Ehre, verstanden als Recht auf Achtung, durchaus ein einheitliches Rechtsgut, dass sich allerdings aus zwei Quellen speist: zum einem aus dem minimalen Achtungsanspruch, den jeder Mensch kraft seiner Personenwürde besitzt, und zum anderen aus jenen Ansprüchen auf Achtung, die gesellschaftlich als unverzichtbar eingestuft werden (oben Rdn. 21).

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Die Bedeutung der verschiedenen Theorien zu Inhalt und Herleitung von strafrechtlich geschützter Ehre sollte nicht überschätzt werden, zumal sich die Theorien in ihren Ergebnissen sehr ähneln (TröndlelFischer52 3; vgl. auch Rengier BT II 6 § 28 Rdn. 3: Auswirkungen der Kontroverse seien „nicht immer leicht auszumachen"). Grund hierfür ist, dass sämtliche bisher vorgebrachten Ehrbegriffe es dem Rechtsanwender in hohem Maße gestatten, das eigene Rechtsgefühl und rechtspolitische Vorverständnis zur Geltung zu bringen. Die Wertungsoffenheit des Beleidigungsstrafrechts und sein enger Bezug zur (sich wandelnden) Sozialmoral sind nicht nur wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht problematisch, sondern auch mit Blick auf die Vorhersagbarkeit und Nachprüfbarkeit der Judikatur. Die reichhaltige Kasuistik vermag nur in Grenzen Abhilfe zu schaffen, da auch sie selbst im Lichte der sich wandelnden Ehrvorstellungen kontinuierlich neu bewertet wird. Die Herausarbeitung eines modernen, präzis formulierten und sozialwissenschaftlich informierten Konzepts des strafrechtlichen Ehrenschutzes bleibt daher ein Desiderat der rechtswissenschaftlichen Arbeit.

II. Die Träger der Ehre 24

1. Jeder Mensch hat kraft seines Personseins personale Würde und Ehre als einen Aspekt dieser Würde (Rdn. 2). Infolgedessen sind alle lebenden Menschen beleidigungsfähig, auch Kinder und Geisteskranke (BGHSt. 1 288; 7 129, 132; 23 3; RGSt. Stand: 31. 3.2005

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Vorbemerkungen

Vor § 185

10 372; 27 368; 67 110; 70 246; 73 116 und 249; 75 179; RG JW 1935 526 Nr. 27; LackneriKühl15 2). Kinder besitzen Personalität und Geltungswert entsprechend ihrer Altersstufe. Wer einem Kind etwas zumutet, ansinnt, vorwirft, was für ein Kind kein ihm anzulastendes pflichtwidriges Verhalten darstellt, beleidigt es nicht (Rudolphi SK 6). Auch derjenige beleidigt ein Kind nicht, der es in ein von Dritten nicht wahrgenommenes Geschehen einbezieht, dessen Sinn es nicht versteht (a. A. wohl RGSt. 60 34). Wer im Vollbesitz seiner Ehre geisteskrank wird, kann in seinem durch die Krankheit geschmälerten, aber auch in seinem für die Vergangenheit fortbestehenden ungeschmälerten Achtungsanspruch verletzt werden ( Welzel S. 305). Sexualbezogene Handlungen gegen Kinder und Geisteskranke erfüllen nicht ohne weiteres (auch) den Tatbestand der Beleidigung. Er wird vielmehr in aller Regel nicht verwirklicht, weil der Täter entweder einen Geltungsmangel nicht behauptet oder dem Opfer das Verständnis für das Geschehen fehlt. Diese Betrachtungsweise kann zu einer Strafbarkeitslücke bei sexualbezogenen Handlungen führen (vgl. § 184 f StGB). „Der Typus des Sexualdelikts ist etwas anderes als Ehrverletzung" (Graf zu Dohna DStR 8 41; vgl. auch Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 61 ñ). Zur Frage, ob der Verstorbene noch Ehre hat, vgl. die Anmerkungen zu § 189. Aus § 194 Abs. 3 und Abs. 4 ist zu folgern, dass in den Ehrenschutz Behörden, sonstige Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, Behörden von Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts und politische Körperschaften einbezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gegen einzelne Mitglieder, ja sogar die gegen alle Mitglieder gerichtete Beleidigung, nicht ohne weiteres eine Beleidigung der Behörde oder der Körperschaft ist und dass andererseits der Tatbestand der Behörden- oder Körperschaftsbeleidigung das Betroffensein eines jeden Mitglieds nicht erfordert (RGSt. 4 45; 7 285; 7 382; 7 404; 41 170; 47 63; RG JW 1913 943 und 1914 369). 2. Die Frage, ob auch Personengemeinschaften beleidigt werden können, gehört zu den umstrittensten des Beleidigungsrechts. In RGSt. 70 140 ff gab das Reichsgericht seine restriktive Ansicht auf und bejahte die Beleidigungsfähigkeit von „Personenmehrheiten, die das Recht anerkennt und die mit staatlicher Billigung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind". Der Bundesgerichtshof ist noch einen Schritt weitergegangen. In BGHSt. 6 186 ff hat er ausgesprochen, jede Personengemeinschaft, die eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann, genieße ohne Rücksicht auf ihren rechtlichen Status Ehrenschutz. Inzwischen ist dieser Schutz z. B. einer „Bank als Kapitalgesellschaft" (OLG Köln NJW 1979 1723), der „Mannheimer Polizei" (OLG Frankfurt NJW 1977 1353; vgl. auch BGH StV 1982 222: Die Entscheidung verneint eine Beleidigung der Nürnberger Polizei aus tatsächlichen, nicht aus rechtlichen Gründen), einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (BayObLG StV 1982 576) zuteil geworden. Das Echo auf diese Rechtsprechung ist sehr unterschiedlich. 7 Gegen die passive Beleidigungsfahigkeit von Personengemeinschaften lässt sich vorbringen, dass die von der Rechtsprechung angegebenen Voraussetzungen für die Zuerkennung von „Kollektivehre" kaum eindeutige Ergebnisse zulassen. Die Fähigkeit, einen einheitlichen Willen zu bilden, kann - in der einen oder anderen Form - jede Personengruppierung haben, auch eine Skatrunde, ein Kegelclub oder ein Gesangsverein. Das Erfordernis

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Zustimmung äußern z. B. Bruns NJW 1955 689; Geppert Jura 1983 537; Sehl Schröder! Lenckner26 3. Vorbehalte hat z.B. Arzt JuS 1982 718. Ablehnend z. B. Hirsch Ehre und Beleidigung,

S. 113 ff; Kaufmann ZStW 72 ( 1960) 423 ff; Krug S. 203 ff; Rudolphi SK 9; Wagner JuS 1978 675 f; Welzel S. 306.

Eric Hilgendorf

Vor § 185

14. Abschnitt. Beleidigung

der „rechtlich anerkannten Funktion" eliminiert, was sich ohnehin versteht: Kollektivgebilde, die vom Recht missbilligte Zwecke verfolgen (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 106). Die Formeln der Judikatur lassen die Tatbestandsgrenzen weitgehend offen. Sie werden den Anforderungen kaum gerecht, die an die Bestimmtheit der Verbotsmaterie zu stellen sind. Ein weiterer Einwand wird aus dem Ehrbegriff selbst gewonnen. Für die Theorie des personalen Geltungswerts (vgl. Rdn. 2, 9) ist die Ehre Attribut des Menschen und Aspekt der Personwürde. Die „Kollektivehre" ist eine Erscheinung anderer Art. Sie steht in funktionellem Zusammenhang mit (geschäftlichem) Ansehen, (Firmen-)Ruf, lauterem Wettbewerb, Abwehr von Diskreditierung. Infolgedessen geht es um eine (in § 194 Abs. 3 und Abs. 4 nicht gelöste, nicht einmal aufgeworfene) Frage nach dem Ob und dem Inwieweit einer Gleichstellung (vgl. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 119IT). 26

Für die Theorie des sozialen Geltungswerts (Rdn. 9 ff) ergeben sich dagegen vom Ehrbegriff her keine prinzipiellen Bedenken gegen eine Parallelisierung von Individuum und Personengemeinschaft. Allerdings sind die Einzelheiten auch bei Vertretern dieser Theorie nicht unumstritten (vgl. Frank II 4; Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 350ff). Die zivilrechtliche Judikatur, die Handelsgesellschaften (Kapital- und Personengesellschaften), rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Vereinen (Gewerkschaften, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften) Kollektivehre zubilligt (vgl. B G H Z 78 24, 26: Ehrenschutz, soweit der „soziale Geltungsanspruch" einer Kommanditgesellschaft in ihrem Aufgabenbereich betroffen wird; BGHZ 78 274, 278; BGH NJW 1971 1655; 1974 1762; OLG Stuttgart NJW 1976 628: Ehrenschutz, soweit der Geschäftszweck ihn erfordert), kann im Rahmen des geltenden Strafrechts nicht ohne weiteres rezipiert werden. In dieser Judikatur wird ein Ansehen, Ruf und soziale Geltung, Kreditwürdigkeit und Entfaltungsmöglichkeit umfassender Ehrbegriff zugrunde gelegt (vgl. insbesondere BGHZ 78 24, 26; OLG Stuttgart aaO 630).

27

Nach dem hier vertretenen Ansatz, der mit der Rechtsprechung personalen und sozialen Geltungswert kombiniert, ist die Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften anzuerkennen. Derartige Gemeinschaften sind zwar als solche nicht Träger von (individueller) Würde, wohl aber können sie schutzwürdiges soziales Ansehen genießen, dessen vorsätzliche Verletzung strafrechtlich sanktionierbar ist. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit in § 194 Abs. 3 und Abs. 4 gesetzlich festgeschrieben (BVerfGE 93 266, 291; NJW 2000 3421; krit. TmndlelFischer52 14). Voraussetzung ist, dass die Personengemeinschaft eine anerkannte soziale Funktion erfüllt, einen einheitlichen Willen bilden kann und in ihrer Existenz nicht vom Wechsel ihrer Mitglieder abhängt (h. M., vgl. nur LacknerIKühl2S 5). Die Rechtsprechung dehnt den Schutz von Personengemeinschaften allerdings teilweise bedenklich weit aus: ζ. B. auf die Bundeswehr (BGHSt. 36 88 mit Anm. Arzt JZ 1989 1367; Frankfurt NJW 1989 1367; zu Recht krit. Giehring StV 1992 194; zusf. Dau NJW 1988, 2650) und auf Parteien und ihre Untergliederungen (Düsseldorf M D R 1979 692). Wessels!Hettinger BT I 28 Rdn. 468 sprechen von „Rechtsfortbildung in malam partem". Dagegen wurde die Beleidigungsfahigkeit der Polizei im Ganzen abgelehnt (BayObLG NJW 1990 1742; OLG Düsseldorf StraFo 2003 316).

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3. Von der „Kollektivbeleidigung" (Rdn. 25 ff) hebt sich die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung dadurch ab, dass sie nicht die „Ehre" einer Personenmehrheit angreift, sondern sich gegen die individuelle Ehre (eines Einzelnen, mehrerer oder vieler) richtet (Rengier BT II 6 § 28 Rdn. 13). Die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung wirft stets die Frage auf, wer alles von der Äußerung des Täters betroffen wird. Sie stellt sich nicht, wenn der Täter verbaliter ein Kollektivurteil fallt, das sich Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

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nach den situativen Umständen seiner Erklärung oder nach dem Kontext eindeutig nur auf eine bestimmte Person (oder mehrere bestimmte Personen) bezieht (vgl. Geppert Jura 1983 540; Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 348). Sieht man von dieser Fallgestaltung ab, dann tritt die Beleidigung unter einer Sammelbezeichnung in folgenden zwei Formen in Erscheinung. Für jede gilt: Eine Art kollektiver Verbundenheit mehrerer Betroffener wird nicht hergestellt. Jeder von ihnen kann nur Strafantrag für sich selbst stellen, weil die Tat sich (auch) gegen ihn persönlich richtet. a) Die eine Fallgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter seine Äußerung 2 9 dem Wortlaut nach zwar auf einen einzelnen oder mehrere einzelne bezieht, jedoch den oder die Gemeinten nicht individuell benennt, sondern nur eine Eigenschaft angibt, die eine weitere Konkretisierung nicht ermöglicht: die Zugehörigkeit zu einem Kollektivgebilde (ζ. B. einer Behörde, einem Gericht, einem Spruchkörper, einem Regierungsorgan, einer Firmenleitung). Er spricht ζ. B. von „einem Bundesminister", von „einem Mann der Chefetage". Weil die Bezeichnung, die der Täter gebraucht, auf alle zutrifft, die dem Kollektivgebilde angehören, werden sie alle von der Äußerung betroffen (vgl. die Fallgestaltungen, die Gegenstand der Entscheidungen BGHSt. 14 48, 19 235 und RGSt. 23 246, 52 159 waren). Der Täter braucht die breite Streuung seiner beleidigenden Äußerung nicht zu beabsichtigen. Es genügt, dass er damit rechnet (BGHSt. 14 48, 50; 19 235, 236). Für die Verwirklichung des äußeren Tatbestands gibt es jedoch eine nicht übersteigbare Schranke: Die Sammelbezeichnung muss einen verhältnismäßig kleinen, in bezug auf die Individualität seiner Mitglieder ohne weiteres deutlich überschaubaren Personenkreis umfassen. Richtet sich eine Verdächtigung gegen einen Einzelnen (oder gegen mehrere Einzelne) aus einem großen Personenkreis, dann verliert sie sich in der Vielzahl derer, die ihm angehören (BGHSt. 19 235, 238; KG JR 1978 423; OLG Düsseldorf M D R 1981 868; Geppert Jura 1983 539; Rudolphi SK 12; SehlSchröder!Lenckner26 7b). Für das herabsetzende Werturteil gilt nichts anderes. b) In die zweite Fallgruppe gehören beleidigende Äußerungen, in denen der Täter 3 0 eine Begrenzung auf einen Einzelnen oder auf mehrere Einzelne nicht vornimmt. Er fallt ein Kollektivurteil und bezieht verbaliter alle ein, die der von ihm genannten Personengruppe angehören. Ob sie „von Rechts wegen" alle gemeint sind, hängt nicht nur vom Wortlaut der Äußerung ab. Die kollektive Bezeichnung muss einen Personenkreis erfassen, der sich deutlich aus der Allgemeinheit heraushebt. Wer alles ihm zuzurechnen ist, darf nicht zweifelhaft sein. Aber diese in der Rechtsprechung (BGHSt. 2 38, 39; 11 207, 208; RGSt. 68 120, 124; KG JR 1978 423) und in der Literatur (vgl. Geppert Jura 1983 538; Rudolphi SK 13) verwendeten Formulierungen sind sehr vage (Arzt JuS 1982 719; Geppert aaO). Sie hindern nicht, dass die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zur Beleidigung einer nicht überschaubaren Personengruppe wird, ohne dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen einer „Kollektivbeleidigung" (vgl. Rdn. 25, 27) Beachtung finden. Diese Ausuferung ist nicht leicht zu durchschauen, weil das Strafantragsrecht den zum Kollektivgebilde gehörenden Einzelnen verbleibt, sie als Beleidigte fungieren. Folgende Überlegungen sind der zu weit gehenden Rechtsprechung (vgl. insbesondere BGHSt. 11 207; BGHZ 75 160; RGRspr. 1 292; RG JW 1932 3113 Nr. 67) entgegenzusetzen: Kollektivurteile (es mag sich um Tatsachenbehauptungen oder Wertungen handeln) übertreiben und stereotypisieren. Doch „höchstens der Vorsatz eines nicht ernst zu nehmenden Fanatikers umfasst... alle", die sich der von ihm genannten Personenmehrheit zuordnen lassen, „ohne Ausnahme" (Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 349). Aber zunächst und primär geht es nicht um den Vorsatz, sondern um den objektiven Äußerungswert der (15)

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pauschalen Verdächtigung oder Herabsetzung. Sie ist ein Durchschnittsurteil, eine Verallgemeinerung, bei welcher die individuelle Ausnahme stets miterklärt ist, wenn die Kollektivbezeichnung eine nicht überschaubare Personenmenge umfasst und infolgedessen eine konkrete Beziehung der Nachrede oder des Werturteils des Täters auf bestimmte Personen und nur auf sie nicht erkennbar ist. Es erübrigt sich, dass der Täter ausdrücklich sagt, er mache Ausnahmen (a. A. BayObLG NJW 1953 554, 555), weil seine Äußerung ohnehin nicht anders zu verstehen ist. Er bezieht sich auf ein Abstraktum. Es bleibt offen, wer von denen, die diesem Abstraktum möglicherweise zugeordnet werden können, zu den „Schafen" und wer zu den „Böcken" gehört. Infolgedessen ist keiner von ihnen beleidigt (BayObLG aaO; BayObLGSt. 1958 34, 35; Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 349; Wagner JuS 1978 678; Welzel S. 308). 31

Die gegenteilige Auffassung besagt: Wenn der Täter nicht ausdrücklich erklärt, dass er nicht alle meine, auf welche die Kollektivbezeichnung zutrifft, folge aus der Unmöglichkeit der Abgrenzung, dass die beleidigende Äußerung auf jeden bezogen werden kann, auf den die Bezeichnung passt (Bockelmann NJW 1953 554, 555 unter Berufung auf RGRspr. 1 292; RGSt. 33 46; 45 138). Es wird also ein Formerfordernis aufgestellt und von seiner Beachtung die dem Täter günstige Auslegung abhängig gemacht. Aber im Strafrecht muss der Grundsatz gelten: „Dubia in meliorem partem interpretan debent." Das nur auf ein Abstraktum sich beziehende Pauschalurteil klassifiziert nicht, jedenfalls nicht erschöpfend, sondern gibt dem Zweifel Raum, was dem Täter zum Vorteil gereichen muss. Eine umfassende Klassifikation nimmt er lediglich dann vor, wenn seine Etikettierung die Beziehung seiner Äußerung auf bestimmte Personen und nur auf sie erkennbar macht. Das wird nur dort der Fall sein, wo die Kollektivbezeichnung eine kleine, überschaubare Personenmehrheit umschreibt. Es zeigt sich eine bis zur Kongruenz gehende strukturelle Nähe der beiden Fallgruppen der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung (Arzt JuS 1982 719; aA OLG Düsseldorf M D R 1981 868): Die Frage der Individualisierbarkeit (der erkennbaren Beziehung der Äußerung des Täters auf bestimmte Personen) ist in beiden Gruppen von ausschlaggebender Bedeutung. Zum subjektiven Tatbestand ist noch zu bemerken: Der Täter braucht zwar die Personen, auf die seine Äußerung sich bezieht, weder zu kennen, noch sie sich vorzustellen (RG JW 1928 806 Nr. 26). Er muss aber wollen oder doch damit rechnen ( Welzel S. 68), dass seine Behauptung oder herabsetzende Wertung (auch) auf diejenigen Personen bezogen wird, auf die sie nach den für den objektiven Tatbestand geltenden Maßstäben zu beziehen ist (vgl. BGHSt. 14 48, 50; RGSt. 68 120, 123). Das kann auch eine Person oder eine bestimmte Anzahl von Personen sein, wenn der Täter sie durch Zusätze zur (im Übrigen abstrakten) Kollektivbezeichnung individualisiert hat (vgl. BayObLGSt. 1958 34, 36).

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Die Rechtsprechung hat, wie schon angedeutet (Rdn. 30), in vielen Fällen der Eigenart des Pauschal-(Durchschnitts-)urteils und dem Erfordernis, dass die beleidigende Äußerung eine erkennbare Beziehung auf bestimmte Personen aufweisen muss, nicht Rechnung getragen. Sie hat eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung z. B. bejaht bei herabsetzenden Äußerungen über „das Richtertum Preußens" (RGRspr. 1 292), über „die Großgrundbesitzer der Provinz Ostpreußen" (RGSt. 33 46), über „die deutschen Ärzte" (RG JW 1932 3113 Nr. 67), über „die in Deutschland lebenden Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren" (BGHSt. 11 207, 208; vgl. auch BGHSt. 13 32, 38; 16 49, 57; 17 28, 35; 32 1, 9; BGH NJW 1952 1183, 1184; noch weitergehend BGHZ 75 160 ff), über „die Beamten der Schutz- und Kriminalpolizei" (OLG Düsseldorf M D R 1981 868), über „die Spitze der Großbanken" (OLG Hamm DB 1980 1250). In einigen dieser Entscheidungen Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

Vor § 185

hält die Judikatur nur noch scheinbar daran fest, dass die Beleidigung ein gegen den Einzelnen gerichtetes Delikt ist. Die Kritik an ihr (vgl. Sehl Schröder! Lenckner26 7) ist berechtigt. Die Möglichkeit einer sicheren Zuordnung zu der vom Täter genannten Personenmehrheit ist von der Rechtsprechung z.B. verneint worden bei herabsetzenden Äußerungen über „die an der Entnazifizierung Beteiligten" (BGHSt. 2 38, 39), über „die Akademiker", über „die Protestanten" (BGHSt. 11 207, 209), über Justizangehörige („Robenknechte in Moabit und Tegel"; KG JR 1978 423). Diesen Entscheidungen ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. 4. Familienehre? Die Beleidigung ist grundsätzlich ein gegen den Einzelnen gerich- 3 3 tetes Delikt. Das folgt daraus, dass die Ehre in ihrem Kernbereich Teil der Personwürde, Attribut des Menschen ist. „Ehrenschutz", der unter Einbeziehung von Ansehen, sozialer Geltung und anderen Werten Kollektivgebilden zuteil werden soll, kann nur unter besonderen Voraussetzungen gewährt werden (Rdn. 27). Der Gesetzgeber hat bisher eine „Familienehre" als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut nicht anerkannt. Er sollte es auch in der Zukunft nicht tun. Die strafwürdigen Fälle lassen sich als Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung erfassen (BayObLGSt. 1957 201 = M D R 1958 264; Welze! M D R 1951 502). Der Bundesgerichtshof hat die Beleidigungsfähigkeit der Familie verneint (BGH NJW 1951 531 = JZ 1951 520 mit Anm. Mezger = M D R 1951 500 mit Anm. Welze!). Der erkennende Senat hat später auf Anfrage erklärt, dass er an seiner Auffassung festhalte, weil der Kreis der Familie nicht klar abgrenzbar sei und ihr die einheitliche Willensbildung fehle (BGHSt. 6 186, 192). Es ist also auf Gesichtspunkte abgestellt worden, die auch sonst für die Frage, ob Personengemeinschaften als solche beleidigt werden können, nach der Judikatur von ausschlaggebender Bedeutung sind (Rdn. 25, 27). Die Literatur hat sich nach und nach auf die Seite der Rechtsprechung gestellt, vor allem mit der Erwägung, dass die Familie kein korporativer Verband sei, der als Subjekt mit einheitlicher Willensbildung am sozialen Leben teilnehme. 8 Die Kehrseite der „Familienehre" wäre, das sollte man nicht übersehen, die Familienunehre, eine Art Sippenhaftung (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 99). Aus Überlegungen, die auf den konkreten Familienzusammenhang abstellen, „der die selbständige Familienehre als eine soziale Wirklichkeit" erscheinen lasse, wenn er „in fester Organisation eine unerschütterliche Einheit mit ursprünglich bewegender und formender Kraft offenbart" (so LK 8 III 1 der Vorbemerkungen), oder die den „existentiellen Charakter" der Familie betonen (Kaufmann ZStW 72 [1960] 441), lassen sich ebenso wenig brauchbare rechtliche Kriterien gewinnen wie aus der in „völkischer Zeit" getroffenen Feststellung, dass „der Schimpf, den ein Mitglied erleidet, die Gemeinschaft trifft" (RGSt. 70 97). Ein Jahr später hat das Reichsgericht allerdings nüchtern bemerkt, dass es eine den Mitgliedern einer Familie als Mehrheit zustehende Familienehre stets abgelehnt habe und dass kein Anlass bestünde, von dieser Judikatur abzuweichen (RG JW 1937 1331 Nr. 30).

III. Mittelbare Beleidigung? Eine herabsetzende Äußerung kann nicht nur in Fällen der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung mehrere Personen treffen. Wer einen anderen „Hurensohn" nennt, beleidigt ihn und seine Mutter und zwar unmittelbar: Ihm wird durch diese 8

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In Auswahl: TröndlelFischer52 13; Geppert Jura 1983 538; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 98; Rudolphi SK 10; Seh!Schröder!Lenckner2* 4;

Welzel S. 306; anders z.B. Kaufmann ZStW 72 (1960)441.

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14. Abschnitt. Beleidigung

Äußerung gesagt, er sei ein „verkommener Bengel". Das Attribut, das der Mutter zuteil wird, bedarf keiner Explikation. Es ist falsch, in Fallgestaltungen, die dem Beispiel entsprechen, den Begriff der „mittelbaren Beleidigung" zu verwenden. Auch der Begriff der „indirekten Beleidigung" (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 65 Anm. 47) ist irreführend. Sieht man von den sachlichen Bedenken gegen die Konstruktion zunächst einmal ab, dann kann von „mittelbarer Beleidigung" dort gesprochen werden, wo ein Geschehen sich zwar zwischen dem Täter und X abspielt, aber sich (auch oder nur) gegen den im „Kundgabeakt" nicht angesprochenen Y „als Herabsetzung seiner Geltung" (BGHSt. 16 58, 60) auswirkt. In praxi ging es vor allem um Fälle des Ehebruchs, um sexualbezogene Handlungen gegenüber und mit einer verheirateten Frau und um Eingriffe in das elterliche Personensorgerecht (oder um Sachverhalte, die als Missachtung dieses Rechts angesehen wurden). Die rechtliche Problematik wird überspielt, wenn in solchen Fällen in Übernahme der Terminologie des Reichsgerichts (vgl. RGSt. 70 248; RG JW 1937 1331 Nr. 30; 1939 543 Nr. 9) von einer „unmittelbaren" Beleidigung des unbeteiligten Ehegatten oder des Personensorgeberechtigten die Rede ist. Die Entscheidung BayObLGSt. 1957 200 (= M D R 1958 264) spricht in Würdigung eines Sachverhalts, der Modellcharakter hat, ausdrücklich von „mittelbarer Beleidigung". Sie ist ein Relikt der iniuria mediata, nach welcher der Hausvater (Ehemann) durch „Injuriierung" seines Kindes oder Ehefrau in seinen Rechten oder in seinem sozialen Geltungswert (Ansehen) verletzt gesehen wurde (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 65; Jescheck G A 1956 110; Mommsen Römisches Strafrecht - Nachdruck der Ausgabe von 1899 - S. 786 und 798). 35

Die Rechtsprechung sah im Ehebruch früher regelmäßig eine „Ehrenkränkung" des unbeteiligten Ehegatten. In praxi ging es um die „Ehre" des Mannes (RGSt. 65 1; 75 259; BGH NJW 1952 476). Man nahm aber an, dass der Ehebruch in § 172 (die Vorschrift ist durch das Erste Strafrechtsreformgesetz v. 25.6.1969 aufgehoben worden) eine spezielle Regelung erfahren habe, die § 185 gewöhnlich verdränge und eine Bestrafung (auch) wegen Beleidigung nur zulasse, wenn sich eine (weitere) Ehrenkränkung des unbeteiligten Ehepartners aus besonderen begleitenden Umständen oder aus Sachverhaltselementen ergab, die zwar mit dem Ehebruch verbunden waren, aber für den Tatbestand keine Rolle spielten (vgl. RGSt. 65 2; 75 151; 75 260). Der Ehebruch als solcher konnte nur dann unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Beleidigung verfolgt werden, wenn der „verletzte" Ehegatte kein Scheidungsrecht erlangt hatte (vgl. RGSt. 75 260; BayObLGSt. 1962 43 = GA 1963 20). Die Verfolgung war also ausgeschlossen, wenn die Ehe wegen Ehebruchs geschieden wurde oder wenn der unbeteiligte Ehegatte ein Scheidungsrecht hatte und es nicht ausübte (RGSt. 74 380; BGH NJW 1952 476). Der „Ehrenschutz" des Ehemannes wurde ausgeweitet. Er wurde als Betroffener bei allen gegenüber und mit der Ehefrau begangenen unsittlichen Handlungen angesehen. Man verstieg sich sogar zu der These, dass nach deutscher Familienauffassung jeder, der die Ehre einer Frau antaste, zugleich die des Ehemannes verletze (RGSt. 70 97; 70 175). Das Einverständnis der Ehefrau, ihre „mittäterschaftliche" Beteiligung störte nicht. Man nahm an, ihr Einverständnis lasse den Tatbestand unberührt und rechtfertige lediglich ihr gegenüber (RGSt aaO; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 68 Anm. 52a). Auch nach 1945 fuhr man, allerdings unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichberechtigung, dort fort, wo das Reichsgericht aufgehört hatte. In der Judikatur (BGH NJW 1952 476; BayObLGSt. 1957 200; 1962 41 = GA 1963 20; OLG Zweibrücken NJW 1971 1225) wurde die Ansicht vertreten, der Ehebruch oder eine sexuelle (sexualbezogene) Handlung beleidige den nicht beteiligten Ehegatten ohne weiteres oder jedenfalls bei Hinzutreten besonderer Umstände (z. B. bei Ehebruch in dessen ehelicher Wohnung). Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

Vor § 185

Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Die Zweifel, die in BayObLGSt. 3 6 1962 43 an der Strafbarkeit der Fälle geäußert werden, in welchen der beteiligte Ehegatte mit dem, was geschieht, einverstanden ist, sind nur allzu berechtigt. Aber es geht nicht nur um Zweifel in solchen Fällen. Wer „die eheliche Gemeinschaft in ihrem Wesensgehalt" durch sexuelle oder sexualbezogene Handlungen (vgl. § 184 f Nr. 1) gegenüber oder mit einer verheirateten Frau (wegen der Überlieferung und zur sprachlichen Vereinfachung wird auf sie abgestellt) „antastet" (so BayObLGSt. 1957 200), der bekundet durch ein solches „Antasten" in gar keinem Falle einen Mangel an personalem Geltungswert des Mannes dieser Frau. Er wirft ihm weder die Verletzung einer (sozial-)ethischen Pflicht noch eine elementare menschliche Unzulänglichkeit vor. Es mag sein, dass er „das Wesen der Ehe" und die ideelle Persönlichkeitssphäre des anderen nicht respektiert oder dass er ihn kränkt (ihm seelischen Schmerz zufügt), aber er beleidigt ihn nicht. Und aus „besonderen Umständen" kann sich eine Beleidigung nur ergeben, wenn der Ehestörer durch sie einen Mangel an Achtung zum Ausdruck bringt. Das tut er nicht schon deshalb, weil er den ehebrecherischen Akt in der Wohnung des hintergangenen Mannes vollzieht. Er verletzt allenfalls dessen Hausrecht (aA OLG Zweibrücken NJW 1971 1225). Die besonderen Umstände als solche müssen das Handlungsunrecht der Beleidigung vollständig enthalten. Wer anderer Meinung ist, sollte wenigstens aus der Aufhebung des § 172 die Konsequenzen ziehen: Die Tatsache, dass der Ehebruch nicht mehr mit Strafe bedroht ist, legt die Folgerung nahe, dass eine lückenfüllende Funktion des § 185 (die Vorschrift hat einen höheren Strafrahmen als die aufgehobene Bestimmung) auf dem „Sektor" des Ehebruchs eine Verkehrung des Willens des Gesetzgebers zur Entpönalisierung bedeuten würde. Was für den Ehebruch gilt, muss auch für sexuelle Handlungen von „minderer Qualität" gelten: § 185 kann nicht dazu dienen, durch Ausweitung des Schutzes der Ehre als Eheschutz zu fungieren. Die hier vertretene Auffassung hat sich weitgehend durchgesetzt (vgl. Geppert Jura 1983 589; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 66 ff; Rudolphi SK 17; SehlSchröder!Lenckner26 § 185 Rdn. 4a). Zur neueren Rechtsprechung vgl. § 185 Rdn. 30,31. Der elterliche Personensorgeberechtigte sollte insbesondere durch sexuelle (§ 184 f 3 7 Nr. 1 ) oder sexualbezogene Handlungen, die ein Dritter an bzw. mit seinem Kind vornimmt, beleidigt sein, wenn der Täter „wegen der besonderen Gestaltung der Tatumstände gleichzeitig das Ansehen der Eltern missachtet" und dem Täter das bewusst ist (BGHSt. 16 58, 60; vgl. auch BGHSt. 7 129, 131; BGH NJW 1951 531 = JZ 1951 520 mit Anm. Mezger = M D R 1951 500 mit Anm. Welzel; OLG Hamm NJW 1972 883 mit erfreulich restriktiver Tendenz). Eine Beleidigung des Personensorgeberechtigten sollte aber auch in Betracht kommen, wenn der Täter zwar keine „geschlechtsbezogenen" Handlungen vornimmt, aber in Gegenwart des Personensorgeberechtigten (auf seine Präsenz wird durchaus nicht immer abgestellt) „das Erziehungsrecht missachtet" (BGHSt. 16 58, 60; OLG Koblenz NJW 1955 602 Nr. 2).9 Es ist in der Judikatur auch die Rede von „Mißachtung des Elternrechts", des „Erziehungs- und Beaufsichtigungsrechts" (BGHSt. 7 129, 131), des „Erziehungswerks der besorgten Eltern" (BGH NJW 1951 531). Das alles ist in der Tat „ganz uferlos" (Hirsch Ehre und Be-

9

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Weitere Judikatur: RGSt. 70 248; 74 204; RG JW 1937 1331 Nr. 30; 1938 790 Nr. 6; 1939 543 Nr. 9; RG DR 1939 233; BayObLGSt. 1957 200 = M D R 1958 264 (die Entscheidung hält den Vater eines 17 Jahre alten Mädchens für beleidigt, weil die Angeklagte diesem Mädchen vor-

hielt, es „sei schon eingesperrt gewesen und laufe den Amerikanern und Negern nach". Dieser Äußerung lasse sich der Vorwurf einer Vernachlässigung der Erziehungspflicht des Vaters entnehmen).

Eric Hilgendorf

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14. Abschnitt. Beleidigung

leidigung, S. 64), weit über den Rahmen des Beleidigungsrechts hinausgehend (.Jescheck GA 1956 110), „illegitim" ( Welze! M D R 1951 502). Eine Verurteilung wegen Beleidigung des elterlichen Personensorgeberechtigten scheidet nicht nur aus subjektiven Gründen aus, weil „ein Täter, der den Erziehungsberechtigten nicht kennt, in aller Regel nicht daran denkt, dass er auch eine Missachtung der Eltern ... zum Ausdruck bringt" (BGHSt. 16 58, 61). Sie kommt nicht in Betracht, weil dem Erziehungsberechtigten dadurch, dass ein anderer sich über ein „ausschließliches Recht" (OLG Koblenz aaO) hinwegsetzt, das „Erziehungswerk in Frage stellt" (RG JW 1938 790 Nr. 6, ähnlich RG JW 1939 543 Nr. 9), nichts an personalem Geltungswert abgesprochen wird. Die abweichende Auffassung lässt den Tatbestand der Beleidigung an Stelle eines Tatbestands (der Beeinträchtigung des Personensorgerechts und des elterlichen Erziehungswerks) fungieren, den es nicht gibt. Das Bemühen um eine Restriktion der ausgeuferten Rechtsprechung (vgl. BGHSt. 16 58, 60, 62; OLG Hamm NJW 1972 883) sollte zu ihrer Aufgabe führen. Wo eine echte Strafbarkeitslücke unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Kindes besteht, da mag der Gesetzgeber für Abhilfe sorgen. Für die Kränkung „des berechtigten Selbstgefühls" des Vaters, dessen achtjähriger Sohn in seiner Gegenwart von der Lehrerin eine Ohrfeige erhält, weil er log (OLG Koblenz aaO), genügt es, das Zivilrecht zu bemühen. Die hier in Ubereinstimmung mit Hirsch, Jescheck und Welzel vertretene Auffassung ist heute h . M . (vgl. BayObLGSt. 1986 91, 92; Rudolphi SK 16 und 17; Sehl Schröder/Lenckner26 § 185 Rdn. 4b; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 44).

IV. Neue Fragestellungen 38

In den letzten Jahren sind im Zusammenhang mit den Ehrdelikten neue Fragestellungen aufgetaucht. Ein erstes Problem betrifft die neue Heterogenität der Ehrvorstellungen. Wertewandel, Pluralisierung der Gesellschaft und Immigration haben dazu geführt, dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland heute ganz unterschiedliche Ehrvorstellungen anzutreffen sind. Während man noch bis in die 1970er Jahre hinein davon ausgehen konnte, über Leitbegriffe wie den „personalen Geltungswert" eines Menschen jedenfalls hinsichtlich konkret ehrverletzender Handlungen meist relativ rasch Einigkeit zu erzielen, hat sich die Situation heute gründlich gewandelt. Abweichende Ehrvorstellungen lassen sich nicht mehr als „feudale Restvorstellungen" marginalisieren oder gar als „Verbrecherehre" usw. a priori abwerten. Vor allem in der türkisch geprägten Bevölkerung Deutschlands finden sich besondere Ehrvorstellungen, die gerade auch von jüngeren Menschen aktiv gelebt und verteidigt werden, im Extremfall bis hin zu „Ehrenmorden" an denen, die sich diesen Vorstellungen nicht fügen wollten (dies wird bislang vor allem im Kontext der „niedrigen Beweggründe" bei § 211 diskutiert, vgl. BGH NStZ 2004 332; NStZ 2002 369; StV 1994 182; NJW 1980 537). Ob und inwieweit die Rechtsprechung diese besonderen Ehrvorstellungen berücksichtigen kann, ist noch nicht geklärt. Denkbar erscheint einerseits, einen individuellen bzw. gruppenspezifischen Maßstab anzulegen, der im Extremfall sogar einer besonderen „Ehrempfindlichkeit" Einzelner Rechnung tragen könnte. Andererseits ließe sich unter Rückgriff auf eine (allerdings noch näher zu präzisierende) „Leitkultur" auch der Versuch unternehmen, die Fiktion einer grundsätzlichen Homogenität der Ehrvorstellungen aufrechtzuerhalten. Diese Fragen sind in der Wissenschaft noch nicht ausreichend diskutiert worden. Nach der hier vertretenen dualistischen Ehrkonzeption ist der von der Menschenwürde geprägte Kerngehalt der Ehre (vgl. oben Rdn. 21) kulturunabhängig und steht in Form des „personalen Stand: 31.3.2005

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Vorbemerkungen

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Geltungswerts" jedem mit grundsätzlich gleichem Inhalt und in gleichem Umfang zu. Dagegen erlaubt die Figur des primär gesellschaftlich geprägten „sozialen Geltungswerts", auch Ehrvorstellungen zu berücksichtigen, die von den Vorstellungen der deutschen Mehrheit abweichen, soweit sie nicht wesentlichen Vorgaben des Grundgesetzes (z. B. Art. 3 GG) zuwiderlaufen (Grundrechtsvorgaben als Minimalmaßstab). Auf diese Weise lässt sich auch Angehörigen fremder Kulturkreise ein angemessener Ehrenschutz gewähren. Äußerungen, die zwischen den Betroffenen (d. h. „Täter" und „Opfer") nicht als ehrenrührig gelten, erfüllen nicht den Tatbestand der Beleidigung, auch wenn sie nach den in der Gesellschaft vorherrschenden Ehrvorstellungen beleidigend sind. Ein anderer neuartiger Problemkreis, der im Grundsatz alle Beleidigungstatbe- 3 9 stände betrifft, ist die Beleidigung im Internet. Problematisch ist zunächst der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts: Wird eine beleidigende Äußerung irgendwo auf der Welt online gestellt, so ist sie im Grundsatz in sämtlichen Staaten, darunter auch in Deutschland, empfangbar. Da § 185 wegen des Zugangserfordernisses ( Wessels/Hetlinger BT I 28 Rdn. 487) ein Erfolgsdelikt ist, ist der Erfolgsort (§§ 3, 9 Abs. 1 Var. 3) derartiger Beleidigungsdelikte (auch) Deutschland. Um nicht in jedem Fall deutsches Strafrecht zur Anwendung bringen zu müssen, ist hier zusätzlich eine territoriale Spezifizierung zu fordern, d.h. das Delikt muss einen besonderen Bezug zu Deutschland aufweisen. In Frage kommen etwa die Verwendung der deutschen Sprache oder die Intention des Täters, gerade in Deutschland zu wirken, sofern diese Intention objektiv nachweisbar ist. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten wie den §§ 186, 187 gibt es dagegen keinen tatbestandsmäßigen Erfolg i. S. v. § 9 Abs. 1 Var. 3, so dass zur Tatortbestimmung allein auf den Handlungsort abzustellen ist (näher zum Ganzen Hilgendorf Ν JW 1997 1873; HilgendorfIFrank! Valerius Computer- und Internetstrafrecht [2005] Rdn. 230 fi). Ein verwandtes Problem stellt sich mit Blick auf die Legitimation staatlicher 4 0 Strafe, wenn der Täter von einem Land aus gehandelt hat, in dem entsprechende Publikationen erlaubt sind. Besonders virulent wird dieses Problem bei der (in Deutschland nach h. M. beleidigenden) Leugnung der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Juden. Hier wird teilweise die deutsche Jurisdiktion von vornherein verneint (KubiciellWinter ZStW 113 [2001] 305, 327), doch wird man richtigerweise auch hier deutsches Strafrecht zur Anwendung bringen können, sofern die Tat einen besonderen Bezug zu Deutschland aufweist (zu weitgehend allerdings BGHSt. 46 224; vgl. auch Hilgendorf ZStW 113 [2001] 650). Gerade bei den Beleidigungsdelikten im Internet ist die Möglichkeit eines Verbotsirrtums besonders sorgfaltig zu prüfen (Valerius NStZ 2003 345). Sonderprobleme stellen sich schließlich bei kränkenden Äußerungen in Chat- 4 1 Räumen, E-Mail in geschlossenen Benutzergruppen und bei anderen besonderen Kommunikationsformen des Internet. Viele Nutzer bleiben hier anonym oder agieren unter einem Pseudonym, so dass die Frage nach dem Beleidigungsadressaten problematisch erscheint. Zudem muss in besonderem Maße den spezifischen Umgangsformen der einschlägigen Nutzerkreise Rechnung getragen werden (näher Hilgendorfl Frank! Valerius aaO Rdn. 524 Ον . Das Verhältnis der Beleidigungstatbestände zueinander Rechtsgut aller Tatbestände des 14. Abschnitts mit Ausnahme der Kreditgefahr- 4 2 dung (§ 187 Var. 3) ist die Ehre. Darüber ist man sich, wenn man § 189 („Verunglimp(21)

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14. Abschnitt. Beleidigung

fung des Andenkens Verstorbener") außer Betracht lässt, einig (Rdn. 1). In der Nichtachtung oder Missachtung des aus der Ehre fließenden Achtungsanspruchs liegt die substantielle Gleichheit des tatbestandsmäßigen Verhaltens und seines Effekts in Fällen der einfachen Beleidigung (§ 185), der üblen Nachrede (§ 186) und der Verleumdung (§ 187). Die Tatbestände differieren allerdings in der Verbotsmaterie, um das Rechtsgut „Ehre" und das Handlungsobjekt „Achtungsanspruch" gegen unterschiedliche Angriffsweisen zu schützen, und damit im Handlungs- und Erfolgsunrecht. § 185 bedroht mit Strafe herabsetzende Meinungsäußerungen und Werturteile ganz allgemein, Tatsachenbehauptungen nur, wenn sie gegenüber dem Betroffenen selbst (und nur ihm gegenüber) abgegeben worden sind. § 186 richtet sich gegen das für den Achtungsanspruch besonders gefahrliche Behaupten und Verbreiten ehrenrühriger Tatsachen „in Beziehung auf einen anderen", also in Beziehung auf j 12 einen, der mit dem Empfanger der Äußerung nicht identisch ist. Auch für die qualifizierenden Tatbestände der §§ 187, 188 kommen nur „in Beziehung auf einen anderen" behauptete oder verbreitete Tatsachen in Betracht. 43

44

Aus der substantiellen Gleichheit von Rechtsgut und Angriffsobjekt folgt: Der in unspezifischer Weise nur von „Beleidigung" sprechende § 185 Var. 1 ist Grund- und Auffangtatbestand, lex generalis. Ist ein das Handlungsunrecht präziser beschreibender Tatbestand (§ 186 oder § 187) erfüllt, wird die einfache Beleidigung verdrängt. Das ist auch sachgerecht. Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die zugleich an den Betroffenen und an Dritte gerichtet sind, enthalten kein gesteigertes Unrecht. Sie ermöglichen dem Betroffenen die sofortige Reaktion (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 219 Anm. 19). Werturteile, die nur verbal zum Ausdruck bringen, was eine Tatsachenbehauptung ohnehin impliziert, erhöhen nicht den Unrechtsgehalt des Täterverhaltens, sind infolgedessen für die Subsumtion ohne Bedeutung. Haben allerdings Tatsachenbehauptung und Werturteil, die im Zusammenhang einer Handlung geäußert werden, eigenständige Bedeutung (weil das Werturteil weder den Akzent setzt noch eine offengelegte Implikation darstellt - vgl. BGHSt. 12 287, 292), dann lässt sich die Verschärfung des Ehrangriffs sachgerecht durch Annahme von Idealkonkurrenz erfassen (für Kumulation im Rahmen der Strafzumessung Herdegen Voraufl. 30; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 145 f und S. 238 Anm. 74). Die Rechtsprechung sieht die Dinge ähnlich. Sie nimmt ebenfalls an, dass § 186 (§187) als spezielleres Gesetz § 185 grundsätzlich zurücktreten lässt. Idealkonkurrenz liege aber vor, wenn eine einheitliche Kundgebung die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen und zugleich „nicht oder nicht ausschließlich daraus ableitbare" (BGHSt. 12 287, 292), „davon verschiedene" (RGSt. 65 358, 359; BayObLGSt. 1962 48, 50 = NJW 1962 1120) herabsetzende Werturteile enthält. Anders als hier in Rdn. 43 vorgeschlagen soll Idealkonkurrenz auch dann vorliegen, wenn die ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch gegenüber dem Betroffenen abgegeben wird (RGSt. 41 61, 66; 65 358, 359; BayObLG aaO; OLG Celle GA 1960 24). Tateinheitliches Zusammentreffen darf allerdings nicht angenommen werden, wenn der Täter mit der (sich realisierenden) Möglichkeit rechnet, dass der Betroffene außerhalb des Erklärungsakts von seiner Behauptung Kenntnis erlangt (BayObLG aaO 51; OLG Celle aaO; ebenso Tröndte/Fischer52 § 185 Rdn. 20; Seh!Schröder ILenckner26 § 186 Rdn. 21).

Stand: 31.3.2005

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Beleidigung

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§185 Beleidigung Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); ders. Der strafrechtliche Ehrenschutz - Theorie und praktische Bedeutung, JuS 1982 717; Bitzilekis Der Tatsachenbegriff im Strafrecht, Festschrift für Hans Joachim Hirsch (1999) 29; Geppert Zur Systematik der Beleidigungsdelikte und zur Bedeutung des Wahrheitsbeweises im Rahmen der §§ 185 ff StGB, Jura 2002 820; Gilten Das Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz im Strafrecht (1999); Hellmer Beleidigung und Intimsphäre, GA 1963 129; //i/gendor/Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht (1998); Hillenkamp Zur Reichweite der Beleidigungstatbestände, Festschrift für Hans Joachim Hirsch (1999) 555; Hirsch Ehre und Beleidigung (1967); Ignor Der Straftatbestand der Beleidigung (1995); Küpper Grundprobleme der Beleidigungsdelikte, JA 1985 453; Lüthge-Bartolomäus Schluß mit der Lückenbüßerfunktion des § 185 auf dem Gebiet von Sitte und Anstand, MDR 1975 815; Peglau Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht (1997); Schendzielorz Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre (1993); Schmid Zum Ehrenschutz bei Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen, MDR 1981 15; Sendler Bereicherung oder Vergiftung der politischen Auseinandersetzung?, NJ 1997, 57; Stegmann Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse (2004); Tenckhoff Grundfálle zum Beleidigungsrecht, JuS 1988 199, 457, 621, 793; 1989 35, 198; Tettinger Die Ehre - ein ungeschützes Verfassungsgut? (1995); ders. Das Recht der persönlichen Ehre in der Wertordnung des Grundgesetzes, JuS 1997 769; Wenzel Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, NJW 1968 2353; Zechlin Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091. Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu den Vorbemerkungen.

Übersicht Rdn. I. Der objektive Tatbestand 1. Unrechtsgehalt und Handlungsmodalitäten 1 2. Tatsachenbehauptungen, Werturteile, Meinungsäußerungen 2 3. Die Kundgabe 10 a) Ehrenrührige Äußerungen im engsten Kreis II b) Erscheinungsformen der Kundgabe 15 c) Die Ermittlung des objektiven Sinnes einer Kundgabe 17 d) Sinnermittlung bei Werken der Kunst 22 e) Kundgabe durch Unterlassen. Vollendung der Kundgabe . . . . 25

Rdn.

II. III. IV. V.

4. Folgerungen, die sich aus dem Ehrbegriff und der Deliktsstruktur für den äußeren Tatbestand ergeben . . . a) Beleidigung durch Sexualstraftaten oder andere sexuelle Handlungen? b) Beleidigung durch Missachtung der Person, Eingriffe in Rechte und rechtlich geschützte Beziehungen? 5. Beispiele für ehrenrührige Kundgaben 6. Die Wahrheitsfrage in Fällen des § 185 Der subjektive Tatbestand Tatbestandsausschluss durch Einwilligung Täterschaft, Wahrheitsbeweis, Rechtfertigung Konkurrenzen

27 28

32 33 35 36 38 40 43

I. D e r objektive Tatbestand 1. Unrechtsgehalt und Handlungsmodalitäten. D i e (einfache) „Beleidigung", die 1 § 185 mit Strafe b e d r o h t , ist n a c h einer vielgebrauchten Formel als Angriff auf die (23)

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Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zu umschreiben (BGHSt. 16 58, 63; BGH NStZ 1984 216; RGSt. 40 416; 71 159, 160; BayObLGSt. 1980 32; 1983 32, 34). Diese Formel muss verdeutlicht, ihr Geltungsbereich präzisiert werden. Der Angriff auf die Ehre besteht im Zuwiderhandeln gegen den verdienten Achtungsanspruch, der sich aus ihr ableitet, ihre Folge ist (Rdn. 1 vor § 185). Infolgedessen verlangt die Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung eine Äußerung, die dem Betroffenen einen nicht vorhandenen Mangel an personalem Geltungswert ausdrücklich oder in Form einer Implikation nachsagt. Es ist unrichtig, zumindest irreführend, wenn der Angriff auf die Ehre mit „Mißachtung der dem Menschen unverlierbar von Geburt an zuteilgewordenen Personenwürde" (BGHSt. 11 67, 71), mit „Mißachtung der Person" oder „der Persönlichkeit" (BGHSt. 9 17, 18; BGH NStZ 1987 21, 22; 1988 69; vgl. auch BGHSt. 1 288, 289; 7 129, 130) oder mit „Belastung des Persönlichkeitsbildes" (BayObLGSt. 1957 200, 201) gleichgesetzt wird. Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung können durch Meinungsäußerungen, Werturteile oder durch Behaupten (Verbreiten) von Tatsachen zum Ausdruck gebracht werden. § 185 kommt aber nicht zur Anwendung, wenn eine Tatsachenbehauptung nur oder auch gegenüber Dritten vorgebracht worden ist (Rudolphi SK 2; Sch/Schröder/Lenckner26 1). Zwar bekundet der Täter auch in einem solchen Falle entweder eigene Missachtung oder eigene Nichtachtung durch Ermöglichung fremder Missachtung. Aber die in den Vorschriften der §§ 186, 187 besonders vertypte Angriffsweise lässt diese Bestimmungen als speziellere Gesetze erscheinen. § 185 tritt zurück (Rdn. 43, 44 Vor § 185; Rudolphi SK Vor § 185 Rdn. 20 und 21, § 185 Rdn. 2, § 186 Rdn. 1). 2

2. Es gilt zunächst, Tatsachen (Rdn. 4) von Tatsachenbehauptungen, also Behauptungen über Tatsachen, zu unterscheiden (Hilgendorf S. 113). Des Weiteren müssen Tatsachenbehauptungen einerseits, Werturteile und Meinungsäußerungen andererseits voneinander abgegrenzt werden. Denn für die Subsumtion ist entscheidend, welcher Kategorie eine Kundgabe von Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung zuzuordnen ist, wenn nicht oder nicht nur der Betroffene Adressat der Kundgabe war (Rdn. 1). Doch gibt es noch weitere Gründe. Drei davon sollen erwähnt werden: (1.) Durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G wird zwar ein Grundrecht auf freie Äußerung der Meinung, nicht aber auf freies Behaupten und Verbreiten von Tatsachen gewährt. Selbst wenn man Tatsachenbehauptungen den grundrechtlichen Schutz nicht völlig versagt (vgl. BVerfGE 54 208, 219; 61 1, 7 ff), ist er für sie nur von vergleichsweise geringer Bedeutung. (2.) Für das Gewicht des Schuldvorwurfs ist es nicht gleichgültig, ob der Täter lediglich etwas gemeint, seine subjektive Einstellung zur Person oder zum Verhalten eines anderen zum Ausdruck gebracht oder ob er Tatsachen behauptet hat. Das Behaupten von unwahren oder nicht erweislich wahren, ehrenrührigen Tatsachen ist die gefährlichste Art des Angriffs auf die Ehre, wenn (auch) Dritte Äußerungsadressaten sind. Das deskriptive Urteil „in Beziehung auf einen anderen" (§§ 186, 187) nimmt für sich Objektivität und Verifizierbarkeit in Anspruch. Tatsachen sprechen für sich. Wer ehrenrührige Sachverhalte behauptet, ermöglicht dem Aussageempfänger die faktengestützte Missachtung. (3.) Der Beweis der Wahrheit kommt nur für Fakten in Betracht. Aus ihnen kann sich dann allerdings die Richtigkeit einer Meinung oder eines Werturteils ergeben.

3

Wer etwas meint, bezieht Stellung, gibt ein problematisches Urteil ab, weil seine Erkenntnisgrundlage das Maß an Sicherheit nicht bietet, das nach der Lebenserfahrung für ein Wissen über etwas erforderlich ist oder weil seiner Konklusion das Risiko des Fehlgehens anhaftet. Weiß er das, besteht Kongruenz zwischen objektiver und Stand: 31.3.2005

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subjektiver Fragwürdigkeit des Meinens. Werturteile sind geistige Akte, in denen einem Objekt (im weitesten Sinne) Eigenschaften beigelegt werden, die nicht (nur) deskriptiv, sondern evaluativ sind (es wird ζ. B. ein Vorgang als strafrechtlich relevant eingestuft; vgl. BGH NJW 1982 2246, 2247) und die häufig eine subjektive Beziehung (insbesondere ein Gefühlsverhältnis) des Urteilenden zum Objekt ausdrücken. Meinungsäußerungen als Akte des Stellungnehmens, Fürwahrhaltens oder Dafürhaltens und Werturteile als Akte subjektiven, in Aussageform gekleideten Bewertens (vgl. Engisch Lange-Festschrift, S. 404 f), sind ineinander übergehende Erscheinungen. Die Begriffe, die diese Erscheinungen bezeichnen, sind in der Regel austauschbar (vgl. BVerfGE 61 1, 7; BGHSt. 12 287, 291; RGSt. 64 10, 12; 67 2). Die Abhebung von den Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein. Denn die Akte des Stellungnehmens und der „Objektivierung" von Vorstellungen und Gefühlen in Eigenschaftszuschreibungen schließen häufig feststellende Urteile in sich, weil sie sich auf Sachverhalte (im weitesten Sinne) beziehen, auf deskriptive Voraussetzungen stützen (vgl. Rdn. 6). Diese Akte können in Worten, aber auch in symbolischen Handlungen (Tippen an die Stirn; Anspucken), in bildlichen Darstellungen (Karikaturen) und in Tätlichkeiten vollzogen werden (vgl. Wessels!Hettinger BT I 28 Rdn. 508). Auf die Frage, was als „Tatsache" Erklärungsinhalt einer ehrenrührigen Tatsa- 4 chenbehauptung sein kann, hat die Rechtsprechung konstant folgende Antwort gegeben: „Der Begriff der Tatsache setzt etwas Geschehenes oder etwas Bestehendes voraus, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten ist und das daher dem Beweise zugänglich ist, (RGSt. 41 193; 55 129, 131; BGH NJW 1994 2614; BGH NJW 1998 3047 mit Anm. Dietlein JR 1999 246; OLG Brandenburg NJW 1996 1002 und NJW 1999 3339; BayObLG JZ 2001 717 mit Anm. Otto\ vgl. auch Hilgendorf S. 114). Auch innere Vorgänge und Zustände können unter den Begriff fallen, aber nur dann, wenn sie in erkennbare Beziehung gesetzt werden zu bestimmten äußeren Geschehnissen, durch die sie in das Gebiet der wahrnehmbaren äußeren Welt getreten sind (RGSt. 41 193f; 55 129, 131; BGH JR 1977 28, 29). Dieser Tatsachenbegriff lässt drei Abgrenzungskriterien erkennen: (1.) Die Wahr nehmbar keit. Die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung muss man entweder in unmittelbarer Wahrnehmung (Beobachtung) direkt einsehen oder aus wahrnehmbaren Fakten - mögen sie auch nur in der Erinnerung und der Aussage eines Zeugen bestehen - mit Hilfe von Erfahrungssätzen erschließen können. Einen anderen Weg gibt es nicht. Infolgedessen kann eine Äußerung eine Behauptung von Tatsachen (von konkreten Geschehnissen, Zuständen, Dingen und Umständen der äußeren Welt, von Vorgängen und Eigentümlichkeiten des Seelenlebens oder vom Bestehen oder Nichtbestehen von Zusammenhängen) nur sein, wenn sie eine empirische Wahrnehmungsbasis hat, die es ermöglicht, die Übereinstimmung der Äußerung mit der Realität (adaequatio intellectus et rei) festzustellen. Die Wahrnehmungsgrundlage findet sich für innere Tatsachen (Motive, Einstellungen, Absichten, Haltungen, Charakterzüge) in indiziellen, wahrgenommenen und vermittelbaren oder wahrnehmbaren äußeren Fakten (BGHSt. 12 287, 290 f; BGH JR 1977 28, 29; RGSt. 64 10, 12; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Sehl Schröder! Lenckner26 § 186 Rdn. 3). (2.) Die Beweisbarkeit. Eine Behauptung kann nicht als wahr gelten, wenn sie prozessualer Prüfung nicht zugänglich ist, mit den prozessualen Möglichkeiten nicht aufgeklärt werden kann (BGHSt. 12 287, 292; BGHZ 45 296, 304). Denn Wahrheit in foro kann nur sein, was das Gericht „für wahr zu erachten" vermag (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO; § 261 StPO besagt in der Sache nichts anderes). Eine Aufklärungsmöglichkeit fehlt auch dort, wo ein echter Tatsachenkern nicht vorhanden ist, weil der Täter nur mit Hilfe einer entstellenden oder abwegigen Wertung eine Anlehnung an Fakten gewinnt (BGHSt. 11 329, 331; 12 287, 292; BGH (25)

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NJW 1955 311). (3.) Die geschichtliche Existenz. Tatsache kann nach verbreitetem Sprachgebrauch nur sein, was ist oder war. Künftiges ist noch keine Tatsache, die Voraussage künftiger Ereignisse deshalb meist eine Meinungsäußerung (RGSt. 67 2, 3; OLG Köln NJW 1962 1121 mit Anm. Schaper). Eine Prognose kann sich aber auf Fakten (ζ. B. auf dem Beweise zugängliche Anlagen, Dispositionen, bereits abgelaufene Entwicklungen) stützen (RGSt. aaO; Engisch Lange-Festschrift, S. 406). Insoweit ist sie Tatsachenbehauptung. Zum anderen kann sich eine Behauptung auf künftige Ereignisse und Vorgänge beziehen; auch eine solche Behauptung ist eine Tatsachenbehauptung {TröndlelFischer52 § 186 Rdn. 2; näher Hilgendorf S. 143ff). 5

Der Übergang von den Tatsachenbehauptungen zu den Meinungsäußerungen und Werturteilen ist fließend, die Abgrenzung im Einzelfall oftmals schwierig (vgl. die Sachverhalte, die Gegenstand der Entscheidungen BGHSt. 6 159; 11 329; 12 287; BGH NJW 1982 2246; RGSt. 64 10 waren). Wie jede andere Tatsachenbehauptung ist auch die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen eine konstatierende Aussage, ein Tatsachenurteil und sie enthält als Kundgabe von Fakten, welche die Ehre mindern, eine negative Wertung desjenigen, dem sie nachgesagt werden (Geppert Jura 1983 530, 541; Hansen JuS 1974 104; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 210). Deshalb wäre es unangebracht, in einer Äußerung, die der Tatsachenbehauptung das Werturteil hinzufügt, das in der Behauptung steckt, mehr zu sehen als in einer Äußerung, welche die kontextuale Implikation nicht offenlegt. Solche Werturteile sind deshalb Bestandteil der Tatsachenbehauptung und damit, wenn (auch) ein Dritter Erklärungsadressat ist, der Handlung, die tatbestandsmäßig i.S.v. § 186 sein kann (BGHSt. 12 287, 292; RGSt. 64 10, 12; 68 120, 122; OLG Stuttgart JZ 1969 78). Sie besitzen erst dort eigenen Unrechtsgehalt, wo das behauptete tatsächliche Geschehen nicht mehr tatsachenbezogen und tatsachenbegrenzt beurteilt wird, sondern eine Würdigung erfahrt, die dazu außer Verhältnis steht, abwegig, unvertretbar ist, jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt (BGHZ 70 1, 6; BayObLGSt. 1963 174, 177; BayObLG NStZ 1983 126, 127; O L G Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG §26 Nr. 15; Welze! S. 318).

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Wie ehrenrührige Tatsachenbehauptungen auf Grund ihres Bezugs auf Ehre und Achtungsanspruch Wertungen enthalten, so haben Werturteile vielfach eine Tatsachenbasis. Sie braucht nicht expressis verbis kenntlich gemacht zu werden, wenn es nach dem situativen Zusammenhang (vgl. BGHZ 70 1), dem Kontext einer Äußerung (vgl. BGH NJW 1982 2246) oder nach dem Wissensstand des Erklärungsempfängers (OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853) auf der Hand liegt, dass eine Herabwürdigung zu bestimmten Vorgängen oder Geschehnissen in Beziehung gesetzt, aus ihnen hergeleitet wird (BGHSt. 12 287, 291; BGH JR 1977 28, 29; RGSt. 68 120, 122; OLG Frankfurt JR 1972 515 mit Anm. Hirsch; BayObLGSt. 1963 174, 177; Geppert Jura 1983 530, 542; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 210ff; Rudolphi SK § 186 Rdn. 5). Es stellt sich die Frage der Wertungsadäquanz (RGSt. 68 120, 122; RG JW 1934 692 Nr. 12). Sie ist zu bejahen, wenn ein Abstraktum („Dieb", „Schuft", „gemeiner Mensch", „Verbrecher") die Wertung eines bestimmten Verhaltens zum Ausdruck bringen soll und der Erklärungsempfänger das weiß oder erkennt. Die Möglichkeit der einschränkenden Auslegung ist stets zu bedenken, weil Abstrakta in bestimmten Verwendungszusammenhängen konkrete Bedeutungen erlangen können.

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Von einem substantiierten (tatsachenbezogenen und tatsachenbegrenzten) Werturteil kann keine Rede sein, wenn die Wertung einen Zusammenhang mit konkreten Vorgängen oder Geschehnissen nicht erkennen lässt, sondern sich mit vagen Andeutungen auf hoher Abstraktionsebene begnügt (BGHSt. 12 287, 292; BGH JR 1977 28, Stand: 31.3.2005

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29; RGSt. 35 227, 232; 68 120, 122; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; weniger streng BGH NJW 1959 2011, 2012). Hier erlangt der Gesichtspunkt Bedeutung, dass Tatsachenäußerung nur sein kann, was - als bestimmte Beweisbehauptung (vgl. Herdegen in KK 5 § 244 Rdn. 45) - dem gerichtlichen Beweisverfahren zugänglich ist (Rdn. 4; Arzt JuS 1982 719; v. Lilienthal VDB Bd. IV [1906] S. 392). Eine Tatsachenbasis, die diese Bezeichnung verdient, kann auch jenen Werturteilen nicht zuerkannt werden, in denen der Täter in einseitiger, verzerrender, ideologisch bestimmter Sicht Vorgänge, Zustände, kausale oder finale Zusammenhänge, denen nichts Ehrenrühriges anhaftet, einer abwegigen Wertung unterzieht (BGHSt. 6 159, 162; 11 329, 330; 12 287, 292; BGH JR 1977 28, 29; BGH NJW 1955 311; BayObLG NStZ 1983 126, 127; OLG Düsseldorf JMB1. 1981 223, 225). Fehlt dem Werturteil eine Tatsachenbasis oder setzt ein Wertungsexzess den maßgeblichen Akzent, weil die darin liegende Kundgabe von Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung schwerer wiegt als die bewerteten ehrenrührigen Fakten (vgl. Rdn. 5), dann bestimmt dieses Urteil die Subsumtion (BGHSt. 6 159, 162; 11 329, 331; 12 287, 292; BGH JR 1977 28, 29; BGH NJW 1982 2246, 2247; BayObLG aaO; OLG Hamm NJW 1961 1937). Zur Frage, was gilt, wenn eine Äußerung die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen und zugleich „nicht oder nicht ausschließlich daraus ableitbare", „davon verschiedene", aber nicht den maßgebenden Akzent setzende Wertungen enthält, vgl. Rdn. 43 und 44 vor § 185. Die unscharfe Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen gestat- 8 tet es der Praxis, pragmatischen Überlegungen Rechnung zu tragen: die Annahme eines Werturteils ohne Tatsachenbasis oder eines Werturteils, das die Akzente setzt und deshalb die Subsumtion bestimmt, lässt die Wahrheitsfrage (jedenfalls für den Schuldvorwurf) als unwesentlich erscheinen, wenn nicht schon zur Tatzeit vorhandene Fakten, die der Wertung eine ausreichende Grundlage geben, in bestimmten Beweisbehauptungen konkretisiert oder (z.B. in Beweisermittlungsanträgen) so dargelegt werden, dass das Aufklärungsgebot (§ 244 Abs. 2 StPO) zur Beweiserhebung zwingt. Andererseits kann die Zuordnung einer Äußerung zur Kategorie der Tatsachenbehauptungen es ermöglichen, sie sogleich als offenkundig unwahr zu behandeln (vgl. OLG Düsseldorf M D R 1980 868, 869). Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass bei der Entscheidung von Einordnungsproblemen (vor allem wegen der beweisrechtlichen Konsequenzen) der Gedanke des Opferschutzes nicht völlig gleichgültig sein kann (Arzt JuS 1982719). In der Rechtsprechung findet sich immer wieder der Satz, in erster Linie habe der 9 Tatrichter die Frage zu beurteilen, ob die Äußerungen des Täters Tatsachenbehauptungen, Werturteile oder „Mischgebilde" sind (BGH JR 1977 28; RGSt. 64 10, 12; RG JW 1926 1184 Nr. 25). Was damit gemeint sein soll, ist zweifelhaft. Die Begriffe der „Tatsache", der „Tatsachenbehauptung", des „Werturteils" und der „Meinungsäußerung" sind Rechtsbegriffe (BGHSt. 6 159, 162). Natürlich hat das Tatgericht den Wortlaut einer Äußerung und ihren Sinn, damit auch ihren etwaigen Bezug auf Fakten, unter Berücksichtigung des situativen Zusammenhangs und des Kontextes festzustellen. Aber die rechtlichen Folgerungen und dazu gehört die Subsumtion einer Kundgabe unter die genannten Rechtsbegriffe - unterliegen in vollem Umfange der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BGHSt. 6 357, 359). In Fällen, in denen die Einstufung einer ehrenrührigen Kundgabe zweifelhaft ist, muss der Tatrichter, der § 186 anwendet, den Tatsachenkern durch Trennung der wertenden Erklärungsteile feststellen und darlegen (BGHSt. 6 157, 162). Er darf nicht außer Acht lassen, dass es für das Ergebnis einer Äußerungsanalyse darauf ankommen kann, welche prinzipielle (27)

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14. Abschnitt. Beleidigung

Einstellung des Täters seiner Bekundung zugrunde liegt (BGH aaO; BayObLGSt. 1963 174, 177). 10

3. Die Kundgabe. Die Beleidigung ist in allen ihren Erscheinungsformen ein Äußerungsdelikt. Deshalb gehört es zu den Erfordernissen des objektiven Tatbestands, dass eine Kommunikation stattfindet, d.h., dass der „Täter" (Kommunikator) einen gedanklichen Inhalt (und zwar ein herabsetzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung) äußert und dass ein anderer von der Manifestation der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung Kenntnis erlangt. In Kongruenz zu diesem Erfordernis muss der Täter die Kenntnisnahme durch einen anderen wollen (mit ihr rechnen). Es kommt aber nicht darauf an, ob die Kenntnisnahme sich so vollzieht, wie sie gewollt ist. Es ist für die Subsumtion vielmehr gleichgültig, ob die (verkörperte) Kundgabe an den Erklärungsadressaten oder (zuvor) an einen Dritten gelangt (BGH bei Dallinger M D R 1954 335; RGSt. 48 62, 63; 57 193, 195; 71 159, 160; RG JW 1924 911 Nr. 5 mit Anm. Alsberg-, BayObLGSt. 1976 88, 91 = M D R 1976 1036; 1983 32, 33 f = NJW 1983 2040; Geppert Jura 1983 530, 533). Hat der „Täter" eine als ehrenrührige Äußerung in Betracht kommende Manifestation eines gedanklichen Inhalts nicht für die Wahrnehmung durch einen anderen bestimmt und rechnet er auch nicht mit der Wahrnehmung durch einen anderen, 1 dann liegt eine tatbestandsmäßige (die Voraussetzungen der subjektiven Tatseite erfüllende) Kundgabe nicht vor (BGH NJW 1959 2011; RGSt. 57 193, 195; 71 159, 160; BayObLGSt. 1962 135; 1980 32, 33), selbst wenn er einem anderen durch unsorgfaltiges Verhalten die Kenntnisnahme ermöglicht (RGSt. 71 159, 160). Die Kundgabe muss erkennen lassen, auf wen sie sich bezieht. Wenn die beleidigte Person nicht genannt ist, muss der Äußerungsempfanger sie individualisieren können. Sie braucht weder ihm noch dem Täter bekannt zu sein (BGHSt. 9 17, 18). Ebenso wenig ist erforderlich, dass der Äußerung entnommen werden kann, wer ihr Urheber ist (BGH NStZ 1984 216).

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a) Ehrenrührige Äußerungen im engsten Kreis. Zunächst hat man vorwiegend danach gefragt, ob der engste Familienkreis ein Internum bildet und ob deshalb einer ehrenrührigen Äußerung über Außenstehende, die über das Internum nicht hinausdringen soll, der Kundgabecharakter fehlt. Das Reichsgericht war der Ansicht, dass bei solchen Äußerungen eine Kundgabe vorliege. Es genüge, dass ein Angehöriger des Kreises sie wahrnehme und der Äußernde das gewollt (damit gerechnet) habe (RGSt. 71 159, 161). Zu einer teleologischen Reduktion des Tatbestands fand das Reichsgericht sich nicht bereit: „Vertrauliche beleidigende Äußerungen harmloser Art, die im engen Familienkreis gefallen sind, werden selten zur Strafverfolgung führen. Sind sie aber von erheblicherer Bedeutung ... so entspricht es, soweit nicht der § 193 StGB eingreift, sowohl dem Sittengebote wie auch dem gesunden Volksempfinden, sie gerichtlich abzuurteilen" (RG aaO 163). Heute ist man sich weitgehend darüber einig, dass Sittengebot und Rechtsgefühl einer anderen Auffassung nicht entgegenstehen. Sie lässt sich auf folgenden kleinsten gemeinsamen Nenner bringen: Den Strafdrohungen der §§ 185, 186 unterfallen jedenfalls nicht ehrenrührige etwa Äußerungen über Außenstehende im engsten Kreis der Familie (zwischen Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern), die in der begründeten Erwartung gemacht werden, dass der Äußerungsempfanger sie nicht über diesen Kreis hinausträgt. 2 1

So kann es sein bei Selbstgesprächen, verborgen gehaltenen Tagebuchaufzeichnungen, Vermerken in Akten, die nicht der Einsicht anderer unterliegen, Gedanken- oder Gefühlsäußerun-

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gen in einer fremden Sprache (vgl. BGH N J W 1959 2011; RGSt. 71 159, 160). In Auswahl: OLG Oldenburg G A 1954 284; OLG Celle NdsRpfl. 1964 174; Engisch G A

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Die Begründungen divergieren. Überwiegend wird, allerdings mit Unterschieden 1 2 im Detail, eine teleologische Reduktion des Tatbestands befürwortet (Gillen Das Verhältnis von Ehrenschutz und Privatsphärenschutz im Strafrecht, S. 75; Wessels!Hettinger BT I28 Rdn. 482 ff; Hillenkamp JuS 1997 821, 824; ders. Hirsch-FS, S. 555, 568; LackneriKühl25 9; MaurachlSchroederlMaiwald BT I 9 § 24 Rdn. 33; Wasmuth NStZ 1995 100, 101). Eine Ansicht meint, es fehle an einer Kundgabe. Der engste Familienkreis sei in der Tat ein Internum. Äußerungen über Außenstehende in diesem Kreis müssten bei normativer Betrachtung einem Selbstgespräch gleichgestellt werden. Nach anderer Auffassung muss man unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der §§185 und 186 darauf abstellen, dass eine für den engsten Familienkreis bestimmte ehrenrührige Äußerung über einen Extraneus sich nicht gegen sein Ansehen in der Allgemeinheit richte, seine soziale Geltung im Urteil der Mitmenschen nicht berühre {Engisch GA 1957 331; Hellmer GA 1963 135 ff), seinen Ehrachtungsanspruch in der Gemeinschaft nicht verletze (Welzel aaO). Eine dritte Meinung will den Kundgabevorsatz verneinen, wenn derjenige, der sich äußert, damit rechnet, dass er sich im engsten Familienkreis auf die Diskretion des Äußerungsempfängers verlassen kann. Diese Theorien befriedigen nicht. Der Begriff der Kundgabe ist deskriptiv (Rdn. 10). Will man sich nicht dem Vorwurf der Inkonsequenz aussetzen, kann man ihn nicht einer normativen Reduktion unterziehen. Bleibt man auf der deskriptiven Ebene, dann lässt sich nicht bestreiten, dass derjenige, der seinem Ehegatten, einem Elternteil oder einem Kind etwas Ehrenrühriges über einen nicht zur Familie zählenden Dritten sagt, eine Kenntnisnahme durch einen anderen bewirkt und will. Die Tatbestandsreduktion, welche auf die Wertgeltung des Betroffenen in der Allgemeinheit abstellt, ist für die Theorie des personalen Ehrbegriffs ohnehin nicht akzeptabel. Im Übrigen vernachlässigt diese Reduktion die Umstände des Einzelfalls. Ehrenrührige Äußerungen im Familienkreis über einen Nachbarn können ein Anerkennungsverhältnis (vgl. Rdn. 10 vor § 185 ), das für ihn hohe Bedeutung hat, in Frage stellen oder zerstören, seine Wertgeltung dort mindern, wo er es am stärksten verspürt (vgl. SchlSchröderl Lenckner26 Rdn. 9a vor § 185). Es ist zudem ausgeschlossen, die Ehre von Familienangehörigen den Attacken von Insidern preiszugeben, auch wenn sie nicht gegen die Wertgeltung des Betroffenen in der Allgemeinheit gerichtet sind (Geppert Jura 1983 530, 534). Diese die Umstände des Einzelfalls betonenden Einwände müssen auf die Ausgangsthese erstreckt werden, die besagt, dass die innere Verbundenheit von Mitgliedern der engeren Familie oder doch des engsten Familienkreises, dass das Verhältnis des Vertrauens, das zwischen ihnen bestehe, eine Privilegierung rechtfertige. Das ist eine idealtypische Betrachtungsweise, die dort nicht angebracht ist, wo ein Verhältnis des Vertrauens sich nicht gebildet hat, zerstört ist oder nach den Umständen des konkreten Falles keine Rolle spielt (vgl. BayObLGSt. 1955 204; OLG Celle NdsRpfl. 1964 174). Doch zuerst ist nach den Gründen zu fragen, die dafür sprechen, einen straffreien Raum für beleidigende Äußerungen über Dritte zu belassen, wenn sie im Rahmen bestimmter persönlicher Beziehungen gemacht werden. Die Antwort lautet: Der Mensch braucht Möglichkeiten des Sich-Aussprechens, des Wegerzählens, der Ableitung von Affekten nach außen, aber auch des bloßen Sich-Mitteilens, die frei 1957 326; Geppert Jura 1983 530, 534; Hansen JuS 1974 104, 106; Hellmer GA 1963 129; Mezger JW 1937 2329; Otto Schwinge-Festschrift, S. 87f; Rudolphi SK Vor § 185 Rdn. 18, 19; Sehl Schröder!Lenckner26 Rdn. 9a Vor § 185; Welzel (29)

S. 308; nicht eindeutig Stellung beziehend BGH bei Dallinger MDR 1954 335; BayObLGSt. 1955 204 = M D R 1956 182; 1976 88, 90 = MDR 1976 1036.

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sind von sozialer Kontrolle und Sanktion. Ihm muss, so wird mit Recht gesagt, „ein letztes Refugium" verbleiben (Rudolphi SK 18 vor § 185), wo er sich „entäußern", abreagieren, dem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf lassen kann. Auf dieses Refugium hat auch Anspruch, wer es nicht im Kreise einer Familie zu finden vermag, wohl aber in einem nicht nur ephemeren, erprobten Verhältnis enger Freundschaft oder Lebenspartnerschaft, in dem man Vertrauen gewährt und in Anspruch nehmen kann. 3 Auch Äußerungen einer Ärztin in einem der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallenden Gesprächskreis können privilegiert sein (OLG München NJW 1993 2998). 14

Die Anerkennung eines straffreien Refugiums für ehrenrührige Äußerungen, die tatbestandsmäßig nach § 185 oder § 186 sind, bewertet gewisse vitale Interessen des „Beleidigers" (Rdn. 13) höher als das Interesse des Betroffenen am lückenlosen Schutz seiner Ehre. Sie ist das Ergebnis einer Güterabwägung, Statuierung eines Rechtfertigungsgrundes (so auch Otto Schwinge-Festschrift, S. 87; Schendzielorz S. 214; aA SehlSchröderILenckner26 9a vor § 185: Strafausschließungsgrund). Verleumderischen Verlautbarungen kann ein Freiraum nicht eröffnet werden. Nur bei ganz außergewöhnlich liegenden Sachverhalten kommt für sie eine Rechtfertigung nach § 193 in Betracht. Nur unter den Umständen, die nach dieser Vorschrift vorliegen müssen (sie rechtfertigt nicht Äußerungen auf Grund eines Interesses an Katharsis, sondern auf Grund des mit dem Inhalt einer Kundgabe verfolgten Zwecks), entfallt die Rechtswidrigkeit ehrenrühriger Bekundungen über Dritte, welche gegenüber Personen gemacht werden, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, etwa gegenüber Anwälten und Ärzten, wenn sich nicht eine persönliche Beziehung entwickelt hat, die enger Freundschaft vergleichbar ist. 4 Der Ehrenschutz tritt nicht zurück, wenn im Einzelfall auf Grund seiner besonderen Konstellation auch in einem intakten und erprobten Vertrauensverhältnis Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist (Rudolphi SK 19; vgl. BayObLGSt. 1955 204, 205) oder wenn eine ehrenrührige Mitteilung einen Weg nehmen muss, der zur Kenntnisnahme eines anderen als des vertrauenswürdigen Kundgabeadressaten führen kann und führt (BayObLGSt. 1976 88, 91; Rudolphi aaO). Es besteht kein Anlass, die Rechtfertigung auf Grund vitaler Interessen des sich Äußernden auf mündliche Spontanbekundungen zu beschränken (Geppert Jura 1983 535; Sehl Schröder!Lenckner26 9b vor § 185).

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b) Erscheinungsformen der Kundgabe. Die Kundgabe ist in den meisten Fällen eine verbale mündliche Äußerung. Die lesbare schriftliche Fixierung oder die wortersetzende Geste treten ergänzend hinzu. Ihnen gleichwertig sind symbolische Handlungen, bildliche Darstellungen (insbesondere Karikaturen) und Tätlichkeiten mit dem Sinngehalt der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung. Tätlichkeiten im Sinne von § 185 müssen auf den Körper des Betroffenen spürbar einwirken (RGSt. 67 174; 70 250; RG G A Bd. 47 157; Rudolphi SK 21; Welzel S. 311). Manche meinen, es genüge ein gegen den Körper gerichteter tätlicher Angriff (LackneriKühl25 13; Sehl Schröder!Lenckner26 18). In der Tat kann das Ausholen zum Schlag, die fehlgehende Ohrfeige Kundgabe der Missachtung sein. Aber es handelt sich dann um eine Kund3

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BVerfGE 90 255 mit zust. Anm. Wasmuth NStZ 1995 100; O L G Frankfurt NStZ 1994 404; Lackneri Kühl25 9; ähnlich schon Engisch G A 1957 326, 331; wohl auch Geppert Jura 1983 530, 535; aA BayObLGSt. 1976 88, 90 = M D R 1976 1036 unter Berufung auf BGH bei Dallinger M D R 1954 335. Wie hier, aber ohne Differenzierung OLG Stutt-

gart N J W 1963 119; Geppert Jura 1983 530, 535; Maurach-Schroeder! Maiwald BT 1' § 24 Rdn. 33. OLG Hamm N J W 1971 1852, 1854 neigt wohl der hier vertretenen Auffassung zu. A A Praml N J W 1976 1967, 1968; vgl. auch Sehl Schröder!Lenckner aaO: Erstreckung des straffreien Refugiums auf sachbezogene „Vertrauensverhältnisse".

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gäbe, in der eine Beleidigung in Gestalt einer symbolischen Handlung, nicht in Gestalt einer Tätlichkeit zum Ausdruck kommt (Rudolphi SK 21). Der den Körper nicht berührende Angriff ist noch keine Tätlichkeit (OLG Karlsruhe NJW 2003 1261). Beispiele für tätliche Beleidigungen: Schläge, Herumschubsen, Abschneiden der Haare oder des Barts, Anspucken. Die sog. Sexualbeleidigung ist in aller Regel weder eine tätliche noch eine „gewöhnliche" Beleidigung (Rdn. 28 bis 31). Ob körperliche Misshandlungen den Tatbestand der Körperverletzung oder den der Beleidigung oder sowohl den einen wie den anderen Tatbestand erfüllen, ist eine Frage, deren Beantwortung zunächst auf der Grundlage objektiver Umstände (des Geschehens und seines Hintergrunds, der beteiligten Personen und ihrer Beziehungen, des Umfelds) versucht werden muss. Eine beleidigende Kundgabe in Form symbolischen Handelns liegt vor, wenn ein nach außen in Erscheinung tretendes Verhalten Träger eines bestimmten Sinngehalts ist, der es als Ausdruck der Missachtung, der Geringschätzung oder Nichtachtung erweist. Beispiele: Tippen an die Stirn; Ausspucken vor einem anderen; Anspucken eines Bildes; Ausräuchern eines Stuhls, auf dem derjenige saß, dem die Kundgabe der Missachtung gilt (RG LZ 1915 60). Für die Ermittlung des Sinngehalts gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (Rdn. 17; vgl. Rüpingl Kamp JuS 1976 660: Sinndeutung der Imitation von Hundegebell als Antwort auf eine Aufforderung). Ehrenrührige Äußerungen können mehr oder weniger kaschiert und fragmenta- 1 6 risch in Erscheinung treten. Eine solche Äußerung kann z. B. in einer Anspielung liegen. Der Betroffene braucht nicht genannt zu werden, es genügt, dass er individualisierbar ist (Rdn. 10; RGSt. 52 160). Ist (auch) der Beleidigte Kundgabeadressat, dann reicht eine Anspielung oder Anzüglichkeit aus, deren Sinngehalt er erfasst. Der Täter braucht den Betroffenen nicht zu kennen, ihn sich nicht einmal vorgestellt zu haben. Es genügt, dass er erst durch ein zukünftiges Ereignis individualisiert wird (der noch zu ermittelnde Sieger einer Springreiterkonkurrenz wird als „brutaler Tierquäler" bezeichnet). Die Weitergabe eines Schriftstücks, das eine Beleidigung enthält, kann eine eigene Kundgabe der Missachtung des Weitergebenden implizieren, wenn er sich den ehrenrührigen Inhalt zu Eigen macht, sich auf ihn bezieht, um seine Meinung zu äußern. Ist das nicht der Fall, kann in der vom Verfasser veranlassten Weiterleitung ein von ihm in mittelbarer Täterschaft begangener Kundgabeakt zu finden sein (vgl. RGSt. 41 61, 64). In Berichten über eine öffentliche Gerichtsverhandlung oder eine öffentliche Versammlung kann der Schreiber eigene Missachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck bringen, auch wenn er scheinbar nur über das tatbestandsmäßige Handeln eines anderen informiert (RGSt. 46 356, 358). Eine beleidigende Äußerung kann sogar in der Form Gestalt annehmen, dass der Täter für etwas, was er tut, den Betroffenen als Akteur ausgibt, also durch Manipulation von Tatsachen eine Sachlage schafft, die einen anderen kompromittiert (BGH NStZ 1984 216; RG Recht 1910 3427. Zur Frage, ob das Vortäuschen einer Sachlage, um einen anderen zu kompromittieren, eine üble Nachrede sein kann, vgl. § 186 Rdn. 7). In der Weigerung, eine Beleidigung zurückzunehmen, liegt nicht ohne weiteres, aber doch möglicherweise, eine neue tatbestandsmäßige Handlung (RG LZ 1916 810). Das Durchstreichen einer beleidigenden Bemerkung nimmt ihr nicht den Charakter der Kundgabe, wenn sie noch lesbar bleibt. c) Die Ermittlung des objektiven Sinnes einer Kundgabe. Eine Äußerung ist beleidigend, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt einem anderen ein in Wahrheit nicht vorliegender Mangel oder Makel nachgesagt wird, der den verdienten Geltungswert mindern würde (vgl. Rdn. 3 vor § 185), wenn er vorläge. Der objektiv ehrenrührige (31)

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Sinn muss in der Erklärung einen erkennbaren Ausdruck gefunden haben. 5 Der objektive Kundgabesinn steht im begrifflichen Gegensatz zu dem Sinn, den der Erklärende meint, d. h. zum subjektiven Sinn und damit zum Vorsatz, wie auch zu dem Sinn, in welchem der Kundgabeempfanger die Äußerung auf Grund von Überlegungen versteht, die jenseits ihres Erklärungswerts liegen (Kern Die Äußerungsdelikte, S. 21). Eine Äußerung, die den intendierten ehrenrührigen Sinngehalt nicht erkennen lässt, wird weder dadurch zu einer Beleidigung, dass sie Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung der Ehre eines anderen manifest machen soll, noch dadurch, dass der Äußerungsempfanger sie als Manifestation des intendierten Sinngehalts versteht. Der ehrenrührige Inhalt muss erklärt, kundgegeben werden. Intention und Verständnis können den - vom Richter durch Auslegung zu ermittelnden - objektiven Erklärungswert einer Kundgabe nicht ersetzen (BGHSt. 16 49, 52; RGSt. 48 230, 233; BayObLGSt. 1957 126, 128, 131; 1963 141 = JR 1963 468 mit Anm. Schröder, 1980 32, 34 = NJW 1980 1969; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 86 Anm. 97; aA BGHSt. 8 326). Aber trotz des begrifflichen Gegensatzes besteht in der Wirklichkeit ein enger Zusammenhang zwischen dem Äußerungswillen und der Äußerungshandlung: Der gemeinte (gewollte) Sinn findet in der Regel durch die Äußerung erkennbaren Ausdruck, stimmt mit dem Sinn des Erklärten überein (RGSt. 35 133, 134; Kern aaO). Deshalb trifft es durchaus zu, dass „in erster Linie Sinn und Absicht des Sprechenden" darüber entscheiden, „ob gewisse Worte den Tatbestand einer Beleidigung objektiv einschließen oder nicht" (RGSt. 18 142, 144; 41 49, 51).6 Ebenso trifft es zu, dass die nach dem objektiven Sinn fragende Auslegung den Gedankeninhalt ermitteln möchte, den der sich Äußernde mit seiner „Entäußerung" verbunden hat. Das Ergebnis der Interpretation wird ihm zugerechnet, wenn es an ausreichenden Indizien dafür fehlt, dass das Gesagte und das Gemeinte differieren. Infolgedessen steckt in der den objektiven Sinn ermittelnden Auslegung „ein Stück Beweiswürdigung" (Oetker JW 1928 1225). 18

Die (möglicherweise) beleidigende Kundgabe gewinnt ihren objektiven Sinn manchmal aus der allgemeinen (regelmäßigen) Bedeutung der verbalen oder sonstigen Zeichen, die der Kommunikator verwendet, und zwar dann, wenn Indizien dafür fehlen, dass nicht das gemeint sein könnte, was die „Standardbedeutung" besagt (vgl. RGSt. 65 21; BGH bei Dallinger M D R 1955 396 und OLG Hamm JMB1NRW 1982 12 einerseits, BGH NJW 1971 1655, 1656 und KG JR 1984 165, 166 andererseits). Liegen Anzeichen vor, welche die Sinnidentität in Frage stellen, ist mit der urtümlichen Auslegungsregel „cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio", nichts anzufangen. Es gilt vielmehr die Maxime, dass es Äußerungen, die per se beleidigen, nicht gibt (RGSt. 60 34, 35; OLG Celle NdsRpfl. 1977 88; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; KG JR 1984 165, 166 mit Anm. Otto; Kern Die Äußerungsdelikte, S. 15, 77). Je nach den Umständen des Falles kann ein beschimpfender Ausdruck zu einer Kundgabe der Sympathie oder der Anerkennung werden, kann

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BGHSt. 19 235, 237; BGH N J W 1951 368; 1971 1655, 1656; 1978 1797, 1799; R G H R R 1940 1151; BayObLGSt. 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; 1980 32 = N J W 1980 1969; 1983 32, 34 = N J W 1983 2040; O L G Celle NdsRpfl. 1977 88; O L G Hamm NJW 1971 1852, 1853; 1982 659, 660; KG JR 1984 165 m. Anm. Otto\ OLG Köln NStZ 1981 183, 184; RüpinglKamp JuS 1976 660; Rudolphi SK 7; SchlSchröderILenckner26 8.

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Es geht nicht nur um Worte. In RGSt. 18 142 betraf die Interpretationsfrage ein Komma. Es konnte einen „disjunktiven Sinn" haben oder Appositionen dem Substantiv zuordnen. Als „Appositionskomma" gab es nach damaligem Verständnis (1888) dem Satz einen ehrenrührigen Inhalt. Er reihte einen Polizeikommissar unter „drei frühere Sozialdemokraten" ein.

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eine Redewendung bald Träger einer ehrenrührigen, bald einer den Achtungsanspruch nicht tangierenden Bedeutung sein. Beleidigende Kundgaben müssen zur Kenntnis genommen und als ehrenrührige 1 9 Äußerungen begriffen werden, wenn es zur Vollendung einer Beleidigung in ihrem äußeren Tatbestand kommen soll (vgl. Rdn. 26). Infolgedessen zielt die Frage nach dem objektiven Sinngehalt einer Äußerung, die möglicherweise gegen die Ehre eines anderen gerichtet ist, auf das Verständnis des Erklärungsempfängers ab (BGH NJW 1965 2395, 2396; 1971 1655, 1656; RGSt. 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLGSt. 1957 126, 131 = NJW 1957 1607; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; 1982 659, 660; 1982 1656, 1658; Geppert JR 1985 431, 433 Fn. 19). Aber die Grundlagen dieses Verständnisses werden normativ bestimmt. Es wird nicht nur auf die Aussage als solche und auf die mit ihr im Zusammenhang stehenden (Neben-, Begleit-)Umstände abgestellt, die der Erklärungsempfänger perzipiert hat, sondern auch auf die Umstände, die als Fakten des Falles oder als allgemeine, aber für diesen Einzelfall Beachtung beanspruchende Sachverhaltsmomente erkennbar waren (vgl. OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; KG JR 1980 290 mit Anm. Volk; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 37; VGH München NJW 1984 1136, 1137; OLG Düsseldorf NJW 1989 3030 mit Anm. Laubenthal JR 1990 127; vgl. auch BVerfGE 93 266, 295). Richtet sich eine Kundgabe an viele oder an jedermann, muss ein aus den Gegebenheiten abstrahierter „Empfangerhorizont" zugrunde gelegt werden. Die Rechtsprechung bezeichnet den Träger dieses Horizonts unterschiedlich. Es ist die Rede vom „durchschnittlichen", „unbefangenen", „verständigen", „unvoreingenommenen", vom „verständigen und unvoreingenommenen", vom „unverbildeten", „ruhig und sorgsam würdigenden", aber auch vom „flüchtigen", „einseitig eingestellten", „nicht differenzierenden" Leser, Hörer, Betrachter. 7 Der mit dem Empfangerhorizont gewonnene Maßstab hat einen bestimmten Zweck: Der Inhalt einer Äußerung soll für die richterliche Wertung kongruent mit dem Inhalt sein, den sie im Verständnis des Kreises, für den sie bestimmt war, erlangt hat (RGSt. 35 133, 135). Sind die „angesprochenen Kreise" nicht homogen, muss differenziert werden (vgl. 2 0 BGH NJW 1971 1655, 1656; 1983 1194, 1195 mit Anm. Zechlin; RGSt. 63 112, 115; OLG Hamburg M D R 1967 146, 147). Die Berücksichtigung verschiedener „Empfangerhorizonte" (ζ. B. von „verständigen Lesern" und „Lesern einfacher Denkart", von „einseitig eingestellten" und „ruhig und sorgsam würdigenden, unbeteiligten Betrachtern"), aber auch Gründe, die „horizontunabhängig" sind - wie die Bedeutung eines Kommas (RGSt. 18 142, 144), das fragwürdige tertium comparationis (RGSt. 61 151, 154) - , können dazu führen, dass der objektive Erklärungswert einer Äußerung mehrdeutig ist, ehrenrührig nach der einen, nicht ehrenrührig nach der anderen Interpretation. Wenn sich für die strafrechtlich nicht relevante Auslegung auch mit Hilfe der erkennbaren Absichten und Vorstellungen des Kommunikators keine Präferenz ergibt (vgl. RGSt. 18 142, 144; 41 49, 51; KG JR 1984 165, 166), gilt folgendes: Der objektive Tatbestand ist verwirklicht, falls ein „beachtlicher Teil" (BGH NJW 1983 1194, 1195), ein „nicht unerheblicher Teil" (BGH NJW 1971 1655, 1656) der „angesprochenen Kreise" der Äußerung einen ehrenrührigen Sinn beilegt und dieser Sinn sich aus der Erklärung und den ihn mitbestimmenden, erkennbaren Umständen des Falles (Rdn.

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BGHSt. 3 346, 347; 16 49, 53; 19 235, 237; BGH NJW 1961 1913, 1914; 1971 1655, 1656; 1974 1762, 1764; 1978 1797, 1799; 1982 2246, 2248; 1983 1194, 1195; RGSt. 63 112, 115; 65 21, 22;

OLG Köln NStZ 1981 183; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 37; VGH München NJW 1984 1136, 1137.

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14. Abschnitt. Beleidigung

19) entnehmen lässt (RGSt. 35 133, 135; 61 151, 155; 63 112, 115; RG HRR 1933 348; RG DR 1939 1981, 1982; BGHSt. 16 49, 52; OGHSt. 2 291, 311; BayObLGSt. 1957 126, 131 = NJW 1957 1607; vgl. auch BGH NJW 1971 1655, 1656). Auch der subjektive Tatbestand ist verwirklicht, wenn der Kommunikator wollte oder doch damit rechnete, dass ein Teil der Leser, Hörer oder Betrachter seine Kundgabe als Angriff auf die Ehre eines anderen versteht (RGSt. 61 151, 155; 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLG aaO). Nichts im Begriff der Kundgabe oder des Kundgabevorsatzes nötigt oder berechtigt in solchen Fällen der Mehrdeutigkeit mit partiellem Konsens dazu, die strafrechtlich relevante Sinndeutung zu ignorieren, weil auch strafrechtlich irrelevante Interpretationen möglich sind. Kann von einer Äußerung gesagt werden, dass sie verschiedene Sinngehalte ausdrückt, dann kann der Kommunikator sich von keinem davon distanzieren, wenn er jeden von ihnen in seinen Verwirklichungswillen aufgenommen hat. Zur Ermittlung des Sinngehalts von Aussagen, die sich künstlerischer Ausdrucksformen bedienen, insbesondere von Satiren und Karikaturen, vgl. Rdn. 23 und 24. 21

Die Umstände des Falles, die als Momente des Sachverhalts den Sinn einer Kundgabe (mit-)bestimmen, sofern sie als erkennbare Umstände der Erklärung anzusehen sind (vgl. BGH NJW 1971 1655, 1656; RGSt. 35 133, 135; 48 230, 232; OLG Hamm NJW 1971 1852, 1853; OLG Köln NStZ 1981 183; OLG Düsseldorf NJW 1998 3214 mit Anm. Otto JK 9; enger BayObLG NStZ-RR 2002 210 mit Anm. Zaczyk JR 2003 36; Rdn. 19), lassen sich nicht erschöpfend aufzählen. Es kommen in Betracht: Situative und kontextuale Zusammenhänge, örtliche und zeitliche Verhältnisse und Vorgänge, Anschauungen, Gewohnheiten, Gebräuche und Sprachregelungen der Kreise, denen die an der Kommunikation Beteiligten angehören (speziell zu Anträgen von Strafverteidigern Wohlers StV 2001 420, 428), die Persönlichkeiten des Akteurs und des Betroffenen, ihre Beziehungen zueinander, der Wissensstand des Kundgabeempfängers (der insbesondere in Fällen der esoterischen Kommunikation und bei Anspielungen von Bedeutung sein kann), die gesellschaftliche Ebene, auf der agiert wird, der reaktive Gehalt einer Äußerung, andere argumentative Zusammenhänge, Absichten, Meinungsimplikationen, die Verwendung sprachlicher Ausdrücke oder von Darstellungen als Werkzeuge, mit denen man zweckbedingt und zweckbezogen operiert.8

22

d) Sinnermittlung bei Werken der Kunst. Auch bei der Ermittlung des Sinngehalts von Aussagen, die in künstlerischen Ausdrucksformen gemacht werden, ist nach dem Verständnis der Empfanger, nach dem Empfängerhorizont zu fragen. Künstlerische Äußerungen können, wenn es darum geht, ob sie in eindeutigem Bezug auf die Wirklichkeit (auch) Kundgaben der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung sind, auf der tatbestandlichen Ebene keine besonderen Interpretationsmaßstäbe für sich in Anspruch nehmen. Dort allerdings, wo der eindeutige Realitätsbezug fehlt, weil durch das Stilmittel der Verfremdung die Aussage von der Ebene des wirklichen Lebens abgehoben worden ist, wo das Faktische und das Poetische sich verbunden haben, muss auf kunstspezifische Betrachtung, Anwendung „werkgerechter Maßstäbe" Bedacht genommen werden (BVerfGE 30 173, 195; 67 213, 230; BVerfG NStZ

8

BGHSt. 12 287, 294; BGH NJW 1951 368; NJW 1971 1655, 1656; BGH NStZ 1986 453, 454; RGSt. 41 49, 51; 61 151, 154; 63 112, 115; 65 21, 22; BayObLGSt. 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; 1963 141 = JR 1963 468 m. Anm. Schröder; OLG Celle NdsRpfl. 1977 88; OLG

Frankfurt JR 1972 515 m. Anm. Hirsch; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; 1982 1656, 1658; OLG Köln NStZ 1981 183, 184; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 38; VGH München NJW 1984 1136, 1137; Kern Die Äußerungsdelikte, S. 76ff; Otto JR 1983 1,7.

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Beleidigung

§185

1988 21, 22; BGH NJW 1975 1882, 1884; 1983 1194, 1195; Würtenberger NJW 1982 610, 611). Denn in dem Maße, in dem das Individuelle verfremdet wird, nur als Vehikel oder Paradigma „künstlerischer Wahrheit" erscheint, schwindet die Gefahr, dass es von ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen oder Werturteilen tangiert wird (OLG Stuttgart NJW 1976 629; Otto NJW 1986 1206, 1210; Zechlin NJW 1983 1195, 1196). Nicht jedermann ist mit diesem Zusammenhang vertraut. Deshalb muss in Fällen einer Verfremdung, die diesen Namen verdient (vgl. BGH NJW 1975 1882, 1884), auf den „verständigen", „differenzierenden", gegenüber künstlerischen Erscheinungsformen „nicht völlig unbewanderten" Durchschnittsleser (-hörer, -betrachter) abgestellt werden (BVerfGE 67 213, 230; BGH NJW 1987 1194, 1195; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 37 f; Würtenberger NJW 1983 1144, 1146). Fehlt eine vom „Stoff" der Realität distanzierende Verfremdung oder wird in plakativen Vereinfachungen gerade der „nicht differenzierende", der „einseitig eingestellte", der „naive" oder der „flüchtige" Betrachter (Leser, Hörer) angesprochen, muss auch sein „Empfangerhorizont" Berücksichtigung finden. Die Interpretation einer künstlerischen Aussage erfordert eine Gesamtschau des Werks, insbesondere auch dort, wo der Sinngehalt durch mehrere Ausdrucksmittel (z.B. durch Bild und Text) geformt worden ist (BVerfGE 67 213, 228; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 38; Würkner NStZ 1988 23, 24). Satire und Karikatur sind „spezifische Formen künstlerischen und literarischen 2 3 Schaffens" ( Würtenberger NJW 1982 610). Auf ihrem höchsten Niveau sind sie „Entlarvung der Seele", geben sie „dem Menschen sein wahres Gesicht" und erfassen sie das Typische am individuellen Beispiel (Radbruch Karikaturen der Justiz [1957], S. 14). In kleiner Münze kursieren sie als Witz, Cartoon, Glosse oder Sottise. Ihre Stilmittel sind verzerrende Übertreibung, Verfremdung, Akzentuierung des Komischen, Grotesken oder Makabren an einem Verhalten, einer Absicht oder einer Erscheinung. Sie treiben auf die Spitze, führen ad absurdum, verkürzen und vereinfachen. Sie neigen dazu, dem Interessanten den Vorzug vor dem Wahren zu geben. Immer soll mit Hilfe der künstlerischen Form einem Gedanken, einer Meinung, einem Anliegen ein besonders wirksamer Ausdruck verschafft werden. Aber die Form, die Einkleidung der eigentlichen Aussage, hat nicht nur funktionelle Bedeutung. Auch sie ist eine Äußerung mit eigenem Erklärungswert. Deshalb geht es bei Satire und Karikatur um zwei Auslegungsvorgänge: Die Einkleidung, das karikierende oder satirische Gewand, und die eigentliche Aussage (der „Aussagekern") müssen unterschieden, der objektive Sinn der einen und der anderen Komponente je für sich ermittelt werden. 9 Der Aussagekern, das Ergebnis der Frage nach dem Sinngehalt der unverbrämten, der „prosaischen" Äußerung, des „tatsächlich Gemeinten", muss das Ergebnis einer Deutung sein, die dem Empfangerhorizont (Rdn. 19, 22) gerecht wird. Das Postulat ist schwer zu erfüllen. In einer Reihe von Entscheidungen erbringt der „differenzierende Leser", der „verständige Betrachter" und sogar der schlichte „Durchschnittsbeobachter" unwahrscheinliche Interpretationsleistungen (vgl. BGH NJW 1983 1194, 1195; OLG Köln JMB1NRW 1983 36, 38; VGH München NJW 1984 1136, 1137). Entpuppt sich der Aussagekern als eine nach seinem objektiven Sinngehalt ehrenrührige Kundgabe, kann der Kommunikator dennoch vorbringen, er habe angenommen, der

9

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BVerfGE NStZ 1988 21, 22 m. Anm. Würkner, RGSt. 62 183, 184; BayObLGSt. 1957 126, 128 = NJW 1957 1607; OLG Hamburg MDR 1967 146 und NJW 1985 1654 = JR 1985 429; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; OLG Köln JMB1-

NRW 1983 36, 37; Geppert JR 1985 430; Otto NJW 1986 1206, 1207; Würtenberger NJW 1982 610, 612 und 1983 1144, 1145; SchlSchröderl Lenckner26 8 a.

Eric Hilgendorf

§185

14. Abschnitt. Beleidigung

Mangel an Ernstlichkeit werde nicht verkannt, wenn er seine Äußerung so verpacke, wie er es getan habe. Spricht die Gesamtschau des Werks (Rdn. 22) für dieses Vorbringen, kann es den Beleidigungsvorsatz in Frage stellen (vgl. RGSt. 12 141; 62 183, 184; Rudolphi SK 8). 24

Die karikierende oder satirische Einkleidung ist das Element, das die Kunstformen der Satire und der Karikatur auszeichnet. Ohne Übertreibung, Verzerrung, Verkürzung, Vereinfachung, Verfremdung des Vertrauten können diese Kunstformen nicht leben. Das wissen der verständige Durchschnittsbetrachter und der differenzierende Durchschnittsleser (-hörer). Deshalb darf die Einkleidung „nicht nach allgemeinen Maßstäben" gemessen werden (OLG Hamburg M D R 1967 146, 147; ebenso RGSt. 62 183, 185; O L G Hamburg N J W 1985 1654; O L G Köln JMB1NRW 1983 36, 39; Geppert JR 1985 430, 431; Rudolphi SK 8). Grenzen gibt es auch für sie (BVerfG NStZ 1988 21, 22; O L G Hamburg N J W 1985 1654; O L G H a m m N J W 1982 659, 660). Sie liegen etwa dort, wo der objektive Sinn der Einkleidung sie als Schmähung (OLG Köln aaO), Besudelung oder Diffamierung (OLG H a m m aaO; K G NStZ 1992, 385 mit Anm. Liesching/von Münch N S t Z 1999 85) erweist, wo ihr Sinngehalt darin liegt, dem Betroffenen den personalen Status abzusprechen (vgl. BVerfGE aaO; Würkner NStZ 1988 23, 24; § 193 Rdn. 10). Z u m Ganzen auch Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht (1989).

25

e) Kundgabe durch Unterlassen. Vollendung der Kundgabe. Die Beleidigung ist ein Begehungsdelikt. Der äußere Tatbestand verlangt eine ehrenrührige Kundgabe als ersten Tatumstand (Rdn. 10). Der Akt der Kundgabe kann sich darin manifestieren, dass etwas nicht getan wird. Auch in einem solchen Falle ist er durchaus Verlautbarung, Erklärung in der Form konkludenten Handelns (Rudolphi SK 16; Sehl Schräder!Lenckner2'' 12). Dieses Handeln muss in seinem objektiven Sinngehalt eine Äußerung sein, in der dem Betroffenen ein nicht vorhandener Mangel an personalem Geltungswert nachgesagt wird (Rdn. 1, 17). Die Beispiele, die in der Literatur geboten werden, 10 sind zu einem großen Teil nur Exempel für Missachtung der Konvention, für den Mangel an Bereitschaft zu positiven Achtungserweisen und für Indizien über Einstellungen des „Täters", die in der ehrdifferenten Erklärung nicht zum Ausdruck kommen (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 239). Als unechtes Unterlassungsdelikt kann die Beleidigung in Fällen der Ingerenz in Erscheinung treten (Geppert Jura 1983 660, 662; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 241; O L G Köln N J W 1996 2878). Im Übrigen kann sich ein Garant, der eine Beleidigung durch einen Dritten nicht verhindert, nur der Beihilfe schuldig machen, weil Täter nur derjenige sein kann, der Subjekt der ehrenrührigen Äußerung ist (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 242; Rudolphi aaO; Sehl Schröder/Lenckner26 aaO).

26

Eine ehrenrührige Kundgabe und damit der äußere Tatbestand der Beleidigung ist vollendet, wenn ein anderer von ihr Kenntnis erlangt (Rdn. 10) und sie in ihrem ehrenrührigen Sinn verstanden hat 1 1 . Kenntnisnahme über das Medium einer Videokamera 10

Unterlassung der Anrede „Herr"; Nichtverwendung einer im Briefverkehr üblichen Höflichkeitsformel; Nichterwidern eines Grußes; Nichtergreifen der dargebotenen Hand; das Wegsehen, Übersehen oder Weghören; das räumliche Distanzieren (vgl Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 238ÍT m.w. N.; Kern Die Äußerungsdelikte, S. 70; Liepmann VDB Bd. IV [1906] S. 272 f).

11

BGHSt. 9 17, 19; RGSt. 65 21; BayObLGSt. 1976 88, 91 = M D R 1976 1036; Binding Lb. BT, 2. Aufl., S. 145; Geppert Jura 1983 530, 533; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 16 Anm. 7 und S. 218 Anm. 39; Kern Die Äußerungsdelikte, S. 25; Regge M K 28; Rengier BT II 6 § 28 Rdn. 22; Wessels!Hettinger BT I 28 Rdn. 487; aA Schößler Anerkennung und Beleidigung, S. 248; Schramm Lenckner-FS, S. 539, 560.

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Beleidigung

§185

reicht aus (BayObLG NJW 2000 1584). Nach früher herrschender Ansicht ist das Sinnverständnis nicht erforderlich (BGH NJW 1951 368; RGSt. 29 398, 399; 60 34, 35; BayObLGSt. 1957 126, 128 = NJW 1957 1607). Das geistige Erfassen des ehrenrührigen Sinnes ist jedoch notwendig, weil eine nicht verstandene Äußerung so gut wie keine Äußerung ist (Kern aaO). Äuch beleidigende Kundgaben sind Akte inhaltlicher Kommunikation, nicht nur Auslöser physikalischer Vorgänge. Soll durch eine Tatsachenbehauptung fremde Missachtung hervorgerufen werden, ergibt sich aus der tatbestandlichen Struktur der Delikte (§§ 186, 187) das Erfordernis, dass der Kundgabeempfänger den Äußerungssinn versteht. Hat der Kundgebende alles getan, was der Akt der Kundgabe von ihm erfordert, wird durch einen bloßen Sinneswandel die Verwirklichung des äußeren Tatbestands nicht in Frage gestellt (RGSt. 48 62, 64). Soll die Verwirklichung abgewendet werden, muss der Kundgebende den Erfolg (die Kenntnisnahme durch einen den Sinn seiner Äußerung verstehenden anderen) vereiteln (RGSt. 57 193, 195). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn jemand vom Inhalt einer schriftlich fixierten Beleidigung, die der Täter auf den Weg brachte oder bringen ließ, unter Verletzung des Briefgeheimnisses Kenntnis erlangt (vgl. RGSt. 26 207; RG Recht 1917 129; BayObLGSt. 1976 88, 91 = M D R 1976 1036). In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, vollendete Beleidigung anzunehmen, wenn der Kundgebende die ehrenrührige Äußerung seiner Schreibkraft diktiert und sie „die ehrenkränkende Bedeutung" des Diktats „richtig auffaßt", gleichgültig, wie der weitere Vorgang verläuft (RG JW 1924 911 Nr. 5, Lackner/Kühl25 8; aA Kindhäuser BT II 22/13; Zaczyk N K 19 vor § 185). Ein Irrtum des Täters über die Person seines (fernmündlichen) Gesprächspartners stellt weder die Verwirklichung des äußeren noch des inneren Tatbestands in Frage (BayObLGSt. 1986 89, 90 = JR 1987 431 mit Anm. Streng, der der Frage nachgeht, wer in solchen Irrtumsfallen als Verletzter anzusehen ist, wenn die Tat sich gegen den Achtungsanspruch desjenigen richtete, den der Täter für den Angesprochenen hielt). 4. Folgerungen, die sich aus dem Ehrbegriff und der Deliktsstruktur für den äuße- 2 7 ren Tatbestand ergeben. Die Beleidigung ist ein Kundgabedelikt. Die Äußerung, die der Tatbestand verlangt, muss in ihrem objektiven Sinngehalt ehrenrührig sein (Rdn. 17). Das ist sie nur, wenn einem anderen ein in Wahrheit nicht vorliegender Mangel oder Makel nachgesagt wird, der den personalen oder sozialen Geltungswert mindern würde, wenn er vorläge. Nicht tatbestandsmäßig ist ζ. B. das Absprechen von besonderen Verdiensten, Eigenschaften, Vorzügen, Leistungen, Vorrechten, der Angriff auf das gesellschaftliche Ansehen, die Nichtrespektierung von Rechtspositionen und von rechtlich geschützten Beziehungen (vgl. Rdn. 32), wenn und solange dem Betroffenen weder ein Mangel an sittlicher Integrität infolge eines Verstoßes gegen (sozial-) ethische Pflichten, noch eine elementare menschliche Unzulänglichkeit nachgesagt wird (Rdn. 13, 17 vor § 185). Gleiches gilt von Unhöflichkeiten, Taktlosigkeiten, Verstößen gegen die Konvention (vgl. Rdn. 21), Belästigungen, Foppereien (vgl. BayObLGSt. 1963 141 = JR 1963 468 mit Anm. Schröder, 1980 32, 34 = NJW 1980 1969; Rogali NStZ 1981 102; Rudolphi SK 11; Rüping/Kamp JuS 1976 660; O L G Düsseldorf JR 1990 345 mit Anm. Keller, Geppert Jura 2002 820, 825). Sie werden zu beleidigenden Akten, wenn in ihrem objektiven Sinngehalt zum Ausdruck kommt, der Betroffene sei moralisch oder auf Grund elementarer Unzulänglichkeiten minderwertig, weshalb man mit ihm sein „Spielchen" treiben, sich ihm gegenüber flegelhaft oder provozierend benehmen könne (vgl. BayObLGSt. 1963 141; 1980 32, 34; Rudolphi aaO). Auch Scherze sind ehrenrührige Äußerungen nur unter dieser Voraussetzung (vgl. RGSt. 12 140, 141). Der an einen Richter adressierte Vorwurf zögerlicher Verfahrensführung ist regel(37)

Eric Hilgendorf

§185

14. Abschnitt. Beleidigung

mäßig noch nicht tatbestandsmäßig (LackneriKühl25 5); etwas anderes gilt, wenn dem Richter willkürliches Vorgehen vorgeworfen wird (BGH NJW 2004 1541). Schon an der Äußerung einer Meinung oder einer Tatsache fehlt es in der Regel, wenn jemand durch Eindringen in fremde Privatsphäre Neugierde befriedigen oder Informationen erlangen will. Im heimlichen Beobachten eines Liebespaars, das in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauscht, liegt daher keine Beleidigung (BayObLG NJW 1980 1969 mit Anm. Rogali NStZ 1981 102). Dasselbe gilt für heimliche Fotoaufnahmen, selbst wenn sie den Betroffenen in peinlichen Situationen zeigen (vgl. auch den durch das 36. StÄG vom 30.7.2004 eingeführten § 201a). Dagegen kann in der Weitergabe derartiger Aufnahmen oder in ihrer Publikation in Zeitschriften oder im Internet eine Beleidigung zu sehen sein. 28

a) Beleidigung durch Sexualstraftaten oder andere sexuelle Handlungen?12 Die Rechtsprechung ignoriert die tatbestandlichen Grenzen, die sich aus dem Wesen der Beleidigung als einem Äußerungsdelikt und daraus ergeben, dass die Ehre mit der Personwürde oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht gleichgesetzt werden darf, keineswegs (vgl. BGH NStZ 1986 453 = JR 1987 125 mit Anm. Hillenkamp·, BayObLGSt. 1980 32 = NJW 1980 1969; 1986 91; OLG Hamm NJW 1972 883; OLG Zweibrücken MDR 1986 871). Aber vielfach hat sie Ansichten vertreten, die dem Kundgabecharakter der Beleidigung und ihrem spezifischen Unrechtsgehalt nicht gerecht werden. Das gilt insbesondere für den Bereich der sexuellen Delinquenz und des nicht unter diese Delinquenz fallenden sexuellen Geschehens. Die beiden Fallgruppen sind damit schon angedeutet: (1.) Der Täter hat ein Sexualdelikt oder den mit Strafe bedrohten Versuch eines Sexualdelikts tatsächlich begangen. (2.) Die Bestrafung wegen einer Sexualstraftat kommt nicht in Betracht, weil das sexuelle Geschehen nicht tatbestandsmäßig ist. Für die erste Fallgruppe wurde in Fortführung der reichsgerichtlichen Judikatur angenommen, dass das Sexualdelikt in seinem „regelmäßigen Erscheinungsbild" auch den Tatbestand der Beleidigung „notwendigerweise" verwirkliche. Aber § 185 trete zurück (BGH StV 1982 14, 15; BGH NStZ 1987 21). Tateinheit mit Beleidigung sei zu bejahen, wenn der Täter einen „zusätzlichen" Ehrangriff führe, der über das hinausgehe, was zur „regelmäßigen" Begehung der Sexualstraftat erforderlich sei (BGH aaO; OLG Frankfurt NJW 1967 2075, 2076: Erzwingung des Geschlechtsverkehrs trotz Monatsblutung). Kann der Täter, der sich tatbestandsmäßig verhalten hat, wegen des Sexualdelikts nicht bestraft werden (etwa weil er mit strafbefreiender Wirkung vom Vergewaltigungsversuch zurückgetreten ist), sei §185 auch in Fällen des „regelmäßigen Erscheinungsbilds" anwendbar (BGH aaO). Für die zweite Fallgruppe lässt man die Beleidigung als „kleines Sexualdelikt" (Arzt JuS 1982 725) fungieren: Sexuelle Handlungen, die den äußeren (BGH NStZ 1986 453; 1987 21; 1988 69; OLG Hamburg NJW 1980 2592) oder inneren (BayObLGSt. 1963 25 = MDR 1963 333; OLG Düsseldorf NJW 1977 262) Tatbestand einer Sexualstraftat nicht erfüllen, werden als Beleidigung bestraft und zwar ohne weiteres oder unter der Voraussetzung, dass „die besonderen Begleitumstände, unter denen die sexuellen Handlungen angebahnt oder vorgenommen werden, oder

12

Mit den „anderen sexuellen Handlungen" oder mit „sexuellen Handlungen, die den Tatbestand eines Sexualdelikts nicht erfüllen" (die „keine Sexualstraftaten sind"), werden in Rdn. 28 bis 32 sexuelle Verhaltensweisen angesprochen, die zwar keine Straftat im Sinne des 13. Abschnitts

bilden, die aber mit einem sittlichen oder rechtlichen Makel behaftet sind, insbesondere deshalb, weil sie das Schamgefühl verletzen, die geschlechtliche Selbstbestimmung des „Partners" nicht voll und ganz respektieren oder sich dessen leichte Verführbarkeit zunutze machen.

Stand: 31.3.2005

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Beleidigung

§185

die Art und Weise ihrer Vornahme das Verhalten des Täters ... als einen Angriff gegen die Ehre erscheinen lassen" (BGH NStZ 1986 453, 454). Die These, dass Beleidigungen mit dem „regelmäßigen Erscheinungsbild" von 2 9 Sexualdelikten, insbesondere mit Vergewaltigungen und sexueller Nötigung, „notwendigerweise verbunden sind" (BGH StV 1982 14), trifft nicht zu. Gewiss respektiert derjenige die Persönlichkeit seines Opfers nicht, der es durch Gewalt oder Drohung zum Beischlaf oder zur Duldung (Vornahme) sexueller Handlungen zwingt. Aber weder in einem solchen Zwang noch im Ausnutzen des mangelnden Verständnisses von Kindern und Geisteskranken zu sexueller Delinquenz liegt eo ipso eine Kundgabe, die besagt, dass das Opfer einen seine Ehre mindernden Mangel an personalem Geltungswert aufweise. Eine solche Äußerung macht auch derjenige nicht, der andere als Statisten zur Befriedigung seines exhibitionistischen Dranges benötigt ( H a ß SchlHA 1975 124 ff; aA OLG Düsseldorf NJW 1977 262). Schon in der Methode seines Vorgehens gibt der Täter vielfach zu erkennen, dass er die sittliche Integrität seines Opfers in Rechnung stellt und dass er deshalb täuscht, Gewalt anwendet, droht oder überrumpelt. Noch am leichtesten kann die Behauptung eines Mangels an Ehre darin gesehen werden, dass der Täter einem anderen, der einsichts- und urteilsfähig ist, ein bestimmtes sexuelles Verhalten ansinnt. Aber man muss unterscheiden, ob der Täter wirklich (konkludent) erklärt, er schätze den Äußerungsadressaten als eine Person ein, der zuzutrauen sei, dass sie auf sein Ansinnen eingehe, oder ob er nur den Wunsch auf ein solches Eingehen - ohne Werturteil über die Person des Kundgabeempfangers - zum Ausdruck bringt (Geppert Jura 1983 580, 590; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 62 Anm. 41; Rudolphi SK 14. Hirsch aaO sagt mit Recht: Wäre das Ansinnen einer ehrenrührigen Handlung für sich allein schon eine Beleidigung, müssten alle Fälle der versuchten, am Nichtwollen des Adressaten scheiternden Änstiftung Verletzungen der Ehre darstellen und nach § 185 strafbar sein. Damit würden die engen Grenzen des mit Strafe bedrohten Versuchs der Beteiligung gesprengt). In BGHSt. 36 145 (mit Bespr. Otto JZ 1989 803) wurde festgestellt, dass bei einem 3 0 Sexualdelikt der Tatbestand einer Beleidigung nur vorliegt, wenn der geschlechtliche Angriff über das gewöhnliche Erscheinungsbild eines solchen Delikts hinausgeht und seinen gesamten Umständen nach zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen ehrmindernden Mangel auf (vgl. auch BGH NStZ 1992 33 mit Anm. Keller JR 1992 246; OLG Düsseldorf NJW 2001 3562; OLG Karlsruhe NJW 2003 1263; LG Freiburg NJW 2002 3645 mit Bespr. Martin JuS 2003 300; Hillenkamp NStZ 1989 529; Kiehl NJW 1989 3003; Lackneri Kühl15 6). Die Abgrenzung von Beleidigungen und Sexualdelikten ist allerdings im Detail häufig noch unklar (vgl. vor allem BGH NJW 1986 2442, dazu Laubenthal JuS 1987 700; Sick JZ 1991 330). Der gegenwärtige Stand der Diskussion lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die 31 Ansicht, dass die Beleidigung nicht dazu da ist und von Rechts wegen nicht dazu da sein kann, „die genau umgrenzten Tatbestände der Sittlichkeitsdelikte auszuweiten und zu ergänzen" (Kern JZ 1958 618, 619), Lücken zu schließen, die moralisches Empfinden oder moralisierende Einstellung nicht hinnehmen möchten, hat in BGH NStZ 1986 453 (= JR 1987 125 mit Anm. Hillenkamp) und BGHSt. 36 145 ihre grundsätzliche Anerkennung in der Rechtsprechung gefunden. In der Wissenschaft ist sie zur ganz herrschenden Meinung geworden ,13 Sie stützt sich auf die Erkenntnis, 13

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Schrifttum, das sich dagegen wendet, die Beleidigung als „kleines Sexualdelikt" fungieren zu lassen (in Auswahl): Arzt JuS 1982 725 f; Gep-

pert Jura 1983 580, 588 fT; Haß aaO; Hillenkamp aaO; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 61 ff; Ritze aaO; Sehl Schröder! Lenckner26 4; Wehet S. 307.

Eric H i l g e n d o r f

§185

14. Abschnitt. Beleidigung

dass mit sexuellen Delikten in aller Regel kein Angriff auf die Ehre, sondern auf das Schamgefühl und auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere auf das Recht zur sexuellen Selbstbestimmung oder auf das Rechtsgut der ungestörten geschlechtlichen Entwicklung verbunden ist (vgl. Hillenkamp JR 1987 126, 127). Außerdem zieht diese Auffassung die Folgerungen daraus, dass der aus der Ehre abgeleitete Achtungsanspruch nur durch ein Verhalten verletzt werden kann, das Äußerungscharakter hat und in seinem objektiven Sinngehalt ehrenrührig ist. Es sind jedoch noch manche Abgrenzungsprobleme zu lösen. In Teilen der Öffentlichkeit wird gefordert, bestimmte Formen „sexueller Belästigung" bis hin zum „Cyberstalking" über das Internet (dazu Hilgendorf ¡Hong K&R 2003 168) auch strafrechtlich zu erfassen. Wie sich diese Diskussion auf die Anwendung des Beleidigungsstrafrechts auswirken wird, bleibt abzuwarten. 32

b) Beleidigung durch Missachtung der Person, Eingriffe in Rechte und rechtlich geschützte Beziehungen? Es ist schon wiederholt betont worden, dass die Ehre ein Attribut des Menschen, ein Aspekt der Personwürde ist. Jede Verletzung der Persönlichkeit beeinträchtigt zwar die Personwürde, aber sie tangiert nicht eo ipso die Ehre. Ebenso gilt: Die Ehre ist nur eines der Rechts- und Lebensgüter, auf die sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt. Sie wird nicht ohne weiteres berührt, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht (ζ. B. durch körperliche Misshandlung, Einsperren, Nötigung, Vergewaltigung, Verfälschung des Erscheinungsbildes) verletzt wird. Es ist auch verfehlt, eine Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung der Ehre in der bloßen Verletzung anderer Rechte, von Ansprüchen, die aus solchen Rechten hergeleitet werden, und von institutionalisierten Beziehungen zu sehen. Daraus folgt: Weder im Ehebruch noch in einer anderen sexuellen oder sexualbezogenen Handlung, die sich zwischen einer verheirateten Person und einem Extraneus abspielt, liegt schon deshalb eine Beleidigung des „gehörnten" Ehegatten, weil solches Verhalten ehezerstörend oder mit dem Wesen der Ehe nicht zu vereinbaren ist (Rdn. 36 vor § 185). Die Verletzung des Erziehungsrechts als solche impliziert in aller Regel nicht die Kundgabe eines ehrenrührigen Werturteils über den Erziehungsberechtigten (Rdn. 37 vor § 185). Wo in beleidigungsrechtlichen Argumentationen von Missachtung der Person, der Personwürde, der Persönlichkeit, des Persönlichkeitsbildes, des (allgemeinen) Persönlichkeitsrechts oder anderer Rechte die Rede ist (vgl. BGHSt. 1 288, 289; 7 129, 130; 9 17, 18; 11 67, 71; 16 58, 60; BGH NStZ 1987 21, 22; 1988 69; BayObLGSt. 1957 200, 201; 1962 41, 42), sollte man hellhörig sein. Vielfach handelt es sich in solchen Fällen nicht um Missachtung der Ehre (vgl. Rdn. 2 vor § 185).

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5. Beispiele für ehrenrührige Kundgaben. Ehrenrührig sind nur Kundgaben, die in ihrem objektiven Sinngehalt die Erklärung eines Mangels an Ehre zum Ausdruck bringen (Rdn. 10, 17). Nicht die allgemeine (regelmäßige) Bedeutung einer Äußerung ist entscheidend, sondern die Bedeutung, die sich aus den Umständen des Falles ergibt (Rdn. 19, 21). Die Umstände können einer „an sich" beleidigenden Kundgabe den ehrenrührigen Erklärungswert nehmen. Er liegt vor, wenn die auf der Grundlage der Umstände des Falles interpretierte Äußerung (Rdn. 21) dem Betroffenen vorwirft (oder ihm nachsagt), er sei nicht im Vollbesitz der Ehre, weil er seine sittliche Integrität nicht gewahrt habe oder eine elementare menschliche Unzulänglichkeit aufweise. Die in diesem Vorwurf liegende Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung kann in Fällen des § 185 ein herabsetzendes Werturteil oder eine herabwürdigende Tatsachenbehauptung sein, wenn lediglich der Betroffene Äußerungsadressat ist. Ist (auch oder nur) ein anderer als der Betroffene Erklärungsadressat, sind nur ehrenrührige Werturteile tatbestandsmäßig i. S. v. § 185 (Rdn. 1). Von Stand: 31.3.2005

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einem Vorwurf (oder einer Konstatierung) eines Mangels an Ehre kann keine Rede sein, wenn der Kommunikator den Betroffenen lediglich von ehrenrührigen Äußerungen Dritter unterrichtet, ohne dass er sich diese Äußerungen zu Eigen macht (Sehl Schröder/Lenckner261). Die sittliche Integrität wird dem Betroffenen abgesprochen, wenn ihm ein bestimmter Verstoß gegen ethische oder rechtliche Pflichten, der nicht nur Bagatellcharakter hat, vorgeworfen wird, wenn in ihm unmoralisches oder kriminelles Verhalten „personalisiert" wird („Dieb", „Ehebrecher", „Kinderschänder") oder wenn über ihn ein die gesamte Persönlichkeit erfassendes Urteil moralischer Minderwertigkeit („Charakterlump") gefallt wird. So kann die (wörtliche oder abgewandelte bzw. verkürzte) Äußerung des Tucholsky-Zitats „Soldaten sind potentielle Mörder" eine Beleidigung darstellen (LG Frankfurt NStZ 1990 233; BayObLG NJW 1991 1493; OLG Frankfurt NJW 1991 2032; aA z.B. Giehring StV 1992 194, 199; Goerlich Jura 1993 471, 476; gegen die Annahme einer Beleidigung auch BVerfG NJW 1994 2943 mit krit. Bespr. Herdegen NJW 1994 2933; Grasnick JR 1995 162; Campbell NStZ 1995 329; Stark JuS 1995 689; zust. dagegen Lorenz NJ 1994 561); zurückhaltender BVerfGE 93 266, 297 mit krit. Bespr. Otto NStZ 1996 127. Zum Ganzen eindringlich Tettinger JuS 1997 769. Zur auf Bundeswehrsoldaten bezogenen Aussage „Morden, Ja" siehe KG NJW 2003 685. Auch wenn im Grundsatz eine Beleidigung angenommen wird, bleibt die Unbestimmtheit des betroffenen Personenkreises problematisch (vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1989 1367; BGHSt. 36 83). Die sittliche Integrität wird auch durch Vorwürfe betroffen, die ein pflichtwidriges Versagen von Gewicht angesichts einer sozialen Aufgabe oder in einer sozialen Rolle zum Gegenstand haben (Rdn. 13 vor § 185). Scheit- und Schimpfworte sind beleidigend, wenn sie dem Betroffenen die sittliche Integrität in der eigenen Lebensführung oder im Verhalten zu anderen absprechen („Lump", „Schuft", „Schwein") oder ihm eine elementare menschliche Unzulänglichkeit attestieren (Rdn. 17 vor § 185). Die folgenden Beispiele sind nach der Rechtsprechung Paradigmen für den objektiven Tatbestand. Die Rechtfertigungsfrage (§ 193) wird hier nicht gestellt. OLG Hamm NJW 1982 1656, 1657: Die Worte „Künstler" und „Werke" werden in einem Flugblatt, das sich gegen einen Karikaturisten richtet, in Anführungszeichen gesetzt. OLG Hamm NJW 1982 659, 660: In Bezug auf einen Kanzlerkandidaten werden in einer Karikatur die Worte „Faschismus" und „Krieg" gebraucht (zum Ineinandergreifen von zeichnerischer Darstellung und Text vgl. Rdn. 23, 24). OLG Hamburg JR 1983 298: Der Buchstabe „ß" im Namen des Betroffenen wird durch SS-Runenzeichen ersetzt. OLG Hamm JMB1NRW 1982 22: Polizeibeamte werden als „Bullen" bezeichnet (zur Verwendung dieses Ausdrucks vgl. auch KG JR 1984 165). OLG Karlsruhe M D R 1978 421: Der Betroffene wird als „Jungfaschist" tituliert. BayObLGSt. 1983 32, 35 = NJW 1983 2040: Einem Captain der US-Army und einem farbigen Studenten wird ohne erkennbaren sachlichen Grund der Zutritt zu einer Diskothek verweigert. OLG Schleswig SchlHA 1984 86: Der Angeklagte fährt mit einem Aufkleber herum, der folgende Szene zeigt: Ein Polizeibeamter, ausgerüstet mit Helm, Schutzschild und Schlagstock, beugt sich über eine am Boden liegende, aus dem Kopf blutende Person und holt zum Schlag aus. Das beigefügte Textwort lautet: „Polizeisportverein". OLG Düsseldorf JMB1NRW 1981 223, 224: Polizeibeamten wird der Vorwurf gemacht, sie neigten zu pflichtwidrigem, kriminellen Tun. BGH bei Daliinger M D R 1955 396: Ein Urteil wird als „Terrorurteil" hingestellt. OLG Hamm NJW 1971 1852: In einem Brief an einen Rechtsanwalt (der die Verteidigung übernehmen sollte) wird von einem Richter behauptet, er sei „typisch voreingenommen", habe „sehr einseitige Verhandlungspraktiken" und habe sich mit dem Pflichtverteidiger abgesprochen, um den Brief(41)

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Schreiber „auf die billige Tour ins Zuchthaus zu schicken" (zu den Grenzen des Rechts der Presse, an einem Gericht Kritik zu üben, vgl. OLG Zweibrücken GA 1978 208; zur Freiheit des Richters, sich in den Entscheidungsgründen eindeutig zu artikulieren, vgl. BGHZ 70 1). BGH NStZ 1984 216: Beleidigung durch das Schaffen einer Sachlage, die den Beleidigten kompromittiert. 35

6. Die Wahrheitsfrage in Fällen des § 185. Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die „in Beziehung auf einen anderen" aufgestellt werden, sind als üble Nachrede in §186 mit Strafe bedroht, wenn sie „nicht erweislich wahr sind". Die Fassung des Gesetzes besagt, dass nicht nur ein in der Wahrheitsfrage negatives Beweisergebnis, sondern auch ein non liquet zu Lasten des Täters geht, und dass es gleichgültig ist, weshalb der Wahrheitsbeweis misslingt. Der Grundsatz „in dubio pro reo" greift nicht ein (BGH bei Dallinger MDR 1954 335 und 1955 260). Für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen - das sind Fälle des § 185 - gilt dagegen nach herrschender Auffassung etwas anderes. § 185 weist die Struktur des § 186 nicht auf. Deshalb darf die Beweislastumkehr, die § 186 statuiert, nicht in den Anwendungsbereich des § 185 ausgedehnt werden. Sie läuft Grundprinzipien des Strafrechts zuwider. Für Fälle des § 185 ist der Grundsatz „in dubio pro reo" uneingeschränkt zu respektieren. Die Unwahrheit einer nur dem Betroffenen gegenüber geäußerten ehrenrührigen Tatsachenbehauptung ist also ein Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz erstrecken muss. Stehen die Unwahrheit oder vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Unwahrheit nicht fest, scheitert eine Bestrafung nach § 185 schon am Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen. Im Übrigen fehlt in Fällen des § 185 die sachliche Berechtigung für eine Beweislastumkehr: Ist nur der Betroffene Äußerungsempfanger, tritt keine Außenwirkung ein, wenn er sie nicht herbeiführt (auf diesen Gesichtspunkt hat schon RGSt. 4 401, 402 bei der Interpretation der Worte „in Beziehung auf einen anderen" hingewiesen).14

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II. Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss wissen oder damit rechnen, dass er über einen anderen etwas Ehrenrühriges äußert und er muss wollen (damit rechnen), dass der Betroffene oder ein Dritter von seiner Äußerung Kenntnis erlangt.15 Es ist außerdem erforderlich, dass der Täter will (davon ausgeht) oder damit rechnet, dass der Kundgabeadressat seine Äußerung in ihrem ehrenrührigen Sinne versteht (Rdn. 26; BayObLG NStZ-RR 2002 212). Auf Kränkungsabsicht (animus iniuriandi) kommt es nicht an (OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; BGH NJW 2004 1541, 1542). Rechnet der Täter damit, dass seine in ihrem objektiven Erklärungswert ehrenrührige Äußerung als Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung verstanden werden kann, entfallt sein Vorsatz nicht deshalb, weil er ihr einen anderen Sinn beigelegt hat (RGSt. 65 21, 22; OLG Köln OLGSt. § 185 S. 27). Andererseits kann weder sein Wille noch die Sinndeutung

14

Vertreter der Auffassung, dass für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen der Grundsatz „in dubio pro reo" gelten müsse (in Auswahl): BayObLGSt. 1958 244 = NJW 1959 57; OLG Köln NJW 1964 2121; OLG Koblenz M D R 1977 864; Geppert Jura 1983 580, 587; Lackneri Kühl15 11; Rudolphi SK 4; Schmid M D R 1981 15, 16; Sehl Schröder/ Lenckner26 6; a A (Übertragung der Beweislastumkehr des § 186 auf Tatsachenbehauptungen

15

gegenüber dem Betroffenen) OLG Frankfurt MDR 1980 495; Hansen JuS 1974 104f; Härtung NJW 1965 1743; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 204 ff; Otto Schwinge-Festschrift, S. 83 f; Welze! S. 310. BGHSt. 1 288, 291; BGH GA 1963 50; RGSt. 48 62, 63; 71 159, 160; BayObLGSt. 1983 32, 33 = NJW 1983 2040; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; Rudolphi SK 20; Sehl Schröder! Lenckner2614.

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durch Erklärungsempfanger bewirken, dass eine in ihrem objektiven Sinngehalt nicht beleidigende Äußerung für den äußeren Tatbestand genügt (Rdn. 17). Die objektiv mehrdeutige Äußerung wird in ihrem, von einem Teil der Erklärungsempfanger als ehrenrührig verstandenen Sinn vom Vorsatz umfasst, wenn der Kommunikator (auch) mit dieser Sinndeutung gerechnet hat (Rdn. 20). Zum Vorsatz bei Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung vgl. Rdn. 29 und 31 vor § 185. Da tatbestandsmäßiges Handeln nicht entfallt, wenn der Kommunikationsweg 3 7 anders verläuft, als der Täter es sich vorgestellt hat (Rdn. 10), ist es ein unbeachtlicher error in persona, wenn er den Falschen mit einer Ohrfeige bedenkt oder (am Telefon) beschimpft (RG H R R 1941 840; KG GA Bd. 69 S. 117; BayObLGSt. 1986 89, 90 = JR 1987 431 mit Anm. Streng). Ist eine Äußerung für einen Dritten, nicht aber für den gemeinten Kundgabeempfänger beleidigend, so erwächst aus error in persona kein Vorsatz ( Welzel S. 309). Erkennt der Äußerungsempfänger den Irrtum des Täters und bezieht er, weil er die Zusammenhänge durchschaut, die scheinbar ihm geltende ehrenrührige Kundgabe nicht auf sich, so ist das nur von Bedeutung für die Frage, wer in diesem Falle Verletzter ist (BayObLGSt. aaO; Streng aaO 432; SchlSchröderl Lenckner2614). Bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen, von denen nur der Betroffene Kenntnis erlangen soll (die also nicht gegenüber einem Dritten „in Beziehung auf einen anderen" gemacht werden, wie § 186 es voraussetzt), bewirkt der lediglich einen Fall des § 185 umfassende Vorsatz, dass es bei der Anwendung dieser Vorschrift auch dann verbleibt, wenn es doch zur Kundgabe an einen Dritten kommt, ζ. B. deshalb, weil sich der Täter über die Person des Erklärungsempfängers irrt oder weil die (verkörperte) Erklärung fehlgeleitet wird (SehlSchröder!Lenckner26 14; Maurach! SchroederlMaiwald BT l 9 § 25 Rdn. 15; Welzel S. 309). Auch wenn der Täter will (damit rechnet), dass der Betroffene von einer ehrenrührigen Tatsache Kenntnis erlangt, die in Beziehung auf ihn behauptet worden ist (Fall des § 186), kommt § 185 nicht zur Anwendung, falls sie nicht (auch) ihm gegenüber abgegeben worden ist (BayObLG NJW 1962 1120; Rdn. 44 vor § 185). III. Tatbestandsausschluss durch Einwilligung. Die Ehre selbst kann nur ihr Träger 3 8 durch „ehrlose" Handlungen mindern. Anderen gegenüber kann er darauf verzichten, den Anspruch auf Achtung seiner Ehre geltend zu machen. Das ist mehr als ein Verzicht auf Rechtsschutz. Die Preisgabe des Anspruchs führt zum Wegfall des AngrifTs-(Handlungs-)objekts. Soweit die Preisgabe reicht, ist eine tatbestandsmäßige Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung nicht mehr möglich. Infolgedessen ist die Einwilligung in ein „an sich" beleidigendes Verhalten als tatbestandsausschließendes Einverständnis aufzufassen (BGH GA 1963 50; RGSt. 60 34, 35; Bockelmann JR 1954 327; Zaczyk N K 14). Nach anderer Ansicht ist die Einwilligung Rechtfertigungsgrund (BGHSt. 11 67, 72; BGH NJW 1951 368; RGSt. 45 344; 71 349; BayObLGSt. 1963 25 = M D R 1963 333; Welzel S. 311). Nach herrschender Meinung kann je nach Sachlage durch sie der Tatbestand ausgeschlossen oder die tatbestandsmäßige Handlung gerechtfertigt werden (Rudolphi SK 19; SchlSchröderl Lenckner26 15). Um Einverständnis soll es insbesondere in Fällen gehen, in denen der Betroffene einem ehrenrührigen Ansinnen nachkommt, selbst durch ein Tun oder Unterlassen seine Ehre mindert (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 68 Anm. 52a; Rudolphi aaO). Gedacht ist vor allem an „Preisgabe der Geschlechtsehre". Aber die sog. Sexualbeleidigung ist in aller Regel schon aus anderen Gründen nicht tatbestandsmäßig (vgl. Rdn. 28 bis 31). Die Frage nach der Verortung einer Zustimmung im Tatbestand oder in der Rechtswidrigkeit hat vor allem für die Einordnung als Tatbestands- oder als Erlaubnistatbestandsirrtum Bedeutung. (43)

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Das Einverständnis muss zur Zeit der Tat vorhanden sein. Die vorher erteilte Zustimmung ist nur wirksam, wenn sie bei Tatbegehung noch fortbesteht. Bis dahin ist sie frei widerruflich. Auch die tatbestandsausschließende Einwilligung ist rechtlich nur beachtlich, wenn der Einwilligende die Bedeutung und Tragweite der Tat und seines Einverständnisses zu überschauen vermag (vgl. BGHSt. 5 361, 362; 8 357, 358; BGH GA 1956 317; 1963 50; BayObLGSt. 1963 25; OLG Stuttgart NJW 1962 62). Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit Jugendlicher in Bezug auf sexuelles Geschehen wird heute nur noch ausnahmsweise zu verneinen sein (vgl. BGH DRiZ 1972 242, 243). Der Grundsatz, dass in eine sittenwidrige Tat nicht rechtswirksam eingewilligt werden kann, gilt für das Einverständnis nicht. Die Auswirkung von Willensmängeln hängt von den Umständen des Falles ab. Eine Täuschung, die dem Betroffenen das Ehrenrührige eines Geschehens verbirgt, schließt eine beachtliche Einwilligung aus (OLG Stuttgart NJW 1962 62). Auf sie wird es in solchen Fällen aber auch gar nicht ankommen. Eine erschlichene Einwilligung ist jedenfalls dann unwirksam, wenn sie auf einer rechtsgutsbezogenen Täuschung beruht (Lackner/Kühl25 12). Die irrtümliche Annahme einer wirksamen Einwilligung kann Tatbestandsirrtum (so, wenn der Irrende einen zum Tatbestandsausschluss führenden Sachverhalt annimmt) wie auch Verbotsirrtum sein (so, wenn der Irrende meint, es komme nur darauf an, dass ein Kind freiwillig mitmache oder widerstandslos dulde, vgl. BayObLGSt. 1963 25, 26).

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IV. Täterschaft, Wahrheitsbeweis, Rechtfertigung. Täter ist nur, wer eigene Missachtung zum Ausdruck bringt. Infolgedessen kann Mittäter nur sein, wer sich die ehrenrührige Äußerung zu Eigen macht (SehlSchröder!Lenckner26 17). Der Einsender eines beleidigenden Artikels und der Redakteur, der ihn veröffentlicht, können das Delikt mittäterschaftlich begehen. Wer sich eines anderen, der den Sinn einer beleidigenden Äußerung nicht versteht, zu ihrer Übermittlung bedient, ist mittelbarer Täter.

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Der Beweis der Wahrheit ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen (auf sie ist § 185 anzuwenden, wenn sie nur gegenüber dem Betroffenen gemacht worden sind) ist Strafausschließungsgrund, der nicht nur persönlich wirkt, sondern auch die Strafbarkeit eines Teilnehmers entfallen lässt (vgl. § 190 Rdn. 1). Da in Fällen des § 185 die Unwahrheit der Behauptung Tatbestandsmerkmal ist (Rdn. 35), wird durch den Beweis der Wahrheit die Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen. Sind die bewiesenen Tatsachen so kundgegeben worden, dass sich aus der Form der Behauptung oder aus den Umständen der Äußerung ein ehrverletzendes Werturteil ergibt, vermag der Wahrheitsbeweis an der Erfüllung des Tatbestands durch dieses Urteil nichts zu ändern (vgl. die Erläuterungen zu § 192). Zu den Umständen gehört der Zeitablauf. Er kann bewirken, dass Tatsachen, die einmal die Ehre des Betroffenen minderten, mehr und mehr inaktuell, nichtssagend werden und schließlich jede Bedeutung verlieren. Wer sie dennoch dem Betroffenen vorwirft, handelt tatbestandsmäßig. Der Wahrheitsbeweis lässt die verfehlte Reaktualisierung unberührt (ebenso Otto Schwinge-Festschrift, S. 85 f). Er kann im Übrigen auch bei ehrenrührigen Werturteilen eine Rolle spielen. Sie können sich (ausdrücklich oder erkennbar) auf Tatsachen beziehen (Rdn. 6). Ist das der Fall, kann der Beweis der Wahrheit dieser Tatsachen den Grad des Verschuldens mindern, also für die Strafzumessung von Bedeutung sein (RGSt. 1 260, 262; 64 10, 11; RG H R R 1933 896; RG JW 1934 692 Nr. 12; OLG Hamm NJW 1961 1937), er kann aber auch zur Straflosigkeit führen, wenn die bewiesene Tatsachenbasis das Werturteil als tatsachenadäquat erscheinen lässt (vgl. Rdn. 6). Dem Täter kann nicht versagt werden, eine Tatsachenbasis im Prozess „nachzuliefern". Denn entscheidungserheblich ist nicht die Frage, von welchem Kenntnisstand er ausstand: 31.3.2005

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gegangen ist, sondern ob die Ehre des Betroffenen tatsächlich gemindert war (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 215). Als Rechtfertigungsgründe kommen in Betracht: (1.) Ehrennotwehr. Sie ist erlaubt, 4 2 wenn der ehrenrührige Angriff fortdauert, die beleidigende Reaktion zur Abwendung erforderlich ist und zu diesem Zweck erfolgt (vgl. BGHSt. 3 218; RGSt. 21 171; 29 240). (2.) Rechtfertigender Notstand. (3.) Nicht missbräuchliche Ausübung des Erziehungsrechts (vgl. RGSt. 73 116). (4.) Wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Sitzungen der Bundesversammlung, einer gesetzgebenden Körperschaft oder eines Ausschusses einer solchen Körperschaft (Art. 42 Abs. 3 GG; § 37). Der Schutz für Äußerungen in einer dieser Körperschaften oder in einem Ausschuss wird dagegen nur in Form eines persönlichen Strafausschließungsgrundes gewährt (Art. 46 Abs. 1 S. 1 GG; § 36). (5.) Die in § 193 aufgeführten Gründe und „ähnliche Fälle" (vgl. die Erläuterungen zu dieser Vorschrift. In ihrem Rahmen wird auch auf Art. 5 G G Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit - eingegangen). V. Konkurrenzen. Das Verhältnis zu §§ 186, 187 ist schon erörtert worden (Rdn. 1; 4 3 Rdn. 43, 44 vor § 185). Die gegen eine Person gerichtete Beleidigung kann unmittelbar ehrenrührig auch für einen Dritten sein (wer einen anderen „Hurensohn" nennt, beleidigt ihn und seine Mutter; RGSt. 70 248; Rdn. 34 vor § 185). Das Ingangsetzen der Kundgabe durch einen Realakt (Absenden oder Übergeben oder Erscheinenlassen einer Schrift) ist ein alle ehrenrührigen Äußerungen, die Gegenstand der Kundgabe sind, erfassendes und tateinheitlich zusammenfassendes Handlungsmoment (ebenso Rudolphi SK 25). Für mehrere beleidigende Äußerungen in einer Rede kann das nicht gelten. Hier fehlt ein einheitlicher Kundgabeakt. Es kann aber durchaus sein, dass sie eine natürliche Handlungseinheit bilden. Die Rechtsprechung vertritt folgenden Standpunkt: Beleidigungen mehrerer Personen an verschiedenen Stellen eines Schreibens oder einer Druckschrift bilden eine Einheit, wenn sie durch ihren inhaltlichen Zusammenhang oder durch die Fassung oder durch Inhalt und Fassung so verbunden sind, dass sie nach natürlicher Auffassung als Teile einer zusammengehörenden Äußerung erscheinen (RGSt. 66 1, 4; RG DJ 1939 623; RG H R R 1940 1147). Stehen sie in keinem oder in einem nur losen Zusammenhang, so besteht Tatmehrheit (RGSt. 66 1, 4; RG JW 1935 2961; ebenso Sehl Schröder/Stree26 Rdn. 29 vor § 52). Die nicht in einem materiellen Zusammenhang stehenden Beleidigungen mehrerer Personen in einer Schrift können aber durchaus Teile einer Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO) sein. Mehrere Beleidigungen derselben Person in einem Schriftstück treffen in der Regel tateinheitlich zusammen (RGSt. 62 84, 85). Idealkonkurrenz ist möglich mit § 90b (BGHSt. 6 159, 160f; Sehl Schröder! Stree16 4 4 § 90b Rdn. 10), § 113 (RG JW 1928 1456; OLG Köln VRS 37 35), § 166 (RGSt. 23 105), § 223 (BGH bei Daliinger M D R 1975 196; RGSt. 64 118, 121, RG JW 1938 1389; Sehl Schröder!Eser26 § 223 Rdn. 71), § 333 (RG LZ 1916 681). § 90 geht als die speziellere Vorschrift vor (BGHSt. 16 338), es bleiben jedoch die §§ 190, 192, 193, 200 anwendbar (Seh!Schröder!Stree26 § 90 Rdn. 11). Wenn der Täter bei Gelegenheit seines sexuellen Tuns in einem Verhalten, das nach seinem objektiven Erklärungswert Kundgabe eines herabsetzenden Werturteils oder einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung ist, tatsächlich die Ehre seines Opfers angreift, dann begeht er ein selbständiges Delikt, das mit der Sexualstraftat tateinheitlich zusammentrifft.

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§186 Üble Nachrede Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Beling Wesen, Strafbarkeit und Beweis der üblen Nachrede (1909); Bemmann Was bedeutet die Bestimmung „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist" in § 186 StGB?, MDR 1956 387; Bockelmann Ist die Weitergabe ehrverletzender Tatsachen strafbar, die der Beleidigte selbst mitgeteilt hat?, JR 1954 327; Geisler Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip (1998); Hansen Üble Nachrede im Interesse des Verletzten, JR 1974 406; Härtung Gefahr für den Ehrenschutz, NJW 1965 1743; Helle Die Unwahrheit und die Nichterweislichkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1964 841; Hilgendorf Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht (1998); Hirsch Grundfragen von Ehre und Beleidigung, Festschrift für E. A. Wolff zum 70. Geburtstag (1998), 125; v. Lilienthal Üble Nachrede und Verleumdung, VDB Bd. IV (1906) 375; Miseré Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge (1997); Müller Üble Nachrede durch Strafanzeige?, MDR 1966 629; Ranft Keine üble Nachrede durch Strafanzeige?, MDR 1966 107; Roeder Wahrheitsbeweis und Indiskretionsdelikt usw., Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag (1972), 347; Stratenwerth Objektive Strafbarkeitsbedingungen im Entwurf eines StGB 1959, ZStW71 (1959) 565; Streng Verleumdung durch Tatsachenmanipulation?, GA 1985 214; Veith Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und üble Nachrede, NJW 1982 2225; Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998). Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu den Vorbemerkungen und vor der Übersicht zu § 185. Übersicht Rdn.

Rdn. I. Anwendungsbereich und tatbestandlicher Aufbau II. Der objektive Tatbestand 1. „In Beziehung auf einen anderen" 2. Tatsache 3. Behaupten

1

III. IV. V. VI.

4. Verbreiten 5. Verächtlichmachen, Herabwürdigen Subjektiver Tatbestand Wahrheitsbeweis, Rechtswidrigkeit . . Die qualifizierte üble Nachrede . . . . Konkurrenzen

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11 12 13 15

I. Anwendungsbereich und tatbestandlicher Aufbau. Im Unterschied zur einfachen Beleidigung erfasst der Tatbestand der üblen Nachrede das Behaupten oder Verbreiten von ehrenrührigen Tatsachen, wenn Kundgabeempfanger nicht oder nicht nur der Betroffene ist. Das ergibt sich aus den Worten „in Beziehung auf einen anderen" (RGSt. 4 401; 29 40; 41 61, 64; BayObLGSt. 1958 244 = NJW 1959 57; OLG Celle GA 1960 247; OLG Koblenz MDR 1977 864; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 147fl). Im Unterschied zur Verleumdung setzt die üble Nachrede nicht voraus, dass die Tatsachenbehauptung unwahr ist. Die Unwahrheit ist also kein Tatbestandsmerkmal der üblen Nachrede. Das folgt aus den Worten „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist" und der Stellung dieser Worte hinter der Tatbestandsbeschreibung. DenStand: 31.3.2005

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Üble Nachrede

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noch unterfallen ihr unwahre Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit der Behauptende oder Verbreitende nicht kannte oder nicht sicher kannte, weil die Verleumdung verlangt, dass der Täter eine unwahre Tatsache „wider besseres Wissen" behauptet oder verbreitet. Gegenüber der einfachen Beleidigung - sofern sie nicht „mittels einer Tätlichkeit" verübt wird - ist die üble Nachrede zwar nur in den Fällen, in denen der Täter sie öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begeht, mit höherer Strafe bedroht. Aber sie ist bei abstrakter Betrachtung eindeutig das Delikt mit dem höheren Unrechtsgehalt. Denn im Vergleich zum unsubstantiierten Werturteil hat die (auch) gegenüber einem Dritten abgegebene Tatsachenäußerung als motiviertes Urteil mehr Gewicht. Das Werturteil ist in seiner Suggestivkraft vom Prestige des Täters abhängig. Tatsachen sprechen für sich. Das deskriptive Urteil „in Beziehung auf einen anderen" erscheint als Ausdruck der Faktizität, an der es nichts zu rütteln gibt, als schon verifiziert oder doch verifizierbar. Deshalb ist es besser als das Werturteil oder die Meinungsäußerung geeignet, den Kundgabeempfanger gegen den Betroffenen einzunehmen. Im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes bedroht das Gesetz in § 186 die 2 ehrenrührige Tatsachenbehauptung nicht erst mit Strafe, wenn sie unwahr ist, sondern schon dann, wenn sie „nicht erweislich wahr" ist. Das bedeutet: Bis zum Beweis der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsachenäußerung wird vermutet, dass der Betroffene frei von Mängeln ist, die seinen personalen Geltungswert mindern würden, und dass er deshalb die Achtung verlangen kann, die ungeschmälerter Ehre gebührt (Otto Schwinge-Festschrift, S. 82; Sehl Schröder!Lenckner26 1; Tenckhoff Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 80f, 108). Allerdings gehören wahre ehrenrührige Tatsachenäußerungen zu den normalen Ausdrucksformen des Soziallebens. Deshalb wird seit langem darauf hingewiesen, es sei „undenkbar", „sozial unerträglich", die Kundgabe ehrenrühriger Tatsachen schlechthin für tatbestandsmäßig und damit für verboten zu erklären (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 154; Welzel S. 313; Wolff ZStW 81 [1969] 906). Ein solches Verbot mit der Konsequenz, dass die Wahrheitsfrage für den subjektiven Tatbestand gleichgültig sei, stelle auf einen unrechtsindifferenten Tatbestand ab und laufe auf eine Verletzung des Schuldprinzips hinaus ( Welzel S. 314 m. w. N.). Die mit solchen Erwägungen begründete Sorge um eine tragfähige Verbotsmaterie 3 des § 186 löste schon früh verschiedene Vorschläge zu ihrer Umstrukturierung oder Komplettierung aus. Binding (Lb. BT 1, Bd. 2, S. 158 f) wollte die prozessuale Nichterweislichkeit als Tatbestandsmerkmal behandeln. Damit machte er ein Ereignis, das der Tathandlung mit erheblichem zeitlichen Abstand folgt, die Beweisbarkeit im Prozess, zu ihrem Bestandteil (Bockelmann JZ 1954 328). Das Erfordernis des Bewusstseins der Nichterweislichkeit (oder das damit Rechnen) wäre aber in einem Ausmaß, das die Effektivität der Strafbestimmung verkümmern ließe, Ursache echter Tatbestandsirrtümer und Vorwand für nicht widerlegbare Ausreden (Bockelmann aaO; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 161). Νagier hat die Lehre Bindings modifiziert (LK 8 §186 Anm. II 4): Es komme auf die Beweisbarkeit im Augenblick der Kundgabe an. Die Erweislichkeit im Prozess sei Klarstellung fehlender, die Nichterweislichkeit Konstatierung der Tatbestandsmäßigkeit. Dieser Ansatz ist für den objektiven Tatbestand ein bloßes „Spiel mit Worten". Er ist beim Misslingen des Wahrheitsbeweises erfüllt und es ist kein glücklicher Gedanke, für ein Tatbestandsmerkmal, das letzten Endes irrelevant ist, Vorsatzkongruenz zu verlangen (mit der soeben aufgezeigten Folge für den Schutz der Ehre). Beling (S. 8 ff; ebenso Bemmann) will die Unwahrheit zwar als Tatbestandsmerkmal behandeln. Sie und das Bewusstsein der Unwahrheit sollen (47)

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aber im Prozess vermutet werden. Es ist jedoch keine akzeptable Lösung, dass jemand wegen vorsätzlich begangener, unwahrer übler Nachrede auf der Grundlage von Vermutungen verurteilt werden kann (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 166). 4

Eine neuere Theorie lässt den objektiven Tatbestand unberührt, verlagert aber dennoch das wesentliche Unrechts- und Schuldelement in die Wahrheitsfrage, indem sie fordert, dem Täter, der nicht vorsätzlich handele, müsse vorgeworfen werden können, er habe sich nicht mit der gebotenen Sorgfalt vergewissert, ob die von ihm behauptete oder verbreitete Tatsache wahr ist. Was bei der üblen Nachrede interessiere, sei nicht der Eintritt des Verletzungserfolgs - die Vorverlegung des Strafschutzes sei nicht zu beanstanden - , auch nicht der Umstand, dass das Rechtsgut in Gefahr geraten ist, sondern allein die riskante Handlung, die Abgabe einer ehrenrührigen Tatsachenäußerung, obwohl im Zeitpunkt der Kundgabe nach verständigem Urteil die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden muss, dass die Äußerung unwahr ist. §186 müsse restriktiv ausgelegt werden. Erst wenn in Bezug auf die Wahrheitsfrage Sorgfaltswidrigkeit gegeben sei, liege ein verbotenes Verhalten, ein Handlungsunwert vor (.Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 168ff; ders., Wolff-FS, S. 125, 144; ihm folgend ζ. B. TröndlelFischer52 13; Wessels/Hettinger BT I 28 Rdn. 501; Kindhäuser Gefahrdung als Straftat [1986], S. 298; Küpper JA 1985, 453; Geisler Zur Vereinbarkeit objektiver Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip [1998], S. 437; Regge M K 28; Rudolphi SK 15; Streng G A 1985 214, 226; Welze! S. 314; Wolff ZStW 81 [1969] 907; Zaczyk N K 19; aA Geppert Jura 2002 820; Lackneri Kühl25 7a). Eine Schwäche dieser Theorie liegt darin, dass bei gleichliegendem (grob) sorgfaltswidrigen Verhalten bald Strafe eintreten kann (weil die Beweisaufnahme in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endet), bald Bestrafung ausgeschlossen ist (weil der Wahrheitsbeweis gelingt). Ferner spricht gegen sie, dass der Täter, der glaubt, die von ihm behauptete oder verbreitete Tatsache sei wahr, auch durch § 193 geschützt werden könnte (Herdegen Voraufl. 4). Allerdings wird § 193 erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit geprüft. Es erscheint sehr fraglich, ob der Tatbestand ohne ein hinsichtlich der Unwahrheit der vorgebrachten Tatsachenäußerung wenigstens sorgfaltspflichtwidriges Handeln des Täters überhaupt einen Unrechtstypus umschreibt. F ü r die den § 186 restriktiv interpretierende, ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten des Täters fordernde Ansicht spricht vor allem das Schuldprinzip. Sie verdient deshalb den Vorzug (aA Herdegen, Vorauf!. 4)

II. Der objektive Tatbestand 5

1. Die Worte „in Beziehung auf einen anderen" bedeuten: Es genügt nicht, dass eine ehrenrührige Tatsache lediglich gegenüber dem Betroffenen behauptet wird. Von der Äußerung (sei es ein Behaupten, sei es ein Verbreiten) muss (auch oder nur) ein Dritter Kenntnis erlangen und der Täter muss das wollen oder doch damit rechnen. Wenn der Vorsatz des Täters nur auf Kundgabe an den Betroffenen gerichtet ist, verbleibt es bei der Anwendung des § 185 auch dann, wenn es doch dazu kommt, dass ein Dritter Kenntnis erlangt, z.B. deshalb, weil der Täter sich über die Person des Erklärungsempfängers irrt oder weil eine verkörperte Erklärung fehlgeleitet wird (vgl. § 185 Rdn. 37; RGSt. 41 61, 64). Infolgedessen kann bei Beleidigung einer Behörde durch ehrenrührige Tatsachenbehauptungen Strafbarkeit aus § 186 nur eintreten, wenn Personen, die nicht zur Behörde gehören, Kundgabeempfanger sind und der Täter das will oder damit rechnet (RGSt. 7 285; 56 100; R G G A Bd. 68 S. 315). Muss der Betroffene ein Schreiben, das die ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen enthält, Stand: 31.3.2005

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in Erfüllung einer (dienstlichen) Pflicht an Dritte weitergeben und weiß der Täter das (oder rechnet er damit), so sind auch die Dritten Kundgabeempfanger; der Betroffene ist Werkzeug des Täters (RGSt. 41 61, 63 f; 65 358). Auch wenn der Betroffene von einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung Kenntnis erlangt, die in Beziehung auf ihn (also gegenüber Dritten) behauptet worden ist, kommt nur § 186 zur Anwendung, selbst wenn der Täter wollte oder damit rechnete, dass der Betroffene die Behauptung erfährt (BayObLGSt. 1962 48, 51 f = NJW 1962 1120; OLG Celle NdsRpfl. 1960 92). War neben einem Dritten auch der Betroffene Erklärungsadressat, so soll nach herrschender Meinung Tateinheit zwischen übler Nachrede und einfacher Beleidigung anzunehmen sein (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 44). 2. Eine Tatsache muss behauptet oder verbreitet werden. Zu ihr und der Abgren- 6 zung vom Werturteil und von der Meinungsäußerung vgl. § 185 Rdn. 2 bis 9. Nicht nur ein einzelner Vorgang, sondern auch eine Reihe fortlaufender, gleichartiger Geschehnisse kann in ihrer Gesamtheit als Tatsache angesehen und zum Gegenstand einer zusammenfassenden Behauptung gemacht werden (RGSt. 55 131). Das gilt insbesondere, wenn einer Person auf Grund bestimmter Handlungen eine Eigenschaft nachgesagt wird. Wenn sie in Anknüpfung an äußere Tatsachen konkret fassbar wird, kann die Behauptung einer dem Beweise zugänglichen Tatsache vorliegen (RG aaO 132). Allgemein lässt sich sagen, dass dem Tatsachenbegriff Abstraktionen zu unterstellen sind, die auf Einzelbeobachtungen und Einzelerfahrungen fußen und zu ihrer kategorialen Verarbeitung dienen (Engisch Lange-Festschrift, S. 406). Zur Verknüpfung von Tatsachenbehauptungen mit Werturteilen vgl. § 185 Rdn. 5 und 6. 3. Wer eine Tatsache behauptet, gibt sie als wahr aus, erklärt (ausdrücklich oder in 7 Form einer kontextualen Implikation), dass er sie für wahr (gewiss) erachte (RGSt. 38 368; 60 373, 374; 67 268, 269; OLG Köln NJW 1963 1634). Es ist gleichgültig, ob er seine Behauptung auf eigene Wahrnehmungen (Beobachtungen) stützt oder ob er ein Tatsachenurteil aus Indizien ableitet (z.B. aus den Bekundungen und der Glaubwürdigkeit eines Gewährsmannes), die er kennt oder zu kennen meint (RGSt. 67 268, 270; Rudolphi SK 9). Es muss aber stets eigene Überzeugung des Behauptenden, dass etwas vorhanden oder geschehen sei, sein Wissen oder Fürwahrhalten zum Ausdruck kommen (RGSt. 38 368; 67 268, 270; OLG Köln aaO; Geppert Jura 1983 580; Hansen JuS 1974 104, 107; SehlSchröder! Lenckner26 7). Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Behauptende die Prämissen seiner Folgerung mitteilt (RG aaO). Wer nur Indizien liefert, die dem Außerungsempfänger Gelegenheit zu eigenen Konklusionen geben, behauptet nur diese Indizien, nicht das Resultat der Überlegungen des Erklärungsadressaten (OLG Köln aaO). In der wahren Darlegung von Indizien kann aber zugleich eine Verbreitung unwahrer oder nicht erweislich wahrer Tatsachen liegen: Der Gewährsmann hat zwar gesagt, was der Kommunikator behauptet, aber er hat gelogen, halluziniert oder sich geirrt (vgl. Hansen aaO). Ein Behaupten kann im Aufwerfen einer Frage, in der Äußerung eines Verdachts oder einer Vermutung liegen (OLG Köln NJW 1962 1121; 1963 1634; OLG München NJW 1993 2998, 2999; vgl. auch Stapper Z U M 1995 590, 596), es kann in versteckter Form vorgebracht, in eine ausgeklügelte Wendung gekleidet, das „Beweismaß" kann auf „wahrscheinlich", „möglich", ja sogar auf „unwahrscheinlich" herabgestuft, die Wissensgrundlage als unsicher oder unbestimmt bezeichnet werden. In all diesen Fällen handelt es sich dennoch um ein Behaupten, wenn der objektive Sinngehalt der Äußerung - wie die Umstände ergeben (vgl. § 185 Rdn. 17, 21) - dahin geht, dem Kundgabeempfanger eine für den Betroffenen ehrenrührige Tatsache als ein bestehendes Faktum zu vermit(49)

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teln.1 Eine Behauptung verliert ihren Charakter als Behauptung nicht zwingend dadurch, dass der Täter sie mit Wendungen einleitet wie „meines Erachtens", „ich glaube", „ich bin der Meinung", „es muß wohl angenommen werden" (RGSt. 67 268, 270; OLG Köln 1963 1634). In vielen Fällen wird es aber so liegen, dass der Geltungsanspruch der Äußerung auch für den Äußerungsempfanger so gering ist, dass von einem „Behaupten" nicht mehr ausgegangen werden kann (Hilgendorf S. 186, 188 fF) Wer einen von ihm mitgeteilten, unverfänglichen Sachverhalt erkennbar abwegig (entstellend) wertet und auf der Grundlage dieser Wertung zu einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung gelangt, begeht nur eine einfache Beleidigung. Aus dem kontextualen Zusammenhang wird deutlich, dass die „Tatsachen" hier bloß subjektive Produkte sind (BayObLG NStZ 1983 126, 127; Rudolphi aaO; SehlSchröder!Lenckner26 7; § 185 Rdn. 7). Das Schaffen einer kompromittierenden Sachlage ist keine üble Nachrede und zwar entweder deshalb nicht, weil es an einer Äußerung und damit an einem Behaupten fehlt (z.B. im Falle des Versteckens von Diebesgut in der Tasche eines anderen) oder weil der erforderliche Drittbezug, das Behaupten „in Beziehung auf einen anderen" (Rdn. 5) nicht zu erkennen ist: Der Täter gibt für etwas, was er tut, den Betroffenen als Akteur aus (BGH NStZ 1984 216; Rudolphi SK 10; Sehl Schröder! Lenckner26 7).2 8

4. Das Merkmal des Verbreitens erfasst das Weitergeben fremder (wirklicher oder angeblicher) Äußerungen über Tatsachen, das kein Behaupten ist, weil der Täter für die Richtigkeit nicht eintritt, weder ausdrücklich noch in Form einer kontextualen Implikation erklärt, dass er sie für wahr halte (RGSt. 38 368, 369; Geppert Jura 1983 580, 581; Seh!Schröder!Lenckner26 8). Infolgedessen wird eine Tatsache verbreitet, wenn der Täter das Vorhanden- oder Geschehensein von etwas als Gegenstand fremden Wissens oder fremder Überzeugung hinstellt, ohne dass er es zum Gegenstand (auch) seines Wissens oder seines Fürwahrhaltens macht (RG aaO; OLG Köln NJW 1963 1634; Geppert aaO; Hansen JR 1974 406, 407; Seh!Schröder!Lenckner aaO). Es genügt zum Verbreiten, wenn eine Mitteilung als (unbestätigtes oder unglaubwürdiges) Gerücht bezeichnet wird (BGHSt. 18 182, 183; RGSt. 22 221, 223; 38 368; OLG Hamm NJW 1953 596). (Faktische) Manipulationen zum Nachteil eines anderen genügen nicht (aA Streng GA 1985 214). Wer eine ehrenrührige Tatsache weitergibt und ihr zugleich ernsthaft entgegentritt, hat sie zwar verbreitet, also tatbestandsmäßig gehandelt. Die Rechtswidrigkeit entfallt jedoch nach § 193, wenn die gesamte Äußerung (Mitteilung unter Entkräftung) im Interesse des Verletzten liegt, weil sie geeignet ist, seine Ehre zu schützen, und wenn nichts dafür zu ersehen ist, dass ihm an einem solchen Schutz (der mit dem Weitertragen einer für ihn ehrenrührigen Tatsache einhergeht) nichts liegt. Die Eignung zum Schutz der Interessen des Betroffenen kommt der Äußerung nur zu, wenn die ehrenrührige Tatsache durch Angabe von Fakten widerlegt oder entkräftet wird, nicht aber, wenn der Mitteilende nur unter Berufung auf seine Überzeugung Zweifel vorbringt (Hansen aaO 409; Seh!Schröder!Lenckner aaO; Welzel S. 312: Handeln im Interesse des Verletzten. Rudolphi SK 11 ist der

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BGH JZ 1979 102; RGSt. 38 368; 60 373, 374; 67 268, 269; OLG Celle MDR 1960 1032; OLG Köln N J W 1962 1121 mit Anm. Schapen 1963 1634. Rudolphi (aaO) weist allerdings zu Recht darauf hin, dass im Falle BGH NStZ 1984 216 (der Ehemann lässt eine „Hostessenanzeige" unter

Angabe des Vornamens und der Telefonnummer der nichtsahnenden Ehefrau, von der er getrennt lebt, erscheinen) nicht nur § 185 in Betracht kommt (wenn die Ehefrau von der Anzeige Kenntnis erlangt), sondern auch § 186 oder § 187 (auf Grund etwaiger Erklärungen beim Aufgeben des Inserats).

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Ansicht, dass § 186 nicht eingreift. Ein Verbreiten unter wirksamer Entkräftung liege außerhalb des Schutzzwecks der Vorschrift. Ebenso Geppert aaO). Da die Tathandlung, wenn sie öffentlich oder unter Verbreitung von Schriften 9 i. S. v. § 11 Abs. 3 geschieht, unter höhere Strafe gestellt ist, erfordert das Verbreiten nicht, dass die Tatsachenmitteilung an einen größeren Personenkreis gelangt oder gelangen soll. Die Mitteilung an nur einen Erklärungsempfanger reicht aus (RGSt. 30 224; 31 63; 55 277; v. Lilienthal VDB Bd. IV [1906] S. 388; Sehl Schröder/Lenckner aaO). In der Erörterung einer ehrenrührigen Tatsache unter Personen, die sie schon kennen, liegt in der Regel kein Verbreiten, wenn nicht der Kenntnisstand eines Gesprächspartners eine wesentliche Erweiterung erfahrt oder Zweifel ausgeräumt werden (OLG Neustadt M D R 1962 235; Rudolphi SK 11; aA Sehl Schröder! Lenckner aaO: Es handelte sich um ein Verbreiten, weil die Möglichkeit genügt, dass der Äußerungsempfänger in seinem Glauben bestärkt wird). Die Mitteilung, dass ein anderer über einen Dritten ein ehrenrühriges Werturteil abgegeben habe, ist Verbreitung dieses Werturteils, das nicht deshalb zu einer Tatsache i.S. v. § 186 wird, weil der Urteilende für den Mitteilenden oder für den Äußerungsempfanger eine Person hohen Ansehens ist. Identifiziert sich der Mitteilende mit dem Werturteil, handelt es sich um einen Fall des § 185 {Sehl Schröder ¡Lenckner aaO; weitergehend RG Recht 1914 2790). Mitteilungen „unter dem Siegel der Verschwiegenheit" oder unter ähnlichen Formulierungen sind Akte des Verbreitens (SehlSchröder!Lenckner aaO). Das gilt auch für Mitteilungen im engsten Kreis. Sie sind jedoch möglicherweise nicht widerrechtlich (§ 185 Rdn. 11 bis 14). Das Weitergeben von Behauptungen, die nach § 193 gerechtfertigt sind, ist ebenfalls ein Verbreiten, das dem Tatbestand unterfällt. Es ist aber nicht widerrechtlich, wenn der Äußerungsempfanger dem Personenkreis angehört, dem gegenüber die ehrenrührige Tatsachenbehauptung gemacht werden darf und der Mitteilende nicht Umstände kennt (z.B. die Unwahrheit der Tatsache), die der Erstreckung der Rechtfertigung auf das Verbreiten entgegenstehen (Seh!Schröder!Lenckner2^ 12). Nicht tatbestandsmäßig ist nach dem Schutzzweck des § 186 die Weitergabe einer vom Betroffenen selbst mitgeteilten Tatsache (KG JR 1954 355; Bockelmann JR 1954 327; Lackner !Kühl25 5). Auch in der Tatbestandsalternative des Verbreitens ist die üble Nachrede ein Äußerungsdelikt mit Drittbezug (Rdn. 1). Das bedeutet: Es muss ein Kommunikator erkennbar sein (BGH NStZ 1984 216; § 185 Rdn. 10), der einem Äußerungsempfanger eine ehrenrührige Tatsache kundgibt (mitteilt), die einen Dritten betrifft. Das Schaffen einer den Betroffenen kompromittierenden Sachlage erfüllt diese Voraussetzungen nicht (Rdn. 7). 5. Verächtlichmachen, Herabwürdigen. Die behauptete oder verbreitete Tatsache 1 0 muss geeignet sein, den Betroffenen „verächtlich zu machen" oder „in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen". Mit dieser Dichotomie soll „alles getroffen werden, was an die Ehre geht" (v. Lilienthal VDB Bd. IV [1906] S. 393), sollen Angriffe auf „alle Aspekte des Ehrbegriffs" erfasst werden (SehlSchröder!Lenckner26 5). Dieses Erfassen ermöglicht der Begriff der ehrenrührigen Tatsache. Die Behauptung oder Verbreitung jedweder ehrenrührigen Tatsache (in Beziehung auf einen anderen) verwirklicht den äußeren Tatbestand. Wie die Dichotomie in das Gesetz kam, ist den Motiven nicht zu entnehmen. Möglicherweise hat der dem französischen Recht geläufige Gegensatz von honneur und consideration eine Rolle gespielt (v. Lilienthal VDB Bd. IV [1906] S. 394). Man sollte jedenfalls nicht länger darüber rätseln, ob das Verächtlichmachen und das Herabwürdigen sich qualitativ oder quantitativ unterscheiden lassen, etwa in der Form, dass das Verächtlichmachen sich (mehr) auf das Nachreden eines sittlichen Ehrmangels, das Herabwürdigen (mehr) auf einen Makel des sozialen Werts bezieht (51)

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(vgl. SehlSchröder/Lenckner aaO). 3 Denn ein signifikanter Unterschied ergibt sich auch nicht daraus, dass das Herabwürdigen in Beziehung zur öffentlichen Meinung gesetzt ist. Darin liegt ein Hinweis, dass es für die Frage, ob eine Äußerung ehrenrührig ist, auf einen generellen Maßstab ankommt. Er ist in der Betrachtungsweise größerer Bevölkerungskreise, nicht in der Ansicht kleiner Gruppen zu suchen (aA v. Lilienthal y OB Bd. IV [1906] S. 394: „Wer einem anderen etwas vorwirft, was ihn in den Augen seiner Standesgenossen herabwürdigt, schädigt ihn tatsächlich am schwersten"). In Fällen, in denen eine „öffentliche Meinung" nicht feststellbar ist oder in denen sie im Widerspruch zum Recht steht, ist der generelle Maßstab den Wertungen der Rechtsordnung zu entnehmen (BGHSt. 8 326; 11 329, 331; Rudolphi SK 8; Sehl Schröder!Lenckner aaO). Es genügt die Eignung der behaupteten oder verbreiteten Tatsache, an der Ehre des Betroffenen zu rühren. Ein Erfolg (in Gestalt des Hervorrufens von Missachtung oder Geringschätzung) braucht nicht einzutreten (aA Zaczyk N K 6). Die üble Nachrede ist abstraktes Gefahrdungsdelikt {SehlSchröder!Lenckner26 1; einschränkend Zieschang Die Gefährdungsdelikte [1998] S. 301). 11

III. Für den subjektiven Tatbestand genügt dolus eventualis. Der Täter muss wissen oder damit rechnen, dass er etwas Ehrenrühriges äußert (BayObLG JZ 1989 700). Ob er seine Äußerung als Tatsachenbehauptung, als Werturteil oder als Bekundung einer Meinung ansieht, ist gleichgültig. Ein Irrtum in diesem Punkte ist bloßer Subsumtionsirrtum. Der Täter muss außerdem wollen oder damit rechnen, dass (auch) ein Dritter von seiner Äußerung unmittelbar oder mit Hilfe des zur Weiterleitung verpflichteten Betroffenen Kenntnis erlangt (Rdn. 5), und er muss schließlich wollen (davon ausgehen) oder damit rechnen, dass der Kundgabeadressat seine Äußerung in ihrem ehrenrührigen Sinne versteht (vgl. § 185 Rdn. 36). Beleidigungsabsicht des Täters ist nicht erforderlich. Hinsichtlich der Wahrheitsfrage muss der Täter zumindest sorgfaltswidrig handeln (vgl. Rdn. 4).

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IV. Wahrheitsbeweis. Rechtswidrigkeit. Die Nichterweislichkeit der Tatsache ist objektive Bedingung der Strafbarkeit, der Beweis der Wahrheit Strafausschließungsgrund, der nicht nur persönlich wirkt, sondern auch die Strafbarkeit des Teilnehmers entfallen lässt (Rdn. 2; Erl. zu § 190). Das Gericht hat die materielle Wahrheit von Amts wegen zu erforschen (§§ 155 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO); über offenkundige Tatsachen ist eine Beweiserhebung nicht erforderlich (BGHSt. 40 99; BGH NJW 1995 340; NStZ 1994 140; OLG Celle M D R 1994 608; OLG Düsseldorf M D R 1992 500). Eine rücksichtslose Aufklärung der Wahrheitsfrage kann den Verletzten über Gebühr belasten, so dass manche Opfer auf gerichtlichen Schutz verzichten (Arzt JuS 1982 717, 721). Uferlose Beweisanträge sind deshalb zu unterbinden (Lackner/Kühl25 8). Als Rechtfertigungsgrund kommt insbesondere die Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht. Jedoch ist das Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung nicht schon deshalb nicht widerrechtlich, weil die Behauptung selbst nach § 193 gerechtfertigt ist (Rdn. 9). Auch ein Handeln im Interesse des Verletzten kann möglicherweise rechtfertigen (Rdn. 8). Nach RGSt. 73 67 soll die Widerrechtlichkeit zu verneinen sein, wenn der Täter auf die unrichtige Auskunft einer zuständigen Behörde vertraut hat. Die Ansicht, dass hier ein Strafausschließungsgrund anzunehmen ist {Seh!Schröder!Lenckner26 16), verdient den Vorzug. 3

Da die Anhänger des personalen Ehrbegriffs den sozialen Geltungswert als Aspekt der Ehre nicht akzeptieren (vgl. Rdn. 9 bis 18 vor § 185), schlagen sie vor, das Verächtlichmachen als

einen hervorgehobenen Unterfall des Herabwürdigens aufzufassen (vgl. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 147 Anm. 4; Welzel S. 312).

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Üble Nachrede

§186

V. Qualifiziert ist die üble Nachrede, wenn sie öffentlich oder durch Verbreiten von 1 3 Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen wird. Öffentlich begangen ist sie nicht schon dann, wenn die ehrenrührige Kundgabe zwar an einem öffentlichen, dem Publikum zugänglichen und von ihm zur Tatzeit auch besuchten Ort erfolgt, sie aber tatsächlich oder nach der Vorstellung des Täters nur von bestimmten Einzelnen wahrgenommen werden konnte (RGSt. 3 361; 10 296; 21 254; 38 208). Öffentlich wird die Tat vielmehr verübt, wenn das Behaupten oder Verbreiten ein nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmter oder ein nicht durch eine spezifische Beziehung verbundener größerer, wenn auch bestimmter Personenkreis unmittelbar wahrnehmen kann (RGSt. 38 207; 42 112; 63 431; RG DR 1941 1838; OLG Hamm M D R 1980 159, 160; KG JR 1984 249; Rengier BT II 6 § 39 Rdn. 16). Ein Personenkreis, auf den das Gesagte zutrifft, muss im Falle mündlicher Äußerungen tatsächlich anwesend sein und die Möglichkeit zur Wahrnehmung haben. Es genügt nicht, dass er anwesend sein könnte oder dass ein paar Einzelne anwesend sind (RG H R R 1932 1798; 1939 917; OLG Hamm aaO). Eine im Gerichtssaal oder in einem öffentlichen Verkehrsmittel verübte üble Nachrede ist infolgedessen nur dann öffentlich begangen, wenn sie von unbestimmt vielen und unbestimmt welchen, realiter vorhandenen Personen wahrgenommen werden konnte (RGSt. 58 53; 65 112; RG LZ 1914 1137). Äußerungen vor einer Mitglieder-(Partei-) Versammlung sind öffentlich, wenn auch Dritte (Personen, die nicht zum Kreis der Mitglieder zählen) anwesend sind (RG H R R 1939 917; OLG Köln OLGSt. § 186 S. 14). Es genügt nicht, dass eine an einen bestimmten, durch eine spezifische Beziehung zusammenhängenden Personenkreis gerichtete Äußerung in die Öffentlichkeit gelangt, auch wenn der Täter damit gerechnet hat (RG JW 1938 2892; OLG Köln aaO; Sehl Schröder!Lenckner26 19). Nicht von Bedeutung ist es, ob der Täter dem Personenkreis, vor dem er sich äußert, angehört oder zu ihm persönliche Beziehungen hat (RGSt. 42 114). Eine schriftliche Beleidigung ist öffentlich begangen, wenn die Möglichkeit der 1 4 Kenntnisnahme durch beliebige Dritte besteht, wie beim Plakat, beim Autoaufkleber (vgl. OLG Hamburg NStZ 1983 127 mit Anm. Franke NStZ 1984 126 = JR 1983 298 mit Anm. Bottke), bei Wandschmierereien, bei einer offenen Postkarte (RG H R R 1932 1798). Bei Drucksachen in einem offenen Umschlag ist diese Möglichkeit nicht bejaht worden (RGSt. 37 289), auch nicht bei Broschüren auf dem Verkaufstisch, falls nicht die beleidigenden Stellen aufgeschlagen sind (KG JR 1984 249). Eine üble Nachrede ist nicht deshalb öffentlich verübt, weil sie in einem an eine Behörde gerichteten Schreiben oder in einem an eine Redaktion abgesandten Manuskript enthalten ist (RG H R R 1941 518; OLG Stuttgart NJW 1972 2320). Ist eine schriftliche Beleidigung nicht öffentlich begangen worden, gewinnt sie die Eigenschaft der öffentlichen Beleidigung nicht dadurch, dass sie von anderen als den Äußerungsadressaten gelesen und dadurch in der Öffentlichkeit bekannt wird (RG JW 1938 2892). Das Verbreiten von Schriften, Ton- und Bildträgern, Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Darstellungen (§ 11 Abs. 3) ist mit dem Verbreiten im Sinne des Grundtatbestands (Rdn. 8, 9) nicht identisch. Der Begriff, der uns im Qualifikationstatbestand begegnet, stimmt vielmehr mit dem presserechtlichen Verbreitungsbegriff überein: Die Schrift muss einem größeren Personenkreis, sei er auch individuell bestimmt und in sich abgeschlossen (BGHSt. 13 257; RGSt. 7 113; 9 71; 16 245; 30 224; BayObLGSt. 1949/51 417, 422), körperlich, der Substanz nach (nicht nur in Form der Bekanntgabe des Inhalts) zugänglich gemacht werden (BGHSt. 18 63, 64; OLG Hamburg aaO; Sehl Schröder!Lenckner26 20). Zur Verbreitung von Schriften im Internet vgl. Hilgendorß Frank! Valerius, Computer- und Internetstrafrecht (2005) Rdn. 409 ff, zur Haftung von Diensteanbietern ebenda, Rdn. 274 ff. (53)

Eric Hilgendorf

§187 15

14. Abschnitt. Beleidigung

VI. Konkurrenzen. Die Frage der Idealkonkurrenz zwischen einfacher Beleidigung und übler Nachrede ist bereits erörtert worden (Vor § 185 Rdn. 43, 44; § 185 Rdn. 1), auch die Frage des Verhältnisses mehrerer den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllenden Äußerungen in einer Schrift oder Rede (§ 185 Rdn. 43). Die üble Nachrede kann tateinheitlich zusammentreffen mit § 90b (BGHSt. 6 159, 160f), § 130 (OLG Hamburg NJW 1970 1649); § 164, § 166.

§187

Verleumdung Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1

I. Der tatbestandliche Aufbau. § 187 enthält zwei Tatbestände und eine für beide geltende Qualifikation. Nur der eine Tatbestand umschreibt ein Delikt gegen die Ehre. Er ist gemeint, wenn von Verleumdung die Rede ist. Der andere, die „Kreditgefährdung", umschreibt ein Vermögensgefährdungsdelikt. Von der üblen Nachrede hebt sich die Verleumdung objektiv und subjektiv ab: (1.) Die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache ist Tatbestandsmerkmal. (2.) Der Täter muss in der Wahrheitsfrage wider besseres Wissen handeln. Ist ein solches Handeln nicht erwiesen, kann der Tatbestand der üblen Nachrede verwirklicht sein (§ 186 Rdn. 1). Soweit die Verleumdung mit der üblen Nachrede übereinstimmt - das ist der Fall in den Merkmalen „in Beziehung auf einen anderen", „Tatsache", „behaupten", „verbreiten", „verächtlichmachen", „herabwürdigen", „Geeignetsein" - kann auf die Erläuterungen zu § 186 (Rdn. 5 bis 10) verwiesen werden.

2

II. Die Unwahrheit als Tatbestandsmerkmal. Verleumdung und Kreditgefährdung kommen nur in Betracht, wenn die behauptete oder verbreitete Tatsache unwahr ist. Im Falle eines non liquet gilt der Grundsatz „in dubio pro reo". Eine Beweiserhebung in der Wahrheitsfrage darf nicht deshalb entfallen, weil feststeht, dass der Angeklagte bestimmte Einzelheiten eines Geschehens wissentlich falsch dargestellt hat. Ihre Bedeutung und ihr Gewicht hängen von den wesentlichen Aspekten des Vorgangs ab. Erst das Beweisergebnis in Bezug auf diese Aspekte ermöglicht die zutreffende Beantwortung der Frage, ob die über den wesentlichen Vorwurf hinausgehenden Bekundungen des Angeklagten als ein selbständiges Behaupten anzusehen sind, durch das der Tatbestand verwirklicht worden ist (RGSt. 2 2, 5). Übertreibungen, welche die Qualität des Geschehens nur in geringem Maße verändern oder widerlegte Nebensächlichkeiten können den Vorwurf der Verleumdung nicht tragen. Es kommt darauf an, ob die ehrenrührige (oder kreditgefährdende) Kundgabe in ihrem den Sachverhaltskern betreffenden Aussagegehalt unwahr ist (BGHSt. 18 182, 183; RGSt. 2 2, 5; 55 129, 132; 62 83, 95; 64 284, 286; OLG Hamm JMB1NRW 1958 112; Geppert Jura 1983 580, 581). Eine bloß unvollständige Mitteilung reicht aus, um den Tatbestand zu erfüllen, wenn für den Empfanger der Mitteilung bei Hinzufügung der ausgelassenen Tatsachen eine andere Schlussfolgerung nahe gelegen hätte (BGH NJW 2000 656). Stand: 31.3.2005

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Verleumdung

§187

Vertrauliche Äußerungen im engsten Lebenskreis (§ 185 Rdn. 11-14) können in seltenen Fällen gerechtfertigt sein (Hillenkamp JuS 1997 821, 826; Lackneri Kühl15 1; aA die h. M., z. B. Wessels!Hettinger BT I28 Rdn. 486; Regge M K 18). III. Die Eignung zur Kreditgefährdung. Die Kreditgefährdung ist ein Vermögens- 3 gefahrdungsdelikt (RGSt. 44 158, 160; Geppert Jura 1983 580, 582; Sch/Schröderl Lenckner26 4; Welzel S. 315). Kredit ist das Vertrauen, das jemand hinsichtlich der Erfüllung seiner vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten (in Bezug auf Leistungsfähigkeit und -Willigkeit) genießt. Dieses Vertrauen benötigen vor allem Kaufleute und Unternehmer, aber nicht nur sie. Jedermann kann der Betroffene sein. Es ist nicht erforderlich, dass die behaupteten oder verbreiteten unwahren Tatsachen ehrenrührig sind (RGSt. 44 158, 160). Es muss ihnen jedoch die Eignung innewohnen, das Vertrauen in die Fähigkeit oder in die Bereitschaft des Betroffenen zur Erfüllung vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten zu erschüttern. Die Behauptung fehlender Kreditwürdigkeit ist Tatsachenbehauptung, da sie durch die Prüfung der Bereitschaft der Kreditinstitute, Kredit zu gewähren, empirisch überprüft werden kann (Tiedemann Kohlmann-FS, S. 307, 316 und ZIP 2004 294, 297; Lackneri Kühl25 2; aA OLG München ZIP 2004 19). Eine fühlbare Schädigung braucht nicht einzutreten. Da die Kreditgefährdung ein Vermögensgefährdungsdelikt ist, kann jedes Kreditsubjekt - ohne Rücksicht auf seine Beleidigungsfähigkeit (vgl. dazu Rdn. 24-32 vor § 185) - Betroffener sein, also z.B. alle juristischen Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts, nichtrechtsfähige Vereine, nichtrechtsfähige (Handels-)Gesellschaften (Rudolph i SK 10; Sehl Schröder!Lenckner aaO). Die Kreditgefahrdung kann mit Verleumdung zusammentreffen. Es handelt sich dann um einen Fall von Tateinheit (Geppert aaO; Rudolphi SK 11; Sehl Schröder!Lenckner26 8). IV. Subjektiver Tatbestand. In Bezug auf die Wahrheitsfrage muss der Täter wider 4 besseres Wissen handeln. In Bezug auf die übrigen Merkmale der beiden objektiven Tatbestände genügt dolus eventualis. Wider besseres Wissen handelt der Täter, wenn er sichere (positive) Kenntnis von der Unwahrheit der von ihm behaupteten oder verbreiteten Tatsache hat. Es genügt nicht, dass er die Unwahrheit vermutet oder mit ihr als einer Möglichkeit rechnet. Sie muss für ihn Faktizität sein (BGH NJW 1964 1148, 1149; RGSt. 32 302; 71 37; RG JW 1937 3215). Das sichere Wissen um die Unwahrheit folgt nicht ohne weiteres daraus, dass der Täter ein mit Strafe bedrohtes Verhalten des Betroffenen im Widerspruch zu einem ihm bekannten freisprechenden Urteil behauptet. Er kann nach wie vor von der Richtigkeit seines Vorwurfs überzeugt sein. Beleidigungsabsicht ist nicht erforderlich. V. Fragen der Rechtfertigung. Die Verleumdung kann nach einer verbreiteten Auf- 5 fassung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht gerechtfertigt werden. In besonderen Fällen komme nur eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht (Regge M K 21; Rudolphi SK 6; Seh!Schröder/Lenckner26 6; Welzel S. 321). Aber die Judikatur hält eine Rechtfertigung nach § 193 in Ausnahmefällen, insbesondere in Fällen der Rechtsverteidigung, zu Recht nicht für ausgeschlossen (BGH NJW 1964 1148, 1149; RGSt. 34 222; 48 414, 415; 58 39; 63 92, 94; OLG Hamm NJW 1971 853; dem folgend z. B. Tröndle!Fischer52 § 193 Rdn. 3). Nach RGSt. 48 414, 415 (und 58 39) rechtfertigt der Verteidigungszweck das sachliche Ableugnen von Tatsachen, die den Täter belasten, auch wenn ein solches Leugnen die wissentliche Behauptung einer unwahren ehrenrührigen Tatsache (z.B. den Vorwurf der falschen uneidlichen Aussage oder des Meineids) impliziert. Wider besseres Wissen aggressiv vorgehen darf ein Beschuldigter nicht. Insbesondere darf er in Kenntnis der Unwahrheit seiner Behauptung nicht die Verfolgung eines anderen bezwecken (RGSt. 34 222, 223; 58 39; RG DJ 1936 517). In (55)

Eric Hilgendorf

§188

14. Abschnitt. Beleidigung

einigen Entscheidungen wird danach differenziert, ob der Angeklagte sich verdienter Strafe entziehen oder sich vor unverdienter schützen will (RG Recht 1906 250; 1910 3684). Diese Differenzierung kann für die Frage der Rechtfertigung nicht allein maßgebend sein. Die in RGSt. 48 414 und 58 39 aufgestellten Kriterien verdienen den Vorzug. 6

VI. Qualifikation, Zusammentreffen. Verleumdung und Kreditgefahrdung werden schwerer bestraft, wenn die Tat öffentlich (§ 186 Rdn. 13, 14), durch Verbreiten von Schriften (§ 186 Rdn. 14) oder - eine Alternative, die sich in § 186 nicht findet und von der man nicht weiß, weshalb sie in das Gesetz kam (LackneriKühl25 3) - in einer Versammlung begangen wird. § 187 enthält einen speziellen Tatbestand der Beleidigung im weiteren Sinne, „hebt einen besonderen Fall aus dem Gattungsbegriff der Beleidigung hervor" (RGSt. 41 277, 286; Rdn. 1 vor § 185). Eine Tat, die ausschließlich Tatumstände aufweist, die mit den Merkmalen der Verleumdung übereinstimmen, kann nicht zugleich gegen § 185 oder § 186 verstoßen (RG aaO). Demnach sind Fälle der Idealkonkurrenz zwischen § 187 und § 185 oder § 186 nur denkbar, wenn gleichzeitig verschiedene Personen in ihrer Ehre angegriffen werden (RG Recht 1912 1395: Der Täter behauptet wider besseres Wissen gegenüber der Ehefrau A, sie unterhalte zum verheirateten Β ehebrecherische Beziehungen. Vgl. auch RG HRR 1940 1324) oder wenn in Äußerungen, die eine Handlungseinheit bilden (vgl. § 185 Rdn. 43), teils nicht erweislich wahre, teils unwahre ehrenrührige Tatsachen behauptet werden, die nicht nur Aspekte eines Komplexes sind. Die Rechtsprechung nimmt Tateinheit zwischen §187 und § 185 ebenso an, wenn Kundgabeadressaten einer verleumderischen Tatsachenbehauptung der Betroffene und ein Dritter sind oder wenn eine Äußerung mit Drittbezug sowohl eine solche Behauptung als auch ein nicht daraus abgeleitetes ehrenrühriges Werturteil enthält (vgl. dazu Rdn. 43, 44 vor § 185; § 185 Rdn. 1). § 187 kann tateinheitlich zusammentreffen mit § 153, § 154, § 156, mit § 164 (RGSt. 21 101, 102; 53 206, 208; RG HRR 1940 1324; OLG Hamburg HRR 1935 541). § 15 UWG, der nach zutreffender Ansicht (vgl. Vorauflage Rdn. 6) hinter der Kreditgefahrdung zurücktrat, ist 2004 ersatzlos weggefallen.

§188 Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. (2) Eine Verleumdung (§ 187) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Schrifttum Bräuel Ehrverletzung und Ehrenschutz im politischen Leben (1984); Härtung Beleidigung von Personen, die im politischen Leben stehen, JR 1951 677; Nolte Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie (1992); Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, M D R 1973 Stand: 31.3.2005

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Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens

§

188

801; ders. Ehrenschutz heute - Die Schutzlosigkeit der Führungskräfte (1988); Uhlitz Politischer Kampf und Ehrenschutz, NJW 1967 129.

1. § 188 (187a a. F.) geht auf das Strafrechtsänderungsgesetz v. 30.8.1951 (BGBl. I 1 S. 739) zurück. Durch Art. 1 Nr. 33 des 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) ist die Vorschrift unverändert als § 188 neu nummeriert worden. Sie trat ursprünglich an die Stelle der Strafbestimmungen in Kap. III des 8. Teils der VO v. 8.12.1931 (RGBl. I S. 742). Die Vorschrift knüpft an die Tatbestände der üblen Nachrede (Möglichkeit des Wahrheitsbeweises) und der Verleumdung an. § 188 dient mit erhöhten Strafdrohungen dem verstärkten Ehrenschutz eines bestimmten Personenkreises. Die Stellung derjenigen, die ihm angehören, im politischen Leben ist der Begleitumstand, der mit Rücksicht auf mögliche nachteilige Folgen der Tat für ihr öffentliches Wirken den höheren Strafschutz rechtfertigt (BGHSt. 6 159, 161). § 188 will übersteigerten, in Verhetzung durch Ehrabschneidung ausartenden politischen Auseinandersetzungen entgegenwirken (BayObLGSt. 1982 56, 58 = NJW 1982 2511) und so eine Vergiftung des politischen Lebens verhindern (LackneriKühl15 1). Die Vorschrift verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (BVerfGE 4 352). Auch wegen der extensiven Interpretation der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. § 193 Rdn. 5 ff) kommt ihr aber nur geringe Bedeutung zu. 2. „Im politischen Leben des Volkes" steht eine Person nicht schon dann, wenn sie 2 aktiv an öffentlichen Angelegenheiten Anteil nimmt, an Zielsetzungen und der Bewältigung von Aufgaben des Gemeinwesens mitwirkt oder sich im Prozess der politischen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (als Journalist, Künstler oder Wissenschaftler) engagiert betätigt (Rudolphi SK 3). Es genügt auch nicht, dass jemand ein Mandat zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch eine allgemeine Wahl erlangt hat (BayObLGSt. 1982 56, 57; Sehl Schröder! Lenckner26 2; aA Härtung JR 1951 678). § 188 gewährt verstärkten Ehrenschutz nur denen, die sich für eine gewisse Dauer mit den grundlegenden, den Staat und seine internationalen Beziehungen, seine Verfassung, seine Gesetzgebung oder seine Verwaltung unmittelbar berührenden Angelegenheiten befassen und auf Grund ihrer Stellung und Funktion das politische Leben des Volkes, also der Gesamtheit oder eines großen Teils der Staatsbürger erheblich beeinflussen (BGHSt. 4 338, 339; BayObLG aaO 57f; OLG Frankfurt NJW 1981 1569). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diejenigen, die erheblichen Einfluss im politischen Leben ausüben, sich politisch betätigen, ob sie Repräsentanten (Organe) der Staatsgewalt sind oder ob sie institutionalisierte Kompetenzbereiche haben (Sch/Schröder/Lenckner aaO). 3. Ob jemand in dem dargelegten Sinne erheblichen Einfluss auf das „politische Leben des Volkes" ausübt, muss in Zweifelsfallen auf Grund seiner Funktion und ihrer faktischen Bedeutung entschieden werden (BayObLGSt. 1982 56, 60). Unzweifelhaft gehören zum geschützten Personenkreis der Bundespräsident, Regierungsmitglieder (OLG Düsseldorf NJW 1983 1211, 1212), die Mitglieder des Bundestags und der Landtage (BGHSt. 3 73, 74; BGH NJW 1952 194), Spitzenfunktionäre der politischen Parteien (OLG Düsseldorf aaO), der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und anderer großer Vereinigungen mit erheblichem politischen Einfluss, die Bundesverfassungsrichter wegen der Auswirkungen vieler ihrer Entscheidungen auf die Intentionen und Beschlüsse anderer Verfassungsorgane und auf das politische Leben (BGHSt. 4 338, 339). Auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments werden erfasst. Nicht zum geschützten Personenkreis gehören wegen ihres regional begrenzten Einflusses Kommunalpolitiker, also Mitglieder von Kreistagen und Gemeinde(57)

Eric Hilgendorf

3

§188

14. Abschnitt. Beleidigung

Vertretungen (BayObLGSt. 1949/51 423; 1982 56, 60), Landräte (OLG Frankfurt NJW 1981 1569, anders BayObLG JZ 1989, 699) und einzelne Verwaltungsbeamte. Auch Politiker des Auslands gehören nicht zum geschützten Personenkreis (Rudolphi SK 3). Dagegen können Journalisten, Geistliche, Gewerkschafts- und Verbandsvertreter in den Schutzbereich der Norm fallen, wenn sie sich in prominenter Position mit wichtigen Angelegenheiten des Staates oder der Allgemeinheit befassen (Lackneri Kühl25 2; aA Rudolphi SK 3). 4

4. Die Tathandlung kann nicht eine einfache Beleidigung, sondern nur eine üble Nachrede oder eine Verleumdung sein. Die ehrenrührigen Äußerungen brauchen sich nicht auf die politische Betätigung des Betroffenen zu beziehen (SchlSchröderlLenckner26 4). Die üble Nachrede oder die Verleumdung müssen entweder öffentlich (§ 186 Rdn. 13, 14), in einer Versammlung (vgl. dazu RGSt. 21 71, 75; OLG Düsseldorf JR 1982 299, 300 mit Anm. Merten) oder durch Verbreiten von Schriften (§ 186 Rdn. 14) begangen werden. Die Tat muss geeignet sein, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren. Auf den Erfolg kommt es nicht an. Nach Ansicht der Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Eignung nur nach dem Inhalt der Tatsachenäußerung (BGH NJW 1954 649; BGH NStZ 1981 300; BGH bei Holtz M D R 1980 455; ebenso Herdegen Voraufl. 4). Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es jedoch allgemein auf die Eignung der „Tat" an (SehlSchröderILenckner26 6; Lackneri Kühl25 3; vgl. auch Hoyer Die Eignungsdelikte [1987] 146; Zieschang Die Gefährdungsdelikte [1998] 306 f), so dass alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, etwa auch die Glaubwürdigkeit des Verbreitenden, die Art der Verbreitung und die Größe des Adressatenkreises. Die Eignung ist zu bejahen, wenn die behauptete (verbreitete) ehrenrührige Tatsache den Betroffenen des Vertrauens unwürdig erscheinen lässt, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf (BGH bei Holtz aaO). Ist von mehreren ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen eine erwiesen und genügt die bewiesene Tatsache, um dem Betroffenen das Vertrauen zu entziehen, so ist § 188 nicht anwendbar (BayObLGSt. 1949/51 423; Rudolphi SK 5; Sehl Schröder! Lenckner26 6).

5

5. Zum subjektiven Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 Rdn. 11) oder der Verleumdung (§ 187 Rdn. 4) muss hinzukommen (1.) der zumindest bedingte Vorsatz in Bezug auf die spezifischen objektiven Merkmale des § 188, (2.) eine besondere Motivation des Täters: Er muss die üble Nachrede oder die Verleumdung aus Beweggründen begehen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen. Es ist gleichgültig, ob der Täter politische Intentionen verfolgt, ob er aus persönlicher Gegnerschaft oder aus Besorgnis um das Gemeinwohl nachredet oder verleumdet. Er kann sich auch von geschäftlichen Gründen leiten lassen, ζ. B. die Erhöhung des Umsatzes einer Zeitschrift bezwecken. Wesentlich ist nur der motivatorische Zusammenhang seines tatbestandsverwirklichenden Verhaltens mit der politischen Stellung des Betroffenen (BGHSt. 4 119, 121; 9 187, 189). Wird ein Spitzenpolitiker in seiner Eigenschaft als „Kanzlerkandidat" angegriffen, so wird die Tat aus Beweggründen begangen, die § 188 verlangt (OLG Düsseldorf NJW 1983 1211,1212). Eine presserechtliche Beweisvermutung erstreckt sich nicht auf die in § 188 vorausgesetzten Beweggründe. In BGHSt. 9 187 ist die Beweisvermutung wie folgt interpretiert worden: Im Falle der Veröffentlichung eines Artikels (Leserbriefs), der ehrenrührige Tatsachenbehauptungen enthält, die sich gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person richten, in einer periodischen Druckschrift kann der verantwortliche Redakteur zwar auf Grund der Präsumtion wegen übler Nachrede verurteilt werden, weil bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass er den Artikel (Leserbrief) in Kenntnis und Verständnis seines Inhalts veröffentlicht hat. Aber als Täter einer Stand: 31.3.2005

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Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

§189

Straftat nach § 188 kommt er nicht in Betracht, wenn nicht bewiesen ist, dass er selbst aus den in § 188 vorausgesetzten Beweggründen gehandelt hat (BGH aaO 189). Möglich ist allerdings, dass aus der (vermuteten) Kenntnis und aus dem (vermuteten) Verständnis eines ehrenrührigen Artikels (Leserbriefs) gefolgert wird, der verantwortliche Redakteur habe gewusst oder damit gerechnet, dass der Verfasser (Einsender) den in § 188 vorausgesetzten Beweggründen folgte. Dann stellt sich die Frage der Beihilfe zur Straftat nach § 188 (BGH aaO 190). Alle Bedenken gegen die presserechtliche Präsumtion entfallen, wenn sie dahin verstanden wird, dass das Gericht die Kenntnis vom ehrenrührigen Inhalt eines Artikels (Leserbriefs) auch aus dem Umstand entnehmen darf, dass der Täter verantwortlicher Redakteur ist, falls keine entgegenstehenden Anhaltspunkte vorliegen (BayObLG NStZ 1983 126, 127). 6. § 188 ist Antragsdelikt (§ 194), das im Wege der Privatklage verfolgt werden 6 kann (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO). § 193 ist anwendbar. In Fällen, in denen Tathandlung eine üble Nachrede ist, wird der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht nur selten in Frage kommen. Gegenüber § 186 und § 187 ist § 188 lex specialis. Die Vorschrift tritt hinter § 90 zurück (BGHSt. 16 338). Jeder der Absätze des § 188 kann mit § 90b tateinheitlich zusammentreffen (BGHSt. 6 159, 160f; Rudolph! S K 8; SehlSchröder/Lenckner26

9).

§189

Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Schrifttum Bender Das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht: Dogmatik und Schutzbereich, VersR 2001 815; Chen Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§§ 189 und 194 II S. 2 StGB) (1986); Hunger Das Rechtsgut des § 189 StGB (1996); Neumann-Duesberg Anmerkung zu B G H Z 50 133 ( - JZ 1968 697), JZ 1968 703; Papst Der postmortale Persönlichkeitsschutz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, N J W 2002 999; Rüping Der Schutz der Pietät, GA 1977 299; Schock Weiterleben nach dem Tode - juristisch betrachtet, JZ 1989 609; Westermann Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode, FamRZ 1969 561.

I. Die Frage nach dem Rechtsgut. Für viele ist es fraglich, ob die Verunglimpfung 1 des Andenkens Verstorbener in den 14. Abschnitt des Besonderen Teils gehört. Sie hat dort in der Tat nichts zu suchen, wenn man leugnet, dass § 189 ein Delikt gegen die Ehre umschreibt. Die herrschende Meinung konstatiert; Weil der Tote aufgehört habe, als Rechtssubjekt zu existieren, könne er nicht mehr Träger einer aktuellen Ehre, Subjekt des aus der Ehre abgeleiteten Achtungsanspruchs sein. Eine andere Formulierung besagt in der Sache dasselbe: Die Ehre ist Attribut (Eigenschaft) der Persönlichkeit. Mit dem Erlöschen des Lebens ende, was die Existenz der Person zur Voraussetzung habe.1 1

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RGSt. 13 95; 26 34; Frank Anm. 1; Geppert Jura 1983 580,590; Rüping G A 1977 304; Rudolphi SK 1.

Eric Hilgendorf

§189

14. Abschnitt. Beleidigung

Welches Rechtsgut an die Stelle der Ehre zu treten habe, ist allerdings sehr umstritten. Angeboten werden insbesondere: (1.) Das Pietätsgefühl der Angehörigen (BayObLGSt. 1949/51 455, 456; Rüping GA 1977 305); (2.) das Pietätsgefühl der Angehörigen und der Allgemeinheit (OLG Düsseldorf NJW 1967 1142; LackneriKühl25 1); (3.) die „Familienehre" (KohlrauschiLangel I); (4.) die Ehre der Familie und ihr Pietätsgefühl (Frank Anm. I); (5.) die Ehre von Angehörigen (vgl. Rüping aaO 304; Zaczyk NK 1); (6.) Wertvorstellungen der Bevölkerung über die Achtung Toter als Schutzgut im Interesse des sozialen Friedens (Rudolphi SK 1); (7.) die postmortale Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen als Persönlichkeitsrecht eigener Art (Seh!Schröder!Lenckner26 1). (8.) BGHSt. 40 97, 105 (mit krit. Anm. Jakobs StV 1994 540) hat die Frage nach dem Rechtsgut nicht abschließend entschieden, wohl aber in Anlehnung an Lenckner von der „Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit" gesprochen. Zu diesen Vorschlägen ist zu bemerken: Gefühle beziehen sich auf Werte, Rechts- und Lebensgüter. Sie sind mit ihnen nicht identisch. Auf das Pietätsgefühl von Angehörigen kann es auch deshalb nicht ankommen, weil die sozialethische Verwerflichkeit von tatbestandsmäßigen Verunglimpfungen nicht davon abhängt, ob Angehörige vorhanden sind. Eine Familienehre kann nicht anerkannt werden (Rdn. 33 vor § 185). Für den Schutz der Ehre von Angehörigen Verstorbener braucht man keine besondere Vorschrift. In Bezug auf Wertvorstellungen gilt, was von den Gefühlen gesagt worden ist. Aus § 194 Abs. 2 S. 2 ergibt sich kein Argument für die Anerkennung des Pietätsgefühls der Allgemeinheit als geschütztes Rechtsgut. Denn diese Vorschrift hat nichts mit dem Schutz einer vom Staat usurpierten Pietät zu tun (Rüping GA 1977 305). Im Übrigen ist das Pietätsgefühl der Allgemeinheit eine bloße Fiktion (SehlSchröder!Lenckner26 1). Die Theorie des postmortalen Persönlichkeitsschutzes (SehlSchröder!Lenckner aaO; BGHSt. 40 97, 105) deckt sich in der Sache weitestgehend mit der hier vertretenen Auffassung: 2 Sie geht dahin, dass das durch § 189 geschützte Rechtsgut die fortbestehende Ehre des Verstorbenen ist (ebenso Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 125 ff; Hunger S. 114; Welzel S. 305 und 315; de lege ferenda auch Müller Postmortaler Rechtsschutz [1996], S. 94). Zivilrechtliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 15 259; 26 52, 67; 50 133, 136 ff = JZ 1968 697 mit. Anm. Neumann-Duesberg) haben den Weg für die zutreffende Lösung der Rechtsgutsfrage bereitet: Die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit, ihr Ruf und damit auch der Bestand der Ehre überdauern die Rechtsfähigkeit. Zwar ist es unbestreitbar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Tode des Rechtssubjekts eine einschneidende Veränderung erfährt, weil alle Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer handelnden, sich entfaltenden und in Kommunikation mit anderen stehenden Person bedingen (BGHZ 50 136). Aber das Lebensbild und damit auch die Ehre können nicht in dem Augenblick schutzlos werden, in dem der Mensch die Augen schließt. Es entspricht der Wertentscheidung des Grundgesetzes (insbesondere seinem Art. 1), dass Zivil- und Strafrecht das Bild des Lebens und Wirkens eines Verstorbenen für eine Zeitlang vor unangemessener Verzerrung bewahren (Neumann-Duesberg JZ 1968 704). Denn „Menschenwürde und freie Entfaltung zu Lebzeiten sind nur dann im Sinne des Grundgesetzes ausreichend gewährleistet, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grob ehrverletzende Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben kann" (BGHZ 50 136, 139). Die Frage, wie sich das Zivilrecht mit dem Problem auseinandersetzt, das sich daraus ergibt, dass das fortbestehende Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen ein subjektloses Recht zu sein scheint, bedarf hier keiner Beantwortung (vgl. BGH aaO 137; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 130 Anm. 19). Für das Strafrecht ist es nicht zweifelhaft, dass „die Rechtsordnung Gebote Stand: 31.3.2005

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Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

§189

und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjekts vorsehen kann" (BGH aaO). Die Ehre eines Verstorbenen kann nur retrospektiv erfasst werden. Der verdiente Achtungsanspruch bestimmt sich nach dem personalen und sozialen Geltungswert im Zeitpunkt des Todes. Die Auffassung, dass die - wenngleich in verminderter Intensität und mit eingeschränktem Schutzumfang - fortbestehende Ehre des Verstorbenen das geschützte Rechtsgut sei, macht die Vorschrift des § 189 nicht überflüssig. Die Bestimmung stellt klar, in welchem Umfang die Ehre Toter strafrechtlichen Schutz erfährt und setzt den Strafrahmen fest. Sie hat früher auch Fragen geregelt, die Verfolgungsvoraussetzungen prozessualer Art betrafen. Ihre Regelung findet sich nunmehr in § 194 Abs. 2. II. Der objektive Tatbestand. Dem Verstorbenen steht der für tot Erklärte gleich 3 (LackneriKühl25 1). Das Andenken kann nur verunglimpft werden, wenn die ehrenrührige Äußerung von einem anderen wahrgenommen und in ihrem Sinngehalt verstanden wird (Rudolphi SK 5). Beides ist auch deshalb erforderlich, weil die Verunglimpfung ebenso wie die einfache Beleidigung, die üble Nachrede und die Verleumdung ein Äußerungsdelikt ist, das erst vollendet wird, wenn ein anderer von der verunglimpfenden Kundgabe des Täters Kenntnis erlangt und sie versteht (§ 185 Rdn. 26). Infolgedessen können Tätlichkeiten am Leichnam den Tatbestand nur verwirklichen, wenn sie erkennbar sind und erkannt werden (BayObLGSt. 1949/51 456 = JZ 1951 786; einschränkend Zaczyk NK 5). Das Andenken bezieht sich auf den personalen Geltungswert des Verstorbenen im Zeitpunkt seines Hinscheidens (Rdn. 2). Daraus folgt: Wer am Leichnam manipuliert, ohne einen Makel an der vom Verstorbenen hinterlassenen Ehre zu äußern, verunglimpft nicht. Eine Verunglimpfung ist eine Beleidigung schwereren Grades in Form einer Tatsachenäußerung oder eines Werturteils (BGHSt. 12 364, 366; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 142 Anm. 39). Nach einer anderen Formulierung ist „eine besonders schwere Herabsetzung", „eine besonders schwere Ehrenkränkung" erforderlich (BayObLG JZ 1951 786; NJW 1988 2902; Rudolphi SK 3; Sehl Schröder! Lenckner26 2). Das Gewicht der Verunglimpfung kann eine ehrenrührige Äußerung aus ihrem Inhalt, ihrer Form, den Begleitumständen oder aus dem (erkennbar gewordenen) Beweggrund erlangen. Für die Verunglimpfung des Andenkens mehrerer Verstorbener unter einer Kollektivbezeichnung gelten die allgemeinen Grundsätze (BGH NJW 1955 800; Rdn. 28 bis 32 vor § 185). III. Für den subjektiven Tatbestand genügt bedingter Vorsatz (BayObLGSt. 1949/ 4 51 457). Die Lösung der Irrtumsfalle hängt davon ab, welche Position in der Rechtsgutsfrage (Rdn. 1 und 2) vertreten wird. Nach dem hier eingenommenen Standpunkt - das durch die Vorschrift des § 189 geschützte Rechtsgut ist die vom Verstorbenen hinterlassene Ehre - stellt sich die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener als ein Beleidigungsfall dar. Infolgedessen führt der Irrtum darüber, dass der Träger der Ehre lebt, oder darüber, dass er verstorben ist, nicht zur Straflosigkeit. Wenn der Täter irrtümlich annimmt, er beleidige einen Lebenden, wird er nach § 189 bestraft, wenn seine ehrenrührige Äußerung das Gewicht einer Verunglimpfung hat. Der dem Täter günstigere Strafrahmen, der Anwendung fände, wenn die Vorschrift des § 185 oder des § 186 zum Zuge käme, ist zu beachten (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 142 Anm. 39). Trifft die Verunglimpfung entgegen der Annahme des Täters einen Lebenden, so ist er nach § 185 (§ 186, § 187) zu bestrafen. Über den Strafrahmen des § 189 darf das Gericht nicht hinausgehen. Die Begrenzung kann in Fällen des § 187 Bedeutung erlangen (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 143 Anm. 43). Die „Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit" (BGHSt. 40 97, 105) ist der Sache nach ein nachwirken(61)

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§190

14. Abschnitt. Beleidigung

der Ehrenschutz, so dass die eben aufgezeigten Konsequenzen auch bei Zugrundelegung dieser Ansicht gelten. Wer dagegen der Meinung ist, § 189 schütze nicht hinterlassene Ehre, muss in den dargelegten Fallgruppen des Irrtums zum Freispruch kommen: Das Delikt, das der Täter in seine Vorstellung und seinen Verwirklichungswillen aufgenommen hat, kann er nicht begehen und die Straftat, die er in ihrem äußeren Tatbestand verwirklicht, ist mit seiner Vorstellung und seinem Verwirklichungswillen nicht kongruent. Die Anhänger der Aliudtheorie ziehen die aufgezeigte Konsequenz (vgl. RGSt. 26 33, 34; Lackneri Kühl25 4: „missliches Ergebnis"). Sie ergibt sich auch dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob die ehrenrührige Kundgabe vor oder nach dem Tode des Verunglimpften gemacht worden ist. 5

IV. Die Einordnung der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in die Delikte gegen die Ehre hat weitere praktische Konsequenzen: Bei Verunglimpfungen, die keine Verleumdungen darstellen, ist der Strafrahmen des § 185 (oder des § 186) einzuhalten. § 189 will die Ehre von Verstorbenen nicht stärker als die von Lebenden schützen. Das in der Verunglimpfung liegende Plus qualifiziert nicht den Unrechtsgehalt, sondern begründet ihn. Der Wahrheitsbeweis erfahrt keine Einschränkung, wenn der Täter durch Äußerung von Tatsachen verunglimpft hat (Rudolphi SK 8; Lackneri Kühl25 3). § 193 ist anwendbar (LG Göttingen NJW 1979 1558, 1559; aA SehlSchröder!Lenckner26 4). Da die Grundsätze der Kollektivbeleidigung gelten (oben Rdn. 3; Lackneri Kühl25 2), kann ein und dieselbe Äußerung (ζ. B. bei der Auschwitzleugnung, vgl. BGHSt. 40 97, 103; BayObLG NStZ 1997 283 mit krit. Anm. Jakobs JR 1997 344), tateinheitlich Verstorbene verunglimpfen und Lebende beleidigen. Zum Strafantrag und der Fallgestaltung, bei der es eines Antrags nicht bedarf, vgl. § 194 Abs. 2. Zur Urteilsbekanntmachung vgl. § 200.

§190

Wahrheitsbeweis durch Strafurteil 'Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine Straftat, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden ist. 2Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist.

Schrifttum Helle Der Ehrenschutz des Freigesprochenen, G A 1961 166; Jansen Die Rechtsfolgenseite des § 190 Satz 2 StGB (2003). Vgl. auch die Angaben vor der Übersicht zu § 186.

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I. Die Bedeutung des Wahrheitsbeweises. Der Beweis der Wahrheit ist in Fällen der üblen Nachrede Strafausschließungsgrund (RGSt. 19 387; 62 83,95; 65 425; SchlSchröderlLenckner26 § 186 Rdn. 13; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 171 und 203). Das folgt aus der tatbestandlichen Interpretation dieses Delikts (§ 186 Rdn. 1 bis 4). Der Strafausschließungsgrund wirkt aber nicht nur persönlich. Er lässt auch die Strafbarkeit eines Teilnehmers entfallen. Zu der Ansicht, die die Nichterweislichkeit der Wahrheit einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung als objektive Bedingung der Strafbarkeit aufTasst (RGSt. 69 81; BayObLGSt. 1964 129 = NJW 1965 58), besteht nur ein termiStand: 31.3.2005

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Wahrheitsbeweis durch Strafurteil

§190

nologischer Unterschied (BGHSt. 11 273, 274). Was für die üble Nachrede gilt, gilt auch in Fällen ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen nur gegenüber dem Betroffenen (vgl. § 185 Rdn. 35). II. Problematik des Wahrheitsbeweises. „Der Wahrheitsbeweis dient nicht der Be- 2 lastung des Beleidigten, sondern der Entlastung des Beleidigers ... Es wäre eine gröbliche Verkennung des Verfahrenszwecks, wenn Versuche zugelassen würden, ganz allgemein die schmutzige Wäsche des Beleidigten zu waschen." Diese Sätze aus BGH bei Daliinger M D R 1955 269 umreißen die wesentliche Problematik des Wahrheitsbeweises. Seinem Missbrauch soll vor allem mit dem Grundsatz der Identität des behaupteten und des zu beweisenden Geschehens begegnet werden (BGH VersR 1963 945; BGH bei Dallinger aaO; RGSt. 55 129, 133; 62 83, 95; 64 286): Dem Täter soll es nicht freistehen, an Stelle unbeweisbarer Äußerungen mit anderen ehrenrührigen, beweisbaren Behauptungen aufzuwarten, um - wenigstens für die Zwecke der Strafzumessung - ein allgemeines Unwerturteil über den Betroffenen aufrechtzuerhalten. Der Wahrheitsbeweis dient nicht nur der Entlastung des Täters, sondern soll auch dem Verletzten die Chance geben, von den ehrenrührigen Vorwürfen freigestellt zu werden. Die Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit der behaupteten und der beweisbaren Tatsache genügt nicht (SehlSchröder!Lenckner26 § 186 Rdn. 15). Der Grundsatz der Identität schließt aber nicht aus, dass der Angeklagte auf Vorkommnisse zurückgreift, die dem von ihm behaupteten Geschehen gleichartig oder ähnlich sind, wenn er damit bei widerstreitenden Zeugenaussagen (generell: in Fällen eines non liquet) Beweisanzeichen für die Richtigkeit seiner Darstellung erbringen kann (BGH VersR 1963 945). Es ist auch zulässig, den Wahrheitsbeweis auf Geschehnisse zu erstrecken, die weitere Belege für die Wahrheit einer Behauptung sein sollen, in der ein Einzelvorgang nur beispielhaft für einen allgemeinen Vorwurf erwähnt wurde (RGSt. 55 129, 132; 62 83, 95; BGH bei Dallinger M D R 1955 269). Doch hat der Täter keinen Freibrief, in äußerlicher Verbindung mit einem allgemeinen Vorwurf nicht beweisbare Einzeltatsachen nach Belieben zu behaupten. Sie können als selbständige Beleidigungen anzusehen sein, deren Strafbarkeit auch dann nicht entfallt, wenn die Wahrheit des Gesamtvorwurfs bewiesen wird (RGSt. 64 284, 286). Die Subjektivierung einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung („ich bin überzeugt, dass X gestohlen hat") führt nicht dazu, dass die Überzeugung beweiserheblich wird. Es kommt allein darauf an, ob der behauptete Vorgang (der Diebstahl) beweisbar ist (vgl. § 186 Rdn. 7). III. Tragweite des Wahrheitsbeweises. Der Wahrheitsbeweis deckt auch die zur 3 Charakterisierung ehrenrühriger Geschehnisse geäußerten Werturteile, wenn sie noch tatsachenbezogen und tatsachenbegrenzt sind (§ 185 Rdn. 5). Ist eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil verknüpft, das nicht mehr tatsachenbezogen, sondern abwegig, unvertretbar ist, wird durch den Beweis der Wahrheit die Strafbarkeit auf das Plus an Ehrabsprechung begrenzt, das in der überschießenden negativen Bewertung liegt (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 210, 217). Das ist einer der Fälle des § 192 (vgl. dort). Selbst für sehr vage, generalisierende Werturteile („Schuft", „gemeiner Mensch", „Verbrecher") kann ein sie legitimierender Wahrheitsbeweis in Betracht kommen (§ 185 Rdn. 6). Die Wahrheitsfrage ist bei Werturteilen auch dann nicht gleichgültig, wenn der Täter erst nachträglich von einer - schon zur Tatzeit vorhandenen - Tatsachengrundlage erfährt und sich im Prozess darauf beruft. Denn nicht auf seine Kenntnis und Vorstellung im Zeitpunkt der Äußerung kommt es an, sondern auf ihren objektiven Aussagegehalt im Hinblick auf den wirklichen Status der Ehre des Betroffenen in diesem Zeitpunkt. Deshalb geht es nicht nur um die Relevanz nachträglich manifest gewordener ehrenrühriger Tatsachen für die Strafzumes(63)

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§190

14. Abschnitt. Beleidigung

sung (vgl. RG JW 1934 692 Nr. 12). Aus ihnen kann sich auch ergeben, dass der verdiente Achtungsanspruch nicht verletzt worden ist (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 215). Es ist nach allem unrichtig, wenn die Bedeutung der Wahrheitsfrage für Werturteile auf die Strafzumessung beschränkt wird, und es erscheint bedenklich, bei Äußerungen, die Tatsachenbehauptungen und darauf sich beziehende Werturteile enthalten, im Falle des Überwiegens der Wertung den Wahrheitsbeweis für die „unselbständigen" Tatsachenbehauptungen zu versagen (so OLG Hamm NJW 1961 1937; vgl. auch BGHSt. 6 159, 162; 11 329, 331). Er ist jedenfalls für die Strafzumessung von Bedeutung, es sei denn, die Tatsachenbehauptung bleibt für die Rechtsfolgenentscheidung außer Ansatz. Der Beweis der Wahrheit ist geführt, wenn die Tatsachenäußerung in ihrem wesentlichen Aussagegehalt (in ihrem Aussagekern) zutrifft. Einzelne Übertreibungen, unbewiesene oder widerlegte Nebensächlichkeiten sind unschädlich (BGHSt. 18 182, 183; RGSt. 55 129, 132; 62 83, 95; 64 284, 286; OLG Hamm JMB1NRW 1958 112; SehlSchröder!Lenckner™ § 186 Rdn. 15). 4

IV. Verfahrensrechtliche Aspekte des Wahrheitsbeweises. Die Beweisführungslast trifft das Gericht. Es hat der Frage, ob die ehrenrührige Tatsache, die der Täter behauptete oder verbreitete, wahr ist, von Amts wegen nachzugehen (§ 244 Abs. 2 StPO). Aber ein non liquet geht zu Lasten des Täters, der Grundsatz „in dubio pro reo" gilt nicht (BGH bei Dallinger MDR 1954 335 und 1955 260; RG DJ 1937 163; Geppert Jura 1983 580, 582). Es ist gleichgültig, weshalb der Wahrheitsbeweis misslingt (etwa deshalb, weil ein Zeuge verstorben ist oder von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht). Beweisinitiative des Angeklagten darf erwartet werden. Beruft er sich nicht auf unmittelbar oder mittelbar relevante Tatsachen, so hat das Gericht, wenn sich im Laufe der Verhandlung keine deutlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Tatsachen ergeben, keine Veranlassung zur Beweiserhebung (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 215 Anm. 32). Im Falle eines non liquet folgt ein straferschwerender Gesichtspunkt nicht daraus, dass der Angeklagte die von ihm für wahr gehaltene Behauptung aufrechterhält (RGSt. 38 208).

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Der Wahrheitsbeweis muss selbst dann erhoben werden, wenn im Falle der Nichterweislichkeit (etwa in Anwendung des § 193) freizusprechen oder wenn im Falle des Beweisgelingens (etwa deshalb, weil ein überschießendes Werturteil gefallt wurde) zu verurteilen ist. Denn das Strafverfahren darf den Schutz der Ehre des Betroffenen und die Wiederherstellung seines verdienten guten Rufs im Rahmen des Möglichen nicht außer Acht lassen. Für die Notwendigkeit, stets den Wahrheitsbeweis zu erheben, spricht zudem die Überlegung, dass sich ohne vollständige Aufklärung des Sachverhalts häufig nicht sicher beurteilen lässt, ob die ehrenrührige Behauptung leichtfertig und ob sie wirklich zur Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellt worden ist (BGHSt. 4 194, 198; 7 385, 392; 11 273, 274, 277; 27 290, 292; RGSt. 64 10, 11; RG JW 1930 2541 Nr. 10 mit Anm. Engelhard, 1936 3461 Nr. 31; Sehl Schröder/Lenckner26 § 186 Rdn. 14). Der Verletzte kann ein tatrichterliches Urteil mit der Begründung anfechten, der Wahrheitsbeweis sei nicht oder nicht vollständig erhoben oder die Frage der Wahrheit des ehrenrührigen Angriffs sei sachlich-rechtlich nicht rechtsirrtumsfrei geprüft worden (BGHSt. 11 273, 279). Der ohne Klärung der Wahrheitsfrage freigesprochene, verfahrensrechtlich nicht beschwerte Angeklagte hat nicht die Möglichkeit, die Erhebung des Wahrheitsbeweises durch ein Rechtsmittel zu erzwingen (vgl. BGHSt. 11 273, 278; 27 290, 292 f). Der Grundsatz, dass der Wahrheitsfrage stets nachzugehen ist, sollte eine Einschränkung in Fällen erfahren, in denen der Betroffene diese Frage nicht aufgeworfen wissen möchte und ein Äußerungsexzess sich eindeutig abhebt (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 225 Anm. 53; Welzel S. 319). Stand: 31.3.2005

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Wahrheitsbeweis durch Strafurteil

§190

V. Die Beweisregeln des § 190 1. § 190 gehört zum Strafprozessrecht (Regge MK 6). Die Vorschrift enthält zwei 6 Beweisregeln, die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) verdrängen und die Beweislastregel des § 186 ergänzen (BGHZ 95 212, 216; Seh! Schröder!Lenckner^ 1). Zweck dieser Beweisregeln ist es zu verhindern, dass strafrechtliche Vorwürfe, die Gegenstand eines rechtskräftigen Strafurteils waren, im Rahmen eines Beleidigungsverfahrens erneut überprüft werden müssen. Die Beweisregeln beugen widersprechenden Entscheidungen vor. Die erste erspart es dem Beleidiger, trotz Vorliegens eines Strafurteils, das für die Richtigkeit seiner ehrenrührigen Tatsachenbehauptung streitet, den Wahrheitsbeweis erbringen zu müssen. Die zweite ermöglicht es dem Beleidigten, seine Rechtsposition allein durch die Berufung auf den rechtskräftigen Freispruch zu wahren (BayObLGSt. 1960 229, 230 = NJW 1961 85; Rdn. 7 und 8). Die Beweisregeln gelten auch für Fälle, in denen der Täter nur gegenüber dem Betroffenen behauptet, er, der Betroffene, habe eine Straftat begangen (BayObLG aaO; Sehl Schröder!Lenekner16 1), mag sich in dieser Behauptung die ehrenrührige Äußerung erschöpfen oder nicht erschöpfen (vgl. Rdn. 3). Nicht billigenswert ist die Auffassung, die § 190 S. 2 auch materiellrechtliche Bedeutung beilegt (so BayObLGSt. 1960 229, 231 in dem Bestreben, sich mit BayObLGSt. 1958 244, 246 nicht in Widerspruch zu setzen). 2. § 190 S. 1 schneidet jede Beweiserhebung über die Wahrheit des Straftatvor- 7 wurfs ab. Nur durch einen Wiederaufnahmebeschluss (§ 370 Abs. 2 StPO) wird der Weg für den Wahrheitsbeweis wieder frei (RGSt. 76 48; RGRspr. 10 430). § 190 S. 1 setzt voraus, dass die rechtskräftige Verurteilung gerade wegen der dem Beleidigten nachgesagten Straftat erfolgte, gleichviel, ob es zur Verurteilung vor oder nach der den Gegenstand des Beleidigungsverfahrens bildenden Kundgabe kam. Verurteilung durch Strafbefehl genügt (RGSt. 36 313). Ein Schuldspruch wegen der behaupteten (oder verbreiteten) Straftat reicht aus, ein Rechtsfolgenausspruch ist nicht erforderlich. § 190 S. 1 trifft also auch dann zu, wenn nach § 199 für straffrei erklärt, nach § 59 mit Strafvorbehalt verwarnt oder nach § 60 von Strafe abgesehen worden ist (Rudolphi SK 5). Tilgung oder Tilgungsreife einer Verurteilung schließen die Anwendung der Beweisregeln nicht aus (arg. § 51 Abs. 2 BZRG; Rudolphi aaO; Sehl Schröder! Lenckner26 3; aA Dahn JZ 1973 51). Die Verurteilung durch ein Gericht der früheren D D R ist eine Verurteilung i.S.v. § 190 S. 1 nur dann, wenn die Entscheidung nicht wegen schwerster Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze nichtig ist. Sie kann Rechtswirkungen auch nach § 190 S. 1 nicht mehr entfalten, wenn die Unzulässigkeit der Vollstreckung nach § 15 R H G (Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5.1953) festgestellt worden ist (BGHZ 95 212, 217). Solange die Verurteilung wegen der behaupteten oder verbreiteten Straftat Bestand hat, kann selbst derjenige, der ihre Unrichtigkeit kennt, nicht wegen Verleumdung bestraft werden, wenn er dem Verurteilten nachsagt, er habe die Straftat begangen. 3. Nach § 190 S. 2 ist der Beweis der Wahrheit als Entlastungsbeweis für den 8 Angeklagten ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vom Vorwurf der Straftat, die ihm der Angeklagte nachsagt, rechtskräftig freigesprochen worden ist. Der Freispruch muss vor der Behauptung oder Verbreitung der ehrenrührigen Tatsache erfolgt und rechtskräftig geworden sein. Es ist gleichgültig, ob der Beleidiger davon Kenntnis hatte oder nicht (Kohler GA Bd. 47 203). Wenn die Beleidigung dem Freispruch vorausgeht, steht § 190 S. 2 dem Wahrheitsbeweis nicht entgegen (Rudolphi SK 6; Sehl Schröder!Lenckner16 4). Die Vorschrift hindert ihn nicht mehr, wenn ein Wiederauf(65)

Eric Hilgendorf

§ 192

14. Abschnitt. Beleidigung

nahmebeschluss ergangen ist (§ 370 Abs. 2 StPO). „Freigesprochen" i.S. v. § 190 S. 2 ist der Beleidigte nur, wenn durch eine Sachentscheidung festgestellt worden ist, dass er (möglicherweise) nicht tatbestandsmäßig, nicht rechtswidrig oder nicht schuldhaft gehandelt hat. Es genügen nicht die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung, wegen fehlenden Strafantrags, der Freispruch wegen Rücktritts vom Versuch oder wegen Vorliegens eines persönlichen Strafausschließungsgrundes, die Straffreierklärung nach § 199, die Ablehnung des Erlasses eines Strafbefehls (SehlSchröderILenckner26 4; diff. Regge M K 17; Ζaezyk N K 3). Wenn ein rechtskräftiges Urteil die Schuld verneint, ist auf Grund dieses Urteils § 190 S. 2 anzuwenden, mag auch festgestellt sein, dass der Beleidigte tatbestandsmäßig gehandelt hat (ζ. B. im Falle eines Jugendlichen, dem die erforderliche Einsicht fehlt; vgl. § 3 S. 1 JGG). Wenn allerdings die ehrenrührige Behauptung sich auf die Aussage beschränkt, dass der „Beleidigte" eine tatbestandsmäßige-rechtswidrige Handlung verübt habe, wenn also die Frage des schuldhaften Verhaltens ausdrücklich oder nach dem Sinngehalt der Äußerung ausgenommen worden ist, schließt ein Urteil, das lediglich die Schuld verneint hat, den Beweis der Tatbegehung nicht aus (Rudolphi aaO; Sehl Schröder ILenckner aaO). Wenn der Täter die Unrichtigkeit des Freispruchs kennt, z.B. der Freigesprochene ihm gegenüber die Tat zugestanden hat, hindert § 190 S. 2 dennoch den Wahrheitsbeweis. Das Wissen um den Freispruch schließt in der Regel die Berufung auf § 193 aus (Rudolphi aaO; SehlSchröder!Lenckner aaO. Helle GA 1961 166 ff will in einem solchen Falle § 193 stets ausschließen).

§191

- weggefallen -

§192

Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.

Schrifttum Edenfeld Der Schuldner am Pranger (usw.), JZ 1998 645; Oppe Ist eine Beleidigungsabsicht zur Strafbarkeit nach §§ 192, 193 StGB erforderlich?, M D R 1962 947; Scheffler Zur Strafbarkeit der Schuldbeitreibung mittels „Schwarzen Mannes", NJ 1995 573; Weber Die Bedeutung der Worte „das Vorhandensein einer Beleidigung" in §§ 192,193 StGB, ZStW 53 (1934) 196.

I. Begriff und Anwendungsbereich der Formalbeleidigung 1

1. Zur Kennzeichnung dessen, was § 192 besagt, wird der Ausdruck „Formalbeleidigung" oder (so Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 217) „Formbeleidigung" gebraucht. Stand: 31.3.2005

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Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises

§192

Früher wurde dieser Ausdruck aber auch zur Benennung aller Beleidigungen, die nicht Tatsachenäußerungen sind, verwendet (vgl. Kohlrauschi Lange*1 § 185 Anm. IV 1). Im folgenden Text bedeutet er Beleidigung i. S. v. § 192. Die Vorschrift gilt für alle Fälle ehrenrühriger Tatsachenäußerungen, auch für diejenigen, die nach § 185 oder § 189 strafbar sind (BayObLGSt. 1958 244, 246 = NJW 1959 57; Rudolphi SK 1; Sehl Schröder/Lenckner16 2). Wenn eine solche Äußerung sich als wahr erweist, liegt in ihrem faktenbezogenen Inhalt keine strafbare Beleidigung. Eine solche Straftat kann sich aber daraus ergeben, dass Form oder Umstände einer ehrenrührigen Äußerung über den ehrrelevanten Erklärungswert der beweisbaren und bewiesenen Tatsachen hinausgehen und in ihrem objektiven Sinngehalt zusätzlich Missachtung, Nichtachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck bringen. In ihnen liegt dann ein Plus an Herabsetzung der Ehre des Betroffenen, ein ungedecktes (exzessives) Mehr an ehrenrühriger Kundgabe, das den Tatbestand der einfachen Beleidigung (§ 185) erfüllt. Das und nichts anderes besagt § 192 (Hirsch aaO S. 217 ff). 2. Nicht mit dem Fall der Formalbeleidigung hat man es dort zu tun, wo mit einer 2 erweislich wahren Tatsachenäußerung ein Werturteil (z.B. eine Beschimpfung) nur äußerlich verknüpft ist. Sagt X zu einem anderen: „Y, der Sittenstrolch, hat mich bestohlen", obgleich nur das Bestehlen zutrifft, im Übrigen aber weder objektiv noch in der Vorstellung des X für den „Sittenstrolch" eine Tatsachengrundlage vorhanden ist, dann hat X bei Gelegenheit einer Tatsachenäußerung nach § 185 beleidigt. Die 8. Aufl. sprach (in Anm. II 1) von einem „extensiven Exzess". In seinem Falle kommt es auf § 192 und die Theorien zur Interpretation der Vorschrift nicht an (vgl. RGSt. 21 157, 159; 33 50, 53). 3. Ein Exzess i. S. v. § 192 liegt nicht schon dann vor, wenn die geäußerten ehren- 3 rührigen und als wahr erwiesenen Tatsachen eine (ausdrückliche oder konkludente) Bewertung erfahren haben. Denn der Beweis der Wahrheit deckt auch die zur Charakterisierung ehrenrühriger Verhaltensweisen gefällten Werturteile, wenn sie nicht in einer Weise herabwürdigen, die zu den Fakten außer jedem Verhältnis steht. Halten sie sich im Rahmen der Adäquanz, dann sind sie Bestandteil der üblen Nachrede. Mit dem Beweis, dass die Tatsachenbehauptung zutrifft, entfallt auch ihre Strafbarkeit (§ 185 Rdn. 41). Bei der Prüfung der Frage, ob ein abwertendes Urteil über das noch Verhältnismäßige und damit tatsachenadäquate hinausgegangen ist, darf die Grundanschauung des Urteilenden, falls sie „vertretbar und nicht offensichtlich abwegig" ist, nicht völlig außer Betracht bleiben (BGHSt. 6 159, 162; BGH NJW 1974 1762; 1978 1797, 1798; BayObLGSt. 1961 46, 48; 1963 174, \11ΐ). Zur Frage der Behandlung des von Irrtum beeinflussten Wertungsexzesses vgl. § 193 Rdn. 31.

II. Der Tatbestand der Formalbeleidigung 1. Tatsachenäußerungen auf der einen Seite und Werturteile (zu denen auch kon- 4 kludente Verhaltensweisen mit ehrenrührigem Sinngehalt gehören können) auf der anderen Seite bilden die Handlungen der Beleidigungsdelikte (§ 185 Rdn. 2, 15). Wird § 192 diesem Schema eingeordnet, so können die „Form" und die „Umstände" im Sinne dieser Bestimmung nichts anderes als eine Residualkategorie für das sein, was über den geäußerten Tatsacheninhalt hinaus den objektiven Erklärungsgehalt einer Kundgabe mitbestimmt, und zwar so - das folgt aus Rdn. 1 bis 3 - , dass es die ehrenrührigen Fakten mit einer Wertung verknüpft, die nicht nur additiv zu ihnen hinzutritt (vgl. RGSt. 21 157, 159; 34 80) und die ein exzessives Mehr an Ehrherabsetzung ent(67)

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hält als tatsachenadäquater Bewertung entspräche. Bei solcher Einordnung der Vorschrift des § 192 in die große Gruppe der Beleidigungen durch überschießende Wertung kann die Beantwortung der Frage, ob die ehrenrührige Form oder die achtungsverletzenden Umstände die Tatbestandsverwirklichung selbst bewirken oder ob sie nur ein notwendiges Indiz (einen Beweisgrund, dem sie entnehmbar sein muss: RGSt. 6 421; 40 317, 318) für eine besonders festzustellende Beleidigungsabsicht darstellen, nicht zweifelhaft sein: Das tatsacheninadäquate Plus an Ehrabsprechung bildet den auch bei der Formalbeleidigung unerlässlichen (vgl. RGSt. 23 40; BayObLG 20 110), durch keine Beleidigungsabsicht ersetzbaren objektiven Tatbestand (im Ergebnis wie hier z.B. Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 22 Iff; Rudolphi SK 2; Sehl Schröder/Lenckner26 1). „Entscheidend ist, dass eine Abwertung ausgedrückt wird, die über die vom Inhalt der Tatsachenäußerung gedeckte Minderung" der Ehre des Betroffenen hinausgeht (Hirsch aaO S. 222). Subjektiv genügt das Wissen des Täters, dass er tatsacheninadäquat (i. S. v. Rdn. 3) wertet. Dolus eventualis reicht aus. 5

2. Hat man den objektiven Tatbestand der Formalbeleidigung mithin darin zu sehen, dass die Form, in welcher eine Tatsachenäußerung erfolgt, oder die Umstände, unter denen sie gemacht wird, für sich allein ein ehrenrühriges Werturteil i. S. v. § 185 zum Ausdruck bringen, das nicht tatsachenadäquat ist, dann bietet der tatbestandliche Aufbau keine Besonderheiten. Wer dagegen mit dem Reichsgericht (vgl. RGSt. 1 317; 20 100; 23 40; 34 80; 40 317; 41 254; 59 414; RG DR 1943 189) meint, in das Gesetz sei eine Beleidigungsabsicht hineinzuinterpretieren, der gibt § 192 (und dem Schlussteil des § 193) eine andere Deutung und eine andere Struktur: Wegen Formalbeleidigung macht sich nur derjenige strafbar, dem es darauf ankommt, den Betroffenen zu beleidigen. Form oder Umstände sind die Beweisanzeichen, aus denen auf animus iniuriandi geschlossen werden kann. Das Abstellen auf eine Beleidigungsabsicht kann zu weitgehender Einschränkung der Straflosigkeit bei erweislich wahren Tatsachenäußerungen auf Grund der Form oder der Umstände vorbeugen (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 220). Denn aus ihrem indiziellen Gehalt ergibt sich in aller Regel kein zwingender Schluss auf animus iniuriandi (RGSt. 40 317, 319; RG JW 1938 1805 Nr. 6). Aber die Beleidigungsabsicht wird als Korrektiv nicht benötigt, wenn anerkannt wird, dass die Formalbeleidigung den Unrechts- und Schuldgehalt der Beleidigung durch Werturteil erfordert, dass der „Form" oder den „Umständen" dieser Unrechts- und Schuldgehalt innewohnen und durch sie manifest werden muss. Es kann für die Subsumtion unter § 185 nicht zwei Kategorien von Beleidigungen mit unterschiedlichem tatbestandlichen Aufbau geben. Auch im Gesetzeswortlaut findet die Forderung nach einer Beleidigungsabsicht keine Stütze. Mit der heute ganz h. M. (Lackner/Kühl25 3: Maurach/SchroederlMaiwald BT I9 26/21) ist sie deshalb abzulehnen.

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3. Die Judikatur zur Beleidigungsabsicht, zu den sie indizierenden Beweisgründen und zu deren Abgrenzung vom Inhalt der Tatsachenäußerung (vgl. RGSt. 40 317; RG JW 1938 1805 Nr. 6; BayObLG 20 108; BayObLGSt. 1961 41) ist auch für die hier vertretene Auffassung von Interesse. Denn für sie gilt, dass dem Täter ein scharfer Ausdruck nicht als Formexzess vorgeworfen werden kann, wenn er inhaltlich das sagen wollte und sagen konnte, was sich aus dem Sinngehalt des Ausdrucks ergibt (vgl. BGHZ 70 1, 5f; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG Nr. 15 zu § 26). Auch bei der hier eingenommenen Position stellt sich die Frage, wie sich der Täter (noch) tatsachenadäquat hätte artikulieren können und ob die außer Verhältnis stehende Abwertung des Betroffenen in der Persönlichkeit des Täters (seiner Gemütsart, seiner sprachlichen Fähigkeit) und in andeStand: 31.3.2005

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ren Umständen des Einzelfalls (insbesondere im Anlass zur Äußerung) eine Erklärung findet, die dem Schluss auf vorsätzlich-tatsacheninadäquate Wertung entgegensteht (vgl. insbesondere RGSt. 40 318; RG JW 1936 3461 Nr. 31; BayObLG 20 110; OLG Frankfurt aaO). Im Übrigen kann nur in Zusammenfassung von schon Gesagtem noch einmal klargestellt werden: Ein Schimpfwort (vgl. RG JW 1934 905 Nr. 17 und 1934 1852 Nr. 6), eine persönlichkeitsbezogene negative Qualifizierung (ζ. B. „Lügner" oder „dummdreiste Lüge", vgl. BGHZ 70 1), die satirische Einkleidung (vgl. §185 Rdn. 23, 24), eine boshafte oder gehässige Wendung (vgl. RGSt. 15 74; BayObLG 17 43), der überlaute Ton (vgl. RGSt. 54 289) und jedes andere, mit einer Tatsachenäußerung verknüpfte und sie ausdrücklich oder konkludent wertende Formmoment muss, wenn es als Formalbeleidigung in Betracht kommen soll, den Achtungsanspruch des Betroffenen so tangieren, dass trotz der Minderung der Ehre, die durch die wahre Tatsachenäußerung manifest geworden ist, eine Verletzung dieses Anspruchs eintritt. Nur unter dieser Voraussetzung können auch (situative, temporale, lokale, personale) Umstände (vgl. dazu RGSt. 21 157; 34 80) tatbestandsverwirklichend sein, etwa die unsachliche Veröffentlichung längst vergangener Verfehlungen ( T e n c k h o f f JuS 1989 35, 38). III. Publikationsexzess. Ehrverletzende Reaktualisierung. 1. Gegenstand verschiedener Entscheidungen war die Frage, ob die Kundgabe 7 ehrenrühriger Tatsachen in der Zeitung (vgl. BayObLG 12 266), durch öffentlichen Aushang in einem Schaukasten (vgl. OLG Frankfurt NJW 1948 226) oder durch eine andere Art öffentlicher Verbreitung (vgl. OLG Braunschweig M D R 1948 186) als Formalbeleidigung anzusehen ist. Von zunehmender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Publikationen im Internet. Es geht bei dieser Frage um das Problem des Publikationsexzesses, eine ebenso aktuelle wie vernachlässigte Kategorie der Steigerung der Ehrverletzung auf ein den wahren ehrenrührigen Tatsachen nicht angemessenes Ausmaß durch die modalen Umstände der Äußerung (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 223 ff; Rudolphi SK 6). Es liegt eine Wertung darin, dass und wie ein ehrenrühriges Faktum publiziert wird (ζ. B. „in großer Aufmachung" und unter Nennung des Namens). Der Kommunikator bringt zum Ausdruck, dass das berichtete Geschehen (Verhalten, Versagen) das Gewicht eines die Öffentlichkeit überhaupt oder sogar im Ausmaß der großen Aufmachung interessierenden Vorgangs hat. Das kann inadäquat sein, außer Verhältnis zum Gewicht der Tatsachen stehen und infolgedessen den Tatbestand der Formalbeleidigung durch anprangernde Überzeichnung eines Ehrmangels erfüllen. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. BGH NJW 1964 1471; LG Hamburg M D R 1992 522; Peglau Z R P 1998 249). Ein gewisser Ermessensspielraum muss eingeräumt werden. Deshalb kann von einem Publikationsexzess nur die Rede sein, wenn die Publizierung (oder die Aufmachung) in einem auffallenden Missverhältnis zum Gewicht der ehrenrührigen Tatsache steht (Hirsch aaO). Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist das besonders auffallige Gebaren als „Schwarzer Mann" beim Eintreiben von Schulden (LG Leipzig NJW 1995 3190; Scheffler NJ 1995 573, 575; Edenfeld JZ 1998 645, 648). 2. Zu den Umständen, unter welchen eine Äußerung geschieht, gehören temporale 8 Aspekte, insbesondere der Zeitablauf. Er nimmt ehrenrührigen Tatsachen zunächst die Aktualität und sodann mehr und mehr ihr Gewicht. Wer sie reaktualisiert, kann eine ehrverletzende Handlung begehen (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 224; Otto Schwinge-Festschrift, S. 71, 86; Rudolphi SK 7; SehlSchröder!Lenckner26 1). Stellt er (69)

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die „verblasste" ehrenrührige Tatsache so heraus, dass ein auffalliges Missverhältnis zwischen dem geschrumpften Mangel an Ehre und seiner Verbalisierung besteht, erfüllt er den äußeren Tatbestand der Formalbeleidigung. Unterdrückt er das zeitliche Moment, dann behauptet oder verbreitet er eine Tatsache, die so, wie er sie kundmacht (als aktuelle, voll zu Buch schlagende), nicht gegeben ist. In einem solchen Falle kommt der Tatbestand der üblen Nachrede oder der Verleumdung in Frage, wenn die Äußerung nicht nur gegenüber dem Betroffenen gemacht worden ist. 9

IV. Erst wenn der Wahrheitsbeweis erbracht ist, steht die Frage der Formalbeleidigung zur Diskussion (§ 190 Rdn. 5; Rudolphi SK 10; SehlSchröder!Lenckner26 3). Glaubt der Täter, dass nach allgemein gebilligten Maßstäben seine (verbale, symbolische, in der Publizierung oder in einem anderen Moment der Form oder der Umstände liegende) Wertung durch die ehrenrührigen Tatsachen legitimiert sei, handelt er möglicherweise nicht vorsätzlich (vgl. § 193 Rdn. 31). Auch im Falle der Wahrnehmung berechtigter Interessen kann adäquat nur die Wertung sein, die zum ehrenrührigen Gehalt der Tatsachen nicht außer Verhältnis steht. Ist sie es nicht, entfallt eine Rechtfertigung nach § 193 (RG JW 1932 409 Nr. 12; Rudolphi SK 8; Sehl Schröder! Lenckner26 4; aA OLG Braunschweig NJW 1952 237). Der Zweck der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist jedoch für die Adäquanz einer in Form oder Umständen zum Ausdruck kommenden Bewertung nicht gleichgültig. Infolgedessen kann die Vorstellung, die der Täter in diesem Punkte hat, der Annahme eines auf inadäquate Wertung gerichteten (mit ihr rechnenden) Vorsatzes entgegenstehen (vgl. § 193 Rdn. 31).

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Wahrnehmung berechtigter Interessen Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.

Schrifttum Adam Die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Dienststrafverfahren, JR 1959 12; Coing Ehrenschutz und Presserecht (1960); von der Decken Meinungsäußerungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre, NJW 1983 1400; Eser Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund (1969); Fuhrmann Die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse, JuS 1970 70; Geppert Wahrnehmung berechtigter Interessen, Jura 1985 25; Graul Tatbestand vor Rechtswidrigkeit? - Zum Freispruch aus § 193 StGB, NStZ 1991 457; Groß Zur Pressefreiheit, JR 1995 485; Helle Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961 1896; Isensee Kunstfreiheit im Streit mit Persönlichkeitsschutz, AfP 1993 619; Kaiser Grundrechte als Rechtfertigung für Vergehen der üblen Nachrede?, NJW 1962 236; Kastner Die Crux der Kritik in der Literatur, auf der Bühne und in der Musik, NJW 1995 822; Kern Die Beleidigung, Festgabe für Reinhard von Frank Bd. II (1930) 335; Koebel Namensnennung in Massenmedien, JZ 1966 389; Lenckner Die Wahrnehmung berechtigter Interessen, ein „überstand: 31.3.2005

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Wahrnehmung berechtigter Interessen

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gesetzlicher" Rechtfertigungsgrund?, Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) 243; Lobe Wahrnehmung berechtigter Interessen, Festschrift für R. Schmidt (1932) 79; Löffler Die Sorgfaltspflicht der Presse und des Rundfunks, N J W 1965 942; Merz Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit (1998); Neumann-Duesberg Keine Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse bei Mißbrauch der Pressefreiheit, JR 1957 85; Ossenbiihl Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1976 2100; Otto Ehrenschutz in der politischen Auseinandersetzung, JR 1983 1; ders. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit der Literatur, N J W 1986 1206; Praml Beleidigungsdelikte bei anwaltlicher Interessenvertretung, NJW 1976 1967; Preuß Untersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht (1974); Rehbinder Die öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortlichkeit der Presse (1962); Reinhardt Zivilrechtlicher Schutz des Ansehens und berechtigte Interessenwahrung, Festschrift für Heinrich Lange (1970) 195; Roeder Der systematische Standort der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Spiegel der Strafrechtsreform, Festschrift für Ernst Heinitz (1972) 229; Schaffstein Der Irrtum bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen, NJW 1951 691; Scheu Interessenwahrnehmung durch Rundfunk und Presse (1965); Schlosser Zur Beweislast im System des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, JZ 1963 309; Schmid Freiheit der Meinungsäußerung und strafrechtlicher Ehrenschutz (1972); Schmidt Wahrnehmung berechtigter Interessen ein Rechtfertigungsgrund?, JZ 1970 8; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, JZ 1983 95; ders. Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 97 (1972) 60 und 276 sowie AöR 113 (1988) 52; Schwinge Ehrenschutz im politischen Bereich, M D R 1973 801; Stark Festschrift für Martin Kriele (1997) 235; Stern Ehrenschutz und „allgemeine Gesetze", Festschrift für Hübner (1984) 815; Stoll Freiheit der Meinungsäußerung und Schutz der Persönlichkeit in der neueren Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Haftung, Jura 1979 576; ders. Der Persönlichkeitsschutz in der neuesten Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, Jura 1981 135; Tettinger Der Schutz der persönlichen Ehre im freien Meinungskampf, JZ 1983 317; Tröndle Festschrift für Walter Odersky (1996) 26; Uhlitz Politischer Kampf und Ehrenschutz, NJW 1967 129; Veith Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und üble Nachrede, NJW 1982 2225; Walchshöfer Ehrverletzende Äußerungen in Schriftsätzen, M D R 1975 11; Walter Ehrenschutz gegenüber Parteivorbringen im Zivilprozeß, JZ 1986 614; R. Weber Ehrenschutz im Konflikt mit der Pressefreiheit, Festschrift für Faller (1984) 442; Westermann Der Anspruch auf Rücknahme ehrenkränkender, in Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellter Behauptungen, JZ 1960 692; Würtenberger Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zippelius Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Festschrift für Hubmann (1985)511. Übersicht Rdn. I. Rechtsnatur 1 II. Güter und Interessenabwägung in Fällen der üblen Nachrede 1. Echter oder präsumtiver Interessenkonflikt? 2 2. Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos 3 III. Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen ehrenrühriger Meinungsäußerungen 1. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G 4 2. Die Kollision von Meinungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre . 5 3. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G 8 IV. Anwendungsbereich des § 193 11 V. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche und andere Leistungen 13 (71)

Rdn. VI. Ausführung oder Verteidigung von Rechten VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen 1. Die Interessenkollision 2. Die Berechtigung des wahrgenommenen Interesses 3. Die Berechtigung des Täters 4. Das situationsabhängige Risiko . . 5. Die Angemessenheit der Interessenwahrnehmung 6. Der vom Täter verfolgte Zweck . . . 7. Irrtümer des Täters VIII. Rügen, dienstliche Anzeigen, ähnliche Fälle IX. Die Formalbeleidigung X. Beteiligung mehrerer

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I. Rechtsnatur. § 193 zählt Gründe auf, die dazu führen, dass wegen Beleidigung nicht bestraft wird. Nach dem systematischen Standort dieser Gründe und nach dem Gewicht, das ihnen zukommt, handelt es sich um sehr unterschiedliche Gesichtspunkte. „Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen" oder „Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten" sind keine den Tatbestand einer Beleidigung verwirklichenden Handlungen, wenn sie sich im Rahmen sachlich (noch) vertretbarer Kritik halten (Geppert Jura 1985 25; Joecks M K 10; Rudolphi SK 5; Sch/Schröder/Lenckner26 5; Tröndle/Fischer52 6). Gehen sie darüber hinaus, werden tadelnde Urteile und die anderen Äußerungsakte häufig den Charakter von Formalbeleidigungen haben (vgl. Rdn. 33) und deshalb strafbar sein. Für den mit Abstand wichtigsten Anwendungsfall des § 193, die „Äußerungen, welche zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden" (die „Äußerungen zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten" sind lediglich eine Unterart dieses Anwendungsfalls) streitet man über die Rechtsnatur. Nach herrschender Meinung handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund. 1 Vereinzelt gebliebene Entscheidungen sprechen von einem Schuldausschließungsgrund (so RGSt. 6 405, 410; 64 23, 24; RG JW 1939 400 Nr. 2). Auch in der Literatur werden von der herrschenden Meinung abweichende Auffassungen vertreten (so z.B. von Erdsiek NJW 1966 1385ff und JZ 1969 31 Iff; Kern Frank-Festgabe II, S. 353f; Roeder Heinitz-Festschrift, S. 229ff; Schmidt JZ 1970 8 fi). Für das Zivilrecht ergeben sich aus den abweichenden Auffassungen, deren argumentative Grundlage hier übergangen werden muss, die (erstrebten) Konsequenzen für den Schutz der Ehre durch Unterlassungs- und Widerrufsansprüche. Er hängt in hohem Maße von der Beweislastverteilung ab. Für sie ist der systematische Standort der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht gleichgültig (vgl. Schmidt aaO l l f ; Westermann JZ 1960 692, 694). Für das Strafrecht wird die Einordnung der Wahrnehmung berechtigter Interessen unter die Schuldausschließungsgründe vor allem auf Überlegungen gestützt, die darauf abstellen, dass der Täter - wie sich aus dem nicht erbrachten Wahrheitsbeweis ergebe - Übelstände aufdecke, die „präsumtiv nicht bestehen". Der Widerstreit der Interessen des Beleidigers und des Beleidigten sei nur fiktiv. Der Beleidiger sei aber entschuldigt, wenn er nach sorgfältiger Prüfung der Wahrheitsfrage das Vorhandensein eines nicht erweislich wahren Übelstands irrtümlich angenommen habe (Roeder aaO S. 239 f)· Dieser Auffassung kann nicht gefolgt, aber auch eine für alle Fälle geltende Antwort auf die Frage nach der Rechtsnatur der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht ohne weiteres gegeben werden. Es ist bei der Erörterung dieser Frage notwendig, zwischen der Behauptung (Verbreitung) ehrenrühriger Tatsachen und der Kundgabe herabsetzender Werturteile (Meinungsäußerungen) zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist auch deshalb geboten, weil sich bei herabwürdigenden Meinungsäußerungen und Werturteilen die Rechtfertigung oder die Negation der Tatbestandsverwirklichung unabhängig von der Reichweite des § 193 aus den Grundrechten der Freiheit der Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 GG) ergeben kann.

1

In Auswahl: BVerfGE 12 113, 125; BVerfG NJW 1992 2815, 2816; BVerfG JR 1995 160, 161; BGHSt. 12 287, 293; 18 182, 184; BGHZ 31 308, 313; 95 212, 220; Geppert Jura 1985 25 ff; Lackner/Kühl25 Anm. 1; Rudolphi SK 1; Sehl Schröder!Lenckner26 1; Tröndle!Fischer52 1;

Deutsch Haftungsrecht, S. 221 ff differenziert: Die unwahre oder nicht erweislich wahre ehrenrührige Behauptung indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Rechtswidrigkeit der abstrakten Beurteilung bedarf besonderer Feststellung.

Stand: 31.3.2005

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Wahrnehmung berechtigter Interessen

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II. Güter- und Interessenabwägung in Fällen der üblen Nachrede 1. Echter oder präsumtiver Interessenkonflikt? Die Wahrnehmung berechtigter In- 2 teressen ist in Fällen der üblen Nachrede ein Rechtfertigungsgrund. Die Behauptung oder Verbreitung einer nicht erweislich wahren Tatsache erfüllt einen der Verbotsmaterie nicht ermangelnden Tatbestand (§ 186 Rdn. 2 bis 4; Deutsch Haftungsrecht, S. 223; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 245, 247; Reinhardt Festschrift für Heinrich Lange, S. 203ff; Schlosser JZ 1963 309, 313; Schmidt JZ 1970 8, 10; Stoll Jura 1979 576, 580). Infolgedessen indiziert die nicht erweislich wahre herabsetzende Tatsachenkundgabe die Rechtswidrigkeit. Sie entfallt aus besonderem Grunde, ausnahmsweise, wenn der Täter Interessen wahrnimmt, die das Interesse des in seinem Achtungsanspruch Betroffenen am Schutz seiner Ehre überwiegen. Damit ist gesagt: Es wird eine Interessenkollision nach den Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung gelöst (BGHSt. 18 182, 184; BGH NJW 1977 1288, 1289; 1979 266, 267; BGH bei Daliinger M D R 1953 401; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; krit. zur Güterabwägung Joecks M K 2; Zaczyk N K 2), nach Grundsätzen also, auf die sich „letztlich alle Rechtfertigungsgründe zurückführen lassen" (Geppert Jura 1985 25, 26). Gegen diese Betrachtung kann nicht eingewendet werden, dass die Interessen-(Wert-) kollision im Grunde nur fiktiv sei, weil die nicht erweislich wahren Tatsachen entweder wahr oder unwahr sind, woraus folge, dass der „Täter" im Falle ihrer Wahrheit nicht beleidige und dass im Falle ihrer Unwahrheit an ihrer Behauptung oder Verbreitung in aller Regel ein vom Recht anerkanntes Interesse nicht bestehe (vgl. BGH NJW 1975 1882, 1883; 1986 2503, 2504; Schlosser JZ 1963 309, 312). Der Tatbestand der üblen Nachrede erstreckt den Schutzbereich der Ehre in die Sphäre des präsumtiven Achtungsanspruchs (§ 186 Rdn. 2), ermöglicht die Geltendmachung eines präsumtiven Interesses. Der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen „egalisiert" diese Ausweitung durch Anerkennung eines widerstreitenden, wenngleich ebenfalls präsumtiven Interesses. Die Präsumtionen heben sich auf. Wenn und solange das non liquet in der Wahrheitsfrage besteht, ist bei der Abwägung von einem echten Interessenkonflikt auszugehen. Dieser Gedanke steht wohl auch hinter der Rechtsprechung, welche besagt, dass bei der Prüfung, ob der Beleidiger berechtigte Interessen wahrnehmen, mangels gegenteiliger Feststellung die Wahrheit seiner Behauptung anzunehmen und auf der Grundlage dieser Unterstellung zu fragen sei, ob er seine ehrenrührige Äußerung zur Wahrung seines Interesses für geboten halten konnte (BGHZ 37 187, 191 und BGH M D R 1986 43 unter Berufung auf RGSt. 59 414, 415 und RG DR 1939 2009). Ob diese Judikatur für das Zivilrecht das Richtige trifft, ist hier nicht zu erörtern (vgl. Schlosser aaO 312). Im Strafprozess müssen in der Tat die nicht widerlegbaren Annahmen des Beleidigers zugrunde gelegt werden, wenn sie nicht die Folge eines vorwerfbaren Fehlverhaltens bei der Prüfung des Sachverhalts, also in der Wahrheitsfrage sind (OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; Rdn. 31). Es kann für einen Interessenkonflikt durchaus genügen, dass der Beleidiger sowohl Wahrheit wie Unwahrheit seiner ehrenrührigen Tatsachenäußerung für möglich hält, die potentielle Unwahrheit in Rechnung stellt (Rdn. 3). 2. Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos. In Fällen der üblen Nachrede ist im 3 Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen das Prinzip der Güterabwägung mit dem rechtfertigenden erlaubten Risiko verknüpft (Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 201; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 249; Sehl Schröder!Lenckner26 8; TröndlelFischer521; aA Rudolphi SK 1; Joecks MK 1): Der Beleidiger hat die Wahrheitsfrage sorgfaltig zu prüfen; er darf seinen Vorwurf nicht auf haltlose Vermutun(73)

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gen stützen.2 Das Maß der zu beachtenden Sorgfalt oder - was dasselbe besagt - die Höhe des Risikos, das in der Wahrheitsfrage eingegangen werden darf, ist situationsund konfliktsabhängig (BGHSt. 3 75; BGH NJW 1977 1288, 1289; Geppert aaO; Hansen JuS 1974 104, 107; Hirsch Ehre und Beleidigung, S. 200 Anm. 34; Lenckner aaO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Beleidiger sogar die mögliche Unwahrheit seiner ehrenrührigen Tatsachenäußerung in Rechnung stellen, also sehr riskant handeln darf (Rdn. 21). Das Prinzip der Güter- und Interessenabwägung wird aber durch den Aspekt des erlaubten Risikos nicht verdrängt. Gesichtspunkte, die bei der Abwägung als positive Vorzugstendenzen zu berücksichtigen sind und schwerer als die negativen wiegen, gestatten das zur Interessenwahrung erforderliche riskante Handeln (vgl. Rdn. 17). Soweit Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen der Verleumdung in Betracht kommt (§ 187 Rdn. 5), ist offensichtlich, dass es um die Lösung echter Interessenkonflikte geht. Von bloßen Präsumtionen kann hier keine Rede sein. Der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos spielt keine Rolle.

III. Wahrnehmung berechtigter Interessen in Fällen ehrenrühriger Meinungsäußerungen 4

1. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. In Fällen ehrenrühriger Werturteile oder Meinungsäußerungen hat § 193 seine konstitutive Bedeutung fast völlig verloren (Joecks MK 36; Lackneri Kühl25 1; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 254; Reinhardt Festschrift für Heinrich Lange, S. 197 und 203; Sehl Schröder!Lenckner26 1). Wer seine Meinung äußert, macht von einem Grundrecht Gebrauch, nimmt berechtigte Interessen wahr, wenn er sich an die ihm gesetzten Schranken hält (Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GG). Äußert er Ehrenrühriges über einen anderen, verletzt er das „Recht der persönlichen Ehre". Die Verletzung ist nur gestattet, wenn das mit der Meinungsäußerung verfolgte Interesse das Interesse an der Achtung der Ehre überwiegt. Das Reichsgericht befand einst, dass das in der Verfassung garantierte Recht der freien Meinungsäußerung ohne Einfluss auf die Rechtswidrigkeit der Beleidigung sei (RGSt. 15 15, 17; 56 380, 384; Frank Anm. III 2 a). Aber das Bundesverfassungsgericht hat den Grundrechten neue Dimensionen und „Wirkkräfte" (vgl. BVerfGE 7 198, 207; 61 1, 6) erschlossen. Sie sind nicht mehr nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, sondern auch und sogar in erster Linie „objektive Wertordnung", „Wertsystem", „Wertmaßstab", „wertentscheidende Grundsatznormen", „verfassungsrechtliche Grundentscheidungen", die für alle Bereiche des Rechts gelten (BVerfGE 7 198, 205). Infolgedessen strahlen sie in die gesamte übrige Rechtsordnung aus, determinieren und dirigieren den Gesetzgeber und den Gesetzesanwender (Ossenbühl NJW 1976 2100, 2102). Der Wandel der Grundrechte oder ihres Verständnisses hat auch und vor allem das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung und -Verbreitung in eine „wertentscheidende Grundsatznorm" transformiert (BVerfGE 7 198). Sie liefert nicht nur den Maßstab für die Konkretisierung des § 193, sondern ist selbst der in Frage kommende Rechtfertigungsgrund (aA Zaczyk NK 6). Zu beachten gilt dabei, dass Art. 5 Abs. 1 GG nur Meinungsäußerungen rechtfertigen kann, die Äußerung unwahrer Tatsachen fallt nicht in den Schutzbereich (BVerfG NJW 1993 916 mit

2

BGHSt. 14 48, 51; Geppert Jura 1985 25, 30f; Lackneri Kühl25 10, Rudolphi SK 24; Sehl Schröder! Lenckner™ 11; Tröndle/Fischer529. Stand: 31.3.2005

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Bspr. Hufen JuS 1994 165 und zur „Auschwitzlüge" BVerfGE 90 241, 247 mit Bspr. Schulze-Fielitz JZ 1994 902). Bei Äußerungen, die zugleich wertende und tatsächliche Elemente enthalten, kann jedoch die Unrichtigkeit der Tatsache, auf der das Werturteil beruht, bei der Abwägung berücksichtigt werden (BVerfG NJW 2003 1856; NJW 2004 277). 2. Die Kollision von Meinungsfreiheit und Recht der persönlichen Ehre. Die Aus- 5 Strahlung der aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit abgeleiteten Grundsatznorm führt zu einer „Wechselwirkung in dem Sinne, dass die allgemeinen Gesetze' zwar dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 G G nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen" (BVerfGE 7 198, 208 f). Wörtlich oder dem Sinne nach übereinstimmende Aussagen finden sich in vielen Entscheidungen (Beispiele: BVerfGE 12 113, 124f; 42 143, 150; BVerfG NJW 2004 3619). Zwischen dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und dem „Recht der persönlichen Ehre" findet nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die gleiche Wechselwirkung statt (BVerfGE 42 143, 150; 93, 266, 290ff; 99 185, 195; BVerfG NJW 2000 199, 200; NJW 2003 3760; NJW 2004 590). Das ist überraschend, weil es insoweit nicht um eine Beziehung des konstitutionellen zum subkonstitutionellen Recht geht, sondern um die Zuordnung von gleichrangigem Recht. Denn durch Art. 5 Abs. 2 G G ist die persönliche Ehre als „eigenständiger Wert von Verfassungsrang" anerkannt, das „Recht der persönlichen Ehre" von den „Vorschriften der allgemeinen Gesetze" prononciert abgehoben worden (von der Decken NJW 1983 1400, 1402). Darüber hinaus ist es als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 G G verfassungsrechtlich geschützt (BVerfGE 54 153 ff; 93 266, 290; Schmitt Glaeser AöR 113 98; Stern Hübner-Festschrift, S. 824: Die persönliche Ehre ist „Verfassungsrechtsgut"). Wenn bei Meinungsäußerungen und Werturteilen das Grundrecht, das die Freiheit 6 dieser Äußerungsakte verfassungsrechtlich gewährleistet (sie verstünde sich allerdings auch ohne diese Gewährleistung im Rechtsstaat von selbst - vgl. A. Weber JW 1927 2671 ff), und das Recht der persönlichen Ehre kollidieren, gibt es keine abstrakten Präferenzen für eines dieser Rechte. Es kann nur eine Lösung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz, der verhältnismäßigen Zuordnung in Betracht kommen: Beiden Rechten müssen Grenzen gezogen werden und zwar so, dass der nach den Umständen des Einzelfalls schonendste Ausgleich (vgl. BVerfGE 42 143, 152) ermöglicht wird (von der Decken NJW 1983 1400, 1402f; Schmitt Glaeser AöR 113 9Iff; Stern Hübner-Festschrift, S. 827 m.w. N ) . Steht der Kernbereich des einen Rechts auf dem Spiel, muss das andere im Randbereich Einschränkungen hinnehmen. Aber auch im Rahmen des Prinzips der praktischen Konkordanz müssen Kollisionen vielfach dadurch behoben werden, dass dem einen Recht und den von ihm geschützten Interessen der Vorrang vor dem anderen Recht eingeräumt wird. Das Ausmaß der Betroffenheit des einen und des anderen Rechtsguts und damit das Ausmaß der Betroffenheit der ideellen Persönlichkeitssphäre des Beleidigers und des Beleidigten und andere wesentliche Gesichtspunkte - wie Motive und Zwecke, die hinter einer Äußerung stehen, der Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit, die Plumpheit oder Aggressivität formaler Entgleisungen (vgl. BVerfGE 42 143, 151) - erlangen (wie in Fällen ehrenrühriger Tatsachenäußerungen) die ihnen gebührende Berücksichtigung in einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung (BVerfGE 42 143, 152; BVerfG NStZ 1988 124; NJW 1992 2815 f; JR 1995 160 mit Anm. Grasnick; NJW 1999 2263; (75)

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NJW 2000 199, 200), die den Rechts- und Rechtsgüterkonflikt in allen seinen positiven und negativen Vorzugstendenzen erfasst (Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 248; Zippelius Hubmann-Festschrift, S. 514fl). Der Wertvorzug der persönlichen Ehre kann nach der Wertordnung des Grundgesetzes und nach den zu berücksichtigenden Vorzugstendenzen eindeutig sein. „Geistige Entfaltung und freie Artikulation" (von der Decken aaO 1403) leiden nicht darunter, dass „reine Schmähungen", „gehässige und böswillige Schmähkritik", der Hetze dienende Diffamierung, Verunglimpfungen, die darauf abzielen, den Betroffenen „als Person zu entwerten", marktschreierische Herabsetzungen oder polemische Ausfalle, „die jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen", oder pure Beschimpfungen (vgl. BVerfGE 75 369, 380; 82 272, 283; 93 266, 294; BVerfG NJW 1993 1462; BGHZ 143 199, 208 f; BayObLG NStZ 1983 265, 266; NJW 1991 1493; NJW 2000 3079; OLG Brandenburg NJW 1996 1002; NJW 1999 3339; OLG Frankfurt JR 1996 250f mit Anm. Foth; OLG Hamm 1982 659, 660f; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; OLG Celle NStZ 1998 88; KG NJW 2003 685, 687; Groß JR 1995 485, 487) als tatbestandsmäßig-rechtswidrige Beleidigungen angesehen werden. Artikulationen dieser „Güte" treffen die Ehre in ihrem Kernbereich. Der ihr zuteil werdende Schutz nimmt dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nichts von seiner Substanz, beeinträchtigt es nicht einmal unter dem Aspekt der Begrenzung der Ausübung, wenn man sie unter den Standard des civiliter uti stellt. Enthält die ehrverletzende Äußerung auch einen Angriff auf die Menschenwürde, so tritt die Meinungsfreiheit stets zurück (BVerfGE 93 266, 293). 7

Auch wenn der „Wertvorzug" der persönlichen Ehre weniger eindeutig ist, gestattet der Rang des Rechtsguts keine Präsumtionen zugunsten des Rechtsguts der Freiheit der Meinungsäußerung. Vielmehr muss bei der Erfassung und Abwägung der positiven und negativen Vorzugstendenzen für die beiden Güter von Verfassungsrang penible Arbeit geleistet werden (vgl. Stern Hübner-Festschrift, S. 828 und auch BVerfG NStZ 1988 124, 125), jede präjudizierende Formel ist von Übel. Das Bundesverfassungsgericht ist anderer Ansicht: Handelt es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann, so erklärt das Gericht, spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfGE 7 198, 212; 68 226, 232; vgl. auch BVerfGE 12 113, 127; 24 278, 282f; 42 163, 170; 54 129, 137; 93 266, 193; BVerfG NJW 1992 2815; NJW 1999 2262). Diese Vermutung wird verstärkt, wird fast zur praesumtio iuris et de iure, wenn es um ehrenrührige Äußerungen in Wahlkämpfen geht (BVerfGE 61 1, 11). Die Argumentationsfiguren der Vermutung und der Wechselwirkung, die zumindest dort unangebracht sind, wo eine Lösung für die Kollision gleichrangiger Rechtsgüter zu finden ist, sind - wie es bei Leerformeln häufig der Fall zu sein pflegt - Teil eines operativen Instrumentariums, dessen Gebrauch und Resultate nicht überzeugen. In Verbindung mit dem Nimbus, der bestimmten Zwecken der Meinungsäußerung in idealtypischer Betrachtung verliehen wird, und der Abwertung von Verlautbarungen desjenigen, der in privatum parliert oder gar „im wirtschaftlichen Verkehr eigennützige Zwecke verfolgt" (vgl. BVerfGE 7 198, 212; 42 163, 170; 54 129, 137; 61 1, 11; Otto NJW 1986 1206, 1210 m.w. N.), bewirken sie, dass „Ehrenschutz im öffentlichen Meinungskampf ... im Zweifel nicht stattfindet, es sei denn, der Äußernde verbreitet unrichtige Tatsachenbehauptungen oder falsche Zitate" (Schmitt Glaser JZ 1983 95; kritisch auch Kriele NJW 1994 1898; Tettinger Die Ehre - ein ungeschütztes Verfassungsgut? (1995) S. 28; Tröndle Odersky-FS, S. 266; Buscher NVwZ 1997 1057, 1059; Stark Kriele-FS, S. 235, 237). Richtigerweise ist im methodischen Vorgehen an dem festzuhalten, was auch bei Anwendung des § 193 geboten wäre. Die Lösung ist mit Hilfe des Prinzips des überwiegenden Interesses zu suchen, also danach zu fragen, welche Interessen in Stand: 31.3.2005

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Berücksichtigung aller Wertungsfaktoren (Vorzugstendenzen positiver und negativer Art) des Einzelfalls mehr Gewicht haben. Im Rahmen der Gesamtabwägung erlangt auch der Gesichtspunkt der reaktiven Verknüpfung einer Äußerung mit den „von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder aufgestellten Behauptungen", mit der Rolle, die der Beleidigte im Rahmen einer Auseinandersetzung oder eines Geschehens spielte, mit dem Verhalten, das er an den Tag legte (vgl. BVerfGE 12 113, 131; 24 278, 286; 54 129, 138; 61 1, 13; BGHSt. 12 287, 294; 36 83; OLG Koblenz NJW 1978 1816), einen nicht geringen Stellenwert, weil die Veranlassung eines Interessenkonflikts in der Regel als ein wesentlicher negativer Bewertungsfaktor zu Buche schlägt (BVerfGE 61 1, 13; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 250). Wenn die Reaktion auf das Verhalten des Beleidigten „adäquat" und vergleichbar formuliert (BVerfGE 75 369, 380) ist, handelt es sich - wie das Attribut besagt - um eine tatsachenbezogene und tatsachenbegrenzte Wertung, die lediglich den evaluativen Gehalt der Fakten oflenlegt. Sie kann infolgedessen nicht rechtswidrig sein (§ 185 Rdn. 6 und 7; BVerfGE 24 278, 282 f; 54 129, 138; BayObLG NStZ 1983 265, 266; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 164, 166; OLG Koblenz aaO; OLG Köln NJW 1977 398; Otto JR 1983 1, 7). Der Begriff der Adäquanz darf zwar nicht eng ausgelegt werden. Aber es versteht sich von selbst, dass nicht jede Reaktion adäquat ist (vgl. BGH NJW 1974 1762 ff; OLG Hamm NJW 1982 659, 661; § 185 Rdn. 6). Dieses Recht zum Gegenschlag erlaubt auch dem Verfahrensbeteiligten die Benutzung starker und eindringlicher Ausdrücke zur Unterstreichung seiner Rechtsposition (BVerfG StV 1991 458, 459). Scharfe und drastische Formulierungen ebenso wie die übertreibende und verallgemeinernde Kennzeichnung des Gegners können im Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen Meinungsfreiheit und den allgemeinen Gesetzen auch außerhalb des Gegenschlags gerechtfertigt sein (BGH NJW 2000 3421; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; NStZ 1991 493). 3. Die Konsumtion von § 193 durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Werke der Kunst sind in 8 der Regel Äußerungen mit Sinngehalt. Erschließt er sich dem Betrachter nur schwer oder nur mit Hilfe eines Kommentars, spricht man von „Reflexionskunst". Der Sinngehalt kann ehrenrührig sein. Was gilt dann? Die Kunst ist frei, sagt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Tucholsky und andere Künstler meinten, sie dürfe - jedenfalls in Gestalt der Satire - „alles" (vgl. BVerfGE 75 369; Geppert JR 1985 430; Würtenberger NJW 1982 610, 612). „Alles" ist des Guten zuviel. Wenn es einen „alles" gestattenden Künstlerbonus (Otto JR 1983 1, 10) gäbe, wenn man eine ehrenrührige Kundgabe „durch Einkleidung in eine besonders gelungene Form gegen Rechte anderer immun machen könnte", würde das zu einer kaum erträglichen Privilegierung derjenigen führen, die in der Lage sind, ihre Äußerungen als Emanationen künstlerischen Schaffens zu verlautbaren (OLG Stuttgart NJW 1976 628, 629). Das ist zwar, wenn man den Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legt (BVerfGE 30 173, 188 f; 67 213, 226; 75 369, 377; 81 298, 305; umfassend Würkner, Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst [1994]), nicht allzu schwer, denn eine Niveaukontrolle findet danach nicht statt. Aber es wird immerhin eine „freie schöpferische Gestaltung" gefordert, und manche meinen, dieses Postulat bedinge eine geistige oder gar eine „vergeistigte" Auseinandersetzung des Künstlers mit der Welt (Otto NJW 1986 1206, 1209; Würtenberger NJW 1982 610, 614 und 1983 1144, 11450- Eine solche Auseinandersetzung ist nun freilich nicht jedermanns Sache, und man muss sich hüten, in Belangen der Ehre ein Zweiklassenrecht zu schaffen. Zwei Ausgangserwägungen dürften dem Streit der Meinungen entrückt sein: (1.) 9 Allein mit Hilfe des Kunstbegriffs lassen sich Kollisionen künstlerischer Aussagen mit der Ehre der von solchen Aussagen Betroffenen nicht lösen. (2.) Die Schranken der (77)

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Kunstfreiheitsgarantie und des Grundrechts der Kunstfreiheit können Art. 5 Abs. 2 G G nicht entnommen werden (vgl. BVerfGE 30 173, 191, 200; 67 213, 228; 75 369, 377). Daraus folgt: Die Schranken sind im Wege der Verfassungsinterpretation zu finden. Das Grundgesetz macht „die Beachtung bestimmter Werte und Sinnbezüge zur Pflicht" (Larenz Methodenlehre 5 [1983] S. 346). Die Ehre wird von ihm unmittelbar, als Verfassungsrechtsgut, geschützt (Rdn. 5). Gerät eine künstlerische Aussage im „Werk- oder Wirkbereich" (BVerfGE 30 173, 189; 67 213, 224; BVerfG NStZ 1988 124) in Konflikt mit der „persönlichen Ehre", handelt es sich um einen intrakonstitutionellen Konflikt. Er ist „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems" zu lösen (BVerfGE 30 173, 193; vgl. auch BVerfGE 67 213, 228, Isensee AfP 1993 619, 625). Das heißt: Auch die Freiheit der Kunst ist kein isolierter Höchstwert der verfassungsmäßigen Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen wären (BGHZ 50 133, 146). Vielmehr sind die persönliche Ehre und die Freiheit der Kunst einander zuzuordnende Werte von gleichhohem (Verfassungs-)Rang. Die Entscheidung darüber, ob eine ehrenrührige künstlerische Aussage nicht tatbestandsmäßig oder zwar tatbestandsmäßig, aber gerechtfertigt ist, kann nur das Ergebnis einer Abwägung sein, die unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls (BVerfGE 30 173, 195; BVerfG NStZ 1988 124) nach Maßgabe des verfassungsrechtlichen Wertgefüges getroffen wird, das in der Würde des Menschen seinen obersten, nicht zur Disposition stehenden Wert hat (BVerfGE 30 173, 193f; 75 369, 380). Es erfolgt eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (BVerfGE 81 278, 291 mit krit. Anm. Gusy JZ 1990 640; BGHSt. 37 55; BayObLG M D R 1994 80, 81). Methodisch verläuft die Abwägung nicht anders als in Fällen der Kollision des Grundrechts der Meinungsfreiheit mit dem Recht der persönlichen Ehre (Rdn. 6 und 7; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 249; Otto NJW 1986 1206, 1210; Würtenberger NJW 1982 610, 615). 10

Aber die Abwägung spielt sich in aller Regel auf der Ebene des Tatbestands ab und in sie sind kunstspezifische Gesichtspunkte einzubringen. Um die Frage der Tatbestandsverwirklichung geht es, weil (anders als in Fällen der Meinungsäußerung mit eindeutiger Schranke) ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht positiviert ist. Die Verletzung der Ehre durch eine künstlerische Äußerung indiziert nicht ohne weiteres die Rechtswidrigkeit. Die Freiheit der künstlerischen Gestaltung schiebt in Relation zur jeweiligen künstlerischen Äußerungsform (vgl. BVerfGE 30 173, 189; 67 213, 224; 75 369, 378; § 185 Rdn. 22 bis 24) die tatbestandlichen Grenzen hinaus (BGHZ 50 133, 145; aA Geppert JR 1985 430, 431). Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass - wie in Fällen der Meinungsäußerung - der Wertvorzug der persönlichen Ehre eindeutig sein kann (vgl. BVerfGE 30 173, 193 f; 75 369, 380; BGHZ 50 133, 147; Rdn. 6). Eine Verletzung der Menschenwürde kann dabei nie gerechtfertigt sein (BVerfGE 75 369, 380 mit Bspr. Würkner NStZ 1988 23 [zur Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein]; OLG Karlsruhe NJW 1994 1963; BayObLG NJW 1994 952; NJW 1995 145, 146). Zu den für die Freiheit der künstlerischen Äußerungen sprechenden kunstspezifischen Vorzugstendenzen gehören die Eigenheiten, die eine Kunstgattung prägen, ein Bewertungsfaktor, der insbesondere bei Karikaturen und Satiren eine wesentliche Rolle spielt (BVerfGE 75 369, 378; § 185 Rdn. 23 und 24). Zu den negativen Bewertungsfaktoren gehört die Nähe einer Kundgabe in künstlerischer Form zur direkten ehrenrührigen Äußerung, also zu einer Aussage, in der die Ebene der Lebenswirklichkeit nicht verlassen, ohne Verfremdung des Stoffes in eine aktuelle geistige (politische) Auseinandersetzung eingegriffen wird oder mit dem Anspruch der Dokumentation, der Evidenz oder der historischen Wahrheit Fakten behauptet werden. Denn der Verzicht auf Verfremdung, auf Umformung und Sublimierung der „Realien" (BVerfGE Stand: 31.3.2005

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30 173, 193) und auf ihre Einbeziehung in eine „poetische Wirklichkeit" (vgl. BVerfGE 30 173, 195 und 198; BGHZ 50 133, 146; BGH NJW 1975 1882, 1884; 1983 1194, 1195 mit Anm. Zechlin; OLG Stuttgart NJW 1976 628, 629; § 185 Rdn. 22) nimmt der künstlerischen Aussage den ästhetischen Aspekt. „Wo aber der Künstler auf der sozialen Wirklichkeitsebene verharrt und den ,Realitätsbezug' selbst als Gestaltungsmittel einsetzt, ist die dadurch herbeigeführte Konfliktssituation nicht unvermeidbar mit dem Wesen künstlerischer Gestaltung verknüpft, mag auch das so Geschaffene der Kunst zuzurechnen sein und der Autor sein Anliegen anders nicht verwirklichen können" (BGH NJW 1975 1882, 1884). Nach anderer Auffassung ist Art. 5 Abs. 2 G G anzuwenden, wenn „die Meinungsäußerung des Künstlers eindeutig vor der ästhetischen Wirkung des Kunstwerks steht" (Otto JR 1983 1, 10 m.w.N.; ders. NJW 1986 1206, 1210; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1976 628, 630). Zu dieser Auffassung, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geteilt wird (vgl. BVerfGE 30 175, 191, 200; 67 213, 228; 75 369, 377; BVerfG NStZ 1988 124; BGHZ 50 133, 145), besteht in der Sache kein erheblich ins Gewicht fallender Unterschied. Nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallt die Kritik an künstlerischen Leistungen (BVerfG NJW 1993, 1462; Kastner NJW 1995 822, 827; TröndlelFischer52 37). IV. Anwendungsbereich des § 193. Die Gründe, die nach § 193 dazu führen, dass 11 wegen Beleidigung nicht bestraft wird, kommen bei allen Tatbeständen des 14. Abschnitts in Betracht (§ 187 Rdn. 5; § 189: BGH StV 1987 533, 534; Lackner !Kühl25 3; Tröndlel Fischer52 3; Zaczyk N K 9; aA Rudolphi SK 2; Sehl Schröder!Lenckner26 2). Den primären Anwendungsbereich bilden die Fälle der ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen. Für die einfache Beleidigung durch Werturteil (Meinungsäußerung) hat § 193 allerdings seine konstitutive Bedeutung weitgehend verloren (Rdn. 4 bis 7). Dass sie - sei es nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, sei es nach § 193 (vgl. BGHSt. 12 287, 293) gerechtfertigt sein kann, steht außer Frage. 3 Den Bereich der formalen Beleidigung schließt § 193 selbst aus (vgl. dazu RGSt. 60 335, 336; OLG Frankfurt aaO; OLG Hamm NJW 1982 659, 661; OLG Koblenz aaO 1817; Reinhardt Festschrift für Heinrich Lange, S. 203; TröndlelFischer52 3; aA Lackneri Kühl25 3). § 193 gilt nicht für Straftaten, die keine Ehrverletzungsdelikte sind (RGSt. 10 272; 31 66; OLG Stuttgart NStZ 1987 121, 122; Lackneri Kühl25 4; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 243 ff klare Darlegung des Diskussionsstands und überzeugende Stellungnahme; Rudolphi SK 3; Sehl Schröder! Lenckner26 3). Straftaten nach Vorschriften der Landespressegesetze machen keine Ausnahme (BGH bei Herían G A 1955 79; RGSt. 64 134, 135; BayObLGSt. 1962 93, 94; aA OLG Hamburg NJW 1954 1297). Eine Rechtfertigung nach § 193 erstreckt sich nicht auf ein mit der Beleidigung tateinheitlich zusammentreffendes Delikt. Allein aus diesem Zusammentreffen kann aber andererseits nicht abgeleitet werden, dass § 193 auf das Ehrverletzungsdelikt nicht anwendbar sei (SehlSchröder!Lenckner26 3; aA RGSt. 39 182; 50 56). Zur Anwendbarkeit des § 193 in Dienststrafsachen vgl. Adam JR 1959 12. § 193 kann erst angewendet werden, wenn der äußere und innere Tatbestand einer Beleidigung nachgewiesen ist (BayObLGSt. 1983 32, 35 = NJW 1983 2040, 2041; NJW 1999 1982; OLG Köln NJW 1964 2111; TröndlelFischer52 2). In Fällen ehren-

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Ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BGH NJW 1965 1476; 1974 1762; BGH StV 1987 533; BayObLG 20 115; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm GA 1974 62; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; OLG Koblenz

NJW 1978 1816; OLG Köln NJW 1977 398; und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (z.B. BVerfGE 12 113ff; 24 278ff; 42 143ff; 42 163ff; 54 1291Γ; 61 1ff;68 226ff; 93 266ff; 99 185Π).

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rühriger Tatsachenäußerung darf die Frage der Rechtfertigung nach § 193 erst gestellt werden, wenn die Wahrheit dessen, was behauptet oder verbreitet wurde, geprüft worden und der Wahrheitsbeweis gescheitert ist (§ 190 Rdn. 5; BGH NJW 1959 2011, 2013; OLG Frankfurt NJW 1989 1367; BayObLG NJW 1999 1982; aA Lackneri Kühl25 4; Graul NStZ 1991 457).

V. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche und andere Leistungen 13

Sachliche Kritik ist nicht tatbestandsmäßig. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen (und in „ähnlichen Fällen") bedürfen der Rechtfertigung erst dann, wenn der Tadelnde dem, der die Leistung erbracht hat, einen Mangel an Ehre (ein schuldhaftes Versagen gegenüber einer ethischen oder rechtlichen Pflicht oder eine elementare menschliche Unzulänglichkeit) vorwirft (Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 246; Rudolphi SK 5; SehlSchröder!Lenckner26 5; TröndlelFischer52 6). Nicht tatbestandsmäßig ist auch das zwar ehrenrührige, aber erwiesenen Tatsachen adäquate Werturteil (§ 185 Rdn. 5). Wird der personale Geltungsanspruch durch eine ad personam zielende Kritik oder eine überschießende Wertung verletzt, fragt es sich, ob die Verletzung auf Grund der Umstände des Falles sich als eine noch erlaubte (gerechtfertigte) Form der Kritik (oder Meinungsäußerung) darstellt (OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; Sehl Schröder!Lenckner26 5; Rdn. 6 und 7).

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Der Umfang dessen, was dem Bereich der wissenschaftlichen, künstlerischen oder gewerblichen Leistungen und dem der „ähnlichen Fälle" zuzurechnen ist, war von jeher umstritten. Die Einbeziehung von Urteilen über Leistungen von Anwälten und Ärzten (RG JW 1913 940 Nr. 17), von Krankenanstalten und versorgungsrechtlichen Untersuchungsstellen (BGH M D R 1956 735), von öffentlichen Verkehrsbetrieben (vgl. RGSt. 64 10, 13), Landwirten, Kaufleuten, Artisten und Berufssportlern (vgl. Frank Anm. III 5; Welzel S. 323) stieß nicht auf Widerspruch. Gegen die Qualifizierung richterlicher Urteile als wissenschaftliche Leistungen im Sinne des § 193 wandte sich das Reichsgericht (vgl. RGSt. 40 348) jedoch ebenso wie gegen die Einbeziehung der „Dienstführung öffentlicher Behörden und Beamten" in den Bereich der Kritikfreiheit. Die „sachgemäße Wirksamkeit" behördlichen Tuns sei gewährleistet. Kritik gegenüber den Behörden und Beamten, die sich zu Beleidigungen „versteige", könne das Ansehen untergraben und diene „nicht zum allgemeinen Besten" (RGSt. 39 312; RG JW 1923 516 Nr. 1 mit Anm. Alsberg-, RG H R R 1930 1776). Diese Zeiten sind vorbei. Unter dem Aspekt des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist eine Aktualisierung geboten, die den gesamten Bereich der Tätigkeit der öffentlichen Behörden und Beamten, der Gerichte und Richter, der Parlamente und Abgeordneten, der politischen Parteien und ihrer Funktionäre den tadelnden Urteilen bis zur Schranke der Formalbeleidigung eröffnet (OLG Düsseldorf NJW 1992 1336; Rudolphi SK 6; SehlSchröder/Lenckner26 5; TröndlelFischer52 6; Uhlitz NJW 1967 129, 133), wenn und soweit der Begriff der Leistung anwendbar ist. Unter diesem Begriff ist das auf einem bestimmten Sachgebiet erzielte Ergebnis menschlichen Wirkens zu verstehen, dessen sich der Leistende entäußert hat und das selbständiger Gegenstand der Beurteilung durch andere sein kann (so die Begründung zu § 178 E 1962). Da das Gesetz selbst „ähnliche Fälle" einbezieht, ist eine enge Interpretation fehl am Platze. Der Begriff setzt eine Verkörperung nicht unabdingbar voraus. Auch Unterlassungen können zu bewertbaren Ergebnissen führende Entäußerungen sein. Gegenüber der Presse und anderen Massenmedien gilt „gewerbliche Leistungen" erfassende KritikStand: 31.3.2005

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freiheit mindestens insoweit, wie die verbreiteten Äußerungen im Dienste des Informationsinteresses der Allgemeinheit stehen (vgl. BVerfGE 12 113, 131 f; BGHZ 45 296, 308 ff; wie hier Rudolphi SK 6; SehlSchröder!Lenekner26 5). Es spielt für die Kritikfreiheit keine Rolle, ob eine „richtige" oder eine „falsche", eine „wertvolle" oder „wertlose" Meinung vertreten wird. Die Meinung des Außenseiters und des Dilettanten hat nicht weniger Spielraum als die des Konformisten oder des Experten (BVerfG E 61 1, 7; BGHZ 45 296, 306; BGH NJW 1965 294; 1974 1762). Ob den Tadelnden der Gegenstand seiner Kritik „nahe angeht" oder nicht, ist ohne Bedeutung (Uhlitz aaO 132). In Uneinsichtigkeit und Unsachlichkeit allein liegt noch keine Formalbeleidigung im Sinne von § 193 (vgl. BGHSt. 19 311, 317). VI. Ausführung oder Verteidigung von Rechten. Zu den Äußerungen zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten gehören alle Handlungen, welche die Geltendmachung eines Rechts vorbereiten oder sichern oder der Abwehr eines eingeleiteten oder erwarteten Rechtsangriffs dienen sollen ( Welzel S. 323). Bei der Anwendung des § 193 sind die Ausstrahlung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 G G und das Grundrecht der freien Meinungsäußerung zu berücksichtigen (BVerfG NJW 1991 2074, 2075; NJW 2000 199; KG StV 1997 485; OLG Düsseldorf NJW 1998 3214, 3215; TröndlelFischer52 7). Der Rechtfertigungsgrund gilt nicht nur für den, dessen Rechte ausgeübt oder verteidigt werden, sondern auch für seinen (gesetzlichen oder gewählten) Vertreter, insbesondere für den Prozessbevollmächtigten und den Verteidiger. Parteien und Anwälte dürfen im Verfahren vortragen, was rechtserheblich sein kann, wenn seine „Unhaltbarkeit oder besondere Bedenklichkeit nicht von vornherein offen auf der Hand liegt" (RGZ 140 392, 397; ähnlich BGH NJW 1962 243, 244 = JZ 1962 486, 487 mit Anm. Weitnauer). „Unhaltbar" ist außer dem unwahren Vortrag insbesondere das willkürliche, nicht auf Anhaltspunkte gestützte Vorbringen (BayObLGSt. 1952 164 = JR 1953 192). Aus den vorgetragenen Tatsachen dürfen die mit dem Prozessgegenstand in Zusammenhang stehenden Folgerungen bis zur Grenze der Formalbeleidigung gezogen werden, sofern es sich nicht um haltlose (willkürliche) Vermutungen handelt (BGH aaO; OLG Hamburg M D R 1980 953). Solange diese Grenze nicht überschritten wird, dürfen Wertungen „auch in starken, eindringlichen Ausdrücken und sinnfälligen Schlagworten" geäußert werden (BVerfG NJW 2000 199, 200; OLG Hamburg M D R 1984 940). Es kommt nicht darauf an, ob eine ehrenrührige Kundgabe sich gegen den Prozessgegner richtet (vgl. OLG Celle NJW 1961 231: Der Beklagte trägt im Unterhaltsprozess vor, der verheiratete X habe in der Empfangniszeit mit der Mutter des Kindes Geschlechtsverkehr gehabt; BayObLG 11 295: Anzweiflung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen; OLG Hamburg JW 1938 3104 Nr. 6; JR 1997 521: Angriffe gegen einen Zeugen). Der Mandant darf sich gegenüber seinem Anwalt frei aussprechen. Er darf auch einen ungeprüften Verdacht äußern und sich darauf verlassen, dass der Anwalt sich Gedanken darüber macht, was schriftsätzlich verwertbar ist (KG DStR 8 62; OLG Celle aaO 232). Der Mandant kann aber eine Beleidigung in mittelbarer Täterschaft begehen, wenn er durch Irreführung seines Prozessbevollmächtigten erreicht, dass der Tatsachenvortrag unwahre oder haltlose ehrenrührige Behauptungen enthält (OLG Celle aaO). Der Anwalt seinerseits hat nur minimale Prüfungspflichten. Er kann „weitgehend" auf der Grundlage der Informationen seines Mandanten argumentieren und darf sich sagen, dass der Gegner schon seine Sicht der Dinge vorbringe und der streitige Sachverhalt im gerichtlichen Beweisverfahren seine Klärung erfahren wird (BGH aaO; OLG Köln NJW 1979 1723). Eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteilten Tatsachen ist nicht erforderlich, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte für eine ehr(81)

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verletzende Tatsachenbehauptung vor (BVerfG NJW 2003 3263, 3264). Leichtfertig darf der Anwalt allerdings weder in Bezug auf die Tatsachengrundlage seiner Argumentation noch in seinen Folgerungen sein (OLG Hamburg M D R 1980 953). Er muss insbesondere Tatsachenbehauptungen nachprüfen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit oder Haltlosigkeit hat und die Überprüfung schnell und mit zuverlässigem Ergebnis vorgenommen werden kann. Ein Verteidiger darf in seinem Plädoyer dem Verteidigungsinteresse den Vorrang vor den Gefühlen der Opfer einräumen. Die nachdrückliche Wahrnehmung dieses Interesses kann auch Verunglimpfungen rechtfertigen (BGH StV 1987 533, 534). Werden neben wertenden Äußerungen auch ehrverletzende Tatsachen vorgetragen, so ist bei Überwiegen der wertenden Elemente auch eine drastische und polemische Sachverhaltsbehauptung zulässig, es sei denn, die Tatsachen werden bewusst unrichtig dargestellt, ihre Unhaltbarkeit liegt auf der Hand oder die wertenden Schlussfolgerungen stehen in keinem vertretbaren Verhältnis zur zutreffenden Tatsachenbehauptung (OLG Düsseldorf NJW 1998 3214; BayObLG JZ 2001 717 mit Anm. Otto; NStZ-RR 2002 40, 41 f; HansOLG Bremen NStZ 1999 621; TröndlelFischerei8). 16

Für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die ein Anwalt von sich aus aufstellt, trägt er die volle Verantwortung (RG H R R 1941 840). Die Verurteilung wegen übler Nachrede in einem Verfahren, das in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endete, steht der Wiederholung der ehrenrührigen Tatsachenäußerung in einer Klage nicht entgegen, wenn die Annahme der Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses nicht haltlos ist (OLG Hamm NJW 1961 520). Zur Aufrechterhaltung beleidigender Äußerungen im Sühnetermin und im Strafverfahren und zur Erweiterung (Vertiefung) des ehrenrührigen Vorwurfs vgl. BayObLGSt. 1958 244, 245 und OLG Braunschweig GA 1962 83. Was ein Beschuldigter und sein Verteidiger im Rahmen der Stoffsammlung oder aus anderen auf das Verfahren bezogenen Gründen tun, gehört zur Rechtsverteidigung. Die Auskunft, die jemand erteilt, der von ihnen darum angegangen worden ist, gehört in die Kategorie der „ähnlichen Fälle" (RGSt. 59 172, 174; BayObLGSt. 1953 109; 1964 131). Sie erstreckt sich auch auf die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen (BGH bei Daliinger M D R 1953 147; OLG Stuttgart NJW 1967 792 mit Anm. Roxiri). Wer dem Angeklagten oder dessen Verteidiger eine Auskunft erteilt oder wer als Zeuge aussagt und dabei ehrenrührige Bekundungen über einen anderen macht, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Bekundungen zur Sache gehören, dem Wissen oder der Überzeugung entsprechen und die Form oder die Umstände nicht den Tatbestand der Formalbeleidigung erfüllen. Für Auskünfte, die eine Prozesspartei zum Zwecke der Beschaffung von Prozessmaterial einholt, gilt nichts anderes (BayObLGSt. 1953 109). Zum Problem des zivilrechtlichen Ehrenschutzes gegenüber Parteivorbringen und Zeugenaussagen im Zivilprozess vgl. BGH NJW 1962 243 = JZ 1962 486 mit Anm. Weitnauer, BGH NJW 1971 284; BGH M D R 1973 304; OLG Hamburg M D R 1984 940; Helle G R U R 1982 297; ders. NJW 1987 233; Walchshöfer M D R 1975 11; Walter JZ 1986 614.

VII. Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen 17

1. Die Interessenkollision. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen setzt nicht voraus, dass das Schutzgut, um das es dem Täter geht (es kann auch seine Ehre sein: RG JW 1926 1185 Nr. 27), höherwertig als der Anspruch des Betroffenen auf Achtung seiner Ehre ist. Die rechtfertigende Interessenkollision ist aber nicht zutreffend gekennzeichnet, wenn gesagt wird, das Interesse des Täters dürfe nicht geringer zu Stand: 31.3.2005

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bewerten sein (so aber BGHSt. 18 182, 184), es müsse zumindest gleichrangig sein (OLG Frankfurt NJW 1991 2032, 2035; TröndlelFis eher52 9), es müsse ein „vertretbares Verhältnis" zwischen dem von ihm erstrebten Zweck und der Herabsetzung fremder Ehre bestehen (BGHZ 31 308, 313), Mittel und Zweck dürften nicht in einem „auffälligen Missverhältnis" zueinander stehen {Maurach BT 5 § 19 II C 2b). Das Interesse des Täters muss überwiegen (BayObLG NJW 1995 2501, 2503; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1935; Hubmann Persönlichkeitsrecht § 20; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 248 f; Rudolphi SK 9; Sehl Schröder! Lenckner26 12). Beim Interessenvergleich kommt es aber nicht nur auf die abstrakte Rangordnung der (in aller Regel nicht kommensurablen) Schutzgüter an, sondern auf alle sich aus den Umständen des Einzelfalls ergebenden Bewertungsfaktoren. Sie können das Gewicht kollidierender Werte verstärken oder abschwächen. Damit wird nicht geleugnet, dass Werte als solche von so überragender Bedeutung sein können, dass sie einer in jeder Abwägung liegenden Relativierung entzogen sind (vgl. BVerfGE 47 187, 227; 75 369, 380) oder doch in aller Regel Vorrang beanspruchen dürfen (vgl. BGH StV 1987 533, 534 zum Verteidigungsinteresse im Falle eines schweren Tatvorwurfs). Ist abzuwägen, sind positive oder negative Vorzugstendenzen (Bewertungsfaktoren) ζ. B. aus der Schwere eines Vorwurfs oder Verdachts, aus dem Verbreitungsgrad und der Intensität der ehrenrührigen Äußerung des Täters, aus dem Risiko, das in der Wahrheitsfrage eingegangen werden muss (also aus der guten oder schlechten Fundierung einer Behauptung oder Meinungsäußerung), aus der reaktiven Verknüpfung, aus dem höheren oder geringeren Informationsinteresse der Öffentlichkeit, aus der persönlichen Nähe oder Distanz des Täters zu den wahrgenommenen Interessen, aus dem Zweck, den er verfolgt, abzuleiten (vgl. Rdn. 7; BGHZ 31 308, 313; 45 296, 309; 95 212, 219; BGH NJW 1974 1762, 1763; 1975 1882, 1885; 1977 1288, 1289; 1978 1797, 1798; RGSt. 62 83, 93; OLG Hamm NJW 1982 659, 660; 1982 1656, 1658; 1987 1034, 1035; Hubmann aaO; Zippelius Hubmann-Festschrift, S. 514f). 2. Die Berechtigung des wahrgenommenen Interesses. Das wahrgenommene Interesse muss berechtigt sein. Es muss ein Zweck verfolgt werden, der dem Recht oder den guten Sitten nicht zuwiderläuft (BGHZ 39 124, 128; RGSt. 15 15, 17; 34 222, 223; Lackner ¡Kühl25 5; Rudolphi SK 11). An der Erörterung eines Skandals oder einer Sensation kann ein echtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehen. Es ist etwas missverständlich, wenn (in BGHSt. 18 182, 187) gesagt wird, dass Berichte und Kommentare, denen es auf Skandal und Sensation ankomme, von vornherein ausscheiden. Neugier, Sensationslust und Gefallen am Klatsch allein begründen allerdings kein berechtigtes Informationsbedürfnis (BGHZ 24 200, 208; 39 124, 128). Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Angelegenheiten aus der Privat- und Familiensphäre kann nur in Ausnahmefallen und nicht allein schon deshalb, weil sie eine im öffentlichen Leben stehende Person betrifft, als berechtigt angesehen werden (BGHSt. 18 182, 186; BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel·, BGHZ 39 124, 128f; 73 120, 122 ff). Nicht anerkennenswert ist das Interesse an der Herbeiführung eines Verfahrens wegen Beleidigung, um in diesem Verfahren einen abgeschlossenen Rechtsstreit wieder „aufrollen" (RGSt. 74 261) oder um mit Hilfe des erhofften Beweisergebnisses die Lage in einer anderen Rechtsangelegenheit verbessern zu können (BGH bei Daliinger M D R 1956 10). Bei Prüfung der Frage, ob ein Interesse berechtigt ist, muss von den Vorstellungen des Täters ausgegangen werden, wenn sie nicht die Folge eines vorwerfbaren Fehlverhaltens bei Klärung des Sachverhalts, also in der Wahrheitsfrage sind (Rdn. 2).

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3. Die Berechtigung des Täters. Der Täter muss das anerkennenswerte Interesse als dazu Berechtigter wahrnehmen. Es muss ihn persönlich angehen. Es kann ein eigenes oder ein fremdes sein, dem er so nahe steht, dass er sich nach billiger und vernünftiger Beurteilung der Verhältnisse zu seinem Verfechter machen darf. Das wird insbesondere der Fall sein bei naher Verwandtschaft, enger Freundschaft, langjährigen Arbeitsverhältnissen (RGSt. 63 229, 231; BayObLG NJW 1965 58; LackneriKühl25 6; Rudolphi SK 13; TröndlelFischer52 11). Die Wahrnehmung eigener Interessen kann einem anderen übertragen werden, z.B. einem Rechtsanwalt, einer Auskunftei, den Organen oder bestimmten Arbeitnehmern einer Gesellschaft, eines Vereins, eines Interessenverbandes (vgl. RGSt. 30 42; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; OLG Köln NJW 1979 1723; Rudolphi SK 14; TröndlelFischer52 12). Die Befugnis zur Interessenwahrnehmung kann sich auch aus einer Amtsstellung (ζ. B. der des Vormunds oder der des Konkursverwalters) ergeben (Rudolphi SK 14). Gemeinsame Interessen kann das Mitglied einer Gruppe (Personengemeinschaft) wahren, wenn ihr Kreis abgegrenzt und überschaubar ist. Dass Landtagsabgeordnete öffentliche Belange verfechten (BGH bei Dallinger MDR 1955 270) und Gemeinderatsmitglieder die Interessen der Gemeinde wahrnehmen dürfen (BayObLGSt. 1955 158 = NJW 1956 354), versteht sich heute von selbst. Ein Teil des Schrifttums lehnt einschränkende Kriterien ab. Jedermann dürfe jedes berechtigte Interesse wahrnehmen, wenn er die im Übrigen der Interessenwahrnehmung gezogenen Grenzen beachtet (Frank Anm. III 2b; Welzel S. 321; differenzierend SehlSchröder!Lenckner26 13). Diese weitgehende „Kompetenzerstreckung" gilt zwar für die „tadelnden Urteile" (Rdn. 13, 14), im Übrigen aber nur dort, wo Interessen der Allgemeinheit wahrgenommen werden. Für jeden Staatsbürger steht „seine Sache" auf dem Spiel, wenn es um die staatlichen Funktionen (in allen ihren Bereichen und auf allen Ebenen), die politische Willensbildung, die Formung der öffentlichen Meinung, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit geht (vgl. BVerfGE 12 113, 125; BGHSt. 12 287, 293; 18 182, 187; BGHZ 31 308, 312; BayObLGSt. 1961 47; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Rudolphi SK 15). Die Rechtsprechung des Reichsgerichts, die auch in „öffentlichen Angelegenheiten" ein eigenes oder ihn nahe angehendes Interesse des Täters forderte, für die Presse und die anderen Massenmedien keine Ausnahme machte (vgl. RGSt. 41 277, 285; 56 380, 383; 62 83, 93; 63 229, 231) und nur die Anzeige strafbarer Handlungen oder von Beamtenverfehlungen bei der zuständigen Behörde für jedermann „freigab", weil das Interesse an der Verwirklichung der Rechtsordnung und demgemäß an der Verfolgung solcher Handlungen jeden berühre (vgl. RGSt. 62 83, 93; 66 1), hat ihre Bedeutung verloren.

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Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film nehmen keine Sonderstellung ein. Was sie im „Öffentlichkeitsbereich" dürfen, darf jedermann (BVerfGE 10 118, 121; 12 113, 125; BGHSt. 18 182, 187; BGHZ 66 182, 187; Rudolphi SK 16; Weitnauer DB 1976 1413, 1415: „Ein Mensch kann unmöglich dadurch ein Mehr an Rechten erlangen, dass er in das Gewand eines Journalisten oder Verlegers schlüpft. Der Leserbrief in der Zeitung kann nicht mit anderen Maßstäben gemessen werden als ein vom Verfasser selbst vervielfältigter und in Umlauf gesetzter Rundbrief). Das Bundesverfassungsgericht prädiziert dann und wann, dass die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spreche, wenn ein „dazu Legitimierter" einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erbringe (BVerfGE 7 198, 212; 61 1, 11). Die Vermutung ist eine etwas mysteriöse Argumentationsfigur (Rdn. 7). Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass es für die Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gleichgültig sei, ob eine Äußerung „wertvoll" oder „wertlos", „richtig" oder „falsch", „emotional" oder „rational" begründet ist (BVerfGE 33 1,14; 611, 7; 85 15; 90 241,247; 93 266,289; vgl. auch Rdn. 14). Stand: 31.3.2005

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Wir brauchen also nicht zu rätseln, welche Qualifikationen es sind, die den in besonderem Maße zur Meinungsäußerung Berufenen auszeichnen. Wenn die Presse und die anderen Massenmedien keine rechtliche, sondern nur eine faktische Sonderstellung auf dem Meinungsmarkt haben, dann kann es nicht darauf ankommen, ob eine Interessenwahrnehmung durch sie (genauer: durch den, der sich mit seiner Äußerung an das Publikum wendet) „im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe" liegt (aA BGHZ 31 308, 312; Lackneri Kühl25 8; Tröndle!Fischer52 33). Es kann sich nur darum handeln, ob berechtigte Informationsinteressen der Allgemeinheit wahrgenommen werden (vgl. BGHZ 24 200, 208; 39 124, 128; BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel·, Rudolphi aaO; SehlSchröder/Lenckner26 15). Was in BVerfGE 20 174/175 zur öffentlichen Aufgabe der Presse gesagt ist, kennzeichnet den zentralen Bereich des Informationsinteresses. Es soll damit nicht abschließend umschrieben sein. Auch die Landespressegesetze stellen keine Beziehung zu § 193 in dem Sinne her, dass der Bereich des wahrnehmbaren Interesses und die öffentliche Aufgabe der Presse zur Deckung gebracht werden. In BVerfGE 34 269, 283 wird ausdrücklich klargestellt, dass die Pressefreiheit nicht auf die seriöse Presse beschränkt ist. 4. Das situationsabhängige Risiko. Ein berechtigtes Interesse, das der Täter wahr- 21 nehmen darf, gestattet den Angriff auf die Ehre eines anderen nur, wenn ein zureichender Verdacht für das Vorliegen eines Mangels an Ehre besteht. Der Täter muss sorgfaltig prüfen, ob er von einem solchen Verdacht ausgehen kann. Ihn trifft eine Informationspflicht. Verhält er sich in der Verdachts(Wahrheits-)frage „leichtfertig", ist sein Tun nicht gerechtfertigt.4 Es ist, wie schon in BayObLGSt. 1956 13, 16 zutreffend ausgeführt wird, unrichtig, die These zu vertreten, „leichtfertig" handele, wer von der Wahrheit eines Verdachts nicht überzeugt sei, sondern zweifele. Nicht in allen Fällen, in denen der Sachverhalt für den Täter ungewiss ist oder er sogar mit der Möglichkeit rechnen muss und rechnet, dass der Verdacht sich nicht bestätigt, kann von ihm verlangt werden, untätig zu bleiben, damit er nicht Gefahr laufe, fremde Ehre zu Unrecht herabzusetzen. Zum Eingehen dieses Risikos ermächtigt ihn § 193, wenn die Abwägung der widerstreitenden positiven und negativen Vorzugstendenzen für ein Handeln „hier und jetzt" und für die Art und Weise der Kundgabe spricht (BGHSt. 3 73, 75; BGH NJW 1977 1288, 1289; Deutsch JZ 1967 95, 96; Hansen JuS 1974 104, 107). Daraus folgt: Die Sorgfalt, die der Täter in der Verdachts(Wahrheits-)frage walten lassen muss (oder: die Höhe des Risikos, das er eingehen darf), ist situations- und konfliktsabhängig. Wer in definitiven Behauptungen einen schweren Vorwurf der Öffentlichkeit unterbreiten will, hat (wenn der Zeitfaktor keine Rolle spielt, keine Gefahr im Verzug ist) das Äußerste an Anstrengungen zu unternehmen, um das Risiko auszuschalten. Für ihn wird gelten, dass er keinen Zweifel mehr haben dürfe. Aus der „Natur der Sache" ergibt sich also, in welchem Ausmaß der Täter „sorgfaltig zu prüfen", sich „gewissenhaft zu erkundigen" (BGHSt. 14 48, 51) hat, welchen „Mindestbestand an Beweistatsachen" er „zusammentragen" muss (BGH NJW 1977 1288, 1289; vgl. außerdem OLG Hamburg ZIP 1992 117 zur Informationspflicht bei Berichten über inoffizielle „Stasimitarbeiter"; BGH NJW 1993 525 zur Prüfungspflicht bei einer betriebsinternen Warnung vor unlauteren Geschäftspartnern und OLG Dresden NJW 2004 1181 zur Informationspflicht bei Behördenauskünften). Die Judikatur, die

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BVerfG NJW 2000 199; 200; BGHSt. 14 48, 51; BGHZ 31 308, 313; BGH NJW 1966 647, 648; 1977 1288, 1289; 1986 2503, 2504; BayObLGSt. 1956 13, 14; 1961 46, 48; Geppert Jura 1985 25,

30 f; LackneriKühl2510; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift, S. 249; Sehl Schröder!Lenckner21· 11; Tröndle!Fischer52 9.

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davon spricht, dass den Täter eine mehr oder weniger weit gehende Informationspflicht treffe und dass er rechtswidrig handele, wenn er „leichtfertig", nur „auf haltlose Vermutungen hin", beleidige, ist eine späte Frucht der Interpretation des Tatbestands der Wahrnehmung berechtigter Interessen. An Stelle der Informationspflicht fungierten zunächst andere Voraussetzungen, wie ζ. B. der gute, nicht mit Zweifeln behaftete Glaube (vgl. Graf zu Dohna JW 1930 1757 und 1930 2580). 22

Dass es um die situations- und konfliktsadäquate Sorgfalt (um das nach der jeweiligen Sachlage erlaubte Risiko) geht, zeigt sich besonders bei der Anzeige von mit Strafe bedrohten Handlungen, von Dienstvergehen oder von Verstößen gegen Standesethik und Standesrecht. In der Tatsache, dass die Stelle angerufen wird, deren Aufgabe die Klärung des Sachverhalts ist (wozu der Anzeigende weder die Befugnis noch in der Regel vergleichbare Möglichkeiten hat), und in dem billigenswerten Ziel der Ermittlungen (Überführung eines Schuldigen oder Entkräftung des Verdachts) liegen Vorzugstendenzen für das Aufklärungsinteresse, die seine Wahrnehmung als gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn für den Verdacht gewisse Anhaltspunkte gegeben sind, wenn er nicht jeder Grundlage entbehrt. Der Anzeigende braucht von der Berechtigung des Vorwurfs keineswegs überzeugt zu sein. Er darf allerdings nicht Tatsachen als gewiss behaupten, an deren Richtigkeit er zweifelt (vgl. RGSt. 29 54, 56; 62 83, 93; 66 1, 3; OLG Köln NJW 1997 1247 zur Aufklärungsanzeige; SehlSchröder/Lenckner26 20; TröndlelFischer52 32). Was für Anzeigen gesagt wurde, gilt entsprechend für Petitionen nach Art. 17 GG. Sie lösen eine sachliche Prüfung aus. Auch im Übrigen sind auf ehrenrührige Behauptungen oder herabsetzende Werturteile in solchen Petitionen die Regeln des § 193 anzuwenden, wenn es um die Frage der Rechtfertigung aus Gründen der Interessenwahrnehmung geht (BGH bei Herían GA 1959 338; OLG Düsseldorf NJW 1972 650, 652; OLG München NJW 1957 795). Art. 17 G G umschreibt nicht einen selbständigen Rechtfertigungsgrund (OLG Düsseldorf aaO 651; Sehl Schröder/Lenckner26 21; aA Arndt NJW 1957 1073). Wer eine bereits gerichtlich oder von der zuständigen Stelle geprüfte und als unwahr festgestellte ehrenrührige Behauptung wiederholt, kann (wenn nicht wichtige Beweismittel unberücksichtigt geblieben sind) kaum mit einer Rechtfertigung seines Verhaltens rechnen. Er handelt zu riskant (vgl. BGH NJW 1966 647, 648; RG JW 1933 961 Nr. 16 mit Anm. Graf zu Dohna; BayObLGSt. 1951 421). Zum besonderen Fall, dass das frühere Verfahren wegen übler Nachrede betrieben wurde und in der Wahrheitsfrage mit einem non liquet endete, vgl. OLG Hamm NJW 1961 520. Mit dem Gesichtspunkt der überschrittenen Risikotoleranz lassen sich Querulantenreprisen erfassen. Denn dem Querulanten eignet die bona fides nicht weniger als der Angriffswille (Graf zu Dohna aaO).

23

Information und Meinungsbeeinflussung müssen im Dienste der Wahrheit stehen. An „Enthüllungen", die falsch sind, besteht kein anerkennenswertes Interesse (vgl. BGHZ 31 308, 318; BGH N J W 1974 1762; 1975 1882, 1883; 1986 2503, 2504). Deshalb sind Presse, Rundfunk und Fernsehen zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet. 5 Aber diese Aussage ist sogleich mit dem Zusatz „im Rahmen des Möglichen" zu versehen (BVerfG aaO). Die Methoden wissenschaftlicher oder gerichtlicher Wahrheitsermittlung kann die Presse (und für die anderen Massenmedien gilt

5

BVerfGE 12 113, 130; BGHZ 31 308, 312f; vgl. auch BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; 1967 94, 95 mit Anm. Deutsch-, BGH NJW 1961 1913, 1914; 1965 2395, 2396; 1966 647, 648;

1977 1288, 1289; 1986 2503, 2504; OLG Düsseldorf NJW 1980 599 f; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; Lackneri Kühl* 11; Tröndlel Fischer52 3 3.

Stand: 31.3.2005

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Wahrnehmung berechtigter Interessen

§193

Entsprechendes) auf G r u n d ihrer besonderen Arbeitsbedingungen in der Regel nicht praktizieren (Coing Ehrenschutz und Presserecht, S. 27). Schon durch den Zwang, aktuell zu bleiben, sind ihre Mittel zur Ermittlung der Wahrheit verkürzt (BGH N J W 1977 1288, 1289). Erforderlich ist „pressemäßige (berufsmäßige) Sorgfalt", die Prüfung der Wahrheitsfrage mit „pressemäßigen Mitteln" (BGH aaO; O L G Frankfurt N J W 1980 597, 598; O L G Köln N J W 1963 1635; 1987 2682, 2683). Erhöhten Informationsmöglichkeiten im Einzelfall entspricht ein Mehr an Erkundigungspflicht. Die Schwere eines Vorwurfs und die Folgen seiner Verlautbarung in aller Öffentlichkeit müssen Anlass zu verstärkten Aufklärungsbemühungen sein. Gefahr im Verzug und der Zwang zur Aktualität sind risikofreundliche Faktoren. Im Bereich der Aufgabe, berechtigte Informationsinteressen wahrzunehmen und an der Bildung der öffentlichen Meinung mitzuwirken, kann es durchaus liegen, sogleich „auf einen Verdacht ehrenrühriger Vorgänge hinzuweisen, dem mit pressemäßigen Mitteln nicht rechtzeitig auf den G r u n d zu kommen ist, sofern der Mangel einer Bestätigung der Information der Leserschaft nicht vorenthalten wird" (BGH aaO; vgl. auch O L G Düsseldorf N J W 1980 599, 600; O L G Köln N J W 1987 2682, 2683). In jedem Falle muss aber ein „Mindestbestand an Beweistatsachen", die für die Richtigkeit einer Behauptung sprechen, „zusammengetragen" sein (BGH aaO). Mit pressemäßiger Sorgfalt ist es nicht zu vereinbaren, eine Mitteilung oder einen Bericht ohne weiteres ungeprüft zu übernehmen (BGH N J W 1963 904; O L G Brandenburg N J W 1995 886, 888) Auf die Richtigkeit von Behördenauskünften darf allerdings in der Regel vertraut werden (OLG Dresden N J W 2004 1181). N u r den erwiesenermaßen unwahren Behauptungen kann die Rechtfertigung nach 2 4 § 193 mit der Begründung versagt werden, der Täter habe sich in der Wahrheitsfrage leichtfertig verhalten. Das Merkmal der Leichtfertigkeit bezieht sich nicht auf die Erweislichkeit, sondern auf die Wahrheit einer Behauptung (RGSt. 63 92, 94; 66 1, 2; R G JW 1936 389 Nr. 21; vor allem BayObLGSt. 1956 13, 14f; O L G Celle N J W 1961 231). Ist eine Behauptung möglicherweise wahr, kann dem Täter nicht vorgeworfen werden, er habe aus Mangel an Sorgfalt die Wahrheit verfehlt. Dass in Fällen des § 193 die Nichterweislichkeit der behaupteten ehrenrührigen Tatsache nicht zu Lasten des Täters gehen kann, ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Wenn es nicht einmal dem Gericht gelingt, in der Wahrheitsfrage über ein non liquet hinauszukommen, kann dem Täter nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er sich in einer für den „Erfolg" (die Annahme einer Interessenkollision) ursächlichen Weise über seine Informationspflicht hinweggesetzt habe. 5. Die Angemessenheit der Interessenwahrnehmung. Der Angriff auf die Ehre eines anderen muss nach Inhalt, Form, begleitenden Umständen und nach seinen von diesen Faktoren abhängigen Auswirkungen das angemessene Mittel zur Wahrnehmung des verfolgten Interesses sein. 6 Unangemessen sind ehrenrührige Äußerungen, die sich zur Interessenwahrnehmung nicht eignen oder die dazu nicht erforderlich sind (BGH M D R 1956 735; O L G Köln N J W 1979 1723; RGSt. 42 441, 443), herabsetzende Behauptungen, die den Sachverhalt verfalschen oder einseitig darstellen, die einen Verdacht als feststehendes Faktum erscheinen lassen oder die Umstände verschweigen, durch welche ein Verdacht entkräftet, erheblich abgeschwächt oder in Frage gestellt wird (BGH N J W 1965 647, 648; 1977 1288, 1289; O L G Düsseldorf N J W 1980 6

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BVerfGE 12 113, 131; BGHZ 39 124, 129; Rudolph SK 22; Sehl Schröder/Lenckner26 9a; Tröndlel Fischer51 15. Eric Hilgendorf

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599f; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; OLG Köln NJW 1987 2682, 2683). Unangemessen sind Meinungsäußerungen, die reine Schmähungen, gehässige und böswillige Schmähkritik, der Hetze dienende Diffamierungen, pure Beschimpfungen oder aus anderen Gründen keine sachbezogenen Kundgaben, sondern lediglich „vorsätzliche Kränkungen" sind (Rdn. 6; BVerfGE 42 163, 171; 61 1, 12; 82 272, 284; 85 1, 16; 93 266, 294; BGH NJW 1974 1762, 1764; 1978 1797, 1798; 1982 2246, 2247). Der Spielraum, den die Judikatur belässt, ist jedenfalls dort, wo es um „Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" oder um die „Kritik staatlichen Handelns" zum Zwecke „öffentlicher Meinungsbildung" geht, groß. Der Begriff der Schmähung ist eng auszulegen, sie liegt nur dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 82 272, 284; 93 266, 294; BVerfG NJW 2003 3760). Im Bereich der politischen Auseinandersetzung liegt eine Schmähkritik nur ausnahmsweise vor (BVerfGE 93 266, 294; krit. SehlSchröder!Lenckner26 16). Bei der Bezeichnung von Soldaten als (potentielle) Mörder liegt eine nicht von § 193 oder Art. 5 Abs. 1 G G gerechtfertigte Schmähkritik dann vor, wenn dieser Äußerung ein über das moralische Meinen hinausgehender Tatsachenkern innewohnt, durch den eine bestimmbare Vielzahl von Personen als sittlich verachtenswert dargestellt wird (BVerfGE 93 266; BVerfG NJW 1994 2943). Teilweise wird vertreten, dass hier das durch Art. 5 Abs. 1 G G geschützte Meinen überwiegt (TröndlelFischer52 22). Nach anderer Ansicht liegt eine unzulässige Schmähkritik vor, da Soldaten als Mörder diffamiert werden (BayObLG NJW 1991 1493, 1495; Herdegen NJW 1994 2933; Rudolphi SK 23; Sehl Schröder ILenckner2616). Je gewichtiger die fragliche Angelegenheit für die Öffentlichkeit ist, desto eher überwiegt der Schutz der freien Meinungsäußerung (BGH NJW 1994 124, 126f; OLG Frankfurt NJW 1989 1367, 1368; SchlSchröderl Lenckner26 16). Wenn sie „nicht offensichtlich abwegig ist", darf der Täter in abwertenden Urteilen seine Grundeinstellung und Grundanschauung nachdrücklich zur Geltung bringen, Angriffe auf sie, die er als unangemessen oder anstößig empfinden konnte, mit Schärfe abwehren (BGHZ 45 296, 308; BGH NJW 1971 1655, 1657; 1974 1762, 1763; BayObLGSt. 1961 46, 48; 1963 174, 178; OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; OLG Köln NJW 1977 398). Gleiches gilt für andere reaktive Verknüpfungen, insbesondere für den „Gegenschlag" (Rdn. 7; BGH NJW 1974 1762, 1763; 1978 1797, 1801; RGZ 140 392, 398f; OLG Hamm NJW 1982 661; 1982 1656, 1657). Die ehrenrührige Kritik desjenigen, der einen Beitrag zum geistigen (politischen) Meinungsstreit liefert, darf unsachlich, falsch, ungerecht, polemisch, banal, geschmacklos, übertreibend, schrill im Ton, ironisch-spöttisch, reißerisch, auf Blickfang bedacht, schonungslos, ausfällig sein, sie darf sich einprägsamer, starker Redewendungen bedienen, der Reizüberflutung durch plakative Formulierungen Rechnung tragen; in Wahrnehmung und Akzentuierung eines nicht völlig unsachlichen Standpunkts darf sich der Täter auch in der Wahl seiner Worte vergreifen. 7 26 „Jedes Maß an Sachlichkeit" darf er allerdings nicht vermissen lassen, „subjektiv weit überzogene abwegige Beurteilungen", „offenkundige Wertungsexzesse" werden weder nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G noch nach § 193 gerechtfertigt (BayObLG NStZ 1983 265, 266; vgl. auch BGH NJW 1974 1762, 1763; OLG Frankfurt NJW 1977

7

BVerfGE 12 113, 131; 24 278, 286; 42 143, 151; 42 163, 171; 54 129, 139; 61 1, 9; 93 266, 289; BVerfG NJW 1992 2815, 2816; 2003 3760; BGH NJW 1974 1762, 1763; 1978 1797, 1801; 1994 124, 126; BayObLG NStZ 1983 265; OLG

Brandenburg NJW 1995 886, 887; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 1656, 1658; OLG Koblenz NJW 1978 1816, 1817; OLG Köln NJW 1977 398, 399; KG StV 1997 485, 486; NStZ-RR 1998 13.

Stand: 31.3.2005

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Wahrnehmung berechtigter Interessen

§193

1353, 1354; OLG Hamm NJW 1982 659, 661). Es ist nicht erforderlich, dass den Kundgabeempfángern Tatsachen mitgeteilt werden, die es ihnen ermöglichen, sich mit den Wertungen des Täters kritisch zu befassen. Meinung darf auch haben und äußern, wer die Meinungsadressaten im Unklaren über die faktischen Grundlagen seines Dafürhaltens lässt (BVerfGE 42 163, 170; BGH NJW 1974 1762, 1763; O L G Hamm NJW 1982 659, 661). Immerhin kann der Verzicht auf die Angabe von „Bezugspunkten" ein Anzeichen für Diffamierungsabsicht des Kritikers sein (BGH aaO 1764). Auch droht ihm, wenn er zur Substantiierung außerstande ist, im zivilen Rechtsstreit der Prozessverlust (BGH NJW 1974 1710, 1711; 1974 1762, 1764). Für das Resultat besagt das Kriterium der Angemessenheit, dass die dem Betroffenen abverlangte Einschränkung des Schutzes seiner Ehre in einem (noch) vertretbaren Verhältnis zum Gewinn an Wertverwirklichung für die vom Täter verfolgten Interessen stehen muss (BGH NJW 1977 1288, 1289; 1978 1797, 1801). Die Frage nach diesem Verhältnis spielt eine Rolle, wenn sich der Täter mit seinen Behauptungen über die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 M R K ) hinwegsetzt (OLG Köln NJW 1987 2682, 2684; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598 f; OLG Brandenburg NJW 1995 886; OLG Dresden NJW 2004 1181, 1182). In Zusammenfassung der Gesichtspunkte, auf welche die Rechtsprechung abstellt 2 7 (Rdn. 25, 26) und in Stellungnahme dazu lässt sich sagen: Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen geben zu Wertungen Anlass. Wer entfaltet, was sie implizit enthalten, greift die Ehre nicht stärker an als derjenige, der sich auf die Fakten beschränkt (§ 185 Rdn. 5). Wertungen muss ein Spielraum eingeräumt werden. Formulierungen, die diesen Spielraum umschreiben, 8 führen dem Richter vor Augen, dass sich auch bei den Rechtfertigungsgründen der freien Meinungsäußerung und der Wahrnehmung berechtigter Interessen das Übermaßverbot auswirkt (OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354). Auf dieses Verbot sollte auch und gerade bei der Beurteilung ehrenrühriger Äußerungen, die im politischen Meinungskampf fallen, stärker Bedacht genommen werden. Bei Tatsachenbehauptungen steht die Sorgfalt in der Wahrheitsfrage (Rdn. 21 bis 24) im Vordergrund. Unangemessen ist die Verfälschung von Fakten (durch einseitige Auswahl, entstellende Akzentuierung oder Anreicherung) und das sinnentstellende Zitieren (BVerfGE 54 208ff; BGH NJW 1978 1797ff; Stoll Jura 1981 135ff). Eine Wertung, die sich auf manipulierte Tatsachen stützt, ist nicht vertretbar. Der Bereich der nicht rechtswidrigen tadelnden Urteile ist größer als es der Wortlaut des §193 andeutet (Rdn. 13, 14). In diesem Bereich bedarf es keiner Abwägung. Die Grenze liegt bei der Formalbeleidigung. Dort liegt sie aber stets. Der Gesichtspunkt der öffentlichen Meinungsbildung gewährt kein „publizistisches Verunglimpfungsrecht auf Gegenseitigkeit" (Maurach BT 5 § 19 II C 3b). Die reaktive Verknüpfung (Rdn. 7) erwächst aus dem gemeinsamen Bezug auf die Sache (OLG Köln NJW 1977 398), nicht aus der Anwendung der Maxime „wie du mir, so ich dir". Sie hat ihren Platz in der Kompensation.

8

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BGH NJW 1979 266, 267: Nur das Recht zur freien Meinungsäußerung ist geschützt, nicht ein Recht zu „freier", nämlich bloß subjektiv für richtig gehaltener Meinungsmissdeutung; BGH NJW 1974 1762, 1763: Auch ein „Recht zum Gegenschlag" gibt keinen Freibrief für polemische Ausfälle, die jedes Maß vermissen lassen; BayObLG NStZ 1983 265, 266: § 193 deckt

nicht subjektiv weit überzogene Beurteilungen; OLG Hamm NJW 1982 659, 661: Weder Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G noch § 193 rechtfertigen offenkundige Wertungsexzesse. Vgl. auch BayObLGSt. 1963 174, 177; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; LG Kaiserslautern NJW 1989 1369, 1371; LG Nürnberg-Fürth NJW 1998 3423 f.

Eric Hilgendorf

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Die „Flucht in die Öffentlichkeit" in Angelegenheiten, für die nicht von vornherein ein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit besteht (im Falle O L G Braunschweig M D R 1948 186 war es bereits vorhanden), kommt in Ausnahmefällen in Betracht, z.B. dann, wenn Vorstellungen bei der zuständigen Behörde erfolglos geblieben sind oder von vornherein als nutzlos erscheinen (vgl. BGHSt. 18 182, 186; RGSt. 15 15, 19; Rudolphi SK 23; SehlSchröderILenckner2610). Die Information eines beliebigen Dritten kann in aller Regel nicht gebilligt werden (RGSt. 59 172, 173). Wer ein berechtigtes privates Informationsinteresse hat, darf aber informiert werden. Es ist gleichgültig, ob er die Information einholt oder ob der Täter von sich aus Mitteilung macht (BayObLGSt. 1953 109f). Diese Ausnahme vom Grundsatz der Täterrelevanz des verfolgten Interesses ist aus zwei Gründen berechtigt: Wer nur informiert, überlässt das Weitere und Entscheidende dem Träger des Interesses. Das berechtigte Informationsinteresse des Einzelnen verdient nicht weniger Anerkennung als das der Allgemeinheit. Auch das berechtigte Informationsinteresse von Interessenverbänden darf erfüllt werden. Im Einzelfall bedarf es allerdings sehr kritischer Prüfung, ob es berechtigt ist (vgl. OLG Köln NJW 1958 802).

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Wenn die Presse dem Informationsinteresse der Allgemeinheit genügen kann, ohne dass sie denjenigen, über den ehrenrührige Fakten verbreitet werden, eindeutig oder erkennbar individualisiert, dann überschreitet die Namensnennung, die Abbildung (OLG Köln NJW 1987 2682, 2684) oder die Individualisierung auf andere Weise die Angemessenheit (BGH JZ 1965 411, 413 mit Anm. Koebel; OLG Frankfurt NJW 1980 597, 598; Rudolphi SK 23; Sehl Schröder! Lenckner26 10; TröndlelFischer52 34). Auch an der Individualisierung - oder gerade an ihr (vgl. BGHSt. 19 235, 238) - muss ein berechtigtes Informationsinteresse bestehen. Das gilt auch für die Gerichtsberichterstattung. Die Schwere der Tat, das Aufsehen, das sie hervorrief, die Öffentlichkeitssphäre, in welcher ein Angeklagter steht, können dieses Interesse begründen. Die Art der Anschuldigung, der Grad der Unsicherheit über den Verfahrensausgang, Gesichtspunkte der Resozialisierung (insbesondere bei Jugendlichen und Ersttätern) können entgegenstehen (vgl. BGH NJW 1963 904; OLG Nürnberg NJW 1996 530). Die Namensnennung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren ist nur zulässig, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die Darstellung keine Vorverurteilung des Beschuldigten enthält und eine Stellungnahme des Beschuldigten eingeholt wurde (BGH NJW 2000 1036f m.w.N.). Generell gilt, dass nicht ohne weiteres aus dem Interesse an der Unterrichtung über bestimmte Vorgänge ein berechtigtes Interesse an der Individualisierung von Personen folgt, die daran beteiligt waren oder davon betroffen sind (BGH JZ 1965 411, 413; Koebel JZ 1966 389).

30

6. Der vom Täter verfolgte Zweck. Nach h. M. muss die Wahrnehmung berechtigter Interessen der vom Täter verfolgte Zweck seines Handelns sein (BGHSt. 18 182, 186; BGH bei Dallinger M D R 1953 401; Zaczyk N K 46; Wessels!Hettinger BT I 28 517). Dieser Auffassung wird entgegengehalten, dass es auch in Fällen des § 193 genügen müsse, wenn der Täter in Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage handle. Das Prinzip des erlaubten Risikos begründe zwar eine besondere Pflicht zur Prüfung der Wahrheitsfrage (vgl. Rdn. 3, 21 bis 23), beschränke aber die Interessenwahrnehmung nicht auf absichtliches Handeln {Lackner¡Kühl25 9; Roxin AT I3 18/48; Rudolphi SK 25; Seht Schröder! Lenckner26 24). Auch nach h. M. wird durch eine Motivbündelung (damit ist gemeint, dass für den Täter auch nicht anerkennenswerte Interessen oder verwerfliche Beweggründe wie Hass, Rache, Wille zur Schädigung mitbestimmend waren) die Rechtfertigung nicht ausgeschlossen (z.B. RGSt. 61 401; BGH NStZ 1987 Stand: 31.3.2005

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Wahrnehmung berechtigter Interessen

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554; BayObLGSt. 1956 13; OLG Köln NJW 1997 1247; OLG Hamburg JR 1952 203). Sie entfallt aber, wenn für den Täter der Zweck der Wahrnehmung berechtigter Interessen überhaupt keine Rolle gespielt hat (BGHSt. 18 182, 187; BGHZ 39 124, 128; BGH NJW 1977 1288, 1289; RGSt. 36 422, 423; 61 401). Eine dritte Ansicht stellt das Erfordernis des subjektiven Rechtfertigungselements der auf Wahrnehmung berechtigter Interessen gerichteten Intention zwar nicht allgemein, aber doch für den Bereich des Informationsinteresses der Allgemeinheit in Frage. Entscheidend müsse sein, ob ein solches Interesse vorhanden gewesen sei und ob der Täter es in angemessener Weise wahrgenommen habe. Auf seine Absicht komme es nicht an. Halte man an ihr als einem subjektiven Tatbestandsmerkmal fest, dann führe das möglicherweise (bei der „seriösen" Presse) zu positiven oder (bei der „Skandalpresse") zu negativen, vereinfachenden Unterstellungen (Dagtoglou DÖV 1963 636). Für das subjektive Rechtfertigungselement sprechen die besseren Gründe. Konstruktive Zwecke sind auf die Dauer nur die, welche in den Mitteln praeexistent sind. Das gilt auch für die Zwecke der Meinungsformung und der Information. Sie können nur praeexistent sein, wenn der Täter sie verwirklichen will. Ehrenrührige Äußerungen, die nur bei Gelegenheit einer Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, weisen weder einen objektiven noch einen subjektiven Bezug zum Rechtfertigungsgrund auf (RGSt. 29 54, 57; BayObLGSt. 1962 48, 50; SehlSchröder!Lenckner aaO). 7. Irrtümer des Täters. Nimmt der Täter irrtümlich die Voraussetzungen deskripti- 31 ver oder normativer Merkmale des Rechtfertigungsgrunds der Wahrnehmung berechtigter Interessen an, liegt nach der eingeschränkten Schuldtheorie ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der zwar den Vorsatz als Tatbestandsvorsatz unberührt lässt, aber den Vorsatz als Schuldform ausschließt (.Herdegen BGH-Festschrift, S. 195, 206 ff; Sehl Schröder!Lenckner16 24; TröndlelFischer52 42). Durch einen Irrtum kann ein Erlaubnistatbestand nicht über seine Grenzen hinaus ausgedehnt werden. Auf Grund seiner Vorstellungen kommt der Täter zu der Annahme, er nehme als Berechtigter ein berechtigtes und überwiegendes Interesse angemessen wahr. Trifft diese Annahme auf der Basis des Vorgestellten zu, bleibt das Rechtfertigungsbewusstsein innerhalb des Erlaubnistatbestands. Ein Irrtum in den Vorstellungen führt zum Erlaubnistatbestandsirrtum. Trifft die Annahme auf der Basis des Vorgestellten nicht zu, liegt ein Subsumtionsirrtum vor, der in aller Regel einen Verbotsirrtum bewirken wird (Herdegen aaO). Das bedeutet: Wenn sich der Täter über die Sachlage ein zutreffendes Bild macht, aber irrtümlich annimmt, sie rechtfertige seine ehrenrührige Tatsachenbehandlung oder sein ehrenrühriges Werturteil (hier und jetzt und in der Art der Kundgabe), dann wertet er falsch. Er befindet sich im Subsumtions(Verbots-)irrtum. Er kann sich z. B. über die Erforderlichkeit oder die Eignung seiner Äußerung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen irren, er kann ein nur vermeintliches Interesse verfolgen (vgl. RGSt. 25 355, 357) oder er kann einen Wertungsexzess begehen, also nicht im Rahmen dessen bleiben, was angemessen ist (OLG Hamm NJW 1982 659, 661). Irrt der Täter über deskriptive oder normative Tatumstände (über die „Sachlage") und entnimmt er den vorgestellten Umständen die Berechtigung zum Handeln, dann befindet er sich im Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn die Berechtigung zu bejahen wäre, falls die Vorstellungen der Realität entsprächen. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum darf aber, wenn er zur Straflosigkeit des Täters führen soll, nicht darauf zurückzuführen sein, dass der Täter sorgfaltswidrig zur Klärung der Wahrheitsfrage zu wenig oder nicht das Gebotene getan hat (BayObLGSt. 1961 46, 48; OLG Hamm NJW 1987 1034, 1035; Geppert Jura 1985 25, 30; Schaffstein NJW 1951 691, 692; Lackner/Kühl25 10; Tröndlel Fischer52 42; aA Rudolphi SK 28; Zaczyk N K 47). (91)

Eric Hilgendorf

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VIII. Rügen, dienstliche Anzeigen, ähnliche Fälle. „Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten" haben ihren Platz vor allem in (beamten-)rechtlich geregelten Verhältnissen der Über- und Unterordnung. Zu den „ähnlichen Fällen", die unter dem Vorhalte· und Rügeaspekt Bedeutung erlangen können, gehören der Tadel und die Ermahnung des Lehrherrn und des Lehrers, vgl. auch Rdn. 1. Bei den „dienstlichen Anzeigen oder Urteilen eines Beamten" handelt es sich um Erklärungen, die er gemäß einer von ihm wahrzunehmenden öffentlich-rechtlichen Pflicht abgibt (BayObLG 20 46, 48). Mit der Erwähnung der „ähnlichen Fälle" ermächtigt das Gesetz zur analogen Anwendung der einzelnen Kategorien des § 193. Beispiele sind in Rdn. 14 und 16 genannt.

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IX. Eine Formalbeleidigung i.S.v. § 193 liegt nicht vor, wenn eine Beleidigung bei Gelegenheit einer Interessenwahrnehmung begangen wird (vgl. RGSt. 29 54, 57; 33 50, 53). Eine solche Beleidigung wird unmittelbar von § 185 erfasst. Mit den Schlussworten des § 193 ist ein für eine angemessene Interessenwahrnehmung nicht erforderliches Plus an Herabsetzung gemeint, das sich aus der Form (der Ausdrucksweise, nicht dem sachlichen Gehalt einer Äußerung, dem „Gewand, in das sie gekleidet wurde") oder den begleitenden (situativen, temporalen, lokalen, personalen) Umständen (vgl. RGSt. 21 157, 158f; 34 80; 40 317, 318; 44 111, 113; RG H R R 1941 164; BayObLGSt. 1961 46, 49) ergibt. Es kann sein, dass die überschießende negative Wertung nur für einen Teil von dem, was der Täter sagt, gilt (RGSt. 21 254; RG DJ 1936 1269). Der Richter muss erörtern, wie der Täter (von seinem Standpunkt aus) das, was er zur Interessenwahrnehmung sagen wollte und sagen durfte, in der ihm zu Gebote stehenden Redeweise ohne inhaltliche Einbuße hätte ausdrücken sollen und ausdrücken können ( B G H Z 7 0 1, 5f; RGSt. 40 317, 318; 44 111, 114; RG H R R 1941 164; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; Herdegen Anm. zu BGHZ 70 1 in LM DRiG Nr. 15 zu § 26). Von einer Formalbeleidigung kann nicht gesprochen werden, wenn die Ausdrucksweise für den Sinngehalt der Äußerung notwendig ist, wenn der zu äußernde Gedanke eine „Einkleidung" findet, ohne welche er nicht so vermittelt wird, wie er vermittelt werden soll. Die nicht unangemessene Wertung ehrenrühriger Tatsachen enthält kein exzessives Mehr an Ehrherabsetzung, sondern erst der Wertungsexzess (vgl. BayObLG NStZ 1983 126, 127; 1983 265, 266; OLG Frankfurt NJW 1977 1353, 1354; OLG Hamm N J W 1982 659, 661). Es kann auf Grund der die rechtliche Würdigung bestimmenden Umstände des Falles nicht zu beanstanden sein, dass der Täter den Angegriffenen einen „Kurpfuscher" nennt (RG JW 1933 2045), dass ein Politiker als „zwiespältiger Charakter" bezeichnet (BGHSt. 12 287, 293) oder eine Wochenschrift als „eine Gattung von Publizistik, die auf dem Gebiet der Politik das ist, was die Pornographie auf dem Gebiet der Moral" (BVerfGE 12 113, 118, 132), abgestempelt wird. Der politische Tageskampf und der Vorgang der Bildung der öffentlichen Meinung kommen ohne überspitzte, scharfe, schlagwortartige Formulierung nicht aus (vgl. Rdn. 25 bis 27). Die noch zulässige Niveauhöhe lässt sich nicht exakt bestimmen. Das verwerfliche Werturteil lebt vor allem von der Verzerrung der Tatsachen. Ihrer Enthüllung muss in erster Linie die Aufmerksamkeit des Richters gelten. Für Fälle der einfachen Beleidigung durch Werturteil (§ 185) spielen die den Tatbestand der Formalbeleidigung umschreibenden Schlussworte des § 193 keine Rolle. Eine einfache Beleidigung, die als Akt der Wahrnehmung berechtigter Interessen anzusehen ist, kann keine Formalbeleidigung mehr sein (vgl. OLG Hamm GA 1974 62, 63). Gesichtspunkte, die für eine Formalbeleidigung in Betracht kommen, können allerdings verhindern, dass eine einfache Beleidigung als Akt der Wahrnehmung berechtigter Interessen, als erlaubtes „tadelndes Urteil" oder als bloße „Rüge" eines Vorgesetzten akzeptiert werden kann. Stand: 31.3.2005

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Strafantrag

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Es liegen dann die Voraussetzungen des § 193 schon an sich nicht vor (Graul NStZ 1991 457, 461; SehlSchröder! Lenckner26 26). Im Falle einer Formalbeleidigung i. S.v. §193 kommt nur Bestrafung nach § 185 in Betracht. Denn lediglich diese Beleidigung, das Plus an Ehrherabsetzung, ist strafbar (SehlSchröder!Lenckner16 26; Tröndlel Fischer52 43; aA Zaczyk N K 49; RG JW 1936 3461 Nr. 31). Hingewiesen wird auf § 192 Rdn. 1 bis 6. Das dort Gesagte gilt auch hier. X. Beteiligung mehrerer. Ist eine Beleidigung nach § 193 gerechtfertigt, so ist strafbare Teilnahme an ihr ausgeschlossen. Es fehlt an einer Haupttat (RGSt. 64 23, 24; BayObLGSt. 1962 93, 94). Im Falle mittelbarer Täterschaft (vgl. RG aaO; OLG Celle NJW 1961 231) kommt es darauf an, ob die nach § 193 rechtfertigenden Voraussetzungen beim Täter vorliegen. Bei mehreren Tätern kann die Frage rechtmäßigen Handelns verschieden zu beantworten sein (vgl. RGSt. 64 134, 135; BayObLG aaO).

§194

Strafantrag (1) Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. Ist die Tat durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift ( § 1 1 Abs. 3), in einer Versammlung oder durch eine Darbietung im Rundfunk begangen, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. Stirbt der Verletzte, so gehen das Antragsrecht und das Widerspruchsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. (2) Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zu. Ist die Tat durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift (§11 Abs. 3), in einer Versammlung oder durch eine Darbietung im Rundfunk begangen, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltund Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Antragsberechtigter der Verfolgung widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. (3) Ist die Beleidigung gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. (4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt.

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§194

14. Abschnitt. Beleidigung

Schrifttum Bertram Noch einmal: Die „Auschwitzlüge" (usw.), NJW 1994 2397; Fischer Sind Behörden beleidigungsfähig?, JZ 1990 68; Köhler Zur Frage der Strafbarkeit des Leugnens von Völkermordtaten, N J W 1985 2389; Ostendorf Die strafrechtliche Verfolgung der „Auschwitzlüge", N J W 1985 1062; Vogelsang Die Neuregelung der sog. „Auschwitzlüge" (usw.), NJW 1985 2386; Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung (1994). Weitere Angaben bei §§ 130, 131.

1

I. Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte und zur jüngsten Fassung. § 194 enthielt ursprünglich nur zwei Sätze: „Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrags... ist zulässig." Durch Art. 19 Nr. 82 EGStGB ist die Vorschrift erweitert, die Materie, die Gegenstand des § 189 Abs. 2 und Abs. 3 und der §§ 196, 197 war (Bestimmungen, die durch Art. 19 Nr. 79 und Nr. 83 EGStGB gestrichen oder aufgehoben wurden), ist einbezogen worden. Seine jetzige Fassung hat § 194 durch das 21. StÄG v. 13.6.1985 (BGBl. I S. 965) erhalten. Der Gesetzgeber hat in Abs. 1 S. 2 bis 5 und in Abs. 2 S. 2 bis 4 eine Regelung getroffen, die es ermöglichen soll, „dem Leugnen des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft begangenen Unrechts strafrechtlich zu begegnen" (BTDrucks. 10/3242 S. 8). Gemeint war vor allem die „Auschwitzlüge", besser „Auschwitzleugnung", also die Leugung des fabrikmäßig durchgeführten Massenmordes an Juden in der Zeit des „Dritten Reiches" (umfassend Wehinger Kollektivbeleidigung - Volksverhetzung [1994]). Die Regelung hat verfahrensrechtlichen Charakter und beruht auf der Annahme, dass nach geltendem Recht ein solches Leugnen als Beleidigung derjenigen anzusehen ist, die Betroffene des Unrechts sind. Von dieser Annahme kann jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Nach materiellem Recht ist das Absprechen (Leugnen) eines besonders schweren Schicksals (es mag die Folge von Not, Krankheit, höherer Gewalt in irgendeiner Form oder von Verfolgung durch irdische Machthaber sein) nur unter erheblichen begrifflichen Verwerfungen als Beleidigung zu erfassen (§ 185 Rdn. 27; Seh!Schröder!Lenckner26 Rdn. 3), weil durch ein solches Absprechen weder die sittliche Integrität des Betroffenen in Frage gestellt, noch ihm eine elementare menschliche Unzulänglichkeit nachgesagt wird. Auch das äußere Ansehen der Betroffenen wird durch ein solches Absprechen nicht berührt. Die zivilrechtliche Judikatur mag das mit Hilfe der Argumentationsmöglichkeiten, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet, anders sehen (vgl. BGHZ 75 160ff). Die zweite materiellrechtliche Hürde, die durch die verfahrensrechtliche Lösung nicht aus dem Weg geräumt worden ist, ergibt sich aus den Grundsätzen, die für Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung gelten: Es ist bei richtigem Verständnis von verbal weitgreifenden Kollektivurteilen kaum möglich, im Leugnen des durch Verfolgung auferlegten Schicksals einer Bevölkerungsgruppe eine Beleidigung aller ihrer Mitglieder zu sehen (Vor § 185 Rdn. 28 bis 32). In der politisch gut gemeinten, dogmatisch jedoch problematischen Ausweitung des § 194 liegt deshalb keine beifallswürdige Leistung des Gesetzgebers (vgl. auch Seh!Schröder!Lenckner26 1). Um die Leugnung des Massenmordes an Juden im „Dritten Reich" strafrechtlich zu erfassen (wofür gute Gründe sprechen), wäre es besser gewesen, eine neue Strafnorm zu formulieren.

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II. Strafantrag. Die Vorschrift des § 194 Abs. 1 S. 1 bezieht sich auf alle Delikte, die der 14. Abschnitt umschreibt. Zu ihrer Verfolgung ist ein Strafantrag erforderlich, wenn nicht eine der in Abs. 1 S. 2 und in Abs. 2 S. 2 statuierten Ausnahmen vorliegt oder an die Stelle des Antrags die Ermächtigung (Abs. 4) tritt. Der Antrag kann nicht analog § 230 Abs. 1 durch eine Entscheidung der StA ersetzt werden (BGHSt. 7 256; Stand: 31.3.2005

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Strafantrag

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krit. Günther Lüderssen-FS, S. 195, 215). Auch die Erfordernisse der Ausnahmen sind Prozessvoraussetzungen. Sind sie nicht erfüllt und fehlt auch ein Strafantrag, muss das Verfahren eingestellt werden (SchlSchröderILenckner 26 2). Er kann vor Fristablauf auch noch in der Revisionsinstanz gestellt werden (BGHSt. 3 73, 74; 6 155, 157; RGSt. 68 120, 124). Antragsberechtigt ist grundsätzlich der Verletzte, also der Beleidigte (§ 77 Abs. 1; BGHSt. 31 207, 210). Durchbrechungen dieses Grundsatzes ergeben sich aus Abs. 3. Sind mehrere unter einer KoUektivbezeichnung beleidigt worden, kann jeder der Betroffenen den Strafantrag nur für sich selbst stellen (OLG Frankfurt JR 1991 390 mit Anm. Hilger), für andere nur, wenn er zu ihrer Vertretung in der Erklärung (RGSt. 21 231, 233) oder auch in der Willenskonkretisierung (vgl. BGHSt. 9 149, 152) bevollmächtigt ist (RGSt. 23 246, 248; 68 120, 124; BGH aaO 151; Sehl Schröder!Lenckner26 3). Infolgedessen kann der Vorstand eines Vereins Strafantrag wegen Beleidigung eines Vereinsmitglieds nur als dessen Bevollmächtigter stellen, nicht schon deshalb, weil er nach der Satzung die Standesinteressen der Mitglieder wahrnehmen soll (RGSt. 37 37, 38). Für den Geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten trifft § 77 Abs. 3 die erforderliche Regelung. Ein bloßer Interessengegensatz zum Vertretenen beseitigt das Antragsrecht des nach dieser Vorschrift zur Antragstellung Berufenen nicht (BGHSt. 6 155, 157). Wenn man annimmt, dass nicht nur Behörden (vgl. Abs. 3) und politische Körperschaften (vgl. Abs. 4), sondern alle Personengemeinschaften, die eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können, beleidigungsfähig sind (vgl. dazu Vor § 185 Rdn. 25), dann muss man in Fällen der Beleidigung einer solchen Gemeinschaft das vertretungsberechtigte Organ als strafantragsberechtigt ansehen (BGHSt. 6 186, 187), allerdings nur für das Kollektivgebilde als solches, nicht für einzelne Mitglieder, die persönlich beleidigt worden sind (vgl. RGSt. 40 164, 185 f; 47 63, 64; KG JR 1980 290). Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen in der in dieser Vorschrift festgelegten Reihenfolge zu (Abs. 2 S. 1). Der überlebende Ehegatte verliert das Antragsrecht nicht dadurch, dass er wieder heiratet. War die Ehe im Zeitpunkt des Todes bereits aufgelöst, erlangt der überlebende Ehegatte kein Antragsrecht (SehlSchröder! Lenckner26 9). Die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 376 StPO) hindert nicht die Zurücknahme 3 des Strafantrags (die in § 77 d geregelt ist). Durch Verzeihung oder durch Erklärung des Verzichts auf Strafverfolgung gegenüber dem Täter geht das Antragsrecht nicht verloren, wohl aber durch eine Verzichtserklärung gegenüber der mit der Strafverfolgung befassten Behörde (RGSt. 14 202, 204; 76 345, 346). Zur Stellvertretung bei der Rücknahme und zur Rücknahme unter der Bedingung, dass dem Beleidigten keine Kosten zur Last fallen, vgl. BGHSt. 9 149, 152 ff. In der Reihenfolge, die sich aus § 77 Abs. 2 ergibt, geht das Strafantragsrecht auf Angehörige über, wenn der Verletzte nach der Tat gestorben ist. Es geht nicht über, wenn der Verletzte wirksam auf Strafverfolgung verzichtet hat oder die Strafverfolgung dem auf andere Weise erklärten Willen des Verstorbenen widerspricht (§ 77 Abs. 2 S. 4).

III. Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Abs. 1 S. 2 1. Trotz der Strafverfolgung von Amts wegen, die Abs. 1 S. 2 ermöglicht, bleibt die 4 Tat Privatklagedelikt (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Die materielle Rechtslage ist durch die Vorschrift nicht verändert worden (Rdn. 1). Vom Antragserfordernis sind Beleidigungen mit Breitenwirkung ausgenommen worden. Doch werden öffentliche münd(95)

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14. Abschnitt. Beleidigung

liehe Äußerungen nur zum Teil erfasst, weil die Tat durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift, in einer Versammlung oder durch eine Darbietung im Rundfunk begangen sein muss. Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich (§ 11 Abs. 3). Zum Merkmal des Verbreitens vgl. § 186 Rdn. 14. Das Merkmal des Zugänglichmachens umfasst namentlich das Ausstellen, Anschlagen und Vorführen (BTDrucks. 10/3242 S. 10). Um ein öffentliches Zugänglichmachen handelt es sich, wenn die Schrift durch einen nach Zahl und Zusammensetzung der Personen unbestimmten Kreis oder durch einen nicht durch eine spezifische Beziehung verbundenen größeren, wenn auch bestimmten Personenkreis wahrgenommen werden kann (§ 186 Rdn. 13). Eine Versammlung ist das Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen zu einem bestimmten Zweck (RGSt. 21 71, 75; OLG Düsseldorf JR 1982 299, 300). Darbietungen im Rundfunk sind nicht nur Direktsendungen (Live-Sendungen), sondern auch Ausstrahlungen von Aufzeichnungen. 5

2. Der Verletzte selbst muss auf Grund seiner Gruppenzugehörigkeit unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt worden sein. Es genügt nicht, dass er ein Nachkomme von Verfolgten ist (Sch/Schröder/Lenckner26 5; TröndlelFischer52 17; anders BVerfGE 90 241, 251; NJW 1993 916, 917; BGHZ 75 160, 166; OLG Celle NJW 1982 1545 zur Beleidigung der heute in Deutschland lebenden Juden durch Leugnen der NS-Judenmorde). In seiner Eigenschaft als Gruppenangehöriger kann der Verletzte nur verfolgt worden sein, wenn die Gruppe insgesamt Verfolgungen ausgesetzt war. § 6 Abs. 1 VStGB zählt bestimmte Gruppen auf. § 194 Abs. 1 S. 2 nimmt eine solche Beschränkung nicht vor. Die Vorschrift bezieht auch politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Gruppen und Gruppen des Widerstands ein. Unter einer Gruppe ist eine Mehrzahl von Personen zu verstehen, die gemeinsame Attribute haben, durch welche sie sich von der übrigen Bevölkerung abheben und durch die sie sich (im Sinne eines Wir-Bewusstseins) verbunden wissen (ähnlich Seh!Schröder!Lenckner26 5). Die ausdrückliche Erwähnung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft verdeutlicht nicht nur den Schwerpunkt der Bestimmung, sondern auch, dass es im Übrigen um ihr „ebenbürtige" Herrschaftssysteme geht, um Systeme der Macht, die sich über elementare Menschenrechte hinwegsetzen (SehlSchröder!Lenckner aaO). Verfolgungen sind Akte des Unrechts von erheblicher Intensität (wie physische Quälereien oder Liquidation, KZHaft, Ausweisung, Absonderung, Verschleppung, schwere Diskriminierung, Entzug materieller oder seelischer Lebensgrundlagen).

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3. Das Erfordernis, dass die Gruppe, als deren Mitglied der Verletzte verfolgt wurde, „Teil der Bevölkerung" sein muss, soll den Anwendungsbereich von Abs. 1 S. 2 begrenzen: Noch zur Zeit der Tat muss die Gruppe existent sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Gruppenmerkmale verlorengegangen sind, das Wir-Bewusstsein erloschen ist. Von einem „Teil" der Bevölkerung (des Inlands) kann nicht die Rede sein, wenn die einstmals verfolgte Gruppe nur noch wenige Mitglieder zählt (SehlSchröder! Lenckner26 5 a).

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4. Die Beleidigung muss mit der Verfolgung zusammenhängen. Ein Zusammenhang besteht, wenn die Verfolgung für den Täter motivatorisch eine Rolle spielte oder sein Bezugspunkt war. Das braucht im Wortlaut seiner Äußerung nicht zum Ausdruck zu kommen. Es genügt, wenn der Zusammenhang aus den Umständen, welche den Sinngehalt der Kundgabe mitbestimmen, erkennbar wird. Ein Zusammenhang besteht auch, wenn es nicht um Verfolgungsmaßnahmen und ihre Auswirkungen für Stand: 31.3.2005

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den Betroffenen, sondern um die Gründe der Verfolgung geht. Der Täter muss sich des Zusammenhangs bewusst sein (Seh! Schröder!Lenckner23 6). 5. Hat der Verletzte kein Interesse an einem Strafverfahren gegen den Täter, kann 8 er der Verfolgung von Amts wegen widersprechen (Abs. 1 S. 3). Der Widerspruch ist eine Prozesshandlung, die nicht zurückgenommen werden kann (Abs. 1 S. 4). Sie umfasst den Verzicht auf das Antragsrecht. Infolgedessen ergibt sich aus dem Widerspruch ein definitives Prozesshindernis. Der Widerspruch kann formlos erklärt und auf das Verfahren gegen einen von mehreren Tätern beschränkt werden. Er ist bedingungsfeindlich und ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens möglich. Widerspricht nur einer von mehreren Verletzten, ist das Verfahren fortzuführen. Das den Widersprechenden betreffende Tatgeschehen bleibt außer Betracht (Sch/Schröder/Lenckner26 6a). Ist der Verletzte nach der Tat verstorben, geht das Widerspruchsrecht in der Reihenfolge, die § 77 Abs. 2 festlegt, auf die Angehörigen über (Abs. 1 S. 4). Mehrere Angehörige gleichen Ranges können das Recht nur gemeinsam ausüben (§ 77d Abs. 2 S. 2 analog). Ein Übergang ist ausgeschlossen, wenn die Nichtverfolgung dem erklärten Willen des Verletzten widerspricht (§ 77 Abs. 2 S. 4 analog). IV. Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen des Abs. 2 S. 2. Auch die Verunglimp- 9 fung des Andenkens Verstorbener ist grundsätzlich Antragsdelikt (Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; Rdn. 2). Eines Strafantrags bedarf es jedoch nicht, wenn die Verunglimpfung (§ 189 Rdn. 3) durch Verbreiten oder öffentliches Zugänglichmachen einer Schrift, in einer Versammlung oder durch eine Darbietung im Rundfunk (vgl. Rdn. 4) begangen wurde, der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft (Rdn. 5) verloren hat - das ist auch dann der Fall, wenn sein Tod die mittelbare Folge erlittener Verfolgung war (sie kann ζ. B. zum Freitod des Verfolgten geführt oder die physische Ursache für den Tod nach Beendigung der Gewaltherrschaft gesetzt haben; vgl. Rudolphi SK 13; Schaßieutle JZ 1960 474; Seh!Schröder!Lenckner26 9a) - und wenn die Verunglimpfung damit zusammenhängt (Rdn. 7). Widerspricht auch nur ein Antragsberechtigter, ist die Verfolgung von Amts wegen ausgeschlossen (Abs. 2 S. 3).

V. Strafantrag des Dienstvorgesetzten 1. Das Antragsrecht, das Abs. 3 S. 1 dem Dienstvorgesetzten einräumt, ist ein 1 0 selbständiges, im öffentlichen Interesse gewährtes Recht. Es ermöglicht dem Berechtigten, das durch die Tat (möglicherweise) mittelbar betroffene Ansehen der Behörde zu wahren, Aufklärungsinteressen und der Fürsorgepflicht Rechnung zu tragen (BGHSt. 7 256, 260; RGSt. 27 179; 67 49; 74 313). Im Hinblick auf das Kostenrisiko des Privatklägers (vgl. § 471 Abs. 2 StPO) ist das Strafantragsrecht des Dienstvorgesetzten auch von materieller Bedeutung. Es ist unabhängig davon, ob der Beleidigte selbst Strafantrag stellt oder ob er den gestellten Antrag zurücknimmt. Das Antragsrecht des Beleidigten muss aber zur Entstehung gelangt sein (RG JW 1932 3267, 3268). Wenn der Dienstvorgesetzte Strafantrag stellt, erübrigt sich nicht die Prüfung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (§ 376 StPO). Wird das öffentliche Interesse verneint, hat der Dienstvorgesetzte ein selbständiges Privatklagerecht (§ 374 Abs. 2 S. 2 StPO). Der Beleidigte muss ein Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2), ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (§ 11 Abs. 1 Nr. 4) oder ein Soldat der Bundeswehr sein. Gleichgestellt sind Angehörige der NATO-Stationierungstruppen in der Bundesrepublik (Art. 7 Abs. 2 Nr. 9 des 4. StÄG). Der Amtsträger, besonders Ver(97)

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pflichtete oder Soldat muss zur Tatzeit noch im Dienst stehen (RGSt. 13 95; 27 193). Ist das Antragsrecht des Dienstvorgesetzten einmal entstanden, erlischt es nicht durch den Tod oder das Ausscheiden des Beleidigten aus dem Dienst. Antragsberechtigt ist derjenige Dienstvorgesetzte, dem der Betroffene zur Zeit der Tat unterstellt war (§ 77 a Abs. 1). Dienstvorgesetzter ist, wer in einem durch Bundes- oder Landesrecht organisatorisch festgelegten Verhältnis der Über- und Unterordnung das Recht und die Pflicht zur Aufsicht über das dienstliche Verhalten des Beleidigten hat und kraft seiner Kompetenz zur Entscheidung der Frage, ob das öffentliche Interesse die Strafverfolgung gebietet, berufen erscheint (RGSt. 59 134; BayObLGSt. 1956 227). Berufsrichter haben keinen Dienstvorgesetzten im beamtenrechtlichen Sinn. An seine Stelle tritt, wer die Dienstaufsicht über die Richter führt. Bei Soldaten ist Dienstvorgesetzter der Disziplinarvorgesetzte (§ 77a Abs. 1). Neben dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten hat stets auch der mittelbare höhere Vorgesetzte ein selbständiges Antragsrecht (RGSt. 46 203; BayObLG aaO 230). Der Verletzte, der selbst nicht rechtzeitig Strafantrag gestellt hat, kann sich nicht als Nebenkläger der öffentlichen Klage anschließen, der ein Strafantrag des Dienstvorgesetzten zugrunde liegt (BayObLGSt. 1964 154). 11

2. Das Antragsrecht des Dienstvorgesetzten (und des mittelbaren höheren Vorgesetzten) kommt nur in Fällen in Betracht, in denen die Beleidigung eines Amtsträgers, eines besonders Verpflichteten oder eines Soldaten während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen wird. Die erste Alternative setzt voraus, dass die Beleidigung mit der Dienstverrichtung zeitlich zusammentrifft und zu ihr in einer örtlichen Beziehung steht. Es ist aber nicht erforderlich, dass der Täter während der Dienstausübung örtlich und zeitlich zugegen ist (RGSt. 76 366, 368). Es kommt nicht darauf an, ob die dienstliche Verrichtung rechtmäßig ausgeübt wird (RGSt. 3 185, 189). Die erste Alternative wird auch verwirklicht, wenn eine schriftliche Beleidigung den Betroffenen in seiner Dienststelle erreicht. Denn eine schriftliche Beleidigung ist auch dort begangen, wo sie dem Beleidigten zugeht (RGSt. 76 366, 368). Die selbständige Gutachtertätigkeit eines Hochschullehrers wird nicht dadurch zu einer Ausübung des Haupt- oder Nebenamts, dass sie mit seinen Lehroder Forschungsaufgaben in einem fachlichen Zusammenhang steht (BayObLG JZ 1978 482; vgl. auch RGSt. 32 276). Die zweite Alternative liegt vor, wenn die ehrenrührige Äußerung die dienstliche Tätigkeit oder die dienstliche Stellung erkennbar zum Gegenstand hat oder wenn ein sonstiger erkennbarer Zusammenhang zur Tätigkeit oder Stellung hergestellt wird (RGSt. 12 49, 52; 39 361; 66 128; BayObLG aaO). Betrifft ein ehrenrühriger Vorwurf außerdienstliches Verhalten, so ist die Beleidigung in Beziehung auf den Dienst des Betroffenen begangen, wenn das Verhalten mit der dienstlichen Stellung oder Tätigkeit im Zusammenhang steht oder in Zusammenhang gebracht wird (RGSt. 12 49, 52; 12 267, 269). Das ist namentlich der Fall, wenn der Vorwurf dahin geht, dass der Beleidigte sich seiner Stellung unwürdig erwiesen habe (RGSt. 3 244; 21 340; 44 191; 76 366, 369). Wird ein Zusammenhang nicht hergestellt, dann genügt es nicht, dass dem Betroffenen ein Verhalten nachgesagt wird, das ihn, träfe es zu, als amtsunwürdig erscheinen ließe (RGSt. 12 267, 269; Sch/Schröderl Lenckner26 14). Allerdings ist die Beziehung der Beleidigung auf den Dienst kein Tatbestandsmerkmal. Infolgedessen reicht es aus, wenn die ehrenrührige Äußerung nach ihrem objektiven Sinngehalt den Zusammenhang impliziert (RGSt. 76 366, 369; aA TröndlelFischer52 7).

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VI. Beleidigung einer Behörde. Richtet sich eine Beleidigung gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so Stand: 31.3.2005

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Strafantrag

§194

wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtsführenden Behörde verfolgt (Abs. 3 S. 2). Zum Begriff der Behörde vgl. § 11 Rdn. 99 und § 164 Rdn. 23, 24. Die (als Person gedachte) Behörde muss beleidigt sein. Aus ihrer Beleidigung kann nicht ohne weiteres auf eine Beleidigung auch (einzelner oder aller) ihrer Bediensteten geschlossen werden. Eine Beleidigung, die gegen Behördenangehörige gerichtet ist (sie mag einzelne, eine Mehrheit oder alle betreffen), ist nicht ohne weiteres eine Beleidigung auch der Behörde (RGSt. 4 75, 76; 4 264, 266; 7 404, 408; 41 168, 170; 47 63, 64). Den Behörden und sonstigen Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (dazu gehören z.B. Krankenkassen und Berufsgenossenschaften), sind Behörden der Kirchen und der anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts gleichgestellt (Abs. 3 S. 3). Aus Art. 7 Abs. 2 Nr. 9 des 4. StÄG ergibt sich die Gleichstellung von Dienststellen der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen. VII. Beleidigung einer politischen Körperschaft. Wenn eine Beleidigung gegen ein 1 3 Gesetzgebungsorgan oder eine andere politische Körperschaft im Geltungsbereich des Gesetzes begangen wird, tritt die Ermächtigung zur Strafverfolgung als Verfahrensvoraussetzung an die Stelle des Strafantrags (Abs. 4). Eine politische Körperschaft ist eine öffentlich-rechtliche Institution, die, ohne Behörde zu sein (RGSt. 7 382, 384), berufen ist, staatliche Zwecke zu verwirklichen oder zu fördern (vgl. RGSt. 33 66; 69 145; OLG Düsseldorf 1966 1235). Zu den politischen Körperschaften gehören z.B. Parlamente, Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte, Stadtverordnetenversammlungen (RGSt. 40 184, 185; 41 168, 170), nicht aber Teile einer politischen Körperschaft (z. B. eine Parlaments- oder eine Rathausfraktion). Politische Parteien sind keine politischen Körperschaften i. S.v. Abs. 4 (OLG Düsseldorf aaO; Sehl Schröder/Lenckner26 18). Die Beleidigung muss gegen die Körperschaft als solche gerichtet sein (RGSt. 40 184, 185; 41 168, 170; 47 63, 64; KG JR 1980 290). Das ist z. B. der Fall, wenn ehrenrührige Äußerungen ihre Tätigkeit, ihre Entstehung, ihr Vorhandensein oder ihre Zusammensetzung betreffen (vgl. RGSt. 41 168, 170; 47 63, 64). Die Beleidigung der Körperschaft hängt nicht davon ab, dass auch jedes ihrer Mitglieder beleidigt worden ist. Die gegen Mitglieder gerichtete Beleidigung kann zugleich eine Beleidigung der Körperschaft sein (RG aaO). Die Ermächtigung ist nichts anderes als die formwirksame Erklärung, dass der 14 Wille der Körperschaft der Strafverfolgung nicht entgegensteht (RGSt. 41 168, 171). Die Strafverfolgungsbehörde hat von Amts wegen der beleidigten Körperschaft Gelegenheit zur Erklärung der Ermächtigung zu geben (Nr. 229 Abs. 3 S. 3 RiStBV). Die Ermächtigung muss von der Körperschaft selbst erteilt werden. Ein Ausschuss kann sie nur erteilen, wenn er dazu die Befugnis ausdrücklich erhalten hat. In der die Ermächtigung betreffenden Beschlussfassung liegt in aller Regel kein Strafantrag einzelner Mitglieder der Körperschaft (RGSt. 40 184, 186; 41 168, 171 f; KG JR 1980 290). Politische Körperschaften sind ständige, vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängige Institutionen. Es ist deshalb ohne Bedeutung, wenn sie im Zeitpunkt der Erklärung der Ermächtigung anders zusammengesetzt sind als zur Zeit der Tat (RGSt. 7 382, 386). Das gilt auch für den Fall der Auflösung und Neukonstituierung. Die Ermächtigungsbefugnis einer Einzelperson geht jedoch nicht auf den Amtsnachfolger über (BGHSt. 29 282, 283). In Fällen der Ermächtigung gelten die Vorschriften der §§77 und 77d entsprechend (§ lié). Daraus folgt, dass die Ermächtigung (wie der Strafantrag) sachlich und persönlich teilbar ist und dass sie zurückgenommen werden kann. Die Ermächtigung ist jedoch nicht fristgebunden.

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Eric Hilgendorf

§199

14. Abschnitt. Beleidigung

§195 Aufgehoben durch das 3. StÄG v. 4.8.1953 (BGBl. I S. 735).

§ 196 bis 198 Aufgehoben durch Art. 19 Nr. 83 EGStGB. Vgl. jetzt § 194 Abs. 3 und 4 sowie §77c.

§199 Wechselseitig begangene Beleidigungen Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. Schrifttum Baumann Die Beweislast bei § 199 StGB, N J W 1958 452; Kargl Beleidigung und Retorsion, Festschrift für E.A.Wolff (1998) 189; Kern Grade der Rechtswidrigkeit, ZStW 64 (1952) 255; Kiehl Strafrechtliche Toleranz wechselseitiger Ehrverletzungen (1986); Küper Zur irrigen Annahme von Strafmilderungsgründen, G A 1968 321; ders. Die Grundlagen der Kompensation und die Voraussetzungen der Straffreierklärung nach § 199 StGB, JZ 1968 651; Küster Zum Wesen der strafrechtlichen Kompensation, NJW 1958 1659; Reif Vom Wesen und Anwendung der Kompensation, N J W 1958 982; Schwarz Erwiderung von Beleidigungen (§ 199 StGB), N J W 1958 19.

1

I. § 199 handelt von der Straffreierklärung im Falle der sog. Aufrechnung (Kompensation oder Retorsion). Die gesetzliche Regelung beruht auf dem Gedanken, dass bei wechselseitigen Beleidigungen möglicherweise zugunsten beider Täter oder zugunsten eines der Täter Gründe vorliegen, die das Strafbedürfnis so weit reduzieren, dass von einer Bestrafung abgesehen werden kann. Dem Erstbeleidiger ist durch die Erwiderung des von seiner Beleidigung Betroffenen bereits ein Übel zugefügt worden, das Vergeltungscharakter hat, gewissermaßen als Surrogat der öffentlichen Strafe angesehen werden kann (RGSt. 7 100, 102; 70 329, 332; Küper JZ 1968 654; Rudolphi SK 1). Für den Zweitbeleidiger spricht die „reaktive Verknüpfung": Seine Schuld ist gemindert, wenn er, provoziert durch den Ersttäter, in affektiver Erregung nach der Maxime verfährt „wie du mir, so ich dir" (RGSt. 7 100, 102; 38 339, 341; 70 329, 331; OLG Hamburg NJW 1965 1612; 1966 1977, 1978). Man mag bei ihm auch von einer Minderung des Unrechts sprechen (Küper aaO 655 ff; Rudolphi aaO; SehlSchröder! Lenckner26 1), darauf hinweisen, dass seine Reaktion einen Ubergangsfall zur Notwehr darstelle (Kern ZStW 64 [1952] 287), dass der Erstbeleidiger durch seine Tat „die Schutzwürdigkeit seiner Ehre gemindert habe" (Rudolphi aaO). Entscheidend für die Kompensation ist die psychische Situation des Zweitbeleidigers: der Abbau der Hemmschwelle und der motivatorische Anstoß durch die Tat des Erstbeleidigers. Deshalb muss dieser Aspekt die Interpretation bestimmen. Stand: 31.3.2005

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Wechselseitig begangene Beleidigungen

§199

II. 1. Die Formulierung, dass beide Beleidigungen strafbar sein müssen (RG JW 2 1930 918 Nr. 22), ist zumindest missverständlich. Derjenige, der für straffrei erklärt werden soll, muss sich strafbar gemacht haben und seine Beleidigung muss verfolgbar sein. Fehlt es an einer Voraussetzung der Strafbarkeit oder der Verfolgbarkeit, ist er freizusprechen oder das Verfahren einzustellen. Da er ohnehin nicht bestraft werden kann, kommt, wenn es sich um den Erstbeleidiger handelt, auch eine das Strafbedürfnis reduzierende Ausgleichsfunktion der vom Zweittäter begangenen Beleidigung nicht in Betracht (Küper aaO 658). Liegen beim Ersttäter die Voraussetzungen für eine Bestrafung vor, dann genügt es, um ihn für straffrei zu erklären, dass die gegen ihn gerichtete Beleidigung rechtswidrig ist (OLG Hamm G A 1974 62, 63). Er muss eine solche Beleidigung nicht von Rechts wegen hinnehmen. Sie hat auch Vergeltungscharakter (Küper aaO 659; SehlSchröder!Lenckner26 6). Liegen beim Zweittäter die Voraussetzungen für eine Bestrafung vor, dann reicht es ebenfalls aus, dass die Beleidigung, die sich gegen ihn richtete, tatbestandsmäßig und rechtswidrig ist, weil die nicht rechtmäßige Tat des Ersttäters durchaus provozierend ist und überdies auch den Gesichtspunkt der notwehrähnlichen Lage zum Tragen kommen lässt (Küper aaO 660). Da aber für den Zweittäter der ausschlaggebende Gesichtspunkt in der psychischen Situation liegt, wird ihm eine Straffreierklärung zu versagen sein, wenn er wusste, dass der Erstbeleidiger schuldunfähig ist (vgl. auch BayObLG NJW 1991 2031; Kiehl S. 204). In einem solchen Falle muss erwartet werden, dass er das beleidigende Verhalten des Ersttäters „affektiv verkraftet" {SehlSchröder!Lenckner26 7). 2. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass ein Strafausschließungsgrund auf seiten des 3 Gegners (ζ. B. Indemnität, § 36) oder ein Verfolgungshindernis (ζ. B. Immunität oder Wegfall des Strafantragsrechts) der Straffreierklärung des Täters nicht entgegenstehen (OLG Braunschweig SJZ 1948 769; Sehl Schröder!Lenckner26 7). In der Konsequenz dieser (in Rdn. 1 und 2 erörterten) Grundsätze liegt es aber auch, dem irrenden Zweitbeleidiger die Möglichkeit der Straffreierklärung nicht zu versagen, wenn nach seiner Sicht der Dinge das Verhalten des Ersttäters, das seine Erwiderung auslöst, eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat darstellt und er den Ersttäter für schuldfahig hält (OLG Hamburg NJW 1965 1611; 1966 1977, 1978; OLG Hamm GA 1972 29; 1974 62; aA Tröndle!Fischer52 5; Rudolphi SK 2; Zaczyk N K 6, der für analoge Anwendung des § 35 Abs. 2 plädiert). Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Irrtum vermeidbar war. Die psychische Situation des Zweittäters ist die Folge seiner Vorstellungen und damit auch seiner Irrtümer. Der Bagatellcharakter des Delikts erübrigt es, zwischen vermeidbaren und nicht vermeidbaren zu differenzieren (aA mit unterschiedlicher Begründung OLG Hamburg NJW 1966 1977, 1978; Küper aaO 660; Rudolphi SK 8; Sehl Schröder!Lenckner26 7). Ob der Richter in Fällen unschwer zu vermeidenden Irrtums von § 199 wirklich Gebrauch macht, ist Sache seines Ermessens. 3. Die Frage, ob die Gegenbeleidigung erwiesen sein muss, wenn der Täter für 4 straffrei erklärt werden soll, hat in BGHSt. 10 373 (= JZ 1958 373 mit Anm. Kern) ihre zutreffende Beantwortung erfahren: § 199 gehört in den Bereich der Strafzumessung. Auch in diesem Bereich muss ein Zweifel, der dahin geht, ob ein dem Täter günstiger Umstand vorliegt, pro reo entschieden werden. Mit Recht wird in BayObLGSt. 1958 244, 248 (= NJW 1959 57) darauf hingewiesen, dass auch ohne die Vorschrift des § 199 die (Möglichkeit der) Gegenbeleidigung bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müsste, wenn und soweit sie für den Unrechtsgehalt der Tat und die Schuld des Täters Bedeutung hätte. Der Widerspruch aus kriminalpolitischen Erwägungen (Härtung NJW 1959 640) vermag an der eindeutigen Rechtslage nichts zu ändern (wie hier z.B. Lackner/Kühl25 2; Seh!Schröder !Lenckner26 4; aA Schwarz NJW 1958 10). (101)

Eric Hilgendorf

§199

14. Abschnitt. Beleidigung

Ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Straffreierklärung ist es, wenn der Gegner schon rechtskräftig verurteilt wurde (OLG Hamm NJW 1957 392). Die Straffreierklärung des Zweitbeleidigers scheitert nicht daran, dass der Erstbeleidiger von dem Vorwurf (zuerst) beleidigt zu haben, rechtskräftig freigesprochen worden ist (OLG Celle M D R 1959 511 mit dem zutreffenden Argument, dass die Rechtskraft auch den Freispruch desjenigen nicht hindere, der - möglicherweise - in Notwehr handelte, wenn im Verfahren gegen den „Angreifer" ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff verneint wurde). 5

III. 1. Eine Straffreierklärung kommt nur in Betracht, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird. Von einer Erwiderung kann nur bei ursächlichem (reaktivem) Zusammenhang die Rede sein. Dass die Beleidigungen zwischen denselben Personen gewechselt worden sind, wird nicht verlangt. Der Zweitbeleidiger kann für den Ehepartner oder für einen nahen Angehörigen kompensieren (KG JW 1930 1316; KG JR 1957 388; Lackneri Kühl25 3; Sehl Schröder/Lenckner26 8a). Nach OLG Hamburg NJW 1965 1611 genügt es, wenn der Ehebrecher einen Angriff auf die „Geschlechtsehre" seiner Freundin erwidert, falls den Erstbeleidiger die ehebrecherischen Beziehungen nichts angehen. Die Gegenbeleidigung des Betroffenen oder des „Kompensationshelfers" muss sich aber gegen den Ersttäter richten (OLG Hamm JR 1951 694). Hat der Ersttäter mehrere Personen beleidigt, so kann er nicht für straffrei erklärt werden, wenn nur eine von ihnen erwidert hat, es sei denn, dass nur sie Strafantrag gestellt hat (RGSt. 70 329, 331). Anders kann es sein, wenn von beleidigten Ehegatten nur der eine antwortet (KG JW 1930 3002). Trifft mit einer der Beleidigungen eine andere Straftat (z.B. eine Bedrohung) tateinheitlich zusammen, so wird § 199 dadurch nicht ausgeschlossen. Es versteht sich von selbst, dass der Täter wegen der anderen Straftat bestraft werden kann (OLG Nürnberg NJW 1950 835).

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2. Auf der Stelle erwidert ist eine Beleidigung, wenn die Gegenbeleidigung durch die Gemütsbewegung hervorgerufen wurde, die durch die ehrenrührige Äußerung des Ersttäters ausgelöst worden ist (RGSt. 70 329, 331). Erforderlich ist weder eine Erwiderung Zug um Zug (RGSt. 38 341), noch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Es genügt ein psychischer (reaktiver) Zusammenhang in einem engen zeitlichen Rahmen (BGH StV 1995, 23; OLG Schleswig SchlHA 1975 187; BayObLG NJW 1991 2031). Der Umstand, dass die Beleidigungen schriftlich oder durch die Presse erfolgt sind, steht der Anwendung des § 199 nicht ohne weiteres entgegen (RGSt. 2 281; SehlSchröder!Lenckner26 9; Tröndle!Fischer52 5) Es ist nicht notwendig, dass der Zweittäter ausschließlich durch die Beleidigung, die ihn betroffen hat, motiviert wird. Andere, obgleich nicht beleidigende Äußerungen des Ersttäters können mitauslösend sein (RG aaO).

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IV. 1. § 199 gilt für alle Delikte des 14. Abschnitts, auch für die Verunglimpfung, weil Angehörige als Zweitbeleidiger kompensieren können (vgl. Rdn. 5; Rudolphi SK 2; Sehl Schröder!Lenckner26 5). § 199 findet auch Anwendung, wenn eine der Beleidigungen auf Grund eines Strafantrags des Dienstvorgesetzten oder des Behördenleiters (§ 194 Abs. 3) verfolgt wird. Es ist keine Voraussetzung, dass beide Beleidigungen Gegenstand eines Verfahrens sind oder sein können. Der Straffreierklärung steht infolgedessen auch nicht entgegen, dass ein Beleidiger der inländischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen ist. Das Gericht kann § 199 von sich aus anwenden. Die Urteilsgründe müssen ergeben, weshalb es entgegen einem Antrag nicht für straffrei erklärt hat (§ 267 Abs. 3 S. 4 StPO). Ob es von der Befugnis Gebrauch machen will, einen oder beide Beleidiger für straffrei zu erklären, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Stand: 31.3.2005

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Bekanntgabe der Verurteilung

§200

Gerichts (LackneriKühl2S 4; einschränkend Kiehl S. 207). Das Ermessen muss sich an der ratio legis orientieren: Hat der Ersttäter die Erwiderung geradezu bezweckt, der Zweitbeleidiger nicht in affektiver Erregung gehandelt, wird von einer Straffreierklärung abzusehen sein. Wird § 199 angewendet, ergeht kein Freispruch. Es wird vielmehr wegen der begangenen Beleidigung ein Schuldspruch gefällt, aber für straffrei erklärt. Zur Kostenentscheidung vgl. § 468 StPO. Lehnt das Gericht die Anwendung des § 199 ab, so muss es dennoch die Gegenbeleidigung bei der Strafzumessung berücksichtigen, wenn sie nach Lage des Falles ein strafmildernder Umstand ist. Weil die Straffreierklärung die Schuldfrage unberührt lässt, entfallt nicht die Strafbarkeit eines Teilnehmers (RGSt. 17 346). Als Strafe, von der Abstand genommen werden kann, sind auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel des Jugendstrafrechts anzusehen (BayObLGSt. 1961 171 = NJW 1961 2029). 2. In Fällen der Straffreierklärung kann eine Anordnung nach § 200 nicht er- 8 gehen, weil diese Vorschrift eine Hauptstrafe voraussetzt. Das gleiche gilt für die Einziehung, soweit sie Strafcharakter hat. Einziehung von Schriften und Unbrauchbarmachung nach §74d sind möglich (SehlSchröder/Lenckner2611).

§200 Bekanntgabe der Verurteilung (1) Ist die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) begangen und wird ihretwegen auf Strafe erkannt, so ist auf Antrag des Verletzten oder eines sonst zum Strafantrag Berechtigten anzuordnen, daß die Verurteilung wegen der Beleidigung auf Verlangen öffentlich bekannt gemacht wird. (2) Die Art der Bekanntmachung ist im Urteil zu bestimmen. Ist die Beleidigung durch Veröffentlichung in einer Zeitung oder Zeitschrift begangen, so ist auch die Bekanntmachung in eine Zeitung oder Zeitschrift aufzunehmen, und zwar, wenn möglich, in dieselbe, in der die Beleidigung enthalten war; dies gilt entsprechend, wenn die Beleidigung durch Veröffentlichung im Rundfunk begangen ist. I. Durch das EGStGB v. 2. 3.1974 (BGBl. I S. 469) sind die Vorschriften im Straf- 1 gesetzbuch und im Nebenstrafrecht über die öffentliche Urteilsbekanntmachung einander angepasst worden. § 200 hat seine Fassung durch Art. 19 Nr. 84 EGStGB erhalten. Nach früherem Recht bekam der Verletzte lediglich die Befugnis zugesprochen, die Verurteilung auf Kosten des Beschuldigten öffentlich bekanntzumachen. Es blieb ihm überlassen, „sich sein Recht gewissermaßen selbst zu holen" (BTDrucks. 7/550 S. 235). Nunmehr ordnet das Gericht auf Antrag die öffentliche Bekanntmachung von Beleidigungen an, die eine bestimmte Begehungsmodalität (mit der Folge der Breitenwirkung) aufweisen, und diese Anordnung wird auf Verlangen des Antragstellers von Amts wegen vollzogen (§ 463 c Abs. 2 bis 4 StPO). Alle Beleidigungen, die einen der Tatbestände des 14. Abschnitts erfüllen (also auch Verunglimpfungen, § 189), und Beleidigungen, die nach § 90 Abs. 1 und nach § 103 Abs. 1 tatbestandsmäßig sind, kommen in Betracht (§ 103 Abs. 2; SehlSchröder/Lenckner2*' 1). Die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung wegen Beleidigung ist eine strafähnliche Nebenfolge (Zaczyk NK 1 spricht von einer „Nebenstrafe"), die dem Verletzten Genugtuung verschaffen soll (BGHSt. 10 306, 310; RGSt. 73 24; BayObLGSt. 1954 71). Gegen (103)

Eric Hilgendorf

§200

14. Abschnitt. Beleidigung

Jugendliche und bei Anwendung von Jugendstrafrecht auch gegen Heranwachsende darf die Bekanntmachung nicht angeordnet werden (§ 6 Abs. 1 S. 2; § 105 JGG). Auf sie kann jedoch erkannt werden, wenn die Beleidigung in Tateinheit mit einer anderen Straftat (ζ. B. Meineid) zusammentrifft und die Strafe dem anderen Gesetz zu entnehmen ist (§ 52 Abs. 4; BGHSt. 10 306, 312; RGSt. 73 148). Wird ein verantwortlicher Redakteur nur wegen Verletzung seiner Überprüfungspflicht verurteilt, so kann § 200 nicht zum Zuge kommen, auch wenn die nicht überprüfte Druckschrift beleidigenden Inhalt hat (RGSt. 13 319; 66 33; TröndlelFischer52 2). 2

II. 1. Die Beleidigung muss öffentlich (§ 165 Rdn. 2; 186 Rdn. 13), durch Verbreiten von Schriften (§ 186 Rdn. 14) oder - in den Fällen des § 103 - in einer Versammlung (§ 194 Rdn. 4) begangen sein. Das Gericht muss auf Strafe erkannt haben. Infolgedessen entfallt die Anordnung der Bekanntmachung bei Straffreierklärung (§ 199 Rdn. 8). Die Frage ihrer Zulässigkeit bei Verwarnung unter Strafvorbehalt (§ 59 Abs. 1) wird unterschiedlich beantwortet (vgl. § 165 Rdn. 3; TröndlelFischer52 2).

3

2. Der Antrag auf Anordnung der Bekanntmachung kann vom Verletzten oder von einem sonst zum Strafantrag Berechtigten gestellt werden (vgl. § 194 Rdn. 2 und 10). In Fällen des § 103 kann der Antrag auch vom Staatsanwalt angebracht werden (Abs. 2 S. 1). Er ist auch in Fällen des § 194 Abs. 1 S. 2 und des § 194 Abs. 2 S. 2 als antragsberechtigt anzusehen (SehlSchröderILenckner26 2). In Fällen des § 194 Abs. 4 ist die betroffene Körperschaft zur Antragstellung befugt (§ 194 Rdn. 14; § 77e i.V. m. § 77 Abs. 1). Derjenige, der den Antrag nach Abs. 1 stellt, braucht mit dem, der den Strafantrag gestellt hat, nicht identisch zu sein. Es muss sich nur um einen zum Strafantrag Berechtigten handeln (infolgedessen kann der Verletzte den Antrag stellen, wenn der Strafantrag vom Dienstvorgesetzten angebracht worden ist). Den Vollzug der Anordnung (§ 463c Abs. 2 StPO) kann aber nur verlangen, wer sie beantragt hat oder wer antragsberechtigt geworden ist (vgl. § 77 Abs. 2 und Abs. 3). Von mehreren zum Strafantrag Berechtigten hat jeder ein selbständiges Antragsrecht.

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III. Für die Anordnung der Bekanntmachung, ihren Inhalt und ihren Vollzug gilt, was in den Erläuterungen 5 bis 7 zu § 165 ausgeführt worden ist.

Stand: 31.3.2005

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FÜNFZEHNTER ABSCHNITT Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs Vorbemerkungen Schrifttum Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Chirino Sánchez Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren pp. (1999); Dalakouras Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechtsproblematik sowie des griechischen Rechts (1988); Ehmann Zur Struktur des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, JuS 1997 193; Evers Der Schutz des Privatlebens und das Grundrecht auf Datenschutz in Österreich, EuGRZ 1984 281; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Geis Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991 112; Grünhut Der Schutz der Persönlichkeitssphäre im englischen und amerikanischen Recht, ZStW 74 (1962) 319; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band II S. D 59; Höfling Die Unantastbarkeit der Menschenwürde - Annäherung an einen schwierigen Verfassungsrechtssatz, JuS 1995 857; Jarass Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989 857; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht (1969); Krauß Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, Gallas-Festschrift S. 365; Peglau Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht (1997); Rogali Beleidigung und Indiskretion, Hirsch-Festschrift S. 665; Rohlf Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre. Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 G G (1980); Rüpke Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit (1976); Gerhard Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Süß Geheimsphäre und moderne Technik, Lehmann-Festschrift Band I, S. 189; Vassalli Der strafrechtliche Schutz der Persönlichkeitssphäre im technischen Zeitalter, ZStW 74 (1962) 447; Vogler Schütz fremder Geheimnisse, insbesondere des Amts- und Berufsgeheimnisses, in Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Band, Rechtsvergleichende Arbeiten. II, Besonderer Teil, S. 389.

Übersicht Rdn. I. Entstehungsgeschichte II. Verfassungsrechtlicher Hintergrund . . 1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Sphärentheorie 2. Kritik der Sphärentheorie 3. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung III. Überblick über die Schutzvorschriften und ihre Funktion 1. Bürgerlichrechtlicher Schutz . . . . 2. Strafrechtlicher Schutz a) Schutz im StGB

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1 2 2 3 4 5 5 6 6

Rdn. b) Viktimodogmatisches Prinzip c) Schutz außerhalb des StGB . . . d) Weitere Schutzbereiche des 15. Abschnitts IV. Reformfragen 1. Technische und gesellschaftliche Entwicklung 2. Zur Frage des Indiskretionsdelikts 3. Grenzen des strafrechtlichen Schutzes V. Recht des Einigungsvertrages

Bernd Schünemann

7 8 9 10 11 13 14 15

Vor § 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs Stichwortverzeichnis Zahlen = Randnummer

Abwägungsbereich 2 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 2 Amtsgeheimnis 1

Nachtsichtgerät 11

Berufsgeheimnis 12 Bürgerlichrechtlicher Schutz 5

Persönlichkeitsschutz - Grenzen 14 Privatgeheimnis 1 Privatsphäre 2

Caroline von Monaco 3 DDR - Alttaten aus der - 15 Dienstleistungsgesellschaft 12 Ehewohnung - Gespräche in der - 3 Einigungsvertrag 15 Enthüllungsjournalismus 12 Entstehungsgeschichte 1 Geschäftsgeheimnis 1,9 LauschangrifT - Großer 3 Indiskretionsdelikt -Allgemeines 13 Informationelle Selbstbestimmung 4 Intimsphäre 2 Kernbereich 2 Kontingenz 4 Lügendetektor 3

Öffentlichkeitssphäre 2

Reform des 15. Abschnitts 10 Right - to be let alone 2 - to privacy 2 Schadensersatzanspruch 5 Selektivität - des Strafrechts 6 Sozialsphäre 2 Sphärentheorien 3 Strafverfahrensrecht 2 Tagebuch 3 Täterkreise - der einzelnen Delikte 1, 12 Technik - Fortschritt d. - und Recht 11 Teleobjektiv 11 Überblick 4 Unterlassungsanspruch 5 Verfassungsrecht 2 Viktimodogmatisches Prinzip 7 Volkszählung 3

I. Entstehungsgeschichte 1

Der 15. Abschnitt des StGB enthielt ursprünglich Vorschriften über den Zweikampf (§§ 201 bis 210 a. F.), die durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645) ersatzlos aufgehoben wurden. An ihrer Stelle fügte das EGStGB den Abschnitt über die „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs" ein. Diese Überschrift ist jedoch zu eng gefaßt. Die Straftatbestände des Abschnitts beschränken sich nicht • auf den Schutz der Persönlichkeitssphäre; sie erfassen auch den geschäftlichen und amtlichen Bereich. Die durch das EGStGB eingefügten Vorschriften waren in ihrem Kern nicht neu. Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§201) war bereits zuvor in den §§ 298, 353d Abs. 1 a. F. unter Strafe gestellt; § 201 StGB faßte diese Bestimmungen zusammen, traf im übrigen aber nur geringfügige Änderungen. Der Kern des Straftatbestandes, der auf § 183 E 1962 zurückgeht, blieb unberührt (vgl. § 201 Rdn. 1). Strafvorschriften über die Verletzung des Brief- und des Berufsgeheimnisses waren von Anfang an im StGB enthalten (§§ 299, 300 a. F.); die neuen §§ 202, 203 erweiterten den Schutzbereich der früheren Tatbestände jedoch beträchtlich (vgl. im einzelnen § 202 Rdn. 1). Eine § 204 - Verwertung fremder Geheimnisse - entsprechende Strafvorschrift kannte das StGB selbst noch nicht; Vorläufer fanden sich jedoch in zahlreichen Stand: 1. 8. 2000

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Vorbemerkungen

Vor § 201

Bestimmungen des Nebenstrafrechts (vgl. § 204 Rdn. 1). § 205 regelt für alle Tatbestände das - im allgemeinen schon vorher bestehende - Antragserfordernis. Ergänzend ist anzumerken: Das 5. StrRG vom 18. Juni 1974 (BGBl. I 1297), geändert durch das 15. StÄG vom 18. Mai 1976 (BGBl. I 1213), erweiterte den Kreis der möglichen Täter des § 203, indem es die Mitglieder oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach § 218 b Abs. 2 Nr. 1 in den Tatbestand einbezog, mit weiteren Modifikationen durch das SFHG vom 27. Juli 1992 (BGBl. I 1398) und das SFHÄndG vom 21. August 1995 (BGBl. I 1050). § 202a wurde durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG, BGBl. I 1986 S. 721) eingefügt. Die Vorschrift stellt das Ausspähen von Daten unter Strafe, die so gespeichert sind oder übermittelt werden, daß sie nicht unmittelbar wahrgenommen werden können. Die relativ weite Fassung des Tatbestandes erlaubte es, den Schutz des Briefgeheimnisses (§ 202) wieder auf Schriftstücke und Abbildungen zu beschränken. § 206 wurde wiederum durch Art. 2 Abs. 13 Nr. 6 Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I 3108) als wegen der Neuordnung des Postwesens notwendig gewordene Nachfolgevorschrift von § 354 a. F. in den 15. Abschnitt eingefügt. Mit der Zusammenfassung der Vorschriften in einem besonderen Abschnitt des StGB unterstrich der Gesetzgeber die Bedeutung, die den hier geschützten Rechtsgütern nach heutigem Verständnis - im Lichte des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention - beizumessen ist (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 235). II. Verfassungsrechtlicher Hintergrund 1. Das Verständnis der strafrechtlichen Regelung, die notwendigerweise fragmen- 2 tarische Züge aufweist, wird erleichtert, wenn man sie im größeren Zusammenhang, insbesondere im Blick auf die Wertentscheidungen des Grundgesetzes sieht (vgl. Schünemann S. 14). Bei den Tatbeständen des 15. Abschnitts geht es - entsprechend seiner gesetzlichen Bezeichnung - in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich um den Schutz verschiedener Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das in der Rechtsprechung des BVerfG als ein aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitendes Grundrecht anerkannt und damit verfassungsrechtlich garantiert worden ist1 (vgl. ferner Art. 8 MRK und dazu Evers S. 282, 283ff). Zur Kennzeichnung des Schutzbereiches hat sich das Bundesverfassungsgericht anfangs an die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court angelehnt, der ein right to privacy bzw. ein right to be let alone anerkennt, und ausgesprochen, daß jedem ein „Innenraum" verbleiben muß, „in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt" (BVerfGE 27 1, 6; Wintrich Zur Problematik der Grundrechte [1957], S. 15f; ferner Benda in BendaiMaihoferl Vogel Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 2. Aufl. [1994], § 6 Rdn. 25, 35f; Schünemann S. 27f; Krauß S. 380fi). Die dogmatische Ausarbeitung ist dabei durch die Unterscheidung von zwei unterschied1

(3)

Und zwar unter Fortführung der richtungsweisenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. BGHZ 13 334ff; 24 72ff; 26 349ff; 27 284ff; zur seitherigen Entwicklung Ermanl Ehmann, BGB, Anhang § 12; ders. JuS 1997 193 ff. Zur etwas später einsetzenden Recht-

sprechung des BVerfG siehe BVerfGE 27 344, 350f; 32 373, 379; 34 238, 245f; 54 148, 153; 65 Iff und zur Entwicklung Schmitt Glaeser HdbStR VI § 129 Rdn. 27ff; Kunig in v. Münch/ Kunig Grundgesetz-Kommentar Bd. 1 Art. 1 Rdn. 10, Art. 2 Rdn. 30 ff.

Bernd Schünemann

Vor § 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

liehen Schutzbereichen vorangetrieben worden, nämlich zwischen einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung, der jedem fremden Zugriff absolut entzogen sei,2 und einem nur noch relativ geschützten Bereich („Abwägungsbereich"), i,n dem der einzelne Bürger in Kommunikation mit anderen tritt oder in anderer Weise einen Sozialbezug herstellt und in den der Staat im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingreifen darf. 3 Eine weitere Untergliederung und Aufteilung im Rahmen dieser Sphärentheorie ist kaum vom BVerfG, 4 wohl aber in der Lehre versucht worden. So werden etwa vor allem im zivilrechtlichen Schrifttum mindestens drei Sphären unterschieden, nämlich die Geheim- oder Intimsphäre, die den stärksten Schutz genießen und den Bereich umfassen sollen, in dem der Mensch ganz für sich sein will, ohne die Zudringlichkeit anderer befürchten zu müssen; die Privatsphäre, die das Leben in Familie, Freundschaft und Nachbarschaft unter Ausschluß der Allgemeinheit erfassen soll und in die nur bei überwiegenden Interessen der Allgemeinheit unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots eingegriffen werden darf; und die (teilweise selbst noch unterschiedene) Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre, die den Kontakt zur Allgemeinheit betrifft und für die deshalb (nur) die allgemeinen Regeln des Freiheitsschutzes gelten, so daß hier ein Zugriff des Staates nach den allgemeinen Regeln der Verhältnismäßigkeit zulässig ist.5 Wieder anders wird von Wolter innerhalb des Kernbereichs für das besonders heikle Feld des Strafverfahrensrechts zwischen dem in Art. 1 G G verankerten unantastbaren Bereich und dem aus Art. 19 Abs. 2 G G abzuleitenden, ebenfalls unantastbaren Wesensgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterschieden. 6 3

2. Die verschiedenen Sphärentheorien einschließlich derjenigen des BVerfG haben jedoch in doppelter Weise versagt, weil eine auch nur einigermaßen brauchbare Abgrenzung der Sphären gegeneinander nicht möglich ist und weil die in Wahrheit viel wichtigere Differenzierung nach dem Gewicht der Eingriffsinteressen und der 2

Erstmals BVerfGE 6 32, 41; 6 389, 433; 27 344, 350f; 32 373, 378f; 34 238, 245; 54 142, 146; der verbalen Oberflächenstruktur nach auch noch 80, 367, 373f, s. dazu aber in Fn. 8. Weitere Nachweise zur Rechtsprechung und Literatur bis 1974 bei Scholz AöR 100 (1975), 80ff, 265ff; grundsätzlich zustimmend, aber im einzelnen vielfache Modifizierungen vorschlagend Starck in v. MangoldtlKleinlStarck GG I Art. 2 Rdn. 84ff; Dalakouras S. 86ff, 268ff; Rohlf S. 225ff; Gössel NJW 1981 651, 655; ders. JZ 1984 361; Geppert JZ 1988 471, 473; Hofmann JuS 1992, 587, 591 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 238; Otto Kleinknecht-Festschrift S. 319, 320; Stürmer NStZ 1990 397; Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater (1996) S. 73ff; Peglau S. 16fT; Wolter SK-StPO (Juni 1994) Rdn. 26fT, 29, 131 f vor§ 151.

3

Wobei das BVerfG und die im Ansatz zustimmenden Autoren (Nachweise in Fn. 2) nur darin übereinstimmen, daß überhaupt zwischen dem Kembereich und dem Abwägungsbereich zu unterscheiden ist, während über den Verlauf der Abgrenzungslinie selbst weder Einigkeit noch auch nur eine klare Konzeption besteht. Während das BVerfG die Abgrenzung von Fall zu Fall vornehmen will und damit die ganze

Unterscheidung streng genommen nach Art eines Inversionsschlusses handhabt, ist die einzige im Schrifttum vorgeschlagene generelle Abgrenzungsrichtlinie, die zwischen dem forum internum und der Kommunikation nach außen unterscheidet (Dalakouras S. 88, 264; Rohlf S. 227; w.N.b. Frank [Fn. 2], S. 102f), zwar trennscharf und praktikabel, in der Sache aber nicht überzeugend, weil rechtlich erhebliches Verhalten regelmäßig Sozialbezug aufweist, so daß eine Beschränkung des Kernbereichs auf das forum internum dafür nur einen minimalen Verwendungsbereich läßt, was auch vom BVerfG in der zweiten Tagebuchentscheidung ausdrücklich für inadäquat erklärt worden ist (BVerfGE 80 367, 374; ebenso Wolter SK-StPO Rdn. 134 vor § 151; Frank [Fn. 2], S. 103f). 4

5

6

And. Scholz AöR 100 (1975) 288; Räpke S. 24; Hofmann JuS 1992 587, 591. Enneccerus/Nipperdey Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I S. 591; Hubmann Das Persönlichkeitsrecht 2. Aufl. (1967), S. 269; Maass Information und Geheimnis im Zivilrecht (1970) S. 22ff; w. N. b. Schünemann S. 17 f. SK-StPO Rdn. 26c, 117 vor § 151; Wolter NStZ 1993 Iff.

Stand: 1. 8. 2000

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Vorbemerkungen

Vor § 201

Eingriffstiefe der verschiedenen Angriffsformen darin nicht untergebracht werden kann.7 Auch das BVerfG hat die Sphärentheorie mittlerweile zwar noch als Lippenbekenntnis aufrechterhalten, aber der Sache nach aufgegeben, weil es in der zweiten Tagebuchentscheidung nicht einmal ein intimste Selbstgespräche wiedergebendes Tagebuch zum unantastbaren Kern der Persönlichkeit gezählt und diesen infolgedessen auf eine Nullmenge reduziert8 sowie im Volkszählungsurteil anerkannt hat, daß es unter dem Aspekt des Datenschutzes kein belangloses Datum mehr gibt, weil wegen der durch die Datenverarbeitung ermöglichten Verknüpfbarkeit einzelner Daten auch an sich völlig „harmlose" Daten für die Privatsphäre des Individuums gefahrlich werden können.9 Auch die (in dieser Hinsicht ohnehin stets schwankende)10 Rechtsprechung des BGH kann für die Sphärentheorie schwerlich noch in Anspruch genommen werden, nachdem das einstmals aus der These des unantastbaren Kernbereichs der Menschenwürde abgeleitete Verbot des Einsatzes eines Lügendetektors" mittlerweile auf die These seiner völligen Ungeeignetheit als Beweismittel reduziert worden ist12 und nachdem das „Paradebeispiel", nämlich die Einordnung der Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung in den unantastbaren Kernbereich (BGHSt 31 296, 300), durch die Regelung des sog. Großen Lauschangriffs in 7

Schünemann S. 17ff; kritisch auch schon Riipke S. 25; Kamiah DÖV 1970 362; Forsthoff DJTFestschrift, S. 45 ff; Fezer JR 1976 96; Kraus Gallas-Festschrift S. 378 ff; seither Pierothl Schlink Grandrechte Staatsrecht II Rdn. 376; Plagemann NStZ 1987 570; Klöhn Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, Diss. Göttingen 1984, S. 106 ff, 274ff; Lorenz GA 1992 267; Ehmann JuS 1997 196f; Dreier in H. Dreier Grandgesetz Bd. I Art. 2 I Rdn. 61; Kunig in v. MünchlKunig Grundgesetz Bd. 1 Art. 2 Rdn. 41; Murswiek in Sachs Grundgesetz Art. 2 Rdn. 104ff; Schmitt Glaeser HdbStR VI § 129 Rdn. 14ff; vgl. aber auch die Verteidigung bei Rogali ZStW 103 (1991), 907, 920f und passim.

8

Wenn auch nur in einer 4 : 4 Entscheidung, siehe BVerfGE 80 367, 376 (Gründe, auf denen die Entscheidung gemäß § 15 Abs. 3 S. 3 BVerfGG beruht), 380 (abw. Meinung der vier anderen Richter); ähnlich die Zurücknahme des ursprünglich aus Art. 1 G G abgeleiteten Verbots des Lügendetektors, s. BVerfG NJW 1998 1938. Auch sonst spielt die Sphärentheorie in der neueren Rechtsprechung von BVerfG und BGH zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das mit Vorliebe anhand von Prozessen der Prinzessin Caroline von Monaco entfaltet wird, keine besondere Rolle, vgl. etwa BGHZ 128 1; BVerfGE 101 361. Zu der gleichwohl anhaltenden, aber meist folgenlosen Beliebtheit der Sphärentheorie im Schrifttum vgl. Heldrich Heinrichs-Festschrift S. 319, 327 ff; Rehm AfP 1999 416.

9

BVerfGE 65 1, 42 ff; Weichert Informationelle Selbstbestimmung und strafrechtliche Ermittlung (1990) S. 13ff; ders. NStZ 1999 490f. Vgl. einerseits BGHSt. 31 296, 299 f, wo in seltener (und zweifelhafter, siehe bei Fn. 13) Weise ein staatlicher Eingriff in den Kernbereich konstatiert wurde, und andererseits das

10

(5)

Tagebuchurteil des BGH BGHSt. 34 397, 401, wo die Sphärentheorie nicht einmal erwähnt wird, was laut Wolter SK-StPO, Rdn. 29 vor § 151 m.z. W.N., „erstaunlich" ist. Auch das BVerfG hält sich nicht einmal terminologisch konsequent an seine Unterscheidung von Kernund Abwägungsbereich, vgl. beispielsweise den Kammerbeschluß BVerfG NJW 19% 2643. Im übrigen ist wegen der einschlägigen Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte, die so gut wie ausschließlich strafprozessuale Fragen betrifft und hier deshalb im einzelnen nicht interessiert, auf die detaillierte Darstellung bei Wolter SK-StPO, Rdn. 29 ff, 130 ff vor § 151, zu verweisen. 11

BGHSt. 5, 332 ff, bestätigt durch BVerfG NStZ 1981 446f; zustimmend die damals h. M., s. UUMeyer 23. Aufl. (1978) § 136a Rdn. 41; KleinknechtlMeyer-Goßner StPO § 136 a Rdn. 24; Rogali in SK-StPO § 136a Rdn. 75f; Beulke Strafprozeßrecht Rdn. 141; Eisenberg Beweisrecht der StPO Rdn. 696ff; Peters ZStW 87 (1975) 663 ff; Frister ZStW 106 (1994) 303, 331; Schlächter Das Strafverfahren Rdn. 98; in der Tendenz auch Roxin Strafverfahrensrecht § 25 IV Rdn. 17; LRIHanack § 136a Rdn. 56, 60; Achenbach NStZ 1984 350ff; aA Undeutsch ZStW 87 (1975) 650ff; ders. MschrKrim 1979 228; Schwabe NJW 1979 576ff; Kühne Strafprozeßlehre Rdn. 536.1-2; Amelung NStZ 1982 38ff; Prittwitz MDR 1982 886ff; Wegner Täterschaftsermittlung durch Polygraphie (1981) S. 183 ff; Delvo Der Lügendetektor im Strafprozeß der USA (1981) S. 374ff; Dalakouras S. 172 ff; für eine Differenzierung durch Beschränkung des Lügendetektors auf das Ermittlungsverfahren Schünemann Kriminalistik 1990 131-132, 149-152.

12

BGHSt. 44 308.

Bernd Schünemann

Vor § 2 0 1

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

§ 100c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 4 und 5, Abs. 3 StPO vom Gesetzgeber selbst 13 desavouiert worden ist. 4

3. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der §§ 201 ff besteht deshalb nicht in der in einen Zirkelschluß hineinführenden Sphärentheorie, sondern in der schlichten Erkenntnis, daß das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit hierdurch in einem bestimmten Ausschnitt strafrechtlich geschützt wird, den das BVerfG im Volkszählungsurteil als spezielles Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung proklamiert hat, 14 das man somit als die unmittelbare verfassungsrechtliche Basis für die §§ 201-206 ansprechen kann. Die Problematik eines derartigen Grundrechts, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" (BVerfGE 65 1, 42; ferner Benda a a O § 6 Rdn. 26), liegt natürlich auf der Hand, da es stricto sensu nur für einen Robinson Crusoe paßt, während für das Leben des Menschen in der Gesellschaft die Abwägung ~ zwischen seinem etwaigen Interesse an Geheimhaltung und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht im Ausnahme-, sondern im Regelfall notwendig ist. Ähnlich wie die allgemeine Handlungsfreiheit als Schutzobjekt von Art. 2 Abs. 1 G G 1 5 hat deshalb auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung keinen durch bloße Verfassungsinterpretation exakt angebbaren Schutzbereich, sondern ist auf die kaum je zu stringenten, sondern in der Regel nur zu kontingenten Ergebnissen führende Methode der Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall angewiesen. 16 Die dogmatische Bedeutung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt dann vor allem im kompetentiellen Bereich, weil dadurch jede Einschränkung unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt wird, dem in vielen Bereichen noch kein Genüge getan worden ist (mit entsprechenden schwierigen Problemen f ü r die Rechtfertigungsfrage auch bei den §§ 20Iff, siehe § 201 Rdn. 38fi) und auch vielfach nur in Form von Generalklauseln Genüge getan werden kann (besonders ausgeprägt im Datenschutzrecht, siehe § 203 Rdn. 44). Für das Strafrecht bringt die verfassungsrechtliche Verankerung deshalb nur, aber immerhin den systematischen Gewinn, daß es dadurch möglich ist, den historisch aus ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und auf unterschiedlichen Feldern entstandenen Tatbeständen der §§ 201-206 ein für alle geltendes gemeinsames, in den einzelnen Vorschriften lediglich aufgefächertes Rechtsgut zuzuschreiben.

13

14

15

Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität v. 4.5.1998, BGBl. 1 845. BVerfGE 65 Iff; zur kontroversen Diskussion über dessen dogmatischen Wert siehe Dreier in H. Dreier Grundgesetz Bd. I Art. 2 I Rdn. 52; Gusy in v. MangoldtlKleinlStarck G G I Art. 10 Rdn. 71; Murswiek in Sachs Grundgesetz Art. 2 Rdn. 72 f; Schmitt Glaeser HdbStR VI § 129 Rdn. 76ff; Vogelgesang Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? (1987); Höfelmann Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung anhand der Ausgestaltung des Datenschutzrechts pp. (1997); Rogali ZStW 103 (1991)907, 921fr. So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung seit dem Lüth-Urteil BVerfGE 6 32 ff, siehe dazu Dreier in H. Dreier G G Art. 2 I Rdn. 20; Murswiek in Sachs Grundgesetz Art. 2 Rdn. 43 ff;

16

Starck in v. MangoldtlKleinlStarck G G I Art. 2 Rdn. 8; Degenhart JuS 1990 161 ff; Pieroth AöR 115(1990)33ff. Die rechtstheoretischen und -methodologischen Arbeiten zur Güter- und Interessenabwägung sind Legion und hier nicht im einzelnen zu behandeln, vgl. zuletzt Alexy Theorie der juristischen Argumentation (1978); Sieckmann Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems (1990). Sie alle haben nichts daran ändern können, daß es nach Berücksichtigung aller Abwägungsgesichtspunkte in der Regel immer noch mehrere vertretbare Lösungen gibt, von denen dann schließlich eine von der letztentscheidenden Instanz durch einen im Kern politischen Akt ausgewählt und für verbindlich erklärt wird - was vor aller theoretischen Reflexion von der praktischen Alltagserfahrung jedes Juristen bestätigt wird, der die

Stand: 1. 8. 2000

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Vorbemerkungen

Vor § 201

III. Überblick über die Schutzvorschriften und ihre Funktion Aus der diffusen normativen Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als einer seiner wichtigsten Ausprägungen folgt also, daß nicht erst dessen Schranken, sondern schon der Schutzbereich selbst auf der Ebene des sog. einfachen Rechts bestimmt werden muß. Hier dienen eine Vielzahl von Vorschriften seinem Schutz: 1. Eine umfassende Bedeutung kommt dabei dem in der Rechtsprechung des BGH 5 entwickelten bürgerlichrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu, der auch den persönlichen Lebens- und Geheimbereich erfaßt. Bei rechtswidrigen Eingriffen bestehen Ansprüche auf Unterlassung und ggf. Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens. 17 2. Der Schutz durch das bürgerliche Recht reicht jedoch nicht aus. Bei besonders 6 schwerwiegenden Verletzungen und für besonders sensible Bereiche bedarf es zusätzlicher strafrechtlicher Sanktionen.18 a) Der erforderliche strafrechtliche Schutz ist über das ganze StGB verteilt (Übersicht bei Peglau S. 26ff), jedoch mit den klaren Schwerpunkten im 14. Abschnitt (Beleidigung) und im 15. Abschnitt des StGB. Wenn sich auch die Vorschriften des 15. Abschnitts nicht nur mit dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich befassen, so steht doch dessen Schutz in ihrem Mittelpunkt (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 235). Wie dieser Bereich abstrakt zu umschreiben ist, mag im einzelnen zweifelhaft sein.19 Sicher ist: Das StGB bezweckt keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre; es beschränkt sich darauf, bestimmte Angriffe mit Strafe zu bedrohen. Durch diese Zurückhaltung ist es dem Gesetzgeber gelungen, relativ scharf konturierte Straftatbestände zu schaffen, obwohl sich das geschützte Rechtsgut einer präzisen Definition entzieht (vgl. Schiinemann S. 13f)· Dabei wird der strafrechtliche Schutz auf zwei Weisen verwirklicht (vgl. Schiinemann S. 32 f): Einige Vorschriften stellen bereits das unbefugte Eindringen in den persönlichen Lebens- und Geheimbereich unter Strafe. Voraussetzung ist allerdings, daß das Eindringen in qualifizierter Form erfolgt oder daß besondere Schutzvorkehrungen getroffen wurden, die zu überwinden sind (vgl. §§ 201, 202, 202 a). Sind dem Täter Tatsachen aus dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich bereits bekannt, bedarf es danach keines Eindringens mehr, kann auch die unbefugte Weitergabe dieser Kenntnisse oder deren widerrechtliche Verwertung strafbar sein. Hier setzt der Tatbestand jedoch voraus, daß der Täter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgeführten Personengruppen angehört und in dieser Eigenschaft zum Geheimnisträger wurde (§§ 203, 204). IContingenz der Güter- und Interessenabwägung und ihre autoritative Entscheidung im gerichtlichen Instanzenzug täglich erfahrt. " Vgl. dazu im einzelnen ErmanlEhmann BGB Anh. § 12; Ehmann JuS 1997 193 ff; zur geschichtlichen Entwicklung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes vgl. Bussmann Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf die modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen?, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band I S . 1, 8 ff. 18 Vgl. zu dieser Notwendigkeit - auch unter Berücksichtigung des zivilrechtlichen Schutzes (7)

19

durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht Henkel S. D 73 ff; Gallas S. 20f; Neumann-Duesberg S. 863; Gerhard Schmidt S. 761 ff; Arzt S. 31 Iff. Vgl. allgemein Schünemann S. 27 ff; Krauß S. 367 ff, 384, 387; Kienapfel S. 13, 17, 18ff, 23; Fezer JR 1976 95, 96; im Hinblick auf Art. 8 M R K : fivers S. 284 ff; zum Versuch, einzelne Sphären zu unterscheiden, o. Rdn. 2 sowie Schünemann S. 17ff; Kienapfel S. 18ff; Arzt S. 102 ff; Henkel S. D 80ff; Scholz AöR 100 80, 265, 266; zur geschichtlichen Entwicklung: Schünemann S. 15ff; Kienapfel S. 14ff; Süß S. 199ff.

Bernd Schünemann

Vor § 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

7

b) Normativer Hintergrund der vom Gesetzgeber vorgenommenen Grenzziehung für den Strafrechtsschutz ist in allen Fällen das durch die Tatbestandsausgestaltung manifestierte viktimodogmatische Prinzip, demzufolge die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platze ist, wenn das Opfer keinen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf, weil es von ohne weiteres verfügbaren Selbstschutzmöglichkeiten ohne triftigen Grund keinen Gebrauch gemacht hat. Am Beispiel des § 202: Wer intime Dokumente unverschlossen herumliegen läßt, kann gegen die Kenntnisnahme durch Dritte ebenso wenig einen strafrechtlichen Schutz verlangen, wie (am Beispiel des § 203) derjenige, der zur Behandlung seiner Leiden statt eines Arztes einen Wunderheiler aufsucht, der die Behandlungsgeschichte an die Boulevardpresse weitergibt. Die Bedeutung der Viktimodogmatik als regulatives Prinzip einer teleologischen Tatbestandsauslegung 20 wird an vielen Einzelproblemen der §§ 201 ff deutlich.21 Zur fortbestehenden Grundsatzkontroverse vgl. nachfolgend § 203 Rdn. 16 f.

8

c) Strafbestimmungen zum Schutz des persönlichen Geheimbereichs finden sich des Zusammenhangs wegen - auch in anderen Gesetzen, die bestimmte Spezialgebiete ordnen (vgl. zur Zersplitterung der Materie in ausländischen Rechtsordnungen Vogler S. 390). So wird die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten in § 69 SchwBehG mit Strafe bedroht (vgl. zum hier geschützten Rechtsgut Ambs in Erbs-Kohlhaas § 69 SchwBehG Anm. 2). Nach § 120 Abs. 2 BetrVG macht sich ein Mitglied des Betriebsrats strafbar, das ein „fremdes Geheimnis eines Arbeitnehmers, namentlich ein zu dessen persönlichem Lebensbereich gehörendes Geheimnis", unbefugt offenbart. Die unbefugte Verbreitung von Abbildungen einer Person ist nach § 33 KunstUrhG strafbar; auch sie stellt sich als ein rechtswidriger Eingriff in den persönlichen Lebensbereich dar (vgl. Schäfer in: v. Staudinger BGB § 823 C 151 ff; Henkel S. D 86ff, 142; Süß S. 192). Weitere Strafvorschriften, die dem Schutz des Persönlichkeitsbereichs dienen, gibt es im Recht des Datenschutzes. Strafrechtlichen Schutz bietet insoweit beispielsweise § 43 BDSG (näher zu dieser Vorschrift und ihrer Kollision mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 G G § 203 Rdn. 44). In räumlicher Beziehung wird die Privatsphäre durch § 123 StGB geschützt (vgl. Süß S. 205; Kienapfel S. 18, 44; Schiinemann S. 32). Zu erwähnen sind schließlich Vorschriften, die, wenn sie auch vornehmlich eine andere Zielrichtung haben, jedenfalls mittelbar zum Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs beitragen: Dazu gehören etwa § 353b StGB (vgl. Träger Voraufl. § 353b Rdn. 13, 34; zum geschützten Rechtsgut in § 353b dort Rdn. 2) und § 353d StGB (zum geschützten Rechtsgut Träger Voraufl. § 353d Rdn. 2).

9

d) Der durch die Vorschriften des 15. Abschnitts bezweckte Schutz erstreckt sich jedoch auch auf Gebiete, die über den persönlichen Lebens- und Geheimbereich im engeren Sinne hinausgehen (vgl. SehlSchröder!Lenckner Vorbem. 2 vor §§ 201 ff; Kienapfel S. 42f; Gallas S. 22; Schünemann S. llfi). So verbietet § 201 auch die Aufnahme geschäftlicher Gespräche oder amtlicher Unterredungen (vgl. § 201 Rdn. 2, 5). In ähnlicher Weise erfaßt § 202 auch Geschäftsbriefe oder behördliche Mitteilungen (§ 202 Rdn. 2, 8). § 202a beschränkt sich nicht auf den Schutz personenbezogener Daten (§ 202a Rdn. 2). Die §§ 203 und 204 erfassen ausdrück20

Für die Delikte des 15. Abschnitts begründet von Schünemann S. 32 f, 53 ff; bezüglich des Ausbaues zu einer allgemeinen Auslegungsrichtlinie siehe die Nachweise u. § 203 Fn. 37.

21

Vgl. § 201 Rdn. 13, 24; § 202 Rdn. 2, 13; § 202a Rdn. 14 f; § 203 Rdn. 16 f.

Stand: 1. 8. 2000

(8)

Vorbemerkungen

Vor §

201

lieh die Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen; diese gehören zum Bereich der gewerblichen Betätigung, nicht zur Privatsphäre (vgl. BVerfGE 38 312, 320).

IV. Reformfragen Der Blick auf den bisherigen Gang der Gesetzgebung zeigt, daß der strafrechtliche 1 0 Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs stetig fortentwickelt und ausgebaut wurde (vgl. Rdn. 1 sowie im einzelnen § 201 Rdn. 1; § 202 Rdn. 1; § 202a Rdn. 1; § 204 Rdn. 1). Ein Abschluß dieser Entwicklung ist noch nicht zu sehen. 1. Anzeichen für einen künftigen Regelungsbedarf mag die zunehmende Emp- 11 findlichkeit gegen Beeinträchtigungen der Persönlichkeit und ihrer Lebenssphäre sein, die in weiten Kreisen spürbar wird und ein verändertes Rechtsbewußtsein signalisiert (vgl. Henkel S. D 66). Eine ganz besondere Rolle spielt ferner der rasche Fortschritt in der Technik (vgl. dazu Henkel S. D 66; Kienapfel S. 9, 10 m.w.N. S. 10 Fn. 2; Gallas S. 18ff; Benda in: BendaiMaihofer/Vogel Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. [1994], § 6 Rdn. 44ff S. 122; Gerhard Schmidt S. 764 f; Süß S. 190f; Grünhut S. 319; Vassalli S. 454 f). Durch die Entwicklung immer perfekterer Geräte, die es erlauben, die Worte eines anderen heimlich auf Tonträger aufzunehmen oder dessen Gespräche abzuhören, war der Gesetzgeber gehalten, einen Straftatbestand zum Schutz der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201) zu schaffen (vgl. Henkel S. D 127 sowie die Nachweise § 201 Rdn. 1). Bald zeigte sich jedoch, daß der durch diese Vorschrift gewährleistete Schutz unzureichend war. Das Gesetz zur Verhinderung des Mißbrauchs von Sendeanlagen vom 27. Juni 1986 (BGBl. I 948) fügte deshalb mit den §§ 5 äff zum Teil strafbewehrte Verbote für den Umgang mit Sendeanlagen in das Fernmeldeanlagengesetz ein. Die neuen Vorschriften sollten den Mißbrauch von Abhörgeräten, wie er durch die technische Entwicklung ermöglicht wurde, bereits im Vorfeld verhindern (vgl. BTDrucks. 10/1618 S. 6). Auch der Schutz des Briefgeheimnisses wurde erweitert, um zu verhindern, daß mittels moderner Durchleuchtungseinrichtungen verschlossene Briefe gelesen würden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237). Es ist zu erwarten, daß die zukünftige technische Entwicklung weitere Reaktionen des Gesetzgebers erfordern wird (vgl. hierzu Kienapfel S. 10, Süß S. 190). Schon gegenwärtig wird als Widerspruch empfunden, daß zwar der Einsatz eines Abhörgerätes strafbar ist, nicht aber das heimliche Fotografieren eines anderen, etwa mit Teleobjektiven oder mit Nachtsichtgeräten, obwohl dieses einen ebenso schwerwiegenden Einbruch in die Privatsphäre bedeuten könne (vgl. Schünemann S. 33; Kienapfel S. 45, 47; Evers S. 282 für das österreichische Recht; zum zivilrechtlichen Blickwinkel Schäfer in: v. Staudinger BGB § 823 C 158; OLG Hamm JZ 1988 308 mit abl. Anm. Helle). Das EGStGB hat insoweit noch auf eine Strafbestimmung verzichtet. Zur Begründung wurde angeführt, die damit zusammenhängende Problematik sei so schwierig, daß es aus zeitlichen Gründen nicht möglich sei, in diesem Punkt eine befriedigende Lösung vorzuschlagen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 236). Anforderungen an den Strafgesetzgeber werden sich aber auch daraus ergeben, daß im Zuge der technischen Entwicklung immer neue Bereiche entstehen, die eines besonderen Schutzes bedürfen. So hat der Aufbau von Datenbanken und Datenverarbeitungssystemen es erforderlich gemacht, das Ausspähen von Daten in einer besonderen Vorschrift (§ 202 a) zu erfassen und unter Strafe zu stellen. (9)

Bernd Schünemann

Vor § 2 0 1

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

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Schließlich schafft auch die gesellschaftliche Entwicklung, die durch einen stetigen Ausbau des Sozial- und Dienstleistungssektors gekennzeichnet ist, neue Gefahren für den persönlichen und geschäftlichen Lebens- und Geheimbereich. Wer Leistungen des Sozialstaats oder Dienstleistungen Privater in Anspruch nehmen will, ist oft gezwungen, Einblick in seine persönlichen Verhältnisse zu gewähren. Das wachsende Bedürfnis, die Vertraulichkeit solcher Informationen zu schützen, könnte weiteren Anlaß zu strafrechtlichen Anpassungen geben. Diesem Zusammenhang ist zuzuordnen, daß das E G S t G B den Täterkreis des § 300 a. F. im Rahmen des § 203 erheblich ausweitete (vgl. Gallas S. 23). Dabei ging der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform noch über die Vorschläge der Bundesregierung hinaus. Deren Entwurf (BTDrucks. 7/550 S. 21) hatte ursprünglich neben den Ärzten und Apothekern als zusätzliche Tätergruppen vorgesehen: Berufspsychologen (Nr. 2), Steuerbevollmächtigte, Organe oder Mitglieder eines Organs einer Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft (Nr. 3) und Ehe- und Erziehungsberater (Nr. 4). Auf Anregung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (vgl. BTDrucks. 7/1232 S. 45) kamen folgende Berufsgruppen hinzu: Tierärzte (Nr. 1), Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen (Nr. 4), staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen (Nr. 5) und Angehörige eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle (Nr. 6). Das 5. StrRG (geändert durch das 15. StÄG) fügte schließlich unter Nr. 4 a die Mitglieder oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach § 218 b Abs. 2 Nr. 1 als mögliche Täter hinzu. Es liegt nicht fern, daß dieser Personenkreis im Zuge moderner Entwicklung, bei der immer weitere Berufsgruppen im Rahmen ihrer Tätigkeit fremde Privatgeheimnisse erfahren, weiter ausgedehnt werden wird (vgl. Henkel S. D 135f, dort allerdings für die Rechtslage vor dem EGStGB). So wies beispielsweise schon bei den Gesetzgebungsarbeiten zum E G S t G B der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform darauf hin, daß einige Ausschußmitglieder ein Bedürfnis dafür gesehen hätten, den Sozialarbeitern hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht die Bewährungshelfer gleichzustellen, die nicht immer staatlich anerkannte Sozialarbeiter seien; der Ausschuß stellte diesen Punkt „aus Zeitgründen" zurück (BTDrucks. 7/1261 S. 16, 1). Auffallend ist außerdem - wenn auch vom gegenwärtigen Aufbau des § 203 her folgerichtig - , daß etwa Heilpraktiker oder Rechtsbeistände strafrechtlich nicht belangt werden können, wenn sie Geheimnisse ihrer Patienten oder Mandanten preisgeben (Schünemann S. 51: „geradezu betulich wirkende Kasuistik" des Gesetzes. Einige ausländische Rechtsordnungen umschreiben demgegenüber den Täterkreis allgemein, vgl. Vogler S. 393 sowie z. B. Art. 622 des italienischen Strafgesetzbuches; gegen einen „uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses" indessen Schünemann S. 54).

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2. Beeinträchtigungen des persönlichen Lebensbereichs werden besonders augenfällig, wenn sie in Form von „Enthüllungen" über das Privatleben anderer, insbesondere durch Berichte in der Sensationspresse, der Öffentlichkeit vorgeführt werden (vgl. Henkel S. D 99). Die H ä u f u n g solcher Fälle führt zu der Frage, ob ein allgemeines Indiskretionsdelikt geschaffen werden sollte, das - losgelöst von bestimmten Tätergruppen - die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten unter Strafe stellt (vgl. dazu z.B. Schünemann S. 33ff; Gallas S. 23ff; Henkel S. D 94 bis 111, 143; Gerhard Schmidt S. 741 ff; Neumann-Duesberg S. 863; zum österreichischen Recht Kienapfel S. 22f, 39f, 48). § 182 E 1962 enthielt bereits einen entsprechenden - eingeengten - Vorschlag (kritisch insoweit z.B. Kienapfel S. 21; zu weiteren früheren Reformvorschlägen in dieser Richtung vgl. Gallas S. 24ff sowie zu § 145 A E die ihm Stand: 1.8. 2000

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Vorbemerkungen

Vor § 201

zugrunde liegende Monographie von Arzt und die daran anknüpfenden Vorschläge von Dahn Die öffentl. Bloßstellung in der Strafrechtsreformdiskussion pp. (1971), S. 137 ff). Das EGStGB hat auf die Einführung einer solchen Strafvorschrift verzichtet. Zur Begründung hieß es (BTDrucks. 7/550 S. 235 f): Ob es geboten sei, den insoweit schon bestehenden bürgerlich-rechtlichen Schutz durch eine Strafvorschrift zu verstärken und wie eine solche Vorschrift tatbestandlich auszugestalten wäre, sei rechtspolitisch sehr umstritten; der Versuch, diese Fragen befriedigend zu lösen, würde die Gesetzgebungsarbeiten an dem Entwurf erheblich belasten; jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehe kein dringendes Bedürfnis, den strafrechtlichen Schutz der Privatsphäre in diesem Punkt zu erweitern; die Lösung der Frage müsse deshalb einer späteren Überprüfung überlassen bleiben (vgl. ferner Gallas S. 37, der 1963 - ebenfalls meinte, die Zeit sei für einen derartigen umfassenden Diskretionsschutz „noch nicht reif). Bei einer umfassenden Abwägung an den maßgeblichen Prinzipien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Strafrechtsschutzes sprechen jedoch auch weiterhin alle guten Gründe gegen die Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts (Schünemann S. 3 3 ff, 40 ff; Rogali Hirsch-Festschrift S. 665, 677 ff). Vertretbar sind deshalb allein sektorale Lösungen nach dem Muster des § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (dazu § 201 Rdn. 23). 3. Ansatzpunkte für einen Ausbau der gegenwärtigen Regelung sind nach alledem 1 4 nicht von der Hand zu weisen. Einer Ausweitung sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Der Persönlichkeitsschutz darf nicht absolut gesehen werden. Der einzelne lebt nicht allein, sondern mit anderen (vgl. - in diesem Zusammenhang - BVerfGE 47 15f; 50 166, 175; 50 290, 353; Henkel S. D 85f; Süß S. 206f); als unteilbare Person bringt er stets ein Stück seiner selbst in die Öffentlichkeit ein (Evers S. 285). Die offene demokratische Gesellschaft bedarf, wenn sie funktionieren soll, der Information; es muß möglich bleiben, sie zu beschaffen und weiterzugeben. Zu berücksichtigen ist zudem der besondere Charakter des Strafrechts, das seiner Natur nach auf Zurückhaltung angelegt ist. Sollen seine Waffen nicht stumpf werden, muß es sich auf die Aufgabe beschränken, die wichtigsten Kernbereiche zu schützen (vgl. Henkel S. D 73 f; Schünemann S. 40). Es bedarf deshalb sorgfältiger Prüfung, ob und wie weit eine strafrechtliche Sanktionierung geboten ist. Hinzu kommt die Schwierigkeit, die strafwürdigen Verhaltensweisen in hinreichend bestimmte Tatbestände zu fassen (Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. Henkel S. D 78; Gallas S. 20; Arzt S. 142f). Die Grenzen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs sind fließend; es sind vielfaltige berechtigte Interessen möglich, die einen Eingriff in das geschützte Rechtsgut nicht als strafwürdiges Unrecht erscheinen lassen. Auch unter diesem Blickwinkel kann das Strafrecht nur einen sektoralen Schutz bieten (vgl. Schünemann S. 31; kritisch insoweit Kienapfel S. 47 ff). Das läßt sich insbesondere deshalb hinnehmen, weil die Privatsphäre nicht nur mit Mitteln des Strafrechts geschützt wird (vgl. oben Rdn. 4). Gerade in Grenzbereichen wird das bürgerliche Recht elastischer als „das schwere Geschütz des Strafrechts" (Grünhut S. 320) auf neue Entwicklungen und Probleme reagieren können (vgl. Süß S. 207 ff; zur subsidiären Bedeutung des Strafrechts gegenüber dem Zivilrecht in ausländischen Rechtsordnungen vgl. Vogler S. 389). V. Recht des Einigungsvertrages Soweit eine vor dem 3.10.1990 in der ehemaligen DDR begangene Tat („DDR- 1 5 Alttat") nicht nach den Regeln des internationalen Strafrechts von vornherein nach dem StGB der Bundesrepublik strafbar war (was etwa für das Abhören von west(II)

Bernd Schünemann

Vor § 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

deutschen Telefongesprächen gilt, das seitens des Ministeriums für Staatssicherheit vom Brocken aus betrieben wurde und damit seinen Erfolgsort gemäß § 9 Abs. 1 in der Bundesrepublik hatte), sondern ausschließlich nach DDR-Recht, gelten § 2 StGB und Art. 315 Abs. 1-3 EGStGB. Bezüglich der Verjährung ist das 2. Verjährungsgesetz vom 27. September 1993 (BGBl. I 1657) zu beachten, dessen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG 22 von der Rechtsprechung zurückgewiesen worden ist.23 Weil die absolute Verjährungsfrist gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 wegen der verhältnismäßig geringfügigen Strafdrohungen der Straftatbestände des 15. Abschnitts, deren maximale Strafandrohung zwischen ein und drei Jahren Freiheitsstrafe variiert, gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 5 sechs Jahre beträgt, außerdem in der Vergangenheit kaum Verjährungsunterbrechende Handlungen vorgenommen worden sein dürften, ist der Komplex der DDR-Alttaten für diesen Abschnitt des StGB heute nicht mehr von praktischer Bedeutung. Es genügen deshalb folgende Hinweise: Eine dem § 201 StGB entsprechende Bestimmung war dem StGB-DDR fremd und ist erst durch deren 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990 (GBl. I 526) in Form von § 135 a in das StGB-DDR eingefügt worden. Die Heranziehung des Tatbestandes der Anmaßung staatlicher Befugnisse gemäß § 224 StGB-DDR (so KG JR 1993 388; OLG Dresden DtZ 1993 287) ist vom BGH zurückgewiesen worden (BGHSt. 40 8, 11 ff). Beim Abhören von Telefongesprächen zwischen der BRD und der DDR durch Anzapfen von Telefonleitungen auf dem Boden der DDR war von vornherein das Strafrecht der Bundesrepublik anwendbar, weil Tatort bei § 201 jeder Ort ist, an dem sich einer der Teilnehmer des abgehörten Gesprächs aufhält (KG JR 1993 388; Zweifel bei BGHSt. 40 lOf). Die Verletzung des Briefgeheimnisses war nach § 135 StGB-DDR strafbar (LG Dresden NStZ-RR 1997 200; Jung NK § 202 Rdn. 13). Bei einem den Tatbestand des § 202 a erfüllenden Delikt kamen entsprechende Normen der DDR in Betracht, nämlich § 136 a StGB-DDR (Verletzung der Rechte an persönlichen Daten) und § 246 a StGB-DDR (Rechtswidriger Zugriff zu Daten). Dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 StGB entsprach § 136 StGB-DDR (Verletzung des Berufsgeheimnisses), während Abs. 2 in § 245 StGB-DDR ein nach Umfang und Schutzzweck nur bedingt passendes Gegenstück hatte. Diskussionsstoff hat in der Vergangenheit in erster Linie die Fortgeltung der Schweigepflicht der Stasi-Mitarbeiter im Prozeß geliefert (KG NStZ 1992 144; AG Bonn JR 1994 171 m. Anm. Derkseri). Zur heutigen Anwendbarkeit von § 203 Abs. 2 auf ehemalige Funktionsträger der DDR s. § 203 Rdn. 168.

22

Zusammenfassend Schünemann Grünwald-Festschrift S. 657, 667 fT; ders. in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Uberwindung der Folgen der SED-Diktatur pp" II/2, S. 1304, 1319ff.

23

BGHSt. 40 48, 113; BGH NJ 1995 653; BGH NJW 1995 2861; BVerfG NStZ 1998 455.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes

§201

§201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (1) M i t Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt 1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt 1. das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder 2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt. D i e Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird. (3) M i t Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2). (4) Der Versuch ist strafbar. (5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74 a ist anzuwenden.

Schrifttum Alber Zum Tatbestandsmerkmal „nichtöffentlich" in § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, JR 1981 495; Arzt Notwehr gegen Erpressung, M D R 1965 344; Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Baumann § 53 StGB als Mittel der Selbstjustiz gegen Erpressung, M D R 1965 346; Blei Strafschutzbedürfnis und Auslegung, in Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Henkel-Festschrift S. 109; Bottke Anfertigung und Verwertung heimlicher Wort- und Stimmaufzeichnungen auf Tonträger außerhalb des Fernmeldeverkehrs, Jura 1987 356; Bussmann Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf die modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen? Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Bd. I 1. Teil S. 5; 147; Filopoulos Der Schutz des vertraulichen Wortes im deutschen und griechischen Strafrecht, jur. Diss. Tübingen 1990; Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater (1996); Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Haug Tonbandaufnahmen in Notwehr? NJW 1965 2391; Haug Notwehr gegen Erpressung, M D R 1974 548; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Bd. II S. D 59; Hubmann Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretion, JZ 1957 521; Kaiser Abhörverbot und rationelle Betriebsführung, BB 1970 263; Kiper!Ruhmann Überwachung der Telekommunikaton, D u D 1998 155; Klug Konfliktlösungsvorschläge bei heimlichen Tonbandaufnahmen zur Abwehr krimineller Telefonanrufe, SarstedtFestschrift S. 101; Knauth Zufallserkenntnisse bei der Telefonüberwachung im Strafprozeß, NJW 1977 1510; Kohlhaas Tonbandaufnahmen im Strafprozeß, DRiZ 1955 88; Kohlhaas Die Tonbandaufnahme als Beweismittel im Strafprozeß, NJW 1957 81; Kohlhaas Die neuen wissenschaftlichen Methoden der Verbrechensaufklärung und der Schutz der Rechte des Beschuldigten, JR 1960 246; Kohlhaas Das Mitschneiden von Telefongesprächen im Verhältnis zum (13)

Bernd Schünemann

§ 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Abhörverbot (§ 298 StGB) und dem Fernmeldegeheimnis, NJW 1972 238; Larenz Referat zum Thema „Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der modernen Nachrichtenmittel aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen?", Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages, Bd. II S. D 25; De Lazzer-Rohlf Der „Lauschangriff", JZ 1977 207; Lenckner Zur „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes"; § 201 StGB nach dem 25. Strafrechtsänderungsgesetz, Baumann-Festschrift S. 135; Marxen Tonaufnahmen während der Hauptverhandlung für Zwecke der Verteidigung, NJW 1977 2188; Neumann-Duesberg Heimliche Tonbandaufnahmen von Gesprächen über Abwesende, BB 1957 865; Praml Zur Zulässigkeit von Tonbandaufnahmen in der Hauptverhandlung, MDR 1977 14; Roggemann Das Tonband im Verfahrensrecht (1962); Roggemann Tonbandaufnahmen während der Hauptverhandlung, JR 1966 47; Rohe Verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (1998); Rudolphi Grenzen der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den §§ 100a, b StPO, Schaffstein-Festschrift S. 433; Rupprecht Vertraulichkeit des Wortes und seine heimliche Aufnahme, DVB1. 1974 579; Schilling Zur Anwendung des § 298 StGB bei der Aufzeichnung von Telefongesprächen, NJW 1972 854; Schilling Verschärfter Strafschutz gegen Abhör- und Aufnahmegeräte? JZ 1980 7; Gerhard Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; Rudolf Schmitt Tonbänder im Strafprozeß - OLG Celle, NJW 1965 1677, JuS 1967 19; Schmitz Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB, JA 1995 118; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Suppert Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage" (1973); Wölfl Rechtfertigungsgründe bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Jura 2000 231; Wormer Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten. Eine Abhandlung zu § 201 StGB, Diss. Mannheim 1977.

I. Entstehungsgeschichte II. Geschütztes Rechtsgut III. Tatbestand 1. Das nichtöffentlich gesprochene Wort a) Wort b) gesprochen c) nichtöffentlich d) Wissen des Opfers 2. Tathandlungen a) Abs. 1 Nr. 1 b) Abs. 1 Nr. 2 c) Abs. 2 Nr. 1 d) Abs. 2 Nr. 2 3. Subjektiver Tatbestand

Rdn.

Rdn.

1 2

IV. Rechtswidrigkeit 1. „unbefugt" 27 2. Rechtfertigungsgründe a) Besondere gesetzliche Vorschrift . . 28 b) Einwilligung 32 c) sonstige Rechtfertigungsgründe, insbesondere Notwehr und Notstand 37 V. Rechtsfolgen 1. Strafe 47 2. Einziehung 49 3. Versuch 50 4. Strafantrag 51 5. Zusammentreffen 52

3 6 7 9 10 13 17 23 26

Stichwortverzeichnis = Randnummer Abhören 9, 17, 28 Abhörgerät 12, 18 Abhörgesetz 28 Abschlußfunktion - der§§ 100 a-c StPO 30 Abspielen 14 Absprachen - im Strafverfahren 29 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 1,25 Amtsdelikt 48 Amtsträger - Strafschärfung 48

Angestellte - Abhören - durch Chef 21 Ankündigung einer Straftat - Aufnahme der - 42 Antragsdelikt 51 Anwesender - Aufnahme 16 Aufnahmevorrichtung 18 Aufnehmen 10, 11 Bad Aibling - illegale Abhöreinrichtung 28

Stand: 1.8. 2000

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Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes Bagatellklausel 25 Beamte 1 Befugnis 35 Beleidigung · - als fortdauernde Gefahr 41 - fehlender gegenwärtiger Angriff 41 Bericht - über den Inhalt 14 Besonders schwerer Fall 1 Bestimmtheitsgrundsatz 26,46 Beweisinteresse - bloß bürgerlichen Rechts 42 Bürger - gläserner - 29 Bundestagsvorlage 4 Dauergefahr - in Hinblick auf § 34 StGB 41 Deal contra legem 29 Dienstsphäre 5 Drittverschaffung - zulässige- 35 E 62 21 Echelon 28 Eigene Gedanken 4 Eigenschutz - zumutbarer- 13 Einverständnis - des Belauschten 9, 27, 32, 33, 36 Einwilligung - bei Gesprächsrunden 32 - fehlende - durch Schweigen 33 - fehlende - durch Weiterreden 33 - konkludente- 33 - mutmaßliche- 36 - rechtfertigende - 9, 27, 32, 33, 36 Einziehung 49 Entstehungsgeschichte 1 Erlaubnistatbestandsirrtum 26, 34 Erpresser - Aufnahme - durch Opfer 40 ErsteingrifT 24 Esperanto 3 Faktische Öffentlichkeit 7 Flüchtigkeit des Wortes 2 Fremde Gedanken 4 Funkverkehr 7 Furcht 2 Garant 19 Gebrauchen 12, 14 Gebrauchmachen 10 Gedankeninhalt 5 Gegenwärtiger Angriff - bei Notwehr 40 Geisteskrankheit 5 Generalklausel 1 Geschäftlicher Verkehr 2 Geschäftssphäre 5 Gesetzgebungsmaterialien 7 (15)

Gesprochenes Wort 6 Gesungenes Wort 6 Heimlichkeit 11 Herrschaft - über den Grund des Erfolges 19 Herstellen 12 Hören - als Voraussetzung des Abhörens 18 - durch einen anderen 18 Hörfalle 18,22,30,42 Indiskretion 14 Indiskretionsdelikt 2 Informationszweck 4 Ingerenzgarantenstellung 19 Innere Tatseite 26 Interesse - schutzwürdiges - des Täters 43 Interessenabwägung 25 Interessenverletzung - Eignung 25 Intimsphäre 5 Irrtum - über die Unbefugtheit 26, 34 Justizvollzugsanstalt 7 Katalogstraftaten 29 Kenntnisbestimmung - als Wissendürfen 21 Kidnapping - als gegenwärtiger Angriff 40 Konkurrenzen 52 Kopie - Abspielen als Gebrauchmachen 15 Kopieren - im Gegensatz zum Aufnehmen 12 Lallen 3 Landesrecht - Eingriffsbefugnisse 31 Lauschangriff 2 - Großer- 29 - Kleiner - 29 Lauschen - an fremden Häusern 1 Lauscher 7 Lebendiges Wort 12 lex (non) certa 26 Liebesakt - Geräusche beim - 6 Medien - Mißbrauch 23 Mehrheitsbeschlüsse - fehlende Rechtfertigung 32 Mißbrauch - rechtmäßiger Aufnahmen 13 - staatlicher EingrifTsbefugnisse 29 Mißlingen - der Aufnahme als Versuch 50 Bernd Schünemann

§201

§201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Mithöreinrichtungen - Raumschaltungen 18 Mithörer - übliche - 22 Mithörvorrichtung 12 Mitteilung - über den Inhalt 14 - öffentliche - 23 Mittelbare Täterschaft 16 Nachtat 52 Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt 20 Nichtöffentlich gesprochenes Wort 3, 7 NichtÖffentlichkeit 7 Notstand (§ 34 StGB) 38 Notwehr (§ 32 StGB) 38 Notwehrähnliche Lage 38,42, 44 Öffentliches Interesse - überragendes - 46 Öffentlichkeit 7 Offizialdelikt - bei Amtsträgern 51 Ohr - kein Abhörgerät 18 Opportunitätsprinzip 45 Organisierte Kriminalität 29 Personenkreis - abgrenzbarer - 7 Polizeifunk 17 Polizeirecht - Eingriffsbefugnisse 31 Präventivpolizei 31 Privatsphäre 5 Prozeßbetrug - drohender - 42 Publikation - autorisierter Aufnahmen 24 - nichtautorisierter Aufnahmen 24 - vorzeitige - 24 Raumschaltung 18 Recht am aufgenommenen Wort 13 Rechtfertigung 27 Rechtfertigungsgründe - allgemein 5 - statt Verfalltheorie 5 Rechtmäßige Aufnahmen 13 Rechtsfolgen 47 Rechtsgut 2, 23 Rechtsstaat - Abbau 29 Rechtsvergleichung 1 Rechtswidrigkeit 27 Richtmikrophone 18 Rufnummererfassung 21 Schlaf 5 Schutzzweck der Norm 7 Seufzen 3 So hergestellte Aufnahme 13

Sozialadäquanz - als Rechtfertigungsgrund 37,45 Spionage - durch die USA 28 - durch Großbritannien 28 Staatliche Kriminalität - in Deutschland 28 Stammtischgerede 7 Strafantrag 51 Strafbare Äußerungen 5 Strafdrohung 47 Strafe 47 Strafprozeßrecht 18 Strafrahmen 1 Strafverfahren - rechtsstaatliches - 29 Subjektiver Tatbestand 26 Tatanreiz 23 Tatbestandsausschließungsgrund 25 Tateinheit - fehlende-mit §§94 ff, 185 StGB 52 Täter 16 Täterschaft und Teilnahme 20 Tathandlungen 10 Taxifunk 17 Technische Auswertung 15 Technische Geräte - Zwischenschaltung- 12 Telefonverkehr 7 Tonkonserve 12 Tonträger 11 Trunkenheit 5 Überspielen 14 Übertragung - versehentliche- 7 Überwiegendes Interesse - Lehre 38 Unbefangenheit 2 Unbefugtheit 9, 27 Unmittelbarkeit des Eingriffs 2 Unterlassen - als Tathandlung 19 USA - illegales Abhören in Deutschland 28 Verbotsirrtum 26 Verdächtiger 28 Verfahren - Grundrechtsschutz durch - 31 - Lösung durch - 45 - Rechtfertigung bei Beachtung 31 Verfalltheorie 5 Versuch 50 - untauglicher - 9, 34 Vertragsverhandlungen 33 Vertraulichkeit 7 Verwertungshandlungen 13 Viktimodogmatik 7, 13, 18, 22, 24 Vorbereitungshandlungen 50 Vorsatz 26 Vortat 52

Stand: 1. 8. 2000

Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes Wahrnehmung berechtigter Interessen 45 Wallraff 25 Wanzen 18 Weinheimer Tagung (1956) 1 Weitersagen - bloßes - 2 Werkzeug - gutgläubiges- 16 Wille des Sprechers 7

§201

Wissen des Belauschten 9 Wort 3 Zielwahlnummernerfassung 21 Zugänglich machen 10,12 Zusammentreffen - mit anderen Vorschriften 52 Zweck des Gesprächs 7 Zweiteingriff 24

I. Entstehungsgeschichte In ihrer jetzigen Fassung wurde die Vorschrift durch das EGStGB eingeführt. Sie 1 faßt die zuvor in den §§ 298 und 353 d Abs. 1 a. F. enthaltenen Regelungen zusammen. Dabei entspricht § 201 Abs. 3 der Sondervorschrift für Beamte, wie sie früher in § 353d Abs. 1 a. F. bestanden hatte. Der Strafrahmen ist gegenüber § 298 a.F. verändert: Ganz allgemein kann nunmehr eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verhängt werden - zuvor betrug die Höchststrafe im Regelfall sechs Monate - ; andererseits entfallt die Möglichkeit, „in besonders schweren Fällen" (§ 298 Abs. 4 a. F.) Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren auszusprechen. Der Strafrahmen des § 201 Abs. 3 für Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete - Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren - ist der gleiche wie in § 353 d Abs. 1 a. F. Die Vorläufer der Vorschrift - §§ 298 und 353d Abs. 1 a.F. - waren durch das „Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gegen den Mißbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten" vom 22. Dezember 1967 (BGBl. I 1360) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie regelten erstmals den strafrechtlichen Schutz in diesem Bereich (zu früheren Vorschriften, die etwa im Mittelalter das Lauschen an fremden Häusern untersagten, vgl. Wormer S. 20 f, dort auch S. 21 f, 58 ff über Regelungen in anderen Ländern; vgl. auch Suppert S. 147 ff; zum Abhören von Telefongesprächen im englischen und amerikanischen Recht ferner Grünhut ZStW 74 [1962] 319, 325ff, 335ff). Die §§ 298 und 353d Abs. 1 a.F. waren das Ergebnis eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens (näher Vorauf!. Rdn. 1) und eingehender Erörterungen, die die Gesetzgebung vorbereiteten und begleiteten (vgl. insbesondere Neumann-Duesberg Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht, 1949; die Weinheimer Tagung zum Thema „Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit und Grenzen ihrer Verwendung im Rechtsstaat" im November 1956 mit Referaten insbesondere von Coing, Freund und Henkel [1957]; der 42. Deutsche Juristentag [1957] mit Gutachten von Bussmann und Henkel sowie Referaten von Nipperdey und Lorenz zum Thema „Reichen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der modernen Nachrichtenmittel, aus, um das Privatleben gegen Indiskretion zu schützen?"; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches [E 1962], ZStW 75 [1963] 16; Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 [1967] 741; Süß Geheimsphäre und moderne Technik in Lehmann-Festschrift Bd. I, S. 189). Zum Teil konnte der Gesetzgeber außerdem auf die von der Rechtsprechung - insbesondere des BGH - entwickelten Grundsätze zurückgreifen; die Gerichte hatten schon vorher, gestützt auf Art. 1 und 2 G G und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, rechtliche Schranken für Tonbandaufnahmen aufgezeigt (vgl. insbesondere die Entscheidungen BGHSt. 10 202, 205; BGHZ 27 284, 285ff; BGHSt. 14 339, 340f; BGHSt. 19 193, 194. Durch das 25. Strafrechtsänderungsgesetz vom 20.8.1990 (BGBl. I, 1764) wurde der Tatbestand des § 201 Abs. 2 um die Variante der öffentlichen Mitteilung gemäß Nr. 2 ergänzt, um auch einen straf(17)

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rechtlichen Schutz gegen besonders folgenreiche mittelbare Eingriffe in die Vertrauenssphäre zu schaffen. Damit hat sich eine Erweiterung des Tatbestandes durchgesetzt, die noch vom E 1962 abgelehnt worden war (vgl. § 183 E 1962 sowie Amtl. Begr., S. 332), die aber anschließend in Gesetzesentwürfen der Bundestagsfraktionen und des Bundesrates immer wieder, wenn auch lange Zeit erfolglos gefordert worden war (vgl. BT-Drucks. 8/2396; 8/2545; 9/719; 10/1618 und zuletzt den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/6714). Zur Deliktsstruktur dieser Tatbestandsvariante und zu den verfassungsrechtlichen Problemen der hierbei vom Gesetzgeber gewählten Methode der Unrechtsabgrenzung durch eine doppelte Generalklausel siehe unten Rdn. 23.

II. Geschütztes Rechtsgut 2

§ 201 schützt die Vertraulichkeit und Unbefangenheit des gesprochenen Wortes. Sie sind Teil der Persönlichkeitssphäre des Menschen, des Bereichs privater Lebensgestaltung des einzelnen, die in ihrem Kern durch Art. 1 und 2 G G absolut geschützt sind (BVerfGE 34 238, 245). In diesen Grundrechtsschutz werden auch solche Rechtspositionen einbezogen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört - in bestimmten Grenzen - das Recht am gesprochenen Wort (vgl. BVerfGE aaO S. 246; BGHZ 27 284, 286f; BGHSt. 14 358, 359f; 31 296, 299). Wesentliches Element privater Lebensgestaltung ist die Sprache und die Entscheidung des einzelnen darüber, was er zu wem in welcher Situation sagt. Private Gespräche müssen geführt werden können frei von Argwohn und frei von der Befürchtung, daß deren heimliche Aufnahme ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet wird (BVerfGE aaO S. 247). Dem trägt § 201 Rechnung. Der strafrechtliche Schutzbereich geht jedoch weiter als der verfassungsrechtliche (Tenckhoff JR 1981 225f in Anmerkung zu KG JR 1981 254; vgl. ferner OLG Frankfurt NJW 1979 1172, 1173; Klug S. 116). So führt das BVerfG (BVerfGE aaO, S. 247) aus, daß bei gewissen Fallgruppen auch ohne Wissen des Sprechenden hergestellte Tonbandaufnahmen von vornherein aus dem durch die Verfassung gewährleisteten Schutz herausfielen, weil von einem Recht am eigenen Wort nicht mehr die Rede sein könne; bei bestimmten Mitteilungen im geschäftlichen Verkehr stehe der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund, daß die Persönlichkeit des Sprechenden nahezu gänzlich dahinter zurücktrete und das gesprochene Wort damit seinen privaten Charakter einbüße. Eine entsprechende Auffassung hatte zuvor unter dem Blickwinkel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - auch der BGH vertreten (BGHZ 27 284, 286). § 201 erfaßt dagegen, jedenfalls im Grundsatz, jedes gesprochene „Wort". Insbesondere ist er nicht auf vertrauliche oder private Äußerungen beschränkt; auch geschäftliche und dienstliche Besprechungen oder Streitgespräche sind geschützt (vgl. OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 und dazu u. Rdn. 8). Die flüchtige Lebensäußerung des gesprochenen Wortes soll nicht in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt werden dürfen; die Unbefangenheit mündlicher Äußerungen soll gewährleistet bleiben (vgl. Klug S. 103ff). § 201 Abs. 2 schützt die Vertraulichkeit des Worts unter einem weiteren Blickwinkel. Die Vorschrift soll verhindern, daß andere durch technische Gerätschaften in die Privatsphäre des Sprechenden einbrechen (vgl. Arzt Intimsphäre S. 237, 240; Wormer S. 99ff; zum geschützten Rechtsgut des § 201 vgl. eingehend Arzt Intimsphäre, S. 238ff; Wormer S. 95ff; Klug S. 103ff; SchlSchröderILenckner Rdn. 2). Stand: 1. 8.2000

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§ 201 bezweckt allerdings keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre. In bewußter Abkehr von den Vorstellungen des E 1962 hat der Gesetzgeber davon abgesehen, ein allgemeines Indiskretionsdelikt zu schaffen (vgl. die Begründung zu Art. 18 Nr. 80 E-EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 235 sowie Vorbemerkungen Rdn. 11), und lediglich bestimmte Eingriffe unter Strafe gestellt. Die besondere Verwerflichkeit der in § 201 bezeichneten Verhaltensweisen liegt in der Unmittelbarkeit des jeweiligen Eingriffs in die Privatsphäre, bei Absatz 1 in der unbefugten Aufnahme des gesprochenen Wortes und der unmittelbaren akustischen Wiedergabe, bei Absatz 2 in dem unbefugten „Lauschangriff" mit einem Abhörgerät. Das bloße inhaltliche Mitteilen des Aufgenommenen oder des Abgehörten sollte nicht erfaßt werden, weil es an der Unmittelbarkeit des Eingriffs in die Privatsphäre fehle und weil der Schutzcharakter der N o r m sich nicht aus dem Inhalt des wiedergegebenen Gesprächs, sondern aus der Art seiner Fixierung bzw. der „Teilhabe" an ihm herleite (vgl. BTDrucks. 10/1618, S. 11).

III. Tatbestand 1. Das nichtöffentlich gesprochene Wort a) § 201 schützt in allen Begehungsweisen nur das gesprochene Wort. Schon nach dem Gesetzeswortlaut entfallt daher ein Schutz für sonstige stimmliche Äußerungen wie Lallen oder Seufzen usw. (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2; Samson SK Rdn. 4; rechtspolitische Bedenken gegen diese Einschränkung bei Arzt Intimsphäre S. 243). Welcher Sprache das Wort entstammt, ist unerheblich. Wörter einer Kunstsprache oder einer zwischen wenigen Beteiligten vereinbarten Geheimsprache werden ebenfalls durch die Vorschrift geschützt.

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Es kommt ferner nicht darauf an, ob das Wort die Äußerung eigener Gedanken des 4 Sprechers enthält: Das Gesetz schützt auch denjenigen, der etwa ein Gedicht vorträgt oder die Erklärung eines anderen verliest (vgl. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 5; Preisendanz Anm. 2 a; grundsätzlich auch Samson SK Rdn. 4; einschränkend Lackneri Kühl Rdn. 2; aA Tröndlel Fischer Rdn. 2 sowie Mösl L K 9. Auflage Rdn. 2, wohl auch Maiwald ZStW 91 [1979] 923, 951 f und Blei BT 2 § 31; zum ganzen vgl. ferner Blei Henkel-Festschrift S. 109, 118). Samson SK Rdn. 4 will eine Ausnahme machen, wenn die Wiedergabe fremder Äußerungen allein zu künstlerischen oder unterhaltenden Zwecken erfolge; hier trete der Informationszweck völlig zurück. Dem kann nicht gefolgt werden. Auf das Ziel einer Äußerung, insbesondere auf deren Informationszweck, stellt das Gesetz nicht ab; es schützt in erster Linie die Privatsphäre des Sprechenden, nicht dessen Geheimhaltungsinteresse. Im übrigen kann der Intimbereich gerade in den von Samson angeführten Fällen durch unbefugte Tonbandaufnahmen empfindlich berührt werden, etwa wenn der Täter die künstlerisch gemeinte unfreiwillig komische - Deklamation im engen privaten Bereich heimlich aufnimmt, um den Sprecher anderen gegenüber bloßzustellen. Ohne Bedeutung ist auch, welchen Gedankeninhalt das Wort hat. Darauf kommt 5 es schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an. Insbesondere ist nicht erforderlich, daß es sich um Worte handelt, welche die Intim- oder Privatsphäre des Sprechers betreffen. 1 Das allgemeine Interesse, mündliche Erklärungen unbefangen abgeben zu 1

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Vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 169 mit Anm. Arzt; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 mit Anm. Ostendorf; Klug S. 113f; Arzt Intim-

Sphäre, S. 238 f; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 5; eingehend Suppert S. 185 ff, 203 ff; aA offenbar Kramer Jura 1980 396. Die Entscheidung

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können, besteht nicht nur bei Äußerungen, die dem engsten Persönlichkeitsbereich entstammen (Klug S. 114). Schutzwürdig sind deshalb beispielsweise auch geschäftliche und dienstliche Gespräche (vgl. O L G Frankfurt aaO mit zustimmender Anm. Arzt; OLG Karlsruhe JR 1979 466 mit Anm. Ostendorf) sowie unbewußtes (Reden im Schlaf) oder zusammenhangloses Sprechen (z.B. eines Betrunkenen oder Geisteskranken, vgl. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 2). Auch die Aufnahme oder das Abhören von Äußerungen strafbaren Inhalts erfüllt den Tatbestand der Vorschrift. 2 Dem läßt sich nicht entgegenhalten, in einem solchen Fall entfalte der Sprecher nicht seine Persönlichkeit, sondern lege im Gegenteil Zeugnis ab von ihrem Verfall, ihm stehe deshalb der Schutz vor der heimlichen Festlegung des Wortes nicht zu. 3 Ein Rückgriff auf diese „Verfalltheorie" ( T e n c k h o f f S . 255) ist überdies unnötig, weil in Fällen besonderer Interessenlage die Rechtswidrigkeit von Tonbandaufnahmen aufgrund der allgemeinen Rechtfertigungsgründe in der Regel ausgeschlossen sein wird (vgl. dazu unter Rdn. 38 bis 47). 6

b) Nur das gesprochene Wort ist geschützt. Das gesungene Wort (auch Rezitativ) unterfallt deshalb nicht dem Tatbestand. 4 Die Fassung des Gesetzes ist insoweit eindeutig. Der Gesetzgeber hat die von Arzt (Intimsphäre S. 243) für erforderlich gehaltene Ausweitung auf jegliche Stimmäußerung - dort sogar vom Gesang über das Schluchzen Trauernder bis zu den „Geräuschen eines Liebespaares" - gerade nicht vorgenommen. Die Unbefangenheit der Äußerung (vgl. Rdn. 2) ist hinlänglich gewährleistet, wenn der einzelne auf die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes vertrauen kann. Für die Erstreckung des Schutzes auf andere mit der menschlichen Stimme hervorgebrachte Laute ist ein kriminalpolitisches Bedürfnis nicht erkennbar (so bereits die Begründung zu § 183 E 1962 - Bundestagsvorlage - S. 331).

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c) Nicht nur das vertraulich gesprochene Wort ist geschützt (vgl. Rdn. 2). Auch Äußerungen bei geschäftlichen oder dienstlichen Unterredungen oder bei Streitgesprächen dürfen grundsätzlich nicht aufgenommen werden. § 201 greift aber nur ein, wenn das Wort „nichtöffentlich" gesprochen wird. Wann ein Wort als „nichtöffentlich" angesehen wird, ist umstritten (vgl. dazu eingehend Blei in Henkel-Festschrift S. 109, 114ff, und Blei BT 2 § 31). Den Gesetzgebungsmaterialien ist darüber wenig zu entnehmen; der Gesetzgeber wollte die Auslegung des Begriffs ersichtlich der Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre überlassen (vgl. die Begründung zu § 183 E 1962 - Bundestagsvorlage - S. 331; ähnlich auch der Regierungsentwurf zum Gesetz zu Art. 10 GG, BTDrucks. V/1880 S. 14; Wormer S. 126). Grundfrage ist zunächst, ob auf die Vorstellungen des Sprechenden oder auf die objektiven Umstände abzustellen ist. In der Rechtsprechung und im Schrifttum wird im allgemeinen beides miteinander verbunden. TröndlelFischer (Rdn. 2) führen aus, daß hierfür „nicht allein" der Wille des Sprechers, sondern auch „der Zweck und die Eigenart" des Gesprächs von Bedeutung seien. Unter Berufung hierauf hat der BGH

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BVerfGE 34 238, 247, auf die sich Kramer beruft [Fn. 27], betrifft jedoch ausschließlich den Umfang des durch die Verfassung gewährleisteten Schutzes der Persönlichkeit; § 201 greift insofern weiter: vgl. oben Rdn. 2. Vgl. eingehend Suppen S. 183 ff, 195 ff; außerdem Tenckhoff JR 1981 255, 256 [Anm. zu KG JR 1981 254]; Klug S. 122 ff; Arzt Intimsphäre S. 97; vgl. ergänzend Sax JZ 1965 1, 2.

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Vgl. K G JR 1981 254, 255 sowie - nicht im Zusammenhang mit der Auslegung der Strafbestimmung und vor deren Inkrafttreten Rudolf Schmitt JuS 1967 19, 23; BGHSt. 19 325, 331; wohl auch BGHSt. 14 358, 361. Tröndlel Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl Rdn. 2; MaurachlSchroederlMaiwald BT 1 § 29 I Rdn. 6; aA Preisendanz Anm. 2a; SchlSchröderILenckner Rdn.5; Wessels!Hettinger BT 1 § 12 II 2 Rdn. 526.

Stand: 1.8. 2000

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(BGHSt. 31 304, 306) die Anwendung der Vorschrift damit begründet, daß die aufgenommenen Gespräche „nach dem Willen" des Sprechers „sowie nach ihrem Zweck und ihrer Eigenart" nichtöffentlich gewesen seien. Das OLG Frankfurt hebt in einer Entscheidung (JR 1978 168, ebenso JR 1979 466) hervor, daß die Gespräche, die Gegenstand jenes Verfahrens waren, „objektiv und nach dem Willen des Sprechers" nicht für einen unbestimmten Kreis von Personen wahrnehmbar gewesen seien. Das OLG Celle (JR 1977 338, 339 mit ablehnender Anm. von Arzt) meint, maßgeblich sei zunächst der Wille des einzelnen, wobei der Zweck und die Eigenart der Unterredung Bedeutung hätten; selbst wenn jemand aber nichtöffentlich sprechen wolle, könne Öffentlichkeit des Wortes in Betracht kommen, wenn der Sprecher nicht die Kontrolle über die Reichweite seiner Äußerungen behalten habe oder ausüben könne; dabei komme es nicht darauf an, ob der Sprecher mögliche Zuhörer wahrgenommen habe. Auch Tröndle!Fischer gehen davon aus, daß vom Sprecher unbemerkte Zuhörer eine „faktische Öffentlichkeit" herstellen können; allerdings sei die Anwesenheit „unerbetener Lauscher" hierfür nicht ausreichend (aaO Rdn. 2). Bei der Auslegung des Merkmals „nichtöffentlich" ist vom Schutzzweck der Vorschrift auszugehen. Der einzelne soll in der Unbefangenheit seines Wortes dann besonders geschützt werden, wenn er keinen Anlaß zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren (vgl. Blei BT 2 § 31 II; Blei Henkel-Festschrift S. 109, 114f; OLG Celle JR 1977 338, 339). Maßgebend sind demnach grundsätzlich die Vorstellungen des Sprechenden. Weiß dieser nichts von der Anwesenheit anderer, bleibt sein Wort grundsätzlich geschützt. Will sich andererseits der Sprecher an die Öffentlichkeit wenden - etwa bei einer Wahlrede - , so dürfen seine Äußerungen auch dann mit einem Tonband aufgenommen werden, wenn tatsächlich nur wenige befreundete Zuhörer lauschen (vgl. SchlSchröderILenckner Rdn. 7 sowie eingehend Wormer S. 132ff). Trotz dieses subjektiven Ausgangspunkts bleiben die äußeren Umstände von Bedeutung. Äußert sich der Sprechende in einem Bereich, in dem er damit rechnen muß, daß seine Worte zur Kenntnis der „Öffentlichkeit" gelangen - redet er etwa in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme - , so macht er damit seine Wort zu „öffentlichen", und zwar selbst dann, wenn er sich - im Beispielsfall - lediglich an seine Stammtischfreunde wendet (vgl. Wormer S. 131; SchlSchröderILenckner Rdn. 9). In besonders gelagerten Einzelfallen kann allerdings das nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Wort ohne Zutun des Sprechers seinen privaten Charakter verlieren und insoweit aus dem Schutzbereich der Strafvorschrift fallen. So wird etwa ein Privatgespräch öffentlichen Charakter annehmen, wenn es versehentlich im Rundfunk oder über eine Lautsprecheranlage übertragen wird. Gleiches gilt für den Polizei- und Taxifunkverkehr, sofern dieser durch einen einfachen Radioempfanger mitgehört werden kann (unten Rdn. 19). In solchen Fällen ist in dem unbefugten Aufnehmen des ohnedies in der Öffentlichkeit vernehmbaren Wortes keine - weitere - Verletzung der Privatsphäre zu sehen. Hingegen unterfallt das über Telefon gesprochene Wort ungeachtet seiner Übermittlung durch einen elektrischen Impuls dem Schutzbereich des § 201 (OLG Karlsruhe NJW 1979 1513; Tröndle!Fischer Rdn. 2). Worte sind in diesem Sinne nichtöffentlich, wenn sie - nach der Vorstellung des 8 Sprechenden - nur für einen kleineren, durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis wahrnehmbar sind (vgl. Wormer S. 128; ähnliche Abgrenzungen bei TröndlelFischer Rdn. 2; SchlSchröderILenckner Rdn. 8; vgl. hierzu eingehend Blei Henkel-Festschrift S. 109, 114 ff). Der Begriff der persönlichen Beziehungen ist dabei nicht zu eng zu fassen. Es kommt darauf an, daß alle Personen des angesprochenen Kreises (21)

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eine Gemeinsamkeit besitzen, die diesem Kreis einen in sich geschlossenen, nach außen bestimmt abgegrenzten Charakter gibt ( Wormer S. 128f; RGSt. 21 254, 256; ähnlich Samson SK Rdn. 5; kritisch hinsichtlich des Erfordernisses der persönlichen Verbundenheit Blei BT 2 § 31 II sowie in Henkel-Festschrift S. 109, 116). Dies kann z.B. bei einem Gespräch unter Arbeitskollegen der Fall sein ( Wormer S. 129). Daß auch ein Beamter ein dienstliches Gespräch mit einem Bürger „nichtöffentlich" führen kann, versteht sich danach von selbst (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979 1513 = JR 1979 466; gegen die ablehnende Anmerkung von Ostendorf JR 1979 468 zutreffend Alber JR 1981 495; TröndlelFischer Rdn. 2) und gilt auch umgekehrt zugunsten des Bürgers, ζ. B. bei einem Aufnahmegespräch in einer Justizvollzugsanstalt (BGHSt. 34 39). 9

d) Für den Tatbestand der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob der Sprecher des nichtöffentlichen Wortes weiß, daß ein Tonbandgerät seine Worte aufnimmt, und ob er möglicherweise sogar damit einverstanden ist.5 Dies ist allenfalls für die Frage von Bedeutung, ob die Aufnahme gerechtfertigt ist.6 Eine Einschränkung bereits des Tatbestandes auf die Fälle des ahnungslosen Opfers wird weder vom Wortlaut noch vom Schutzzweck der Vorschrift gefordert. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, daß die Unbefangenheit des Sprechenden gerade dann in besonderem Maße beeinträchtigt wird, wenn er weiß, daß seine Worte gegen seinen Willen aufgenommen werden. Zwar sah § 183 E 1962 nur solche Aufnahmen von Worten eines anderen als tatbestandsmäßig an, die „ohne dessen Einwilligung" erfolgten (vgl. E 1962 - Bundestagsvorlage - S. 327f, 332). Diese Fassung ist jedoch nicht Gesetz geworden. Statt dessen wird nunmehr darauf abgestellt, daß die Aufnahme „unbefugt" hergestellt worden sein müsse. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des StGB gehört diese Frage nicht zum Bereich der Tatbestandsmäßigkeit, sondern zur Rechtswidrigkeit (vgl. BGHSt. 31 304, 306 sowie unten Rdn. 27). Der Gesetzgeber selbst hat zur Zuordnung des Merkmals nicht Stellung genommen und der Rechtsprechung die Klärung dieser Frage überlassen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 236). Ihre praktische Bedeutung ist gering. Willigt der Sprecher in die Aufnahme ein und weiß der Aufnehmende davon, so bleibt er nach jeder Auffassung straffrei. Geht der Aufnehmende irrig von einer Einwilligung aus, so kann er - ebenfalls nach beiden Meinungen nicht bestraft werden (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 236). Unterschiede ergeben sich nur, wenn der Täter von einer tatsächlich erteilten Einwilligung nichts weiß. Rechnet man das Fehlen der Einwilligung bereits zum Tatbestand, so kann der Täter in einem solchen Fall nur wegen Versuchs bestraft werden (vgl. Wormer S. 166f; Hirsch LK Vorbem. 103 vor § 32). Bei Einordnung in die Rechtswidrigkeit wäre zwar nach einer Mindermeinung eine Bestrafung wegen vollendeter Tat möglich (Hirsch aaO Vorbem. 125 vor § 32); nach zutr. und h. M. kommt aber auch beim Handeln in Unkenntnis einer Rechtfertigungslage nur (untauglicher) Versuch in Betracht (vgl. zum Meinungsstand Hirsch aaO Vorbem. 60 f; Sehl Schröder!Lenckner Vorbem. 15 vor § 32). Hinsichtlich des Abhörens gilt Entsprechendes. Sofern der Sprechende allerdings damit einverstanden ist, daß er abgehört wird, sind seine Worte in aller Regel auch für den Dritten bestimmt. In diesem Fall ist bereits der Tatbestand der Strafvorschrift nicht erfüllt.

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Vgl. im einzelnen Klug S. 107f; aA schon für den Fall des Wissens Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13, 14, 26; Lenckner Baumann-Festschrift S. 147f; AG Hamburg, N J W 1984 2111 sowie für den Fall der Einwilligung Wormer S. 154 bis

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165; NK-Jung Rdn. 6; Rengier BT II § 31 Rdn. 7; rechtspolitische Bedenken bei Arzt Intimsphäre S. 266 f. Vgl. Samson SK Rdn. 24; Joecks Rdn. 5; Küpper § 5 Rdn. 24; Otto BT § 34 Rdn. 11.

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2. Tathandlungen a) Absatz 1 Nr. 1 (Aufnehmen) Tathandlungen nach Absatz 1 sind das Aufnehmen auf einen Tonträger (Nr. 1) 1 0 sowie das Gebrauchmachen oder Zugänglichmachen einer so hergestellten Aufnahme (Nr. 2). Aufnehmen (Nr. 1) ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Ton- 11 träger (Tonband, Schallplatte, Kassette) in der Weise, daß es wieder hörbar gemacht werden kann. Gelingt es nicht, das Wort auf dem Tonträger zu fixieren, liegt nur Versuch vor (vgl. Arzt Intimsphäre S. 260; Samson SK Rdn. 7; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 11). Ob es dem Täter dabei auf den Inhalt oder nur auf die Ermöglichung eines Stimmvergleiches ankommt, ist gleichgültig (BGHSt. 34 39). Entgegen der Auffassung von Lenckner {SehlSchröder Rdn. 13f) kommt es für den Tatbestand nicht darauf an, daß die Aufnahme heimlich - ohne Wissen des Sprechers - erfolgt (vgl. Rdn. 9). Nur wer die Worte des Sprechers aufnimmt, während dieser spricht, erfüllt den Tat- 1 2 bestand. Wer eine vorhandene Aufnahme kopiert, nimmt nicht auf, sondern gebraucht die bereits hergestellte Aufnahme (Abs. 1 Nr. 2).7 Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes, das unter Nr. 1 auf das gesprochene, nicht auf das mit technischen Mitteln aufgezeichnete Wort abstellt. Der Umgang mit Tonträgern wird ausschließlich von Nr. 2 erfaßt. Diese Abgrenzung ist durch den Schutzzweck der Norm bedingt: Nur das Aufnehmen des gesprochenen „lebendigen" Wortes enthält den von § 201 Abs. 1 Nr. 1 erfaßten unmittelbaren Eingriff in die Privatsphäre des Sprechenden (vgl. oben Rdn. 2). Die bloße Vervielfältigung einer „Tonkonserve" erfüllt diese Voraussetzung nicht. Da Nr. 2 ausreichenden Schutz gewährleistet, bedarf es einer ausdehnenden Auslegung der Nr. 1 nicht. Straflos bleibt danach allerdings, wer eine rechtmäßig hergestellte Aufnahme unbefugt kopiert, etwa eine Tonbandaufzeichnung, die der Sprecher selbst zuvor gefertigt hatte (SehlSchröderlLenckner Rdn. 12). Diese Einschränkung ist jedoch sachgerecht (vgl. Blei BT 2 §311; ders. in Henkel-Festschrift S. 109, 112f sowie im einzelnen Rdn. 13). Unerheblich ist, ob weitere technische Geräte zwischen Stimme und Aufnahmegerät zwischengeschaltet werden. So wird grundsätzlich auch die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vom Tatbestand erfaßt (OLG Karlsruhe JR 1979 466 mit insoweit zustimmender Anmerkung Ostendorf S. 468; zu § 298 Abs. 1 Nr. 1 a. F. teilweise aA Kohlhaas NJW 1972 238, 239 f; gegen Kohlhaas zutreffend Schilling NJW 1972 854), und zwar auch dann, wenn sie über eine Mithörvorrichtung erfolgt (vgl. BGHSt. 31 304 f, 306; Klug S. 107f). Entsprechendes gilt, wenn die Aufnahme des Abzuhörenden erst durch ein Abhörgerät ermöglicht wird (vgl. Samson SK Rdn. 7; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 11; Lackneri Kühl Rdn. 3; Wormer S. 152). b) Absatz 1 Nr. 2 Strafbar ist ferner, wer eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. Tatobjekt ist eine Aufnahme, die unter den Voraussetzungen der Nr. 1 („so") hergestellt wurde. Über den Umfang dieser Verweisung besteht Streit. Nach der einen Auffassung bezieht sich das „so" allein auf die in Nr. 1 bezeichnete Art der Aufzeich7

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Ebenso SehlSchröder!Lenckner Rdn. 12; Lackner/Kühl Rdn. 3; Samson SK Rdn. 7; Wormer S. 150ff; Arzt Intimsphäre, S. 240 Fn. 293; Blei

BT 2 § 31 III 1; aA Mösl LK 9. Auflage § 298 Rdn. 5.

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nung, und zwar unabhängig davon, ob diese rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgte (so Rudolphi S. 447; Suppen S. 209 ff; unterscheidend nach dem Grund für die Rechtmäßigkeit der Aufnahme Blei BT 2 § 31 II; ders. Henkel-Festschrift S. 109, 114). Nach der herrschenden Meinung bezieht die Verweisung auch das Merkmal „unbefugt" ein mit der Folge, daß der Umgang mit rechtmäßig hergestellten Aufnahmen nicht unter den Tatbestand fällt. 8 Dieser Auffassung ist zuzustimmen, jedoch mit der einschränkenden Präzisierung, daß die Aufnahme gegen den Willen des Betroffenen hergestellt worden sein muß (ähnlich Lenckner Baumann-Festschrift S. 147 ff, der dann jedoch schon die Tatbestandsmäßigkeit gem. Nr. 1 verneinen will und das die Differenzierung letztlich tragende viktimodogmatische Prinzip nicht nennt). Für sie spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, der, wenn auch nicht eindeutig, eine einengende Interpretation jedenfalls nahelegt (vgl. Samson SK Rdn. 11). Auch die Entstehungsgeschichte weist in diese Richtung (vgl. hierzu im einzelnen Wormer S. 175 bis 177; ferner Samson SK Rdn. 10). So waren die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission mit großer Mehrheit der Auffassung, daß der Gebrauch von Aufnahmen, die mit Einwilligung des Sprechers hergestellt wurden, nicht unter Strafe gestellt werden sollte (so u. a. Gallas, Simon, Baldus und Fritz; aA Lange, Fränkel und Dreher, vgl. die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 9 S. 400 bis 403). Werde eine befugt hergestellte Aufnahme mißbraucht, so sei der Fall nicht anders zu beurteilen, als wenn schriftliche Aufzeichnungen, die vom Berechtigten selbst oder mit seiner Zustimmung gefertigt wurden, an die Öffentlichkeit gegeben würden. Ein Strafbedürfnis für solches - bloß indiskretes - Verhalten bestehe nicht. Danach erfaßt Nr. 1 den „ersten Zugriff" durch die Fixierung des Wortes, während Nr. 2 die zusätzliche Verwertung einer solchen Aufnahme unter Strafe stellt (vgl. SehlSchröder)Lenckner Rdn. 16; Wessels/Hettinger BT 1 § 12 II 2 Rdn. 528). Der Gesetzgeber hat bewußt darauf verzichtet, einen allgemeinen Indiskretionstatbestand in das Strafgesetzbuch einzufügen, und sich damit begnügt, besonders verwerfliche Eingriffe in die Privatsphäre mit Strafe zu bedrohen (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 235 f; neuerdings BTDrucks. 10/1618 S. 11). Danach zu unterstellen, § 201 Abs. 1 Nr. 2 solle allgemein das Vertrauen auf den diskreten Umgang mit Tonaufnahmen schützen oder ein durch diese Vorschrift geschütztes „Recht am aufgenommenen Wort" begründen, verfehlt die legislatorische Grundentscheidung. Auch von der Sache her liegt kein Bedürfnis für eine erweiternde Auslegung vor. Der Sprecher kann seine Tonbandaufnahme ebenso gegen Mißbrauch sichern wie von ihm gefertigte schriftliche Aufzeichnungen, indem er sie entsprechend - etwa in einem verschlossenen Umschlag - verwahrt; zum Schutz des Tonbandes durch § 202a vgl. Möhrenschlager wistra 1986 123, 140 sowie derselbe in der 63. und 69. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 10. Wp., vom 23. Oktober 1985 und 15. Januar 1986, Protokolle S. 63/39, 69/11. Gibt der Sprecher seine Aufnahme selbst aus der Hand, liegt es entsprechend der viktimodogmatischen Maxime an ihm, den Empfanger auf seine Vertrauenswürdigkeit zu prüfen. Dieselben Grundsätze gelten, wenn der Sprecher einem anderen erlaubt, seine Worte aufzunehmen. Auch hier kann ihm zugemutet werden, sich den Aufnehmenden auf seine Zuverlässigkeit anzusehen. Wird das Vertrauen des Sprechers enttäuscht, fehlt es jedenfalls an einem unmittelbaren Eingriff in die Privatsphäre, dessen Abwehr die

8

KG JR 1981 254, 255; O L G Düsseldorf NJW 1995 975; Arzt Intimsphäre S. 263 f; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 40; NK-7u«g Rdn. 8; Samson SK Rdn. 11; Schmitz JA 1995 118, 119; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 16, 17; Wormer

S. 175 ff mit zahlreichen Nachweisen S. 175 Fn. 1 und 2; TröndlelFischer Rdn. 4; LacknerlKühl Rdn. 9 a; Wessels!Hettinger BT 1 § 12 II 3 Rdn. 532; MaurachtSchroederlMaiwald BT 1 § 29 IV Rdn. 59 f.

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Strafvorschrift dienen soll (vgl. BTDrucks. 10/1618 S. 11). Der Fall ist nicht anders zu beurteilen als der des Mißbrauchs von schriftlichen Aufzeichnungen, die der Berechtigte freiwillig aus der Hand gegeben hat (vgl. Wormer S. 179; ferner Blei Henkel-Festschrift S. 109, 113). Anders ist es dagegen, wenn die Aufnahme gegen den Willen des Betroffenen, aber durch einen anderen Rechtfertigungsgrund (etwa §§ 100a, 100b StPO) gedeckt hergestellt wird: In einem solchen Fall besteht durchaus ein strafrechtliches Schutzbedürfnis, daß die Aufnahme nicht anderweitig (etwa der Presse) zugänglich gemacht wird. Eine Aufnahme gebraucht (Abs. 1 Nr. 2, 1. Alternative), wer sie abspielt oder über- 1 4 spielt. Hauptfall des Gebrauchens ist das Abspielen: Die Aufzeichnung wird hörbar gemacht. Es genügt nicht, daß über den Aufnahmeinhalt mündlich oder schriftlich berichtet wird. 9 Das gilt selbst dann, wenn die auf dem Tonträger aufgezeichneten Äußerungen im Wortlaut wiedergegeben werden; denn damit wird nicht die „Aufnahme" - als Mittel erneuten Hörbarmachens - gebraucht. Wer lediglich über den Inhalt der Aufzeichnung berichtet, ist demnach genauso wenig strafbar wie derjenige, der eine sonstige Indiskretion begeht, etwa den Gegenstand eines vertraulich geführten Gesprächs mitteilt (vgl. Arzt Intimsphäre S. 262). Praktisch bedeutsam wird diese Einschränkung allerdings in der Regel nur dann, wenn derjenige, der den Inhalt der Aufzeichnung wiedergibt, sich diese Kenntnis nicht zuvor bereits durch (strafbares) Gebrauchen der Aufnahme verschafft hat, indem er sie sich beispielsweise vorgespielt hat (vgl. Arzt aaO S. 262f). Straflos bleibt aber, wer nur mitteilt, was ihm ein anderer über den Inhalt einer Aufzeichnung gesagt hat. Diese Einschränkung ist sachlich gerechtfertigt; sie verhindert eine uferlose Ausweitung des Tatbestandes auf Bereiche, die vom eigentlich geschützten Rechtsgut weit entfernt liegen. Maßgebend ist demnach, daß die Aufzeichnung auf dem Tonträger technisch ausgewertet wird. Das kann nicht nur dadurch geschehen, daß die Aufzeichnung hörbar gemacht wird, ζ. B. im Rahmen einer technischen Bearbeitung (OLG Düsseldorf NJW 1995 975). Die Aufnahme wird auch dann „gebraucht", wenn sie auf einen anderen Tonträger überspielt wird {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 17; Lackneri Kühl Rdn. 4; BTDrucks. 10/1618, S. 12). Dabei kommt es - ebenso wie beim Aufnehmen nicht darauf an, ob der Kopierende zugleich Kenntnis von der Aufzeichnung nimmt (aA Samson SK Rdn. 12). Wer später die Kopie abspielt, gebraucht - im Ergebnis ebenfalls die (erste) Aufnahme und ist nach Nr. 2 zu bestrafen (Samson SK Rdn. 9, der zutreffend darauf abstellt, daß das Gesetz nicht den Gebrauch des [Original-]Tonträgers, sondern der Aufnahme verbietet). Das Herstellen der Kopie ist hingegen kein Aufnehmen im Sinne der Nr. 1, da hier kein „gesprochenes" Wort aufgezeichnet, sondern eine „Tonkonserve" vervielfältigt wird (vgl. oben Rdn. 12). Unerheblich ist, ob der Gebrauchende die Aufnahme zuvor selbst hergestellt hat oder ob dies von dritter Seite bewirkt wurde. Die Auffassung von MaurachlSchroederl Maiwald, ein anderer müsse die Aufnahme hergestellt haben (BT 1 § 29 IV Rdn. 62), findet im Gesetz keine Stütze. Eine andere Frage ist, in welchem Verhältnis die verschiedenen Begehungsweisen zueinander stehen, wenn der Täter, der die Aufnahme gebraucht, diese zuvor auch hergestellt hat (vgl. dazu unten Rdn. 52). Strafbar ist ferner, wer eine so hergestellte Aufnahme einem Dritten zugänglich 1 5 macht (Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Ton9

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Vgl. Samson SK Rdn. 9 sowie eingehend Arzt Intimsphäre S. 261 ff; Schilling JZ 1980 7, 10; vgl.

auch BTDrucks. 10/1618 S. 11; zu § 183 E-1962 vgl. Bundestagsvorlage S. 332.

Bernd Schünemann

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träger einem Dritten übergeben oder diesem sonstwie das Abspielen gestattet wird. Es reicht aber auch aus, daß einem Dritten ermöglicht wird, die akustische Wiedergabe der Aufnahme zur Kenntnis zu nehmen. Die Möglichkeit des körperlichen Zugriffs auf den Tonträger braucht ihm nicht eingeräumt zu werden. 10 Die gegenteilige Ansicht kann sich zwar auf die Begründung des § 183 E 1962 berufen (vgl. Bundestagsvorlage S. 332). Diese dürfte jedoch durch die Ausformung, die der Begriff „Zugänglichmachen" im allgemeinen Sprachgebrauch des StGB erfahren hat, überholt sein (vgl. z.B. § 74d Abs. 4, § 131 Abs. 1 Nr. 2, § 184 Abs. 1 Nr. 2). Die bloße mündliche oder schriftliche Mitteilung des Inhalts an einen Dritten reicht jedoch auch unter diesem Blickwinkel nicht aus.11 16

Täter nach Absatz 1 kann jeder außer dem Sprechenden sein. Der Sprechende ist allerdings nicht straflos, sofern er neben seinen eigenen Worten auch die Äußerungen eines Gesprächspartners aufnimmt. Mittelbare Täterschaft ist möglich, etwa dann, wenn ein Techniker als gutgläubiges Werkzeug eingeschaltet wird (vgl. Arzt Intimsphäre S. 259). c) Absatz 2 Nr. 1

17

Absatz 2 Nr 1 stellt das unbefugte Abhören mit einem Abhörgerät unter Strafe. Auch hier ist nur das nichtöffentlich gesprochene Wort geschützt (vgl. oben Rdn. 7 bis 9). Der Polizei- und Taxifunkverkehr ist öffentlich - unterfallt also nicht der Bestimmung - , soweit er ohne besondere Vorrichtungen, etwa bereits durch ein gewöhnliches Rundfunkgerät, mitgehört werden kann; das gilt auch dann, wenn die Meldungen nicht zur Kenntnisnahme durch jedermann bestimmt sind (vgl. oben Rdn. 7; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9; Samson SK Rdn. 5). Das Abhören solcher Sendungen kann allerdings nach § 95 TKG strafbar sein (vgl. zum früheren Recht OLG Karlsruhe NJW 1970 394 mit Anmerkung Parmentier NJW 1970 873).

18

Abhören setzt voraus, daß der Täter tatsächlich etwas vernimmt, etwas „hört" (vgl. TröndlelFischer Rdn. 5); zu verstehen braucht der Täter die Worte allerdings nicht (so jedoch wohl Samson SK Rdn. 19, der Kenntnisnahme verlangt; vgl. zu diesen Fragen eingehend Arzt Intimsphäre S. 250 fi). Eine unmittelbare Wahrnehmung ist nicht erforderlich; es reicht aus, daß das abgehörte Wort zunächst lediglich aufgenommen wird, also etwa das Abhörgerät mit einer Aufnahmevorrichtung gekoppelt ist (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 20). Der Täter braucht auch nicht selbst zu „hören"; er kann sich hierzu eines anderen, etwa eines Technikers, bedienen (Arzt Intimsphäre S. 249 f; Wormer S. 202 f; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 20). Nur das Abhören mit einem Abhörgerät ist strafbar. Daher erfüllt den Tatbestand nicht, wer mit dem Ohr an der Wand lauscht: Zweck der Vorschrift ist es, der Gefahr moderner Abhöranlagen Rechnung zu tragen. Abhörgeräte sind technische Vorrichtungen, die „das gesprochene Wort über dessen normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar" machen (Begründung zu § 183 Abs. 2 E 1962 - Bundestagsvorlage - S. 332). Darunter fallen Mikrofonanlagen, Richtmikrofone, Kleinstsender, Vorrichtungen zum Anzapfen von Telefonen usw., aber auch das Stethoskop oder das Hörrohr beim Lauschen an der Wand (Samson SK Rdn 18). Das übliche Fernsprechgerät ist keine Abhöreinrichtung, und 10

So zutreffend Samson SK Rdn. 13; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 17; N K -Jung Rdn. 7; aA Arzt Intimsphäre S. 248; wohl auch Tröndlel Fischer Rdn. 4.

11

Vgl. die Begründung zu § 183 E 1962 - Bundestagsvorlage - S. 332; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 17; Samson SK Rdn. 9; Arzt Intimsphäre S. 262.

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zwar auch dann nicht, wenn jemand durch technisches Versehen in ein fremdes Gespräch eingeschaltet wird. 12 Zweifelhaft ist die Behandlung von im Telefon eingebauten Lautsprechern, Zweithörern oder sonstigen Mithöreinrichtungen: Weil es sich bei ihnen um übliche und damit von jedermann einzukalkulierende, immer schon von der Post zugelassene Mithöreinrichtungen handelt, sind sie nach h. M. keine Abhörgeräte im Sinne des Tatbestandes. 13 Diese Begründung überzeugt aber nicht, weil auch die Üblichkeit derartiger Einrichtungen (die von Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19 bezweifelt wird) zur Begründung eines konkludenten Einverständnisses dienen und dann das Tatbestandsmerkmal „nicht zu seiner Kenntnis bestimmt" ausschließen könnte, in der vorstehend wiedergegebenen Definition des „Abhörgerätes" aber nicht recht unterzubringen ist. Es ist auch absurd, das vorsintflutliche Hörrohr unter den Begriff des „Abhörgerätes" zu subsumieren (s. o.), die modernen technischen Äquivalente aber wegen des im natürlichen Wortsinn überhaupt nicht angelegten Kriteriums der Üblichkeit davon ausnehmen zu wollen. Daß die Rechtsprechung sich hier durch das in einem Rechtsstaat jedoch nicht zu akzeptierende Bedürfnis fortreißen ließ, zur effektiveren Verbrechensbekämpfung HörfaUen auch außerhalb der hierfür allein als maßgeblich anzusehenden Vorschriften der §§ lOOa-lOOc StPO zuzulassen, belegen die vom BGH nicht mehr in die Auslegung des § 201 Abs. 2 StGB integrierten Überlegungen zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Falle einer Täuschung oder eines vertraulichen Gesprächscharakters. 14 Die von der Rechtsprechung betonte Üblichkeit von Mithörvorrichtungen ist deshalb (vor allem auch unter viktimodogmatischen Aspekten) elastischer im Tatbestandsmerkmal „nicht zu seiner Kenntnis bestimmt" zu berücksichtigen (ebenso NK-Jung Rdn. 9), während die von SehlSchröder! Lenckner Rdn. 19 befürwortete Heranziehung des Rechtfertigungsgrundes der mutmaßlichen Einwilligung an der jederzeit möglichen Einholung eines ausdrücklichen Einverständnisses scheitert (zutr. Jung aaO). Die Tat kann durch Unterlassen begangen werden. Das bedeutet nicht, daß ein 1 9 Unbeteiligter verpflichtet wäre, „wegzuhören"; wohl aber kann sich die Pflicht ergeben, ein Abhörgerät abzuschalten, wenn man es versehentlich selbst eingeschaltet hat (vgl. Arzt Intimsphäre S. 253) oder - etwa bei einem Telefongespräch - ein anderweitig eingeschaltetes oder automatisch zugeschaltetes Abhörgerät mitbenutzt. Die Garantenstellung erwächst dabei aus der Herrschaft über den Grund des Erfolges, hier: über das Tatmittel (zur Begründung eingehend Schiinemann Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte [1971] S. 231 ff, 281 ff), während eine Konstruktion über die Ingerenzgarantenstellung sachwidrig nur die Fälle des eigenen Einschaltens erfassen könnte. Erforderlich ist weiter, daß das abgehörte Wort nicht zur Kenntnis des Täters 2 0 bestimmt ist. 12

13

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Gallas ZStW 75 (1963) 16, 41; Samson SK Rdn. 18; Lackneri Kühl Rdn. 5; aA Tröndlel Fischer Rdn. 7. Vgl. BGHZ NJW 1982 1397, 1398; BGHSt 39 335, 343; ohne Erwähnung des § 201 zust. BGHSt. - GrS - 42 139, 154; OLG Hamm NStZ 1988 515 m. Anm. Amelung sowie Krehl, StV 1988 376; LG Regensburg NStZ 1983 366; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Lackneri Kühl Rdn. 5; Schwalm Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Bd. 9, S. 398; Sternberg-Lieben Jura 1995 299, 303; aA Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19, NK-Jung Rdn. 9;

14

Werner NJW 1988 993, 997; Klug S. 106; LAG Berlin JZ 1982 2258 für eine zusätzliche Ohrmuschel in einer Privatwohnung; BGHZ NJW 1988 1016; AG Lübeck MDR 1981 940; zur Verbreitung solcher Mithöreinrichtungen vgl. Kretzschmar BB 1959 1068, 1069. BGHSt. 39 335, 343-345 mit lebensfremder, am Charakter des konkreten Gesprächs vorbeigehender Verneinung dieser Voraussetzungen im speziellen Fall; OLG Hamm StV 1988 374; dazu mit Recht abl. Krehl StV 1988 376; Amelung NStZ 1988 515; Jung JuS 1994 617.

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Wer Kenntnis von dem gesprochenen Wort nehmen soll - und wer andererseits davon ausgeschlossen bleiben soll - , bestimmt der Sprecher (Samson SK Rdn. 16 sowie eingehend Wormer S. 207 bis 213). Nehmen mehrere an einem Gespräch teil, kommt es auf die Willensrichtung des jeweiligen Sprechers an. Veranlaßt einer der Gesprächsteilnehmer das Abhören, so kann dieser selbst nicht als Täter bestraft werden, weil das von den anderen gesprochene Wort zu seiner Kenntnis bestimmt ist; in Betracht zu ziehen ist insoweit jedoch Anstiftung (oder Beihilfe) zur Tat des Lauschers (vgl. Sehl Schröder ILenckner Rdn. 21; Samson SK Rdn. 16; Bedenken insoweit bei Arzt Intimsphäre S. 245fT; gegen Arzt zutreffend Wormer S. 209f)- Wie im Rahmen der Nr. 1 (vgl. Rdn. 9) kommt es auch hier schon nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Erfüllung des Tatbestandes nicht darauf an, ob der Sprecher weiß, daß er abgehört wird (aA Sehl Schröder ILenckner Rdn. 20). Dies kann allenfalls bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Bedeutung sein (vgl. Rdn. 32fT). Sofern der Sprechende mit dem Abhören einverstanden ist, wird das von ihm gesprochene Wort allerdings in der Regel auch dem Abhörenden gelten (vgl. oben Rdn. 9). 21

Das Wort darf nicht zur „Kenntnis" des Täters bestimmt sein. Damit scheidet als Täter nicht nur aus, wer das Wort akustisch hören soll (in dieser Weise einschränkend aber Arzt Intimsphäre S. 255f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 21), sondern auch derjenige, der im Ergebnis von dem gedanklichen Inhalt der Mitteilung Kenntnis erhalten soll (Blei BT 2 § 31 III 3; Samson SK Rdn. 16 unterscheidet danach, ob die Äußerung „lediglich dem Inhalt nach" oder ob „die einzelnen Worte" zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt sind). Wollte man darauf abstellen, ob der Abhörende den genauen Wortlaut des Gesprächs erfahren soll, käme der einschränkenden Fassung des Tatbestandes wenig Bedeutung zu; sie würde praktisch leerlaufen. Die hier vertretene Auffassung kann sich zudem auf die amtliche Begründung des § 183 E 1962 (Bundestagsvorlage, S. 332) stützen. Wird etwa dem Angestellten eines Unternehmens fernmündlich eine Nachricht übermittelt, die für seinen Arbeitgeber bestimmt ist, so ist danach der Arbeitgeber straflos, wenn er die Nachricht abhört. 15 Anders ist es, wenn der Anrufer mit dem Angestellten ein Privatgespräch führt und dabei das Diensttelefon benutzt. Hier ist das Wort nicht zur Kenntnis des Arbeitgebers bestimmt. Ein Abhören des Gesprächsinhalts - und sei es auch nur in Kontrollabsicht ist deshalb unzulässig. Insoweit ist unerheblich, ob der Arbeitgeber untersagt hat, das Geschäftstelefon für private Gespräche zu benutzen (aA - unter bürgerlichrechtlichem Blickwinkel - Kretzschmar BB 1959 1068, 1970; gegen ihn zutreffend Wormer S. 207 f)· Die in Betrieben und Behörden übliche Erfassung von Rufnummern und Gesprächsdauer (dazu Tschöpe-Schmalenberg Anwalts-Handbuch Arbeitsrecht [1998] S. 381) unterfallt dagegen nicht dem Tatbestand des Absatzes 2: Das im Arbeitsrecht geltende Abhörverbot auch für dienstliche Telefongespräche 16 ändert daran nichts, weil eben der Straftatbestand im Interesse der Ausscheidung von Bagatellfällen enger ist als der zivilrechtliche Schutzumfang des Persönlichkeitsrechts.

22

Entsprechend der Verbreitung von Mithöreinrichtungen am Telefon durch die moderne Technik (Rdn. 18) sind Gespräche, bei denen typischerweise jemand mithört (z.B. geschäftliche Gespräche mit einem Repräsentanten einer für den Gesprächsgegenstand zuständigen Betriebsabteilung oder Personengruppe, aber auch Austausch von Familienangelegenheiten mit einem Familienmitglied), auch für die in dieser 15

Vgl. Lackner/Kühl Rdn. 5; aA Jung NK Rdn. 10; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 21; Schmitz JA 1995 118, 119.

16

BAG DB 1998 371; LAG Frankfurt AuR 1995 196; dazu allg. EickhoffIKaufmann BB 1999 914; Reitzl Vahle DSB 1996 Nr. 11, 1; Gola MMR 1999 322, 326 f.

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Form Mithörenden bestimmt. Wer auch in solchen Kontexten individuelle Vertraulichkeiten sucht, muß dies entsprechend der viktimodogmatischen Maxime zu Beginn des Gespräches ausdrücklich vereinbaren. Natürlich kann sich die individuelle Vertraulichkeit aber auch aus Umständen oder Gegenstand des Gespräches ergeben, beispielsweise bei einer Aussprache zwischen Intimpartnern oder bei praktisch jedem Gespräch im Sinne eines Ausschlusses mithörender Polizeibeamter. 17 Eine strafprozessuale Hörfalle, die mit einem Abhörgerät arbeitet, erfüllt deshalb stets den Tabestand des § 201 Abs. 2 Nr. 1 und kann lediglich gerechtfertigt sein (unten Rdn. 280d) Abs. 2 Nr. 2 (öffentliche Mitteilung) Abs. 2 Nr. 2 erweitert den Schutz auf die öffentliche Mitteilung einer nach Abs. 1 2 3 hergestellten Aufnahme bzw. eines nach Abs. 2 Nr. 1 gewonnenen Abhörergebnisses, wobei der Tatbestand schon dann erfüllt ist, wenn der wesentliche Inhalt mitgeteilt wird. Damit soll zugleich ein wesentlicher Tatanreiz für Taten nach Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 beseitigt werden, weil die Verwertung des illegal Aufgenommenen oder Abgehörten durch Verbreitung in den Medien eines der häufigsten Tatmotive ist, dessen Verwirklichung nunmehr unterbunden wird (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 11/6714 S. 3). Unter öffentlicher Mitteilung ist dabei wie auch in anderen Vorschriften, z.B. § 353d StGB, jede Mitteilung zu verstehen, die von einem größeren, individuell nicht feststehenden oder jedenfalls durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann. 18 Diese neue Tatbestandsalternative wirft eine Reihe von dogmatischen und verfassungsrechtlichen, bei ihrer Einführung kaum bedachten und jedenfalls nicht ausdiskutierten Problemen auf. So stellt sich bereits die Frage, ob das darin geschützte Rechtsgut mit dem durch die bisherigen Tathandlungen des § 201 verletzten Rechtsgut identisch ist. Auch wenn in den Gesetzesmaterialien von einer „mittelbaren Verletzungshandlung" gesprochen worden ist (BT-Drucks. 11/6714 S. 3), geht es doch in Wahrheit überhaupt nicht um ein Eindringen in die „Vertraulichkeit des Wortes", sondern um eine spezielle Form des Indiskretionsdelikts (Lenckner Baumann-Festschrift S. 135, 141 ff; Rogali Hirsch-Festschrift S. 665, 677f), was sich auch daran zeigt, daß das Gesetz ausdrücklich die Wiedergabe des „wesentlichen Inhalts" genügen läßt. Wie bei Abs. 1 Nr. 2, stellt sich auch bei Abs. 2 Nr. 2 die Frage, ob nur die Publi- 2 4 kation unbefugt hergestellter Aufnahmen bzw. gewonnener Abhörergebnisse tatbestandsmäßig ist oder ob dies auch für die nicht autorisierte Publikation befugter Aufnahmen gelten soll, beispielsweise wenn ein Politiker wichtige Gespräche für seine spätere Autobiographie im allseitigen Einverständnis auf Tonband festhält und diese nun vorzeitig ohne Erlaubnis publiziert werden. Für eine Einbeziehung auch der befugt hergestellten Aufnahmen spricht die Überlegung, daß die Tathandlung der Publikation in Abs. 2 Nr. 2 gravierender ist als der schlichte Gebrauch und die schlichte Weitergabe gemäß Abs. 1 Nr. 2. Dagegen spricht aber auch hier entscheidend, daß man dann die schlichte Indiskretion bestrafen würde, obwohl die Versuche zur Einführung eines Indiskretionsdelikts stets gescheitert sind (o. Vorbem. 11 vor §201). Ausschlaggebend ist ferner, daß § 201 in Konkretisierung der viktimodogmatischen Maxime nur das eigenmächtig hinterlistige Eindringen mit technischen Mitteln 17

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Entgegen den völlig lebensfremden Annahmen in BGHSt. 39 335, 344f.

18

SehlSchröder!Lenckner § 353 d Rdn. 46; Tröndlel Fischer § 353d Rdn. 6; Lackner/Kühi Rdn. 7.

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

in die Privatheit eines Gesprächs erfaßt, während der Betroffene gegenüber anderen Angriffsformen für Selbstschutz sorgen muß, beispielsweise durch sichere Verwahrung von ihm aufgenommener Tonbänder. Die Strafbarkeit der Publikation gemäß Abs. 2 Nr. 2 setzt also einen ebenfalls unbefugten (im Sinne eines ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgten) Ersteingriff voraus (Lenckner Baumann-Festschrift S. 145 ff). 25 Schwierigkeiten bereitet auch die dogmatische Einordnung der sog. Bagatellklausel des § 201 Abs. 2 Satz 2. Der Rechtsausschuß erblickte darin einen Tatbestandsausschließungsgrund, verwies dazu jedoch auf die Parallele zu § 326 Abs. 6 StGB (BTDrucks. 11/7714 S. 7), die aber gerade nicht paßt, weil es sich dabei nach überwiegender Auffassung um einen Strafausschließungsgrund handelt (TröndlelFischer § 326 Rdn. 17). Richtigerweise wird durch die Bagatellklausel jedenfalls bei § 201 Abs. 2 Satz 2 die Höhenmarke des strafrechtsrelevanten Unrechts festgelegt und damit eine Frage des Tatbestandes geregelt (so auch Jung JuS 1991 169). Es sollen Mitteilungen lapidarsten Inhalts ausgeschieden werden {TröndlelFischer Rdn. 7 a) oder auch solche Mitteilungen, an deren Veröffentlichung der Betroffene selbst interessiert ist. Ein Beispiel bietet etwa die Mitteilung, daß die am Telefon geäußerten Zärtlichkeiten eines Politikers, die in der Boulevardpresse anreißerisch herausgestellt wurden, seiner Ehefrau galten. Hierbei bedeutet die Geeignetheit zur Interessenverletzung nicht - wie bei echten abstraktkonkreten Gefährdungsdelikten - die dem Beweis zugängliche Tendenz der Handlung, weitere schädliche Folgen auszulösen, sondern das normative Urteil, daß eine Publikation dieses. Inhalts das Recht auf Privatheit beeinträchtigt und deshalb einem normal empfindenden Betroffenen unerwünscht ist. N u r durch diese Interpretation lassen sich auch die unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 G G ) manifesten verfassungsrechtlichen Bedenken (Soehring N J W 1994 16, 18) beschwichtigen, weil dann eben die Eignung zur Beeinträchtigung berechtigter Interessen den Regelfall darstellt und das Unrecht also nicht erst durch eine regelmäßige Interessenabwägung festgestellt werden muß. 19 D a ß diese Probleme überhaupt auftreten, die sich bei dem eigens hinzugefügten Rechtfertigungsgrund des Abs. 2 Satz 3 wiederholen, ist durch die unglückliche Ausrichtung der Gesetzesfassung an der Rechtsprechung des B G H und BVerfG zum zivilrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedingt, die eine Veröffentlichung des Inhalts rechtswidrig abgehörter Telefongespräche dann für nicht schlechthin unzulässig erklärt hatte, wenn an dem Inhalt des Gesprächs ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht ( B G H Z 73 120 - Fall Kohl/Biedenkopf), und die eine Veröffentlichung widerrechtlich durch Täuschung in der Absicht der Verwertung gegen den Getäuschten verschaffter Informationen dann zuläßt, wenn es um Mißstände von erheblichem Gewicht geht, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht (BVerfGE 66 116, 139 - Fall Wallraff). Denn die vom BVerfG kultivierte Abwägung des Einzelfalles mit Hilfe generalklauselartiger Formeln führt im Strafrecht zu einer ständigen Friktion mit der lex-certa-Garantie, die auch durch die in Abs. 2 Satz 3 benutzte Formel der „überragenden öffentlichen Interessen" nicht beseitigt wird, weil darin gegenüber der etwa in § 34 benutzten Formel des „überwiegenden Interesses" kein semantischer Vorteil liegt (zutr. Lenckner Baumann-Festschrift S. 153 f gegen die Meinung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 11/7414 S. 4). D a Abs. 2 Satz 3 im Unterschied zu § 34 weder eine gegenwärtige 19

Vgl. zu diesem Kriterium für die Zulässigkeit von Generalklauseln im Strafrecht Schünemann Nulla poena sine lege? (1979) S. 35f.

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Gefahr noch die Erforderlichkeit der öffentlichen Mitteilung zu deren Abwendung verlangt, begegnet die Vorschrift sowohl vom Inhalt her als auch unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes schweren verfassungsrechtlichen Bedenken, die allenfalls dadurch teilweise beschwichtigt werden können, daß man das Erfordernis des relativ mildesten Mittels nach den allgemeinen Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung hineininterpretiert (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 33a). Die vom Rechtsausschuß genannten Beispiele der Aufdeckung gravierender Straftaten (BTDrucks. 11/7414 S. 4) könnten jedenfalls auch über § 34 angemessen behandelt werden, so daß Abs. 2 Satz 3 bei enger Auslegung als überflüssig und bei weiter Auslegung als ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 G G erscheint. 3. Subjektiver Tatbestand Für den inneren Tatbestand ist Vorsatz erforderlich. Bedingter Vorsatz genügt. 2 6 Glaubt der Täter irrtümlich, sein Handeln sei nicht „unbefugt", richtet sich die Strafbarkeit nach den allgemeinen Regeln über den Irrtum bei Rechtfertigungsgründen (vgl. O L G Frankfurt J R 1978 168, 170; allgemein hierzu Roxin AT I § 14 Rdn. 51 fi). Folgt man der h. M., ist demnach zwischen folgenden Alternativen zu unterscheiden: Glaubt der Täter irrtümlich an eine Sachlage, die ihn zu seinem Handeln berechtigen würde, so ist sein Vorsatz - und damit hier zugleich seine Strafbarkeit (§ 15) - ausgeschlossen (OLG Karlsruhe N J W 1979 1513, 1515; vgl. allgemein Roxin AT I § 14 Rdn. 62ff sowie § 203 Rdn. 88, 159 mit Fn. 146 und 281 f)· Hält der Täter hingegen sein Handeln aufgrund falscher rechtlicher Bewertung für erlaubt, gelten die Regeln zum Verbotsirrtum (vgl. O L G Frankfurt J R 1978 168, 170 = N J W 1977 1547, 1548; O L G Karlsruhe aaO; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 35; TröndlelFischer Rdn. 10 i.V. m. § 203 Rdn. 34). Anders ist es, wenn der Täter im Rahmen des Absatzes 1 Nr. 2 falschlich annimmt, die Herstellung der Aufnahme nach Absatz 1 Nr. 1 sei nicht „unbefugt" gewesen. Das Merkmal „unbefugt" gehört hier zum Tatbestand der Vorschrift (vgl. Rdn. 13); es muß vom Vorsatz erfaßt sein (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 35; Tröndlel Fischer Rdn. 10).

IV. Rechtswidrigkeit 1. Der Täter muß unbefugt handeln. Der Gesetzgeber hat mit diesem Zusatz auf die besondere Häufigkeit von Rechtfertigungsgründen hinweisen wollen (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 236; Klug S. 107f; Samson SK Rdn. 6 vor § 201). Ob das tatbestandsmäßige Verhalten des Täters rechtswidrig ist, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen (vgl. KG JR 1981 254; O L G Frankfurt JR 1978 168, 169 = N J W 1977 1547; O L G Karlsruhe JR 1979 466, 467; Evers Z R P 1970 147, 148; Tröndlel Fischer Rdn. 7). Unbefugt handelt, wer ohne Rechtfertigungsgrund den Tatbestand erfüllt (BGHSt. 31 304, 306; Samson SK Rdn. 23; Evers aaO S. 147). Wormer (S. 154 bis 165, 228 bis 230) und wohl auch Lenckner (in Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 29) legen dem Begriff „unbefugt" eine doppelte Bedeutung bei (ähnlich auch Jähnke Vorauflage § 202a Rdn. 74). Sie gehen davon aus, daß die Kenntnis oder das Einverständnis des Sprechers eine Befugnis begründen, die bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausschließt. Andere Umstände, die das Verhalten des Täters zu einem „befugten" machen, sollen hingegen nur rechtfertigende Wirkung haben. Ob eine solche Aufspaltung ein und desselben Begriffes zur Verdeutlichung der Problematik beiträgt, ist fraglich. Von der Sache her ist sie jedenfalls nicht geboten (vgl. oben Rdn. 9). (31)

Bernd Schünemann

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2. Rechtfertigungsgründe können sich für die vorliegenden Tatbestände insbesondere ergeben aus: a) besonderer gesetzlicher Vorschrift 28

Gemäß § 100 a StPO kann der Fernmeldeverkehr einer Person abgehört und aufgenommen werden, wenn diese aufgrund bestimmter Tatsachen verdächtig ist, als Täter oder Teilnehmer eine der in der Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen, in strafbarer Weise versucht oder durch eine Straftat vorbereitet zu haben, und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wären. Die Einzelheiten des Verfahrens ergeben sich aus § 100 b StPO.20 Die Vorschriften lassen sich nicht entsprechend anwenden auf die heimliche Herstellung von Tonbandaufnahmen zur Stimmvergleichung (BGHSt. 34 39, 50 m. zust. Rezension von Bottke Jura 1987 356). Zur nunmehr bis zum 31.12.2001 befristeten Eingriffsnorm des § 12 FAG, nach der Richter und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren „Auskunft über die Telekommunikation" des Beschuldigten verlangen können, siehe Welp Überwachung und Kontrolle (2000). Eine weitere Eingriffsbefugnis ergibt sich aus dem Gesetz zu Art. 10 G G vom 13. August 1968 (BGBl. I 949) - „G 10" oder „Abhörgesetz" - , das die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs durch die Verfassungsschutzbehörden, den Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr und den Bundesnachrichtendienst regelt. Das Gesetz verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EGMR NJW 1979 1755 mit Anm. Arndt), ist jedoch vom BVerfG in einer immer noch viel zu großzügigen Entscheidung mit Recht teilweise für verfassungswidrig erklärt worden (BVerfG EuGRZ 1999 389). Die angeführten Regelungen berechtigen und verpflichten ausschließlich die genannten deutschen Behörden, so daß das von Bad Aibling aus betriebene Abhörsystem „Echelon" der USA und Großbritanniens (s. AZ v. 19.2.2000, S. 6) kriminell und die Zurverfügungstellung des Geländes durch deutsche Stellen eine strafbare Beihilfe gem. § 27 ist.

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Ferner ist durch das OrgKG vom 15.7.1992 (BGBl. I 1302) zunächst der sog. Kleine Lauschangriff (d.h. unter Ausschluß von Gesprächen in Wohnungen) und sodann durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4.5.1998 (BGBl. I 845) der sog. Große Lauschangriff eingeführt worden, bei dem auch in einer Wohnung das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden darf, wenn der Verdacht bestimmter, im einzelnen aufgezählter gravierender Straftaten besteht und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100c Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO). Die erbitterte rechtspolitische Auseinandersetzung, die um die Einführung des Lauschangriffs geführt worden ist (Nachweise bei Roxin Strafverfahrensrecht § 10 Rdn. 24 a), hat den Gesetzgeber zur Statuierung zahlreicher Kautelen bewogen, die im einzelnen in Art. 13 Abs. 3 und 4 G G sowie in §§ 100c Abs. 2 und 3, lOOd und 101 StPO enthalten sind. Auf die Diskussion selbst noch einzugehen, verspricht für das materielle 20

Vgl. hierzu eingehend Rudolphi S. 433 sowie Knauth NJW 1977 1510; ferner BGHSt. 31 296 m. Anm. Geerds NStZ 1983 518; Amelung JR 1984 256; zust. Küpper JZ 1990 416, 421 f: § 100 a StPO erlaubt nicht die Aufzeichnung von „Raumgesprächen", die dadurch ermöglicht

werden, daß der Hörer des abgehörten Telefons nicht richtig aufgelegt worden ist, was entgegen OLG Düsseldorf NJW 1995 975 auch für ein Raumgespräch beim Anwählen des Verteidigers gelten muß.

Stand: 1. 8. 2000

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Recht keinen Nutzen und führt auch für die Dogmatik und Kriminalpolitik des Strafverfahrens in eine Sackgasse, weil sie Gewicht und Bedrohlichkeit des Lauschangriffs für die bürgerliche Freiheit im Vergleich zu anderen, weitaus gravierenderen Zwangsmitteln wie etwa der Untersuchungshaft völlig überschätzt hat, der entscheidenden Frage wirksamer Mißbrauchskautelen viel zu wenig Phantasie gewidmet hat (Schünemann G A 1995 217) und durch die idiosynkratische Verpulverung fachwissenschaftlicher Ressourcen die Mitverantwortung dafür trägt, daß etwa die wirkliche Zerstörung des rechtsstaatlichen Strafverfahrens durch die contra legem erfolgte Etablierung der strafprozessualen Absprachen ohne Widerspruch großer Teile der Strafprozeßrechtswissenschaft vor sich gehen konnte (Schiinemann G A 1995 228). Immerhin kann man den legislatorischen Entscheidungen nach einer derart verbissenen Auseinandersetzung jedenfalls den Willen entnehmen, die Eingriffsbefugnisse abschließend zu beschreiben, so daß Eingriffe der Strafverfolgungsbehörden außerhalb der §§ lOOa-lOOc StPO auch nicht auf allgemeine Rechtfertigungsgründe gestützt werden können. Hörfallen, die mit Abhörgeräten arbeiten (o. Rdn. 22), sind deshalb außerhalb dieses Rahmens in jedem Falle rechtswidrig. Dagegen könnte die unter Berufung auf einen funktionellen Vernehmungsbegriff im Schrifttum vertretene, von der Rechtsprechung aber abgelehnte Anwendung der §§ 163 a, 136 StPO und die in diesem Fall anzunehmende, generelle prozessuale UnStatthaftigkeit einer Hörfalle 2 1 die Rechtswidrigkeit für den Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht begründen, weil es bei § 201 StGB allein um den Schutz der Vertraulichkeit des Wortes, bei § 136 StPO dagegen um die Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten geht.

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Weitreichende Eingriffbefugnisse enthält ferner das Polizeirecht, welches zur 3 1 Abwehr gravierender Gefahren für die öffentliche Sicherheit („präventivpolizeilich") den Lauschangriff schon lange vor dessen strafprozessualer Zulassung vorsah (Überblick bei KiperlRuhmann D u D 1998 1554; Rohe S. 61 ff). So kann die Polizei nach Art. 34 Abs. 1 BayPAG durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel (gemäß Art. 33 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG u . a . zum Abhören oder zur Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes) personenbezogene Daten in oder aus Wohnungen über die für eine Gefahr Verantwortlichen erheben, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder f ü r Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, erforderlich ist, sowie ferner über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese ein Verbrechen oder gewerbs-, gewohnheits- oder bandenmäßig eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wollen, worunter gemäß Art. 30 Abs. 5 BayPAG etwa auch Diebstahl im schweren Falle, Untreue oder Umweltdelikte zu subsumieren sind. Da sich entsprechende Vorschriften seit langem auch in den Polizeigesetzen der übrigen Bundesländer finden,22 konnte der große Lauschangriff wegen der regelmäßigen Gemengelage zwischen polizeilich-präventiver und strafprozessual-repressiver Eingriffsnotwendigkeit in allen wirklich wichtigen Fällen schon seit langem durchgeführt werden, was den jahrelangen Kampf um die Regelung in der StPO erst recht als 21

22

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Roxin NStZ 1995 465ÍT; ders. NStZ 1997 18; Fezer NStZ 1996 289f; and. die Rspr., siehe BGHSt. 39 335, 347; 40 211, 215; 42 139, 145f (GrS); zust. Kudhch JuS 1997 696; Popp NStZ 1998 95; Sternberg-Lieben Jura 1995 299, 308; Hellmann Strafprozeßrecht S. 137. § 23 Abs. 1 PolGBW; § 37 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 VGPolGBbg; § 15 Abs. 4 HSOG; §§ 10 Abs. 2, 9

Abs. 1 Nr. 1 HmbDatVPolG; § 33 Abs. 4 SOGMV; § 35 Abs. 2 NGefAG; § 17 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 PolGNW; § 28 Abs. 4 SPolG; § 40 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG; § 17 Abs. 4 SOGLSA; § 185 Abs. 3 LVwGSH; § 35 Abs. 1 Nr. 1 ThürPAG; § 25 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 2 ASOG Bln.

Bernd Schünemann

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Schattenboxen entlarvt. Im übrigen hängt die Rechtfertigungswirkung sowohl im Polizeirecht wie im Strafprozeßrecht aber selbstverständlich nicht nur vom Vorliegen der materiellen Eingriffsvoraussetzungen, sondern auch davon ab, daß die verhältnismäßig komplizierten Verfahrensvorschriften beachtet werden (im einzelnen § lOOd StPO sowie etwa Art. 34 Abs. 2 BayPAG und zur Sonderrolle des Berufsgeheimnisses § lOOd Abs. 3 S. 1 StPO; SächsVerfGH JZ 1996 957, 962; Würtenberger! R. Schenke J Z 1999 548 fi). Eigenartigerweise enthalten aber weder die Polizeigesetze noch das Telekommunikationsgesetz vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120) eine Ermächtigungsgrundlage für die nicht zum Zwecke der Strafverfolgung, sondern zum Zwecke der Gefahrenabwehr erfolgende Tonaufzeichnung erpresserischer Anrufe (Nelles Stree/WesselsFestschrift S. 719, 721 ff; Marmi Müller Z R P 1995 180 fi), für deren Rechtfertigung infolgedessen auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 32 und 34 zurückgegriffen werden muß (u. Rdn. 40). b) der Einwilligung des Betroffenen 32

Die Einwilligung des Betroffenen läßt zwar den Tatbestand des Absatzes 1 unberührt (vgl. Rdn. 9); sie rechtfertigt jedoch das Vorgehen des Täters. Für die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. die Zusammenstellung, auch über die Streitfragen, bei Hirsch L K Vorbem. 109 bis 125 vor § 32; Sehl Schröder/Lenckner Vorbem. 33 bis 52 vor § 32). F ü r die Anwendung des § 201 ist von Bedeutung: Einwilligen muß der jeweilige Sprecher. Handelt es sich um eine Gesprächsrunde, kann jeder Teilnehmer nur die Einwilligung für sich erteilen; fehlt die Einwilligung eines Teilnehmers, dürfen dessen Äußerungen nicht aufgenommen werden (Samson SK Rdn. 24 aA Arzt Intimsphäre S. 246f: Das Abhören sei erlaubt, falls auch nur einer der Teilnehmer einwillige). Das gilt auch bei Versammlungen, etwa bei Mitgliederversammlungen von Vereinen: Der bloße Mehrheitsbeschluß bindet den einzelnen Teilnehmer nicht (vgl. Roellecke BB 1959 514 für Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften; Wormer S. 167f)· Die Strafvorschrift greift allerdings nur ein, wenn die Versammlung nach ihrer Größe und Zusammensetzung so beschaffen ist, daß Wortmeldungen noch als nichtöffentlich angesehen werden können.

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Die Einwilligung kann auch konkludent erteilt werden (Samson SK Rdn. 24; Klug S. 116; Rupprecht DVB1. 1974 579, 580). Soweit es z.B. im Geschäftsleben üblich geworden ist, bestimmte telefonische Mitteilungen auf Band aufzunehmen - Bestellungen, fernmündliche Durchsagen, Börsennachrichten - , wird in der Regel davon auszugehen sein, daß der Sprecher mit dieser - ihm bekannten - Übung einverstanden ist. 23 Eine stillschweigende Einwilligung kann in der Regel auch dann angenommen werden, wenn der Sprechende weiß, daß ein Aufnahmegerät läuft, und gleichwohl weiterredet (vgl. Samson SK Rdn. 24; Klug S. 131; BGHSt. 19 193, 195). Ein solcher Schluß ist jedoch nicht zwingend (aA wohl Samson SK aaO). Nicht jede Kenntnis des Sprechers bedeutet, daß er auch mit der Aufnahme einverstanden ist; die Umstände des Einzelfalles können anderes ergeben (vgl. allgemein BGHSt. 19 193, 194;

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Vgl. Klug S. 116; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 30 geht hier von einer mutmaßlichen Einwilligung aus, vgl. dazu unten Rdn. 36; siehe ferner zu diesen Fallgruppen unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel BVerfGE 34 238, 247, und unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlich-

keitsrechts B G H Z 27 284, 286; BGHSt. 14 358, 363; viel zu weitgehend Coing (aaO Rdn. 1) S. 34, 40; Bei Vertragsverhandlungen bestehe eine Verpflichtung, in Tonbandaufnahmen einzuwilligen; werde nicht ausdrücklich widersprochen, sei die Einwilligung zu vermuten.

Stand: 1. 8. 2000

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ThürOLG JR 1996 297 m. Rezension Joerden JR 1996 265). Weiß z. B. der Sprecher, daß seine Worte etwa von Privatdetektiven oder böswilligen Nachbarn mit Abhörgeräten belauscht werden, besagt das nicht, daß er mit dieser Lauschaktion einverstanden wäre. Entsprechendes gilt, wenn der Sprecher bei einer Verhandlung bemerkt, daß sein Gesprächspartner mit einem versteckten Tonbandgerät seine Worte zu fixieren versucht. In Fällen solcher Art wird das bloße Schweigen nicht als wirksame Einwilligung ausgelegt werden können (vgl. BGHSt. 19 193, 194). Daß der Einwilligung nicht tatbestandsausschließende, sondern nur rechtfertigende 3 4 Wirkung zukommt, führt nicht zu unangemessenen Ergeinissen. Geht der Aufnehmende davon aus, der Sprecher sei mit der Aufnahme einverstanden, so bleibt er straflos, auch wenn die Einwilligung aufgrund ihm unbekannter Umstände fehlt; er irrt dann über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (vgl. Rdn. 26). Meint er, der Sprecher lehne eine Aufnahme ab, so ist er - jedenfalls nach überwiegender Auffassung - wegen Versuches strafbar (Rdn. 9). Liegt eine Einwilligung vor, so handelt der Täter bei der Aufnahme „befugt". Er 3 5 ist durch § 201 Abs. 1 Nr. 2 nicht gehindert, die Aufnahme auch Dritten zugänglich zu machen; insoweit bedarf er keiner nochmaligen, ergänzenden Einwilligung (SchlSchröder/Lenckner Rdn. 29; aA TröndlelFischer Rdn. 7; LacknerlKühl Rdn. 11; Mösl LK 9. Aufl. Rdn. 13). Anderes gilt allerdings, wenn der Aufnehmende vor der Aufzeichnung den Sprecher über die Verwendung getäuscht und die Einwilligung nur durch diese Täuschung erreicht hat (vgl. allgemein Hirsch LK Vorbem. 119 vor § 32; Sehl Schröder!Lenckner Vorbem. 46, 47 vor §§ 32 ff). Entscheidet sich der Täter jedoch erst nach der Aufnahme für eine Verwertung, die vom Sprecher mißbilligt wird, liegt also keine Täuschung im dargelegten Sinne vor, so entfallt die vermittelte Befugnis nicht. Der Sprecher ist auch in solchem Falle hinreichend geschützt: Er kann wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts die weitere, nicht von seiner Einwilligung umfaßte Verwertung nach bürgerlichrechtlichen Grundsätzen untersagen (vgl. KG NJW 1956 26, 27; Coing [aaO Rdn. 1] S. 42 f). Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung (vgl. TröndlelFischer 3 6 Rdn. 7) wird im Rahmen des § 201 selten eingreifen (gänzlich ablehnend für Tonbandaufnahmen Hirsch LK Rdn. 138 vor § 32). Er setzt - jedenfalls nach herrschender Meinung - voraus, daß der Betroffene voraussichtlich einwilligen würde, das Einholen einer Einwilligung jedoch entweder nicht möglich oder nicht zumutbar ist (vgl. Hirsch LK Rdn. 136 vor § 32). Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 30 will dagegen diesem Rechtfertigungsgrund einen breiten Anwendungsbereich einräumen. Die von ihm gebildeten Beispiele - Telefongespräche im Behördenverkehr, Aufgabe von Bestellungen etc. lassen sich aber nur dann mit Hilfe „mutmaßlicher Einwilligung" lösen, wenn man mit ihm diesen Rechtfertigungsgrund weit auslegt (zu den Bedenken hiergegen: Hirsch LK Rdn. 136 vor § 32). Von der Sache her ist dies jedoch nicht geboten. In der Mehrzahl der angeführten Grenzfälle wird man von einem stillschweigenden Einverständnis ausgehen können. In den übrigen aber ließe sich die Zustimmung ohne Schwierigkeiten einholen; ein Bedürfnis für die Rechtfertigung des Aufnehmenden besteht insoweit nicht. c) Streitig ist, ob die Aufnahme auf Tonträger oder ein Abhören mit Abhör- 3 7 geräten im übrigen nur nach den allgemeinen Rechtfertigungsgründen oder durch weitere, spezielle Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden kann. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt hierzu nur wenige Anhaltspunkte. Im Laufe der Gesetzgebungsarbeiten war erörtert worden, „sozialadäquate Handlungen" von der Strafbarkeit auszunehmen (vgl. Schwalm ZStW 74 [1962] 488, 497; vgl. ferner (35)

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den Hinweis in der BTDrucks. 7/550, S. 236). Dem § 183 des Entwurfs 1962 (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) war deshalb als Absatz 3 die Ausnahmeregelung angefügt: „Die Absätze 1 und 2 sind nicht auf Handlungen anzuwenden, die nach verständiger Auffassung, namentlich im Hinblick auf die Beweggründe und die Ziele des Täters und die zwischen diesem und dem anderen bestehenden Beziehungen, hinzunehmen sind." Gegen diese Formulierung hatte sich der Alternativentwurf ausgesprochen und ausgeführt, die allgemeinen Rechtfertigungsgründe reichten aus (vgl. Begründung zum AE, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband [1971] S. 35). Wegen der Anwendungsschwierigkeiten, die im Blick auf die unbestimmte Fassung zu befürchten waren (vgl. dazu im einzelnen Wormer S. 225 f), verzichtete der Gesetzgeber auf eine solche Regelung und nahm statt dessen in § 298 a. F. das Wort „unbefugt" auf, um so auf die besondere Häufigkeit von Rechtfertigungsgründen hinzuweisen (vgl. Rdn. 27). Die Klärung, wann im einzelnen Aufnahmen gerechtfertigt sind, wurde bewußt der Rechtsprechung überlassen (vgl. Suppen S. 177f m.N.; BTDrucks. 7/550, S. 236). 38

In Rechtsprechung und Schrifttum werden ergänzende Rechtfertigungsgründe unter mehreren Gesichtspunkten erörtert. So sollen - zusätzlich zu den allgemeinen Rechtfertigungsgründen der Notwehr (§ 32) und des rechtfertigenden Notstandes (§ 34) Tonbandaufnahmen aufgrund „notwehrähnlicher Lage",24 in entsprechender Anwendung des § 193 StGB,25 des § 127 Abs. 1 StPO 26 oder allgemein bei Verfolgung überwiegender Interessen27 gestattet sein. Ferner wird erörtert, solche Aufnahmen straflos zu lassen, die sozialadäquat 28 oder sozialkongruent29 sind. 39 Dieser ersichtlich schwierigen und wenig befriedigenden Umwege bedarf es jedoch nicht. Die allgemeinen gesetzlichen Rechtfertigungsgründe - insbesondere die Vorschriften der §§ 32, 34 StGB - reichen aus, um die in Betracht kommenden Fallgruppen sachgerecht zu lösen. Ein Rückgriff auf praeter legem gebildete Rechtfertigungsgründe wie ζ. B. die „notwehrähnliche Lage", die entsprechende Anwendung des § 193 StGB oder auf die Lehre von der Sozialadäquanz ist nicht erforderlich. Dem hier bestehenden Theoriestreit dürfte in der Praxis ohnehin nur untergeordnete Bedeutung zukommen. Unabhängig von der jeweiligen dogmatischen Einordnung herrscht in aller Regel jedenfalls im Ergebnis - Einigkeit über die Behandlung der fraglichen Fallgruppen. 40 Gewissermaßen im Mittelpunkt der Erörterungen steht der Fall, daß der Erpreßte die Stimme seines Erpressers am Telefon aufnimmt, um ihn zu überführen. Daß hier 24

Vgl. B G H Z 27 284, 290; B G H JZ 1982 199, 200; O L G Celle N J W 1965 1677, 1679; O L G Frankfurt MW 1967 1047, 1048; LAG Berlin JZ 1982 258, 259; wohl auch Arzt JZ 1973 506, 508 in Anm. zu BVerfGE 34 238 = JZ 1973 504; Wormer S. 240 ff; Larenz in seinem Referat auf dem 42. Deutschen Juristentag, Verhandlungen Bd. II D 25, 28; vgl. allgemein zur „notwehrähnlichen Lage" einerseits Spendet LK § 32 Rdn. 127 ff, der von einem „verschwommenen Schlagwort" spricht, sowie befürwortend Suppert passim, insbesondere S. 84ff, 356ff, zur „notstandsähnlichen Lage" Roxin AT I § 16 Rdn. 112ff.

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KG N J W 1956 26 f; vgl. ferner OLG Frankfurt JR 1978 168, 169 mit Nachweisen; hierzu ferner Klug S. 101, 117fT. Vgl. Suppert S. 292 bis 308. Vgl. Schmidt ZStW 91 (1979) 741, 808, sowie die Nachweise bei Tenckhoff in Anm. zu KG JR 1981 254, S. 255, 256; vgl. ferner BGHZ 27 284, 290. Vgl. OLG Frankfurt JR 1978 168, 169; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467 mit Anm. Ostendorf; Schmitt JuS 1967 19, 23; TröndlelFischer Rdn. 7; Klug aaO S. 101, 120f; ferner auch BTDrucks. 7/550, S. 236; kritisch Suppert S. 216ff. Vgl. eingehend - jedoch ablehnend - Klug S. 108 bis 115.

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die Aufnahme zulässig sein muß, ist nahezu außer Streit.30 Sie ist bereits durch den allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Notwehr gerechtfertigt (vgl. Klug S. 124f; Otto aaO). Dagegen wird allerdings eingewandt, daß mit der Beendigung des Anrufs der Angriff bereits abgeschlossen sei; außerdem wird bezweifelt, ob Tonbandaufnahmen ein geeignetes Mittel zur Abwehr darstellten; die Drohungen könnten durch die Aufnahme nicht mehr abgewandt werden.31 Um angesichts dieser Bedenken die Aufnahme gleichwohl als gerechtfertigt behandeln zu können, werden dann - wie bereits erwähnt - andere Rechtfertigungsgründe, insbesondere die „notwehrähnliche Lage" oder auch der rechtfertigende Notstand (so Tenckhoff JR 1981 255, 257) herangezogen. Für ein Eingreifen des § 32 spricht jedoch: Die Drohungen des Erpressers stellen einen gegenwärtigen Angriff auf die Willensfreiheit des Angerufenen dar (vgl. Spendel LK § 32 Rdnr. 133, 134; Suppert S. 272 bis 284). Dieser Angriff ist mit dem Anruf noch nicht beendet, da die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Opfers nach dem Willen des Erpressers bis zur Vornahme der Vermögensverfügung und meist auch noch darüber hinaus andauern soll (vgl. Wormer S. 251 f; Haug MDR 1964 548, 551; einschränkend Baumann MDR 1965 346, 347). Die Aufnahme dient der Abwehr des fortdauernden Angriffs; dies ist - entgegen der Ansicht des KG in JR 1981 254 - auch dann der Fall, wenn durch das Tonband nur Beweise für die Strafverfolgung erlangt werden sollen (so zutreffend Tenckhoff m Anm. zu dieser Entscheidung JR 1981 255, 256; ferner Suppert S. 249, 285 bis 289). Ein Rückgriff auf andere Rechtfertigungsgründe, insbesondere auf die „notwehrähnliche Lage", ist nach alledem hier nicht erforderlich (vgl. Spendet LK Rdn. 133, 134, 127). Erst recht greift § 32 in Fällen des Kidnapping ein, wenn die Tonbandaufnahme zur Verteidigung des bedrohten Kindes als Nothilfe erforderlich ist (Nelles Stree/Wessels-Festschrift S. 719, 7330Ist jedoch der Angriff mit dem Zeitpunkt der Aufnahme zunächst abgeschlossen 4 1 oder steht ein Angriff erst bevor, kommt eine Berufung auf Notwehr nicht in Betracht. In solchen Fällen können indes die Regeln des rechtfertigenden Notstandes eingreifen (§ 34; eingehend hierzu Wormer S. 270 bis 278). § 32 enthält keine abschließende Regelung, die dies ausschlösse.32 Wird ζ. B. der Angerufene über das Telefon beleidigt und nimmt er die Stimme des Beleidigers auf, um ihn zu identifizieren oder um seine Bestrafung herbeizuführen (vgl. Tenckhoff JR 1981 255, 257 in Anm. zu KG JR 1981 254), so läßt sich das Aufnehmen ebensowenig durch Notwehr rechtfertigen wie das spätere Abspielen des Tonbandes. Die Aufnahme des Gesprächs ist weder geeignet noch dazu bestimmt, den Angriff abzuwehren; sie verleiht ihm durch die dauerhafte Fixierung sogar besonderes Gewicht. Das spätere Abspielen der Aufnahme kann schon deshalb die Voraussetzungen der Notwehr nicht erfüllen, weil zu diesem Zeitpunkt ein gegenwärtiger Angriff nicht mehr vorliegt. Dennoch ist sowohl die Aufnahme als auch das spätere Abspielen des Tonträgers gerechtfertigt, da 30

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Vgl. ζ. B. BGHSt. 34 39, 51; B G H Z 27 284, 290; O L G Düsseldorf N J W 1966 214; KG JR 1981 254; KG N J W 1967 115, 116; weit. Rspr.-Beispiele bei Gropp StV 1989 216, 222 f; Kramer N J W 1990 1760 ff; Klug S. 117; Kohlhaas NJW 1972 238, 240; Rupprecht DVB1. 1974 579, 580; Schmitt JuS 1967 19, 22 f; Otto KleinknechtFestschrift S. 319, 334; stark einschränkend allerdings - grundsätzlich - Arzt M D R 1965 344. KG JR 1981 254 mit teils zustimmender Anm. Tenckhoff S. 256; EisenberglMüller JuS 1990

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120, 122; dagegen - für Rechtfertigung auch unter letzterem Blickwinkel - Haug N J W 1965 2391,2392. Vgl. hierzu Schroeder JuS 1980 336, 338 f; Hirsch LK § 34 Rdn. 93; TröndletFischer § 34 Rdn. 23 sowie grundsätzlich Warda MaurachFestschrift S. 143, 165f, 170f; Seelmann Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen (1978) S. 60ff, und - in kritischer Auseinandersetzung mit Seelmann - Peters GA 1981 445, 459f.

Bernd Schünemann

§ 201

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

erfahrungsgemäß damit zu rechnen ist, daß der Beleidiger seihen Anruf wiederholt. Darin liegt eine fortdauernde Gefahr für die Ehre des Beleidigten, die diesen berechtigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese Gefahr ist als gegenwärtig im Sinne des § 34 StGB anzusehen, da sie jederzeit in einen Schaden umschlagen kann Und deshalb sofortiges Handeln erfordert (vgl. Hirsch LK § 34 Rdn. 37 mit zahlreichen Nachweisen; Spendel LK 32 Rdn. 126; Schweder JuS 1980 336, 339). Die Aufnahme wird als geeignetes Mittel anzusehen sein, einer solchen Dauergefahr (vgl. dazu zutreffend TenckhoffJR 1981 S. 257; ferner Wormer S. 270 ft) entgegenzuwirken. Das geschützte Interesse des Beleidigten überwiegt in aller Regel das Interesse des gegen die Rechtsordnung verstoßenden Angreifers an der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeitssphäre (vgl. Tenckhoff aaO S. 257). 42

Aus solcher Sicht lassen sich auch die anderen Fälle lösen, für die bisweilen die wenig befriedigende Konstruktion der „notwehrähnlichen Lage" bemühte wurde. Dies gilt insbesondere für die Aufnahme häufig wiederkehrender beleidigender Anrufe, eine Fallgestaltung, wie sie dem OLG Frankfurt (NJW 1967 1047 f) vorgelegen hat. Auch hier hätte es des Rückgriffs auf einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund nicht bedurft. Bei der Erörterung der Voraussetzungen einer „notwehrähnlichen Lage" stellte das OLG maßgeblich darauf ab, ob der Aufnehmende „schon früher und häufig" Beleidigungen durch den Sprecher ausgesetzt war. Damit wurde jedoch nichts anderes als die in der Möglichkeit der Wiederholung liegende Dauergefahr angesprochen, die für den Beleidigten gerade auch eine Notstandslage im Sinne des § 34 StGB begründet. Ahnliche Erwägungen führen auch in anderen Fällen „künftig" drohender Angriffe zu angemessenen Lösungen auf der Grundlage des rechtfertigenden Notstands. So hatte sich das OLG Celle (NJW 1965 1677) mit einem Fall zu befassen, in dem eine Zeugin zu einer falschen Aussage angestiftet werden sollte; sie nahm das Gespräch, in dem der Anstiftende sie bedrohte, auf Tonband auf, weil sie zu befürchten hatte, daß ihr im Fall der Weigerung Äußerungen, die sie nicht getan hatte, in den Mund gelegt würden (vgl. zustimmend Schmitt JuS 1967 19, 24, der allerdings - ebenso wie das OLG - zur Rechtfertigung auf die „notwehrähnliche Lage" abstellt). Ebenso hat das KG es für zulässig gehalten, daß ein Ehemann die Ankündigung seiner Ehefrau aufnahm, sie werde im bevorstehenden Scheidungsverfahren zu seinem Nachteil die Unwahrheit sagen (vgl. KG NJW 1956 26; zustimmend Hubmann JZ 1957 521, 527; Samson SK Rdn. 26). In beiden Fällen stand ein Prozeßbetrug im Raum; von daher war es gerechtfertigt, die Ankündigung - wörtlich - aufzunehmen, um der drohenden Gefahr zu begegnen. Entsprechendes wird gelten müssen, wenn der Verteidiger die Tonbandaufnahme eines heimlich abgehörten Telefongesprächs zwischen Richter und Staatsanwalt als Beweismittel benutzt und Dritten zugänglich macht, um in einem Strafverfahren, in dem es um schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe gegen seinen Mandanten geht, die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit durchzusetzen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1979 1172f; zustimmend Samson SK Rdn. 26; jeweils unter Berufung auf § 34 StGB), oder wenn ein zu Unrecht Beschuldigter sich nur durch die Aufnahme privater Äußerungen eines falschen Belastungszeugen wirksam verteidigen kann.33 Die Anwendung der Notstandsregeln in all diesen Fällen erweist sich nicht zuletzt auch deshalb als sachgerecht, weil § 34 StGB dem Abwehrrecht bestimmte Grenzen setzt und die Befugnisse des Abhörenden in einer Weise einschränkt, die den widerstreitenden Interessen 33

Vgl. Wormer S. 276; unter dem Blickwinkel der Notwehr Suppert S. 339f; der Beweisnot BayObLG StV 1995 65 f m. Anm. Preuß; un-

klar BayObLG NStZ 1990 101, wo anscheinend ohne konkreten Verdacht aufgenommen wurde.

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angemessen Rechnung trägt. Auch in dieser Hinsicht dürfte die hier vertretene Meinung den Lösungsversuchen auf der Grundlage des Notwehrrechts, das eine solche Interessenabwägung grundsätzlich nicht vorsieht, vorzuziehen sein. Zwar bemühen sich auch Entscheidungen, die auf die Figur der „notwehrähnlichen Lage" zurückgreifen, um eine Abwägung der widerstreitenden Interessen (vgl. etwa BGH JZ 1982 199, 200). Eine dogmatische Grundlage hierfür kann dem Notwehrrecht indes nicht entnommen werden. Dagegen verlangt bereits der Wortlaut des § 34 StGB, daß das Interesse des Aufnehmenden dasjenige des Sprechers wesentlich überwiegt. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Sprechenden hat Gewicht. Ein bloßes Beweisinteresse des Aufnehmenden, der bürgerlichrechtliche Ansprüche verfolgen will, wird demgegenüber in aller Regel nicht erlauben, heimliche Tonbandaufnahmen anzufertigen.34 Auch das Interesse des Staates an der Verfolgung von Straftätern wird im allgemeinen nicht so gewichtig sein, daß es heimliche Aufnahmen von verdächtigen Gesprächen oder die Verwertung solcher Aufnahmen im Strafprozeß rechtfertigen könnte.35 Ausnahmen sind allerdings möglich, soweit es um Schwerstkriminalität geht, etwa bei Angriffen gegen Leib und Leben anderer, gegen existenzielle Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder gegen sonstige Rechtsgüter vergleichbaren Ranges (vgl. BVerfGE 34 238, 249f)· Nach Auffassung des BGH sollen die §§ 100 a, 100 b StPO für das Abhören und Aufnehmen von Telefongesprächen durch Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich eine abschließende Regelung enthalten; eine Anwendung des § 34 StGB soll „allenfalls in ganz außergewöhnlichen Fällen" in Betracht kommen (vgl. BGHSt. 31 304, 306 f = NStZ 1983 466 mit Anm. Meyer; vgl. auch BGHSt. 34 39, 51 f). Dem wird zuzustimmen sein. Der Gesetzgeber hat sich - ersichtlich im Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und mit Rücksicht auf Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 10 GG - veranlaßt gesehen, die in § 34 allgemein vorausgesetzte Abwägung für die Telefonüberwachung zu konkretisieren und genaue Vorgaben festzulegen. Neben dieser gesetzlichen Entscheidung wird der rechtfertigende Notstand i. S. d. § 34 in aller Regel nicht herangezogen werden können.36 § 34 verlangt über eine bloße Interessenabwägung hinaus, daß die drohende Gefahr 4 3 nicht auf andere Weise als durch die Aufnahme abwendbar ist.37 Die Vorschrift enthält insoweit ein weiteres Korrektiv. Wer also beispielsweise zu Beweiszwecken mündliche Absprachen heimlich auf Tonband aufnimmt, handelt - selbst bei gewichtigem 34

Vgl. BGHZ 27 284, 290; BGH JZ 1982 199, 200; OLG Düsseldorf NJW 1966 214; OLG Stuttgart M D R 1977 683 (Beweismittel für ein Scheidungsverfahren); LG Hagen BB 1955 489; LAG Berlin JZ 1982 258, 259; Wormer S. 274; Otto Kleinknecht-Festschrift S. 333 f; vgl. ferner OLG Karlsruhe JR 1979 466, 468 (Aufnahme mündlicher Äußerungen eines Beamten zu Beweiszwecken für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren wegen einer Erweiterung der Gaststättenkonzession); zu weitgehend deshalb KG NJW 1967 115, 116. » Vgl. BVerfGE 34 238, 251 = JZ 1973 504 in bezug auf die Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Urkundenfälschung, insoweit zustimmend Arzt S. 506; ferner BGHSt. 34 39, 51 f für die heimliche Aufnahme der Worte eines Angeklagten, um gegen seinen Willen Art und Weise seiner Gesprächsführung (39)

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als Beweismittel verwerten zu können, dazu Wolfslast NStZ 1987 103, 105; Bottke Jura 1987 356 ff. Gegen die Anwendung des § 34 bei der Durchsetzung staatlicher Interessen in diesem Zusammenhang allerdings grundsätzlich Dahs ZRP 1977 164, 168; Schmitt JuS 1967 19, 25; vgl. ergänzend auch Evers ZRP 1970 147, 149. Allgemein zur Rechtfertigung staatlichen Handelns durch § 34: TröndlelFischer § 34 Rdn. 24; Hirsch LK § 34 Rdn. 6ff, jeweils mit zahlreichen Nachweisen. Vgl. bereits o. Rdn. 30 zur Hörfalle sowie TröndlelFischer § 201 Rdn. 8; SchlSchröderl Lenckner § 201 Rdn. 34; aA Suppert S. 243. Vgl. allgemein: Tröndlel Fischer § 34 Rdn. 5 mit Nachweisen; ferner - für den Bereich des § 201 Tenckhoff JR 1981 255, 257 in Anm. zu KG JR 1981 254.

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Vertragsgegenstand - in der Regel unbefugt, weil er es in der Hand hat, sein Beweisinteresse auf andere Weise hinreichend abzusichern, indem er etwa für die schriftliche Festlegung der Absprachen sorgt oder darum bittet, mit der Tonbandaufnahme einverstanden zu sein (vgl. OLG Karlsruhe JR 1979 466,468 mit Anm. Ostendorf). Insoweit besteht regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse an heimlichen Tonaufnahmen. 44 § 34 StGB erlaubt nach allem eine sachgerechte Lösung auch der Fälle, in denen eine „notwehrähnliche Lage" als Rechtfertigungsgrund herangezogen wird.38 Der Rückgriff auf diesen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund ist daher nicht erforderlich. Er birgt überdies die Gefahr in sich, daß die vom Gesetzgeber mit Bedacht gezogene Grenze zwischen Notwehr und Notstand verwischt und das ausgewogene System der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe durchbrochen wird. Soweit die Rechtsprechung der „notwehrähnlichen Lage" rechtfertigende Wirkung zumißt, stellt sie zusätzliche Erfordernisse auf, die im Ergebnis den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes entsprechen (vgl. BGH NStZ 1982 254; Schroeder JuS 1979 336, 341; SehlSchröder!Lenckner § 32 Rdn. 17). Dies verdeutlicht, daß es sich in Wirklichkeit um einen Anwendungsfall des § 34 StGB handelt, der mit der Notwehr i. S. d. § 32 StGB nichts gemein hat. 45

Auch eines darüber hinausgehenden Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. zutreffend Tenckhoff JR 1981 255, 256 in Anm. zu KG JR 1981 254; Wölfl Jura 2000 234) oder der Sozialadäquanz bedarf es nicht.39 Problematisch bleiben - wie bei anderen Tatbeständen auch - Grenzfalle der Bagatellkriminalität, so ζ. B. die gelegentlich angeführten Scherzaufnahmen unter Freunden (vgl. TröndlelFischer § 201 Rdn, 7; Schwalm ZStW 74 [1962] 488, 497). Auch diese werden sich jedoch ohne Annahme eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes sachgerecht lösen lassen. Meist wird hier von einer mutmaßlichen oder stillschweigenden Einwilligung auszugehen sein (vgl. Wormer S. 286 f)· Insoweit verhält es sich nicht anders wie bei sonstigen „Scherzen", die den Tatbestand einer Strafvorschrift erfüllen (etwa das Abschneiden von Krawatten im Karneval - § 303). In den wenigen verbleibenden Fällen werden sich unangemessene Härten auf andere Weise, etwa durch Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO, vermeiden lassen (vgl. Arzt Intimsphäre S. 258; Wormer S. 287).

46

Dagegen hat der Gesetzgeber für die durch das 29. StrÄndG eingeführte Tatbestandsvariante des Abs. 2 Nr. 2 in Satz 3 ausdrücklich einen speziellen Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtiger Interessen statuiert, der im Vergleich mit § 34 ersichtlich geringere Anforderungen stellt, im Vergleich mit § 193 aber insoweit eingeschränkt ist, als eine öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung „überragender öffentlicher Interessen" gefordert wird. Damit hat sich der Gesetzgeber bewußt an die Rechtsprechung des BVerfG angeschlossen, wonach die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und die öffentliche Meinungsbildung die Nachteile überwiegt, welche die Mißachtung der Privatsphäre für den Betroffenen nach sich zieht, wenn es sich um Mißstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.40 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dieser Vorschrift siehe oben Rdn. 50. Falls 38

39

Vgl. Sehl Schröder! Lenckner § 32 Rdn. 17; Schaff stein Bruns-Festschrift S. 89, 92 f; Spendet LK § 32 Rdn. 127, 132 bis 134; Wölfl Jura 200« 231, 234; aA Supperl S. 337f, 338 Fn. 482. Vgl. Wormer S. 279f, 286; Samson SK Rdn. 7 ff vor § 201; § 201 Rdn. 27 bis 30; ebenso jedenfalls

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für die Beschaffung von Beweismitteln im strafprozessualen Bereich BGHSt. 31 304, 307. BVerfGE 66 116, 139; ebenso B G H Z 73 120, 124 ff; BT-Drucks. 11/6714 S. 4; Tröndlel Fischer Rdn. 7 b; Jung JuS 1991 169.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes

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man sie für ausräumbar hält, macht es dann aber - umgekehrt - wenig Sinn, daß dieser Rechtfertigungsgrund vom Gesetzgeber bewußt nur für die Tatvariante der öffentlichen Mitteilung geschaffen worden ist (BTDrucks. 11/7414 S. 9), so daß für die anderen Tatbestandsalternativen nach wie vor nur der engere Rechtfertigungsgrund des § 34 einschlägig ist. Es kann deshalb vorkommen, daß eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 strafbar bleibt, während die Veröffentlichung der dabei gewonnenen Ergebnisse gemäß Abs. 2 Satz 3 gerechtfertigt ist. Zur alten Rechtslage vor Einführung des § 201 Abs. 2 Nr. 2 siehe Klug in SarstedtFestschrift S. 101 ff. IV. Rechtsfolgen 1. Strafe Die Strafdrohung der Absätze 1 und 2 ist gegenüber § 298 a. F. erheblich 4 7 verschärft. Der Täter kann nunmehr mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren statt wie früher mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft werden. Andererseits ist die Möglichkeit weggefallen, gemäß § 298 a Abs. 4 a. F. in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu verhängen (vgl. oben Rdn. 1). Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren kann nach der Neufassung des Gesetzes nur 4 8 noch verhängt werden, wenn der Täter Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ist (§§ 201 Abs. 3, 11 Abs. 1 Nr. 2, 4). Offiziere und Unteroffiziere stehen den Amtsträgern gleich (§ 48 Abs. 1 WStG). Der Strafrahmen entspricht hier dem des § 353d a. F. Der Täter muß „als" Amtsträger oder Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt haben. Das ist einmal dann der Fall, wenn er die Tat bei der Ausübung seines Dienstes oder zu dienstlichen Zwecken begeht. Es genügt aber auch, daß der Amtsträger die ihm aufgrund seiner Dienststellung gegebenen Möglichkeiten für seine Ziele ausnutzt, etwa außerhalb der Dienstzeiten von der Möglichkeit Gebrauch macht, Telefongespräche abzuhören.41 Für den Teilnehmer gilt § 28 Abs. 2; die Tat ist unechtes Amtsdelikt (Samson SK Rdn. 22; Lackner/Kühl Rdn. 17; TröndlelFischer Rdn. 8). 2. Einziehung Nach Absatz 5 können Tonträger und Abhörgeräte, die bei der Tat verwendet 4 9 wurden, gemäß §§ 74ff eingezogen werden. Die Verweisung auf § 74a gestattet die Einziehung täterfremder Gegenstände. 3. Versuch Der Versuch ist strafbar (Abs. 4). Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Bloße 5 0 Vorbereitungshandlungen sind das Aufstellen eines Tonbandgerätes oder der Einbau einer Abhöranlage (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 36). Der Versuch beginnt mit dem Einschalten der Geräte, und zwar selbst dann, wenn nicht gesprochen wird. Mißlingt die Aufnahme - ermöglicht die Aufzeichnung also nicht das erneute Hören des gesprochenen Wortes - , so ist die Tat nicht vollendet, sondern lediglich versucht (vgl. 41

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TröndlelFischer Rdn. 8; zur Parallelfrage in § 353b: vgl. Träger LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 15; aA SehlSchröder/Lenckner Rdn. 28. Bernd S c h ü n e m a n n

§202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Rdn. 11). Ebenso ist auch das Abhören erst vollendet, wenn der Täter über das Abhörgerät etwas vernimmt (vgl. Rdn. 18). 51

4. Die Tat wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 nur auf Antrag verfolgt (§ 205 Abs. 1, vgl. im einzelnen dort). Von Amts wegen ist demnach lediglich die Tat eines Amtsträgers oder eines für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten zu verfolgen (§ 201 Abs. 3). 5. Zusammentreffen

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a) Zwischen Taten nach Absatz 1 und Absatz 2 kann Tateinheit bestehen (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 38; TröndlelFischer Rdn. 12; Samson SK Rdn. 36; kritisch Arzt Intimsphäre S. 248). Taten nach Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 1 Nr. 2 stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander (aA Samson SK Rdn. 35 und SehlSchröder!Lenckner Rdn. 38: nur eine Tat, wenn derselbe Täter eine Aufnahme anfertigt und dann von ihr Gebrauch macht). Absatz 1 Nr. 2 vertieft regelmäßig das schon durch Absatz 1 Nr. 1 begangene Unrecht, wenn das nicht öffentlich gesprochene, auf Tonband aufgenommene Wort nunmehr auch einem Dritten zugänglich gemacht wird. Beide Taten können allerdings zu einer einzigen Tat verbunden sein, wenn der Täter bereits beim Aufnehmen die Absicht hat, die Aufnahme zu gebrauchen oder einem Dritten zugänglich zu machen. Insoweit ist die Rechtslage ähnlich wie bei der Geld- oder Urkundenfälschung (§§ 146, 267; vgl. Lackner/Kühl Rdn. 19; Wormer S. 190f; zum Verhältnis der einzelnen Tatbestandsalternativen bei der Urkundenfälschung ausführlich TröndlelFischer § 267 Rdn. 44; NK-Puppe § 267 Rdn. 105). Die dort geltenden Grundsätze greifen auch hier. Der Unrechtsgehalt der Tat wird nicht erhöht, wenn ein Täter die von ihm unbefugt gefertigte Aufnahme nur sich selbst vorspielt oder eine Aufnahme, die er einem Dritten bereits vorgespielt hat, diesem nunmehr überläßt: in diesen Fällen liegt eine mitbestrafte Nachtat vor (ebenso TröndlelFischer Rdn. 12). b) Tateinheit ist möglich mit §§ 94 ff, 185 StGB sowie mit dem an die Stelle des aufgehobenen § 15 FAG tretenden Tatbestand des § 94 TKG (BTDrucks. 13/3609 S. 57).

§202 Verletzung des Briefgeheimnisses (1) Wer unbefugt 1. einen verschlossenen Brief oder ein anderes verschlossenes Schriftstück, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind, öffnet oder 2. sich vom Inhalt eines solchen Schriftstücks ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 206 mit Strafe bedroht ist. (2) Ebenso wird bestraft, wer sich unbefugt vom Inhalt eines Schriftstücks, das nicht zu seiner Kenntnis bestimmt und durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert ist, Kenntnis verschafft, nachdem er dazu das Behältnis geöffnet hat. (3) Einem Schriftstück im Sinne der Absätze 1 und 2 steht eine Abbildung gleich. Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

§202

Schrifttum Baur Postüberwachung im Maßregelvollzug für psychisch Kranke und suchtkranke Täter (§§ 63, 64 StGB), M D R 1981 803; Bettermann-Loh Ersatzzustellung und Postgeheimnis, BB 1968 892; Blei Die „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs" (15. Abschnitt: §§ 20 I f f StGB) i . d . F . des EGStGB, JA 1974 601; Franz Dürfen an den Untersuchungs- oder Strafgefangenen gerichtete Briefe geöffnet werden? N J W 1965 25; Friedlaender D i e Verletzung des Briefgeheimnisses, Z S t W 16 (1896) 756; Gerhard D e r strafrechtliche Schutz des Briefes (1905); Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten für den 42. Deutschen Juristentag, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Band II, S. D 59; Küper Zur Konkurrenz zwischen Briefgeheimnisverletzung und Unterschlagung, JZ 1977 464; Schmitz Verletzung des Briefgeheimnisses, § 202 StGB, JA 1995 297; Sieber Informationstechnologie und Strafrechtsreform (1985); Veit D i e Rechtsstellung des Untersuchungsgefangenen, dargestellt am Modell des Briefverkehrsrechtes (1971); Wiechert D e r strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts, Diss. Marburg 1972.

Übersicht Rdn. I. Entstehungsgeschichte II. Geschütztes Rechtsgut III. Tatbestand 1. Tatgegenstand a) Schriftstück aa) Schriftlichkeit bb) Verkörperung eines Gedankens cc) Einschränkungen des Schutzes b) Abbildungen (Abs. 3) c) Sicherung durch Verschluß (Abs, I N r . 1) d) Sicherung durch verschlossenes Behältnis (Abs. 2) 2. Tathandlungen a) Öffnen (Abs. 1 Nr. 1) b) Sich-Kenntnis-Verschaffen durch Anwendung technischer Mittel und Öffnen eines Behältnisses aa) Anwendung technischer Mittel (Abs. 1 Nr. 2) . . . . bb) Öffnen eines Behältnisses (Abs. 2) cc) Sich-Kenntnis-Verschaffen . 3. Täter a) Entscheidung des Verschließenden

Rdn.

1 2 3 4 4 5 9 11 IV. 13 16 17

V. 19 20 21 23 24

VI. VII.

b) Bedingungen c) Verschließender kein möglicher Täter d) Abs. 2 4. Subjektiver Tatbestand a) Allgemeine Anforderungen . . . b) Planungszusammenhang beim mehraktigen Delikt c) Tatbestandsirrtum, Erlaubnistatbestandsirrtum und Verbotsirrtum Rechtswidrigkeit 1. Sonderregelungen a) im Familienrecht b) bei Gefangenen und Untergebrachten c) Uberprüfung von Postsendungen 2. Einwilligung oder Einverständnis? . 3. Mutmaßliche Einwilligung Täterschaft und Teilnahme 1. Allgemeine Regeln 2. Bei Abs. 2 als mehraktigem und ζ. T. eigenhändigen Delikt 3. Eigenhändigkeit als besond. persönliches Merkmal Rechtsfolgen der Tat Zusammentreffen

Stichwortverzeichnis Zahlen = Randnummer Abbildungen 3, 11, 17 Agententätigkeit 45 Behältnis 16,20f, 31 Betreuer 35 Brief 2, 6, 16 f, 39 Briefgeheimnis 2, 19, 39 Briefumschlag 13 f, 17, 30 (43)

Daten 4,45 Delikt - mehraktiges - 3, 21, 31,42 Durchleuchtung 19, 21 Ehegatten 29, 35 Eigenhändigkeit 43 Einverständnis 38 Bernd Schünemann

27 28 29 30 30 31

32 33 34 35 36 37 38 40 41 41 42 43 44 45

§ 202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Einwilligung 38 - des Ehegatten 35 - mutmaßliche - 40 Einwilligungsberechtigter 39 Eltern 35 Empfänger 25, 28, 39 f Entstehungsgeschichte 1 Familienrecht 34 Fotografien 11 Geheimhaltungsinteresse 10, 21 Geheimhaltungspflicht 26 Geheimschrift 4 Insolvenzverwalter 37 Irrtum - über Rechtfertigungsgründe 32 Kenntnisnahme - als Tathandlung 18 ff - Bestimmung zur - 23 f, 38 - Einschränkungen 27 - Schutz v o r - 14 ff - subj. Tatbestand 30 Merkmal - besonderes persönliches 43 Minderjährige 35 mittelbarer Täter 42 Öffnen - von Behältnissen 20 - von Schriftstücken 17 f Öffnungsbefugnis 25, 33 ff

Rechtswidrigkeit 33 Sachbeschädigung 18,45 Schrift 4 Schriftstück 4 ff - Öffnen 17f - Zerstörung 30 Schutzzweck der Norm 10, 14, 21 Skizze 11 Strafantrag 27,44 Strafgefangene 36 Symbole 7, 11 Täter 24, 41 Tatbestandsirrtum 25, 32, 35 Technische Mittel 19 Teilnahme 41 f Überprüfung - Postsendungen 37 unbefugt 33 Unterbringung 36 Untersuchungshäftlinge 36 Verbotsirrtum 32 Verfassungsschutz 37 Verschluß 13 ff, 24 Verschlußwille 15 Verstorbene 27 Viktimodogmatik 2, 13 Vormund 35 Vorsatz 30 ff Zerstörung - Schriftstück 30 Zoll 37

Planungszusammenhang 31 Postbeschlagnahme 37 Privatsphäre 2Rechtswidrigkeit 33

I. Entstehungsgeschichte 1

Schon in den deutschen Partikularrechten gab es Vorschriften, die die Verletzung des Briefgeheimnisses unter Strafe stellten (zur geschichtlichen Entwicklung der Vorschrift vgl. eingehend Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 765 bis 772; Gerhard S. 15f; Wiechert S 61 bis 64; über entsprechende ausländische Strafbestimmungen berichten Wiechert S. 64 bis 69 sowie Vogler in Materialien zur Strafrechtsreform, 2. Bd., S. 389, 396 bis 398). Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich regelte die Verletzung des Briefgeheimnisses in § 299. Die Vorschrift lautete in ihrer ursprünglichen Fassung: „(1) Wer einen verschlossenen Brief oder eine andere verschlossene Urkunde, die nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt ist, vorsätzlich und unbefugter Weise eröffnet, wird mit Geldstrafe bis zu Einhundert Thalern oder mit Gefangniß bis zu drei Monaten bestraft. (2) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein." In der Folgezeit wurde der Tatbestand zunächst nur geringfügig redaktionell geändert. So heißt es seit der Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 1. SepStand: 1. 8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

§202

tember 1969 (BGBl. I 1445) nicht mehr, daß der Täter den Brief „eröffnet", sondern daß er ihn „öffnet"; eine Änderung in der Sache bedeutete dies nicht. Das EGStGB hat dann den Tatbestand - von dem Blei JA 1974 601, 605 meint, daß bei ihm „vorwiegend Lücken ins Auge fielen" - erheblich ausgeweitet (vgl. dazu Wiechert S. 82 ff, zu früheren Änderungsvorschlägen derselbe S. 69 ff); zugleich wurde die Vorschrift - als § 202 - in den neugebildeten Abschnitt „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs" eingestellt. Die Neufassung schützt nicht nur verschlossene Schriftstücke, sondern auch solche, die in verschlossenen Behältnissen besonders gesichert sind, vor unbefugter Kenntnisnahme (vgl. Henkel Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. D 59, 134, 144f sowie den Hinweis Schafheutles in der 97. Sitzung der Großen Strafrechtskommission, Niederschriften Bd. 9, S. 197). Darüber hinaus wurde in Absatz 3 - offenbar in Anlehnung an § 148 Abs. 1 Nr. 1 des Alternativ-Entwurfs1 - der strafrechtliche Schutz erweitert auf andere zur Gedankenübermittlung bestimmte Träger sowie auf Abbildungen (zur früheren Rechtslage vgl. Gerhard S. 19; Wiechert S. 28ff). Außerdem wurden weitere Tathandlungen in den Tatbestand einbezogen. Es reicht nunmehr auch aus (§ 202 Abs. 1 Nr. 2), daß sich der Täter vom Inhalt eines verschlossenen Schriftstücks - ohne Öffnung des Verschlusses - unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft (vgl. Rdn. 19). Schließlich wurden schärfere Strafen angedroht. Nach der Neufassung kann Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Die Tat ist jedoch Antragsdelikt geblieben (§ 299 Abs. 2 a. F. und § 205 Abs. 1, vgl. dort). Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. Mai 1986 (BGBl. I 721) fügte mit § 202a einen neuen Straftatbestand in das StGB ein, der die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten umfassend gegen unbefugte Ausspähung schützen soll. Nach der Äuffassung des Gesetzgebers erfaßt die neue Strafvorschrift auch die „anderen zur Gedankenübermittlung bestimmten Träger", die § 202 Abs. 3 in der ursprünglichen Fassung in seinen Schutzbereich einbezogen hatte (vgl. BTDrucks. 10/5058 S. 28, 29). Um eine Überschneidung der Tatbestände zu vermeiden, wurde § 202 entsprechend eingeschränkt; er bezieht sich nur noch auf Schriftstücke und Abbildungen.

II. Geschütztes Rechtsgut Die Vorschrift dient dem Schutz von Schriftstücken und Abbildungen gegen 2 Indiskretionen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237; TröndlelFischer Rdn. 1). Dabei geht es allerdings nicht nur - wie der BGH abkürzend bemerkt (BGH NJW 1977 590 = JR 1978 423; ähnlich Wiechert S. 13 bis 15) - um den Schutz der „Privatsphäre" (gegen diese Kurzformel zutreffend Küper JZ 1977 464, 465 und Lenckner JR 1978 424 in Besprechungen dieser Entscheidung). Die Vorschrift erfaßt - über die Privatsphäre hinaus - beispielsweise auch den Briefwechsel im Wirtschaftsbereich oder den dienstlichen Schriftverkehr zwischen Behörden (vgl. Küper aaO, Lenckner aaO). Geschützt wird ein formaler Geheimbereich, der dadurch geschaffen wird, daß Schriftstücke und Abbildungen durch Verschluß gegen die Kenntnisnahme Unbefugter gesichert werden (vgl. Küper aaO, Lenckner aaO, Maurach!SchroederlMaiwald BT 1 § 29 I Rdn. 5; Henkel aaO S. D 133; NK-Jung Rdn. 2: „Schriftgeheimnis"). 1

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Alternativ-Entwurf eines StGB, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbb., (1971) S. 38, 39. Bernd S c h ü n e m a n n

§202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Der Schutzbereich der Vorschrift deckt sich nicht mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Briefgeheimnis (vgl. Dürig in Maunz-Dürig G G Art. 10 Rdn. 12). Art. 10 G G schützt allein vor unbefugten Eingriffen der öffentlichen Gewalt (vgl. Dürig aaO). Sein Schutz bezieht sich außerdem nur auf Briefe, also auf Mitteilungen zwischen verschiedenen Personen (vgl. BVerfGE 33 1, 11; 67 157, 171; Dürig aaO Rdn. 13), während § 202 auch den unbefugten Zugriff auf nicht der Kommunikation dienende Schriftstücke, die durch Verschluß gesichert sind, mit Strafe bedroht (vgl. Rdn. 5). Andererseits läßt sich - mit durchaus beachtlicher Begründung - die Auffassung vertreten, daß Art. 10 G G auch unverschlossene Briefe erfasse.2 Die Beschränkung des Schutzbereiches auf verschlossene Dokumente beruht ersichtlich auf viktimodogmatischen Erwägungen des Gesetzgebers: Nur wer seine eigenen Angelegenheiten vor dem beliebigen Zugriff Dritter sichert, ist des strafrechtlichen Schutzes gegen Indiskretion würdig und bedürftig (Schünemann ZStW 90 [1978] S. 32f sowie eingehend oben Vorbem. 5 vor § 201).

III. Tatbestand 1. Tatgegenstand 3

Gegenstand der Tat sind Briefe und andere Schriftstücke (Abs. 1; vgl. Rdn. 4 bis 10); ihnen werden Abbildungen gleichgestellt (Abs. 3; vgl. Rdn. 11). Die Gegenstände müssen verschlossen (Abs. 1; vgl. Rdn. 13 bis 15) oder durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sein (Abs. 2; vgl. Rdn. 16). Hierbei ist der Tatbestandsaufbau dem Gesetzgeber insoweit mißglückt, als er verschlossene Schriftstücke in Abs. 1 sowohl gegen die bloße Öffnung als auch gegen Kenntnisnahme ohne Öffnung geschützt hat, während der Zugriff auf ein durch ein verschlossenes Behältnis geschütztes Schriftstück ohne zwingende Notwendigkeit als zweiaktiges Delikt ausgestaltet ist, was zu erheblichen Problemen im subjektiven Tatbestand und im Rahmen von Täterschaft und Teilnahme führt (u. Rdn. 41).

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a) Zentraler Begriff in Absatz 1 ist das Schriftstück. Der in Absatz 1 Nr. 1 ebenfalls angeführte Brief ist - wie schon die Fassung der Strafvorschrift zeigt - lediglich ein Unterfall des Schriftstücks; das Gesetz enthält hierzu keine nähere Definition. aa) Vorausgesetzt ist zunächst - schon nach dem Wortsinn - die Verwendung einer Schrift. Dieser Begriff ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es kommt nicht darauf an, ob das Schriftstück handschriftlich verfaßt ist; auch ein gedruckter Text wird vom Tatbestand erfaßt. Eine Unterschrift ist nicht erforderlich. Die Art der Buchstaben ist ohne Bedeutung; auch Schriftstücke mit fremdartigen, etwa kyrillischen Buchstaben oder chinesischen Schriftzeichen, fallen in den Schutzbereich der Vorschrift. Dasselbe gilt für Noten (Gribbohm LK § 11 Rdn. 121), Geheimschriften (TröndlelFischer Rdn. 2) oder Bilderschriften (vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 776; zu Unrecht einschränkend Gerhard S. 19: Erforderlich sei, daß die Bilderschrift für jedes Wort ein besonderes Bild habe). Es genügt, wenn die Schrift nur durch den Tastsinn wahrnehmbar ist, wie dies bei der Blindenschrift der Fall ist (vgl. für den Begriff der „Schrift" im Sinne des § 11: Gribbohm LK § 11 Rdn. 121). Ferner reicht aus, daß die Schrift nur bei Anwendung besonderer Hilfsmittel lesbar ist 2

Vgl. OLG Hamburg NJW 1967 1973; Wiechert S. 10; Badura in Bonner Kommentar zum GG,

Art. 10 Rdn. 29; aA Dürig aaO Rdn. 13; vgl. ferner den Überblick bei Veit S. 120 f.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

§202

(vgl. für § 11 Abs. 3 Gribbohm LK aaO m. w. N.): So etwa bei der Vergrößerung durch eine Lupe (vgl. RGSt. 47 223, 224f), bei der Projektion einer auf Mikrofilm festgehaltenen Schrift auf den Leseschirm oder erst nach besonderer Behandlung, die das mit einer Geheimtinte Geschriebene zum Vorschein bringt (vgl. für Schreiben mit Geheimtinte Gerhard S. 19). In allen diesen Fällen werden Schriftzeichen lesbar gemacht; es handelt sich demnach immer um Schriftstücke, mögen sie auch - nimmt man § 202 a Abs. 2 StGB wörtlich - zugleich „Daten" enthalten, „die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind". § 202 geht insoweit der Vorschrift des § 202a als speziellere Regelung vor (vgl. Möhrenschlager in der 63. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 10. Wp., vom 23. Oktober 1985, Prot. S. 43). § 202 a greift demzufolge nur ein, wenn die verkörperte Information nicht durch Schriftzeichen, sondern mittels anderer Techniken auf dem Träger fixiert ist. Unerheblich ist der Stoff, auf dem die Schriftzeichen angebracht sind (vgl. Gerhard S. 19), ob beispielsweise auf Papier oder einer Schrifttafel. Es kommen auch Materialien in Betracht, die üblicherweise nicht zum Schreiben verwendet werden: Geschützt ist beispielsweise auch die Notiz auf einer Streichholzschachtel. bb) Zum Wesen eines Schriftstücks gehört, daß es einen gedanklichen Inhalt ver- 5 körpert (vgl. BTDrucks. 7/550, S. 237; Lackner/Kühl Rdn. 2; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 4). Die Gedanken brauchen nicht einem anderen übermittelt zu werden. Auch Schriftstücke, die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch des Verfassers bestimmt sind, wie etwa Tagebücher oder sonstige zur Gedächtnisstütze dienende Notizen, werden vom Tatbestand erfaßt (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237). Anders ist dies beim Brief. Unter Brief ist eine von einer Person an eine andere 6 gerichtete schriftliche Mitteilung zu verstehen. 3 Er braucht nicht unterzeichnet zu sein. Die schriftliche Bezeichnung des Adressaten ist nicht erforderlich; es genügt, wenn dieser aus den sonstigen Umständen erkennbar ist, so etwa durch die mündliche Angabe gegenüber dem Boten (Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 776). Ferner kommt es nicht darauf an, auf welche Weise der Brief befördert wird, ob durch die Post oder durch einen Boten (vgl. Gerhard S. 17, Blei aaO S. 605); es genügt auch, daß der Absender den Brief selbst übergibt (vgl. Gerhard S. 18) oder ihn für den Empfanger hinterlegt (Blei aaO S. 605). Der leere Briefumschlag, den ein Philatelist versendet, ist kein Brief (vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 777 f; Blei JA 1974 601, 605); dasselbe gilt für die bloße Warensendung. In beiden Fällen fehlt es an einer schriftlichen Mitteilung an den Empfanger. Zeitungen, die in einem verschlossenen Umschlag versendet werden, sind ebenfalls in der Regel nicht als Brief anzusehen; sie enthalten zwar Mitteilungen, diese stammen jedoch nicht vom Absender (vgl. Wiechert S. 33 Fn. 1). § 202 greift allerdings auch hier ein, weil es sich um verschlossene Schriftstücke handelt (vgl. ergänzend Rdn. 9, 10). Entsprechendes gilt für Akten, die in einem Paket versandt werden (vgl. Wiechert S. 32, 34). Der Gedanke, der übermittelt wird, braucht nicht in Wörtern ausgedrückt zu sein. 7 Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Verkörperung eines geistigen Inhalts mit Hilfe von Schriftzeichen. Schriftstück im Sinne der Vorschrift ist deshalb auch ein Notenblatt, auf dem eine Melodie - ein „musikalischer Gedanke" - festgehalten ist (vgl. Gribbohm LK § 11 Rdn. 121 sowie RGSt. 47 223, 224). In Grenzbereichen kann es zu Überschneidungen mit den in Absatz 3 bezeichneten Abbildungen kommen, 3

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Vgl. RGSt. 36 267, 268; Friedlaender ZStW 16 (1896) 756, 776; Blei JA 1974 601, 605; SehlSchröder! Lenckner Rdn. 4.

Bernd Schünemann

§202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

etwa bei Darstellungen der Struktur einer chemischen Verbindung, bei einer Planskizze, die Hettinger {Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 1) noch als Schriftstück ansieht, bei Piktogrammen oder bei Symbolen, die zeichenhaft für eine Religion oder Weltanschauung stehen (etwa dem Kreuz im Christentum, dem leeren Kreis im ZenBuddhismus). Ob insbesondere bei religiösen Symbolen noch von einer Schrift gesprochen werden kann, mag im Einzelfall fraglich sein; im Zweifelsfall wird jedenfalls auch hier Absatz 3 eingreifen (vgl. Rdn. 11). 8

Das Gesetz stellt nicht darauf ab, welcher Gedankeninhalt in dem Schriftstück verkörpert ist; unerheblich ist insbesondere, ob es sich um einen Gegenstand person^ licher Natur handelt (vgl. Gerhard S. 18 sowie unten Rdn. 9, 10). So werden auch Geschäftsbriefe, Behördenschreiben oder Vermerke über Terminabsprachen vom Tatbestand erfaßt. Die Vorschrift ist insoweit ähnlich strukturiert wie § 201, dessen Schutz sich ebenfalls nicht auf vertrauliche Äußerungen beschränkt (vgl. dort Rdn. 5). Daß die niedergelegten Worte einen „vernünftigen" Sinn ergeben, ist nicht erforderlich. Auch der Brief eines Geisteskranken darf grundsätzlich nicht geöffnet werden (vgl. Gerhard S. 20). Ebensowenig kommt es darauf an, ob sich die Gedankenerklärung auf eine Straftat bezieht oder einen strafbaren Inhalt hat (zur Ablehnung der „Verfalltheorie" im Rahmen des § 201 vgl. dort Rdn. 5). Das Schriftstück braucht ferner nicht eigene Gedanken desjenigen zu enthalten, der es verschließt; auch Abschriften oder Schriftstücke, die nicht vom Verschließenden herrühren, werden vom Tatbestand erfaßt (vgl. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 2). Demgemäß genügt grundsätzlich auch, daß eine Zeitung (vgl. BGHSt. 9 351, 352, 355 für das durch Art. 10 G G gewährleistete Brief- und Postgeheimnis) oder ein Buch verschlossen werden; auch dann sind diese Schriftstücke gegen unbefugte Kenntnisnahme geschützt (vgl. aber Rdn. 9, 10).

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cc) Allerdings wird nicht jedes Schriftstück im dargelegten Sinne vom Tatbestand erfaßt. Einschränkungen sind erforderlich. So meint Blei (JA 1974 601, 605; BT 1 § 32 I 2), nach dem Sinn der Vorschrift und ihrer Entstehungsgeschichte (BTDrucks. 7/550 S. 237) müßten jedenfalls solche Schriftstücke ausgenommen werden, die keinerlei Bezug zur Persönlichkeit irgendeines Menschen aufwiesen. Als Beispiele führt er Packungsaufdrucke, Beipackzettel für Medikamente, Gebrauchs- oder Anschlußanweisungen für technische Geräte an. Auch Kühl (LacknerlKühl Rdn. 2) schließt Schriftträger ohne jeglichen Persönlichkeitsbezug vom Tatbestand aus. Das soll in der Regel nicht nur bei Büchern oder sonst öffentlich verbreiteten Schriften, sondern auch bei Mitteilungen allgemeiner Art, etwa bei Anweisungen zur Bedienung eines technischen Geräts oder zur Anwendung eines Medikaments der Fall sein (ebenso Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 1 und Maurach!Schroeder!Maiwald BT 1 § 29 II 1). Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 4 und TröndlelFischer Rdn. 3 gelangen von einem anderen Ansatz her zu ähnlichen Ergebnissen. Ausgangspunkt ist für sie nicht der Inhalt des Schriftstücks, sie stellen vielmehr auf den Sinn des Verschließens ab (vgl. hierzu Rdn. 14, 15). Beide gehen davon aus, daß der Verschluß dazu dienen müsse, die beliebige Kenntnisnahme des Gedankeninhalts zu verhindern. Nach TröndlelFischer soll dies bei bestimmten beschrifteten Sachen - Zigarettenpackungen (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237), Briefmarken, Banknoten, Münzen - nicht der Fall sein. Nach Lenckner (aaO) gilt grundsätzlich Gleiches für Zeitungen, Geld, Mitteilungen allgemeiner Art wie Gebrauchsanweisungen oder Werbebroschüren, falls sich nicht aus den besonderen Umständen ein Interesse ergibt, das einer fremden Kenntnisnahme entgegensteht (wie etwa aus der Aufschrift „persönlich" bei Werbung für pornographische Schriften). Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

§202

Maßgebend ist der Schutzzweck der Vorschrift. Dieser beschränkt sich nicht auf 1 0 die Sicherung von Gegenständen, die ihrer Natur nach geheimzuhalten sind; der einzelne soll vielmehr die Möglichkeit haben, durch das Verschließen einen Bereich zu begründen, in dem Schriftstücke aller Art vor fremder Neugier geschützt sind (vgl. oben Rdn. 2). Was in diesen Bereich fällt, hängt danach nicht in erster Linie von Art oder Inhalt des verschlossenen Schriftstücks ab; entscheidend wird sein, daß im Verschluß der Wille des Berechtigten zum Ausdruck kommt, das Schriftstück vor fremder Kenntnisnahme zu schützen. Das gilt selbst dann, wenn aus objektiver Sicht ein Bedürfnis für die Geheimhaltung nicht ohne weiteres zu erkennen ist; schützenswert sind auch besondere Empfindlichkeiten. Generell vom Tatbestand auszunehmen sind demnach nur solche Gegenstände, bei denen die Beschriftung so sehr in den Hintergrund tritt, daß ihr keine eigenständige Bedeutung als Träger von Nachrichten oder Informationen zukommt (ζ. B. bei Zigarettenpackungen, Geldscheinen, Briefmarken etc.). Hier handelt es sich nach allgemeiner Lebensauffassung nicht um Schriftstücke, sondern um Sachen, die ersichtlich nicht in den Schutzbereich des § 202 fallen. Für die verbleibenden Fälle ist zu unterscheiden: Soll der Verschluß ausschließlich eine sichere Aufbewahrung des Schriftstücks gewährleisten, liegt kein geeignetes Tatobjekt vor. Anders ist es regelmäßig dann, wenn durch das Verschließen zum Ausdruck gebracht werden soll, daß fremder Einblick unerwünscht sei. Anhaltspunkte dafür, welche Aufgabe dem Verschluß im konkreten Fall zukommt, können sich allerdings auch aus dem Inhalt des Schriftstücks ergeben. So wird bei Büchern, Zeitschriften und anderen Massendruckschriften nur selten ein Geheimhaltungsinteresse anzunehmen sein; ausgeschlossen ist dies jedoch nicht. Der Besitz oder der Bezug von Druckwerken kann unter Umständen Einblicke vermitteln, die der Betroffene aus den unterschiedlichsten Gründen, seien sie persönlicher, gesellschaftlicher, politischer oder weltanschaulicher Art, ausgeschlossen wissen möchte. Der Beipackzettel eines Medikaments kann beispielsweise Schlüsse auf den Gesundheitszustand des Adressaten ermöglichen, der - durchaus verständlich - Unbefugten nicht offenbart werden soll. In solchen Fällen kann ein schutzwürdiges, durch den Verschluß gesichertes und dokumentiertes Interesse an vertraulicher Behandlung auch hinsichtlich solcher Gegenstände bestehen, die an sich zu den Massendrucksachen zählen. Es ist deshalb grundsätzlich nicht angebracht, bestimmte Arten von Schriftstücken generell vom Tatbestand auszunehmen (zust. Schmitz JA 1995 297). Maßgeblich ist vielmehr das Interesse der jeweils Beteiligten, das sich aus vielerlei Umständen, auch aus der Art einer Sendung oder aus der Beziehung zwischen Absender und Adressaten, ergeben kann (Apotheke Kunde, Großhandel - Apotheke). Letztlich sind auch Fallgestaltungen möglich, in denen verschlossene Schriftstücke nicht geschützt sind, obwohl der Verschluß (auch) dazu dient, die Kenntnisnahme vom Inhalt zu verhindern. So werden Bücher und Zeitschriften zunehmend in Klarsichtumhüllungen zum Verkauf angeboten. Diese Hüllen dienen in der Regel nicht nur zum Schutz vor Verschmutzung, sondern sollen auch verhindern, daß die angebotenen Schriften vor dem Kauf gelesen werden. Das eigenmächtige Öffnen einer solchen Umhüllung dürfte dennoch den Tatbestand der Vorschrift nicht erfüllen: Die Handlung ist nicht geeignet, das hier geschützte Rechtsgut zu beeinträchtigen; das wirtschaftliche Interesse des Händlers, den Kaufanreiz aufrechtzuerhalten, wird vom Schutzbereich des § 202 nicht erfaßt. b) Den Schriftstücken (Abs. 1) stehen Abbildungen gleich (Abs. 3). Dieser Begriff umfaßt nicht nur die naturalistische Wiedergabe von Teilen der realen Außenwelt, sondern auch die Darstellung von Gegenständen, die der Vorstellungswelt des Menschen (49)

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§202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

angehören, so ζ. B. den Graph einer mathematischen Funktion oder die zeichnerische Darstellung einer chemischen Formel. Der Begriff Abbildung ist damit weiter als in § 11 Abs. 3 (aA TröndlelFischer Rdn. 4 i.V.m. § 11 Rdn. 43). Dies folgt aus dem Schutzzweck der Strafvorschrift: § 202 bezweckt einen umfassenden Schutz von Notizen und Mitteilungen, unabhängig von ihrem Inhalt und der Art ihrer Fixierung. Die den Schriftstücken und Briefen gleichgestellten Abbildungen sind nicht weniger schutzbedürftig. Im einzelnen gilt: Abbildungen können gemalt oder gezeichnet sein; Fotografíen sind ebenfalls Abbildungen. Auch Filmstreifen - als Abfolge mehrerer Bilder - fallen unter die Vorschrift (vgl. Gribbohm LK § 11 Rdn. 130 für den Begriff der Abbildung im Sinne des § 11 Abs. 3 sowie RGSt. 39 183 für „Abbildungen" im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 1 a.F.). Bloße Kritzeleien oder Farbflächen sind keine Abbildungen: Eine Abbildung setzt voraus, daß etwas anderes abgebildet wird. Dieses Etwas kann in der Außenwelt tatsächlich vorhanden sein (Fotografie einer Stadt); es kann der Vergangenheit angehören (Kupferstich einer mittelalterlichen Stadt) oder lediglich in der menschlichen Vorstellung gründen (Zukunftsvision hinsichtlich einer Stadt im Jahre 3000; Bild eines Einhorns oder eines Drachens). Da es nicht darauf ankommt, daß der abgebildete Gegenstand Teil der realen Außenwelt ist, können auch Symbole Abbildungen sein, sofern man sie nicht zu den Schriftzeichen zählen will (vgl. oben Rdn. 7). Abbildungen brauchen ihren Gegenstand nicht naturgetreu wiederzugeben. Dieser kann vielmehr auf seine „Idee" zurückgeführt werden. Demgemäß ist Abbildung auch die Konstruktionszeichnung einer Maschine oder die Skizze, die einen Molekülaufbau darstellt (vgl. oben Rdn. 7). Ebenso können zeitlich hintereinanderliegende Vorgänge statt in Worten in grafischen Kurven - und damit als Abbildung dargestellt werden: so etwa die Fieberkurve eines Kranken. Eine Abbildung braucht ferner nicht von Menschenhand hergestellt worden zu sein. Der von einer Krankenschwester gezeichneten Fieberkurve entsprechen deshalb die durch ein medizinisches Gerät aufgezeichnete Hirnstromkurve eines Patienten oder die Schaublätter des Fahrtschreibers bei Kraftfahrzeugen (§ 57 a StVZO). 12

Wie bei den Schriftstücken stellt sich auch bei Abbildungen die Frage, ob Gegenstände, die keinen Bezug zur Persönlichkeit des Berechtigten aufweisen vom Tatbestand auszunehmen sind. MaurachlSchroederlMaiwald (BT 1 § 29 II 1) bejaht dies. Nach Blei (JA 1974 601, 606) schließt „völlige Persönlichkeitsirrelevanz" den Schutz der Vorschrift aus, deshalb komme die „an jeder Ecke käufliche Bildpostkarte des Urlaubsorts" als Tatgegenstand nicht in Betracht (ebenso SehlSchröder!Lenckner Rdn. 5). Auch hier wird jedoch gelten müssen, was oben (Rdn. 10) ausgeführt wurde. Maßgebend ist der Wille des Verschließenden. Wer Wert darauf legt, die Bildpostkarte aus dem Urlaub durch Verschluß gegen Neugierige zu sichern - weil er meint, sein Aufenthaltsort gehe niemanden etwas an - , wird durch das Gesetz geschützt. Wie bei Schriftstücken wird auch bei Abbildungen nicht jedes Verschließen die Sicherung gegen Kenntnisnahme bezwecken. Wer etwa eine Illustrierte verschließt, wird hierdurch in aller Regel nicht das Abgebildete vor Kenntnisnahme verbergen wollen (vgl. TröndlelFischer Rdn. 4).

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c) Schriftstücke und Abbildungen (Abs. 3) werden geschützt, wenn sie verschlossen sind (Abs. 1). Der Verschluß ist - davon geht das Gesetz aus - das übliche Mittel zur Sicherung des Briefgeheimnisses; bleibt ein Schriftstück offen, ist das nicht nur ein Anzeichen dafür, daß der Besitzer auf eine besondere Sicherung der Geheimhaltung keinen Wert legt (vgl. Wiechert S. 37), sondern schließt nach dem im Gesetz manifestierten viktimodogmatischen Prinzip den strafrechtlichen Schutz schlechthin aus. Stand: 1.8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

§202

Nur das den Geheimhaltungswillen zum Ausdruck bringende Verschließen löst strafgesetzlichen Schutz nach § 202 Abs. 1 aus; ein bloßer Vermerk auf einem nicht verschlossenen Umschlag oder bloße mündliche Äußerungen genügen nicht. Ob ein Verschluß vorliegt, ist nach den Anschauungen des täglichen Lebens zu beurteilen. Erforderlich ist eine Vorkehrung, die der Kenntnisnahme des Inhalts ein deutliches Hindernis entgegensetzt; sie muß so beschaffen sein, daß der Öffnende eine körperliche Tätigkeit entfalten und dadurch ein gewisses Hemmnis überwinden muß (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1984 25, 26; RGSt. 16 284, 288; TröndlelFischer Rdn. 5). Hingegen ist unerheblich, ob sich der Verschluß nur mit besonderen Schwierigkeiten öffnen läßt (vgl. OLG Stuttgart aaO, RG aaO) oder ob er im Falle einer Öffnung beschädigt wird (vgl. OLG Stuttgart aaO). Daher können unter Umständen auch Umschläge, die nach den Ausführungsbestimmungen zur Postordnung als offene Umhüllungen zur Beförderung als Warensendungen und Drucksachen zugelassen sind, einen hinreichend festen Verschluß bewirken (so z.B. Perforations- und Adhäsionsverschlüsse). Schriftstücke können auch durch Kleben, Plombieren oder Zunähen verschlossen werden (Gerhard S. 21). Es reicht jedoch nicht aus, wenn sie lediglich zusammengefaltet (vgl. Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 782 Fn. 95; Gerhard S. 21; TröndlelFischer Rdn. 5) oder in einem offenen Umschlag verwahrt werden (RGSt. 20 375, 376; Friedlaender aaO). Ebensowenig wird ein nur mit einer Warenbeutelklammer zusammengehaltener Musterbeutel oder eine leicht aufziehbare Schleife als hinreichender Verschluß gelten können (vgl. hierzu OLG Stuttgart aaO S. 26; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 7; aA ~NK-Jung Rdn. 4). Anders liegt es bei einem Briefumschlag, der mit einem verknoteten Bindfaden verschnürt ist (RGSt. 16 284, 285, 288 f). Verschluß und Schriftstück müssen so verbunden sein, daß beide nach der Auffassung des Lebens als zusammengehörig angesehen werden können (vgl. Friedlaender aaO S. 781; Gerhard S. 21). Wird das Schriftstück in einer Kassette verschlossen, ist diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt; in einem solchen Falle greift jedoch Absatz 2 ein (vgl. Rdn. 16). Wie sich aus dem Schutzzweck der Vorschrift ergibt und wie ferner die Parallele zu 1 4 Absatz 2 zeigt („gegen Kenntnisnahme besonders gesichert"), muß der Verschluß bewußt als Mittel eingesetzt worden sein, um (jedenfalls auch) eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks zu verhindern (vgl. Gerhard S. 21; Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 780; wohl auch OLG Stuttgart NStZ 1984 25, 26; aA - unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift - Wiechert S. 38). Davon wird bei einem verschlossenen Schriftstück in der Regel auszugehen sein. Ausnahmen sind jedoch möglich. Wird beispielsweise ein Schreiben in einem zunächst offenen Briefumschlag verwahrt und verklebt dann die Gummierung durch die Raumfeuchtigkeit, so liegt kein (aktives) Verschließen vor. Ebensowenig greift die Strafvorschrift ein, wenn der Verschluß ausschließlich dem Schutz vor Beschädigung oder vor Verlust des Schriftstücks dienen soll (vgl. hierzu oben Rdn. 10). Kann der ursprünglich angebrachte Verschluß seine Funktion nicht mehr erfüllen, 1 5 so ist das Schriftstück nicht verschlossen. § 202 ist nicht anwendbar. Hierbei ist es ohne Belang, ob der Verschluß durch den Berechtigten oder durch einen Nichtberechtigten beseitigt wurde oder ob er durch Zufall fortgefallen ist. Ist er nur beschädigt, kommt es darauf an, ob die verbleibende Sicherung noch einen Verschlußwillen erkennen läßt und die Überwindung eines gewissen Widerstandes erfordert (Gerhard S. 22). Wiechert (S. 41) will demgegenüber lediglich darauf abstellen, ob noch erkennbar ist, daß ein Verschluß angebracht war und „nicht beseitigt sein will". Das (51)

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§202

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

reicht jedoch schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht aus. Im übrigen besteht das spezifische Unrecht der Tat darin, daß der Täter ein körperliches Hindernis überwindet, um in den geschützten Geheimbereich des Berechtigten einzudringen. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn ein funktionsfähiger Verschluß noch vorhanden ist. 16

d) Schriftstücke und Abbildungen werden außerdem auch dann geschützt, wenn sie durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sind (Abs. 2). Unter einem Behältnis ist - ebenso wie in § 243 Abs. 1 Nr. 2 - ein umschlossener Raum zu verstehen, der zur Verwahrung und Sicherung von Sachen dient, jedoch nicht dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden (vgl. BGHSt. 1 158, 163; BTDrucks. 7/550 S. 237). Geschützt sind danach z.B. in einer Kassette verwahrte Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen, nicht aber Schriftstücke, die in einem abgeschlossenen Zimmer liegen (BTDrucks. aaO; kritisch hinsichtlich dieser Begrenzung Blei JA 1974 601, 606; derselbe BT 1 § 32 II). Das Behältnis selbst muß verschlossen sein. Auch hier kommt es nicht darauf an, wie der Verschluß im einzelnen bewirkt worden ist (durch Schloß, durch Verkleben, durch Verschnüren o. ä.). Das Verschließen muß jedenfalls auch den Zweck haben, eine unbefugte Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks zu verhindern (vgl. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 18; Blei BT 1 § 32 III 3, sowie oben Rdn. 10, 14). 2. Tathandlungen

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Das Gesetz zählt mehrere Tathandlungen auf: a) Sind Briefe oder andere Schriftstücke - ferner die nach Absatz 3 den Schriftstücken gleichgestellten Abbildungen - verschlossen, genügt es, wenn der Täter den Verschluß „öffnet" (Abs. 1 Nr. 1), d. h. das durch den Verschluß geschaffene Hindernis so weit beseitigt, daß er vom Inhalt Kenntnis nehmen kann (TröndlelFischer Rdn. 8; ebenso Wiechert S. 43; Gerhard S. 23; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 9). Eine Beschädigung des Verschlusses wird vom Tatbestand nicht vorausgesetzt. So hat es das RG (RGSt. 20 375, 376) genügen lassen, daß ein Briefumschlag, dessen Verschlußklappe nur mit der äußersten Spitze festgeklebt war, zusammengedrückt und durch die so entstehende Öffnung der Brief herausgezogen wurde.

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Der Täter braucht vom Inhalt des Schriftstücks oder der Abbildung nicht Kenntnis zu nehmen. Das ergibt sich im Gegenschluß aus den Erfordernissen, die Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 für die dort beschriebenen Begehungsweisen aufstellen. Es reicht aus, daß nach dem Öffnen des Verschlusses nunmehr vom Schriftstück oder der Abbildung Kenntnis genommen werden kann (vgl. RMG 11 272, 273 f) und dadurch die vom Verschließenden gewollte Geheimhaltung gefährdet ist. Eine solche Gefährdung ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift erforderlich. Ist jegliche Kenntnisnahme ausgeschlossen, weil etwa zugleich mit dem Öffnen des Verschlusses das Schriftstück selbst vernichtet wird, kommt - da der Versuch nicht strafbar ist - lediglich Sachbeschädigung in Betracht (vgl. Wiechert S. 42 f; Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 783; Gutjahr in von Olshausen StGB, 11. Aufl., § 299 Anm. 4; ferner RMG 11 272, 274f). b) Die Kenntnisnahme durch den Täter wird hingegen sowohl in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 als auch in denen des Absatzes 2 vorausgesetzt.

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aa) Nach Absatz 1 Nr. 2 wird bestraft, wer sich vom Inhalt eines verschlossenen Schriftstücks oder einer Abbildung ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft. Durch diese Bestimmung soll der technischen Stand: 1.8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

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Entwicklung Rechnung getragen werden, die ein Vordringen zum Inhalt auch ohne Öffnung ermöglicht (BTDrucks. 7/550 S. 237). Erfaßt wird insbesondere die Benutzung einer Durchleuchtungseinrichtung (BTDrucks. aaO). Daß ein Schriftstück abgetastet oder lediglich gegen das Licht gehalten wird, genügt hingegen nicht (BTDrucks. aaO). Die Anwendung von spezifisch technischen Hilfsmitteln (Lackneri Kühl Rdn. 4) vom bloßen Ausnutzen günstiger natürlicher Bedingungen abzugrenzen (Blei § 32 III 2; JA 1974 601, 606) wird im Einzelfall nicht leichtfallen (vgl. Maurachl SchroederlMaiwald BT 1 § 29 II 2). Das Tränken einer aus Papier bestehenden Umhüllung mit geeigneten Flüssigkeiten ist als Anwendung eines „technischen Hilfsmittels" anzusehen (vgl. TröndlelFischer Rdn. 9). Die für § 299 a. E vertretene Auffassung, das Durchfeuchten eines Briefumschlags mit Öl - mit der Folge, daß das verschlossene Schriftstück sichtbar wird - stelle keine Verletzung des Briefgeheimnisses dar (vgl. Mösl LK 9. Aufl. Rdn. 4; Wiechert S. 43; Gerhard S. 22 Fn. 4), trifft für § 202 nicht mehr zu (ebenso Schwalm in der 103. Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 23. September 1958, Niederschriften Bd. 9, S. 404). bb) Wird ein Schriftstück oder eine Ablichtung durch ein verschlossenes Behältnis 2 0 gegen Kenntnisnahme besonders gesichert (Abs. 2), macht sich strafbar, wer das Behältnis öffnet und anschließend vom Inhalt des Verwahrten Kenntnis nimmt. Wie der Täter das Behältnis öffnet, ist unerheblich. Es genügt auch, wenn er sich den Zugang mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel verschafft (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 237; Schwalm aaO). cc) Kenntnisnahme vom Inhalt des Verwahrten setzt voraus, daß sich der Täter 21 mit der Aufnahme des schriftlich oder bildlich Fixierten befaßt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift reicht es nicht aus, wenn er lediglich feststellt, daß er (irgendein) Schriftstück vor sich hat; die bloß optische Wahrnehmung genügt nicht (so jedoch wohl Blei JA 1974 601, 606; Lackner/Kühl Rdn. 4; Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 2; unklar Joecks Rdn. 8). Andererseits kann nicht verlangt werden, daß der Täter den Inhalt in seiner vollen Tragweite erfaßt. Wer sich unbefugt Zugang zu Schriftstücken verschafft, die fachwissenschaftliche, etwa physikalische oder erkenntnistheoretische Darlegungen enthalten, verletzt das Briefgeheimnis auch dann, wenn er als Laie den Sinn des Geschriebenen nicht versteht. Es genügt, daß er die einzelnen Wörter zur Kenntnis nimmt; den fixierten Gedankengang braucht er nicht nachzuvollziehen. Im Blick auf den Schutzzweck der Norm wird auch nicht vorauszusetzen sein, daß der Täter das Gelesene wenigstens in seiner Wortbedeutung im wesentlichen verstanden hat (so aber Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10). Das Geheimhaltungsinteresse des Berechtigten ist bereits verletzt, wenn der Täter den Inhalt des verschlossenen Schriftstücks ungefähr einordnen kann. So greift der eifersüchtige Liebhaber auch dann in den Geheimnisbereich ein, wenn er beim Durchstöbern einer fremden Privatkorrespondenz anstelle der erwarteten „Erkenntnisse" Notizen anderer, etwa fachwissenschaftlicher Art vorfindet, deren Inhalt er nicht erfaßt. Erst recht verschafft sich Kenntnis vom Inhalt eines Schriftstücks, wer den Brief eines Geisteskranken liest, ohne die in Verwirrung angesprochenen Zusammenhänge verstehen zu können. Auch der Umstand, daß ein Schreiben in einer dem Täter nicht geläufigen Fremdsprache abgefaßt ist, steht einer Kenntnisnahme nicht entgegen (vgl. Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 2; Blei JA 1974 601, 606; Schmitz JA 1995 297, 299; aA Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10). Der Tatbestand ist erfüllt, wenn der Täter so in Erfahrung bringt, daß der Verschließende eine fremdsprachliche Korrespondenz führt. Die Gegenansicht führt zu Lücken im Strafschutz, die im Hinblick auf den internationalen Schriftverkehr kaum zu rechtfertigen wären. Vom gesetzlichen Tatbestand wird eine solche Einschränkt

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

kung nicht gefordert. Nicht erforderlich ist, daß der Täter das gesamte Schriftstück zur Kenntnis nimmt; es reicht aus, wenn er sich Kenntnis von Teilen des Inhalts verschafft (TröndlelFischer Rdn. 9; NK-Jung Rdn. 7). So macht sich z.B. auch strafbar, wer einen Brief durchleutet und sich damit begnügt, den Namen des Absenders festzustellen. Umstritten ist die Strafbarkeit desjenigen, der das verschlossene Behältnis öffnet und den Gegenstand lediglich fotografiert, um die Aufnahme sodann einem anderen zur Kenntnisnahme zu übergeben: Hier fallen Öffnen und Kenntnisnahme nicht - wie die Strafvorschrift es dem Wortlaut nach voraussetzt - in einer Person zusammen, woraus sich wegen der Natur des § 202 Abs. 2 als eines zweiaktigen Delikts komplizierte Probleme der Täterschaft und Teilnahme ergeben (u. Rdn. 42). 22

Für die Kenntnisnahme von den durch Absatz 3 geschützten Abbildungen gilt Entsprechendes. Es reicht aus, daß der Täter die grafische Gestalt - etwa der gezeichneten Person, der Fieberkurve oder der Skizze des Molekülaufbaus (vgl. Rdn. 11) - wahrnimmt. Auch hier kommt es nicht darauf an, daß er den inneren Zusammenhang, die eigentliche Bedeutung der Abbildung, begreift (vgl. oben Rdn. 21).

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3. Weiterhin setzen alle drei Tatbestandsalternativen voraus, daß das vom Täter geöffnete etc. Schriftstück nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist.

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a) Wer von einem Schriftstück oder einer Abbildung Kenntnis erhalten oder von der Kenntnisnahme ausgeschlossen sein soll, entscheidet grundsätzlich derjenige, der diese Gegenstände verschließt (TröndlelFischer Rdn. 7; Samson SK Rdn. 10). Er begründet den formalen Geheimbereich und ist deshalb berechtigt, auch dessen Grenzen zu bestimmen. Lenckner {SehlSchröder Rdn. 11, 2 und JR 1978 424f in Anm. zu BGH JR 1978 423) stellt demgegenüber auf das „Recht am gedanklichen Inhalt eines Schriftstücks" und die daraus folgende Befugnis ab, andere von der Kenntnisnahme auszuschließen (ähnlich auch Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 1, der das „Verfügungsrecht über den betreffenden Gegenstand" als maßgeblich ansieht). Darauf kann es jedoch nicht ankommen. Das Gesetz knüpft den Schutz an ein formales Merkmal, nämlich an den Verschluß. Daher ist es folgerichtig, daß allein der Verschließende darüber entscheiden kann, wer berechtigt sein soll, den Verschluß wieder aufzuheben. Weitere Voraussetzungen sind daneben nicht erforderlich. Im Regelfall kommen freilich beide Ansichten zum gleichen Ergebnis. Eine unterschiedliche Beurteilung kann allerdings dann Platz greifen, wenn der Verschließende nicht der Verfasser des verschlossenen Schriftstücks ist und auch kein Recht an dessen gedanklichem Inhalt hat, so beispielsweise bei der eigenmächtigen Verwahrung aufgefundener fremder Unterlagen. Auch hier bestimmt der Verschließende, wer zur Kenntnisnahme berechtigt sein soll. Für Briefe gilt nichts anderes. Wer Adressat sein soll, kann nur derjenige bestimmen, der den Brief verschließt oder verschließen läßt. Unerheblich ist, wer das im Brief verschlossene Schriftstück verfaßt hat oder an wen sich der Verfasser wendet (zu dem Ausnahmefall, daß sich innerhalb des verschlossenen Umschlags eine weitere verschlossene Hülle mit einer anderen Empfangerbestimmung befindet, vgl. Gerhard S. 27). Demgemäß ist z.B. ein Brief, mit dem eine Staatsanwaltschaft ein von ihr beschlagnahmtes Schriftstück an eine andere Staatsanwaltschaft versendet, nur zur Kenntnis dieser Behörde bestimmt; weder der Verfasser des Schriftstücks noch derjenige, an den er das Schreiben gerichtet hatte, sind zur Öffnung befugt (insoweit zustimmend Sehl SchröderI Lenckner Rdn. 2).

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Bei einem Brief ist der Verschließende bis zur Auslieferung an den Empfanger berechtigt, seine Bestimmung zu ändern. Mit diesem Zeitpunkt endet dieses Recht, da Stand: 1. 8. 2000

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nunmehr der Adressat alleiniger Berechtigter ist und der Verschließende nicht mehr einseitig in dessen Rechtsposition eingreifen kann (vgl. näher Rdn. 39 sowie Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 8 m. w. N.; zum zivilrechtlich schon früher geschützten Persönlichkeitsrecht des Empfängers s. BGH [ZS] JR 1991 67 m.Anm. Giesen). An wen sich der Verfasser des Schriftstücks, das im Briefumschlag versandt wird, wendet, ist grundsätzlich unerheblich (vgl. oben Rdn. 24). Wer jeweils öffnungsbefugter Empfanger sein soll, muß gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden (vgl. Gerhard S. 24 Fn. 2; zu Posteingängen bei einer Behörde Topel DöV 1987 680; Papenheim ZMV 1999 56). Dabei ist nicht am Wortlaut der Anschrift zu haften (vgl. § 133 BGB). Häufig werden Geschäftsbriefe oder Reklamesendungen, die in der Anschrift eine ganz bestimmte Person als Empfanger bezeichnen, nach dem Willen des Absenders auch zur Kenntnis anderer Personen - so beispielsweise von Familienangehörigen oder von Kollegen - bestimmt sein. Geht der Öffnende irrtümlich davon aus, der Brief sei (auch) an ihn gerichtet, so befindet er sich im Irrtum über ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes; er handelt dann ohne Vorsatz (§ 16 Abs. 1) und ist demzufolge straflos (vgl. Rdn. 32). Im Falle der Ersatzzustellung gemäß Nr. 4 Abs. 3 AGB der Deutschen Post AG ist der Ersatzempfanger nicht berechtigt, vom Inhalt der Sendung Kenntnis zu nehmen (vgl. zum früheren § 51 PostO Bettermann-Loh BB 1968 892). Die Bestimmung desjenigen, der zur Kenntnisnahme berechtigt sein soll, ist keine 2 6 rechtsgeschäftliche Handlung; maßgebend ist daher auch der (natürliche) Wille eines Minderjährigen oder Entmündigten (Preisendanz Anm. 2d). Die Strafvorschrift stellt ferner nicht darauf ab, ob der Verschließende rechtmäßig handelt. Dessen Wille entscheidet selbst dann, wenn mit der Übermittlung des Schriftstücks eine Geheimhaltungspflicht verletzt wird (vgl. Bockelmann BT 2 § 33 I 1 b). b) Ebenso wie der Verschließende nach seinem Belieben bestimmt, wer von einer 2 7 Mitteilung Kenntnis nehmen darf, kann er diese Befugnis auch von Einschränkungen und Bedingungen abhängig machen. Diese werden oft zeitliche Bestimmungen enthalten, wie etwa die Weisung des Erblassers auf dem verschlossenen Umschlag seines Testaments: „Erst nach meinem Tode zu öffnen". Wird ein solcher Umschlag schon vor dem angegebenen Zeitpunkt geöffnet, ist das Briefgeheimnis verletzt. Das gilt auch dann, wenn die Öffnung durch einen Adressaten erfolgt, der auf dem Umschlag namentlich bezeichnet ist. Das Schriftstück ist in solchen Fällen nach dem Willen des Berechtigten noch nicht zur Kenntnis des Öffnenden bestimmt (ebenso Lackneri Kühl Rdn. 2; aA Wiechert S. 46; Gerhard S. 27). Häufig wird allerdings die Auslegung entsprechender Vermerke insbesondere auf Briefen ergeben, daß der Absender damit lediglich (unverbindlich) einen Wunsch zum Ausdruck bringen, eine vorherige Öffnung aber nicht ernstlich beanstanden will. Dies gilt beispielsweise für Vermerke „Nicht vor dem Fest öffnen". An eine strafrechtlich geschützte Geheimhaltung ist hier in der Regel nicht gedacht. Die Bestimmung des Adressaten wirkt über den Tod des Verschließenden hinaus. Die unbefugte Öffnung von Schriftstücken Verstorbener erfüllt deshalb den Tatbestand der Vorschrift. Die Tat kann allerdings nicht verfolgt werden, weil ein Verletzter im Sinne des § 77 Abs. 1, der den erforderlichen Strafantrag (vgl. § 205) stellen könnte, nicht vorhanden ist (vgl. MaurachlSchröder/Maiwald BT 1 § 29 II 6). Da § 202 ein höchstpersönliches Rechtsgut schützt, das nicht vererbt werden kann, kommen die Erben nicht in Betracht. Eine der Regelung des § 205 Abs. 2 Satz 3 oder des § 194 Abs. 2 entsprechende Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. (55)

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c) Von der Tatbestandserfüllung ist ferner ausgeschlossen, wer den Geheimbereich durch Verschließen überhaupt erst begründet hat. Das folgt aus der Natur des geschützten Rechtsguts: Eine Gefahrdung des (selbstgeschaffenen) Geheimbereichs ist nicht zu besorgen. Dies gilt auch dann, wenn die verschlossene Sendung bereits in den Gewahrsam des Empfangers gelangt ist: Der Absender eines Briefes ist nicht wegen Verletzung des Briefgeheimnisses zu bestrafen, wenn er „seinen" Brief öffnet (vgl. Wiechert S. 44 f; aA Gerhard S. 26).

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d) Im Falle des Absatzes 2 greifen dieselben Grundsätze. Auch hier bestimmt derjenige, der den Verschluß schafft, darüber, wer Kenntnis von dem eingeschlossenen Schriftstück erhalten soll. Anderes gilt jedoch, wenn ein Brief von einem Dritten unterschlagen und in einem Behältnis verschlossen wird. In solchem Falle ist das Schreiben nach wie vor zur Kenntnisnahme des auf dem Brief bezeichneten Adressaten bestimmt; das eigenmächtige Eingreifen von dritter Seite kann die ursprüngliche Bestimmung durch den Absender nicht aufheben. Deshalb erfüllt eine Ehefrau, die den Schreibtisch aufbricht, in dem der Ehemann von ihm abgefangene, an sie gerichtete Briefe verwahrt, den Tatbestand der Strafvorschrift nicht (vgl. Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19; TröndlelFischer Rdn. 7). 4. Subjektiver Tatbestand

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a) Die Tat kann nur vorsätzlich begangen werden. Bedingter Vorsatz reicht aus. Was vom Vorsatz umfaßt sein muß, richtet sich nach der jeweiligen Alternative des gesetzlichen Tatbestandes. Soweit das Gesetz lediglich auf das Öffnen abstellt (Abs. 1 Nr. 1), ist unerheblich, ob der Täter auch Kenntnis nehmen will (TröndlelFischer Rdn. 13; Lackneri Kühl Rdn. 6 sowie oben Rdn. 18). Der Täter muß sich jedoch bewußt sein, daß er sich durch das Öffnen die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft (Samson SK Rdn. 11). Diese Voraussetzung liegt im Regelfall vor: Weiß der Täter was § 202 voraussetzt - , daß sein Verhalten zur Beseitigung oder Aufhebung des Verschlusses führt, das Schriftstück oder die Abbildung also offenlegt, ist ihm in aller Regel die Möglichkeit der Kenntnisnahme bekannt. Anderes mag gelten, wenn das Öffnen nach dem Willen des Täters nur notwendiges Durchgangsstadium der Zerstörung sein soll, ohne daß die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (der Täter wirft einen Brief ins Feuer, das zunächst den Umschlag erfaßt). Wird ein Schriftstück bei der Öffnung versehentlich vernichtet, bevor eine Kenntnisnahme vom Inhalt möglich ist, so liegt lediglich ein (strafloser) Versuch vor (vgl. oben Rdn. 18). Wer einen vermeintlich leeren - Umschlag öffnet und dann erst den Inhalt bemerkt, handelt nicht vorsätzlich, da er bei Begehung der Tat ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes nicht kennt.

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b) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 muß der Täter in den Vorsatz aufnehmen, daß er sich durch die Anwendung technischer Mittel Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks verschafft. Entsprechendes gilt für Absatz 2. Der Vorsatz, von dem gesicherten Schriftstück Kenntnis zu nehmen, muß hier bereits beim Öffnen des Behältnisses vorliegen. Weil es sich bei § 202 Abs. 2 um ein sog. mehraktiges Delikt handelt, bei dem der erste Teilakt mit einer Schwächung der Opferschutzsphäre verbunden ist, muß zwischen beiden Teilakten ein Planungszusammenhang bestehen, kraft dessen der Täter sämtliche von ihm vorgenommenen Teilhandlungen als Bestandteil einer Gesamthandlung begreift. Das setzt wiederum voraus, daß der Täter bei Verwirklichung des ersten Teilaktes bereits den zweiten Teilakt in seine Planungen einbezogen hat, was in der Regel in Form einer vom Gesetz mit dem Wort „dazu" angesprocheStand: 1.8. 2000

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nen doppelten Absicht erfolgt. 4 Hierbei kann der Täter aber die Verwirklichung des zweiten Teilaktes durchaus vom Eintritt externer Bedingungen abhängig machen und auch mit Alternativvorsatz handeln, etwa in der folgenden Konstellation: Wenn die vom Ehemann vernachlässigte Ehefrau eine diesem gehörende Kassette mit dem Plan erbricht, darin etwa befindliches Geld zur Verbesserung des Haushaltsgeldes zu verwenden, etwa darin vorzufindende Liebesbriefe zu lesen, etwaige Geschäftspost aber unbeachtet zu lassen, so schließt das die Annahme absichtlichen Handelns, zumindest aber den für § 201 Abs. 2 erforderlichen Planungszusammenhang nicht aus.5 c) Bei jeder Begehungsweise muß der Vorsatz des Täters auch die Tatsache um- 3 2 fassen, daß das Schriftstück nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist. Irrt er hierüber, so befindet er sich im Irrtum über ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes (§16 Abs. 1) und kann deshalb nicht bestraft werden. Hierher gehören die Fälle, in denen Hinweise auf den Empfanger falsch verstanden oder die Empfängeranschrift auf Briefen falsch ausgelegt wird (vgl. Rdn. 25, 35). Der Irrtum über Rechtfertigungsgründe ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Liegt der Irrtum auf tatsächlicher Ebene glaubt also etwa die Ehefrau, ihr Ehemann sei damit einverstanden, daß sie den an ihn gerichteten Brief öffne (vgl. Rdn. 35) - , so ist ein nach den verschiedenen Spielarten der eingeschränkten Schuldtheorie den Vorsatz gem. § 16 oder zumindest die Vorsatzschuld ausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben.6 Nimmt der Ehemann hingegen an, er sei als „Familienoberhaupt" dazu berechtigt, die Korrespondenz seiner Frau zu kontrollieren, liegt ein bloßer Verbotsirrtum gem. § 17 vor.

IV. Rechtswidrigkeit Der Täter muß „unbefugt" handeln. Der Gesetzgeber hat damit darauf hingewiesen, 3 3 daß nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu prüfen ist, ob das tatbestandsmäßige Verhalten straflos ist (BTDrucks. 7/550 S. 236). Ebenso wie bei der entsprechenden Fassung des § 201 kommt es auch hier darauf an, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen (vgl. § 201 Rdn. 27; zu § 201: BGHSt. 31 304, 306). In der Praxis überwiegen die Fälle befugten ÖfTnens bei weitem (MaurachlSchröder!Maiwald BT 1 § 29 II 4). 1. Eine Berechtigung zum Öffnen kann sich aus zahlreichen gesetzlichen Sonderregelungen ergeben. In Betracht kommen:

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a) aus dem Bereich des Familienrechts: §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB Eltern dürfen kraft ihres Sorgerechts grundsätzlich die ein- und ausgehende Post 3 5 ihrer minderjährigen Kinder öffnen (vgl. Wiechert S. 47; Gerhard S. 29f)· Dieses Recht ist freilich nicht schrankenlos, sondern wird durch den Erziehungsauftrag begrenzt (Gernhuber/Coester- Waltjen Lehrbuch des Familienrechts § 57 VII 7; Lüderitz AcP 1978 263, 282 f; Hinz Münchener Kommentar zum BGB § 1631 Rdn. 12; Bosch FamRZ 1973 489, 500; Krüger FamRZ 1956 329, 333 f sowie allgemein Peschel-Gutzeit in v. Staudinger BGB § 1626 Rdn. 108). Für den hier allein interessierenden straf4

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Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 22; eingehend Lund Mehraktige Delikte (1993) S. 130 ff, speziell für § 202 Abs. 2 S. 201 f. Sehl Schröder! Lenckner Rdn 22 i. V. m. § 15 Rdn. 67; Baldus Niederschriften Bd. 9 S. 200; für die Annahme eines freilich zur Tatbestandserfüllung

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ausreichenden bedingten Vorsatzes Träger Vorauf!. Rdn. 39 und diesem zust. Schmitz JA 1996 297, 300. Ebenso wie bei § 203, vgl. dazu § 203 Rdn. 88, 159 mit Fn. 146 und 281; Roxin AT I § 14 Rdn. 51 ff.

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rechtlichen Bereich sollten die Grenzen der elterlichen Kontrollbefugnisse nicht zu eng gezogen werden. Die möglichst umfassende Respektierung des Persönlichkeitsbereichs des Kindes mag zwar dem Ideal einer auf gegenseitigem Vertrauen aufgebauten Erziehung am ehesten entsprechen. Es ist indes nicht Sache des Gesetzgebers, bestimmte Erziehungsgrundsätze mit Mitteln des Strafrechts durchzusetzen. M a n wird daher davon ausgehen müssen, daß die Eltern in den Schranken des Mißbrauchsverbots grundsätzlich berechtigt sind, Schriftstücke ihrer minderjährigen Kinder inhaltlich zu kontrollieren. Dies gilt auch dann, wenn der Minderjährige gemäß §§ 112, 113 BGB dazu ermächtigt wurde, ein selbständiges Erwerbsgeschäft zu betreiben oder ein Arbeitsverhältnis zu begründen (aA Gerhard S. 29 f). Eine solche Ermächtigung führt zwar zur partiellen Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen. Die elterliche Sorge wird hiervon jedoch im Grundsatz nicht berührt. Dies folgt bereits daraus, daß die Ermächtigung zurückgenommen werden kann (§§112 Abs. 2, 113 Abs. 2 BGB). Der gesetzliche Vertreter ist deshalb befugt - und im Interesse des Minderjährigen regelmäßig auch verpflichtet - , die wirtschaftliche Tätigkeit zu überwachen und zu diesem Zweck Einblick in geschäftliche oder berufliche Schriftstücke zu nehmen. Die Eltern dürfen auch Erziehern gestatten, an ihrer Stelle die Kontrolle des Briefwechsels ihrer Kinder auszuüben (vgl. Gerhard S. 31 f). Entsprechende Rechte wie den Eltern stehen dem Vormund zu (§ 1800 BGB); der Betreuer eines Volljährigen hat die Befugnisse nur, wenn „das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat" (§ 1896 Abs. 4 BGB). Hingegen hat der Ehegatte nicht das Recht, an seinen Ehepartner gerichtete Briefe zu öffnen (Friedlaender ZStW 16 [1896] 756, 784 billigte dem Ehemann dieses Recht 1896 - „als Haupt der Ehegemeinschaft" noch zu; dagegen jedoch - bereits 1905 Gerhard S. 30 f; ferner Wiechert S. 47). Häufig wird allerdings der Absender eines Briefes mit einer Kenntnisnahme auch durch den Ehegatten des Empfangers einverstanden sein (vgl. oben Rdn. 25). Legt ein Ehegatte die Empfängerangabe auf einem Brief irrtümlich in dieser Weise aus und öffnet er deshalb den Brief, so unterliegt er einem Tatbestandsirrtum (vgl. Rdn. 32); er bleibt straflos. Nicht selten wird ein Ehegatte außerdem Briefe an den Ehepartner deshalb öffnen dürfen, weil dieser - ausdrücklich oder konkludent - seine Einwilligung erteilt hat {LackneriKühl Rdn. 7). SchlSchröderl Lenckner Rdn. 14 nimmt an, daß der Ehegatte im Rahmen alltäglicher Angelegenheiten vielfach aufgrund mutmaßlicher Einwilligung handeln dürfe: die Grenzen dieses Rechtfertigungsgrundes sind jedoch eng zu ziehen (vgl. Rdn. 40). Geht ein Ehegatte irrtümlich davon aus, sein Ehepartner habe in die Öffnung des Briefes eingewilligt, kann er nicht bestraft werden (vgl. Rdn. 32). 36

b) bei Untersuchungshäftlingen, Strafgefangenen und Untergebrachten §§ 119 Abs. 3, 126 a Abs. 2 StPO für die Briefüberwachung von Untersuchungsgefangenen und einstweilig Untergebrachten 7 durch den Richter (§119 Abs. 6 StPO); §§ 29 Abs. 3, 130 StVollzG für den Vollzug von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung (vgl. hierzu CalliesslMüller-Dietz StVollzG § 29 Rdn. 2 bis 4; Schwind in Schwind/Böhm StVollzG § 29 Rdn. 2 bis 11); landesrechtliche Bestimmungen bei der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt (vgl. § 138 Abs. 1

' Vgl. dazu KK/Boujong § 119 Rdn. 29f; MeyerGoßner § 119 Rdn. 20f; Veit S. 124ff sowie

LR/Hilger StPO § 119 Rdn. 68-92 mit zahlreichen Nachweisen.

Stand: 1. 8. 2000

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StVollzG), so z. B. § 26 Abs. 3 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten vom 16. Juni 1994 (GVB1. Sachsen S. 1097) oder § 10 Abs. 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker vom 16. Juni 1994 (GBl. Bad.-Württ. S. 794); landesrechtliche Bestimmungen des Unterbringungsrechts, vgl. z. B. § 26 Abs. 3 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten oder § 10 Abs. 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker für die Briefüberwachung bei psychisch kranken Untergebrachten. c) Sonderbestimmungen, um eine Uberprüfung von Postsendungen zu ermöglichen:

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§§ 99, 100 Abs. 3 StPO für die Öffnung von Briefen und Postsendungen nach einer Postbeschlagnahme durch den Richter; § 2 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 (BGBl. I 607); Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zu Art. 10 G G vom 13. August 1968 (BGBl. I 949) für Verfassungsschutzbehörden; § 10 Abs. 4 ZollVG vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I 1992, 2125); zur Zulässigkeit der „inneren Zollbeschau" und des Öffnens von Briefen nach § 80 ZollG a. F. vgl. BGHSt. 9 351, 355; § 39 Abs. 4 PostG für die Öffnung verschlossener Postsendungen, u. a. „um den auf anderem Weg nicht feststellbaren Empfanger oder Absender einer unanbringlichen Postsendung zu ermitteln"; § 99 Abs. 2 InsO für den Insolvenzverwalter nach Anordnung der Postsperre durch das Insolvenzgericht. 2. Fraglich ist die systematische Stellung der Einwilligung. Ebenso wie bei 3 8 § 201 (vgl. dort Rdn. 9) besteht auch hier Streit darüber, ob die Einwilligung bereits den Tatbestand ausschließt 8 oder ob sie lediglich als Rechtfertigungsgrund eingreift. 9 Weil es bereits am Tatbestand fehlt, wenn der Verschließende den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnisnahme des Öffnenden bestimmt hat (vgl. Rdn. 24), ist die Einwilligung bei § 202 ein Tatbestandsausschließungsgrund (aA Träger Vorauf!. Rdn. 36) und deshalb als Einverständnis zu bezeichnen. In der Praxis kommt der Streitfrage auch hier nur geringe Bedeutung zu. Ein Unterschied könnte sich lediglich dann ergeben, wenn der Täter von einem tatsächlich vorhandenen Einverständnis nichts weiß. Wäre dieses bei der Rechtswidrigkeit einzuordnen, so würde es in diesem Fall an dem subjektiven Rechtfertigungselement fehlen, was aber nach richtiger und herrschender Auffassung ebenso wie die Unkenntnis eines Tatbestandsausschließungsgrundes nicht zur Annahme einer vollendeten Tat, sondern nur eines untauglichen und bei § 202 vom Gesetzgeber straflos gelassenen Versuches führt (dazu näher §201 Rdn. 9). Das Einverständnis kann derjenige erteilen, der zur Verfügung über den geschützten Geheimbereich befugt ist. Regelmäßig ist dies der Verschließende, der diesen 8

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So SchlSchröder/Lenckner Rdn. 12; Hirsch LK Rdn. 96 vor § 32; Lackner/Kühl Rdn. 7; Mäurach! Schroedert Maiwald BT 1 § 29 II 4; N K Jung Rdn. 8; Wessels!Hettinger BT 1 § 12 III 3; allg. Roxin AT I § 13 Rdn. 11 ff.

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So Samson SK Rdn. 14; Bockelmann BT 2 § 33 III und wohl auch Tröndle!Fischer Rdn. 12 i. V. m. § 203 Rdn. 28.

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Bereich geschaffen hat und ihn grundsätzlich jederzeit wieder aufheben kann. Bei Briefen endet dieses Recht allerdings mit dem Zugang beim Empfänger; dieser ist ab Auslieferung ausschließlich zur Verfügung befugt (vgl. SehlSchröder!Lenckner Rdn. 8, 12; Lackner/Kühl Rdn. 7; Maurach! SchroederlMaiwald BT 1 § 29 II 4, der auf das Eigentum am Brief abstellt; aA Wiechert S. 46 f)· Mit dem Zugang erwirbt der Empfanger ein Recht am Brief, in das der Verschließende grundsätzlich nicht mehr einseitig eingreifen kann. Der Verschließende kann zwar nicht wegen Verletzung des Briefgeheimnisses bestraft werden, wenn er den Brief nach dessen Zugang beim Empfänger in eigener Person öffnet (vgl. oben Rdn. 28). Dies bedeutet jedoch nicht, daß er auch Dritte zur Öffnung eines bereits zugegangenen Briefes ermächtigen könnte. Er kommt als Täter des § 202 nur deshalb nicht in Betracht, weil er als Urheber des Verschlusses den geschützten (formalen) Geheimbereich nicht verletzen kann. Aus dieser in der Natur des geschützten Rechtsguts begründeten Straflosigkeit kann nicht auf den Fortbestand einer Verfügungsbefugnis geschlossen werden, die zur Erteilung einer rechtfertigenden Einwilligung in die Öffnung des Briefes durch Dritte ermächtigen könnte. 40

3. Die Öffnung kann außerdem aufgrund mutmaßlicher Einwilligung gerechtfertigt sein. Die Voraussetzungen für diesen Rechtfertigungsgrand sind eng. Erforderlich ist, daß die Handlung im Interesse des Berechtigten vorgenommen wird und dieser vermutlich einwilligen würde, aber nicht rechtzeitig einwilligen kann (TröndlelFischer Rdn. 4 vor § 32; ähnlich Hirsch L K Vorbem. 129 ff vor § 32; weitergehend Sehl Schröder!Lenckner Vorbem. 54 vor §§ 32ff). Das wird beispielsweise der Fall sein, wenn der Empfanger eines Briefes sich unerreichbar im Urlaub befindet und das Schreiben (Zustellung) in seinem Interesse, etwa wegen drohenden Fristablaufs, dringend geöffnet werden muß (Preisendanz Rdn. 6 will in einem solchen Fall im Hinblick auf die Sozialadäquanz des Vorgehens bereits dessen Tatbestandsmäßigkeit entfallen lassen). Ehegatten, die bei alltäglichen Angelegenheiten den an den Ehepartner gerichteten Brief öffnen, werden sich indessen k a u m auf diesen Rechtfertigungsgrund berufen können (aA Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 14); die Einwilligung kann hier in aller Regel eingeholt werden. Gleichwohl wird das Öffnen in diesen Fällen meist zulässig sein (vgl. Rdn. 35).

V. Täterschaft und Teilnahme 41

1. Täterschaft und Teilnahme richten sich bei den Tatbestandsalternativen des Abs. 1 nach allgemeinen Regeln. Öffnet derjenige das verschlossene Schriftstück, zu dessen Kenntnis es bestimmt ist, kommt Beihilfe nicht in Betracht, weil es an einer Haupttat fehlt (Samson SK Rdn. 16; Tröndlel Fischer Rdn. 14). Hilft der Adressat einem Dritten beim Öffnen (oder stiftet er diesen an), so kann es an der Rechtswidrigkeit der Haupttat fehlen, wenn eine wirksame Einwilligung vorliegt; ist das nicht der Fall, bleibt der Adressat jedenfalls deshalb straflos, weil das Rechtsgut ihm gegenüber nicht geschützt ist (Samson SK Rdn. 16; vgl. hierzu im einzelnen Moxin L K Vorbem. 2 ff vor § 26; aA Tröndlel Fischer Rdn. 14).

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2. Außerordentlich komplizierte Täterschaftsprobleme wirft dagegen die dritte Tatbestandsalternative des § 202 Abs. 2 auf, weil es sich hier um ein mehraktiges Delikt handelt, welches in beiden Teilakten absichtliches Handeln (mindestens in Form des Planungszusammenhanges, o. Rdn. 31) voraussetzt und überdies im zweiten Teilakt ein eigenhändiges Delikt darstellt, weil der Täter nach dem eindeutigen WortStand: 1.8. 2000

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Verletzung des Briefgeheimnisses

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laut „sich", d. h. sich selbst Kenntnis verschaffen muß. 10 Daraus folgt zunächst, daß derjenige, der sich nicht selbst Kenntnis verschafft, mangels Erfüllung des besonderen Tätermerkmals der Eigenhändigkeit auch nicht Mittäter sein kann." Wenn jemand eigenmächtig das Behältnis ohne eigene Kenntnisnahme erbricht und den Inhalt daraufhin einem anderen zur Kenntnis anbietet, so erfüllt keiner von beiden den Tatbestand des § 202 Abs. 2. Als mittelbarer Täter kommt nur derjenige in Betracht, der sich selbst Kenntnis vom Inhalt verschafft, wobei die Form der Benutzung eines schuldlos (etwa im Nötigungsnotstand) handelnden Werkzeuges zum Öffnen des Behältnisses unproblematisch ist, aber praktisch kaum vorkommen wird. Umstritten ist die praktisch allein relevante Form der Benutzung eines absichtslosen-dolosen Werkzeugs, welches in Absprache mit dem Hintermann für die von diesem gewünschte Kenntnisnahme das Behältnis öffnet, ohne selbst Kenntnis zu nehmen. 12 Die Bedenken, die gegenüber der Rechtsfigur des absichtslosen-dolosen Werkzeuges in den Konstellationen durchgreifen, in denen der Hintermann überhaupt nicht handelt (Roxin LK § 25 Rdn. 140f), fallen bei mehraktigen Delikten kaum ins Gewicht, wenn und weil der Hintermann den entscheidenden Teilakt selbst ausführt und die dazu nötige Vorbereitung entsprechend dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 StGB „durch einen anderen" ausführen läßt, der den Tatbestand nicht selbst erfüllt. Es ist deshalb eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes anzunehmen. 3. Was die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 anbetrifft, so ist die Eigenhändigkeit in 4 3 § 202 Abs. 2 ein besonderes persönliches Merkmal, weil sie nicht durch mittelbare Täterschaft substituiert werden kann. 13 Der Anstifter zu einer Tat gemäß § 202 Abs. 2 ist also nur aus dem gemäß § 28 Abs. 1 gemilderten Strafrahmen strafbar, was deshalb auch sachlich gerechtfertigt ist, weil er das vom Gesetz als zentral gewertete Unrecht der eigenen Kenntnisnahme gar nicht selbst verwirklicht. Für die Strafbarkeit eines Gehilfen kommt es darauf an, ob ihm von den beiden Tätermerkmalen der Tatherrschaft und der Eigenhändigkeit bezüglich des zweiten Teilaktes nur eines fehlt oder beide: Beherrscht er als absichtloses-doloses Werkzeug den ersten Teilakt, weil er selbst das Behältnis erbricht, so fehlt ihm nur ein einziges Tätermerkmal, und er kommt nur in den Genuß einer einmaligen Strafmilderung gemäß § 27 StGB. Fehlt ihm außer der Eigenhändigkeit auch die Tatherrschaft, weil er zum Öffnen des Behältnisses nur eine unter dem Niveau des arbeitsteiligen Zusammenwirkens anzusiedelnde Hilfestellung leistet (etwa den Hammer reicht), so fehlt ihm außer der Tatherrschaft auch das dann „besondere" persönliche Merkmal der Eigenhändigkeit, und seine Strafe muß sowohl gemäß § 27 als auch gemäß § 28 Abs. 1, insgesamt also doppelt gemildert werden. 14 10 Woelk Täterschaft bei zweiaktigen (1994) S. 40 f. 11

12

13

(61)

Delikten

Woelk S. 40f; Schmitz JA 1995 297, 300; aA Träger Vorauf!. Rdn. 21; NK-Jung Rdn. 7, die aber den Wortlaut („sich verschafft") mißachten. Für eine mittelbare Täterschaft in diesen Fällen Träger Vorauf!. Rdn. 21; SehlSchröderILenckner Rdn. 19; Woelk S. 122f, die S. 90 auch ein vorsatzloses Werkzeug für möglich hält; aA Schmitz JA 1995 297, 300; unentschieden Samson SK Rdn. 13. Schünemann G A 1986 293, 341; aA Roxin LK § 28 Rdn. 67, der hierbei aber das Täterspezifikum der Eigenhändigkeit verkennt, ebenso wie

am Beispiel des § 183 StGB, wo er die Kombination eines auf die Entblößung männlicher Geschlechtsteile begrenzten Unrechts mit dem besonderen persönlichen Merkmal der Eigenhändigkeit übersieht, weshalb die von ihm angenommene „wunderliche Folge" der vollen Strafbarkeit des einen Mannes zum Exhibitionismus anstiftenden Mannes (LK § 28 Rdn. 41 im Anschluß an Herzberg JuS 1983 742) auf einem Irrtum beruht. 14

So ohne theoretische Verankerung im Ergebnis zutreffend die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen, siehe BGHSt. 26 53, 54 f; zur theoretischen Begründung Schünemann Jura 1980 357, 366f; ders. G A 1986 293, 341 f.

Bernd Schünemann

§ 202a

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

VI. Rechtsfolgen der Tat 44

Die Strafdrohung wurde gegenüber § 299 a. F. verschärft. Es kann Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden. Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt (§ 205 Abs. 1; vgl. im einzelnen dort Rdn. 4). Sie ist Privatklagedelikt (§ 374 Abs. 1 Nr. 3 StPO). VII. Zusammentreffen

45

§ 202 tritt hinter § 206 im Wege der (formellen) Subsidiarität zurück (§ 202 Abs. 1 ; vgl. Vogler LK 10. Aufl. Rdn. 118 vor § 52). § 202 Abs. 2 geht, weil es sich hier um die intensivere Rechtsgutsverletzung handelt, der Begehung nach Abs. 1 vor (Schmitz JA 1995 297, 300). Die Sachbeschädigung, die in der Öffnung des verschlossenen Schriftstücks liegt, wird als regelmäßige Begleittat von § 202 konsumiert.15 Tateinheit mit § 202 a kommt nicht in Betracht. Die dort genannten elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten werden nach der Änderung des Absatzes 3 durch das 2. WiKG nicht mehr vom Tatbestand des § 202 erfaßt (vgl. BTDrucks. 10/5058 S. 29; Möhrenschlager wistra 1986 1390- Ist die Nachricht hingegen durch Schriftzeichen verkörpert, die erst durch besondere Hilfsmittel sichtbar oder lesbar gemacht werden, geht § 202 als speziellere Regelung dem § 202 a vor (vgl. oben Rdn. 4). Mit Diebstahl und Unterschlagung kann Tateinheit bestehen (vgl. BGH NJW 1977 590 = JR 1978 423 mit zustimmender Anm. von Lenckner; Küper JZ 1977 464; aA RMG 10 250, 251; 14 106). Tateinheit ist auch gegeben, wenn die Tat als Beschaffungsdelikt im Rahmen geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99) begangen wird (Träger LK § 99 Rdn. 25).

§ 202 a Ausspähen von Daten (1) Wer unbefugt Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, sich oder einem anderen verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Schrifttum Binder Strafbarkeit intelligenten Ausspähens von programmrelevanten DV-Informationen (1994); Eck Die neuen Straftatbestände zur Bekämpfung der Computerkriminalität und ihre Bedeutung für die Datendienste der Deutschen Bundespost, Archiv f. d. Post- u. Fernmeldewesen 1987 105; Haft Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), N S t Z 1987 6 ; Haurand! Vahle Computerkriminalität, R D V 1990 128; Heinrich Die Strafbarkeit der unbefugten Vervielfältigung und Verbreitung von Standardsoftware (1993); 15

TröndlelFischer Rdn. 16; Samson SK Rdn. 19; Lackner/Kühl Rdn. 8; Fahl GA 1996 476, 482;

Lenckner JR 1978 424, 425 in Anm. zu BGH JR 1978 423).

Stand: 1 . 8 . 2 0 0 0

(62)

Ausspähen von Daten

S

202a

Hilgendorf Grundfalle zum Computerstrafrecht, JuS 1996 509, 702, 890; HoerenlSieber Handbuch Multimedia-Recht (1999) - zit. Handbuch - ; Jessen Zugangsberechtigung und besondere Sicherung i.S. von § 202 a StGB (1994); Kilian!Gorny (Hrsg.) Schutz von Computer-Software (1987); Lang Moderne Informationsverarbeitung - Strafrechtlicher Schutz beim Mißbrauch? iur. Diss. Tübingen 1988; Leicht Computerspionage - Die „besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang" (§ 202a StGB), iur 1987 45; Lenckner!Winkelbauer Computerkriminalität - Möglichkeiten und Grenzen des 2. WiKG, CuR 1986 483; Meier Softwarepiraterie - eine Straftat?, JZ 1992 657; Meurer Die Bekämpfung der Computerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, Kitagawa-Festschrift S. 971; Möhrenschlager Das neue Computerstrafrecht, wistra 1986 128; Müller-GugenbergerlBieneck Wirtschaftsstrafrecht 3. Aufl. (2000), § 33 (Bearb. Niemeyer); Schlächter Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1987); Schmitz Ausspähen von Daten, § 202a StGB, JA 1995 478; Schulze-Heiming Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls (1995); Sieber Computerkriminalität und Strafrecht 2. Aufl. (1980); ders. Informationstechnologie und Strafrechtsreform (1985); ders. Der strafrechtliche Schutz der Information, ZStW 103 (1991) 779; ders. Computerkriminalität und Informationsstrafrecht, CR 1995 100; Tiedemann Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch den Gesetzgeber, JZ 1986 865; Wahnitz/ Janovsky Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts (2000), Kap. 18 (Bearb. Bär); Welp Strafrechtliche Aspekte der digitalen Bildbearbeitung, CuR 1992 292, 354.

Entstehungsgeschichte Eingefügt durch Art. 1 Nr. 7 des 2. WiKG; in Kraft getreten am 1. 8. 1986. Gesetzesmaterialien Schriftlicher Bericht BTDrucks. 10/5058.

des

Rechtsausschusses

des

Deutschen

Bundestages

Übersicht Rdn. I. II. III. IV.

Allgemeines; Hacking 1 Rechtsgut 2 Daten als Angriffsobjekt 3 Tathandlung 5 1. Verschaffen 6 2. Fehlende Empfangsberechtigung des Täters 9 a) allgemeine Bestimmung des Berechtigten 9 b) Einverständnis im Einzelfall . . 11 c) Erklärungsberechtigter. Wirksamkeit der Erklärung 12

Rdn.

V. VI. VII. VIII.

3. Überwindung von Zugangssicherungen a) Viktimodogmatische Basis . . . b) Anforderungen und Reichweite; Softwarepiraterie c) Die vier Typen Subjektiver Tatbestand Rechtswidrigkeit Täterschaft und Teilnahme Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen

Stichwortverzeichnis Zahlen = Randnummer Abschreiben 6 AngrifTsobjekt 3 Begehung - Eigenhändige - 7 - Eigennützige- 5 - Fremdnützige - 5 Berechtigter - Bestimmung 9, 12 (63)

Betriebsangehörige - als mögliche Täter 10 Betriebsspionage 1 CD 4 Closed-shop-Betrieb 15, 16 Code 3 Computerkriminalität 1 Computerprogramme 3

Bernd Schünemann

14 14 15 16 17 18 19 20

§ 202a

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Daten 3 - codierte- 6 - Herr d e r - 12 - offenkundige- 3 - verschlüsselte- 6 - wertlose- 3 Datenbank 9 Datendiebstahl 1 Datenhehlerei 19 Datenspeicher 4 Datenspionage 1 Datenträger - Entwendung 20 - Wegnahme 6 Datenübermittlungsgerät 4 Diskette 4 „Dongle"-Technik 16 Eigentum - am Datenträger 12 Einverständnis - Erklärungsberechtigter 12 - Stellvertretung 13 - tatbestandsausschließendes - 9, 11, 13 Empfangsberechtigung - fehlende 9 Erklärungsberechtigter - des Einverständnisses 12 Fernglas - Blick auf Bildschirm 7 Fingerabdruckerkennung 16 Geheimhaltung 16 Geistigkeitstheorie 12 Genehmigung - fehlender Rechtfertigungsgrund 18 Gewahrsamsbruch-Analogie 9 Hacker; Hacking 1,4 Hardware-Sicherungen 16 Herr der Daten 12 Herrschaft - über Informationen 2 Information 3 Informationelle Selbstbestimmung 2 Informationsherrschaft 2 Kenntnis - sichere- 6 Kollusion 13 Konkurrenzen 20 Kopiersperren 9, 15 Kreditkarte 12 Lochkarten 4 Mikrofilme 4 Mißbrauch - der Vertretungsmacht 13

Nichtberechtigter 9 Nutzen - bloßes 8 Organisatorische Maßnahmen 14 Paßwörter 16 Pay-TV 1 Photographieren 6 Programme 3 Raubkopie 9 Rechtsgut 2 Rechtswidrigkeit 18 Reproduzierbarkeit 6 Scanner 4 Scheckkarte 12 Schutzgut 2 Selbstschutz - zumutbarer 14 Semantik 3 Sicherung - Geheimhaltung als - 16 - Hardware- 16 - Simplizität 16 - Software- 16 - Verschlüsselung als - 16 Skripturakt 12 Softwarepiraterie 15 Software-Sicherungen 16 Speicher-Fax 4 Spielautomat 12 Stellvertretung - beim Einverständnis 13 Stimmerkennung 16 Strafantragserfordernis 20 Subjektiver Tatbestand 17 Syntax 3 Tatbestandsirrtum 17 Täterschaft 19 Tathandlung 5 Teilnahme 19 Überspielen 6 Überwindung - einer Zugangssicherung 7, 14 Unberechtigter Zugang 15 Ungetreues Verhalten von Angestellten 10 Unternehmensgeheimnisse 1 Untreue 19 Verkörperung 4 Vermögen - fehldendes Schutzgut 2 Verschaffen 2, 5, 6 Verschluß - des Rechners selbst 16 Verschlüsselte Daten 6 Verschlüsselung - als Sicherung 16

Stand: 1.8. 2000

Ausspähen von Daten

§ 202a

Wille des Berechtigten 9 Wirksamkeit - der Bestimmung des Berechtigten 13

Vertragsrecht und Strafrecht 13 Viktimodogmatische Maxime 14 Vorbereitungshandlungen 1 Vorsatz 17

Zivilrechtsakzessorietät - des Strafrechts 13 Zugangssicherung - Besondere 7 - Typen 16 - Überwindung 14

Wahrnehmung - sinnliche 4 Wegnahme - eines Datenträgers 6 Wertlose Daten 3

I. Allgemeines. Die Vorschrift ist Teil der Maßnahmen des Gesetzgebers zur 1 Bekämpfung der Computerkriminalität 1 und erfaßt Tatformen, die mit den Worten Datenspionage oder Datendiebstahl umschrieben werden. Diese Tatformen waren bisher in § 202 Abs. 3 teilweise und nur unzulänglich unter Strafe gestellt. Das 2. WiKG hat den gegenständlichen Anwendungsbereich des § 202 deshalb auf Schriftstücke und Abbildungen begrenzt und das Ausspähen von Daten umfassend in § 202 a geregelt. Unmittelbarer Anlaß hierfür waren in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses erhobene Forderungen, das unbefugte Abhören und Anzapfen von Datenübertragungssystemen und den unbefugten Zugriff auf fremde Datenbanksysteme unter Strafe zu stellen (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 28). Diesen Forderungen hat der Rechtsausschuß entsprochen, dabei das bloße Eindringen des Täters in ein fremdes System, das sog. Hacking, aber als Vorbereitungs- und Gefährdungshandlung straflos gelassen;2 dies gilt freilich nur, wenn sich der Hacker auch wirklich auf das Eindringen verschränkt und sich nicht, wie wohl meistens, einzelne Daten wie etwa Paßwörter verschafft. 3 Deshalb ist auch das Eindringen in die Zugangsberechtigungssysteme von Pay-TV-Anbietern nach § 202 a strafbar. 4 Im Zusammenhang damit hat auch § 17 UWG eine erhebliche Umgestaltung erfahren. Daten, welche zugleich Geheimnisse eines Unternehmens darstellen, sind nunmehr gegen Betriebsspionage strafrechtlich besser gesichert (dazu SchulzeHeiming, S. 86 ff); die Tat ist ferner relatives Offizialdelikt geworden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 UWG). II. Rechtsgut. Nach der Fassung des Tatbestandes liegt das Wesen der Tat im Ver- 2 schaffen besonders gesicherter Daten gegen den Willen des Berechtigten. Die Bezeichnung als Datendiebstahl ist insoweit zutreffend, als damit der Vergleich mit einer Wegnahme, mit dem Bruch fremden und der Begründung neuen Gewahrsams, gezogen sein soll. Geschütztes Rechtsgut ist deshalb das Herrschaftsverhältnis an der Information. 5 Dagegen kommt es nicht darauf an, welchen Inhalt die geschützte Infor1

2

(65)

Grundlegend zu dieser Kriminalitätsform Sieber Computerkriminalität und Strafrecht 2. Aufl. (1980); ferner Möhrenschlager wistra 1986 128, 136; Sieg Strafrechtlicher Schutz gegen Computerkriminalität, Jura 1986 352; Winkelbauer Computerkriminalität und Strafrecht, CuR 1985 40; zur polizeilichen Lage Bunge Kriminalistik 1987 75; Mohr Die Polizei 1987 40. TröndlelFischer Rdn. 2; Hilgendorf JuS 1996 702, 704 f; kritisch dazu Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 2; Lackner/Kühl Rdn. 5; Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 488; Bär in WabnitzlJanovsky Kap. 18 Rdn. 71 f, 79; Zielinski in

3

4

5

Kilian!Gorny S. 115, 120; die Strafbarkeit bereits de lege lata bejahen Gola N J W 1987 1675, 1679; Jessen S. 180 ff; Schulze-Heiming S. 82 f; Sieber Handbuch 19/421. Meurer S. 976; v. Gravenreuth NStZ 1989 201, 204 f; Hauptmann jur-pc 1989 215; Haurandl Vahle RDV 1990 128, 132 mit dem Nachweis, daß sich die Straffreiheit des Hackers auf einen engen Bereich beschränkt. Dressel M M R 1999 390ff; vgl. aber auch Helberger Z U M 1999 295 ff. Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 1; Tröndlel Fischer Rdn. 2; Eck Archiv f. die Post- u. Fernmelde-

Bernd Schünemann

§ 202a

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- u n d Geheimbereichs

mation hat und wer von ihr betroffen ist (aA Lackneri Kühl Rdn. 1). § 202 a setzt insbesondere nicht eine Verletzung des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs voraus, sondern schützt auch wirtschaftliche oder sonstige Interessen (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 28); die Einfügung der Vorschrift in den 15. Abschnitt geschah lediglich aus Gründen des Sachzusammenhangs. Andererseits lag es dem Gesetzgeber fern, Persönlichkeitsverletzungen aus dem Schutzbereich des § 202 a auszuscheiden. Geschütztes Rechtsgut ist daher auch nicht das Vermögen mit der Folge, daß nur Vermögenswerte Daten dem Tatbestand unterfielen (aA Bühler M D R 1987 448,452; Haft NStZ 1987 6, 9). 3

III. Allgriffsobjekt. Angriffsobjekt sind Daten in der von Absatz 2 umschriebenen besonderen Gestalt. Der Begriff des Datums ist im. Gesetz nicht erläutert, sondern vorausgesetzt (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29); zuvor hatte ihn bereits § 268 Abs. 2 verwandt. Dort gilt die Definition der Norm DIN 44300 als rechtlicher Anhalt, wenngleich nicht als abschließende Umschreibung. 6 Danach sind Daten durch Zeichen oder kontinuierliche Funktionen aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen zum Zwecke der Verarbeitung dargestellte Informationen (vgl. 1. Schriftl. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BTDrucks. V/4094 S. 37; Tröndlel Fischer § 268 Rdn. 4). Jedoch ist der Verarbeitungszweck im strafrechtlichen Begriff des Datums nicht vorausgesetzt. Allgemein ist deshalb ein Datum die Darstellung einer Information, wobei unter Information (der semantischen Ebene) jede Angabe über einen Gegenstand oder Zustand der realen oder irrealen Welt zu verstehen ist, während die Darstellung (syntaktische Ebene) durch konventionell festgelegte Zeichen erfolgt, also durch einen bestimmten Code.7 Dazu zählen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch Programme (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29; aA v. Gravenreuth NStZ 1989 201, 203 f)·

Nicht einschlägig ist die an anderen Stellen der Rechtsordnung (s. § 203 Rdn. 45) verwendete Bezeichnung „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse". Daten im Sinne des § 202 a sind vielmehr Informationen jeder Art, auch Zusammenstellungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Dokumentationen, Rechenergebnisse. Unter den Tatbestand fallen ferner Daten, welche keinen wirtschaftlichen (Rdn. 2), wissenschaftlichen oder ideellen Wert haben. Allein die Verletzung der Herrschaftsmacht des Berechtigten ist Strafgrund. Ebenso unerheblich ist, ob die Daten offenkundig sind. Daß der Täter sie sich ohne Schwierigkeiten auch anderswo beschaffen könnte, mindert nicht das Interesse des Berechtigten, sie zu seinen Bedingungen abzugeben. 8 4 Jedoch sind nach Absatz 2 - und den Vorschriften, die darauf verweisen (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, § 303 a, § 303 b) - nur solche Daten erfaßt, die im Zeitpunkt der Tat entwesen 1987 105, 106; Fromme! JuS 1987 667, 668; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 1; Hilgendorf JuS 1996 509, 511; Leicht iur 1987 45; Lenckner! Winkelbauer CuR 1986 483, 485; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; Schlächter S. 58; Samson SK Rdn. 1; zweifelnd Tiedemann JZ 1986 865, 871; aA - Information selbst als Rechtsgut - Zielinski in Kilian!Gorny S. 115, 118, 121, der aber verkennt, daß die Information von der Tat unberührt bleibt, u. U. sogar (beim Überspielen) vervielfältigt wird; für

Rechtsgut einer umfassenden Geheimsphäre Gössel BT 1 § 37 Rdn. 87. Tröndle LK 10. Aufl. § 268 Rdn. 13; LencknertWinkelbauer CuR 1986 483, 484; Schlächter S. 60. Welp iur 1988 443, 445; Schmitz JA 1995 478, 479; Samson SK Rdn. 4. Lenckner!Winkeibauer CuR 1986 483, 485; Leicht iur 1987 45; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; Tiedemann JZ 1986 865, 871.

Stand: 1.8. 2000

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Ausspähen von Daten

§

202a

weder nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert (d.h. auf einem Datenträger dauerhaft festgehalten) sind oder nicht unmittelbar wahrnehmbar übermittelt (d. h. unkörperlich, etwa online, von einer Datensammelstelle zur nächsten übertragen) 9 werden. Entscheidend ist damit, daß die Daten der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind; gleichgültig ist, mit welchem technischen Verfahren und auf welchem Träger die Speicherung oder Übermittlung geschieht. Fehlt es bei verkörperten Zeichen, etwa Lochkarten, lediglich an der Deutungsmöglichkeit, liegt ein Datum im Sinne des Absatzes 2 nicht vor.10 Zu prüfen bleibt in solchen Fällen, ob die §§ 201, 202 eingreifen. Für die moderne Scanner-Technik ergibt sich dadurch eine empfindliche Strafbarkeitslücke," weil die vom Scanner verarbeiteten Daten als System von Strichen und damit optisch wahrnehmbar vorliegen. Umstritten ist der Status von Mikrofilmen. Wenn man bei ihnen darauf abhebt, daß die darauf befindlichen Daten auf der syntaktischen Ebene mit Hilfe eines Lesegerätes wahrnehmbar und deshalb die Voraussetzungen des § 202 a Abs. 2 nicht erfüllt seien (so wohl Jähnke Voraufl. Rdn. 4), so ergibt sich im Grunde kein prinzipieller Unterschied mehr zu der Speicherung auf einer CD, bei der die Syntax der Daten - abgesehen von der Wahrnehmbarkeit also ähnlich wie bei einer Lochkarte - aus mikroskopisch kleinen Vertiefungen besteht {Welp iur 1988 443, 446; Schmitz JA 1995 478, 480). Auch das Erfordernis einer über die bloße Vergrößerung hinausgehenden Transformation in andere Zeichen (so Samson SK Rdn. 7) würde außer dem Mikrofilm auch die C D aus dem Anwendungsbereich des § 202 a eliminieren, weil die Sichtbarmachung der Syntaxebene hierbei (anders als bei der Speicherung auf einer Diskette) keine technische Umformung erfordert und die Wahrnehmbarkeit sich ausschließlich auf die syntaktische und nicht auf die semantische Ebene bezieht. Man wird deshalb Abs. 2 schlicht dahin zu interpretieren haben, daß es auf die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit des Durchschnittsmenschen ankommt. 12 Diese Formel korrespondiert nicht nur mit dem Wortlaut des Abs. 2, sondern auch mit dem systematischen Verhältnis zu § 201 und § 202, die unter den dort im einzelnen benannten Voraussetzungen die sinnlich wahrnehmbaren Informationen schützen, und verhindert die sonst drohende, für eine funktionale Betrachtung absurde Ungleichbehandlung der Speicherung auf Diskette oder CD. Ein Datum wird damit zum geeigneten Angriffsgegenstand nach § 202 a frühestens mit der Eingabe der in einen technischen Impuls umgeformten Information in ein Datenübermittlungs- oder -speichergerät. Seine Eignung als Tatobjekt bleibt erhalten, solange die Speicherung andauert. IV. Tathandlung ist das eigennützige oder fremdnützige Verschaffen von Daten, die nicht für den Täter bestimmt und gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind.

5

1. Verschaffen bedeutet Erwerb der Herrschaft über die Daten. Er vollzieht sich in 6 erster Linie durch die Erlangung eines mit Daten versehenen körperlichen Substrats. Das kann durch Überspielen des Datenbestandes auf einen eigenen Träger oder » Welp iur 1988 443, 445; Schmitz JA 1995 478, 480 f. 10 Tröndlel Fischer Rdn. 4; Lackneri Kühl Rdn. 2; Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 484; Schlüchter S. 61 ; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 4; Samson SK Rdn. 7; Schulze-Heiming S. 46f; aA Gössel BT 1 § 37 Rdn. 90; Hilgendorf JuS 1996 509, 511. (67)

11

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Schulze-Heiming S. 50ff; vgl. auch Welp CuR 1992 291 ff; Sieber S. 33 f. Jessen S. 51f; Schmilz JA 1995 478, 480; etwas enger Welp iur 1988 443, 446, der die sinnliche Wahrnehmbarkeit auch dann noch bejaht, wenn von einem Durchschnittsmenschen eine Lupe eingesetzt werden muß.

Bernd Schünemann

§ 202 a

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

durch die Wegnahme des fremden Trägers geschehen, aber auch durch einen Ausdruck oder durch Abschreiben oder Fotografieren der auf dem Bildschirm zu diesem Zweck sichtbar gemachten Daten (vgl. die Aufzählung der Tatmodalitäten in § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG). Ob der Täter vom Inhalt der Daten Kenntnis erlangt, ist in dieser Variante unerheblich. 13 Andererseits verschafft sich der Täter auch ohne Speicherung die Herrschaft über die Daten, wenn er von ihnen sichere Kenntnis erhält (aA Haft NStZ 1987 6, 10; Hauptmann jur-pc 1989 215, 217 f). Sichere Kenntnis bedeutet verwertbare Kenntnis, also Reproduzierbarkeit. Ist der Täter infolge der Beschaffenheit der Daten außerstande, diese geistig aufzunehmen, befindet er sich in der Situation eines Hackers, der in das System zwar eingedrungen ist, sich aber damit begnügt. Solche Täter will das Gesetz nicht bestrafen (str., s. Rdn. 1). Ebenso liegt es, wenn der Täter verschlüsselte Daten sichtbar macht, mangels Kenntnis des Schlüssels aber deren Bedeutung nicht zu erfassen vermag (LencknerlWinkelbauer CuR 1986 483, 488; Schlüchter S. 67f). Dagegen genügt es bei fremdnützigem Tun, daß der Dritte den Inhalt der abgelesenen Daten erfaßt. 7

Bei beiden Tatformen verlangt jedoch das Tatbestandsmerkmal der besonderen Zugangssicherung eine restriktive Auslegung auch des Begriffs des Verschaffens. Das Merkmal der Zugangssicherung soll dem Täter eine deutliche Schranke setzen; erst ihre Überwindung manifestiert strafwürdige kriminelle Energie (Leicht iur 1987 45; Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 486). Die Überwindung der besonderen Sicherung wirkt damit strafbegründend, nicht bloß straferhöhend wie in § 243 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. auch § 202 Abs. 2). Daher muß der Täter oder Mittäter das Merkmal im Einzelfall selbst verwirklichen; es genügt nicht, daß er eine von anderen geschaffene Lage lediglich für sich ausnutzt (aA LacknerlKühl Rdn. 4; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140). Es bleibt somit straflos, wenn der Täter den versehentlich unverschlossen gebliebenen Computerraum betritt und dort Daten abruft, wenn er einem am Datengerät sitzenden Mitarbeiter über die Schulter sieht oder ein Fernglas benutzt (Eck Archiv f. d. Post- u. Fernmeldewesen 1987 105, 106; SehlSchröderILenckner Rdn. 7, 10).

8

Nicht tatbestandsmäßig ist nach dem Gesetzeswortlaut das bloße Nutzen gespeicherter Daten für eigene Zwecke (aA Zielinski in Kilian/Gorny S. 115, 120). Die Erlangung eines von anderen veranlaßten Datenausdrucks und der Handel damit fallen schon mangels eines geeigneten Tatobjekts nach Absatz 2 (Rdn. 4) nicht unter die Bestimmung. 2. Fehlende Empfangsberechtigung des Täters

9

a) Allgemeine Voraussetzungen. Die vom Täter erlangten Daten dürfen nicht für diesen bestimmt sein. Mit dem Tatbestandsmerkmal betont das Gesetz das Erfordernis eines Handelns gegen den Willen des Berechtigten, welches den Vergleich mit einem Gewahrsamsbruch (Rdn. 2) rechtfertigt. Ob es durch Auslegung bereits dem Begriff des Verschaffens entnommen werden könnte (so Samson SK Rdn. 9), ist bedeutungslos. Ist der Berechtigte mit dem Vorgehen des Täters allgemein oder im Einzelfall einverstanden, entfällt in jedem Fall der Tatbestand des § 202 a. Die Zweck13

Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Hilgendorf JuS 1996 702, 705; LacknerlKühl Rdn. 5; Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 488; Schlüchter S. 66;

Samson SK Rdn. 11; Tiedemann JZ 1986 865, 871; aA bei Verschlüsselung Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 10.

Stand: 1.8. 2000

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Ausspähen von Daten

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bestimmung der Daten erweist sich damit als Fall des tatbestandsausschließenden Einverständnisses (s. Rdn. 11). Nicht für den Täter bestimmt sind Daten, wenn er nach dem Willen des Berechtigten keinen Zugang zu ihnen haben soll. Gleich bleibt, ob er unter anderen Umständen, etwa nach Zahlung eines Entgelts, den Zugang erhalten könnte oder erhalten hätte. Daher kann derjenige, der sich Daten aus einer dem allgemeinen Publikum dienenden Datenbank verschafft, den Tatbestand verwirklichen, wenn er keinen Anschluß hat (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29). Ist er Anschlußinhaber und ist sein Anschluß nicht gesperrt, so begründet eine bloße Umgehung der Benutzungsbedingungen jedoch lediglich eine Vertragsverletzung, keine Strafbarkeit (Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 486; aA Schlächter S. 65). Hat der Berechtigte dem Täter Daten zur Nutzung überlassen, so sind diese ihm bestimmungsgemäß zugänglich geworden. Daran ändert es nichts, wenn er vertragswidrig Kopien anfertigt und dazu vielleicht noch Kopiersicherungen (dazu u. Rdn. 15) überwindet. Die Anfertigung der Raubkopie mag Urheberrechte verletzen (s. u. Rdn. 14) und zivilrechtliche Ansprüche auslösen; sie verletzt aber nicht das in § 202 a geschützte Rechtsgut und entspricht auch nicht dem hier vorausgesetzten Tatbild. 14

10

Ebenso haben Betriebsangehörige, denen Datenbestände zur Benutzung, Verarbeitung oder Verwaltung anvertraut sind, im Rahmen ihrer betrieblichen Funktion berechtigten Zugang; die Daten sind insoweit für sie bestimmt. Stellt ein Angestellter heimlich Ausdrucke für eigene Zwecke oder zur Weitergabe an einen Dritten her, dringt er nicht in den Herrschaftsbereich des Arbeitgebers ein, sondern verhält sich ungetreu. Strafbarkeit nach § 202a scheidet daher aus (BayObLG StV 1999 214 m. Anm. Kühn; Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 486; Schlächter S. 64; Schmitz JA 1995 478, 482). In Betracht kommt bei Geheimnissen ein Vergehen nach § 17 UWG. Anders kann es liegen, wenn der Angestellte außerhalb der Dienstzeit und ohne betriebliche Veranlassung Zugang zum Computer sucht; unter solchen Umständen sind die Daten für ihn nicht bestimmt (Schulze-Heiming S. 54 f). Zum Zusammenwirken mit Dritten s. Rdn. 19. Unerheblich ist, wen die Daten betreffen. Auch besondere, aus Sicherheitsgründen angeordnete Modalitäten des Zugangs (Verbot, die Datenzentrale allein zu betreten usw.) ändern an der Person des Berechtigten nichts, selbst wenn die Vorkehrungen mißachtet werden. In gleicher Weise bedeutungslos sind Anordnungen, welche dem Berechtigten aus solchen Gründen Beschränkungen in der Benutzung und Verwendung der Daten auferlegen (aA Schlächter S. 62). b) Einverständnis im Einzelfall. Ebenso wie der Berechtigte allgemeine Bestimmun- 11 gen über den Zugang zum Datenbestand treffen kann, ist er befugt, im Einzelfall einem Dritten seine Einwilligung zum Abruf von Daten zu erteilen. Mit der Erteilung dieser Einwilligung verschafft er den davon betroffenen Daten die Bestimmung für den Dritten. Ohne rechtliche Bedeutung ist, daß der Berechtigte den Datenabruf gestattet, damit der Dritte die Daten an einen anderen weitergebe; auch als Durchlaufstation empfängt der Dritte sie bestimmungsgemäß. Die Einwilligung schließt daher stets als sog. Einverständnis den Tatbestand aus.15 14

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TröndlelFischer Rdn. 7; Samson SK. Rdn. 12; Niemeyer in Müller-Gugenberger! Bieneck § 33 Rdn. 20; aA Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 486; Schlüchter S. 65 f; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 6; Zielinski in Kilian/Gorny S. 115, 120 mit wohl rechtspolit. Kritik S. 122.

15

Bühler M DR 1987 448, 453; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 97; differenzierend Lencknerl Winkelbauer CuR 1986 483, 488; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 11; aA Lackneri Kühl Rdn. 7; Schlüchter S. 68.

Bernd Schünemann

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c) Bestimmung des Berechtigten. Die Entscheidung, für wen geschützte Daten bestimmt sein sollen, obliegt nicht dem, auf den sie sich beziehen (SehlSchröder! Lenckner Rdn. 6; aA Gössel BT 1 § 37 Rdn. 92). § 202a schützt nicht den persönlichen Lebensbereich, sondern das Herrschaftsverhältnis über die Information (Rdn. 2). Deshalb hat die Entscheidung der „Herr der Daten" zu treffen; das ist derjenige, der über sie verfügen darf, 16 also die Rechtsmacht hat, Daten einem anderen zugänglich zu machen. Wer dies ist, richtet sich ohne Rücksicht auf das Eigentum am Datenträger nach dem Akt der Erschaffung, d.h. nach dem Skripturakt der erstmaligen Datenabspeicherung. 17 Dabei kommt es jedoch - ähnlich wie bei der Frage, wer Aussteller einer Urkunde ist - nicht auf den körperlichen Vollzug an, sondern darauf, in wessen Auftrag die Daten abgespeichert werden. Berechtigter bezüglich der von einer Datenverarbeitungsfirma abgespeicherten Daten ist deshalb der Kunde, bezüglich der auf einer Scheckkarte gespeicherten Daten die ausgebende Bank. 18 Diese originäre Berechtigung an den Daten kann sodann auf andere übertragen werden, wobei jedoch das Überlassen von Daten zur Nutzung nicht ohne weiteres auch eine Zugangsberechtigung einschließt. Beispielsweise besitzt der Kunde weder an den verschlüsselten Daten auf dem Magnetstreifen einer Bankomatenkarte noch an den Programmdaten eines von ihm gekauften Spielautomaten in der Weise ein Recht, daß die Daten nunmehr für ihn bestimmt (und damit zum Leerspielen anderer Automaten desselben Typs nutzbar) wären. 19

13

d) Die Wirksamkeit der Bestimmung richtet sich, da sie der Sache nach eine Einverständniserklärung ist, nach den Regeln über das Einverständnis (dazu Hirsch LK Vorbem. 96 ff vor § 32). Stellvertretung ist, da kein höchstpersönliches Rechtsgut betroffen ist, ohne Einschränkung möglich. Macht der Vertreter zum Nachteil des Vertretenen mit dem Täter gemeinsame Sache, fehlt es aber an einer wirksamen Erklärung dahin, daß die Daten für den Täter bestimmt sein sollen. Ein derartiger Mißbrauch der Vertretungsmacht schafft kein rechtlich beachtliches Einverständnis (BGHSt. 6 251, 254). Die Bestimmung zugunsten des anderen ist grundsätzlich frei abänderbar. Hat sich ein Anlagenbetreiber aber zivilrechtlich zur Lieferung von Daten verpflichtet, ist ihre Bestimmung für den Empfanger Bestandteil einer nicht einseitig auflösbaren Vertragsbeziehung. Die daraus folgende Bindung gilt auch für das Strafrecht. 20

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3. Überwindung von Zugangssicherungen, a) Das Erfordernis der besonderen Sicherung gegen unberechtigten Zugang zeigt die Schranke an, deren Überwindung kriminelles Unrecht begründet (Rdn. 7); sie rechtfertigt sich, weil der Verfügungsberechtigte mit der Sicherung sein Interesse an der „Geheimhaltung" - ähnlich wie in § 202 Abs. 2, § 243 Abs. 1 Nr. 2 - dokumentiert (Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29) und - das ist in normativer Hinsicht ausschlaggebend! - durch diese Wahrnehmung eines ohne weiteres zumutbaren Selbstschutzes auch des zusätzlichen Strafrechtsschutzes würdig und bedürftig wird. Wegen dieser viktimodogmatischen FunTröndlelFischer Rdn. 8; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 2; Lackner/Kühl Rdn. 3; Lenckneri Winkelbauer CuR 1986 483, 485; MährenSchlager wistra 1986 128, 140. Welp iur 1988 443, 447; Hilgendorf JuS 1996 890, 892 f; Schmitz JA 1995 478. BayObLG JR 1994 476 m. Anm. Hilgendorf; Hilgendorf JuS 1996 890, 893 f; Schmilz JA 1995 478. Zur Bankomatenkarte AG Böblingen CR 1989 308; Richter CR 1989 303; zum Spielautomaten

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Euer CR 1988 1021, 1024; Neumann JuS 1990 535, 539; Schlächter NStZ 1988 53, 55; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 6; aA LG Duisburg CR 1988 1028; TröndlelFischer Rdn. 7. Hirsch LK Vorbem. 113 vor § 32; Jakobs AT 7/110; Sch/Schröder/Lenckner Vorbem. 44 vor § 32, abw. Rdn. 53; anders Μ. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164f; H. D. Weber Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht (1986) S. 68 ff, 128ff; s. auch § 203 Rdn. 65.

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dierung des Tatbestandsmerkmals der Zugangssicherung kommt es nicht darauf an, daß die Sicherung möglichen Tätern äußerlich erkennbar sein muß; es genügt, wenn sie wirksam ist (mißverstanden von Leicht iur 1987 45, 48, 49). Andererseits fallen nur physische und EDV-technische Vorkehrungen unter den Begriff (TröndlelFischer Rdn. 7 a), nicht aber organisatorische Maßnahmen, welche allein die menschliche Willensbildung beeinflussen (Vier-Augen-Prinzip, Verbote, Genehmigungsvorbehalte). Denn menschliches Versagen ist gerade die Schwachstelle, der das Erfordernis der Zugangssicherung gilt. b) Die besondere Sicherung muß den Zweck haben, den Zugang zu verhindern. 1 5 Anderen Zwecken dienende Maßnahmen, welche nur nebenbei auch den Zugang erschweren, wie feuersichere Türen ohne besonderes Schließsystem oder bloße Kopiersperren21 reichen daher nicht aus. Falls keine Zugangssicherungen im Sinne des Gesetzes überwunden worden sind, fällt deshalb die weitverbreitete sog. Softwarepiraterie nicht unter den Straftatbestand der Datenausspähung. Die hierdurch drohende Strafbarkeitslücke wird jedoch dadurch geschlossen, daß § 106 i.V.m. § 53 Abs. 6 UrhG jede unerlaubte Vervielfältigung eines Programms für die Datenverarbeitung oder wesentlicher Teile davon unter Strafe stellt, so daß bereits das unberechtigte Laden eines Programms in den Arbeitsspeicher eines Rechners strafbar ist.22 Zwar hat der BGH in seiner Zivilrechtsprechung außerordentlich strenge Anforderungen an die Anerkennung eines Computerprogrammes als eines urheberrechtlich geschützten Werkes gestellt,23 die von Computerprogrammen nur in den wenigsten Fällen erfüllt werden. 24 Seitdem aber aufgrund der EG-Richtlinie vom 14. 5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (CR 1991 382 ff) die Spezialvorschrift des § 69 a Abs. 3 U r h G geschaffen worden ist, muß die allzu restriktive BGH-Rechtsprechung revidiert werden. 25 Der angestrebte Schutz kann nicht absolut sein; unzureichend sind aber Vorkehrungen, die bereits jeder interessierte Laie leicht und rasch zu überwinden vermag. Andererseits kann natürlich nicht verlangt werden, daß die Sicherung selbst gegenüber Tätern mit eingehenden Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der EDV normalerweise wirksam i. S. eines unübersteigbaren Hindernisses ist (so anscheinend Jähnke Vorauf! Rdn. 15). Denn wenn der Tatbestand nur durch Überwindung eines normalerweise unüberwindlichen Hindernisses erfüllt werden könnte, würde er sich selbst ad absurdum führen und die viktimodogmatische Maxime überspannen. Es genügt deshalb eine Zugangssicherung, deren Überwindung einen nicht unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand erfordert. Schließlich muß das Sicherungssystem so angelegt sein, daß es dem Täter einen „unberechtigten" Zugang verwehrt. Das Merkmal korrespondiert nicht in dem Sinne mit dem des „Bestimmtseins" der Daten, daß es gegenüber allen Nicht-Berechtigten gleich wirksam ist (NK -Jung Rdn. 7; Hilgendorf JuS 1996 702, 704; aA M eurer S. 971, 976 f; Lenckner! Winkelbauer CuR 1986 483, 487; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 9). Zu 21

22

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Dazu Jung N K Rdn. 6; Kuhlmann CR 1989 177, 184f; Schulze-Heiming S. 57; Beermann Jura 1995 610; eingehend Heinrich S. 301 ff; aA Hilgendorf iuS 1996 512, 702; Meier JZ 1992 662. Meurer S. 971, 982; Beermann Jura 1995 610ff; Elter CR 1989 115; v. Gravenreuth CuR 1988 930, 931; Schmitz JA 1995 478; 483; Sieber S. 2/68; zu § 106 U r h G Sieber in Handbuch 19 Rdn. 452 ff; Rehbinder Urheberrecht 10. Aufl. (1998) § 25 Rdn. 203; SchrickerlHaß Urheber-

23

24

25

recht 2. Aufl. (1999) § 106 Rdn. 3 mit Verweis auf § 69c Rdn. 10. B G H Z 94 276 ff - Inkassoprogramm - ; 112 264 ff - Nixdorf-Betriebssystem - . Heinrich S. 132 ff m . z . N . in Fn. 33; Meier JZ 1992 657, 659 f. Erschöpfende Nachweise bei Heinrich S. 145 Fn. 406; seitdem noch LG Mannheim NJW-RR 1994 1007; Bär in WabnitzlJanovsky Kap. 18 Rdn. 106; differenzierend Heinrich S. 137 ff.

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

einem gesicherten Computerzentrum („closed shop") müssen Reinigungskolonnen, Wartungs- und Reparaturdienste, Aufsichts- und Kontrollpersonal Zutritt haben, ohne daß damit die gespeicherten Daten, weil sie für diesen Kreis nicht bestimmt sind, auch gegenüber Betriebsexternen ihren Schutz verlören.26 16

c) Grundsätzlich kommen danach vier verschiedene Typen von Zugangssicherungen in Betracht:27 (1) durch Einbau in die Hardware (computerintegrierte Fingerabdruckoder Stimmerkennungsgeräte, nicht aber bloße Kopiersperren, o. Rdn. 15); (2) durch Einbau in die Software (vor allem Paßwörter, ferner Datenverschlüsselungen, dazu i. f. näher); (3) durch einen Verschluß des Rechners selbst (abschließbare Schränke, verschlossene Blechgehäuse in Geldspielautomaten28 oder abschließbare Büroräume, sog. closed-shop-Betrieb29)·, (4) durch Geheimhaltung der Datei (etwa indem man sie an einer systematisch falschen Stelle unter einem unzutreffenden oder unauffälligen Namen speichert). Fraglich ist, ob die bloße Verschlüsselung oder gar die unverschlüsselte Geheimhaltung durch Verstecken in „falschen" Dateien als Zugangssicherungen im Sinne des § 202 a qualifiziert werden kann. Denn die Verschlüsselung blockiert, streng genommen, nicht den Zugriff auf die übermittelten Daten, sondern verhindert lediglich die Erfassung ihres Bedeutungsgehalts, während das Verstecken der Datei den totalen Zugriff nicht hindert und deshalb eigentlich nur ein zeitliches Hindernis aufrichtet. Andererseits wird durch die Verschlüsselung von den beiden Alternativen des Verschaffens die zweite erfolgreich blockiert (oben Rdn. 6). Ferner gewährt bei Daten im Stadium der Übermittlung nach dem. gegenwärtigen Stand der Technik offenbar allein die Verschlüsselung zuverlässigen Schutz (Leicht iur 1987 45, 51). Da der Gesetzgeber Daten im Stadium der Übermittlung als Tatobjekt geschützt wissen wollte, kann er im übrigen die einzige wirksame Sicherung nicht als rechtlich unzureichend betrachtet haben. Auch eine Verschlüsselung ist daher ein geeigneter Schutz.30 Dann kann aber für die Methode des Versteckens nichts anderes gelten (Hilgendorf JuS 1996 702, 703). Freilich darf der benutzte Schlüssel oder das benutzte Versteck nicht zu trivial sein (Beispiele: eine gängige Fremdsprache oder ein Versteck in einem Datenverzeichnis bescheidenen Umfanges), weil eine Überwindung, die nur noch einen unerheblichen technischen oder zeitlichen Aufwand erfordert, aus viktimodogmatischen Gründen den Straftatbestand nicht erfüllt. Das gilt übrigens auch für die Zugangssicherung durch ein allzu simples Paßwort (Name des Benutzers) oder eine (an sich ausreichende) dreistellige Ziffernfolge, die bei allen Systemen dieser Art standardisiert ist und deshalb vom Täter aus seinem eigenen System abgeleitet werden kann.31

17

V. Subjektiver Tatbestand. Die Tat erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz, welcher insbesondere die Frage der Bestimmung der Daten betreffen kann, genügt. Nimmt der 26

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Zutr. TröndletFischer Rdn. 7 a; a A Jähnke Vora u f ! Rdn. 15; LencknerIWinkelbauer CuR 1986 483,487; Meurer Kitagawa-Festschrift S. 976. Dazu eingehend Jessen S. 86ÍT; Leicht iur 1987 45 ff; Hilgendorf JuS 1996 702 ff; zu den technischen Grundlagen Pommerening Datenschutz und Datensicherheit (1991); Kersten Sicherheit in der Informationstechnik 2. Aufl. (1995); zur „Dongle"-Technik s. König N J W 1995 3293; LG Mannheim NJW 1995 3322. Euer CR 1988 1021, 1024; Schlächter NStZ 1988 53, 55.

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Zutr. LencknerIWinkelbauer CuR 1986 483, 487; Hilgendorf JuS 1996 702, 703; aA Leicht iur 1987 45, 48. TröndlelFischer Rdn. 7; Lackneri Kühl Rdn. 3 b; LencknerIWinkelbauer CuR 1986 483, 487; Möhrenschlager wistra 1986 128, 140; NK-Jung Rdn. 6; Schlüchter S. 65; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 8. Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bezüglich standardisierter Ziffernfolgen bei der Fernabfrage von Anrufbeantwortern, BTDrucks. 12/6500 und 6706; Krause jur-pc 1994 2758, 2760; Schmachtenberg D u D 1998 401.

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Täter irrig an, die verschafften Daten seien für ihn bestimmt, handelt er ohne Tatbestandsvorsatz. Im Hinblick darauf, daß er bei der Tat Zugangssicherungen zu überwinden hat, dürfte für einen derartigen Irrtum allerdings regelmäßig kein Raum sein; anders, wenn der Verfügungsberechtigte einseitig die Bestimmung der Daten geändert hat und der Täter diesen Widerruf für unwirksam hält (Rdn. 13). VI. Rechtswidrigkeit. Die Einwilligung des Verfügungsberechtigten schließt als 1 8 sog. Einverständnis bereits den Tatbestand aus (Rdn. 11). Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung ist zwar nicht begrifflich ausgeschlossen, dürfte aber praktisch nicht in Betracht kommen. Eilfalle, welche ein Eindringen in fremde Datenanlagen erforderlich machen, bevor der Berechtigte befragt werden kann, sind kaum denkbar (abw. Schriftl. Bericht BTDrucks. 10/5058 S. 29; TröndlelFischer Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 7; Möhrenschlager wistra 1986 128,140; Schlächter S. 68). Die nachträgliche Zustimmung, also die Genehmigung, läßt die Rechtswidrigkeit nicht rückwirkend entfallen (unzutr. Hilgendorf JuS 1996 202 705). VII. Täterschaft und Teilnahme. Täter kann jedermann mit Ausnahme des Ver- 1 9 fügungsberechtigten sein, auch derjenige, auf den sich die Daten beziehen, und der Eigentümer des Datenträgers. Der gesetzliche oder gewillkürte Vertreter eines Verfügungsberechtigten ist nicht Täter, wenn er berechtigt Zugang zu den Daten hat oder keine Zugangssicherung überwinden muß (Rdn. 7, 15). Wirkt er bei der Tat mit einem Dritten zusammen, ist er jedoch nicht nur wegen Teilnahme strafbar (so Jähnke Vorauf!. Rdn. 18), sondern wegen (Mit-)Täterschaft. Denn § 202 a läßt es für die Tatbestandserfüllung ausreichen, daß der Täter die Daten „einem anderen verschafft", so daß es genügt, wenn einer der Beteiligten kein Zugangsrecht hat. Freilich wird der Berechtigte in der Regel keine Zugangssicherungen zu überwinden brauchen, so daß die Tatbestandserfüllung häufig hieran scheitern wird. Zur Frage, ob dann der Untreuetatbestand (§ 266 StGB) erfüllt ist, siehe Schiinemann LK § 266 Rdn. 110. Wer sich, ohne selbst am Verschaffungsvorgang mitzuwirken, von einem anderen, der tatbestandsmäßig gehandelt hat, die Daten übergeben läßt, macht sich nur im Falle der Anstiftung strafbar. Denn Datenhehlerei wird weder von § 202 a noch von einem anderen Straftatbestand erfaßt (Schlüchter NStZ 1988 58; NK-Jung Rdn. 9). VIII. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen. Tateinheit kommt 2 0 zunächst mit § 17 UWG 3 2 und § 43 BDSG in Betracht, wenn Verfügungsberechtigter und Betroffener nicht identisch sind, weil sonst die Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 4 BDSG eingreifen würde (NK-Jung Rdn. 11; Hilgendorf JuS 1996 702, 706). Die Idealkonkurrenz kann praktische Bedeutung erlangen, wenn nicht alle Strafantragsberechtigten Strafantrag stellen. Da § 202 a kein Eigentumsdelikt ist, kann Tateinheit mit § 242 gegeben sein, wenn auch der Datenträger entwendet wird (zum Erfordernis der Zueignungsabsicht dabei s. BayObLG JR 1993 253 m. Anm. Julius). Je nach dem Vorgehen des Täters kommt ferner Zusammentreffen mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung in Frage, bei gleichzeitiger Beeinträchtigung des Datenbestandes ferner mit §§ 269, 274 Abs. 1 Nr. 2, 303 a, 303 b (LackneriKühl Rdn. 8). Bei urheberrechtlich geschützten Programmen kommt auch Tateinheit mit § 106 U r h G in Betracht (Hilgendorf JuS 1996 702, 706). Die Tat ist Antragsdelikt (§ 205). 32

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Zu § 17 Abs. 2 UWG s. Neumann JuS 1990 535, 539; Fälle bei Achenbach NStZ 1991 409, 413. Bernd Schiinemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs §203

Verletzung von Privatgeheimnissen (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung, 3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft, 4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist, 4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktsgesetzes, 5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder 6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Amtsträger, 2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, 3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt, 4. Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates, 5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder 6. Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. (3) Einem in Absatz 1 Nr. 3 genannten Rechtsanwalt stehen andere Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer gleich. Den in Absatz 1 und Satz 1 Genannten stehen ihre berufsStand: 1. 8. 2000

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mäßig tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. Den in Absatz 1 und den in Satz 1 und 2 Genannten steht nach dem Tod des zur Wahrung des Geheimnisses Verpflichteten ferner gleich, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat. (4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart. (5) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.

Schrifttum 1. Ackermann Zur Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts in Strafsachen, DJT-Festschrift S. 479; Amelung Grenzen der Beschlagnahme notarieller Urkunden, D N o t Z 1984 195; Andreas Wer unterliegt als ärztlicher Gehilfe der Schweigepflicht? ArztR 1987 203; Arloth Arztgeheimnis und Auskunftspflicht bei AIDS im Strafvollzug, MedR 1986 295; Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); Ayasse Die Grenzen des Datenschutzes im Bereich der privaten Versicherungswirtschaft, VersR 1987 536; Barbey Die Schweigepflicht, das Vertrauensverhältnis und das Problem der Unparteilichkeit des psychiatrischen Sachverständigen im Strafprozeß, Der med. Sachverst. 1974 32; Barnikel Die Aufklärung der Angehörigen und die ärztliche Schweigepflicht, DRiZ 1978 182; Baur Schweigerecht und Offenbarungsbefugnis des Arztes im Rahmen der Mitteilungsvorschriften der RVO, SGb 1984 150; Bender Rechtsfragen im Zusammenhang mit Aids und Schule, NJW 1987 2903; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980); Bindokat Die erschlichene Bekanntgabe des Berufsgeheimnisses, NJW 1954 865; Blau Schweigepflicht und Schweigerecht der Fachpsychologen, NJW 1973 2234; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze und Vorträge (1967); Bockelmann Schweigepflicht und Schweigerecht des Arztes, M M W 1967 365, 2710; Bohne/Sax Der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses im deutschen Recht, Deutsche Landesreferate zum 3. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in London (1950) S. 159; Bottke Strafprozessuale Probleme massenmedialer Fahndung, ZStW 93 (1981) 425; Brandis Zur Schweigepflicht unter Ärzten, Med. Klinik 1965 353; Breuer Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, Dokumentation zur 9. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht (1986), zit. Breuer, Breuer Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, NVwZ 1986 171; Bruns Aids und Strafvollzug, StrV 1987 504; Bruns!Andreas!Debong Schweigepflicht im Krankenhaus, ArztR 1999 32; Builinger Wettbewerbsgefährdung durch präventive Wirtschaftsaufsicht, NJW 1978 2121; Czerny Schweigepflicht und Datenschutz im Krankenhaus (1992); Dahn Die öffentliche Bloßstellung in der Strafrechtsreformdiskussion (1971); Dahs Die Entbindung des Rechtsanwalts von der Schweigepflicht im Konkurs der Handelsgesellschaft, Kleinknecht-Festschrift S. 63; Damian Schweigerechte und Schweigepflichten in der Vormundschafts- und Familiengerichtshilfe sowie in der Jugendgerichtshilfe, Zeitschr. f. Sozialhilfe 1981 198; Dannecker Der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, BB 1987 1614; Dargel Die rechtliche Zulässigkeit der Bekanntgabe von HTLV-III- oder Aids-Erkrankungen der Gefangenen durch die Vollzugsbehörde, ZfStrVo 1987 156; Dierks Schweigepflicht und Datenschutz in Gesundheitswesen und medizinischer Forschung (1993); Dippel Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozeß (1986); Dyes u. Karstädt Schweigepflicht des Arztes gegenüber dem Dienstherrn eines Beamten? NJW 1961 2050; Eberbach Rechtsprobleme der HTLV-III-Infektion (AIDS), 1986; Eberbach Juristische Probleme der HTLV-III-Infektion (AIDS), JR 1986 230; Eberbach Arztrechtliche Aspekte bei AIDS, Aids-Forschung (AIFO) 1987 281; Ebermayer Der Arzt im Recht (1930); Engler Schweigerechte und Informationspflichten des Lehrers - am Beispiel von Drogenproblemen in der Schule betrachtet, RdJB 1979 62, 130; Erdsiek Zur Schweigepflicht des Arztes nach dem Tode des Patienten, NJW 1963 632; Eser Wahrnehmung berechtigter Interessen als allgemeiner Rechtfertigungsgrund (1969); Eser!Hirsch Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch (1980); Eser Medizin und Strafrecht, ZStW 97 (1985) 1; Fink Die (75)

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Schweigepflicht des Arztes und das Beamtenrecht, DÖV 1957 447; Fischer Die Schweigepflicht des Amts- oder Betriebsarztes und das Beamtenrecht, D Ö D 1985 165; Flor Beruf und Schweigepflicht - eine Gegenüberstellung, JR 1953 368; Foth Zur Schweigepflicht der freien Sozialdienste im Strafprozeß, JR 1976 7; Frels Nochmals: Die Bedeutung des § 203 Abs. 1 Ziff. 6 StGB n. F. für die private Personenversicherung, VersR 1976 511; Frey Zur Frage des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts, Pfenninger-Festschrift S. 41; Gallas Der Schutz der Persönlichkeit im Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), ZStW 75 (1963) 16; Geppert Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug (1983); Geppert Zum Einsichtsrecht des Strafgefangenen in die anstaltsärztlichen Krankenunterlagen, Festschrift z. 125jähr. Bestehen der Jur. Gesellschaft zu Berlin (1984) S. 151; Geppert AIDS und Strafvollzug, in: Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht, S. 235; Göppinger Die Entbindung von der Schweigepflicht und die Herausgabe oder Beschlagnahme von Krankenblättern, NJW 1958 241; Göppinger (Hrsg.) Arzt und Recht (1966); Göll Offenbarungsbefugnisse im Rahmen des § 203 Abs. 2 StGB, Diss. Tübingen 1980; Gottwald Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Hubmann-Festschrift S. 111 ; Grabsch Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen (1994); Gramberg-Danielsen (Hrsg.) Rechtsophtalmologie (1985); Grömig Schweigepflicht der Ärzte untereinander, NJW 1970 1209; Haas Die Schweigepflicht eines für eine in Konkurs geratene G m b H tätig gewesenen Wirtschaftsprüfers, wistra 1983 183; Habscheid Zur Schweigepflicht des Anwalts nach dem Tode seines Mandanten, AnwBl. 1964 302; Hackel Drittgeheimnisse innerhalb der ärztlichen Schweigepflicht, NJW 1969 2257; Händel Ärztliche Schweigepflicht und Verkehrssicherheit, DAR 1977 36; Händel Suizidprophylaxe und ärztliche Schweigepflicht, LeithoffFestschrift S. 555; Haffke Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, G A 1973 65; Haft Zur Situation des Datenschutzstrafrechts, NJW 1979 1194; Hammer Rechtsprobleme des Beratungsgeheimnisses in der sozialen Praxis, N Z A 1986 305; Hass Die Grenzen des anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, N J W 1972 1081; Haß Das Vertrauen des Bürgers in seine „Obrigkeit" und das Strafrecht, SchlHA 1976 3; W. Hassemer Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, wistra 1986 1; Henssler Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994 1817; Heinitz Grenzen der Zulässigkeit eigener Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen im Strafprozeß, Engisch-Festschrift S. 693; Henkel Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten f. d. 42. DJT (1957) Verh. Bd. II D 59; Herold Auskunfterteilung des Arztes an Unternehmen der Lebensversicherung, D M W 1961 357; Hillenkamp Vorsatztat und Opferverhalten (1981); Hollmann Formularmäßige Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber Versicherungsunternehmen, N J W 1978 2332; 1979 1923; Hollmann Patientengeheimnis und medizinische Forschung, MedR 1992 177; Hubmann Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretion, JZ 1957 521; Jakobs Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, JR 1982 359; Jung Der strafrechtliche Schutz des Arztgeheimnisses im deutschen und französischen Recht, Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355; Kallfelz Das ärztliche Berufsgeheimnis nach .der Reichsärzteordnung, JW 1936 1343; Kalsbach Über die Schweigepflicht und das Offenbarungsrecht des Rechtsanwalts, AnwBl. 1955 41; Kamps Datenschutz und ärztliche Schweigepflicht in Psychiatrischen Landeskrankenhäusern, MedR 1985 200; Kauder Ärztliche Schweigepflicht über die Behandlung Drogensüchtiger, StrV 1981 564; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht (1969); Kilian/Förth (Hrsg.) Juristische Probleme der Datenverarbeitung in der Medizin (1979); Kilian Rechtsfragen der medizinischen Forschung mit Patientendaten (1983); Kilian Rechtliche Aspekte der digitalen medizinischen Archivierung von Röntgenunterlagen, NJW 1987 695; Kilian Medizinische Forschung und Datenschutzrecht, N J W 1998 787; Kitz Der unantastbare Bereich der Privatsphäre, Deutsche öffentlich-rechtliche Landesreferate zum X. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Budapest (1978) S. 223; Kleinewefers! Wilts Die ärztliche Schweigepflicht gegenüber Auskunftersuchen der Haftpflichtversicherer, VersR 1963 989; Kleinewefers! Wilts Die Schweigepflicht der Krankenhausleitung, NJW 1964 428; Koch Softwarepflege und anwaltliche Schweigepflicht, CuR 1987 284; Kohlhaas Ärztliche Schweigepflicht und Meldung fahruntüchtiger Fahrer an die Verkehrsbehörde, DAR 1957 345; Kohlhaas Zur Beschlagnahme von Arztkarteien nach Entbindung von der Schweigepflicht, JR 1958 328; Kohlhaas Schweigepflicht und Auskunft an Privatversicherung, D M W 1958 1863; Kohlhaas Strafrechtliche Schweigepflicht und prozessuales Schweigerecht, GA 1958 65; Kohlhaas Schweige-

Stand: 1.8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

pflicht von Krankenwagenfahrern? D M W 1963 2356; Kohlhaas Herausgabepflicht und Beschlagnahme ärztlicher Aufzeichnungen, NJW 1964 1162; Kohlhaas Versicherungsansprüche, Vertrauensarzt und Schweigepflicht, VersR 1965 529; Kohlhaas Rotes Kreuz und Schweigerecht? NJW 1967 666; Kohlhaas Medizin und Recht (1969); Kohlhaas Zur Schweigepflicht der Psychologen, NJW 1969 1566; Kohlhaas Die Schweigepflicht der in der Medizin technisch tätigen Personen, NJW 1972 1502; Krauß Schweigepflicht und Schweigerecht des ärztlichen Sachverständigen im Strafprozeß, ZStW 97 (1985) 81; Kreuzer Die Schweigepflicht von Krankenhausärzten gegenüber Aufsichtsbehörden, NJW 1975 2232; Kühne Innerbehördliche Schweigepflicht von Psychologen, NJW 1977 1478; Kühne Die begrenzte Aussagepflicht des ärztlichen Sachverständigen vor Gericht nach §§ 53 I Nr. 3 StPO, 203 I Nr. 1 StGB, JZ 1981 647; Kühne (Hrsg.) Berufsrecht für Psychologen (1987); Kümmelmann Die anwaltliche Schweigepflicht nach dem Tode des Mandanten, AnwBl. 1984 535; Kuhns (Hrsg.) Das gesamte Recht der Heilberufe (1958); Langkeit Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht gemäß § 203 I Nr. 1 StGB, NStZ 1994 6; Laufs Krankenpapiere und Persönlichkeitsschutz, NJW 1975 1433; Laufs Arztrecht 5. Aufl. (1993); Laufs/Laufs Aids und Arztrecht, NJW 1987 2257; Laufs/Uhlenbruck Handbuch des Arztrechts 2. Aufl. (1999) - zit. Handbuch - ; Lenkaitis Krankenunterlagen aus juristischer, insbesondere zivilrechtlicher Sicht (1979); Lenckner Die Einwilligung Minderjähriger und deren gesetzlicher Vertreter, ZStW 72 (1960) 446; Lenckner Aussagepflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, NJW 1965 321; Lenckner Die Wahrnehmung berechtigter Interessen, ein „übergesetzlicher" Rechtfertigungsgrund? Noll-Gedächtnisschrift S. 243; B. Lilie Medizinische Datenverarbeitung, Schweigepflicht und Persönlichkeitsrecht im deutschen und amerikanischen Recht (1980); H. Lilie Ärztliche Dokumentation und Informationsrechte des Patienten (1980); Lin Persönlichkeitsrechtsverletzung des Patienten und Arzthaftung, iur. Diss. Regensburg 1996; Lohmeyer Das Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse, DStZ 1979 347; Lücken Schweigepflicht, Zeugnisverweigerungsrecht und Gutachtenverweigerungsrecht der Mitarbeiter einer Erziehungsberatungsstelle, der ein Arzt zugeordnet ist, RdJB 1969 289; Maas Zur Geheimhaltungspflicht der Familienhelfer, Nachrichtendienst d. Deutschen Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359; Martin Die ärztliche Schweigepflicht und die Verkehrssicherheit, DAR 1970 302; Marx Schweigepflicht und Schweigerecht der Angehörigen des Behandlungsstabs im Straf- und Maßregelvollzug, GA 1983 160; Meister HIV-Tests im Krankenhaus, K H 1999 82; Meurer AIDS und strafrechtliche Probleme der Schweigepflicht, in: Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht, S. 133; Mergen (Hrsg.) Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II (1971); Michalowski Schutz der Vertraulichkeit strafrechtlich relevanter Patienteninformationen, ZStW 109 (1997) 519; Mittelsteiner Verschwiegenheitspflicht, Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten, DStR 1976 340; Möhrenschlager Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.) Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts (2000) S. 990; Müller-Dietz Juristische Grundlagen und Dimensionen der Schweigepflicht des Arztes, in: Jung/Meiser/Müller (Hrsg.) Aktuelle Perspektiven des Arztrechts (1989) S. 39; K. Müller Die Schweigepflicht im ärztlichen Standesrecht, M DR 1971 965; Narr Ärztliches Berufsrecht 2. Aufl. (1977 ff); Niedermair Verletzung von Privatgeheimnissen im Interesse des Patienten? in: Roxin/Schroth (Hrsg.) Medizinstrafrecht (2000) S. 363; Niemeyer Geschäftsgeheimnisse, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.) Wirtschaftsstrafrecht 3. Aufl. (2000) S. 815; Noll Geheimnisschutz und Zeugenpflicht, Gerwig-Festgabe S. 135; Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit, ZStW 77 (1965) 1; Oehler (Hrsg.) Der strafrechtliche Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft sowie in Österreich und der Schweiz Bd. I (1978); Ottens Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ehrenamtlich tätige Bürger, Ehrenbeamte und Gemeindevertreter nach Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, Gemeinde 1975 337; Ostendorf Die öffentliche Identifizierung von Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden als Straftat, GA 1980 445; Ostendorf Der strafrechtliche Schutz von Drittgeheimnissen, JR 1981 444; K. Peters Recht und Beratung, Jugendwohl 1976 275; Pickel Geheimhaltung und Offenbarung von Daten im Sozialrecht, M D R 1984 885; Rehberg Ärztliches Berufsgeheimnis und gesetzlicher Vertreter des Patienten, F. Schwarz-Festgabe S. 23; ReichertzlKilian ArztgeheimnisDatenbanken-Datenschutz (1982); Rein Die Bedeutung der §§ 203 ff StGB n.F. für die private Personenversicherung, VersR 1976 117; Rein Der Schutz der Geheimnisse Verstorbener und

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Dritter in der privaten Personenversicherung, VersR 1977 121; Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979); Rieger Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Schweigepflicht bei der Behandlung von Simulanten, D M W 1975 567; Rieger Zur Schweigepflicht der Medizinstudenten, D M W 1976 1298; Rieger Schweigepflicht des Krankenhausarztes bei der Ausfüllung von Formularen für Kostenträger, D M W 1979 1552; Rieger Schweigepflicht für Hämodialyse-Techniker? D M W 1979 1733; Rieger Lexikon des Arztrechts (1983); Rieger Schweigepflicht bei ärztlichen Zeugnissen und Gutachten für psychisch Kranke, D M W 1986 1775; Roeder Wahrheitsbeweis und Indiskretionsdelikt, Maurach-Festschrift S. 347; Rogali Die Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), NStZ 1983 1; Roxin Die notstandsähnliche Lage - ein Strafunrechtsausschließungsgrund? Oehler-Festschrift S. 181; Roxin Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, Jescheck-Festschrift S. 457; Rudolphi Der strafrechtliche und strafprozeßrechtliche Schutz der Geheimsphäre der anerkannten Schwangerschaftskonfliktsberatungsstellen pp., Bemmann-Festschrift S. 412; Riiping Schweigepflicht - Möglichkeiten und Grenzen, Internist 1983 206; Rupp Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des „bösgläubigen" Softwareerwerbers, wistra 1985 137; Sauter Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz (1910); H. Schäfer Der Konkursverwalter im Strafverfahren, wistra 1985 209; Schenker Teamarbeit und Schweigepflicht, Zentralbl. f. Jugendrecht u. Jugendwohlfahrt 1975 222; Schilling Strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen? JZ 1976 617; Schimmelpfeng (Hrsg.) Aktuelle Beiträge über den Datenschutz (1977); Schlink Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, Der Staat 25 (1986) 233; Schlund Zu Fragen der ärztlichen Schweigepflicht, JR 1977 265; Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht (1939); Eb. Schmidt Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses (1951); Eb. Schmidt Berufsgeheimnis und Steuerrecht, JZ 1951 211; Eb. Schmidt Ärztliche Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht im Bereiche der Sozialgerichtsbarkeit, NJW 1962 1745; G. Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 741; Schmitz Verletzung von (Privat-)Geheimnissen, JA 1996 772, 949; Scholz Schweigepflicht der Berufspsychologen und Mitbestimmung des Betriebsrats bei psychologischen Einstellungsuntersuchungen, NJW 1981 1987; Schreiner Drittgeheimnisse und Schweigepflicht, Diss. Heidelberg 1974; Schuegraf Schweigepflicht des Arztes gegenüber dem Dienstherrn eines Beamten? N J W 1961 961; Schünemann Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11; Schiinemann Die Zukunft der Viktimo-Dogmatik, Festschrift für Faller S. 357; Schünemann Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 193, 439; Schünemann Die Funktion der Abgrenzung von Unrecht und Schuld, in Schünemann/ Figueiredo Dias (Hrsg.) Bausteine des europäischen Strafrechts (1995), S. 149; Schünemann AIDS und Strafrecht, in: Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht, S. 9; Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.) Die Rechtsprobleme von AIDS (1988); Schürmann Der Begriff des „berufsmäßig tätigen Gehilfen" in Paragraph 203 Abs. III StGB und ehrenamtliche Tätigkeit, ArztR 1978 9; Schütte Die Schweigepflichtentbindung in Versicherungsanträgen, NJW 1979 592; Schuschke Rechtsfragen in Beratungsdiensten (1978); Schwalm Die Schweigepflicht des ärztlichen (zahnärztlichen) Sachverständigen, Med. Klinik 1969 1722; Schwalm Strafrechtlicher Persönlichkeitsschutz und die Schranken der Persönlichkeitsentfaltung, Küchenhoff-Festschrift S. 681; Seiler Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre (1960); Solbach Kann der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden werden, wenn der Patient verstorben oder willensunfähig ist? DRiZ 1978 204; Stucke Berufliche Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen als Vertrauensschutz, Diss. Kiel 1981; Stürner Die gewerbliche Geheimsphäre im Zivilprozeß, JZ 1985 453; Suppen Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage" (1973); Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht (1996); Tenckhoff Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der Beleidigungstatbestände (1974); Teyssen-Goetze Vom Umfang staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsrechte am Beispiel des kassenärztlichen Abrechnungsbetrugs, NStZ 1986 529; Thole Die Klassifizierung der Gefangenen im Erwachsenenvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen, MSchrKrim. 1975 261; Tiedemann Rechtsnatur und strafrechtliche Bedeutung von technischem know how, ν. Caemmerer-Festschrift S. 643; Tiedemann Datenübermittlung als Straftatbestand, NJW 1981 945; Timm Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht (1988); Tobinsky Zur Strafbarkeit des Arztes, der bei der Abrechnung seiner privatärztlichen Tätigkeit sog. „Privatärztliche Verrechnungsstellen" einschaltet (1991); Vogelbruch Die Auskunftspflicht der einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegenden rechts- und

Stand: 1. 8. 2000

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steuerberatenden Berufe gegenüber der Finanzbehörde, DStZ 1978 340; Vollkommer (Hrsg.) Datenverarbeitung und Persönlichkeitsschutz (1986); Vollmer Körperlich-geistige Mängel, Verkehrssicherheit und ärztliche Schweigepflicht (1986); Weichbrodt Die Pflichten beamteter Arzte bei der Abwendung eines Hungerstreiks, NJW 1983 311; Weigend Über die Begründung der Straflosigkeit bei Einwilligung des Betroffenen, ZStW 98 (1986) 44; Weihrauch Zur Entbindungsbefugnis des Konkursverwalters von der Schweigepflicht, JZ 1978 300; Welp Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihren strafprozessualen Funktionen, Gallas-Festschrift S. 391; Wiebel Das Berufsgeheimnis in den freien Berufen (1970); Wilts Anzeigepflichten des Arztes aus vorangegangenem Tun? N J W 1966 1837; Woesner Fragen ärztlicher Geheimhaltungspflicht, NJW 1957 692; Wolff Der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses (1908); Würtenberger Der Schutz des Berufsgeheimnisses und das Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters, H. Peters-Gedächtnisschrift S. 923; Zieger Zur Schweigepflicht des Anstaltsarztes, StrV 1981 559; Zimmermann Die heterologe künstliche Insemination und das geltende Zivilrecht, FamRZ 1981 929. 2. Spezialliteratur zum Betriebsarzt: Buddel Witting Funktion und rechtliche Stellung des Betriebsarztes in privatwirtschaftlichen Unternehmen (1984); Buddel Witting Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, MedR 1987 23; Däubler Die Schweigepflicht des Betriebsarztes - ein Stück wirksamer Datenschutz? BB 1989 282; Eiermann Die Schweigepflicht des Betriebsarztes bei arbeitsmedizinischen Untersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, BB 1980 214; Hess Schutz von Patientendaten in arbeitsmedizinischen Diensten, DÄB1. 1978 1055; Hinrichs Nochmals: Zur Frage der Schweigepflicht des Betriebsarztes, BB 1976 1273; Hinrichs Rechtliche Aspekte zur Schweigepflicht der Betriebsärzte und des betriebsärztlichen Personals, DB 1980 2287; Kierski Die Schweigepflicht und die Haftung des Werksarztes, BB 1964 395; Kierski Zur Frage der Schweigepflicht des Betriebsarztes, BB 1976 842; Kilian Rechtliche Aspekte heutiger betriebsärztlicher Informationssysteme, BB 1980 893; Kilian Verwendung und Weitergabe arbeitsmedizinischer Informationen, BB 1981 985; Koch Entbindung des Werksarztes von der Schweigepflicht, DB 1958 1040; Krause Werksärztlicher Dienst und ärztliche Schweigepflicht, DB 1965 1743; Schäcker Zur Schweigepflicht der Angehörigen werksärztlicher Abteilungen, BB 1964 968; Schal Die Schweigepflicht des Betriebsarztes (1989); Schimke Die Schweigepflicht des Betriebsarztes bei freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz, BB 1979 1354; Schmid Eignungsuntersuchungen und ärztliche Schweigepflicht im Rahmen des werksärztlichen Dienstes, BB 1968 954; Wunderlich Die Rechtsstellung des Betriebsarztes (1995); Zöllner Daten- und Informationsschutz im Arbeitsverhältnis (1982). 3. Schrifttum zur Schweigepflicht im Behördenverkehr und zum Sozialdatenschutz: Barbey Amtshilfe durch Informationshilfe und „Gesetzesvorbehalt", Festschrift z. 125jähr. Bestehen d. Jur. Gesellschaft zu Berlin S. 25; Behm Zum Strafrechtsschutz für Fahrzeug- und Halterdaten (§ 39 Abs. 1 StVG) gem. § 203 Abs. 2 StGB, JR 2000 274; Borchert Die ärztliche Schweigepflicht nach Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes, ArztR 1990 171; Breer-Kohler Amtshilfe, VerwRdsch. 1987 114; Brodersen Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999, NJW 2000 2536; Bruns Die Schweigepflicht der sozialen Dienste der Justiz (1996); Damian Geheimnisschutz und Offenbarungspflichten in der Bewährungshilfe, BewHi 1992 325; Franzheim Informationspflichten in Strafsachen im Konflikt mit dem Daten- und Geheimnisschutz, Z R P 1981 6; Frommanl MörsbergerlSchellhorn Sozialdatenschutz (1985); Groß!Fünfsinn Datenweitergabe im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, NStZ 1992 105; Hardtung Auskunftspflicht der Sozialbehörden nach § 69 I Nr. 1 SGB X im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, NJW 1992 211; Haus Der Sozialdatenschutz im gerichtlichen Verfahren, NJW 1998 3126; Harthun Der Schutz privater Geheimnisse bei der Entscheidung über Anträge auf Übersendung sozialgerichtlicher Verfahrensakten, SGb 1977 181; Harthun Wer kann die Einwilligung nach § 67 SGB X erteilen? SGb 1983 511 ; Heckel Behördeninterne Geheimhaltung, NVwZ 1994 224; Kerl Staatsanwalt und Sozialgeheimnis, NJW 1984 2444; Knemeyer Geheimhaltungsanspruch im Kartellverfahren, DB 1984 Beil. 18/84; Knemeyer Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984 2241; Kunkel Justiz und Sozialdatenschutz, StV 2000 531; Lang Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten und die ärztliche Schweige(79)

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

pflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (1997); Maier Die Sphinx des Sozialgeheimnisses bei besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten, SGb 1983 89; Mallmann-Waltz Schutz der Sozialdaten nach dem neuen Sozialgesetzbuch, NJW 1981 1020; Meyer-Teschendorf Die Amtshilfe, JuS 1981 187; Mörsberger (Hrsg.) Datenschutz im sozialen Bereich (1981); Mörsberger Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz (1985); C. Müller Weitergabe amtsärztlicher Gutachten an den Dienstherrn, NJW 1966 1152; Ostendorf Ois Informationsrechte der Strafverfolgungsbehörden gegenüber anderen staatlichen Behörden im Widerstreit mit deren strafrechtlichen Geheimhaltungspflichten, DRiZ 1981 4; Pieroth Die planende Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit, JuS 1981 625; Prochnow Geheimhaltung und Einsichtsrecht bei der Akteneinsicht im Sozialverwaltungsverfahren, H. Grüner-Festgabe S. 463; Proksch Sozialdatenschutz in der Jugendhilfe (1996); Rasmussen Sozialdatenschutz in der Praxis (1997); Schatzschneider Die Neuregelung des Schutzes von Sozialdaten im Sozialgesetzbuch-Verwaltungsverfahren, M D R 1981 6; Schenkel Keine berufsbezogene Schweigepflicht hauptamtlicher Bewährungshelfer nach § 203 I Nr. 5 StGB, NStZ 1995 67; Schlink Die Amtshilfe (1982); Schlink Datenschutz und Amtshilfe, NVwZ 1986 249; K. Schmidt Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, iur. Diss. Göttingen 1985; W. Schmidt Amtshilfe durch Informationshilfe, Z R P 1979 185; Schnapp Amtshilfe, behördliche Mitteilungspflichten und Geheimhaltung, NJW 1980 2165; Schnapp Grenzen der Amtshilfe in der Sozialversicherung, Wannagat-Festschrift S. 449; Steinbömer Amtshilfe und Geheimhaltungspflichten, DVB1. 1981 340; Schwan Datenschutz, Vorbehalt des Gesetzes und Freiheitsgrundrechte, VerwArch. 1975 120; Vogel Zum strafrechtlichen Schutz des Sozialgeheimnisses, iur. Diss. Münster 1994; Walter Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden und Arbeitsämter in Ermittlungs- und Strafverfahren, NJW 1978 868; WillenbücherlBorcherding Die Offenbarung von Sozialdaten, ZfSH/SGB 1988 122; Wollweber Iustitias langer Arm - Analyse und Kritik des Justizmitteilungsgesetzes, NJW 1997 2488; Würthwein Innerorganisatorische Schweigepflicht im Rahmen des § 203 StGB, iur. Diss. Tübingen 1992. Entstehungsgeschichte D i e Verletzung v o n Privatgeheimnissen ist i m S t r a f r e c h t lange k o n t u r e n l o s geblieben; w e n n ü b e r h a u p t , so suchte m a n die Preisgabe v o n I n t i m t a t s a c h e n m i t d e n K a t e g o r i e n d e r F ä l s c h u n g , d e r Beleidigung, a u c h des B e t r u g s zu e r f a s s e n (Finger V D B Bd. 8 S. 293, 301). Gesetzlich v e r a n k e r t e Schweigepflichten finden sich z w a r f ü r Ä r z t e i m 17. J a h r h u n d e r t ( S a u t e r S. 20; Wiebel S. 6 0 f , z u r w o h l ü b e r s c h ä t z t e n Bedeut u n g des h i p p o k r a t i s c h e n Eides S. 49 fi), n a c h d e m A n w ä l t e n bereits die Reichsk a m m e r g e r i c h t s o r d n u n g v o n 1495 Verschwiegenheit g e b o t e n h a t t e ( S a u t e r S. 14). A b e r erst d a s P r e u ß i s c h e A L R v o n 1794 b e d r o h t e d e n B r u c h der Verschwiegenheit v o n M e d i z i n a l p e r s o n e n - als Verletzung v o n im öffentlichen Interesse gelegenen Sonderpflichten - mit Strafe (§ 505 Teil II Tit. 20). In den E n t w ü r f e n f ü r d a s Preußische S t G B v o n 1851 f a n d sich e i n g e s t a n d e n e r m a ß e n z u n ä c h s t keine p a s s e n d e Stelle d a f ü r (Goltdammer D i e Materialien z u m Strafgesetzbuche f ü r die P r e u ß i s c h e n S t a a t e n Teil II [1852] S. 327f; Wolff S. 22). D a s Gesetz selbst o r d n e t e d e n T a t b e s t a n d s o d a n n d e n E h r v e r l e t z u n g e n zu u n d erstreckte ihn auf alle, d e n e n ein Privatgeheimnis k r a f t ihres A m t e s , S t a n d e s o d e r G e w e r b e s a n v e r t r a u t w o r d e n w a r (zu d e n a n d e r e n P a r t i k u l a r rechten des 19. J a h r h u n d e r t s Finger V D B Bd. 8 S. 293, 346). D a r a n a n k n ü p f e n d zählte d a s R S t G B v o n 1871 d e n K r e i s d e r tauglichen T ä t e r e n u m e r a t i v auf, stellte d e n Tatb e s t a n d aber als § 300 in den 25. A b s c h n i t t - S t r a f b a r e r E i g e n n u t z u n d Verletzung f r e m d e r G e h e i m n i s s e - ein. D i e Vorschrift galt so bis 1975, n a c h d e m A r t . 2 N r . 43 des 3. S t R Ä n d G spezialgesetzliche R e g e l u n g e n f ü r M e d i z i n a l p e r s o n e n , welche a b 1935 erlassen w o r d e n waren, 1 wieder in d a s S t G B z u r ü c k g e f ü h r t hatte. 1

§ 13 Reichsärzteordnung v. 13.12.1935 (RGBl. I S. 1433); § 24 Reichsapothekerordnung v. 18.4. 1937 (RGBl. I S. 457); Krankenpflege: § 19 VO v. 28.9.1938 (RGBl. I S. 1310); Säuglings- und

Kinderpflege: § 20 VO v. 15.11.1939 (RGBl. I S. 2239); med.-techn. Gehilfen: § 30 VO v. 17. 2. 1940 (RGBl. I S. 371); Wochenpflegerinnen: § 6 VO v. 7. 2. 1943 (RGBl. I S. 87).

Stand: 1.8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

Den Anforderungen eines effektiven Geheimnisschutzes gegenüber der sich ausdehnenden Eingriffs- und Leistungsverwaltung trug der Gesetzgeber daneben in immer zahlreicheren Vorschriften des Nebenstrafrechts Rechnung (Göhler NJW 1974 825, 831 Fn. 88; Schulz GA 1962 274). Bereits seit der Einführung der Gewerbefreiheit hatte sich ferner die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sicherung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ergeben, welche den mit der Genehmigung, Überwachung und Versicherung gewerblicher Tätigkeit befaßten Personen zugänglich waren. Solche Vorschriften wurden daher ebenfalls in großer Zahl geschaffen (Finger VDB Bd. 8 S. 293, 371; zum anders gearteten UWG und seiner Geschichte Arians in Oehler S. 307, 347). Das EGStGB faßte mit Wirkung vom 1. Januar 1975 alle diese Vorschriften im neuen § 203 zusammen und dehnte den Kreis der schweigepflichtigen Personen aus. In Absatz 2 Satz 2 ist ferner der Datenschutz gegenüber der öffentlichen Verwaltung als Geheimnisschutz ausgestaltet. Seitdem hat es nur noch Detailanpassungen des schweigepflichtigen Personenkreises gegeben, vor allem bezüglich der Schwangerschaftskonfliktsberater (zuletzt SFHÄndG vom 21.8.1995, BGBl. I S. 1050) und der Rechtsberatungsberufe (zuletzt BRAOÄndG vom 31.8.1998, BGBl. I S. 2600, und BNotOÄndG vom 25.8.1998, BGBl. I S. 2585), an die betreffende Regelung des Beratungswesens. Ferner hat das StVÄG 1999 vom 2. August 2000 (BGBl. I 1253) in Art. 3 die zur Geheimhaltung förmlich verpflichteten Teilnehmer von Forschungsvorhaben in die strafrechtliche Verantwortung einbezogen. Gesetzesmaterialien: E 1962 § 185 bis § 186a, Begründung S. 326ff; AE §§ 145, 149, 150; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 Art. 18 Nr. 80, Begründung S. 237ff; Prot. 7/176ff, 417; 1060, 1696, 1707; Schriftl. Bericht des Sonderausschusses BTDrucks. 7/1261 S. 15f. Übersicht Rdn. I. Allgemeines 1. Übersicht 2. Verhältnis zu anderen Delikten 3. Grund der Strafdrohung . . . 4. Rechtspolitische Fragen . . . a) Indiskretionsdelikt . . . . b) Abgrenzung des Täterkreises . c) Schweige- und Oflenbarungspflicht II. Zusammenhang mit anderen Vorschriften 1. Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbot 2. Berufsrechtliche Vorschriften . . . 3. Andere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz 4. Datenschutz 5. Landesrecht III. Rechtsgut 1. Individualsphäre als geschütztes Rechtsgut 2. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik IV. Tathandlung 1. Geheimnisbruch (81)

1 1 2 3 6 6 7 8 9 9 10 11 12 13 14 14

16 18 19

Rdn. a) Begriff des Geheimnisses . aa) Gegenstand bb) Geheimsein cc) Geheimhaltungswille . dd) Objektives Geheimhaltungsinteresse ee) Beispiele b) Fremdes Geheimnis c) Erlangung in beruflicher Eigenschaft aa) Qualifizierte Funktion bb) Private Kenntnis cc) Drittgeheimnis dd) Beispiele d) Offenbaren aa) Begriff bb) Behördenverkehr 2. Datenweitergabe (Absatz 2 Satz 2) a) Verhältnis zu Satz 1 b) Einzelangaben c) Erfassung für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung . d) Offenbaren e) Amtshilfe 3. Postmortaler Geheimnisschutz

Bernd Schünemann

..

..

19 20 22 24 27 29 30

. .

34 35 38 39 40 41 41 44 47 48 49

..

50 52 53 54

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs Rdn.

V. Täterschaft 1. Taugliche Täter a) Übersicht b) Täterschaft bei unwirksamen Bestellungsakten c) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . 2. Täterkatalog des Absatzes 1 . . . 3. Täterkatalog des Absatzes 2 . . . 4. Gehilfen und zur Berufsvorbereitung Tätige a) Gehilfe b) Zur Berufsvorbereitung Tätige 5. Schweigepflicht nach Absatz 3 Satz 2 a) Absatz 3 Satz 2 1. Alternative b) Absatz 3 Satz 2 2. Alternative VI. Innere Tatseite 1. Subjektiver Tatbestand 2. Erlaubnistatbestandsirrtum ... 3. Verbotsirrtum VII. Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluß durch Einverständnis bzw. Einwilligung 1. Verbrechenssystematische Einordnung 2. Einwilligungsfähigkeit 3. Erklärungsberechtigter a) Überblick b) Eigengeheimnis c) Drittgeheimnis d) Insolvenzfall e) Betroffener 4. Sonstige Wirksamkeitsvoraussetzungen a) Willensmängel b) Inhalt c) Widerruf d) Form e) Stillschweigende Einwilligung 5. Reichweite der Einwilligung . . . a) Beschränkbarkeit b) Auslegungsregeln c) Praxisübertragung d) Untersuchung 6. Offenbarungsbefugnisse der Hilfspersonen 7. Befreiung nach dem Tode des Betroffenen 8. Zukünftige Bedeutung VIII. Rechtswidrigkeit im übrigen 1. Bedeutung des Merkmals „unbefugt"

Rdn.

58 58 58 59 60 61 71 76 77 83 84 85 86 87 87 88 90

91 92 94 96 96 97 99 101 102 103 103 104 105 106 107 108 108 109 110 112

IX.

X.

114 XI. 117 118

XII.

119

XIII.

Stand: 1.8. 2000

2. Gesetzliche Offenbarungspflichten 3. Einzelne Offenbarungspflichten . a) Zivilrecht b) Notar c) Kassenarzt d) Sachverständiger e) Jugendgerichtshilfe f) Zeugen g) Datenschutzgesetz 4. Offenbarungsbefugnisse a) Mutmaßliche Einwilligung . . b) Berechtigtes Interesse c) Rechtfertigender Notstand . . aa) Honorarklage u. ä bb) Rechtsgüter der Allgemeinheit cc) Verhütung von Krankheiten, Straftaten und Fehlurteilen dd) Rechtgüter des Betroffenen ee) Keine Offenbarungspflicht 5. Behördenverkehr. Amtshilfe . . . a) Offenbarung nach außen . . . aa) Sozialgeheimnis bb) Justizbereich cc) Presserecht b) Informationsaustausch innerhalb der Verwaltung . . . c) Amtshilfe 6. Innerdienstliche Offenbarungsbefugnisse 7. Sonderformen ärztlicher Tätigkeit a) Amtsarzt b) Betriebsarzt c) Anstaltsarzt Teilnahme 1. Garantensonderdelikt 2. Erlaubnistatbestandsirrtum des intraneus 3. Persönliches Merkmal Qualifikationen (Absatz 5) 1. Handeln gegen Entgelt 2. Bereicherungsabsicht 3. Schädigungsabsicht 4. Teilnehmer Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen Verfahrensrecht und internationales Strafrecht Recht des Einigungsvertrages . . . .

120 121 121 123 124 125 127 128 129 130 130 131 132 133 136

139 143 144 145 145 146 147 149 150 152 154 155 155 156 157 158 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

Stichwortverzeichnis Zahlen = Randnummer Abbildungen: - s verkörpertes Geheimnis Abgeordneter 74 Abrechnungsbtrug - des Kassenarztes 124 Abtretung - von Honorarforderungen 110 AGB 118 AIDS 16, 139 AIDS-Berater 16 Amtsarzt 155 Amtshilfe - s Behördenverkehr Amtshilfefestigkeit - von Geheimnissen 150-153 Amtsnahe Personen - s Amtsträger Amtsträger 71 Amtsverschwiegenheit 11 Angehörige - Unterrichtung 130 Angriffsobjekt - Geheimnis 20 Anonymisierung 42 Anstaltsarzt 45, 157 Anstiftung - s Täterschaft und Teilnahme Anvertrauen - s Anvertrauungsverhältnis Anvertrauensverhältnis 24, 34 Anwalts-GmbH 111 Arbeitgeber - neugieriger 14 Arbeitsmedizin - s Betriebsarzt Arbeitsrecht - s Arbeitgeber, Betriebsarzt Arzt 36,61, 155-157 Art-Patienten-Beziehung - als vermeintliches Rechtsgut 15 Ärzte - als Amtsträger 45 Amtsverschwiegenheit 1 Aufgaben - der öffentlichen Verwaltung 50 Auflage der Geheimhaltung 24 Aufzeichnungen - s verkörpertes Geheimnis Auskunftsanspruch - s Presserecht Aussagegenehmigung - des Dienstherrn 128 Aussageverweigerungsrecht - s Zeugnisverweigerungsrecht Ausschreibungsunterlagen 29 Ausspähung 22 Ausschüsse 74 Auswertungsmonopol 7 Auszubildende - s Berufsvorbereitung (83)

Bagatellfälle 27 Bagatellgeheimnis - s Bagatellfälle Bankgeheimnis 71 Behördenverkehr - externer 37, 44, 53 - interner 37, 44 Beihilfe - s Täterschaft und Teilnahme Belanglosigkeiten - s Bagatellfälle Beratungsdienste 67 Berechtigtes Interesse - als Rechtfertigungsgrund 131 Bereicherungsabsicht 163 Berufsvorbereitung 83 Berufsbild des Täters - Abgrenzung zu sonstiger Tätigkeit 35 Berufsethos - als vermeintliches Rechtsgut 15 Berufsfremde Tätigkeit 35 Berufsgeheimnis - s Betriebsgeheimnis - und Lauschangriff 4 Berufspsychologe - s Psychologe Berufsrecht 10 Berufsverschwiegenheit 1 Berufsvorbereitung - zur - tätige Personen 76, 77, 78 Beschlagnahme 9 Beschlagnahmeverbot 9 Bestimmtheitsgrundsatz 48 Bestimmungsgemäßer Gebrauch 44 Bestrafungsgebot - s Pönalisierungsgebot Betäubungsmittelabhängigkeitsberatung - s Drogenberatung Beteiligung - s Täterschaft und Teilnahme Betriebsarzt 156 Betriebsgeheimnis 5, 11, 12, 20, 21, 22, 29,42 Bewährungshelfer 37 Bewerbungsgespräch 40 Bloßstellung - öffentliche 6 Bockelmann-Formel - Geheimsein einer Tatsache 22 Bremer Schülerberatung 14 Bürogemeinschaft 109 Computerservice 41, 78, 80, 142 Datenpreisgabe 18,47 Datenschutz 12 Datenweitergabe 47 DDR - Funktionsträger 71, 168 DDR-Alttaten 168 Defloration 29 Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Deliktsaufbau 92 Denkender Gehorsam des Gesetzesinterpreten 17 Disziplinarvorgänge - als Geheimnis 29 Drittgeheimnis 33, 39 - isoliertes 39 - verknüpftes 33, 39 Drittgläubigererklärung 75 Drittschutz - bei Gefahrpotentialen 87 Drogenberatung 9 Drogenkonsum 29 EDV 72 EDV-Wartungsdienst - s Computerservice Eheberater 9, 16 Ehrenamtliche Helfer 82 Ehrenschutz - Verhältnis des § 203 StGB zum 2 Eidesstattliche Versicherung 27 Eigengeheimnis 97 Eigentum - mit einem Geheimnis „belastetes" - 19 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb - s Gewerbebetrieb Einheit der Rechtsordnung 72 Einsichtnahme - in Unterlagen 41 Einsichtsrecht - des Patienten 98 - Ausschluß der Geheimnisqualität 22 Einverständnis - tatbestandsausschließendes 91 Einverständnisfahigkeit 94 Einwilligung - ausdrückliche 66 - Erklärungsberechtigter 95-100 - konkludente 107 - mutmaßliche 25 - rechtfertigende 91, 92, 93 - Umfang 67 - Widerruf 105 Einwilligungsfähigkeit - s Einverständnisfähigkeit Einwilligungszuständigkeit 39, 92, 96 - beim Geschäftsgeheimnis 95 Einzelangaben 47, 49 Embryo - s Leibesfrucht Entstehungsgeschichte vor 1 Epidemiologie 8 Erbe 72 Erbfall - s Tod Erbstreitigkeiten 56 Erfassung 51 Erlangung - in beruflicher Eigenschaft 34, 38,40 Erlaubnistatbestandsirrtum 88 - beim Tatmittler 88 Erschlichene Bekanntgabe 115

Erziehungsberater 16, 67 EU 71 Factoring 70 Faktische Betrachtungsweise 59 Fallschilderungen - in wissenschaftlichen Publikationen 42 Familienanamnese 39 Fehlgehen - der Mitteilung an einen Dritten 41 Fötus - s Leibesfrucht Forschungsvorhaben 76 Fremdgeheimnis - s Drittgeheimnis Fremdheit - des Geheimnisses 30 Funktionale Betrachtung 35, 44, 45 Funktionelle Zuständigkeit 44 Funktionsausübung - durch den Täter 35 Funktionseinheit - als zum Wissen berufene 43, 44 Garantensonderdelikt 46, 58, 158, 160 Gegenstand - des Geheimnisses 20 Geheimer Vorbehalt 38 Geheimhaltung - Entstehung einer Pflicht zur - 9 Geheimhaltungsinteresse - objektives 19, 27 - subjektives 19, 24, 25 Geheimhaltungswille 19, 24, 25 Geheimheit - s Geheimsein Geheimnis - Angriffsobjekt 41 - Begriff 19 - bei nichtöffentlicher Verhandlung 23, 42 - bei öffentlicher Verhandlung 23 - Disziplinarvorgänge 29 - Erschaffen durch Vergessen 23 - Fremdheit 30 - Gegenstand 20 - gemeinschaftliches 30 - interner Gebrauch 43 - kaufmännisches 21 - negatives 20 - positives 20 - privat erfahrenes 38 - technisches 21, 23 - Verfügungsbefugnis über 14 - verknüpftes s Drittgeheimnis - verkörpertes 19 - verratenes 22 - Zerstörung durch Geschwätzigkeit 25 Geheimnisbruch 18 Geheimnisoffenbarung - indirekte 62 Geheimnisträger - Juristische Person 31, 100 - Natürliche Person 14

Stand: 1.8. 2000

Verletzung von Privatgeheimnissen Gewahrsamsbruch - als Analogon des Geheimnisbruchs 19,26 Geheimnisschutz - postmortaler 54, 55, 56, 57 - System 11 Geheimsein 19, 22 Geheimsphäre 4 Geheimwerden 23 Gehilfen - s Hilfspersonen Geisteskranke - Betroffene 26 Geistlicher 9 Geldwäsche 74 Gemeinfreiheit 25, 55 Gerichtshilfe 79 Gerücht 22 Geschäftsgeheimnis - s Betriebsgeheimnis Geschäftssphäre - s Betriebsgeheimnis Geschwätzigkeit - Zerstörung des Geheimnisses 25 Gewerbebetrieb - eingerichteter und ausgeübter 20 Halterauskunft 48 Hauptschweigepflichtiger - Gehilfe 116 Hausbesuch - des Arztes 40 Heilpraktiker - Recht zum Ausplaudern 16 Hilfsberufe - des Arztes 61 Hilfspersonen 43, 77-82 Hippokratischer Eid - s medizinethische Codices Historische Forschung 55 HIV - s AIDS Hochstapler 59 Honorarklage 133 Identifizierbarkeit 42 IM 168 Indiskretion 6, 39 Indiskretionsdelikt - allgemeines 6, 39 Individualrechtsgut - s viktimodogmatisches Prinzip Individualsphäre 4, 14 Informationelle Selbstbestimmung 24 Inkriminierungsgebot - s Pönalisierungsgebot Innere Tatseite 87 Insolvenz 35, 101 Insolvenzverwalter - als neuer Berechtigter 35, 101 Interner Gebrauch - von Geheimnissen 43 Intimsphäre 4, 15 (85)

§203

Isoliertes Geheimnis - s Drittgeheimnis, isoliertes Jedermannskenntnis - s Offenkundigkeit Journalist 9 - ärztlicher 36 Jugendberater 16 Jugendgerichtshilfe 127 Jugendhilfe 127 Juristische Person - als Geheimnisträger 14,31,100 - des öffentlichen Rechts 32 Justizvollzugsanstalt 157 Kassenarzt 124 Kastration 29 Kaufmännisches Geheimnis 21 Kenntnisnahmemöglichkeit - s Zugang Kindesmißbrauch - s Kindesmißhandlung Kindesmißhandlung 140 Klatsch - s offenes Geheimnis Know-How 21 Kollektivrechtsgut 14 Konkretheit 42 Konkretisierungsgrad 42 Konkurrenzen 2 Konsiliararzt 107 Kraftfahrer - gefährlicher 140 Krankenhaus 80 Krankenwagenfahrer 79 Krebsregister 119 Kreis der Wissenden 22,41 Kreis der Wissendürfenden 41 Kriminalpolitik - s Rechtspolitik Landesrecht 13 Lauschangriff - Großer - 4 Leibesfrucht 30 Leserbrief 36 Lüge 20 Luxushandlung - Beiziehung bestimmter Personen als - 16 Mediator 63 Medizinethische Codices vor 1 Mentalreservation - s geheimer Vorbehalt Mißbrauchsabwehr 28 Mitteilung an den Betroffenen - Vertreter 43 Mittelbare Täterschaft 158 Mutmaßlicher Wille 19 Nachfolge - in eine Vertrauensstellung 40

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Nachverrat - s Geheimnis, verratenes Natürliche Person - als Geheimnisträger 14 Natur der Sache 24 Nasciturus - s Leibesfrucht Negatives Geheimnis - Fehlen von Umständen 20 Negative Tatbestandsmerkmale 119 Nichtöffentliche Verhandlung - Ausschluß der Geheimnisqualität 9, 23, 42 Notar 64, 123 Notstand 132 - für Rechtsgüter der Allgemeinheit 136 - rechtfertigender 132-144 nulla poena sine lege - s Bestimmtheitsgrundsatz Obduktionsbefund 57 Offenbaren 18,41,43,52 Offenbarung - s Offenbaren Offenbarungsbefugnisse 130-144 Offenbarungspflichten 120-129 - innerdienstliche 154 Offenbarungszwänge - faktische 16 Offenes Geheimnis - contradictio in se 22 Offenkundigkeit 9, 22, 23, 49 - Patente 23 Öffentliche Aufgabenerfüllung 71 Öffentliche Bekanntgabe 41 Öffentliche Verhandlung - Ausschluß der Geheimsnisqualität 23 Öffentlichen Verwaltung - Aufgaben 50 Ontologie - s Natur der Sache PACS 41 Parlamentsausschüsse - s Ausschüsse Patentanwalt 66 Patente - Offenkundigkeit 23 Pausengespräch - Lehrer mit Schüler 40 Personal - s Hilfspersonen Personalvertretung 73 Persönlichkeitsrecht - allgemeines aus G G und E M R K 4 Pflichtenkollision 120 Pönalisierungsgebot 4 Politische Äußerungen 20 Positives Geheimnis - Vorliegen von Umständen 20 Postmortaler Geheimnisschutz 30, 54, 55, 56 Praxisübernahme 40, 110 Praxisübertragung - s Praxisübernahme

Presserecht 149 Private Unterhaltung - mit dem Arzt 40 Privatärztliche Verrechnungsstelle 70 Privatgeheimnis - s Individualsphäre Privatrechtsverkehr - von Hoheitsträgern 32 Privatsphäre 4, 15, 20 Prozeßagenten - Recht zum Ausplaudern 16 Psychologe 9, 62 Psychologischer Test 20 Psychotherapeut - Qualifikationstatbestand 161-165 - psychologischer 9 - Recht zum Ausplaudern 16 Rechnungshof 120 Rechtsanwalt 63 Rechtsbeistand 63 Rechtsgut 14,47 - Berufsethos 14 Rechtsguteingriffes - Wegfall des 92 Rechtspolitik 6 Rechtswidrigkeit 91-157 Reform Vor 1, 118 Restriktive Tatbestandsinterpretation 39 Röntgenbilder 29 Rollentheorie 58 Sachverständige 75, 125 Schädigungsabsicht 164 Schmähung - öffentliche 6 Schufa-Klausel 135 Schule 138 Schülerberatung - s Bremer Schülerberatung Schutzbedürftigkeit - s viktimodogmatisches Prinzip Schutzwürdigkeit - s viktimodogmatisches Prinzip Schwangerenkonfliktberatung 9, 14, 16, 68 Schwangerschaft - uneheliche - der Tochter 27 Schwangerschaftsabbruch - s Schwangerenkonfliktberatung Schwangerschaftsberater - s Schwangerenkonfliktberatung Schweigepflicht - zwischen Schweigepflichtigen 41,42 Sekretärin - s Hilfspersonen Selbstschutz - s viktimodogmatisches Prinzip Seuchen 139 Simulantenjagd 124 Simulantentum - als Geheimnis 28 Sonderdeliktseigenschaft - s Sonderverhältnis

Stand: 1. 8. 2000

Verletzung von Privatgeheimnissen Sonderverhältnis 1, 16 Sonst Bekanntwerden eines Geheimnisses 24, 34 Sozialarbeiter 9, 16, 37, 69 Sozialgeheimnis 146 Sozialschaden - s ultima ratio, viktimodogmatisches Prinzip Sozialpädagogen 16, 37, 69 Sozialsphäre 4 Sozialversicherung Β Sprechstundenhilfe - s Hilfspersonen Staatsgeheimnis 11, 20, 32 Staatssicherheit - Unterlagen der - 146 - inoffizielle Mitarbeiter der - 168 Stammtischgespräche 40 Standesrecht - s Berufsrecht StaSi - s Staatssicherheit Statistikgeheimnis 50 Steckbrief 148 Sterilisation 29 Stillschweigende Einwilligung - s Einwilligung, konkludente Strafdrohung - Grund 3 Strafgefangener - s Strafvollzug Strafverfolgung 151 Strafverteidiger - s Rechtsanwalt Streetworker 16 Subjektiver Tatbestand - s innere Tatseite Subsumtionsirrtum 87 Suchtberater 16 Suizidneigung 140 Supervision 43, 107 Syndikusanwalt - fehlende Rechtsanwaltsqualität 35 Systemtheoretische Begründung - Funktion von Berufen 15 Täterkreis 35, 38, 58, 61, 71 fT Täter-Opfer-Ausgleich 151 Täterqualifikation - s Täterkreis Täterschaft und Teilnahme 58, 158 Tatbestandsinterpretation - restriktive 39 Tathandlung 18 Tatsache 20 Technisches Geheimnis 21,23 Teamwork 81 Teilnahme - s Täterschaft und Teilnahme Telephondatenerfassung 46 Thematische Eingrenzungen - Unmöglichkeit 38 Tod 54, 84, 86 Tun und Unterlassen (87)

§203

- Abgrenzung von - 46 ultima ratio - poena est - 4, 16 Unbefugtheit 119 Unlauterer Wettbewerb 11, 20 Unmündige Betroffene 26 Unschuldige - drohende Verurteilung 142 Unterlassen 46 Unteroffizier 71 Untauglicher Versuch 41 Verbotsirrtum 90 Verbrechenssystematik 92 Verdachtsberichterstattung 149 Verfassungsrecht 4, 5 Verfügungsbefugnis - über das Geheimnis 14 Vergessen - Erschaffen eines Geheimnisses durch 23 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 48 Verhältnis zu anderen Tatbeständen - s Konkurrenzen Verknüpftes Geheimnis - s Drittgeheimnis, verknüpftes Verkörpertes Geheimnis 19 Verleumdungsabwehr 134 Vermögensverwalter - als Berechtigter 35 Verrat 2, 22 Verrechnungsstelle 70 Verschwiegenheitspflichten - innerdienstliche 44 Versicherungsträger 70 Verstorbener - s postmortaler Persönlichkeitsschutz Versuch - und Vollendung 41 - untauglicher 41 Verteidiger 65 Vertrauensbruch 41 Vertrauensverhältnis 39, 41 Vertreter - gesetzlicher - des Betroffenen 26 Vertreterhaftung 158 Verwaltungsinterner Informationsaustausch - s Behördenverkehr Verwaltungsakzessorietät - des Strafrechts 145-154 Verwertungsmöglichkeit - beim Betriebsgeheimnis 42 Viktimodogmatik - s viktimodogmatisches Prinzip Viktimodogmatisches Prinzip 3, 16, 39,40, 50, 59f, 71,85, 99, 125 - Geschichte 16 Volkszählungsurteil 150 Vormund - als Berechtigter 35 Vorsatz - s innere Tatseite

Bernd Schünemann

§ 2 0 3

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Vorverrat - s Geheimnis, verratenes

Willenstheorie - frühere 24 Wissenschaftliche Publikationen - Fallschilderungen 42

Wahrnehmung berechtiger Interessen 131 Werbepsychologen 7 Werksarzt - s Betriebsarzt Werturteil 20 Wettbewerb 21 Wettbewerb - unlauterer 11, 21 Widerruf - der Einwilligung 105 Wille - mutmaßlicher 24, 130 Willensmängel - des Einwilligenden 94, 95

Zeitablauf 55 Zession - s Abtretung Zeuge 128 Zeugnisverweigerungsrecht 128 Zivilrechtsakzessorietät - des Strafrechts 121-123 Zugang - des Geheimnisses beim Extraneus 41 - des Geheimnisses beim Intraneus 34 Zusatztatsachen 126

I. Allgemeines 1

1. Übersicht. Die Vorschrift stellt in Absatz 1 den Geheimnisbruch durch die Angehörigen bestimmter Berufe, Beratungsdienste und Unternehmen unter Strafe. Diesem berufsspezifischen Schweigegebot steht in Absatz 2 das Gebot der Amtsverschwiegenheit gegenüber; die Bestimmung bedroht den Geheimnisbruch durch Amtsträger und amtsnahe Personen. Absatz 2 Satz 2 stellt ferner bestimmte Daten den Privatgeheimnissen gleich. Die beiden Absätze schließen sich nicht gegenseitig aus; ihre Anwendungsbereiche können sich - etwa bei dem Amtsarzt, dem Truppenarzt - überschneiden. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Umfang der Offenbarungsbefugnis des einzelnen Amtsträgers. Während Absatz 2 den Dienstbetrieb innerhalb des hierarchischen Behördenaufbaus nicht erfaßt und Berichtspflichten unberührt läßt, trifft Absatz 1 den Schweigepflichtigen in seiner konkreten Funktion. Der durch sie begründeten Pflichten ist er nicht deshalb ledig, weil er zusätzlich noch Amtsträger ist (Rdn. 45). Die Tat ist echtes Sonderdelikt (BGHSt. 4 355, 359). Täter kann nur sein, wer zu den in den beiden Absätzen bezeichneten Berufsangehörigen zählt oder auf den die Strafdrohung ausdrücklich erstreckt ist.

2

2. Verhältnis zu anderen Delikten. Innerhalb des 15. Abschnitts sichern die §§ 201 bis 202 a die Individualsphäre gegen ein Eindringen von außen, gegen Ausspähung. § 203 schützt sie vor Verrat. Strafbewehrt ist die unbefugte Weitergabe geschützter Tatsachen aus dem Individualbereich heraus. Dieses Wesensmerkmal grenzt den Tatbestand auch von den Delikten gegen die Ehre ab. Der persönliche Geheimbereich ist nur betroffen, wenn (wahre) Tatsachen aus ihm hinausgelangen. Unwahre Behauptungen, Lügen und Werturteile über eine Person sind nicht zugleich Bestandteil ihrer Eigensphäre; sie entstehen und bleiben außerhalb. Äußerungen solcher Art können deshalb allein den begründeten Achtungsanspruch des Einzelnen in der Gesellschaft, seinen personalen Geltungswert im Sinne des normativen Ehrbegriffs (Gallas ZStW 75 [1963] 16, 25; Herdegen LK 9. Aufl. vor § 185 Rdn. 6) beeinträchtigen. Die Ehre wiederum ist nicht verletzt, wenn der Täter Zutreffendes über einen anderen sagt. § 203 setzt deshalb die Wahrheit der verbreiteten Tatsache voraus, eine Ehrverletzung deren Unwahrheit. 2 2

Arzt Schutz der Intimsphäre S. 156ff, 159; Dähn S. 1; Henkel DJT-Gutachten D 103; Kienapfel

Privatsphäre und Strafrecht [1969] S. 27f; Rogali NStZ 1981 102; 1983 1, 4 Fn. 60; Eb. Schmidt

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

3. Grund der Strafdrohung. Die Vorschrift ist geschaffen, um die Bewahrung pri- 3 vater Geheimnisse auch im Hinblick auf Vertrauensverhältnisse und die öffentliche Gewalt als der vom Selbstschutz des Betroffenen nicht abdeckbaren offenen Flanke zu garantieren (näher Rdn. 14 bis 17): Sie rechtfertigt sich einerseits aus den Besonderheiten der faktischen Verhältnisse, in welchen der Betroffene Rat und Hilfe in Anspruch nehmen muß, aber nur bei rückhaltloser Offenheit zu erhalten vermag. Andererseits korrespondiert sie mit den vielfaltigen Möglichkeiten eines Eindringens in die Privatsphäre, die der Verwaltung durch Auskunftsrechte und Überwachungsbefugnisse, aber auch allgemein infolge der Entwicklung der modernen Eingriffs- und Leistungsverwaltung offenstehen. Der „viktimodogmatische" Gesichtspunkt der Unausweichlichkeit, mit der der Einzelne Dritten höchst Privates ausliefern muß, fordert die strafrechtliche Absicherung wenigstens des besonders sensiblen privaten Geheimnisses dagegen, daß es auf den offenen Markt getragen wird.3 Die Strafbestimmung dient damit in weiten Teilen der Verwirklichung des ver- 4 fassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Persönlichkeit,4 der auch in Art. 8 MRK Niederschlag gefunden hat. Für die strafrechtliche Beurteilung nur begrenzt hilfreich sind dabei allerdings rechtliche Systematisierungsversuche, nach denen das Persönlichkeitsrecht in abgestufter Weise danach geschützt ist, ob die Individualsphäre, die Privatsphäre oder die Geheimsphäre betroffen ist.5 Hier geht es nur um die Geheimsphäre. Für den Umfang von Offenbarungsrechten kann auch die zweistufige Systematik des BVerfG nur eine begrenzte Bedeutung erlangen. Sie differenziert danach, ob ein Geheimnis zum schlechthin unantastbaren Intimbereich gehört, der jedem Außenstehenden verschlossen ist, oder ob das nicht der Fall ist,6 ist jedoch, beginnend mit dem Datenschutz, aufgegeben worden. 7 Zum Schutz des Berufsgeheimnisses gegenüber dem „Großen Lauschangriff" s. § lOOd Abs. 3 S. 1 StPO und allgemein gegenüber polizeilicher Informationserhebung WürtenbergerlR. Schenke JZ 1999 548. § 203 ist deshalb im Kern konkretisiertes Verfassungsrecht in dem Sinne, daß die Strafdrohung durch das G G geboten ist (Kühne NJW 1977 1478, 1481). Der Verfassung lassen sich zwar nur ausnahmsweise Pönalisierungsgebote entnehmen; 8 im

3

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Arzt im Strafrecht S. 27 f; Tenckhoff S. 106; aA Bemmann M DR 1956 387, 389; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 804; Schreiner S. 35 ff. Zu dieser Sicht bereits Sauter S. 40ff; grundlegend Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 54; Faller-Festschrift S. 357, 364; ferner Arzt/ Weber LH 1 Rdn. 500; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 23; R. Hassemer Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik (1981) S. 41; Ostendorf JR 1981 444, 447; Samson SK Rdn. 4; gegen Folgerungen für die Auslegung des Tatbestands aber Hillenkamp S. 60ff; SehlSchröder! Lenckner Rdn. 3 und gegen diese wiederum Schünemann NStZ 1986 439ff; näher u. Rdn. 14-17. BVerfGE 32 373, 379; BGHZ 24 72, 79; BSGE 55 150, 156; BFH N J W 1958 646; OVG Lüneburg N J W 1975 2263; Becker M D R 1974 888; Eser ZStW 97 (1985) 1, 41; Herbst NJW 1969 1566 (weitergehend N J W 1969 546, 548); Kreuzer N J W 1975 2232, 2233; zu verfassungsrechtlich zulässigen Begrenzungen Streicher 14. Deutscher Verkehrsgerichtstag (1976) S. 316 und eingehend o. Vorbem. § 201 Rdn. 2f.

5

Mit unterschiedlicher Terminologie Grünhut ZStW 74 (1962) 319, 323; Hubmann Das Persönlichkeitsrecht 2. Aufl. (1967); JZ 1957 521; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 19; Schwalm ZStW 74 (1962) 153; anders (4 Sphären) Henkel DJT-Gutachten D 80 f; s. dazu o. Vorbem. §201 Rdn. 2f. « BVerfGE 27 344, 351; 32 373, 379; 33 367, 374; 44 353, 372; BSG NJW 1986 1574, 1577; kritisch etwa Krauss Gallas-Festschrift S. 365, 379 sowie o. Vorbem. § 201 Rdn. 3. 7 BVerfGE 65 1 (Volkszählungsürteil); Benda in Friedrich-Naumann-Stiftung (Hrsg.), Datenschutz Bd. 1 (1984) S. 5,13; Schlink Der Staat 25 (1986) 233, 241; w. N. o. Vorbem. § 201 Rdn. 3. 8 BVerfGE 39 1, 46 f; Müller-Dietz Zur Problematik verfassungsrechtlicher Pönalisierungsgebote, Dreher-Festschrift S. 97; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht (1991), S. 50 ff; zu den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten am Beispiel des Kommunikationsgeheimnisses Groß JZ 1999 326, 330 ff.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Bereich des Geheimnisschutzes ist aber trotz der vorhandenen zivilrechtlichen Klagebefugnisse sowie der Gewährleistungen des Berufsrechts bei den meisten Schweigepflichtigen ein begrenzter Einsatz der ultima ratio des Strafrechts zum Rechtsgüterschutz unverzichtbar, weil der Schaden nachträglich oft irreparabel und die generalpräventive Wirkung des Berufsrechts notorisch gering ist. Eine substantiierte Ausarbeitung der verfassungsrechtlichen Pönalisierungsgebote mitsamt der Einbettung des § 203 ist allerdings noch dogmatische Zukunftsmusik, weil das BVerfG eine ähnlich intensiv gestaltende Konkretisierung des Grundgesetzes wie etwa im Familien- und Steuerrecht bisher im Strafrecht schuldig geblieben ist und es der gegenwärtigen Mode entspricht, ausgerechnet im Strafrecht einen so gut wie unbegrenzten Ermessensspielraum des Gesetzgebers zu behaupten. 9 Aber diese Mode wird der besseren Einsicht weichen müssen, daß das in der Aufklärung aus der Theorie des Gesellschaftsvertrages abgeleitete und damit zum Urgestein jeder verfassungsrechtlichen Betrachtung gehörende Limitations- (und damit zugleich Legitimations-)prinzip des Sozialschadens10 in seiner ohne wesentliche Inhaltsveränderung erfolgten Metamorphose am Anfang des 19. Jahrhunderts zum Prinzip des Rechtsgüterschutzes,'1 seiner inhaltlichen Anreicherung durch die Grundrechtstheorie12 und seinem Elastizitätszuwachs durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip13 zur Quelle weitaus strengerer Vorgaben an den Gesetzgeber gemacht werden kann, als sie das BVerfG bisher aus Generalklauseln wie dem Rechts- oder Sozialstaatsprinzip auf im Vergleich zum Strafrecht weitaus weniger sensiblen Rechtsgebieten in ständiger Rechtsprechung statuiert hat. Die stereotypen Gegenargumente der herrschenden kleinmütigen Mode, daß (1) eine derartige Judikatur des BVerfG bis heute tatsächlich nicht existiert und (2) aus dem Rechtsgutsbegriff wegen dessen semantischer Unschärfe auch nicht deduziert werden kann, sind methodologisch teils unrichtig, teils naiv, weil es (1) ein typischer naturalistischer Fehlschluß ist, von einem fünfzig Jahre lang nur in Ausnahme9

Wobei derzeit zwei an sich gegenläufige Positionen Frankfurter und Freiburger Autoren die Diskussion beherrschen, die einerseits die Fruchtbarkeit des Rechtsgüterschutzprinzips zu Unrecht auf die Individualgüter eines angeblich klassischen Strafrechts beschränken möchten (Hassemer in: Scholler/Philipps [Hrsg.] Jenseits des Funktionalismus [1989] S. 90 ff; ZRP 1992 378, 383; Produktverantwortung im modernen Strafrecht [1994] S. 23 f; AK-StGB und N K Rdn. 274 ff vor § 1; Herzog Prävention des Unrechts oder Manifestation des Rechts [1987]; Hohmann Das Rechtsgut der Umweltdelikte [1991]; GA 1992 76ff; elastischer Staechelin Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat [1998]; zur Kritik Schümmann GA 1995 201, 205 IT; in Kühne/Miyazawa [Hrsg.] Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland [2000], S. 15, 19 ff), andererseits dem Gesetzgeber einen nur marginal eingeschränkten Ermessensspielraum konzedieren (Vogel JZ 1996 llOff; Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte [1996]; Appel Verfassung und Strafe [1998]; ebenso Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht [1997] S. 508 f).

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Grundlegend Beccaria Über Verbrechen und Strafen (1764, dt. 1778 durch Hommel) bes. S. 52ff, 60ff, 65 ff (zit. nach der dt. Ausgabe von Alff, 1966); Hommel in der sog. Hommélischen Vorrede (hrsg. v. Lekschas 1966) bes. S. 2f, 10, 16; Uber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen 2. Aufl. (1772) §§ 1 lOff, 174. " Bekanntlich eingeleitet durch Birnbaums Erweiterung von Feuerbachs in der kantischen Rechtsphilosophie wurzelnden und dadurch mit der Aufklärung verknüpften Theorie der Rechtsverletzung, s. Sina Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut" (1962); Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft (1972) S. 22ff, 38ff, dessen tiefdringende Analyse freilich die prinzipielle Kontinuität von Sozialschadens- und Rechtsgüterverletzungsansatz zu stark zurücktreten läßt. 12 Insoweit die Grundrechte natürlich (auch) einen Rechtsgüterkatalog repräsentieren. 13 Das natürlich bei einem Rechtsgebiet mit so einschneidenden Rechtsfolgen wie dem Strafrecht besonders „bissig" ist und nicht so zahnlos zu erscheinen braucht wie bei Lagodny (Fn. 9) S. 326 f, 335, der das Kriminalisierungsermessen des Gesetzgebers erst bei dem nicht auf Verhalten beruhenden, bloßen Besitz eines schädlichen Gegenstandes enden läßt.

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

fállen (etwa BVerfGE 39 1) eingelösten Desiderat der Rechtsprechung auf deren normative Richtigkeit zu schließen, und (2) die Methode der permanenten rechtsfortbildenden Gestaltung unseres Grundgesetzes durch das BVerfG gründlich mißzuverstehen heißt, wenn man darin eine bloße begriffliche Deduktion sehen möchte und nicht erkennt, daß das BVerfG in der Regel aus weitaus kleineren Fingerhüten als dem Sozialschadens- und Rechtsgüterschutzprinzip eine ganze Welt an Verfassungsdogmatik zaubert. Eine ähnlich dichte Ableitung aus der Verfassung findet die Vorschrift, soweit sie 5 anderen Gegenständen als dem Persönlichkeitsschutz zuzuordnen ist, bezüglich des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, zu deren Schutz der Staat nach den hierfür einschlägigen Grundrechten ebenfalls verpflichtet ist.14 Umgekehrt fallt der in Absatz 2 Satz 2 angesprochene Datenschutz zwar in den Bereich des vom BVerfG geprägten informationellen Selbstbestimmungsrechts (BVerfGE 65 1), läuft aber auf eine sowohl den Bestimmtheits- als auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzende Überkriminalisierung hinaus (Rdn. 48). 4. Rechtspolitische Fragen a) Indiskretionsdelikt. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Zusammenhängen 6 stellt sich die kriminalpolitische Frage, ob § 203 durch die Beschränkung des Tatbestandes auf Geheimnisse und bestimmte Täter einen ausreichenden Schutz der Persönlichkeit gewährleistet. Alle Reformgesetzgeber hatten sich dem Problem zu stellen, inwieweit der Verbreitung von Umständen aus der Intimsphäre umfassend durch die Schaffung eines Indiskretionsdelikts15 begegnet werden muß. Freilich: Private Mitteilungen über die Privatangelegenheiten des lieben Nächsten kann man nicht verbieten, ohne drei Vierteln der Menschheit drei Viertel ihres Gesprächsstoffs zu rauben. 16 Aber auch eine Strafdrohung für die Veröffentlichung von „ehrenrührigen Behauptungen tatsächlicher Art über das Privat- oder Familienleben eines anderen" (§ 182 E 1962), für die öffentliche Bloßstellung (§ 145 AE) oder für die Schmähung ist so problematisch, 17 daß der Regierungsentwurf des EGStGB von entsprechenden Vorschlägen abgesehen hat (BTDrucks. 7/550 S. 235 f). Neben Schwierigkeiten der Abgrenzung des tatbestandlichen Unrechts von der bloßen Taktlosigkeit und von der Ehrverletzung erwies sich die Frage des Wahrheitsbeweises als nicht zufriedenstellend lösbar. Läßt man ihn zu, bleiben die dem geltenden Ehrenschutzrecht anhaftenden Mißlichkeiten, die oft genug den Angegriffenen in die Rolle eines öffentlich Angeklagten versetzen. Der Ausschluß des Wahrheitsbeweises dagegen schneidet zugleich dem Verletzten den Nachweis der Unwahrheit der verbreiteten Tatsache ab; damit würde die Verleumdung privilegiert (TenckhoffS. 134).18

14

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Eigentumsschutz (Art. 14 GG), Berufsfreiheit (Art. 12 G G ) und Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG): Breuer Umweltrecht S. 89, 93 (jedoch ohne speziell strafrechtliche Betrachtung); Wolff N J W 1997 98 (Berufsfreiheit); vgl. auch Rogali NStZ 1983 1, 3 (Vermögensschutz). Dazu Arzt Schutz der Intimsphäre S. 142 ff; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 24 ff, Henkel DJTGutachten D 100; Roeder Maurach-Festschrift S. 347, 363 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 742.

16

Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 35 unter Hinweis auf Kitzinger 2. Deutscher Juristentag in der Tschechoslowakei (1925) Gutachten S. 87,

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E 1962 S. 331; ArztlWeber LH 1 Rdn. 448; Dahn S. 22 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 763 ff; w. N. o. Vorbem. § 201 Rdn. 12. Kritisch zum Vermögensschutz kraft Vereinbarung (§ 266, 2. Altern.) ohne entsprechenden Geheimnisschutz Arzt Zur Untreue durch befugtes Handeln, Bruns-Festschrift S. 365, 381 (der aber § 17 UWG außer Betracht läßt).

106.

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

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b) Abgrenzung des Täterkreises. Im umgekehrten Sinne zweifelhaft ist, ob § 203 nicht auch zu weit greift. Die strafrechtliche Schweigepflicht gilt als Hebel zur Durchsetzung von Zeugnisverweigerungsrechten, welche sodann als Statussymbol dienen. 19 Ob Absatz 1 Nr. 5 dem Gebot des sparsamen Einsatzes strafrechtlicher Mittel genügt, erscheint fraglich. 20 Auch sonst vermag die Kasuistik nicht durchweg zu befriedigen (Göhler NJW 1974 825, 833); warum Tierärzte und Werbepsychologen schweigepflichtig sind, läßt sich kaum erklären (Blau NJW 1973 2234). Wohl unvermeidbar ist die mit dem Geheimnisschutz verbundene Nebenwirkung der Schaffung eines kommerziellen Auswertungsmonopols (Arzt/Weber LH 1 Rdn. 464); ob sich der Betroffene das Recht der Exklusivberichterstattung abkaufen läßt, ist eine Frage des guten Geschmacks.

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c) Schweige- und Offenbarungspflicht. Auf einer anderen Ebene liegt das Problem eines sachgerechten Ausgleichs zwischen Schweigepflicht und Offenbarungsbefugnis. So zieht etwa die Einbindung des Arztes in das System der Sozialversicherung zwangsläufig eine Relativierung des ärztlichen Berufsgeheimnisses nach sich. Die Begrenzung von Offenbarungspflichten gehörte für Eberhard Schmidt deshalb zu den „brennenden Fragen" des Geheimnisschutzes. 21 Die Entwicklung hat deren Aktualität nicht gemindert; von der „Ambivalenz des Fortschritts", 22 wohl übertrieben von der Schweigepflicht als einer „Grundfiktion", 23 ist die Rede. Das an sich anzuerkennende Interesse an epidemiologischer Forschung mit Hilfe der Datenverarbeitung hat Stellungnahmen der Bundesärztekammer hervorgebracht, gegen die begründete Bedenken bestehen. 24 Andererseits fordert auch ein oftmals überzogener Datenschutz Einwände heraus. Ferner hat die Forderung von umfassenden gesetzlichen Eingriffsgrundlagen durch das Volkszählungsurteil BVerfGE 65 1 eine Reihe von Gesetzen und Gesetzesvorhaben ausgelöst, welche die Übermittlungsbefugnisse für Daten und Geheimnisse näher regeln sollen, jedoch immer noch unvollständig sind. In § 203 Rechnung getragen ist der Entwicklung mit dem verlängerten Geheimnisschutz in § 203 Abs. 1 Nr. 6 für die Privatversicherung sowie in Abs. 2 in Verbindung mit § 76 SGB X für den Bereich der Sozialversicherung.

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Arzt! Weber LH 1 Rdn. 501; Kühne JuS 1973 685, 686; Maurach/SchroederiMaiwald BT 1 § 29 III 3; Rengier S. 21; Nachweise im einzelnen auch bei KK-Senge § 53 Rdn. 2; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 3. Dazu BVerfGE 33 367, 378; Frommann in Frommann/Märsberger/Schellhorn S. 159, 198; Schilling JZ 1976 617; Würtenberger H. PetersGedächtnisschrift S. 923, 932. Eb. Schmidt Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses (1951). Laufs Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, Sitzungsber. d. Heidelb. Akademie d. Wissenschaften (1982) S. 25. Steinmüller in KilianIPorth (Hrsg.) Juristische Probleme der Datenverarbeitung in der Medizin (1979) S. 135, 138 ff.

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Wissenschaftl. Beirat der Bundesärztekammer, Empfehlung zur Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der medizinischen Forschung, DÄB1. 1981 1443, 85. Deutscher Ärztetag, Empfehlungen zur Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der ärztlichen Berufsausbildung. DÄB1. 1982 H. 21 S. 20; dazu Kilian Rechtsfragen der medizinischen Forschung mit Patientendaten (1983) S. 45, 86; Laufs Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht (1982) S. 27; Arztrecht Rdn. 450f; Leue in Vollkommer S. 227, 239.

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

II. Zusammenhang mit anderen Vorschriften 1. Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbot. Die Bedeutung der Vor- 9 schrift im Gefüge der Rechtsordnung erschließt sich nicht durch ihre isolierte Betrachtung. Kehrseite des Schweigegebotes sind in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich ausgestaltete Zeugnisverweigerungsrechte.25 Ihnen ist gemeinsam, daß der betroffene Prozeßbeteiligte die nach § 203 Abs. 1 Schweigepflichtigen von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann. Rechtsprechung und Schrifttum zur Wirksamkeit der Entbindungserklärung und zur Person des dazu Berechtigten haben deshalb auch für das sachliche Strafrecht Bedeutung (Rdn. 91). Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO) hat eine vom sachlichrechtlichen Schweigegebot verschiedene persönliche Reichweite. Geistliche und Journalisten dürfen die Aussage verweigern, obwohl sie in § 203 nicht aufgeführt sind. Berufspsychologen, Sozialarbeiter, Eheberater etwa sind schweigepflichtig, aber (außerhalb von anerkannten Schwangerschaftskonflikt- und Betäubungsmittelabhängigkeitsberatungsstellen gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3a und b StPO 26 oder wenn sie nicht „Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- [oder] Jugendlichenpsychotherapeuten" i. S. von § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO sind) nicht zur Zeugnisverweigerung befugt (Bedenken bei Ensslen NDV 1999 121). Die Lösung von Konflikten zwischen Schweige- und Aussagepflicht geschieht auf der Ebene der Rechtswidrigkeit (Rdn. 128). Für Amtsträger gilt § 54 StPO (dazu Rengier S. 48, 51), ferner kommen für sie zusätzliche persönliche Zeugnisverweigerungsrechte nach § 53 StPO (ζ. B. bei dem Amtsarzt) 27 oder nach spezialgesetzlichen Vorschriften (z. B. § 35 Abs. 3 SGB I - Sozialgeheimnis) in Betracht. In allen anderen Gerichtsverfahren (also vor den Zivil- und Arbeitsgerichten, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichten) entspricht der strafrechtlichen Schweigepflicht des § 203 dagegen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, siehe § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, auf den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 98 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG jeweils verweisen, sowie § 84 F G O i.V.m, § 102 AO. Der sachliche Umfang der Schweigepflicht und des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts ist dagegen gleich. Zwar spricht § 53 StPO nicht wie § 203 StGB von Geheimnissen. Aber der unterschiedlichen Gesetzesfassung kommt keine Bedeutung zu; auch das Zeugnisverweigerungsrecht umfaßt nur der Geheimhaltung bedürftige Tatsachen.28 Denn was jedermann weiß, kann auch jedermann dem Gericht vermitteln. Es machte keinen Sinn, wenn ein Berufsangehöriger ein offenkundiges Geschehnis in jeder Gastwirtschaft erörtern dürfte, als Zeuge vor dem Strafrichter aber ein Schweigerecht besäße, welches ihm § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sogar im Zivilprozeß vorenthält {Lenckner in Eser!Hirsch S. 227, 239 m. Anm. 27).

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Dazu Rengier S. 13 ff; S. Cramer Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten aus anderen Verfahren (1995). Zum Auskunftsverweigerungsrecht im eigenen Besteuerungsverfahren des Schweigepflichtigen BFH N J W 1958 646; Lohmeyer DStZ 1979 347; Söhn in HübschmannIHepplSpitaler F G O § 102 Rdn. 50; Vogelbruch DStZ 1978 340. Dazu Kreuzer Schüler-Springorum-Festschrift S. 527. Göhler OWiG § 59 Rdn. 42; Harthun SGb 1977 181, 183; KK-Senge § 54 Rdn. 3; Rössler M D R 1969 356; aA Jakobs JR 1982 359, 361.

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BGH, Urt. v. 20. 9. 79 - 4 StR 364/79, bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 94; OLG Oldenburg NJW 1982 2615, 2616; Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 498; KK-Nack § 97 Rdn. 12; Lenckner in Göppinger S. 159, 190; K. Müller in Mergen II S. 63, 103; Rengier S. 270f; vgl. ferner Schilling JZ 1976 617, 619 Fn. 30; aA Amelung D N o t Z 1984 195, 201; Göhler OWiG § 59 Rdn. 27; Hanack JR 1986 35; K K - f t n y § 53 Rdn. 3; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 4; LR-Dahs § 53 Rdn. 7; Mittelsteiner DStR 1976 340; Rogali NStZ 1985 374; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 399; wohl auch O L G Bamberg StrV 1984 499.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Der Absicherung der Schweigepflicht dient auch das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO, das an das Zeugnisverweigerungsrecht angekoppelt ist, jedoch bei einem Beteiligungsverdacht gegen den Berufsgeheimnisträger entfällt (§ 97 Abs. 2 Satz 3 StPO; zu den verschiedenen Varianten s. Krekeler NStZ 1987 199, zur etwaigen Beschlagnahmefreiheit bei Unterlagen eines nicht selbst beschuldigten Patienten L G Hamburg N J W 1990 780). Soweit Schweigepflichtige mangels eines Zeugnisverweigerungsrechts vor Gericht aussagen müssen (näher u. Rdn. 128), ist nach § 172 Nr. 2, 3 G V G ihre Vernehmung in nichtöffentlicher Verhandlung möglich (zu weitgehend Herbst N J W 1969 546). Durch entsprechende Auflage kann das Gericht den Anwesenden die Geheimhaltung des erlangten Wissens zur strafbewehrten Pflicht machen (§ 174 Abs. 3 GVG; § 353d Nr. 2 StGB). 10

2. Berufsrechtliche Vorschriften. Schweigepflichten finden sich in vielen außerstrafrechtlichen Gesetzen (ζ. B. Beamtengesetzen) sowie in Berufsordnungen. Sie regeln die persönliche Schweigepflicht des Berufsangehörigen im beruflichen und privaten Verkehr, sind aber strafrechtlich nicht unmittelbar von Bedeutung, weil für Geheimnisse das Schweigegebot schon aus § 203 folgt. Anders verhält es sich mit den Verwaltungsverfahrensgesetzen (§ 30 VwVfG) einschließlich des Sozialgesetzbuchs (§ 35 SGB I, §§ 67 ff SGB X). Sie bestimmen, wie Behörden als staatliche Organisationseinheiten mit den Geheimnissen des Einzelnen umzugehen haben und enthalten ferner konkrete Vorschriften über die Amtshilfe. Soweit den Bestimmungen dieser Gesetze OfTenbarungsbefugnisse zu entnehmen sind, sind diese unmittelbar einschlägig für die Frage, ob die Preisgabe eines Geheimnisses strafrechtlich gerechtfertigt ist (Rdn. 146ff).

11

3. Andere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz. Das StGB enthält weitere Strafvorschriften mit Geheimnisschutzcharakter in den Landesverratsbestimmungen, die Staatsgeheimnisse betreffen (§§ 93 ff; Art. 7 Abs. 1 des 4. StRÄndG), 2 9 und im 30. Abschnitt. Die Tatbestände der §§ 353 b bis 355 dienen aber nicht dem Schutz der Individualsphäre. Vielmehr sanktionieren sie die Verletzung öffentlicher Interessen, insbesondere den Bruch der Amtsverschwiegenheit, und bezwecken damit die Wahrung der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (dazu Samson SK vor § 201 Rdn. 4; Träger L K 10. Aufl. § 353b Rdn. 2). Den Geheimnisbruch sanktionieren ferner eine Reihe von Vorschriften des Nebenstrafrechts (Jähnke L K § 77 Rdn. 28), vor allem im Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind durch §§ 17 f U W G besonders geschützt (dazu Dannecker BB 1987 1614; Schlüchter Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität [1987] S. 129ff; Niemeyer S. 103ff und Möhrenschlager S. 991 ff; zur Rechtslage vor dem 2. WiKG Arians in Oehler, S. 307ff). Die Bestimmungen haben wettbewerbsregelnden Charakter, doch ist der Geheimbereich ebenso wie in § 203 abzugrenzen. Die zum U W G vorliegende Rechtsprechung und das Schrifttum haben daher auch hier Bedeutung.

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4. Datenschutz. Berufsgeheimnisse sind oft auch schutzfahige Daten im Sinne des Datenschutzrechts. Das Bundesdatenschutzgesetz enthielt dazu in § 45, letzter Satz eine Vorrangklausel zugunsten des § 203 Abs. 1. Eine vergleichbare Regelung des Ver29

Zum Geheimnisbegriflf in § 93: TröndlelFischer § 93 Rdn. 2ff; Träger LK § 93 Rdn. 2ff; Klug Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale

beim Staatsgeheimnisbegriff, Schrift S. 570.

Stand: 1.8. 2000

Engisch-Fest-

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

hältnisses der „Datenpreisgabe im Amt" (Absatz 2 Satz 2) zu den datenschutzrechtlichen Strafvorschriften fehlt. Soweit Überschneidungen denkbar sind - das BDSG hat einen wesentlich engeren Anwendungsbereich als § 203 Abs. 2 Satz 2 - , gelten Konkurrenzregeln (Rdn. 166). 5. Landesrecht. § 203 regelt den strafrechtlichen Schutz des Privatgeheimnisses 1 3 abschließend. Das gilt auch für die Verletzung der Privatsphäre durch Amtsträger und amtsnahe Personen im Bereich des Datenschutzes (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242). Landesrechtliche Strafvorschriften sind in diesem Bereich daher unzulässig (Art. 4 Abs. 2 EGStGB). Zulässig und häufig sind dagegen landesrechtliche Bestimmungen über Offenbarungsbefugnisse oder -pflichten, welche das Merkmal „unbefugt" in § 203 ausfüllen (Rdn. 120, 129, 149).

III. Rechtsgut 1. Die Individualsphäre als geschütztes Rechtsgut. Geschütztes Rechtsgut ist die 1 4 Individualsphäre des Einzelnen,30 Angriffsobjekt das private Geheimnis,31 dem in Absatz 2 Satz 2 bestimmte Daten gleichgestellt sind. Zu der vielfach vernachlässigten Frage, ob dazu auch Geheimnisse von juristischen Personen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts zählen, s. u. Rdn. 31 f. Eine Betrachtung, welche herausgehobene Berufe wie insbesondere den des Arztes im Blickfeld hat, sieht demgegenüber ein öffentliches Interesse an der Funktionsfähigkeit dieser Berufe als Rechtsgut oder als primär 32 mitgeschützt an. Danach soll das 30

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BGH NJW 1990 510; BayObLG NJW 1987 1492, 1493; BayObLGZ 1966 86, 88; LSG Celle NJW 1980 1352; OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; VG Münster MedR 1984 118, 119; Amelung Dünnebier-Festschrift S. 487, 51 lf; Arzt/Weber LH 1 Rdn. 500; Blei JA 1974 601, 603; Ebermayer S. 45; Erdsiek NJW 1963 632; Gallas ZStW 75 (1963) 16, 22; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 98 (aber zusätzlich Pietätsgefühl); Habscheid AnwBl. 1964 302; Hackel NJW 1969 2257, 2258; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 358, 360; NK-./»ng Rdn. 3; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 43, 48; Kohlrausch-Lange § 300 Anm. IV; Kreuzer NJW 1975 2232 (s. aber StrV 1983 144); Küpper Strafrecht BT 1 S. 80; H. Lilie S. 94; Maier SGb 1983 89, 91; Meurer in Szwarc, S. 133, 137; MüllerDietz S. 39, 41; Ostendorf JR 1981 444, 448; Schmidhäuser BT 6/27; Schmitz JA 1996 772 f; Schreiner S. 20; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 55; Timm S. 22; Zielinski in ReichertzlKilian S. 14; abw. Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 487; fVelp Gallas-Festschrift S. 391, 394; noch anders Dencker Beweisverbote im Strafprozeß (1977) S. 131 (körperl. Integrität beim Arztgeheimnis); Kühne JZ 1981 647 (Intimsphäre und Berufsausübung des Schweigepflichtigen); Rogali NStZ 1983 1, 3 (Vermögen beim Betriebs- und Geschäftsgeheimnis). Die Subjektivierung des RechtsgutbegrifTs in Richtung auf die Selbstverwirklichung des Rechtsgutsträgers (allgemein

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etwa Roxin Noll-Gedächtnisschrift S. 275; Strafrecht AT I § 2 Rdn. 9fT, § 13 Rdn. 12ff; krit. Hirsch LK Vorbem. 98 vor § 32; JeschecklWeigend AT § 34 I 2b) ist nicht an dieser Stelle, sondern nur für die systemat. Einordnung der Einwilligung relevant. (Nur) insoweit aA Rogali NStZ 1983 1, 5, der § 203 überwiegend als abstraktes Gefahrdungsdelikt bezüglich eines Rechtsguts „Privatheit" betrachtet. Zum amerikanischen Recht auf „privacy" Grünhut ZStW 74 (1962) 319, 333; Rüpke Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit (1976). Umgekehrt (sekundäres oder gleichrangiges Rechtsgut) Blei BT § 33 I; TröndlelFischer Rdn. 1 b; Frommann in FrommannlMörsberger/Schellhorn S. 159, 163; Geppert Strafvollzug S. 13; Gol! S. 38; Grömig NJW 1970 1209, 1210; Harthun SGb 1977 181; Henssler NJW 1994 1817, 1819 mit Ableitung aus Art. 12 GG; Joecks Rdn. 1; Kauder StrV 1981 564; Kierski in Mergen II S. 126, 127; Krey BT 1 Rdn. 457; Lackneri Kühl Anm. 1; Laufs Arztrecht Rdn. 423; NJW 1975 1433; Maurach/SchroederlMaiwald BT 1 § 29 I 2; Narr Rdn. 745; Otto BT § 34 III 1 a; Rein VersR 1976 117, 118; Rudolphi Schafistein-Festschrift S. 433, 443; Rüping Internist 1983 206; Samson SK Rdn. 4; Solbach DRiZ 1978 204; Vollmer S. 52: Würtenberger H. Peters-Gedächtnisschrift S. 923, 924f.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit des Arztes als Kollektivrechtsgut eine effektive Gesundheitspflege gewährleisten, weil der Patient die erforderlichen Angaben nur mache, wenn die Vertraulichkeit gesichert ist.33 Eine gewisse Stütze lieferte dafür zunächst der Gesetzeswortlaut, der den Strafschutz auf anvertraute Geheimnisse beschränkte. Diese Stütze ist jedoch weggefallen, seit ihn § 13 der Reichsärzteordnung auf „zugänglich gewordene" und das 3. S t R Ä n d G allgemein auf „bekannt gewordene" Geheimnisse ausdehnte. 34 Darüber hinaus war die allseits anerkannte Befugnis des Betroffenen, nach Belieben über seine Geheimnisse zu verfügen (Rdn. 103), zu keiner Zeit ohne Bruch in diese Ansicht einzufügen, weil sie im Ergebnis die Auslieferung öffentlicher Interessen an private Willkür anerkennen mußte (vgl. Bockelmann M M W 1967 365, 371). Zumindest seit der Erweiterung des Täterkatalogs durch die Strafrechtsreform kann aber auch nicht mehr davon gesprochen werden, daß den in § 203 aufgeführten Tätigkeiten ein dem Arztberuf vergleichbarer „Sozialwert überindividuellen Charakters" (Eb. Schmidt Brennende Fragen S. 17f) zu eigen sei. Die Aufnahme einer Reihe von Berufen in den Katalog war bis zuletzt zweifelhaft; 35 der Tierarzt - dessen Inanspruchnahme im landwirtschaftlichen Produktionsprozeß eine vorwiegend wirtschaftliche Frage ist (dazu BVerfGE 38 312, 323) - gelangte eher zufallig hinein (Prot. 7/177). Wegen ihrer geringeren Bedeutung ist auch bestimmten mit einer Schweigepflicht belegten Berufen nicht zugleich ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt. 36 Völlig unterschiedlicher Natur sind ferner die in Absatz 1 aufgeführten Beratungsdienste und die Aufgaben der Sozialarbeiter ( Wilrtenberger H. Peters-Gedächtnisschrift S. 923, 932f). Das Beratungssystem nach § 218b ist zudem offenkundig gescheitert (Jähnke L K 10. Aufl. vor § 218 Rdn. 28); die Bremer Schülerberatung entging nur knapp dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit (BVerfGE 59 360, 386f). Fehl geht die Ansicht, die Begrenzung des Kreises der tauglichen Täter ergebe, daß es in § 203 nicht um das private Geheimnis, sondern um die dort aufgeführten Berufe gehe, denn Geheimnisse müßten auch sonst offenbart werden, ohne daß ihnen dabei vergleichbarer Schutz zuteil werde. 37 Wieweit der Arbeitgeber von Stellenbewerbern und Bediensteten die Preisgabe ihrer Geheimnisse verlangen darf, unterliegt der arbeitsgerichtlichen Rechtskontrolle (Arztl Weber L H 1 Rdn. 494; s. ferner Hinrichs D B 1980 2287, 2289); der Gesetzgeber durfte sie als ausreichend betrachten. Der Gesetzgeber hat andererseits die sozialwissenschaftliche Forschung, welche institutionell auf das Vertrauen in die Verschwiegenheit der Forscher und ihrer Hilfspersonen angewiesen ist,38 bis zum StVÄG 1999 unbeachtet gelassen. Der U m f a n g des Täterkata33

O L G Celle M D R 1952 376 m. Anm. Maaßen; O L G Karlsruhe N J W 1984 676; O L G Köln NStZ 1983 412 m. Anm. Rogali; LG Aurich N J W 1971 252; Arloth MedR 1986 295, 296; Becker M D R 1974 888, 891; Bockelmann in Ponsold S. 9; BT 2 § 34 I; Eser ZStW 97 (1985) 1, 41; Fink DÖV 1957 447, 448; Haffke G A 1973 65, 67; Henkel DJT-Gutachten D 135; Arthur Kaufmann N J W 1958 272; Kierski BB 1964 395; Lenckner N J W 1965 321, 322; Lenckner in Eser/Hirsch S. 227, 228; B. Lilie S. 79; Martin DAR 1970 302; Marx G A 1983 160, 168; Schlund JR 1977 265, 269; Eb. Schmidt JZ 1951 211; N J W 1962 1745, 1747; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 3; Weichbrodt N J W 1983 311, 314; Zieger StrV 1981 559, 562; s. ferner Sauter S. 32ff,45 ff.

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So schon zuvor die Rechtsprechung RGSt. 13 60, 62; RG G A 57 (1910) 207; s. Rogali NStZ 1983 413; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 31. Vgl. Art. 18 Nr. 80 des RegE des EGStGB (BTDrucks. 7/550 S. 21) und die Stellungnahme des Bundesrats (S. 472). Zusammenfassung der Argumente bei Stucke S. 64 ff, 85 ff. D. Meyer M D R 1973 812, 813; dazu auch Schilling JZ 1976 617, 619: Rechtsgut der Schweigepflicht der Sozialarbeiter sei effizientes Hilfsangebot und damit erfolgreiche Sozialpolitik. So Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 3; aA Eser ZStW 97 (1985) 1, 41 Fn. 121; s. auch Geppert Strafvollzugs. 13. Eser in EserlSchumann Forschung im Konflikt mit Recht und Ethik (1976) S. 7, 29; Eser Der Forscher als „Täter" und „Opfer", L a c k n e r -

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§203

logs in § 203 läßt daher keine Rückschlüsse auf ein kollektives Rechtsgut zu; seine Festlegung oblag gesetzgeberischem Ermessen (Hillenkamp S. 72ff). 39 Ohne Bedeutung ist auch, daß der Schweigepflichtige als Zeuge ein Aussageverweigerungsrecht nur bezüglich fremder Geheimnisse hat, eigene Geheimnisse jedoch offenlegen muß (aA Lenckner NJW 1965 321, 322). Über eigene Geheimnisse darf der Zeuge disponieren, über fremde nicht; auch fremde Geheimnisse wiederum muß er mitteilen, wenn der Betroffene ihn dazu ermächtigt hat (§ 53 Abs. 2 StPO). Die prozessuale Aussagepflicht knüpft insoweit allein an die Verfügungsbefugnis an. Daß schließlich das Zeugnisverweigerungsrecht nicht abgestuft ist und auch bei schwersten Verbrechen besteht, ließe einen Rückschluß auf in § 203 geschützte öffentliche Belange (so Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1747) nur zu, wenn der Kreis der Schweigepflichtigen und der Zeugnisverweigerungsberechtigten identisch wäre. Das ist aber nicht der Fall (s. auch Erdsiek NJW 1963 632, 633). Dagegen besteht das Wesen aller in § 203 aufgeführten Tätigkeiten darin, daß sie in die Privatsphäre eindringen und teilweise mit Geheimnissen intimer Natur umgehen. Auch im Bereich der Verwaltung (Absatz 2 Satz 1) setzt der Strafschutz des § 203 nicht bereits ein, wo das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Amtsverschwiegenheit berührt ist, sondern erst beim Umgang mit privaten Geheimnissen. Dem entspricht die rechts- und verfassungspolitische Verknüpfung der Vorschrift mit dem Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 G G (Rdn. 4). Ein ausschließlich oder überwiegend auf öffentliche Belange zugeschnittenes Verständnis der Bestimmung ist damit nicht vereinbar. Wäre Rechtsgut ein allgemeines, zur Funktionsfähigkeit der Berufe erforderliches Vertrauen in die Verschwiegenheit ihrer Angehörigen, so wäre § 203 tendenziell als (Gesundheits-)Gefahrdungsdelikt zu begreifen (Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 61; Ostendorf JR 1981 444, 446). Ferner gehörte sein Absatz 2 systematisch als Amtsdelikt in den 30. Abschnitt; dort würde er mit § 353 b kollidieren (vgl. TröndlelFischer § 353b Rdn. 1; Träger LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 2, 34) und wäre zudem überflüssig. Selbst Geheimschutzvorschriften, die - wie § 353 d Nr. 2 und § 355 - öffentlichen und privaten Interessen zugleich dienen (Träger LK 10. Aufl. § 353d Rdn. 21; Schäfer LK 10. Aufl. § 355 Rdn. 2 ff), haben nicht im 15. Abschnitt, sondern im Abschnitt über die Amtsdelikte Aufnahme gefunden. Es wäre gänzlich unverständlich, warum der Gesetzgeber bei § 203 systematische Gesichtspunkte völlig vernachlässigt haben sollte. Daß dies nicht seine Absicht war, erhellt indessen aus den Materialien, die die Individualsphäre als das geschützte Rechtsgut bezeichnen (E 1962 S. 326; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 235), sowie aus der vom Gesetzgeber beschlossenen Uberschrift des 15. Abschnitts. Der in Absatz 2 auch aufgenommene Datenschutz schließlich ist nach Herkunft und Zielrichtung ausschließlich als individuelles Abwehrmittel gegen neue Formen der Offenlegung des Privaten zu verstehen. 40

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Festschrift S. 925, 939 mit daraus hergeleiteter Forderung nach Zubilligung von Zeugnisverweigerungsrechten; s. nunmehr § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6. Vgl. zu der Frage, ob Angehörige privater Banken schweigepflichtig sein sollen Prot. 7/177 ff; zur Forderung nach Zeugnisverweigerungsrechten für Sozialarbeiter BVerfGE 33 367; Schilling JZ 1976 617; für Angehörige der privaten Haftpflichtversicherung BVerfG ZfS 1982 13; OLG

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Celle NJW 1985 640; NStZ 1982 393; Bruns Maurach-Festschrift S. 469, 484; D. Meyer MDR 1973 812; Geppert Beschlagnahme von Schadensakten usw., DAR 1981 301; ferner KKSenge § 53 Rdn. 2; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 3; Meeger VersR 1974 945; G. Schmidt VersR 1975 310. Haft NJW 1979 1194; J. Meyer ZStW 90 (1978) 213, s. auch Tiedemann NJW 1981 945, 946.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Ist das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Berufsangehörigen mithin nichts anderes als das generalpräventive Interesse, das hinter jeder Bestrafung steht (Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 360; Schmidhäuser BT 6/27), so ergibt sich daraus zugleich, daß auch seine Bezeichnung als sekundäres Rechtsgut nicht trägt ('Ostendorf JR 1981 444, 447). Ebensowenig läßt sich die private Sonderbeziehung zwischen Arzt und Patient als Schutzgut betrachten; 41 es ist nicht ersichtlich, warum ein privates Vertrauensverhältnis um seiner selbst willen unter Strafschutz gestellt sein sollte. 16

2. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik. Freilich kann die Ablehnung der These vom Kollektivrechtsgut nur dann überzeugen, wenn es gelingt, die Ausgestaltung des § 203 als Sonderdelikt, d. h. die Einschränkung des Tatbestands auf den Schutz der Geheimnisse in den Händen nur bestimmter Vertrauenspersonen, durch ein anderes normatives Prinzip zu erklären. Denn wenn man mit den meisten Vertretern der h. L. auf die Auffindung eines derartigen Prinzips verzichtet (etwa Jähnke Voraufl. Rdn. 16f mit der Beschränkung auf die bloße These vom Individualrechtsgut), so wird die systematische Auslegung des Tatbestandes vermöge einer Berücksichtigung sowohl des Rechtsgüterschutzinteresses als auch der im Tatbestand vom Gesetzgeber verarbeiteten Strafeinschränkungsinteressen (Schiinemann Bockelmann-Festschrift S. 117) durch eine positivistisch-kasuistische und damit letztlich zufällige Interpretation ersetzt, und man bleibt auch dem zentralen Argument der These vom Kollektivrechtsgut, nämlich der Synchronisierung mit der Sonderdeliktsstruktur des Tatbestandes, die Antwort schuldig. Den Schlüssel zur Lösung dieses Dilemmas bietet die Viktimodogmatik, die 1977 an den Beispielen des Betruges und der Verletzung von Privatgeheimnissen erstmals entwickelt worden ist 42 und deren Kern in der These besteht, daß die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platz ist, wenn das Opfer keinen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf, woraus sich die Auslegungsmaxime ableiten läßt, alle diejenigen Verhaltensweisen im Rahmen methodisch zulässiger Tatbestandsauslegung aus dem Strafbarkeitsbereich zu eliminieren, gegenüber denen sich das Opfer in einfacher und ohne weiteres zumutbarer Weise selbst schützen kann. 43 Unbeschadet des anhaltenden Streites über dieses allgemeine Prinzip, bei dem dessen (zahlenmäßig überwiegende) Kritiker in der Regel dessen bloße Forderung nach einer Berücksichtigung viktimodogmatischer Aspekte im Rahmen einer teleologisch umfassenden Tatbestandsauslegung als Proklamation eines prinzipiellen Vorrangs mißverstehen, 44 bleibt für § 203 wie auch für die übrigen Delikte des 15. Abschnitts festzuhalten, daß die vom Gesetzgeber hier gezogenen Strafbarkeitsgrenzen gerade nicht durch eine bloße Rechtsgutsbetrachtung, sondern nur viktimodogmatisch erklärt werden können. Denn es fällt auf, daß das Gesetz den Kreis der schweigepflichtigen Personen nicht funktional, d.h. von dem Gegenstand der Berufsausübung her, abgrenzt, sondern sich einer scheinbar vordergründigen 41

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aA Stucke S. 84 f unter anfechtbarer Berufung auf Samson SK Rdn. 39; wohl auch Krauß ZStW 97 (1985) 81, 114. Von Amelung GA 1977 1, 17, 22 und von Schünemann auf dem Vortrag der Gießener Strafrechtslehrertagung 1977, publiziert in ZStW 90 (1978), 11 ff, bes. 32, 34, 54 ff, 65. In dieser Form als allgemeine Auslegungsmaxime ausgebaut von Schünemann Bockelmann-Festschrift S. 130 ff; ders., in Schneider

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(Hrsg.) Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege (1982) S. 407ff; ders. Faller-Festschrift S. 357 ff; ders. NStZ 1986 439 ff; ders. Schmitt-Festschrift S. 117, 125 ff. In die gleiche Richtung bei konstruktiv anderem Ansatz Cando Meliä ZStW 111 (1999), 357ff. So auch wieder der jüngste Kritiker Günther Lenckner-Festschrift S. 69ff; abgewogen Roxin, Strafrecht AT I § 14 Rdn. 19ff.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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Kasuistik befleißigt und dabei die Einbeziehung der im Gesetz einzeln aufgezählten Beratungsberufe von einer staatlichen Anerkennung der betreffenden Berufsqualifikation abhängig macht, so daß Heilpraktiker, Prozeßagenten oder Psychotherapeuten ohne staatlich anerkannte Abschlußprüfung die ihnen anvertrauten, zweifellos nicht weniger heiklen Geheimnisse straflos verraten dürfen, während die Sekretärin des Anwalts oder die Sprechstundenhilfe des Arztes über Abs. 3 in den Strafbarkeitsbereich einbezogen ist. Die einzige schlüssige Erklärung, die gerade auch in historischer Perspektive klar hervortritt, besteht in der viktimodogmatischen Maxime: Indem § 300 des RStGB von 1871 den Geheimnisverrat von seinem alten Verständnis als Standesvergehen ablöste und zugleich den im ausländischen und partikularen Strafrecht z.T. anzutreffenden uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses 45 auf die Rechtspflege- und Medizinalberufe einschränkte, konkretisierte er lediglich die viktimodogmatische Maxime unter Beachtung der damaligen sozialen Verhältnisse. Wichtige Geheimnisse können nämlich in allen Berufen, etwa auch als Friseur oder Schneider erfahren werden - ein den billigerweise zu verlangenden Selbstschutz des Geheimnisträgers vereitelnder faktischer Zwang, die eigenen Geheimnisse fremden Personen anzuvertrauen, bestand damals aber nur gegenüber Rechtsanwälten und Ärzten und den diesen eng verwandten Berufen, so daß der Strafschutz also nur dort eingriff, wo der Selbstschutz des Opfers versagen mußte, weil es zur Öffnung seiner Geheimsphäre wohl oder übel gezwungen war. Die Ausdehnung des schweigepflichtigen Personenkreises im Rahmen der Novellengesetzgebung zum StGB ist dementsprechend nichts anderes gewesen als die Anpassung des Rechts an die durch die sozialen Veränderungen eingetretenen Offenbarungszwänge: In den Medizinalbereich mußten die Berufspsychologen als die modernen Seelenärzte sowie diejenigen privaten Versicherungen aufgenommen werden, denen von ihrer Funktion her der Zugang zu medizinischen Geheimnissen nicht verwehrt werden kann. Ferner sind die Ehe-, Erziehungs-, Jugend-, Sucht- und Schwangerschaftsberater sowie die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen hinzugefügt worden, weil die Inanspruchnahme dieser Berufe bei den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr als ein keines Strafrechtsschutzes bedürfender Luxus angesehen werden kann - wie es weiterhin die Inanspruchnahme eines Heilpraktikers ist - , so daß die mit einer solchen Konsultation zwangsläufig verbundene Öffnung der eigenen Geheimsphäre infolgedessen keine Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes darstellt. 46 Ob AIDS-Berater hierzu gezählt werden und dementsprechend in den Katalog des § 203 aufgenommen werden sollten, ist gegenwärtig lebhaft umstritten 47 und vom Gesetzgeber bisher offensichtlich bisher deshalb verneint worden, weil er für diese Beratungsaufgaben Ärzte und Psychologen für kompetent und in ausreichendem Maße konsultierbar hält, so daß die Konsultation eines nicht zu diesen Gruppen gehörenden Streetworkers von ihm genauso als eine keines Strafrechtsschutzes bedürftige Luxushandlung angesehen wird wie die Konsultation eines Heilpraktikers an Stelle eines Arztes. Die viktimodogmatische Maxime liefert also schlicht die Erklärung für eine sonst rätselhaft bleibende Abgrenzung des Strafbarkeitsbereiches durch den Gesetzgeber, und sie liegt auch weiteren Tatbeständen dieses Abschnitts offensichtlich zugrunde, so dem § 202 durch die Beschränkung des Schutzbereiches auf verschlossene Schriftstücke (o. § 202 Rdn. 2) und dem § 202 a durch die Forderung einer besonderen Zugangssicherung (o. § 202a Rdn. 14, 15, 16). Sie ist auch für die Auslegung des § 201 45

(99)

Vgl. nur § 155 Preußisches StGB sowie Finger VDB VIII S. 301 ff, 3I8ff; Vogler MatStrRef 2 S. 393.

46 47

Schünemann ZStW 90 (1978), 54 f. Dazu Schünemann in: Szwarc (Hrsg.) AIDS und Strafrecht ( 1996), S. 9, 57 f.

Bernd Schünemann

17

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

fruchtbar zu machen (o. § 201 Rdn. 14, 19, 20, 21) und spielt für die Interpretation des § 203 bei zahlreichen Einzelfragen eine wichtige Rolle (u. Rdn. 39, 59, 85, 99, 125). Da sie allenthalben keine Erfindung des Interpreten darstellt, um à tout prix eine in ihrer kriminalpolitischen Weisheit von den Kritikern bestrittene Strafbarkeitseinschränkung durchzusetzen, sondern die in denkendem Gehorsam erfolgende Verdeutlichung der legislatorischen Entscheidung, findet die Argumentation ihrer Kritiker, die sich bezeichnenderweise auch noch kein einziges Mal auf diese Deliktsgruppe eingelassen haben, in diesem Bereich keinen Angriffspunkt.

IV. Tathandlung 18

Tathandlung ist die Offenbarung eines in beruflicher Eigenschaft erlangten fremden Geheimnisses. Der Geheimnisoffenbarung steht die Datenpreisgabe im Amt nach Absatz 2 Satz 2 gleich. 1. Geheimnisbruch

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a) Begriff des Geheimnisses. Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt oder zugänglich ist, die derjenige, dessen Sphäre sie entstammt, nicht aus diesem Kreis hinausgelangen lassen will oder, würde er sie kennen, nicht aus diesem Kreis hinausgelangen lassen wollte und an deren Geheimhaltung er ein von seinem Standpunkt aus verständliches Interesse hat. Die Elemente des Geheimnisbegriffs sind damit Geheimsein, Geheimhaltungswille, objektives Geheimhaltungsinteresse (G. Schmidt ZStW 79 [1967] 741, 782; Geilen in Kölner Komm. z. AktG § 404 Rdn. 22 ff; Otto Großkommentar AktG § 404 Rdn. 12 fi). Diese Begriffsbestimmung entspricht der weit überwiegend vertretenen Ansicht in Rechtsprechung 48 und Literatur. 49 Kein sachlicher Unterschied verbirgt sich hinter dem Umstand, daß vielfach nicht der Wille, sondern das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung als maßgebend bezeichnet wird. Das Interesse muß stets vom Willen getragen sein, weil die Rechtsordnung niemandem seine Geheimnisse aufnötigen kann. Wo es an einem realen Willen mangels Kenntnis des Geheimnisses fehlt (etwa bei der allein dem Arzt bekannten Krankheit des Patienten), ist der vermutete Wille 48

49

BGHZ 40 288, 292; BGH GRUR 1955 424; BGH, Urt. v. 20.9.1979 - 4 StR 364/79 bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 94; BSGE 47 118, 121; RGSt. 74 110, 111; RGZ 149 329; 333; RG GA 45 (1897) 364; 50 (1903) 140; RG JW 1936 2081; 1938 3050; OLG Schleswig NJW 1985 1090, 1091; LG Aurich NJW 1971 252. Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 487; Arians in Oehler S. 307, 326; Arzt! Weber LH 1 Rdn. 503; Arzt Schutz der Intimsphäre S. 187; BaumbachlHefermehi Wettbewerbsrecht § 17 UWG Rdn. 2, 5; Becker MDR 1974 888, 889; Blei BT § 33 II 1; Bockelmann in Ponsold S. 11; BT 2 § 34 II; BohnelSax S. 159, 174; Geppert Strafvollzug S. 18; TröndlelFischer Rdn. 2; Flor JR 1953 368; Frank § 300 Anm. I 4; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 103 ff; Kalifelz JW 1936 1343; Kohlhaas GA 1958 65, 68; VersR 1965 529, 531; Kraßer GRUR 1977 177, 178; Krey BT 1 Rdn. 458;

Kümmelmann AnwBl. 1984 535; Lackner/Kühl Rdn. 14; Laufs Arztrecht Rdn. 434; Kähne Berufsrecht S. 129; Lenckner in Göppinger S. 159, 171; Lenckner in EserlHirsch S. 227, 231; MaurachlSchroederlMaiwald BT 1 § 29 III 1; K. Müller in Mergen II S. 63, 90; Ostendorf JR 1981 444; Otto Grundkurs BT § 34 III lb; Rein VersR 1976 117, 119; Eh Schmidt Arzt im Strafrecht S. 24, 31; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 5; Schmidhäuser BT 6/27; Scholz NJW 1981 1987; Schwalm Med. Klinik 1969 1722; Küchenhoff-Festschrift S. 681, 693; Stürner JZ 1985 453; Tiedemann ZStW 86 (1974) 1030f; Tiedemann in Scholz GmbHG § 85 Rdn. 7; Welze,I § 45 II 1; Wessels IHettinger BT 1 Rdn. 563; Woesner NJW 1957 692; kritisch Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 361; Samson SK Rdn. 26; aA Rogali NStZ 1983 1, 6.

Stand: 1. 8. 2000

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ausschlaggebend. Nur für die Ermittlung des vermuteten Willens ist auf die Interessenlage des Betroffenen - welche sich zumeist aus der Natur der verborgenen Tatsache von selbst ergibt - zurückzugreifen (RGSt. 29 426, 430; BGH GRUR 1977 539, 540). Eine Bewertung des Willens findet lediglich in Ausnahmefallen statt (Rdn. 27). In dem Begriff sind die frühere Willenstheorie, die das Wesen des Geheimnisses im Geheimhaltungswillen erblickte, und die Interessentheorie, welche ein objektiv gerechtfertigtes Geheimhaltungsinteresse forderte, miteinander verbunden. 50 Der Willenskomponente verbleibt jedoch ein deutliches Übergewicht. Ist das Geheimnis verkörpert, ζ. B. in schriftlichen Aufzeichnungen oder Abbildungen festgehalten, erstrecken sich die Regeln über den Umgang mit ihm auf die Sache. Das Eigentum daran ist mit dem Geheimnis „belastet" (OVG Lüneburg NJW 1975 2263, 2264; Hammer NZA 1986 305, 308; Kühne NJW 1977 1478, 1480). aa) Gegenstand eines Geheimnisses sind allein Tatsachen, so daß Unwahrheiten 2 0 („unwahre Tatsachen") 51 ebenso wie Werturteile 52 ausscheiden. Jedoch ist der Umstand, daß jemand eine bestimmte Erwartung hegt, eine Meinung geäußert oder ein Werturteil abgegeben hat, seinerseits eine Tatsache, welche Geheimnischarakter haben kann, so bei psychologischen Tests, auch politischen Äußerungen während des Arztbesuchs.S3 Auf Grund besonderen beruflichen Wissens gezogene Schlußfolgerungen können dem Begriff zuzuordnen sein, sofern Tatsachen und Erfahrungssätze miteinander verknüpft werden (vgl. Knemeyer DB 1984 Beil. 18/84). Die auf Grund ärztlicher Untersuchung festgestellte oder ausgeschlossene Eignung eines Bewerbers für einen bestimmten Beruf oder Arbeitsplatz ist daher ein Geheimnis,54 ebenso die dem Apotheker aus dem Rezept sich erschließende Diagnose (Noll Gerwig-Festgabe S. 135, 139). Das Fehlen bestimmter Umstände ist für sich genommen keine Tatsache, kann aber einen geheimnisfahigen Zustand charakterisieren und so mittelbar von der Schweigepflicht erfaßt sein wie der ausgezeichnete Gesundheitszustand eines angeblich Leidenden (Bockelmann in Ponsold S. 13). Zur Abgrenzung von Tatsachen und Werturteilen allgemein BGHR § 824 BGB Tatsachenbehauptung 1; Geppert Jura 1983 530, 541; Herdegen LK 10. Aufl. § 185 Rdn. 2 f; § 186 Rdn. 8; Kienapfel Privatsphäre und Strafrecht S. 27; Tiedemann LK § 263 Rdn. 13 ff. Umstände, welche für sich genommen keinen geheimen Charakter tragen, unterliegen der Schweigepflicht, sofern sie mit einem Geheimnis untrennbar verbunden sind (OLG München AnwBl. 1975 159). Gleichgültig ist, auf welchen Lebensbereich sich die Tatsache bezieht, sofern sie nur einer bestimmten Person zuzuordnen ist;55 wie gerade auch die Aufzählung der schweigepflichtigen Personen deutlich macht, kommen sowohl Geheimnisse der Privatsphäre als auch solche der beruflichen und geschäftlichen Sphäre in Betracht. Während die Geheimnisse der Privatsphäre zivilrechtlich in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen (Ehmann JuS 1997 193, 199fl), werden Betriebsund Geschäftsgeheimnisse vom zivilen Deliktsrecht durch das Recht am eingerichteten 50

51

Frank § 300 Anm. I 4; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 23 ff; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741,784. Insoweit aA Gössel BT 1 § 37 Rdn 107; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 804 unter Hinweis auf Reichel (DStrafrechtsZtg 1921 Sp. 338); Schreiner S. 37; dazu schon Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 27 f, ferner Rdn. 2.

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52

53

54

55

aA Prochnow Grüner-Festgabe S. 463, 466; für Daten Hauck in Hauck SGB I Κ § 35 Rz. 22; Pickel M D R 1984 885, 886. Bockelmann in Ponsold S. 10; BohnelSax S. 159, 172; Sehl Schröder ILenckner Rdn. 5. aA Schmid DB 1968 954, 957; Scholz N J W 1981 1987, 1989. O L G Karlsruhe NJW 1984 676; TröndlelFischer Rdn. 3; LacknerlKühl Rdn. 14; Rogali NStZ 1983 1,5.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie durch das Verbot unlauteren Wettbewerbs geschützt. 56 § 203 stellt beide Geheimnisgruppen gleich, jedoch unterliegen die Vermögenswerten Geheimnisse weitgehend besonderen Regeln. Nicht erfaßt sind hingegen Geheimnisse des Staates (Rdn. 32). 21

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, die sich auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb beziehen und für seine Wettbewerbsfähigkeit, u. U. auch für das Verhältnis der Betriebszugehörigen untereinander, von Bedeutung sind. 57 Darunter kann alles fallen, was nach dem Geschäftsgebaren des Unternehmers dem Betrieb so eigentümlich ist, daß es in anderen Kreisen nicht bekannt ist und nicht zur Anwendung kommt (RGSt. 31 90, 92; R G Z 149 329, 334), insbes. auch das sog. Know-How.58 Eine scharfe Scheidung zwischen beiden Arten von Unternehmensgeheimnissen ist nicht möglich und, da das Gesetz daran keine Folgen knüpft, entbehrlich. Tendenziell betreffen Betriebsgeheimnisse den technischen, Geschäftsgeheimnisse den kaufmännischen Teil des Unternehmens. 59

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bb) Geheimsein. N u r einem beschränkten Personenkreis darf die Tatsache zur Verfügung stehen. Ist sie einer ungewissen Vielzahl von Personen bekannt oder ohne Schwierigkeiten zugänglich, 60 hat sie den behüteten Bereich der Individualsphäre verlassen. Sie ist alsdann offenkundig, weil die Zahl der Unterrichteten nicht mehr kontrolliert und gesteuert werden kann. Gewährt die Rechtsordnung den Zugang durch Einsichtsrechte in öffentliche Register (§ 12 GBO, § 915 ZPO), fehlt es mangels kontrollierbarer Zahl der Eingeweihten auch dann an einem Geheimnis, wenn die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Darlegung eines berechtigten Interesses abhängt (kritisch Leue in Vollkommer S. 98 f, 100 ff). Maßgebend sind die faktischen Verhältnisse ohne Rücksicht darauf, wie sie entstanden sind (G. Schmidt ZStW 79 [1967] 741, 798). Lediglich die vom Täter selbst veranlaßte Ausspähung beseitigt den Geheimnischarakter niemals, weil die Vorbereitung des Verrats nicht zugleich G r u n d seiner Straflosigkeit sein kann (RGSt. 38 108, 111). Beschränkt ist der „Kreis der Wissenden", wenn er überschaubar, insbesondere bestimmt oder bestimmbar 6 1 ist. Er braucht weder persönlich noch etwa durch Schweigepflichten rechtlich miteinander verbunden zu sein,62 weil sonst die Geheimniseigenschaft schon dann entfiele, wenn ein einziger Außenstehender die Tatsache erfährt. Auch absolute Zahlen sind für das Geheimsein nicht wesentlich, weil der

» § 17 UWG; BGHZ 17 41, 51; ErmanlSchiemann BGB § 823 Rdn. 73; Münchener KommentarMertens § 823 Rdn. 153; Soergel-Zeuner § 823 Rdn. 145; StaudingerlJ. Hager § 823 Rdn. Β 139. 57 Breuer NVwZ 1986 171, 172; Umweltrecht S. 89, 90; Dannecker BB 1987 1614, 1615; Knemeyer DB 1984 Beil. 18/84; Pickel MDR 1984 885, 886; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 785; Stürner JZ 1985 453; abw. Arians in Oehler S. 307, 326. 5 « BGHZ 17 41, 53; RGZ 65 333, 335; RG GA 50 (1903) 140; BaumbachlHefermehl Wettbewerbsrecht § 17 UWG Rdn. 2; Kraßer GRUR 1977 177, 181; Stürner JZ 1985 453, 454; zur Geheimnisfähigkeit von Insider-Informationen Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2001 sowie näher § 204 Rdn. 7. 59 RGSt. 29 426, 430; 31 90, 91; Stürner JZ 1985 453.

® BGHZ 40 288, 292; RGSt. 38 108, 110; RG JW 1929 3087; Arians in Oehler S. 307, 327; Dannecker BB 1987 1614; Engler RdJB 1979 62, 65; Träger LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 7; s. auch BGHSt. 6 292, 293; RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243. 61 BGHSt. 10 108, 109; RGSt. 38 108, 110; 74 110, 111; Bohne/Sax S. 159, 172; TröndleIFischer § 93 Rdn. 3; Engler RdJB 1979 65; Kohlhaas GA 1958 65, 68; Lenckner in EserlHirsch S. 227, 231; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 6; Samson SK Rdn. 26. 62 Bockelmann BT 2 § 34 II 2a; K. Müller in Mergen II S. 63, 89; Stucke S. 20; Tiedemann in Scholz GmbHG § 85 Rdn. 11; Vollmer S. 58; aA Gössel BT 1 § 37 Rdn. 105; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 26; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 782; Schwalm Med. Klinik 1969 1722.

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Begriff relativ (RGSt. 74 110, 111) und im Einzelfall auszufüllen ist (RGSt. 42 394, 396). In einem kleinen Gemeinwesen kann die Kenntnis weniger Bürger bereits Offenkundigkeit bedeuten (RGSt. 38 62, 65 f); ein Betriebsgeheimnis, mit dem viele Werksangehörige umgehen, verliert diese Eigenschaft erst, wenn es die Konkurrenz erfahrt oder ohne Schwierigkeiten erfahren kann. 63 Das Geheimnis eines Schülers oder eines Arbeiters ist gewahrt, solange nur die Klassenkameraden oder einige Arbeitskollegen es kennen; es kann beseitigt sein, wenn die ganze Schule oder alle Betriebsangehörigen davon wissen (Engler RdJB 1979 65; Hinrichs DB 1980 2287). Nach einer griffigen Faustformel ist die Grenze dort zu ziehen, wo es aus der Sicht des Betroffenen nichts mehr verschlägt, wenn auch noch weitere Personen von der Tatsache Kenntnis erhalten (Bockelmann in Ponsold S. 11; BT 2 § 34 II 2 a). „Offene Geheimnisse" gibt es nicht; der Ausdruck charakterisiert die Art, wie Klatsch verbreitet zu werden pflegt. Dagegen bleibt eine Tatsache rechtlich ein Geheimnis, wenn sie nur als Gerücht in Umlauf ist, so daß sie für Außenstehende noch der Bestätigung bedarf, 64 oder wenn wesentliche Einzelheiten der Öffentlichkeit noch unbekannt sind (RGSt. 26 5, 7). Auch der Vorverrat führt nicht notwendig zur Offenkundigkeit. 65 Ihrer Natur nach offenkundig sind Tatsachen, die jedermann sieht oder kennt, so 2 3 äußerlich wahrnehmbare Gebrechen (zweifelhaft LG Köln MedR 1984 110), aber nicht notwendig ihre Ursache (Kohlhaas GA 1958 65, 68); Name und Familienstand (Rein VersR 1976 117, 119). Nicht geheim sind ferner Vorgänge, die sich in der Öffentlichkeit abgespielt haben, etwa Unfälle im Straßenverkehr (Kohlhaas DMW 1963 2356), polizeiliche Festnahmen auf offener Straße einschließlich der Tatsache, daß darüber Akten existieren (OLG Koblenz OLGSt. a. F. § 203 S. 5). In öffentlicher Gerichtsverhandlung erörterten Tatsachen fehlt ab diesem Zeitpunkt (OLG Schleswig NJW 1985 1090, 1091) der Geheimnischarakter ohne Rücksicht darauf, ob Zuhörer anwesend waren (Rogali NStZ 1983 1, 6; Samson SK Rdn. 26; aA Mittelsteiner DStR 1976 340); bei nichtöffentlicher Verhandlung entscheidet die Erwähnung in den öffentlich verkündeten Urteilsgründen (vgl. BGHZ 40 288, 293). Technische Neuerungen verlieren ihren Geheimnischarakter mit der Markteinführung (Bullinger NJW 1978 2121, 2124), bei vorheriger Offenlegung im Zulassungsverfahren zu diesem Zeitpunkt. Ebenso sind Patente offenkundig (RGSt. 39 321, 323), ferner in Fachzeitschriften besprochene Entwicklungen (Arians in Oehler S. 307, 329; zu eng RGSt. 40 406, 407). Zur Offenkundigkeit von Anschriften und Kfz-Halterdaten u. Rdn. 48 a. E. Entsprechend der menschlichen Neigung zum Vergessen ist auch der Zeitablauf geeignet, das faktische Geheimsein einer Tatsache zu beeinflussen. Öffentlich bekannt gewesene Umstände können zum Geheimnis werden, sobald niemand außer den Betroffenen mehr davon weiß (RGSt. 31 90, 91; OLG Koblenz OLGSt. a. F. § 203 S. 5; Rogali NStZ 1983 1, 6; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 6). Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß auch keine allgemein zugänglichen Berichte darüber existieren oder daß diese nur unter Schwierigkeiten auffindbar sind. cc) Geheimhaltungswille. Zum Begriff des Geheimnisses gehört weiter der 2 4 Geheimhaltungswille (Rdn. 19). Das RG hatte hierzu ausgeführt, eine Tatsache werde 63

64

RGSt. 29 426, 430; 40 406, 407; 42 394, 396; RG GA 50 (1903) 140; Arians in Oehler S. 307, 327. RGSt. 26 5, 7; 38 62, 65; 74 110, 111; Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 490; Arzt/Weber LH 1 Rdn. 505; Tröndle!Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 14; Lenckner in EserlHirsch

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6S

S. 227, 231; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 6; Samson SK Rdn. 26. BGHSt. 20 342, 383; Lackner/Kühl Rdn. 14; NK-Jung Rdn. 5; Maurach ISchroederl Maiwald BT 1 § 29 III 1; K. Müller in Mergen II S. 63, 89.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

anvertraut, wenn sie „als Geheimnis" einem anderen mitgeteilt oder seiner Kenntnisnahme unterworfen werde; „als Geheimnis" bedeute dabei die Mitteilung unter der Auflage oder der stillschweigenden Forderung der Geheimhaltung (RGSt. 13 60, 62; 66 273, 274; vgl. auch OLG Köln NStZ 1983 412 m. Anm. Rogali). Da Geheimnisse nicht nur anvertraut, sondern dem Schweigepflichtigen auch sonst bekanntgeworden sein können, ist der Geheimhaltungswille aber nicht Kennzeichen des Übermittlungsvorgangs, sondern Bestandteil des Geheimnisbegriffs selbst. Der Geheimhaltungswille braucht nicht stets ausdrücklich erklärt oder sonst kundgetan zu sein, es genügt, wenn er vorhanden ist.66 Die Entbehrlichkeit einer Willenskundgabe erhellt daraus, daß auch Geheimnisse geschützt sind, die der Betroffene nicht kennt. Das Vorhandensein des Willens zur Geheimhaltung folgt regelmäßig aus der Natur der in Betracht kommenden Tatsache. Belastende Umstände aus dem Vorleben, geschäftliche Mißerfolge, Dinge des Familienlebens pflegt man für sich zu behalten; besonderer Feststellungen zur Willensrichtung des Betroffenen bedarf es hier im allgemeinen nicht. 25

Andererseits fehlt es von vornherein an einem Geheimnis, wenn der Betroffene eine Tatsache dem Berufsangehörigen zur Weitergabe an beliebige Dritte (OLG Düsseldorf MDR 1975 1025) mitteilt oder wenn er selbst zu jedermann darüber plaudert. Was der Betroffene überhaupt nicht geheimhalten will, wird gemeinfrei nicht erst durch eine - persönlich und sachlich beschränkbare, zudem widerrufliche - Einwilligung (vgl. BGHZ 64 325, 329). Ebensowenig läßt sich ein offenkundig fehlendes Interesse, um die Befugnis zur Verbreitung der Tatsache gebeten zu werden, der Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung zuordnen.67 Die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung müßte hier auch regelmäßig daran scheitern, daß die Befragung des Einwilligungsberechtigten möglich ist.68 Mit dem Geheimhaltungswillen fehlt in diesen Fällen vielmehr ein konstituierendes Element des Geheimnisbegriffs.

26

Auch der Unmündige oder Geisteskranke (nicht aber der nasciturus, s. u. Rdn. 30) kann einen Geheimhaltungswillen haben ( Woesner NJW 1957 692). Seine Geheimnisse sind gegen Verrat ebenso geschützt wie seine Sachen gegen Diebstahl (RGSt. 2 332, 334; TröndlelFischer § 242 Rdn. 11). Maßgebend ist zunächst der natürliche Wille des Betroffenen (BGHSt. 23 1, 3). Hat er einen gesetzlichen Vertreter, dem die Verfügung über das Geheimnis zusteht, ist dessen Wille vorrangig. Der Betroffene hat es allerdings jederzeit faktisch in der Hand, sein Geheimnis durch Reden zu vernichten.

27

dd) Objektives Geheimhaltungsinteresse. Das private Geheimnis ist schutzwürdig um seiner Eigenschaft als Bestandteil der Individualsphäre willen. Es bedarf keiner Anerkennung aus Gründen des öffentlichen Interesses. Doch kann die Maßgeblichkeit des Geheimhaltungswillens zu einer Überspitzung des Geheimnisschutzes führen, welche der Überzeugungskraft des Strafrechts Abbruch tut. Deshalb bedarf es der Ausfilterung von Belanglosigkeiten, die unter keinem Gesichtspunkt die Zuwendung der Rechtsordnung verdienen. Mit dem Merkmal des objektiven Geheimhaltungs-

BaumbachlHefermehl Wettbewerbsrecht § 17 UWG Rdn. 5; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 783 Fn. 96; aA Dannecker BB 1987 1614, 1615. Hirsch LK vor § 32 Rdn. 136; Roxin WelzelFestschrift S. 447, 461; aA Arloth MedR 1986 295, 297; Hinrichs DB 1980 2287; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 27; vor § 32 Rdn. 54; noch anders Günther Strafrechtswidrigkeit und Straf-

68

unrechtsausschluß (1983) S. 351; dazu Roxin Oehler-Festschrift S. 181, 195. Roxin Welzel-Festschrift S. 447, 461; vgl. dazu die in Rdn. 110 Fn. 186 aufgeführten Autoren, welche die früher in BGH JZ 1974 28 beim Verkauf einer Arztpraxis angenommene mutmaßliche Einwilligung der Patienten mit Recht ablehnten.

Stand: 1 . 8 . 2000

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intéressés geschieht dies.69 Tatsachen, an deren Geheimhaltung der Einzelne von seinem Standpunkt aus kein verständliches Interesse 70 hat, sind keine Geheimnisse. Allerdings wird der Begriff des Geheimhaltungsinteresses mehrdeutig gebraucht. Er dient mitunter auch dazu, den vorhandenen, aber nicht geäußerten Geheimhaltungswillen des Betroffenen zu kennzeichnen (TröndlelFischer Rdn. 5) oder den vermuteten Willen desjenigen, der sein eigenes Geheimnis nicht kennt. Im Interesse eines klaren Sprachgebrauchs sollte er aber auf die ihm innewohnende objektiv-normative Seite begrenzt bleiben. Maßgebend ist der Standpunkt des Betroffenen. Ob der Arzt bei der eidesstattlichen Versicherung (§ 807 ZPO) die Namen von Patienten als Drittschuldnern angeben muß, ist keine Frage des Geheimnisbegriffs (insoweit unzutreffend LG Aurich NJW 1971 252; LG Wiesbaden JurBüro 1977 727). Ebensowenig ist zu prüfen, ob das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen sittlich hochstehend oder rechtlich billigenswert ist. Geheimnisfahig sind auch menschliche Schwächen, sittliche Verfehlungen, Straftaten. 71 Der in anderem Zusammenhang (§ 97 a) beachtliche Gesichtspunkte der Legalität oder Illegalität des Geheimnisses ist grundsätzlich bedeutungslos. Keinesfalls dient das Merkmal dazu, bloße Interessen Dritter oder mittelbar Betroffener an der Wahrung fremder Geheimnisse in den Begriff des Geheimnisses einzubeziehen. Die uneheliche Schwangerschaft der Tochter betrifft rechtlich nur die Tochter, nicht ihre Eltern (BGH JZ 1983 151, 152 m. Anm. Geiget: Eser NStZ 1984 49, 57; Kreuzer JR 1984 294; Laufs NJW 1983 1345, 1347; Lilie NStZ 1983 314); nur das Interesse der Tochter ist daher maßgebend. Danach fallen lediglich Vorgänge wie die Bekanntgabe der üblichen Personalien, einer (nicht notwendig jeder) Anschrift, der Telefonnummer (s. aber zur TelefondatenErfassung u. Rdn. 46) als Bagatellgeheimnisse aus dem Anwendungsbereich des § 203 heraus. Unbeachtlich sind ferner belanglose Wünsche und Empfindungen wie Urlaubspläne, Lieblingsgerichte u.ä. Im Bereich wirtschaftlicher Betätigung ist das Fehlen jeglichen wirtschaftlichen Interesses entscheidend (BGH GRUR 1955 424, 426); auch der Zeitablauf kann eine Rolle spielen (Rein VersR 1977 121). Anderes gilt beim Durst des Diabetikers, der Vorstellungswelt eines Paranoiden als medizinischen Befundtatsachen; und ebenso können geschäftliche Pläne, welche den Börsenkurs des Unternehmens beeinflussen, und selbst die zur Identifizierung geeignete rote Krawatte eines Tatverdächtigen Geheimnisse sein (Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 30). Auch der Gedanke der Mißbrauchsabwehr kann allenfalls in engen Grenzen 2 8 durchschlagen (zu § 53 StPO bedenklich Bringewat NJW 1974 1740, 1742). Die Patientin, die die Praxis des Arztes allein zu dem Zweck aufsucht, andere zu be-

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BGHZ 24 72, 81; O L G Schleswig N J W 1985 1090, 1091; Blei BT § 33 II 1; Bockelmann Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 29 f; Tröndlel Fischer Rdn. 5; Gossel BT 1 § 37 Rdn. 106; Kauder StrV 1981 564; Lenckner N J W 1964 1186; MaurachlSchroederlMaiwald BT 1 § 29 III 1; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 24; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 7; Schiinemann ZStW 90 (1978) 11, 13; aA (Rechtfertigungsfrage) Bohne!Sax S. 159, 174; ähnlich Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 361; NK-Jung Rdn. 4; Samson SK Rdn. 26.

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Enger (berechtigtes, schutzwürdiges Interesse) RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 238; (verständiges Interesse) Roeder Maurach-Festschrift S. 347, 366; gänzlich anders Rogali NStZ 1983 1,6. Bockelmann in Ponsold S. 12f; BT 2 § 34 II 2b; Haft BT § 203 II 2; Kohlhaas GA 1958 65, 68; Lenckner in Eser/Hirsch S. 227, 232; Lenckner in Göppinger S. 159, 172; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 30; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 7; vgl. auch B G H Z 24 72, 81; BGHSt. 33 148; Arians in Oehler S. 307, 337; aA Rützel G R U R 1995 557 ff.

Bernd Schiinemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

stehlen, genießt nicht den Schutz des § 203 (LG Köln NJW 1959 1598; Kreuzer StrV 1983 144; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 570), weil der Kontakt nur scheinbar beruflicher Natur ist. Aber schon das Ansinnen an den Arzt, beruflich Verbotenes zu tun, ist regelmäßig ein Geheimnis,72 weil Simulantentum ein Krankheitssymptom sein kann (vgl. Rieger DMW 1975 567). Daß eine verklagte Behörde die den Verfahrensgegenstand betreffenden Verwaltungsvorgänge dem Gericht vorlegt, kann der Kläger hingegen nicht unterbinden (Harthun SGb 1977 181, 183). 29

ee) Beispiele. Aus dem persönlichen Lebensbereich kommen als Geheimnis in Betracht: Ärztliche Behandlung (OLG Bremen MedR 1984 112; BGHSt. 33 148, 152) einschließlich des bloßen Anbahnungsverhältnisses (BGHSt. 45 363, 366); Patientenname (BAG NZA 1987 515, 516; OLG Bremen MedR 1984 112; OLG Schleswig NJW 1982 2615; LG Köln NJW 1959 1598; BGHSt. 33 und 45, aaO); Mandatserteilung an einen Steuerberater (KG NJW 1989 2893; Taupitz NJW 1989 2871, 2873; aA BAG ZIP 1989 668, 671); Inhalt ärztlicher Atteste (BGHZ 24 72, 81); Verletzungen (RGSt. 26 5); Defloration (BGHZ 40 288, 292); Geschlechtskrankheiten (RGSt. 38 62; RGZ 53 315, 316); Sterilisation (OLG Celle NJW 1963 406); Testierfähigkeit (BGHZ 91 392, 398); Umstände der Klinikaufnahme (BGHSt. 33 148); Röntgenbilder {Kilian NJW 1987 695); Drogenkonsum (LG Karlsruhe StrV 1983 144; Engler RdJB 1979 62, 65); das Bestehen einer privaten Personenversicherung (Frels VersR 1976 511; Rein VersR 1976 117, 120); Vertragsabreden (BGH DB 1983 1921); fingierte Verträge (BGHSt. 34 190); Disziplinarvorgänge (OLG Karlsruhe NJW 1986 145). Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kommen ferner in Betracht: Unveröffentlichte Teile des Jahresabschlusses, Buchführung und Handelsbücher (RGSt. 29 426, 430); Herstellungsverfahren, Rezepte, Kundenlisten (RGSt. 39 321; RG JW 1936 2081; 1938 3050); Zahlungsbedingungen (RG JW 1936 3471); Formen (RGSt. 39 83, 86); Muster und Modelle (RGSt. 31 90; 38 108; 42 394; RG GA 45 [1897] 364); Rechnerhandbuch und Vormuster eines Prozeßrechners (BGH GRUR 1977 539); Beitragsrückstände zur Sozialversicherung (OVG Hamburg BB 1981 207); Entwicklungsgeheimnisse (Bullinger NJW 1978 2121); nur nach Zerlegung des Geräts erkennbare Verbesserungen (RG JW 1929 3087); Liquiditätslage (Ulsenheimer NJW 1975 1999, 2004); geplante Produktänderungen (Stiirner JZ 1985 453); Ausschreibungsunterlagen (Baumbach/Hefermehl Wettbewerbsrecht § 17 UWG Rdn. 5).

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b) Fremdes Geheimnis. Fremd ist ein Geheimnis, das der Sphäre eines anderen als des Schweigepflichtigen selbst entstammt. Es muß nicht notwendig einem Einzelnen gehören, auch gemeinschaftliche Geheimnisse gibt es (RGZ 53 168, 169). Das Geheimnis kann also mehreren Personen nebeneinander zustehen und sogar noch einem Verstorbenen (§ 203 Abs. 4). Dagegen kann eine Leibesfrucht (nasciturus) hier noch nicht Rechtsgutsträger sein; sie betreffende geheime Tatsachen sind deshalb nicht als solche, sondern allenfalls mittelbar als Geheimnisse der Schwangeren oder des Erzeugers strafrechtlich geschützt (eingehend Grabsch passim; rechtspolitische Bedenken bei Keller JR 1991441,446).

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aa) Wenig diskutiert wird die Rolle von juristischen Personen und sonstigen Personenverbänden als Geheimnisträger. Eine Beschränkung auf natürliche Personen ergibt sich weder aus der Entstehungsgeschichte, weil die umstandslose Inkorporation 72

Bockelmann BT 2 § 34 II 2b; M M W 1967 365, 368; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 14; aA ArbG Wuppertal BB 1982 740 betr. Erschleichung

einer Krankmeldung; Laufs Arztrecht Rdn. 428; Schreiner S. 76f.

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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des vor dem EGStGB spezialgesetzlich geregelten Schutzes der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in den strafrechtlichen Schutzbereich unmöglich deren häufigste Träger (Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung u. ä.) vernachlässigen kann, noch aus der Überschrift des 15. Abschnitts, weil diese (von der begrenzten Tragweite des darin liegenden systematischen Argumentes ganz abgesehen) mit dem „persönlichen Geheimbereich" durchaus auch denjenigen einer juristischen Person (!) ins Visier nimmt. Geheimnisse juristischer Personen können auch nicht, zumindest nicht immer und nicht lückenlos, als Geheimnisse ihrer Organe oder Mitglieder erfaßt werden. Vielmehr sind sie sogar, wie die §§ 404 AktG, 85 G m b H G zeigen, gegenüber ihren Organen durch spezielle Straftatbestände geschützt. Da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 19 Abs. 3 G G auch juristischen Personen des Privatrechts zusteht, 73 sind deren Geheimnisse unbedenklich der Rechtsgutsdefinition des § 203 StGB zu subsumieren (and. und irrig Behm Juristische Personen als Schutzobjekte von § 203 StGB? iur. Diss. Kiel 1985). bb) Komplizierter verhält es sich mit den Geheimnissen der juristischen Personen 3 2 des öffentlichen Rechts. Geheimnisse des Staates sind im Verhältnis zu seinen Amtsträgern nicht fremd (TröndlelFischer Rdn. 1; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 44a). Gegenüber seinen Bediensteten hat der Staat eine Stellung inne, welche derjenigen eines Arztes vergleichbar ist, der seine Angestellten in seine eigenen Geheimnisse einweiht. Dieses Innenverhältnis wird im öffentlichen Bereich von § 353 b erfaßt. § 203 Abs. 2 meint dagegen Privatgeheimnisse (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 238), d.h. solche Geheimnisse, die vom Bürger dem Bereich der staatlichen Verwaltung zugänglich gemacht wurden. Daher können auch die in Absatz 2 Nr. 3 bis 5 aufgeführten Personen staatliche Geheimnisse hoheitlicher Art nicht strafbar verraten. Man könnte deshalb und in Anbetracht des weiteren Argumentes, daß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 19 Abs. 3 G G e contrario nur privaten und nicht öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern zusteht, die Geheimnisse dieser Rechtsträger überhaupt aus dem Schutzbereich von § 203 StGB herausnehmen. Aber damit würde man übersehen, daß öffentlich-rechtliche Rechtsträger durchaus am Privatrechtsverkehr teilnehmen können, beispielsweise wenn eine Universität einen Rechtsanwalt mit der Prozeßvertretung in einem (sei es sogar verwaltungsrechtlichen) Rechtsstreit betraut und dieser daraufhin die ihm hierbei anvertrauten Geheimnisse preisgibt. Im Rahmen der Teilnahme am Privatrechtsverkehr können deshalb auch Geheimnisse juristischer Personen des öffentlichen Rechts in den Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB fallen, wobei aber die hierfür in Betracht kommenden Vertrauensverhältnisse der Natur der Sache nach begrenzt sind, was freilich auch für juristische Personen des Privatrechts gilt, die sich beispielsweise ebenfalls nicht (sei es auch repräsentiert durch ihre Organe) beim Psychiater auf die Couch legen können. cc) Ohne Bedeutung für die Anwendung des § 203 ist, ob derjenige, den das 3 3 Geheimnis betrifft, in einer Sonderbeziehung zum Schweigepflichtigen steht (etwa als Patient zum Arzt), oder ob es sich um ein sog. Drittgeheimnis handelt. Auch Drittgeheimnisse sind fremde Geheimnisse (s. dazu Rdn. 39). Zu der umstr. Frage, inwieweit der in einer Sonderbeziehung zum Schweigepflichtigen Stehende gewillt sein muß, das Drittgeheimnis zu wahren, oder ob nur der Wille und das Interesse des Betroffenen maßgebend sind, s. u. Rdn. 99.

73

Murswiek in Sachs Grundgesetz Art. 2 Rdn. 77; Huber in v. Mangoldt!Kleinl Starck G G I Art. 19

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Rdn. 333; Ehmann JuS 1997 193, 201 ff; Erman/Ehmann BGB Anh. § 12 Rdn. 101.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Tatsachen, die den Schweigepflichtigen selbst betreffen, unterliegen der Schweigepflicht insoweit, als sie - wie der Verlauf einer Unterredung - mit dem fremden Geheimnis in untrennbarem Zusammenhang stehen (BGH bei Holtz M D R 1978 281; BayOLGZ 1966 86, 89; O L G München M D R 1981 853, 854). 34

c) Erlangung in beruflicher Eigenschaft. Erfaßt sind nur Geheimnisse, die dem Schweigepflichtigen in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder sonst bekanntgeworden sind. Anvertrauen ist Mitteilen als Geheimnis (Rdn. 24); gleich bleibt, wer dies tut. 74 Auch ein Arzt kann einem anderen Arzt Geheimnisse des Patienten anvertrauen (Bockelmann Strafrechtl. Untersuchungen S. 108 zu BGHSt. 4 355). In sonstiger Weise bekanntwerden kann eine geheimzuhaltende Tatsache insbesondere durch eigene Tätigkeit des Schweigepflichtigen (z.B. die ärztliche Untersuchung), aber auch durch jedes Verhalten des Betroffenen oder Dritter. Eine genaue begriffliche Abgrenzung der beiden rechtlich gleichwertigen Varianten der Kenntniserlangung ist entbehrlich ( B G H Z 40 288, 293f). Erforderlich ist lediglich, daß das Geheimnis den Schweigepflichtigen, durch welche Form der Übermittlung auch immer, erreicht (OLG Bremen N J W 1963 1465). Bei verkörperten Geheimnissen genügt der Zugang {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 17).

35

aa) Der Schweigepflichtige muß bei der Erlangung des Geheimnisses aber, wie der Gesetzeswortlaut ausweist, die in der Täterbeschreibung des § 203 vorausgesetzte Funktion ausgeübt haben (Blei BT § 33 III). Beruflicher Natur in diesem Sinne sind die Tätigkeiten, welche zum Berufsbild des Täters gehören und die er in erlaubter Weise ausübt. Straftaten, auch Beihilfehandlungen zu Straftaten anderer, sind berufsfremd. 7 5 Beim Anwalt kann zur Abgrenzung im übrigen grundsätzlich die gebührenrechtliche und die steuerrechtliche Einordnung der Angelegenheit dienen, weil sie sich am Berufsbild ausrichtet ( B G H Z 18 340, 346; 46 268, 270; 53 394, 396; B G H N J W 1980 1855; 1985 2642; B F H AnwBl. 1981 190; B F H BStBl. II 1986 213); ein einheitliches Geschäft wird dabei aber nicht aufgespalten (BGHSt. 34 295, 298). Berufsfremd tätig ist der Rechtsanwalt, der sich mit Heiratsvermittlung oder mit der Vermittlung von Grundstücksgeschäften befaßt oder der als Gesellschafter - sei es auch nur treuhänderisch - Gesellschaftsanteile hält (abw. K G JR 1985 161, 162). Der Insolvenzverwalter, der nicht Rechtsanwalt sein muß, tritt an die Stelle des Gemeinschuldners und erlangt kraft Amtes nicht lediglich Kenntnis, sondern bei Geschäftsgeheimnissen auch Verfügungsgewalt ( B G H Z 16 172, 175; Rdn. 101). Er scheidet damit als Täter aus (Flor J R 1953 368, 369), ebenso regelmäßig der als Vermögensverwalter (Vogelbruch DStZ 1978 340) und der als Vormund {Flor J R 1953 368, 369) bestellte Anwalt. Einen Grenzfall bildet seine Einschaltung bei der Abwicklung von Erpressungsunternehmungen. Soweit der Anwalt durch § 34 gerechtfertigt ist, ist sein Tun auch Wahrnehmung rechtlicher Interessen und der Berufssphäre zuzurechnen (aA Hass N J W 1972 1081; differenzierend LRIDahs § 53 Rdn. 31). Der Syndikusanwalt (§ 46 BRAO) wiederum erlangt im Rahmen seines ständigen Beschäftigungsverhältnisses, in dem er grundsätzlich nicht als Rechtsanwalt tätig ist, 76 keine unter § 203 fallenden Geheimnisse. 77 Ebenso liegt es bei dem in das Leitungsgremium einer 74

75

RG GA 59 (1912) 463, 464; LZ 1920 929; Bockelmann in Ponsold S. 12; BT 2 § 34 II 3; Tröndle! Fischer Rdn. 7; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 13; Samson SK Rdn. 29; Welp GallasFestschrift S. 391, 394. BGH Beschl. v. 25.6.1976 - StB 18/76; KKSenge § 53 Rdn. 14; Schreiner S. 75 ff; vgl.

76

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BVerfGE 32 373, 381; Laufs Arztrecht Rdn. 428; in der Begründung unzutreffend BGH MDR 1956 625, 626. FeuerichlBraun BRAO § 46 Rdn 9, 13; Jessnitzerl Blumberg BRAO § 46 Rdn. 1. EuGH NJW 1983 503, 505; Söhn in Hübschmann/HepplSpitaler § 102 AO Rdn. 10; aA LG

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Firma berufenen Anwalt (OLG Celle NJW 1983 1573; OLG Düsseldorf M D R 1975 1025). Der Wirtschaftsprüfer hingegen, der als neutrale Person eine Gesellschafterversammlung leitet, wird damit im Rahmen seines wirtschaftsberatenden Aufgabenbereichs tätig (OLG Nürnberg BB 1964 827; allgemein dazu BGHZ 102 128). Der Arzt ist als Angehöriger eines Heilberufs schweigepflichtig. Der Pharmaver- 3 6 treter oder der ärztliche Journalist, der in einer Leserbriefecke medizinische Fragen beantwortet, erfährt Geheimnisse nicht in der von § 203 Abs. 1 vorausgesetzten Eigenschaft. Dasselbe gilt für den zum Leiter einer Justizvollzugsanstalt bestellten approbierten Arzt, der sich auf Verwaltungsaufgaben beschränkt (GroelllMörsberger in FrommannIMörsbergerlSchellhorn S. 212, 230; Marx G A 1983 160, 162; ebenso für Sozialarbeiter Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 65), oder den Leiter des D R K Suchdienstes (Kohlhaas NJW 1967 666, 667). Zum beamteten Arzt im übrigen Rdn. 45; zum Sachverständigen Rdn. 125f. Besondere Schwierigkeiten bestehen mangels eines fest umrissenen Berufsbildes 3 7 bei Sozialarbeitern und Sozialpädagogen (Absatz 1 Nr. 5). Der beamtete Sozialpädagoge, der am Schreibtisch Sachbearbeiteraufgaben wahrnimmt, erfährt Geheimnisse lediglich als Amtsträger (Absatz 2). Eigenverantwortliche Tätigkeiten hingegen wozu aber nicht Hausbesuche zur Überprüfung gestellter Anträge zählen (Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 66; aA Jähnke Voraufl. Rdn. 34) - können ausnahmsweise der persönlichen Schweigepflicht des Absatzes 1 unterfallen (OnderkalSchade in Mörsberger Datenschutz S. 172, 176). Wenn ein Sozialarbeiter das Geheimnis nur als Amtsträger erfahren hat, so darf er es im Rahmen des Arbeitsablaufes innerhalb seiner Behörde auch ohne Einwilligung des Betroffenen weitergeben (eingehend Bruns Schweigepflicht, S. 84 fî), ebenso wie an andere Behörden im Rahmen zulässiger Amtshilfe (allgemein u. Rdn. 44f, 52, 145ff sowie § 76 SGB X). Im übrigen kann man die Zuordnung nicht von der Notwendigkeit einer Verschwiegenheitspflicht abhängig machen (so SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13; Neuhaus Jura 1990 624, 631), weil das auf einen Zirkelschluß hinauslaufen würde. Vielmehr gilt auch für den Sozialarbeiter die allgemeine Regel, daß es auf die Funktion ankommt, in der er ein bestimmtes Geheimnis erfahrt (eingehend u. Rdn. 45). Das bedeutet für die im öffentlichen Dienst stehenden Sozialarbeiter, die nur zum kleineren Teil eine beratende oder therapeutische Tätigkeit ausüben, dagegen zum größeren Teil staatliche Ermittlungsaufgaben wie etwa im Hinblick auf § 1666 BGB wahrnehmen (beispielhafte Aufzählung bei Mörsberger Datenschutz im sozialen Bereich S. 140 ff), daß sie die meisten Geheimnisse als Amtsträger gemäß Abs. 2 und nur die wenigsten in einer Vertrauenstätigkeit gemäß Abs. 1 erlangen. Besonders ausgeprägt ist dies bei den hauptamtlich als Beamte oder Angestellte tätigen Bewährungshelfern, die im Auftrage des Staates die Lebensführung des Probanden zu überwachen und hierüber dem Gericht zu berichten haben (§§ 56d Abs. 3, 68a Abs. 2 und 3 StGB) und deren Schweigepflicht sich in diesem Rahmen deshalb nicht nach der strengen Vorschrift des § 203 Abs. 1, sondern nach Abs. 2 bestimmt. 78 Anders verhält es sich aber natürlich, wenn die Weitergabe der entsprechenden Sozialdaten nur an bestimmte Behörden gestattet ist, wie etwa nach § 65 SGB VIII (dazu das DIV-Gutachten vom 30.7.1998, DAVorm 1999 55).

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München AnwBl. 1982 197; W. Hassemer wistra 1986 1, 14; Roxin N J W 1992 1129; 199S 17. Schenkel NStZ 1995 67 ff; im Ergebnis auch Bruns Schweigepflicht, S. 137 ff; aA Damian

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BewHi 1992 325 ff; Schmitt BewHi 1992 359 ff; Schwab BewHi 1992 369 ff; Onderkal Schade BewHi 1993 136 ff; differenzierend Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 13,40.

Bernd Schünemann

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bb) Andererseits darf der Schweigepflichtige das Geheimnis auch nicht als Privatmann erfahren haben. Er hat es in beruflicher Eigenschaft erlangt, sofern es ihm in Ausübung seiner in § 203 bezeichneten Berufstätigkeit (BGH D B 1983 1921), also in innerem Zusammenhang mit ihr bekanntgeworden ist. 79 Der Zugang zum Geheimnis muß ihm gewährt oder möglich geworden sein, weil er Arzt, Rechtsanwalt etc. ist. 80 Ein Vertrag (OLG Hamburg N J W 1962 689) oder eine zivilrechtliche Sonderbeziehung ist dazu nicht erforderlich, wohl aber ein (sei es auch durch berufstypischen Kontakt begründetes) Vertrauensverhältnis. 81 Der Betriebsarzt, der bei einem Werksangehörigen ohne dessen Zutun eine Krankheit bemerkt, hat darüber nur dann zu schweigen, falls die Kenntnis im Rahmen seiner Tätigkeit erlangt wurde, während zufallige Kenntnis nicht genügt. 82 Eine thematische Begrenzung ist dagegen in der Regel nicht möglich. Was der Lehrer bei einem Ausflug als Lehrer von Schülern erfahrt, ist ohne Rücksicht auf den Gegenstand beruflicher Natur (Engler RdJB 1979 62, 66; Preisendanz Anm. IV 1). Ein geheimer Vorbehalt des Schweigepflichtigen, das erlangte Wissen zu privaten Zwecken verwenden zu wollen, ist bedeutungslos {Bockelmann Strafrechtliche Untersuchungen S. 108; Bindokat N J W 1954 865 zu BGHSt. 4 355).

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cc) Eine für die Anwendung des § 203 zentrale und außerordentlich umstrittene Rolle spielen die sog. Drittgeheimnisse, die nicht den Patienten, Mandanten etc., sondern eine dritte Person betreffen, 83 sei es als isolierte Drittgeheimnisse, wenn sie nur etwas mit dieser Person zu tun haben, oder als verknüpfte Drittgeheimnisse, wenn sie mit einem Geheimnis des Patienten etc. in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (etwa: die Erbkrankheit, die der Patient von seinem Vater geerbt hat, oder die mit dem fremden Geheimnis verknüpfte Tatsache, daß es dem Arzt oder Anwalt von seinem Patienten oder Mandanten anvertraut worden ist). Nach der traditionellen, auch von Jähnke in der Vorauflage (Rdn. 36 f) vertretenen Auffassung sollen Drittgeheimnisse vollständig oder wenigstens „in gewissen Grenzen" (LackneriKühl Rdn. 14) als ein selbständiges Rechtsgutsobjekt geschützt sein, in dessen Verletzung nicht der Patient etc. oder der (u. U. vom Patienten etc. verschiedene) Anvertrauende, sondern nur der Geheimnisträger selbst einwilligen könne, dem auch als alleinigem Verletzten das Strafantragsrecht gemäß § 205 zustehen soll. 84 Dies soll sogar zufällige ärztliche 75

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BGHSt. 22 157, 163; 33 148, 150 m. Anm. Hanack JR 1986 35 und Rogali NStZ 1985 374; R G G A 57 (1910) 207; O L G Hamm G A 1969 220; Lenckner in Göppinger S. 159, 174; Lenckner in EserlHirsch S. 227, 232; K. Müller in Merten II S. 63, 92; Schlund JR 1977 265, 266; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 32; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 15; Samson SK Rdn. 31; Ulsenheimer Handbuch § 70/5 f; zu eng OLG Düsseldorf O L G Z 1979 466; O L G Karlsruhe N J W 1984 676. Schünemann ZStW 90 (1978), 11, 57; Schmitz JA 1996 772, 776; Kallfelz JW 1936 1343, 1345; Ostendorf JR 1981 444, 448; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 113. Etwa bezüglich der Begleitumstände der Krankenhausaufnahme eines bewußtlosen Unfallopfers, s. BGHSt. 33 148, 151; enger NK-Jung Rdn. 6; Samson SK Rdn. 30; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 15; O L G Karlsruhe N J W 1984 676, die ein „Sonderverhältnis" mit nicht recht

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klarem Inhalt verlangen; strikt dagegen Jähnke Voraufl. Rdn. 16f, 35. Das Problem stellt sich vor allem bei den Drittgeheimnissen, s. Rdn. 39, 99. Schmitz JA 1996 772, 776; TröndlelFischer Rdn. 8; aA Jähnke Vorauf!. Rdn. 35; O L G Oldenburg N J W 1982 2615, jedoch nur als obiter dictum; Bockelmann in Ponsold S. 10; Hanack JR 1986 35; wieder and. Samson SK Rdn. 30; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 15, die ohne einen Vertrauensakt des Werksangehörigen die Schweigepflicht gänzlich verneinen wollen. And. Hanack JR 1986, 37; Müsch JuS 1989 964, 986, die auf die Frage der Identität von Anvertrauendem und Geheimnisträger abstellen. Bockelmann in Ponsold S. 10, 12; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 118; Jähnke Vorauf!. § 203 Rdn. 36, § 205 Rdn. 6; Rogali NStZ 1983 413 f; Schlund JR 1977 265, 266; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 394.

Stand: 1. 8. 2000

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Beobachtungen an einer Begleitperson im Wartezimmer oder Klatschgeschichten des Patienten in der Sprechstunde erfassen und ist mit den Bestrebungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts sowie der Einbeziehung der „sonst bekanntgewordenen" Geheimnisse in den Tatbestand begründet worden (Jähnke Voraufl. Rdn. 36). Aber das überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht, denn weil die Bemühungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts die Grenzen der Strafwürdigkeit überschritten und deshalb mit Recht sämtlich gescheitert sind (eingehend Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 35ff), ergeben sie umgekehrt ein starkes Argument für eine restriktive Bestimmung des Drittgeheimnisschutzes (ebenso NK-J««g Rdn. 10), so wie auch die Ablehnung der überindividuellen Rechtsgutsbestimmung (o. Rdn. 14) gegen eine Ausdehnung des Strafrechtsschutzes auf die außerhalb einer konkreten Vertrauensbeziehung erfahrenen Geheimnisse spricht. Richtigerweise ist aus der Beschränkung des Straftatbestandes auf die Partner bestimmter Vertrauensverhältnisse und der sie erklärenden viktimodogmatischen Betrachtungsweise (o. Rdn. 16) eine Begrenzung des Drittgeheimnissen zukommenden Strafschutzes zu folgern. Drittgeheimnisse fallen danach nur dann in den Schutzbereich des § 203, wenn sie im Rahmen einer dort aufgeführten Vertrauensbeziehung entweder innerhalb des ausdrücklich oder konkludent bestimmten Verschwiegenheitsrahmens vom Patienten oder einem anderen Anvertrauenden mitgeteilt oder in einem inneren Zusammenhang damit erfahren worden sind, beispielsweise wenn der Hausarzt die erforderliche Familienanamnese erhebt oder ein angetrunkener Retter ein Unfallopfer zum Arzt bringt, der dabei dessen Fahruntüchtigkeit erkennt ( M ü s c h JuS 1989 964, 967 f). Zur Frage der Einwilligungsbefugnis in diesen Fällen s. Rdn. 99, der Strafantragsberechtigung § 205 Rdn. 6. dd) Beispiele für die Erlangung eines Geheimnisses in beruflicher Eigenschaft fin- 4 0 den sich vor allem im Bereich ärztlicher Tätigkeit. Die Praxisübernahme (BVerfGE 32 373, 382, jedenfalls sofern der Patient zustimmt, vgl. Rdn. 110), die Nachfolge in der Stellung als leitender Arzt (OLG Celle N J W 1963 406), dienstlich erhaltene Einzelmitteilungen wie Blutspenderdaten (Narr Rdn. 745; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 13; a A L G Köln N J W 1956 1112), die Person des Samenspenders bei der künstlichen Befruchtung (Gottwald Hubmann-Festschrift S. 111, 121; aA Zimmermann F a m R Z 1981 929, 932) gehören hierher. Das vom Arzt beim Hausbesuch über Patient und Hausgenossen gewonnene berufsspezifische Wissen ist beruflicher Art, wofür jeder innere Zusammenhang mit dem Anlaß des Erscheinens genügt, nicht aber Klatschsucht des Patienten oder ein die Anwesenheit des Arztes ignorierendes, aus viktimodogmatischen Gründen keinen Geheimschutz verdienendes Verhalten. 85 Die Fahrt zum Patienten ist lediglich Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr. Was der Patient in der Sprechstunde über sich und andere im Rahmen der Konsultation mitteilt, erfahrt der Arzt in dieser Eigenschaft; etwas anderes gilt nach erkennbarem Übergang zu privater Unterhaltung (enger Jähnke Voraufl. Rdn. 38). Ebenso gehören das Anbahnungsverhältnis zur Berufstätigkeit (BGHSt. 33 148 m. Anm. Hanack J R 1986 35 und Rogali N S t Z 1985 374; BGHSt. 45 363, 366; R G G A 59 [1912] 463; aA O L G Karlsruhe N J W 1984 676; Kohlhaas D M W 1963 2356) und der von aufdringlichen Bekannten bei gesellschaftlichen Anlässen erzwungene kostenlose Rat (Schlund 85

And. die h.L., s. Fior JR 1953 368, haas G A 1958 65, 69; Lenckner in S. 159, 174; Sehl Schröder ILenckner Jähnke Voraufl. Rdn. 38; wie hier S. 64; Schünemann ZStW 90 (1978)

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369; KohlGöppinger Rdn. 15; Hillenkamp 11, 57 mit

dem vielbesprochenen Fall, daß der Arzt „Blüten" auf dem Tisch des Hauses liegen sieht, was also nicht unter § 139 Abs. 3 Satz fallt; für bevorstehende Delikte als anvertraute Tatsache s. Rdn. 144.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

JR 1977 265, 266). Am Stammtisch fehlt es daran, es sei denn, daß der Berufsangehörige in konkreter Sache angesprochen wird (Ostendorf JR 1981 444). Beim gemeinsamen Mittagessen Verfahrensbeteiligter fehlt schon der Geheimnischarakter der Gespräche (vgl. OLG Bamberg StrV 1984 499), anders das Pausengespräch des Lehrers mit einem Schüler (Engler RdJB 1979 62, 66). Nicht zu schweigen braucht der Arzt, dem in privatem Kreis an sich harmlose Tatsachen bekannt werden, welche er kraft seiner Sachkunde als Krankheitssymptome erkennt (Kühne Berufsrecht S. 145; Schreiner S. 70; aA Jähnke Voraufl. Rdn. 38; Kalifelz JW 1936 1343, 1345). Die Schweigepflicht setzt aber ein, sobald gesellschaftliche Äußerungen in einen untrennbaren Zusammenhang zu beruflicher Beratung übergehen (OLG Köln M D R 1973 857). Sie umfaßt auch den Umfang einer für den Betroffenen entfalteten Tätigkeit (OLG Schleswig SchlHA 1982 111). Dagegen entfällt ein Schweigegebot bei Tatsachen, die der Berufsangehörige bereits von privater Seite erfahren hat oder die er später nochmals von privater Seite erfahrt (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 18; aA Deutsch Medizinrecht Rdn. 372). d) Offenbaren 41

aa) Begriff. Offenbaren ist jede Hinausgabe von Tatsachen aus dem Kreis der Wissenden oder der zum Wissen Berufenen; 86 nicht erforderlich ist öffentliche Bekanntgabe (Lenckner in Göppinger S. 159, 175). Zum Wissen berufen ist, wer nach dem Willen des Berechtigten das Geheimnis als solches erfahren darf; ferner wer in bestimmten Funktionseinheiten (Kanzlei, Praxis, Behörde) als Bediensteter Zugang zu ihm hat (Rdn. 43, 44). Kein Abgrenzungsmerkmal ist eine gemeinsame Schweigepflicht, weil § 203 auch für Schweigepflichtige untereinander gilt (Rdn. 42, mißverständlich Bockelmann in Ponsold S. 10, 14; BT 2 § 34 II 2 a, 4; M M W 1967 365, 368). Dem Empfänger muß ein Wissen vermittelt werden, das diesem noch verborgen ist oder von dem er jedenfalls noch keine sichere Kenntnis hat. 87 Maßgebend ist dabei die objektive Sachlage, nicht die Sicht des Offenbarenden. 88 Denn nicht der Vertrauensbruch, der sich im Willen zur Preisgabe des Geheimnisses äußert, berührt das geschützte Rechtsgut (Rdn. 15). Angriffsobjekt ist vielmehr das Geheimnis, das nur verletzt ist, wenn es wirklich offenbart wird. Gelangt es allein in der Vorstellung des Täters über den Kreis der Wissenden hinaus, weil der Empfanger bereits unterrichtet ist oder die Mitteilung nicht versteht (insoweit aA Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 490; Geilen in Kölner Komm. z. AktG § 404 Rdn. 53, 66; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 72), liegt lediglich strafloser Versuch vor. Bei verkörperten Geheimnissen (Briefen) ist die Tat spätestens mit dem Zugang der Sache an einen Außenstehenden vollendet (RGSt. 51 184, 189; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 19, 72), wenn dieser also Gewahrsam daran erlangt. Ob dies bei einem digitalisierten Geheimnis in der Weise entsprechend gilt, daß das Verschaffen der tatsächlichen Möglichkeit der Kenntnisnahme

86

87

Arzt! Weber LH 1 Rdn. 506; Bockelmann in Ponsold S. 14; BT 2 § 34 II 4; MMW 1967 365, 368; Langkeit NStZ 1994 6f; MaurachlSchroetter! Maiwald BT 1 § 29 III 2, Pickel MDR 1984 885, 886; Schmidhäuser BT 6/28; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 36; Samson SK Rdn. 35; unzutr. KG FamRZ 1975 164. BGHSt. 27 120, 121; BGH NJW 1995 2915; BayObLG NJW 1995 1623; RGSt. 26 5, 7; KG JR 1985 24, 27; BohnelSax S. 159, 176; Tröndlel

88

Fischer Rdn. 26; Kohlhaas GA 1958 65, 69; K. Müller in Mergen II S. 63, 93; Pickel MDR 1984 885, 886; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 38; MichalskilRömermann NJW 1996 1305, 1308. Tröndlel Fischer Rdn. 26; G. Schmidt ZStW 79 (1967) 741, 798; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19; aA BGHSt. 27 120, 121; Ackermann DJTFestschrift S. 479, 490; Kohlhaas GA 1958 65, 69; Träger LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 21.

Stand: 1.8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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etwa durch Zugriff von Computer-Servicepersonal auf die gesamte EDV-Anlage als eine Offenbarung aller darin gespeicherten Geheimnisse zu qualifizieren ist (vgl. Ehmann CR 1991 293; Otto wistra 1999 201, 202; enger Koch CR 1987 284), ist deshalb zweifelhaft, weil eine reale Kenntnisnahme bei Durchführung des Service bestenfalls in exemplarischer Hinsicht in Betracht kommt, während für die Masse der Geheimnisse eine (dem Serviceunternehmen nicht gestattete und im Normalfall auch nicht erfolgende) zusätzliche Speicherung oder die Herstellung eines Ausdruckes nötig wäre. Dieselben Probleme stellen sich auch beim Einsatz von digitalisierten Bildarchivierungs- und Kommunikationssystemen, sog. PACS (dazu Inhester NJW 1995 685 fï). Je nach der Art des Geheimnisses kann im übrigen bereits die Einsichtnahme in Unterlagen - gleichviel bei wem - ausreichen ( Woesner NJW 1957 692). Unerheblich ist, ob die Mitteilung einen anderen als den vorgesehenen Empfanger erreicht (aA Baumbach/Hefermehl Wettbewerbsrecht § 17 UWG Rdn. 24). Das vermittelte Wissen muß ferner so konkret sein, daß bei einem Betriebsgeheim- 4 2 nis dessen Verwertung möglich (vgl. RG GA 45 [1897] 364, 365), bei einem zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnis der Betroffene ersichtlich ist.89 Fallschilderungen in wissenschaftlichen Publikationen sind in anonymisierter Form damit zulässig.90 Unerheblich ist, ob der Empfanger der Mitteilung seinerseits schweigepflichtig ist, sofern er nur außerhalb des Kreises steht, dem das Geheimnis bisher schon zugänglich war.91 Das Schweigegebot gilt daher auch für Ärzte untereinander, 92 gegenüber dem Krankenhausträger (BAG AP Nr. 2 zu § 320 ZPO Bl. 4) und Verrechnungsstellen (s. Rdn. 70) sowie gegenüber den nicht unterrichteten Angehörigen des Betroffenen 93 und wird vor Gericht durch den Ausschluß der Öffentlichkeit nicht aufgehoben (Kühne JZ 1981 647, 651). Durchbrechungen bedürfen einer besonderen rechtlichen Grundlage. Kein Offenbaren liegt naturgemäß in der Mitteilung an den Betroffenen, auch 4 3 wenn dieser das Geheimnis noch nicht kannte, 94 und an den sorgeberechtigten Vertreter 89

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VG Münster MedR 1984 118, 119; Geppert Strafvollzug S. 19; Krey BT 1 Rdn. 458; Lackneri Kühl Rdn. 17; Maurach/Schroetter!Maiwald BT 1 § 29 III 2; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 19; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1723; Samson SK Rdn. 35; Wessels!Hettinger BT 1 Rdn. 566. Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 490; Bockelmann in Ponsold S. 14; Geppert Strafvollzug S. 19; Grömig NJW 1970 1209, 1211; Lenckner in Göppinger S. 159, 175; Κ Müller in Mergen II S. 63, 81; Rüping Internist 1983 206, 207; Scholz N J W 1981 1987, 1989; Laufs Arztrecht Rdn. 450; Neumann-Duesberg JR 1951 393. BGHZ 116 268; RGSt 57 13, 14; BayObLG NJW 1995 1623 m. Anm. Fabricius StV 1996 485 u. Gropp JR 1996 478; Gramberg-Danielsenl Kern N J W 1998 2708, 2709; Rudolphi S. 421; Schmitz JA 1996 772, 777; s. jedoch auch für die von den Vorgenannten zu wenig berücksichtigten Fälle der üblichen Beratung und Supervision innerhalb derselben Funktionseinheit Rdn. 43, 107. AG Düsseldorf MedR 1986 83; VG Münster MedR 1986 118, 119; Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 490; Becker M D R 1974 888, 890; Bockelmann in Ponsold S. 14; Brandis Med.

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Klinik 1965 353; TröndlelFischer Rdn. 26; Eser ZStW 97 (1985) 1, 43; Geppert Strafvollzug S. 22; Grömig NJW 1970 1209; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 363; Kohlhaas G A 1958 65, 69; Kühne N J W 1977 1478, 1482; Kuhlmann JZ 1974 670; Laufs Arztrecht Rdn. 436; Lenckner in Göppinger S. 159, 175 f; Lenkaitis S. 251; Β Lilie S. 102; C. Müller N J W 1966 1152, 1154; Narr Rdn. 775; Schlund JR 1977 265, 267; Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 19; Samson SK Rdn. 35; abw. Bindokat NJW 1954 865; K. Müller M D R 1971 965, 971. 93

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BGH N J W 1983 2627, 2628; Barmke! DRiZ 1978 182; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 364; Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43; Laufs Arztrecht Rdn. 426; B. Lilie S. 99; Rehberg F. Schwarz-Festgabe S. 23, 35; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 37. Zum vertraglichen Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen BGHZ 85 327; 85 339; zum Einsichtsrecht gegenüber dem Amtsarzt Wimmer DVB1. 1961 274; zum Einsichtsrecht des Häftlings O L G München ZfStrVo 1980 124; Geppert Jur. Gesellschaft Berlin-Festschrift S. 151; Kaiserl KernerlSchöch Strafvollzug § 6 Rdn. 132; Laubenthal Strafvollzug S. 230; w. N. in Fn. 278.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

eines nicht Einsichtsfähigen.95 Kein Offenbaren liegt aber auch darin, daß ein Schweigepflichtiger die zur ordnungsgemäßen Berufsausübung erforderlichen Hilfskräfte zuzieht, 96 und darin, daß ein Anwalt die Bearbeitung einer Angelegenheit einem bei ihm beschäftigten anderen Anwalt überträgt. Das Personal gehört, falls nicht besondere Umstände entgegenstehen, in den Kreis der zum Wissen Berufenen; die Konstruktion einer Einwilligung des Betroffenen zur notwendigen Information der Angestellten wäre gekünstelt (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 36). Ähnlich verhält es sich bei Funktionseinheiten wie dem ärztlichen Dienst in Krankenhäusern, aber nur innerhalb der in das Behandlungsgeschehen und dessen Abrechnung eingegliederten Personen, 97 Versicherungsunternehmen nach Absatz 1 Nr. 6 (Kühne JZ 1981 647, 651; Rein VersR 1976 117, 120) und insbesondere innerhalb der öffentlichen Verwaltung. 44

bb) Behördenverkehr. Die Heranziehung von Bediensteten zur Bearbeitung und Erledigung eines Vorgangs, mit dem die Behörde ordnungsgemäß befaßt ist, fallt nicht unter § 203 Abs. 2.98 Diese Vorschrift dient nicht der Blockierung des Verwaltungsablaufs, sondern dem Schutz vor Geheimnisverrat. Verraten werden Geheimnisse aber nicht, wenn die Behörde von ihnen sachgerechten Gebrauch macht. Denn zu diesem Zweck überlaßt der Bürger sie der staatlichen Institution (vgl. BVerfGE 33 367, 381), allerdings zugleich mit eben dieser Begrenzung. Am bestimmungsgemäßen Gebrauch fehlt es, wenn ein Behördenangehöriger ein Geheimnis aus Klatschsucht an funktionell unzuständige Bedienstete weitergibt, wie der Sachbearbeiter einer Beihilfestelle die Krankheiten eines Kollegen. Behörde ist deshalb nicht die Organisationseinheit, sondern die Funktionseinheit. Ein Geheimnis wird offenbart, wenn es diese verläßt (OVG Lüneburg NJW 1975 2263; Mallmann-Walz NJW 1981 1020, 1021; C. Müller NJW 1966 1152, 1154; Rogali NStZ 1983 1, 8) Der normale Geschäftsgang innerhalb eines Amtes jedoch, die Mitwirkung verschiedener Amtsträger vom Leiter bis zum Schreibdienst, die Erfüllung von Berichtspflichten 99 im hierarchischen Behördenaufbau sowie die gegenseitige Unterrichtung gleichgeordneter Funktionsträger innerhalb des Amtes (für Lehrer Engler RdJR 1979 62, 70) sind nicht an den Kategorien des § 203 zu messen. Diese gesetzlich festgelegte Grenze vermögen Wünsche des Bürgers nach besonderer Vertraulichkeit und entsprechende Zusagen nicht mit strafrechtlicher Wirkung zu verschieben.100 Ist dagegen bei einem Vorgang aus Sach- oder Rechtsgründen eine andere Behörde (Funktionseinheit) zu beteiligen, etwa zwecks Abgabe einer Stellungnahme, zur Anhörung, zur Herstellung des Einvernehmens (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG; Barbey Jur. Ges. Berlin-Festschrift S. 25, 37), so überschreitet diese Art der Mitwirkung den Bereich des Internen. Es liegt alsdann Offenbaren vor, 95

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Barnikel DRiZ 1978 182; Jung ConstantinescoGedächtnisschrift S. 355, 366; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; vgl. auch BVerfGE 59 360, 383. OVG Lüneburg MedR 1985 230, 232; Bockelmann in Ponsold S. 10; BT 2 § 34 II 2 a; Bohne/ Sax. S. 159, 177; Geppert Strafvollzug S. 19; Kühne Berufsrecht S. 131; Lenckner in Göppinger S. 159, 176; abw. Hinrichs DB 1980 2287; B. Lilie S. 98. LG Itzehoe N J W 1993 794; LG Bonn NJW 1995 2419f; Kreuzer N J W 1975 2232, 2235; Langkeit NStZ 1994 6f; aber anders im Verhältnis zur Aufsichtsbehörde, s. Laufs Arztrecht Rdn. 440f; zur Frage einer Einwilligung in solchen Fällen u. Rdn. 113.

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Arloth MedR 1986 295, 299; TröndlelFischer Rdn. 32; Engler RdJB 1979 62, 69; Fischer DÖD 1985 165, 166; Geppert Strafvollzug S. 21; Jakobs JR 1982 359; Kamps MedR 1985 200, 202; Kohlhaas VersR 1965 529, 532; Kühne JZ 1981 647, 651; Lackneri Kühl Rdn. 21; Maas Nachrichtendienst d. dtsch. Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359; Pickel M D R 1984 885, 886; Rogali NStZ 1983 1, 8; Schlund JR 1977 265, 266; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 45. Insoweit aA Arloth MedR 1986 295, 299; Jakobs JR 1982 359; wie hier Engler RdJB 1979 62, 69; Kreuzer N J W 1975 2232, 2234; Rogali NStZ 1983 1,9. aA Haß SchlHA 1976 3; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 45.

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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das jedoch kraft dienstlicher Befugnis (LackneriKühl Rdn. 21) gerechtfertigt sein kann. In derselben Weise gerechtfertigt ist die Einschaltung von Ausschüssen oder Beiräten (für Eltern- und Schülervertretungen Engler RdJB 1979 130), sofern sie nicht lediglich der Information dient. Zum befugten Behördenverkehr im einzelnen Rdn. 145ff. Zum Geheimnis des Staates selbst Rdn. 32. Gänzlich andere Maßstäbe sollen nach h. M. gelten, wenn ein Amtsträger zugleich 4 5 die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt. Die Vorschrift habe Vorrang gegenüber Absatz 2 mit der Folge, daß die in Absatz 1 bezeichneten Personen grundsätzlich auch innerhalb ihrer Behörde schweigen müßten; so hätten Ärzte in Krankenhäusern öffentlicher Träger das Arztgeheimnis gegenüber Verwaltung, Träger und Aufsichtsbehörde zu wahren, 101 der Dienstherr habe die Einhaltung des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten (BAG NZA 1987 515, 516), und auch für den Amtsarzt, den Truppenarzt oder den Anstaltspsychologen soll sich die Schweigepflicht nach der strengen Regel des Abs. 1 bestimmen. In dieser Allgemeinheit geht diese Aussage jedoch zu weit, denn formal gesehen könnte man genau so gut Abs. 2 als Spezialvorschrift zu Abs. 1 behandeln, und in materieller Hinsicht ist nicht einzusehen, daß ein öffentlichrechtlich umfassend geregelter Umgang mit einem Geheimnis wie etwa mit dem Sozialgeheimnis in §§ 67 ff SGB X zurücktreten soll, wenn der Amtsträger womöglich zufallig als Arzt approbiert ist. Auch das Gesetz läßt das nicht ausreichen, sondern verlangt in Abs. 1 eine Information „als Arzt" und in Abs. 2 „als Amtsträger" und gibt damit den entscheidenden Fingerzeig, daß es auf die Funktion ankommt, in der der Schweigepflichtige das Geheimnis erfahren hat, was wiederum von der öffentlichrechtlichen Regelung des Auftrages bei der Informationsgewinnung und des Zweckes ihrer Verwertung abhängt. So werden beim Staat oder den Kommunen angestellte Sozialarbeiter in der Regel nur als Repräsentanten ihrer Behörde tätig und in Anspruch genommen (eingehend dazu o. Rdn. 37), während man beim Anstaltsarzt (näher dazu u. Rdn. 157) differenzieren muß: Bei der Behandlung einer Erkrankung wird er „als Arzt" tätig, ebenso auch bei allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen, dagegen bei einer speziell vom Anstaltsleiter angeordneten Untersuchung auf die Vollzugstauglichkeit „als Amtsträger". Nach dieser Auffassung, die im Schrifttum in verschiedenen Spielarten vertreten wird 102 und der auch einige Vertreter der h. M. nahestehen,103 bedeutet eine innerbehördliche Weitergabe durch einen als Arzt etc. approbierten Amtsträger dann kein „Offenbaren" und bedarf deshalb keiner zusätzlichen Rechtfertigung, wenn dadurch nur der bei der Informationsgewinnung maßgebliche Zweck realisiert wird. Die h. M. würde demgegenüber in diesen Fällen zwar die Tathandlung bejahen, aber letztlich ebenfalls zu einem Tatbestandsausschluß oder mindestens zur Annahme einer Rechtfertigung kommen, indem sie die Einwilligung 101

OVG Lüneburg NJW 1975 2263; Arloth MedR 1986 295, 297; Dargel ZfStrVo 1987 156, 157; Fischer DÖD 1985 165, 166; Frommann in FrommannlMörsberger/Schellhorn S. 159, 174Π"; Geppert Strafvollzug S. 21; Hammer NZA 1986 305; Jähnke Vorauf!. Rdn. 43; Kreuzer N J W 1975 2232; Kühne N J W 1977 1478; JZ 1981 647, 651; Berufsrecht S. 138; Lackneri Kühl Rdn. 20; Laufs N J W 1976 1121, 1125; Arztrecht Rdn. 440; B. Lilie S. 106; Marx G A 1983 160, 170; OnderkalSchade in Mörsberger Datenschutz S. 172, 185; Rogali NStZ 1983 1, 8; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 45; unklar BVerwG D ö D 1978 72; aA Kierski in Mergen II S. 126 130;

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Maas Sozialmagazin 1981 12 ff; Schöch BewHi 1986 64 ff. BDH JZ 1963 413, 414; Müller M D R 1971 965, 969; Simitis in Mörsberger Datenschutz im sozialen Bereich S. 20, 26; Würthwein S. 171 ff, 178 ff. Etwa Lackner/Kühl Rdn. 20, die die Amts-, Truppen- und Vollzugsanstaltsärzte aus Abs. 1 ausschließen wollen; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 45, wo auf das Anvertrauen des Geheimnisses in einer „auf die Behörde nicht übertragbaren Eigenschaft" abgestellt wird; ebenso Rogali UStZ 1983 8.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

des Betroffenen in die Weitergabe seiner Geheimnisse (näher dazu u. Rdn. 109) oder die Offenbarungsbefugnisse aufgrund der organisatorischen Einbindung des Schweigepflichtigen in den Verwaltungsapparat (näher dazu u. Rdn. 154) extensiv bestimmt. 104 46

cc) Ein Offenbaren ist auch durch Unterlassen möglich, 105 so bei dem Arzt, der seine plaudernde Sprechstundenhilfe nicht zur Ordnung ruft, oder dem Behördenleiter, der keine Vorkehrungen gegen eine (tatsächlich erfolgende, sonst entgegen Langkeit N S t Z 1994 6 keine Vollendung!) unbefugte Einsicht in Akten trifft. Die Garantenstellung ergibt sich aus der in § 203 als eines Garantensonderdelikts (u. Rdn. 158) umschriebenen Täterqualifikation. 1 0 6 Hieraus wird von einer in Rechtsprechung und Schrifttum vordringenden, aber nicht überzeugenden Auffassung die Unzulässigkeit einer Telefondaten-Erfassung seitens des Arbeitgebers oder Dienstherren bezüglich der vom Dienstapparat ausgeführten Ferngespräche einer nach § 203 Abs. 1 oder Abs. 2 schweigepflichtigen Person gefolgert. 107 Aber richtigerweise bleibt ein derartiger Vorgang unterhalb der Schwelle des § 203, weil die Identifizierung des Telefonanschlusses noch nicht den Gesprächspartner individualisiert, weil die Benutzung des Anschlusses als solche für den Anschlußinhaber in der Regel ein bloßes Bagatellgeheimnis (o. Rdn. 27) darstellen wird 108 und weil schließlich - etwa bei einem psychologischen Beratungsdienst - seitens des angestellten Psychologen bei Nutzungsbeginn die Telefondaten-Erfassung mitgeteilt und dadurch unter Konsens gestellt werden kann. 2. Datenweitergabe (Absatz 2 Satz 2)

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Absatz 2 Satz 2 stellt bestimmte Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse den Geheimnissen „im Sinne des Satzes 1" gleich. Die Verweisung beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Amtsträger und amtsnahe Personen. Geschütztes Rechtsgut ist auch hier die Privatsphäre, jedoch ist Angriffsobjekt die geschützte Einzelangabe. 109

48

a) Verhältnis zu Satz 1. Ob und in welchem Umfange es sich hierbei um eine echte Erweiterung des Tatbestandes handelt, ist unklar und umstritten. Bei einer grammatischen Auslegung müßten die in Abs. 2 Satz 2 angeführten „Einzelangaben" eigentlich nicht selbst Geheimnisse darstellen, weil diese ja schon von Abs. 2 Satz 1 erfaßt werden. 110 Einzelangaben - etwa Patientendaten einer Universitätsklinik - , die zugleich Geheimnischarakter tragen, unterstehen deshalb von vornherein den allgemeinen Vorschriften der Abs. 1 und 2, was insbesondere für Ubermittlungsbefugnisse Bedeutung erlangen soll (LacknerlKühl Rdn. 15; B. Lilie S. 81). Aber diese

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So nimmt etwa Jähnke Voraufl. Rdn. 97 ein allgemeines Offenbarungsrecht „kraft innerdienstlicher Befugnis" für die innerdienstliche Weitergabe des Geheimnisses an, und SchlSchröderl Lenckner Rdn. 56 propagieren in allen diesen Fällen eine unbegrenzte Anwendung von § 34 StGB. TröndlelFischer Rdn. 26; LacknerlKühl Rdn. 17; K. Müller in Mergen II S. 63, 92; Pickel M D R 1984 885, 886; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 20; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 408 Fn. 63. Allgemein Schünemann G A 1985 341, 375 ff; LK § 14 Rdn. 17; im Ergebnis ebenso, aber ohne Einbettung in eine umfassende Garantentheorie

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speziell für Geheimnisverratsfalle Jescheck LK § 13 Rdn. 29; SehlSchröder!Stree § 13 Rdn. 31; Geilen in Kölner Komm. z. AktG § 404 Rdn. 53. Für Berufspsychologen BAGE 54 67ff; Däubler Gläserne Belegschaften? (1987), Rdn. 181, 486; Ehmann AcP 1988 230 345 f; für Bewährungshelfer OnderkalSchade BewHi 1993 136 ff. Rott RDV 1989 117, 120 f. RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242; Tiedemann N J W 1981 945, 947. Becker M D R 1974 888, 890; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Maurach/SchroederlMaiwald BT 1 § 29 V 1; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 48; Samson SK Rdn. 33.

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§203

Unterscheidung verschwimmt, sobald man die Begriffe unter den leitenden Blickwinkeln des Schutzbedürfnisses und der rechtsstaatlichen Grenzen des Strafrechts genauer ins Auge faßt: Nach den Legaldefinitionen in § 3 Abs. 1 BDSG und § 35 Abs. 1 SGB I sind Einzelangaben über persönliche oder (und) sachliche Verhältnisse „personenbezogene Daten". Zwar decken sich die Begriffe nicht, auch nicht in § 202a Abs. 2, § 268 Abs. 2 StGB und § 163d Abs. 4 StPO. So regelt das Bundesdatenschutzgesetz nur den Umgang mit Daten natürlicher Personen, § 35 SGB I wiederum erfaßt auch Geheimnisse (vgl. § 76 SGB X; Hauck in Hauch SGB I Κ § 35 Rdn. 21; Maier SGb 1983 89, 91). Aber das ändert nichts an der für den Datenschutz wie für § 203 Abs. 2 Satz 2 kritischen Frage, ob ein strafrechtlicher Schutz personenbezogener Daten, die nicht die „Höhenmarke" des Geheimnisbegriffs erreichen, überhaupt legitimiert werden kann. Die Bedenken liegen zunächst unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes (nullum crimen sine lege certa bzw. stricta) 1 " auf der Hand, weil die uferlose Weite des Begriffs des personenbezogenen Datums eine entsprechende Uferlosigkeit bei der Beschreibung der Erlaubnisse zur Weitergabe nach sich zieht, weshalb die ausschließlich aus Generalklauseln zusammengesetzte Strafvorschrift des § 43 BDSG wegen exemplarischer Verfehlung der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Gesetzesbestimmtheit verfassungswidrig ist.112 Diese Konsequenz wäre deshalb auch für § 203 Abs. 2 Satz 2 nicht zu vermeiden, wenn man jedes personenbezogene Datum ohne Geheimnischarakter darunter subsumieren wollte.113 Überdies würde der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner speziellen Ausprägung der UnVerhältnismäßigkeit von minimalem Schutzinteresse und überscharfer staatlicher Reaktion durch das Strafrecht 114 verletzt, wenn man die Weitergabe personenbezogener Daten unterhalb der Geheimnisschwelle, seil, im Falle der Offenkundigkeit oder bei fehlendem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen (o. Rdn. 27), also eine offensichtliche Bagatelle, als Vergehen für strafbar erklären wollte. Dagegen hilft es auch nichts, extreme Übersteigerungen des Datenschutzes durch das Merkmal der „Erfassung" 115 auszuscheiden oder unter Heranziehung des geschützten Rechtsguts im Einzelfall zu vermeiden (Tiedemann/Sasse Delinquenzprophylaxe, Kreditsicherung und Datenschutz in der Wirtschaft [1973] S. 136) oder schließlich darauf zu vertrauen, daß die Offenbarungsbefugnisse nach dem Volkszählungsurteil des BVerfG (BVerfGE 65 l) 116 künftig präziser zu regeln sind (vgl. etwa § 16 des Bundesstatistikgesetzes vom 22.1.1987 - BGBl. I S. 462). Denn die Interpretation des Begriffs der „Erfassung" wird, wie gerade der zitierte Fall des KG zeigt, auch bei „echten" Geheimnissen ein Problem; der Rückgriff auf das Rechtsgut im Einzelfall

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Gribbohm LK § 1 Rdn. 45 ff. Arztl Weber LH 1 Rdn. 523; Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 46; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 23, 26; Schünemann Nulla poena sine lege? (1978) S. 37; Sieg in Vollkommer S. 293, 301; Tiedemann NJW 1981 945, 946. So die h.M., s. Jung N K Rdn. 7; Samson SK Rdn. 33; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 46; TröndlelFischer Rdn. 9. BVerfGE 90 145, 171 ff; Roxin Strafrecht AT I § 2 Rdn. 29; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht (1991) S. 50 ff. Ebenso im Grundsatz (wenn auch mit blassen Konsequenzen) Vogel StV 1996 110, 113; Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte (1996) S. 5Iff und

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passim; Appel Verfassung und Strafe (1998) S. 171ff,179ff,198 ff;. Vgl. den Fall KG JR 1985 24: Die Polizei fragte beim Arbeitsamt an, ob sich ein des Raubes Verdächtiger in den Diensträumen befinde. Der Referatsleiter hielt die erteilte bejahende Auskunft für unzulässig und ließ den Verdächtigen wegschicken (!). Dem KG fiel es schwer, die Grenzlinie zwischen unbefugter Preisgabe des Sozialgeheimnisses und Strafvereitelung zu ziehen. Dazu Molitor in Frommann/Mörsbergerl Schellhorn S. 75. Dazu Knott in Vollkommer S. 39, 45; Schiink Der Staat 25 (1986) 233.

Bernd S c h ü n e m a n n

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

löst nicht die Frage der angemessenen Tatbestandsinterpretation, und selbst wenn zukünftig einmal eine präzise Regelung der Offenbarungsbefugnisse gelingen sollte, bleibt die UnVerhältnismäßigkeit der Strafrechtsfolge bei bloßen Bagatellen davon unberührt. Es ist deshalb eine verfassungskonforme Auslegung des Abs. 2 Satz 2 geboten, indem die beiden entscheidenden Tatbestandseingrenzungen, die vom Geheimnisbegriff geleistet werden, auch dem Begriff der „Einzelangaben" inkorporiert und dementsprechend offenkundige Daten und solche, an deren Geheimhaltung der Betroffene kein Interesse hat, ausgeschieden werden (vgl. nachfolgend Rdn. 49), wonach sich Satz 2 als eine bloße überflüssige Spezialregelung zu Satz 1 darstellt. Eine ohne Rechtsgrundlage erfolgende Weitergabe von Anschriften durch die Meldebehörden (Beispiel von Samson SK Rdn. 33) oder Studentensekretariaten (Beispiel von Hohmann JuS 1987 473) oder der Halterdaten gem. §§ 33, 39 StVG (BayObLGSt. 1999 15) ist deshalb richtigerweise nicht unter Abs. 2 Satz 2 zu subsumieren, unbeschadet ihrer datenschutzrechtlichen Rechtswidrigkeit, die jedoch nicht die Höhenmarke der Strafwürdigkeit erreicht. 49

b) Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen (Daten) sind alle tatsächlichen Umstände, Merkmale und Kennzeichen, die einer bestimmten natürlichen oder juristischen Person zugeordnet sind oder - aus sich heraus oder aus dem Zusammenhang, in dem sie stehen - zugeordnet werden können (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 242). Ist eine Identifizierung des Betroffenen nicht auf diese Weise, sondern nur durch Zusammenführung mit anderen Daten möglich, gilt Absatz 2 Satz 2 nicht; es kommt Strafbarkeit ζ. B. nach § 22 Bundesstatistikgesetz in Betracht. Anonymisierte Daten fallen somit nicht unter die Bestimmung, 117 ferner offenkundige und solche Daten, an deren Geheimhaltung der Betroffene kein Interesse hat. 118 Offenkundigkeit liegt auch vor, wenn die Rechtsordnung selbst durch Auskunfts- oder Einsichtsrechte Zugang gewährt (z. B. § 12 GBO, § 915 ZPO, § 39 StVG und dazu OLG Hamburg NStZ 1998 358 m. scharf abl. Rezension Weichert NStZ 1999 490; BayObLGSt. 1999 15 m. krit. Rezension Behm JR 2000 274); auf das Erfordernis der Darlegung eines berechtigten Interesses kommt es nicht an (aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch Gola NJW 1986 1913; Leue in Vollkommer S. 83, 98 ff). Geschützt sind hingegen statistische Angaben (§ 16 BStatG), Angaben aus dem Lebenslauf (BSGE 47 118), erkennungsdienstliche Aufnahmen, Fingerabdrücke, Schriftproben, 119 nachrichtendienstliches Material über Einzelpersonen, 120 digitalisierte Tonbandaufnahmen der menschlichen Stimme (Knott in Vollkommer S. 29, 30), geschäftliche Erkenntnisse, 121 Angaben über Sozialleistungsverhältnisse (KG JR 1985 24; dazu Molitor in Frommann/Mörsberger/Schellhorn S. 75). Computerprogramme können Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sein, enthalten aber keine Einzelangaben (Rupp wistra 1985 137, 140). Werturteile scheiden nach der Struktur des Tatbestandes (Rdn. 2) aus (aA Hauck in Hauck SGB I Κ § 35 Rdn. 22; Pickel M D R 1984 885, 886).

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Arzt in Schimmelpfeng S. 135; TröndlelFischer Rdn. 9; Rupp wistra 1985 137,140. RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243; Blei BT § 33 II 2; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Engler RdJB 1979 62, 65; Hohmann JuS 1987 473, 475; Preisendanz Anm. IV 5e; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 48; aA NK-Ju«£ Rdn. 7; SK Samson Rdn. 33; Becker M D R 1974 888, 890; Rogali NStZ 1983 1,6; Vogel S. 16 ff.

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VG Frankfurt/M bei Simitis/Dammann/Mallmann/Reh Dokumentation zum BDSG Entscheidungssammlung § 2 Abs. 1 E 1; VG Wiesbaden daselbst § 2 Abs. 3 E 3. Dazu BVerwG N J W 1984 1636; Roewer N J W 1985 773; Simitisl Wellbrock N J W 1984 1591. KG bei Simitis/Dammann/Mallmann/Reh Dokumentation zum BDSG Entscheidungssammlung § 2 Abs. 1 E 2.

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c) Die Einzelangaben müssen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt sein. 5 0 Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nehmen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung schon nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2,4) wahr. Daher enthält die Bestimmung insoweit nur einen Hinweis auf das Erfordernis der Datenerfassung zu dienstlichen Zwecken. Ebenso wie für die Amtsdelikte stellt sich damit die komplexe und in der Rechtsprechung auch nach der Neufassung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c122 nicht endgültig entschiedene 123 Frage, ob die in privatrechtlichen Organisationsformen erfolgende oder erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienende Betätigung des Staates zu den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im strafrechtlichen Sinne zählt. Das muß nicht für alle Delikte einheitlich (aA Jähnke Voraufl. Rdn. 47) und sollte jedenfalls für § 203 mit Rücksicht auf dessen viktimodogmatische Struktur dahin beantwortet werden, daß eine rein fiskalische, in Konkurrenz mit privaten Wirtschaftssubjekten stehende Tätigkeit nicht ausreicht, wohl aber eine dem Bürger monopolartig entgegentretende Verwaltungstätigkeit unabhängig von ihrer Organisationsform. Die Zweckbestimmung kann nach der Erfassung geschaffen werden (Preisendanz Anm. IV 5d). Eine Konkretisierung des dienstlichen Zwecks kann nicht gefordert werden. Zwar ist verfassungsrechtlich zwischen dem Verwaltungsvollzug dienenden und solchen Daten zu unterscheiden, welche ohne konkrete Zweckbindung erhoben und auf Vorrat gespeichert werden (BVerfGE 65 1, 45, 47). Strafrechtlich spielt die Unterscheidung aber keine Rolle, weil mit Absatz 2 Satz 2 insbesondere das sog. Statistikgeheimnis abgesichert werden soll.124 Durch statistische Erhebungen gewonnenen Daten fehlt zwangsläufig eine konkrete Zweckbestimmung. Erfaßt sind Einzelangaben, die für eine zukünftige Verwendung besonders fixiert 5 1 sind. Umstritten ist, ob dieses Merkmal bereits in den gewöhnlichen Verwaltungsvorgängen erfüllt ist oder ob das Gesetz zusätzlich zu der normalen Aktenführung, die der besonderen Erwähnung und eigentümlichen Umschreibung im Gesetz nicht bedurft hätte, einen besonderen Erfassungsvorgang verlangt. 125 Der Wortlaut und der aus der Entstehungsgeschichte zu belegende Zusammenhang mit den besonderen Bedingungen und Gefahren der Datenverarbeitung sprechen dafür, daß die Einzelangaben als solche für Zwecke des Verwaltungsvollzugs oder zur statistischen Auswertung abrufbar bereitgehalten werden müssen. Dafür genügte eine handschriftlich geführte Kartei, die Erfassungsvorgänge müßten auch noch nicht bis zur endgültigen Speicherung fortgeschritten sein. Aus dieser Begrenzung ergäben sich aber auch Brüche: Die Offenbarung von Einzelheiten eines gestellten Antrags wäre - vorbehaltlich Abs. 2 Satz 1 sowie des § 353b - straflos (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243), nicht aber die Bekanntgabe des darauf aufbauenden statistischen Erhebungsbogens. Ebensowenig wäre der für private Zwecke gefertigte Aktenauszug erfaßt. d) Offenbaren. Offenbaren hat zunächst dieselbe Bedeutung wie in Absatz 2 Satz 1 5 2 (Rdn. 44). So gilt auch diese Vorschrift nicht für die bestimmungsgemäße Weitergabe 122

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Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997, BGBl. 12038. Uneinheitlich sind schon die vier Leitentscheidungen des BGH, s. BGHSt. 31 264 (WestLB); 38 199 (gemeinnützige landeseigene Wohnungsbau-GmbH); 43 370 (GTZ); 45 16 (FAG); vgl. TröndlelFischer § 11 Rdn. 11 ff sowie z.T. überholt - Gribbohm LK § 11 Rdn. 36; Welp Der Amtsträgerbegriff, Lackner-Festschrift S. 761; w. N. bei Rdn. 71.

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Erster Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. 7/1261 S. 16; vgl. § 16 Abs. 7 BStatG. Im letzteren Sinn Jähnke Voraufl. Rdn. 47; TröndlelFischer Rdn. 9; aA Ostendorf GA 1980 445, 446; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 26 Fn. 38; wohl auch Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 49.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

innerhalb derselben Funktionseinheit (Mallmann/ Walz NJW 1981 1020, 1021). Sie gilt aber nach dem letzten Halbsatz auch nicht für die Offenlegung an sachlich beteiligte Dienststellen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 51). Anders verhält es sich, wo die Verwaltung zur Aufbereitung und Verarbeitung der Daten private Unternehmen heranzieht (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243). Gelangen Daten aus dem Verwaltungsbereich hinaus, ist dies stets Offenbaren; Absatz 3 - Schweigepflicht von Gehilfen - findet keine Anwendung. Jedoch hat die Verwaltung die Macht, ihre Arbeitsabläufe autonom zu regeln; Voraussetzung ist lediglich, daß die Angehörigen der Privatunternehmen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Verpflichtungsgesetzes besonders verpflichtet und damit unter die Strafdrohung des § 203 Abs. 2 gestellt sind. 53

e) Amtshilfe. Der Halbsatz 2 des Satzes 2 bezweckt, den allgemeinen Informationsaustausch unter den Behörden zu gewährleisten (Erster Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. 7/1261 S. 16). Er gestattet - strafrechtlich - die Amtshilfe, soweit sie nicht gesetzlich untersagt ist; das ist ζ. B. der Fall, wenn vorrangige Schweigegebote nach Absatz 1 (Rdn. 45) eingreifen (Β. Lilie S. 81). Allerdings hat das BVerfG im Volkszählungsurteil die Verhältnisse umgekehrt. Erhebung und Weitergabe von Daten sind danach verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn das Gesetz dies ausdrücklich gestattet (BVerfGE 65 1,46,61). In Bereichen, in denen gesetzliche Regelungen hierüber noch fehlen (dazu Gola NJW 1987 1675), kann dies dazu führen, daß die Weitergabe von Daten an andere Behörden zwar nicht strafbar ist, aber Grundrechte des Betroffenen verletzt. Weil dies aber nach der systematisch eindeutigen Aussage des Gesetzes nur für Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 gelten soll (Kühne Berufsrecht S. 138; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 51), die Strafbarkeit nach Abs. 1 Satz 1 also nicht berührt, ist Halbs. 2 nach der hier vertretenen Auffassung ebenso überflüssig wie Halbs. 1. 3. Postmortaler Geheimnisschutz (Absatz 4)

54

Nach Absatz 4 gilt der Geheimnisschutz uneingeschränkt auch nach dem Tode des Betroffenen. Die weite Gesetzesfassung täuscht darüber, daß für einen postmortalen Schutz vermögenswerter Geheimnisse in der Regel kein Raum ist,126 da sie mit dem Erbfall als Bestandteil des Vermögens auf den Erben übergehen; eine Geheimnisoffenbarung nach diesem Zeitpunkt verletzt mithin nicht mehr den Erblasser. 127 Die zum persönlichen Lebensbereich zählenden Geheimnisse sind als Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts (vgl. BGHZ 15 249, 259; 50 133; Erdsiek NJW 1963 632) aber posthum geschützt. Ob Absatz 4 die ohnehin geltende Rechtslage nur deklaratorisch wiedergibt 128 oder eine echte Ausdehnung der Strafbarkeit enthält, 129 ist ohne theoretische und praktische Bedeutung; beide Ansichten zum geschützten Rechtsgut gelangten bereits unter der Geltung des alten Rechts zu demselben Ergebnis.130 55 Ungeklärt ist jedoch, welchen Einfluß der Zeitablauf nach dem Tode hat. In aller Regel werden die Geheimnisse des Verstorbenen mit dem Schwinden der Erinnerung an ihn an Bedeutung verlieren, bis das objektive Geheimhaltungsinteresse (Rdn. 27) erloschen ist (Blei BT § 33 V; Lenckner Noll-Gedächtnisschrift S. 243, 255 Fn. 49; 126

127

Anders wegen § 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO beim Notar, BGH MDR 1975 400; 1987 139. E 1962 S. 338; BayObLGZ 1966 86, 90; OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 9; LacknerlKühl Rdn. 27; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 25; s. femer Fn. 206 bei Rdn. 117.

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OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 10; NK-Jung Rdn. 13; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 70. Arzt/Weber LH 1 Rdn. 504; Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 60; noch anders Gössel BT 1 § 37 Rdn. 130 (eigenes Rechtsgut des Pietätsgefühls). Sch/Schröder14 (1969) § 300 Rdn. 1, 5b; Bockelmann in Ponsold S. 15.

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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Rein VersR 1977 121; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 70). Bei Persönlichkeiten, deren Erscheinung die Zeiten überdauert (vgl. BGHZ 15 249 - Cosima Wagner; weitere Beispiele bei Deutsch Medizinrecht Rdn. 371), ist das aber nicht der Fall. Gleichwohl kann das Gesetz nicht eine Versteinerung ihrer Geheimnisse, welche selbst der historischen Forschung im Wege stände (Lenckner Noll-Gedächtnisschrift S. 243, 255), bezwecken. Aus § 77 Abs. 2 ergibt sich vielmehr der Wille des Gesetzgebers, mit der Möglichkeit des Strafantrags auch sachlichrechtlich den Geheimnisschutz enden zu lassen (aA OLG München AnwBl. 1975 159, 160). Endpunkt kann zwar nicht wie in § 77 Abs. 2 der Todestag des Enkels sein, weil dieser vorzeitig verstorben sein kann. Aber mit dem üblicherweise anzunehmenden Aussterben der übernächsten Generation, also nach 60 Jahren, sollten persönliche Geheimnisse stets gemeinfrei sein (vgl. auch § 5 Bundesarchivgesetz v. 6.1.1988 - BGBl. I S. 62). Bis dahin erfahrt der Umfang des Geheimnisschutzes eine vom schwindenden 5 6 objektiven Interesse abhängige Minderung (OLG Düsseldorf M D R 1951 681; aA Jähnke Voraufl. Rdn. 53). Schwierigkeiten bereiten immer wieder Erbstreitigkeiten, in denen es auf kompetente Auskünfte des behandelnden Arztes oder des Notars ankommt; mangels einer zur Entbindung von der Schweigepflicht befugten Person (Rdn. 117) herrscht Beweisnot. Die Schweigepflicht nach dem Tode des Betroffenen deshalb analog § 189 auf Verunglimpfungen (Schiinemann ZStW 90 [1978] 11, 60; aA Becker M D R 1974 888, 891) oder auf Tatsachen zu reduzieren, welche den sittlichen oder sozialen Wert des Verstorbenen mindern, 131 erscheint jedoch zu radikal, erst recht die nicht nachprüfbare freie Entscheidung des Arztes.132 Auch eine mutmaßliche Einwilligung, die die Möglichkeit wirklichen Einverständnisses voraussetzt (Hirsch LK vor § 32 Rdn. 135; Jescheck/Weigend AT § 34 VII 3), scheidet aus (Solbach DRiZ 1978 204, 205; aA SehlSchröder!Lenckner Rdn. 27, 70; Samson SK Rdn. 27). Deshalb ist der erklärte, über den Tod fortwirkende Wille des Verstorbenen 133 und, wo ein solcher fehlt, sein vermuteter Wille Inhalt und Grenze des nachwirkenden Geheimnisschutzes.134 Der vermutete Wille ist an Hand der Interessenlage des Verstorbenen zu ermitteln; die Situation entspricht damit den Gegebenheiten unter Lebenden (Rdn. 19, 24). An der Durchsetzung seines letzten Willens hat der Verstorbene ein elementares Interesse. In der Regel erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht daher nicht auf die Frage der Testierfähigkeit (BGHZ 91 392; BayObLG NJW 1987 1492; Wassermann JR 1990 17, 18; aA BayObLGZ 1966 86, 91; HülsmannIBaldamus ZEV 1999 91; Kuchinke Küchenhoff-Gedächtnisschrift S. 371; Lenckner NJW 1964 1188; Lenckner in Göppinger S. 159, 174), auf Bedingungen und Umstände, an welche der Erblasser 131

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So KG RsprOLGZ 29 (1914) 118; OLG Düsseldorf N J W 1959 821; LG Augsburg NJW 1964 1186 m. Anm. Lenckner; Ebermayer S. 45. Bockelmann in Ponsold S. 15 Fn. 31; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 89, 91; Kohlhaas G A 1958 65, 73; aA BGH bei Hoiiz M D R 1980 815; RGSt. 71 21; BayLSG N J W 1962 1789; LSG Bremen NJW 1958 278 m. Anm. Göppinger N J W 1958 241; O L G Celle M D R 1952 376 m. Anm. Maaßen; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Frey Pfenninger-Festschrift S. 41, 42; Kierski in Mergen II S. 126, 155; Eb. Schmidt N J W 1962 1745, 1750. BDH NJW 1960 550; O L G München AnwBl. 1975 159; Bosch Grundsatzfragen des Beweis-

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rechts (1963) S. 89„Rein VersR 1977 121; Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1746. BGHZ 91 392, 398; BGH NJW 1983 2627; BayObLG 1966 86, 91; BayObLG NJW 1987 1492; O L G Köln O L G Z 1982 1, 4; OLG Stuttgart, O L G Z 1983 6, 8; TröndlelFischer Rdn. 5; Erdsiek N J W 1963 632; im Ergebnis auch Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 70 (s. aber Rdn. 31); enger O L G München AnwBl. 1975 159, 161; Kohlhaas Medizin und Recht S. 21 (§ 34); s. ferner Stein Der Schutz von Ansehen und Geheimsphäre Verstorbener, FamRZ 1986 7; Müller Postmortaler Rechtsschutz (1996).

Bernd Schünemann

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erbrechtliche Folgen geknüpft hat (OLG Köln OLGZ 1982 1, 4; Rpfl. 1985 494; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6; Kümmelmann AnwBl. 1984 535), auf die zur Geltendmachung einer Versicherungsforderung notwendigen Tatsachen (Rein VersR 1977 121), wohl aber auf Einzelheiten des Sexuallebens (LG Hanau NJW 1979 2357). Auch werden bestimmte Geheimnisse mit dem Tod für den Betroffenen bedeutungslos (die tödliche Krankheit, aA aber OVG Lüneburg NJW 1997 2468; die Person des Erben). 57

Nach dem Tode des Betroffenen entdeckte geheimnisfahige Tatsachen (z.B. Obduktionsbefunde) unterliegen denselben Grundsätzen, wenn sie bereits zu Lebzeiten vorhanden, damit Bestandteil der Individualsphäre des Verstorbenen und von diesem dem behandelnden Arzt anvertraut waren. 135 Wenn der Schweigepflichtige (ζ. B. der Pathologe) dagegen erst nach dem Tode hinzutritt und damit nicht mehr als Vertrauensperson des Betroffenen tätig werden kann, scheidet eine Tatbestandserfüllung aus (LG Berlin NStZ 1999 86; aA Jähnke Vorauf!. Rdn. 54).

V. Täterschaft 1. Taugliche Täter 58

a) Ubersicht. Täter kann nur sein, wem im Gesetz, nicht notwendig im StGB, ausdrücklich die Tätereignung beigelegt ist. Die Tat ist echtes Sonderdelikt, und zwar Garantensonderdelikt, bei dem die Täterstellung in einer Obhutsherrschaft über das anvertraute Geheimnis besteht (dazu allg. Schünemann LK § 14 Rdn. 17, zur Begehung des § 203 durch Unterlassen o. Rdn. 46). Daher ist mittelbare Täterschaft durch einen Außenstehenden ausgeschlossen; ebensowenig kann ein im Täterkatalog aufgeführter Berufsangehöriger im Wege mittelbarer Täterschaft eine Offenbarung an sich selbst bewirken (BGHSt. 4 355, 359). Möglich sind hier nur Anstiftung und Beihilfe, welche aber eine vorsätzliche Haupttat voraussetzen; BGHSt. 4 355 ist insoweit durch BGHSt. 9 370 aufgegeben und durch §§ 26, 27 überholt (näher Rdn. 159). Taugliche Täter sind die in den Täterkatalogen der Absätze 1 und 2 aufgeführten Personen, außerdem die Personen, auf die die Schweigepflicht in Absatz 3 erstreckt ist (Gehilfen, Lernende, durch den Tod des Betroffenen schweigepflichtig Gewordene).

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b) Täterschaft bei unwirksamen Bestellungsakten wirft intrikate Auslegungsprobleme auf, weil der Wortlaut des § 203 die Täterschaft eher an den Status als an die Funktion knüpft. Immerhin treten der Praxisinhaber, dessen Berufszulassung aus irgendeinem Grunde unwirksam oder der mit einem Berufsverbot belegt ist (Blei BT § 33 III), und ebenso der Hochstapler dem Publikum „als" Arzt, Anwalt usw. gegenüber, so daß eine darauf abhebende faktische Betrachtungsweise (dazu allg. Schünemann LK § 14 Rdn. 3, 23, 27f) dem Gesetzeswortlaut gerade noch genügt. Für eine hinter dem Wortlaut zurückbleibende einschränkende Auslegung besteht nun aber für den Fall, daß der Anvertrauende an die Stellung als Arzt etc. glaubt, aus viktimodogmatischen Gründen keine Veranlassung, weil das geschützte Rechtsgut durch die Offenbarung in derselben Weise verletzt wird wie bei wirklich vorhandener Täterqualifikation (im Ergebnis zust. Timm S. 23; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 34 unter Desavouierung der eigenen Prämisse vom Kollektivrechtsgut). Dem läßt sich nicht 135

Weitergehend Becker N J W 1974 888, 891; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; Medizin und Recht S. 12, 21; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 70; aA Bockelmann in Ponsold S. 15 Fn. 32; s. ferner

Trögerl Urban Offenbarungspflicht des Obduzenten bei Tod aus natürlicher Ursache, W. Spann-Festschrift (1986) S. 508.

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entgegnen, die irrige Annahme einer in Wahrheit fehlenden Täterqualifikation begründe strukturell nur den Versuch eines untauglichen Subjekts (dazu Vogler LK 10. Aufl. § 22 Rdn. 153 ff), der Versuch sei in § 203 aber nicht mit Strafe bedroht: Der Hochstapler erlangt fremde Geheimnisse wirklich und ist deshalb zum Verrat „tauglich". c) Maßgeblicher Zeitpunkt der Täterqualifikation ist nicht die Tathandlung. Maß- 6 0 gebend ist vielmehr allein, ob der Schweigepflichtige das Geheimnis in beruflicher Eigenschaft erfahren hat; strafbar verraten kann er es jederzeit auch nach dem Ausscheiden aus dem Beruf - eine für Notare in § 18 Abs. 3 BNotO ausdrücklich ausgesprochene Anomalie, die sich abermals nur durch die viktimodogmatische Auslegung schlüssig erklären läßt. 2. Der Täterkatalog des Absatzes 1 Nummer 1 umfaßt Heilberufe und Heilhilfsberufe mit staatlich geregelter Aus- 61 bildung. Arzt ist, wer die Heilkunde unter der Berufsbezeichnung „Arzt" ausüben darf (§ 2 Abs. 5 Bundesärzteordnung i. d. F. d. Bek. v. 16.4.1987, BGBl. I S. 1218). Zu den Sonderformen ärztlicher Tätigkeit Anstaltsarzt Rdn. 97, Truppenarzt Rdn. 97, Amtsarzt Rdn. 98, Betriebsarzt Rdn. 99. Zum Zahnarzt Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde i.d.F. d. Bek. v. 16.4.1987 (BGBl. I S. 1225); Tierarzt BundesTierärzteordnung i.d.F. d. Bek. v. 20.11.1981 (BGBl. I S. 1193); Apotheker BundesApothekerordnung v. 5.6.1968 (BGBl. I S. 601). Zu den erfaßten Heilhilfsberufen gehören Hebammen (Hebammengesetz v. 4.6.1985, BGBl. I S. 902); die im Gesetz über die Krankenpflege vom 4.6.1985 (BGBl. I S. 893) aufgeführten Berufe; Kinderkrankenschwestern (VO v. 15.11.1939, RGBl. I S. 2239); Masseure, med. Bademeister, Krankengymnasten (Masseurs- und Physiotherapeutengesetz v. 26.5.1994, BGBl. I 1084), pharmazeutisch-technische Assistenten (Gesetz v. 18.3.1968, BGBl. I S. 228), medizinisch-technische Assistenten (Gesetz v. 8.9.1971, BGBl. I S. 1515); Diätassistenten (Diätassistentengesetz v. 8.3.1994, BGBl. I 446); Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten (Gesetz v. 25.5.1976, BGBl. I S. 1246); Logopäden (Gesetz v. 7.5.1980, BGBl. I S. 529). Nicht erfaßt sind hingegen Heilpraktiker. Nummer 2 führt Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher 6 2 Abschlußprüfung auf. Die Bezeichnung „Berufspsychologe" dient der Abgrenzung zu hilfswissenschaftlicher Nebentätigkeit und zur Liebhaberei (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 239). Der Betreffende muß auf wenigstens einem der Hauptanwendungsgebiete der Psychologie beruflich tätig sein (aA NK-/w«g Rdn. 8). Als Abschlußprüfung kommt ein Universitätsdiplom oder die Promotion in Betracht. Auf Grund der Nummer 2 unterliegen die Leiter von Nachschulungskursen gemäß § 2b Abs. 2 Satz 2 StVG, welche alkoholauffallige Inhaber von Fahrerlaubnissen auf Probe nachschulen, der Schweigepflicht. Die Leiter müssen nach § 12g Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVZO Diplom-Psychologen sein (dazu Bouska DAR 1986 333, 335). Nummer 3 zählt rechts- und wirtschaftsberatende Berufe auf. Der Rechtsanwalt 6 3 ist in der von der BRAO gekennzeichneten Funktion erfaßt (zum Syndikusanwalt Rdn. 35); Anwälte aus EG-Staaten sind nach § 42 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland v. 9.3.2000 (EURAG, BGBl. I 182) schweigepflichtig. Mediatoren, Rechtsbeistände und Prozeßagenten (§ 157 ZPO) gehören dagegen als solche nicht zum Kreis tauglicher Täter (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 239), wohl aber seit dem durch das BNotOÄndG vom 25.8.1998 (123)

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

(BGBl. I 2585) eingefügten Abs. 3 Satz 1 (dazu BTDrucks. 13/4184 S. 41) unter der Voraussetzung, daß sie nach § 209 BRAO Mitglied der Rechtsanwaltskammer geworden sind, worauf bei Vorliegen einer Erlaubnis nach § 1 RBerG ein Anspruch besteht. Notar sind alle Personen, auf die die Bundesnotarordnung Anwendung findet, also auch Notarassessoren und Notariatsverweser (OLG H a m m G A 1969 220; ArndtI LerchlSandkühler B N o t O § 18 Rdn. 9), außerdem die beamteten Notare in Baden und Württemberg. Sie fallen an sich schon unter Absatz 2 (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 b), sind aber hier aufgeführt, u m ihr Personal nach Absatz 3 der Schweigepflicht zu unterwerfen (E 1962 S. 335). Ihre Aufnahme in Absatz 1 begründet auch nicht - wie u . U . beim Amtsarzt - eine persönliche Schweigepflicht, welche die Dienstaufsicht begrenzt (§ 93 Abs. 3 BNotO; Arndt!Lerchl Sandkühler aaO. Rdn. 67). Das Bestehen der Schweigepflicht kann der N o t a r vielmehr nach § 18 Abs. 3 B N o t O bei Lebzeiten der Beteiligten durch die Aufsichtsbehörde klären lassen (BGH M D R 1987 139); nach deren Tod erteilt diese die Befreiung (§ 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO; B G H M D R 1975 400; 1987 139).

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Verteidiger müssen nicht Rechtsanwälte sein (vgl. §§ 138, 139, 142 StPO); für diese anderen Personen begründet die Vorschrift ein Schweigegebot hinsichtlich der Geheimnisse, welche ihnen in ihrer Funktion zugänglich geworden sind (Kohlhaas G A 1958 65, 66). Gesetzlich geordnete Verfahren sind auch Bußgeld-, Disziplinar- und ehrengerichtliche Verfahren.

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Ferner zählen zum Täterkreis neben Patentanwälten Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und - soweit sie nicht schon durch ihre Berufszugehörigkeit schweigepflichtig sind - Organe und Organmitglieder (auch von Aufsichtsorganen) von Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften. Mit der zuletzt auch für Rechtsund Patentanwälte durch das BRAOÄndG vom 31.8.1998 (BGBl. I 2600) vollzogenen Anpassung an die Wandlung von Honoratioren- zu industrieähnlichen Strukturen werden GmbH-Geschäftsführer u.a. erfaßt, die selbst nicht die Qualifikation als Rechtsanwalt usw. aufweisen (BTDrucks. 13/9820 S. 22). Entgegen SchlSchröderl Lenckner Rdn. 37 greift hierfür auch nicht etwa schon § 14 ein, weil die Gesellschaften selbst keine tauglichen Täter sind.

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Nummer 4 unterwirft in Anknüpfung an die Funktion, nicht an die persönliche Qualifikation, Beratungsdienste für Ehe-, Familien-, Erziehungs-, Jugend- und Suchtfragen der Schweigepflicht, sofern die Beratungsstelle kraft Landesrechts (BTDrucks. 7/1261 S. 15) öffentlich-rechtlich anerkannt ist. Kirchliche Anerkennung genügt (BVerfGE 44 353, 380; Becker M D R 1974 888, 889). Schülerberatung ist Jugendberatung (BVerfGE 59 360, 388). Beratungsstellen freier Träger ohne Anerkennung fallen nicht unter die Vorschrift, auch wenn sich öffentliche Stellen ihrer zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen ( M a a s Nachrichtendienst d. Dtsch. Vereins f. öff. u. priv. Fürsorge 1986 359). Eine unzulässige Gesetzesumgehung wäre es, eine Schweigepflicht dadurch zu konstruieren, daß der Beratungsstelle - mehr oder minder ernsthaft - Ärzte oder Psychologen zugeordnet und die Berater alsdann als deren Gehilfen ausgegeben werden (Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 63; aA Lücken RdJB 1969 289; K. Peters Jugendwohl 1976 275). Maßgebend ist, ob der Berater selbst in eigener Verantwortung tätig ist (Rdn. 77, 81), sonst greift Abs. 3 Satz 2 ein.

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Nummer 4 a ergänzt das von § 105 Abs. 1 Nr. 2 A E erstmals propagierte, vom 5. StrRG realisierte, in BVerfGE 39 1 für verfassungswidrig erklärte, vom S F H G mit geringfügigen Modifikationen erneuerte, in BVerfGE 88 203 mit virtuosen verbalen Verbrämungen im Kern akzeptierte und schließlich im S F H Ä n d G weiter abgemilStand: 1.8. 2000

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derte, verfassungsrechtlich das Tor zur Abtreibungs-Fristenlösung öffnende Beratungssystem der §§ 218 a Abs. 1 Nr. 1, 219 StGB, 5 ff SchKG, bezieht aber auch die gem. § 3 SchKG einzurichtenden Beratungsstellen für allgemeine Sexualaufklärung und Familienplanung etc. ein. Berater sind die die Beratung selbständig durchführenden Mitglieder der Beratungsstelle, Beauftragte die gem. § 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SchKG hinzugezogenen Fachkräfte (Rudolphi S. 416f). Die im Tatbestand vorausgesetzte Anerkennung der Beratungsstelle ist in §§ 9-11 SchKG geregelt. Soweit die Gesundheitsämter die Schwangerenberatung nach § 219 durchführen, geht die Schweigepflicht nach Nummer 4a der Schweigepflicht aus Absatz 2 vor (Rdn. 45). Umfassend zur Nummer 4a Lenckner in EserlHirsch S. 227; Rudolphi Bemmann-Festschrift S. 412. Nummer 5 bezieht Sozialarbeiter und -pädagogen bei staatlicher Anerkennung ein. 6 9 Diese setzt eine abgeschlossene Hochschul- oder Fachhochschulausbildung voraus (Erster Bericht des Sonderausschusses zum EGStGB, BTDrucks. 7/1261 S. 15). Nicht im öffentlichen Dienst tätige Bewährungshelfer ohne diese persönliche Qualifikation sind nicht erfaßt (Bericht aaO S. 16); eine fragwürdige Konsequenz dieser auch sonst problematischen Vorschrift (vgl. Rdn. 37 zum Verhältnis von Abs. 1 und 2 bei Bewährungshelfern). Nummer 6 bezweckt die „Verlängerung" des ärztlichen Berufsgeheimnisses. 7 0 Angehörige der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung sowie privatärztlicher Verrechnungsstellen haben regelmäßig mit Fragen zu tun, die Aufschluß über den Gesundheitszustand des Betroffenen geben. Ihre Gleichstellung mit den unter Absatz 2 fallenden Sozialleistungsträgern ist daher gerechtfertigt. Versicherungsunternehmen ist wie bei Behörden die Funktionseinheit; Gesellschaften, welche auch die Sachversicherung betreiben, müssen daher die innerbetriebliche Einhaltung der in Nummer 6 normierten Schweigegebote gewährleisten. Angehöriger ist - entsprechend dem Amtsträger bei Behörden - , wer dazu bestellt ist, der Anbahnung und Abwicklung von Versicherungsverträgen sowie der Verwaltung des Bestandes zu dienen; das werden alle Mitarbeiter mit Ausnahme des für Technik und Reinigung der Gebäude verantwortlichen Personals sein, nicht aber die Angestellten von Verbänden der Personenversicherung (Rein VersR 1976 117, 119). Im Hinblick auf die weitreichenden Befugnisse nach §§ 43 ff VVG muß auch der selbständige Versicherungsagent funktionell als Angehöriger des Unternehmens gelten (Lackner/Kühl Rdn. 6; Rein VersR 1976 117, 119; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 41). Privatärztliche Verrechnungsstellen betreiben den Einzug von privatärztlichen Forderungen; auf ihren Träger und die Rechtsform kommt es nicht an, so daß auch private Factoring-Unternehmen erfaßt werden (OLG Stuttgart NJW 1987 1490; aA SehlSchröder!Lenckner Rdn. 41). Die sie treffende Schweigepflicht berechtigt den Arzt noch nicht zur Weitergabe der Patientengeheimnisse (vgl. Rdn. 42, 110). 3. Der Täterkatalog des Absatzes 2 Nummer 1 unterwirft Amtsträger in der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 2 der 71 Schweigepflicht. Damit übertragen sich die zahlreichen Abgrenzungs- und Zweifelsfragen jener Bestimmung auf § 203.136 Die (sei es den Anwendungsbereich ausdehnende, sei es nur klarstellende) Einbeziehung der Ausübung öffentlicher Funktionen in privatrechtlicher Organisationsform durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.8.1997 (BGBl. I 2038), welches in § 11 Abs. 1 Nr. 2c die Wendung „unbeschadet 136

Dazu Gribbohm LK § 11 ; fVelp Der Amtsträgerbegriff, Lackner-Festschrift S. 761; zur Rechts-

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läge seit dem KorrBekG Lackneri Kühl § 11 Rdn. 6-9a; Tröndle!Fischer § 11 Rdn. 22f.

Bernd Schiinemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform" hinzugefügt hat, wirkt sich damit auch auf den Täterbereich des § 203 Absatz 2 S. 1 Nr. 1 aus. Als Folge sind die inhaltlich kaum begründeten Unterschiede im Strafrechtsschutz, je nachdem ob der Bürger seine Geheimnisse im Bereich der Daseinsvorsorge einem mit öffentlichen Funktionen betrauten oder einem „rein" privaten Rechtsträger anvertraut, noch gewachsen. Daß das Bankgeheimnis bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten wie den Sparkassen und den Landesbanken, 137 nicht aber bei privaten Geschäftsbanken (Prot. 7/177 fi) Strafrechtsschutz genießt, läßt sich wegen der identischen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zum Kunden ebenso wenig rechtfertigen wie bei einem entweder von der öffentlichen Hand oder von privater Hand getragenen Unternehmen des sozialen Wohnungsbaus, 138 so daß eine spezielle, viktimodogmatische Interpretation des § 203 Abs. 2 den Vorzug verdient (vgl. Rdn. 50). Zu Funktionsträgern der ehemaligen D D R s. Rdn. 168, der EU TröndletFischer Rdn. 21, für Offiziere und Unteroffiziere §§ 1 Abs. 3, 48 Abs. 1 WStG. 72

Nummer 2 knüpft an die in § 11 Abs. 1 Nr. 4 definierte förmliche Stellung des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten an. Die Vorschrift ermöglicht der Verwaltung, bestimmte Arbeiten extern erledigen zu lassen, ohne gegen § 203 zu verstoßen (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243), Rdn. 53. 73 Nummer 3 erfaßt Funktionsträger nach dem Personalvertretungsrecht der gesamten öffentlichen Verwaltung und der Gerichte in Bund und Ländern, der Bundeswehr und des Zivildienstes. Für die Privatwirtschaft gilt § 120 des Betriebsverfassungsgesetzes. 74 Nummer 4 wird verständlich durch die Kenntlichmachung der Personen, die nicht unter die Vorschrift fallen. Dies sind alle Mitglieder und Hilfskräfte der Parlamentsausschüsse. Täter nach dieser Nummer können nur Mitglieder und Hilfskräfte von Gremien sein, die für Gesetzgebungsorgane des Bundes oder der Länder arbeiten, jedoch mit Ausnahme der in sie entsandten Abgeordneten. In Betracht kommen Enquêtekommissionen und vom Parlament berufene Sachverständigenräte (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 241; Erster Bericht des Sonderausschusses BTDrucks. 7/1261 S. 16). Da die Abgeordneten selbst ausdrücklich von der Täterqualifikation ausgenommen werden und die Abgrenzung der „Hilfskräfte" unklar bleibt (Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 60), werden die üblichen politischen Indiskretionen dadurch schwerlich eingedämmt. 75

Nummer 5 erfaßt die freiberuflich tätigen Sachverständigen, die nach § 36 GewO öffentlich bestellt und nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Verpflichtungsgesetzes förmlich auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten verpflichtet worden sind, nicht aber ihre Hilfskräfte (RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 243). Deshalb wäre die Einstellung in Abs. 1 (mit Anwendbarkeit des Abs. 3!) geboten gewesen.

137

138

Zur Amtsträgerstellung von Vorstandsmitgliedern einer Landesbank auch bei einer Tätigkeit im Geschäftsbankenbereich BGHSt. 31 264, 267 ff; zu den daraus für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute resultierenden Strafbarkeitsrisiken bei der Beauftragung externer ComputerServiceunternehmen und bei der Erstattung von Anzeigen nach dem Geldwäschegesetz Otto wistra 1999 201 ff; 1995 323, 327 f. Die Ablehnung einer Amtsträgerstellung in diesem Fall in BGHSt. 38 199 ist durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz überholt, siehe

TröndlelFischer § 11 Rdn. 22 a; Ransiek NStZ 1997 521; ferner zur G T Z BGHSt. 43 379 m. Anm. Ransiek NStZ 1998 564 sowie zur Forderung einer längerfristigen Tätigkeit oder einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur die Prüfingenieur-Entscheidung BGHSt. 43 96 und dazu zustimmend Ransiek NStZ 1997 519; Otto JR 1998 73; König JR 1997 398; Martin JuS 1998 182; Tröndlel Fischer § 11 Rdn. 22; kritisch Haft N J W 1998 29; ders. LencknerFestschrift S. 86; schließlich zur FAG BGHSt. 45 16.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung v o n Privatgeheimnissen

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Nummer 6 ist durch Art. 3 des StVÄG 1999 vom 2. August 2000 (BGBl. I 1253) im 7 6 Anschluß an die ebenfalls neue Regelung des § 476 StPO eingefügt worden, um Geheimnisse aus Strafverfahren, die Teilnehmern von (meist kriminologischen) wissenschaftlichen Forschungsvorhaben (Pleonasmus!), die auf Grund des Verpflichtungsgesetzes zur Geheimhaltung förmlich verpflichtet wurden, zugänglich gemacht worden sind, ähnlich wie beim Sachverständigen gem. Nr. 5 strafrechtlich zu garantieren (BR-Dr 65/99, S. 74). Außerhalb des StGB hat ferner § 16 Abs. 7 BStatG eine mögliche Tätereigenschaft auf Grund besonderer Verpflichtung für Mitwirkende an Forschungsvorhaben begründet. 4. Gehilfen und zur Berufsvorbereitung Tätige Personenkreis. Nach Absatz 3 Satz 2 sind die berufsmäßig tätigen Gehilfen der Schweigepflichtigen des Absatzes 1 und des Abs. 3 Satz 1 - nicht von Amtsträgern und amtsnahen Personen nach Absatz 2 - in den Täterkreis einbezogen, ferner diejenigen Personen, die sich bei Schweigepflichtigen des Absatzes 1 auf ihren Beruf vorbereiten. a) Gehilfe ist, wer einem anderen in dessen von § 203 erfaßter Funktion zuarbeitet. 7 7 Er muß an der Berufstätigkeit unmittelbar unterstützend teilnehmen, nicht bloß ihre äußeren Bedingungen schaffen oder unterhalten. Eine solche Einbindung des Helfers etwa in das ärztliche Behandlungsgeschehen setzt ein Direktionsrecht voraus, welches erst einen reibungslosen Arbeitsablauf gewährleistet. Selbständige Gewerbetreibende scheiden daher in der Regel aus,139 wie auch die sonst überflüssige Aufführung der privatärztlichen Verrechnungsstellen in Absatz 1 Nr. 6 zeigt. Einer arbeitsrechtlich wirksamen Anstellung des Gehilfen bedarf es aber nicht; die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit genügt. Fällt der Gehilfe - wie etwa die Krankenschwester - zugleich unter Absatz 1, hat Absatz 3 für den Umfang der Schweigepflicht und für Offenbarungsbefugnisse Vorrang (Rdn. 115). aa) Im einzelnen sind Gehilfen des Arztes seine Sprechstundenhilfe, die 7 8 Sekretärin; Gehilfen des Rechtsanwalts oder Notars sind der Bürovorsteher (RGZ 54 360, 362), das Kanzleipersonal (BGHSt. 9 59); Gehilfe des Verteidigers ausnahmsweise auch ein Detektiv (LG Frankfurt/M. NJW 1959 589; aA m. w.N. Meyer-Goßner § 53 a Rdn. 2). Nicht hierher gehören Reinigungskräfte, Pförtner, Boten, Chauffeure, Hausangestellte.140 Mangels Weisungsabhängigkeit und unmittelbarer Unterstützungstätigkeit scheiden aus zahntechnische Labors beim Zahnarzt (aA LBerufsG f. Zahnärzte Bad.-Württ. NJW 1975 2255), externe Buchführungsstellen (aA Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler § 102 AO Rdn. 24 b), externe Schreibdienste (Narr Rdn. 756; aA Riiping Internist 1983 206), Datenspeicherfirmen (Β. Lilie S. 75; Meyer-Goßner § 53 a Rdn. 2; aA Kilian NJW 1987 695, 697). Die Ausdehnung der Strafdrohung auf externe Zuliefer- und Dienstleistungsbetriebe würde in einer arbeitsteilig organisierten, hochspezialisierten Arbeitswelt, wie die Beispiele zeigeri, ins Uferlose führen. Freilich ergeben sich wegen der daraus e contrario folgenden Limitierung des „Kreises 139

140

KK-Senge § 53a Rdn. 3; Meyer-Goßner § 53a Rdn. 2; aA LRJDahs § 53 a Rdn. 3; LBerufsG für Zahnärzte Bad.-Württ. NJW 1975 2255; Söhn in HübschmannIHepplSpitaler § 102 AO Rdn. 24d. Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 496; Arians in Oehler S. 307, 383; Bockelmann in Ponsold S. 12; Kallfelz JW 1936 1343, 1344; Kohlhaas

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GA 1958 65, 67; LacknerlKühl Anm. 2 a aa bb; LRIDahs § 53a Rdn. 2; MaurachlSchroederl Maiwald BT 1 § 29 III 3; Schäcker BB 1964 968; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 64; Samson SIC Rdn. 15; Söhn in HübschmannIHeppl Spitaler § 102 AO Rdn. 24, 26; aA für Pförtner Kamps MedR 1985 200, 202.

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§ 2 0 3

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

der Wissenden" erhebliche praktische Probleme, ζ. B. bei Beauftragung eines Computer-Serviceunternehmens (vgl. Rdn. 41). 79

bb) Krankenwagenfahrer, die keinem Notarzt und zugeordnet sind, handeln für die im Rettungswesen mittelbare Beziehung zu ärztlichem Tun läßt sich im anders, wenn ein Arzt den Krankenwagen gerufen Rdn. 2).

80

cc) Im Krankenhaus ist das für die Aufnahme zuständige Personal Gehilfe (BGHSt. 33 148). Ob es den Verwaltungsbediensteten (auch der Buchhaltung) und dem Verwaltungsleiter jedoch an der unmittelbar unterstützenden Funktion fehlt, ebenso wie Aufsichtsbehörden oder - bei anderen Institutionen - Dienstvorgesetzten, ist umstritten 142 und allenfalls für die Leitungsebene zutreffend. Der Techniker, der den Zentralcomputer des Hauses bedient, gehört durchaus zum Kreis des Absatzes 3 (aA Jähnke Vorauf!. Rdn. 107; B. Lilie S. 80). Externes Wartungspersonal, welches die im Krankenhaus oder in einer Kanzlei eingesetzten Geräte instand hält, schafft dagegen lediglich die Voraussetzungen beruflicher Tätigkeit; 143 anders, wenn es eingegliedert ist und die Apparate auch bedient (Kohlhaas NJW 1972 1502). Das ist von besonderer Bedeutung geworden, seitdem die Speicherung von Geheimnissen in der EDV nicht nur in dem gemäß § 203 Abs. 2 tatbestandsrelevanten öffentlich-rechtlichen Bereich, namentlich bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten (dazu Otto wistra 1999 201 ff), sondern auch im Bereich der freiberuflichen Tätigkeit gemäß § 203 Abs. 1 eine immer größere Bedeutung erlangt hat, woraus sich wiederum wegen der Notwendigkeit einer Wartung des EDV-Systems durch eine externe Dienstleistungsfirma die Zugriffsmöglichkeit des externen Wartungs- und Servicepersonals auf die Geheimnisse ergibt. Trotz der Schwierigkeiten, die darin möglicherweise liegende Offenbarung (s. dazu o. Rdn. 41) mit einem Rechtfertigungsgrund zu unterlegen (u. Rdn. 142), kommt eine Ausdehnung des schweigepflichtigen Personenkreises gemäß § 203 Abs. 3 auf Mitarbeiter von EDV-Dienstleistungsunternehmen mangels einer organisatorischen Eingliederung in den Betrieb des intraneus nicht in Betracht (ebenso Otto wistra 1999 201, 203).

81

dd) Teamarbeit bewirkt nicht deshalb Gehilfeneigenschaft, weil bei ihr jeder der Gehilfe des anderen sei (so aber Lücken RdJB 1969 289, 290 Fn. 10). Maßgebend ist, ob dem einzelnen Mitarbeiter ein selbständiger Aufgabenkreis zugewiesen ist. Aus diesem Grunde sind funktionell gleichgeordnete Berufsangehörige wie der Assistenzarzt oder der angestellte Rechtsanwalt keine Gehilfen i. S. des § 203 Abs. 3 sondern fallen unter Abs. 1. Auch der vom Arzt zugezogene Psychologe beurteilt auf Grund eigener Fachkompetenz selbständig die ihm vorgelegten Fragen (aA KK-Senge § 53a Rdn. 3). Umgekehrt können Schweigepflichten nicht dadurch begründet werden, daß ein Erzieher, dem selbständige Beratungsfunktionen obliegen, in eine von einem Arzt oder Psychologen geleitete Beratungsstelle lediglich organisatorisch „eingebaut" wird 141

142

Narr Rdn. 755; aA Kohlhaas DMW 1963 2356; NJW 1967 666; 1972 1502; Schürmann arztrecht 1978 9. Bejahend, aber i. e. unterschiedlich Andreas arztrecht 1987 203; Arloth MedR 1986 295, 297; Geppert Strafvollzug S. 20; Kreuzer NJW 1975 2232, 2235; Jähnke Vorauf!. Rdn. 107; LackneriKühl Rdn. IIb; B. Lilie S. 81; Marx GA 1983 160, 171 Fn. 60; Narr Rdn. 756; aA OLG

143

auch keiner Krankenschwester tätige Organisation. Eine unallgemeinen nicht herstellen;141 hat (aA Meyer-Goßner § 53 a

Oldenburg NJW 1982 2615 m. abl. Anm. Pelchen NStZ 1983 39; Kleinewefersl Wilts NJW 1964 428; ULIDahs § 53 a Rdn. 6; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 64; Schürmann arztrecht 1978 9; teilweise auch Meyer-Goßner § 53 a Rdn. 5. Koch CuR 1987 284 (betr. Computer); abw. Rieger DMW 1979 1733 (betr. Dialysegeräte); w. N. in Rdn. 41; aA Laufs Arztrecht Rdn. 442.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

(Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 63; aA Lücken Jugendwohl 1976 275).

RdJB 1969 289; Peters

ee) Jedoch kann Gehilfe auch der ehrenamtliche und der nur gelegentlich zugezo- 8 2 gene Helfer sein.144 Berufsmäßig tätig ist er durch die Unterstützung der in Absatz 1 aufgeführten Personen in ihrer beruflichen Funktion. Der Kreis der nach Absatz 3 Schweigepflichtigen deckt sich deshalb - wie es hier allein sinnvoll ist - mit dem Kreis der nach § 53 a StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Berufshelfer. 145 Damit sind auch Ehefrauen und mithelfende Familienangehörige erfaßt (Bockelmann in Ponsold S. 12). Die Schweigepflicht endet nicht mit der Gehilfeneigenschaft (BGHSt. 9 59 und Rdn. 60). b) Zur Berufsvorbereitung tätig sind die einem bestimmten Schweigepflichtigen zu- 8 3 geordneten Personen, die sich auf einen Beruf, nicht notwendig den des Schweigepflichtigen {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 65), vorbereiten. Dazu gehören Referendare, Famuli, auch Studenten in der klinischen Ausbildung ( L a u f s Arztrecht Rdn. 442), Praktikanten, Lehrlinge, Volontäre. Nicht hierzu zählen - weil nicht „tätig" - Studenten, denen in der Vorlesung Kranke demonstriert werden (aA Blei BT § 33 IV), und der Operationsgast {Kohlhaas in Kuhns I 779; GA 1958 65, 67; Rieger D M W 1976 1298; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17). 5. Schweigepflicht nach Absatz 3 Satz 2. Den Schweigepflichtigen des Absatzes 1 8 4 und ihren Hilfspersonen steht gleich, wer das Geheimnis von einer dieser Personen erlangt hat. Doch setzt die Strafbarkeit erst mit dem Tode des ursprünglich Schweigepflichtigen ein. Da der Tod das personale Unrecht einer Geheimnisoffenbarung durch den Nachfolger nicht berührt, ist dieses Ereignis objektive Bedingung der Strafbarkeit {SehlSchröder!Lenckner Rdn. 68; Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 59). Ferner steht den Schweigepflichtigen gleich, wer das Geheimnis aus deren Nachlaß erlangt hat. a) Mit der ersten Alternative der Bestimmung - Erlangung des Geheimnisses von 8 5 dem ersten Verpflichteten - ist auf den ersten Blick kaum etwas anzufangen (zur Kritik schon Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17 ff, ferner Becker M D R 1974 888, 890; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 68); Samson (SK Rdn. 17) will sie auf eher skurrile, aber bedeutungslose SachVerhaltsgestaltungen beschränken. Jedenfalls bedarf es keiner Begrenzung der Strafdrohung auf die Fälle, in denen der erste Schweigepflichtige das Geheimnis befugt weitergegeben hatte {Tröndle!Fischer Rdn. 13; Lackner/Kühl Anm. 13; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 20; Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 59; einschr. Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 67; aA Jähnke Voraufl. Rdn. 113 mit dem beachtlichen Argument, bei befugter Weitergabe sei der Dritte rechtmäßig in den Kreis der Wissenden gelangt und hätte damit - wenn auch nicht unbedingt strafrechtlich - teil an der Verantwortung für die Wahrung des Geheimnisses; bei unbefugter Preisgabe dagegen habe sich bereits der erste Schweigepflichtige strafbar gemacht, was genüge). Denn nach der maßgeblichen viktimodogmatischen Betrachtung (Rdn. 16) entfallt die Schutzwürdigkeit des Geheimnisträgers durch einen einzel144

LG Frankfurt/M. N J W 1959 589; Ackermann DJT-Festschrift 479, 496; Tröndle!Fischer Rdn. 11; Kohlhaas Medizin und Recht S. 8; Maurach/SchroederlMaiwald BT 1 § 29 III 3; Riiping Internist 1983 206; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 15; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 64; aA Blei BT § 33 IV; BohnelSax S. 159, 178; Ebermayer S. 45; Lackner/Kühl Rdn. 11 b; Rudolphi

(129)

145

S. 417; Samson SK Rdn. 15; Schmitz JA 1996 773; differenzierend Schürmann arztrecht 1978 9. Lenckner in EserlHirsch S. 227, 230; aA KKSenge § 53 a Rdn. 2; Lackneri Kühl Rdn. I I b ; LK/Dahs § 53 a Rdn. 2; Schürmann arztrecht 1978 9.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

nen, noch keine Offenkundigkeit herstellenden Bruch der Schweigepflicht noch nicht, so daß an sich auch den „Hehler" des Geheimnisses eine strafrechtliche Schweigepflicht trifft. Die Einschränkung der Strafbarkeit auf die Weitergabe nach dem Tode des Erstverpflichteten erklärt sich dann offenbar durch die etwas verzwickte, aber nicht direkt unsinnige Überlegung des Gesetzgebers, daß schon die effektive Bestrafungsmöglichkeit eines Schweigepflichtigen einen kriminalpolitisch ausreichenden Strafrechtsschutz schafft, so daß der strafrechtliche Zugriff bis zum Tode des Erstverpflichteten nur auf diesen, danach aber auf den Zweitverpflichteten eröffnet wird. Daraus folgt, daß eine mit Zustimmung des Geheimnisträgers oder durch einen eigenen Ausspähungsakt erlangte Kenntnis keine strafrechtliche Schweigepflicht begründet (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 67; Schmitz JA 1996 772, 774). 86

b) Die zweite Alternative stellt auf den Erbfall ab und verfolgt damit ein anerkennenswertes Ziel. Das Geheimnis muß auch von dem Erben, dem Testamentsvollstrecker, dem Erbschaftsbesitzer oder Vermächtnisnehmer gewahrt werden (Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 69). Das Erlangen durch Dritte muß auf willentlicher Weitergabe, also auf einem Offenbaren, beruhen. Der Diebstahl von Tagebüchern oder Akten begründet keine Schweigepflicht (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 17; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 67; aA TröndlelFischer Rdn. 13), weil § 203 den Verrat, nicht das Ausspähen treffen will (Rdn. 2). Der Dritte muß die Tatsache ferner als Geheimnis erlangt haben. Beim Altpapierhändler ist das nicht der Fall (SehlSchröder!Lenckner Rdn. 69; aA Kohlhaas in Kuhns I 780; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 20), wohl aber bei dem Helfer, der nach dem Tode des Schweigepflichtigen die Papiere durchsieht (Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 21; zu eng Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 69).

VI. Innere Tatseite 87

1. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz (§ 15); bedingter Vorsatz genügt (TröndlelFischer Rdn. 34; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 71). Gegenstand des Vorsatzes muß die Täterstellung des Verpflichteten sein, nicht aber die Wirksamkeit des Bestellungsaktes, weil diese keine Voraussetzung der Täterqualifikation ist (Rdn. 59). Ein diesbezüglicher Irrtum wäre also nur ein Subsumtionsirrtum, der für sich unbeachtlich ist, aber im konkreten Fall einen (in der Regel vermeidbaren) Verbotsirrtum gem. § 17 auslösen würde, weil der Täter dann das spezifische Unrecht des § 203 nicht erkannt hätte.

88

2. Der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen einer rechtfertigenden Offenbarungsbefugnis führt zur Straflosigkeit wegen Vorsatzausschlusses, sei es in direkter, sei es in analoger Anwendung des § 16.146 Bei § 203 trifft man auf einen der wenigen Fälle, in denen die unterschiedlichen Konstruktionen dieses Erlaubnistatbestandsirrtums durch die Spielarten der eingeschränkten Schuldtheorie auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weil der selbst nicht schweigepflichtige Hinter146

Nämlich nach der völlig herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie, die entgegen der uneinheitlichen Terminologie im Schrifttum als Sammelbezeichnung der verschiedenen Spielarten von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen bis zur sog. rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie benutzt werden sollte, s. Schroeder LK § 14 Rdn. 48; Grünwald

Noll-Gedächtnisschrift S. 183; anders Roxin AT I § 14 Rdn. 53-58; JeschecklWeigend § 41 IV 1; in der Sache selbst aA die nur noch vereinzelt vertretene strenge Schuldtheorie, siehe dazu Schroeder LK § 16 Rdn. 52; Armin Kaufmann JZ 1955 37; Hirsch ZStW 94 (1982) 239, 257 ff; Schroeder LK § 16 Rdn. 52.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung v o n Privatgeheimnissen

§203

mann nicht mittelbarer Täter sein kann, so daß er bei Benutzung eines irrenden Werkzeuges nur als Anstifter gemäß § 26 zur Verantwortung gezogen werden könnte, was aber wiederum ein vorsätzliches Handeln des Werkzeuges voraussetzt (näher dazu Rdn. 159). Glaubt der Täter falschlich, der Betroffene habe seine Einwilligung zur Geheimnis- 8 9 Offenbarung erteilt, handelt er ebenfalls im Erlaubnistatbestandsirrtum (s. Rdn. 91 sowie Dreher, Anm. zu OLG Köln M D R 1962 591, das selbst einen Tatbestandsirrtum i.e.S. annimmt; dogmatisch überholt BGHSt. 4 355, 356). 3. Ein Verbotsirrtum gem. § 17 liegt dagegen vor, sofern der Täter irrig eine nicht 9 0 oder nicht in diesem Umfang gegebene Offenbarungsbefugnis annimmt; so auch bei der unrichtigen Annahme, eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht des Betroffenen, sein Einverständnis mit einer Offenbarung zu erteilen, wirke unmittelbar zu seinen Gunsten (Kleinewefersl Wilts VersR 1963 989, 991).

VII. Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluß durch Einverständnis bzw. Einwilligung Die wirksame Einwilligung in die Preisgabe des Geheimnisses oder der geschützten 91 Daten schließt die Strafbarkeit nach § 203 aus.147 Der Einwilligung entspricht prozessual die Entbindung von der Schweigepflicht. Beides ist nach Voraussetzungen und Wirkung im Grundsatz identisch (Lenckner in Göppinger S. 159, 192; Lenckner in Eserl Hirsch S. 227, 239; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 400), da ein und dieselbe Erklärung vor und außerhalb des Rechtsstreits dem Schweigepflichtigen dieselben Befugnisse verschaffen muß wie im Prozeß. Im einzelnen wirft die Einwilligung jedoch eine Fülle von Problemen auf, von der verbrechenssystematischen Einordnung über die Person des Einwilligungsbefugten bis zur Behandlung der sog. Drittgeheimnisse. 1. Verbrechenssystematische Einordnung. Die Einwilligung beseitigt nach der leicht 9 2 überwiegenden Meinung erst die Rechtswidrigkeit der Tat,148 während sie nach der ebenfalls zahlreiche Anhänger findenden Gegenmeinung als sog. Einverständnis bereits den Tatbestand des § 203 ausschließen soll.149 Die Kontroverse verweist wiederum auf bis heute ihrerseits umstrittene Grundfragen des Strafrechtssystems, nämlich 147

148

RegE des EGStGB, BTDrucks. 7/550 S. 236; s. auch Arzt Schutz der Intimsphäre S. 184ff, 187. OLG Bremen MedR 1984 112; Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 501; Bockelmann in Ponsold S. 15; Verkehrsstrafrechtliche Aufsätze S. 27, 32; TröndlelFischer Rdn. 28; Geppert Strafvollzug S. 24; Göppinger NJW 1958 241; Haft BT § 203 II 4; JeschecklWeigend AT § 34 I 1, 3; Joecks Rdn. 21; Lackneri Kühl vor § 201 Rdn. 2; Lenckner NJW 1965 321, 323; K. Müller in Mergen II S. 63, 74; Otto Grundkurs BT § 34 III 3b; Rogali NStZ 1983 1, 6; Rudolphi Bemmann-Festschrift S. 421; Riiping Internist 1983 206, 207; Schwalm Med. Klinik 1969 1722, 1723; Samson SK Rdn. 37f; Warda Jura 1979 286, 296; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 400; Wessels!Hettinger BT § 12 V 3; noch anders Günther S. 347f; dazu Roxin Oehler-Festschrift S. 181.

(131)

149

BGHSt. 4 355, 356; OLG Köln NJW 1962 686 m. Anm. Bindokat; Anm. Dreher MDR 1962 592; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 117; Göll S. 39; Henke! DJT-Gutachten D 84, 136; Hirsch LK Vorbem. § 32 Rdn. 96; Jakobs JR 1982 359; Jähnke Vorauf! Rdn. 56; NK-Jung Rdn. 21; Krey BT 1 Rdn. 475; Noll Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe (1955) S. 64; Schmidhäuser BT 6/28; SehlSchröder/Lenckner Rdn. 22; Tiedemann NJW 1981 945, 948; Tiedemann in Scholz GmbHG § 85 Rdn. 18; Vollmer S. 62; im Ergebnis auch Jakobs AT 7/111; von einem subjektiven Rechtsgutbegriff ausgehend Armin Kaufmann KlugFestschrift S. 277, 282; Kühne JZ 1979 241, 242; MaurachlZipf AT I § 17 III Rdn. 33; Roxin Noll-Gedächtnisschrift S. 275; Strafrecht AT I § 13 II; Weigend ZStW 98 (1986) 44, 61; dazu JeschecklWeigend AT § 34 I 2 b, 3; Sch/SchröderlLenckner vor § 32 Rdn. 33 a.

Bernd S c h ü n e m a n n

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

auf das Verhältnis von Tatbestand und Unrecht mitsamt der Vorzugswürdigkeit eines zweigliedrigen oder dreigliedrigen Verbrechensaufbaus sowie auf die selbst umstrittene Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung. Freilich werden diese Kontroversen über strafrechtssystematische Grundfragen dadurch wieder entschärft, daß sie zum großen Teil nicht das rechtliche Ergebnis, sondern nur dessen quasi topographische Abbildung betreffen, so daß der seit 100 Jahren, nämlich seit dem Beling-Lizstschen System, 150 eingebürgerte dreistufige Deliktsaufbau zwar wegen seines Bezuges auf lediglich zwei verschiedene strafrechtliche Fundamentalwertungen (nämlich Unrecht und Schuld) logisch mangelhaft, für das in rechtlichen Diskursen allein relevante Ergebnis aber zumeist gleichgültig und deshalb insoweit unschädlich ist ähnlich dem Festhalten an anderen Traditionalismen wie dem H a n d k u ß bei einer Begrüßung. 151 Die auf der nächsten systematischen Ebene anschließende Frage, ob die Einwilligung des Rechtsgutsträgers stets den Straftatbestand ausschließt (so Roxin Strafrecht AT 1 § 13 Rdn. 12 ff) oder ob zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis bei allen Delikten gegen die Selbstbestimmungsfreiheit und rechtfertigender Einwilligung bei allen übrigen Delikten zu unterscheiden ist (so die h. M., siehe nur Hirsch L K vor § 32 Rdn. 96fi), wirkt sich nur dann im Ergebnis aus, wenn man mit der h. M. beim Einverständnis allein auf die faktische Willensübereinstimmung abhebt, während an die Wirksamkeit der Einwilligung qualifizierte Anforderungen gestellt werden wie die Dispositionsbefugnis des Opfers und die Freiheit von Willensmängeln. 152 Bei § 203 verkompliziert sich die Situation dadurch, daß hier nicht nur der Rechtsgutsinhaber, dessen Privatsphäre das Geheimnis betrifft, sondern auch der Anvertrauende, also der Partner des Sonderverhältnisses zum Schweigepflichtigen, als Einwilligungsberechtigter in Betracht kommt. 93

Bei der gebotenen funktionalen Betrachtungsweise ist die Entscheidung davon abhängig zu machen, ob die Zustimmung die Rechtsgutsverletzung entfallen läßt (dann Einverständnis) oder lediglich deren Rechtwidrigkeit (dann Einwilligung). Es ist deshalb als Begründungsansatz nicht überzeugend, wenn man der Tatbestandsmäßigkeit den zumindest indiziellen Ausdruck sozialer Unwertigkeit zuschreiben und diese bei Zustimmung des Geheimnisträgers von vornherein verneinen will 153 (denn daß die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit indiziert, ist nur eine Faustregel für Anfangerklausuren, während das allein relevante Werturteil des strafrechtlichen 150

151

v. Liszt Lehrbuch des Deutschen Strafrechts 21 .-22. Aufl. ( 1919) S. 110 f, 115 ff; ders. in Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. I (1905) S. 238; Beling Grundzüge des Strafrechts 11. Aufl. (1930) § 8 ff; ders. Die Lehre vom Verbrechen (1906) S. 5 ff; Schünemann in Schünemann (Hrsg.) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems (1984) S. 1, 19 ff. Vgl. näher zur logischen Korrektheit allein des zweistufigen Deliktsaufbaus, aber auch zu vergleichbaren Traditionalismen anderer Strafrechtskulturen Schünemann in: Schünemann/ Figueiredo Dias Bausteine des europäischen Strafrechts - Coimbra-Symposium für Claus Roxin S. 149 ff. Bemerkenswert ist die Entwicklung von Roxin, der in: Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale 2. Aufl. (1970) S. 173-187 mit vehementen und durchschlagenden Argumenten die Richtigkeit des zweistufigen Delikts-

aufbaus nachwies, in seinem Lehrbuch aber inzwischen einen Kompromiß mit dem dreistufigen Deliktsaufbau geschlossen hat (§ 10 Rdn. 19 ff), ohne daß davon bei ihm in der Sache viel abhängt. Auf die einzige für das Resultat relevante Streitfrage, nämlich die direkte Anwendbarkeit des § 16 StGB auf den Erlaubnistatbestandsirrtum mit der Konsequenz der Straflosigkeit der Anstiftung eines vorsatzlosen intraneus durch einen extraneus, wird unten Rdn. 159 eingegangen. 152

153

Siehe Hirsch LK vor § 32 Rdn 98 ff; anders dagegen Roxin Strafrecht AT 1 § 13 Rdn. 4 ff, 47f, 5Iff, 82, der auch an die Wirksamkeit des Einverständnisses von Fall zu Fall qualifizierte Anforderungen stellt und damit abermals die systematische Einordnung folgenlos bleiben läßt. So Jähnke Voraufl. Rdn. 56 m. w. N.

Stand: 1.8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

§203

Unrechts erst nach einer Untersuchung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigungsfrage gefallt werden kann); oder wenn man gar auf den „intensiven persönlichen Bezug des Rechtsgutes" abhebt, der eine nur rechtfertigende Wirkung der Einwilligung als deplaziert erscheinen lasse,154 weil diese bildhafte Betrachtung funktional unergiebig ist. Die adäquate Frage lautet vielmehr, ob die Zustimmung ähnlich wie bei § 123 oder § 239 auch bei § 203 den Rechtsgutseingriff entfallen läßt, was von Jähnke (Voraufl. Rdn. 56) im Hinblick darauf bejaht wird, daß der Geheimhaltungswille ein konstituierendes Elemente des Geheimnisbegriffs sei. Dieses Argument ist beachtlich, dürfte aber nur für den Fall durchgreifen, daß der Geheimnisträger auf die Geheimhaltung insgesamt verzichtet (und damit das Rechtsgut gewissermaßen von der Privatsphäre in die ungeschützte Sozialsphäre katapultiert), während die Erlaubnis einer einzigen Weitergabe das Rechtsgut und damit dessen Beeinträchtigung (wenn auch mit Willen des Trägers) bestehen läßt. Erst recht läßt das Einverständnis des Anvertrauenden die Rechtsgutsverletzung nicht entfallen. Es geht also systematisch gesehen um eine rechtfertigende Einwilligung, deren Wirksamkeit die Einwilligungsfahigkeit des Einwilligenden und die Freiheit von wesentlichen Willensmängeln voraussetzt. Dadurch, daß auch die Anhänger der Tatbestandslösung überwiegend die gleichen Anforderungen stellen (vgl. Jähnke Voraufl. Rdn. 57), kommen sie freilich dann doch wieder zum gleichen Ergebnis. 2. Einwilligungsfähigkeit. Da die Einwilligung Befugnisse und im Prozeß auch 9 4 Pflichten (Zeugnispflicht, Eidespflicht) auslöst, erschöpft sie sich nicht in der tatsächlichen Aufgabe des Willens zur Geheimhaltung, sondern ist zugleich Rechtshandlung.155 Ihre Wirksamkeit setzt bei zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen die Einsicht und Urteilskraft voraus, welche den Erklärenden dazu befähigen, Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung abzuschätzen. Geschäftsoder Schuldfähigkeit sind hingegen nicht erforderlich, so daß auch ein Minderjähriger wirksam seine Einwilligung erklären kann; 156 die Entscheidung obliegt dann unter Ausschluß des gesetzlichen Vertreters allein ihm {LackneriKühl Rdn. 18; Narr Rdn. 757; aA K. Müller in Mergen II S. 63, 75). Gesetzlich geregelte Teilmündigkeiten gelten auch für den Umgang mit Geheimnissen (Harthun SGb 1983 511, 512). Im Rahmen der sozialen Handlungsfähigkeit des § 36 SGB I tritt daher auch Einverständnisfähigkeit grundsätzlich mit 15 Jahren ein 157 (für Arbeitsverhältnisse vgl. § 113 BGB). Für nicht Einsichtsfahige handelt der Personensorgeberechtigte (Hirsch LK vor § 32 Rdn. 117; aA KKJSenge § 53 Rdn. 48; LRIDahs § 53 Rdn. 74). Solche Vertretung etwa im Rahmen ärztlicher Behandlung von Kindern ist unentbehrlich (Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts [1963] S. 95; Kamps MedR 1985 200, 201; B. Lilie S. 97; Lenckner in Göppinger S. 159, 179; Solbach DRiZ 1978 204, 207; aA Kohlhaas GA 1958 65, 73).

154

So N K - A n j Rdn. 21. Harthun SGB 1983 511, 512; Hauck/Haines/ Walloth SGB X 1, 2 Κ § 67 Rdn. 9, Lenkaitis S. 255; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 452; Pickel M D R 1984 885, 887; aA (Rechtsgeschäft) Kamps MedR 1985 200, 201; K. Müller in Mergen II S. 63, 75. ' » BVerfGE 59 360, 387 f; BGHSt. 4 88, 90; B G H Z 29 33, Grömig NJW 1970 1209, 1212; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 366; Laufs Arztrecht Rdn. 426; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 24; Woesner NJW 1957 692; aA Lücken 155

(133)

157

RdJB 1969 289, 292; K. Müller in Mergen II S. 63, 75. Rombach in Hauck SGB Χ Κ § 67b Rdn. 7; Pickel SGB X § 67b Rdn. 7; Gitter in Bochumer Kommentar AT § 36 Rdn. 38; Mörsberger Verschwiegenheitspflicht S. 71; Pickel M D R 1984 885, 887; aA Schroederl Print zen SGB X § 67b Rdn. 4; RV-Trägerkommentar SGB X § 67 Rdn. 5; differenzierend Coester Zur sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit des Mindeijährigen, FamRZ 1985 982, 986; unzutr. LG Braunschweig NStZ 1986 474, 475.

Bernd Schünemann

§203 95

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen setzt die Einwilligung dagegen Geschäftsfähigkeit des Erklärenden voraus. 158 Diese Geheimnisse behandelt das Gesetz als Vermögensgegenstände (E 1962 S. 338; BGHZ 38 392, 395). Sie fallen im Fall der Insolvenz grundsätzlich in die Insolvenzmasse (BGHZ 16 172, 175; Eickmann HKInsO § 35 Rdn. 9), im Erbfall gehen sie auf den Erben über (BayObLGZ 1966 86, 90; OLG Stuttgart OLGZ 1983 6, 9); die Einwilligung kann durch einen Bevollmächtigten erklärt werden (OLG Celle NJW 1955 1844), und auch das Strafantragsrecht ist der Sache nach vererblich (§ 205 Abs. 2 Satz 2). Rechtsgeschäftliche Verfügungen über diese oft den wesentlichen Wert des Unternehmens bildenden Gegenstände dürfen nicht durch auseinanderfallende Zuständigkeiten (vgl. BGHZ 29 33, 37) blockiert werden. Die Einwilligung muß deshalb in der Hand dessen liegen, der insgesamt für das Vermögen zu sorgen hat, des gesetzlichen Vertreters. Ein Widerspruch zur Handhabung bei personengebundenen Geheimnissen liegt darin nicht, weil die Privatsphäre anders als ein Vermögensgegenstand nicht übertragbar ist. 3. Erklärungsberechtigter

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a) Überblick. Die Bestimmung der Person des Einwilligungsberechtigten kann deswegen erhebliche Schwierigkeiten bereiten, weil drei verschiedene Rollen zu unterscheiden sind, die zwar in einer Person zusammenfallen können, aber nicht müssen: nämlich des Geheimnisträgers, zu dessen Privatsphäre die betreffende Information gehört, des Anvertrauenden, der die Information dem Schweigepflichtigen gegeben hat, und des Mandanten, Patienten etc., also des Vertragspartners des schweigepflichtigen Rechtsanwalts, Arztes usw. Ferner werden die möglichen Fallgestaltungen dadurch weiter vermehrt und verkompliziert, daß es außer den anvertrauten auch die sonst bekanntgewordenen Geheimnisse gibt und daß ein Wechsel in der Vertretungsund Verfügungsmacht des Vertragspartners eingetreten sein kann, wenn die Organe einer juristischen Person ausgewechselt werden oder wenn die Verfügungsmacht auf den Insolvenzverwalter übergeht. Und die rechtliche Relevanz dieser unterschiedlichen Rollen muß wiederum im Hinblick auf die komplizierte Tatbestandsstruktur des § 203 beurteilt werden, die den Schutz eines disponiblen Individualrechtsgutes aus viktimodogmatischen Gründen nur im Rahmen einer Vertrauensbeziehung garantiert.

97

b) Eigengeheimnis. Die Einwilligung ist im Normalfall von demjenigen zu erteilen, auf den die geheimzuhaltende Tatsache sich bezieht und der zu dem Schweigepflichtigen in dem in § 203 vorausgesetzten Sonderverhältnis steht (OLG Karlsruhe NJW 1960 1392). Nicht zuständig ist, wer als Dritter ein Interesse an dem Geheimnis hat oder mittelbar davon betroffen ist.159 Daher steht weder den Eltern, denen der Ruf ihrer Tochter am Herzen liegt, noch dem Abkömmling, der eine erbliche Belastung durch seine Eltern geklärt sehen möchte, eine Einflußnahme auf die Geheimnisse anderer zu (Göppinger NJW 1958 278; abw. Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 67).

98

Gehört das Geheimnis untrennbar mehreren Personen, die es auch gemeinsam dem Arzt etc. anvertraut haben, müssen alle einverstanden sein; die für den Strafantrag getroffene Regelung des § 77 Abs. 4 ist nicht hierher übertragbar, weil niemand über 158

TröndlelFischer vor § 32 Rdn. 3 b; Jakobs AT 7/114; Lenckner ZStW 72 (1960) 446, 456; Lenkaitis S. 255; Sehl Schröder! Lenckner vor § 32 Rdn. 32, 39; vgl. Günther SK vor § 32 Rdn. 51; U. Weber Zur strafrechtsgestaltenden Kraft des Zivilrechts, F. Baur-Festschrift (1981) S. 133,

159

141 aA Hirsch LK vor § 32 Rdn. 118; JeschecklWeigend AT § 34 IV 1; LackneriKühl vor § 32 Rdn. 16; Wessels!Beulke AT § 9 I 2c. LSG Bremen NJW 1958 278; Arzt Schutz der Intimsphäre S. 172f; Schreiner S. 139 ff.

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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die Privatsphäre eines anderen verfügen darf. 160 Kollektive Kenntnisse sind aber nicht ohne weiteres untrennbar mehreren Personen als Geheimnis zuzuordnen. Der Drogenkonsum eines Schülers ist kein Familiengeheimnis, sondern betrifft nur den Schüler (aA Engler RdJB 1979 62, 68; zu weitgehend auch BAG NZA 1987 515, 517). Geheimnisse der Gesellschaft sind regelmäßig nicht zugleich solche ihrer Organe (anders bei Straftaten, OLG Celle wistra 1986 83; s. Rdn. 100), Geheimnisse der Verbandsmitglieder nicht auch solche des Verbandes (Stürner JZ 1985 453, 454); anders kann es bei miteinander verflochtenen Unternehmen liegen (Stürner JZ 1985 453, 454). c) Drittgeheimnis. Umstritten ist, wer das Einverständnis in die Offenbarung von Geheimnissen zu erteilen hat, welche nicht dem Patienten, Mandanten usw. zustehen, sondern Dritten (dazu bereits o. Rdn. 39); Beispiele bieten die Krankheit der Ehefrau des Patienten, von der der Arzt erfahren hat, sei es durch Mitteilung des Ehemannes, sei es durch dessen Untersuchung auf eine durch Ansteckung von der Ehefrau übernommene Infektionskrankheit; oder die Untreue des Schuldners, die ein Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Insolvenzverwalters bei der Prüfung der Geschäftsunterlagen herausgefunden hat. Die Frage ist außerordentlich umstritten. Nach der älteren Auffassung soll die Einwilligungsbefugnis allein dem Betroffenen zustehen, also demjenigen, dessen persönlichen Lebensbereich das Geheimnis betrifft. 161 Zur Begründung wird angeführt, daß man einer Person nicht die Schutzwürdigkeit ihrer Geheimnisse zugestehen und sie zugleich entmündigen oder - beim Geschäftsgeheimnis - enteignen könne, indem man andere darüber verfügen läßt (so Jähnke Voraufl. Rdn. 62). Aber damit wird das zur Begründung der Strafbarkeit unverzichtbare Zusammenspiel von Rechtsgut und Angriffsmodalität verkannt: Wie aus der viktimodogmatischen Erklärung des Sonderdeliktscharakters des § 203 (o. Rdn. 16) folgt, sind Privatgeheimnisse nur gegen ihre Preisgabe im Rahmen eines ihre Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit nicht aufhebenden, vom Gesetzgeber als sozial notwendig qualifizierten Verhältnis des Anvertrauens strafrechtlich geschützt, Drittgeheimnisse also insoweit, wie sie vom selbst nicht schweigepflichtigen Erstinformierten an einen Schweigepflichtigen weitergegeben werden. Die strafrechtlich ungeschützte Flanke besteht dann aber in der Person des Erstinformierten, der das Geheimnis straflos selbst ausplaudern und folglich - als mittelbare Ausplauderung - den ihm gegenüber Schweigepflichtigen entbinden kann, denn ein Geheimnisträger, der sich einem selbst nicht Schweigepflichtigen offenbart, muß dessen illoyales Verhalten nach dem Grundsatz des unzureichenden Selbstschutzes ungesühnt hinnehmen, so daß der Geheimnisträger gegen einen Geheimnisverrat nur dann geschützt wird, wenn der Anvertrauende den Arzt etc. aus der Vertraulichkeit nicht entlassen hat (Schünemann ZStW 90 [1978] 11, 58). Die Entbindung durch den Erstinformierten, von dem oder über den der Schweigepflichtige das Geheimnis erfahren hat, beseitigt also die vom Gesetzgeber festgelegte qualifizierte Sozialschädlichkeit und läßt deshalb das strafrechtliche Unrecht entfallen, zumindest (falls in zivilrechtlicher Hinsicht eine Verletzung des all160

161

RGZ 50 353; 53 168, 169; Ostendorf JR 1981 444, 448; abw. OLG Hamburg NJW 1962 689, 691. OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; OLG Stuttgart DJZ 1898 391; Blei BT § 33 VI; TröndlelFischer Rdn. 28; Flor JR 1953 368, 369; Göppinger NJW 1958 241, 243; Gössel BT 1 § 37 Rdn. 118; Hackel NJW 1969 2257, 2258; KKSenge § 53 Rdn. 46; Koch DB 1958 1040; Lack-

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ner/Kühl Rdn. 18; Laufs Arztrecht Rdn. 426; B. Lilie S. 71, 97; H. Lilie S. 180; Lücken RdJB 1969 289, 292; Narr Rdn. 765; Rogali NStZ 1983 414; Rudolphi S. 422; Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997) S. 89; Rüping Internist 1983 206, 207; Timm S. 27; früher auch Lenckner in Göppinger S. 159, 178.

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

gemeinen Persönlichkeitsrechts übrig bleibt) in Form eines sog. Strafunrechtsausschließungsgrundes. 162 Dies gilt erst recht, wenn der Anvertrauende und der Vertragspartner identisch sind: Weil der Patient etc. die ihm bekannten Drittgeheimnisse auch straflos ausplaudern darf, sie bei ihm also nicht geschützt sind, folgt aus der viktimodogmatischen Maxime, daß die strafrechtliche Schweigepflicht im Falle seiner Einwilligung in eine Preisgabe des Geheimnisses auch für den Arzt etc. erlischt, 163 was auch unabhängig von der viktimodogmatischen Begründung der in den letzten Jahren zunehmend vertretenen Auffassung entspricht. 164 Daneben wirkt freilich auch die Einwilligung des Geheimnisträgers selbst rechtfertigend, denn aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und aus der Disponibilität des in § 203 geschützten Rechtsgutes folgt eo ipso auch die Befugnis des Geheimnisträgers zur Preisgabe seines Geheimnisses, während die auch danach noch übrigbleibende Verletzung des Arztoder Anwaltsvertrages als solche nicht strafbewehrt ist.165 Dies gilt aber selbstverständlich nicht für die hier (Rdn. 39) sog. verknüpften Geheimnisse, bei denen der Vorgang des Anvertrauens und damit auch die Person des Anvertrauenden ein selbständiges Geheimnis darstellen. Bei „sonst bekanntgewordenen" Geheimnissen, die also von dem Schweigepflichtigen selbst recherchiert worden sind, besteht die Vertraulichkeitsbeziehung allein zum Auftraggeber, also zum Vertragspartner, dem dann auch neben dem Geheimnisträger das Recht zur Entbindung von der Schweigepflicht zusteht. Das strafrechtliche Unrecht des Verrats „anvertrauter" Geheimnisse entfällt also sowohl bei Einwilligung durch den Betroffenen als auch durch den Anvertrauenden, bei „sonst bekanntgewordenen" Geheimnissen bei Einwilligung durch den Patienten oder Mandanten des Schweigepflichtigen. 166 Hingegen steht die Antragsbefugnis gemäß § 205 dem Geheimnisträger und nicht dem Anvertrauenden zu,167 denn der Anvertrauende 162

Zu dieser von Günther herausgearbeiteten Sonderform der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe und ihrer Beschränkung auf einen eher schmalen, aber nicht zu leugnenden Anwendungsbereich vgl. Günther Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß (1983) S. 253 ff, 295f; Schünemann G A 1985 341, 352f; ders. in Schünemann/Figueiredo Dias (Fn. 151) S. 149, 175 fT.

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Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 57 f; ders. Faller-Festschrift S. 357, 364; ebenso Niedermair S. 382ff; Ostendorf JR 1981 444, 445. Das Gegenargument, die Straflosigkeit des eigenen Ausplauderns impliziere noch nicht das Recht zur Gestattung der Geheimnisverletzung durch einen Dritten (Rogali NStZ 1983 414; Rudolphi S. 422), übersieht die viktimodogmatische Limitierung des Rechtsgutsschutzes in § 203. Ebenso NK-J««g Rdn. 10; Samson SK Rdn. 38 f, SehlSchröder/Lenckner Rdn. 23; Maurachl SchroederlMaiwald § 2 9 III 1; OLG Köln NStZ 1983 412; B. Lilie S. 81; Schreiner S. 31, 99; Stucke S. 116f. And. anscheinend Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 23; Samson SK Rdn. 39; wie hier in zwingender Ableitung aus der Rechtsgutsbestimmung bereits Schünemann ZStW 90 (1978) 58. Näher dazu u. Rdn. 102. So bereits Schünemann ZStW 90 (1978) 11, 58; ebenso mit z. T. abw., auf die These vom Kollektivrechtsgut gestützter Begr. im Ansatz bereits

164

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R G G A 59 (1912), 463; OLG Köln NStZ 1983 412; Bockelmann in Ponsold S. 16; Bohne/Sax S. 159, 174; Göll S. 51; NK-Jung Rdn. 21; Kierski in Mergen II S. 126, 151 f; Kohlhaas G A 1958 65, 73; ders. JR 1958 328, 329; ders. N J W 1964 1162, 1165; ders. Medizin und Recht 1969 40f; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 113 Fn. 71; Ostendorf JR 1981 444, 448; Otto Grundkurs BT § 34 III 3; Eb. Schmidt Arzt im Strafrecht S. 68; für die meisten Fälle auch Sehl Schröder/Lenckner Rdn. 23. Daneben wird auch noch die Auffassung vertreten, daß der Vertragspartner des Schweigepflichtigen (Samson SK Rdn. 39) oder der Anvertrauende (Schmitz JA 1996 949, 951) allein oder ausschließlich gemeinschaftlich mit dem Betroffenen (K. Müller in Mergen II S. 63, 74, 93) in die Tat rechtfertigend einwilligen könne, was aus den im Text genannten Gründen zu eng ist. Auch eine Differenzierung der Entbindungsbefugnis nach der Art der Kenntniserlangung des Schweigepflichtigen (LRIDahs § 53 Rdn. 72; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 46) wird der viktimodogmatisch erklärten Struktur des Tatbestandes nicht gerecht. 167

Schünemann ZStW 90 (1978) 58; aA ΝK-Jung Rdn. 10; Niedermair S. 381 ff, der als Rechtsgutsträger nicht den Geheimnisträger, sondern den Partner der Sonderbeziehung anerkennen will, was aber nur für verknüpfte Drittgeheimnisse zutrifft. Vgl. auch u. § 205 Rdn. 6.

Stand: 1.8. 2000

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ist (jedenfalls bei isolierten Drittgeheimnissen) lediglich Opfer einer Vertragsverletzung, der Geheimnisträger dagegen Opfer einer Rechtsgutsverletzung. Nach den vorstehenden Grundsätzen ist auch die Befugnis zur Schweigepflichtentbindung im Rahmen von Vertrauensverhältnissen mit juristischen Personen zu beurteilen. Grundsätzlich handelt die juristische Person durch die jeweils zur Vertretung berechtigte Person. Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn ein früherer Vertreter einem Schweigepflichtigen (etwa Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer) auch eigene Geheimnisse anvertraut hat, also Anvertrauender und (mindestens zusammen mit der juristischen Person) auch Geheimnisträger ist. Das dürfte, ohne daß der Vertreter auch persönlich Partner des Mandatsvertrages wird, praktisch wohl nur bei Straftaten in Betracht kommen, die der Vertreter im Interesse der juristischen Personen begangen hat. In diesem Ausnahmefall setzt eine wirksame Entbindung die Zustimmung des damaligen Vertreters voraus, zu dem dasjenige des jetzigen Vertreters hinzukommen muß, wenn der frühere Vertreter bei der Information des Schweigepflichtigen zugleich für die juristische Person gehandelt hat, was im Rahmen ihrer Mandatsverhältnisse regelmäßig der Fall sein wird.168

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d) Entsprechende Regeln gelten auch für die Entbindung im Insolvenzfall. In der Insolvenz steht die Verfügungsbefugnis über die geschäftlichen Geheimnisse 1 0 1 des Schuldners allein dem Insolvenzverwalter zu, soweit er ihrer zur Erfüllung seiner Obliegenheiten bedarf und Auswirkungen auf die Masse zu erwarten sind.169 Das ist grundsätzlich nicht der Fall bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Dritten, 170 kann aber im übrigen vorprozessual und im Rechtsstreit, bei der Verwertung des Geheimnisses (BGHZ 16 172, 175), der sonstigen Masse sowie bei Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen in Betracht kommen und ist auch im Strafprozeß, der für die Masse große Bedeutung haben kann, nicht grundsätzlich ausgeschlossen.171 Daß der Schuldner oder bei einer juristischen Person ein Organ aus der Offenbarung Nachteile zu erwarten hat, steht der Befugnis des Insolvenzverwalters nicht entgegen, weil der Schuldner zu uneingeschränkter Offenlegung seiner Verhältnisse verpflichtet ist (§ 97 InsO). Im Ergebnis keiner anderen Beurteilung unterliegen auch Straftaten des Schuldners oder seiner Organe, einschließlich des nur faktischen Geschäftsführers (and. Jähnke Voraufl. Rdn. 61; OLG Celle wistra 1986 83). Für Straftaten ist der Täter zwar persönlich verantwortlich, auch wenn er sie im Betrieb oder in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter begangen hat, so daß der strafbare Vorgang deshalb nicht allein Geschäftsgeheimnis, sondern wegen der unmittelbaren Betroffenheit auch persönliches Geheimnis des Täters ist. Entgegen einer verbreiteten Auffassung 172 heißt das aber nicht, daß 168

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Ebenso Jähnke Voraufl. Rdn. 60 f; Sch/SchröderlLenckner Rdn. 23; für eine Ausdehnung der notwendigen Zustimmung früherer Vertreter auch auf die sonst bekannt gewordenen Geheimnisse Dahs Kleinknecht-Festschrift S. 63, 77; hinsichtlich der freilich von der materiellrechtlichen Wirkung zu unterscheidenden strafprozessualen Schweigepflichtentbindung auch OLG Koblenz NStZ 1985 426; OLG Düsseldorf wistra 1993 120; weitergehend im Sinne einer umfassenden und ausschließlichen Zuständigkeit des früheren Vertreters Schmitt wistra 1993 9 ff. RGZ 59 85; OLG Nürnberg M D R 1977 144; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 23; Samson SK Rdn. 41; aA (auch Schuldner) Meyer-Goßner

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§ 53 Rdn. 46; Söhn in Hübschmann/Heppl Spitaler AO § 102 Rdn. 55. LG Lübeck ZIP 1983 711m. Anm. Henckel und OLG Schleswig ZIP 1983 968. Dahs Kleinknecht-Festschrift S. 63, 75; aA O L G Koblenz NStZ 1985 426; Samson SK Rdn. 41. Dazu OLG Koblenz NStZ 1985 426; OLG Schleswig NJW 1981 294; LG Düsseldorf N J W 1958 1152; Dahs Kleinknecht-Festschrift S. 63, 75; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 46; LR/Dahs § 53 Rdn. 71; Schmitz JA 19% 949, 951 f; SchlSchröder/Lenckner Rdn. 23; Samson SK Rdn. 41; Weihrauch JZ 1978 300, 302; wie hier O L G Nürnberg M D R 1977 144; LG Lübeck NJW 1978 1014; Henckel ZIP 1983 713; KK-Nack § 97 Rdn. 6; H. Schäfer wistra 1985 209, 211;

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der Schuldner deshalb über die Preisgabe mitentscheiden muß. Denn in dem oben (Rdn. 99) gebildeten Fall ist er zwar Betroffener, aber nicht Anvertrauender, so daß die Entbindung durch den Insolvenzverwalter wie bei jedem Drittgeheimnis ausreicht; und allgemein geht das Verfügungsrecht in dem Umfang auf den Insolvenzverwalter über, wie diesem gegenüber eine Auskunftspflicht besteht. Gegenüber einer unfreiwilligen Selbstbelastung aufgrund der Mitwirkungspflicht im Insolvenzverfahren (§ 97 InsO) ist der Schuldner dadurch ausreichend geschützt, daß nach der vom Gesetz übernommenen Rechtsprechung des BVerfG die von ihm gemachten Angaben im Strafverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegen (BVerfGE 56 37 ff und nunmehr § 97 Abs. 1 S. 3 InsO). 102

e) Allerdings bedarf es bei Drittbeteiligung stets genauer Prüfung, wer Betroffener ist. Die Tatsache, daß und mit welchem Inhalt der Schweigepflichtige informiert wurde, kann als verknüpftes Geheimnis ein solches des Informanten sein (o. Rdn. 36; Göppinger NJW 1958 241, 243; Hackel NJW 1969 2257; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 23). Die Frage, wer einen Patienten in die Klinik eingeliefert hat, betrifft auch den Einliefernden (Hanack JR 1986 35, 37; Rogali NStZ 1985 374). Sind die Umstände eines Geschehens streitig und beruft sich ein Beteiligter auf den vom Arzt erhobenen Befund und die Schilderung, die er ihm dabei gegeben hat, geht es insoweit allein um Geheimnisse dieses Beteiligten; der Kontrahent ist nur mittelbar am Beweisergebnis interessiert (BDH NJW 1960 550; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Schreiner S. 109 ff, 125 ff). Ebenso liegt es bei der Zahlung des Schuldners an den gemeinsamen Anwalt der Vertragspartner (OLG Düsseldorf MDR 1985 507). Das gilt selbst dann, wenn sich aus dem Eigengeheimnis zwingende Rückschlüsse auf Drittgeheimnisse ergeben. Läßt der Mann seine Zeugungsfahigkeit untersuchen, darf der Arzt ihm - und bei Befreiung durch den Mann anderen - ein negatives Ergebnis auch mitteilen, wenn die Ehefrau schwanger ist und so ihr Ehebruch offenbar wird (Schreiner S. 124). Allgemein gesprochen, kann ein und derselbe komplexe Sachverhalt Geheimnisse verschiedener Träger einschließen, deren Preisgabe je einzeln durch die Einwilligung des Trägers oder des Anvertrauenden gerechtfertigt werden kann. Im Fall der während des Insolvenzverfahrens von einem Wirtschaftsprüfer aufgedeckten Untreue des Schuldners wirkt die Entbindung durch den auftraggebenden Insolvenzverwalter also allemal rechtfertigend, diejenige durch den Schuldner hingegen nur dann, wenn es um ein ausschließlich ihn betreffendes Geheimnis geht, was etwa bei Geheimhaltungsbedürftigkeit auch im Interesse der Insolvenzmasse nicht der Fall wäre. In dem Schulfall, daß die Ehefrau Unterwäsche des Ehemanns einem Arzt zwecks Untersuchung auf Erreger einer Geschlechtskrankheit übergibt (dazu Jähnke Voraufl. Rdn. 63 m. w. N.), können also sowohl die Ehefrau als auch der Ehemann rechtfertigend in die Preisgabe des Untersuchungsergebnisses einwilligen (so daß der Arzt selbstverständlich der Ehefrau die Diagnose mitteilen darf - abw. Jähnke Voraufl. aaO), wohingegen der Weg des Untersuchungsmaterials zum Arzt ein Geheimnis der Ehefrau ist, das der Arzt nur mit ihrer Einwilligung preisgeben darf.

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4. Sonstige Wirksamkeitsvoraussetzungen, a) Die Erteilung der Einwilligung steht im Belieben des Berechtigten (Arzt Schutz der Intimsphäre S. 187; Noll ZStW 77 [1965], 21; MaurachlSchroederlMaiwald BT 1 § 29 III 5). Sie muß aber vor der Tat nicht notwendig gegenüber dem Schweigepflichtigen (Kleinewefers! Wilts VersR 1963 989) - erklärt sein173 und auf fehlerfreier Willensbildung beruhen. Rechtsgutbezogene Schlächter Strafverfahren 489.2; differenzierend Gülzow N J W 1981 265; Haas wistra 1983 183 Fn. 10; Stypmann wistra 1982 11, 14.

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BGHSt. 7 294, 295; 17 359, 360; aA U. Weber Zur strafrechtsgestaltenden Kraft des Privatrechts, F. Baur-Festschrift (1981) S. 133, 142.

Stand: 1. 8. 2000

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Irrtümer, Täuschung und Drohung machen das Einverständnis unwirksam. 174 Es kann im Wege gewillkürter Vertretung durch Vertreter in der Erklärung und durch Boten abgegeben werden; eine Vertretung im Willen ist bei Vermögenswerten Geheimnissen möglich (OLG Celle NJW 1955 1844). b) Inhaltlich muß die Einwilligung grundsätzlich bestimmte Tatsachen (nicht „alle gegenwärtigen und künftigen Geheimnisse") und konkrete Übermittlungsvorgänge umfassen. Die Befugnis des Betroffenen, mit seinem Geheimnis nach Belieben umzugehen, verbietet jedoch den Rechtsverkehr lähmende Engherzigkeit. Zieht der Betroffene den Kreis der zu offenbarenden Geheimnisse, der erfaßten Offenbarungsvorgänge {Pickel M D R 1984 885, 887) und der berechtigten Empfanger weiter, übt er eine von der Rechtsordnung gewährte Gestaltungsmacht aus, die ihm nicht über rechtliche Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung wieder entzogen werden darf (einschränkend für das Arbeitsverhältnis Hinrichs DB 1980 2287, 2289). Der Betroffene ist deshalb auch nicht gehindert, seine Einwilligung in die Weitergabe von Geheimnissen, die er nicht kennt (das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung), zu erklären. Wie für die Einwilligungsfahigkeit allgemein, so ist auch im Einzelfall lediglich zu fordern, daß der Betroffene Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung überblickt. Er muß also z.B. damit rechnen, daß der Schweigepflichtige über ihm unbekannte Geheimnisse verfügt, welche er freigibt.

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Vertragsklauseln in Formularverträgen, durch die der Betroffene im voraus seine Einwilligung in die Weitergabe von Geheimnissen und Daten erklärt, bieten oftmals besondere Probleme. Sind sie nach dem AGB-Gesetz inhaltlich unzulässig (zur Schufa-Klausel BGHZ 95 362, 367; Gola NJW 1986 1913), ist dies beim Fehlen von Individualabreden auch strafrechtlich maßgebend, weil mit dem Wegfall der Klausel keine Willensäußerung des Betroffenen mehr vorliegt, auf die sich eine Offenbarung stützen könnte. Auch unabhängig von der Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes müssen vertraglich vereinbarte Offenbarungsermächtigungen jedoch in ihren Wirkungen überschaubar sein;175 mit der Zulässigkeit von Generalvollmachten - die im Innenverhältnis überdies beschränkt zu sein pflegen - lassen sich geringere Wirksamkeitsvoraussetzungen bei persönlichen Geheimnissen nicht begründen (aA Herold D M W 1961 357). c) Im Zeitpunkt der Preisgabe des Geheimnisses durch den Schweigepflichtigen muß die Einwilligung noch wirksam sein. Ihr Widerruf ist im allgemeinen jederzeit möglich (Bockelmann in Ponsold S. 16; Samson SK Rdn. 40). Bei Vermögenswerten Geheimnissen kann das Einverständnis aber auch Bestandteil einer vertraglichen Bindung (Lizenzvergabe) sein, die nicht einseitig auflösbar ist. Diese Bindung gilt dann auch für das Strafrecht. 176 Eine weitere Ausnahme von der freien Widerruflichkeit macht die Rechtsprechung beim Sachverständigenbeweis. Hat der Betroffene, 174

175

Arzt Willensmängel bei der Einwilligung (1970) S. lOf; Übersicht bei M. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164 ff; Sternberg-Lieben Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht (1997) S. 532 ff. Freís VersR 1976 511,513; Göppinger NJW 1958 241, 243 Fn. 12; Hollmann N J W 1978 2332; 1979 1923; Narr Rdn. 763; Rüping Internist 1983 206, 207; Schäcker BB 1964 968, 970; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 24; Schütte N J W 1979 592; Tiedemann N J W 1981 945, 948; für den Krankenhausvertrag Rieger D M W 1979

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1552; für das Arbeitsverhältnis Hinrichs DB 1980 2287, 2289. Dogmatisch anders - Privatrechtsgeschäft als Rechtfertigungsgrund - M. K. Meyer Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984) S. 164f; H. D. Weber Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht (1986) S. 68 ff, 128 ff; wie hier Hirsch LK vor § 32 Rdn. 113; Jakobs AT 7/110; Sch/Schröderl Lenckner Vorbem. § 32 Rdn. 44, teilw. abw. Rdn. 53.

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ohne dazu verpflichtet zu sein, sich untersuchen lassen und so ein Beweismittel geschaffen, kann er dieses nicht mehr durch einen Widerruf beseitigen.177 Ob die im Rechtsstreit erklärte Befreiung eines Zeugen von der Schweigepflicht endgültig ist, bestimmt sich nach der jeweiligen Prozeßordnung; im Strafprozeß ist sie frei widerruflich. 178 106

d) Die Einwilligung bedarf keiner Form und ist auch konkludent bzw. stillschweigend möglich (RGSt. 38 62, 66; OLG Karlsruhe NStZ 1994 141). In bestimmten Gesetzen für den Regelfall (§ 67 SGB X, §§ 3, 4 Abs. 2 S. 2 BDSG) oder zwingend (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 BStatG) vorgesehene Schriftlichkeit ist auf die strafrechtliche Bewertung ohne Einfluß. Sie soll sicherstellen, daß der Betroffene sich der Tragweite seiner Erklärung bewußt ist (Harthun SGb 1983 511) und dient damit dem Schutz vor Übereilung. Ist der Betroffene aber nach gehöriger Erwägung mit der Offenbarung seines Geheimnisses oder Datums einverstanden, fehlt es an einem Eingriff in seine Individualsphäre, welcher Gegenstand strafrechtlicher Ahndung sein könnte; die bloße Nichtbeachtung der Form ist kein Strafgrund (vgl. Schmitz JA 1996 949, 953; SchlSchröderILenckner Rdn. 24 a). Zur Unbeachtlichkeit des Strafantrags in solchen Fällen Jähnke LK § 77 Rdn. 56.

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e ) Während Rechtsprechung und Literatur früher in der Annahme einer stillschweigenden Einwilligung sehr großzügig waren (vgl. u. Rdn. llOf zu den Fällen der Praxisveräußerung), geht die neuere Rechtsprechung damit - seit der Anerkennung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung verständlicherweise - sehr restriktiv um. Zwar wird man nach wie vor von einer stillschweigenden Zustimmung zur Hinzuziehung und dementsprechend auch Information der berufsmäßigen Gehilfen gemäß § 203 Abs. 3 Satz 1 ausgehen können, falls man für diesen Bereich nicht schon das Tatbestandsmerkmal des Offenbarens verneint (o. Rn. 43). Der bloße Umstand, daß der Adressat der Geheimnisoffenbarung selbst schweigepflichtig ist, reicht aber nicht aus, so daß sich Ärzte oder Psychologen nach der überspitzten h. M. die unter vollständiger, d. h. nichtanonymisierter Geheimnispreisgabe erfolgende Hinzuziehung eines Konsiliararztes bzw. einer Supervision eigens gestatten lassen müssen, wenn sie sich nicht nach § 203 strafbar machen wollen.179 Dies gilt erst recht für die Angabe der Diagnose bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (u. Rdn. 156) oder Priifungsverhinderungsattesten, sofern das Prüfungsamt nicht kraft Gesetzes ein uneingeschränktes Informationsrecht besitzt (zutr. Kühne JA 1999 523 ff gegen BVerwG DVB1. 1996 1379; Seebass NVwZ 1985 521; zur amtsärztlichen Untersuchung u. Rdn. 155). Auch bei der Weitergabe des Geheimnisses zu Forschungszwecken ist, sofern keine besonderen Vorschriften (etwa über Krebsregister, u. Rdn. 119) eingreifen, die Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung erforderlich (Lippertl Strobel VersR 1996 427, ebenso im Grundsatz Hollmann MedR 1992 177 ff; unter Berücksichtigung der europäischen Rechtslage Kilian NJW 1998 787 ff).

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RGSt. 66 273, 275; BGHZ 40 288, 294; OLG Hamm VRS 35 30; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 20; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 104ff; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 16 RGSt. 57 63, 66; BGHSt. 42 73 m. Anm. Welp JR 1997 35; OLG Hamburg NJW 1962 689; OLG Hamm GA 1969 220; KK-Sénge § 53 Rdn. 54; LRIDahs § 53 Rdn. 76.

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BayObLGSt 1994 227 mit Besprechung Niedermair in RoxinlSchroth S. 363 ff und Anm. Fabricius StV 1996 485; Gropp JR 1996 478; Longino ZfJ 1997 136; ferner Langkeit NStZ 1994 6, 7 und Fn. 92 sowie Rdn. 43. Zur konkludenten Zustimmung bei Einweisung in eine Klinik OLG München NJW 1993 797, zu den Regelungen in den Krankenhausgesetzen der Länder u. Rdn. 119.

Stand; 1.8. 2000

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5. a) Die Reichweite der Einwilligung in die Geheimnisoffenbarung richtet sich nach dem Inhalt der Erklärung. Der Betroffene kann sie persönlich, sachlich und auf bestimmte Fälle beschränken.180 Jedoch bedeutet es eine Verweigerung der Einwilligung, wenn die auferlegten Beschränkungen so weit gehen, daß ihre Beachtung zu einer unvollständigen oder sonst inhaltlich unrichtigen Aussage führen würde {Bockelmann in Ponsold S. 16 Fn. 38; B. Lilie S. 99). Fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung des Umfangs oder ist das Einverständnis selbst nur konkludent erklärt, ist die Reichweite der Befreiung aus den Umständen zu ermitteln. Anhaltspunkte dafür sind die Natur des Geheimnisses sowie der Zweck, zu dem es anvertraut ist und zu dem es offenbart werden soll. Weiter ist von Bedeutung, wie mit dem Geheimnis allgemein oder von dem Betroffenen üblicherweise umgegangen wird, denn im Regelfall soll eine übliche Verfahrensweise weiterhin praktiziert werden (Kern in Gramberg/ Danielsen S. 52, 53). Vermutungen bestehen aber nicht. Der Arzt muß daher die Einwilligungsfrage immer prüfen, wenn er an einen Kollegen herantritt (Rdn. 42); das bringt nunmehr auch die Berufsordnung für die deutschen Ärzte zum Ausdruck. 181

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Die Einwilligung umfaßt regelmäßig die Weitergabe von dem Betroffenen unbekannten Geheimnissen, wenn mit solchen zu rechnen und kein Vorbehalt erklärt ist.182 Doch kann es auch anders liegen. Was der Patient einem nachbehandelnden Arzt im Interesse der Heilung selbstverständlich offenbart sehen möchte, kann er gegenüber dem Arbeitgeber geheimhalten wollen. b) Vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall lassen sich aber gewisse 1 0 9 Regeln auffinden. Das dem Anwalt für rechtliche Auseinandersetzungen mitgeteilte Geheimnis darf dieser nur im Rahmen des gegebenen Anlasses (Ackermann DJT-Festschrift S. 479, 506) und nicht gegen den anvertrauenden Mandanten (BGHSt. 34 190 m. Anm. Dahs JR 1987 476; Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43) verwenden, wie überhaupt ein Einverständnis nicht die Mitteilung an beliebige Interessenten umfaßt (VG Berlin NJW 1960 1410). Die in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren erteilte Entbindung von der Schweigepflicht wirkt nur für dieses Verfahren (BGHZ 40 288, 295; LG Braunschweig NStZ 1986 474). Wer sich beschwert, erklärt hingegen sein Einverständnis mit vollständiger Nachprüfung durch die Beschwerdestelle (Rein VersR 1976 117, 121). Erscheint der Betroffene mit Angehörigen in der Praxis des Arztes, wird regelmäßig sein Einverständnis mit deren Unterrichtung vorliegen.183 Auch sonst ist gegenüber Ehegatten und nahen Verwandten häufig größere Offenheit möglich (Bachmann Med. Klinik 1977 1550, 1553; Bockelmann in Ponsold S. 11; Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 27); jedoch gebieten mahnende Beispiele (Brandis Med. Klinik 1965 353) eine sorgfältige Prüfung selbst bei scheinbar intakten Familienverhältnissen. Erkennbare Interessengegensätze schließen die Annahme stillschweigenden Einverständnisses regelmäßig aus (Kalsbach AnwBl. 1955 41, 43). Bei bloßen Bürogemeinschaften von Rechtsanwälten oder telefonischer Rechtsberatung ist nicht von einer konkludenten Einwilligung mit der Weitergabe des Geheimnisses auszugehen. 184 180

181

182

OLG Hamburg NJW 1962 689; Bockelmann in Ponsold S. 16; TröndlelFischer Rdn. 33; Husmann in Mergen II S. 183, 188; Sch/Schröderl Lenckner Rdn. 24c. § 9 Abs. 4 der Musterberufsordnung von 1997, abgedr. bei Laufs!Uhlenbruck Handbuch S. 36 ff. Göppinger N J W 1958 241, 243; Lenckner in Göppinger S. 159, 180; abw. Kohlhaas G A 1958

(141)

183

1,4

65, 73; Laufs Arztrecht Rdn. 427; Narr Rdn. 764. RGSt. 38 62, 66; Schlund JR 1977 265, 266; vgl. aber BGH JZ 1983 151. MichalskilRömermann N J W 1996 3233, 3239; OLGe München u. Frankfurt NJW 1999 150, 152; Berger N J W 1999 1353.

Bernd Schünemann

§203

15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

Gegenüber arbeitsteilig organisierten Funktionseinheiten wie dem Krankenhaus erklärt der Patient dagegen schlüssig seine Einwilligung damit, daß an der Operation und der Pflege ein Behandlungsstab mitwirkt, aber auch damit, daß die Krankenunterlagen im notwendigen Umfang zwecks Abrechnung an die Verwaltung gelangen 185 (wobei richtigerweise aber schon kein „Offenbaren" vorliegt, s. Rdn. 43). Nicht auf organisierter Arbeitsteilung beruhende Teamarbeit, etwa in Beratungsdiensten, muß dem Betroffenen bekannt sein; dann kann auch hier sein Einverständnis vorliegen (aA Schenker ZBIJugR u. JugWohlfahrt 1975 222, 224; s. auch Marx GA 1983 160, 174). Für die Hinausgabe von Unterlagen an einen Schreibdienst (Narr Rdn. 756) oder eine rechtlich als Verein organisierte Stelle zwecks Archivierung trifft das aber nicht zu (aA Kilian NJW 1987 695, 697). Bei Sachleistungsbegehren darf der Sozialarbeiter ein weiterreichendes Einverständnis annehmen als z.B. bei Beratungen (Onderka/Schade in Mörsberger Datenschutz S. 172, 181 ff). 110

c) Die Übertragung einer Praxis oder Kanzlei mitsamt den zugehörigen Karteien und Akten sollte nach der früher h. M. - wenn nicht schon auf Grund immanenter Begrenzung der Schweigepflicht aus Gründen der Eigentumsgarantie und der Berufsfreiheit - jedenfalls kraft konkludenten Einverständnisses der Betroffenen zulässig sein.186 Zur Unterstützung wurden der Gedanke der Sozialadäquanz sowie ein argumentum ad absurdum angeführt: Stirbt der Arzt oder gibt er seine Praxis auf, sei die Übernahme durch einen Nachfolger ein normaler Vorgang, an dem niemand wegen Geheimnisbruchs Anstoß nehme. Wäre es anders, müßten auch die Begründung einer Sozietät oder Praxisgemeinschaft, die Bestellung eines Urlaubsvertreters, selbst die Neueinstellung von Personal jeweils am Geheimnisschutz scheitern, weil der Schweigepflichtige in allen diesen Fällen Geheimnisse anderen zugänglich macht (Jähnke Vorauf!. Rdn. 70 m.z. N. der damals h. M.). Diese Auffassung ist aber heute überholt, nachdem die Zivilsenate des Bundesgerichtshofes sowohl die Weitergabe von Patientendaten an sog. Privatärztliche Verrechnungsstellen 187 als auch die Weitergabe von Mandantendaten bei der Veräußerung einer Rechtsanwaltskanzlei 188 ohne Zustimmung des Patienten bzw. Mandanten für rechtswidrig erklärt und sogar einen hiergegen verstoßenden Vertrag gemäß § 134 BGB für nichtig erklärt haben. Mit der gleichen Begründung wurde die Abtretung zwecks Herstellung einer Aufrechnungslage 189 und sogar die Abtretung an eine ebenfalls schweigepflichtige Person, ferner auch der Verkauf einer Arzt- oder Steuerberaterpraxis mitsamt dem (in der Regel den größten Praxiswert ausmachenden) Forderungsbestand für nichtig erklärt. 190 Diese strenge Rechtsprechung ist mittlerweile auch von der h. L. akzeptiert worden 191 und verdient

185

186

VG Münster MedR 1984 118; LG Bonn NJW 1995 2419; 2420; TröndlelFischer Rdn. 28; Jung Constantinesco-Gedächtnisschrift S. 355, 363; Kern in GramherglDanielsen S. 53, Kreuzer NJW 1975 2232 2235; Lackneri Kühl Rdn. 18; Narr Rdn. 756; Samson SK Rdn. 40; Timm S. 117; aA Sehl Schröder! Lenckner Rdn. 27; s. ferner OVG Lüneburg NJW 1975 2263. Jähnke Voraufl. Rdn. 70 m.w. N; aA schon immer Bockelmann BT 2 § 34 II 4; Grömig NJW 1970 1209, 1211; Kuhlmann JZ 1974 670; Laufs NJW 1975 1433, 1435; 1976 1121, 1125; Arztrecht Rdn. 436; Lenkaitis S. 270; B. Lilie S. 103; Rüping Internist 1983 206, 207; Sch/Sehröderl Lenckner Rdn. 27; Samson SK Rdn. 42.

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BGHZ 115 123; BGH JR 1993 22; weitere Nachweise bei Schlund Handbuch § 75 Rdn. 50 ff. 188 BGH NJW 1995 2026 im Anschluß an BGHZ 116 268. "» BGH NJW 1996 775f. 190 BGHZ 122 116; BGH NJW 1993 2795; OLG Hamburg NJW 1993 1335; BGHZ 116 268; BGH NJW 1996 2087. 191 Berger NJW 1995 1584; Bongen/Kremer NJW 1990 2911, 2915; Giesen!Poll JR 1994 29; Gola NJW 1996 3312, 3319; ders. NJW 1995 3283, 3289; ferner Henssler NJW 1994 1817, 1822; Kamps NJW 1992 1545; König CR 1991 473; Körner-Dammann NJW 1992 729; Langkeit NStZ 1994 6, 9; Laufs NJW 1999 1768; A t o -

Stand: 1. 8. 2000

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Verletzung von Privatgeheimnissen

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trotz der erheblichen Praktikaliblitätsprobleme, die sie mit sich bringt, 192 auch in strafrechtlicher Hinsicht Zustimmung. Denn in den genannten Fallgruppen kommt als Rechtfertigungsgrund in der Tat nur die Einwilligung in Betracht, weil die mutmaßliche Einwilligung wegen der Möglichkeit, eine ausdrückliche Einwilligung einzuholen, nicht zum Zuge kommt 193 und weil die sicherlich angesichts der jahrzehntelangen Praxis anzunehmende Sozialadäquanz der Weitergabe von Patienten- und Mandantendaten an Verrechnungsstellen und Praxisnachfolger lediglich als Vehikel einer einschränkenden Tatbestandsauslegung dienen kann, 194 für die der Wortlaut des § 203 aber keine ausreichenden Anhaltspunkte bietet. Die Rechtslage ist freilich dadurch verkompliziert worden, daß der BGH Aus- 111 nahmen für den Fall anerkannt hat, daß die Forderungen an einen schon vorher bestellten Abwickler 195 oder an einen bereits zuvor in der Kanzlei tätigen Mitarbeiter 196 abgetreten werden. Ferner wurde auch die unbeschränkte Pfandbarkeit der Honorarforderungen eines Schweigepflichtigen bejaht, 197 woraus aber noch nicht auf die Zulässigkeit einer Sicherungsabtretung geschlossen werden kann. 198 Offene Rechtsprobleme ergeben sich daraus auch für die Gründung einer Anwalts-GmbH. 199 Die Frage der Abtretbarkeit von Honorarforderungen eines Tierarztes ist schließlich höchstrichterlich noch nicht entschieden, die Instanzgerichte urteilen unterschiedlich.200 In dieser rechtlich und tatsächlich ziemlich verworrenen Situation hat der Gesetzgeber wenigstens für die Abtretung der Honorarforderungen von Rechtsanwälten und damit für den Praxisverkauf auf diesem Gebiet dadurch eine Klärung versucht, daß er durch den neu eingefügten § 49 b Abs. 4 BRAO zunächst in Satz 1 die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts, der eine Gebührenforderung erwirbt, ausdrücklich ausgesprochen und sodann in Satz 2 die Abtretung von Gebührenforderungen an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Dritten für unzulässig erklärt hat, es sei denn, die Forderung ist rechtskräftig festgestellt, ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos ausgefallen und der Mandant hat ausdrücklich und schriftlich in die Abtretung eingewilligt. Weil man nach den Regeln der juristischen Methodenlehre somit für die Abtretung an einen Rechtsanwalt ein argumentum e contrario ableiten müßte, ist die Problematik dadurch entschärft, aber keinesfalls gelöst, denn gerade diese Konsequenz ist im Schrifttum nach wie vor umstritten, 201 und da sie weder für eine Anwalts-GmbH noch für die anderen schweigepflichtigen Berufe gilt, ist die Rechts-

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195 196

kowski JZ 1994 48; Mennicke/Radtke MDR 1993 400; Rieger MedR 1992 147; Ring BB 1994 373; Römermann NZG 1999 608; Roßnagel NJW 1989 2303; Schlund JR 1992 200; ders. JR 1993 25; Taupitz M D R 1992 421; Tobinsky (1991) passim; Uhlenbruck Handbuch § 19 Rdn. 11, § 82 Rdn. 17; PFo//NJW 1994 563, 565. Vgl. die Nachweise in Fn. 191 sowie Laufs MedR 1989 309. Eingehend und mit weiteren Abhilfevorschlägen MichalskilRömermann NJW 1996 1305. BGHSt. 16 312; Roxin AT I § 18 Rdn. 10; ders. Welzel-Festschrift S. 461; Lackneri Kühl vor § 32 Rdn. 21. Roxin AT I § 10 Rdn. 37; Hirsch ZStW 74 (1962) 78 ff; Dötting ZStW 96 (1984) 55 ff; SehlSchröder!Lenckner vor § 13 Rdn. 70. BGH NJW 1997 188. BGH NJW 1995 2915 m. Anm. Poli JR 1996 203.

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BGH NJW 1999 1544; OLG Stuttgart NJW 1994 2838. Zum entspr. Problem bei der Postsperre im Insolvenzverfahren s. OLG Bremen ZIP 1992 1215 m. zust. Bespr. v. Pape EWiR 1992 1215. Anders und zweifelhaft Schäfer wistra 1993 281. Vgl. dazu Taupitz NJW 1996 3033, 3038; zum „Unternehmen Anwaltskanzlei" Michalskil Römermann NJW 1996 1305, 1310. Vgl. einerseits LG Bochum NJW 1993 1535, andererseits LG Lüneburg NJW 1993 2994. Wie im Text JessnitzerlBlumberg BRAO § 49 b Rdn. 7; Feuerich/Braun BRAO § 49 b Rdn. 35 f; anders aber Berger NJW 1995 1406; Diepold M D R 1995 320; Prechtl NJW 1997 1813; der BGH hat das Problem bisher offengelassen und spricht lediglich vorsichtig von einer „allgemeinen Erleichterung" der Abtretung einer anwaltlichen Honorarforderung durch § 49 b Abs. 4 BRAO n. F. (JR 1996 200, 203).

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

läge unausgewogener denn je zuvor. Es besteht deshalb ein manifestes Bedürfnis nach einer umfassenden Regelung der Gesamtproblematik durch den Gesetzgeber. In einer solchen Regelung müßten auch die formellen Zustimmungserfordernisse bezüglich Belehrungspflicht, Form etc. geregelt werden, die gegenwärtig nicht weniger umstritten sind als die materielle Frage.202 112

d) Besonderer Prüfung bedarf der Umfang des Einverständnisses stets, wenn der Betroffene auf Veranlassung oder im Interesse Dritter (Versicherung, Arbeitgeber) zu einer Untersuchung erscheint. Der Arzt oder der Psychologe darf zwar annehmen, daß der Betroffene in einem solchen Fall mit der Offenbarung nicht kompromittierender Untersuchungsergebnisse einverstanden ist {LackneriKühl Rdn. 18). Das trifft aber nicht ohne weiteres auch für die Befunde und die Diagnose zu.203 Genügen dem Dritten die Mitteilungen des Arztes nicht, muß er sich mit dem Betroffenen auseinandersetzen, damit dieser den Arzt zu weiterer Offenlegung veranlasse. Näher zum ärztlichen Sachverständigen Rdn. 125, zum Amtsarzt, Anstaltsarzt, Truppenarzt, Betriebsarzt Rdn. 155 ff. Zum Einverständnis der Mitteilung an Sozialversicherungsträger durch die Vorlage eines Krankenscheins Leue in Vollkommer S. 227, 229 und § 60 SGB I. Zur Weitergabe von Krankenhausentlassungsberichten an die Kassen s. Rieger D M W 1999 403; Bruns/Andreas/Debong Arztrecht 1999 32.

113

Nicht umfaßt von der Einwilligung sind bei einer Versicherung zugunsten Dritter Auskünfte über den Versicherten an den Dritten (Kohlhaas VersR 1965 529, 533), und ebensowenig ist im Schadensfalle aus der Angabe des behandelnden Arztes gegenüber der gegnerischen Versicherung schon eine Befreiung von der Schweigepflicht herzuleiten (KleineweferslWilts VersR 1963 989; Narr Rdn. 763; s. auch OLG Stuttgart NJW 1958 2122). Die Versicherungswirtschaft darf Selbstschutzeinrichtungen nicht ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers zur Überprüfung von Versicherungsanträgen benutzen (Frels VersR 1976 511). Nicht ohne weiteres gedeckt von einer Einwilligung des Betroffenen sind ferner die Offenbarung von Geheimnissen zu Foschungszwecken, die Speicherung von Gesundheitsdaten im allgemeinen Personalinformationssystem des Betriebs (.Kilian BB 1980 893; 1981 985, 990), Mitteilungen von Ärzten untereinander zu privaten Zwecken (BGHSt. 4 355) oder im Kunstfehlerprozeß (AG Düsseldorf MedR 1986 83; Grömig NJW 1970 1209). 6. Offenbarungsbefugnisse der Hilfspersonen

114

a) Nach § 53 a Abs. 2 StPO wirkt die vom Betroffenen erklärte Entbindung von der Schweigepflicht zugleich für die in § 53 a Abs. 1 StPO aufgeführten Hilfspersonen (Gehilfen und zur Vorbereitung auf den Beruf Tätige). Die Erklärung ist sachlichrechtlich Einwilligung (Kohlhaas Medizin und Recht S. 43); ihre Reichweite kann außerhalb des Prozesses nicht geringer sein als im Rechtsstreit (Rdn. 91). Die Einwilligung wirkt für den Gehilfen daher stets in der von § 53 a Abs. 2 StPO bezeichneten Weise.

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b) Liegt keine Entbindung von der Schweigepflicht vor, entscheidet im Prozeß der Hauptschweigepflichtige mit bindender Wirkung über die Aussagepflicht des Gehilfen 202

203

Vgl. OLG Bremen NJW 1992 757; OLG Düsseldorf NJW 1994 2421; OLG Karlsruhe NJW 1998 831. OLG Braunschweig BB 1958 340; Fink DöV 1957 447, 449; Hinrichs DB 1980 2287, 2288; Koch DB 1958 1040; Kohlhaas GA 1958 65, 75; VersR 1965 529; C. Müller NJW 1966 1152;

Schlund JR 1977 265, 267 f; Scholz NJW 1981 1987, 1989; Schuegraf NJW 1961 961 sowie Dyes u. Karstädi NJW 1961 2050; aA Bockelmann in Ponsold S. 11 Fn. 8; einschr. auch Buddel Wilting MedR 1987 23, 26 sowie LG Oldenburg MedR 1995 278.

Stand: 1. 8. 2000

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(§ 53a Abs. 1 Satz 2 StPO); seine Entscheidung begründet auch im Falle der Unrichtigkeit für den Gehilfen eine zwangsweise durchsetzbare Zeugenpflicht. 204 Da niemand mit rechtlichen Mitteln zu einer rechtswidrigen Tat gezwungen werden kann, ist diese Zeugenpflicht sachlichrechtlich ein Rechtfertigungsgrund für den Gehilfen unabhängig davon, ob die Entscheidung des Hauptschweigepflichtigen falsch, die Preisgabe des Geheimnisses in seiner Person also unbefugt ist (aA BGHSt. 9 59, 61 f)- Gleich bleibt, ob der Gehilfe zugleich nach Absatz 1 persönlich schweigepflichtig ist wie die Krankenschwester; die Gehilfeneigenschaft hat insoweit Vorrang (BGHSt. 33 148). Außerhalb des Prozesses besteht ein Zeugniszwang aber nicht. Der Gehilfe muß daher in eigener Verantwortung entscheiden, ob er bei fehlender Einwilligung des Betroffenen einer etwaigen Weisung seines Vorgesetzten zur Preisgabe des Geheimnisses zu folgen vermag. In eigener Verantwortung muß er auch entscheiden, ob er sich beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 über einen entgegenstehenden Willen des Vorgesetzten hinwegsetzen soll. Seine institutionelle Abhängigkeit schließt das nicht aus, weil es jedermann ohne Rücksicht auf seine Stellung gestattet ist, gefährdete Rechtsgüter zu retten (Kohlhaas Medizin und Recht S. 43 f; NJW 1967 666). c) Gegenüber dem Hauptschweigepflichtigen darf der Gehilfe grundsätzlich reden 1 1 6 (vgl. Rdn. 43). Daran ändert sich nichts, wenn der Gehilfe zugleich nach Absatz 1 persönlich schweigepflichtig ist, wie die Krankenschwester. Für den Umfang der Schweigepflicht und die Offenbarungsbefugnis ist allein die tatsächlich ausgeübte Gehilfentätigkeit maßgebend, weil das Strafrecht nicht mit Schweigegeboten in die innere Ordnung von Arbeitsverhältnissen eingreifen darf. Daher ist große Zurückhaltung in der Annahme geboten, daß der Betroffene dem Gehilfen selbständig Geheimnisse anvertrauen könne, über die dieser dann gegenüber dem Vorgesetzten schweigen müsse und für die § 53 a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht gelte (weitergehend Kohlhaas NJW 1969 1566; 1972 1502). Häufig vermag nur der Chef die Bedeutung einer scheinbar unwichtigen Tatsache für die Diagnose oder für den Rechtsstreit zu beurteilen. Keine Schweigepflicht hat der Gehilfe bezüglich solcher Geheimnisse, die ausschließlich den Hauptschweigepflichtigen betreffen (Rn. 33). Dies hat im Anschluß an eine Entscheidung des Landesberufsgerichts für Zahnärzte Baden-Württemberg (NJW 1975 2255) in der strafprozeßrechtlichen Literatur zu dem eigenartigen Irrtum geführt, daß die Schweigepflicht in Gestalt des korrespondierenden Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 53a StPO in einem Verfahren gegen den Hauptberufsträger nicht bestehe.205 Selbstverständlich kann es aber nicht auf die Person des Beschuldigten, sondern allein darauf ankommen, ob ein wenigstens auch dem Mandanten, Patienten etc. zustehendes Geheimnis betroffen ist (Schliwienski NJW 1988 1507). 7. Befreiung nach dem Tode des Betroffenen. Nach dem Tode des Betroffenen hat die Einwilligung bei Vermögenswerten Geheimnissen der Erbe zu erklären, weil das Geheimnis auf ihn übergegangen (Rdn. 54) und er nunmehr verfügungsberechtigt ist.206 Eine Einwilligungserklärung des Erben, Angehöriger oder sonstiger Personen

2M

KK-Senge § 53 a Rdn. 6; Meyer-Goßner § 53 a Rdn. 7; LR/Dahs § 53 a Rdn. 8; aA Lenckner N J W 1965 321, 324, 326; Rengier S. 337 Fn. 145; zur Zuständigkeit bei Sozietäten Thielen StraFo 2000 121.

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205

206

KK-Senge § 53a Rdn. 9; Meyer-Goßner § 53a Rdn. 9; widersprüchlich LR/Dahs § 53 a Rdn. 11 unter Hinweis auf LG Hamburg StV 1989 385. OLG Hamburg NJW 1962 689, 691; Lackneri Kühl Rdn. 7; Lenckner in Göppinger S. 159, 181;

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

mit der Offenbarung von zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen ist dagegen ohne rechtliche Wirkung. 207 Beim Notar ist eine Entbindung durch die Aufsichtsbehörde gem. § 18 Abs. 2 Halbsatz 2 BNotO möglich. Zum nachwirkenden oder vermuteten Einverständnis des Verstorbenen Rdn. 56. 118

8. Zukünftige Bedeutung. Mit dem Verständnis des § 203 als einer Form des Grundrechtsschutzes, der eine Zurücksetzung der Geheimhaltungsinteressen des Rechtsgutsträgers hinter die ökonomischen Interessen des Schweigepflichtigen etwa bei der Praxisveräußerung (o. Rdn. 110) oder hinsichtlich der kostengünstigen Wartung seiner Computeranlage (Rdn. 41) ausschließt, ist der Schweigepflichtige bei der Verfolgung seiner eine Geheimnispreisgabe erheischenden eigenen Interessen weitestgehend auf eine Einwilligung des Betroffenen angewiesen, deren Einholung im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sich infolgedessen schon heute abzeichnet. Wegen der rasanten Entwicklung und Veränderung der Offenbarungsbedürfnisse und korrespondierenden Schutzmöglichkeiten namentlich im Bereich der EDV (instruktiv zu den Zugriffsmöglichkeiten des Wartungs- und Servicepersonals bei einem ComputerNetzwerk und zu den dagegen derzeit möglichen Sicherheitsmaßnahmen Otto wistra 1999 201, 205 f; Müthlein/Heck Outsourcing und Datenschutz 2. Aufl. 1997, S. 50 fi) kann eine elastische Kontrolle dieser Entwicklung nicht durch den Gesetzgeber, sondern nur im Wege einer durch die Rechtsprechung kontrollierten Kautelarjurisprudenz erfolgen. Beispielsweise muß sich dann eben ein Patient entscheiden, ob er sich in die Obhut eines seine Praxis in traditioneller Weise organisierenden Hausarztes oder eines „vollcomputerisierten" medizinischen Serviceunternehmens begeben will, dessen technisch und organisatorisch unabweisbare Bedürfnisse bei der Wartung der EDVAnlage dann von ihm naturgemäß bei Abschluß des Behandlungsvertrages, der in seinen beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen dann auch die potentielle Öffnung der Patientendaten gegenüber der EDV-Wartungsfirma einschließt, akzeptiert werden müssen. Die Gefahr einer zu starken Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts im Hinblick auf die Limitierung der Wirksamkeit von AGB entsprechend den §§ 2 ff, 9 ff AGBG kann dadurch gebannt werden, daß ein Vorrang von rechtsgüterschützenden Vorschriften anerkannt wird, beispielsweise des § 11 BDSG über die Sorgfaltsanforderungen bei einer Datenverarbeitung durch Dritte (dazu instruktiv Otto wistra 1999 201, 205).

VIII. Rechtswidrigkeit im übrigen 119

1. Bedeutung des Merkmals „unbefugt". Das Merkmal „unbefugt" ist allgemeines Kennzeichen der Rechtswidrigkeit, welche durch Offenbarungspflichten oder -befugnisse ausgeschlossen sein kann (aA konsequenterweise Jähnke Voraufl. Rdn. 74 mit

207

K. Müller in Mer gen II S. 63, 75, 93; Söhn in Hübschmann/HepplSpitaler § 102 AO Rdn. 56; anders beim Notar (§ 18 BNotO), BGH M D R 1975 400; 1987 139. RGSt. 71 21, 22 m. Anm. Schäfer DStrR 1937 197; RG Recht 1906 1202; BGH NJW 1983 2627, 2628; OLG Celle NJW 1965 362; BayLSG 1962 1789; LSG Bremen NJW 1958 278; LG Augsburg NJW 1964 1186 m. Anm. Lenckner, LG Hanau NJW 1979 2357; LG Koblenz AnwBl. 1983 328; Becker M D R 1974 888, 891; Bockelmann in Ponsold S. 15 Fn. 31; Erdsiek

NJW 1963 632; Frey Pfenninger-Festschrift S. 41, 42; Kohlhaas VersR 1965 529, 533; Lackneri Kühl Rdn. 7; Lenckner in Göppinger S. 159, 181; MaurachlSchroederlMaiwald BT 1 § 29 III 1; Narr Rdn. 762; Eb. Schmidt NJW 1962 1745, 1748; Seh!Schröder!Lenckner Rdn. 25; Samson SK Rdn. 41; aA LG Hildesheim NStZ 1982 394; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963) S. 89, 93; Habscheid AnwBl. 1964 302; Husmann in Mergen II S. 183, 188; B. Lilie S. 97 f; Rein VersR 1977 121; Solbach DRiZ 1978 204, 206; offen gelassen in BSGE 59 76.

Stand: 1. 8. 2000

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der These des die Abwesenheit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses einschließenden „Doppelcharakters"). Das Merkmal ist ein Blankett (BVerfGE 55 274, 324f), dessen strafrechtlicher Gehalt sich aus der Gesamtrechtsordnung ergibt. Jedoch können nur Gesetz und aufgrund ausreichender Ermächtigung erlassene Verordnungen (insoweit aA Zielinski in ReichertzlKilian S. 14, 18), nicht aber untergesetzliche Rechtsnormen (BSG NJW 1986 1574 in Ergänzung zu BSGE 55 150; TröndlelFischer Rdn. 27; Kreuzer NJW 1975 2232, 2236), Verwaltungsvorschriften (Franzheim Z R P 1981 6, 7; SehlSchröder!Lenckner Rdn. 53) oder Berufsordnungen (AG Düsseldorf MedR 1986 83) Offenbarungsrechte begründen. Dagegen läßt § 203 dem Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Zuständigkeit Spielraum für derartige Regeln,208 so für die von verschiedenen Ländern erlassenen Gesetze über Krebsregister, an deren Stelle nunmehr § 3 Abs. 2 Satz 2 BundeskrebsregisterG 209 getreten ist. Das gleiche gilt für die datenschutzrechtlichen Regelungen, die in zahlreichen Landesgesetzen bereichsweise enthalten sind und deren Regelungen über die Datenweitergabe auch für eine Rechtfertigung bei § 203 relevant sind. Beispielhaft ist auf die Krankenhausgesetze der Länder hinzuweisen, etwa Art. 27 Abs. 5 des Bayerischen Krankenhausgesetzes vom 11. September 1990 (GVB1. S. 386); § 33 Abs. 3 des Sächsischen Krankenhausgesetzes vom 19. August 1993 (GVB1. S. 675). Offenbarungsrechte müssen nicht stets ausdrücklich begründet werden; sie können sich auch durch Gesetzesauslegung ergeben (BSG NJW 1986 1574). 2. Gesetzliche Offenbarungspflichten (Übersicht für Ärzte bei Ulsenheimer Handbuch § 71 Rdn. 3) enthalten die §§ 138, 139, ferner etwa die Gesetze zur Seuchenbekämpfung - BSeuchG, GeschlKG - (zum Beginn der Pflicht BayObLGSt. 1981 69, zur Nichteinbeziehung von AIDS Loschelder NJW 1987 1467; in Schünemann/ Pfeiffer, S. 156fi), § 11 Abs. 4 TPG (dazu Deutsch NJW 1998 777, 779), Vorschriften des Sozialrechts zur Eingliederung Behinderter - §§ 124, 125 BSHG - , des Abgabenrechts zur Sicherung der Besteuerung, des Wehrrechts zur Sicherung der Wehrerfassung, des Wirtschaftsverwaltungsrechts zugunsten von Aufsichtsbehörden (Rein VersR 1977 121, 122), das Melderechtsrahmengesetz. In diesen Fällen ist die Verletzung des § 203 nach den Grundsätzen der unechten Pflichtenkollision gerechtfertigt. 210 Weitreichende Offenbarungspflichten hat das Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) vom 25. Okt. 1993 (BGBl. I 1770) gebracht, welches Kredit- und Finanzinstituten (§ 1 GwG) und damit auch den gemäß § 203 Abs. 2 zur Wahrung des Bankgeheimnisses an sich verpflichteten öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten sowie auch anderen Unternehmen und Personen, die entgeltlich fremdes Vermögen verwalten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GwG), also ggf. auch Notaren, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten bei treuhänderischer Vermögensverwaltung, Mitwirkungspflichten im Interesse der Aufspürung von Geldwäschevorgängen auferlegt, die bei Kredit- und Finanzinstituten bis hin zu einer Anzeigepflicht, beim Rechtsanwalt gemäß § 12 GwG immerhin bis zu 208

209 210

OVG Lüneburg NJW 1984 2652; Rogali NStZ 1983 1, 7; aA Kühne Berufsrecht S. 132; in Frommann/ MörsbergerlSchellhorn S. 155, 157; Frommann ebenda S. 159, 180; für Offenbarungspflichten Woesner NJW 1957 692, 693. Dazu Hollmann N J W 1995 762. Unecht deshalb, weil eine Handlungs- mit einer Unterlassungspflicht kollidiert und deshalb § 34 direkt einschlägig ist; zum ganzen und zur umstrittenen Terminologie einerseits Hirsch LK.

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Vorbem. § 32 Rdn. 76; Küper Grund und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht (1979), S. 33f; Roxin Strafrecht AT I § 16 Rdn. 102; Stratenwerth Strafrecht AT I § 9 Rdn. 119; andererseits Jescheckl Weigend § 35 V 1; LackneriKühl § 34 Rdn. 15; Otto Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil 3. Aufl. (1978), S. 82 ff; Tröndlel Fischer Rdn. 11 vor § 32, ferner Rdn. 139.

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120

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einem Anzeigerecht reichen, welches für die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 203 Abs. 1 einen Rechtfertigungsgrund darstellt (Henssler N J W 1994 1817, 1820f). Normadressat können die Schweigepflichtigen des Absatzes 1 und Verwaltungsbehörden sein. Manche Gesetze des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts enthalten Verfahrensvorschriften, welche bei den notwendigen Veröffentlichungen die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen sicherstellen (vgl. Rebentisch N J W 1980 99 zum BImSchG) oder ausdrücklich ausschließen (vgl. Breuer NVwZ 1986 171, 173, sowie Rdn. 146 und allg. zur Information als Mittel der Verwaltung Gusy N J W 2000 977). Zur Prüfungsbefugnis der Rechnungshöfe OVG Lüneburg M e d R 1985 230, 232; BVerwGE 82 56; BVerfG N J W 1997 1633; Hahne-Reulecke M e d R 1988 235; Kühne Berufsrecht S. 135f; krit. HeintzenlLilie N J W 1997 1601 ff. Zur zweifelhaften Interpretation der steuerlichen Pflicht zur Führung eines Fahrtenbuches, zur Namensnennung des aufgesuchten Patienten, Mandanten etc. bei schweigepflichtigen Freiberuflern gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG Schmidt! Weber-Greller EStG § 6 Rdn. 422; mit Recht krit. Au N J W 1999 340; Schmitz wistra 1997 293. 3. Einzelne Offenbarungspflichten 121

a) Zivilrecht. Zwangsvollstreckung. Gewährt das Zivilrecht einen Anspruch auf Auskunft oder Einsicht, welcher die Offenbarung eines fremden Geheimnisses einschließt, so ist die Erfüllung dieses Anspruchs durch den Schweigepflichtigen mit strafrechtlicher Wirkung gerechtfertigt. Wird etwa dem künstlich gezeugten Kind ein Anspruch gegen den Arzt auf Benennung des Samenspenders zur Klärung der biologischen Abstammung zugebilligt, bedarf es zur Begründung von Straflosigkeit keines Rückgriffs auf § 34.211 Der Anspruch des Patienten oder seines Erben auf Einsicht in die Krankenunterlagen des behandelnden Arztes erstreckt sich dagegen nicht auf fremde Geheimnisse. Zur Behandlung eines auf die Offenbarung von Geheimnissen gerichteten privatrechtlichen Vertrages Rdn. 105.

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Eine begrenzte Offenbarungspflicht enthält § 807 ZPO. Der auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in Anspruch genommene Schweigepflichtige muß Angaben über seine Forderungen gegen Dritte auch machen, wenn der Name des Drittschuldners dem Berufsgeheimnis unterfallt. 212 Pfändet der Gläubiger eine solche Forderung, tritt er an die Stelle des Schweigepflichtigen. Dieser muß dem Gläubiger im Falle gerichtlicher Geltendmachung die zur Durchsetzung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen deshalb in demselben U m f a n g mitteilen, wie wenn er selbst Klage erhoben hätte (dazu Rdn. 133).

123

b) Der Notar (dazu Rdn. 64) muß die Beteiligten kraft seines Amtes auf Gefahren hinweisen, die ihnen aus dem beabsichtigten Geschäft erwachsen, und Straftaten verhindern. D a ß seine Kenntnisse aus anderen Amtsgeschäften stammen, steht dem nicht entgegen; diese Kenntnisse sind im erforderlichen U m f a n g preiszugeben (BGH M D R 1973 488; 1978 654). Zu gesetzlichen Mitteilungspflichten des Notars zur

211

Dazu Starck und Coester-Waltjen Die künstliche Befruchtung beim Menschen, Gutachten zum 56. DJT (1986) A 24, Β 59; ferner Gottwald Hubmann-Festschrift S. 111, 121; K. Müller Zeugnispflicht bei heterologer Fertilisation, FamRZ 1986 635; Ostendorf in Jüdes In vitroFertilisation und Embryotransfer (1983) S. 177, 193; Zimmermann FamRZ 1981 929, 932.

212

KG JR 1985 161, 162; LG Aurich N J W 1971 252; LG Wiesbaden Jur.Büro 1977 727; Ebermayer S. 56; Kalifelz JW 1936 1343, 1345; Laufs Arztrecht Rdn. 445; Lang S. 83 ff; Narr Rdn. 747; Stein!Jonas!Münzberg ZPO § 807 Rdn. 34; aA LG Memmingen N J W 1996 793.

Stand: 1.8. 2000

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Sicherung der Besteuerung § 34 ErbStG; Art. 97 § 5 EGAO 1977, Arndt/LerchlSandkühler BNotO § 18 Rdn. 85 ff. c) Der Kassenarzt kann gehalten sein, sich der Prüfung und Begutachtung durch 1 2 4 die zuständigen Organe der Sozialversicherung zu stellen, und ist in diesem Rahmen zur Offenbarung der Patientendaten verpflichtet. 213 Die in besonderen Gesetzesbestimmungen (§§ 202, 203 SGB VII, § 100 SGB X) niedergelegten Pflichten des Kassenarztes, den Sozialleistungsträgern die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, wirken unmittelbar als Offenbarungsbefugnis, nicht erst, wenn der Patient sein Einverständnis erklärt (Lauterbach Unfallversicherung SGB VII § 202 Rdn. 43; Kranig in Hauck SGB VII Κ § 202 Rdn. 6). Zur Prüfung bei dem des Abrechnungsbetruges verdächtigen Arzt Teyssen/Goetze NStZ 1986 529. d) Zweifelhaft und umstritten ist die Rechtsstellung des gerichtlich bestellten 1 2 5 Sachverständigen, der als Arzt, Berufspsychologe, Wirtschaftsprüfer o.a. zu dem schweigepflichtigen Personenkreis des § 203 zählt. Nach der früher herrschenden und auch heute noch vielfach vertretenen Auffassung soll der Sachverständige dem Probanden nicht „als" Arzt etc. gegenübertreten, 214 woraus die vollständige Unanwendbarkeit sowohl des § 203 StGB als auch des § 53 StPO zu folgern wäre. Damit würde sich aber eine unerträgliche Strafbarkeitslücke für denjenigen Fall ergeben, daß ein nicht gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 öffentlich bestellter Sachverständiger die bei der Begutachtung erfahrenen Geheimnisse des Probanden Dritten gegenüber ausplaudert (wobei eine vollständige Schließung dieser Strafbarkeitslücke nur durch eine Ausdehnung des § 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 auf alle gerichtlich bestellten Sachverständigen möglich ist, weil beispielsweise ein nicht unter § 203 Abs. 1 Nr. 1 fallender und auch nicht öffentlich als Sachverständiger bestellter, aber gleichwohl vom Gericht zum Gutachter bestellter Heilkundiger de lege lata keiner strafrechtlich sanktionierten Schweigepflicht unterliegt, wenn man von der inhaltlich beschränkten und auch ein anderes Rechtsgut schützenden Vorschrift des § 353d StGB absieht). Nach der heute überwiegenden Auffassung soll dagegen alles unter § 203 StGB und § 53 StPO fallen, „was der Arzt in dieser seiner Eigenschaft wahrgenommen hat, gleichgültig ob die Wahrnehmungsmöglichkeit auf einem besonderen Vertrauensakt beruht oder nicht", weil die Gegenmeinung „dem durch Art. 2 Abs. 1 G G geforderten Schutz der Intimsphäre des Probanden nicht gerecht (werde), da auch zwischen ihm und einem ärztlichen Sachverständigen regelmäßig ein gewisses Vertrauensverhältnis entstehen wird und die Erwartung rechtfertigt, der Gutachter werde die gewonnenen Erkenntnisse nur dem Gericht im Rahmen seines Auftrages mitteilen, nicht aber darüber hinaus ausplaudern oder sonst anderweitig offenbaren". 215 Diese Auffassung verdient gerade auch nach der maßgeblichen viktimodogmatischen Auslegungsmaxime (o. Rdn. 16) den Vorzug, und zwar aufgrund eines argumentum a fortiori: Wenn die von Ärzten, Berufspsychologen u.a. eruierten Geheimnisse wegen ihrer besonderen Sensibilität sogar im Falle einer freiwilligen Kontaktaufnahme strafrechtlich schutzwürdig und schutzbedürftig sind, so muß dies erst recht für eine vom Staat angeordnete Geheim213

214

BSGE 55 150; BSG NJW 1986 1574; Sendler NJW 1980 2776; Laufs Arztrecht Rdn. 434 Fn. 43; aA LSG Celle N J W 1980 1352; Baur SGb 1984 150. RGSt. 61 384; 66 273; OGHSt. 3 63; Tröndlel Fischer Rdn. 7 mit Verneinung des „Anvertrauens"; LR-Dahs § 53 Rdn. 35 f; Eb. Schmidt Der Arzt im Strafrecht S. 32 ff; unklar Samson

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215

SK Rdn. 49, der sich auf Eb. Schmidt beruft, aber nur die Rechtswidrigkeit der Geheimnisverletzung verneint. So wörtlich BGHSt. 38 369, 370; ebenso BGHZ 40 288, 293 f; Jähnke Voraufl. Rdn. 79; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16; Lackneri Kühl Rdn. 23; NK-Juflg Rdn. 36; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 91 ff; Müiler-Dietz S. 39, 48 f.

Bernd Schünemann

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15. Abschnitt. Verletzung des pers. Lebens- und Geheimbereichs

nisöffnung gelten, soweit sich die anschließende Offenbarung nicht im Rahmen der Anordnung bewegt. Auf der Basis dieser nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte keinesfalls zwingenden, aber teleologisch überzeugenden Grundsatzentscheidung sind alle Folgeprobleme auf konstruktivem Wege eindeutig zu lösen. Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige auch im Sinne des § 203 „als" Arzt etc. tätig wird, so findet ein Wechsel von der einen in die andere Rolle entgegen Kühne (JZ 1981 647, 649; ähnlich Barbey Der med. Sachverst. 1974 32, 33) nicht statt. Die Weitergabe des Geheimnisses durch Erstattung des Gutachtens ist ferner entgegen SehlSchröder!Lenckner Rdn. 16 eine tatbestandsmäßige Handlung, die freilich im Rahmen des Gutachtenauftrages gerechtfertigt ist.216 Während man bei freiwilligen Untersuchungen hierfür auf das - nach ihrem Abschluß unwiderrufliche (Rdn. 105) - Einverständnis des Betroffenen abstellen kann, 217 ergibt sich die Rechtfertigung bei einer ohne oder unabhängig von der Einwilligung des Betroffenen durchgeführten Begutachtung aus den Grundsätzen der Pflichtenkollision und der Einheit der Rechtsordnung, weil das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO nach der (freilich mißverständlichen) Vorschrift des § 76 Abs. 1 StPO nur für die vor Erteilung, nicht aber für die infolge des Gutachtenauftrages erfahrenen Tatsachen gilt und die prozessuale Pflicht zur Gutachtenerstattung (§ 75 StPO) infolgedessen als lex specialis der legi generali des § 203 StGB vorgeht. 218 126

Diese Offenbarungspflicht und Offenbarungsbefugnis des Sachverständigen gegenüber dem Gericht bzw., allgemein gesprochen, gegenüber seinem Auftraggeber bestehen jedoch nicht unbeschränkt. Zunächst versteht es sich von selbst, daß der Sachverständige ein Wissen, das er etwa als früher behandelnder Arzt des Probanden gewonnen hat, nicht offenbaren darf. 219 Umstritten ist die Behandlung der sog. Zusatztatsachen, die der Sachverständige also nicht etwa (wie die Befundtatsachen) aufgrund des gerichtlichen Auftrages infolge seiner spezifischen Sachkunde in Erfahrung gebracht hat, sondern bei Gelegenheit seiner Begutachtung, vor allem aufgrund einer Mitteilung des Probanden. 220 Weil Zusatztatsachen nur durch Vernehmung des Gutachters als Zeugen in den Prozeß eingeführt werden können, 221 ist § 53 StPO direkt anwendbar, so daß eine Rechtfertigung der Offenbarung nur durch eine prozessual als Schweigepflichtentbindung gemäß § 53 Abs. 2 StPO wirkende Einwilligung des Berechtigten möglich ist. Nach verbreiteter Auffassung soll bereits in der Freiwilligkeit der Angaben gegenüber dem Sachverständigen die entsprechende Einwilligung gesehen werden, 222 doch wird man das an zwei einschränkende Voraussetzungen binden müssen: Zum ersten muß der Sachverständige den Beschuldigten über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung analog §§ 163 a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 5 StPO belehrt haben; 223 und zum zweiten darf es nicht um Angaben 216

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BGHZ 40 288, 295; Krauß ZStW 97 (1985) 95 fl"; Müller-Dietz S. 48; Lackner/Kühl Rdn. 23; NKJung Rdn. 36. So im Fall BGHSt. 38 369, 370; ferner OLG Hamm VRS 35 30; Fink DÖV 1957 447, 451. Im Ergebnis unstreitig, vgl. Lackner/Kühl Rdn. 23; Meyer-Goßner § 76 Rdn. 2; Krauß ZStW 97 (1985) 81, 110; B G H Z 40 294; Jähnke Vorauf! Rdn. 79. Dippel S. 151; Haß SchlHA 1973 4243; Jähnke Vorauf! Rdn. 79; ebenso bei Erkenntnissen aus einem früheren Gutachtenauftrag, siehe BGHSt. 38 369, 371.

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Vgl. zu dieser Unterscheidung BGHSt. 9 292; 13 1; 18 107; 20 164; 22 268, 271; Meyer-Goßner §79 Rdn. 10 f. BGHSt. 9 292, 293 f; 13 1; 18 107; 20 164; 22 268, 271; B G H NStZ 93 245; Meyer-Goßner § 79 Rdn. 11; Κ K-Senge vor § 72 Rdn. 5. B G H Z 40 288, 294; RGSt. 66 273; O L G Hamm N J W 1968 1202; Dippel S. 151; Rüping Internist 1983 206, 208; KR-Senge § 53 Rdn. 19; MeyerGoßner § 53 Rdn. 20; JessnitzerlFrieling Der gerichtliche Sachverständige S. 167. BGHSt. 35 32, 35; Roxin Strafverfahrensrecht § 25 III 5; LR-Hanack § 136 Rdn. 3; Meyer-Goßner § 136 Rdn. 2; Schmidt-Recia N J W 1998 800,

S t a n d : 1. 8. 2000

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gehen, die der Beschuldigte dem Gutachter ersichtlich nicht im Hinblick auf die Gutachtenerstattung, sondern ausschließlich wegen seiner Stellung als Arzt etc. gemacht hat.224 Im Vorverfahren kann die Anordnung zur Begutachtung u.U. auch von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei getroffen werden (§ 81a Abs. 2, § 81c Abs. 5 StPO). Die Offenbarung ist alsdann rechtmäßig, wenn sie gegenüber der anordnenden Stelle oder dem Gericht erfolgt. Hingegen ist die Ausstellung ärztlicher Atteste, welche ein privater Beteiligter zur Einleitung eines Entmündigungs- oder Pflegschaftsverfahrens verwenden will, durch keine Verfahrensvorschrift abgesichert (bedenklich Rieger DMW 1986 1775). e) Die Jugendgerichtshilfe hat kein Recht, im Strafverfahren ihre Mitwirkung zu 1 2 7 verweigern, wenn der Angeklagte dies fordert; ihre Aufgaben bestimmen sich nach § 38 JGG (klargestellt durch § 61 Abs. 3 KJHG, s. dazu Dölling BewHi 1993 128; zur Zusammenarbeit mit freien Trägern Hümmerich in Mörsberger Datenschutz S. 120, 130). Zum Bewährungshelfer vgl. o. Rdn. 37, zur Jugendhilfe allgemein Proksch Sozialdatenschutz, m. krit. Rezension v. Rauschert ZfJ 1996 414. f) Zeugen, die kein Zeugnisverweigerungsrecht haben, sind zur vollständigen Aus- 1 2 8 sage auf Grund des sie treffenden Zeugniszwangs verpflichtet. Diese Pflicht rechtfertigt zugleich die Preisgabe von Geheimnissen.225 Auch Amtsträger müssen, wenn sie sich nicht auf eine spezielle Weigerungsbefugnis (§ 53 Abs. 1 Nr. 2, 3, 3 a StPO; § 35 SGB I) stützen können, aussagen, sofern ihnen die Genehmigung nach § 54 StPO erteilt ist.226 Die Genehmigung nach § 54 StPO entbindet zwar für sich genommen nicht von der Pflicht zur Wahrung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 2,227 weil diese nicht zur Disposition des Dienstherren stehen. Aber die Genehmigung stellt die jeden treffende Zeugenpflicht wieder her, und diese umfaßt auch geheime Tatsachen (.Meyer-Goßner § 54 Rdn. 2; aA Foth JR 1976 7, 9). Macht ein Zeuge von einem ihm zustehenden beruflichen Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch, so ist seine Aussage materiell nicht schon deshalb rechtmäßig, weil sie vor Gericht erfolgt.228 Fehlt ein Rechtfertigungsgrund, erfüllt der Schweige801; aA B G H N J W 1968 2297; 1998 838; K K Boujong § 136 R d n . 3; Rogali SK StPO § 136 R d n . 16 Jähnke Voraufl. R d n . 79; Lackner/Kühl R d n . 23; Krauß Z S t W 97 (1985) 81, 110; Kühne J Z 1981 647; Rengier S. 270; Timm S. 144; unentschieden Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 16; vgl. ferner Heinitz Engisch-Festschrift S. 693, 70 l f ; Frey Pfenninger-Festschrift S. 41, 53 f; umfassend Geppert v. Lübtow-Festgabe S. 773; im Grundsatz auch RGSt. 61 384, 385; Schmidt-Recla N J W 1998 800, 801; undeutlich im Sinne einer „materiellen A u f k l ä r u n g " Miiller-Dietz S. 48 f. O L G Köln V R S 84 101; B F H N J W 1993 2831 f; Arzt I Weber L H 1 R d n . 508; Tröndlel Fischer R d n . 29f; Geppert Jura 1991 132 136; Hecker JR 1999 428, 430; Lackner/Kühl R d n . 24; Lenckner N J W 1965 321, 323; Ostendorf D R i Z 1981 4, 5; Otto G r u n d k u r s BT § 34 III 3 b cc; Rengier S. 173f; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 29; Samson SK R d n . 49; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 401 m. F n . 35; dazu ferner Noll Gerwig-Festgabe S. 135. (151)

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Z u r Frage, ob bei der Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigen ist, d a ß die Aussage Privatgeheimnisse zum Gegenstand haben wird, Ostendorf DRiZ 1981 4, 9; Rengier S. 42 ff, 51. R G Z 54 1, 2; Harthun S G b 1977 181, 183; K K Senge § 54 R d n . 3; Rössler D a s Steuergeheimnis und die Stellung des Finanzbeamten vor Gericht, M D R 1969 356; Bedenken bei Göhler O W i G § 59 Rdn. 42. BGHSt. 9 59, 61 f; O L G Hamburg DStrR 1936 437 m. Anm. Henkel; Ackermann DJT-FestSchrift S. 479, 499; Arzt! Weber L H 1 R d n . 508; Bockelmann in Ponsold S. 17; Bohne/Sax S. 159, 170; TröndlelFischer R d n . 30; Flor JR 1953 368, 371; Haffke G A 1973 65, 66f; Haft BT § 203 I; Meyer-Goßner § 53 Rdn. 5; Kohlhaas G A 1958 65, 72; Lackner/Kühl Rdn. 24; Lenckner N J W 1965 321, 324; Lenckner in Eser!Hirsch S. 227, 239; Ostendorf D R i Z 1981 4, 10; Peters Jugendwohl 1976 275; Schilling J Z 1976 617, 619f; Eb. Schmidt Brennende Fragen S. 33; SchlSchröderl Lenckner Rdn. 29; Welp Gallas-Festschrift S. 391, 398; We